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REDE Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

MAINZ GUIDO KNOPP

Juli 2007 175 Jahre Hambacher Fest www.kas.de/ FESTREDE VON PROFESSOR DR. GUIDO KNOPP www.kas.de

Meine Damen und Herren, Das war vor 25 Jahren, und viele unserer herzlichen Dank für die freundliche Be- Forderungen sind so aktuell wie damals. grüßung. Für mich ist der Tag bei Ihnen Manches von dem, was damals blanke Uto- hier im Hambacher Schloss auch eine pie schien, ist heute erreicht. Erinnern wir Rückkehr zu eigenen Wurzeln. Im No- uns: Damals war Deutschland geteilt – und vember 1982, vor fast einem Vierteljahr- es war für mich fast selbstverständlich, dass hundert, habe ich in diesem Saal den ers- ich als erstes Thema des „Hambacher Dis- ten Hambacher Disput eröffnet. Diese puts“ die ungelöste deutsche Frage wählte. Reihe, die’s zu meiner Freude immer noch Ich habe hier, in diesem Schloss, gefragt, gibt, hab’ ich damals initiiert, weil ich im ob es noch Chancen gebe für die deutsche 150. Jubiläumsjahr des Hambacher Festes Einheit – und die Antworten waren durchaus der festen Überzeugung war und immer symptomatisch für die achtziger Jahre. Der noch bin, dass die Hambacher Prinzipien – Publizist Klaus Harpprecht sagte: „Der Nati- Freiheit, Einheit, das Bekenntnis zu Euro- onalstaat liegt nicht im Interesse der Nati- pa – die einzige und ausschließliche ideel- on.“ Der Franzose Henri Menudier meinte: le Basis sind für eine gemeinsame Zukunft „Die deutsche Nation ist verspielt“, der Pole auf unserem Kontinent. Zbigniew Ramotowski erklärte: „Die deut- sche Frage ist für Polen längst gelöst.“ Und Benno Zech, mein alter Freund aus Ham- der Historiker Hans Mommsen befand: „Die bach, wird sich erinnern, wie wir damals, Nation ist tot. Es lebe die Region.“ beflügelt durch den besten Pfälzer Wein, gemeinsam mit unserem Freund Ekkehard Keine Spur also von glühender Einheitseu- Kuhn den „Hambacher Aufruf“ verfassten, phorie – und man kann nicht sagen, dass der ebendiese Ziele propagierte. Falls dem die allermeisten anderen Politiker und Intel- einen oder anderen in der Zwischenzeit ent- lektuellen in der alten Bundesrepublik die fallen sein sollte, wie genau unsere Forde- deutsche Einheit mit größerer Leidenschaft rungen lauteten – ich habe sie noch einmal herbeigesehnt hätten. Sie hatten es sich in mitgebracht (sie wurden damals als Plakat der deutschen Teilung relativ behaglich ein- gedruckt und bundesweit verbreitet): der gerichtet. Für viele von ihnen war der Eiser- Hambacher Aufruf! ne Vorhang fast schon ein Teil der physi- schen Landschaft Europas, vergleichbar mit Ich greife einfach mal einige Stichworte den Alpen. Sehen wir uns die Zitate führen- heraus: „Wiedervereinigung Deutschlands“, der deutscher Politiker noch in den späten „die Spaltung Europas in zwei Blöcke muss achtziger Jahren an, dann müssen wir er- überwunden werden“, „Sicherung des Frie- kennen, dass das Ziel der Einheit für nicht dens“, „Gemeinsinn und Solidarität statt Ei- wenige in weiter Ferne lag. Willy Brandt er- gennutz und Egoismus“, „Verantwortung für klärte 1988 die Wiedervereinigung zur „spe- kommende Generationen“, „schonender zifischen Lebenslüge der zweiten deutschen Umgang mit unserer Umwelt“, „die Gemein- Republik“. Und der Ministerpräsident von samkeit der Demokraten bewahren“. Bayern, Max Streibl, verkündete noch im Oktober 89, er halte nichts von „Wiederver- einigungsdebatten“. Jeder solle „in seinem

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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Block bleiben – die DDR drüben und wir werden. Doch als 1815 unter Führung Ös- hier“. Es gibt noch Hunderte von weiteren terreichs der „Deutsche Bund“ – als Ver- Zitaten. sammlung deutscher Fürsten – entstand, MAINZ wurden die allermeisten dieser Verspre- GUIDO KNOPP Was sie alle überrollte, war das Volk, der chungen nicht eingelöst. Im Gegenteil – die große Lümmel. Die Demonstrierenden der Regenten ließen alle Regungen nach Freiheit Juli 2007 ersten Stunde, die in Leipzig „Wir sind das und Einheit brutal unterdrücken. Dieser Volk“ gerufen haben, wollten anfangs aller- Wortbruch empörte die Bürger. www.kas.de/mainz dings noch nicht die Einheit, sondern eine www.kas.de bessere DDR. Die Kräfte aber, die ihr Mut Wie 150 Jahre später in der DDR waren es entfesselt hatte, war’n am Ende stärker als zunächst wenige, die ihrem Unmut Luft sie selbst. Der 9. Oktober 1989 in Leipzig machten – allen voran die Journalisten Phi- war eine Sternstunde in der deutschen Ge- lipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann Georg schichte – 70.000 Menschen demonstrierten August Wirth. Sie waren gleichsam „Bürger- gewaltlos für die Freiheit. In den Seiten- rechtler“ des 19. Jahrhunderts. Ihre Einla- straßen stand die Staatsmacht, schwer be- dung zum ersten Nationalfest der Deut- waffnet, und die Demonstranten – manche schen provozierte größtes Aufsehen. Als die Frauen war’n dabei, die Kinderwagen scho- bayerische Regierung – die Pfalz gehörte ben – alle mussten damit rechnen, dass es damals ja zu Bayern – die Zusammenkunft ebenso zu einem Blutbad kommen könne – verbot, steigerte sie damit noch ungewollt wie in Peking ein paar Monate zuvor auf deren Popularität. Schließlich versammelten dem Platz des