BEAT FURRER Phaos (2006) Für Orchester 15'
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NEUE MUSIK MUSIK DER ZEIT [3] ALLE GEGEN EINE WDR SINFONIEORCHESTER MICHAEL WENDEBERG SAMSTAG, 11. JANUAR, 20 UHR FUNKHAUS WALLRAFPLATZ, KÖLN MUSIK DER ZEIT [3] ALLE GEGEN EINE SA. 11. JANUAR 2020 19:00 EINFÜHRUNG MIT MARTÓN ILLÉS 20:00 KONZERT FUNKHAUS WALLRAFPLATZ, KÖLN PATRICIA KOPATCHINSKAJA / Violine WDR SINFONIEORCHESTER MICHAEL WENDEBERG / Leitung KORNELIA BITTMANN / Moderation SENDUNG WDR 3 live in stereo und 5.1. surround, ZUM NACHHÖREN IM Video-Livestream WDR 3 KONZERTPLAYER PROGRAMM 3 BEAT FURRER Phaos (2006) für Orchester 15' MÁRTON ILLÉS Vont-tér für Violine und Orchester (2019) Kompositionsauftrag des WDR und des Münchener Kammerorchesters Uraufführung 20' Pause BRUNO MADERNA Stele per Diotima (1966) für Kammerorchester 20' 4 MUSIK DER ZEIT [3] Einer gegen alle. Ein Vogel und ein Vogelschwarm. ALLE GEGEN EINE 5 INDIVIDUUM TRIFFT MASSE Konfrontation oder Konsens? Weiterdenken oder Mitdenken? Aufrütteln oder Einlenken? Sobald sich die Frage nach dem Ver- hältnis des Einzelnen zur Gesellschaft stellt, wird es spannend, dramatisch, vielleicht auch versöhnlich. Manchmal entsteht auch etwas völlig Neues – zum Beispiel, wenn in Beat Furrers »Phaos« Solomotive zu üppigen Klangkomplexen werden, die quirlig und vielfältig, unterbrochen von Pausen, sich in wellenartiges Pulsieren verwandeln, das sich in Wiederholun- gen zu einer gleißenden Woge steigert. Phaos kommt aus dem Griechischen und steht für Licht – in Beat Furrers Lesart wird daraus eine Klangstudie über phosphoreszierende Lichtpartikel und eine Metapher für drohende Katastrophen. Márton Illés lädt die Ausnahmegeigerin Patricia Kopatchinskaja in »Vont-tér« zu einem komplexen Dialog mit dem WDR Sinfonie- orchester und einer gemeinsamen Suche nach neuen instrumen- talen Klängen, Spieltechniken und Ausdrucksmöglichkeiten ein. Im Wechselspiel mit dem Orchester agiert die Sologeige im offe- nen Klangraum, entfernt sich von spieltechnischen Konventionen und findet eigene Spielmöglichkeiten in Márton Illés’ originärer Musiksprache. Mit »Stele per Diotima«, einem Ableger aus der Hölderlin-Oper »Hype rion«, stellt Bruno Maderna die Frage nach dem Verhältnis vom Individuum zur Masse immer wieder neu. Dabei wachsen die Solopartien aus dem Tutti heraus und versinken wieder im Or- chesterklang, quasi als Metapher für den Künstler, der versucht, das Kollektiv von seinen Ideen und Idealen zu überzeugen, dabei zwar scheitert, aber doch Veränderung bewirkt. Susanne Rump Einer gegen alle. Ein Vogel und ein Vogelschwarm. 6 MUSIK DER ZEIT [3] BEAT FURRER PHAOS (2006) FÜR ORCHESTER Die mythische Figur der Fama sammelt und reflektiert alle Klänge, die aus der Welt zu ihr hinübertönen. Diesen Ort, den Ovid in seinen Metamorphosen »mit einer überwältigenden Sinnlichkeit« beschreibt, wählte Beat Furrer zum Sinnbild in seinem Musik- theaterprojekt »Fama«, das 2005 in Donaueschingen in einem eigens dafür konstruierten Hörraum uraufgeführt wurde. Das Bild von dem Gemurmel und fernen Hallen der Welt wird zum Ausgangspunkt des kompositorischen Materials von »Fama«, denn Beat Furrer lässt das Entstehen, Tönen und Widerhallen der Klänge zum Thema