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BEAT FURRER (*1954) 1 Aria 13:54 for soprano and ensemble (1998-99) 2 Solo 22:46 for violoncello (2000) 3 Gaspra 15:45 for ensemble (1988) TT: 52:52 Petra Hoffmann, soprano Lucas Fels, violoncello ensemble recherche Coverfoto: © Philippe Gontier 2 ensemble recherche Martin Fahlenbock flute 3 Shizuyo Oka clarinet 1 , 3 Melise Melliger violin 1 , 3 Barbara Maurer viola 1 , 3 Lucas Fels violoncello 1 , 3 Christian Dierstein percussion 1 , 3 Klaus Steffes-Holländer piano 1 , 3 3 4 Björn Gottstein dich, nach den Wohnungen der Menschen, nach „Stimme – Zentrum des Klanges ...“ der tröstlichen Sprache des Windes im Geäst, ebenso wie es mich gelüstet. Höre nicht auf dein Das Ohr auf den Schreibtisch legen. Mit einem Herz und verstopfe mit Wachs deine Ohren, – denn Bleistift eine kreisende Bewegung auf der Holzplatte nie wirst du das erreichen, was du ersehnst. Nicht nachzeichnen. Den Veränderungen des kreiselnden hier und nirgendwo. Aber geh weiter, kehre nie Rauschklangs nachhorchen. Oder: Einen Ton zurück! Deine Einsamkeit verdoppelt die meine.“ auf der Geige spielen. Den Bogen langsam (nach Günter Eich Geh nicht nach El Kuhwehd) zum Steg führen. Den Ton zum Geräuschklang Die Protagonistin trennt und löst sich in diesem modulieren. Die Bewegungsmodelle, mit denen kurzen Text – Furrer nennt ihn „einen Ab- Beat Furrer arbeitet, sind einfach und vertraut. Es schiedsbrief“ – von ihrem Geliebten. Sie vollzieht sind musikalische Gesten, die einer alltäglichen den Prozess von unmittelbarer Nähe bis zur Handbewegung gleichen. Für sich genommen vollständigen Isolation. Diese Entwicklung wird erzählen diese Gesten nichts. Wo sie aber, in Aria zunächst und vor allem in der Vokalpartie wie in Aria, in einen szenisch-dramatischen greifbar. „Das Zentrum des Klanges bildet die Zusammenhang gesetzt werden, entfalten sie ihr Stimme“, erklärt Furrer, „die in alle möglichen narratives Potential. Qualitäten aufgefächert wird. Am Anfang stehen Furrers Aria liegt die Szene Bei geöffnetem Fenster gesprochene ganze Silben und Worte; da versteht aus Günter Eichs Hörspiel Geh nicht nach El man Bruchstücke dieses Textes. Es wird dann ein Kuhwehd zugrunde: eine verlassene Frau, die Weg hin zum gesungenen Klang beschrieben. Zum ihrem Geliebten einen Text nachruft: „Hörst du? Schluss sind es nur noch lange, gesungene Töne. Sieh, ich kann zu dir sprechen, als wärst du hier, Diese Bewegung zum Singen hin war ein Thema – und liegt doch die Nacht zwischen uns wie ein des Stücks.“ schwarzes Gebirge, und jeder Augenblick ist eine Im Verlauf des Stückes treten vor allem die neue Felswand von Trennung, unübersteigbar, Passagen hervor, in denen die Sopranistin hell endgültiger mit jeder Stunde! Und dennoch bist und befreit aufsingt. In diesen Momenten löst du hier, immer näher bei mir, und nie konnte ich so sich die Protagonistin aus dem rhythmisch eng zu dir sprechen wie jetzt. Du kamst aus der einen geschnürten Korsett des Ensembles, zu dem sie Einsamkeit und gehst in die andere, – jeder Kuss in den gesprochenen Partien mit konsonantischen macht dich fremder, jede Umarmung ärmer. – Ich Zischlauten und Plosiven beiträgt. Der Gesang grüße dich, wie eine