KLASSIK Intimes Grummeln Schubert oder Beethoven in historischem Gewand klingen wie neu – wenn Könner in die Tasten greifen.

s war einmal ein dunkles Zeitalter, da standen sich auf dem Feld E des Instrumentalklangs zwei Meinungslager gegenüber: Hier Tra - ditionalisten und Romantik-Erben, dort die Verfechter des Originalklangs. Metallsaite gegen Darmsaite, Vibrato oder keines: Solche Entscheidungen konnten Freundschaften zerstören. Inzwischen ist die sture Jagd nach Authentizität weitgehend passé. Und siehe da, nach dem Ende der Ver - bissenheit entwickeln sich historische Forschungen zur Schatzsuche. Die Pianistin Viviana Sofronitsky zum Beispiel, Tochter des legendären Wla - dimir Sofronitsky, hat jetzt Schuberts „Wanderer-Fantasie“ auf einem Fortepiano eingespielt, dem Nachbau eines Conrad-Graf-Instruments von 1819, ohne dass sie an der Virtuosität Abstriche machte. Sonor- dramatisch klingt diese Version und dennoch biedermeierlich intim; auch die oft allzu feinsinnig abgetönten Impromptus gewinnen eine Direktheit, als höre man plötzlich mit Schuberts Ohren. Viviana Parallel dazu hat sich Andreas Staier, Deutschlands virtuosester Sofronitsky Praktiker originalen Tastenklangs, ein Monument vorgenommen: spielt Schubert Beethovens „Diabelli-Variationen“ von 1823, ebenfalls auf einer (CAvi); Andreas Conrad-Graf-Kopie gespielt, entfalten vom grummelnden Bass Staier spielt bis in die Zartheit der hohen Oktaven charaktervolle Eigenart „Diabelli- wie ein Lebewesen. Schön, dass Staier auch noch zehn der Varia - Variationen“ (Harmonia tionen anderer Komponisten angefügt hat – darunter eine erstaun - Mundi) liche vom elfjährigen Franz Liszt. JOHANNES SALTZWEDEL

Ralf Böhme hat die Umsiedler-Satire von Oper. Konzertante Premiere 2.5., auch 4.5. Klassik im Mai 1959 als Sozialprojekt mit russischen Ein - Sebastian Weigle dirigiert das Jugend - wanderern arrangiert. werk nach Shakespeares „Maß für Maß“. OPERN Giuseppe Verdi: I due Foscari. Deutsche GELSENKIRCHEN BASEL Oper. Konzertante Premiere 9.5., auch 11.5. : Salome. Musiktheater G. F. Händel: Ariodante. Theater. Premie - Eine Rarität für Gesangsfreunde, mit im Revier. Premiere am 20.5., auch am 28.5. re am 13.5., auch am 17., 20., 23. und 31.5. Stars wie Leo Nucci und Ramón Vargas. Majken Bjerno (Sopran) singt und spielt Stefan Pucher inszeniert seine erste Oper, Oscar Wildes biblischen Vamp. ein Wechselbad der Emotionen von 1735 . G. F. Händel: Xerxes. Komische Oper. Pre - Andrea Marcon dirigiert. miere 13.5., auch 17., 19., 23., 24. und 27.5. GÖRLITZ Das wird interessant: Konrad Junghänel Georg Kreisler: Du sollst nicht lieben. BERLIN dirigiert, Stefan Herheim inszeniert – Theater. Premiere am 25.5., auch am 26.5. : Tannhäuser. Philhar - und Stella Doufexis singt die Titelrolle. Nähe und Desillusionierung als hinter - monie. Konzertante Aufführung am 5.5. sinniges Patchwork klassischer Themen. Marek Janowski setzt seinen Zyklus fort, BREMEN mit Stars wie Nina Stemme (Elisabeth) Giacomo Puccini: Tosca. Theater am HAMBURG und Christian Gerhaher (Wolfram). Goetheplatz. Premiere 26.5., auch 31.5. Richard Strauss: . Schmachtfetzen kurz vor Saisonschluss, Staatsoper. Premiere am 13.5., auch am 17., Dmitrij Schostakowitsch: Moskau mit Daniel Montané am Pult. 20., 23. und 30.5. Tscherjomuschki. Staatsoper im Schiller Simone Young ergänzt ihren Strauss- Theater. Premiere am 2.5., auch 4. –6., 8., FRANKFURT/MAIN Strauß – mit als Bacchus 9., 11., 13., 15. und 17.5. Richard Wagner: Das Liebesverbot. und Anne Schwanewilms im Titelpart.