seiner Komposition werden. ALLE GEGEN EINE 7 In »Phaos«, das für das Staatsorchester Stuttgart entstanden ist, gestaltet Beat Furrer eine Art Vorgeschichte jener Klänge, mit denen »Fama« beginnt. Er komponiert gleichsam auf diese Klang- lichkeit zu – sie ist von einem metallisch leuchtenden Glanz und wird durch hell klingende Glocken (Crotales) dominiert. Und sie besteht aus komplex übereinander gelegten Bewegungsmustern. Der Titel der Komposition spielt auf das wellenartige Reflektieren des Lichtes an, sei es in fließenden Bewegungen, sei es in grellen Schnitten: »Phaos« ist das griechische Wort für Helligkeit, das Licht. Wesentliches Element der Komposition sind Schwebungen, die man als das akustische Pendant zum Moiré-Effekt erklären kann, also jener reliefartigen Struktur, die entsteht, wenn man mehrere optische Muster übereinanderlegt. Als akustisches Phä- nomen entstehen diese Interferenzen oder Summationen, wenn sich die Obertöne von eng benachbarten Klängen überlagern und dann ein eigenes akustisches Muster bilden. Unschwer lässt sich eine Verbindung zu der Vorstellung der vielfältigen Reflexionen und dem Widerhallen der Weltenklänge ziehen. Vielfältige assoziative Bezüge vereint das Werk Beat Furrers. Wie Daniel Ender beobachtet, ist »eine Art von auskomponiertem Hören« eine wesentliche Konstante in Furrers Werk, »seit dem ganz frühen »Irgendwo.Fern« bis zu der letzten Oper »invoca- tion«: Immer wieder scheinen die Ereignisse von weit her zum Hörer zu dringen«. Marie Luise Maintz Foto: Abstrakte Licht-Formationen 8 MUSIK DER ZEIT [3] BEAT FURRER IM GESPRÄCH MIT MARIE LUISE MAINTZ Maintz: Was ist die Idee hinter Deiner neuen Orchesterkompo- sition? Furrer: In letzter Zeit hat mich zunehmend das Verhältnis von Tutti und Solo interessiert. Die Idee der Komposition »Phaos« ist, das Tutti aus solistischen Momenten entstehen zu lassen. Alles entsteht aus Schwebungen, die durch das Spannungsverhältnis zwischen den temperierten und den natürlichen Obertönen er- zeugt werden. Diese natürlichen Obertöne kommen meist aus den Flageolettklängen der Soloinstrumente Violine, Kontrabass und Klavier, die sich an den temperierten Klängen reiben und zu Beginn ganz im Vordergrund stehen. Aus diesen Schwebungen entsteht die Musik – ein wellenartiges Pulsieren, neue rhyth- mische Muster und Tempoverhältnisse. Der harmonische Hinter- grund bewegt sich ständig, ganz langsam auf einen Klang am Ende zu – diese harmonische Struktur wird zweimal durchlaufen. Ein Tuttiklang wird erst am Schluss des Stückes erreicht. Es werden quasi all diese Bewegungen im Inneren eines Klanges verstärkt. Maintz: Du hast »Phaos« als ein Zurückgehen vor den Beginn von »Fama« bezeichnet. Dieser springt gleich in eine große Inten- sität, die den Hörer fast überrumpelt. Wie ist dieser Anfang vor dem Anfang zu beschreiben? Furrer: Der Anfang von »Fama« ist ein sehr komplexer, schillern- der Metallklang mit lauten Crotales; viele Bewegungen und Pulsa- tionen sind übereinander gelagert. Und so habe ich einen Weg dorthin gesucht, den ganzen harmonischen Ablauf schon einmal abzuschreiten. Vor dem Hintergrund kontinuierlich sich verän- dernder, pulsierender Klänge treten solistische Klanglichkeiten hervor. ALLE GEGEN EINE 