Plenarprotokoll 19/72

Deutscher

Stenografischer Bericht

72. Sitzung

Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018

Inhalt:

Zusatztagesordnungspunkt 15: Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE). 8449 B a) – Zweite und dritte Beratung des von der (AfD). 8450 B Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Weiterent- Dr. (BÜNDNIS 90/ wicklung der Qualität und zur Teil- DIE GRÜNEN). 8451 B habe in der Kindertagesbetreuung. Drucksachen 19/4947, 19/5416, () (CDU/CSU). . . 8451 D 19/5647 Nr. 14, 19/6471 (neu)...... 8439 B (FDP) . 8453 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Sönke Rix (SPD). 8454 A Drucksache 19/6472 . 8439 B Dr. (CDU/CSU). 8455 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- Tagesordnungspunkt 19: neten , Katja Dörner, Dr . Anna Christmann, weiterer Abgeord- a) Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Sattelberger, , , GRÜNEN: Qualität in der Kinderta- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der gesbetreuung verbindlich und dauerhaft FDP: Spitzenforscherinnen und Spitzen- sicherstellen forscher für Deutschland als führenden Drucksachen 19/5078, 19/6471 (neu). 8439 B Standort internationaler Wissenschaft, Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin Forschung und Innovation gewinnen und halten BMFSFJ . 8439 D Drucksache 19/5077. 8456 D (AfD) . 8441 A b) Antrag der Abgeordneten Dr. , Nadine Schön (CDU/CSU). 8442 A , , weite- Matthias Seestern-Pauly (FDP). 8443 B rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Prekäre Arbeitsbedingungen in Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE). 8444 B der Wissenschaft wirksam bekämpfen Albert H. Weiler (CDU/CSU). 8445 A Drucksache 19/6420. 8457 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ c) Antrag der Abgeordneten , DIE GRÜNEN). 8446 C Dr. Anna Christmann, Ekin Deligöz, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (SPD). 8448 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Ein weltoffenes Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/ Land für freie Wissenschaft DIE GRÜNEN). 8448 C Drucksache 19/6426. 8457 B II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018 in Verbindung mit (SPD). 8483 D (FDP). 8484 D Zusatztagesordnungspunkt 16: (CDU/CSU) . 8485 C Antrag der Abgeordneten Dr. Michael ­Espendiller, Dr. Götz Frömming, Nicole (SPD). 8486 C Höchst, weiterer Abgeordneter und der Frakti- (AfD) (Erklärung nach on der AfD: Wissenschaftlichem Nachwuchs § 30 GO). 8487 D in Deutschland eine Perspektive geben Drucksache 19/6424. 8457 B Dr . h. c. (FDP). 8457 C Tagesordnungspunkt 21: Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU). 8458 C a) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, , , weite- Dr. Götz Frömming (AfD) . 8460 A rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Nicole Gohlke (DIE LINKE). 8460 D NIS 90/DIE GRÜNEN: Multilateralen Gerichtshof an soziale, ökologische, Dr. (SPD) . 8461 D menschenrechtliche und wirtschaftliche Dr. Petra Sitte (DIE LINKE). 8462 D Völkerrechtsnormen binden – Klagepri- vilegien für Konzerne ablehnen Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/5908. 8488 A DIE GRÜNEN). 8463 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. (CDU/CSU). 8465 A Ausschusses für Wirtschaft und Energie Dr. (AfD). 8466 B – zu dem Antrag der Abgeordneten ­, , Dr. (SPD). 8467 B Reinhard Houben, weiterer Abgeordne- Nicole Gohlke (DIE LINKE). 8468 A ter und der Fraktion der FDP: Rechts- sicherheit im internationalen Investi- (CDU/CSU). 8469 A tionsschutz Dr. Manja Schüle (SPD). 8470 B – zu dem Antrag der Abgeordneten , , , (CDU/CSU) . 8471 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion Jürgen Braun (AfD) DIE LINKE: Den Rechtsstaat stärken (zur Geschäftsordnung). 8472 B – Multilateralen Investitionsgerichts- hof ablehnen und Paralleljustiz für Konzerne stoppen Tagesordnungspunkt 20: Drucksachen 19/1694, 19/97, 19/5666. 8488 B a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ SPD: Kulturgut Buch fördern – Buch- DIE GRÜNEN). 8488 B preisbindung erhalten Drucksache 19/6413. 8474 C Andreas G. Lämmel (CDU/CSU). 8489 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Dr. (DIE LINKE) . 8490 A Sondergutachten der Monopolkom- (AfD). 8490 D mission gemäß § 44 Absatz 1 Satz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschrän- Markus Töns (SPD) . 8492 B kungen: Die Buchpreisbindung in einem Sandra Weeser (FDP). 8494 B sich ändernden Marktumfeld Drucksache 19/2444. 8474 C (DIE LINKE). 8495 D , Parl. Staatssekretär BMWi . 8474 D Dr. (CDU/CSU). 8497 A (AfD). 8476 A (SPD). 8498 D Falko Mohrs (SPD). 8476 D Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ (FDP). 8478 A DIE GRÜNEN). 8499 B (DIE LINKE). 8478 D (CDU/CSU). 8500 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 8480 A Tagesordnungspunkt 13: Dr. (CDU/CSU). 8481 C Erste Beratung des von dem Abgeordneten Dr. Marc Jongen (AfD). 8482 D Tobias Matthias Peterka und der Fraktion der Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018 III

AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Michael Kießling (CDU/CSU). 8517 A zur Strafschärfung bei Rückfall Drucksache 19/6371. 8501 B Nächste Sitzung . 8518 C Tobias Matthias Peterka (AfD). 8501 C (CDU/CSU). 8503 A Anlage 1 Dr . Jürgen Martens (FDP). 8504 D Entschuldigte Abgeordnete. 8519 A Dr. (SPD). 8505 C (DIE LINKE) . 8506 D (BÜNDNIS 90/ Anlage 2 DIE GRÜNEN). 8507 D Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstim- Alexander Hoffmann (CDU/CSU). 8508 C mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Weiter- Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD). 8509 C entwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung (Zusatztagesordnungspunkt 15 a) Tagesordnungspunkt 23: (CDU/CSU). 8520 A Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (CDU/CSU). 8520 C (Potsdam), Birke Bull-Bischoff, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on DIE LINKE: Mehr Fachkräfte für gute Kitas und eine starke Kinder- und Jugend- Anlage 3 hilfe Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Drucksache 19/6421. 8510 C Antrags der Abgeordneten Norbert Müller Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE). 8510 C (Potsdam), Birke Bull-Bischoff, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU). . . 8511 C DIE LINKE: Mehr Fachkräfte für gute Kitas (AfD). 8513 A und eine starke Kinder- und Jugendhilfe Sönke Rix (SPD). 8520 D (SPD). 8514 B (FDP). 8515 A Anlage 4 Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 8516 A Amtliche Mitteilungen. 8521 B

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018 8439

(A) (C)

72. Sitzung

Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen Bünd- nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. nis 90/Die Grünen und Die Linke sowie je ein Entschlie- ßungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe, Linke vor. teile ich Ihnen mit, dass sich der am gestrigen Abend während der Beratung des Tagesordnungspunktes 17 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für amtierende Vizepräsident für einen die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich sehe und Zwischenruf, den ich nicht wiederholen möchte, der aber höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. offensichtlich die Würde des Hauses verletzt hat, die Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Verhängung einer Ordnungsmaßnahme vorbehalten hat. Bundesministerin Dr. Franziska Giffey. Mittlerweile konnte festgestellt werden, dass der Zwi- schenruf der Abgeordneten Dr. zuzu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ordnen ist. Ihr erteile ich im Auftrag des Vizepräsidenten der CDU/CSU) (B) Wolfgang Kubicki hierfür einen Ordnungsruf. (D) Jetzt rufe ich die Zusatzpunkte 15 a und 15 b auf: Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehr- desregierung eingebrachten Entwurfs eines ten Damen und Herren Abgeordnete! Heute auf den Tag Gesetzes zur Weiterentwicklung der Quali- genau vor neun Monaten, am 14. März, bin ich hier im tät und zur Teilhabe in der Kindertagesbe- Deutschen Bundestag vereidigt worden. Ich freue mich treuung sehr, dass wir es gemeinsam in dieser Zeit bis heute ge- schafft haben, das Gute-Kita-Gesetz zur Verabschiedung Drucksachen 19/4947, 19/5416, 19/5647 Nr. 14 zu bringen. Es ist ein gutes Gesetz. Ich möchte mich bei all denen für die Zusammenarbeit bedanken, die uns bis Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- zum heutigen Tag begleitet haben. schusses für Familie, Senioren, Frauen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Jugend (13. Ausschuss) der CDU/CSU) Drucksache 19/6471 (neu) Der Bund bekennt sich erstmals in dieser Größenord- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- nung zu seiner Verantwortung für eine gute Qualität in schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung der Kindertagesbetreuung. Er steht auch dafür ein, die Eltern bei den Gebühren zu entlasten, gute Bildungs- Drucksache 19/6472 chancen für alle Kinder zu eröffnen und die Vereinbarkeit b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- von Familie und Beruf für die Eltern zu fördern. richts des Ausschusses für Familie, Senioren, Wir machen immer wieder deutlich: Das ist eine ge- Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An- samtstaatliche Aufgabe. Wir wollen die Länder und die trag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Katja Kommunen damit nicht alleine lassen. Wir haben in ei- Dörner, Dr. Anna Christmann, weiterer Abgeord- nem vierjährigen Dialogprozess unter Beteiligung der neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Länder, der Kommunen, der Wissenschaft und der Praxis NEN an diesem Gesetz gearbeitet. Qualität in der Kindertagesbetreuung ver- Wir investieren 5,5 Milliarden Euro bis 2022 für mehr bindlich und dauerhaft sicherstellen Qualität und weniger Gebühren. Drucksachen 19/5078, 19/6471 (neu) (Beifall bei der SPD) 8440 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Bundesministerin Dr. Franziska Giffey (A) Und wir wollen, dass diese Mittel auch über 2022 hinaus dass als Ziel „bundesweit gleichwertige qualitative Stan- (C) fortgeschrieben werden. Deshalb ist im Gesetz das Ziel dards angestrebt“ werden. formuliert, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten … nachhaltig und dauerhaft die Qualität der frühen der CDU/CSU) Bildung, Erziehung und Betreuung in Tageseinrich- tungen und in der Kindertagespflege bundesweit Wir werden ein jährliches Monitoring und eine Evalua- weiterzuentwickeln und bestehende Unterschiede tion durchführen, um zu sehen, welche weiteren Schritte zwischen den Ländern anzugleichen. nötig sind. Aber eines ist schon heute klar: Für eine gute (Beifall bei der SPD) Entwicklung brauchen wir einen Dreiklang aus Qualität, Kapazität und Personal. Ohne qualifizierte Fachkräf- Das Gute-Kita-Gesetz ist eben kein Förderprogramm, te wird es – das ist ganz klar – nicht gehen. Deshalb ist aus dem sich der Bund nach ein paar Jahren zurückzieht. ein Baustein des Gute-Kita-Gesetzes die Förderung von Es ist ein Gesetz, das zeigt, dass der Bund seine Verant- Maßnahmen zur Gewinnung und Sicherung qualifizierter wortung auch über 2022 hinaus wahrnehmen wird. Dafür Fachkräfte. Wir gehen darüber hinaus aber sogar noch werde ich mich einsetzen. einen Schritt weiter: Zusätzlich zum Gute-Kita-Gesetz werden wir vonseiten des Bundesfamilienministeriums (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE im nächsten Jahr eine Fachkräfteoffensive starten, um GRÜNEN]: Wie denn?) eine praxisintegrierte Ausbildung fördern zu können, die Wir wollen, dass alle Kinder die gleichen Startchan- vergütet ist und für die kein Schulgeld gezahlt werden cen haben. Das kann man nicht dem Zufall überlassen muss. Dafür werden wir ein eigenes Förderprogramm oder von der Herkunft der Eltern abhängig machen. Wir des Bundes auflegen, für das auch schon Mittel im Haus- brauchen gute Rahmenbedingungen für eine gute früh- halt festgeschrieben sind. kindliche Bildung, die allen Kindern zugänglich ist. Deshalb investieren wir in die Betreuungsqualität. Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben im Vorbereitungs- und Beteiligungsprozess zehn der CDU/CSU) Qualitätsbausteine vereinbart. Dazu gehören eine be- Und, meine Damen und Herren, wir schaffen mit die- darfsgerechte Betreuung, die Entlastung der Kitaleitung, sem Gesetz auch den Einstieg in die Gebührenfreiheit. eine Verbesserung beim Fachkraft-Kind-Schlüssel, eine Das ist wichtig; denn wenn Eltern mehrere Hundert Euro, ausgewogene Ernährung, gute Räumlichkeiten, sprachli- teilweise sogar über 1 000 Euro an Gebühren zahlen müs- che Bildung, qualifiziertes Personal und eine Vielfalt an sen, dann führt das zu Schwierigkeiten beim Zugang zu pädagogischen Angeboten. (B) einer qualitativ guten Kinderbetreuung. Es geht darum, (D) Wir bieten den Ländern einen Instrumentenkasten, dass wir die Entlastung der Eltern bei den Gebühren auch aus dem sie die für sich passenden Angebote anhand ih- als einen Aspekt von Teilhabe und Qualität verstehen. Es res Bedarfs auswählen können; denn die Bedarfe in den geht darum, dass wir es bundeseinheitlich schaffen, die Ländern sind noch immer sehr, sehr unterschiedlich. Wir Eltern, die jeden Tag aufstehen und arbeiten gehen, die brauchen Flexibilität und gleichzeitig Verlässlichkeit, kleine Einkommen haben, die Wohngeld oder Kinder- Verbindlichkeit. Dafür sorgen wir durch die Verträge, die zuschlag bekommen, von den Gebühren zu entlasten. wir mit jedem einzelnen Bundesland abschließen wer- Deshalb werden mit dem Gesetz überall in Deutschland den, wenn es um die Umsetzung des Gute-Kita-Gesetzes Familien mit kleinen Einkommen von den Gebühren be- geht. freit. Das betrifft 1,2 Millionen Kinder. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Silke Und ja, es ist richtig: Bundesweit einheitliche Quali- Launert [CDU/CSU] – [Er- tätsstandards sieht das Gesetz nicht vor; furt] [SPD]: Hervorragend!) (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Meine Damen und Herren, wir gehen mit diesem Ge- GRÜNEN]: Traurig!) setz gemeinsam den Weg für eine stärkere Beteiligung des Bundes an der Kitaqualität. Es gibt 3,1 Millionen darüber haben wir hier auch schon gesprochen. Dafür ist Kitakinder in Deutschland. Sie alle werden davon pro- die Zeit – das sage ich auch an dieser Stelle noch ein- fitieren. Dieses Gesetz wird spürbar ankommen, es wird mal ganz deutlich – noch nicht reif. Die Kitalandschaft in den Familien konkret helfen: 3,1 Millionen Kinder mit Deutschland ist derart vielfältig, dass wir eben noch kei- ihren Eltern, mit ihren Familien. Wir machen Politik, die ne bundeseinheitlichen Standards haben. Es gibt Länder, konkret wirkt. Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, die die einen sehr guten Betreuungsschlüssel, aber dafür sehr Sie daran mitgearbeitet haben, die Sie das möglich ge- kurze Öffnungszeiten der Kitas haben – und umgekehrt. macht haben. Das ist ein guter Schritt. Einige Länder haben in den vergangenen Jahren in Qua- litätsverbesserung investiert, andere haben sich um ande- (Beifall bei der SPD) re Bereiche gekümmert. Das kann man derzeit eben noch nicht vereinheitlichen, und darauf nehmen wir Rücksicht. Allen, die sich fragen, ob es wirklich ein guter Schritt Aber wir legen heute die Grundlage dafür, dass wir lang- ist, sage ich: Denken Sie immer an eines: Nothing you do fristig bundeseinheitliche Standards bekommen werden. for children is ever wasted. – Nichts, was du für Kinder Im Übrigen steht das auch in § 1 des Gesetzes, nämlich tust, ist jemals verschwendet. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8441

Bundesministerin Dr. Franziska Giffey (A) Vielen Dank. Frauen können eben alles, das ist schon gesagt worden. (C) Frauen können eben auch zur Bespitzelung aufrufen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜND- (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Quatsch!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt bei den Kindern nicht an! Das ist das Problem!) Die Kritik am Gesetz zur Weiterentwicklung der Qua- lität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung ist weitreichend; Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächster Redner ist der Kollege Martin Reichardt, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- AfD. NEN]: Wer bespitzelt denn die Lehrer?) (Beifall bei der AfD) denn das Gute-Kita-Gesetz – das müssen wir sagen – ist ein schlechtes Gesetz. Insofern war die Idee von Frau Martin Reichardt (AfD): Ministerin Giffey, es Gute-Kita-Gesetz zu nennen, in der Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Rückschau eine schlechte Idee. Herren! In der Vorweihnachtszeit gibt es Gutes und Be- (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald sinnliches zu berichten, auch aus dem Regierungsviertel. [DIE LINKE]: Welche Ideen haben Sie denn? Am 29. November 2018 nahm Bundestagsvizepräsiden- Ich habe noch nicht ein Wort gehört! Nicht ein tin im Paul-Löbe-Haus den vom Verband Wort! Immer nur Hetze!) Deutscher Naturparke gestifteten Tannenbaum entgegen. Ein Kinderchor begleitete diese Zeremonie. Frau Roth Die Kritik der Sachverständigen reichte von unzurei- sagte ihnen: Ihr bringt uns ein Stück weit Frieden. chender Feststellung von Qualitätsstandards über den Fachkraftschlüssel bis zu den Vertragsabschlüssen – all Die meisten Kinder waren Mädchen. Sie trugen Klei- das ist bekannt –, Eingriffen ins Elternrecht und die man- der und hatten Zöpfe. gelhafte Fortdauer der Finanzierung über das Jahr 2022 (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) hinaus; auch die sind bekannt. In einer Broschüre zur richtigen Erziehung in unseren In der Ausschusssitzung an diesem Mittwoch hat die Kitas sind Zöpfe und Kleider bei Mädchen ein eindeuti- Regierung das Votum der Sachverständigen relativiert, ges Zeichen für eine völkisch-rechtsextreme Gesinnung sie seien auch nur ihren jeweiligen Interessengruppen im Elternhaus, die zu prüfen ist. verpflichtet. Die heftigste Kritik kam allerdings von den Sachverständigen, die die Koalition eingeladen hatte. (B) (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (D) GRÜNEN]: Das ist eine Lüge! – Gegenruf der Gegen den Rat der Sachverständigen wird dieses Ge- Abg. Beatrix von Storch [AfD]: Ja, in der Tat!) setz nun im Bundestag beschlossen werden; denn Parla- Es ist eine Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung. Sie mentarier, so hörte ich auch im Ausschuss, müssen sich wird aus Steuergeldern bezahlt, ein anderes Votum gönnen als Sachverständige. Die Par- lamentarier der Regierung sind allerdings auch nur ihren ( [SPD]: Das ist auch gut so!) Interessen verpflichtet. Ich befürchte, das größte Interes- se ist der Machterhalt. und Frau Ministerin Giffey hat das Vorwort dafür ge- schrieben. Die Broschüre fordert zur Bespitzelung von (Beifall bei der AfD) Kindern, Eltern und Erzieherkollegen auf. Noch in einem anderen Punkt unterscheiden sich die (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sachverständigen offensichtlich von unserer Regierung. NEN]: Das war doch gestern schon schlimm Sie besitzen nämlich das, was ihr Name sagt: Sachver- mit Ihnen!) stand. Auch das ist ein Teil unserer schönen neuen Kitas. (Ulli Nissen [SPD]: Den haben Sie nicht!) (Beifall bei der AfD) Kinder, Erzieher und Eltern werden zum wiederhol- Aber so neu ist das gar nicht. Wir Deutschen haben ten Male die Leidtragenden sein. Familien und Erzieher leider eine unsägliche Tradition in Bespitzelung; in Deutschland kümmern sich mit viel Liebe und Sach- verstand um Kinder. Sie sind unsere Zukunft. Von ihnen (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wird verlangt, dass sie sich professionelle Hilfe holen, NEN]: Das stimmt! Bei Ihnen ja jetzt auch mit wenn ihr eigener Sachverstand nicht ausreicht. Sie tun dem Lehrerportal!) dies zum Nutzen unserer Kinder. eine Tradition, der sich auch die Vorsitzende dieser Stif- tung, Frau Kahane, als ehemalige Stasimitarbeiterin ver- Frau Giffey, Sie haben den Rat der Sachverständigen pflichtet fühlt. nicht angenommen, Sie haben ihn ausgeschlagen. Sie handeln damit verantwortungslos. Sie dokumentieren da- (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der mit, dass Sie nicht zum Guten von Kindern, Kitas und El- SPD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE tern handeln. Sie geben gutes Geld dafür aus, dass Kitas GRÜNEN]: Ein Denunziationsportal für Leh- eben doch nicht gut werden. Für gute Kitas wären eine rer!) gute Regierung und eine gute Ministerin nötig. 8442 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Martin Reichardt (A) Vielen Dank. her, in Sachsen sogar noch ein bisschen mehr. Bei den (C) über Dreijährigen im Kindergarten kommen auf eine Er- (Beifall bei der AfD) zieherin in Baden-Württemberg knapp sieben Kinder. In Mecklenburg-Vorpommern ist eine Erzieherin für sage Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: und schreibe – statistisch gesehen – 12,5 Kinder zustän- Nadine Schön, CDU/CSU, ist die nächste Rednerin. dig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unser politisches Ziel muss es sein, dass in allen Län- dern das Verhältnis von Fachkraft zu Kind möglichst Nadine Schön (CDU/CSU): klein ist. Dazu gehört auch, dass Urlaub, Krankheit, Fort- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und bildung eingeplant werden. Deshalb ist es uns als Union Kollegen! Das Wichtigste, das ich habe, ist heute Morgen wichtig, dass das Thema Fachkraft-Kind-Schlüssel, ein nicht bei mir: meine Kinder. Der Kleine ist in der Krippe. besseres Betreuungsverhältnis, eines der vorrangigsten Wahrscheinlich baut er gerade einen Turm oder liest in Handlungsfelder des Gute-Kita-Gesetzes ist. Wir erwar- einem Wimmelbuch. Der Große wird jetzt wahrschein- ten von allen Ländern, dass sie in genau dieses Hand- lich gerade zum Frühstück gehen. Ich kann hier nur des- lungsfeld auch investieren. halb beruhigt und konzentriert stehen und meine Arbeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. machen, weil ich weiß, dass meine Kinder in der Krippe [SPD]) und im Kindergarten gut aufgehoben sind. Eine gute Kita hat eine gute Leitung; eine Leitung, die Ich habe heute Morgen genau wie Millionen andere ihr Team motiviert, die Einrichtung organisiert, Proble- Eltern in unserem Land meine Kinder Erzieherinnen und me löst und immer wieder für eine Weiterentwicklung Erziehern anvertraut, die die Kinder von null Jahren bis sorgt. Eine gute Kita hat kindgerechte Räume und ent- zum Schuleintritt im Alter von sechs Jahren in Kinderta- sprechende Öffnungszeiten. Eine gute Kita arbeitet mit geseinrichtungen, in Kindergärten oder auch bei Tages- den Eltern zusammen. Auch das ist uns als Union beson- müttern und Tagesvätern untergebracht haben. ders wichtig; denn das erste Erziehungsrecht in unserem Staat haben die Eltern. Deshalb ist es total wichtig, dass Kinder sind das Beste, das wir haben. Dieses Vertrau- Eltern und Erzieherinnen und Erzieher ein gutes Team en, das wir in die Erzieherinnen und Erzieher haben, ist sind, dass sie gut zusammenarbeiten und dass der Aus- ein besonders hohes Gut; denn unsere Kinder sind ein- tausch gewährleistet ist. zigartig. Gerade wir als Union sehen in jedem einzelnen Kind die Menschenwürde. Wir sehen die Potenziale ei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nes jeden einzelnen Kindes. Wir sind der Meinung, dass (B) es sich lohnt, sehr viel zu investieren, dass jedes einzelne Eine gute Kita schützt Kinder. Deshalb haben wir als (D) Kind mit seinen Fähigkeiten, seinem Potenzial, seiner In- Union darauf gedrängt, dass mit den Geldern des Gu- dividualität bestmöglich gefördert und unterstützt wird. te-Kita-Gesetzes dafür gesorgt wird, dass es in den Ein- richtungen auch Schutzkonzepte gibt, etwa zum Thema (Beifall bei der CDU/CSU) sexueller Kindesmissbrauch, das leider ein sehr, sehr großes Thema ist, was wir an den erschreckend hohen Mit dieser Einzigartigkeit umzugehen, ist in meinen Fallzahlen sehen. Gerade diese Woche hat das Bundes- Augen die größte Leistung, die Erzieherinnen und Erzie- kabinett die Stelle des Unabhängigen Beauftragten für her erbringen. Man braucht Zeit und Zuwendung. Man Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs entfristet und braucht Einfühlungsvermögen und Liebe. Man braucht verlängert. Frau Giffey hat das als Konzept eingebracht. Beobachtungsgabe, eine gute Ansprache und natürlich auch Wissen. Der Erzieherberuf ist in meinen Augen Wir sind der Meinung: Zu einem Konzept gegen se- einer der anspruchsvollsten und einer der wichtigsten xuellen Kindesmissbrauch gehört viel mehr, als nur eine Berufe in unserem Land. An dieser Stelle möchte ich Stelle zu entfristen. Es gehört dazu, dass wir die gu- einfach mal ein herzliches Dankeschön an alle Erziehe- ten Anregungen, die uns der Beauftragte gibt, nämlich rinnen und Erzieher sagen. Sie haben viel mehr Respekt Schutzkonzepte in jeder Einrichtung zu etablieren, in und auch Dank unserer Gesellschaft verdient. der Praxis umsetzen, dass wir hier auch investieren, dass wir Geld dafür geben, damit diese Schutzkonzepte vor (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ort etabliert und mit Leben erfüllt werden können. Das bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Geld des Gute-Kita-Gesetzes kann genau dafür verwen- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) det werden. Darauf legen wir als Union einen besonderen Doch es braucht nicht nur Dank und Respekt. Es Schwerpunkt und besonders viel Wert. Deshalb haben braucht auch gute Rahmenbedingungen. Mit dem Gu- wir das in unserem Änderungsantrag zum Gesetz noch te-Kita-Gesetz wollen wir als Bund mithelfen, dass es in einmal verdeutlicht. unserem Land tatsächlich viele gute Kitas gibt. Was ist (Beifall bei der CDU/CSU) eine gute Kita? Eine Kita ist dann gut, wenn die indivi- duelle Beschäftigung mit jedem einzelnen Kind möglich Als Union erwarten wir, dass die Länder das Geld ist. Das ist natürlich nur der Fall, wenn genügend Perso- sinnvoll einsetzen. Es muss zusätzlich zu dem sein, was nal da ist. Das ist in Deutschland sehr unterschiedlich. ohnehin geplant ist. Die Verwendung muss transparent In Baden-Württemberg zum Beispiel ist in einer Krippe sein, deshalb die Leistungsvereinbarung mit den Län- eine Erzieherin für drei Kinder zuständig. In Mecklen- dern. Das Geld muss zu einem wirklichen Mehrwert, zu burg-Vorpommern sind es über sechs Kinder pro Erzie- einer Weiterentwicklung führen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8443

Nadine Schön (A) Als Partei, die das Subsidiaritätsprinzip hochhält, sa- nennen Sie, Frau Ministerin, Gute-Kita-Gesetz. Wir als (C) gen wir: Jedes Land kann selbst entscheiden, wo es die Freie Demokraten nennen es Verpasste-Chancen-Gesetz. größten Bedarfe sieht und worauf es die größten Schwer- (Beifall bei der FDP) punkte legt. Wir müssen den Eltern da nichts vorschrei- ben; aber wir erwarten eben überall eine Weiterentwick- Ich möchte Ihnen auch sagen, warum: Wir Freie De- lung, insbesondere auch bei der Qualität. mokraten wollen eine faire Sozialstaffel bei den Kitage- bühren für die, die es brauchen. Denn der Geldbeutel der Dass wir den Ländern nichts vorschreiben wollen, Eltern darf nicht darüber entscheiden, ob ein Kind eine gilt auch für das Thema Gebühren. Der Gesetzentwurf Kita besuchen kann oder halt auch nicht. Ihr Gesetz er- sah erst vor, dass wir den Ländern genau vorschreiben, möglicht aber – das vergessen Sie regelmäßig, in Ihren wie sie die Gebühren zu staffeln haben. Da bin ich der Reden zu sagen – auch die pauschale Beitragsfreiheit. Sie Meinung: Das bekommen die Kommunen und die Län- wollen auch diejenigen von Beiträgen befreien, die das der schon ganz gut selbst hin. Deshalb haben wir diese gar nicht nötig haben, und dann fehlt beispielsweise das Passage aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Die Länder Geld für mehr Sprachförderung oder für einen vernünfti- und Kommunen können selbst entscheiden, wie sie eine gen Fachkraft-Kind-Schlüssel. soziale Staffelung vornehmen. Das Einzige, was wir ver- langen, ist, dass diejenigen mit ganz geringem Einkom- (Beifall bei der FDP) men nicht mit Gebühren belastet werden. Ich glaube, das Das sind aber fundamentale Aspekte, um die Qualität tat- ist auch sachgerecht. Alles andere kann so entschieden sächlich im Sinne unserer Kinder zu erhöhen. Sie stellen werden, wie es für die individuelle Situation vor Ort am hier die falschen Weichen. – Verpasste Chance. besten passt. Sehr geehrte Frau Ministerin, es versteht wirklich (Beifall bei der CDU/CSU) jeder, dass eine nachhaltige und langfristige Qualitäts- Mit den Geldern des Bundes können auch Gebüh- steigerung nur dann möglich ist, wenn man sich auf eine ren reduziert werden; auch das haben wir vorgeschrie- dauerhafte Finanzierung verlassen kann. Ihr Gesetzent- ben, und auch das gehört zur Wahlfreiheit der Länder. wurf sieht aber nur eine Anschubfinanzierung bis 2022 Es gibt Länder – mein eigenes gehört dazu –, in denen vor . Trotz aller Kritik haben Sie hieran nichts verändert, die Gebühren sehr, sehr hoch sind. Es stellt eine enor- auch wenn Sie das gerade wieder ein wenig schwammig me Belastung für Familien dar, wenn sie mehrere Kin- dargestellt haben. Es steht nicht im Gesetz. Es ist eine der zeitgleich in der Krippe oder im Kindergarten haben. Ankündigung, die aber nirgendwo verbindlich niederge- Das sind schon hohe Beträge – fast im vierstelligen Be- legt ist. reich –, die da bei mehreren Kindern zusammenkommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) Deshalb sagen wir als Union: Es ist richtig, dass Eltern des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) hier entlastet werden. Das darf aber nicht auf Kosten der Qualität gehen. Deshalb frage ich Sie auch ganz konkret: Wie sollen vor Ort mehr Fachkräfte eingestellt werden, wenn die Wir appellieren an die Verantwortlichen in den Län- Stellen nur für vier Jahre finanziert sind? dern und setzen auf die Vernunft, dass alle Länder ein gu- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: tes Gleichgewicht zwischen einer guten, angemessenen Genau!) Gebührenbefreiung und einer guten Qualitätsentwick- lung finden. Denn eine gute Kita liegt uns am Herzen. Sollen die Erzieherinnen und Erzieher dann wieder ent- Kinder sind die Zukunft. Wir wollen die Einzigartigkeit lassen werden? Ist das das Ziel der Bundesregierung? und Individualität jedes einzelnen Kindes fördern, und dazu gehört eben eine gute Qualität in den Kindertages- (Beifall bei der FDP) einrichtungen. Dafür setzen wir uns ein, und dafür sind Ich will Ihnen sagen, was passiert: Fast niemand wird die 5,5 Milliarden Euro, die wir jetzt als Bund investie- zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher einstellen. Wir ren, wirklich gut angelegt. alle wissen aber, dass das genau der sicherste Weg wäre, um mehr Qualität in der Kita sicherzustellen. – Verpasste (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Chance. ordneten der SPD) (Beifall bei der FDP) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Union Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Matthias und der SPD, wie kann es eigentlich sein, dass man sel- Seestern-­Pauly, FDP. ber eine Anhörung zu einem Gesetzesvorhaben beantragt und anschließend alle – wirklich alle – wesentlichen Ver- (Beifall bei der FDP) besserungsvorschläge der Sachverständigen in den Wind schlägt? – Verpasste Chance. Matthias Seestern-Pauly (FDP): Für mich persönlich ist es in diesem Zusammenhang Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten schon erstaunlich, dass die Union dieses Schauspiel mit- Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Giffey! macht oder mitmachen muss. Erst am 22. November Wir alle sind gemeinsam angetreten, um die Qualität in 2018, also vor gut drei Wochen, haben noch alle Redner unseren Kitas zu erhöhen und um mehr Chancen für alle der Union hier im Hause den vorliegenden Gesetzent- Kinder zu ermöglichen. Das nun vorliegende Resultat wurf offen kritisiert. Sie alle haben unmissverständlich 8444 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Matthias Seestern-Pauly (A) deutlich gemacht, dass eine pauschale Beitragsfreiheit Kitaqualität einsteige; das hätten wir als Linke auch im- (C) auf Kosten der Qualität mit Ihnen nicht zu machen sei; mer gefordert. genau dasselbe hat Frau Schön gerade wiederholt. Was aber ist das Resultat dieser vollmundigen Ankündigun- ( [SPD]: Das merken wir uns, gen? Welche wesentlichen Änderungen wurden von der Herr Müller! – Katja Mast [SPD]: Ja! Das Union in den letzten Wochen durchgesetzt? Keine. Es macht man nicht!) wurde rein gar nichts von Ihren Ankündigungen umge- Okay, Sönke, du hattest recht. Das finden wir im Grund- setzt. Sie sind leider – und das sage ich an dieser Stelle satz natürlich gut – richtig –, aber es war eben auch über- ohne jegliche Häme – auf voller Linie eingeknickt. – Ver- fällig. passte Chance. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Albrecht Ich habe zwei Söhne und hatte das Glück, bei beiden Glaser [AfD]) dabei sein zu können, als sie ihre ersten Schritte gingen – etwas tapsig, etwas unsicher, aber immerhin die ersten Das alles lässt im Endeffekt nur einen einzigen Schluss Schritte. Dann freut man sich bei beiden Kindern, dass zu: Es geht bei diesem Gesetzentwurf schon lange nicht sie diese ersten Schritte gehen, dass sie laufen lernen, mehr um die Sache. Es geht vielmehr darum, dass die dass sie sich selbst über diese ersten Schritte freuen; aber Ministerin ihr Gesicht wahren kann. Es geht vielmehr da- die führen eben nicht weit, und sie landen schnell auf rum, dass diese Regierung eine 5,5 Milliarden Euro teure dem harten Boden der Realität. Genau so ist dies eben Trophäe vorzeigen kann, um vermeintliche Handlungsfä- auch mit dem Kitagesetz. Zwar werden 5,5 Milliarden higkeit vorzugaukeln. Dies alles geht aber auf Kosten der Euro für vier Jahre zur Verfügung gestellt; aber 2022 ist Eltern, es geht auf Kosten der Erzieherinnen und Erzie- erst einmal Schluss. her, vor allem aber auf Kosten unserer Kinder. Die Länder können aus einem großen Strauß Maß- (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: nahmen zur Verbesserung der Kitaqualität wählen, in die Quatsch!) sie das Geld stecken möchten. Sie können das Geld aber eben auch in Beitragsfreiheit stecken. Da sage ich: Wir Deshalb liegt uns auch heute kein Gute-Kita-Gesetz als Linke sind sehr dafür, dass der Besuch einer Kita oder zur Beschlussfassung vor, sondern ein Verpasste-Chan- die Betreuung durch Tagespflegepersonen Eltern nichts cen-Gesetz, und einem Verpasste-Chancen-Gesetz stim- extra kosten darf und dies steuerfinanziert sein muss. Das men wir als Freie Demokraten nicht zu. sind Einrichtungen der frühkindlichen Bildung, und wir sagen als Linke: Bildung darf nichts kosten. (B) Danke schön. (D) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. [AfD]) Aber ich finde: Es ist eben auch eine soziale Frage und auch eine Gerechtigkeitsfrage. Elternbeiträge sind ja des- wegen in allen Bundesländern so umkämpft – viele Län- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: der haben bereits Maßnahmen zur Elternbeitragsfreiheit Norbert Müller, Die Linke, ist der nächste Redner. eingeleitet –, weil viele Eltern eben einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens für die Kitaplätze ihrer Kinder (Beifall bei der LINKEN) abdrücken müssen. Aber wir sagen auch: Wir dürfen die Frage der Beitragsfreiheit eben nicht gegen mehr Quali- tät in Kitas ausspielen. Genau das tut die Koalition aber Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): mit diesem Gesetzentwurf. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Herren! Wir diskutieren heute vorläufig abschließend SES 90/DIE GRÜNEN) den Einstieg des Bundes in die Finanzierung von Quali- tät in Kindertagesstätten: „abschließend“, weil damit ab Wer einen Gesetzentwurf schreibt, in dem alles steht, Januar 2019 erstmals 500 Millionen Euro an die Länder was man bei der Qualität verbessern könnte, was man sich für Qualitätsverbesserung fließen können; „vorläufig“, wünschen könnte und was auch gut wäre, und gleichzei- weil dieser Gesetzentwurf dermaßen ungenügend – der tig die Mittel für Beitragsfreiheit freigibt, dann aber nur Kollege Seestern-Pauly hat bereits viel dazu gesagt – und 5,5 Milliarden Euro für insgesamt vier Jahre einstellt und schlecht ist, dass das hier eben heute nicht das Ende der sagt: „Nach vier Jahren ist Schluss“, die insgesamt für Geschichte sein wird. gar nichts davon reichen, der legt es darauf an, dass am Ende auf dem Rücken von Eltern, Mitarbeiterinnen und Die Parlamentarische Staatssekretärin – Mitarbeitern Beitragsfreiheit und Qualität gegeneinander ich hoffe, Sie verzeihen mir das – bat mich, doch viel- ausgespielt werden. Das lehnen wir ab. leicht etwas Freundliches zum Gesetzentwurf zu sagen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Weil mir so recht nichts einfiel, bin ich zum Kollegen Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Sönke Rix – auch von der SPD-Fraktion – gegangen und GRÜNEN]) habe gefragt, was ich da sagen könne. Der Kollege Rix meinte, als Linker könne man doch wohl loben, dass der Dass Sie dann auch noch die im Entwurf vorgesehene Bund nun endlich überhaupt in die Finanzierung von verpflichtende Sozialstaffelung der Elternbeiträge wie- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8445

Norbert Müller (Potsdam) (A) der kassiert haben und auf den jetzigen Zustand einer Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): (C) Kannregelung zurückführen, setzt dem Ganzen, wie ich Herr Präsident, ich habe es auch so verstanden. – Ich finde, noch die Krone auf. möchte Ihnen dazu zwei Sachen sagen. Erstens. Thürin- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gen ist eines der Länder mit der schlechtesten Betreuungs- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) relation und dem schlechtesten Fachkraft-Kind-Schlüs- sel. Das wird seit vier Jahren verbessert, seitdem Die Im Ergebnis setzen mindestens 10 von 16 Bundeslän- Linke die Landesregierung in Thüringen führt. dern die Gelder aus dem Kitagesetz teilweise oder voll- ständig für Beitragsfreiheit ein. (Beifall bei der LINKEN) Und dass Thüringen gerade im Bereich der Drei- bis Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sechsjährigen einen der schlechtesten Betreuungsschlüs- Herr Kollege Müller, würden Sie eine Zwischenfrage sel bundesweit hat, lag an der CDU, die dort mehr als des Herrn Kollegen Weiler gestatten? 24 Jahre regiert hat und dafür gesorgt hat, dass dieser Schlüssel so schlecht war.

Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Von wem? neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Ich habe gesagt: Ja, es ist richtig, dass es Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: auch um Beitragsfreiheit geht. Aber wir als Linke sagen: Von Herrn Kollege Weiler, CDU/CSU. Das muss der Bund auch angemessen mitfinanzieren. Das gehört zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhält- nisse, genauso wie Kitaqualität. Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Ja, bitte. (Beifall bei der LINKEN) Es ist doch zynisch, zu sagen, dass gerade die Länder Albert H. Weiler (CDU/CSU): mit der höchsten Betreuungsrelation, wo also die meisten Lieber Herr Kollege Müller, Sie reden mir eigentlich Kinder in Betreuung sind, das aus der Portokasse zahlen aus dem Herzen. Eltern müssen entlastet werden. Genau sollen. Sie wissen: Thüringen, Brandenburg, Sachsen, das wollen wir tun. Ich nenne Ihnen aber ein Beispiel da- Sachsen-Anhalt und Berlin können das gar nicht. Natür- für, dass die Dinge, die Sie vortragen, etwas doppelzün- lich brauchen wir eine deutliche Hilfe des Bundes. Ich gig sind. sage noch einmal: 5,5 Milliarden Euro für Beitragsfrei- (B) heit und Qualitätsverbesserung kann ein minimaler, ein (D) Ich komme aus dem Bundesland Thüringen, wo ich sehr, sehr kleiner Anfang sein; aber damit kommen wir seit über 14 Jahren Bürgermeister bin. Ich hatte in der nicht sehr weit. letzten Woche eine unschöne Aufgabe zu erledigen. Ich (Beifall bei der LINKEN) sage Ihnen kurz den Hintergrund: Die Landesregierung hat beschlossen, dass der Kitabesuch ein Jahr lang ge- 10 von 16 Bundesländern werden die Mittel also über- bührenfrei ist, erstattet den Kommunen aber nur 70 Pro- wiegend oder vollständig für Beitragsfreiheit investie- zent der Kosten. Das heißt, die Kommunen – auch ich ren. Das ist wegen der Befristung auch verständlich. Der als Bürgermeister – müssen sehen, wie wir das fehlen- Kollege Seestern-Pauly hat das bereits begründet; dem de Geld auftreiben. Die Landesregierung finanziert die möchte ich mich anschließen. Im Kitabereich bedeutet Beitragsfreiheit nur zu 70 Prozent. Das heißt, ich muss Investition in Qualität Investition in Personal. Man kann den Eltern sagen, dass sie 50 Euro pro Monat mehr zah- natürlich in Räumlichkeiten oder in Mittagessen und len müssen, sodass wir einigermaßen über die Runden Frühstück investieren – das alles ist auch gut –, aber ent- kommen. Mit den 50 Euro ist es noch nicht getan. Das scheidend ist: Wir brauchen mehr Personal für kleinere heißt, die Gemeinde muss noch mehr Geld in die Hand Gruppen, Weiterbildung, Fachberatung und Supervision. nehmen, um die Differenz auszugleichen. Also, das kann Wer soll denn jetzt für maximal vier Jahre Personal ein- es nicht sein. stellen? Das ist weder verlässlich noch planungssicher. Ich bitte Sie, Ihre schönen Worte auch an die Lan- (Beifall bei der LINKEN) desregierung in Thüringen zu richten und darauf hinzu- weisen, dass die Länder, wenn sie die Beitragsfreiheit Um ehrlich zu sein, ich verstehe das auch nicht. Die eigenverantwortlich umsetzen, das Geld, das wir vom komplette Fachwelt ist für die Entfristung des Geset- Bund jetzt vermehrt an die Länder geben wollen, auch zes. Der Bundesrat hat das gefordert. Die demokratische an die Kommunen weitergeben; denn sonst können wir Opposition aus FDP, Linken und Grünen hat sich dafür die Rahmenbedingungen nicht schaffen und die notwen- ausgesprochen. Sogar die Ministerin Giffey hat das ge- digen Investitionen für gute Kindergärten nicht tätigen. fordert. Der Kollege Rix von der SPD und auch die Fach- politiker, zum Beispiel Herr Beermann von der CDU/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) CSU – wo ist er eigentlich? –, haben das im Plenum verlangt. Wie kann es sein, dass das, wenn sich alle rele- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: vanten Akteure gegen die Befristung der Mittel bis 2022 aussprechen, trotzdem immer noch im Gesetz steht? Herr Kollege Weiler, Zwischenfragen sollen Zwi- schenfragen bleiben. (Beifall bei der LINKEN) 8446 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Norbert Müller (Potsdam) (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und sind wir allen Kindern, ihren Familien, den Erzieherin- (C) SPD, stehen Sie zu Ihrem Wort! Die Befristung muss nen und Erziehern in den Kitas schuldig. Die Linke wird fallen. hier nicht nachlassen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Aber vielleicht hilft ja heute Nachmittag der Bun- desrat, Frau Ministerin. Die Bundesländer Brandenburg Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: und Saarland – Frau Schön, unsere beiden wunderschö- Herr Kollege Müller, da Sie hier liebenswürdiger- nen Bundesländer – haben vor wenigen Minuten einen weise Anträge, die im Bundesrat eingebracht werden, Entschließungsantrag im Bundesrat für den Fall der An- vorgetragen haben, möchte ich die Anregung geben: Es nahme des Gute-Kita-Gesetzes eingebracht. Ich möchte gibt hier eine Bundesratsbank. Wenn die Länder uns im zitieren, da ich diesen Antrag ausgezeichnet finde: Bundestag Mitteilungen machen wollen, haben sie dazu Gelegenheit. Die aktuell vorgesehene befristete Unterstützung bis zum Jahr 2022 wird diesem Erfordernis nicht (Beifall bei der SPD und der LINKEN so- gerecht. Insofern bemängelt der Bundesrat, dass wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der das Gesetz eine Verstetigung zwar nicht ausschließt, FDP) aber auch nicht ausdrücklich vorsieht. Nächste Rednerin ist die Kollegin Annalena Baerbock, In dem Antrag heißt es weiter: Bündnis 90/Die Grünen. Gleichzeitig fordert der Bundesrat die Bundesre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gierung auf, die Bundesbeteiligung spätestens im Zusammenhang mit der Evaluation im Jahr 2020 zu Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verstetigen, um die dauerhafte Erreichung der mit NEN): dem Gesetz verfolgten Ziele nicht zu gefährden. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie- Ich hoffe, der Bundesrat nimmt den Entschließungsan- be Frau Ministerin, wir beraten heute abschließend über trag von Saarland und Brandenburg an. Dann haben zu- ein Gesetz, das im Titel „Qualität“ trägt, Qualität aber mindest die Kolleginnen und Kollegen der dortigen Lan- nur noch in homöopathischen Dosen verabreicht. Das desregierungen mehr Mut als die Koalition hier im Haus. ist nicht nur enttäuschend für dieses Hohe Haus, das ist nicht nur enttäuschend nach der Fachanhörung, die etli- (Beifall bei der LINKEN – Carsten Schneider che Kolleginnen und Kollegen hier schon angesprochen [Erfurt] [SPD]: Die zahlen das auch nicht! – (B) haben, wo sich alle Expertinnen und Experten dahin ge- (D) [CDU/CSU]: Das ist total hend geäußert haben, dass man diesem Gesetz nicht zu- mutig!) stimmen kann, weil keine Qualität mehr drinsteckt. Das Zu der für die Koalition sehr peinlichen Anhörung ist Schlimmste daran ist, dass es ein Schlag ins Gesicht für bereits viel gesagt worden. Grüne und Linke nehmen die 3,1 Millionen Kinder in Krippen und Kitas in diesem Anhörung im Familienausschuss sehr ernst. Deswegen Land ist. haben wir einen gemeinsamen Änderungsantrag gestellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wir wollen, dass es einen verbindlichen Personalschlüs- Sönke Rix [SPD]: Was ist das für eine Wort- sel für alle Kitas gibt. Auf vier Kinder unter drei Jahren wahl?) und auf acht Kinder zwischen drei und sechs Jahren soll jeweils eine Fachkraft kommen. Damit das umgesetzt – Ja, das ist eine harte Wortwahl, und die harte Wortwahl werden kann, schlagen wir eine lange Übergangsfrist wird jetzt weitergehen. vor. Die Koalition hatte leider keinen Mut, verbindliche Sie, liebe SPD, haben dieses Gesetz groß angekündigt. Standards wenigstens bei der Anzahl von Kindern pro Familienministerin Schwesig hat gesagt: Wir brauchen Erzieherin oder Erzieher festzulegen. Das ist sehr, sehr ein Kitaqualitätsgesetz. Sie haben mit den Ländern ge- schade. Die Grünen haben einen eigenen Antrag für ein meinsam Qualitätsstandards vereinbart. Frau Barley hat Kitaqualitätsgesetz vorgelegt, die FDP einen Entschlie- als Nachfolgerin gesagt – ich zitiere –: „Ich werde mich ßungsantrag. Bei beiden werden wir uns enthalten. Das für mehr Qualität in der Kindertagesbetreuung einset- Gesetz selbst lehnen wir aus den genannten Gründen ab. zen.“ Wir hatten dazu dann eine Fachanhörung, in der Sehr geehrter Herr Präsident, ich komme zum Ende. – von allen Expertinnen und Experten deutlich gemacht Vor fünf Jahren haben sich der Verband Katholischer wurde – auch von denjenigen, die Sie eingeladen ha- Tageseinrichtungen für Kinder, die Arbeiterwohlfahrt, ben –, dass der Fachkraft-Kind-Schlüssel entscheidend Verdi, die GEW, aber eben auch Linke, SPD und Grüne für Qualität ist. Und der gehört verbindlich in ein Gesetz. auf den Weg zu einem Bundeskitaqualitätsgesetz bege- ben. Auch wenn die SPD den Weg jetzt verlassen hat und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) damit in eine Sackgasse Frau Schön hat noch einmal sehr schön vorgetragen, (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das müssen Sie was es bedeutet, einen vernünftigen Schlüssel zu haben: erklären! Das verstehen wir nicht!) dass sich Erzieherinnen und Erzieher auch um die Kinder kümmern können. Das bedeutet, dass der Schlüssel für gelaufen ist: Der Kampf um bundesweit verlässliche unter Dreijährige so sein muss: eine Erzieherin auf vier Standards in der frühkindlichen Bildung geht weiter. Das Kinder . Bei über Dreijährigen bedeutet dieser Schlüssel, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8447

