Im Suhrental

Autor(en): Ammann, Gerhard

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Aarauer Neujahrsblätter

Band (Jahr): 84 (2010)

PDF erstellt am: 04.10.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-559275

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http://www.e-periodica.ch Gerhard Ammann

Im Suhrenta

Das war einmal «schwimmen», das heisst «schwaderen» gingen. Baden in den Brüelmatten. In den Sommern der Vor etwas hatte ich Angst: Man hatte uns über Jahre 1939,1940 und 1941 nahm mich eine in Suhr die Tiere dieser Gegend erzählt, vor allem über wohnende befreundete Familie oft mit zum Ba- die am und im Wasser lebenden, und hatte er- den in den Bächen oberhalb von Suhr gegen Ent- wähnt, dass es im Bach Krebse gebe. Ich fürch- felden. Es gab dort für mich eigenartige Situa- tete mich davor, dass diese mich mit ihren Sehe- tionen langsam fliessender, recht schmaler Bäche ren einmal in meine Füsse oder Beine picken mit sehr kaltem Wasser. Die Bäume und Sträu- könnten. - Das war einmal. eher, beidseits am Ufer stehend, überwölbten Ja, das war einmal. Nicht nur weil ich viel älter den Bachlauf. Sie schufen einen grünen Tunnel geworden bin, sondern auch weil es diese Land- und spendeten Schatten. Und mir fiel auf, dass schaft dort nicht mehr gibt! die Bäume Wurzeln über das Bachufer hinaus und nach unten hängen Hessen. Vater und Mut- Das Suhrental war ein Wassertal ter dieser Familie sagten uns Kindern, dass man Die F/iessgevvflsser dieses Wasser trinken könne. Und dann stiegen Das Suhrental war nördlich der Endmoräne des wir mit Hilfe der Mutter an einer günstigen Stelle Würm-Maximalstandes bei Staffelbach in seiner ganzen Breite eine «Wasserlandschaft». Suhre und Ürke flössen weit verzweigt in vielen grosse- Man hatte erwähnt, dass es im Bach Krebse ren und Heineren Bächen. Deren Wasserführung gebe. Ich fürchtete mich davor. war niederschlagsabhängig, denn der Gletscher des Suhrentals als Lappen des Reussgletschers ins Wasser und Hessen uns treiben. Weiter unten war durch sein Abschmelzen aus dem Tal ver- stand der Vater im Bach, stoppte uns und half aus dem Bach zu steigen. Ich erinnere mich uns, 1 Das Suhrental bei Kölliken, Luftbild. heute noch daran, mit welcher Freude wir dort (Foto: G. Ammann, 1999)