Himmlischen Friedens. Dass sich mehr als 30.000 Männer und Frauen sie trotzdem auf die Straße gingen, voller aus allen Teilen Deutschlands– für damalige Angst und voller Mut, das war ihr Helden- Verhältnisse eine riesige Zahl. Bürgerliche tum: Wir sind das Volk! Wer da gesiegt hat- Freiheit und deutsche Einheit waren die te, das war das Volk! zentralen Themen der zahlreichen Reden in Hambach. Sie waren aber gekoppelt mit In diesem Sinn war Leipzig 1989 die Vollen- Aussagen zur Freiheit anderer Völker und dung eines Wegs, der 1832 in Hambach be- der so weitsichtigen Forderung nach einem gonnen hatte. Auch damals, im ersten Drit- vereinten Europa. Philipp Jakob Siebenpfeif- tel des 19. Jahrhunderts, war Deutschland fer ließ am Ende seiner Rede nicht nur das zersplittert, freiheitliche Regungen wurden „freie, das einige Deutschland“ hochleben, unterdrückt, der Wille des Volkes von den sondern auch die Polen, deren Revolution Mächtigen ignoriert. Im Jahr 1806 war das gegen den russischen Zaren 1830 geschei- „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ tert war; und die Franzosen – „der Deut- zusammengebrochen, das rund 900 Jahre schen Brüder“, wie Siebenpfeiffer erklärte. lang bestanden hatte. Napoleon, der neue Herrscher im Herzen Europas, brachte den Patriotismus ohne Überheblichkeit, mitfüh- Deutschen zwar langersehnte bürgerliche lendes Denken und Empfinden für andere Rechte und Freiheiten der französischen Re- Völker – das war das Nationalbewusstsein, volution, zugleich aber demütigte er die un- das sich in den Reden des Hambacher Fests terworfenen Völker in ihrem Selbstwertemp- äußerte. Die Grenze zwischen diesem tole- finden. So war der Aufstand gegen den Im- ranten Nationalbewusstsein und einem ar- perator nur zwangsläufig. In der Völker- roganten übersteigerten Nationalismus wur- schlacht bei Leipzig wurde 1813 Napoleons de immer gewahrt. Die Lauterkeit der politi- Macht gebrochen. schen Absichten machte das Hambacher Fest zu einem Höhepunkt der deutschen Für die Kraftanstrengungen und Leiden, die und der europäischen Geschichte. mit dem Kampf gegen die Fremdherrschaft verbunden waren, gaben viele deutsche Wenn auch den politischen Forderungen der Fürsten ihren Untertanen wohlfeile Verspre- Festteilnehmer noch lange der Erfolg ver- chen – und lösten damit im ganzen Volk sagt bleiben sollte: Hambach hatte den poli- gewaltige Hoffnungen aus. Verfassungen tischen Willen breiter Volksschichten in mit verbürgten Rechten sollten eingeführt Deutschland bewegt. Die bürgerliche Demo-

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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. kratie war unter den Farben schwarz-rot- erst einmal der restaurative Katzenjammer: gold als neue aktive Kraft hervorgetreten. Die Hambacher Patrioten – darunter die Der Traum von deutscher Einheit und politi- beiden Anführer Wirth und Siebenpfeiffer – MAINZ scher Freiheit war unüberhörbar ausgespro- wurden eingekerkert. Andere Verfolgte, die GUIDO KNOPP chen und zeigte als politische Zielsetzung noch flüchten konnten, gingen resignierend wegweisend in die Zukunft. in die Emigration. Dennoch – der Samen der Juli 2007 deutschen Demokratie war gelegt. Und er Dies beweist einmal mehr – und damit sollte schon wenige Jahre später aufgehen. www.kas.de/mainz komme ich zur zentralen These meines Vor- www.kas.de trags: Unsere heutige Demokratie ist kein Im März 1848 brach in mehreren deutschen künstliches Produkt der Zeit nach 1945. Sie Städten die Revolution aus. Bürger und ist kein Retortenbaby aus dem Brutkasten Handwerker erhoben sich. Von Berlin bis der Alliierten. Sie steht vielmehr in einer Wien erzwangen sie die Einsetzung von libe- älteren Tradition – einer Tradition, die sich ralen Regierungen und Wahlen zu einer Na- in Hambach zum ersten Mal manifestierte. tionalversammlung. Am 18. Mai 1848 trat diese erste Deutsche Nationalversammlung Die deutsche Geschichte erschöpft sich eben in der Paulskirche in Frankfurt am Main zu- gerade nicht in einer konstruierten Linie Lu- sammen. Die Begeisterung, mit der die ther – Bismarck – Hitler. Und auch das so- Deutschen die Anfänge ihres ersten frei ge- genannte „Dritte Reich“ war keine zwangs- wählten Parlaments begleiteten, war enorm läufige Folge irgendeines deutschen „Son- und gab den Abgeordneten ein großes derwegs“. Es gibt in der deutschen Ge- Selbstbewusstein. Der Liberale Heinrich von schichte keinen schicksalhaft vorbestimm- Gagern sagte in seiner Antrittsrede als Prä- ten Todespfad von Potsdam über Lange- sident der Nationalversammlung: „Wir ha- marck geradewegs nach Auschwitz. Denn ben die größte Aufgabe zu erfüllen. Wir sol- automatisch funktioniert in der Geschichte len eine Verfassung für Deutschland, für das gar nichts. Im Mittelpunkt der Politik und gesamte Reich schaffen... Deutschland will der Geschichte steht am Ende immer noch eins sein, ein Reich, regiert vom Willen des der Mensch, dem sich gerade an den Wen- Volkes, unter der Mitwirkung aller seiner depunkten seines Daseins mehrere Möglich- Gliederungen.