Annalena Baerbock (A) dass eine Erzieherin auf neun Kinder kommt. Das ist in der Einführung einer pauschalen Beitragsfreiheit mit die- (C) Deutschland nicht der Fall. Und das ist vor allen Dingen sem Gesetz. an den Orten nicht der Fall, wo vor allem sozial schwa- che Familien leben. Diese Familien haben große Hoff- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nungen in dieses Gesetz gesetzt, liebe SPD. Deswegen Frau Giffey, Sie sagen, Sie würden Qualitätsstandards können Sie hier vor Empörung so laut schreien, gerne einführen, Sie hätten das gerne in das Gesetz ge- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Es schreit nommen, aber die Zeit sei noch nicht reif dafür. Was ist doch überhaupt keiner!) das denn für ein Verständnis von Regierungsverantwor- tung? wie Sie wollen: Sie enttäuschen diese Familien, weil Sie diesen Schlüssel nicht rechtsverbindlich ins Gesetz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schreiben. und bei der FDP) Das ist Ihre Verantwortung als Ministerin, liebe Frau Was ist das denn für eine Haltung als Ministerin, zu sa- Giffey. gen: „Eigentlich weiß ich, was richtig ist, eigentlich weiß ich, hier müssen Qualitätsstandards her, aber die Zeit ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) noch nicht reif; wir warten einfach mal ab“? Sie haben 5,5 Milliarden Euro zu verantworten, die Sie Irgendwann sind die Kinder aus der Kita raus. Das be- nicht an die Kinder auszahlen. Man muss sich schon die deutet, dass man sich jetzt um die Kinder, um die man Frage stellen, ob es eine Korrelation gibt. Mit jedem sich besonders kümmern muss, die morgens getröstet Punkt, den die SPD in Umfragen verloren hat, ist mehr werden müssen, die eine Ansprache brauchen, zu denen Qualität aus diesem Gesetz geflogen. Stattdessen hat man auch mal hingehen muss, für die man als Erzieherin man die Beitragsfreiheit immer mehr in dieses Gesetz hi- oder als Erzieher auch mal Zeit braucht, weil sie immer neingenommen, und zwar als pauschale Beitragsfreiheit. still in der Ecke sitzen – Sie wissen das aufgrund Ihrer Was bedeutet das? Das bedeutet, dass der Punkt, vor Erfahrung ja ganz genau –, nicht so gut kümmern kann. allem Familien mit schwachem Einkommen entlasten zu Das bedeutet, dass für die Kinder, die jetzt in der Kita wollen, in diesem Gesetz eigentlich gar keine Rolle mehr sind, das Thema durch ist. spielt. Das bedeutet noch eines; das möchte ich mit Blick auf (Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: die Fachkraftoffensive unterstreichen. Die Erzieherin- Natürlich! Die Geringverdiener zahlen keine nen und Erzieher sind diejenigen, die gesagt haben: Wir Beiträge mehr!) brauchen einen guten Fachkraft-Kind-Schlüssel, damit (B) wir unsere Arbeit gut machen können. – Warum finden (D) Das wird daran deutlich, dass Sie in allerletzter Minu- wir keine Erzieherinnen und Erzieher mehr? Weil viele te – das wurde von Ihnen eben ja sogar gesagt – die so- nach ein paar Jahren sagen: Ich bin ausgebrannt, ich gehe ziale Staffelung bei der Beitragsfreiheit als verbindliche aus diesem Job raus, ich habe keine Zeit für Planung, ich Vorgabe herausgenommen haben. Das ist zutiefst sozial habe keine Zeit für Elterngespräche. – Das kennen wir ungerecht, liebe Kolleginnen und Kollegen. doch alles aus der Pflege. Wir dürfen doch diesen Fehler (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht noch einmal machen. und bei der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage das an dieser Stelle so hart, weil das nicht nur Sie müssen dieses Geld vor allen Dingen im Sinne der mich als Abgeordnete betrifft, weil das nicht nur uns als 600 000 Erzieherinnen und Erzieher einsetzen. Die brau- Parlamentarier betrifft, die wir das hier zu verantworten chen einen verbindlichen Fachkraft-Kind-Schlüssel, und haben, sie brauchen eine Entfristung. Ich hoffe sehr, dass das (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: In wie vie- im Bundesrat jetzt durchkommt. Diese Forderungen ste- len Ländern regieren die Grünen eigentlich hen auch in unserem Änderungsantrag. Es kommt nicht mit? Ist das eine Landesaufgabe, oder nicht? oft vor, dass Linke und Grüne einen gemeinsamen Än- Was machen Sie denn da? Schlanker Fuß!) derungsantrag – und die FDP einen entsprechenden Ent- schließungsantrag – einbringen. sondern weil wir Hunderte, Tausende von E‑Mails und anderen Rückmeldungen bekommen haben, gerade aus (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl den Kitas, gerade von den Fachkräften, die verzweifelt wahr!) darum gerungen haben, dass sie an dieser Stelle endlich mehr Qualität in die Kitas bekommen. Und ich sage das Es geht um einen verbindlichen Fachkraft-Kind-Schlüs- so hart, weil Sie genau wissen, was Sie tun. Das ist ja das sel und eine Entfristung der Gelder. Wer stellt denn zu- Schlimme. Sie wissen genau, dass mit einer pauschalen sätzlich Erzieherinnen und Erzieher ein, wenn er sagen Beitragsfreiheit eben nicht eine soziale Entlastung ein- muss: „In fünf Jahren ist das Geld nicht mehr da, weil das hergeht. Sie wissen genau, was Sie tun; denn Geringver- Geld nur bis 2022 eingestellt ist“? diener in ganz vielen Bundesländern und Kommunen (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Die Länder!) sind schon freigestellt. Sie wissen genau, dass Sie mit der Beitragsfreiheit am Ende dafür sorgen, dass dies ein Sie können da nicht sagen: Ich gebe Ihnen mein Wort, Gesetz für Gutverdiener wird. Das ist das Schlimme an danach wird das weiterfinanziert. – Es kommt darauf an, 8448 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Annalena Baerbock (A) dass dieses Geld im Bundeshaushalt eingestellt wird und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) endlich entfristet wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. Frau Kollegin Mast, gestatten Sie eine Zwischenfrage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- KEN) Katja Mast (SPD): Sehr gerne. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Frau Kollegin Baerbock, achten Sie bitte darauf, dass Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ihre Redezeit abgelaufen ist. NEN): Frau Kollegin Mast, es ist sehr schön, dass Sie Ba- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den-Württemberg hier erwähnen. Ich frage Sie: Ist Ihnen NEN): bekannt, dass Baden-Württemberg hinsichtlich des Be- Herr Präsident, ich komme zum Ende. – Ja, das wa- treuungsschlüssels in den Kitas bundesweit am allerbes- ren deutliche Worte. Ja, das ist etwas, was man hier zur ten dasteht? Denken Sie nicht auch, dass das in Zusam- Sprache bringen muss, weil wir jetzt über diesen Gesetz- menhang damit steht, dass man die erste Priorität auf die entwurf abstimmen. Wir stimmen jetzt darüber ab, ob Qualität setzt? Das ist doch das, was die Eltern umtreibt: 5,5 Milliarden Euro zum Wohle der Kinder in diesem dass es den Kindern in der Kita vor allem gut geht, dass Land und zum Wohle der Erzieherinnen und Erzieher es ausreichend Erzieherinnen und Erzieher gibt, die sich eingesetzt werden oder ob sie mit der Gießkanne verteilt wirklich um das einzelne Kind kümmern können, und werden, was wir verhindern wollen. Geben Sie sich ei- dass man vor allem diejenigen Familien entlasten muss, nen Ruck, und stimmen Sie den Anträgen der demokrati- die sich die Kita nicht leisten können. Zum Beispiel in schen Opposition heute hier im Hohen Haus zu. Stuttgart wurden die Gebühren für Familien mit gerin- gem Einkommen gesenkt. Halten Sie es in diesem Rah- Vielen Dank. men wirklich für zielführend, die beitragsfreien Kitas ins Schaufenster zu stellen, auch wenn am Ende die Qualität (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wieder leiden wird? bei der FDP und der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Katja Mast, SPD, ist die nächste Rednerin. (B) Katja Mast (SPD): (D) (Beifall bei der SPD) Zuerst einmal geht es mir um mehr Qualität und we- Gebühren. Katja Mast (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Der Gesetzentwurf, über den wir heute abschließend Sie hier auf den Zuschauertribünen zuschauen oder an diskutieren, nimmt Bezug auf einen vierjährigen Dialog- den Bildschirmen die Debatte verfolgen! Meine Vorred- prozess mit den Ländern, mit den Vertretern der kom- nerin hat gesagt: 5,5 Milliarden Euro für Kinder, Famili- munalen Spitzenverbände, aber vor allen Dingen mit en und Erzieherinnen und Erzieher sind ein „Schlag ins vielen Betroffenen, mit Expertinnen und Experten und Gesicht“ der Betroffenen. Vertretern der Wissenschaft, der zu Eckpunkten für ein Kitaqualitätsgesetz geführt hat. Das ist verabschiedet (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Das ist eine Be- worden von der Jugend- und Familienministerkonferenz leidigung! – Ulli Nissen [SPD]: Schäbig ist der Bundesländer, und wir haben im Koalitionsvertrag das!) darauf Bezug genommen. Das kann ich nicht teilen. Das ist eine Beleidigung des- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: sen, was wir hier heute tun. Nicht Bezug nehmen, sondern umsetzen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten In diesem Prozess war von Anfang an angelegt, dass die der CDU/CSU) Gebührenreduzierung – bis hin zur Gebührenfreiheit – ein wichtiger Teil der Kitaqualität ist. Frau Baerbock, wenn Sie das so empfinden, dann muss ich Sie verbessern. Schauen Sie doch nach Baden-Würt- (Beifall bei der SPD) temberg. Sorgen Sie in Baden-Württemberg dafür, dass das Geld, das dort ankommt, tatsächlich bei den Familien Wenn Sie mir das nicht glauben, empfehle ich Ihnen den ankommt, dass es in die Gebührenentlastung fließt, dass Zwischenbericht „Frühe Bildung weiterentwickeln und das Land sich weiterhin in diesem Bereich stark enga- finanziell sichern“, auf den sich auch die Jugend- und Fa- giert. Ich schaue mit großer Sorge dorthin. milienministerkonferenz bezieht, zu lesen. Dort steht auf Seite 11 unter der Überschrift „Handlungsziele“ als eines (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert der ersten Qualitätsziele „Hürden der Inanspruchnahme H. Weiler [CDU/CSU]) abbauen“ – ich kann es Ihnen gerne vorlesen –: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8449

Katja Mast (A) Eine wichtige Stellschraube sind Elternbeiträge: renz von vor anderthalb Jahren, zumal Sie weite Teile (C) Eine sozialverträgliche Gestaltung von Beiträgen davon gar nicht umgesetzt haben. bis hin zur Beitragsfreiheit kann die Nutzung außer- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- familiärer Betreuungsangebote ... fördern. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Alle Expertinnen und Experten, alle am Dialogprozess Katja Mast (SPD): Beteiligten wussten, dass das ein wichtiger Punkt ist. Lieber Herr Kollege, das war eine zweiteilige Frage. Lassen Sie mich zunächst auf den ersten Teil eingehen. (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Richtig!) In unserem Gesetzentwurf steht, dass wir eine dauerhaf- Auf den zweiten Teil Ihrer Frage – Baden-Württem- te und nachhaltige Finanzierung in der Kinderbetreuung berg – gehe ich mit Vergnügen ein, weil ich zu der Zeit, wollen. Wir haben im Koalitionsvertrag 3,5 Milliarden in der wir die Vorlagen gestaltet haben, Generalsekretärin Euro für das Gute-Kita-Gesetz vereinbart. Jetzt stehen der SPD Baden-Württemberg war. Ich durfte mitverant- für vier Jahre 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung, also worten, dass die Grunderwerbsteuer in Baden-Württem- 2 Milliarden Euro mehr. Wir werden als SPD in dieser berg erhöht wurde. Das war ein harter Schritt für viele Koalition weiterhin darauf dringen, dass die Mittel dau- Menschen, die Häuser bauen wollen, und das ist in Ba- erhaft fließen. Dieser Aspekt aus dem Beschluss der Ju- den-Württemberg noch immer ein Thema. Wir sind näm- gend- und Familienministerkonferenz, auf den wir uns lich Häuslebauerinnen und Häuslebauer. Aber wir waren im Übrigen im Koalitionsvertrag beziehen, ist für uns ein mutig und haben gesagt: Wir stecken das Geld eins zu ganz wichtiger Punkt. Wir wollen aber noch eine Weile eins in die Kitaqualität. Das trägt sozialdemokratische miteinander regieren und haben also Zeit, das hinzube- Handschrift, genau: die Handschrift von Andreas Stoch kommen. und Marion von Wartenberg. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ihr zweiter Punkt war, dass der Beschluss ein viel grö- ßeres Finanzvolumen hat. Das ist das, worauf wir uns in Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: der Koalition einigen konnten. In den Koalitionsverhand- lungen haben wir vereinbart, 45 Milliarden Euro in den Jetzt würde, Frau Kollegin Mast, auch noch der Kolle- prioritären Maßnahmen zu hinterlegen. Für uns von der ge Norbert Müller aus der Fraktion Die Linke eine Zwi- SPD war das Vorhaben, 3,5 Milliarden Euro für das Gu- schenfrage stellen. te-Kita-Gesetz aufzubringen, ein ganz zentraler Punkt für den Einstieg in diese Große Koalition. (B) Katja Mast (SPD): (D) Ich finde, dass es in der Debatte eine kleine Schiefla- Vielen Dank. Gerne. ge gibt. Die Mittel, die wir im Gesetzentwurf vorsehen, kommen zusätzlich zu den Mitteln der Länder. Es sind Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): die Länder und Kommunen, die für die Angebote der Ich freue mich auch immer über mehr Redezeit. Daher Kitas die Verantwortung tragen. Wir stellen zusätzliches gönne ich Ihnen das. – Vielen Dank, Herr Präsident, dass Geld für Kitas, für Kinder und für die Erzieherinnen und Sie die Frage zulassen. Erzieher zur Verfügung. Frau Kollegin Mast, ich würde zwei Fragen anschlie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ßen. Erstens. Sie haben ja gerade aus dem Zwischenbe- der CDU/CSU) richt vorgelesen. Warum haben Sie dann die verpflich- Lassen Sie mich in meiner Rede fortfahren. Mit dem tende Sozialstaffelung aus dem Gesetzentwurf per Gute-Kita-Gesetz machen wir einen großen Schritt nach Änderungsantrag wieder herausgestrichen? vorne: für mehr Qualität und weniger Gebühren, für gute (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) frühkindliche Bildung, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für bessere Arbeitsbedingungen für die Das ist überhaupt nicht zu erklären. Das haben Sie ja ge- Erzieherinnen und Erzieher in unserem Land. rade vorgetragen. (Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Zweitens. Die Jugend- und Familienministerkonfe- Super!) renz hat im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Kita- Das machen wir, weil wir der festen Überzeugung sind, qualitätsentwicklungsgesetzes, das damals sozusagen dass jedes Kind es packen muss. Das ist unsere Motiva- vereinbart wurde, Folgendes festgelegt: Wir gehen die- tion. sen Schritt nur – das war die Zusage des Bundes –, wenn es jährlich – jährlich! – 5 Milliarden Euro gibt und wenn Ich möchte auf die Gebührenfreiheit und auf die ver- wir die Beitragsfreiheit – das war das Versprechen von besserte Qualität, die im vorliegenden Gesetzentwurf Manuela Schwesig – mit jährlich nochmals 5 Milliarden verankert sind, eingehen. Im Gesetzentwurf sind viele Euro unterstützen. Das heißt, da ging es um 40 Milliar- Faktoren enthalten, die gute Qualität in der Kita ausma- den Euro in vier Jahren, nicht um 5,5 Milliarden Euro. chen: ein guter Betreuungsschlüssel, qualifizierte Fach- Das ist eine ganz andere Summe; es geht aber um das kräfte, eine starke Kitaleitung, bedarfsgerechter Ausbau, gleiche Gesetz. Daher können Sie sich nicht berufen auf Angebote zu Randzeiten und vieles mehr. Das ist der den Beschluss der Jugend- und Familienministerkonfe- Qualitätsaspekt. Zudem soll sichergestellt werden, dass 8450 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Katja Mast (A) der Besuch der Kita nicht an den Gebühren scheitern Anscheinend soll nun der Wunsch unseres derzeitigen (C) darf. Finanzministers in Erfüllung gehen. Das ist der Olaf Scholz, der seinerzeit äußerte, es sei unbedingt (Beifall bei der SPD) notwendig, die Lufthoheit über den Kinderbetten zu er- Deshalb wollen wir mit dem Gesetz nicht nur vorschrei- obern. Ich wollte Herrn Scholz schon immer fragen: Wa- ben – und das ist neu –, dass Eltern im Hartz‑IV-Bezug rum? Mit welchem Ziel? Ich meine, die Nationalsozialis- im Rechtskreis des SGB II von den Gebühren befreit ten wollten das, die SED wollte das, und ich bin sicher, werden. Vielmehr werden künftig alle Eltern, die Wohn- Kim Jong Un will das auch. Aber warum um Gottes wil- geld oder Kinderzuschlag beziehen, von den Kitagebüh- len wollen Sie das? ren befreit. Das ist eine riesige Unterstützung gerade für Familien, die Woche für Woche und Tag für Tag jeden (Beifall bei der AfD) Euro umdrehen müssen. Aber damit nicht genug. Wir erziehen die Eltern gleich (Ulli Nissen [SPD]: Da können wir nur Dan- mit. „Wie denn das?“, fragen die Unaufgeklärten. Dazu ke sagen!) hat unsere Frau Familienministerin seit Neuem eigene Pläne in der Schublade, nämlich eine Handreichung für Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne. das Kitapersonal zum Ausspionieren nicht systemkonfor- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Silke mer Eltern. „Ene, mene, muh“ heißt dieses Meisterwerk, Launert [CDU/CSU]) selbstverständlich steuergeldfinanziert, mit Vorwort und Empfehlung unserer Familienministerin. Wir von der SPD finden auch, dass die Erhebung von Gebühren nicht davon abhängen darf, ob die Eltern Ärz- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Wer tinnen und Ärzte, Krankenpfleger oder Busfahrer sind. hat sich denn Lehrerpranger ausgedacht?) Alle Eltern sollen langfristig von den Gebühren befreit werden. Deswegen gehen wir einen mutigen Schritt nach Es klärt auf, wie man latent rechtsradikale Eltern er- vorne. kennen kann. Tragen Mädchen Zöpfe? – Sehr verdäch- tig! Werden sie zu Hausarbeiten angehalten? – Ein ganz (Beifall bei der SPD) klarer Hinweis! Hat man es mit Jungs zu tun, die viel Zusammenfassend will ich sagen: mehr Qualität, we- Sport treiben? – Ja, dann sind die Eltern sicherlich völ- niger Gebühren. Das ist das Ergebnis eines langen Pro- kisch geprägt zesses mit den Ländern gemeinsam. Das war für uns ein (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was für ganz wichtiger Grund, in die Koalition einzusteigen. Wir ein Blödsinn!) machen das, um Kinder, ihre Familien und Erzieherinnen (B) (D) und Erzieher zu entlasten, damit es jedes Kind packt. und sollten vom gut geschulten Kitapersonal möglichst Ich wünsche Ihnen allen frohe und besinnliche Weih- schnell zum Verhör einbestellt werden. nachten. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam über die (Beifall bei der AfD) Punkte reflektieren, die uns einen, und weniger über die, die uns trennen, vor allen Dingen über jene, die dieses Wer denkt sich so etwas aus? Für so etwas kommen na- Land zusammenhalten. türlich nur die Besten der Besten infrage. Wir holen uns Vielen Dank. ja immer die Besten. Messerfachkräfte holen wir uns aus Nordafrika. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schä- men Sie sich! Immer diese Hetze! Lassen Sie es sein! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: DIE GRÜNEN]: Was für eine Hetze!) Nächster Redner ist der Kollege Thomas Ehrhorn, AfD. Aber wenn es um das Aushorchen von Kindern geht, (Beifall bei der AfD) kommt nur eine einzige Person infrage: Anetta Kahane, selbst lange Zeit Stasispitzel,

Thomas Ehrhorn (AfD): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel des wollen Lehrer bespitzeln lassen! Sie fördern sogenannten Gute-Kita-Gesetzes soll es sein, für alle Duckmäusertum!) Kinder einen gleichwertigen Zugang zur frühkindlichen Bildung, zu Erziehung und Betreuung sicherzustellen. Es bekannt unter dem Namen IM Victoria, und heute – rich- geht also nicht nur um Betreuung. Nein, es geht auch um tig! – Vorstandsvorsitzende der roten Amadeu-Antonio-­ die Erziehung unserer Kinder, die Erziehung, die nach Stiftung. Meinung besonders rückständiger Bürger, jedenfalls in (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einer freien Gesellschaft, das natürliche Recht der Eltern NEN]: Haben Sie gerade „Messerfachkräfte“ ist. Und wissen Sie was? Es spricht einiges dafür, dass gesagt? Wie ekelhaft!) die Leute, die diese Meinung teilen, gar nicht so falsch liegen; denn genauso steht es in Artikel 6 unseres Grund- Aber Sie haben recht: Wenn man eine Sekretärin für Agi- gesetzes. tation und Propaganda des FDJ-Führungskaders in der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8451

Thomas Ehrhorn (A) Regierungsspitze hat, dann kommt es darauf vielleicht Das heißt, es ist hier eine gewisse Neutralität gefordert. (C) auch nicht mehr an. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann NEN]: Fehlt nur noch der Aluhut!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wes Geistes Es hat Zeiten gegeben, da waren die Lehrkräfte diesem Kind ...!) Neutralitätsgebot auch verpflichtet und haben sich ent- Dennoch sollte uns vieles, was wir zurzeit erleben, sprechend verhalten. ein wenig nachdenklich machen: ob es um die Ein- (Katja Mast [SPD]: Es geht um das Kinds- schränkung der Meinungsfreiheit durch das Netzwerk- wohl, nicht um Umerziehung!) durchsetzungsgesetz geht, die staatliche Kontrolle der Rundfunkanstalten oder um die Entsorgung eines hohen Leider sind diese Zeiten aber lange Vergangenheit. Staatsbeamten, der Falschbehauptungen, ja, man könnte (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch sagen Propagandalügen, widerspricht. Nun soll es NEN]: Wer hat Ihnen so was erzählt?) also die geplante Bespitzelung von Eltern geben, initiiert durch frühere Stasimitarbeiter. Deswegen ist es nur recht und billig, dass besonders gra- vierende Verstöße hier gemeldet werden. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Fühlen Sie sich eigentlich verfolgt?) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Denunziert werden!) Eines ist jedenfalls sicher: Den Bürgern aus den neuen Denn Lehrpersonal, das seine Funktion als Umerzie- Bundesländern kommen diese Verhaltensmuster mehr als hungsinstrument missbraucht, bekannt vor. (Sönke Rix [SPD]: Unerträglich!) (Beifall bei der AfD – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Reden Sie doch endlich mal zum Ge- gehört nicht in deutsche Schulen. setz!) Vielen Dank. Viele von ihnen haben seinerzeit alles riskiert und einge- (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald setzt, um genau das hinter sich zu lassen. [DIE LINKE]: Unglaublich! Schlimmer geht’s nimmer!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Herr Kollege Ehrhorn, die Kollegin Dr. Christmann Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (B) würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Jetzt hat das Wort der Kollege Marcus Weinberg, (D) CDU/CSU. Thomas Ehrhorn (AfD): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, bitte. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und NEN): Kollegen! Wir führen hier eine der wichtigsten Debatten für uns und, ich glaube, auch das ganze Land in der Fa- Weil Sie die ganze Zeit von Bespitzelung sprechen, milienpolitik mit der Fragestellung: Wie können wir et- möchte ich Sie fragen, wie Sie die Initiativen Ihrer Par- was für die Familien, für die Kinder tun, wie können wir teikollegen bewerten, die fordern, eigene Foren zu er- uns darum bemühen, dass die Kinder von Nadine Schön öffnen, in denen Schülerinnen und Schüler ihre Lehrer nach dem Frühstück jetzt eine gute Betreuung haben? denunzieren sollen, um die politischen Einstellungen der Lehrer zu kontrollieren. Wie sehen Sie das mit dem Er- Ich muss ehrlich sagen: Ich bin entsetzt und angewi- ziehungsauftrag der Schulen vereinbar, dass Schülerin- dert, dass Sie immer wieder mit Ihren Wortmeldungen nen und Schüler angehalten werden, Informationen über diese gute Debatte unterbrechen. Ich muss ganz ehrlich ihre Lehrer herauszugeben, und damit die Bespitzelung sagen: Das geht komplett am Ziel vorbei, und das ärgert als Grundhaltung in die Schule hineintragen. Wie stehen mich. Sie dazu? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. SES 90/DIE GRÜNEN) Nadine Schön [CDU/CSU]) Denn wir reden hier sehr intensiv und sehr strittig darü- ber, was wir tun können. Da gibt es verschiedene Ansätze Thomas Ehrhorn (AfD): und verschiedene Konzepte. Wir als Union werden heute Liebe Frau Kollegin, ich bin Ihnen geradezu dankbar dem Gesetz zustimmen. Wir – und Sie – wissen, dass wir für diese Frage. Ich werde Ihnen erklären, warum. Ihnen uns das nicht leicht gemacht haben, weil wir bei diesem ist wahrscheinlich bekannt, dass das Lehrpersonal einen Thema lange diskutieren und weil wir abwägen müssen: Bildungsauftrag, aber keinen Umerziehungsauftrag hat. Was wäre die Konsequenz, wenn wir nicht zustimmten, und wo können wir unsere Erwartungshaltung auch tat- (Beifall bei der AfD) sächlich mit den Erwartungshaltungen in der Koalition 8452 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) und auch mit den Erwartungshaltungen der Länder in zufälligerweise zwei Länder, in denen die Grünen mit- (C) Übereinstimmung bringen? regieren, nämlich Berlin und Hamburg. Sie hatten mit- beschlossen, dass die Kitas in Berlin beitragsfrei wur- Warum stimmen wir heute zu? den. Die Konsequenz war, dass der Betreuungsschlüssel Erstens: weil wir es mit dem Gesetz schaffen, dass schlechter geworden ist, und die Konsequenz war, dass wir in weiten Teilen Qualitätsverbesserungen im ganzen mittlerweile 2 000 Fachkräfte, Erzieherinnen und Erzie- Land hinbekommen. her fehlen. Zweitens: weil Geringverdiener – Frau Baerbock, die (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Die haben Sie vorhin angesprochen – von den Beiträgen ent- fehlen in Berlin, weil sie kein Personal fin- lastet werden. den!) (Grigorios Aggelidis [FDP]: Lächerlich! Ein Wenn Sie heute diesem Gesetz nicht zustimmen, dann Hohn!) müssen Sie den Berlinerinnen und Berlinern erklären, dass dann Berlin auf 300 Millionen Euro verzichtet, die In dem Fall haben Sie nicht die Wahrheit gesagt. Gering- ausschließlich – ausschließlich – für die Qualitätsstei- verdiener – das heißt, diejenigen, die Transferleistungen gerung eingesetzt werden sollen. Auch das ist dann eine bekommen, wie zum Beispiel den Kinderzuschlag – wer- Konsequenz des Handelns. Da bitte ich schon ein biss- den komplett entlastet. Das ist auch gut so. chen um Ehrlichkeit. Sie wissen, dass in weiten Teilen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und das Geld auch in die Qualität geht, nicht nur in Berlin, der SPD) sondern auch in vielen andern Ländern, zum Beispiel auch in Hamburg. Drittens: weil die Familien, die Kinder, die Erziehe- rinnen und Erzieher und die Kommunen auf dieses Ge- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE setz warten. GRÜNEN]: Wie soll es in die Qualität gehen, wenn es das Geld nur für wenige Jahre gibt?) Auch wenn wir mit Blick auf das Anforderungspro- fil eines Kitagesetzes hier und da eine andere Heran- Da müssten Sie Ihrer lieben Frau Fegebank, die gerade gehensweise haben, ist es wichtig, dass wir – und das Mutter geworden ist, erklären, dass die Qualitätsstan- ist der nächste Punkt – als Koalition auch im Konsens dards, die von der Landesregierung festgesetzt wurden, das zusammenbringen, was zusammengehört. Wir müs- möglicherweise nicht gehalten werden. sen nicht nur einen Konsens suchen, wir müssen auch Da komme ich zu einem Grundproblem dieser Diskus- irgendwann einen Konsens finden, und das hat im Ergeb- sion. Wir machen zwei wichtige Dinge: Wir unterstüt- nis dazu geführt, dass wir zustimmen. (B) zen die Länder bei einer originären Aufgabe der Länder. (D) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Jawohl! Das föderative System – ich glaube, darüber müssen wir Guter Mann!) einmal diskutieren – ist durchaus in einer schwierigen Situation, wenn es permanent diese Mischfinanzierung Jetzt will ich noch einmal etwas Ordnung in die Dis- gibt und dann Ansprüche erhoben werden, die wir gar kussion bringen. Ich sehe den Kollegen Weiler aus Thü- nicht erfüllen können. Der Qualitätsschlüssel wird von ringen. Er hat ja vorhin eine Zwischenfrage gestellt. Da den Ländern festgesetzt, die Länder entscheiden darüber, muss ich Ihnen sagen, lieber Herr Müller: Wie ist denn die Länder haben Bildungspläne für die Kitas, die Länder die Situation in Thüringen? Ich lese Ihnen einmal vor aus haben einen Haushalt für die Kitas. Wir unterstützen die den letzten Studien, wie sich die Qualität in Thüringen Länder bei dieser Aufgabe – das machen wir aus Ver- verändert hat: Im Jahre 2012 gab es in Thüringen einen antwortung –, aber auch nicht mehr. Ich bitte schon, ein Betreuungsschlüssel von 11,4. Jetzt, 2017, liegt er bei bisschen auch die Ordnung zu halten: Was ist Aufgabe 11,6. Er ist also schlechter geworden. Schlechter ist auch des Bundes, und was ist Aufgabe der Länder? der Betreuungsschlüssel im Krippenbereich geworden: 2012 lag er bei 5,3, jetzt bei 5,4. Ihre Aussage, es sei in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Thüringen besser geworden, stimmt nicht. der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Da gibt es – und das wissen Sie – klare Anforderungs- Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) profile. Aber das letzte Kitajahr ist in Thüringen seit dem Nadine Schön hat es schon gesagt: Für uns als Union 1. Januar 2018 beitragsfrei, und es gibt Pläne in Thü- war es immer wichtig, die Qualität in den Vordergrund zu ringen, ab dem 1. Januar 2020 ein weiteres Kitajahr von stellen. Da erwarten wir von den Ländern auch Verbesse- Gebühren zu befreien. Ich habe etwas dagegen, wenn Sie rungen. Das Beispiel – das Extrembeispiel – ist tatsäch- hier das eine predigen, zu Hause, im eigenen Land, aber lich Mecklenburg-Vorpommern: Im Krippenbereich wie etwas anderes machen. Das passt nicht zusammen. im Kitabereich hat es mit den schlechtesten Betreuungs- schlüssel, dafür hohe Beiträge. Wir erwarten von den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Ländern, die von uns jetzt mit immerhin 5,5 Milliarden sowie des Abg. Sönke Rix [SPD]) Euro unterstützt werden, dass sie nachweislich – und das Frau Baerbock – sie hört mir gar nicht zu; das ist tra- muss nachgewiesen werden – auch die Qualität deutlich gisch, für sie, nicht für mich –, wenn Sie schon über die verbessern. Wenn sie Landesmittel dafür bereitstellen, ist Frage sprechen, welche Konsequenzen das für die Län- das in Ordnung. Unter dem Strich muss doch eines pas- der hat, will ich nur einmal zwei Länder herausgreifen, sieren, unter dem Strich müssen die Kinder, die heute be- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8453

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) treut werden – die Kinder von Nadine Schön, die jetzt ihr Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Frühstück hinter sich haben –, endlich eine bessere Be- Nicole Bauer, FDP, ist die nächste Rednerin. treuungsqualität bekommen. Das sagen doch alle, Herr Müller; das sagen auch Sie. (Beifall bei der FDP)

(Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE Nicole Bauer (FDP): LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Keine Zwischenfrage mehr! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Stellen Sie sich vor, Sie ziehen mit Ihrer Familie von Dresden in den Taunus Deswegen haben wir auch einige Dinge im Gesetz oder von Bayern nach Berlin und stellen fest: Ui, ui, ui, geändert. Das bringt mich zum Thema „zusätzlich“; ganz schön viel Veränderung. – Und dann stellen Sie sich übrigens eine Formulierung aus dem Koalitionsvertrag. vor, Ihre Kinder kommen nach der Kita nach Hause und „Zusätzlich“ ist auch – jetzt können Sie sagen, nur; ich sagen: Alles so wie immer, Mama. – So schön hätte es sage aber, es ist auch – ein deutliches Signal, welche Er- sein können, wenn Sie, Frau Giffey, Ihre Hausaufgaben wartungshaltung wir haben. Bei uns kommt zuerst die gemacht hätten, Qualität – und dann sicherlich auch das Thema der Bei- tragsfreiheit. (Beifall bei der FDP) (Grigorios Aggelidis [FDP]: Das stimmt wenn Sie die Kritik am Gute-Kita-Gesetz ernst genom- gar nicht! Was erzählen Sie denn für einen men und aufgenommen hätten; sie kam zahlreich und Quatsch!) konstruktiv: von Ländern, Trägern, Verbänden, von Sachverständigen, von uns und von anderen Fraktionen, Da gibt es ja zwischen den beiden Koalitionspartnern und nicht zuletzt von Ihrem eigenen Koalitionspartner. auch unterschiedliche Wahrnehmungen. Wir haben Hür- So schön hätte es also sein können, Frau Giffey, wenn Sie den bei der Inanspruchnahme von Beitragsbefreiung ein wirklich gutes Kitagesetz gemacht hätten. Sie haben abgebaut; das ist eine Maßnahme, die sich nicht auf die Ihre Chance verpasst. Qualität bezieht. (Beifall bei der FDP) Dann noch einmal zur Staffelung – weil das vorhin in Ich sage Ihnen auch, warum: Es gibt keine Verbindlich- der Diskussion war und auch die Frage von Herrn Müller keit, eine zweckgebundene Verwendung der Mittel kann dazu wieder kam –: Herr Müller, schreiben Sie das doch nicht sichergestellt werden. Damit bleiben große Quali- den Kommunen und Ländern nicht vor! Ich habe großes tätsunterschiede zwischen den Ländern bestehen. Einige Vertrauen in unsere Politiker in den Kommunen und in werden das Geld in die Beitragsfreiheit stecken, andere (B) den Ländern, dass die schon wissen, wie sie eine soziale in die Qualifizierung von pädagogischen Fachkräften. (D) Staffelung – und diese können sie machen – umsetzen sollen. Deswegen: Am Ende wird es darauf ankommen, Es gibt auch keinerlei Verlässlichkeit. Immer wieder was die Länder aus diesem Gesetz machen. wurde darauf hingewiesen, wie wichtig doch die An- schlussfinanzierung ist, für alle Beteiligten. Die Mittel Wichtig war uns bei der Analyse der Ausgangssituati- sind nur bis 2022 zugesagt. Und dann? Dann wird das on und bei der Ermittlung der entsprechenden Maßnah- Gute-Kita-Gesetz seinem Schicksal überlassen. Verste- men, die als Vertragsgrundlage dienen, dass alle Akteure hen Sie das unter nachhaltig? Also, ich persönlich finde beteiligt werden – also die öffentlichen Träger der Ju- es unglaubwürdig, meine Damen und Herren. gendhilfe, die freien Träger, die Sozialpartner, die kom- munalen Spitzenverbände auf Landesebene und auch (Beifall bei der FDP) die Elternschaft –, damit dieser Prozess weiter gesteuert Es gibt auch viel zu wenige Erzieherinnen und Erzie- werden kann. her; und Ihr Entwurf liefert dazu auch keinen Lösungsan- Ich darf zusammenfassen für uns: Dieses Gesetz bringt satz. Ein schlüssiges Konzept, wie man den Beruf attrak- viele Chancen. Wir unterstützen die Länder bei ihrer ori- tiver machen kann, hätte ich in Ihrer Fachkräfteoffensive ginären Aufgabe. Wir werden aber auch genau schauen, gern gefunden. wie die Länder darauf reagieren. Da können wir gerne ir- Und schließlich fehlt die Messbarkeit: Wenn wir die gendwelche Botschaften aus dem Bundesrat heute wahr- Wirksamkeit tatsächlich prüfen wollen, dann brauchen nehmen. Die Länder müssen schon entscheiden, was sie wir klar definierte Qualitätskennzahlen und Bildungs- wollen. Kooperation heißt dann auch, dass man nicht nur standards. Der Bund investiert Milliarden, und die Er- nimmt, sondern auch darstellt, was man macht, und hier folgskontrolle über effizienten Mitteleinsatz ist legitim und da auch etwas gibt. Insgesamt kommen wir als Uni- und notwendig. Alles andere ist unverantwortlich. Und on nach einer langen, sehr intensiven Diskussion – auch schade, Frau Giffey, eigentlich hätten Sie das schon bes- einer kritischen Diskussion – heute zu dem Ergebnis, ser wissen sollen. Und vor allem: Sie hätten es besser dass wir diesem Gesetz zustimmen. Wir wünschen uns wissen können. Und dann erzählen Sie uns, dass es ein nicht nur frohe Weihnachten, sondern auch eine deutliche guter Schritt ist. Das glaubt Ihnen nun wirklich niemand. Qualitätssteigerung in den Kindertagesstätten. (Beifall bei der FDP) Vielen Dank. Die Qualität der Kindertagesbetreuung in Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- land wird sich damit nicht viel verbessern, und deshalb ordneten der SPD) werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen. 8454 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Nicole Bauer (A) Danke schön. Blödsinn! – Katja Mast [SPD]: Die wollen nur (C) Steuern für Reiche senken!) (Beifall bei der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch etwas will ich klarstellen: Es stimmt nicht, dass es keine Sozialstaffel Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: geben wird. Es ist sogar ein Fortschritt! – Liebe Grünen Nächster Redner ist Sönke Rix, SPD. und liebe Linke, einmal den Gesetzentwurf zu lesen, (Beifall bei der SPD) würde helfen. Es steht drin, dass die Länder jetzt ver- bindlich Sozialstaffeln einführen müssen.

Sönke Rix (SPD): (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Einzige, das wir jetzt korrigiert haben, ist: Sie kön- Meine Damen und Herren! Wäre es nicht so, dass wir nen jetzt die Standards, welche sie zugrunde legen, ob einen Bundesrat hätten, wäre es nicht so, dass eigentlich Geschwister, die Länder und die Kommunen dafür zuständig sind, wäre es so, dass unsere Verfassung zulassen würde, dass (Zuruf von der FDP: Geschwister?) wir als Bund direkt an die Kommunen Geld weitergeben Gehälter oder Betreuungszeiten, auswählen. Das haben könnten, wäre es so, dass wir keine Koalitionsregierung wir jetzt verändert. Aber hier so zu tun, als ob es keine hätten, würde so ein Gesetz natürlich vielleicht auch an- Sozialstaffel gebe, gilt nicht. Das stimmt nicht, also blei- ders aussehen. Wenn jeder von uns ganz alleine regieren ben Sie bei der Wahrheit. würde – ohne Bundesrat, ohne Verfassung, ohne finan- zielle Rahmenbedingungen –, hätte hier natürlich jeder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- etwas anderes gewünscht. Die Opposition – das ist auch ten der CDU/CSU – Matthias Seestern-Pauly ihre Aufgabe, und so würde ich es in der Opposition viel- [FDP]: Das Problem sind die Pauschalen!) leicht auch machen – kann die Töpfe immer größer, im- mer voller machen, weil sie nicht die Verantwortung für Und ich will einen Satz zur dauerhaften Finanzierung die Gesamtlage hat. sagen. Einerseits zu sagen: „Wir wollen doch der Forde- rung der Länder nachkommen, weil wir die Länder ja alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten so gut verstehen, und wir wollen die dauerhafte Finan- der CDU/CSU) zierung“, andererseits aber den einstimmigen Beschluss der Länder völlig zu ignorieren und zu sagen: „Wir wol- Was aber nicht geht – das sage ich insbesondere an die len keine verbindliche Sozialstaffeln“ – ihr müsst schon FDP, an die Grünen und an die Linken gerichtet –, ist, (B) wissen, wofür ihr denn nun eigentlich seid, wenn ihr die (D) hier so zu tun, als ob man zwei verschiedene Parteien Forderung der Länder übernehmt. hätte: die einen Parteien, die im Land regieren, und die anderen Parteien, die im Bund regieren. Wir teilen die Forderung nach einer dauerhaften Fi- nanzierung. Und wer Seite 1 des Gesetzentwurfs liest, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der weiß, dass wir hier als Gesetzgeber gleich beschlie- der CDU/CSU) ßen werden, dass wir uns verpflichten, eine dauerhafte Wir haben als Landesparteien und als Bundespartei- Finanzierung in Gang zu setzen. Also auch hier bei der en Verantwortung; und das können wir hier nicht vonei- Wahrheit bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen. nander trennen. Bestes Beispiel ist Thüringen. Dort sagt (Beifall bei der SPD – Matthias Seestern-Pau- man: Na ja, wir haben beschlossen, dass wir die Gebüh- ly [FDP]: Das stimmt nicht!) renfreiheit einführen wollen, wir lassen die Kommunen damit aber in Teilen im Regen stehen. – Ich weiß, das – Es steht auf Seite 1 des Gesetzentwurfs, dass wir uns geschah auch mit uns als Koalitionspartner. Jetzt aber, hier zu einer dauerhaften Finanzierung verpflichten. nachdem es in Thüringen beschlossen worden ist, stehen Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich Sie hier und sagen: Wir wollen das Geld, und wir wollen darauf, dass wir erstmalig Milliardenbeträge in die Hand noch viel, viel mehr Geld haben. So geht es nicht. Was nehmen, um Personal, Qualität und Teilhabe in die Kin- man als Land bestellt, muss man als Land auch bezahlen. dertagesstätten zu bringen. Ich finde, das ist ein großar- So ist das nun mal, liebe Kolleginnen und Kollegen. tiger, wichtiger Schritt. Weitere Schritte werden folgen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aber diesen großen Schritt lassen wir uns nicht kleinre- der CDU/CSU) den. Und an die Adresse der FDP, da Sie jetzt ganz plötz- Herzlichen Dank. lich erkennen, wie wichtig Qualität und Personal in Kin- (Beifall bei der SPD – Lachen bei der AfD – dertagesstätten sind: Wo steht eigentlich in Ihrem Wahl- Zuruf von der AfD: Bullshit!) programm, dass Sie auf Bundesebene ein Qualitätsgesetz wollen? Das habe ich darin nicht gefunden. Das haben Sie erst jetzt erkannt, weil wir darüber diskutiert und weil Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wir etwas vorgelegt haben. Dr. Silke Launert, CDU/CSU, ist die letzte Rednerin in dieser Debatte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: So ein (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8455

(A) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): dann heißt: Wir ziehen das ganze Thema an uns. – Es ist (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nicht so einfach, wie es zunächst scheint. Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! „Wege ent- (Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD]) stehen dadurch, dass man sie geht.“ Das wusste schon Franz Kafka, von dem diese wahren Worte stammen. Was mir eigentlich am meisten wehtut, ist, dass, viel- Und ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, leicht auch aufgrund des Ausdrucks „Gute-Kita-Gesetz“, dass der Weg zu diesem Gesetz nicht immer einfach, sehr viele Erwartungen geweckt worden sind – auch bei ohne Hindernisse und geradlinig war. Aber was ist jetzt den Sachverständigen, die wir in der Anhörung gehört das Ergebnis? Das Ergebnis sind 5,5 Milliarden für eine haben. Alle dachten, wir lösten alle Probleme. Und dann Verbesserung der Qualität und für die Beitragsfreiheit kamen sie natürlich mit Milliardenbeträgen, die das kos- im Bereich der Kinderbetreuung und Kindertagespflege. ten würde. Das ist erst einmal das Ergebnis. Das ist etwas, das es Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, vorher so noch nie gegeben hat. Aber ich möchte auch für diesen Bereich 3,5 Milliarden zur Verfügung zu stel- ehrlich zu Ihnen sein. len. Das ist die Grundlage. Jemand hat im Wahlkampf (Matthias Seestern-Pauly [FDP]: Das ist gedacht, er gewinne – ich sage den Namen Schulz –, schön! Jetzt einmal ehrlich, Frau Launert! – wenn man überall Gebührenfreiheit verspreche. Das ist Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ich bitte der Grund, warum in diesem Koalitionsvertrag dann die- darum, Frau Launert!) ser Kompromiss gemacht wurde. Die Union hat gesagt: Wir wollen ein bisschen etwas für Qualität tun. Und dann Auch wenn das Gesetz „Gute-Kita-Gesetz“ heißt – Frau kam dieser Kompromiss; der Ministerin ist es gelungen, Ministerin, Sie sind wirklich eine Meisterin darin, ein- aus 3,5 Milliarden Euro 5,5 Milliarden Euro zu machen. prägsame Namen zu finden –, ist natürlich allein durch dieses Gesetz nicht gewährleistet, dass nun überall eine (Beifall bei der SPD – Dr. Karamba Diaby gute Kinderbetreuung sichergestellt ist. [SPD]: Das ist sehr gut!) (Beifall bei der FDP) Dieses Geld wird jetzt weitergeleitet, und die Länder werden es für die Kinder verwenden. Auch wenn es nicht Aber das konnten wir auch nicht so schnell. Wir ha- so perfekt ist, wie es einige Oppositionsfraktionen, die ben nun einmal den Föderalismus. Primär verantwortlich uns natürlich auch noch keine Lösung dazu präsentieren, für den Bereich der Kinderbetreuung und der Kinderta- wie das dann im Bundesrat aussieht, hier gerne hätten, gespflege sind die Länder und Kommunen. muss ich sagen: Es sind 5,5 Milliarden für die Kinder, (Zuruf von der AfD: Lassen Sie es dabei! Das und das ist ein erster Schritt. (B) ist gut so!) (D) (Zuruf von der AfD: Nicht für Kinder! Das ist – Das kann man so sehen oder nicht. für Institutionen!) Jetzt gibt es die einen, die sagen: Regelt alles und be- Dieses Paket ist ja nicht das einzige. Es ist im Zusam- zahlt alles. – Tja, wir haben den Föderalismus. Machen menhang mit anderen Paketen zu sehen: mit dem Baukin- das alle Länder mit? Dann gibt es die anderen, die sa- dergeld, mit der Erhöhung des Kindergeldes. Wir haben gen: Legt verbindliche Regeln fest. Ihr bestimmt das ein- auch – ich sage das sogar – die Brückenteilzeit, womit fach. – Das heißt, im Bereich des Fachkraft-Kind-Schlüs- wir die Familien entlasten wollen. Wir reformieren im sels bei unter 3-Jährigen – das haben uns die Experten Moment den Kinderzuschlag. Da wird die Abbruchkante in der Anhörung gesagt –: eine Fachkraft für vier 1- und abgeschmolzen. Das heißt, viel, viel mehr sozial Schwa- 2-jährige Kinder. che werden unter Berücksichtigung der Regelung im Gu- te-Kita-Gesetz jetzt von der Beitragsfreiheit profitieren. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das wäre gut!) Und ich kann auch nur sagen: Sie haben das nicht ganz verstanden, wenn Sie fragen: Wo sind Ihre Vorschläge in Wer würde das blockieren? Würde es durchkommen! dem Gesetz zur Fachkraftoffensive? – Diese liegt noch Sie wissen doch selbst, dass Berlin mit 5,9 Kindern oder nicht vor, wir erarbeiten diese gerade. Es ist schade, dass Mecklenburg-Vorpommern mit 6 Kindern das nicht an- Sie das nicht verstanden haben. Das ist eine eigene Fach- satzweise – wenn dies der Bund nicht komplett finan- kraftoffensive; deshalb konnten Sie es noch nicht finden. zieren würde – eins zu eins umsetzen würde. Das heißt, wir hätten im Bundesrat eine Blockade und im Ergeb- Frau Baerbock, Sie sagten, kein einziger Cent werde nis nichts erreicht. Wir hätten eine Blockade und keine in die Qualität gehen, weil es ja auf fünf Jahre befristet 5,5 Milliarden Euro für eine Verbesserung im Bereich der sei, dazu sage ich Ihnen: Auch das spiegelt die Realität in Kinderbetreuung. Es ist wirklich so. den Kindertagesstätten nicht wider. Ich persönlich finde es zwar schade, dass leider gerade im Bereich der Kitas (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE und Kindergärten viele mit befristeten Verträgen arbei- GRÜNEN]: Da die auch keine Verträge ab- ten. Aber auch da wird man die Gelder nicht verfallen schließen werden!) lassen – glauben Sie mir –; das Geld werden sie haben. Ich weiß, Sie glauben, wir regeln es hier, und plötzlich Das habe ich selbst erlebt, nicht nur in meiner eigenen erfüllen alle Länder die Ansprüche. Leider ist die Realität Kita und meinem eigenen Kindergarten, sondern zum halt eine andere. Wenn wir alles bezahlen, dann, so glau- Beispiel auch im Zusammenhang mit der Regelung, die be ich, werden die Länder auch nicht mitmachen, weil es wir zu Sprach-Kitas getroffen haben. Auch da haben wir 8456 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Dr. Silke Launert (A) die Regelung jetzt verlängert. So wird es auch hier sein: Dritte Beratung (C) Wenn es eine gute Regelung gibt, ist es ein Einstieg, und wir können es verlängern. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU und Frau Kollegin Launert, Frau Bauer würde gerne eine SPD gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen an- Zwischenfrage stellen. genommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr. Silke Launert (CDU/CSU): der CDU/CSU) Nein, ich bin eh gleich fertig. Ich bin quasi beim letz- Wir stimmen nun über die Entschließungsanträge ab. ten Satz. Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/6481. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Entschlie- Bitte. ßungsantrag, für den die Fraktion der FDP und die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen gestimmt haben, gegen den die Fraktionen der CDU/CSU und SPD gestimmt haben, Dr. Silke Launert (CDU/CSU): bei Enthaltung der Fraktion der AfD und der Fraktion Das alles sind Schritte. Insofern sage ich: Das ist heute Die Linke abgelehnt. ein Schritt. Es wird nicht der letzte sein. Es ist ein Ein- Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der stieg. Lassen Sie uns den Weg zu einer guten Kinderbe- Drucksache 19/6482. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt treuung gemeinsam weitergehen. dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Entschlie- Vielen Dank. ßungsantrag, für den die Fraktion Die Linke gestimmt hat, mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) haltung der Fraktionen von AfD und FDP abgelehnt. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: NEN]: Wir haben uns auch enthalten!) Damit schließe ich die Aussprache. – Auch bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- (B) Wir kommen damit zur Abstimmung über den von nen. (D) der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Zusatzpunkt 15 b. Wir setzen die Abstimmungen zu Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Kindertagesbetreuung. Mir liegen zur Abstimmung zwei Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 19/6471 schriftliche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsord- (neu) fort. nung vor.1) Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- gend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp- tion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/5078 fehlung auf der Drucksache 19/6471 (neu), den Gesetz- mit dem Titel „Qualität in der Kindertagesbetreuung ver- entwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 19/4947 bindlich und dauerhaft sicherstellen“. Wer stimmt für und 19/5416 in der Ausschussfassung anzunehmen. diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfeh- Hierzu liegt ein gemeinsamer Änderungsantrag der lung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD bei Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf Enthaltung der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Drucksache 19/6480 vor, über den wir zuerst abstimmen. Linke gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen Wer stimmt für diesen Änderungsantrag der Fraktionen angenommen. Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Änderungs- Damit rufe ich die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c antrag, für den die antragstellenden Fraktionen Bünd- sowie den Zusatzpunkt 16 auf: nis 90/Die Grünen und Die Linke gestimmt haben, mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD bei Enthal- 19. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten tung der Fraktion der FDP abgelehnt. Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Katja Suding, Nicola Beer, weiterer Abgeordneter und der Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Fraktion der FDP Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann Spitzenforscherinnen und Spitzenfor- ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stim- scher für Deutschland als führenden men von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Standort internationaler Wissenschaft, Oppositionsfraktionen angenommen. Forschung und Innovation gewinnen und halten

1) Anlage 2 Drucksache 19/5077 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8457