54 55 schwunden. Durch die Niederschläge, vor allem einstellte, blieb diese Situation grundsätzlich er- im Luzernischen als Landregen oder Gewitter, halten. Das führte dazu, dass die Dörfer mit einer kam es häufig zu Hochwässern mit grossflä- Ausnahme zumeist am Talrand in erhöhter Lage chigen Überschwemmungen. Hochwässer hatten entstanden. Nur befindet sich im Laufverlegungen zur Folge. Tal draussen. Die alte Siedlung steht auf einer Bisherige Bäche oder Teilstrecken von diesen etwa vier Meter höher gelegenen Kiesplatte über führten dann weniger oder kein Wasser mehr. Es dem durch die Gewässer durchflossenen Talbo- bildeten sich Tümpel und kleine Seen, die auch den. Das hat zur Folge, dass sämtliches Wasser austrocknen konnten. Es bestand eine grosse zwischen und Oberentfelden Vielfalt im Gewässernetz. durch eine schmale Talzone fliessen muss. Diese dauernden Veränderungen des Gewässer- netzes hatten auch Auswirkungen auf die Ober- flächenformen. Es gab die länglichen Vertiefun- Winde bliesen den trockenen Schlamm gen der Bachgerinne. Hochwasser häufte Kies zu als Gesteinspulver über die Ebene. länglichen Hügeln an. Und es gab die Mulden der Teiche und Tümpel. Im Suhrental entstand von Natur aus ein vielfältiges, ausgeprägtes Klein- Ei« zweites Wasservorfco/nme«: der Grund- relief mit Höhenunterschieden von zwei bis drei wasserstrom Metern. Der Talboden war keine flache Ebene, Es gab noch ein anderes Wasservorkommen. Im und er hatte auch eine ganz schwache Neigung. Suhrental bildet Schotter seit der Würmeiszeit Der Niveauunterschied zwischen Staffelbach auf über dem Molasseuntergrund (Sandstein) eine 407 m ii. M. und Suhr auf 397 m ü.M. beträgt nur bis zu 50 Meter mächtige Füllung. Der Talboden 73 Meter auf 12 Kilometern Distanz (rund 6 Me- hatte am Ende der Risseiszeit um diesen Betrag ter pro Kilometer). tiefer gelegen. In der Schotterfüllung fliesst ein Grundwasserstrom. Diese Wasserfüllung reichte bis knapp an die Oberfläche heran. Nach langen Häufig kam es zu Hochwässern mit gross- und heftigen Regenfällen stieg der Grundwas- flächigen Überschwemmungen. serstand häufig oft so stark an, dass sich in der Ebene in Vertiefungen stehende Wasserflächen Insgesamt handelte es sich nach der letzten Eis- bildeten. zeit um eine wüste Landschaft mit Steinen (Kies), Sand und Schlamm. Winde bliesen den trocke- Grurtdwosserau/sfösse und Glesse«: Vor allem an nen Schlamm als Gesteinspulver über die Ebene. Stellen mit sandigen Partien wurde Grundwas- An den Südhängen, zum Beispiel des Gönhards ser nach oben gedrückt und trat dort als Quelle oder des Juras, setzte sich dieses wegen der nach- aus. Diese Erscheinung nennt man Grundwas- lassenden Windkraft als Staub ab, und daraus seraufstoss. Das ausfliessende Wasser hatte eine wurden mit der Zeit mächtige Lagen von gelb- lichem den Löss Dieser Boden, man nennt. 2 Haupt- und Brunnbach. Quelle Nr. 9. Foto vom konnte zu Lehm werden. In Suhr ist das der am 7.Januar 1942. (Heimatkommission Unterentfelden, Staufferhaus) Südhang des Suhrenkopfs vorkommende «Lätt». 3 Sanierter Sodbrunnen vor Bauernhaus in . Obschon sich später nach und nach Vegetation (Foto: G.Ammann, Oktober 2003)

56 rundliche, schüsselartige Form geschaffen, die Sodbrnnnen: In den Siedlungen auf dem Talbo- man als Quelltopf bezeichnet. Dieses Grundwas- den (Unterentfelden, Oberentfelden und Suhr) ser floss von hier aus als Grundwasserbach talab- wurden zahlreiche Sodbrunnen künstlich ange- wärts. Bei uns nennt man diese Bäche Giessen, legt. Auf der Karte zähle ich in Unterentfelden weil sich dort, wo sie sich bilden, Grundwasser deren 2, in Oberentfelden 58 und in Suhr 27. Dar- aus dem Boden ergiesst. aus lässt sich schliessen, dass Wasser aus Sod- brunnen zur üblichen Wasserversorgung der Gehöfte notwendig war. Nur wenige sind als Die Bäche heissen Giessen, weil sich dort, Bauwerke wiederhergestellt worden. Sie reichen wo sie sich bilden, Grundwasser aus dem heute nicht mehr bis ins Grundwasser hinunter. Boden ergiesst. Die Wössermaffe« Friedrich Mühlberg hat zur Darstellung der Die Situation in der Feuchtlandschaft des Talbo- Quellensituation im als Grundlage die dens (Hoher Grundwasserstand, Feuchtgebiete, erste Auflage des Siegfriedatlas von 1880 verwen- häufige Überschwemmungen usw.) liess zur det (Mühlberg, vgl. Literatur). Zwischen Unter- Landnutzung nur Wiesen zu. Nur auf etwas er- entfelden und Suhr zählen wir in der Talebene höht gelegenen Flächen war Ackerbau möglich. 50 Quelltopfsignaturen. Gefasste Quellen gibt es Diese lagen auch eher randlich und am Hangfuss in diesem Gebiet nur eine. An den Talhängen gab und waren ldein parzelliert. es zahlreiche gefasste und nicht gefasste Quellen Die Bauern betrieben Milchgraswirtschaft. Das der normalen Art. Vieh wurde nicht aufs Wiesland auf die Weide

57 58 geführt, sondern es wurde in der Umgebung der Höfe auf kleineren Wiesen und im Stall gehalten. Die Distanzen zu den Wiesenparzellen waren zu gross, und die Höfe befanden sich ja in den Dör- fern. In der Talebene zwischen Staffelbach und

Kleine Wuhre im Netz der Wässergräben nennt man Briitschen.