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Pianistin Schubert, Schumann und Wolf sind als Goethe- Sofronitsky: Schatzsuche „Marlis Vertoner bekannt. Aber Peter Tschaikowski? im Biedermeier Petersen Hans Sommer? Walter Braunfels? Ernst K řenek? singt Und wer weiß, dass der junge Wagner Gretchens Goethe- Stoßseufzer „Meine Ruh ist hin“ komponierte? Lieder“ Die Sopranistin Marlis Petersen und ihr Begleiter (Harmonia Jendrik Springer veranstalten eine aufregende Mundi) Entdeckungsreise – es gibt auch einen roten Fa - den: sechs Versionen von „Wandrers Nachtlied“.

Deutlich klingen Haydn und Mozart nach, aber Ernst von zuweilen zeigt sich hinter der Noblesse eigensin - Gemmingen: nige Frühest-Romantik. Gemmingen, dessen Fa - „Violin- milie die Burg des Götz von Berlichingen gehör - konzerte te, komponierte im friedlichen Heilbronn um Nr. 1 & 2“ 1800 vier Violinkonzerte, deren zwei erste Kolja (CPO) Lessing jetzt mit dem Münchner Rundfunk- orchester unter Ulf Schirmer vorstellt, samt eige- nen Kadenzen. Hoffentlich folgt bald Teil zwei.

Verdammnis und Lobpreis, Fluch oder Zerknir - Henry schung: Auch in geistlichen Gesängen zog der Purcell: „Orpheus Britannicus“ Henry Purcell alle Register. „Harmonia Die barocken Textvorlagen wollen unbedingt Sacra“ expressionistisch gesungen werden. Rosemary (Aparté) Joshua (Sopran) leiht den abrupten Gefühlswen - dungen und Melodieschlenkern so leidenschaft - liche Virtuosität, dass aus der frommen Andacht kleine Action-Szenen zu werden scheinen.

Neben Glanzstücken des Konzertrepertoires hielt „Swinging die Firma Welte auf ihren teuren Rollen für auto - Welte“ matische Klaviere auch lockerere Stücke fest, zu (Tacet) einer Zeit, als Cole Porter, Irving Berlin und an - dere mit Einfällen geradezu um sich warfen. Die bunten Ragtimes und raffiniert swingenden Be - arbeitungen sind im Booklet sorgsam doku - mentiert; dreimal hört man sogar George Gersh - win selbst spielen. JOHANNES SALTZWEDEL

HANNOVER MÜNCHEN Regisseurin Andrea Moses will Mittel - Charles Gounod: Faust. Staatsoper. Kon - Richard Wagner: Siegfried. Staatsoper. standsängste reflektieren. Ob sich Bergs zertante Premiere 5.5., auch 10. und 20.5. Premiere am 27.5., auch am 31.5. Psycho-Kammerspiel dafür eignet? Nicole Chevalier glänzt in einer ihrer Pa - Kent Nagano rundet seinen „Ring“ in raderollen: als Marguérite. Ivan Repu šić Rekordzeit: Nächsten Monat folgt schon FESTIVALS dirigiert. die finale „Götterdämmerung“. Dresdner Musikfestspiele. 15.5. –3.6. LEIPZIG Giuseppe Verdi: Falstaff. Prinzregenten - Gleich acht große Orchester und meh - Albert Lortzing: Der Wildschütz. Musi - theater. Premiere am 18.5., auch am 22., rere Kammerensembles spielen auf, dazu kalische Komödie. Premiere am 12.5., auch 23., 26., 27. und 31.5. geben sich Weltstars von Midori bis An - am 13., 26., 27. und 30.5. Während der Renovierung des eigenen gelika Kirschschlager ein Stelldichein. Das romantische Buffostück hat viele Hauses gönnt sich die Gärtnerplatz-Trup - kleine Anspielungen auf Leipziger Tages- pe erst mal einen Klassiker der Komik. Düsseldorf: Schumannfest. 24.5. –4.6. ereignisse zu bieten – und kommt folge - Neben den Schwestern Labèque kom - richtig gleich auf Sächsisch daher. REGENSBURG men auch die zwölf Cellisten der Berliner Giuseppe Verdi: Falstaff. Theater. Pre - Philharmoniker (4.6.) für das mit Cross- MANNHEIM miere 18.5., auch 20., 21., 23., 27. und 29.5. over und Jazz garnierte Programm. Olga Neuwirth: The Outcast. National - Ernö Weil inszeniert das grandiose und theater. Uraufführung am 25.5. deftige Alterswerk. Göttingen: Händel-Festspiele. 17. –28.5. Der Schriftsteller Herman Melville er - Der neue Chef Laurence Cummings prä - innert sich an sein Leben und seine lite - STUTTGART sentiert das Oratorium „Esther“, wich - rarischen Figuren. Es dirigiert der Avant - : Wozzeck. Staatsoper. Pre - tigste Oper ist das rare Ritterstück garde-Allrounder Johannes Kalitzke. miere 12.5., auch 17., 20., 24., 27. und 30.5. „Amadigi di Gaula“ von 1715.