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Überweisungsvorschlag: Dr. h. c. Thomas Sattelberger (FDP): (C) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung (f) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie sind Auswärtiger Ausschuss wahrscheinlich noch ganz berauscht: Im neuesten Wett- Ausschuss für Wirtschaft und Energie bewerbsranking des World Economic Forum landet Ausschuss für Arbeit und Soziales Deutschland auf Platz drei. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss Digitale Agenda (Beifall des Abg. [CDU/ Haushaltsausschuss CSU]) b) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Dr. Petra Sitte, Nicole Gohlke, Doris Aber wie das mit Statistiken so ist: In drei mindestens Achelwilm, weiterer Abgeordneter und der ebenso renommierten Studien steht Deutschland hinten: Fraktion DIE LINKE im Global Innovation Index von INSEAD auf Platz 9, im IMD World Competitiveness Ranking auf Platz 15, Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wis- im IMD World Digital Competitiveness Ranking auf senschaft wirksam bekämpfen Platz 18 Drucksache 19/6420 (Christian Dürr [FDP]: Oh!) Überweisungsvorschlag: Wie kommt’s? Das WEF beurteilt die Stabilität der Ge- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung (f) genwart, die anderen die Fitness für die Zukunft. Bei- Auswärtiger Ausschuss spiel: Wir sind bei Patentanmeldungen führend; bei den Ausschuss für Wirtschaft und Energie Hightechpatenten reicht es aber gerade mal für Platz Ausschuss für Arbeit und Soziales neun. Nicht in der Breite hapert es, jedoch an der Spitze. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss Digitale Agenda (Beifall bei der FDP) Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dabei ist klar: Nicht Strukturen und Geld schaffen Kai Gehring, Dr. Anna Christmann, Ekin Innovation, sondern die Menschen. Thomas Kuhn hat Deligöz, weiterer Abgeordneter und der gesagt: Wissenschaft entwickelt sich von Beerdigung zu Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beerdigung weiter. – Kommen dann die neuen Generati- onen zu uns? Wenn mehr kommen als gehen, nennt man Ein weltoffenes Land für freie Wissen- das Braingain. Umgekehrt spricht man von Braindrain. schaft Und wer nicht rechnen will, redet über Braincirculation. Dazu zählen leider die Bundesregierung und die Grünen. (B) Drucksache 19/6426 (D) Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- der AfD – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/ abschätzung (f) CSU]: Über was reden Sie?) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Deutschland navigiert in dieser Frage ohne Kom- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend pass. Damit meine ich nicht unsere Attraktivität für fast ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten 60 000 internationale Wissenschaftler in der Breite und Dr. , Dr. Götz Frömming, über 32 000 Gastforscher. Nicole Höchst, weiterer Abgeordneter und der (Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Na, das ist ja Fraktion der AfD ein Erfolg!) Wissenschaftlichem Nachwuchs in Deutsch- Mit denen beschäftigen sich die Anträge der Grünen, der land eine Perspektive geben Linken und der AfD. Sie tun sich alle schwer mit Spitze Drucksache 19/6424 statt Breite. Überweisungsvorschlag: Uns geht es heute, bei diesem Antrag, um die Aus- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­ nahmetalente, um die Musterbrecher, die Nobelpreisver- abschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie dächtigen. Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausschuss Digitale Agenda Ihre Rede wird keinen Nobelpreis gewinnen!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Die letzte einigermaßen zuverlässige Messung hat die die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Expertenkommission Forschung und Innovation 2014 nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. vorgelegt. Das Ergebnis war schmerzlich: ein Netto- verlust von 4 000 Spitzenforscherinnen und Spitzenfor- Sobald Sie die für notwendig erachteten Platzwechsel schern. Die damalige Forschungsministerin Wanka hat vorgenommen haben, was ich bitte zügig zu tun, eröffne einen Schluss gezogen: Sie ließ nicht mehr messen. Die ich die Aussprache. Bundesregierung tappt bei dieser Frage lieber im Dun- Das Wort hat der Kollege Thomas Sattelberger, FDP. keln. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) 8458 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Dr. h. c. Thomas Sattelberger (A) Und dann findet Fraunhofer in diesem Jahr plötzlich Viele kluge Köpfe machen sich jetzt angesichts des (C) heraus, dass uns nicht nur 100 KI-Koryphäen fehlen, Brexit-Chaos und des wallenden Wüterichs im Weißen sondern auch 10 000 Top Data Scientists, außerdem min- Haus auf den Weg. Nutzen wir diese Chance, nicht nur destens 85 000 Ingenieure, Ärzte, Biologen und Manager indem wir Spitzentalente großzügig vergüten – so wie mit Big-Data-Know-how. Rechnen Sie bitte selbst aus, die Dänen, die Wissenschaftlern erlauben, ihr Gehalt bis wann die ersten Absolventen die 100 neuen KI-Lehrstüh- zu 84 Monate lang nur zu einem Drittel zu versteuern –, le im Rahmen der KI-Strategie frühestens werden verlas- sondern auch, indem wir sie offen und herzlich willkom- sen können: im Jahr 2028. men heißen, statt ihnen mit „German Angst“ das Leben schwer zu machen. (Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Es ist ja nicht so, dass es das nicht schon gäbe!) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) Dabei hat die neue Zeitrechnung längst begonnen. Geoffrey Hinton hat 2011 die symbolische KI mit der Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat neuronalen KI in den Schatten gestellt. Eine echte Weg- eine besondere Vorliebe für das Mittelmaß. Damit wir gabelung für das Machine Learning! Die USA und Chi- uns dies weiter leisten können, muss Deutschland auf na haben damals aufgepasst und ihre Talentpolitik auf den Feldern von Spitzenforschung in Zukunft wieder neue KI ausgerichtet, im Gegensatz zu Deutschland, Avantgarde werden. Ran an den Speck, Frau Karliczek! zum BMBF und zum Deutschen Forschungszentrum für (Beifall bei der FDP) Künstliche Intelligenz. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Aber Spitzenforschung ist doch mehr als KI!) Dr . Stefan Kaufmann, CDU/CSU, ist der nächste Red- ner. Ja, ich weiß, Frau Karliczek und Herr Altmaier, Sie haben eine KI-Strategie zu Papier gebracht, in der Sie die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wundersamen Versäumnisse der letzten Jahre einigerma- ordneten der SPD) ßen treffend aufgelistet haben. Aber seitdem reden Sie vor allem über Milchkannen. Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP) Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nachdem wir von Uns läuft die Zeit davon. Erfolg besteht zu 10 Prozent der Opposition gerade wieder ein eher kritisches Bild aus Strategie und zu 90 Prozent aus Umsetzung. vom Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland (B) gezeichnet bekommen haben, liegt es nun an mir, etwas (D) Wir Freie Demokraten fordern dreierlei: Erstens. Wein in das Wasser zu gießen und das Bild wieder etwas Deutschland braucht ein nationales Frühwarnradar, damit geradezurücken, lieber Thomas Sattelberger. Im Übrigen die Bundesregierung künftig nichts mehr verschläft, und passen gute und frohe Botschaften auch viel besser in die zwar ein Frühwarnradar mit Antennen für Gründungen, Weihnachtszeit. für Patente und Trends sowie für Wanderungsbewegun- gen von Wissenschaftlern in die sogenannten Emerging (Beifall bei der CDU/CSU) Fields. Wissenschaftsverlage wie Elsevier schaffen das Kollege Sattelberger hat den im Oktober veröffent- mit Big Data schon heute. lichten Bericht des Weltwirtschaftsforums erwähnt. Die- Wir brauchen zweitens so schnell wie möglich eine ser Bericht ist in der Tat – das müssen Sie mir zugestehen, National Agency for Scientific Talent, ein Headhunting lieber Thomas Sattelberger – sicherlich der renommier- für Nobelpreisträger in spe. teste der zitierten Berichte. Demnach liegt Deutschland an der Spitze der 140 innovationsstärksten Länder der (Beifall bei der FDP – Albert Rupprecht Welt und landet in der Gesamtbewertung von insgesamt [CDU/CSU]: Alexander von Humboldt!) zwölf Faktoren hinter den USA und Singapur auf Platz drei. Dabei punktet Deutschland nach Ansicht der Exper- Dabei geht es nicht um die Arrivierten, die die Wahrheit ten nicht nur bei den wissenschaftlichen Veröffentlichun- schon gepachtet haben, sondern um die heranwachsenden gen, den Patentanmeldungen und dem hohen Qualitäts- Stars, die noch suchen. Wie sonst wollen wir 100 KI-Ko- anspruch. Besonders bedeutsam sind die wirtschaftliche ryphäen, 10 000 Data-Scientists und viele Dutzende Stabilität in unserem Land und die hohen Fachkenntnisse Programmmanagerinnen und Programmanager für die der Beschäftigten hier. Agentur für Sprunginnovationen gewinnen, wenn wir nicht systematisch an dieses Thema herangehen? (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Im Übrigen versucht das Ranking des Weltwirtschafts- forums erstmals abzubilden, wie die Länder auf den di- Drittens brauchen wir einen Quantensprung an Stipen- gitalen Wandel vorbereitet sind. Hier steht Deutschland dien beim DAAD wie bei Alexander von Humboldt und trotz aller Unkenrufe an der Spitze. Das hat mehrere Initiativen, mit denen wir solche Talente scouten können, Gründe: stark aufgestellte außeruniversitäre Forschungs- wie das Programm „Frontiers of Science“ in den USA, einrichtungen, erfolgreich etablierte Cluster und auf die Schweizer Transferinitiative swissnex und unsere wichtige Zukunftstechnologien ausgerichtete Netzwerke GAIN-Konferenzen, diese aber reformiert. von Unternehmen und Forschungsinstituten. Aber auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8459

Dr. Stefan Kaufmann (A) eine solide Haushaltspolitik, gut funktionierende soziale Wir haben die Hightech-Strategie und die Agentur (C) Sicherungssysteme und die politische Stabilität hierzu- zur Förderung von Sprunginnovationen auf den Weg ge- lande gehören unbestritten zu den Stärken des Innova- bracht. tionsstandorts Deutschland, den die Opposition leider immer wieder schlechtredet. (Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es ja noch gar nicht, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Agentur!) ordneten der SPD) Die Strategie Künstliche Intelligenz ist erwähnt wor- Das alles kommt nicht von ungefähr. Es ist Ergebnis den. All das sind wichtige Meilensteine. Die steuerliche einer verlässlichen, dauerhaften und sehr guten For- Forschungsförderung ist in der Pipeline. Wir verhandeln schungs- und Innovationspolitik insbesondere der CDU/ derzeit die Pakte mit den Ländern neu, und auch das CSU, der SPD und – das mag ich ja zugestehen – zeitwei- Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird unsere Bemühun- se auch der FDP in den vergangenen Jahren. Gemeinsam gen unterstützen, exzellente Wissenschaftler aus dem haben wir in diesem Hause bzw. in Deutschland exzel- Ausland für eine Tätigkeit an deutschen Forschungsein- lente Rahmenbedingungen für Spitzenforschung „made richtungen zu gewinnen. in “ geschaffen, meine Damen und Herren. Da- rauf sollten wir auch stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Das alles ist in eine fundierte Internationalisierungsstra- Apropos Exzellenz: Wir haben nicht nur stark aufge- tegie der Bundesregierung eingefügt, die wir selbstver- stellte außeruniversitäre Forschungseinrichtungen – ge- ständlich mit den Internationalisierungsstrategien der stärkt durch das Wissenschaftsfreiheitsgesetz und den Alexander-von-Humboldt-Stiftung, des DAAD und der Pakt für Forschung und Innovation – sowie innovative anderen Wissenschaftsorganisationen abstimmen und Unternehmen. Auch unsere Hochschulen sind in den synchronisieren. letzten Jahren dank Exzellenzinitiative bzw. Exzellenz- Vielleicht noch kurz eine Bemerkung zum Antrag strategie stärker aufgestellt und haben auch international der Linken: Natürlich führen wir die geplante Evaluie- einen erstklassigen Ruf. Dies hat beispielsweise jüngst rung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes durch, und das World University Ranking des britischen Magazins wir werden die Auswirkungen der Gesetzesänderung „Times Higher Education“ gezeigt: Deutschland ist mit untersuchen, die wir zur Vermeidung von Fehlentwick- 23 der weltweit 200 besten Universitäten hier ebenfalls lungen in der Befristungspraxis in der 18. Wahlperiode (B) auf Platz drei und damit auf einem Spitzenplatz, meine vorgenommen haben. Dort, wo dies nötig ist, werden wir (D) Damen und Herren. selbstverständlich auch nachsteuern. Aber für uns steht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- fest, dass die für die Wissenschaft erforderliche Flexi- ordneten der SPD) bilität und Dynamik nicht mehr als nötig beeinträchtigt werden sollen. Deshalb setzen wir auch weiterhin auf den Zudem konnte – das ist auch für die Diskussion heu- verantwortungsvollen Umgang seitens der Forschungs- te besonders interessant – der Braindrain exzellenter einrichtungen mit den ihnen zur Verfügung stehenden deutscher Forscher ins Ausland dank unserer vielfälti- Freiheiten, meine Damen und Herren. gen Maßnahmen in den letzten Jahren gestoppt werden. Wenn heute mehr als 46 000 ausländische Wissenschaft- (Beifall bei der CDU/CSU) ler an unseren Hochschulen arbeiten, dann sind das – hö- ren Sie bitte hin! – beeindruckende 84 Prozent mehr als Die von der Opposition vorgelegten Anträge werden noch vor zehn Jahren. Auch darauf können wir stolz sein. wir im weiteren parlamentarischen Verfahren einge- hend diskutieren, und selbstverständlich werden wir die (Beifall bei der CDU/CSU) Vorschläge, die eine weitere Stärkung unseres Wissen- schaftssystems unterstützen, auf ihre Umsetzbarkeit prü- Selbstverständlich wollen und werden wir uns nicht fen. Gute Ideen wie beispielsweise, Herr Sattelberger, die auf diesen Lorbeeren ausruhen. Wir werden unsere An- Etablierung eines Frühwarnsystems zur Identifikation strengungen verstetigen und verstärken. Davon zeugt aufkommender Trends in Wissenschaft und Forschung – nicht zuletzt das uns selbst gesteckte 3,5-Prozent-Ziel bis das könnte im Übrigen auch eine Aufgabe für die Agen- zum Jahr 2025. tur zur Förderung von Sprunginnovationen sein – oder Blicken Sie einmal in unseren Koalitionsvertrag – das noch genauere Rückkehrprogramme für deutsche Wis- tun die Damen und Herren von der Opposition offen- senschaftler im Ausland beispielsweise nach dem Vor- sichtlich leider viel zu selten –; dann kennen Sie unsere bild von GAIN auch für Asien – das haben Sie angespro- Agenda. Auch der Haushalt mit 18 Milliarden Euro für chen – sind dabei sicherlich immer willkommen. das BMBF in 2019 zeigt eindrucksvoll, dass Bildung und Forschung weiterhin Schwerpunkte unseres Regierungs- Was wir nicht brauchen, ist eine Nationale Agentur handelns bleiben. für Wissenschaftliches Talent. Ich denke, das Scouting ist bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: aber auch bei den Hochschulen gut aufgehoben und wird Der Aufwuchs schrumpft! Die Kurve kriegt dort professionalisiert. Ich darf nur an die Max-Planck- eine Delle!) Schools als eines der vielen Instrumente erinnern. 8460 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Dr. Stefan Kaufmann (A) Wir sind uns jedenfalls in dem Ziel einig, dass die Zu- sieht es besser aus. Die Anträge von Linken und Grünen (C) kunftsfähigkeit unseres Wissenschafts- und Forschungs- erwecken den Eindruck, als müssten Universitäten neben systems entscheidend davon abhängt, dass wir die besten ihrer eigentlichen Aufgabe auch perfekt durchgegender- Köpfe nach Deutschland bringen. Daran sollten wir wei- te, quotensortierte Weltsozialämter sein. terarbeiten. (Widerspruch bei der LINKEN – Kai Gehring Erlauben Sie mir abschließend noch einen aktuellen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welcher Hinweis: Forschung und Innovation zu stärken, gelingt Parallelwelt leben Sie eigentlich?) uns, Bund und Ländern, nur gemeinsam. Daran sollten sich die Länder bei den nun beginnenden Gesprächen Meine Damen und Herren, wir konzentrieren uns lie- zum DigitalPakt erinnern. Das jedenfalls wäre mein ber auf Leistung und Wissenschaft. Wunsch zu Weihnachten. (Beifall bei der AfD) Ihnen allen eine schöne Advents- und Weihnachts- Und wir haben Grund, das zu tun; denn bis zum Jahr zeit. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. 2026 werden in Deutschland 100 000 Ingenieure feh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- len. Sie werden fehlen, obwohl in Deutschland derzeit ordneten der SPD) 2,8 Millionen Menschen studieren, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: NEN]: Weil die AfD sie vergrault!) Dr. Götz Frömming, AfD, ist der nächste Redner. darunter fast 270 000 Ausländer. Aber nur ein Drittel da- (Beifall bei der AfD) von bleibt nach dem Studium hier, und leider nicht im- mer die Besten. Dr. Götz Frömming (AfD): (René Röspel [SPD]: Das ist ja arrogant ohne Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Ende!) und Herren! Frau Ministerin Karliczek ist in den letzten Umgekehrt gelingt es uns auch nicht, wirklich kluge Tagen viel kritisiert worden, Köpfe nach Deutschland zurückzuholen. Warum ist das (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wo ist so? Ganz einfach: weil Deutschland im internationalen die eigentlich?) Vergleich noch nicht attraktiv genug ist. Wer die Wis- senschaft zum Beruf machen will, meine Damen und nicht nur aus den Reihen der Grünen, sondern auch aus Herren, findet an unseren Massenuniversitäten, die mit den Reihen der Koalition. Ich möchte mit einem kleinen (B) kostenlosen Studiengängen viele mittelmäßige Studen- (D) Lob für die Ministerin beginnen. Frau Karliczek war An- ten anlocken, eben nicht die besten Arbeitsbedingungen. fang dieser Woche, am Montag, in Moskau und hat dort eine Vereinbarung unterzeichnet, eine Vereinbarung zur (Beifall bei der AfD) besseren Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland in den Bereichen Forschung, Wissenschaft und Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Innovation. Meine Damen und Herren, wir begrüßen das Herr Kollege Frömming, die Kollegin Gohlke, Frak- außerordentlich, tion Die Linke, würde gerne eine Zwischenfrage stellen. (Beifall bei der AfD) zumal wir in unserem Antrag ausdrücklich eine Außen- Dr. Götz Frömming (AfD): wissenschaftspolitik einfordern. Allerdings sollte dieser Sehr gerne. auch eine kohärente Gesamtstrategie zugrunde liegen. Das sehen wir hier noch nicht; denn drei Tage später, Nicole Gohlke (DIE LINKE): also gestern, haben die Kollegen von Frau Karliczek in Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. der EU beschlossen, die Sanktionen gegen Russland zu Ich habe nämlich eine Rückfrage zu den Zahlen in Ihrem verlängern. Das passt überhaupt nicht zusammen, meine Antrag. Damen und Herren. Sie behaupten in Ihrem Antrag – das ist die Drucksa- (Beifall bei der AfD) che 19/6424 –, dass nur 15 Prozent der MINT-Studieren- Benjamin Franklin, der große amerikanische Staats- den Inländer seien. Zum einen ist diese Zahl überhaupt mann und Wissenschaftler, sagte einmal: „Eine Inves- nicht an der im Antrag angegebenen Stelle der Studie zu tition in Wissen bringt noch immer die besten Zinsen.“ finden, zum anderen ist diese Zahl völlig aus der Luft Darum geht es uns auch in unserem Antrag: Wir wollen gegriffen. Laut der von Ihnen zitierten Studie sind näm- in Wissen investieren, wir wollen Deutschland für die lich 41 Prozent der sogenannten Bildungsinländer in Wissenschaft noch attraktiver machen und vor allem un- einem MINT-Fach eingeschrieben. Unter den ausländi- serem wissenschaftlichen Nachwuchs eine Perspektive schen Studierenden liegt der Anteil der MINT-Studie- geben. Dabei müssen wir immer beides im Blick haben: renden bei 50 Prozent. Insgesamt beträgt der Anteil der zum einen die Bedürfnisse und Interessen der jungen ausländischen Studierenden an allen Studierenden aber Wissenschaftler selbst, gerne auch aus aller Welt, zum nur 13,5 Prozent. Das bedeutet: Wir reden über 6,75 Pro- anderen die Interessen unseres Landes. Das vermisse ich zent ausländische MINT-Studierende unter allen Studie- bei den Anträgen von Linken und Grünen; bei der FDP renden. Das heißt, der Anteil der deutschen MINT-Stu- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8461

Nicole Gohlke (A) dierenden liegt bei 93 Prozent und nicht, wie in Ihrem täre Forschungseinrichtungen, durch die wir diese Nach- (C) Antrag behauptet, bei 15 Prozent. Können Sie das aufklä- teile wenigstens teilweise kompensieren. ren? Das ist meine erste Frage. Kaum verwunderlich besagt eine Studie des DAAD Die zweite Frage. Sie zielen in Ihrem Antrag darauf aus dem Jahr 2017, dass das ausländische Wissenschafts- ab, dass mehr Asiaten als europäische Studierende in personal an deutschen Hochschulen lediglich 7 Prozent Deutschland studieren. Das ist ebenfalls falsch; es ist im beträgt. Der Ausländeranteil an unseren Sozialämtern Übrigen auch wieder falsch belegt. Der Anteil der Stu- liegt übrigens deutlich darüber; dierenden aus europäischen Ländern liegt bei 47 Prozent, der aus der Europäischen Union bei 32 Prozent und der (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was ist das für aus Asien bei 33 Prozent. Das heißt, Sie setzen in Ihrem eine Aussage?) Antrag die EU mit Europa gleich, um Ihre sehr ketzeri- von etwa 6 Millionen Hartz-IV-Beziehern sind 33 Pro- sche und im Übrigen auch falsche Behauptung zu unter- zent Ausländer. mauern, Deutschland öffne sich dem fernen Asien mehr als Europa. Können Sie sich dazu verhalten? (Dr. [SPD]: Alles was (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Fake News!) hinkt, ist kein Vergleich!) Wie kommt es zu den vielen falschen Zahlen in Ihrem Sie sehen also, meine Damen und Herren: Unsere Sozial­ Antrag? Können Sie nicht richtig zitieren, oder sind sie ämter sind international gefragter als unsere Universitä- absichtlich gefälscht wiedergegeben? ten. Wir finden, das sollte man ändern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der AfD) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE Dazu haben wir unter anderem vorgeschlagen – da GRÜNEN]: Die AfD kann nicht rechnen!) besteht hier im Haus ja auch Einigkeit –, den Hochschul- pakt längerfristig mit Mitteln auszustatten, sodass aus kurzzeitigen und befristeten Verträgen längerfristige und Dr. Götz Frömming (AfD): echte Stellen werden können. Sehr geehrte Frau Kollegin, das war ja keine Frage, sondern eine Unterstellung, dass unsere Zahlen falsch (René Röspel [SPD]: Da wollten Sie den und nicht richtig recherchiert sind. Hochschulpakt auslaufen lassen!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Klären Wir schlagen weiter vor, nationale Infrastrukturzentren Sie das doch auf! – Dr. Karamba Diaby [SPD]: aufzubauen, die gemeinsam von Universitäten und For- (B) (D) Sie hat es doch vorgelesen! – Zurufe von der schungseinrichtungen genutzt werden können. Ich kann SPD und der LINKEN: Das war eine Frage!) mir auch vorstellen, ausländische Staaten als Investoren – Darf ich nun antworten? zu gewinnen, die im Gegenzug ihre Spitzennachwuchs- forscher zu uns schicken können. Vielleicht fragt Frau Ministerin Karliczek bei ihrem nächsten Besuch in Mos- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: kau hierzu mal nach. Jetzt hat das Wort der Kollege Frömming, um die Fra- gen zu beantworten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der AfD) Dr. Götz Frömming (AfD): Gerne überprüfen wir das noch einmal. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Lachen des Abg. René Röspel [SPD]) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karamba Diaby, Ich werde Ihnen dann sagen, wer von uns beiden hin- SPD. sichtlich der Zahlen recht hat. (Beifall bei der SPD) Auf ihre weiteren Unterstellungen in Bezug auf die Ausländer komme ich gleich noch zu sprechen. Viel- Dr. Karamba Diaby (SPD): leicht wollen Sie weiter zuhören. – Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- Damen und Herren! Liebe Jusos aus auf der Tri- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Faktencheck büne! „Webbasierte Indikatoren“, „Gewinnungsprozes- fallen Sie immer durch!) se“, „Talentdatenbanken“ und, nicht zu vergessen, „die Meine Damen und Herren, wir waren bei der Frage, Push- und die Pull-Faktoren“ und „Online-Self-Assess- warum so wenige ausländische Studenten und Spitzen- ment-Tests“! Meine Kolleginnen und Kollegen, der Be- forscher zu uns kommen. Die Bezahlung ist vergleichs- griff „Mensch“ kommt im Antrag der FDP-Fraktion auf weise schlecht, Karrierechancen fehlen, und die meisten zehn Seiten nur zweimal vor. Verträge werden nur befristet vergeben. Auch für dieje- (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Hört! Hört!) nigen, die mit Partner oder Familie kommen, wird nicht genug geboten. Zum Glück haben wir Einrichtungen wie Für mich ist klar: Menschen sind keine Forschungs- die Max-Planck-Gesellschaft und andere außeruniversi- maschinen, keine Zahlen, keine Mittel, um ein Ziel zu 8462 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Dr. Karamba Diaby (A) erreichen. Für mich sind Menschen immer ein Selbst- Der DAAD übernahm mein Stipendium, das mir noch (C) zweck. die damalige DDR in den 1980er-Jahren gewährte. Ich konnte weiter in Deutschland studieren und später pro- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias movieren. Das ist für mich und meine Familie ein Glück W. Birkwald [DIE LINKE]) gewesen. Ich konnte hier eine Existenz aufbauen und Im Hintergrund ist eine Familie, eine Partnerin oder ein eine Familie gründen. Heute, über 20 Jahre später, bin Partner . Internationale Mobilität hat immer auch mit Mut ich der Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für und Hoffnungen zu tun und damit, Vertrautes zu verlas- den DAAD. sen, Neues zu entdecken und anzukommen. Dazu gehört es auch, dass es in Deutschland eine Offenheit gibt, die Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Spitzen- einladend ist. forscherinnen und Spitzenforscher in Deutschland halten wollen, dann lassen Sie uns neben unseren Interessen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht vergessen, dass hinter den Zahlen Menschen ste- der CDU/CSU und der LINKEN und des Abg. cken, die Wünsche und Träume haben. Genau das fehlt Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]) mir in dem Antrag der FDP. Wenn ich mir unsere Forschungslandschaft anschaue, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stelle ich fest, dass wir schon sehr weit gekommen sind. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Ich möchte Ihnen auch kurz sagen, weshalb ich zu die- der Abg. [CDU/CSU] und sem Schluss komme. Wir fördern mit dem Programm Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) „Leadership for Syria“ junge syrische Akademikerinnen und Akademiker. Dabei geht es weniger um uns, sondern Im Übrigen: Wer nachgezählt hat, hat festgestellt, dass mehr darum, dass diese Akademikerinnen und Akade- ich das Wort „Mensch“ in meiner Rede fünfmal verwen- miker ihr Land in einer nahen Zukunft wieder aufbauen det habe. können. Auch das gehört zu unserer Verantwortung in Danke schön. Deutschland. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Wir haben durch die Alexander-von-Humboldt-Pro- fessur die Möglichkeit geschaffen, dass weltweit füh- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Deutschland kommen, um den Wissenschaftsstandort zu Dr. Petra Sitte, Die Linke, ist die nächste Rednerin. (B) stärken. Von den 78 geförderten Professorinnen und Pro- (Beifall bei der LINKEN) (D) fessoren forschen 3 in meinem Wahlkreis, in Halle an der Saale, und das ist gut so. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP-Anträge lesen sich so, als würden immer noch Pa- Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) piere aus den Koalitionsverhandlungen recycelt. Wir haben mit den großen Wissenschaftspakten – sie (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) wurden schon genannt: Hochschulpakt, Exzellenziniti- ative und Pakt für Forschung und Innovation – die in- Diesmal soll der Wettbewerb um Spitzenforscherinnen ternationale Wettbewerbsfähigkeit der Wissenschaft in und Spitzenforscher gewonnen werden. Damit keine Deutschland gestärkt und wollen sie auch weiter ausbau- Missverständnisse aufkommen: Selbstverständlich sind en. wissenschaftlicher Wettbewerb und der Wechsel zwi- (Beifall bei der SPD) schen Ländern und Wissenschaftseinrichtungen normal. Der FDP-Antrag allerdings – Herr Diaby hat das schon Über 360 000 internationale Studierende haben sich 2017 angedeutet – verengt die Sicht sehr einseitig. Und hier an den deutschen Hochschulen eingeschrieben; das sind setzt meine erste Kritik an. 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Das zeigt, dass wir auf in- ternationaler Ebene mithalten können und offenbar vieles Pure Konkurrenz ist der Grundgedanke dieses An- richtig machen. Und demnächst werden wir mit einem trags. Man wähnt Deutschland als führenden Standort, Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Einwanderung nach der sich gegen andere durchzusetzen hat. So werden Wis- Deutschland transparenter regeln. senschaftlerinnen und Wissenschaftler tatsächlich nur zu Faktoren einer Standortlogik. (Beifall bei der SPD) (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: In Ihrem Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Aka- Wortschatz taucht „Wettbewerb“ nicht auf!) demische Austauschdienst, DAAD, hat in den letzten 90 Jahren mehr als 2 Millionen Akademikerinnen und Wissenschaft und Forschung werden erneut unternehme- Akademiker gefördert. Einer von ihnen war ich, und da- risch betrachtet. 20 Jahre Erfahrung mit diesem Ansatz für bin ich sehr dankbar. haben aber eben, wie wir wissen, Freiheit von Forschung und Lehre längst deutlich eingeschränkt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8463

Dr. Petra Sitte (A) Die Linke dagegen hält es für notwendig und attraktiv, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) Wissenschaft und Forschung auf kooperatives oder auch Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste kollaboratives Arbeiten mit Gemeinwohlorientierung Redner. auszurichten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zeitgleich, meine Damen und Herren, arbeiten Wissen- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit an ähnli- Weltoffenheit gehört seit eh und je zum Wesenskern chen Problemstellungen. Viele sind sehr komplex, meist der Wissenschaft. Neue Ideen überwinden die Grenzen global und binden überall erhebliche Ressourcen. Mei- in den Köpfen, genauso wie Forscherinnen und For- nen Sie denn wirklich, liebe FDP, dass die Forschung an scher die Grenzen zwischen Staaten. Bald feiern wir den Klimawandel, Digitalisierung, künstlicher Intelligenz, 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt. Er ver- Nachhaltigkeit, Mobilität und Gesundheit gewinnt, wenn körpert den Forscher als Weltbürger wie kein anderer. Ob man sie auf Deutschland konzentriert? Berlin, Paris, Mexiko oder Sankt Petersburg, überall war er zu Hause. Unzählige Wissenschaftlerinnen und Wis- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. senschaftler sind inzwischen in seine Fußstapfen getre- Dr. Wiebke Esdar [SPD] – Dr. h. c. Thomas ten, und das ist super so. Sattelberger [FDP]: Aber Deutschland muss vorne sein!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zudem hat ein Wandel in der Wissenschaftskultur unter Die Auslandsmobilität an unseren Hochschulen ist Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern doch längst hoch. Unser Wissenschaftsstandort ist hochattraktiv. stattgefunden. Das, was sich dort entwickelt hat, muss Deutschland ist das drittbeliebteste Gastland für inter- wissenschaftspolitisch gestärkt werden. Es wird interna- nationale Studis aus allen Himmelsrichtungen. Viele tional zusammengearbeitet. Was macht es denn für einen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen zu uns Sinn, wenn Wissenschaftsvereinbarungen mit anderen kommen. Ich finde, darauf können wir echt stolz sein. Staaten oder auf EU-Ebene abgeschlossen werden, hier aber zugleich ein Human Grabbing, also sozusagen ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wegschnappen von Wissenschaftlerinnen und Wissen- NEN sowie der Abg. Dr. Dietlind Tiemann schaftlern, politisch legitimiert werden soll? Das ist die [CDU/CSU] und Dr. Wiebke Esdar [SPD] – falsche Ausrichtung. Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Ja, aber (B) Spitze muss auch her!) (D) (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen jedoch selbstkritisch bleiben und noch In meiner zweiten Kritik werfe ich der FDP vor, dass besser werden. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist sie eigentlich vom Ende her denkt. Sogenannte Star- nicht der Weisheit letzter Schluss, und für viele Spitzen- wissenschaftlerinnen und Starwissenschaftler, wie Sie forscherinnen und Spitzenforscher ist Deutschland nicht schreiben, stehen am Ende einer langen Bildungskette. die erste Adresse. An der Stelle hat Herr Sattelberger Es ist ein erheblicher Einsatz von Ressourcen erfolgt, öf- in seinem Antrag recht. Die Lösung aber, die Sie, Herr fentlichen wie privaten. Deutschland ist eines der reichs- Sattelberger, präsentieren, geht am Problem völlig vor- ten Länder dieser Erde. Wollen wir immer noch mit dem bei. Schleppnetz durch Wissenschafts- und Forschungsein- richtungen anderer Länder ziehen und dort quasi den (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Das Rahm abschöpfen? Zugleich forscht und lehrt unser ei- wollen wir mal sehen!) gener wissenschaftlicher Nachwuchs unter prekären Be- Wir brauchen keine nationale Headhunting-Agentur, die schäftigungsbedingungen. Was für ein Widerspruch! weltweit die klügsten Köpfe identifiziert und akquiriert. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD] und Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Es wäre allemal besser, wir würden konsequent in unsere eigene Bildungs- und Wissenschaftslandschaft Wissenschaft ist doch keine Castingshow und auch kein investieren. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Konzern. Wissenschaft kann das sehr gut selbst. Wissen- hat das vorgestern im Forschungsausschuss sehr schön schaft braucht Kooperation statt Ellbogen. ausgeführt. Er hat gesagt, dass der Ruf der Institute darü- ber entscheidet, ob Forscherinnen und Forscher bleiben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- oder kommen. Tun wir also dafür etwas! Machen wir erst NEN sowie der Abg. Dr. Wiebke Esdar einmal in Deutschland unsere Hausaufgaben! [SPD] und Nicole Gohlke [DIE LINKE] – Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Häufig Danke. in Seilschaften!) (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Thomas Das Problem liegt woanders: Der Rahmen muss stim- Sattelberger [FDP]: Jetzt war es sehr welt- men. Meist sind es die Einreise- und Arbeitsbedingungen, weit!) die Topforscher von einem Wechsel nach Deutschland 8464 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Kai Gehring (A) abschrecken. Da müssen wir ran, um beste Bedingungen griffen werden wir die Wissenschaftsfreiheit in unserem (C) für Spitzenforschung zu schaffen. Land verteidigen. (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Welch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN banale Lösung!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Wir fordern in unserem Antrag daher unter anderem – das können Sie sich, Herr Sattelberger, noch einmal an- Wir rufen die Bundesregierung auf, das international schauen – mehr Flexibilität bei Berufungen, verlässliche ebenso zu tun. In der Türkei, in Indien, in Ungarn und Karrierewege für den wissenschaftlichen Nachwuchs, an vielen anderen Orten wollen Nationalisten den freien Chancengerechtigkeit für Frauen und Diversity-Leitbil- Geist in Ketten legen. Bei solchen Grundrechtsverlet- der, Perspektiven für Wissenschaftspaare und ein kluges zungen muss die Regierung endlich klare Kante zeigen. Einwanderungsgesetz sowie eine schnellere Visavergabe Gleichzeitig müssen wir mithilfe unserer Mittlerorgani- für Studis und Forscher. Talente brauchen offene Arme sationen die Brücken zu Wissenschaftlern in diesen Län- statt Grenzzäune. dern aufrechterhalten und verfolgten, an Leib und Leben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bedrohten Wissenschaftlern hier Exil geben. Daher gehö- sowie der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD] und ren die Mittel der Philipp-Schwartz-Initiative verdoppelt; Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) denn wer im Labor oder im Hörsaal für ein besseres Mor- gen arbeitet, verdient unsere Unterstützung. Internationalisierung muss vor Ort gelebt werden, auf dem Campus und in jeder Hochschulstadt. Wer neu ist, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN muss sich willkommen fühlen. Dazu ist es heute leider sowie bei Abgeordneten der LINKEN) auch notwendig, Forscherinnen und Forscher aus dem Wir Grünen wollen eine internationale Wissenschafts- Ausland vor Anfeindungen zu schützen; politik, von der alle beteiligten Gesellschaften profitie- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ren. Es geht eben nicht darum, liebe FDP, sich per Head- SES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. hunting im internationalen Wettbewerb egoistisch nach Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) vorne zu bringen. denn wo der rechte Mob in den Straßen tobt, fürchtet sich (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Wer die pakistanische Gastwissenschaftlerin genauso wie der nicht rechnen will!) syrische Geflüchtete. Gerade Länder des globalen Südens brauchen Braincircu- (Beatrix von Storch [AfD]: Wie in Hamburg! lation statt Braindrain. In Europa haben wir es geschafft, (B) Bei G 20!) aus 27 Systemen einen gemeinsamen Forschungsraum zu (D) schaffen, ein gutes, ein kooperatives globales Beispiel. Aber jede und jeder muss sich hier sicher fühlen. Nur mit Davon profitieren alle. Davon hätte der alte Humboldt Technik, Toleranz und Talenten boomt unsere Volkswirt- nur träumen können, und das lassen wir uns von Neona- schaft und gedeiht Kreativität. tionalisten auch nicht wieder kaputtmachen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) LINKEN) Darum lassen wir eine solche Verrohung weder auf Wir wollen mehr. Eine Karriere in der Spitzenwissen- der Straße noch hier im Parlament zu. schaft kann heute viele Stationen haben: Nairobi, Ox- (Albrecht Glaser [AfD]: G 20! – ford, Köln oder Eberswalde, Paris, Peking. Auch hier hat Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Antrag sich seit Humboldt einiges getan. Die Wissenschaft ist nicht verstanden!) zum Glück vielfältiger geworden. Es bleibt aber unsere Aufgabe, die Wege des internationalen Austauschs für Es ist gut, dass mit uns auch FDP und Linke konstruktive möglichst viele Talente zu öffnen. Damit sind wir das ab- Anträge eingebracht haben. Die demokratische Opposi- solute Gegenteil dieser AfD, die die Grenzzäune schlie- tion steht damit für weltoffene und vielfältige Wissen- ßen will und deshalb von Wissenschaftsdiplomatie rein schaft. gar nichts versteht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Christian Dürr [FDP]: Die AfD will die nicht SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) reinlassen! Und Sie sagen: Die dürfen woan- Rechts außen muss da gar nicht protestieren. Es sind ders nicht weggehen! Wo ist der Unterschied?) doch Ihre rechten Gesinnungsgenossen, die in Ungarn – Diese Beleidigung können wir dann im Protokoll ja Gender-Studies verbieten, noch mal nachlesen, vielen Dank. Aber Wissenschaft (Beatrix von Storch [AfD]: Sehr gut!) braucht freien Geist, und da sind Sie das glatte Gegenteil. in den USA die Sozialwissenschaften zusammenkürzen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und in Brasilien Klimaforscher verleugnen und verfol- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- gen. In den Haushaltsberatungen hat die AfD gezeigt, KEN – Jürgen Braun [AfD]: Herr Gehring, dass sie die gleichen Pläne hat, Forschung für sozial-öko- mit Wissenschaft haben Sie doch gar nichts logische Innovation zu zertrümmern. Vor solchen Über- zu tun! Herr Gehring, was haben Sie denn mit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8465

Kai Gehring (A) Wissenschaft zu tun? Sie sind doch der blan- ben wir schon 2005 und 2006 mit der Exzellenzinitiative (C) ke Ideologe! Sie sind doch überall einfach gelegt, die der Vorläufer der Exzellenzstrategie war, und nur ideologisch! Wissenschaft ist Ihnen doch wir haben eine Agentur zur Förderung von Sprunginno- fremd, Herr Gehring! Hören Sie auf!) vationen ins Leben gerufen. Wenn es um internationalen Austausch geht, dann gilt (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. h. c. Thomas das für die ägyptische Ingenieurin ebenso wie für das Ar- Sattelberger [FDP]: Die 2019 funktionieren beiterkind aus dem Ruhrpott; denn nur wenn weltweit die könnte!) klügsten Köpfe zusammenkommen, werden wir gemein- sam Lösungen für die großen globalen Herausforderun- Zur Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuch- gen finden, und das brauchen wir mehr denn je. ses haben wir die institutionelle Förderung der Wissen- schafts- und Mittlerorganisationen sowie große Projekte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie das neue Tenure-Track-Programm und den Pakt für sowie bei Abgeordneten der SPD und der Forschung und Innovation ins Leben gerufen. Diese An- LINKEN) sätze bauen wir bekanntermaßen ständig aus. Indes sind unsere Anstrengungen noch nicht am Ziel; darin sind Vizepräsidentin : wir uns einig. Deshalb dürfen wir natürlich nicht nach- Das Wort hat die Kollegin Dr. Dietlind Tiemann für geben und müssen genau an der Stelle weitermachen. die CDU/CSU-Fraktion. Eine neue, nachhaltige Dynamik für Deutschland – das ist auch weiterhin unser Anspruch. (Beifall bei der CDU/CSU) Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass die Oppositi- onsfraktionen sich mit den vorliegenden, sehr umfang- Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): reichen Anträgen, insbesondere von der FDP, an der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! politischen Aufgabe zur Stärkung unseres Forschungs- Roman Herzog prägte in seiner bekannten „Ruck-Rede“ standortes beteiligen. Vielen Dank! Ja, wir brauchen den Ausspruch – ich zitiere –: „Die Fähigkeit zur Innova- mehr von den besten und klügsten Nachwuchskräften, tion bestimmt unser Schicksal.“ Anders formuliert: Wir auch auf internationaler Ebene; da sind wir uns einig. ernten, was wir säen, und säen müssen wir das, was wir Indes lässt mich beispielsweise der Antrag der FDP mit ernten wollen. Kein Thema ist derart eng mit Zukunft einiger Verwunderung zurück. Die Umsetzung Ihres An- verbunden, wie wir eben sehr schön von den Kollegen trages, liebe Kolleginnen und Kollegen, würde aus mei- vorher gehört haben, einerseits der ganz persönlichen Zu- ner Sicht einen bürokratischen Papiertiger schaffen, aber kunft, die die Menschen in Deutschland in einem durch- nur wenig erkennbaren Mehrwert für die Stärkung des (B) lässigen und chancengerechten Bildungssystem in die Forschungsstandortes Deutschland leisten. (D) Hand nehmen, andererseits der Zukunft unseres Landes, dessen Rohstoff „Wissen“ sowie Wohlstand und Wohl- (Beifall der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD] – ergehen immer stärker davon abhängen, ob wir in der Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Da ken- Spitze sowie in der Breite die Bildungs- und Forschungs- nen Sie mich schlecht!) republik Deutschland gemeinsam Realität werden lassen, So fordern Sie die Einrichtung einer „Nationalen meine sehr geehrten Damen und Herren. Agentur für wissenschaftliches Talent“ und dergleichen Die unionsgeführte Bundesregierung hat im Laufe mehr . Was versprechen Sie sich eigentlich davon? der vergangenen Legislaturperioden einen echten Para- (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Haben digmenwechsel eingeleitet. Bildung und Forschung sind Sie es überhaupt verstanden?) vom Bund zu einem zentralen Themenfeld gemacht wor- den. Der Koalitionsvertrag spricht eine unmissverständ- Ein bemerkenswert staatszentrierter Vorschlag, meine liche Sprache: Wir stehen bereit, mit mehr Investitionen sehr geehrten Damen und Herren, einer Fraktion, die und mehr Verantwortung die politischen Baustellen in nicht müde wird, über die Allheiligkeit des freien Mark- der Bildungs- und Forschungspolitik konsequent anzu- tes zu referieren. Mit der Agentur zur Förderung von packen. Sprunginnovationen sind wir hier bereits gut aufgestellt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Haben wir ja auch be- Meine sehr geehrten Damen und Herren, zahlreiche nannt!) Studien – wir hörten schon in den Ausführungen von Stefan Kaufmann davon – der OECD und eine Unter- – Sehr schön. – Auch wollen Sie den Staat damit be- suchung des Instituts der deutschen Wirtschaft beschei- trauen, ein sogenanntes Frühwarnsystem aufzubauen, nigen Deutschland – lassen Sie uns doch bitte auch mal um die frühen Trends in Wissenschaft und Forschung stolz auf das Erreichte sein – beispielsweise in der Hoch- und dergleichen zu erkennen. Viele schöne Worte, aber schulbildung und in der Forschungslandschaft messba- es fehlt doch so ein bisschen die Nachhaltigkeit für den re Erfolge. Wir haben in den vergangenen Jahren viele Forschungsstandort! richtige Weichen für den Aufwärtstrend gestellt. Ende (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Die September 2018 kürte beispielsweise die Exzellenzkom- Agentur kommt nicht vor 2022!) mission 57 Exzellenzcluster an deutschen Universitäten für die Förderung mit insgesamt 385 Millionen Euro Andere Punkte greifen Sie richtigerweise auf: den jährlich. Den Grundstein für diese Spitzenförderung ha- Ausbau internationaler Schulen und Kindergärten, die 8466 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Dr. Dietlind Tiemann (A) Finanzierung von Programmen einschlägiger Stiftungen Nicht nur müssen dringend Studiengebühren für Stu- (C) usw. usf. In der Gesamtheit jedoch sind die vorliegen- denten aus Nicht-EU-Ländern erhoben werden, wir müs- den Anträge unausgegoren. Die „Strategie zur Internati- sen auch denjenigen hochqualifizierten Ausländern, die onalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschung“ ihr Studium hier in Deutschland verbracht haben, die wurde ja auch deshalb auf den Weg gebracht, weil sie Deutsch gelernt haben, sich hier eingelebt haben, An- ein Gesamtpaket beinhaltet, das mehr als die Summe reize bieten, hierzubleiben, wenn sie denn Arbeit finden von einzelnen Maßnahmen darstellt. Dieses Paket wie- und gebraucht werden. Aber dieser ehrlichen, kultivier- der aufzuschnüren, hier und da einige mehr oder minder ten, qualifizierten Personengruppe gegenüber baut man praktikable Vorschläge dazu einzubringen, wird der Idee bürokratische Hindernisse auf und treibt sie geradezu aus eines ganzheitlichen Ansatzes nicht gerecht. Deshalb dem Land, während man jeden Ungelernten und sogar muss für unsere Politik gelten: Qualität in der Quantität; Kriminellen mit offenen Armen empfängt, der an der denn hohe Haushaltspositionen ersetzen nicht die Bedeu- Grenze ohne Papiere ankommt und das Wort „Asyl“ aus- tung von richtigen Entscheidungen in der Sache. spricht – eine vollkommen verkehrte Welt, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) In diesem Sinne, meine Damen und Herren: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und ein friedliches und ge- Und glauben Sie bitte nicht, dass sich Deutschland für ruhsames Weihnachtsfest! ausländische Spitzenkräfte attraktiv macht durch seine vollkommen irre Migrationspolitik; denn diese klugen Vielen Dank. Köpfe lassen sich nicht durch billige Propagandatricks (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hinters Licht führen. Die überlegen es sich sehr genau, ob ordneten der SPD) sie ein Land zu ihrem Lebensmittelpunkt machen wollen, das millionenfach Sozialfälle aufnimmt und sich fest vor- nimmt, diese für alle Zukunft Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marc Jongen für die (Zuruf des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD]) AfD-Fraktion. mit Milliarden an Steuergeldern jährlich zu alimentieren. (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- Die überlegen es sich sehr gut, ob sie in ein Land ziehen, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt wie- das unter dem Tarnbegriff „Weltoffenheit“ nach Kräften der ein Chefideologe! – Gegenruf der Abg. Parallel- und Gegengesellschaften aufbaut, die die sozi- Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Chefchen! Der ale Sicherheit erodieren lassen. Das schreckt Spitzenfor- möchte gern!) scher aus aller Welt ab, nach Deutschland zu kommen, (B) und nicht die Rhetorik der AfD, wie Sie vielleicht tat- (D) sächlich glauben. Dr. Marc Jongen (AfD): (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- Warten Sie es ab! NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Hassreden ma- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen hässlich!) NEN]: Ich weiß jetzt schon, was Sie sagen!) Und Sie haben ja recht, liebe FDP: Es ist ein schar- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Deutsch- fer internationaler Wettbewerb um die knappe Ressource land hat ein Talent, Politik gegen die eigenen Interessen Gehirn entbrannt, wenn ich Sie mal so paraphrasieren zu machen. Das bestätigt sich leider auch in der For- darf. Deutschland muss sich als eine attraktive Braut schungs- und Bildungspolitik dieser Regierung. für diese global vagabundierende Intelligenz anbieten, wenn wir nicht den Anschluss verlieren wollen. Sie for- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dern eine Reihe von Akutmaßnahmen zur Aufhübschung Ich dachte, das kommt erst im dritten Satz! – der deutschen Braut, aber die tiefere Ursache für diese Heiterkeit bei der SPD) missliche Lage, die nennt Ihr Antrag nicht, die Anträge Viele Zehntausende Chinesen, Türken, Inder, Angehö- der Grünen und der Linken natürlich schon gar nicht. Sie rige vieler anderer Nationen sind Jahr für Jahr an deut- liegt nämlich in der demografischen Katastrophe, liebe schen Universitäten inskribiert, Kollegen. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Bevölkerungsforscher Gunnar Heinsohn spricht NEN]: Jede Rede gleich!) schon lange von der Schrumpfvergreisung Deutschlands und weiter Teile Europas wegen der anhaltend viel zu profitieren von unserem kostenlosen Studium, und am niedrigen Geburtenrate. Das führt neben vielen ande- Ende verlassen sie unser Land zum allergrößten Teil ren Problemen zu einem immer dramatischeren Mangel wieder, ohne dass wir von dieser Investition irgendetwas an Hochqualifizierten, zu einem immer gnadenloseren zurückbekämen. Wie blauäugig muss man sein, um die- Wettbewerb um die immer spärlicheren jungen Talente sem Abfluss von Know-how tatenlos zuzusehen, meine in der entwickelten Welt, bis hin zur gegenseitigen Kan- Damen und Herren? nibalisierung ganzer Länder. (Beifall bei der AfD – Dr. Petra Sitte [DIE Es ist aber ein großer Trugschluss, zu meinen, wir LINKE]: Sie wollen doch sowieso keinen von könnten das Problem durch den Zuzug aus dem außer- denen hier haben!) europäischen Ausland lösen. Abgesehen davon, dass die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8467

Dr. Marc Jongen (A) Hochqualifizierten vorzugsweise in die angelsächsischen sprochen –, aber auch in Bezug auf das wissenschaftliche (C) Länder ziehen, müssen diese Menschen – das sind ja Personal. Sie führen an, es wären 7 Prozent ausländisches keine Zahlen – auch kulturell zu uns passen. Deswegen Personal an den Hochschulen. In der Studie, die Sie an- müssen wir endlich dafür sorgen, dass in Deutschland führen, steht aber sehr eindeutig: Es sind 11,2 Prozent. und Europa wieder mehr Kinder geboren werden, sonst Darum sollten wir uns damit nicht aufhalten. wird bald die künstliche Intelligenz allein unsere Spitzen- forschung erledigen müssen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Karamba Diaby [SPD]: (Beifall bei der AfD) Die können gar nicht lesen!) Im Wettbewerb um den Wissenschaftsstandort Ich möchte darum etwas zu dem Antrag der Linken sa- Deutschland muss unsere Devise sein: Wir dürfen gen. Er ist leider – das bedaure ich ein Stück weit – alter Deutsch als Wissenschaftssprache nicht aufgeben. Für Wein in neuen Schläuchen. Sie haben einen ganz ähnli- die technischen und naturwissenschaftlichen Fächer ist chen Antrag mit einer großen Anzahl von gleichen Ab- das Deutsche schon so gut wie verloren, für die Geis- sätzen im Jahr 2017 gestellt. Ich finde es schade, wenn tes- und Kulturwissenschaften darf das nicht passieren; man einfach immer nur Copy-and-paste macht. Aber ich denn – ich komme zum Schluss –: Was nützt es uns, will Ihnen gerne auch inhaltliche Gründe nennen, warum wenn die besten internationalen Forscher bei uns im wir ihn heute ablehnen müssen. Land sind, aber um den Preis, dass wir unsere Sprache, unsere Kultur geopfert haben und alle nur noch Englisch Um es vorweg ganz klar zu sagen: Im Grundsatz teilen miteinander sprechen? wir das Ziel, dass wir die Beschäftigungsbedingungen an deutschen Hochschulen verbessern wollen. Wir teilen Vielen Dank. auch die Auffassung, dass es immer noch zu viele befris- (Beifall bei der AfD – Kai Gehring [BÜND- tete Verträge gibt und dass die Vertragslaufzeiten nach NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gilt das auch für den Zahlen, die wir kennen – Bundesbericht Wissen- Südtiroler? – [SPD]: Das sagt schaftlicher Nachwuchs, BuWiN, aus dem Jahr 2017 –, ein Südtiroler!) tatsächlich zu klein sind. Aber die Instrumente, die Sie vorschlagen, halte ich in der Form für nicht zielführend. Den Grünen ist das natürlich egal, die können es nicht Mit einfach festgeschriebenen Vertragslaufzeiten kom- erwarten, als Deutsche zu verschwinden. Das haben wir men wir an dieser Stelle nicht weiter. Ich würde mir wün- heute wieder gehört. schen, dass wir erst einmal auf die Evaluation des Wissen- schaftszeitvertragsgesetzes warten, in dem wir festgelegt Danke schön. und klargemacht haben, dass wir das Qualifizierungsziel (B) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Da klatscht in den Mittelpunkt stellen, nämlich die Frage: Wie lange (D) nicht mal die eigene Fraktion!) brauchen die Menschen? Wenn wir jetzt mit gesetzlichen Vorgaben, wie zum Beispiel Mindestvertragslaufzeiten, arbeiten würden, dann kann das, glaube ich, an vielen Vizepräsidentin Petra Pau: Stellen zum Nachteil für die Nachwuchswissenschaftle- Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Wiebke Esdar für rinnen und Nachwuchswissenschaftler werden. die SPD-Fraktion. Um ein Beispiel zu nennen: In der Zeit, in der ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wissenschaftliche Mitarbeiterin war, gab es das Problem der CDU/CSU) bei mir, wie bei ganz vielen, dass die Anzahl der Ver- träge höher war als die Anzahl der Jahre, in denen ich Dr. Wiebke Esdar (SPD): beschäftigt war. Warum war das so? Ein Grund – den Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer- benennen Sie auch – liegt in der zu unsteten, unsiche- te Kolleginnen und Kollegen! Nachdem mein Kollege ren Finanzierung, der zu geringen Grundfinanzierung der Karamba Diaby vor allem auf die Aspekte der Internatio- Hochschulen. Da müssen wir ran. Der zweite Grund, wa- nalisierung in den vier Anträgen eingegangen ist, möchte rum ich so viele Verträge hatte, war, dass es in der Praxis ich meinen Schwerpunkt auf den zweiten großen Aspekt der Hochschule das Bemühen der Lehrstuhlinhaberinnen setzen, der vor allem in den Anträgen der Linken und der und Lehrstuhlinhaber, meiner Professorin, war, dass man AfD vorkommt: die Frage nach den Beschäftigungsbe- überbrücken konnte, wenn das Forschungsvorhaben spä- dingungen. ter begonnen hat. Wenn wir das gesetzlich festschreiben, so wie Sie es vorschlagen, dann, glaube ich, erweisen wir Frau Gohlke, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie an vielen den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchs- Stellen schon aufgezeigt haben, wie schlecht, wie unter- wissenschaftlern einen Bärendienst. irdisch der Antrag der AfD ist, indem sie es nicht einmal schaffen, die Zahlen aus den Quellen, die sie selber aus- Wir sind dabei, die Bedingungen für wissenschaftlich wählen und angeben, richtig zu verwenden. Ich will gar Beschäftigte, aber auch für alle Beschäftigte zu verbes- nicht viel Redezeit darauf verschwenden: Der Antrag der sern. Ich möchte zwei Beispiele nennen. Das eine ist der AfD ist, wie wir es gewohnt sind, leider diskriminierend. Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Hier gehen Er ist rein ausgerichtet auf die ökonomische Verwertbar- wir mit dem Tenure-Track-Modell in die Organisations- keit der Menschen, weist ihnen unterschiedliche Wertig- struktur hinein und wollen verbessern, dass die Karrie- keiten zu und ist bezogen auf die Studierenden dann auch re planbar wird, dass frühzeitig klar ist, dass man in der noch unterirdisch – das hat Frau Gohlke bereits ange- Wissenschaft bleiben kann. Das andere ist die Versteti- 8468 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Dr. Wiebke Esdar (A) gung der Hochschulpaktmittel. Diese werden verstetigt Beschäftigung geworden. Damit wird eine ganze Ge- (C) mit einer klaren Erwartungshaltung von uns: Es muss neration an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dazu kommen, dass Daueraufgaben mit Dauerstellen verprellt. Das ist für ein reiches Land wirklich ziemlich versehen werden. Die Mittel, die wir vom Bund zur Ver- beschämend. fügung stellen, sollen von den Hochschulen, wie wir sie verstetigen, für Dauerstellen genutzt werden. Ich glaube, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dass das zwei gute Ansatzpunkte sind. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich zum Abschluss die Bemerkung ma- Wir brauchen endlich verlässliche Berufswege und chen: Wir können das tun, weil wir das Grundgesetz in Perspektiven in der Breite. Das haben mittlerweile fast der letzten Legislatur geändert haben. Leider hat die alle Fraktionen erkannt, sogar die FDP, die sich in ihrem Linksfraktion nicht mitgestimmt. Ich finde, das zeigt sehr Antrag neben vielen falschen Forderungen, wie ich fin- deutlich, dass wir vorankommen, dass wir mitgestalten de, immerhin auch ein paar gewerkschaftliche Positio- und dass wir nicht mit dogmatischen Grundsatzpositi- nen zu eigen macht und tatsächlich stabile Perspektiven onen weiterkommen, sondern tragbare Lösungen brau- an Hochschulen und Forschungseinrichtungen und beste chen. Arbeitsbedingungen fordert. Danke schön. (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Wir führen aber keine Prekariatsdebatte!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist begrüßenswert, dass auch Sie endlich diesen Schritt gehen. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN) Das Wort hat Nicole Gohlke für die Linksfraktion. Anders natürlich die AfD, die das Thema nutzt, um (Beifall bei der LINKEN) Studiengebühren für ausländische Studierende zu for- dern. Wozu das gut sein soll, das hat sich weder aus Ihrer Nicole Gohlke (DIE LINKE): Rede noch aus Ihrem Antrag erschlossen. Schaffen Sie Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen es nicht mal, zu den Themen „Forschung“ oder „Arbeits- und Kollegen! Einen Satz als Einstieg und als Erwide- bedingungen in der Wissenschaft“ zu sprechen, ohne die rung auf Frau Esdar: Sie werfen uns von der Linken vor, Teutonen gegen den Rest der Welt in Stellung zu brin- wir würden heute manche Forderungen stellen, die wir gen? Das ist wirklich irre. schon letztes Jahr gestellt haben. Ich kann Ihnen sagen: (B) Das werden wir auch weiterhin so machen. Wir haben (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie (D) damit im Übrigen auch ganz gute Erfahrungen. Die For- bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- derung „Hartz IV muss weg“ zum Beispiel stellen wir NISSES 90/DIE GRÜNEN) seit über zehn Jahren, und so langsam sickert das bei Ih- Kolleginnen und Kollegen, die Zahlen sind bekannt, nen und auch bei den Grünen ein. Insofern ist das eher die Problemlage ist klar: 90 Prozent des akademischen ein gutes Argument. Mittelbaus arbeiten in prekären Beschäftigungsverhält- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. nissen. Der Frauenanteil schwindet, je höher man in der Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Arbeitshierarchie kommt. Nun aber zum Thema. Wissenschaft und Forschung leben von den Menschen, die sie betreiben. Das fängt Vizepräsidentin Petra Pau: nicht erst bei der Spitzenforschung an, sondern Spitzen- Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Frage oder Be- forschung baut auf: auf guter Bildung, auf Lehre und auf merkung des Abgeordneten Frömming? Forschung, und zwar in der Breite. Hinter jeder Erfin- dung, hinter jedem Patent steht nicht nur ein genialer Nicole Gohlke (DIE LINKE): Kopf, sondern dahinter stehen viele, viele Menschen – Gerne im Anschluss. Ich würde die Rede gerne noch (Beifall bei der LINKEN) zu Ende halten. im Lehrbetrieb, in der Verwaltung und im wissenschafts- unterstützenden Bereich, die unverzichtbare Beiträge für Vizepräsidentin Petra Pau: das Gesamtsystem leisten. Diese vielen Menschen will Nein, „im Anschluss“ ist nicht. Dazu gebe ich nicht ich an dieser Stelle auch mal ausdrücklich nennen und das Wort. würdigen.

(Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Wer heute mit einem akademischen Abschluss einen Die Linke schlägt deswegen ein Anreizprogramm, eine Arbeitsplatz mit Perspektive sucht, schaut sich meist Anschubfinanzierung zur Förderung von 100 000 un- außerhalb der deutschen Hochschulen um, entweder bei befristeten Stellen an Hochschulen vor. Die Schaffung privaten Unternehmen oder bei Hochschulen im Aus- solcher Stellen, also die Entfristung, soll der Bund zwei land; denn unterhalb der Professur sind unsere Hoch- Jahre lang mit 10 000 Euro jährlich bezuschussen, und schulen zum Niedriglohnsektor und zum Ort unsicherer die Hälfte dieser Stellen soll an Frauen gehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8469

Nicole Gohlke (A) Wir brauchen dringend die Reform der Personalstruk- jetzt bei uns wirken. Wir freuen uns auf die vier. Da kann (C) turen. Es kann doch nicht sein, dass man in diesem Wis- man sich ruhig mitfreuen, finde ich. senschaftssystem auf einem Schleudersitz sitzt, solange man keine Professur innehat. Das ist doch wirklich mehr (Beifall bei der CDU/CSU) als von vorgestern. Alle unsere Wissenschaftspakte haben doch ein Ziel: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dass wir von der Bundesliga in die Champions League neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) aufsteigen. Herr Sattelberger, das ist dann spitze. Lassen Sie uns die Situation ganz konkret und hier (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Wie lan- und jetzt verbessern! Das haben die Forschenden und ge brauchen Sie dafür? – Gegenruf des Abg. Lehrenden wirklich mehr als verdient. René Röspel [SPD]: Bis nächstes Jahr!) Vielen Dank – Wenn alle mitmachen, geht es schneller. (Beifall bei der LINKEN) Die Einrichtung von Max Planck Schools als neue Marke für eine Graduiertenausbildung mit internationaler Vizepräsidentin Petra Pau: Strahlkraft wird dem Wissenschaftsstandort Deutschland Das Wort hat die Abgeordnete Sybille Benning für die guttun. Das muss man nicht schlechtreden, sondern lo- CDU/CSU-Fraktion. ben. Vorgestern wurden die Verträge mit den an den Max Planck Schools beteiligten Universitäten unterzeichnet. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Damit verschärfen wir die Konkurrenz zu Oxford, Cam- Dr. Manja Schüle [SPD]) bridge und der US-Ivy-League und anderen Eliteuniver- sitäten. Die Max Planck Schools sind wissenschaftsor- Sybille Benning (CDU/CSU): ganisatorisch innovativ und konzeptionell wegweisend. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Damit reihen sich die Max Planck Schools in die neue Herren! Vier Oppositionsanträge liegen uns heute vor. Profilbildung und in die Exzellenzorientierung des deut- Viel Lyrik ist drin, viel Widerspruch, wenig Neues und schen Wissenschaftssystems ein. Hier forschen die bes- wenig Substanz. ten Köpfe. Hier sind international renommierte Wissen- schaftler und Wissenschaftlerinnen in spe am Werk. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Mal warten, was bei Ihnen Dann gibt es zum Beispiel noch die Tenure-Track-Pro- kommt! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das fessur . Hier wird ein Kultur- und auch ein Strukturwan- beweisen Sie erst mal!) del im deutschen Wissenschaftssystem angestoßen. Da- (B) rauf werde ich sehr häufig angesprochen; denn er beginnt (D) Das wurde gerade ja schon lang und breit diskutiert. ja auch zu wirken. Ebenso wird das Bund-Länder-Pro- Manche Forderung finde ich richtig gut, zum Beispiel gramm nachhaltig wirken. Die 1 000 vom Bund geför- bei Frauenförderung und MINT: Da haben Sie mich na- derten neuen Tenure-Track-Professuren werden immer türlich ganz auf Ihrer Seite. Aber Sie ignorieren alles, wieder neu ausgeschrieben, und die Länder werden sie was schon geschaffen worden ist. Die Bundesregierung auch nachhaltig erhalten. Das ist ein gutes Programm. hat bereits im Februar 2017 die neue Strategie zur In- (Beifall bei der CDU/CSU) ternationalisierung von Bildung, Wissenschaft und For- schung beschlossen. Denn es ist wichtig, den besten Köpfen jeder Genera- (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Man- tion eine verlässliche Perspektive für ihre akademische gelhafte Umsetzung!) Karriere zu bieten. Beispielsweise hat die Bundesregie- rung in ihrer Strategie Künstliche Intelligenz die Einrich- Meine Damen und Herren, wir unterstützen bereits wis- tung von 100 KI-Professuren in Deutschland geplant, senschaftliche Spitzenkräfte mit allen unseren Kräften. was auch die zielgerichtete Ansprache und Gewinnung Wir sind im Handlungsmodus. von Spitzenwissenschaftlern und Spitzenwissenschaftle- (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Oh ja!) rinnen in diesen Bereich beinhaltet. Was sollen denn eigentlich unsere Flaggschiffe zu (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Zehn Ihren Anträgen sagen, zum Beispiel der DAAD mit Jahre zu spät!) Frau Professor Wintermantel oder die Alexander-von-­ Die Ergebnisse deutscher Wissenschaftler lassen sich Humboldt-Stiftung mit Herrn Professor Pape? Vor we- sehen. Im Ende 2018 veröffentlichten Nature Index, nigen Tagen erst hat die Alexander-von-Humboldt-Stif- der die Publikationsleistung von Forschungseinrichtun- tung vier neue Wissenschaftler für die renommierte gen und Hochschulen auswertet, erreicht Deutschland Humboldt-Professur ausgewählt: einen Physiker, einen die beste Wertung in Europa. Im weltweiten Vergleich Strukturbiologen, einen Neurowissenschaftler und einen kommt Deutschland auf Platz drei nach den USA und Mathematiker. China. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine Damen und Herren, einige von uns waren bei NEN]: Herzlich willkommen!) der GAIN-Tagung in Boston in diesem Jahr dabei. Da Die neu Ausgewählten forschen derzeit in Großbritanni- ging es um Exzellenzstrategie, Tenure Track und Karri- en, in den USA, in Belgien und in Spanien und werden erechancen. Eine echte Talentmesse mit jungen Topwis- 8470 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Sybille Benning (A) senschaftlern und einer wirklich guten und kreativen At- Heimat für die klugen Köpfe.“ „Wir treffen heute Ent- (C) mosphäre. scheidungen, die in zehn Jahren die Grundlage unseres Erfolgs sein werden.“ „Der Sorge vor Globalisierung und Gute Forschung gibt es bei uns aber auch an außer- Digitalisierung setzen wir eine starke Wissenschaft und universitären Forschungseinrichtungen und in der Indus- ein optimales Bildungsumfeld entgegen.“ „Besonders trie – und nicht nur auf dem Campus. Auch damit sind wichtig ist die digitale Bildung. Das fängt in der Schule wir in Deutschland als Standort für junge Spitzenwissen- an. Wir brauchen mehr Tablets und weniger Bücherta- schaftler überzeugend. Wie häufig habe ich in den Staa- schen. … Wer sich ausruht, fällt zurück. Wir haben den ten dazu gehört: Ihr habt die Exzellenzinitiative, und wir Mut zu futuristischen und visionären Vorhaben. … Wir haben leider Trump. Je stärker der US-Präsident Donald sind damit das Studenten-Land ...“ Trump die Wissenschaft mit Füßen tritt, desto mehr Wis- senschaftler möchten das Land verlassen. Das gilt auch (Beifall bei der SPD) für andere Forschungsnationen. Da müssen wir Ange- bote machen und auch liefern. Wir wollen diese jungen Vielen Dank an die Kollegen der SPD-Bundestags- Wissenschaftler! fraktion für den Applaus. Ich bin nur ein bisschen irri- tiert, dass aus den Reihen der CDU/CSU und auch der Aber was erwarten sie von uns? Erstens ist für Wissen- Grünen so gar nichts kommt. Ihr Einverständnis voraus- schaftler von ganz großer Bedeutung die wissenschaftli- gesetzt, sehr geehrte Frau Präsidentin, habe ich wörtlich che Reputation der Einrichtung, an der sie wirken. Das zitiert, und zwar aus vier Regierungserklärungen und ei- heißt für uns: höchste internationale Sichtbarkeit. Da ner Pressemitteilung in folgender Reihenfolge der Minis- wirken unsere Programme auch schon. terpräsidenten: Armin Laschet, , Zweitens. Es wird ein herausragendes wissenschaft- , und Markus Söder. liches Umfeld benötigt, das heißt auch: direkter Kontakt zu herausragenden Forscherpersönlichkeiten. Warum zitiere ich diese fünf Herren in dieser Debatte? Alle fünf haben vor zwei Wochen in einem Beitrag der Drittens. Wir brauchen eine ordentliche Ausstattung „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ erklärt: Für und ein gesundes Verhältnis von Forschung und Lehre. Bildung sind ausschließlich die Länder zuständig. Der Viertens. Dual Career ist für die heutigen Familien Bund, also wir Bundespolitiker, wollen die Einheitsschu- unabdingbar. Das gehört eben auch zum Goldstandard. le durch die Hintertür einführen. Deshalb werden sie heu- te der Grundgesetzänderung nicht zustimmen – übrigens (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und debattiert der Bundesrat gerade gleichzeitig mit uns –, der SPD) und sie werden den Vermittlungsausschuss anrufen. (B) Meine Damen und Herren, wir haben die Netzwerke Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können ja heute (D) und die Forschungsorganisationen, die das stemmen kön- viel über Anwerbung, über Scouting und Headhunting nen. Die Internationalisierung ist ein Schwerpunkt der reden. Wir können viel über Braindrain oder manchmal Bundesregierung in dieser Legislaturperiode. vielleicht auch über Brainpain reden, wenn wir einzelne Sie sind im Nörgelmodus, wir sind im Handlungsmo- Reden hören, wie der Kollege Röspel zu Recht festge- dus. stellt hat. Ich wünsche Ihnen allen eine friedliche und frohe (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Weihnachtszeit. SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜND- Herzlichen Dank. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir können über Stipendienprogramme und über ordneten der SPD) Frühwarnsysteme reden; das haben meine Kollegen Diaby und Esdar auch ausgeführt. Wir können aber auch darüber reden, dass unser Frühwarnsystem doch eigent- Vizepräsidentin Petra Pau: lich unsere Schule ist und dass die Wissenschaftler von Das Wort hat die Kollegin Dr. Manja Schüle für die morgen unsere Schülerinnen und Schüler sind. SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Die drei Anträge der Opposition von der FDP, den Dr. Manja Schüle (SPD): Grünen und der Linken beschäftigen sich mit der Zukunft Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Der sie einende und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Leitgedanke ist: Wir brauchen für die Zukunft der Men- Rängen! „Gerade in den nächsten Jahren, in denen sich schen in unserem Land Spitzenforscherinnen und Spit- Europa neu ordnet, werden Wissenschaft, Kultur und Bil- zenforscher, gut bezahlt, mit Perspektive und frei in der dung an Bedeutung gewinnen.“ „Wir wollen das Innova- Ausübung der Wissenschaft. Ich möchte diesen Leitge- tionspotenzial maximal ausschöpfen in der Bildung, in danken an dem Tag, an dem die Bildungspolitik zwischen der Wissenschaft, in der Forschung, in der Wirtschaft.“ Bund und Ländern neu verhandelt wird, noch ein Stück „Dass wir auf eine gute Zukunft vertrauen können, da- erweitern: Für die Zukunft unserer Kinder und Jugendli- für sind unsere Hochschulen als Forschungs- und Aus- chen braucht Deutschland mehr Einmischung des Bun- bildungsstätten da, als Laboratorien der Zukunft und als des, mehr bildungspolitische Standards von München bis Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8471

Dr. Manja Schüle (A) Templin, von Potsdam bis Stuttgart und, ja, auch von der sere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für die (C) Kita bis zur Ausbildung oder Hochschule. Innovationsfähigkeit und für die Leistungsfähigkeit die- ses Landes essenziell sind. Deswegen muss es uns in (Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Zukunft auch gelingen, dass wir dem heutigen wissen- Was ist denn mit Ihren Ministerpräsidenten?) schaftlichen Nachwuchs die besten Rahmenbedingun- – Ja, das hat auch mein Ministerpräsident gesagt. Völlig gen, die es geben kann, bieten. Nur so können wir die richtig. klügsten Köpfe bei uns behalten, und nur so wird es uns gelingen, dass wir international die klügsten Köpfe zu (Christian Dürr [FDP]: Nein, Sie müssen uns nach Deutschland holen. ihnen das erklären! Die wollen das ja nicht!) So, mit der Einigkeit ist es dann vorbei, wenn wir uns – Nein, meinem Ministerpräsidenten muss ich das nicht die Frage stellen: Was sind denn die bestmöglichen Rah- erklären. Lesen Sie nach, was Herr Woidke dazu gesagt menbedingungen, und wie erlangen wir sie? Deswegen hat. möchte ich an einem Beispiel zeigen, wie die Bundes- Die FDP stellt in ihrem Antrag völlig zu Recht fest, regierung mit einem Programm den wissenschaftlichen wir müssen „eigene Talente bestmöglich fördern“. Die Nachwuchs bereits sehr erfolgreich fördert: das Tenu- Grünen sagen: „Die Menschheit steht heute vor Heraus- re-Track-Programm, mit dem es uns gelungen ist, dass forderungen, die schon lange nicht mehr an Landesgren- wir strukturelle Veränderungen im Wissenschaftssystem zen halt machen.“ Die Linken schreiben in ihrem Antrag: erzeugen. Die Voraussetzung für die Teilnahme an die- „Immer noch ist der Zugang zur Wissenschaft an sozialer sem Programm ist, dass die Universitäten, die teilneh- wie ethnischer Herkunft und Geschlecht geknüpft.“ Ja, men wollen, über entsprechende Personalentwicklungs- das ist so; ja, ja, ja. konzepte verfügen und diese vorlegen. Wir stellen damit nicht nur sicher, dass die akademischen Karrierewege Wie kann man diese Ausgangsbedingungen ändern, planbarer werden, dass sie auch transparenter werden, ohne nur zu reparieren? Richtig, indem man anerkennt, sondern wir gewährleisten mit diesem Programm, dass dass der Wettbewerb nicht mehr nur zwischen 16 Bun- es in diesem Bereich zu einer schrittweisen, strukturel- desländern stattfindet, sondern zwischen Weltregionen, len Reform an den Universitäten kommt. Deswegen freut indem man auch anerkennt, dass der Umzug einer Fami- es mich persönlich sehr, dass die Uni, an der ich einmal lie lediglich auf die andere Mainseite, nämlich von Hes- studieren durfte, die TU München, die höchste Anzahl sen nach Bayern, das Umzugsunternehmen genau eine an Tenure-Track-Professuren hat, nämlich ganze 40. Ich Stunde kostet, den Schüler oder die Schülerin im Zwei- glaube, wir haben dadurch ein verlässliches Karrieremo- felsfall aber ein komplettes Schuljahr, so wie es Herr dell für die Topwissenschaftler in Deutschland geschaf- Hartung von der „Zeit“ treffend formuliert hat. (B) fen. (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) der FDP) Wir haben auch heute schon viel vom Wissenschafts- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann nicht un- zeitvertragsgesetz gehört. Laut der Fraktion der Linken ser Anspruch sein. Unser Anspruch ist Bildung für alle. gäbe es hier noch viele Lücken zu schließen, und – ich Den möchte ich mit Ihnen zusammen wahrmachen: für zitiere – es gäbe „weiterhin einen weiträumigen Miss- unseren Nachwuchs, für unseren Standort und auch für brauch und Willkür“. unsere Zukunft. Lassen Sie uns mit unseren Länderkol- legen reden! (Zuruf von der LINKEN: Ja!) In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerk- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Linken, samkeit. ich halte das, was Sie da schreiben, für wirklich groben Unsinn. Mit der Novellierung des Gesetzes in 2016 haben (Beifall bei der SPD) wir durchaus eine sehr ausgewogene Regelung durchge- setzt. Wir haben unangemessene Kurzzeitbefristungen in Vizepräsidentin Petra Pau: der Wissenschaft unterbunden. Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Abgeordnete (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Nein!) Katrin Staffler das Wort. Gemäß unserem Koalitionsvertrag, der ja vorliegt, wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den wir die Auswirkungen dieser Novelle im Jahr 2020 ordneten der SPD) evaluieren.

Katrin Staffler (CDU/CSU): Erst dann, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, wenn wir wirklich wissen, welche Auswirkungen die No- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! velle hatte und welche Anpassungen nötig werden, kön- Wir sind am Ende der Plenardebatte, die Argumente lie- nen wir diese Anpassungen machen. Vorher ist das aus gen auf dem Tisch. Deswegen fällt es mir leicht: Ich kann meiner Sicht absolut nicht zielführend. Es ist auch nicht mich jetzt auf ein paar Teilaspekte dieser Diskussion be- sinnvoll. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. schränken, die mir aber und, wie ich finde, auch uns allen besonders wichtig sein sollten. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Debatte hat deutlich gemacht, dass wir in einer Jetzt stehen wir kurz vor der Weihnachtspause. Des- Kernfrage durchaus Einigkeit haben, nämlich dass un- halb nutze ich an dieser Stelle die Gelegenheit, um den 8472 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Katrin Staffler (A) Kolleginnen und Kollegen von der Opposition einen Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Lesetipp für die freien Tage mitzugeben. Wir haben im Also, zuallererst bitte ich darum, hier sämtliche Dro- Oktober dieses Jahres gemeinsam mit der SPD einen hungen oder Äußerungen, die als Drohung verstanden Antrag zum europäischen Bildungsraum erfolgreich auf werden können, im Umgang zwischen den Fraktionen den Weg gebracht. Wir fordern darin, den Austausch über zu unterlassen. Ich meine damit ausdrücklich den Zwi- den DAAD und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung schenruf der Abgeordneten von Storch. deutlich auszubauen. Wir fordern, im Rahmen des neuen Programms Erasmus+ deutliche Verbesserungen vorzu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, nehmen. Wir setzen uns dafür ein, dass wir die Zusam- der SPD, der FDP, der LINKEN und des menarbeit der Hochschulen zwischen der Europäischen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta Union und dem Vereinigten Königreich auch nach einem Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: möglichen Brexit weiterführen. Wir wollen Förderpro- Die sind sich doch für nichts zu blöd!) gramme wie die Phillip-Schwartz- oder die Martin-Roth-­ Zweitens. Im Präsidium gibt es keine Einigkeit darü- Initiative weiterhin unterstützen. ber, inwieweit das Parlament beschlussfähig ist. Dazu All das sind Punkte, die sich in den Anträgen, die Sie haben wir dann eine Regel, dass nämlich die Abstim- heute vorgelegt haben, wiederfinden. Deswegen, glaube mung in der Sache – wobei wir hier nicht über die Sache, ich, kann man mit Fug und Recht sagen, dass wir Ihnen sondern über die Ausschussüberweisung abstimmen; schon im Oktober ein ganz großes Stück voraus waren. aber das setze ich jetzt gleich – mit der Feststellung der Schade ist es, dass wir uns nicht damals schon haben ei- Beschlussfähigkeit verbunden wird. Dazu wiederum bit- nigen können. te ich jetzt alle Kolleginnen und Kollegen, den Saal zu verlassen. Das heißt, es kommt zum Hammelsprung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Direkt danach fliegt die AfD wieder in die Am Ende der Debatte möchte ich den Wissenschaftle- Schweiz!) rinnen und Wissenschaftlern in Deutschland dafür Dank sagen, dass sie mit ihrer Forschung tagtäglich daran ar- Zur Erklärung für diejenigen, die hier auf der Besu- beiten, dass unser Wissenschafts- und unser Wirtschafts- chertribüne sitzen, was wir jetzt hier tun: Wir werden standort Deutschland vorangetrieben werden. Vielen also über die Überweisung der Vorlagen auf den Druck- Dank für die herausragenden Leistungen an dieser Stelle. sachen 19/5077, 19/6420 – ich bitte um Aufmerksamkeit, damit alle wissen, worüber abgestimmt wird –, 19/6426 Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne schöne Feiertage und 19/6424 an die in der Tagesordnung aufgeführten (B) und für die Oppositionskollegen viel Spaß bei der Lektü- Ausschüsse abstimmen. (D) re unseres Antrags. Wenn Sie also mit dieser Überweisung einverstanden (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: sind, kommen Sie, wenn ich die Abstimmung eröffne, Grimms Märchen!) durch die Tür, welche mit einem „Ja“ gekennzeichnet ist. Das wird sich lohnen. Sollten Sie gegen diese Ausschussüberweisung votieren, kommen Sie durch die Tür, welche mit einem „Nein“ Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. gekennzeichnet ist. Sollten Sie es nicht so genau wissen und sich enthalten wollen, kommen Sie durch die Tür, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die mit dem Wort „Enthaltung“ gekennzeichnet ist. Die Schriftführerinnen und Schriftführer, die für den Fall ei- Vizepräsidentin Petra Pau: ner solchen Abstimmung eingeteilt sind, werden beim Ich schließe die Aussprache. Betreten des Saales an den Türen nicht nur Ihr Abstim- mungsvotum feststellen, sondern gleichzeitig zählen, wie (Beatrix von Storch [AfD]: Stopp!) viele Abgeordnete den Saal betreten, und dann haben wir – Bitte, Herr Braun, was gibt es? eine zweifelsfreie Feststellung, ob die Beschlussfähig- keit gegeben ist oder eben auch nicht. Jürgen Braun (AfD): Ich hoffe, alle haben verstanden, was jetzt aufgerufen Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Die AfD-Fraktion ist. bezweifelt die Beschlussfähigkeit der Sitzung gemäß (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- § 45 der Geschäftsordnung. NEN]: Also, die da bei der AfD sicher nicht! (Dr. Manja Schüle [SPD]: Von der AfD ist Da ist ja keiner! – Christian Dürr [FDP]: Die nicht einmal die Hälfte da! – Kai Gehring AfD war nicht drin! Die haben es nicht mitbe- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, des- kommen! – René Röspel [SPD]: Die wollen halb sind da plötzlich 30 Leute von der AfD! wohl die Buchpreisbindung verhindern!) Deshalb kamen jetzt 30 AfDler ins Plenum! – Dann bitte ich Sie, den Saal zu verlassen. René Röspel [SPD]: 1 Uhr nachts das Gleiche: Da waren nicht mal 20 von Ihnen da, und da Zur Erklärung für diejenigen, die neu auf der Be- machen Sie auch so eine Nummer! – Gegenruf suchertribüne sind: Die Fraktion der AfD hat kurz vor der Abg. Beatrix von Storch [AfD]: Sie wer- der Abstimmung über die Ausschussüberweisung von den schon noch sehen!) Vorlagen zur Bildungs- und Hochschulpolitik die Be- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8473

Vizepräsidentin Petra Pau (A) schlussfähigkeit des Deutschen Bundestages angezwei- inzwischen hat es oben auf den Besuchertribünen einen (C) felt. Da auch im Präsidium keine Einigkeit bestand, ob Wechsel gegeben. der Bundestag beschlussfähig ist oder nicht, verbinden wir entsprechend unseren Regeln die Abstimmung über (Beifall) die Ausschussüberweisung mit der Feststellung der Be- schlussfähigkeit. Zu diesem Zwecke müssen bitte alle Ich erkläre Ihnen gern, was wir hier unten gerade tun. Abgeordneten, die noch im Saale sind, den Plenarsaal verlassen. Wenn dies geschehen ist und die Türen ver- Wir hatten eine Debatte zu Anträgen der FDP, der schlossen sind, werde ich die Abstimmung über die Aus- Linken, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der schussüberweisung und die Zählung der hereinkommen- AfD zum Thema „Wissenschaft, Nachwuchsförderung, Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft“ usw. Am Ende den Abgeordneten, die abstimmen, eröffnen. Das nennen dieser Debatte ging es darum, diese Vorlagen der Frak- wir traditionell „Hammelsprung“. Das heißt, wir werden tionen in die zuständigen Fachausschüsse zu überwei- dann feststellen, ob der Deutsche Bundestag beschlussfä- sen. Just in dem Moment, in dem ich diesen Vorgang hig ist. Dazu müssten 355 Abgeordnete den Saal wieder hier abschließen wollte, bezweifelte eine Fraktion hier betreten. Sollte dies nicht der Fall sein, dann hat auch die im Haus, die Fraktion der AfD, die Beschlussfähigkeit Ausschussüberweisung, selbst wenn alle Teilnehmenden des Deutschen Bundestages. Da das Präsidium, welches durch die „Ja“-Tür kommen, nicht stattgefunden; das aus der amtierenden Präsidentin und zwei Schriftführern, heißt, die Ausschüsse können sich dann in der nächsten einmal aus einer Oppositionsfraktion und einmal aus Sitzungswoche nicht mit den Vorlagen, die wir heute hier einer Fraktion, welche die Regierung mitträgt, besteht, behandelt haben, beschäftigen. die Beschlussfähigkeit nicht eindeutig feststellen konn- te, haben wir zur Abstimmung über die Ausschussüber- Ich bitte nochmals die Abgeordneten, nachdem Sie all weisung und zur Feststellung der Beschlussfähigkeit alle die Dinge, die Sie noch erledigen mussten, erledigt ha- Abgeordneten gebeten, den Saal zu verlassen. ben, nun auch den Saal zu verlassen. Wir werden jetzt feststellen, inwieweit die Abgeord- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe gro- neten bereit sind, die Vorlagen in die in der Tagesord- ßes Verständnis dafür, dass am letzten Sitzungstag des nung ausgewiesenen Ausschüsse zu überweisen – dann Jahres 2018 noch viele Dinge zu besprechen und zu er- kommen sie durch die „Ja“-Tür –, oder ob sie dagegen ledigen sind. Ich bitte trotzdem, sich gedanklich damit sind – dann kommen sie durch die Tür, welche mit einem zu befassen, dass wir nachher auch hier im Plenum noch „Nein“ gekennzeichnet ist –, und sollten sie sich ent- ein paar Dinge zu erledigen haben, und deshalb jetzt halten wollen, kommen sie durch die dritte Tür, welche die Voraussetzungen zu schaffen, dass wir mit der Aus- (B) mit „Enthaltung“ gekennzeichnet ist. Gleichzeitig wird (D) schussüberweisung und gleichzeitigen Feststellung der gezählt, wie viele Abgeordnete den Saal betreten, und Beschlussfähigkeit zeitnah beginnen können. somit die Beschlussfähigkeit oder Beschlussunfähigkeit des Bundestages festgestellt. Ich bitte um ein Zeichen, ob sichergestellt ist, dass alle Abgeordneten den Saal verlassen haben und die Schrift- Beschlussfähig ist der Deutsche Bundestag, wenn führerinnen und Schriftführer jeweils an ihrem Platz 355 Abgeordnete in den Saal kommen. Dieser Vorgang sind. – Das wird mir bestätigt. Dann erkläre ich jetzt noch wird noch einen Moment in Anspruch nehmen, da nach einmal, worüber abgestimmt wird. Es geht um die Über- unserer Wahrnehmung bisher alle Abgeordneten, die den weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/5077, Saal wieder betreten haben, gleichzeitig mit Ja votiert 19/6420, 19/6426 und 19/6424 an die in der Tagesord- haben. Das bringt – das können Sie dort oben nicht se- nung aufgeführten Ausschüsse. Wenn Sie damit einver- hen – eine gewisse Drängelei an der Tür, welche mit „Ja“ standen sind, kommen Sie durch die Tür, welche mit „Ja“ gekennzeichnet ist, mit sich. gekennzeichnet ist, wenn Sie dagegen sind, kommen Sie durch die Tür, welche mit „Nein“ gekennzeichnet ist, und Ich bitte um ein Zeichen, ob es noch Abgeordnete gibt, sollten Sie sich enthalten wollen, benutzen Sie bitte die die sich in der Lobby des Reichstages aufhalten und sich Tür, welche mit dem Wort „Enthaltung“ gekennzeichnet noch gehindert sehen, den Raum zu betreten. – Ich kann ist. Mit dem Betreten des Saales wird Ihr Abstimmungs- nicht wahrnehmen, dass es noch Abgeordnete gibt, die verhalten festgestellt, gleichzeitig wird gezählt, wie vie- sich gehindert sehen, den Saal zu betreten. le Abgeordnete den Saal betreten, und auf diese Art und Weise festgestellt, ob der Deutsche Bundestag am Ende Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, das dieser Abstimmung beschlussfähig ist. Die Beschlussfä- Ergebnis der Abstimmung über die Ausschussüberwei- higkeit ist gegeben, wenn 355 Abgeordnete den Saal be- sung festzustellen. Inwieweit der Deutsche Bundestag treten und an dieser Abstimmung teilnehmen. beschlussfähig ist, werden wir gleich feststellen. Schlie- ßen Sie bitte die Türen hinten im Saal. Ich nehme an, dass sehr viele Kolleginnen und Kolle- gen mit Ja votieren wollen. Ich bitte also um gegenseitige (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Rücksichtnahme beim Betreten des Saals und eröffne die beantragende Fraktion ist nicht da! – Lothar Abstimmung. Binding [Heidelberg] [SPD]: Die AfD ist schon im Urlaub! – [DIE Ich begrüße herzlich die neuen Besucherinnen und LINKE]: Die brauchen auch nicht wieder- Besucher der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages; kommen!) 8474 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich gebe Ihnen das Ergebnis der Abstimmung be- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: (C) kannt: abgegebene Stimmen 414. a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, der CSU und SPD SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Abgeordnete der Kulturgut Buch fördern – Buchpreisbindung AfD-Fraktion betreten den Saal – Niema erhalten Movassat [DIE LINKE]: Das ist antidemo- Drucksache 19/6413 kratisch! – Buhrufe und Pfiffe bei der CDU/ CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gierung Darf ich – – Sondergutachten der Monopolkommission ge- mäß § 44 Absatz 1 Satz 4 des Gesetzes gegen (Unruhe – Zurufe von der SPD, der LINKEN Wettbewerbsbeschränkungen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir sind mehr! Wir sind mehr! – Glocke der Prä- Die Buchpreisbindung in einem sich ändern- sidentin) den Marktumfeld – Ich bitte, die Ordnung und die Aufmerksamkeit herzu- Drucksache 19/2444 stellen. Überweisungsvorschlag: (Anhaltende Unruhe – Glocke der Präsiden- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz tin) Ausschuss für Kultur und Medien Ausschuss Digitale Agenda – Ich bitte alle Abgeordneten, erst einmal die notwendige Aufmerksamkeit herzustellen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was für eine Truppe! Erbärmlich! – (Unruhe) Niema Movassat [DIE LINKE]: Unglaub- lich!) Ich nehme die Unruhe im Saal nicht als Widerspruch wahr. Dann ist das so beschlossen. Ich habe das Abstimmungsergebnis noch gar nicht voll- (B) ständig bekannt gegeben. Also, der Vollständigkeit hal- Ich bitte jetzt, die offensichtlich notwendigen Um- (D) ber: Abgegeben wurden 414 Stimmen. Mit Ja haben gruppierungen in den Fraktionen zügig vorzunehmen 413 Abgeordnete gestimmt, und es gab eine Enthaltung. und die Aufmerksamkeit herzustellen. (Beifall und rhythmisches Klatschen bei der (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN NEN], an die AfD gewandt: So macht man und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie sich lächerlich! – Gegenruf des Abg. Jürgen von der Regierungsbank – Die Abgeordneten Braun [AfD]: Normale Regeln der Geschäfts- der CDU/CSU, SPD, FDP, der Fraktion Die ordnung!) Linke und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN erheben sich) Dazu gehört auch, dass ab sofort wieder das Wort an die Rednerinnen und Redner der Fraktionen bzw. der Bun- – Mir sei eine persönliche Bemerkung erlaubt. Eine sol- desregierung erteilt wird che Begeisterung für eine Ausschussüberweisung habe ich in 20 Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht erlebt. NEN], an die AfD gewandt: Das war ja eine brillante Aktion!) (Jürgen Braun [AfD]: Das ist der Stil der Volkskammer!) und wir den Austausch von Meinungen zu dem hier Ge- sprochenen wieder auf das übliche Maß an Zwischenru- Aber fürs Protokoll halten wir fest: Die Drucksa- fen zurückfahren. chen 19/5077, 19/6420, 19/6426 und 19/6424 sind offen- sichtlich mit großer Begeisterung des gesamten Hauses Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla- überwiesen worden. mentarische Staatssekretär Oliver Wittke. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der (Beifall bei der CDU/CSU) SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Oliver Wittke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Wirtschaft und Energie: Damit fahren wir mit unseren Beratungen fort. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn dieser wich- NEN]: So macht man sich halt lächerlich, Herr tigen Debatte über das Thema Buchpreisbindung meine Gauland!) Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass dieses Hohe Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8475

Parl. Staatssekretär Oliver Wittke (A) Haus gerade eindrucksvoll auch ohne Teilnahme der AfD rielle Werte zu vernichten; es ging darum, eine Geistes- (C) seine Beschlussfähigkeit unter Beweis gestellt hat. haltung zu vernichten, die Identität und das Gedächtnis unseres Staates auszulöschen. Das zeigt, welche immen- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, se Bedeutung das Buch für die Geschichte und für die der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Identität Deutschlands besitzt. GRÜNEN) Das zeigt, dass es dieser Fraktion in diesem Deutschen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Bundestag nicht bedarf. FDP) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Darum sollten wir alles daransetzen, dass wir das der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Buch fördern, dass wir den Buchhandel aufrechterhal- GRÜNEN – Dr. [AfD]: ten, dass wir uns nicht damit abfinden, dass die Verkäufe Das bestimmen nicht Sie, Herr Staatssekretär, von Büchern rückläufig waren. Im Jahre 2010 wurden in sondern das Volk! – Beatrix von Storch [AfD]: Deutschland noch 416 Millionen Bücher abgesetzt. Im Nun sind wir halt da!) Jahre 2016 waren es rund 50 Millionen weniger, nämlich Damit will ich aber zum eigentlichen Thema kommen. nur noch 367 Millionen. Das ist eine bedauerliche Ent- Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die wicklung. Ich finde, wir sollten dieser Entwicklung nicht der Bücher die gewaltigste. – Diese Worte von Heinrich Vorschub leisten, sondern uns mit allem, was in unseren Heine zeigen, wie ich finde, sehr eindrucksvoll, dass das Kräften steht, dagegen wenden. Das ist der Grund, wa- Buch nicht irgendein Wirtschaftsgut ist, sondern dass das rum wir – anders, als die Monopolkommission es emp- Buch ein Kulturgut ist, dass das Buch ein Teil unserer fohlen hat – keine Änderung des Buchpreisbindungsge- Identität ist. setzes wollen. Auch wenn wir im Jahre 2017 in der Buchbranche ei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nen Umsatz von 9,13 Milliarden Euro hatten, auch wenn der SPD) im vergangenen Jahr 70 000 neue Titel in Deutschland erschienen sind, auch wenn es 6 000 Buchhandlungen Wir haben als Bundeswirtschaftsministerium eine gibt – Filialen und Buchverkaufsstellen, von der Klein- Studie in Auftrag gegeben, ganz aktuell, um die Auswir- stadtbuchhandlung bis zum Buchkaufhaus, von der li- kung von Absatzförderprogrammen auf den Buchhandel terarischen Buchhandlung bis zum hochspezialisierten erörtern zu lassen, untersuchen zu lassen, weil wir die Fachsortiment für Recht, Wirtschaft und Steuern –, dann mögliche Reaktion des Gesetzgebers auf ein solches Pro- bleibt es doch ein Faktum, dass ein Buch mehr als ein gramm europarechtskonform umsetzen wollen. Das ist (B) einfaches Wirtschaftsgut ist. ein kleiner, aber, wie ich finde, ein wichtiger Beitrag, um (D) Bücher in Deutschland, um Literatur, um den Buchhan- Wenn ich gerade über die 6 000 Buchhandlungen ge- del auch weiterhin zu stärken. sprochen habe, will ich an dieser Stelle Altbundeskanzler Helmut Schmidt zitieren. Es gibt auch viele andere, außerhalb der Gesetzge- (Dr. Eva Högl [SPD]: Sehr schön!) bung liegende Vorhaben in Deutschland, wie das Lesen gefördert werden kann und wie das Buch gefördert wer- Helmut Schmidt hat einmal gesagt, dass diese den kann. Ich erinnere beispielsweise daran, dass Jahr für 6 000 Buchhandlungen so etwas wie geistige Tankstellen Jahr bei Vorlesetagen viele Vorleser und Zuhörer für das in unserem Land sind. Recht hat er an dieser Stelle, mei- Buch werben – in diesem Jahr 687 000. Viele Kollegin- ne Damen und Herren. nen und Kollegen auch aus diesem Haus und auch aus (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der den Reihen der Bundesregierung haben daran teilgenom- SPD und der LINKEN) men. Wir sollten auf diesem Weg fortfahren und unseren Beitrag dazu leisten, das Buch weiter zu stärken. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Buchhandel, dass wir Bücher in Deutschland fördern. Ich finde es gut, dass Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, lie- ein Wirtschaftspolitiker als erster Redner in dieser De- be Kollegen, ich habe meine Rede mit einem Zitat von batte hier vorne stehen kann, um deutlich zu machen: Es Heinrich Heine begonnen. Lassen Sie mich enden mit geht uns nicht darum, nur über Euro und Cent, nur un- einem Zitat von Hermann Hesse. Hermann Hesse hat ter Wettbewerbsrecht, nur unter Monopolrecht hier eine einmal gesagt: Debatte zu führen, sondern es geht uns darum, hier ein Bekenntnis dazu abzulegen, dass dieses Land, dass dieser Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Staat eine Kulturnation ist, und die Literatur, die Bücher Teppiche seine Böden und kostbare Tapeten und haben daran einen ganz wesentlichen Anteil. Bilder die Wände bedecken. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kol- Das gilt nicht nur für ein Haus; das gilt auch für unsere leginnen, liebe Kollegen, als am 10. Mai 1933 die Na- Gesellschaft. tionalsozialisten Bücher verbrannt haben – Bücher von Heinrich Mann, von Erich Kästner, von Erich Maria Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Remarque, von Kurt Tucholsky, von Carl von Ossietzky, von Heinrich Heine, von Carl Zuckmayer, von Thomas (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Mann und anderen –, ging es ihnen nicht darum, mate- der SPD) 8476 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: – Das, meine Damen und Herren, können wir nicht wol- (C) Das Wort hat der Abgeordnete Enrico Komning für len. die AfD-Fraktion. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Außerdem ist das Buch eben keine handelbare Ware wie jede andere; das Buch ist ein Kulturgut, es ist vor Enrico Komning (AfD): allem auch ein deutsches Kulturgut. Das Buch – für je- Frau Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! den erschwinglich durch Johannes Gutenbergs revoluti- Liebe Landsleute! Als Kritiker staatlicher Markteingrif- onäres Druckverfahren – begann in Mainz seinen welt- fe, wie die Buchpreisbindung einer ist, stehe ich solchen weiten Siegeszug. Goethes Faust, Schillers Wilhelm Tell Maßnahmen grundsätzlich skeptisch gegenüber. In die- und Thomas Manns Buddenbrooks sind Meilensteine der sem Fall ist es jedoch sinnvoll. Literatur. Der Büchermarkt ist weltweit in Schwierigkeiten. You- (Zuruf von der CDU/CSU: Und Luthers Bi- Tube, Netflix, Spotify und nicht zuletzt das gute alte Fern- bel!) sehen setzen den Büchern zu. Die Buchpreisbindung kann Mein Heimatschriftsteller Fritz Reuter hat sich in sei- zwar die Buchbranche nicht vor dieser Konkurrenz schüt- nen Schriften der Wiederbelebung der niederdeutschen zen; die Freigabe der Preise allerdings erst recht nicht. Sprache als Literatursprache gewidmet. Die Bibelüber- Die Buchpreisbindung dient allein der Gewährleis- setzung Martin Luthers führte zur Reformation, zur Auf- tung der bezahlten Vielfalt auf dem Büchermarkt. Ich klärung, zu unserer nationalen Demokratiebewegung und halte die Buchpreisbindung auch ökonomisch für rich- letztlich zu unserer modernen Gesellschaft. Wir Deut- tig. Es heißt, dass gebundene Buchpreise Händlerkartel- sche tragen gegenüber dem Buch eine ganz besondere le hervorriefen, während ein freier Preiswettbewerb zur Verantwortung, die wir wahrnehmen sollten und keines- Entstehung und Ausbreitung effizienter Handelsstruktu- wegs vorauseilendem Gehorsam eines Europäischen Ge- ren und Vertriebskonzepte beitrage. In den USA, sozusa- richtshofs überlassen dürfen. gen dem Mekka der freien Marktwirtschaft, ohne Buch- preisbindung, verschwinden aber gerade auch die letzten (Beifall bei der AfD) Buchläden. Selbst die großen Ketten Borders oder Bar- Meine Damen und Herren, bleiben wir ein Land der nes & Noble sind pleite oder kurz davor. Bücher in Ame- Dichter und Denker. Behalten wir die Buchpreisbindung rika werden fast nur noch über Amazon verkauft, jetzt bei. Wir werden dem Antrag zustimmen. sogar in eigenen Buchläden, hier aber natürlich nur die Bestseller; denn Nischenprodukte lohnen sich nicht. Das Mir bleibt noch, allen frohe Weihnachten zu wün- (B) ist sogar ein Monopol und nicht nur ein Kartell. schen, und vielleicht ist bei den vielen Geschenken ja ein (D) gutes Buch dabei. Richtig, das Buch ist ein Produkt mit relativ hohen Fix- und relativ niedrigen Grenzkosten; das bevorteilt Vielen Dank. auch bei Buchpreisbindung große Händler. Aber der re- (Beifall bei der AfD) gulierte Endverbraucherpreis führt auch dazu, dass klei- ne Buchhändler eben nicht so einfach aus dem Markt gedrängt werden können. In Deutschland werden nach Vizepräsidentin Petra Pau: wie vor die Hälfte aller Bücher im Sortimenthandel ge- Das Wort hat der Abgeordnete Falko Mohrs für die führt. Es gibt in Deutschland circa 1 700 Verlage und SPD-Fraktion. 3 000 – auch viele kleine – Buchhändler; diese vertreiben (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth jährlich 73 000 Neuerscheinungen. Zugegebenermaßen: Motschmann [CDU/CSU]) Auch hier gehen die Zahlen herunter; aber von dieser Vielfalt können die USA nur träumen. Falko Mohrs (SPD): (Beifall bei der AfD) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Eine Freigabe der Buchpreise würde zu einer rasan- Herren! Ich freue mich, dass wir diese Debatte hier noch ten Bereinigung dieser Zahlen führen – zum Schaden führen können, und muss dann doch damit starten, dass der Handelsware Buch; denn immer mehr Konsumenten ich von der Verlogenheit der AfD wirklich so was von an- würden sich abwenden. Ohne Buchpreisbindung gäbe es gewidert bin. Sie haben eben Ihre Leute – zum Beispiel nur noch schnell geschriebene Bestseller; Hauptsache Herrn Dr. Jongen – unter Zeugen abgehalten, sich an dem Auflage, Qualität spielt keine Rolle mehr. Die meisten Hammelsprung zu beteiligen Sachbücher würden sich nicht mehr rechnen. Ein immer (Dr. Marc Jongen [AfD]: Das stimmt doch größerer Kostendruck auf die Verlage, gerade auch im gar nicht!) Wettbewerb mit den Eigenverlegern, ist die Folge. Man spart sich die Qualitätskontrollen durch Lektoren; das – das stimmt; Herr Dr. Jongen, stehen Sie auf, geben Sie Niveau sinkt. Jungautoren hätten gar keine Chance mehr. zu Protokoll, wenn es nicht stimmt –, nur um dieses Haus vorzuführen. Ich darf Samuel Clemens, den Sie alle als Mark Twain kennen, zitieren: (Zurufe von der AfD) Jener, der keine guten Bücher liest, hat keinen Vor- Und ich bin froh, dass es Ihnen nicht gelungen ist, zu teil gegenüber jenem, der gar nicht liest. erreichen, dass dieses Hohe Haus Ihrer verlogenen Stra- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8477

Falko Mohrs (A) tegie zum Opfer gefallen ist; und das wird diese Demo- schaffen. Aber – meine lieben Kolleginnen und Kolle- (C) kratie auch niemals tun, meine Damen und Herren von gen, meine Damen und Herren –: nicht mit uns. Liebe der AfD. Monopolkommission, Sie argumentieren damit, dass das kulturelle Schutzziel „Kulturgut Buch“ gar nicht klar (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- definiert sei. Das sehe ich erstens anders, und zweitens wie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN kommen Sie doch in Ihrem Bericht selbst zu der Erkennt- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – nis, dass die Buchpreisbindung im Grundsatz einem an- Jürgen Braun [AfD]: Das war nach den Re- zuerkennenden kulturpolitischen Ziel dient und durchaus geln der Geschäftsordnung! – Weitere Zurufe klar definiert werden kann. von der AfD) Wir müssen uns nur, wenn wir Fragen hinsichtlich – Bleiben Sie ganz ruhig, sonst frage ich Sie gleich ein- der Bedeutung haben, umschauen und fragen, wie es mal, ob in der Auflistung Ihres Kollegen Komning nicht in anderen Ländern – auch in Europa –, wo die Buch- vielleicht auch ein paar jüdisch-deutsche Autoren und preisbindung gefallen ist, um die Buchpreise und um die wirklich erfolgreiche Schriftsteller gefehlt haben. Damit Vielfalt der Literatur bestellt ist. Und wenn wir das tun, hätten Sie an dieser Stelle einmal zeigen können, dass Sie dann stellen wir fest: Erstens. Die Buchpreise steigen wirklich für Vielfalt stehen. im Durchschnitt. Zweitens. Der kleine inhabergeführte (Zuruf von der AfD: Quatsch!) Buchhandel stirbt. Und drittens. Man muss viel mehr auf Bestseller setzen. Eine Verschlankung des eigenen Mit dem Thema Buchpreisbindung behandeln wir Portfolios und das Setzen auf nur noch wirtschaftlich heute für die Allermeisten in unserem Land ein prak- erfolgreiche Bücher führen aber zur Einschränkung der tisch relevantes Thema. Ob Buchhändler oder Verleger, Literatur. Schriftsteller oder Leseratte, Bibliotheken oder Schulen, Rentner oder Kleinkinder: Bücher lesen und kaufen alle Deswegen, meine Damen und Herren, ist deutlich: gerne. Auch wirtschaftlich ist der Bereich des Buchhan- Die Buchpreisbindung ist wichtig, sie ist richtig. Wir dels von hoher Bedeutung. 2017 erwirtschafteten die werden sie in Deutschland brauchen, und wir werden sie Sortimentsbuchhandlungen in Deutschland 4,3 Milliar- in Deutschland behalten. Dafür dient dieser Antrag, den den Euro Umsatz und haben damit einen wesentlichen wir zusammen mit der CDU/CSU gestellt haben. Beitrag zum Gesamtumsatz des deutschen Buchhandels von 9,1 Milliarden Euro beigetragen. Und es gibt in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deutschland noch immer 5 600 Buchhandlungen; allein der CDU/CSU) in meinem Wahlkreis sind es mehr als 10. Das ist gut; Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünsche ich (B) diese Vielfalt brauchen wir. Es dürfen gerne noch mehr über die Feiertage etwas Ruhe, etwas Muße; lesen Sie (D) werden, und an dieser Stelle hat die Buchpreisbindung ein gutes Buch. Und, Frau von Storch, das darf ich Ihnen eine wichtige Funktion. zum Ende hin nicht ersparen; ich habe eine Empfehlung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten für Sie. Es gibt ein Buch, welches zu verhindern Sie ver- der CDU/CSU) sucht haben, weil dort in einer Passage über Sie steht: Dass es in Deutschland feste Preise für Bücher gibt, ist Wird es doch einmal eng für sie wie im Streit um den gut und richtig. Die Verlage sind laut Buchpreisbindungs- Schießbefehl auf Frauen und Kinder an der Grenze, gesetz verpflichtet, für jedes Buch einen festen Preis zu dann ist sie eben „mit der Maus abgerutscht“. definieren, und jeder kommerzielle Händler muss sich an diesen Preis halten. Sie hatten keinen Erfolg damit, dieses Buch zu verhin- dern – zu Recht nicht. Das Ganze hat übrigens eine lange Tradition. Seit 1888 existiert in Deutschland die Buchpreisbindung. (Beatrix von Storch [AfD]: Ich hatte Erfolg! Sie hat seit ihrer Geburt zwei Weltkriege, zwei Kartell- Ich habe in zweiter Instanz gewonnen! Das ist rechtsreformen und die gegen sie gerichteten Verfahren in zweiter Instanz bestätigt worden!) der EU-Kommission rund um die Jahrtausendwende he- Herzlichen Dank. rum überdauert. Seit 2002 ist die Buchpreisbindung in Deutschland wieder gesetzlich verankert. Sie sehen also: (Beifall bei der SPD) Sie ist nicht nur wichtig; die Buchpreisbindung hat im deutschen Recht auch eine lange Tradition. Vizepräsidentin Petra Pau: Und: 2009 wurde die Buchpreisbindung endlich auch Wir fahren in der Debatte fort. – Das Wort hat der Ab- vom Europäischen Gerichtshof für zulässig erklärt; geordnete Hartmut Ebbing für die FDP-Fraktion. denn der Schutz der Bücher als Kulturgut rechtfertige die Eingriffe in den freien Handel – ich zitiere hier aus (Beifall bei der FDP – Jürgen Braun [AfD]: dem Urteil –: Bücher seien ein Kulturgut, dessen Schutz Ihr Koalitionspartner verbreitet mal wieder Eingriffe in den freien Handel rechtfertige. – 2016 wur- die Unwahrheit! Das sollten Sie als Union mal de die Buchpreisbindung dann folgerichtig auf E-Books zur Kenntnis nehmen! Die SPD sind die Spe- ausgeweitet. zialisten für Unwahrheit!) Doch nun stellt die Monopolkommission die Bedeu- – Das Wort hat der Abgeordnete Ebbing, und zwar aus- tung der Buchpreisbindung infrage und möchte sie ab- schließlich. 8478 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