“ keiten bieten – nicht weil ihn strukturelle Zwänge treiben oder irgendwelche dunklen Doch die Euphorie der ersten Monate war Mächte, sondern oft allein die eigene bald verflogen. Die Aufgabe, eine Verfas- Schwäche, eigener Ehrgeiz, eigenes Stre- sung für einen noch gar nicht existierenden ben, ob nach Macht, nach Ruhm oder nach Nationalstaat zu schaffen, überforderte die Geld. Das gilt auch für Hitlers sogenannte Abgeordneten. Am Streit um die Grenzen „Machtergreifung“, die in Wirklichkeit eine des künftigen Reiches wie um die Rolle des Machterschleichung war. Obwohl es immer Vielvölkerstaates Österreich entzündeten eher möglich war, dass es so kommen sich heftige Auseinandersetzungen. Zwar konnte, hat es nicht so kommen müssen. beschloss das Frankfurter sogenannte „Pro- fessorenparlament“ eine neue, fortschrittli- Die demokratische Tradition in der deut- che Reichsverfassung – doch sie trat nie in schen Geschichte hat zwar oft genug verlo- Kraft, weil ihr die größten und stärksten ren, sie hat oft genug nicht die Macht reprä- Länder die Anerkennung verweigerten. Die sentiert, sondern „nur“ den Geist – aber Professoren hatten eines nicht bedacht: selbst, als Otto Wels im Jahre 1933 vor dem Wenn der Geist die Macht besiegen will, Reichstagsplenum machtlos die Prinzipien dann muß er notfalls selbst Gewalt anwen- Freiheit und Moral zu Protokoll gab, machte den – für die gute Sache. Als schließlich der er damit doch immerhin noch deutlich, dass preußische König Friedrich Wilhelm IV. die ein anderes Deutschland existierte. ihm angebotene Kaiserkrone wegen des „Ludergeruchs der Revolution“ ablehnte, Ab Juni 1832 freilich trug das andere war das Scheitern der demokratischen Ver- Deutschland Trauer: Auf das demokratische fassung besiegelt – und der Traum einer Hochgefühl des Hambacher Festes folgte

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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. deutschen Einheit „von unten“ vorerst aus- dem Feuer holten, bastelte der Militärdikta- geträumt. tor außer Diensten im neutralen Schweden längst an einem bösen Märchen – an der MAINZ Was folgte, war eine erneute Phase der Res- Lüge von den roten Strolchen, die das tap- GUIDO KNOPP tauration. Die deutsche Einheit wurde nun fere, im Felde unbesiegte Heer, angeblich durch eine Staatsaktion von oben in Angriff hinterrücks gemeuchelt hätten – die „Dolch- Juli 2007 genommen – von bürgerlicher Freiheit war stoßlegende“. nicht mehr die Rede. Bismarcks Einigung im www.kas.de/mainz Jahre 1870/71 ist durch Krieg vollzogen Deutschlands neue erste Republik trug www.kas.de worden – einen waffenstarrenden Gewalt- schwer an diesem bösen Erbe, denn der so- akt, „Blut und Eisen“, gegen den erklärten genannte Friede von Versailles gab den Be- Willen mancher Nachbarn. siegten die Alleinschuld an fast allem. So geriet Versailles zum Sinnbild für das natio- Zwar bekamen die vereinten Deutschen nale Trauma, und es barg den Todeskeim jetzt ein Parlament. Doch der kaiserliche der Republik. Reichstag war kein Träger echter Souverä- nität – sein Dasein war ein Zugeständnis. Die Demokratie hatte es schwer unter sol- Das zeigte schon die Inschrift über dem chem Geburtsumständen. Die schwarzweiß- Portal: „Dem deutschen Volke“. Nicht das rote Monarchie verklärte sich im Nachhinein Volk war souverän genug, sich dieses Par- zum Inbegriff von Macht und Herrlichkeit; lament zu leisten. Nein! Majestät höchst- die schwarzrotgoldene Republik erschien als selbst geruhten, ihren Untertanen eine Stät- Magd der Unterwerfung unter das Diktat der te zu genehmigen, wo sie sich versammeln Sieger. Nutzlos zu erklären, dass Weimar durften. nur ausbaden musste, was Potsdam ange- richtet hatte. Das begriff bestenfalls der Das Deutsche Kaiserreich war nicht zuletzt Verstand, das Gefühl blieb taub dafür. auch deshalb allenfalls ein pubertärer Nati- onalstaat, der sich schlicht und einfach Die Deutschen hatten jetzt „die freieste Ver- überschätzte – denn er war zu groß für das fassung“ der gesamten Welt, was aber nütz- harmonische Konzert der Mächte und zu te das? Die Weimarer Verfassung war ein klein, um über sie zu herrschen. Deutsch- gutgemeintes Werk von Idealisten, die im land, die verspätete Nation, fühlt sich von Nationaltheater Weimar immer wieder auch seinen Nachbarn eingekreist. Tatsächlich das Erbe von Hambach beschworen. Die hatte es sich selber ausgekreist. Die Folgen Verfassung zeigt in ihren wesentlichen Ein- sind bekannt. richtungen – Volksbegehren, Volksent- scheid, Volkswahl des Reichspräsidenten, Der Sturmlauf gegen Westen 1914 endete leichte Auflösbarkeit des Reichstags – ein in einem mörderischen Grabenkrieg. Er fast unbegrenztes Vertrauen in die demo- übertraf an Grausamkeit, an menschlicher kratische Vernunft und staatsbürgerliche Verrohung, selbst die schlimmsten Ahnun- Verantwortung der Bürger. Sie ging von der gen. Hier wird die Saat gelegt für eine Zeit, Prämisse aus, der Mensch sei gut. Das ist er in der der Mensch als Material galt, nicht als aber nicht. Er möchte es zwar gerne sein, Individuum. Der Erste Weltkrieg war das doch selten nur gelingt es ihm. Dem Staat Schlangenei des Zweiten. obliegt es da, wie schon die ersten Demo- kraten, die Athener, wussten, die Bestie im Bis zum Sommer 1918 hielt sich an der so- Menschen zu zähmen. Der Verfassung Wei- genannten Heimatfront die Illusion des Sie- mars ist das leider nicht gelungen. ges. Doch in Wahrheit war das deutsche Heer am Ende, und die Generäle wussten Unser Grundgesetz ist skeptischer, aus gu- das. Der Feldherr Ludendorff, im Feld be- tem Grund. Seine Eltern mussten ja zum siegt, verlangte am grünen Tisch verzweifelt Teil am eigenen Leib erfahren, wie es sein jenen Frieden, den er den Politikern, die in kann, wenn, wie Carlo Schmid es einmal die Pflicht genommen werden, später vor- schrieb, der Mensch des Menschen Wolf wirft. Während Zivilisten die Kastanien aus wird. Sie hatten erlebt, wie verführbar und