Suhr findet sich schon bei Michaelis und weiter- hin bei Siegfried 1880 kein Bauernhof. Falls not- wendig, brachte man von den Wiesen frischen Grasschnitt zur Zusatzfütterung. Auf den ande- ren Flächen produzierte man in einem ersten Schnitt Sommerheu und im September Emd- heu. ze Talboden mit seiner Fläche von vielen Qua- Die Bauern schufen in langer Zeit ein drittes dratkilometern bestand bis zum Zweiten Welt- Bachnetz, ein ausgedehntes Bewässerungssys- krieg aus Wässermatten. tem. Sie entnahmen den Bächen und Giessen Das Wässersystem musste geregelt sein. Einer- Wasser und leiteten dieses durch künstliche Ge- seits gab es die Unterhaltspflicht, und andererseits rinne unterschiedlicher Breite - man nennt sie musste für jeden Grundbesitzer die zur Verfü- «Wässergräbli» - auf die Wiesen. Sie stauten das gung stehende Wassermenge, der Zeitpunkt und Wasser, um es in die Gräben abzuleiten. Dazu die Dauer des Wässerns festgelegt werden. Wäs- dienten grosse sogenannte Wuhre. Bei diesen serzeiten und Nichtwässerzeiten lösten einander kann durch das Drehen eines runden Holzstam- ab. Gewässert wurde auch nachts. Diese Verein- mes an Ketten ein schweres Brett aufgezogen und barungen erfolgten im Rahmen einer genossen- abgesenkt werden. Das Brett bewegt sich in zwei schaftsähnlichen Grundbesitzer-Gruppe. Für je- seitlichen Führungsrillen, gemeisselt in zwei seit- den Hauptbach bestand eine separate Gruppe. liehe massive Fugensteine. Kleine Wuhre im Netz Die Festlegung wurde schriftlich niedergeschrie- der Wässergräben nennt man Brütschen. ben und von jedem betroffenen Grundbesitzer Und bei den Wässergräbli verwendete man dort unterzeichnet. Einen solchen Vertrag nennt man auch Stauladen aus Hartholz oder sogar Metall. «Kehrrodel». Um eine Fläche zu bewässern, schlug man solche Bewässert wurde nicht aus Mangel an Feuchtig- quer zur Fliessrichtung in die Bachufer. Der gan- keit im Boden der Wiesen, sondern zu deren Düngung. Das Bewässerungswasser, vor allem aus den Hauptbächen, führt Schwemmstoffe mit 4 Siegfriedkarte, Erstausgabe von 1880, 1:25000 mit sich. sich den ab Aufdruck der Signaturen der Quellenkarte von 1901 Diese lagern auf Wiesen und von Friedrich Mühlberg. Gebiet zwischen Unterent- düngen den Boden. Vor allem nach starken Nie- felden und Suhr. derschlägen bringen die Bäche Trübstoffe und 5 Ürke in Kölliken mit zwei Wuhren. (Strohhaus, Dorfmuseum Kölliken) sogar Schlamm. Beim Überfliessen aus den Wäs-

59 6o sergräbli auf die Wiesen lagern sich diese Stoffe seitlich ab. Das führt dazu, dass die Feinvertei- lungsgräbli mit der Zeit auf einem länglichen Wulst verlaufen, und dies deutlich über dem Tal- niveau.

Bewässert wurde nicht aus Mangel an Feuchtigkeit im Boden der Wiesen, sondern zu deren Düngung.