Bücher, CDs, DVDs und exklusive SPIEGEL-Produkte erhalten Sie unter www.spiegel.de/shop 39 KLASSIK Vorhang auf Eine neue Edition des Kultu rSPIEGEL würdigt ostdeutsche Klassik-Stars.

ie konnten technisch perfekt und künstlerisch erstrangig sein – aber S nur wenigen wie Peter Schreier oder Ludwig Güttler gelang der Durchbruch zur Weltgeltung: Für Musiker der früheren DDR bedeutete der Eiserne Vorhang gen Westen fast immer die Grenze ihres Ruhms. Noch heu te sind Sängerinnen wie Hanne-Lore Kuhse, Pianisten wie Peter Rösel oder Dirigenten wie Günther Herbig im Westen kaum bekannt. In Zusam- menarbeit mit der Plattenfirma Edel hat der Kultur SPIEGEL aus dem rei - chen Katalog des ehemaligen DDR -Labels Eterna 30 repräsentative Auf - nahmen ausgewählt, die dokumentieren, welch hohe Musik - „Eterna – kul tur in Ost-Berlin, Leipzig oder Dresden bestand. Auch die Über technische Qualität überzeugt. So kann, was Älteren als kleiner Grenzen hin aus“ Akt der Wiedergutmachung erscheinen mag, für jüngere Klas - (Edel) sik-Freunde zur Entdeckung werden. JOHANNES SALTZWEDEL

Halle/S.: Händel-Festspiele. 31.5. –10.6. Wittener Tage für neue Kammermusik. „Alcina“ unter Bernhard Forck, das Ora - 27. –29.5. torium „La Resurrezione“ szenisch und Das Szene-Treffen mit 23 Uraufführun - vieles mehr: Die Tradition lebt. gen liefert Pegelmarken aktueller Trends.

Ludwigsburger Schlossfestspiele. 12.5. – KONZERTE 25.7. Unmöglich, das Star-Aufgebot zu resü - Berlin: Weingartner und Orff. Deutsche mieren. Nur ein Tipp: Igor Levits Kla - Oper, 19.5. vierabend (13.5.). Wieder eine Entdeckung vom Experten Andreas K. W. Meyer: Die Opern „Die Münchener Biennale. 3. –19.5. Dorfschule“ (1920) und „Gisei“ entstan - Neues Musiktheater mit etlichen Urauf - den nach derselben japanischen Vorlage. führungen, darunter drei Opern. Bonn: Kim Kashkashian und Peter Klavierfestival Ruhr. 5.5. –14.7. Nagy. Beethovenhaus, 24.5. Tastenmatadore, von Jungtalent bis Alt - Viola-Großmeisterin und Klavierkönner meister, geben 65 Konzerte in 18 Städten. spielen Schumann und Kurtág. Ein Highlight: der Auftritt von Khatia Buniatishvili (Dortmund, Konzerthaus, Mannheim: B. A. Zimmermann: „Ekkle - 15.5.), die neben Schumann, Prokofjew siastische Aktion“. Nationaltheater, 18.5. und Chopin mit ihrer Schwester Gvantsa Alois Seidlmeier dirigiert das tief skep - Ravels „La Valse“ spielt. tische Werk zweimal, dass man’s versteht.

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