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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. schwankend in seinen Stimmungen der Offen sagte er das lange nicht. Erst er sei- Wähler sein kann, wie leicht eine Demokra- nen Krieg entfesselt hatte, ließ er seine tie gerade durch schrankenlose Demokratie Maske fallen. Denn jetzt brauchte der Dikta- MAINZ sich selbst zugrunde richten kann – und sie tor keine Täuschung mehr. Die erste Hälfte GUIDO KNOPP wollten es nicht noch einmal erleben. seiner Herrschaft hatte er sich seinem Volk verabreicht wie ein Aufputschmittel. In der Juli 2007 Denn kein anderer wusste die Ressenti- zweiten Hälfte setzte er die Menschen auf ments des Volkes besser zu nutzen als Hit- Entzug und tauschte in die karge Welt der www.kas.de/mainz ler. Hätte er verhindert werden können? Alle Führerhauptquartiere ab. Und mit dem www.kas.de Aufpeitschung der Massen, aller redneri- Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 41 scher Aufruhr hätten Hitler nicht zur Macht war der Krieg tatsächlich sein Krieg, frei von verhelfen können. Die erhielt der Agitator jeder Zivilisation. Das sogenannte „Unter- erst durch das Intrigenspiel um einen al- nehmen Barbarossa“ war der Hakenkreuz- tersmüden Präsidenten und durch das Ver- zug, den er immer schon gewollt hatte: sagen jener Kräfte, die die kranke Republik Vernichtungskrieg im Osten für die alten beschützen sollten. Denn trotz aller inneren Ziele: Eroberung von „Lebensraum“, Auslö- Verzagtheit wären Weimars Machteliten schung des Judentums. stark genug gewesen, um die Diktatur zu stoppen. Die geschrumpften, aber noch vi- Schon seit der Niederlage vor den Toren talen demokratischen Parteien durch ein Moskaus, im Dezember 41, ahnte Hitler, „Nein“ zum Ermächtigungsgesetz; die Ge- dass sein Krieg vielleicht verloren gehen werkschaften durch einen Generalstreik; die würde. Gegenüber wenigen Vertrauten, et- Industrie durch finanzielle Renitenz. Die wa Jodl, sprach er es auch aus. Doch wenn Reichswehr durch die Drohung, ihre Macht schon seine erste Wahnidee nicht mehr er- auch anzuwenden. Miteinander hätte es ge- reichbar war, so wollte er doch wenigstens lingen können. Aber eine solche Anti-Hitler- die zweite noch vollenden: Jahre später Kommunikation fand niemals statt. Sie dämmerte den Zeitgenossen, dass das ei- nahmen Hitler hin wie ein Verhängnis. gentliche Menetekel dieser Ära nicht der Krieg gewesen ist mit seinen offenen Schre- Zwischen dem Diktator und den Deutschen cken, sondern das in ihm verborgene gab es lange eine Teilidentität der Ziele. Der Verbrechen. Einmarsch ins Rheinland, die Einverleibung Österreichs, die Besetzung des Sudenten- Als sich nach dem Selbstmord des Tyrannen landes wurde von den meisten Zeitgenossen die marode nun ergeben muss- enthusiastisch akklamiert. Solche Blumen- te, war’n die meisten Deutschen subjektiv kriege waren populär. Die Deutschen au- nicht in der Lage, sich auf einmal als „Be- ßerhalb der Grenzen „heim ins Reich“ zu freite“ zu empfinden. Das galt nur für eine holen, wie man sagte, ohne Krieg, das so- Minderheit – die Opfer und die Opponenten genannte „Unrecht von Versailles“ zu tilgen des Regimes. Die Mehrheit aber sah den 8. – viel mehr wollten viele nicht. Und noch Mai als Stichtag des Zusammenbruchs, der mehr Deutsche dachten, dass auch Hitler Niederlage. Denn sie hatten sich nicht selbst nicht mehr wollte. Aber das war ein enor- von Hitler trennen können, vielfach gar mes Missverständnis. nicht wollen, hatten es den Alliierten über- lassen müssen, die besetzten Länder und Hitlers wahre Ziele hatte er schon ein paar am Ende Deutschland von den Nazis zu be- Tage nach dem Machtantritt vor Reichs- freien. Was die Deutschen anging, fühlten wehr-Generälen offenbart: Eroberung von sich die Alliierten, wenigstens im Westen, Lebensraum im Osten. Sein Ziel war das damals subjektiv ja ohnedies nicht als Be- deutsche Europa – ein großgermanisches freier. Die im Osten war’n es nicht mal ob- Reich vom Atlantik zum Ural – von Auto- jektiv. General Dwight Eisenhower hatte es bahnen durchzogen, von Totentempeln ge- im Frühjahr ’45 noch einmal bekräftigt: Die krönt: es wäre ein Alptraum geworden. US-Armee, so sagte er, will nicht das deut- sche Volk befreien, und schon gar nicht von sich selbst – sie kommt als Siegermacht. So