Die Vogelschaukarte von Hans Ulrich Fisch II strukturierten das Gebiet. Von diesen Land- von 1664 zeigt erstmals die Oberflächengestalt schaffen bestehen Fotografien. Man bricht in und das Wassernetz. Es ist eigentlich ein Plan des Begeisterung aus und vermag kaum zu glauben, Stadtbachs von seinen Quellen bis gegen die dass es «früher» dort so ausgesehen hat. Ebenso Suhrer Kirche, samt zugehörigen Wasserläufen reichhaltig war die Tierwelt: Biber, Fischotter, und Wuhren. Sie trägt den Titel «Plan des Brunn- Hasen, Kleinsäuger; Fische, Krebse, Amphibien; bach». Damals hiess der Stadtbach Brunnbach. Ringelnattern, Blindenschleichen, Eidechsen; Beim Brunnquell bei Unterentfelden hatte er sei- Storch, Graureiher, Raubvögel, Pirol, Eisvogel, nen Anfang. Er führte vor allem Grundwasser Rebhuhn und Kiebitz; Insekten, Libellen, Sorn- aus den Grundwasseraufstössen, erhielt jedoch mervögel usw. Von dieser Landschaft gibt es auch Quellwasser aus dem Gotthard. Der Stadt- auch Bilder von Malern und Zeichnern. Diese bach brachte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zeigten vor allem Ende der i93oer-Jahre und «Trinkwasser» nach . Dessen Qualität war Anfang der lgqoer-Jahre grosses Interesse am schon lange unerträglich schlecht, und es ist an- Suhrental. Auslöser dazu war wohl das Wissen zunehmen, dass eine Laufverlegung der Suhre um die bevorstehenden tiefgreifenden Verände- zur Verschmutzung geführt hatte. rangen in den Landschaften. Als Abbildungen sollen beispielhaft die vier Ölbilder von Max Einst eine wunderbare Landschaft Burgmeier gelten. Die Landschaft des Talbodens war herrlich und fürs Auge äusserst attraktiv, fein strukturiert Kommunale Meliorationen und Anbauschlacht und von grossem ökologischem Wert. In den i93oer-Jahren befassten sich vor allem Der Grundbesitz bestand aus relativ kleinen Kölliken und Unterentfelden damit, die Wasser- Parzellen. Die Bäche waren von vielfältiger situation in ihrem Gemeindebann im Talboden Uferbestockung begleitet. Es gab einen reich- zu verändern. Man wollte die Ürke und die Suhre haltigen Baumbestand, und zahlreiche Hecken kanalisieren, die Grundwasseraufstösse und die Giessen durch Zuschütten eliminieren und den 6 Höchgrabenwuhr in Unterentfelden vor dem Umbau, 1936. (Foto: Schatzmann, Aarau. Departement BVU, Grundwasserspiegel absenken. Letzteres sollte Akten Sektion Wasserbau) durch das Verlegen eines Netzes von Entwässe- 7 Ehemalige Wässermatte in den Brüelmatten, im rungsröhren geschehen, die das Wasser im Boden Hintergrund die Kirche von Suhr. (Foto: G. Ammann, September 2003) den korrigierten Bächen zugeführt hätten. Deren

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8 Hans Ulrich Fisch II, nach 1648. Vogelschauplan Brüelmatten. 9 Ausschnitt des «Situations- und Höhenplans der Stadtbachquellen», entstanden um i860. Abgebildet ist das Teilstück mit den Brüelmatten. Wer den Plan gezeichnet hat und wo sich das Original befindet, ist nicht bekannt. (Foto: Georg Mayer, Suhr)

62 îo Max Burgmeier: Landschaft im Suhrental, 1941. Öl, 30x40 cm. (Glockengiesserei und Kunstgiesserei Rüetschi, Aarau, Gerhard Spielmann) 11 Max Burgmeier: Heuernte auf der Suhrematte. Öl, 40 x60 cm. (Susanna und Hansruedi Steiner-Keller, Aarau)