Klippe ihren Adler grüßt, der markiert in Aria den Moment, in dem Trennung, davonfliegt, seine Schwingen werden unsichtbar in Befreiung und Abschied vollzogen sind und die Frau der eisigen Ferne; wo seine Kralle ruhte, löst sich in ihrer Einsamkeit ruht. „Da bricht etwas anderes ein Stein und fällt in die Tiefe, das ist alles, und auf“, bestätigt Furrer die emotionale Qualität des die Wälder bemerkten es nicht. Dorthin gelüstet es Gesangs und hält gleichzeitig dagegen, dass 5 sich „die gesungenen Klänge nur allmählich als dringt an das lauschende Ohr. Fama wohnt dort Crescendo aus dem Instrumentalklang erheben. und hat sich an der höchsten Stelle ein Haus Es ist die Geste des Rufens, die aber mit anderen gebaut, ihm zahllose Eingänge und tausend Gesten überlagert ist, mit Momenten eines extrem Öffnungen verliehen und die Schwellen nicht mit gedehnten Lachens zum Beispiel.“ Türen verschlossen. Tag und Nacht steht es offen. Die Überlagerung verschiedener Gesten wirkt dem Es ist ganz aus tönendem Erz. Überall hallt es, erzählerischen Hang zu schnurgerader Linearität wirft die Klänge zurück und wiederholt, was es entgegen. Furrer stellt der literarischen Erzählform hört. Drinnen herrscht keine Ruhe, nirgends Stille, eine eigene, spezifisch musikalische Erzählform doch auch kein Lärm, nur dieses Murmeln wie gegenüber. Geschichte wird nicht Ereignis für von Meereswellen, wenn man sie von ferne hört, Ereignis abgerufen, sondern so angelegt, „dass oder wie das letzte Grollen von Jupiters Donner in eigentlich alles immer latent anwesend ist und an schwarzen Wolken. In der Halle sind viele Leute; sie manchen Stellen, so wie wenn man ein Fenster kommen, sie gehen, ein leichtes Völkchen; wahre öffnet, in Erscheinung tritt.“ und erlogene Gerüchte wirbeln zu Tausenden Die gleichzeitige Anwesenheit dieser unter- durcheinander, und es herrscht ein Gewirr von schiedlichen Gesten wird in der rhythmischen Stimmen. Die einen füllen unbeschäftigte Ohren Vielschichtigkeit evident. Sprache wird hier mit Gerede, die anderen tragen das Erzählte – als „rhythmisch komplexe, heterogene Mixtur weiter, und das Maß des Erfundenen wächst; von Klängen“ – der starren Repetitivität gegen- jeder neue Berichterstatter fügt zu dem Gehörten übergestellt. Das Morsen auf der gedämpften etwas hinzu. Dort wohnt die Leichtgläubigkeit, oberen Taste des Klaviers, die regelmäßigen dort der leichtfertige Irrtum, die eitle Freude und Pizzicati der Geige – das sind Träger der die fassungslosen Ängste, der jähe Aufruhr und rhythmisch einfachen, pulsierenden Schicht. In das Geflüster, dessen Vater niemand kennt. Fama dieses Morsen hinein werden „allmählich andere selbst sieht, was am Himmel, auf dem Meer und Klänge integriert, interpoliert“. Aus etwas Starrem auf Erden geschieht, und blickt forschend in die wird nach und nach etwas Bewegtes. weite Welt.