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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. war es ’45. Die Geschichte aber ist imstan- auf und packten an – in allen Zonen des be- de, manchmal erst nach Jahren, subjektive setzten Landes. Meinungen, Gefühle und Empfindungen von MAINZ Zeitgenossen souverän zu überwinden und Einer, der mit vorne dran war, war der 71 GUIDO KNOPP das Gegenteil zu überliefern. Objektiv gese- Jahre alte, ausgeruhte hen, sagt uns die Geschichte heute, war es und damit renne ich beim Veranstalter des Juli 2007 eine wirkliche Befreiung. Und die weitaus heutigen Abends sicher offene Türen ein. meisten Deutschen, nämlich, demoskopisch Der Vergleich mit Bismarck drängt sich auf. www.kas.de/mainz nachgewiesen, achtzig von einhundert, Beide haben einen Staat geschaffen: Bis- www.kas.de seh’n es heute subjektiv genauso. Denn es marck schuf das Kaiserreich nach Jahrhun- passt ja auch ins eigene, ins nachgeborene derten der Zerrissenheit, Adenauer die De- Empfinden. mokratie nach Jahrzehnten der Katastrophe. Beide haben ihre Zeit so nachhaltig geprägt, Mehr als vier Jahrzehnte war die zweigeteil- dass wir von einer Ära sprechen können. te Welt Europas dennoch auch so etwas wie die späte Rache Adolf Hitlers. Beide deut- Doch hier enden schon die wenigen Ge- sche Staaten, seine Erben, mussten an der meinsamkeiten. Bismarcks Reich bekam die Nahtstelle der Blöcke atomare Geiseln ihrer ersten Risse, als der „Lotse“ von Bord ging, jeweiligen Vormacht sein. Ihr Territorium unter seinen unfähigen Nachfolgern brach war das potentielle Schlachtfeld eines nuk- es in tausend Stücke. Adenauers Republik learen Holocaust, in dem die zweigeteilten erwies sich – entgegen den fast panischen Deutschen sich vereint gefunden hätten – Befürchtungen des Kanzlers, als höchst aber erst im Massengrab. Die Teilung ist langlebig. Der alte Herr aus Röhndorf wurde von gar nicht wenigen als eine Art von Stra- bald zur ersten prägenden Figur der jungen fe der Geschichte angesehen worden für die zweiten Republik. Freiheitliche Demokratie Untaten des Nazireiches. Das ist metaphy- und Westbindung – keiner seiner Nachfolger sisch, denn die Teilung war in erster Linie stellte die von Adenauer ausgebauten Fun- nicht die Folge von verbrecherischer Politik. damente der alten Bundesrepublik in Frage. Sie war die Folge des dualen Weltsystems – Und wenn ihm seine Gegner vorhielten, die wie in Vietnam, wie in Korea. Westbindung vertiefe doch die Spaltung der Nation und komme einer Preisgabe der Damals aber fanden jene, die das schreckli- deutschen Einheit gleich – so erwiderte der che Geschehen überlebten, weder Zeit für Kanzler, Einheit in Freiheit sei nur durch den Reflexionen noch für Tränen. Nichts als wei- Anschluß der Bundesrepublik an den Westen ter überleben wollten sie. Noch Hunderttau- zu erreichen. Nur ein politische, wirtschaft- sende verhungerten in diesem Jahr – ge- lich und militärisch starkes Bündnis werde fangene Soldaten, Greise, Kranke. Konrad die Sowjetunion bewegen, eines Tages auch Adenauer sah das Volk „zugrunde gehen – den Osten Deutschlands preiszugeben. Zwar langsam, aber sicher“. Doch der alte Herr erstarrte diese Hoffnung mit den Jahren zur aus Rhöndorf hatte seine Deutschen unter- Rhetorik. Und es war schon richtig, dass der schätzt. Sie streckten Leberwurst mit Holz, rheinländische Katholik in seiner Zuneigung sie bückten sich nach Ami-Kippen, fälschten für Preußen schon zu Weimars Zeiten auf Fragebögen, tauschten Silber gegen Butter, dem Wege nach Berlin spätestens bei Mag- schlugen wegen Brennholz Wälder kahl und deburg im Zug die Vorhänge zuzog – denn schneiderten aus Fahnentüchern Blusen. Ostelbien war für einen Kölner wie Sibirien. Doch mit der Einheit 89 – 90 bekam er Stunde Null? Ganz sicher nicht, es gab ge- posthum recht. Im Rückblick haben selbst nügend Kontinuität, um den scheinbar abso- die schärfsten Widersacher eingeräumt, die luten Stillstand des Geschehens einzubetten Westbindung des Konrad Adenauer sei der in das Vorher und das Nachher. Was da aus einzig mögliche Weg der Bundesrepublik zur Ruinen auferstand, war nicht das Deutsch- Einheit gewesen – auch wenn die Teilung so land von Morgen, sondern erst mal das von für mehr als eine deutsche Generation zur Vorgestern: Die Überlebenden der ersten schmerzlichen Tatsache wurde. „Kanzler der Republik, die Veteranen Weimars, standen Alliierten“ hat Kurt Schumacher seinen

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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Gegner Adenauer in der Hitze des Gefechts Als die Westmächte den Eingeborenen von genannt. Doch Schumachers Verdikt trifft Trizonesien 14 Jahre später eine neue De- nicht den Kern, eher schon war Adenauer mokratie verordneten, sagten sie dich des- MAINZ ein „Kanzler der Westdeutschen“. Das Kräf- halb: Safety first. Und so hatte unser GUIDO KNOPP temessen der Sieger ließ keine andere Grundgesetz, auf das wir heute ja mit Recht Wahl. so stolz sind, zwar die allgemein bekannten Juli 2007 deutschen Eltern – 66 Väter und immerhin 4 Das ZDF, mein Sender, hat im Herbst des Mütter – doch es hatte Uncle Sam als Tauf- www.kas.de/mainz Jahres 2003 nach dem besten Deutschen paten, Marianne als etwas zu spät gekom- www.kas.de der Geschichte gefragt. Ich habe für Konrad mene Amme und den Union Jack als Windel. Adenauer gekämpft, weil er den geschlage- Das Grundgesetz, die Magna Charta unseres nen demoralisierten Deutschen nach dem nachkriegsdeutschen Daseins zwischen Bo- Krieg ein neues Selbstbewußtsein gegeben densee und Flensburg, hatte keinen originä- hat. Er hat die Aussöhnung mit Frankreich ren revolutionären Mythos der Entstehung. geschafft, er hat die Verständigung mit Is- Wohl auch deshalb war man froh, dass es rael eingeleitet, er hat die letzten Kriegsge- so wohlgeraten funktionierte – aber Liebe fangenen heimgeholt. Er hat die Bundesre- oder