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64 Basis wäre stark tiefergelegt worden. Ein solches Vorhaben nannte man damals Güterregulierung, und heute wäre das eine Melioration. Bevor dieses Vorhaben politisch gutgeheissen wurde und der Bau also hätte begonnen werden können, wurde der Plan Wahlen beschlossen. Die Umsetzung des Plans bezeichnete man als «An- bauschlacht». Friedrich Traugott Wahlen (1899- 1985), Professor für Landwirtschaft an der ETH und Politiker (BGB), hatte das Konzept für die Lebensmittelversorgung der Schweiz in den Kriegsjahren geschaffen, die Anbauschlacht or- gann der notwendige grossflächige Anbau von ganisiert und erfolgreich durchgeführt. Pro Per- Kartoffeln. Das war ein furchtbarer Vorgang mit son standen damals statt 3200 kcal, nur noch de- schlimmsten ökologischen Auswirkungen und ren 2200 zur Verfügung. Rund 200 000 Bauern- Langzeitfolgen. Dieser Totalumbau einer Land- betriebe konnten auf ein Ziel ausgerichtet wer- schaff konnte, trotz Versprechen von Wahlen, nie den. Wahlen war von 1959 bis 1965 Bundesrat. mehr rückgängig gemacht werden. Die Zerstö- rangen waren endgültig. Er selbst bezeichnete Der « UmhuH» zerstört eine Zebe/idige, wertvoZZe diesen Vorgang als notwendigen Frevel in Not- La/tdscZjfl/t Zeiten und entschuldigte sich dafür. Auch heute Es ging damals darum, möglichst viel ackerfä- noch fehlt über mehrere Quadratkilometer die higes Land zu schaffen. Grossflächig wurde in zuvor bestehende natürliche «Möblierung» der der Schweiz Wald zu Kulturland gemacht, auch Landschaft. im Subrental. Und im Suhrental wie andernorts wurden bestehende, offene Landschaften regu- liert. Ürke und Suhre wurden elendiglich kanali- Der Plan Wahlen wurde beschlossen. siert. Alle anderen Gewässer wurden zerstört und Die Umsetzung des Plans bezeichnete man zum Verschwinden gebracht. Riesige Parzellen als «Anbauschlacht». wurden geschaffen. Sämtliche Feldgehölze, Bau- me, Büsche, zum Beispiel die markanten Kopf- Nur ein Gebiet wurde damals belassen, das weiden und Hecken, wurden entfernt. In brutaler heisst, es blieb verschont. Dies waren die Brüel- Art wurde von Staffelbach bis Suhr das gesamte matten. Aarau hatte dort seit i860 seine Grund- Relief maschinell und mit viel Handarbeit ein- wasserfassungen zur Versorgung der Stadt. Da- geebnet und präzise ausnivelliert. Und dann be- mais war schon der Stollen durch den Gön- hard in Nutzung. Die Brtielmatten wurden zum

12 Siegfriedkarte, letzte Ausgabe von 1940, 1:25000. Grundwasserschutzgebiet erklärt. Dies ist das Gebiet zwischen Unterentfelden und Suhr. einzige Gebiet im Suhrental, das auch heute 13 Neue Landeskarte, Erstausgabe von 1956, 1:25000. Blatt Aarau 1089. Gebiet zwischen Unterentfelden und noch die ursprünglichen, natürlichen Oberflä- Suhr. chenformen aufweist. In diesem Gebiet besteht 14 Das Suhrental bei Oberentfelden, Blick nach ein Weideverbot, ein Düngeverbot, und es ist Westen. Im Hintergrund die Dampffahne des KKW Gösgen. (Foto: G.Ammann, 2003) folglich auch kein Ackerbau erlaubt. Es darf

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Frischgras geschnitten werden, und man darf heuen. Die Brüelmatten haben heute den Sta- tus eines Naturschutzgebiets.

«Wir wollen wieder den Storch.»

Heute gibt es im Suhrental über viele Quadrat- kilometer kaum mehr eine Lebewelt. Die meisten der zuvor aufgeführten Tierarten sind entweder verschwunden oder bezüglich der Zahl der In- dividuen massiv reduziert. Ich frage: Wo gibt es heute im Suhrental noch Sommervögel? Und wenn Insekten fehlen, finden viele Vogelarten auch keine Nahrung. Die kleinflächigen Brüel- matten bilden die Ausnahme. Seit einigen Jahren verwirklichen der Kanton in Zusammenarbeit mit Privaten in den Bachbetten von Suhre und Ürke wirkungsvolle Revitalisie- rungsmassnahmen. Es wurden Bettveränderun- gen vorgenommen, zum Beispiel Ausweitungen, um die kanalartigen Formen zu brechen, oder auch das Einbringen von Störsteinen, die neue Strömungsverhältnisse herbeiführen. Seit einigen Jahren haben Private die Idee eines Projekts mit dem Namen «Wir wollen wieder den Storch» zur Diskussion gestellt. In verschie- denen Gemeinden haben die lokalen Natur- und Vogelschutzvereine Nistmöglichkeiten für den Storch geschaffen, zum Beispiel auf alten Tele- fonstangen Wagenräder platziert, auch auf einem Kirchturm. Bisher rasten Störche nur auf dem Durchzug, oder es kommen Brittnauer Störche auf Nahrungssuche.