(A) Hartmut Ebbing (FDP): Buchpreisbindung den Verlagen eine gewisse unterneh- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und merische Freiheit gestattet und es ihnen ermöglicht, die Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Bevor ich mit relativ hohen Gewinne durch den Verkauf von Bestsel- meiner Rede anfange, muss ich leider auch noch einen lern mit den anderen Büchern zu verrechnen. Dies trägt Satz zu dem sagen, was eben vorgefallen ist. Mir ist als dann schlussendlich dazu bei, dass unser Buchhandel Kind mitgegeben worden: Verhalte dich anderen gegen- wirklich eine Vielfalt hat, die sich sehen lassen kann. über stets so, wie du selber behandelt werden möchtest. Die Buchpreisbindung garantiert aber nicht nur eine (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gewisse literarische Bandbreite und sozialverträgliche der CDU/CSU – Jürgen Braun [AfD]: Dann Preise, sondern sie ermöglicht darüber hinaus auch das hätten Sie mal unsere Kandidatin mit gewählt! Überleben kleinerer Buchhandlungen, gerade auch im Hätten Sie mal unser Recht beachtet!) ländlichen Raum, im Wettbewerb mit Onlinehändlern wie zum Beispiel Amazon. Sie gewährleistet diesen klei- Ich möchte Sie von der AfD fragen: nen, mittelständischen Unternehmen ein Mindestmaß an (Jürgen Braun [AfD]: Das ist Verfassungs- Freiheit, Unabhängigkeit und Rentabilität. Darüber hi- recht! – Gegenruf des Abg. Michael Theurer naus sind diese Buchhandlungen auch essenziell für die [FDP]: Sie haben das Recht, jemanden vorzu- Wahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt im länd- schlagen!) lichen Raum verantwortlich. Möchten Sie so behandelt werden, wie Sie gerade eben (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Martin das gesamte Parlament behandelt haben? Ich möchte ein- Hebner [AfD]) mal sehen, wie Sie sich dann verhalten. Schon jetzt fühlen sich zahlreiche Bürgerinnen und (Jürgen Braun [AfD]: Herr Ebbing, schauen Bürger auf dem Land vom kulturellen Leben total abge- Sie mal in die Geschäftsordnung! Das war hängt. Wenn wir die Buchpreisbindung aufheben wür- alles gemäß der Geschäftsordnung! Halten den, wie es die Monopolkommission vorschlägt, dann, Sie sich bitte daran! – Weitere Zurufe von der meine ich, müsste ziemlich bald ein Verfahren gegen AfD) Amazon wegen einer marktbeherrschenden Stellung ein- geleitet werden. Deshalb – ich sage es mit Worten aus der Digitalwelt –: Never change a running system. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich bitte jetzt dem Beitrag des Abgeordneten Ebbing Vielen Dank, und Ihnen auch frohe Weihnachten. zu folgen. Sollte es Fragen oder Bemerkungen geben und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sollte er diese zulassen, dann haben wir dazu, wie das (B) der CDU/CSU und der SPD) (D) hier abläuft, ein verabredetes Verfahren. Und ich bitte da- rum, parallel zum Beitrag des Abgeordneten Ebbing kei- ne Unterhaltungen zwischen den Fraktionen zu führen. Vizepräsidentin Petra Pau: Sollten Sie Bedarf haben, sich auszutauschen, haben wir Das Wort hat die Kollegin Simone Barrientos für die auch dafür Räume. Fraktion Die Linke. (Heiterkeit bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN) So, Sie haben das Wort. Simone Barrientos (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen Hartmut Ebbing (FDP): und Kollegen! Für mich ist es fast wie ein vorgezoge- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ende Mai dieses nes Weihnachtsgeschenk, dass wir heute als Linke einem Jahres hat sich die Monopolkommission unter dem Vor- Antrag zustimmen können, der genau das Thema berührt, sitz von Präsident Achim Wambach für die Abschaffung das mich vor meiner Zeit im Bundestag leidenschaftlich der Buchpreisbindung ausgesprochen, wie wir alle wis- beschäftigt hat. Ich war nämlich in meinem vorhergehen- sen. Als angesehener Akademiker publiziert Professor den Beruf Verlegerin und habe unter anderem die Ehre ­Wambach selbstverständlich auch selber regelmäßig, zu- gehabt, Werke von Franz Josef Degenhardt, jüdische Li- letzt im September 2018. Die „FAZ“ nannte sein Werk teratur von Irene Runge und das letzte, sehr persönliche, mit dem Titel „Digitaler Wohlstand für alle“ ein „vor- kleine Buch von Hermann Kant zu veröffentlichen. zügliches“ Buch. Auch im „Handelsblatt“ wurde es be- sprochen und sogar in die Shortlist für den Deutschen Da war es natürlich naheliegend, dass ich als Kultur- Wirtschaftsbuchpreis aufgenommen. politikerin für meine Fraktion das erste Fachgespräch für Verlegerinnen und Verleger, nämlich für die von un- Es gibt nur ein Problem: Trotz eines moderaten Prei- abhängigen Verlagen, organisiert und dazu am 18. Juni ses von 28 Euro verkauft sich das Buch nicht gerade üp- eingeladen habe. Wie besorgt die Branche ist, zeigte sich pig. Auf Amazon belegt es gerade Platz 166 284. Selbst an der Beteiligung: Mehr als 60 Akteure sind meiner Ein- in der Kategorie Wirtschaft schafft das Buch gerade mal ladung gefolgt, und es kamen auch – dafür bedanke ich Platz 3 320. Sie ahnen sicherlich schon, worauf ich hin- mich – zwei Vertreter aus dem BKM und haben fleißig ausmöchte. Das Buch mag inhaltlich hervorragend sein, mitgeschrieben. hätte aber ohne die Buchpreisbindung wahrscheinlich niemals zu einem wettbewerbsfähigen Preis auf den Kurz zuvor, im Mai, hatte die von der Bundesregie- deutschen Buchmarkt gefunden. Das war möglich, da die rung damit beauftragte Monopolkommission ihr Sonder- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8479

Simone Barrientos (A) gutachten veröffentlicht. Ihre Empfehlung: Die Buch- die Buchpreisbindung ist es doch, die Marktvielfalt – auf (C) preisbindung kann, nein, soll sogar weg. Die wesentliche die kommt es hier ganz besonders an – überhaupt ermög- Begründung: Die Buchpreisbindung stellt einen schwer- licht. Durch die Buchpreisbindung liegt die Verhand- wiegenden Markteingriff dar. – Ich dachte damals: Ver- lungsmacht bei den Verlagen, nicht bei den Grossisten. dammt, jetzt geht es meinen Kolleginnen und Kollegen Nur so können es sich unabhängige Verlage überhaupt endgültig an den Kragen. – Die Branche kämpft näm- leisten, sich gerade den Titeln zu widmen, die wir so sehr lich schon lange und in den letzten Jahren zunehmend brauchen. Ich bin sicher, darunter gibt es auch solche, mit den Veränderungen. Viele Buchhandlungen mussten die den Horizont der Verfasserinnen und Verfasser des aufgeben, der Platz in Feuilletons schrumpft, die Digita- Gutachtens deutlich erweitern könnten. lisierung sorgt für Rechtsunsicherheit, die Branche hat es schwer. In Deutschland existieren etwa 3 000 Verlage. Nur 20 Prozent davon vereinigen heute bereits 70 Prozent des Natürlich ist hier das VG-WORT-Urteil zu nennen, Marktes auf sich. Unter den 80 Prozent der Verlage, die das aus der Sicht der schreibenden Zunft zwar unbedingt also 30 Prozent des Marktes mit Leben füllen, agieren zu begrüßen ist, aber die verlegende Zunft hart getroffen genau die, die die Vielfalt gewährleisten. hat. Nicht wenige unabhängige Verlage warfen das Hand- tuch, andere schafften es nur mit sehr viel Mühe und mit Mit der Einführung der Buchpreisbindung für E‑Books einem ohnehin vorhandenen Übermaß an Selbstausbeu- „setzt die Bundesregierung ein wichtiges Zeichen“, so tung, diesen Schlag zu überleben. Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Immerhin führte das Urteil dazu, dass im BKM sehr Deutschen Buchhandels. Einig mit dem Börsenverein ernsthaft über eine Förderung für Verlage nachgedacht sind sich auch die großen Verbände der schreibenden wird. Der angekündigte Deutsche Verlagspreis – er soll Zunft, also der PEN und der VS – nicht zu verwechseln im nächsten Jahr zum ersten Mal vergeben werden – ist mit dem Verfassungsschutz –, der Verband deutscher ein erster guter Schritt, aber er kann nur ein Anfang sein. Schriftstellerinnen und Schriftsteller: Die Buchpreisbin- dung muss erhalten bleiben. Britta Jürgs, die Vorsitzende der Kurt Wolff Stiftung und auch Verlegerin, erklärte in dem besagten Fachge- (Beifall bei der LINKEN) spräch: Es sind aber nicht nur die Verlage, die von der Buch- Wir brauchen regelmäßige, dauerhafte, nachhaltige preisbindung profitieren. Es ist auch und gerade der un- Förderung, um die Kultur der kleinen Verlage zu er- abhängige Buchhandel, der mindestens genauso schwer halten. zu kämpfen hat. Auch hier wird mit einem hohen Maß an (B) Ich kann mich ihr da nur anschließen. Idealismus gearbeitet und ums Überleben gekämpft – aus (D) Idealismus, aber auch aus einem Verantwortungsgefühl (Beifall bei der LINKEN) für die Gesellschaft, gerade in diesen Zeiten der Fake Allerdings teile ich nicht ihre Auffassung, dass es sich News, in denen Aufklärung so sehr nottut, in denen man um kleine Verlage handelt. Es sind unabhängige große Vielfalt so sehr begrüßen muss. Verlage. ist ja auch nicht klein, sondern kurz. Wer also profitiert? Die Monopolkommission sagt, der Markt sei es nicht. Das finde ich gut. Es sind die, die (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN Bücher schreiben, es sind die, die lektorieren, übersetzen, und der SPD – Reinhard Houben [FDP]: Den die Bücher in Form bringen, es sind die, die Bücher ver- Witz habe ich jetzt nicht verstanden!) legen, die Bücher vertreiben, und natürlich ganz beson- ders die, die die Bücher dann lesen, daraus lernen, sich – Ich kann Ihnen das erklären: Gregor Gysi ist ein großer unterhalten lassen, ihren Horizont erweitern oder einfach Mann, der ein wenig kurz geraten ist. Unabhängige Ver- glücklich in fremde Welten eintauchen. lage sind nicht klein, sondern groß, weil sie Großartiges leisten. Jetzt verstanden? Es ist aber nicht so, dass die Buchpreisbindung ledig- (Reinhard Houben [FDP]: Ja, danke, Frau lich hier in Deutschland erhalten bleiben muss. Lassen Kollegin!) Sie uns gemeinsam mit Verbänden und Organisationen der Schriftstellerinnen und Schriftsteller, der Verlage – Super. Es ist ja auch Freitag, ein bisschen spät. Ich ver- und des Buchhandels versuchen, mit allen Akteuren der stehe das. Branche eine europäische Bewegung für die Buchpreis- (Michael Theurer [FDP]: Spät?) bindung zu initiieren. Denn die negativen Folgen, die hier zu erwarten wären, sind andernorts schon Realität. Wir haben uns natürlich auch im Kulturausschuss mit dem Gutachten befasst, und ich habe mit großer Erleich- Außer einer solchen europäischen Initiative braucht es terung feststellen können, dass man da meine Einschät- aber vor allem die Gewissheit, dass zukünftige internati- zung teilt, nämlich dass die Abschaffung der Buchpreis- onale Verträge die Regelung nicht verwässern oder gar bindung nicht nur falsch wäre, sondern ein die Branche schleifen werden. Deshalb sage ich auch hier und heute: ernsthaft gefährdender Akt. Wer wie die Monopolkom- Kultur gehört als Staatsziel ins Grundgesetz. mission nur in der Marktlogik denkt und deshalb von ei- nem schwerwiegenden Markteingriff spricht, der denkt (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. nicht nur zu eng, sondern vor allem viel zu kurz. Denn [SPD]) 8480 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Simone Barrientos (A) In diesem Sinne: Frohes Fest und einen guten Rutsch – rück, die es in Deutschland gibt. Diese Backlist, die mit (C) oder, wie man bei uns in Franken sagt, einen guten Be- 1 Million Büchern ausgestattet ist, fußt letztendlich auf schluss! der Buchpreisbindung im deutschen Buchhandel. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Katrin Budde [SPD]) sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Diese Backlist ist Ausdruck einer vitalen Struktur am Das Wort hat der Kollege Erhard Grundl für die Frak- Buchmarkt, und die gilt es zu erhalten. Seit 2002 gibt tion Bündnis 90/Die Grünen. es das Gesetz, das den Ladenpreis für alle festsetzt. Zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gleich sorgt dieses Gesetz dafür, dass wir neben den gro- ßen Buchhandlungsketten überall im Land viele kleine Sortimentsbuchhandlungen haben. Rund 5 000 wirkliche Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Buchhandlungen gibt es in Deutschland. Sie veranstalten Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Autorenlesungen und bieten Raum zum Schmökern, ge- Herren! Die Monopolkommission ist auf dem Holzweg. rade für Kinder. Denn die Kinder in Deutschland lesen Sie erkennt zwar einerseits die Schutzwürdigkeit des tatsächlich. 2017 stellte die Literatur für den Nachwuchs Kulturguts Buch an; gleichzeitig sieht sie aber auch das über 12 Prozent aller Erstauflagen dar. Buch als Ware, als ob es eine Wurstsemmel oder eine Veggie-Wurst-Semmel wäre. In diesen Buchhandlungen wird vor allem auch be- raten. Lassen Sie mich dies persönlich anmerken: Jeder (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Amazon-Algorithmus ist armselig gegen die Tipps und SES 90/DIE GRÜNEN) Empfehlungen einer engagierten Buchhändlerin oder ei- Die Kommission folgt den einseitigen Ansichten der nes engagierten Buchhändlers. Marktmonopolisten, die stets anführen, dass die Buch- preisbindung ein schwerwiegender Markteingriff sei, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie behauptet schließlich, der Markt würde es auch ohne sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Buchpreisbindung schon richten, ohne Buchpreisbin- der SPD und der Abg. Simone Barrientos dung würden Bücher preiswerter. Das ist, um es gelinde [DIE LINKE]) zu sagen, eine sehr eindimensionale Betrachtungsweise, Buchhandlungen sind Kulturorte, die das Lesen span- die wir nicht teilen. nend machen und fördern. An die oft schwierige Situ- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ation, in der sich die unabhängigen Buchhandlungen in (D) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) den deutschen Städten und Großstädten befinden, muss nach unserer Meinung das Gewerbemietrecht angepasst Für wenige Bestseller mag das gelten. Für andere, be- werden. Das ist zwar ein Aspekt, der nicht von der Buch- sondere Bücher, für Sachbücher, für Klassiker, für alles, preisbindung abhängt, aber er ist wichtig. Denn es ist was experimentell ist, und damit für die gesamte Breite nicht akzeptabel, wenn als Erstes die kleinen Buchhand- des Angebots des Buchmarkts gilt das definitiv nicht. Es lungen aus dem Kiez verschwinden. würde deutlich teurer werden. Viele Bücher würden kom- plett aus dem Angebot verschwinden bzw. erst gar nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verlegt werden. Studien belegen ganz klar: In Ländern sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE ohne Buchpreisbindung sind die Buchpreise deutlich LINKE]) höher. Es gibt in den Ländern ohne Buchpreisbindung weniger Buchverlage und weniger Buchhandlungen, das Wir brauchen nicht mehr Bücher im Supermarkt oder heißt weniger Vielfalt. beim Discounter, wir brauchen vor allem eine lebendige Landschaft von unabhängigen Händlern, die ihr Herzblut Wenn ich mit meinen amerikanischen Verwandten in in ihren Beruf legen. Deutschland in eine Buchhandlung gehe, dann sind sie erstaunt über die Möglichkeiten, die der Bestellservice (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der kleinsten Buchhandlung bietet. Es ist für uns selbst- sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE verständlich, dass wir eine Erzählung von Tucholsky, das LINKE]) erste Buch von Viv Albertine oder einen Lyrikband von Gerade im ländlichen Raum sind sie ein entscheiden- Emily Dickinson in der Buchhandlung bestellen und am der Teil unserer kulturellen Infrastruktur. Sie stehen für nächsten Tag abholen können, und es kann uns auch zu- Vielfalt und Teilhabe. Ich kenne Buchhandlungen vom geschickt werden. Emsland bis zum Bayerischen Wald. Das trifft auf alle Das alles ist in den USA und auch in England völlig Menschen zu, die dort tagtäglich ihre Arbeit verrichten undenkbar. Da wartet man sehr, sehr lange, bis die Buch- und ihr Herzblut da hineingeben, damit in Deutschland handlung das jeweilige Buch an den Start bringt. der Buchhandel genau so funktioniert, wie er heute ist. Ich finde das gut. Obwohl die genannten Bücher im Gegensatz zu den 73 000 Neuerscheinungen, von denen heute schon öfter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Rede war, keine Neuheiten sind, ist das, finde ich, sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE eine große Errungenschaft. Es geht auf die Backlist zu- LINKE]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8481

Erhard Grundl (A) Ich habe das Beispiel USA und England angeführt. Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Dort sterben die unabhängigen Buchhändler. Es gibt eine Ich bitte Sie, einen Punkt zu setzen. Marktkonzentration, die so weit geht, dass der amerika- nische Autor James Patterson, der selbst einer Schreibfa- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): brik vorsteht, die erfolgreich massenhaft Bücher produ- Erhard Grundl ziert, im letzten Jahr 1 Million Dollar für in Not geratene Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten. Gehen Sie in Buchhandlungen in den USA gestiftet hat. Die Zukunft die Buchhandlungen, und schenken Sie Bücher! der amerikanischen Literatur will selbst er nicht den Mo- Danke. nopolisten überlassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Garant für Vielfalt und Qualität ist auch die Arbeit der sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Verlage. Susan Hawthorne weist in ihrem Buch „Biblio- Simone Barrientos [DIE LINKE]) diversität“ darauf hin, dass globale Verlage sich nicht für das Neue und Ungewöhnliche entscheiden, sondern stets Vizepräsidentin Petra Pau: Bekanntes reproduzieren, das sich nur auf das konzen- Ein kleiner Hinweis für die nachfolgenden Reden: triert, was sich gut verkauft. So entsteht ein sich selbst Es ist ja nachvollziehbar, dass Sie uns Ihre Wünsche für befeuernder Mainstream, der letztlich nur für eines sorgt: den Jahreswechsel mitgeben wollen. Versuchen Sie das für Eintönigkeit. Das wollen wir doch alle nicht. bitte in der verabredeten Redezeit zu erledigen! – Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wort hat der Kollege Dr. Matthias Heider für die CDU/ CSU-Fraktion. Die Einrichtung des Buchhandlungspreises und die (Beifall bei der CDU/CSU) Ankündigung von Frau Grütters, 2019 einen Verlagspreis einzuführen, begrüße ich. Wenn dieser Preis die Vielfalt im Buchmarkt ins Zentrum setzen möchte, ist es uner- Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): lässlich, dass dabei auch die Frauenförderung stärker in Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- den Fokus genommen wird. Denn noch immer werden legen! Sehr geehrte Damen und Herren! Stellen Sie sich Bücher im Wesentlichen von Männern verlegt. vor, es ist Frankfurter Buchmesse, und keiner geht hin. Im vergangenen Jahr haben nur 54 Prozent aller Haus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) halte in Deutschland ein Buch gekauft, also jeder zweite Haushalt. Tatsache ist: Wir brauchen eine gestärkte Buchpreis- bindung. Der Onlinemonopolist praktiziert durch soge- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) nannte Affiliate-Programme gerade ein Umgehen der NEN]: Es geht der Trend zum Zweitbuch!) (D) Preisbindung. Das ist für den Buchhandel problematisch. Vor zehn Jahren waren es noch 65 Prozent. Es ist gut, dass die Bundesregierung jetzt eine Studie Ist es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, dass wir in Auftrag gegeben hat, um die Auswirkungen dieses in- auch in dieser Legislaturperiode wieder über die Buch- ternetgestützten Vertriebs auf den deutschen Buchhandel preisbindung diskutieren? Ich finde, es ist ein gutes zu prüfen und unter Umständen die Buchpreisbindung Zeichen. Denn die Debatte zeigt, wie wichtig uns das anzupassen. Das ist gut, aber es kommt eigentlich zu Kulturgut Buch ist und wie wichtig uns auf der anderen spät. Die Frage ist: Warum erst jetzt? Seite auch ein gesunder Wettbewerb ist. Deshalb ist es Wenn wir – wie Sie, Frau Grütters, richtig sagen – eines im Grunde genommen ein schöner Impuls, den die Mo- unserer wertvollsten Kulturgüter, nämlich die literarische nopolkommission gegeben hat. Denn diese Herausforde- Vielfalt, stärken wollen, dann müssen wir dafür sorgen, rung gibt uns die Gelegenheit, wieder zu erklären, wa- dass die Buchpreisbindung nicht ausgehöhlt wird. Meine rum wir uns bei einem kleinen wettbewerbspolitischen Fraktion setzt sich dafür ein, unsere vielfältige Litera- Thema so verhalten. turlandschaft und vor allem junge, kreative Autorinnen Die Hälfte der Bücher, die 2017 verkauft worden sind, und Autoren zu stärken. Wir wollen gute Bedingungen sind über den Buchhandel verkauft worden, aber schon für kleine Verlage. Wir wollen Vielfalt ermöglichen und 16,8 Prozent sind über das Internet verkauft worden. viele daran teilhaben lassen. Noch gibt es den Buchhandel in Deutschland, mit circa 6 000 Buchhandlungen und über 30 000 Menschen, die im Buchhandel beschäftigt sind. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Grundl, achten Sie bitte auf die Redezeit. Verfehlt wäre es, die Arbeit der Monopolkommission als einen Angriff auf den Erhalt des Kulturgutes Buch zu werten, den es jetzt etwa abzuwehren gilt. Nein, die Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Monopolkommission – das haben wir auch in unserem Schließlich gibt es laut Kurt Tucholsky nur sehr we- Antrag hervorgehoben – erkennt durchaus, dass es ein nige Situationen, in denen man keine Bücher lesen kann, kulturpolitisches Ziel bei der Buchpreisbindung gibt: den könnte oder sollte. Schutz des Buches. Es ist sogar ausgewiesenes Ziel des kürzlich vorgelegten Gutachtens der Kommission, die Dem Antrag der CDU/CSU und SPD stimmen wir Diskussion um künftige Maßnahmen zum Schutz des gerne zu. Kulturgutes Buch zu befeuern. 8482 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Dr. Matthias Heider (A) Wenn sie das gesetzliche Konstrukt der Buchpreisbin- Um es kurz zu machen: Die Landschaft an Büchern (C) dung aus rein wettbewerblichen und ökonomischen Er- und Buchläden wäre eintöniger. Es gäbe weniger Auto- kenntnissen als den richtigen Weg zum Schutz des Kul- ren, es gäbe weniger Meinungen und Ansichten auf dem turgutes Buch anzweifelt, ist das ihr gutes Recht, ja es ist Markt. Dabei ist gerade die Vielfalt der Bücher das, was sogar die ordnungspolitische Pflicht der Monopolkom- das Kulturgut Buch ausmacht. Sie unterscheiden sich mission, das zu tun. Sie stärkt hierdurch die Grundsätze, damit auch von einer herkömmlichen Handelsware. Die die wir uns für die Wahrung eines florierenden Wettbe- Verschiedenheit der Bücher ist Ausdruck einer bunten werbs gegeben haben. Meinungsvielfalt und der Kreativität der Menschen, die ihren Geist in diese Bücher stecken, um Vielfalt zu Aber, meine Damen und Herren, es ist Aufgabe der fördern. Und auch zum Bedienen kleiner Interessenten- Politik und damit unsere Aufgabe, Wertungsentscheidun- kreise bedarf es eines Systems, das sich eben nicht aus- gen zu treffen, und das rechtfertigt wettbewerblich eine schließlich nach Angebot und Nachfrage richtet. besondere Behandlung des Kulturgutes Buch. Dazu wol- len wir aus der Koalition mit unserem heutigen Antrag Meine Damen und Herren, deshalb müssen wir dafür beitragen. sorgen, dass es sich für Autoren lohnt, sich an kleine Le- serkreise zu richten. Wir müssen dafür sorgen, dass es (Beifall bei der CDU/CSU) sich für Verleger lohnt, unbekannte Autoren zu fördern. Die Monopolkommission vertritt die Auffassung, nur Wir müssen dafür sorgen, dass es sich für Buchhändler ein freier Wettbewerb trage zur Entstehung und Ausbrei- lohnt, ein breites Angebot in ihrem Geschäft zur Verfü- tung effizienter Handelsstrukturen und Vertriebskonzepte gung zu stellen. Und schließlich müssen wir dafür sor- bei. Meine Damen und Herren, die Monopolkommission gen, dass es sich für die Kunden auch lohnt, in die Buch- gibt zu bedenken, dass nach ihrer Auffassung kein klarer handlung zu gehen, statt im Internet zu bestellen. Zusammenhang zwischen Buchpreisbindung und Preis- Für all dies ist die Buchpreisbindung das richtige In- senkungseffekten, Bevorratung und Titelvielfalt bestehe. strument. Sie ist der Weg zum Erhalt des Kulturgutes Es ist unsere Aufgabe, das nachzuweisen. Buch. Dafür setzen wir uns als Union, als Koalition ein. Wenn schon wieder davon gesprochen worden ist, Meine Damen und Herren, wir werden uns die vielen dass man beim Europäischen Gerichtshof mit der Arznei- Bemerkungen, die heute im Parlament gemacht worden mittelpreisbindung anders umgegangen ist, dann verwei- sind, sehr genau im Protokoll ansehen. Denn mit Goethe se ich nur auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs kann ich Ihnen sagen: „Was man schwarz auf weiß be- zu den deutschen Fernsehgebühren, das in dieser Woche sitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“ getroffen worden ist. Auch das ist ein Sondertatbestand, (B) den wir hier in Deutschland geregelt haben. Wir haben Wenn Sie zum Jahresende eine Empfehlung für ein (D) deshalb guten Grund, auch an den Sonderregelungen für Buch brauchen, dann lege ich Ihnen nahe: Gucken Sie in Bücher festzuhalten. die „Frohe Botschaft“. Die Zuversicht und das Vertrau- en, die aus diesem Buch sprechen, sind auch das, was (Beifall bei der CDU/CSU) die Demokratie beschützen wird. Dafür werden wir uns einsetzen. Meine Damen und Herren, dass sich ein ganz freier Wettbewerb nicht unbedingt nur positiv auf den Bü- Herzlichen Dank, und Ihnen ein schönes Weihnachts- chermarkt auswirkt, zeigt ein Blick auf das Heimatland fest. der Kinderbuchautorin Astrid Lindgren: Schweden. In (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Schweden führt diese Maßnahme zu einem deutlichen ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Rückgang von Neuerscheinungen im Buchmarkt. Die DIE GRÜNEN) Buchvielfalt muss dort gewissermaßen durch die Einfüh- rung eines staatlichen Subventionssystems für die Kultur gerettet werden. Hierzulande ist das Verlagswesen eine Vizepräsidentin Claudia Roth: der wenigen Ausnahmen in der Kulturlandschaft, für Vielen Dank, Dr. Matthias Heider. – Einen schönen die es keine Subventionierung gibt. Meine Damen und Mittag, kann man, glaube ich, sagen, liebe Kolleginnen Herren, wir sollten uns dafür einsetzen, dass das auch so und Kollegen, von mir an Sie. – Nächster Redner in der bleibt. Debatte: Dr. Marc Jongen für die AfD-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei der AfD) Falko Mohrs [SPD]) Buchhändler wären, wenn wir es anders machen wür- Dr. Marc Jongen (AfD): den, dem freien Wettbewerb ausgesetzt. Sie würden sich Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Fast hätte ich vermutlich stark an der Nachfrage ihrer Kunden orientie- schon „liebe Freunde“ gesagt; ren müssen. Absatzfördernd wäre das also nur in einem (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD – Sortiment für Kassenschlager – und das sind die Bücher, Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die eben keine Titelvielfalt in den Regalen zulassen –, NEN]: Das können wir nicht unterschreiben!) weil der Interessentenkreis für bestimmte Bücher sehr eingeschränkt ist. Aber auch diese Meinungen wollen denn dass die Regierungsfraktionen und selbst Grüne wir hören und wollen wir in der Kultur gerne zur Geltung und Linke wie auch die FDP mit der AfD Seit an Seit kommen lassen. einen Anschlag auf die Kultur in Deutschland zu verhin- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8483

Dr. Marc Jongen (A) dern helfen, ist schon ein ganz besonderes Ereignis. So Börsenverein protestierte, wurde boykottiert und ausge- (C) viel Harmonie muss mit dem nahenden Weihnachtsfest grenzt. Eine „Spiegel“-Kolumnistin sagt eine Lesung in zu tun haben; ich weiß es nicht. einer Buchhandlung ab, weil dort rechte Bücher stehen. Vielleicht können Sie jetzt aber zumindest ein biss- (Beifall des Abg. Uwe Kekeritz [BÜND- chen nachempfinden, wie es uns regelmäßig geht, NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Ach Gott- Ein Buch des hellsichtigen Zeitdiagnostikers Rolf Peter chen!) Sieferle, das ganz oben auf der „Spiegel“-Bestsellerliste stand, verschwindet plötzlich von einer Woche auf die wenn wir mit anderen Schaden bringenden Initiativen der andere von selbiger, weil es nicht ins linksliberale Welt- EU oder sonst woher konfrontiert sind. bild passt. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Simone Barrientos Völlig zu Recht kritisiert der Antrag der Regierung [DIE LINKE]: Die ewige Schleife!) zum Kulturgut Buch die rein ökomische Betrachtungs- Bücher werden in Deutschland zwar noch nicht ver- weise der Monopolkommission, die den identitätsstif- brannt, aber sie werden verbannt; und das ist einer Kul- tenden Aspekt des Buches und damit auch der Literatur turnation unwürdig. weitgehend ausblendet. Warum auch die AfD gegen die Aufhebung der Buchpreisbindung ist, hat mein Kollege (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Stefan Enrico Komning ausführlich dargelegt. Mein Part hier ist Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) es, den Finger in eine Wunde zu legen und die Harmonie dann doch zu beenden. Das sind Regime, die sich so verhalten, die wir zu Recht verurteilen. Sie nennen nämlich in Ihrem Antrag die Buchpreis- bindung ein „zentrales Instrument zur Sicherung des Be- Wenn es Ihnen wirklich ernst ist mit der kulturellen stands der kulturellen Vielfalt im Buchwesen“. Ich will Vielfalt im Buchwesen, dann verurteilen Sie diese Zu- kurz rekapitulieren, wie es mittlerweile mit der kulturel- stände konsequent. Sorgen Sie für ein gesellschaftliches len Vielfalt im Buchwesen in Deutschland bestellt ist. Klima, das verhindert, dass so was wieder vorkommt! Bereits 2014 strich der Onlinebuchhändler Amazon (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Das müs- etliche Titel des Antaios Verlages des engagierten rechts- sen Sie in die andere Richtung sagen!) konservativen Verlegers Götz Kubitschek Solange das nicht geschieht, müssen wir Ihre edlen Be- kenntnisse zur Vielfalt als Heuchelei werten. Nichts an- (B) (Lachen der Abg. Simone Barrientos [DIE (D) LINKE]) deres sind sie. aus dem Sortiment, weil sie seiner Meinung nach poli- Danke. tisch unkorrekt waren. (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Simone (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Oh mein Barrientos [DIE LINKE]) Gott!) – Lügnerin. Auf der Frankfurter Buchmesse 2017 demonstrier- ten leitende Personen des Börsenvereins des Deutschen Vizepräsidentin Claudia Roth: Buchhandels vor dem Antaios-Messestand. Sie verhin- Vorsicht mit der Wortwahl, sehr geehrter Herr derten nicht Dr. Marc Jongen. – Nächster Redner: Martin Rabanus für die SPD-Fraktion. (Lachen der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. [CDU/CSU]) – Frau Barrientos, ja, da können Sie lachen –, dass der Stand zweimal über Nacht verwüstet wurde. Lesungen konnten wegen Störaktionen Ihrer Freunde dort nicht Martin Rabanus (SPD): stattfinden. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuhörer auf den Tribünen! Das war schon wieder (Beifall bei der AfD – Lachen der Abg. mal ein denkwürdiger Auftritt von dem Kollegen Jongen, Simone Barrientos [DIE LINKE]) (Beifall bei der AfD – Dr. Alexander Gauland 2018 dann die Verbannung sogenannter rechter Verla- [AfD]: Da haben Sie völlig recht!) ge in ein totes Eck der Messehalle; eine klare Repression gegen Andersdenkende. der ein ganz merkwürdiges Weltbild, ein ganz merkwür- diges Gesellschaftsbild im Kopf hat. (Niema Movassat [DIE LINKE]: In die braune Ecke, da gehören die Verlage hin! – Simone (Dr. [AfD]: Für Sie ist das Barrientos [DIE LINKE]: Ich engagiere mich merkwürdig!) übrigens für Verlage gegen rechts!) Wir reden hier über ein Instrument, nämlich die Buch- Susanne Dagen, Buchhändlerin aus Dresden, die preisbindung, die – ich mag das ja beklagen – auch den gegen diese Zustände in einem offenen Brief an den von Ihnen gemochten Verlagen nutzt. Es ist ja nicht so, 8484 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Martin Rabanus (A) dass wir in irgendeiner Weise eine Gesellschaft hätten, Seit 2016 gilt die Buchpreisbindung für E‑Books glei- (C) die ausgrenzt, chermaßen. (Lachen bei der AfD) Mir ist noch der Hinweis auf die Affiliate-Program- eine Gesellschaft, die es nicht aushalten würde, dass es me – dazu hat Kollege Grundl, glaube ich, schon etwas unterschiedliche Auffassungen gibt. Das ist alles über- gesagt – wichtig. Natürlich wird versucht, die Buchpreis- haupt nicht der Fall. bindung ein Stück weit über Rabattsysteme auszuhebeln. Ich bin froh, dass das jetzt durch die Studie, die die Bun- (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das macht ihr desregierung in Auftrag gegeben hat, profund untersucht doch den ganzen Tag! – Beatrix von Storch wird. Wenn sich daraus ergeben sollte, dass im Buch- [AfD]: Dass Sie dabei nicht rot werden!) preisbindungsgesetz zusätzliche Regelungen nötig sind, dann ist es, denke ich, hoffentlich eine Selbstverständ- Deswegen ist es mir wirklich unerklärlich. Ich habe im- lichkeit, dass wir diese wieder gemeinsam, im Konsens mer den Eindruck, Sie sind die großen Wortführer, aber in diesem Hause umsetzen. in Wirklichkeit sind Sie kleine Heulsusen, die Angst ha- ben, zu kurz zu kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der CDU/CSU und der LINKEN) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf GRÜNEN) auch ich mich an dieser Stelle bei Ihnen für dieses Jahr Außerdem wäre es vielleicht doch besser gewesen, Sie verabschieden. Ich wünsche Ihnen eine wunderschöne wären aus dem Saal geblieben; das hätte der Debatte je- Weihnachtszeit. Kommen Sie alle gesund und munter in denfalls nicht geschadet. das Jahr 2019! (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Herzlichen Dank. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- GRÜNEN – Zurufe von der AfD) wie bei Abgeordneten der LINKEN und Tatsächlich bin ich aber froh, dass wir als Koalition des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – diesen Antrag eingebracht haben; denn er stellt etwas Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wir sollen klar. Natürlich hat die Botschaft im Mai irritiert: Die Mo- doch nicht wiederkommen! Was wünschen nopolkommission – das ist eine Kommission, die durch- Sie denn da?) aus wahrgenommen wird – (B) ( [AfD]: Ja, wie die Kohle- Vizepräsidentin Claudia Roth: (D) kommission!) Vielen herzlichen Dank, Martin Rabanus, auch für Ihre Wünsche. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: geht mal wieder gegen die Buchpreisbindung vor. – Das Reinhard Houben. hat sie 2000 vor dem Inkrafttreten des aktuellen Buch- preisbindungsgesetzes schon mal gemacht. Deswegen ist (Beifall bei der FDP) es gut, dass wir hier im Deutschen Bundestag klarstel- len – übrigens fraktionsübergreifend klarstellen; das ist (FDP): in der Deutlichkeit selten der Fall –, dass der Vorschlag Reinhard Houben der Monopolkommission ein Holzweg ist. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Gedanken doch noch einmal aufgreifen. Wir wollen eben nicht, dass das Kulturgut Buch nur Zum Teil waren die Debatte und die Argumente, so wie als Wirtschaftsgut Buch gesehen wird, das dem freien sie vorgetragen worden sind, durchaus erwartbar. Spiel der Kräfte zu unterwerfen ist. Nein, wir wollen das Kulturgut Buch in der unterschiedlichen Bedeutung für Ich möchte aber schon zu bedenken geben: Die Mo- Bildung, für unsere Kulturnation, für die Identifizierung nopolkommission hat eine bestimmte Aufgabe. Diese mit dem, was über das Buch transportiert wird, schützen, Aufgabe besteht darin, festzustellen, ob marktgerechte und wir wollen das bewahren. oder marktunübliche Verfahren durchgeführt werden. Ordnungspolitisch ist die Buchpreisbindung ein Sün- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Simone denfall. Darum sollte man nicht herumreden. Man kann Barrientos [DIE LINKE]) jedoch darüber diskutieren, ob man in einem Einzelfall Ich bin froh, dass wir diesen Antrag gemacht haben, um sagt: Okay, wir verlassen eine ordnungspolitische Linie klarzustellen, dass wir das ernst meinen. Das hat Herr aus bestimmten Gründen. Staatssekretär Wittke für die Bundesregierung auch ge- Es sind einige Argumente angeführt worden, die etwas macht. Es ist ein wichtiges Signal, dass auch die Bundes- merkwürdig waren. Erstens. Buchpreisbindung, Herr regierung die Buchpreisbindung eindeutig und unzwei- Jongen, bedeutet nicht, dass man einem freien Buch- deutig stützt. händler vorschreiben kann, welche Bücher er führt. Das (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Simone wollen wir doch bitte mal festhalten. Barrientos [DIE LINKE]) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das Buchpreisbindungsgesetz gibt es – ich habe es gera- der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und de gesagt – seit 2002. Es ist höchstrichterlich bestätigt. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8485

Reinhard Houben (A) Sie können sich hier doch nicht beschweren, dass ein Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Buchhändler einen bestimmten Autor nicht mehr vertrei- Vielen Dank, Reinhard Houben. – Nächster Redner: ben will. Das ist die ökonomische Entscheidung eines Ansgar Heveling für die CDU/CSU-Fraktion. Unternehmers. Wollen Sie diese angreifen? Wollen Sie einen VEB-AfD-Buchhandel, wo Sie entscheiden und (Beifall bei der CDU/CSU) festlegen, welche Bücher verkauft werden und welche nicht? Das finde ich schon ein bisschen merkwürdig, Ansgar Heveling (CDU/CSU): Herr Jongen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten meiner rheinischen Heimat gilt: Alles, was man zweimal der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ macht, ist Tradition, ab dem dritten Mal ist es Brauch- DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Falko Mohrs tum. Die Monopolkommission bewegt sich beim Thema [SPD]) Buchpreisbindung noch im Bereich der Tradition. Sie hat bereits im Jahr 2000 ein Gutachten zur Buchpreisbin- Zweitens. Es wird zwar über die Vielfalt der Bücher dung vorgestellt und auch damals gegen die Buchpreis- gesprochen. Aber machen wir uns nichts vor: Welche Au- bindung gesprochen. Sie hat das nun 2018 wiederholt. toren können in Deutschland vom Buch denn wirklich Ich bin mir sicher, die Monopolkommission befindet sich leben? Die Vielfalt der Bücher erreichen wir vor allen auf dem Weg zum Brauchtum und wird wahrscheinlich Dingen dadurch, dass Menschen aus Interesse, aus Lie- auch noch ein drittes Mal wider die Buchpreisbindung be zu einem bestimmten Thema ein Buch schreiben. Der sprechen. Es gibt sie aber trotzdem noch, und ich denke, ökonomische Erfolg ist häufig sehr überschaubar. Viele es wird sie auch weiter geben. Autoren brauchen im Grunde einen anderen Broterwerb, um literarisch tätig zu sein. Es gibt wahrscheinlich in Seit 120 Jahren ist die Buchpreisbindung die Konstan- Deutschland weniger als 1 000 Autoren, die wirklich te, unter der sich der deutsche Buchmarkt entwickelt hat. vom Verkauf ihrer Bücher leben können. Deswegen soll- Damals führte der Börsenverein des Deutschen Buch- te man das auch in einen etwas vernünftigeren Rahmen handels erstmals feste Buchpreise für seine Mitglieder bringen. ein. Gesetzlich haben wir das dann 2002 im Buchpreis- bindungsgesetz verankert. (Beifall bei der FDP) Unter dem Strich dürfen wir wohl festhalten: Alles in Sie, Frau Barrientos, haben die Buchpreisbindung allem geht es dem deutschen Buchmarkt qualitativ und sehr gelobt. Im Konflikt zwischen dem Verleger und quantitativ vergleichsweise gut. Der deutschsprachige dem Großhandel bzw. einer Plattform wie Amazon geht Buchmarkt bietet den Leserinnen und Lesern eine beson- es ja nicht um Euro, sondern um Prozentmargen. Das ist (B) ders vielfältige Auswahl. Ebenso attraktiv ist er für die- (D) ökonomisch schon ein ganz entscheidender Unterschied, jenigen, die Bücher schreiben, lektorieren, verlegen und weil es darum geht, die Marge zu optimieren. Dabei ist verkaufen. Er ist der zweitgrößte Buchmarkt der Welt. es erst einmal vollkommen egal, wie hoch der Preis eines Produktes ist. Auch das sollte man in einer solchen Dis- Die Monopolkommission kommt nun in ihrem Gut- kussion nicht vermischen. achten vom Mai dieses Jahres zu dem Schluss, dass das Kulturgut Buch im Sinne des allgemeinen Interesses Es ist uns gesagt worden, dass die Koalition durch das zwar schützenswert sei. Dennoch sollte die Buchpreis- Festhalten an der Buchpreisbindung das Buch nun über bindung abgeschafft werden, weil es sich um einen Jahre und Jahrzehnte als Kulturgut weiter sichern wird. „schwerwiegenden Markteingriff“ handele und es keine Meine Damen und Herren, ich wäre da sehr vorsichtig; objektiven Belege für ihren kulturpolitischen Mehrwert denn es stellt sich die Frage – Herr Dr. Heider hat es er- gebe. Ob und wie die Buchpreisbindung das Kulturgut wähnt –: Wird die EU entsprechend reagieren, wenn zum Buch schütze, sei unklar, so die Monopolkommission. Beispiel deutschsprachige Bücher aus dem EU-Ausland nach Deutschland exportiert werden? Passiert uns dabei Der Erfinder der Buchpreisbindung, Adolf Kröner, hat etwas Ähnliches wie bei den verschreibungspflichtigen mit großer Überzeugung für die Einführung der Buch- Arzneimitteln? Ich weiß es nicht. Es ist zumindest eine preisbindung gestritten. Auch wenn er seine Überzeu- Gefahr . Die Produktion und der Vertrieb von Büchern gung schon 1878 auf der Weimarer Konferenz zur Bera- im und aus dem EU-Ausland – das strebt Amazon an – tung buchhändlerischer Reformen vorgetragen hat, teile könnten dann eine Gefahr für das gedruckte oder elektro- ich sie noch heute. Er hat gesagt, dass Bücher keine Ware nische Buch aus Deutschland sein. sind wie jede andere. Das ist eine wichtige Prämisse, die aber im Gutachten der Monopolkommission zu kurz Deswegen bin ich mir nicht sicher, ob die Buchpreis- kommt. bindung das Kulturgut Buch noch lange schützen kann. Solange das jedoch so ist, werden wir als FDP die Buch- Die UNESCO-Konvention über den Schutz und die preisbindung stützen. Wir müssten aber eigentlich vor- Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen hält ausschauender diskutieren und andere Möglichkeiten fest, dass Kulturgütern ein Doppelcharakter innewohnt prüfen und klären, inwieweit wir dieses Kulturgut schüt- und sie daher mit normaler Handelsware nicht gleich- zen können. zusetzen seien. Dieser Gedanke findet sich im Übrigen auch in unserem deutschen Urheberrecht, das ja eng mit Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und alles Gute. dem Buchwesen verknüpft ist, wieder. Unsere deutsche (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Rechtstradition geht von einer doppelten grundrechtli- der CDU/CSU) chen Verankerung aus: sowohl in Artikel 14 des Grund- 8486 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Ansgar Heveling (A) gesetzes, dem Eigentumsrecht, als auch in Artikel 2 des auf die Schweiz, wo die Buchpreisbindung vor einigen (C) Grundgesetzes, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Jahren abgeschafft wurde, und darauf, dass dies angeb- Wir haben über das Urheberrecht also mittelbar eine kla- lich keine großartigen Auswirkungen auf das Marktge- re grundrechtliche Verankerung, die belegt, dass es sich schehen gehabt habe. Keiner spricht aber davon, dass die beim Kulturgut Buch eben nicht nur um ein Wirtschafts- Verlage in der Schweiz ihre Umsätze zu 80 Prozent damit gut handelt. erwirtschaften, dass sie ihre Bücher in Deutschland ver- kaufen – eben unter dem Regime der Buchpreisbindung. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat schon richtig gelegen, als sie feststellte, dass die literarische Die Buchpreisbindung abzuschaffen, würde den jet- Vielfalt eines unserer wertvollsten Kulturgüter ist, die zigen Markt durcheinanderwirbeln; da bin ich mir si- mit allen Mitteln geschützt werden müsse. Dem schließe cher . Das Risiko, dass dabei viele Buchhandlungen auf ich mich gerne an. Die Autorin Susan Sontag schreibt: der Strecke blieben und kleine und mittlere Verlage und „Sie sind eine Art und Weise, ganz und gar Mensch zu letztlich Autorinnen und Autoren das Nachsehen hätten, sein.“ ist groß. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass es für den Buchmarkt weiterhin das Richtige ist, bei den bewährten Was macht nun einen gut funktionierenden Markt Leitplanken zu bleiben, die möglichst vielen Marktteil- für Bücher aus? Ein Buchmarkt mit einem zahlenmäßig nehmern den Zugang ermöglichen. überschaubaren, aber dafür möglichst preisgünstigen Angebot an Büchern, das ist nicht das Ziel unserer Kul- Vielen Dank. turpolitik. Ein gut funktionierender Buchmarkt zeichnet sich durch Vielfalt und Verfügbarkeit der Werke aus. Im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Gegensatz zu vielen anderen Feldern der Kulturpolitik ordneten der SPD) existiert ein realer Markt für Bücher. Das Buchgeschäft ist für viele durchaus ein auskömmliches Geschäft und Vizepräsidentin Claudia Roth: muss eben nicht massiv mit staatlichem Geld unterstützt Vielen Dank, Ansgar Heveling. – Der letzte Redner in werden. Diese guten Marktbedingungen sind nicht zu- dieser Debatte: Helge Lindh für die SPD-Fraktion. letzt der Buchpreisbindung geschuldet. (Beifall bei der SPD) So schützt erstens die Buchpreisbindung ein flächen- deckendes Netz von Buchhandlungen. Die Buchhand- lungen bilden einen integralen „Teil unserer kulturellen Helge Lindh (SPD): Infrastruktur“, wie der Deutsche Kulturrat feststellt. Ge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kauft werden Bücher, wenn auch vermehrt online, nach Vorab: Nicht nur in Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ (B) wie vor in bedeutendem Umfang in Buchhandlungen. brannten schon einmal die Bücher, sondern auch hier (D) Die Buchhandlung ist ein Ort der Begegnung. Hier wird in Deutschland. Insofern tragen wir alle eine besondere nicht nur gekauft. Der Kunde darf stöbern und lesen, aber Verantwortung für den Schutz des Buches. Leider scheint er findet eben vor allem Beratung und oft auch ein breites ausgerechnet die AfD-Fraktion das anders zu sehen. Aber Angebot an Veranstaltungen. auch Taktik entlässt nicht aus Verantwortung. Die Buchpreisbindung sorgt dafür, dass große und (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ kleine, analoge und digitale Buchhandlungen die Bücher CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- zum gleichen Preis anbieten. Dies ist insbesondere auch NEN sowie der Abg. Hartmut Ebbing [FDP] für den Verkauf von Bestsellern wichtig. Alle Buchhand- und Simone Barrientos [DIE LINKE]) lungen sind auf guten Umsatz angewiesen, und dieser erlaubt ihnen dann im Übrigen auch ein breites Angebot. Der taktische Winkelzug, den wir vorhin von Ihnen er- Deshalb halte ich das im Koalitionsvertrag vereinbarte lebt haben, war im Effekt ein versuchter Anschlag auf Vorhaben auch für so wichtig, dass sogenannte Affiliate-­ das Kulturgut Buch und nicht gut. Programme bei Internetvertriebswegen die Buchpreis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- bindung nicht aushebeln dürfen. Es ist auch Teil des An- ten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN trags, dass hier ein Gutachten in Auftrag gegeben wird, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – um die Auswirkungen zu überprüfen. Sollte sich zeigen, Dr. Alexander Gauland [AfD]: So einen dass gesetzgeberischer Handlungsbedarf notwendig ist, Schwachsinn habe ich ja noch nie gehört!) bin ich dafür, dass wir dann eine entsprechende Anpas- sung des Buchpreisbindungsgesetzes vornehmen. Wir diskutieren hier so viel und so häufig über Gren- zen und Abschottung. Deshalb ist es sehr erfreulich, dass Die Buchpreisbindung sichert aber zweitens eben wir heute über Entgrenzung und Befreiung diskutieren, auch ein breites Verlagswesen und eine bunt gemischte und das ist genau das, was das Buch leistet: Entgrenzung Autorenschaft. Die Menschen, die dieses kulturelle An- und Befreiung des Geistes. Das ist etwas sehr Wichtiges, gebot für uns alle erschaffen, müssen und sollen davon und deshalb kann darüber auch keine Monopolkommis- leben können, sonst werden sie schlicht einer anderen sion entscheiden; denn es ist eine zutiefst politische Auf- Arbeit nachgehen. Preiskämpfe würden vor allem zulas- gabe. ten kleinerer Verlage und unbekannterer Autoren gehen, die deutlich weniger Spielraum haben, Zugeständnisse (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Elisabeth zu machen. Die Vielfalt hätte das Nachsehen. Kritiker Motschmann [CDU/CSU] und Simone der Preisbindung verweisen im Übrigen immer gerne Barrientos [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8487