Zuneigung erhielt es nicht. Adenauer publik unwiderruflich in den Westen einge- musste einen Staat regieren, der am Anfang bunden. Das Ergebnis war für mich erfreu- jahrelang zwar keine „Republik ohne Repub- lich: Adenauer wurde mit weitem Abstand likaner“ war, wie der Versuch von Weimar, zum größten Deutschen der Geschichte ge- aber doch weithin eine „Demokratie ohne wählt. Nur in den neuen Bundesländern ein demokratisch geprägtes Volk“. gab’s ein Sondervotum: Hier lag Karl Marx, man glaubt es kaum, vor Adenauer auf Platz Doch wir dürfen nicht vergessen: Die Ver- 1. Dass es vielleicht das größte Verdienst fassungseltern hatten allesamt mitanseh’n des Gründungskanzlers war, die Demokratie müssen, wie die Republik von Weimar un- in Deutschland heimisch gemacht zu haben terging. So etwas nicht noch mal zuzulas- – auch ohne anfangs allzu viele Demokraten sen, war ihr fester Vorsatz. Und sie hatten – das wurde in den neuen Bundesländern nicht den Ehrgeiz, mit den Männern von überhaupt nicht akzeptiert. Ein interessan- Weimar zu wetteifern, wer „die freieste Ver- ter Tatbestand. fassung der Welt“ schaffen könnte. Was sie vielmehr erreichen wollten, war eine Demo- Die deutsche Demokratie kam 1949 nicht kratie, die nicht so leicht aus den Angeln zu vom Himmel hoch über uns her – sie war heben war wie die von Weimar – eine de- kein völlig unbekannter und exotischer Im- mokratische Festung sozusagen. portartikel aus dem Schatzkästlein der Alli- ierten, der den Deutschen im Westen per Wenn es sich in einer Festung etwas beeng- Edikt oktroyiert werden musste. Allen Wi- ter lebt als in einer offenen Stadt, wenn um derständen zum Trotz, war die deutsche der Stabilität des Staates willen gewisse Demokratie der Nachkriegszeit auch ein ge- demokratische Freiheiten eingeschränkt und wachsenes Stück deutscher Geschichte. dem Volkswillen institutionelle Korsettstan- Vom Hambacher Fest 1832 über die Deut- gen eingezogen werden mussten – dann sche Nationalversammlung 1848 und die waren sie bereit, das in Kauf zu nehmen. Nationalversammlung 1919 bis zum Bonner Und der Erfolg hat ihnen bisher recht gege- Grundgesetz zieht sich gewiß kein breiter ben. Stabile Regierungen, erschwerte Neu- mächtiger Strom – oft war es nur ein dün- wahlen, das war von Anfang an ein populä- nes Rinnsal. Doch das Wasser floß. Ein Bei- rer Tatbestand in Westdeutschland. spiel: bei den letzten wirklich freien Reichstagswahlen im November ’32 – die Es ist das eigentliche deutsche Nachkriegs- Märzwahlen des Jahres ’33 waren nicht wunder, dass diesem Kunstgebilde Bundes- mehr frei – stimmten immerhin noch 7 von republik in seinen Kinderjahren eine doppel- 10 Deutschen gegen Hitler – leider, letzten te Integration gelang: Zum einen die Ein- Endes, ohne nachhaltige Wirkung. gliederung von 13 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen in einem ausgebombten

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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. ruinierten Land – eine auch im Nachhinein te, bis zum Übermaß besaß. Unentschlos- grandiose Leistung angesichts des Spreng- sen, wankelmütig, führungsschwach – seit stoffs, der sich hinter der Gefahr sozialer Ludwig Erhard wissen wir, dass nicht nur MAINZ Konflikte verbarg. Und ebenso die Integrati- Politik schädlich für den Charakter, sondern GUIDO KNOPP on der traumatisierten Kriegsgeneration. auch Charakter manchmal schädlich für die Möglich wurde dies vor allem durch den sa- Politik ist. (Anwesende Politiker sind selbst- Juli 2007 genhaften wirtschaftlichen Aufschwung, verständlich ausgenommen.) dem das Wort vom „Wirtschaftswunder“ an- www.kas.de/mainz haftet – doch war der alles andere als ein All das jedoch hat Erhards Ruf als Ökonom, www.kas.de Wunder – seine Fundamente ruhten auf als Wirtschaftsguru, nicht geschadet. Dass dem wirksamen Rezept von harter Arbeit die alte Bundesrepublik im Jahre 89/90 für und Verzicht auf Zeit. Und harte Arbeit nach Millionen Menschen in der DDR so attraktiv der großen Katastrophe war die beste The- war – dafür hatte Erhards Politik die Grund- rapie für das besiegte und besetzte und ge- lage gelegt. Bis heute beanspruchen Politi- teilte Volk. Millionen Menschen waren froh, ker ganz unterschiedlicher Parteien im In- aus dem Dreck, der da war, rauszukommen, und Ausland sein Erbe für sich. Und immer wollten von den schlimmen Jahren vorher wieder hören wir die Frage: „Was würde nichts mehr sehen, nichts mehr hören, Ludwig Erhard heute tun?“ Welcher andere nichts mehr wissen – wie die drei berühm- Politiker kann von sich behaupten, dass sei- ten Affen. Flucht in das Private – viele Bür- ne Ideen noch Jahrzehnte später ähnlich ger steckten ihre Energie ins eigene Vor- zeitlos sind? wärtskommen, in den Aufbau der Familien. Überall im Lande feierte man Produktions- Die Menschen in der DDR, die Sächsinnen rekorde: das zehnte vom Stapel gelassene und Sachsen auf den Straßen, haben 89/90 Frachtschiff, die hundertste Lokomotive, möglich gemacht, was den Hambachern von den einmillionsten Käfer. Unverfängliche 1832 und den Patrioten 1848/49 nicht be- Symbole eines neuen Selbstwertgefühls. Mit schieden war: Sie haben die erste gelunge- der wirtschaft wuchs der Wohlstand; mit ne Revolution der deutschen Geschichte dem Wohlstand auch die Liebe zum System, vollbracht. Und sie haben damit glänzend das ihn gebar. Ohne den durch Fleiß erwor- Lenin widerlegt, der mal behauptet hat: benen Wohlstand wäre diese Republik nicht „Wenn die Deutschen auf dem Bahnhof eine so stabil gewesen und geblieben. Revolution machen wollen, kaufen sie sich vorher eine Bahnsteigkarte.