15/16 Das Gebiet zwischen den beiden Entfelden und Suhr auf Senkrechtluftbildern. Oben Schwarz- Erkunden, mit allen Sinnen gemessen, Weiss-Aufnahme von 1936 und unten Farbaufnahme Rücksicht nehmen neuesten Datums. (Departement BVU, Abteilung Landschaft und Gewässer) Das Untere Suhrental ist für die Region Aarau 17 Brüelmatten, Pumpenschächte mit Metalldeckeln. ein vielgenutztes Erholungsgebiet. Haben Sie (Foto: G.Ammann, April 2009) schon einmal bemerkt, dass die Landschaft in 18 Suhre zwischen Entfelden und Suhr, revitalisiert mit Störsteinen. (Foto: G.Ammann, September 2003) den Brüelmatten anders aussieht als diejenigen

67 ringsum? Wenn Sie nach dem Lesen dieser Bei- Wenn Sie in den Brüelmatten sind, achten Sie träge das Gebiet der Briielmatten betrachten auch in Ruhe auf die Wiesenblumen, die Vögel gehen, werden Sie die dortigen Oberflächen- und deren Stimmen, die Insekten, zum Beispiel formen deutlich erkennen können: die gewun- die Libellen. - Es ist eine einzigartige Landschaft. denen Strukturen der ehemaligen Bachbette und die parallel verlaufenden Aufwölbungen Dank mit den früheren Wässergräben. Besonders Mein herzlicher Dank geht an meinen Verfasser- deutlich erkennt man diese Formen im Spät- kollegen Edwin Fehr aus Rupperswil. Wir hatten herbst und Frühwinter nach dem letzten Gras- über Jahre eine gute und produktive Zusammen- schnitt. Auf allen vier Seiten wird das Areal arbeit. durch Wege begrenzt, die eine gute Sicht ins Ich danke für das Zurverfügungstellen der vier Areal hinein ermöglichen. In Zeiten ohne Laub Bilder von Max Burgmeier: Susanna und Hans- bietet vor allem auch der Kirchweg am Hang- ruedi Steiner-Keller in Aarau, Hans Fahrländer in fuss des Gönhards eine gute Sicht zum Beob- Baden, Gerhard Spielmann, Glockengiesserei und achten. Vom Weg aus, der zum Grundwasser- Kunstgiesserei Riietschi in Aarau, und Erich Wyss pumpwerk fuhrt, kann man tief ins Areal und Barbara Reusser, IB Aarau,Trinkwasser AG. hineingehen. Während der Vegetationszeit darf Ich danke auch Peter Stöckli, Aarau, der die vier das Wiesland nicht betreten werden. Ohnehin Ölbilder fotografiert, und Ernst Jenny, Aarau, der sind in dieser Zeit die Oberflächenformen we- alle Bilder und alle Vorlagen digitalisert und färb- gen des hohen Grases schlechter erkennbar. lieh bearbeitet hat. Sie werden auch die Metalldeckel über den Sehr geholfen haben mir: Stadtarchivar Martin Pumpschächten erkennen. Am Kirchweg steht Pestalozzi, Aarau; Urs Bänziger, Aarau; Tomas das Pumpengebäude, von welchem aus das Baumann und Martin Bolliger vom Naturama Grundwasser ins Reservoir auf dem Gönhard Aarau; August Keller und Sophie Lambelet von hinaufgepumpt wird. In der Nähe steht auch AGIS. das kleine Gebäude, in welchem eine Treppe in den Gönhardstollen hinabführt. Gerhard Ammann ist Geograf, war Lehrer an der Neuen Kantonsschule Aarau und lebt in Aarau.

68 Literatur

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