Helge Lindh (A) Hier kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Pri- ge sind mit allem Ernst Oasen des Menschseins in einer (C) mat der Politik zum Zug und eben nicht der Primat des Welt der Instrumentalisierung, des Nützlichkeitsdenkens Sachzwangs und nicht der Primat des Marktes. Das ist und des Sachzwangs, in der wir lauter Verwüstung erle- es, was zählt. Wenn der Vorwurf erhoben wird, das sei ben. ja ein Markteingriff und Protektionismus, dann muss ich sagen: Um uns grassiert ein Protektionismus im Namen (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE von Nationalismus und Chauvinismus. Was kann es Bes- LINKE]) seres geben, als heute hier ein Bekenntnis zu einem Pro- Politische Aufgabe ist aber nicht, für die Ausbreitung tektionismus im Namen des Wortes und des Geistes und der Wüste zu sorgen, sondern für den Schutz und die Ex- der Freiheit und der Demokratie abzulegen? Ich kenne pansion der Oasen. Das ist unsere Aufgabe. nichts. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Simone LINKEN) Barrientos [DIE LINKE]) Deshalb können wir, glaube ich, stolz sein, hier an die- Wir sollten aber, glaube ich, auch die Situation kon- sem Ort das „sapere aude“ zu verteidigen, zu verteidigen, kret und näher betrachten. Die meisten hier kennen sicher dass Politik zu sich selbst kommt. Das heißt, den Men- das berühmte Gedicht von Bertolt Brecht. Es beginnt so: schen zu stärken und seine Selbstermächtigung. Das ist Wer baute das siebentorige Theben? etwas Gutes. Tun wir gemeinsam dieses Gute, sprechen In den Büchern stehen die Namen von Königen. wir laut darüber. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen al- Haben die Könige die Felsbrocken herbeige- len gesegnete Weihnacht und wunderbare Feiertage. schleppt? Vielen Dank. Die Antwort können Sie sich alle denken. Sie verweist (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- darauf, dass ebendieses siebentorige Theben der Kultur- wie bei Abgeordneten der LINKEN und des nation Deutschland von ganz vielen Buchhandlungen – BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kleinen Buchhandlungen – gebaut wird und von vielen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die täglich arbei- Vizepräsidentin Claudia Roth: ten und die kein Mensch kennt, und von vielen kleinen Verlagen, die es tun, ohne damit reich zu werden oder Vielen Dank, Kollege Lindh. – Brecht hat dann, glau- große Erfolge zu erleben. Diese Menschen verdienen, in be ich, am Schluss noch gefragt: „Wer kochte den Sie- Form der Buchpreisbindung ein Denkmal gesetzt zu be- gesschmaus?“ (B) kommen. (Beifall der Abg. Renate Künast [BÜND- (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der NIS 90/DIE GRÜNEN]) LINKEN) Das ist eines meiner Lieblingsgedichte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in meiner Heimat- Damit schließe ich die Aussprache. stadt, der Stadt von Engels, Else Lasker-Schüler, ist da beispielsweise ein Schriftsteller namens Michael Zeller. Vor der Abstimmung hat Kollegin von Storch nach Er verbringt sein Leben damit, anspruchsvolle, heraus- § 30 der Geschäftsordnung – Erklärung zur Aussprache – fordernde Literatur zu schreiben, ohne damit hervorra- das Wort. gend verdienen zu können. An ihn zu denken, ist heute (Unruhe) unsere Aufgabe. – Frau von Storch hat jetzt das Wort zu einer Erklärung. In meiner Heimatstadt lebt auch ein Hermann Schulz, Das steht ihr zu. Nach § 30 der Geschäftsordnung wird der den Peter Hammer Verlag aufgebaut hat, sie sich zu einer persönlichen Frage äußern. (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]) Beatrix von Storch (AfD): der Literatur für Kinder, über Afrika und Südamerika Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Mohrs hat vor- vertreibt. Peter Hammer, Pierre Marteau auf Französisch, hin aus einem Buch eine Passage gegen mich zitiert. Ich war im 17. Jahrhundert ein Pseudonym für kritische Geis- möchte darauf hinweisen, dass ich genau wegen dieser ter, die sich schützten vor den Übergriffen der Obrigkeit. Passage gegen die Autorin dieses Buch geklagt habe. Das Genau darum geht es heute. Wie ist das Gedicht von Buch ist rechtskräftig aus dem Verkehr gezogen worden. Brecht, das ich zitiert habe, denn überschrieben? „Fra- (Falko Mohrs [SPD]: Das war ein Vergleich, gen eines lesenden Arbeiters“, nicht eines denkenden, Frau von Storch! Ich habe noch ein Exemplar nicht eines wütenden, sondern eines lesenden Arbeiters. für Sie davon! Mit der Passage!) Bibliotheken sind doch keine Verwahr- und Verteilsta- tionen für Literatur, sondern sie sind ganz buchstäblich Es durfte nicht mehr ausgeliefert und musste einge- Schulen der Demokratie, und Buchhandlungen sind doch stampft werden exakt wegen der Passage, die Sie gerade keine analogen Verteilstationen und Verkaufsstationen zitiert haben. Das ist rechtskräftig. von Büchern nach dem Vorbild von Amazon, sondern sie Vielen Dank. sind wenigstens auf den zweiten Blick Kathedralen der Freiheit. Das Lesen, diese Buchhandlungen, diese Verla- (Beifall bei der AfD) 8488 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: manche Eltern vielleicht fragen: Wo kommt das alles (C) Danke schön, Frau von Storch. – Ich schließe die Aus- her? sprache. (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Vom Weih- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag nachtsmann!) der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa- – Ja, bei uns kommt vielleicht auch der Weihnachtsmann. che 19/6413 mit dem Titel „Kulturgut Buch fördern – Aber die Frage ist doch: Wo hat der Weihnachtsmann Buchpreisbindung erhalten“. Wer stimmt für diesen An- eingekauft? trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist einstimmig angenommen. Die meisten Spielzeughersteller, auch die deutschen, produzieren in China. Der „Spiegel“ hat in seiner aktu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ellen Ausgabe von katastrophalen Arbeitsbedingungen in Tagesordnungspunkt 20 b. Interfraktionell wird die den chinesischen Spielzeugfabriken berichtet: arbeiten Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/2444 an bis zur Erschöpfung, sieben Tage die Woche, Hunderte die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- unbezahlte Überstunden, Bedingungen, die krankma- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ja, Sie sind es. chen. Ich sage Ihnen: Solche Bedingungen kennen wir Dann ist die Überweisung so beschlossen. schon aus anderen Branchen, wie der Textilindustrie beispielsweise. Solche Bedingungen sind Ausdruck glo- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: balisierter Verantwortungslosigkeit, die wir nicht mehr a) Beratung des Antrags der Abgeordneten hinnehmen dürfen. Katharina Dröge, Anja Hajduk, Uwe Kekeritz, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Multilateralen Gerichtshof an soziale, ökolo- Aufgabe, hierauf endlich eine wirksame Antwort zu ge- gische, menschenrechtliche und wirtschaftli- ben, eine Antwort, die solchen Geschäftspraktiken etwas che Völkerrechtsnormen binden – Klageprivi- entgegenstellt. Genau darum geht es in unserem Antrag. legien für Konzerne ablehnen Wenn wir uns anschauen, wie die Staatengemeinschaft in den letzten Jahrzehnten das internationale Investitions- Drucksache 19/5908 schutzrecht geregelt hat, dann erleben wir dort eine mas- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sive Schieflage. Wir erleben Investitionsschutzverträge, richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- die ausschließlich Rechte für internationale Konzerne (B) gie (9. Ausschuss) garantiert haben, jedoch keine Pflichten auferlegt haben. (D) Wir erleben Verträge, die einseitig Klagerechte für Kon- – zu dem Antrag der Abgeordneten Sandra zerne definiert haben, jedoch keine Klagerechte, nicht Weeser, Michael Theurer, Reinhard Houben, einmal Gegenklagemöglichkeiten, für die beklagten weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Staaten und auch keine Klagerechte für die Menschen, FDP die in diesen Fabriken arbeiten. Genau das wollen wir Rechtssicherheit im internationalen Inves- mit unserem Antrag ändern. titionsschutz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Wir machen Ihnen einen konkreten Vorschlag für einen Fabio De Masi, Susanne Ferschl, weiterer multilateralen Gerichtshof, einen Gerichtshof, der sich Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE nicht allein auf Investitionsschutz konzentriert, sondern Den Rechtsstaat stärken – Multilateralen gleichwertig den Schutz von Menschenrechten und Um- Investitionsgerichtshof ablehnen und Pa- weltschutz garantiert. Wir wollen einen Gerichtshof, der ralleljustiz für Konzerne stoppen auch über völkerrechtliche Abkommen, die ILO-Kern­ arbeitsnormen, den Pariser Klimavertrag oder die Stär- Drucksachen 19/1694, 19/97, 19/5666 kung von solch einfachen Dingen wie Gebäudesicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für oder Brandschutz mitentscheiden kann. Ich muss Ihnen die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Sie sind ein- ganz ehrlich sagen, sehr geehrte Kolleginnen und Kol- verstanden. Dann ist das so beschlossen. legen: Es ist Ihre Aufgabe, uns zu erklären, warum Sie immer wieder Verträge verteidigen, die den Schutz von Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Enteignung einseitig garantieren, aber die Durchsetzung Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen. von Mindestmenschenrechtsstandards völlig außer Acht lassen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Wir machen Ihnen einen Vorschlag für einen Ge- nen und Kollegen! In wenigen Tagen ist Weihnachten. richtshof, der auch Klagerechte definiert, Klagerechte Wenn am Heiligen Abend die Geschenke für die Kinder für die Vertreter der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unter dem Weihnachtsbaum liegen, dann werden sich in den Spielzeugfabriken Chinas, auch Klagerechte für Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8489

Katharina Dröge (A) die Vertreter und Vertreterinnen der Angehörigen, die die wir reden, nicht dazu da sind, die Dinge zu regeln, die (C) momentan in einem aufsehenerregenden Prozess – ex- Sie gerne möchten, trem schwierig – in Dortmund gegen KiK klagen, weil in Bangladesch 2012 eine Fabrik abgebrannt ist. Dort sind (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- über 250 Menschen zu Tode gekommen, unter anderem NEN]: Und warum nicht?) deshalb, weil Mindestbrandschutzbestimmungen nicht sondern dass man andere Vertragswerke gestalten muss, eingehalten wurden und die brennende Fabrik zum Ge- in denen man die Einhaltung der Menschenrechte und fängnis für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wurde. der Bestimmungen zu den Arbeitsbedingungen vor Ort Mit unserem Antrag wollen wir auch eine zweite Ab- regeln kann. surdität im Investitionsschutzrecht adressieren. Deutsch- Ich komme zu den Investitionsschutzabkommen zu- land wird momentan von Vattenfall wegen des Atom- rück. Um es noch einmal ganz klar und deutlich zu sa- ausstiegs vor einem Schiedsgericht verklagt, und das, gen: Der Erfinder dieser Investitionsschutzabkommen ist obwohl es bereits ein gültiges Rechtsurteil des Bundes- im Prinzip Deutschland selbst gewesen. In den 50er- und verfassungsgerichts in genau derselben Sache gibt. Sie 60er-Jahren war es notwendig, deutschen Unternehmen können mir nicht erklären, warum es sinnvoll ist, doppelte Investitionen in vielen Teilen der Welt zu ermöglichen. Klagestrukturen zu etablieren und diese Parallelstruktur Um in vielen Teilen der Welt Investitionen zu tätigen, des Rechtes fortzusetzen, die es Konzernen ermöglicht, sind diese Investitionsschutzabkommen zustande ge- allein aus Renditeinteressen – weil sie denken, dass sie kommen. noch höhere Milliardenbeträge als Entschädigungszah- lungen vor einem internationalen Gericht kassieren kön- Man muss ganz klar sagen, dass es gerade für kleine nen – zu klagen. Genau das adressieren wir mit unserem und mittlere Unternehmen wichtig ist, dass ihre Investi- Antrag. Wir machen einen vernünftigen Vorschlag, der tionen in unsicheren Ländern vor nicht rechtsstaatlichen besagt: Der Weg zum Gerichtshof ist nur noch dann mög- Angriffen geschützt werden. Sie wissen ganz genau, dass lich, wenn die Konzerne nachweisen können, dass sie in das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nicht überall auf der einem nationalen Verfahren unfair behandelt wurden. Welt genauso gilt wie in unserem Land. Schon bei TTIP gab es heftige Diskussion über die internationalen Inves- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN titionsschutzgerichte. Ich denke, Sie haben schon einen sowie des Abg. Dr. André Hahn [DIE LINKE]) großen Erfolg erzielt. Bei der Diskussion über TTIP und Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte CETA haben wir die europäische Ebene dazu veranlasst, Sie wirklich ganz herzlich bitten, gemeinsam mit uns neu darüber nachzudenken. Insofern können Sie sich für diese Vorschläge zu streiten. Sie würden damit ei- selbst auf die Schulter klopfen und sagen: Wir haben et- (B) nen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass wir künftig am was erreicht. (D) Weihnachtsabend leuchtende Kinderaugen nicht mit dem Der neue multinationale Investitionsgerichtshof, den Elend der Menschen in anderen Regionen dieser Welt fi- die Europäische Union auf die Beine stellen will, ist ein nanzieren. sehr ambitioniertes Vorhaben; das muss man klar sa- gen. Durch diesen Gerichtshof sollen letztendlich auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die insgesamt rund 3 200 geltenden Investitionsschutz- abkommen – davon sind 1 400 von EU-Mitgliedstaaten Vizepräsidentin Claudia Roth: abgeschlossen worden – Schritt für Schritt abgelöst wer- Vielen Dank, Katharina Dröge. – Nächster Redner: den, um sie auf das europäische Level zu heben. Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion. Ich finde es fortschrittlich, dass Sie einen Investiti- (Beifall bei der CDU/CSU) onsgerichtshof zumindest nicht grundsätzlich infrage stellen, wie man in Ihrem Antrag lesen kann. Das ist ein Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): großer Fortschritt. Aber man muss sagen: Ihre Methode, den Unternehmen alles immer von oben aufzudrücken, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und immer die Unternehmer in ein schlechtes Licht zu rücken Herren! Sehr geehrte Kollegin Dröge, es ist auch in un- und so zu tun, dass sie die Menschenrechte und die lo- serem Parlament langsam Weihnachtsfrieden eingekehrt. kalen Regelungen zu den Arbeitsbedingungen nicht ein- Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir heute eine Debatte hielten, ist aus meiner Sicht falsch. führen, in der wir sicherlich nicht übereinkommen, wohl aber bei den Fakten bleiben. Allerdings dadurch, dass (Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE Sie in dieser Debatte noch einmal versuchen, dermaßen LINKE]) viele Dinge in einen Topf zu werfen, entsteht kein guter Glühwein für die Weihnachtszeit. Das, was Sie uns ange- Gerade deutsche Unternehmen sind in der Welt hoch an- boten haben, ist einfach untrinkbar gewesen. erkannt, gerade weil sie es anders machen, weil sie für Ausbildung sorgen, weil sie in ihren Unternehmen in al- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) len Teilen der Welt Standards haben, die unseren Vorstel- lungen entsprechen. Insofern halte ich, halten wir diese Dass Sie gerade jetzt, wo es darum geht, Weihnachts- Methode, den Unternehmen alles von oben aufzudrü- geschenke zu kaufen, zu organisieren und zu basteln, cken, für falsch. noch einmal richtig auf die Tränendrüse gedrückt haben, wird der Sache sicher nicht gerecht. Sie wissen doch (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ganz genau, dass die Investitionsschutzabkommen, über NEN]: Was heißt denn das? – Ottmar von 8490 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Andreas G. Lämmel (A) Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie re- werden, zugunsten der Unternehmen ausgehen – das ist (C) den komplett am Thema vorbei!) also schon eine sehr geringe Zahl – und dass ungefähr weitere 25 Prozent der Schiedsgerichtsverfahren mit ei- Vizepräsidentin Claudia Roth: nem Vergleich enden; 50 Prozent sind damit also schon abgefrühstückt. In den Fällen, in denen es letztendlich Herr Lämmel, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder um eine finanzielle Entschädigung ging, war die durch- -bemerkung von Diether Dehm? schnittliche Entschädigungshöhe ungefähr 29 Prozent.

Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ja, der Herr Dehm hat immer gute Bemerkungen. NEN]: Welche 29 Prozent? – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Äußern Sie sich doch einmal zu Vattenfall!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich will nur gleich sagen: Es gibt maximal nur eine Also das, was Sie hier als Gespenst an die Wand malen, Zwischenfrage pro Fraktion und Debattenpunkt, aber findet überhaupt nicht statt. Es stimmt überhaupt nicht, keine Kurzinterventionen. Das hat die Kollegin Pau was Sie versucht haben den Menschen zu suggerieren. schon gesagt. Meine Damen und Herren, wir wollen auch nicht, dass So, Herr Dehm, aber bitte kurz. ein Verbändeklagerecht auf internationaler Ebene einge- führt wird wie in Deutschland. Wir können sehen, dass Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): in Deutschland Investitionen, ob nun in Stromnetze, in Herzlichen Dank. – Die Kollegin hatte, wenn ich mich Straßen oder in Schienen, verhindert werden, weil jeder recht erinnere, von KiK und Bangladesch gesprochen. Verband heutzutage ein Klagerecht hat und damit die Wer aus Bangladesch steht denn über einem Konzern wie Möglichkeit, Investitionen auf ewige Zeit zu verzögern. KiK? Wer ist denn derjenige, von dem Sie befürchten, er (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- könne von oben auf KiK zugreifen? Oder ist es nicht so, NEN]: Es geht um Opfer von Menschen- dass über manchen Konzernen nur der blaue Himmel ist? rechtsverletzungen!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und Eine Investitionsgerichtsbarkeit, die Schiedsgerichte, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der Investitionsschutz sind notwendig, um überhaupt In- vestitionen zu ermöglichen; Frau Dröge, das wissen Sie Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): ganz genau. In Afrika würden noch weniger Investitio- (B) Über uns allen ist nur der Himmel. Ich weiß nicht, wie nen deutscher Unternehmen getätigt werden, hätten wir (D) das bei Ihnen ist. Aber da Sie ja nicht an einen Himmel nicht die Investitionsgerichtsbarkeit. Deswegen, meine glauben, ist über Ihnen ja vielleicht ein rotes Zelt. Ich Damen und Herren, können wir über die Themen, die weiß es nicht. die Grünen in ihrem Antrag angesprochen haben, gerne sprechen, aber nicht im Zusammenhang mit Investitions- Ganz klar ist doch: KiK ist natürlich ein besonderer schutz und einem multilateralen Investitionsgerichtshof. Fall; da sind wir uns in diesem Hause einig. Deshalb Also: Wir lehnen Ihren Antrag ab. hatte ja Gerd Müller als zuständiger Minister damals das Textilbündnis mit auf den Weg gebracht, um auch auf po- (Beifall bei der CDU/CSU) litischer Ebene für diese Dinge Sorge zu tragen. (Helin [DIE LINKE]: Was ist Vizepräsidentin Claudia Roth: denn mit dem Grünen Knopf?) Vielen Dank, Andreas Lämmel. – Nächster Redner für Es gibt natürlich immer wieder schwarze Schafe – das ist die AfD-Fraktion: Stephan Brandner. gar keine Frage; das will ich gar nicht bestreiten –, und deswegen haben wir politisch die notwendigen Initiati- (Beifall bei der AfD) ven ergriffen. Es wäre natürlich nicht schlecht, wenn sich noch mehr Firmen am Textilbündnis beteiligen würden. Stephan Brandner (AfD): Damit will ich Ihnen bloß sagen: Wir tun schon das po- Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns vorweih- litisch Notwendige. Aber wir unterstützen nicht den An- nachtlich gestimmt den multilateralen Gerichtshof trag der Grünen, in dem die Unternehmerschaft grund- besprechen. Denn es gibt ja – das ist unstrittig – beim sätzlich ins schwarze Licht gerückt wird. internationalen Investitionsschutz und den Schiedsge- (Beifall des Abg. [CDU/ richtsverfahren, die ja schon mehrfach angesprochen CSU] – [BÜNDNIS 90/DIE wurden, erheblichen Verbesserungsbedarf. Nicht unbe- GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!) rechtigt wird von Paralleljustiz gesprochen; spätestens seit TTIP ist das ein öffentliches Thema. Die „Diszipli- Frau Dröge, noch eine Sache, die Sie eigentlich wis- nierung“ demokratisch gewählter Gesetzgebungsorgane sen müssten. In der Anhörung des Wirtschaftsausschus- durch die Klageandrohung von Konzernen ist mit dem ses am 6. Juni dieses Jahres haben die Gutachter doch Leitbild eines demokratischen Verfassungsstaates für uns ganz klar dargelegt – da haben Sie sicherlich gut zuge- nicht vereinbar. hört –, dass im Durchschnitt nur 25 Prozent der Schieds- sprüche, die nach angestrengten Verfahren gesprochen (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8491

Stephan Brandner (A) Dass die FDP hingegen unser Staatswesen diesen nicht- Europäische Union tätig wird. Das ist für uns ein weiterer (C) staatlichen Gerichten vollumfänglich ausliefern will, ist Ablehnungsgrund. Übrigens stehen wir damit nicht al- bezeichnend, liebe FDP, für Ihre nach und nach zuneh- leine. Auch der Deutsche Richterbund hat mehrfach von mende Distanzierung von unserem Rechtsstaat. einer Mandatserteilung an die Europäische Union zur Errichtung eines solchen Gerichtshofes abgeraten. Die Während also die FDP beim internationalen Investiti- Rechte ausländischer Investoren festzuschreiben, meine onsschutz alles beim Alten lassen möchte, setzen sich die Damen und Herren, bleibt Aufgabe der Parlamente. Das Grünen – wo sind sie eigentlich, sind ein paar da? ja, ich kann nicht delegiert werden. sehe ein paar Grüne – für den multilateralen Gerichtshof ein. Liebe Grüne, auch in Fragen der Legitimität geht der Antrag leider von falschen Vorstellungen aus, ist er (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schlecht gemacht. Zu behaupten, wie es im Antrag steht, NEN]: Hallo, direkt vor Ihnen! Einfach direkt von den Vereinten Nationen gehe größtmögliche Legi- nach vorne gucken, dann finden Sie uns!) timität aus, ist schlicht falsch. Wie groß die Legitimität Dieser Ansatz, liebe Grüne – ich winke zurück –, löst das von Ideen ist, die von den Vereinten Nationen ausgehen, Problem nicht, er verschlimmert es vielmehr; denn nach haben wir beim letzten großen – falschen – Wurf gese- derzeitigem Sachstand kann ein multilateraler Gerichts- hen, bei dem Migrationspakt. hof die Nachteile der Schiedsgerichte nicht beheben, ohne neue Problemlagen zu schaffen. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Bingo!) Wir von der AfD lehnen einen multilateralen Ge- richtshof auch aufgrund seiner zentralistischen Organi- Es ist alles andere als legitim, was von den Vereinten Na- sation ab. Dabei ist es für uns völlig gleich, ob das unter tionen ausgeht. Es ist meistens riesengroßer Murks, der dem Dach der Vereinten Nationen geschieht oder ob das von oben oktroyiert wird. Ganze von der EU-Kommission orchestriert wird; denn (Beifall bei der AfD) sowohl bei den Vereinten Nationen als auch bei der Euro- päischen Union würden nationalstaatliche Gestaltungs- Die Grünen entlarven sich jedoch, wenn man sich die spielräume durch zentralistische Eingriffe beschnitten. neuen Klageberechtigten am gedachten grünen Gerichts- Das ist mit der AfD nicht zu machen. hof einmal anschaut. Klageberechtigt sollen nämlich nun unter anderem die sogenannten zivilgesellschaftlichen (Beifall bei der AfD) Akteure sein, Außerdem ändert sich im Hinblick auf die natio- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die keiner nale Souveränität im Vergleich zwischen den jetzigen (B) gewählt hat!) (D) Schiedsgerichtslösungen und dem neuen multilateralen Gerichtshof gar nichts. In beiden Fällen wird der Staat – also die, die im Zweifel auch mal gerne gegen Deutsch- auch unser Staat, also Deutschland – in seinen Hoheits- land arbeiten und Deutschland schaden. Wie das aus- rechten eingeschränkt. Das geht mit uns auch nicht. sieht, sehen wir gerade in Deutschland, wo die Deutsche Deswegen ist der Gedanke, die EU-Kommission mit der Umwelthilfe, also ein zivilgesellschaftlicher Akteur, Errichtung eines solchen Gerichtshofes zu beauftragen, strikt abzulehnen, meine Damen und Herren. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, sie ist ein wichtiger Akteur!) Aber nicht nur staatspolitische Defizite sprechen ge- gen ein multilaterales Gericht. Ihm fehlt auch die mate- finanziert durch Steuergeld und durch Toyota, die Autos riell-rechtliche Grundlage für die Rechtsprechung. Der von Millionen rechtschaffender deutscher Bürger einfach von der Europäischen Kommission eingeschlagene Weg stilllegt. Das sind die zivilgesellschaftlichen Akteure, die hin zu einem multilateralen Investitionsgerichtshof, der Sie wollen. Die Grünen als zivilgesellschaftliche Akteu- sich sein anwendbares Recht selber schaffen soll – das re klatschen dazu – damit wird Deutschland und seinen muss man sich einmal vorstellen, da wird geplant, dass Bürgern geschadet – immer noch Beifall. sich ein Gericht selber Recht schafft –, ist deshalb von (Beifall bei der AfD – Katharina Dröge uns abzulehnen, gerade vor dem Hintergrund der Ge- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema Ge- waltenteilung, die wir von der AfD sehr befürworten. waltenteilung!) Deshalb folgen wir Ihrem Antrag nicht. (Beifall bei der AfD) Üblicherweise, liebe Freunde von den Grünen, wirft man jemand vor: Gut gedacht, schlecht gemacht! Bei Ih- Zwar findet man bei Ihnen unter Punkt f die Forderung, nen ist es anders. Bei Ihnen ist es schlecht gedacht und dass dieses materiell-rechtliche Fundament durch einen schlecht gemacht. völkerrechtlichen Vertrag, vielleicht auch nur durch ei- nen unverbindlichen völkerrechtlichen Vertrag, geschaf- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Bei fen werden soll. Aber wir alle wissen ja, wie die Europäi- Ihnen ist es beides!) sche Union arbeitet. Zuerst werden ominöse Institutionen Ihr Antrag ist bestenfalls Ausdruck absoluter Blauäugig- geschaffen, auch ohne Rechtsgrundlage. Diese arbeiten keit, dann jahrelang unbemerkt vor sich hin, und irgendwann merkt man es dann. Sie schaffen sich ein Eigenleben und ( [SPD]: Was haben Sie ihr eigenes Recht. Das befürchten wir auch hier, wenn die gegen blaue Augen?) 8492 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Stephan Brandner (A) schlechtestenfalls wirtschaftsfeindlich und aktiv die deut- ternationalen Schiedsgericht verklagt. Sie wissen auch, (C) schen Interessen bekämpfend. Gekrönt wird das Ganze dass es nach dem Achmea-Urteil durchaus umstritten ist, dann nämlich noch durch unbestimmte linke Kampfbe- ob das überhaupt möglich ist. Das ist ungeklärt. Über griffe wie „Klimarelevanz“ und „Nachhaltigkeit“. Auch diese Frage werden wir uns noch unterhalten. Das auf- das sollen jetzt Klagegründe werden, also Begriffe aus zumetern, um zu sagen: „Jetzt ist aber alles, was mit dem Keller der links-grünen Ideologie. Hier werden – wir Investitionsschutz zu tun hat, falsch“, ist ein schlechtes merken das alles – grün-ideologischem Irr- und Wirrsinn Beispiel. Tür und Tor geöffnet. Meine Damen und Herren, alle, die noch bei Sinnen sind, können diesen Antrag der Grünen (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- daher nur ablehnen. NEN]: Sie beschreiben dasselbe Prinzip!) (Beifall bei der AfD) Nur noch ein kleiner Hinweis zu China, der vielleicht hilft. Es gibt kein Investitionsschutzabkommen mit Chi- Im konkreten Fall – so müsste man sagen – sind die Lin- na. Das gibt es schlichtweg nicht. ken tatsächlich bei Sinnen; denn – man muss sagen: so- gar – die Linken, Ihre Freunde von der ganz linken Seite, (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- liebe Grüne, lehnen Ihren Murksantrag ab. Das verbindet NEN]: Sie haben schon verstanden, dass wir in diesem Fall die Linken mit uns. etwas Neues schaffen! Das ist ein Konzept!) Meine Damen und Herren, zusammenfassend: Ge- Das ist hilfreich. Vielleicht sollten Sie den Menschen kei- gen alle Entscheidungen von Schiedsgerichten müssen nen Sand in die Augen streuen, Frau Dröge. die Möglichkeiten gegeben sein, dass vor staatlichen Gerichten Rechtsmittel eingelegt werden. Eine Privati- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anton sierung und Entstaatlichung der Judikative, also der Ge- Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: richte, lehnen wir von der AfD im Gegensatz zur FDP Warum ist eigentlich die SPD, wenn es darauf strikt ab. Wir sind der Auffassung, einen starken Staat zu ankommt, immer aufseiten der Großkonzer- brauchen, der in der Lage ist, deutsche Interessen zu ver- ne? – Gegenruf des Abg. Falko Mohrs [SPD]: treten und deutsche Interessen durchzusetzen. Wir, mei- Das ist doch völliger Unfug!) ne Damen und Herren, verlangen den Vorrang nationalen – Das ist doch Quatsch. Aber hören Sie doch mal zu! Rechts. Wir lehnen beide Anträge, den der Grünen und Dann können Sie vielleicht etwas lernen. Das ist viel- auch den der Gelben, ab, leicht ganz gut für Sie. (Falko Mohrs [SPD]: Der Gelben?!) (Beifall der Abg. Ingrid Arndt-Brauer [SPD] – (B) weil sich in beiden Anträgen dazu nichts finden lässt. Dr. [BÜNDNIS 90/DIE (D) GRÜNEN]: Keine Antwort auf meine Frage!) Vielen Dank. Frohe Adventszeit noch, ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch. Sie wollen gleichzeitig die Reform institutioneller Standards und die Reform materieller Standards. Sie (Beifall bei der AfD) wollen sozusagen die Quadratur des Kreises. Was haben wir? Wir haben weltweit 2 500 Investitionsschutzanträ- Vizepräsidentin Claudia Roth: ge. Alle sollen vereinheitlicht werden; das ist Ihr Ziel. Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Markus Töns. Erst danach soll über einen multilateralen Investitionsge- richtshof verhandelt werden. Dann sind wir in 100 Jahren (Beifall bei der SPD – Dr. noch nicht weiter. [SPD]: Guter Mann!) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Markus Töns (SPD): NEN]: Wir wollen den Prozess der EU unter- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe stützen!) Frau Dröge, man muss schon ein bisschen aufpassen, wie Darüber muss man, glaube ich, auch mal nachdenken. man argumentiert. Sie ziehen rote Linien und machen die Verhandlungs- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: spielräume damit so eng, dass es dann schlichtweg nicht Das hat sie sehr gut gemacht!) möglich ist, dies hinzubekommen. Außerdem müsste man dann auch bedenken, dass das Verhandlungsmandat – Finden Sie? Ich finde nicht. – Mindeststandards werden nachträglich zu ändern ist. Ich glaube, dass das mit den zum Beispiel nicht im Rahmen von Investitionsschutz- 26 Partnern in der Europäischen Union – wir lassen die abkommen verhandelt, sondern im Rahmen von Frei- Briten mal an dieser Stelle weg – nicht möglich ist. Es ist handelsabkommen. Da muss man schon unterscheiden, richtig, den ersten Schritt zu machen und die institutio- wenn man das hier vorbringt. So ist das halt. nellen Standards zu ändern. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dann will ich eines zur AfD sagen: NEN]: Sie sehen hier ein Konzept!) (Jürgen Braun [AfD]: Oh!) Wenn man dann von der Klage Vattenfalls redet, dann muss man wissen, dass es hier um ein Investitionsschutz- Die AfD hat eine Vorstellung von Handelspolitik, die abkommen geht, in dessen Rahmen der schwedische noch aus dem 19. Jahrhundert kommt. Für Sie ist Handel Konzern Vattenfall den Staat Deutschland vor einem in- nur Austausch von Waren. Ich glaube, Sie haben über- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8493

Markus Töns (A) haupt nicht begriffen, worum es in der internationalen, Statt privater Schiedsgerichte öffentlich-rechtliche Ge- (C) globalisierten Welt geht. richtshöfe! Um das an dieser Stelle auch zu sagen: Das alte System bedeutete geheime Verhandlungen und ge- (Jürgen Braun [AfD]: Aber die SPD!) heime Urteile. Der neue Investitionsgerichtshof bedeutet Wenn man die ganze Zeit – was Sie ja immer tun – von öffentliche Verhandlungen, veröffentlichte Urteile und deutschen Interessen spricht, dann muss man sich mit Rechtssicherheit. Schiedsrichter mussten im alten Sys- Investitionsschutz inhaltlich auseinandersetzen. Dann tem für jedes Verfahren neu ernannt werden. Zukünftig muss man auch mal verstehen, worum es dabei eigentlich wird es unabhängige Richter geben, ernannt für einen geht. Das haben Sie gar nicht begriffen. längeren Zeitraum, feste Vergütungen und einen strengen Ethikkodex. Das alles sind Neuerungen und Verbesse- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) rungen. Es gab früher keine Möglichkeit, in Berufung zu Sie hassen die Europäische Union. Sie hassen alles In- gehen. Eine Berufungsinstanz wird es zukünftig geben. ternationale. Sie hassen die UNO, wie Sie eben gesagt Auslegungsfehler können also korrigiert werden. Das al- haben. les ist neu und richtig. Ich glaube, auf diesen Weg müssen wir uns machen. Diese Verbesserung – das ist eindeu- (Jürgen Braun [AfD]: Sie von der SPD has- tig – gibt es nur aufgrund des Einsatzes der SPD und des sen die Wahrheit!) ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Gabriel. Sie wollen einen starken Staat, aber eine schwache EU. (Beifall bei der SPD) (Jürgen Braun [AfD]: Sie erzählen Unsinn!) Es gibt bereits Einigung über die Einrichtung bilatera- Im Prinzip hassen Sie damit auch die Menschen in ler Investitionsgerichtshöfe mit Kanada, Mexiko, Singa- Deutschland, pur und Vietnam. (Jürgen Braun [AfD]: Sie erzählen komplet- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten Unsinn, Herr Töns!) NEN]: Das sind weiterhin Schiedsgerichte!) weil Sie das Beste – das ist es, worum es hier geht – in Es ist ein mittelfristiges Ziel, einen multilateralen Inves- Zweifel ziehen. Das ist schon abenteuerlich. titionsgerichtshof zu schaffen, einen Gerichtshof für alle Staaten, die mitmachen wollen. Eine multilaterale Lö- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sung ist aus meiner Sicht im Moment der Königsweg. Es Wenn man Quatsch erzählt, können später sicherlich noch Dinge hinzukommen, über die man verhandeln muss. Aber das ist der erste Schritt. (Jürgen Braun [AfD]: Ja, wie Sie!) Aktuell läuft dazu übrigens ein Diskussionsprozess bei (B) dann sollte man ihn auch vernünftig begründen können. den Vereinten Nationen. Er ist ganz wichtig. (D) Ich kann den von Ihnen behaupteten Zentralismus eines Noch mal an die Grünen gerichtet: Liebe Frau Dröge, multilateralen Investitionsgerichtshofes nun wirklich es geht jetzt darum, bei anderen Staaten für einen multi- nicht erkennen. Das hat nichts miteinander zu tun. lateralen Investitionsgerichtshof zu werben und ein Man- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Falko dat an die Kommission offenzuhalten. Wir sind am An- Mohrs [SPD]: Da ist ein Phrasendrescher fang dieses Diskussionsprozesses. Sie ziehen aber rote rausgekommen!) Linien, bevor Sie überhaupt mit anderen Ländern gespro- chen haben. Sie vergraulen die potenziellen Partner. Im Was sind denn unsere Positionen? Es geht darum, bei Multilateralismus und in der internationalen Diplomatie einem multilateralen Investitionsgerichtshof zu mehr ist das aus meiner Sicht schlichtweg naiv. Ich will Ihnen Rechtsbindung in einem internationalen Rahmen zu da einmal eine Frage stellen; denn eines wundert mich: kommen, ein Schritt hin zu mehr Transparenz und Unab- Wann haben die Grünen eigentlich ihren Kompass in der hängigkeit. Wir begrüßen das ausdrücklich. Ich will auf internationalen Politik verloren? Da ist seit einigen Jah- einige Dinge eingehen. Wo stehen wir? Grundsätzliches ren doch schon einiges verloren gegangen. Problem: Private Schiedsgerichte entscheiden im Mo- ment über die Auslegung internationaler Verträge. Das (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist falsch, weil es mangelnde Transparenz der Verfahren NEN]: Und was genau? Was denn?) gibt, mangelnde Rechtssicherheit, mangende Unabhän- Wir fordern von der EU, international für den multi- gigkeit der Richter und keine Berufungsinstanz. Unsere lateralen Investitionsgerichtshof zu werben, weil er erst- Forderung bezieht sich auf die Auslegung des Völker- malig ein Gericht ist, das auch transparent verhandelt. Er rechts. Es muss öffentlich und durch unabhängige Rich- soll alle alten Verträge ersetzen und die privaten Schieds- ter erfolgen. Deshalb ist die Ablösung des alten Systems, gerichte durch öffentliche Gerichte ersetzen, Vertrag für das intransparent ist, richtig. Zukünftig müssen private Vertrag. Das ist der richtige Weg, zwar in kleinen Schrit- Schiedsgerichte der Vergangenheit angehören. Das ist ten, aber es ist der richtige Weg. Ein Beispiel ist der neue der Schritt in die richtige Richtung. Investitionsschutzvertrag mit Singapur. Das ist ein gutes Also, was tun wir? Ohne als Wirt- Beispiel dafür, dass es geht. Er wird 17 bilaterale Inves- schaftsminister und ohne die SPD hätte es die Verände- titionsschutzabkommen ablösen, die nach dem alten Sys- rung von einem alten System hin zu einem neuen über- tem funktionieren. Das ist gut. haupt nicht gegeben; das muss man deutlich sagen. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Nein!) 8494 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Markus Töns (A) Unsere Forderung als Sozialdemokraten an die Bun- Für Freie Demokraten bedeutet der Investitionsschutz (C) desregierung ist, sich bei der EU weiter dafür einzuset- auch Schutz von Eigentum, und der ist uns sehr, sehr zen, dass es diesen multilateralen Investitionsgerichtshof wichtig. mit möglichst vielen Partnern in der Welt gibt. Ich halte das für richtig. (Beifall bei der FDP – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Was ist mit den Arbeitneh- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mern?) NEN]: Möglichst wenig Antworten!) – Ja, ich rede ja auch von Eigentum. Haben Sie kein Ei- gentum als Arbeitnehmer zum Beispiel? Aber gut. – Es werden nicht alle mitmachen, Frau Dröge. Das ist halt so. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nein! Die Arbeiter in Bangladesch ha- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben kein Eigentum! Das ist das Problem!) NEN]: Sie versuchen ja noch nicht einmal, es besser zu machen! Sie machen einfach nichts!) Weltweit gilt: Länder, in denen Eigentum geschützt wird, sind wirtschaftlich immer erfolgreicher. Das ist zu Wir können es trotzdem versuchen. Wir werben um je- belegen, und wir können den Bewohnern in dem Mo- den. ment auch bessere Lebensbedingungen bieten; so ist das. Die heute hier vorliegenden Anträge zeigen mir wieder Der Antrag der Grünen ist abzulehnen, weil er am Ziel deutlich, wie grundsätzlich unterschiedlich die Haltung vorbeischießt. von Linken, Grünen und den Freien Demokraten hier ist. Ich wünsche uns allen trotzdem schöne Weihnachts- Das Verständnis, das uns trennt, ist, dass für Sie Staaten tage und einen geruhsamen Übergang ins nächste Jahr. gleich gut und Investoren gleich gefährlich sind. Die ge- fühlte Wahrheit, liebe Grünen und liebe Linken, hilft uns Vielen Dank. bei der Ausgestaltung von fairen Spielregeln aber nicht. Sie sind eher populistisch. Von den Linken – das muss (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ich jetzt ehrlich sagen – habe ich auch eigentlich nichts der CDU/CSU) anderes erwartet. Aber von Ihnen, liebe Grünen? Sie wol- len doch regieren. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Hui! Jamaika, nicht? – Katharina Dröge [BÜND- Vielen Dank, Markus Töns. – Nächste Rednerin für (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Regieren (D) die FDP-Fraktion: Sandra Weeser. braucht man auch Konzepte!) (Beifall bei der FDP) Es beruhigt mich aber schon ein Stück weit, dass es, wenn Sie Regierungsverantwortung annehmen, immer noch zu vernünftigen Entscheidungen geführt hat. Ich (FDP): Sandra Weeser kann mich daran erinnern: In der rot-grünen Bundesre- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen gierung von 1998 bis 2005 haben Sie immerhin 23 bi- und Herren oben auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen laterale Abkommen mit Schiedsgerichtsklauseln mit un- und Kollegen! Wir alle profitieren vom freien Handel mit terzeichnet. Waren und Dienstleistungen. Ja, unsere Weltwirtschaft ist immer enger miteinander verflochten. Der Freihandel (Beifall bei der FDP) gerät aber neuerdings von links und rechts immer stärker Natürlich können sich politische Positionen ändern; in Bedrängnis und unter Druck. Ich möchte – ich bin ja aber Politik ist auch dazu da, Planbarkeit herzustellen, froh, dass alle Fraktionen dem eben schon zugestimmt und verpflichtet zu Verlässlichkeit. Die Unternehmen haben – einmal ganz klar sagen, dass die Freien Demo- und die Menschen, die in diesem Land den Wohlstand kraten sich vollumfänglich für freien Welthandel aus- erwirtschaften, rechnen im wahrsten Sinne des Wortes sprechen. damit. Da bedarf es nicht simpler Ideologie, sondern hier muss einfach Sachverstand eingesetzt werden. (Beifall bei der FDP) Sie unterschlagen in Ihren Anträgen leider auch, dass Ich sage aber auch ganz ausdrücklich: Zu freiem Welt- in anderen Staaten nicht die Art von Rechtsstaatlichkeit handel gehören faire Spielregeln, und zu fairen Spielre- und Gerichtsbarkeit herrscht, die wir hier in Deutschland geln gehört zum Beispiel der Investitionsschutz für Un- kennen. Diese Abkommen schützen deutsche Unter- ternehmen. nehmen, und sie schützen auch vor staatlicher Willkür. Gerade den mittelständischen Unternehmen eröffnet die ( [DIE LINKE]: Wohl Schiedsgerichtsbarkeit einen einfachen und kostengüns- kaum!) tigen Zugang. Sie sprechen hier von „Schiedstribunalen“ und „Konzernschiedsgerichten“. Das Wording verrät mir – Ja, so ist das schon. hier bereits den Geist Ihrer Gedanken. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie lehnen den heutigen Investitionsschutz ab. Wir NEN]: Und Schutz für Mitarbeiter?) sind aber der Ansicht, dass er die Rechte von deutschen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8495

Sandra Weeser (A) Unternehmen im Ausland schützt. Hier geht es einzig – Sie würden doch am liebsten alle in die Wüste treiben; (C) und allein um Rechtssicherheit. Ich weiß, Sie sehen das das ist mir schon klar. Dann müssen Sie sich aber überle- ein bisschen anders: Sie wollen am liebsten sofort raus gen, wo die Leute demnächst ihre Arbeit finden. aus allen bestehenden Verträgen. Aber Sie legen – das hat der Herr Töns eben schon gesagt – die Maßstäbe so (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die Kon- hoch an, dass bei mir der Eindruck erweckt wird, dass zerne müssen wir in die Wüste schicken!) Sie Freihandelsabkommen mit Investitionsschutz eigent- – Das ist ja Ihr Problem. Sie hier reden hier immer nur lich überhaupt nicht wollen, und deswegen legen Sie die von Konzernen. Ich rede hier von mittelständischen Un- Messlatte so hoch, dass alle nur noch untendrunter durch- ternehmen, also bitte. laufen können. Was bereits an zahlreichen Verbesserungen unter- (Beifall bei der FDP) nommen worden ist, darf man hier nicht ignorieren. Wir Auch die Äußerungen von Ihrem Fraktionschef Toni schlagen in unserem Antrag vor, dass das System der Ab- Hofreiter gehen genau in die gleiche Richtung, wenn er kommen besser werden muss. Das heißt, die Investitions- sagt, die EU dürfe künftig nur noch Handelsabkommen schutzabkommen müssen verbessert werden. Wir brau- abschließen, in denen die Nichteinhaltung der Klima- chen transparentere Verfahren. Es muss die Möglichkeit schutzziele an Sanktionen gekoppelt ist. Sie, liebe Grü- von Revisionsentscheidungen geben. Die Richter müssen nen, wollen Freihandel nur, wenn er in Ketten gelegt ist. unabhängiger werden, und wir brauchen natürlich auch die Möglichkeit der Einführung von Berufungsinstanzen. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klimaschutz ist also Ketten für Ich sage es noch einmal: Wer Freihandel will, der darf Sie! Das ist ja verräterisch! Danke für den es jetzt nicht nur bei Worten belassen. Arbeiten wir an ei- Hinweis! Das ist einfach deutlich geworden: ner Verbesserung und Weiterentwicklung der Schiedsge- Für die FDP ist Klimaschutz Ketten! Ich wer- richtsbarkeit, statt bewährte Systeme infrage zu stellen. de Sie zitieren!) (Beifall bei der FDP) Hier geht es schlicht und ergreifend um Investitions- Damit geben wir den Unternehmen ein Zeichen, dass schutz. Seien Sie doch einmal so ehrlich und sagen Sie sie sich von der Politik nicht im Stich gelassen fühlen den Leuten da draußen: Wenn es keinen Freihandel gibt, müssen, sondern sie Investitionen planbar gestalten und dann gibt es auch keine Arbeitsplätze; die gehen dann somit Arbeitsplätze sichern können. nämlich verloren. Der Wohlstand bleibt auf der Strecke, und damit gibt es erst recht kein Geld für den Klima- Auch wenn Sie es mir nicht glauben: Ich wünsche (B) schutz, der uns allerdings allen wichtig ist. Ihnen allen frohe und gesegnete Weihnachten und einen (D) guten Rutsch ins neue Jahr. Ich freue mich auf die Debat- (Beifall bei der FDP – Katharina Dröge ten im nächsten Jahr mit Ihnen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wichtig, dass Sie nichts dafür tun!) Danke schön. Können Sie denn sicherstellen, dass mit den Maxi- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten malanforderungen, die Sie hier ansetzen und die Sie den der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: anderen Ländern abverlangen, überhaupt noch Freihan- Warum sollten wir Ihnen das nicht glauben?) delsabkommen zustande kommen? Das ist doch im Prin- zip eine Verhinderungstaktik. Ich finde das anmaßend, Vizepräsidentin Claudia Roth: meine Damen und Herren. Vielen Dank, Frau Kollegin Weeser. Ich weiß nicht, (Beifall bei der FDP) warum wir Ihnen das nicht glauben sollten. Ich glaube Ihnen das. Danke schön. Ich begrüße es ausdrücklich, dass Sie nun in Ihrem vorgelegten Antrag einen multilateralen Investitionsge- Nächster Redner für Die Linke: Pascal Meiser. richtshof unterstützen; denn das ist ja auch unser Ziel. Ich frage mich aber natürlich auch, wie irgendein Land (Beifall bei der LINKEN) den von Ihnen angedachten grünen Gerichtshof anerken- nen soll. Die Standards – das haben wir gerade schon Pascal Meiser (DIE LINKE): gesagt –, die Sie anlegen, verhindern meines Erachtens Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und komplett ein Zustandekommen. Kollegen! Die Debatte um einen multilateralen Investi- Machen wir uns nichts vor: Es wird noch zehn Jahre tionsgerichtshof dreht sich im Kern immer um die glei- dauern, bis der MIC überhaupt funktionsfähig ist. Dann chen Fragen: Wollen wir, dass ausländische Konzerne müssen wir uns doch die Frage stellen: Was machen wir ganze Länder mit Milliardenklagen überziehen können, denn in der Zwischenzeit? Wollen wir jetzt alles auf- wenn diese Konzerne glauben, dass politische Entschei- geben? Wollen wir die Unternehmen ins kalte Wasser dungen ihre Gewinne schmälern, oder wollen wir das schmeißen? nicht? Wollen wir das selbst dann, wenn diese Entschei- dungen von demokratisch gewählten Parlamenten oder (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die armen Regierungen getroffen werden und dem Schutz von Um- Unternehmen!) welt und Menschen dienen, oder wollen wir das nicht? 8496 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Pascal Meiser (A) Für uns als Linke bleibt es dabei: Wir lehnen jegli- Konzernklagerecht werben, dann scheint mir, Sie haben (C) che Paralleljustiz für ausländische Konzerne ab, und das nichts, aber auch gar nichts von den Sorgen dieser Men- ohne Abstriche, liebe Kolleginnen und Kollegen. schen verstanden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Zwischenstaatliche Abkommen, die ausländischen Wenn Sie schon nicht auf diese Menschen hören Konzernen Sonderklagerechte einräumen, gibt es in der wollen, dann nehmen Sie zumindest endlich ernst, was Tat schon seit vielen Jahrzehnten. Und sie richten auch der Deutsche Richterbund sagt. In seiner Stellungnah- seit vielen Jahrzehnten viel Schaden an, zunächst vor al- me zur öffentlichen Anhörung im Wirtschaftsausschuss lem in Entwicklungsländern. Inzwischen werden sie aber bezeichnet er den vorliegenden Vorschlag für einen auch mehr und mehr zu einer Bedrohung von Demokra- multilateralen Investitionsgerichtshof als – Zitat – „ein tie und Rechtsstaat bei uns in den westlichen Industrie- Sondergericht ohne nachgewiesene Notwendigkeit“. staaten. Der weltweit renommierte Investitionsrechtsan- Und weiter – ich zitiere –: „Das … Mandat zielt auf die walt George Kahale, der seit vielen Jahren mit solchen Einrichtung eines Gerichts, dem auch weiterhin demo- Konzernklagen sein Geld verdient – hören Sie von der kratisch gesetztes Recht als Entscheidungsbasis fehlt.“ FDP genau zu –, hat diese Investitionsschutzabkommen Übersetzt heißt das so viel wie: Es ist völlig ungeklärt, in jüngst als – Zitat – „juristische Vernichtungswaffen“ in welchen Fällen ein Konzern ein Land zum Beispiel auf den Händen transnationaler Konzerne bezeichnet, entgangene Profite verklagen kann. Daher – so der Deut- sche Richterbund unmissverständlich – sollten Bundes- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aha!) tag, Bundesrat und Bundesregierung – es sind nicht mehr und das aus gutem Grund; denn solche Klagen können viele da – das Mandat für Verhandlungen zur Errichtung den Steuerzahler Milliarden kosten. eines multinationalen Investitionsgerichts ablehnen. Ein solch harsches Urteil der Vertretung von immerhin fast Nehmen wir die schon erwähnte laufende Klage des 17 000 Richtern und Staatsanwälten in Deutschland kön- schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, der die Bun- nen Sie doch nicht einfach ignorieren, liebe Kolleginnen desrepublik Deutschland auf Grundlage einer solchen und Kollegen. Regelung wegen des Atomausstiegs verklagt – dabei geht es um 4,3 Milliarden Euro plus Zinsen – oder das (Beifall bei der LINKEN) Beispiel des britischen Ölkonzerns Rockhopper. Nach- dem in Italien zum Schutz der Umwelt eine neue küsten- Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die FDP nahe Ölförderung verboten wurde, hat dieser Ölkonzern in ihrem Antrag noch weitreichendere Sonderrechte für Italien auf über 250 Millionen US-Dollar verklagt, da- Konzerne fordert und damit versucht, die Bundesregie- rung vor sich herzutreiben. Bei dem heute dazu vorlie- (B) runter auf über 200 Millionen US-Dollar Entschädigung (D) für entgangene Profite, die ein neues Ölfeld möglicher- genden Antrag der Grünen, dem wir die erneute Debatte weise – möglicherweise! – eingebracht hätte. Sie von der über dieses heikle Thema zu verdanken haben, ist uns FDP, der Union und leider auch Sie von der SPD sagen auch nach mehrmaligem Lesen nicht ganz klar gewor- weiterhin, solche Klagemöglichkeiten seien kein Pro- den, ob Sie in der Konsequenz eigentlich für Sonderkla- blem. Das ist doch absurd, liebe Kolleginnen und Kol- gerechte für ausländische Konzerne sind oder nicht. legen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der LINKEN) Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Mit der Erteilung des Verhandlungsmandats an die Eu- -bemerkung von Frau Weeser? ropäische Kommission für ein multilaterales Investitions- gericht wurde dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Denn Pascal Meiser (DIE LINKE): eines ist klar: Kommt ein solcher Investitionsgerichtshof Im Moment nicht, danke. Tut mir leid! zustande, wird das System der Sonderklagerechte für Konzerne weiter zementiert. Daran ändern auch die kos- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- metischen Verbesserungen nichts, liebe SPD, auf die Sie NEN]: Die Antwort ist „nicht“!) so stolz sind, mit denen Sie Ihre in dieser Frage ja sehr – Das freut mich zu hören. – Nach Lage der Dinge ist die- kritische Parteibasis ruhigstellen wollen. ser Antrag für uns zurzeit leider nicht zustimmungsfähig; Millionen Menschen in Deutschland und in ganz Eu- aber, liebe Katharina Dröge, vielleicht gelingt es dir, das ropa haben in den vergangenen Jahren gegen neue In- im Ausschuss aufzuklären und uns zu überzeugen. vestitionsschutzabkommen wie das berühmt berüchtigte (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- TTIP-Abkommen mit den USA und das CETA-Abkom- NEN]: Das steht da drin!) men mit Kanada protestiert. Bei aller Verleumdung, die ich hier darüber höre, bin ich stolz, dass ich, bevor ich Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir als Linke in den Bundestag einzog, ein aktiver Teil dieser breiten sind für internationale Abkommen zur Gestaltung des außerparlamentarischen Bewegung sein durfte, Welthandels. Dabei unterscheiden wir uns in dieser Fra- ge ganz fundamental von den Positionen der AfD. Doch (Beifall bei der LINKEN) statt exklusiver Klagerechte für Konzerne, wollen wir auch mit vielen aus meiner Fraktion und aus der Frak- dafür sorgen, dass international agierende Unternehmen tion der Grünen. Wenn ich mir anhöre, wie leicht Sie endlich Arbeitnehmerrechte und Umweltschutzstandards es sich machen, wie Sie weiter unverdrossen für dieses einhalten müssen. Die Erfahrung zeigt: Dabei reichen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8497

Pascal Meiser (A) keine freundlichen Appelle. Vielmehr brauchen wir klare Wir haben gesehen, dass das Verfahren der Schiedsge- (C) und verbindliche Regeln für die Unternehmen, die auch richte nicht ideal ist. Ich plädiere dafür, ein stehendes Ge- eingeklagt werden können. richt zu schaffen. Ich habe gesagt, wir müssen die Rich- terbestellung an dieses Haus rückbinden – ein Punkt, der (Beifall bei der LINKEN) möglicherweise bei der Umsetzung von CETA eine Rolle Wir unterstützen daher das Vorhaben, im Rahmen der spielen wird. Und ich habe gesagt: Wir brauchen beson- Vereinten Nationen einen verbindlichen Vertrag über die dere Regeln für kleine und mittlere Unternehmen. All das Pflichten international agierender Konzerne abzuschlie- haben wir in CETA nachträglich erreicht. ßen. Das ist ein Prozess, der unter dem Namen UN-Bin- (Beifall der Abg. [SPD]) ding-Treaty bereits seit 2014 in Gang ist, der aber leider bisher keinerlei Unterstützung durch die Bundesregie- In der Frage zu einem Berufungsgericht war ich anderer rung erfährt. Heute können wir das ändern. Wenn Sie Meinung; aber auch darüber kann man trefflich streiten. wollen, dass die Globalisierung gerecht gestaltet wird, stimmen Sie unserem Antrag zu, unterstützen Sie den In dem Grünenantrag loben Sie zunächst einmal den UN-Binding-Treaty und stoppen Sie die weitere Stär- Schritt nach vorne, den wir gemacht haben; das finde kung der Macht großer Konzerne durch die Etablierung ich richtig. Ich weise darauf hin, dass wir das Mandat eines internationalen Investitionsgerichtshofs. für den multilateralen Gerichtshof, über den wir jetzt re- den, verabschiedet haben. Sie gehen mit Ihrem Antrag Vielen Dank. einen deutlichen Schritt weiter und sagen, es gehe bis- lang nur um Investitionsschutz und andere Punkte wie (Beifall bei der LINKEN) die Abwägung mit Menschenrechten, Umweltschutz und Sozialstandards fehlten. So wie Sie den Antrag formulie- Vizepräsidentin Claudia Roth: ren – das muss ich sagen –, geht das nicht. Letztlich geht Vielen Dank, Pascal Meiser. – Nächster Redner für die es Ihnen darum, weltweit einheitliche Standards und ein CDU/CSU-Fraktion: Dr. Heribert Hirte. einheitliches Abwägungsprozedere durchzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Mindeststandards!)

Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): – Ja, die Mindeststandards. – Sie wollen die Mindeststan- Frau Präsidentin! Liebe Schriftführer! Liebe Kolle- dards ähnlich dem Völkerrecht, das für die gesamte Welt ginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! gilt, festschreiben. Das wollen wir sozusagen mit unseren (B) Mitteln erreichen. (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich kann nur sagen: Bei uns ist schon die Frage, wie Oh, das ist eine Premiere. weit Völkerrecht gilt, nämlich über Ratifikation oder in- direkt – wir haben das beim Pakt für Migration in den letzten Wochen intensiv diskutiert –, eine heillos umstrit- Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): tene Frage. Das, was Sie hier machen wollen, ist – ich Ja, das muss auch mal sein; denn sie arbeiten bis tief in sage es vorsichtig – mutig. Denn ich kann mir kaum einen die Nacht, wie wir ja auch. Staat – und das ist in der Debatte schon angeklungen – vorstellen, der sagt: Deutsche Standards akzeptieren wir (Beifall der Abg. Katharina Dröge [BÜND- eins zu eins in der ganzen Welt, und wir akzeptieren auch NIS 90/DIE GRÜNEN]) deutsche NGOs und andere Kläger, die in anderen Län- Wir reden heute zum x‑ten Mal über Freihandel und dern dieser Welt diese Standards durchsetzen. – Das ist die damit verbundenen und dies absichernden internati- eine abenteuerliche Vorstellung onalen Schiedsgerichte. Ich erinnere daran, dass dieses (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Thema in der letzten Legislaturperiode fast wöchentlich NEN]: Das haben Sie echt falsch verstanden! auf der Tagesordnung stand, vor allen Dingen im Zusam- So war es gar nicht gemeint! Es war anders- menhang mit TTIP und CETA. Einer der Hauptkritik- rum gemeint!) punkte – ich werde gleich noch etwas dazu sagen – waren die Schiedsverfahren, über die wir jetzt schon einiges ge- – Das gilt dann ja in beide Richtungen. – Wenn Sie diese hört haben. Lassen Sie mich zunächst sagen: Wir haben sozusagen Geltungsentleerung vornehmen, stellt sich die vor allen Dingen bei CETA durch Diskussionen, die wir Frage, wie das mit der Rechtsprechung des Bundesver- hier im Haus geführt haben, sehr viel erreicht. Ich bin fassungsgerichts vereinbar sein soll, die besagt, dass wir gespannt, was das Bundesverfassungsgericht nach der selbst definieren, welche Regeln bei uns gelten. Meines Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einigen Erachtens geht das so nicht. Wochen oder Monaten zu diesem Thema sagen wird. Ich freue mich auf die Diskussion hier im Haus, wenn wir Sie sagen: Wir wollen an die Investitionsschutzab- CETA endgültig verabschieden werden. kommen andocken. – Meines Erachtens sind nicht die Vereinten Nationen der richtige Regelungsort, sondern (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – die Welthandelsorganisation. Es müsste dann in die WTO Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gebracht werden, und genau in diese Richtung denken NEN]: Hoffentlich nicht!) wir ja auch. 8498 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Dr. Heribert Hirte (A) Es gilt Folgendes: Die Standards, die Sie normieren Warum soll das in die eine Richtung nicht möglich sein, (C) wollen, sind geltendes Recht, soweit sie in den entspre- in die andere aber doch? Das passt nicht zusammen. chenden Ländern umgesetzt werden. Sie dürfen nur nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) diskriminierend und enteignend angewandt werden. Die entscheidende Frage ist, wer sie auslegt. Darüber kann Schließlich haben Sie gesagt, Investitionsgerichte man natürlich trefflich streiten. Ob das nationale Gerich- seien mit der deutschen Tradition nicht vereinbar. Der te tun, supranationale Gerichte, stehende Gerichte oder Deutsche Richterbund hätte dies gesagt. Nein, es geht Schiedsgerichte, wie auch immer zusammengesetzt, das um die Frage, ob die Richter unabhängig sind und ob sie ist doch eine Frage der Verhandlung zwischen souverä- unabhängig bestellt sind. Das heißt, das Verfahren ist ent- nen Staaten, die darüber entscheiden können, dürfen und scheidend. Es ist nicht so, dass es in Deutschland nicht müssen und dies in eigener Verantwortung auch tun. Und auch Kritikpunkte gibt. Ich nenne den Richter Reuschle daran sind wir als Parlament in jedem Einzelfall beteiligt. aus Stuttgart oder den Insolvenzrichter Frind aus Ham- burg. Es ist nicht so, dass aus dem Ausland nicht auch (Beifall des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/ auf solche Fälle geguckt wird. Deshalb kann ich durch- CSU]) aus verstehen, dass an der einen oder anderen Stelle Fra- Sie sagen – auch das wurde schon angesprochen –, gezeichen gesetzt werden. dass Sie die Durchsetzung dieser Rechte in die Hände – In diesem Sinne sage ich: Lassen Sie uns über die ich zitiere – lokaler Gemeinschaften, Gewerkschaften Sache weiterdiskutieren. Das ist ein Ansatz für die Dis- oder anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen legen wol- kussion; aber über Weihnachten machen wir Pause. Ge- len. Ehrlich gesagt, auch das ist abenteuerlich. Es ist aus segnete Weihnachten und eine neue Debattenkultur im meiner Sicht mit dem Demokratieprinzip nicht im Ansatz nächsten Jahr! vereinbar, irgendwelchen Institutionen die Durchsetzung von Recht zu ermöglichen, die in keiner überprüfbaren Vielen Dank. Alles Gute! Weise demokratisch legitimiert sind. Die Deutsche Um- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- welthilfe wurde schon angesprochen. Ich glaube, auch ordneten der SPD) dieses Beispiel zeigt, dass diesbezüglich die Sensibilität erhöht werden muss. Im Übrigen sage ich zu diesem Par- teitagsbeschluss – weil wir darüber zum Teil auch schon Vizepräsidentin Claudia Roth: öffentlich diskutiert haben –: Der Ansatzpunkt ist aus Vielen Dank, Dr. Hirte. – Nächster Redner: Falko meiner Sicht nicht die möglicherweise oder angeblich Mohrs für die SPD-Fraktion. fehlende Gemeinnützigkeit, sondern die Zusammenset- (Beifall bei der SPD) (B) zung des Verbandes – über diese Frage haben wir auch (D) bei der Musterfeststellungsklage diskutiert – bzw. die Fi- nanzierung des Verbandes. Falko Mohrs (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herren! Liebe Zuschauer! In der Debatte ist jetzt einiges durcheinandergekommen. Wir haben Anträge vorliegen, Aber demokratisch ist das so nicht. bei denen es um multilaterale Investitionsgerichtshöfe Damit bin ich beim letzten Punkt; das ist vielleicht der geht. Zwischendurch wurde in der Diskussion der Ein- entscheidende Punkt. Sie von den Grünen und den Lin- druck vermittelt, wir würden mal eben die gesamte Welt- ken sagen, wir könnten Konzernen keine Klageprivile- ordnung mit diesen Gerichtshöfen klären. gien einräumen, wir müssten diese Privilegien beenden. Herr Meiser, Sie sprachen davon, dass wir über Ihren Nein, es geht nicht um Privilegien, sondern es geht da- Antrag die ganze Globalisierung fairer gestalten könn- rum, dass im Sinne gelebter Subsidiarität denen, die aus ten. Dann sollte der Antrag aber etwas anders ausgerich- einem Investitionsschutzabkommen Rechte ableiten, auf tet sein und von mehr als bloß Investitionsgerichtshöfen einem verkürzten Weg die Wahrnehmung dieser Rechte handeln. Wenn Sie die Fragen der Gerechtigkeit in der gestattet wird. Das wird demokratisch legitimiert. Das ist Globalisierung auf die Frage der Investitionen reduzie- demokratisch legitimiert, weil wir darüber entschieden ren, dann springen Sie doch ein klein wenig zu kurz. haben. (Beifall bei der SPD – Pascal Meiser [DIE Wenn Sie sagen, solche Schiedsgerichte könnten ent- LINKE]: Sie haben den Antrag doch gar nicht sprechende Schadenssummen auswerfen, dann sage ich: gelesen!) Ja, aber die Alternative ist, dass Gesetze rückabgewickelt werden. Ich muss sagen: Ich möchte nicht, dass durch – Natürlich habe ich den Antrag gelesen. Ich kann Ihnen Schiedsgerichte Gesetze abgewickelt werden; dann lie- auch sagen, dass Sie immer nach dem gleichen Muster ber Schadenersatz. vorgehen: Sie lehnen immer und grundsätzlich all das ab, bei dem es um den Investitionsschutz geht. Das ist aber (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einfach zu wenig. NEN]: 4,3 Milliarden Euro!) Wenn wir uns überlegen, wo wir in Sachen Investiti- Ihr Verhalten ist im Übrigen widersprüchlich, weil Sie onsschutz herkommen, stellen wir fest, dass es eigentlich im Zusammenhang mit der Musterfeststellungsklage for- darum geht – das ist doch das Problem –, dass wir im dern – möglicherweise zu Recht –, dass Schadenersatz in Moment einen großen Mangel an Unabhängigkeit bei Geld geleistet wird, und zwar in viel größerem Umfang. privaten Schiedsgerichten haben. Das ist das Defizit, von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8499

Falko Mohrs (A) dem wir ausgehen. Das ist das Defizit, über das wir eine bisschen weit nach vorne geschaut; das will ich gerne (C) Diskussion führen müssen. Deswegen ist es wichtig, dass einräumen. Aber wir haben das in der Überzeugung ge- sich die Europäische Union – mein Kollege Herr Töns macht, dass es richtig ist, den Multilateralismus zu stär- hat das ja deutlich gemacht – auf der Grundlage unse- ken. Ich glaube, wir können ihn nur stärken, wenn wir rer Diskussion innerhalb der SPD getrieben vom Wirt- ihn qualitativ besser machen und anreichern. schaftsminister auf den Weg gemacht hat, um über die Frage der privaten Investitionsschutzgerichte hinauszu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gehen und zu einem wirklich multilateralen, internatio- Ich will das erklären. Es gibt Fraktionen, die den Mul- nalen Ansatz zu kommen. tilateralismus gar nicht so schätzen, die ihn nicht wollen (Beifall bei der SPD) und nicht begeistert davon sind – geschenkt. Aber wir haben in Deutschland, eine Exportnation, ein Riesenpro- Denn wir brauchen – das ist doch der Anspruch, wenn blem in unserer eigenen Gesellschaft mit der Akzeptanz wir über Investitionsschutz reden – transparente Verfah- von Freihandel. Das haben wir gemerkt an dem großen ren. Wir brauchen eine transparente Rechtsprechung. Widerstand gegen TTIP und CETA. Ein Punkt, an dem Deswegen ist es wichtig, dass die Richter nicht immer sich ganz viele Leute stoßen und reiben, ist – zumindest nur für das einzelne Verfahren ausgesucht werden, son- haben sie das Gefühl, und ich kann als ehemalige Sena- dern die Richterinnen und Richter über einen langen torin sagen, dass das nicht nur ein Gefühl ist, sondern Zeitraum unabhängig agieren können, dass sie nicht nur dass da auch Druck entsteht –, dass internationale Kon- auf diejenigen schielend, die sie bestellt haben, Urteile zerne versuchen, rechtliche Privilegien auszuspielen, die fällen, sondern wirklich unabhängig agieren können. sie durch alte Abkommen mit privaten Schiedsgerichten (Beifall bei der SPD) haben. Die werden ausgenutzt, und wir sind aufgerufen, daran etwas zu ändern. Eine Anmerkung: Herr Meiser, Frau Dröge, Sie waren ja beide, wenn ich mich richtig erinnere, in der Anhö- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – rung am 6. Juni 2018 dabei. Herr Meiser, Sie haben hier [CDU/CSU]: Wir haben ja viel den Deutschen Richterbund zitiert. Vielleicht erinnern geändert!) Sie sich, dass dieser Sachverständige von allen Sachver- ständigen, die zur Anhörung eingeladen waren, der Ein- Deswegen verfolgen wir mit unserem Antrag nicht das zige war, der das, was Sie hier dargestellt haben, infrage Ziel, Ketten an den Freihandel zu legen, vielmehr verfol- gestellt hat. Alle anderen haben tatsächlich gesagt: Wir gen wir das Ziel, für Kohärenz zwischen internationalen brauchen dieses Mehr an Transparenz; wir müssen den Abkommen zu sorgen. Wenn es ein internationales Kli- Weg zu den internationalen Schiedsgerichtshöfen gehen. maschutzabkommen gibt, dann macht es doch Sinn, dass (B) Das ist doch eine der Kernaussagen dieser Anhörung ge- auch für den internationalen Freihandel eine Kohärenz (D) wesen. zwischen Freihandel und Klimaschutzzielen möglichst hergestellt wird. (Zuruf der Abg. Katharina Dröge [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ja, eben, wir können uns gerne verabreden, um vor der Deswegen wollen wir überhaupt keine deutschen Stan- Diskussion über Ihren Antrag im Wirtschaftsausschuss dards verabreichen – das wäre nicht multilateral –; aber die Protokolle der Anhörung zusammen durchzugehen. wir wollen, dass Gerichte abwägen dürfen, ob Konzern- interessen, die legitim sein können, im Widerspruch zu (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- anderen internationalen Abkommen stehen, egal ob sie NEN]: Unsere Experten haben Sie gerade völ- Arbeitsrecht, Umweltrecht oder Klimaschutz betreffen. lig ignoriert!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann können wir auf der Grundlage noch einmal darüber diskutieren. Das sind die Idee und der Geist unseres Antrages. Ich Wir freuen uns auf die Diskussion. Ich habe unseren bin durchaus adventlich gestimmt: Wir wollen diese Dis- Ansatz deutlich gemacht. kussion mit Ihnen weiterführen; aber wir erlauben uns, an der Stelle ehrgeizig zu sein, klar zu sein. Wir sind der Herzlichen Dank fürs Zuhören. Schöne Feiertage! Meinung, dass wirtschaftliche, ökologische und soziale (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Interessen auch im Multilateralismus zusammengedacht der CDU/CSU) werden sollten. So erreichen wir mehr Akzeptanz, und das täte unserem Globus gut. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herzlichen Dank. Vielen Dank, Falko Mohrs. – Nächste Rednerin: Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Anja Hajduk. – Letzter Redner in dieser (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Anja Hajduk Debatte: Bernhard Loos für die CDU/CSU-Fraktion. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben mit unserem Antrag in der Tat ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 8500 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

(A) Bernhard Loos (CDU/CSU): Märkte sichern wir den Wohlstand in unserem Land an- (C) Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- gesichts einer immer weiter fortschreitenden Globalisie- legen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen! Staaten haben rung. Zu solchen internationalen Handelsverträgen gehö- keine Freunde, nur Interessen. Dieses bis heute ungebro- ren eben auch Multilaterale Investitionsgerichtshöfe. chen gültige Zitat von Charles de Gaulle unterstreicht Lassen Sie mich kurz noch etwas Grundsätzliches die Notwendigkeit von internationalen Abkommen. Und sagen: Freier Handel statt staatlich kontrollierter und mehr noch: Deutschland ist als europäische Exportnati- geschützter Wirtschaft, das macht den Unterschied. on Nummer eins in existenzieller Weise auf verlässliche Freier Handel mehrt Wachstum und Wohlstand, falscher Handelsvereinbarungen angewiesen, einklagbar auch Protektionismus schadet ihm. Wir als Union stehen für von deutschen Unternehmen; denn wie heißt es so schön: Freihandelsabkommen, für eine offene und faire Han- Beim Geld hört die Freundschaft auf. Daher wäre ein delspolitik mit unseren Partnern in der EU, mit unseren Multilateraler Investitionsgerichtshof für die deutschen G-7-Partnern und weltweit. Exportunternehmen ein wirtschaftspolitischer Gewinn an Sicherheit für ihre Investitionen im Ausland – in einer Nach einem Jahr verschiedenster wirtschaftspoliti- globalisierten Welt eine klare Sache, die eigentlich jedem scher Debatten hier im Hohen Haus wird eines klar – sa- einleuchtet. gen wir es doch ganz einfach –: Sie von der Linken und den Grünen haben grundsätzliche Probleme mit einem Nun wollen Sie, meine lieben Kolleginnen und Kolle- globalisierten Handel. gen von den Grünen, aus einem geplanten Multilateralen Investitionsgerichtshof einen Gerichtshof für Soziales, (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ökologisches und Menschenrechte basteln und damit die NEN]: Sie haben der ganzen Debatte nicht eigentliche Arbeit eines MIG verwässern. Leider sind Sie zugehört, oder?) wieder etwas zu spät dran; denn die Fraktion der Linken hat bereits am 22. November 2017, also vor gut einem Sie wollen, dass sich alle anderen Handelspartner an Jahr, einen inhaltlich weitgehend ähnlichen Antrag ein- unseren deutschen Vorstellungen orientieren. Ich will gebracht keine Sonderrolle Deutschlands. Ich glaube auch nicht, dass wir immer alles besser wissen als alle anderen. Im (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Endeffekt läuft der Antrag der Grünen konsequent auf die Abschaffung eines effektiven Investitionsschutzes und gleich das Ende eines solchen Investitionsge- durch Überblähung des MIG hinaus. Sie von den Grünen richtshofs gefordert, verbunden mit dem Ausstieg aus behindern das Schutzbedürfnis deutscher Investoren im bestehenden Investitionsabkommen. Müssen Sie von Ausland. Deswegen steht Ihre Haltung im Widerspruch Bündnis 90/Die Grünen deshalb auch etwas zum MIG zu den außenpolitischen Interessen Deutschlands. (B) sagen, so nach dem Motto des Münchener Originals Karl (D) Valentin: „Es ist schon alles gesagt, aber halt noch nicht Der Europäische Rat hat am 20. März 2018 das von allen“? EU-Mandat und die Richtlinien zur Verhandlung über die Errichtung eines Multilateralen Investitionsgerichtshofs Vor genau sechs Monaten hatten wir hier eine Debatte beschlossen. Die Vorgaben sind klar, richtig, ausreichend über CETA und JEFTA. Auch damals waren Ihnen von und umfassend. Der MIG soll die bestehenden materi- den Fraktionen der Linken und der Grünen diese Abkom- ellen Regeln des Investitionsschutzes erhalten und die men ein Dorn im Auge, vor allem wegen der Trennung Schiedsgerichte aus den bilateralen Investitionsschutz- der Verträge in „nur EU“ und einem zweiten Teil in Form verträgen von EU-Mitgliedstaaten mit Drittstaaten und eines gemischten Abkommens als Reaktion der EU auf die bilateralen Investitionsgerichte in EU-Abkommen die negativen TTIP-Verhandlungserfahrungen vor allem mit Investitionsschutz, zum Beispiel CETA, ersetzen in Deutschland. Jetzt ist aber nicht mehr die Zeit für po- können. Ziel des MIG ist es, Legitimität der Rechts- litische Spielchen und Showveranstaltungen. Die Unter- staatlichkeit sowie Transparenz und Einheitlichkeit der nehmen in unserem Lande erwarten von der Politik eine Rechtsprechung in der Investor-Staat-Streitbeteiligung klare Absicherung für ihre Investitionen durch klare in- weiter zu verbessern und die Anreize für missbräuchli- ternationale Handelsregelungen, die einklagbar sind. che Klagen zu senken. Die Verhandlungsrichtlinien des Meine Damen und Herren von der grünen und der Mandats sehen daher einen transparenten MIG, ähnlich linken Opposition, man kann es nicht oft genug sagen: dem System des Investitionsgerichts CETA, mit öffent- Hätten wir damals das TTIP-Abkommen abgeschlossen lich ernannten Richtern und Berufungsmechanismen vor. und nicht über nicht existente Chlorhühnchen diskutiert, Die EU-Kommission, die EU-Mitgliedstaaten und Ka- wäre es für den America-first-Präsidenten Donald Trump nada werben gegenwärtig bei der Kommission der Ver- jetzt nicht so einfach, Strafzölle auf Stahl, Aluminium einten Nationen für internationales Handelsrecht für die und bald wohl auch auf deutsche Autos zu erheben Einrichtung des MIG. Das unterstützt unsere Wirtschaft und sichert unsere Arbeitsplätze. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Noch ein Wort zum FDP-Antrag vom April dieses NEN]: Das ist doch Quatsch! Völliger Jahres. Quatsch! Das geht schon nach WTO-Recht nicht! Daran hätte TTIP auch nichts geändert!) Vizepräsidentin Claudia Roth: und damit Wachstum und Arbeitsplätze zu gefährden; Darf ich Sie an die Redezeit erinnern? Sie sind schon denn durch gemeinsame Handelsregelungen und offene drüber. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8501

(A) Bernhard Loos (CDU/CSU): Überweisungsvorschlag: (C) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ein letzter Satz. – Die von Ihnen geforderten Maßnah- Ausschuss für Inneres und Heimat men werden entweder bereits umgesetzt oder befinden sich in der Planung. Daher ist Ihr Antrag eine unnötige Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Wiederholung. die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Wir werden den vorliegenden Anträgen nicht zustim- men; denn sie gefährden deutsche Arbeitsplätze und den Ich warte, bis die Kollegen von der FDP Platz genom- Wohlstand in unserem Land. Sie sind unnötig. men haben, und eröffne jetzt die Aussprache. Das Wort hat der Kollege der AfD, Tobias Matthias Peterka. Ich danke für die Aufmerksamkeit. – Ein frohes und (Beifall bei der AfD) besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch. Auf noch bessere Debatten im nächsten Jahr! Tobias Matthias Peterka (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Vorliegender Ge- ordneten der SPD) setzentwurf soll die Strafschärfung bei Rückfall wie- der einführen; denn nachdem wir in Deutschland Jahr- Vizepräsidentin Claudia Roth: hunderte – mit mehreren Staatsformen und schlimmen Rückschlägen – gebraucht haben, um einen anerkannten Vielen Dank, Bernhard Loos. – Ich schließe damit die Rechtsstaat zu erreichen, sind wir dabei, alles wieder – Aussprache. freiwillig – aus dem Fenster zu werfen. Jeder, der nicht Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der beide Augen zukneift, kann dies live verfolgen. Es wäre Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/5908 auch viel zu sagen zu dem Dunkelfeld, in welchem sich mit dem Titel „Multilateralen Gerichtshof an soziale, auch das Zivilrecht und das öffentliche Recht in diesem ökologische, menschenrechtliche und wirtschaftliche Land bewegen, die oft nur noch ein Schulterzucken wert Völkerrechtsnormen binden – Klageprivilegien für Kon- sind. Aber hier soll es jetzt um das Strafrecht gehen, um zerne ablehnen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer die Strafzumessung. stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Zugestimmt Wieder eingeführt werden soll in verfeinerter Form hat Bündnis 90/Die Grünen, dagegen waren die Fraktion der § 48 StGB, übrigens damals auf den Weg gebracht Die Linke, SPD, CDU/CSU, FDP und AfD-Fraktion. Da- von der sozial-liberalen Koalition – nur falls hier nachher mit ist der Antrag abgelehnt. wieder der ganz billige historische Holzhammer auf den Weg gebracht werden soll. (B) Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des (D) Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksa- (Beifall bei der AfD – Dr. Jürgen Martens che 19/5666. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a [FDP]: Das ist doch falsch! Der ist vom seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags 25.06.1969! Und das war die Große Koaliti- der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/1694 mit dem on! – Abg. Dr. Jürgen Martens [FDP] meldet Titel „Rechtssicherheit im internationalen Investitions- sich zu einer Zwischenfrage) schutz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Gegen die Be- Vizepräsidentin Claudia Roth: schlussempfehlung war die Fraktion der FDP, für die Be- Herr Kollege, erlauben Sie eine Frage oder Bemer- schlussempfehlung waren die Fraktionen der Linken, der kung vonseiten der FDP? SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und AfD. Tobias Matthias Peterka (AfD): Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- Nachher dann gerne. fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/97 mit dem Titel „Den Rechtsstaat stärken – Multilateralen Investitionsge- Vizepräsidentin Claudia Roth: richtshof ablehnen und Paralleljustiz für Konzerne stop- Gut. pen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nach stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- Weihnachten, oder was? – Niema Movassat empfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die [DIE LINKE]: Jetzt oder nicht!) Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP, dagegengestimmt hat die Fraktion der Linken, und enthalten hat sich die Fraktion der AfD. Tobias Matthias Peterka (AfD): Als Intervention gerne. – Wir wählen hier eine Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Drei-Strikes-Lösung. Viele US-Bundesstaaten fahren Erste Beratung des von dem Abgeordneten dieses Modell, zum Teil noch sehr viel härter ausgeprägt Tobias Matthias Peterka und der Fraktion der und im Übrigen erfolgreich. Ähnliche Regelungen gibt AfD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur es auch in vielen EU-Staaten. Eine Gesellschaft mit ga- Strafschärfung bei Rückfall loppierender Eigentums- und Gewaltkriminalität muss den Abschreckungs- und Sühneaspekt in ihrem Straf- Drucksache 19/6371 recht hochhalten, um nicht jeden Respekt einzubüßen. 8502 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Tobias Matthias Peterka (A) Ich rede bei der alltäglichen Kriminalität nicht über Ehren, aber irgendwann geht die unschuldige Restgesell- (C) die Statistiken im Hellbereich, die Sie sicher gleich an- schaft einfach vor. führen werden. Ich rede von dem Ladenbesitzer, der gar keinen Diebstahl mehr anzeigt, weil er ohnehin eine Flat- (Beifall bei der AfD – Dr. Volker Ullrich rate mit seiner Versicherung ausmachen musste. Ich rede [CDU/CSU]: Wollen Sie die Gewaltenteilung von überfallenen Einwohnern gekippter Stadtteile, die aufgeben?) noch auf dem Boden liegend abwinken und gar nicht erst zur Polizei gehen. Bei Verbrechen gegen gleichartige Rechtsgüter sind beim dritten Strike fünf Jahre Mindeststrafe vorgesehen, (Beifall bei der AfD) bei Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit der Person oder die sexuelle Selbstbestimmung Tagtäglich wird unser Rechtsstaat verletzt. Er wird zehn Jahre. Und kommen Sie mir jetzt nicht mit spekta- verächtlich gemacht, kulären Fällen, bei denen dieses Maß ohnehin überschrit- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ten sein mag! Es geht uns hier gerade um die alltäglichen Von Ihnen! Von der AfD! – Dr. Volker Ullrich kleinen und mittleren Erschütterungen unseres Rechts- [CDU/CSU]: Sie machen den Rechtsstaat ver- staats; diese zermürben uns, diese lassen die Bürger resi- ächtlich!) gnieren oder vielleicht auch sich bewaffnen. weil er für schwach gehalten wird, weil er inzwischen (Dr . Jürgen Martens [FDP]: Das fördern Sie auch schwach geworden ist. Wenn in kleinen Städten die ja!) Polizei ihren Praktikanten schon nicht mehr mitteilt, wie viele Streifenwagen sie besetzen können, weil dies für – Möglicherweise leben Sie in Vierteln, wo man sich Ablenkungsmanöver benutzt werden kann, noch ziert, den Sperrmüll einmal einen Tag früher raus- zustellen. Hier geht es aber um Tätergruppen, die unse- (Dr . Jürgen Martens [FDP]: Können Sie mal ren Staat als dekadent und zahnlos feiern, die dabei sind, zur Sache sprechen?) unsere ganze Zivilgesellschaft auf den Sperrmüll zu werfen. Und glauben Sie mir: Der Abholtermin ist nicht dann ist dies ein Zeichen für allgemeine Freibeuterstim- mehr weit. mung. Nicht nur, aber gerade in Parallelgesellschaften gilt: Greife zu, wer kann! Sonst ist vielleicht bald nichts (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer mehr übrig von dem schönen, wehrlosen Beutestaat. [CDU/CSU]: Also, in Ihrem Viertel möchte (Beifall bei der AfD) ich auch nicht wohnen!) (B) (D) Und wenn die verbliebenen Polizisten den Eindruck ha- ben, dass ihre Zugriffe ohnehin nichts bringen, weil der Vizepräsidentin Claudia Roth: fünfzehnfache Ladendieb morgen wieder frei herumläuft Denken Sie an Ihre Redezeit. und auch der Totschläger nach drei Zuckerfesten wieder frei ist, dann sinkt die Moral auf Dienst nach Vorschrift, und zwar bestenfalls. Tobias Matthias Peterka (AfD): Zum Abschluss noch: Der Attentäter von Straßburg (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da wäre aufgrund von Vortaten in Baden-Württemberg, klatscht nicht mal die AfD!) wenn diese Regel gelten würde, derzeit im Gefängnis, Das Gesetz, das hier als Entwurf vorliegt, löst ab der drei Menschen würden noch leben. Das gebe ich Ihnen dritten Tat eine erhebliche Strafschärfung aus. Das Tat- über die Feiertage mal zum Nachdenken mit. schuldprinzip ist berücksichtigt; dies ist auch bereits ver- fassungsrechtlich bestätigt worden. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Ingmar Jung [CDU/CSU]: Ja, ja!) Denken Sie an Ihre Redezeit. „Drei Strikes und du bist raus“, das ist ein Merksatz, den jeder Straftäter im Hinterkopf behalten kann und auch Tobias Matthias Peterka (AfD): im Hinterkopf behalten wird, wenn der neue Paragraf kommt. Gerade kleine Verstöße werden nicht mehr als Vielleicht hilft es ja was. „erlaubt“ oder als „schadet keinem“ angesehen; denn nun Vielen Dank. schaden sie irgendwann dem Täter: mit zwingender er- heblicher Freiheitsstrafe. (Beifall bei der AfD – Helin Evrim Sommer (Beifall bei der AfD – Katja Keul [BÜND- [DIE LINKE]: Erst mal selber denken!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Meinen Sie die Par- teienfinanzierung oder so was Ähnliches?) Vizepräsidentin Claudia Roth: Was schwere Delikte angeht, ist vor allem das richter- Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Ingmar liche Ermessen einzuschränken. Oft wird hier der Täter Jung. zum Opfer gemacht, wird auf Teufel komm raus auch die x-te Chance noch vergeben. Rehabilitation in allen (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8503

(A) Ingmar Jung (CDU/CSU): So steht es in § 46 StGB, und damit leben wir bisher ganz (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eben gut, meine Damen und Herren. habe ich ganz kurz bedauert, dass wir beim Hammel- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, sprung doch eine Mehrheit hatten. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Für den Einzelfall gibt es natürlich die Abwägungsmög- lichkeiten des Gerichtes. Wir haben eben gehört: Die Dann wäre uns diese Debatte, wie wir sie eben erlebt ha- AfD will das Ermessen des Gerichtes einschränken. Das ben, erspart geblieben. ist nicht meine Vorstellung von Gewaltenteilung, das sage ich Ihnen ganz ehrlich. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- GRÜNEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ GRÜNEN]: Die halten wir aus!) DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Das hat doch gar nichts mit Gewaltenteilung zu tun!) Ich habe mir vorgenommen, vielleicht als erster Redner mal zur Sache zu sprechen, Wir wollen im Einzelfall tat- und schuldangemessene Strafen finden. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gute Idee!) Damit eines klar ist: Ein Wiederholungstäter, ein Rückfalltäter ist – außer in besonderen Ausnahmefäl- und zwar zu diesem Gesetzentwurf, den wir vor uns ha- len – selbstverständlich härter zu bestrafen als ein ande- ben. Eben, eine Minute vor dem Ende, haben wir etwas rer Täter. Deswegen besagt § 46 ja auch, dass das Vor- dazu gehört; vorher handelte es sich um irgendetwas Ge- leben des Täters zu berücksichtigen ist. Das ist geltende samtgesellschaftliches. Rechtslage, meine Damen und Herren; das sollten wir an der Stelle auch nicht ignorieren. Übrigens: Jeder, der ein (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sperr- Rechtsreferendariat gemacht hat müll!) (Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Ja, „Sperrmüll“ habe ich auch gehört; das habe ich NEN]: Hat er nicht gemacht! Referendariat hat nicht verstanden. er nicht gemacht! Kennt er nicht, der Mann!)

(B) (Jürgen Braun [AfD]: Sagen Sie doch mal was und in der Strafstation war, weiß: Das Erste, was man (D) zu Straßburg! Sagen Sie doch konkret etwas in die Ermittlungsakte einheftet, ist das Zentralregister, zu Straßburg! Schreckliches Verbrechen!) damit die Vorstrafen sowohl im Ermittlungsverfahren als auch später beim Finden der gerechten Strafe berücksich- – Nein, ich sage nichts zu Straßburg, Herr Kollege; denn tigt werden. Das ist alles aktuelle Rechtslage. Tun Sie es geht hier um etwas ganz anderes. Ich rede einfach mal doch nicht immer so, als seien das völlig neue Ideen, die zur Sache und mache es nicht so wie Sie, Sie hier haben! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, Jetzt haben wir in diesem Gesetzentwurf als Parade- der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- beispiel das schneidige Österreich; in Österreich gibt es SES 90/DIE GRÜNEN) diese Schärfungsvorschrift. Da stellen wir uns doch die Frage: Warum können wir Deutschen das nicht auch? nämlich jede Vorlage zu nutzen, um immer dasselbe da- Tatsächlich, in Österreich gibt es die Vorschrift, dass der herzureden. Richter in bestimmten Fällen – bei Rückfalltätern – den Strafrahmen, also die Höchststrafe, um die Hälfte erhö- (Jürgen Braun [AfD]: Kommen Sie doch mal hen kann. Aber wenn wir Österreich als Paradebeispiel in der Realität an, Herr Jung! – Gegenruf der des starken Rechtsstaates und der harten Strafe sehen, Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: dann müssen wir ja auch mal schauen, welche Höchst- Darum geht es doch nicht in Ihrem Gesetzent- strafen im österreichischen StGB festgelegt sind. Ich wurf!) habe ein paar Beispiele mitgebracht: Totschlag: in Öster- reich 10 Jahre, in Deutschland 15. Körperverletzung: in Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir disku- Österreich 1 Jahr, in Deutschland 5 Jahre. Körperverlet- tieren heute über die Frage: Wie kommen wir zu einer an- zung mit Todesfolge: in Österreich 10 Jahre, in Deutsch- gemessenen Strafe im Strafprozessrecht, zu einer Strafe, land 15 Jahre. die schuld- und tatangemessen ist und im Einzelfall auch gerecht? Da hätte ich einen Formulierungsvorschlag: (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Tja, schon wieder nicht vorbereitet!) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumes- sung der Strafe. Menschenhandel mit Gewaltanwendung: in Österreich 5 Jahre, in Deutschland 10 Jahre. Diebstahl: in Öster- Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, reich 6 Monate, in Deutschland 5 Jahre. Nötigung: in die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinan- Österreich 1 Jahr, in Deutschland 3 Jahre. Betrug: in Ös- der ab. terreich 6 Monate, in Deutschland 5 Jahre. Raub: in Ös- 8504 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Ingmar Jung (A) terreich 10 Jahre, in Deutschland 15 Jahre. – Fällt Ihnen unterstützen. Wir tun nämlich einiges. Wir sind gerade (C) irgendetwas auf, meine Damen und Herren? dabei, die Mittel- und Personalausstattung für die Gerich- te, für die Staatsanwälte und für die Polizei zu erhöhen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also Wir machen die Strafprozessordnung fit für die Zukunft. uns ja! Wir haben es gemerkt!) Das sind Mittel, die dazu führen, dass unser Rechtsstaat – Ja, ihr habt es gemerkt; da bin ich froh. – Österreich stark bleibt. Dafür müssen wir sorgen. Das hilft mehr als geht von völlig anderen Voraussetzungen aus. Es hat viel Vorlagen, die am Ende zu nichts führen. engere Strafrahmen und schafft aufgrund der Verengung Wir haben eben gehört, dass sich Ladeninhaber nicht des Strafrahmens bei Rückfalltätern dann eben die Mög- mehr trauen, eine Anzeige zu machen. Wenn dem so lichkeit, diesen ein Stück weit zu erhöhen, und der liegt wäre, wüsste ich gerne einmal, was eine Strafschärfungs- dann übrigens in fast allen Fällen immer noch deutlich vorschrift im Rückfall bei einer zweiten oder dritten Ver- unter dem Deutschlands. Das ist eine völlig andere Situ- urteilung bringen soll. Das sind hier doch alles Schau- ation. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Das ist kämpfe. nicht sachgerecht, meine Damen und Herren. Also, ich lade Sie herzlich ein: Pakt für den Rechts- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- staat, unterstützen Sie uns dabei! Dann kommen wir wei- ordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer ter . Vielleicht kommen wir am Ende ja gemeinsam auf [CDU/CSU]: Jetzt haben sie es vielleicht ver- die Idee, bei diesem Gesetzentwurf nicht das gesamte standen!) Verfahren zu bestreiten. Das würde uns Raum für wich- – Herr Kollege Grosse-Brömer, daran habe ich Zweifel, tige Debatten geben. aber ich will es nicht aufgeben. Herzlichen Dank. (Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Die (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Hoffnung stirbt zuletzt!) NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Darüber hinaus, meine Damen und Herren, kommen ten der SPD) wir mit dem Vorschlag, den wir hier vorliegen haben, zu erheblichen Wertungswidersprüchen im Einzelfall. Das Vizepräsidentin Claudia Roth: können wir einfach nicht ausschließen. Ja, es gab einmal Vielen Dank, Ingmar Jung. – Nächster Redner: diesen § 48, und wir haben gerade gehört, dieser werde Dr . Jürgen Martens für die FDP-Fraktion. jetzt leicht verfeinert vorgelegt. Na ja, also in der alten Fassung, die einmal Gesetz war und aus guten Grün- (Beifall bei der FDP) (B) den abgeschafft wurde, war es so, dass unter ähnlichen (D) Voraussetzungen wie nach diesem Vorschlag bei einer Dr. Jürgen Martens (FDP): dreimonatigen Freiheitsstrafe im Vorfall mindestens eine Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Freiheitsstrafe von 6 Monaten galt, aber nicht die Hälfte Herren! Der Gesetzentwurf, mit dem wir uns hier befas- der Höchststrafe, im Zweifel also 5 oder 7,5 Jahre. Das sen müssen, wurde schon mit einer nicht zutreffenden ist eine völlig andere Rechtslage. Und die Sonderregel Behauptung eingeführt. § 48 StGB alter Fassung ist nicht für Verbrechen – 5 Jahre, in besonderen Fällen 10 Jahre von der sozialliberalen Koalition auf den Weg gebracht Mindeststrafe – war im alten § 48 gar nicht enthalten. worden, sondern mit einem Gesetz aus dem Juni 1969 Daraus also zu schließen, dass, wenn dieser Paragraf ver- von der Großen Koalition. Aber das kann Herr Peterka fassungskonform war, dieser Vorschlag automatisch auch nicht wissen; der ist ja Jahrgang 82. Man hätte sich aber verfassungskonform ist, ist ziemlich irre, meine Damen schlau machen können. und Herren; denn das eine hat mit dem anderen wenig zu tun. Es ist nicht nur eine Verfeinerung. (Beifall bei der FDP – [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hätte es trotzdem Ich will am Ende vielleicht noch sagen: Wir sollten wissen können!) hier nicht jedes Mal versuchen, unseren Rechtsstaat schlechtzureden. Ja, es gibt einzelne Urteile, die auch Aber gut, das sind Kleinigkeiten, auf die es der AfD nicht mir nicht passen – das sage ich Ihnen ganz ehrlich –, wo ankommt; mit Zahlen und Fakten haben die es nicht so. auch ich zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Jetzt soll eine Strafverschärfung für Rückfalltaten Aber insgesamt fahren wir mit dem System, bei dem wir eingeführt werden, die es schon einmal gab und wieder die Möglichkeit haben, in jedem Einzelfall schuld- und abgeschafft wurde. tatangemessen zu urteilen, sehr gut. Wir sollten uns nicht jedes Mal über die Justiz erheben und glauben, dass wir (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Einmü- es besser wüssten als die Richter, die vor Ort die Urteile tig!) fällen, meine Damen und Herren. – Aus gutem Grund einmütig. – Nicht einmal die Op- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- position hat damals opponiert. Damals war die SPD in ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ der Opposition; das war 1986. Diese Regelung hatte sich DIE GRÜNEN) schlicht nicht bewährt. Die von ihr erhofften Wirkungen sind ausgeblieben. Aber das interessiert die AfD natür- Außerdem: Wenn es hier Gruppen im Parlament ge- lich nicht. Zur Begründung verweisen Sie auf statistische ben sollte, die glauben, etwas für den Rechtsstaat tun zu Rückfallquoten; aber das belegt überhaupt nichts, meine wollen, dann kann ich Sie ganz herzlich einladen, uns zu Damen und Herren. Interessant wäre ein Vergleich der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8505

Dr. Jürgen Martens (A) Rückfallquoten in der Zeit, als es den alten § 48 StGB Aus welcher Mottenkiste Ihr Gesetzentwurf kommt, (C) gab, und den Zeiten danach. Das kann man machen; denn zeigt sich auch bei der Wortwahl. Dort wird im besten dazu gibt es in der Tat Studien. Die belegen: § 48 hat kei- NS-Jargon vom „Gewohnheitsverbrecher“ gesprochen ne Wirkung gehabt. Ihre Regelung wird genauso wenig oder vom „Verbrecher, der ein Recht auf Freiheit ver- eine Wirkung haben; denn die Rückfallquoten sind ver- wirkt“ habe, so als hätte der Bürger ein Recht auf Freiheit gleichbar. Sie ändern sich nicht durch eine Rückfallver- und nicht Freiheit als solche, die er verwirken könnte, schärfung. Das ist nachgewiesen durch Studien, nur wei- indem man sie ihm wegnimmt. gern Sie sich offensichtlich, das zur Kenntnis zu nehmen. (Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] und (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ein Indianersprichwort Aber es kommt noch besser. In der Gesetzesbegrün- sagt: Steig ab, wenn das Pferd, auf dem du reitest, tot dung führen Sie an, als Faktoren für höhere Rückfall- ist. – Lassen Sie mich mit einer etwas weihnachtlicheren quoten gelten die Verbüßung von Haftstrafen, die Zahl Formulierung schließen: Sie fahren auf einem Schlitten, von Vortaten und die Schwere der Sanktionen. In Ihrem vor den Sie zwei Rentierskelette gespannt haben. Gesetzentwurf heißt es dazu: (Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der CDU/ Mit der Zahl der Vortaten und der Schwere der CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜND- Sanktionen nimmt die Rückfallrate nicht etwa ab, NIS 90/DIE GRÜNEN) sondern drastisch zu. Vizepräsidentin Claudia Roth: Und deshalb wollen Sie uns hier heute klarmachen, dass Vielen Dank, Dr. Jürgen Martens. – Nächster Redner: Sie die Rückfallquoten verringern, indem Sie die Sank- Dr. Johannes Fechner für die SPD-Fraktion. tionen verschärfen? Sie haben Ihren eigenen Gesetzent- wurf nicht verstanden. (Beifall bei der SPD) (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN – Zuruf von der SPD: Das hört sich nicht Dr. Johannes Fechner (SPD): logisch an!) Nach diesem Treffer noch reden zu müssen, ist un- dankbar. Sie erklären uns hier, dass das, was Sie vorhaben, völlig wirkungslos, ja, sogar kontraproduktiv ist, und erhoffen (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und sich dafür auch noch Beifall. Den gibt es mit Sicherheit der CDU/CSU) (B) nicht, meine Damen und Herren. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (D) (Heiterkeit bei der LINKEN – Ulli Nissen Liebe Gäste auf den Tribünen! Einmal mehr legt die AfD [SPD]: Genau!) einen handwerklich schlecht gemachten Gesetzentwurf vor, der zudem gefährlich ist, weil er für mehr Kriminali- Stattdessen faseln Sie in der Begründung von einem tät sorgen würde. Vom Vorsitzenden des Rechtsausschus- „generalpräventiv erforderlichen Wegsperren“. Auch das ses sind wir gewohnt, dass er regelmäßig rechtspolitische ist bereits dogmatisch falsch. Generalprävention ist das Debatten schwänzt, aber dass der Redner der AfD keinen Einwirken auf einen Ersttäter, indem man versucht, ihn einzigen Kollegen aus seiner Fraktion aus dem Rechts- von der Tat abzuhalten. Darum geht es Ihnen aber nicht. ausschuss hier ins Plenum bekommt, dass Sie von den Es geht um die Behandlung von Wiederholungstätern. eigenen Leuten so im Stich gelassen werden, zeigt doch Das ist aber keine Generalprävention, sondern Spezial- die dünne Qualität dieses Gesetzentwurfs, liebe Kolle- prävention. ginnen und Kollegen. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der CDU/ (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜND- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE NIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN) Ein bisschen Fachkenntnis könnte Ihnen, glaube ich, Deutschland ist eines der sichersten Länder. Damit das wirklich guttun. auch so bleibt, hat die Große Koalition schon in der letz- ten Wahlperiode viel getan, und wir haben auch noch viel Die Strafverschärfung allein aufgrund der Anzahl von vor. Zum Beispiel haben wir im Bereich der Prävention Vortaten wäre mit dem Schuldprinzip unseres Strafrechts mit unserem Förderprogramm für Einbruchschutz dafür schlicht unvereinbar. Aber auch das interessiert Sie nicht. gesorgt – wie alle Experten sagen –, dass die Einbrüche Stattdessen verweisen Sie auf die Three-Strikes-Lehre in Deutschland zurückgehen, und dieses Programm ha- der USA. Die Bundesstaaten, die diese eingeführt haben, ben wir um 80 Millionen Euro aufgestockt. Wir haben wenden sie inzwischen zunehmend nicht mehr an. In den das Strafrecht dort, wo es sinnvoll war, etwa im Sexu- USA – das Land hat 5 Prozent der Weltbevölkerung – le- alstrafrecht oder bei den Attacken gegen Rettungskräfte, ben 25 Prozent aller Inhaftierten auf diesem Globus. Die verschärft. Und vor allem werden wir für mehr Perso- Sicherheitslage in den USA ist deswegen nicht besser. nal sorgen. Wir haben schon in der letzten Wahlperiode (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Ja!) 3 000 zusätzliche Stellen bei den Sicherheitsbehörden geschaffen. Wir haben mehr Personal beim Generalbun- Auch dieses Argument zieht nicht. desanwalt und beim BGH geschaffen. Und ich hoffe, 8506 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Dr. Johannes Fechner (A) dass wir im Januar auch zu dem Pakt für den Rechtsstaat en gegenüber der Judikative. Dieses Dauermisstrauen (C) kommen und damit 2 000 zusätzliche Stellen für die Jus- gegenüber der Justiz ist, wie gesagt, eine schallende Ohr- tiz schaffen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, feige, die die Arbeit der Staatsanwälte und Strafrichter in mit solchen Maßnahmen sorgen wir für mehr Sicherheit, Deutschland in einer unangemessenen Weise herabwür- mit solchen Maßnahmen bekämpfen wir Kriminalität, digt. Das können wir nicht dulden. nicht mit Ihrem Gesetzentwurf. Sie wollen die Leute ja nur wegsperren, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten [FDP] und Helin Evrim Sommer [DIE des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und LINKE]) des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]) Sie verweisen auf den Fall in Straßburg. Ich war vor Heute Morgen haben wir das Gute-Kita-Gesetz verab- wenigen Tagen selbst mit meiner Familie auf diesem schiedet. Warum sage ich das? Ich finde, mit guten Bil- wunderschönen Weihnachtsmarkt. Der Fall in Straßburg dungseinrichtungen, mit guten Bildungsangeboten ver- ist ein Beispiel dafür, dass Ihr Gesetzentwurf überhaupt schaffen wir jungen Leuten einen Berufsabschluss und nichts bringen würde; denn die längste Haftstrafe hat der damit eine Lebensperspektive. Das ist für mich, nebenbei Täter für seine Einbrüche in Deutschland bekommen. gesagt, auch Kriminalitätsprävention. Auch deswegen Wir haben also eine hart urteilende, eine angemessen war das Gute-Kita-Gesetz eine wichtige Maßnahme, die urteilende Justiz in Deutschland. Von einer laschen Jus- wir heute Morgen beschlossen haben. tiz kann überhaupt keine Rede sein. Und es war der Ge- (Beifall bei der SPD) fängnisaufenthalt, der diese Person radikalisiert hat. Das heißt, je länger man jemanden wegsperrt, desto höher ist Der AfD-Gesetzentwurf ist schlampig formuliert. Auf das Risiko, dass er ins kriminelle Milieu abdriftet und Seite 1 schreiben Sie zum Beispiel „Fragesteller“. Offen- eine kriminelle Karriere starten wird. sichtlich war der Text des Gesetzentwurfs für eine Anfra- ge geplant. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE] – Jürgen Braun (Ulli Nissen [SPD]: Peinlich!) [AfD]: Das behaupten Sie doch nur! Das ist Sie zeigen aber auch allein schon durch Ihre Sprache, doch eine bloße Behauptung in diesem Fall! wes Geistes Kind dieser Gesetzentwurf ist. Begriffe wie Im konkreten Fall wissen Sie das doch gar „sozialschädliche Gewohnheitsverbrecher“, angebliches nicht, Herr Fechner!) Verwirken des Rechts auf Freiheit, Bürger mit angeblich Auch dazu gibt es genügend Studien, die Sie natürlich (B) angeborenen schädlichen Neigungen – das sind Begrif- ignorieren, wie Sie es auch in Ihrem Gesetzentwurf tun. (D) fe, die an die finstersten Zeiten in Deutschland erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das will ich hier aus- Insofern: Der Gesetzentwurf ist nicht zu unterstützen. drücklich sagen. Er würde nichts bringen, sondern würde – im Gegenteil – für mehr Kriminalität in Deutschland sorgen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Jürgen Braun [AfD]: Niemanden mehr ein- GRÜNEN) sperren, das will Herr Fechner, das ist seine Logik! Alle Gefängnisse aufmachen, damit Auch rechtsdogmatisch ist Ihr Gesetzentwurf indis- niemand radikalisiert wird! Was ist das für kutabel. Für den Strafrahmen maßgeblich ist der Unwert- eine Logik? Eine absurde Nummer hier!) gehalt der Handlung, der durch den Rückfall eben nicht erhöht wird. Aus guten Gründen wurde deshalb 1986, Vielen Dank. mit Zustimmung über alle Parteigrenzen hinweg, der da- malige, vergleichsweise noch harmlose, § 48 in der al- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten Version gestrichen. Ich glaube, das war eine richtige der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Maßnahme, die damals getroffen wurde. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Vor allem aber – und das ist mir der wichtigste Punkt –

ist Ihr andauerndes Misstrauen gegenüber unserer Justiz Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: eine schallende Ohrfeige für alle Staatsanwälte und alle Nächster Redner ist der Kollege Niema Movassat, Die Strafrichter in Deutschland, die oft unter hoher Arbeits- Linke. belastung ihren Dienst für die Sicherheit der Bürgerinnen (Beifall bei der LINKEN) und Bürger in Deutschland tun.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Niema Movassat (DIE LINKE): Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass Ih- nen von der AfD eigentlich Ihr eigener Gesetzentwurf Es ist einfach unerträglich, wie Sie den hart arbeitenden überhaupt nicht wichtig ist, haben Sie vorhin gezeigt, als Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und Strafrichtern Sie die Beschlussfähigkeit des Bundestages angezweifelt immer wieder vorwerfen, zu lasch zu urteilen und den haben und damit die Sitzung des Bundestages beenden jeweiligen Strafrahmen nicht auszuschöpfen. In Ihrem wollten. Ich kann das durchaus verstehen. Sie haben eine Gesetzentwurf sprechen Sie ausdrücklich vom Misstrau- äußerst sinnlose Änderung des Strafgesetzbuches vorge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8507

Niema Movassat (A) schlagen. Darüber würde ich an Ihrer Stelle auch nicht Die AfD will weg von der Einzelfallbetrachtung, hin zur (C) reden wollen. pauschalen Vorverurteilung. Das ist abzulehnen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem (Beifall bei der LINKEN – Dr. Roland BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hartwig [AfD]: Völliger Unsinn!) Das moderne Strafrecht ist kein Pranger, wie es die Sie wollen also § 48 StGB wieder einführen – eine AfD gerne hätte. Es hat die Aufgabe, Straftäter wieder in Gesetzesänderung, die explizit regeln soll, dass Straftä- die Gesellschaft einzugliedern. ter, die rückfällig werden, die also wieder Straftaten be- gehen, härter bestraft werden. Ich will kurz begründen, (Dr. [AfD]: Und die Gesell- warum Ihr Gesetzentwurf überflüssig ist: schaft zu schützen!)