“ Dieser Aufschwung hatte einen Namen: Ludwig Erhard. Der beleibte Franke mit der Auf dem Weg zur deutschen Einheit wurde qualmenden Zigarre, dem Symbol für alle 89/90 alles richtig gemacht – auf dem Weg Schlote, die da wieder rauchten, war der zur inneren Einheit, wie wir wissen, leider lebende Beweis dafür, dass richtige Ent- nicht. Ein schmerzliches Versäumnis unter scheidungen an Wendepunkten der Ge- manchen anderen ist für mich, dass wir im schichte doppelt wirksam sind. Mutig hatte Jahre 1990 nach der äußeren Einheit keine Erhard 1948 eigenmächtig dezidiert, die neue Verfassung geschaffen haben. Die hät- Währungsreform zu verbinden: das Konzept te ja zu 99,9 Prozent das Grundgesetz sein der freien und sozialen Marktwirtschaft war können. Denn das hat sich ja bewährt. Aber alles andere als unumstritten. Aber der Er- sie hätte doch ein paar Elemente der direk- folgt gab Erhard recht – und seinem Leit- ten Demokratie miteinbeziehen können – spruch, der zum Lebensmotto einer ganzen getreu dem Ruf der Bürgerrechtsbewegung: Generation geriet: „Wohlstand für alle!“ „Wir sind das Volk!“ Eingeführt im Jahre 1990, hätte das die Menschen in den neuen Als Wirtschaftsminister war Erhard ein As; Ländern mehr an diesen neuen Staat ge- als Kanzler ein Versager. Der „gute Mensch bunden. Sie hätten sich ernst genommen vom Tegernsee“ war weder Ränkeschmied gefühlt – und nicht nur beigetreten oder noch Machtpolitiker. Ihm fehlte jenes angeschlossen. Quentchen Macchiavelli, welches sein Intim- feind Adenauer, der ihn zu verhindern such-

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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. 17 Jahre nach der deutschen Einheit spüren Deutscher und der Komponist der 9. Sym- wir alle eine Zeitenwende, die das „weiter phonie im Grunde Wiener sei. so“ längst obsolet gemacht hat. Und wir ah- MAINZ nen: Nicht nur neue Männer oder neue Wir jedoch, so faustisch wie wir sind, dem GUIDO KNOPP Frauen braucht das Land – ein neues Den- wahren Guten ebenso verpflichtet wie dem ken brauchen wir. Der Blick in die Geschich- Gegenteil, wir haben uns lange schwer ge- Juli 2007 te – unsere Geschichte – schadet dabei tan. Die alte Bundesrepublik war lange Zeit nicht nur nicht – er hilft sogar. An dieser ganz stolz darauf, nicht stolz auf sich zu www.kas.de/mainz Stelle, in Hambach, sagte Johann Georg sein – ein postnationales, ganz und gar ver- www.kas.de August Wirth 1832: „Wenn die reinsten, fä- nunftgesteuertes Gebilde. Politik ist wesent- higsten und mutigsten Patrioten über die lich daran gemessen worden, was sie ihren zweckmäßigste Reform unseres Landes sich Bürgern finanziell zu bieten hatte. verständigt haben..., wenn sie in ihrer Sendung nie müde werden, nie erzittern, Selbst das Geschenk der deutschen Einheit nie erbleichen, wenn sie alle Verfolgungen wurde, zumindest im Westen, weithin nicht von Seite der Vaterlandsverräter mit Freu- als emotionales Ereignis, als Wiedergeburt digkeit ertragen, wenn sie der Gewalt kein einer Nation, empfunden, sondern vielfach haarbreit weichen und lieber 1000 mal sich unter dem Aspekt betrachtet, was es kostet. zermalmen lassen, als von ihrem heiligen Nach einem kurzen Aufflackern von patrioti- Kampfe abzustehen...; ja fürwahr, dann schen Gefühlen wickelten nicht wenige Ver- wird, dann muss das große Werk gelingen. antwortliche den Prozess der inneren Verei- ... Deutschland wird die Freiheit und den nigung so nüchtern ab wie die Filial- Frieden sehen, es wird zur herrlichsten Eröffnung einer Buxtehuder Sparkasse. Macht und Größe emporblühen.“ Dieser Traum ist zeitlos. Eine solche ganz bewusste Armut an Gefüh- len ist erklärlich – sie ist Reaktion auf Miss- Was wir heute etwa dringend bräuchten, ist brauch von Gefühlen kollektiver Art. Doch die praktische Vernunft, die Klugheit eines ist sie auch bedauerlich – und obendrein Ludwig Erhard. Unser Land ist in den letzten gefährlich. Denn Gefühle sind für Menschen drei Jahrzehnten immer stärker reguliert unerlässlich, wer sie unterdrückt, wird worden. Das hemmt uns – nach wie vor. krank. Wer sich als Einzelner nicht selbst Das Wort Reform ist viel zu schwach. Was bejahen kann, der ist für seine Mitwelt kein wir trotz allen wirtschaftlichen Zwischen- Vergnügen, sondern eine Last. Ähnliches gilt Aufschwungs wirklich brauchen, ist Erneue- durchaus auch für Völker. Das schwarzrot- rung und Aufbruch, eine neue Gründerkul- goldene Sommer-Märchen hat uns sicher tur! Noch haben wir die Kraft, das auch zu einen großen Schritt nach vorn gebracht. schaffen. Doch je länger wir warten, desto Was uns innerlich zusammenhält, das kön- schwieriger wird es. Aber dazu braucht es nen wir in Zukunft zuversichtlicher als bis- nicht zuletzt auch eine Nation von willens- lang klären. Auch ein Stückweit die Versöh- starken, selbstbewussten Menschen, die es nung mit der eigenen Geschichte – der gan- gibt. Nur darf man sie nicht schrecken, son- zen Geschichte, die mehr ist als zwölf Jahre dern muss sie fördern. Diktatur.