“ (Ovid: Metamorphosen. In deutsche Die Überlagerung verschiedener Erzählfiguren Prosa übertragen von Michael von Albrecht. hat für Furrer ein ganz konkretes Vorbild, Ovids München 1981, S. 274) Beschreibung des Hauses der Fama in den Man kann diesen Klang im Hause der Fama Metamorphosen: synthetisch hören. Als akustisches Massiv. Mit „Es gibt einen Ort in der Mitte des Erdkreises, der Vorstellung, „dass alle diese Schicksale, die zwischen Erde, Meer und Himmelszonen, die komprimiert in diesem Gebäude aufgefangen Grenzscheide der dreigeteilten Welt. Von dort kann werden, einen Gesamtklang ergeben, den wir man alles, was irgendwo geschieht, sehen, sei als Naturklang erkennen“. Man kann den Klang es auch noch so weit entfernt, und jede Stimme im Hause der Fama aber auch analytisch hören. 6 Als überwältigendes Durcheinander zahlloser Ensemble, welches die ursprüngliche Bewegung Einzelstimmen. Dann werden Geschichten so er- weiter führt. Furrer hat die Figur der Protagonistin zählt, „dass man das gleichzeitig Anwesende nur „von Anfang an mehrstimmig“ gestaltet und – „bei immer wieder kurz beleuchtet und ausblendet, in einer sehr engen Verschränkung der Klänge“ den Vordergrund holt und wieder zurückdrängt. – einige ihrer Stimmen ins Instrumentalensemble Es ist vor diesem nervösen, flüsternden, flirrenden verlegt. Erst am Schluss trennt sich gesungener Klang auch immer etwas im Hintergrund, das ruhig Klang endgültig vom Geräuschklang. pulsiert.“ Furrer arbeitet mit einfachen, elementaren Arias Klanggewebe gleicht einem dichten Wald. Bewegungsmodellen. Mit geräuschhaften Attacken Von ferne, als Hintergrund, erscheint der Wald zum Beispiel, mit stimmlosen Plosiven und undurchdringbar, massiv und unbeweglich. Tritt aufreibenden Spiranten, bei der die Sopranistin man näher heran, nimmt man, als Vordergrund, wie zugeschnürt wirkt und ins Stocken gerät. einzelne Stämme wahr; läuft man umher, verändert Oder mit einer kontinuierlichen Veränderung des sich der Blickwinkel, treten einzelne Bäume Obertonspektrums, dem verlorenen Streichen hervor, andere zurück. Dieser Wald wird in Aria einer Holzplatte oder einer Violine, „die ein-und einundzwanzig Mal durchlaufen. „Eine Matrix dieselbe Tonfolge aber immer mehr zum Steg aus Linienkonstellationen“ nennt Furrer diesen hin spielt“. Das sind musikalische Gesten, die Wald, eine Matrix, „aus der jedes Mal andere – für sich genommen – nichts bedeuten, die Ereignisse herausgefiltert werden“. Der tönende aber im szenisch-dramatischen Zusammenhang Wald, das musikalische Liniengeflecht, die Matrix, von Aria eine Geschichte erzählen: eine Frau ist „etwas Starres, etwas Totes im Hintergrund, das durchlebt einen Abschied oder, wenn man so allmählich durch Perspektivenwechsel zum Leben will, eine Befreiung. Aber Aria ist eben auch eine erweckt wird.“ Arie, ein Augenblick der Kontemplation, „in dem Aria ist ständig in Bewegung. Die offensichtlichste das Geschehen still steht und reflektiert wird, Entwicklung ist „die Bewegung von der komplexen in der eine Person viele innere Stimmen – fast Natur des Gesprochenen zum Gesungenen hin. Die schizophren – in sich vereinigt“. Komplexität wird Schicht um Schicht, Durchgang für Durchgang abgetragen“. Zum Schluss des Wäre Aria tatsächlich eine Arie, wäre das Stückes entfernt sich die Sopranistin vom Cellostück Solo das dazugehörige Rezitativ, ein Ensemble – gemeinsam mit dem Klarinettisten. Die beredtes, aber sich dabei ständig überschlagendes beiden Musiker verlassen die Bühne und befreien Selbstgespräch. Der Cellist greift, gleich zu Beginn, sich gleichzeitig