9 Maintz: Das Stück endet schließlich mit einem großen Abgleiten, einem riesigen Glissando. Furrer: Dieses Glissando ist ja schon zu Beginn als chromatische Linie abwärts in der Bassflöte vorhanden und dominiert dann am Ende des Stücks, dort gibt es dann noch einmal diese Polarisie- rung zwischen Soloinstrumenten und Tutti. Was mich im Moment am Orchesterklang interessiert, ist die räumliche Disposition und Klangtransformation, denn der Tutti- klang entsteht, wenn winzige Intonationsverschiebungen Schwe- bungen erzeugen. Diese werden in der Komposition thematisiert: das Spannungsfeld zwischen regelmäßigen Bewegungen, Pulsa- tionen und »sprechenden« Modellen – in dem Vorgang, dass die regelmäßigen Pulsationen in komplexere rhythmische Strukturen zerstäuben. Das entspricht dem Spannungsfeld zwischen Metrum und Rhythmus. »Sprechend« meint hier das andere Extrem von jener regelmäßigen Pulsation, die aus den Interferenzen entwickelt ist. Wie das Sprechen, die gesprochene Sprache rhythmisch kom- plex ist, hat auch das instrumentale Sprechen eine komplexe rhythmische Struktur und dynamische Abstufungen. »Sprechend« ist öfter als gestische Anweisung in der Partitur zu finden und dynamisches Hervortreten, artikulierendes Verdeutlichen. Das Pulsierende kann man mit dem naturhaften Automatismus in Verbindung bringen, (wie den Herzschlag, Naturtönen), das noch nicht mit Ausdruck beladen ist. Was mich interessiert, ist dieses Spannungsfeld des Mechanischen und dem Moment, wo etwas zu sprechen beginnt, diese kleinen Verschiebungen. 10 MUSIK DER ZEIT [3] MÁRTON ILLÉS VONT-TÉR (GESTRICHENER, GEZOGENER RAUM) (2019) FÜR VIOLINE UND ORCHESTER Seite aus der Partitur zu »Von-tér« ALLE GEGEN EINE 11 In der letzten Zeit schrieb ich eine Reihe von Stücken, in denen Streichinstrumente solistisch, kammermusikalisch oder im Or- chester eingesetzt werden. Dazu habe ich eine ganze Palette von neuerem Streichermaterial entwickelt und erprobt. Seit Jahren bin ich dabei, experimentierend, die Instrumente wochen- und monatelang selber in der Hand »knetend«, geläufige zeitgenös- sische Streichertechniken an meine Musiksprache zu adaptieren. Diese Techniken müssen so geformt und eingegrenzt werden, dass sie über die Floskelhaftigkeit als bloße Glissando-, Flageo- lett-, Saltando-, Arpeggio- und Stegholzeffekte hinaus gehen. Dadurch entstehen Gestalten von klarer Physiognomie und Aus- druckspräzision, die die Inhalte meiner »privaten«, störrisch- charakteristischen, körperhaft-gestischen Klangwelt noch un- missverständlicher mitteilen können. Aber was ist Präzision im Ausdruck auf einem Streichinstrument? Gerade für diese klanglich so flexible Instrumentenfamilie wurde in der Musikgeschichte immer wieder versucht, an der Schreib- weise und Spieltechnik bis zur absoluten »Sauberkeit« zu feilen, um das »Geschmiere« zwischen den »Gitterstäben« der horizon- talen Tonhöhen- und der vertikalen metrischen Struktur zu ver- meiden. In meinen Werken beobachte ich Reflexe und Gesten, Schmerzen und andere feine innere Regungen im Menschen, Texturen, Wuche- rungen und unterschiedliche Prozesse in der organischen Natur. Diese Vorgänge verlaufen in stufenlosen Übergängen. Sie bedür- fen, soweit durch Klang reproduziert, eines