Selbstbewusst und stolz sind um uns viele. Das heißt auch: Stolz auf Tage, die von Mut Die Briten auf ihre demokratische Tradition, berichten, gegen Diktaturen aufzustehen. Franzosen auf die Revolution von 1789 und Der 20. Juli 1944 ist ein solcher Tag. Getra- ganz generell natürlich auf „la France“; Ita- gen wurde er von wenigen: Es waren tragi- liener auf das ewige Italia; Schweizer auf sche verkannte Helden ohne Anhang, ange- die Eigenständigkeit der Eidgenossenschaft trieben nur von ihrem eigenen Pflichtgefühl. und selbst unsere österreichischen Freunde haben es, ich sage das mit aller Sympathie, Die einsamen Verschwörer wollten nicht nur ja fast geschafft, der Welt zu offenbaren, ihre Ehre retten, sondern auch die Ehre ei- dass der Herr aus Braunau eigentlich ein nes Volks von Mitläufern. Die meisten hat- ten dem Regime am Anfang voll Begeiste-

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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. rung gedient, und manche waren in die Un- schichte einer mittlerweile 58 Jahre alten taten verstrickt gewesen. Doch nun wollten Bundesrepublik. Genügend Grund für sie der Welt beweisen, dass nicht alle hinter Selbstbewusstsein. Eine unverkrampfte und MAINZ solchem Wahnsinn standen. 41 Attentats- vor allem weltoffene Neigung, die die ande- GUIDO KNOPP versuche oder –pläne hatte es bereits gege- ren nicht herabsetzt. Das ist Hambacher ben seit dem Jahre 33 – alle waren sie ge- Gesinnung! Juli 2007 scheitert – zum Verzweifeln war das, und nun komme es nicht mehr darauf an, ob Eine solche tolerante Form freut sich an www.kas.de/mainz man erfolgreich sei, erklärte Henning von Thomas Mann und Beethoven genauso wie www.kas.de Tresckow, der Kopf der Verschwörung, son- an einem frisch gezapften Weizenbier, an dern nur noch darauf, dass der deutsche mittelalterlichen Marktplätzen, Siegen unse- Widerstand den Schritt zur Tat gewagt hat, rer Fußballnationalmannschaft – die gibt es um vor der Geschichte zu bestehen. Es ist jetzt ja wieder – oder an der ostdeutschen versucht worden. Zumindest das. Freiheitsrevolution mit Kerzen. Ich halte es da gern mit einem Iren: George Bernard Ein zweites solches Datum ist der 17. Juni Shaw hat mal gesagt: „Eine gesunde Nation 1953. Das DDR-Regime hat diesen Tag stets ist sich ihrer Nationalität so wenig bewusst richtig eingeschätzt. Zwar wurde er jahr- wie ein gesunder Mann seiner Knochen. zehntelang als ein vom Westen ferngelenk- Aber sie sind da.“ ter Putschversuch geschmäht. Doch weder die Belogenen noch die Lügner selber glaub- Wir, die Bürger des geeinten Deutschland, ten davon auch nur einen Deut. haben ja nach einem blutigen Jahrhundert allen Grund zur Dankbarkeit und Freude. Es war ein Volksaufstand im Jahre 53, und Und wir müssten eigentlich auf den Straßen es war der erste in der Nachkriegszeit, noch jauchzen und frohlocken: Einheit, Freiheit, vor dem Ungarnaufstand. Aus der Arbeiter- Frieden – diese lange unerfüllten Hoffnun- revolte gegen überhöhte, wahnwitzige Nor- gen und Ziele unserer Geschichte sind zum men wurde binnen weniger Stunden eine erstenmal erreicht. Zum erstenmal zur glei- Revolution: Die Aufständischen forderten chen Zeit. An unseren Grenzen stehen keine den Rücktritt der Regierung! Freie Wahlen! Gegner, keine Feinde, sondern Nachbarn, Wenn es sie gegeben hätte, wäre es wohl Partner, Freunde. Zum erstenmal in unserer gleichbedeutend mit der Wiedervereinigung Geschichte sind wir jetzt umzingelt von Ver- gewesen. Viele Demonstranten spürten das. bündeten. Sowohl am Brandenburger Tor wie in den Städten der Provinz sangen sie das Noch vor 20 Jahren waren für die Deutschen Deutschlandlied. Es war ein Aufstand, der nicht nur Polen oder Ungarn oder Tschechen die ganze DDR erfasste, insbesondere den potentielle Kriegsgegner, sondern für die Süden. Ganz gewiss ein Aufstand ohne Füh- Hessen auch die Thüringer, für die Bayern rung, ohne Strategie und ohne einheitliche auch die Brandenburger. Noch vor 20 Jah- Stimme. Aber eine beispiellose, kollektive ren waren wir das potentielle Schlachtfeld Volkserhebung, die nur scheitern mußte, eines atomaren Krieges, der uns Gott sei weil die Sowjetpanzer rollten. 1989 rollten dank erspart geblieben ist – ein Glück und sie dann nicht mehr. Und deshalb gelang eine Gnade der Geschichte. den Kindern, was den Eltern damals nicht gelang. An einem Wendepunkt der Weltgeschichte, 89/90, haben unsere Nachbarn in Europa Die Erinnerung an Menschen, die ihr Leben das latente, alte Misstrauen dem Volk der einzusetzen wagten, gegen eine Staats- Mitte gegenüber überwunden. Im Prozess macht, die die Freiheit unterdrückt. Trotz zur deutschen Einheit wurde letzten Endes aller Jahrestage bleibt sie nach wie vor zu eines klar: Europa funktioniert nicht ohne blass. Was sie verdienen, ist vor allem, dass das geeinte Deutschland. Und genauso we- wir auf sie stolz sein können. Und daneben nig ist auch Deutschland ohne das Bekennt- gibt es immerhin ja auch noch Grund zur nis zu Europa überlebensfähig. Wenn Ge- Freude über die, trotz alledem, Erfolgsge- schichte einen Sinn hat – und ich glaube

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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. fest daran, dass sie es hat – dann hat sie uns am Ende eines blutigen Jahrhunderts eine zweite Chance gegeben. MAINZ GUIDO KNOPP Europa hat jetzt Möglichkeiten wie noch nie, trotz aller Mühen. Wir, die Europäer, sind Juli 2007 am Ende alle aufeinander angewiesen, ob wir wollen oder nicht. Wir sitzen allesamt in www.kas.de/mainz einem Boot. Wie gut die Kommunikation an www.kas.de Bord ist, das entscheidet über unsere Zu- kunft in der Welt. Das ist die Botschaft von Hambach. Und sie gilt für ganz Europa, gilt für Deutschland, gilt für das politische Berlin und ohne Zweifel auch für Hambach selbst. In diesem Sinne werden Sie mir sicherlich verzeihen, wenn ich mit den Worten schlie- ße: Ich bin ein Hambacher. Ich danke Ihnen sehr.