Erstens gab es § 48 StGB schon mal in ähnlicher Der AfD-Gesetzentwurf dient ausschließlich der Ab- Form, und er wurde nach sehr kurzer Existenz 1986 wie- schreckung. Das ist eine Strafrechtsvorstellung von vor- der abgeschafft. Alle Fraktionen im Bundestag waren vorgestern. sich damals einig: § 48 StGB ist wirkungslos, er ist so- (Beifall bei der LINKEN) gar schädlich. So sagte der Abgeordnete Beckmann von der FDP 1985 zur Begründung der Abschaffung des § 48 Sie beweisen in Ihrem Gesetzentwurf, wie haarsträu- StGB – ich zitiere –: bend Ihr Gedankengut ist, wenn Sie von der „schädlichen Neigung“ des Täters reden. Diesen Begriff wollen Sie in Die Regelung hat sich in der praktischen Anwen- § 48 StGB aufnehmen. Die „schädliche Neigung“ ist ein dung nicht bewährt. Besonders bei Bagatelldelikten Begriff aus dem Jugendstrafrecht und soll dort erziehe- hat sie zu nicht mehr vertretbaren Ergebnissen ge- rischen Zielen dienen. Es ist hochgradig strittig, ob das führt. Die oft als allzu hart empfundene Strafe ge- überhaupt verfassungsrechtlich zulässig ist. Aber Sie genüber der Geringwertigkeit des verletzten Rechts- wollen das Ganze auch noch systemwidrig ins Erwach- guts hat sich negativ auf die … Resozialisierung senenstrafrecht überführen. Sie führen damit eine Gesin- ausgewirkt. nungsprüfung im Erwachsenenstrafrecht ein. Das gab es nur zu dunklen Zeiten in Deutschland, und das wollen Halten wir fest: Die AfD will wieder etwas im Straf- wir nie wieder in unserem Strafrecht haben. recht einführen, von dem man weiß, dass es Unsinn ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- So unbelehrbar muss man erst mal sein. neten der SPD) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Zum Schluss der peinlichste Teil Ihres Gesetzentwur- (B) (D) neten der SPD) fes. Sie stellen selbst richtig fest, dass schwere Strafen eher dazu führen, dass es zu Wiederholungstaten kommt. Zweitens ist das Vorleben – und damit auch Vorstra- Wer also lange im Gefängnis sitzt, wird eher wieder rück- fen von Tätern – immer zentral für die Strafzumessung. fällig. Und was bietet die AfD dann als Lösung? Noch Lesen Sie mal § 46 StGB. Insgesamt enthält das Strafge- härtere Strafen, die dann zu noch mehr Wiederholungstä- setzbuch hinreichende Regeln für die richterliche Urteil- tern führen. Ja, diese Logik muss man erst mal verstehen. spraxis, um Strafen tätergerecht zu bemessen. Ich rate Ihnen: Denken Sie über Weihnachten noch Und dann gibt es noch § 66 StGB: die Möglichkeit der mal in Ruhe über Ihren Gesetzentwurf nach, und zie- Sicherungsverwahrung bei bestimmten Wiederholungs- hen Sie ihn heute zurück. Sie blamieren sich damit sonst tätern. Unabhängig davon, wie man zur Sicherungsver- wirklich völlig. wahrung steht, folgt sie – anders als das, was die AfD Danke schön. will – zumindest einem generalpräventiven und opfer- schützenden Gedanken. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) Das Strafrecht bietet also jetzt schon Möglichkeiten, Wiederholungstäter härter zu bestrafen. Das, was die Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: AfD vorschlägt, ist überflüssig. Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächs- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. te Rednerin. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Drittens würden noch mehr Strafzumessungsregeln dazu führen, dass Richter kaum noch eine vernünftige Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einzelfallwürdigung vornehmen können. Aber genau da- Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und rum geht es im Strafverfahren: Der Richter soll sich den Kollegen! Tatsächlich haben alle, die sich an dieser De- Täter und den Einzelfall anschauen; er soll schauen, wie batte beteiligt haben, ein Interesse daran, dass Straftäter glaubwürdig der Täter ist, ob er Reue zeigt. Es gibt eben nicht rückfällig werden. Da sind wir uns einig, das hat nicht den Rückfalltäter, wie es die AfD heute suggerieren auch jeder hier deutlich gemacht. Umso mehr verwundert möchte. es, was für ein Gesetzentwurf hier vorgelegt wird; denn er bewirkt im Ergebnis – das haben die Vorredner auch (Beifall bei der LINKEN) schon gesagt – genau das Gegenteil. Deswegen kann man 8508 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Canan Bayram (A) diesen Gesetzentwurf tatsächlich nur ablehnen. Das will wünsche ich eine gute Fahrt nach Hause, jetzt, durch die (C) ich schon mal vorweg sagen. AfD verschuldet, eine Stunde später als erwartet, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. [CDU/CSU]: Die sind sowie bei Abgeordneten der LINKEN und aber auch schon weg!) der Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD] und frohe Festtage und einen guten Rutsch. Dr . Jürgen Martens [FDP]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN § 48 StGB wurde aus guten Gründen vor über 30 Jah- sowie bei Abgeordneten der FDP) ren abgeschafft. Es ist halt so: Er hat sich nicht bewährt, er ist auch in Teilen entbehrlich gewesen. Insoweit ver- wundert es tatsächlich, dass Sie ihn wieder aus der Mot- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: tenkiste ausgepackt haben. Nächster Redner ist der Kollege Alexander Hoffmann, CDU/CSU. Wenn man es sich genau anschaut, dann sieht man, dass Sie in Ihren Gesetzentwurf einen Absatz 3 eingebaut (Beifall bei der CDU/CSU) haben, der in seiner Absurdität kaum zu überbieten ist und der systemwidrig ist. In der Begründung zu diesem Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Absatz deuten Sie an, dass die Strafverschärfungen eine Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle- Antwort auf das Leid der Opfer sein sollen. Da sage ich gen! Kollege Peterka, ich sage jetzt einfach mal: Schade. ganz ehrlich: Das ist die falsche Stelle. Natürlich müssen Denn ich habe eigentlich gedacht, auch vom Thema her, wir uns mit dem Leid der Opfer beschäftigen, aber nicht dass wir heute durchaus fachlich und sachlich tief und an dieser Stelle. Das ist ein Irrweg, den Sie dort beschrit- rechtspolitisch angemessen dieses Thema aufarbeiten ten haben. Das tragen wir so nicht mit. können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE NEN]: Warum denn? – Marianne Schieder LINKE]) [SPD]: Haben Sie das echt erwartet? – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Von der AfD? Wenn man sich anschaut, worum es Ihnen geht, dann Das ist aber traurig!) sieht man: Es geht Ihnen um Freiheitsstrafe – am liebsten ganz viel davon, am liebsten wegsperren. Das haben die – Ja, tatsächlich. – Ich habe mich dann im Laufe Ihrer Kollegen vorher auch schon festgestellt. Aber diese Ein- Rede gefragt, in welchem Land Sie leben, wenn Sie von (B) stellung verkennt – der Vollzug liegt ja mittlerweile in „Freibeuterstimmung“ und einem „Beutestaat“ reden. An (D) der Zuständigkeit der Bundesländer –, was eigentlich der der Stelle Ihrer Rede, als Sie gesagt haben: „Es gibt Leu- Sinn von Freiheitsstrafe ist. Freiheitsstrafe hat Resoziali- te, die ihren Sperrmüll heute schon rausstellen“, habe ich sierung zum Gegenstand. Gehen Sie wirklich mal in die gedacht: Das kommt an diesem Rednerpult auch manch- Justizvollzugsanstalten in Ihren Bundesländern! Sie wer- mal vor, dass Leute ihren Sperrmüll in verbaler Art und den sehen, dass man sich dort um die Menschen bemüht. Weise rausstellen. Man bemüht sich darum, dass die Menschen, nachdem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sie einen Fehler begangen haben, den Weg zurück in die ordneten der SPD und der FDP) Gesellschaft finden. Die AfD hat ein komplett anderes Verständnis von Justizvollzug als der Rest dieses Hauses. Ich will Ihnen auch noch etwas dazu sagen, weil ich Auch das kann ich, glaube ich, hier feststellen. die Art und Weise, wie Sie die Debatten führen, für ge- fährlich halte. Ich glaube, die Rechtspolitik ist nicht der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Raum, um dort Strafrecht nach der Schweinehundtheo- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der rie zu konstruieren, die sich bei Ihnen vor allem an der SPD, der FDP und der LINKEN) Herkunft und der Gesinnung entlanghangelt. Wenn Sie dann auch noch ausdrücklich sagen, dass Sie richterli- Da der Gesetzentwurf sowohl inhaltsleer als auch ches Ermessen einschränken wollen, dann läuft es mir völlig unsinnig ist, will ich die letzte Minute meiner Re- eiskalt den Rücken herunter, und dann will ich Ihnen dezeit darauf verwenden, mich bei allen Menschen zu ganz ehrlich sagen: Da haben wir in diesem Haus einen bedanken, die in der Strafrechtspflege und im Justizvoll- anderen Anspruch. zug dafür sorgen, dass Menschen, Straftäter, nicht wieder rückfällig werden. Diesen Dienst werden sie auch über (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem Weihnachten in den Justizvollzugsanstalten verrichten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Ganz herzlichen Dank, liebe Mitarbeiterinnen und Mitar- geordneten der SPD) beiter in all den Justizvollzugsanstalten in Deutschland! Ich möchte noch ein paar Sätze dazu sagen, warum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ich mir von der Debatte fachlich und sachlich mehr er- bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der hofft hatte. Denn man kann in der Tat darüber nachden- LINKEN) ken – das tun wir beim Pakt für den Rechtsstaat auch –, was man strafrechtlich machen kann, um vor allem auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen – die meisten präventiv mehr auf Täter einzuwirken. Beim Wiederho- von Ihnen werden nicht so wie ich in Berlin feiern –, lungstäter muss es natürlich um Sanktionen gehen – denn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8509

Alexander Hoffmann (A) es ist ein Mehr an Schuld –, und es muss auch um Prä- Es gibt nur verschiedene Aspekte da! Sie ha- (C) vention gehen. ben jetzt einen beleuchtet!) Aber man darf nicht ausblenden, dass wir mit § 48 – Man kann natürlich darüber reden, dass es verschiede- StGB alter Fassung schon Erfahrungen gesammelt ha- ne Aspekte gibt. Aber das ist schon ein halbes Zurückru- ben; Kollege Martens hat es gesagt. Er hatte eigentlich dern. Sie sollten mir eigentlich recht geben und sagen: nicht die erhoffte Wirkung, ganz im Gegenteil. Wir stel- Der Satz ist letztendlich zu platt. – Er passt nämlich nicht len heute fest, dass nach der Abschaffung von § 48 das in einen Rechtsstaat, Herr Kollege. Strafmaß nicht niedriger geworden ist. Denn das, was § 48 damals formuliert hat, geht komplett in den heute (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) anerkannten Regeln der Strafzumessung auf, die – das müssten Sie wissen – gerade auch vom BGH in den letz- Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und eine be- ten Jahrzehnten sehr feingliedrig entwickelt worden sind. sinnliche Zeit. Da sind Komponenten wie Vorstrafen und auch die (Marianne Schieder [SPD]: Das nützt bei Rückfallgeschwindigkeit ausdrücklich und zwingend zu denen nichts!) berücksichtigen. Das darf also heute schon kein Richter außen vor lassen, weil das unter Umständen in seinem Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Urteil schon den Grund dafür, in die nächste Instanz zu (Beifall bei der CDU/CSU) gehen, geben könnte, zumal man auch feststellen muss – auch das ist angeklungen –: Strafzumessung bedeutet Einzelfallgerechtigkeit, und es verbieten sich schemati- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sche Vorgaben, die der Einzelfallgerechtigkeit im Ergeb- Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD, ist der letzte Redner in nis entgegenstehen können. dieser Debatte. Wenn man eine Norm ins Feld führt, die vorsieht, den (Beifall bei der SPD) Rückfall ausdrücklich als strafschärfend gesetzlich zu re- geln, dann muss man in dem entsprechenden Gesetzent- wurf auch erklären – aber das machen Sie nicht –, warum Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): nicht auch andere Komponenten wie zum Beispiel be- Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und sondere schwere Auswirkungen beim Opfer ausdrücklich Kollegen! Heute, könnte man sagen, haben wir in der Ru- strafschärfend berücksichtigt werden. brik „Dinge, die die Welt nicht braucht“ es mit der Straf- Die Systematik in Österreich ist genannt worden. Ich verschärfung bei Rückfall zu tun. Und ausnahmsweise, (B) glaube nicht, dass das als Beispiel trägt. Die Österrei- so habe ich festgestellt, wird als Begründung mal nicht (D) cher haben eine andere Systematik, was die Strafrahmen die Migration, sondern eine Untersuchung des Justizmi- angeht. Ich glaube, dass sich unser Prinzip bewährt hat, nisteriums für die Jahre 2004 bis 2013 herangezogen. weil wir die Strafzumessung in die Hand unabhängiger Gerichte legen, und ich glaube, dass wir gerade auf Un- Doch aus der Untersuchung werden nicht die Schlüs- abhängigkeit großen Wert legen müssen. se gezogen, die erforderlich wären, sondern es wird ein Gesetzesvorhaben gestrickt, das mehr an die Erkennt- Ich will am Ende dieser Debatte, kurz bevor Weih- nisse einer amerikanischen Krimisoap der Privatsender nachtsstimmung aufkommt, noch einen Punkt anmerken. anknüpft, in der der Rachegedanke für die spannende Wenn Sie Ihren Gesetzentwurf hier vorstellen, merkt Handlung sorgt. Das ist viel, viel netter als das mühsame man schon, dass Sie sich in der Rolle der Partei der Erkenntnisverfahren, in dem die unterschiedliche Schwe- Rechtsstaatlichkeit gefallen – mit viel Pathos. Ich muss re der Schuld bzw. der Unwertgehalt der Strafhandlung Ihnen aber ehrlich sagen: Wenn man diese Rolle spielen für die Zumessung der Strafe maßgeblich sind und das will, dann muss man sich auch in allen Belangen daran den Richterinnen und Richtern und Staatsanwältinnen halten. In diesen Tagen wurde Ihre Fraktionsvorsitzende und Staatsanwälten viel, viel Fleiß und Arbeit abverlangt. Frau Weidel mit dem Satz zitiert: Von den Gelbwesten in Frankreich können wir lernen. Doch schauen wir uns den Entwurf mal genauer an. Eigentlich ist er nichts anderes als die Wiedereinführung (Ulli Nissen [SPD]: Pfui!) des schon zitierten alten § 48 StGB, allerdings in einer Wenn ich Bilder von ausgebrannten Autos sehe, geplün- deutlich schärferen Form. Ich sage: eine rechtsstaatliche derte Geschäfte – auch das ist eine Straftat –, eingeschla- Zumutung. Das zeigt die Wortwahl, der braune Geist, gene Fensterscheiben der da drinsteckt. So erhalten längst überwundene Be- griffe Einzug in das, was uns eigentlich schützen soll: (Marianne Schieder [SPD]: Das haben wir in unser Strafrecht, und zwar Begriffe wie der „sozial- auch schon mal gehabt!) schädliche Gewohnheitsverbrecher“ – man erinnere sich: und verletzte Polizisten, dann muss ich ganz ehrlich sa- einst erfunden, um Sinti und Roma anlasslos aus der Ge- gen: So ein Satz darf von einer Partei, die eine Partei des sellschaft zu entfernen –, die Verwirkung des Rechts auf Rechtsstaats sein will, mit Sicherheit nicht kommen. Freiheit oder sozialschädliche Neigungen, die wir lange Zeit im Jugendstrafrecht hatten. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen (Marianne Schieder [SPD], an die AfD ge- die doch gar nicht! – [AfD]: wandt: Schämen Sie sich!) 8510 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Dr. Karl-Heinz Brunner (A) Wer stellt sie fest? Wer stellt den Charaktermangel fest? Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs (C) Ich könnte hier auch gewisse Charaktermängel feststel- auf der Drucksache 19/6371 an die in der Tagesordnung len, aber ich wage es nicht zu tun. aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann Hinzu kommt das Wiederaufleben des alten § 19 JGG, ist die Überweisung so beschlossen. der über 40 Jahre Jugendstrafe sogar auf unbestimmte Dauer ermöglichte und Naziideologie in Reinform war. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Doch das Beispiel des § 19 JGG zeigt, wohin die Reise Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert gehen soll, nämlich direkt in die 30er- und 40er-Jahre, Müller (Potsdam), Birke Bull-Bischoff, Dr. Petra in das dunkelste Kapitel unserer Nation, als Juristen, Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Staatsanwälte und Richter, wenn sie nicht selbst Hand DIE LINKE anlegten, sich zumindest zu willfährigen Helfershelfern und Henkern machten, und zwar genau deshalb, weil sie Mehr Fachkräfte für gute Kitas und eine star- eben nicht unabhängig waren und nicht selbstständig das ke Kinder- und Jugendhilfe Strafmaß feststellen konnten, wie es heute der Fall ist. Drucksache 19/6421 Heute jedoch, so hoffe ich, sind wir in der Zivilisati- Überweisungsvorschlag: on angekommen. Die Anwendung des Jugendstrafrechts Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen und Ausschuss für Arbeit und Soziales Heranwachsenden entgegenwirken. Zum Erreichen die- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung ses Ziels sind die Rechtsfolgen und das Verfahren, soweit es möglich ist, am Erziehungsgedanken auszurichten. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Und bei Erwachsenen ist das Ziel die Resozialisie- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. rung – dies gerade deshalb, weil die Erfahrung gezeigt hat – das belegen die Statistiken aus den Vereinigten Wenn Sie Platz nehmen, würde ich gerne die Ausspra- Staaten von Amerika, die schon zitiert worden sind, ganz che eröffnen und das Wort dem Abgeordneten Norbert deutlich –, dass härtere Sanktionen nicht zu einer gerin- Müller, Fraktion Die Linke, erteilen. geren Rückfallwahrscheinlichkeit führen, sondern dass (Beifall bei der LINKEN) im Gegenteil die Resozialisierung das fördert. Freiheits- entzug ist dafür weder sinnvoll noch erfolgversprechend. Die Streichung des § 19 JGG im Jahr 1989 ist aus gutem Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Grunde erfolgt. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und (B) Herren! In den nächsten sechs Jahren werden bis zu (D) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Kür- 583 000 Fachkräfte in den Kitas benötigt. Absehbar wird ze der Zeit, als letzter Redner und kurz vor Weihnachten davon nur die Hälfte verfügbar sein. Zusätzlich fehlen im noch ein paar weihnachtliche Gedanken: Wir brauchen Feld der Jugendhilfe Zehntausende Mitarbeiterinnen und keine Verschärfung des Strafrechts, aber wir können eini- Mitarbeiter in den Jugendämtern, in den Allgemeinen ges tun. Wir können auch in der Vorweihnachtszeit etwas Sozialen Diensten, bei den Schulsozialarbeiterinnen und tun, nämlich unsere Justizvollzugsanstalten personell so Schulsozialarbeitern. ausstatten, dass sie ihrem Auftrag zur Resozialisierung nachkommen können; Warum ist das ein Problem? Das führt zu großen Ki- tagruppen und schlechter Qualität; das Thema hatten wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) heute früh. Das führt dazu, dass Beschäftigte ausgebrannt Gerichts- und Bewährungshilfe so ausstatten, dass die werden, dass viele das Feld schnell verlassen, dass Ein- Anzahl der zu betreuenden Probanden eine Hilfe tat- richtungen wegen Personalmangel schließen müssen, sächlich ermöglicht; die Sozialdienste in den Justizvoll- dass die Plätze in den Einrichtungen reduziert und Öff- zugsanstalten befähigen, auch mit Geldmitteln Strafen- nungszeiten eingeschränkt werden. Das führt zu hohen tlassenen in prekären Wohnlagen, wie hier in Berlin, Fallzahlen in den Jugendämtern und zu einem Qualitäts- Wohnraum zu verschaffen, damit sie nicht erneut in die verlust in der Kinder- und Jugendhilfe. Das hat Bedeu- Kriminalität fallen, und zuletzt auch die Begleiter der tung für Kinder, für Eltern und für die Beschäftigten. Straffälligen bei der Arbeitsplatzsuche unterstützen. Da- Was bedeutet das für Kinder, wenn in der Kinder- und für sollten wir etwas tun; denn wegsperren war schon Jugendhilfe Personal fehlt? Die Kinder- und Jugendhilfe immer die schlechteste aller Lösungen. Das möchte ich ist ebenso wie die Kita ein Stück weit Reparaturbetrieb auch in der Vorweihnachtszeit nicht. unserer Gesellschaft. Das sehr weitreichende Kinder- Ich wünsche Ihnen von Herzen ein gesegnetes Weih- und Jugendhilfegesetz formuliert klare Rechtsansprüche. nachtsfest, einen ruhigen Advent und ein gutes 2019. Aber um die zu untersetzen, braucht es Personal. Welche Bedeutung hat das für Eltern? Eltern, die ihre (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Kinder morgens nicht in die Kita bringen können, weil und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie die Öffnungszeiten auf sechs Stunden eingegrenzt wer- bei Abgeordneten der LINKEN) den oder weil eine Kita zeitweise wegen Personalmangel ganz schließen muss, haben ein großes Problem. Eltern, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die gar keinen Kitaplatz finden, haben noch ein größeres Ich schließe die Aussprache. Problem, weil sie häufig nicht wissen, wie sie im nächs- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8511

Norbert Müller (Potsdam) (A) ten Monat ihre Miete zahlen sollen, wenn einer nicht häufig eine systematische, institutionelle Kindeswohlge- (C) mehr arbeiten gehen kann. fährdung. Das muss endlich aufhören. Welche Bedeutung hat das für Mitarbeiterinnen und (Beifall bei der LINKEN) Mitarbeiter? Hohe Arbeitsbelastung, insbesondere in den Viertens. 2019 werden Verdi und die GEW die Tarif- Kitas, führt dazu, dass heute schon 37 Prozent der Erzie- vereinbarung zu den Sozial- und Erziehungsberufen kün- herinnen und Erzieher sagen, sie sind unzufrieden mit der digen. Danach werden wir eine ganze Phase von Arbeits- Qualität ihrer eigenen Arbeit. Bei den Sozialarbeiterin- kämpfen und Auseinandersetzungen erleben, gerade im nen und Sozialarbeitern sagt das jeder Zweite. 72 Prozent öffentlichen Dienst. Für Die Linke sage ich jetzt schon: der Beschäftigten in dem Feld sagen, sie leiden an über- Wir werden uns an die Seite der Beschäftigten stellen, mäßigem Stress. Das ist schlecht. Ich finde, das sollten auch wenn es zu Arbeitskampfmaßnahmen kommt, weil wir endlich ändern. wir glauben: Entscheidend ist eine Aufwertung der Be- (Beifall bei der LINKEN) rufe. Entscheidend ist zwar auch mehr Ausbildung, aber vor allen Dingen eine Aufwertung des Berufsfeldes Der auch auf dem Rücken der Beschäftigten ausge- insgesamt, damit mehr Beschäftigte zurückkehren und tragene Kitaausbau und die Einsparungen in der Kinder- wir die Lücke von 583 000 fehlenden Fachkräften we- und Jugendhilfe der letzten 20 bis 30 Jahre rächen sich nigstens etwas schließen können, jedenfalls um deutlich nun. Weil wieder eine SGB-VIII-Novelle droht, sage ich mehr, als die Fachkräfteoffensive des Bundes momentan nach den Erfahrungen der letzten Wahlperiode insbeson- vermuten lässt. dere an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der SPD: Wir brauchen mehr Beschäftigte im Feld. Was Vielen Dank. wir nicht brauchen, sind abgemilderte Rechtsansprüche (Beifall bei der LINKEN) für Kinder, die auch damit gerechtfertigt werden, dass Länder und Kommunen sagen: Wir kriegen es nicht hin.

Wir müssen sparen. Oder: Wir finden die Beschäftig- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: ten nicht. – Nein, andersrum wird ein Schuh draus: Wir Nächster Redner ist der Kollege Marcus Weinberg, müssen die Rechtsansprüche stärken, auch im SGB VIII, CDU/CSU. gerade im Kinder- und Jugendhilferecht. Dafür brauchen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wir mehr Beschäftigte. (Beifall bei der LINKEN) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (B) Klar ist: Wir werden diesen Personalmangel nicht Kollegen! Lieber Herr Müller, Sie haben ein wichtiges (D) schnell auflösen können. Das darf aber nicht dazu führen, Thema angesprochen, nämlich den Fachkräftemangel dass wir die Hände jetzt einfach in den Schoß legen und in den Bereichen, in denen mit Kindern gearbeitet wird. sagen: Dann ist das nun so. – Zehntausende Menschen Wir haben heute Morgen das Gute-Kita-Gesetz verab- haben das Berufsfeld wegen der schlechten Arbeitsbe- schiedet. Jetzt, am Ende des Debattentages, diskutieren dingungen in den letzten Jahren verlassen. Diejenigen, wir über die Situation der Fachkräfte in der Kinder- und die in der sozialen Arbeit und in Kitas arbeiten, sind Jugendhilfe. meistens Überzeugungstäterinnen und Überzeugungstä- ter . Die sind zurückgewinnbar für ihre eigentliche Pro- Es ist tatsächlich so – da stimme ich Ihnen zu –: Eine fession. Dafür schlagen wir als Linke einige Maßnahmen ganz zentrale Aufgabe liegt beim ASD, beim Allgemei- vor; einige wenige möchte ich vorstellen. nen Sozialen Dienst, bei den Menschen, die darüber entscheiden, ob zum Beispiel Kinder aus einer Familie Erstens. Wir finden, dass in Kitas mehr multiprofes- geholt werden oder ein Kind in eine Pflegefamilie, in sionelle Teams eingesetzt werden sollten. Das heißt, eine Heimunterbringung kommt. Das hat gravierende dass die Tätigkeit der Erzieherinnen und Erzieher – die Auswirkungen auf die Kinder, auf die Familie. sind uns sehr wichtig – im Kern so bestehen bleiben sollte, aber sie von fachfremden Aufgaben wie Mittag- Uns muss daran gelegen sein, diese Debatte zu füh- essen-Ausgeben oder Telefondiensten befreit werden ren, sowohl hier im Deutschen Bundestag – ich komme sollten. Insgesamt darf der Beruf aber nicht abgewertet gleich zur Frage des föderativen Systems –, als auch in werden. der Gesellschaft; denn es gibt viele einzelne Fälle. Die- jenigen, die zum Beispiel aus Großstädten wie Hamburg Zweitens. Wir wollen ein Bundeskitaqualitätsgesetz – kommen, können eine Reihe von Namen von Kindern damit nerve ich Sie auch noch weitere drei Jahre –, das nennen, die elendig zugrunde gegangen sind, verhungert verlässliche Standards in allen Teilen der Republik ge- sind, gestorben sind, weil möglicherweise auch gewisse währleistet. systemische oder strukturelle Defizite in der Kinder- und Jugendhilfe vorliegen. Deswegen müssen wir darüber Drittens. Wir wollen, dass im Allgemeinen Sozialen reden. Dienst endlich Fallzahlbegrenzungen eingeführt werden, damit angemessen mit den Rechten der Familien und Herr Müller, ich habe Ihre Vorschläge insgesamt ge- Kinder umgegangen werden kann und am Ende nicht lesen; die sind in Teilen sehr spannend, sehr interessant. nach Aktenlage entschieden werden muss. Die Zustände Aber ich muss ganz offen sagen – jetzt bin ich wieder im Allgemeinen Sozialen Dienst – das zeigt uns gerade beim föderativen System und der Fragestellung, was wir die Studie „ASD in Not“ –, in den Jugendämtern sind ordnungspolitisch gerade anstellen –: Wir haben eine 8512 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) klare Aufteilung der Kompetenzen. Es gibt eine Bundes- re ich dafür, dass das die Kommunen und die Länder ent- (C) kompetenz, es gibt eine Richtlinienkompetenz – Reform scheiden; denn ein Jugendamt in Hamburg-Altona oder des SGB VIII –, die liegt bei uns, aber die Ausführung Hamburg-Wilhelmsburg ist zum Beispiel mit anderen obliegt den Ländern und den Kommunen. soziokulturellen Herausforderungen konfrontiert als ein Jugendamt im Bergischen Land. Deswegen, glaube ich, Ich will nicht immer von dieser Stelle an die Länder sollte man die Frage einer Fallobergrenze weiterhin den diesen Appell richten, aber bei permanenter Mischfinan- Ländern und Kommunen überlassen. Diese Diskussion zierung wissen wir irgendwann nicht mehr: Wer hat wel- muss aber geführt werden. che Aufgaben, und wer hat welche Ansprüche zu erfül- len? Deswegen noch mal der ganz klare Hinweis: Es geht Was kann nun der Bund machen? Heute Morgen haben hier um Länderkompetenzen. Die Erledigung der meis- wir lang und breit über das Gute-Kita-Gesetz diskutiert. ten von Ihnen genannten Punkte obliegt den Ländern; da Wir haben auch eine Fachkräfteoffensive im Bereich gehört sie auch hin. Kita im Umfang von 40 Millionen Euro auf den Weg ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bracht. Das wird natürlich nicht reichen. Ich weise aber ordneten der SPD) noch einmal darauf hin: Das ist Aufgabe der Länder. Jetzt komme ich inhaltlich auf drei Themen in Bezug Wir haben aber als Koalition gesagt – darauf möch- auf die Fragestellung „Wie muss es im ASD weiterge- te ich noch einmal hinweisen –, dass diejenigen, die im hen?“ zu sprechen – es gibt ja viele Studien, die man weiteren Umfeld gemeinschaftlich mit dem ASD arbei- auch sehr kritisch betrachten kann, aber es gab auch sehr ten, eine gemeinsame Aufgabenstruktur haben – also Fa- viele Termine und Gespräche mit den Allgemeinen So- milienrichter, Gutachter, Verfahrensbeistände – eine brei- zialen Diensten zum Thema: wohin muss es gehen? –: te Qualifizierung brauchen. Das ist elementar; denn das Erstens: gute Arbeitsbedingungen. Zweitens: gute und sind diejenigen, die als Gutachter und als Familienrichter faire Löhne; denn die, die mit Menschen arbeiten, müs- Entscheidungen treffen und das Jugendamt in einer wich- sen besser bezahlt werden. Das Dritte ist eine qualitativ tigen Funktion unterstützen. hochwertige Ausbildung und Weiterbildung von denjeni- Sie haben den SGB-VIII-Reformkurs angesprochen. gen, die mit Kindern arbeiten. Ja, wir haben ihn damals nicht zu Ende geführt. Dafür Richtig ist, dass wir im Bereich der Kindertagesbe- gab es auch – mit Verlaub – gute Gründe. Aber ich sage treuung – wir haben heute Morgen darüber gesprochen – auch – ich kann das an dieser Stelle sehr positiv bewer- einen massiven Fachkräftemangel haben werden. Es ten –, dass sich das Ministerium auf den Weg gemacht fehlen möglicherweise bis zu 300 000 Erzieherinnen und hat, diesen Reformkurs noch einmal aufzunehmen. Auf- Erzieher. Bei ASD haben wir jetzt schon ein Personalde- grund meiner ersten Wahrnehmungen kann ich sagen: (B) fizit von ungefähr 4 000 Stellen. Dazu kommt eine höhe- Es ist genau richtig, was dort momentan passiert. Wir (D) re Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wenn werden aber – das ist klar – genau darauf achten, wo es sie tragische Fälle bearbeiten müssen, in denen Kindes- hingeht, und im Übrigen darüber sprechen müssen, wie missbrauch, Vernachlässigung von Kindern oder Gewalt wir diejenigen mit aufnehmen können, die negative Er- an Kindern eine Rolle spielt. Das ist eine besondere Si- fahrungen mit dem Jugendamt gemacht haben. Die meis- tuation für diejenigen, die dort arbeiten. Das auszuhalten ten Jugendämter arbeiten exzellent, aber es gibt natürlich und durchzuhalten, ist eine besondere Herausforderung. hier und da auch einmal negative Wahrnehmungen. Als Deswegen ist es wichtig, dass diese Mitarbeiter dafür Politik muss es uns doch wichtig sein, zu fragen: Wo sind weiter qualifiziert werden. Eltern denn enttäuscht worden? Warum können Eltern oder sogar Großeltern ihre Kinder oder Enkelkinder nicht Richtig ist, dass es in diesem Bereich im Moment zu mehr sehen? Wir als Abgeordnete, als gewählte Volks- wenig Bewerber gibt. Es gibt kaum Nachwuchsförderung vertreter, sind diejenigen, die das aufnehmen müssen. und eine hohe Fluktuation. Das ist das größte Problem; denn die jungen Menschen, die in der Verwaltung arbei- Richtig und wichtig ist – das haben Sie angespro- ten, sind in großer Sorge angesichts der Dinge, die auf chen – der Bereich der Forschung und der wissenschaft- sie zukommen könnten, und weigern sich möglicherwei- lichen Begleitung. Es geht um die Anlaufstelle zum ei- se, in diesen so wichtigen Bereich zu gehen. Der Kran- nen und die Frage der Auswertung zum anderen, um zu kenstand ist enorm hoch bei den Mitarbeiterinnen und analysieren, wo im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe Mitarbeitern des Allgemeinen Sozialen Dienstes, und die strukturelle oder systemische Defizite liegen. Der Einzel- Mehrarbeit muss natürlich immer, wie überall, von Kol- fall ist immer besonders und immer schwierig. Systemi- leginnen und Kollegen übernommen werden. sches und Strukturelles müssen wir aber überprüfen; das werden wir auch machen. Da haben wir auch in der Frage Ich komme gleich zu den Aufgaben, die der Bund der wissenschaftlichen Wahrnehmung unsere Aufgaben. meines Erachtens übernehmen muss. Vorher möchte Das heißt, der Bund wird hier seinen Teil beitragen. ich aber noch eine Bemerkung zu Ihren Vorschlägen machen. Sie haben von einer Obergrenze bei den Fall- Ein letzter Punkt. Bei den Kommunen und Ländern zahlen gesprochen. Darüber kann man diskutieren. Die liegen die Hauptaufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe. Zahl 35 steht im Raum. Ich will aber darauf hinweisen, Wir haben als Koalition in der letzten Legislaturperiode dass kein Fall mit einem anderen Fall vergleichbar ist. die Kommunen und die Länder um fast 100 Milliarden Jeder Fall ist ein besonderer Fall. Deswegen, glaube ich, Euro – 100 Milliarden Euro! – entlastet. Damit ist auch muss man sehr intensiv darüber nachdenken, ob und wo etwas verbunden, was für uns wichtig ist: Die Kommu- man diese Fallobergrenzen einzieht. Auch hierbei plädie- nen müssen ihre originären Aufgaben wahrnehmen. Das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8513

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) können wir auch verlangen. Wir sagen: In den Bereichen, Ich bin kein Berufspolitiker und bin auch stolz darauf. (C) in denen wir euch nicht entlasten können, liegen eure ori- Ich möchte auch keiner werden. ginären Aufgaben. – Wenn wir das gemeinsam analysie- ren und besprechen, welche Wege wir gehen, finden wir (Grigorios Aggelidis [FDP]: Machen den richtigen Weg. Das, was Sie fordern, ist allerdings Sie das jetzt ehrenamtlich? – Elisabeth eine deutliche Übernahme von Kompetenzen, die uns ­Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Verzichten nicht zustehen. Deswegen ist Ihr Antrag abzulehnen. Sie auf Ihre Diäten?) Vielen Dank. Ich sitze im Familienausschuss, schaue mir das alles an und wundere mich. Wir haben im Familienausschuss Po- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sitionen zu vertreten, die faktisch nicht mehr diskutiert werden. Es geht darum, ganz starre Strukturen und Re- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: geln in der Diskussion einzuhalten. Diskussion in dem Sinne findet nicht statt. Es wird vom Blatt vorgetragen. Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile ich dem Abgeordneten Frank Pasemann, AfD, das Wort. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD – Tino Chrupalla [AfD]: NEN]: Vor allem von Ihnen!) Guter Mann!) Man möge dann bitte die Redezeit so einhalten, dass das alles passt. (AfD): Frank Pasemann (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- NEN]: Warum lesen Sie das denn jetzt alles ren! Werte Gäste! Der vorliegende Antrag, den wir heu- ab?) te beraten, erzeugt in mir einen Zwiespalt. Natürlich ist man als Familienpolitiker in Deutschland froh über je- Es gab eine Ausnahme: das Fachgespräch mit Frau den Euro, der für Familienpolitik, Kinderpolitik und Ju- Kathinka Beckmann von der Hochschule Koblenz. Sie gendpolitik ausgegeben wird. Wir haben heute lang und hat untersucht, wie deutsche Ämter im ASD arbeiten. breit über das sogenannte Gute-Kita-Gesetz diskutiert. Diese Diskussion führte wirklich weiter. Es wurde klar, Ich hatte den Eindruck, dass nicht das gesamte Haus der dass es in Deutschland bis jetzt nicht gelungen ist, die Meinung war, dass es wirklich ein gutes Kita-Gesetz ist. einfachsten Strukturen zu schaffen. Es ist nämlich unklar, wie in einzelnen Bundesländern problematische Fälle, Im Kielwasser dieses Gute-Kita-Gesetzes macht Die die womöglich zum Kindesentzug führen können, in Linke nun einen weiteren Vorschlag und bringt einen Familien behandelt und untersucht werden. Hierbei eine (B) Antrag ein, über den wir jetzt reden wollen. Die politi- Vereinheitlichung zu schaffen, scheint mir sinnvoll. Da- (D) sche Intention dieses Antrages ist sehr schnell klar. Ich rüber sollten wir reden. habe als Schüler einen Besuch in der Volkskammer hinter mich gebracht. In der Regierung saß damals eine Frau (Beifall bei der AfD) mit blauen Haaren. Das war unsere Bildungsministerin. Der Antrag der Linken beklagt weiterhin einen akuten (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Fachkräftemangel. Wir haben zu konstatieren, dass das Margot!) so ist. Wir müssen aber auch fragen: Woran liegt das? Woher rührt dieser Fachkräftemangel? Wenn wir uns an- Sie war auch für Schulen und alles, was dazugehört, zu- schauen, was in diesem Land seit 2015 passiert ist, ständig. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Und was ist passiert?) NEN]: Dass das eine Frau war, hat Sie trau- matisiert! Das ist klar!) dann sehen wir, dass der Bedarf an Kindergartenplätzen Der jetzige Finanzminister Olaf Scholz hat es 2012 auf rapide gestiegen ist. Warum? Nicht weil deutsche Fami- den Punkt gebracht und gesagt, worum es eigentlich lien mehr Kinder bekommen haben, geht – Zitat –: Es geht um die Lufthoheit über den Kin- (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: derbetten. – Und der Vorschlag, den der verehrte Kolle- Doch, genau deswegen!) ge Müller hier macht, ist nichts anderes als der Versuch, zentralistisch zu regieren, zentralistisch Regelungen her- sondern weil Migrantenfamilien das Recht bekommen, beizuführen, die uns in einen Staat führen sollen, in dem ihre Kinder in unseren Kindergärten unterzubringen. Politiker bestimmen, wie Eltern ihre Kinder erziehen. (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Katja (Beifall bei der AfD – Helin Evrim Sommer Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: [DIE LINKE]: Sie haben den Antrag nicht ge- Quatsch!) lesen! Darum geht es doch gar nicht!) Dagegen ist grundsätzlich auch nichts zu sagen. Aber 2012 war die Position der CDU scheinbar noch streit- wenn man einen solchen Prozess in Gang setzt, dann bar; denn das Zitat, welches ich eben vorgetragen habe, muss man auch Lösungsansätze haben und sagen, wie von Herrn Scholz, SPD, entstammt einer Diskussion über man das finanzieren will. Dieser Antrag von Herrn Familienpolitik. Damals schien es also noch Dissens zu Müller enthält nicht einen einzigen Lösungsvorschlag, geben. keine Zahl. Es ist nichts zu finden. 8514 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Frank Pasemann (A) Ich möchte aber Folgendes sagen, weil es denjenigen, rinnen zu verbessern. Die Mittel hierfür sind für 2019 in (C) die uns zuschauen, vielleicht nicht so ganz klar ist: Pro den Haushalt eingestellt. Tag kostet ein unbegleiteter minderjähriger Ausländer 166 Euro, pro Monat 5 250 Euro, (Beifall bei der SPD) (Marianne Schieder [SPD]: Hören Sie auf mit Aber ich will mich hier vor allem mit der Situation in dieser Hetze!) der Kinder- und Jugendhilfe beschäftigen. Auch dort sind Personalbedarf und Personaleinsatz in den letzten Jahren im Jahr 65 000 Euro. stark gestiegen, wie dem „Monitor Hilfen zur Erziehung 2018“ zu entnehmen ist. Trotz vieler neuer Stellen hören (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir alle aber immer wieder von Überlastungsanzeigen der NEN]: Hören Sie auf, zu hetzen!) Jugendämter. Ich verweise auf Frau Professor Beckmann­ Den Bundeshaushalt belastet diese Aktion im Jahr mit aus Koblenz, die eindringlich die schwierige Situation 2 Milliarden Euro. des Allgemeinen Sozialen Dienstes in Jugendämtern mit Beispielen aus allen Bundesländern geschildert hat. Sie (Marianne Schieder [SPD]: Hören Sie auf mit hat Überlastungen geschildert, die zu Überforderungsge- dieser Hetzerei! – Helin Evrim Sommer [DIE fühlen führen, zu Fehlern, zu Unzufriedenheit im Job und LINKE]: Irgendwann reicht das!) zu hoher Fluktuation. Die Zahl der Fachkräfte, die hier gebunden wird, ist über- Das schildert auch der Antrag der Linksfraktion sehr haupt nicht klar. Deshalb ist auch nicht zu ermitteln, wie zutreffend. Qualität dagegen braucht Kontinuität, braucht wir aus dieser Misere wieder herauskommen. Wir haben gute Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung, keine Fra- überhaupt keine verlässlichen Zahlen dazu. ge. Wenn wir die Kinder- und Jugendhilfe stärken, sie in- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wel- klusiv öffnen und, wie im neu gestarteten Reformprozess che haben Sie denn gerade vorgetragen?) des Jugendministeriums geplant, den Kinderschutz wie auch das Hilfesystem verbessern wollen, dann sind die Fachkräfte dafür ein Dreh- und Angelpunkt. Dabei sind Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die bundesrechtlichen Regelungen für die Fachkräfte in Kollege Pasemann, denken Sie bitte daran, dass Ihre der Kinder- und Jugendhilfe sehr überschaubar gehalten: Redezeit abgelaufen ist. Das SGB VIII regelt im Fachkräftegebot des § 72 nur, dass Fachkräfte eine entsprechende Ausbildung vorwei- Frank Pasemann (AfD): sen und persönlich geeignet sein müssen. Genauer wird das nicht spezifiziert, mit gutem Grund, wie ich denke; (B) Das tut mir leid. – Dann danke ich für die Aufmerk- denn die vielfältigen Aufgaben und Angebote der Kin- (D) samkeit. Frohe Weihnachten! der- und Jugendhilfe profitieren auch von vielfältigen (Beifall bei der AfD) Kompetenzen und Zugangswegen. Bildung und Ausbildung sind Länderkompetenzen, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die – wir haben es gerade erst beim DigitalPakt erlebt – Nächste Rednerin ist Ulrike Bahr, SPD. mit Zähnen und Klauen verteidigt werden, sobald der Bund nicht nur Geld gibt, sondern auch mitgestalten (Beifall bei der SPD) möchte. Nicht immer haben die Landesregierungen die Personalbedarfe und Belange der Kommunen im Blick, Ulrike Bahr (SPD): die ja vor Ort die Kinder- und Jugendhilfe letztendlich Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und stemmen müssen. So hat zum Beispiel bei mir zu Hause Kolleginnen! Das Gute-Kita-Gesetz ist ein gutes Gesetz. die Hochschule Augsburg nach langem Ringen einen Es ist heute auch im Bundesrat beschlossen worden. Das Studiengang „Soziale Arbeit“ eingerichtet, den sie aber zu all den kritischen Bemerkungen gegenüber diesem so komplett selbst querfinanzieren muss, weil die CSU in guten Gesetz. München keine Landeszuschüsse bewilligt. Der Studi- engang bietet darum ganze 20 Plätze. Ich denke, das ist (Beifall bei der SPD) wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ja, für eine gute Kinder- und Jugendhilfe braucht Darum habe ich persönlich große Sympathien für die man vor allem engagierte, qualifizierte und persönlich Forderung der Linken, auf eine Analyse der Ausbildungs- geeignete Menschen, die sich den Aufgaben und He- situation in den verschiedenen Bereichen zu dringen und rausforderungen stellen, egal ob im Jugendamt, in der mit den Ländern und Kommunen an einer Strategie für Erziehungsberatung, in der Heimerziehung oder in den ausreichend Ausbildungs- und Studienplätze zu arbeiten. Angeboten der offenen Jugendarbeit. Und: Ja, bereits Ich halte es aber für zielführender und besser, diese Fra- seit 2008 gibt es bei den sozialen Berufen konstant hohe gen in den Beteiligungsprozess zur Modernisierung der Quoten an sofort zu besetzenden offenen Stellen. Beson- Kinder- und Jugendhilfe einfließen zu lassen. In jedem ders augenfällig ist der gestiegene Personalbedarf in der Fall werden wir das Fachkräfteproblem in vielen Fragen Kindertagesbetreuung. Dazu hat Ministerin Giffey heute mitdenken müssen, mit denen wir uns im nächsten Jahr Vormittag ja erklärt, dass es sehr wohl eine Fachkräfteof- beim Beteiligungsprozess beschäftigen werden. Ob Kin- fensive geben wird, an der wir mit Hochdruck arbeiten, derschutz oder ein wirksames Hilfesystem, ob Angebote um speziell die Situation bei den Erziehern und Erziehe- für bislang vernachlässigte Zielgruppen wie die Kinder Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8515

Ulrike Bahr (A) psychisch erkrankter Eltern oder auch der bessere Um- konzepten, damit hauptsächlich die SPD aus ihrem Um- (C) gang mit Beschwerden und Fehlern, zum Beispiel über fragetief herausgeholt werden kann. die Einrichtung von Ombudsstellen, all dies funktioniert nur mit ausreichend qualifizierten Fachkräften. (Beifall bei der FDP)

Beim Beteiligungsprozess sitzen Kommunen und Wie übrigens aus unserer Kleinen Anfrage zur Situati- Länder, Vereine, Praktiker und Wissenschaft gemeinsam on von Erzieherinnen und Erziehern hervorgeht, weiß die an einem Tisch, und alle Fachleute können sich auch über Regierung ganz genau, worauf die schlechte Gesundheit den Onlineprozess einbringen. Ich bin mir sicher: In die- der Fachkräfte und die kurze Verweildauer zurückgehen. sem Dialogprozess werden wir etliche gute Anregungen Das Arbeitsumfeld und die Arbeitsbelastung tragen dazu aus dem Antrag der Linken aufgreifen. Das ist dann auch massiv bei. Hilfe haben die Erzieherinnen und Erzieher der Ort, zu analysieren, wo wir gesetzliche Klarstellun- aber von diesem Gesetz leider nicht zu erwarten. Beson- gen für eine starke Kinder- und Jugendhilfe und bessere ders gravierend ist das Ganze, weil diese Situation seit Arbeitsbedingungen brauchen. langem bekannt ist, aber dennoch kein Wille und kein Danke sehr. Interesse da zu sein scheint, die richtigen Prioritäten zu setzen. Aus unserer Sicht ist das peinlich und unverant- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael wortlich. Kießling [CDU/CSU]) (Beifall bei der FDP) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wer dem Fachkräftemangel, egal ob nun in den Kitas Nächster Redner ist Grigorios Aggelidis, FDP. oder in der Kinder- und Jugendhilfe, entgegenwirken will, der muss, gerade wenn es nicht in unsere Zustän- Grigorios Aggelidis (FDP): digkeit, in die des Bundes fällt, besonders darauf achten, Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten dass das Geld prioritär in die Bereiche fließt, in denen es Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! besonders gebraucht wird, und darf es nicht mit der Gieß- Als ich die Ankündigung zu diesem Antrag gelesen habe, kanne verteilen, wie es bei Ihnen der Fall ist. habe ich mich sehr gefreut, weil ich dachte: Das sind gute und wichtige Themen, die wir besprechen müssen. – (Beifall bei der FDP) Schon bei der Überschrift wurde mir aber leider klar: Sie mixen unglücklicherweise verschiedene Themen zusam- Insofern ist auch der Ansatz des Antrags richtig, dass wir uns genauere Daten beschaffen müssen, analysie- (B) men, sodass eine klare Lösung bzw. Empfehlung eher (D) schwer möglich ist. Leider hat sich dieser Eindruck auch ren müssen, woran es liegt, wie wir weiterkommen. Wir beim Durchlesen bestätigt. Kita und Jugendhilfe, Teil- brauchen Fakten und müssen eine langfristige Strategie zeit, Altersarmut, alles in einem Antrag. Die Zuständig- ausarbeiten. So würde eine Regierung auch verantwor- keiten wurden hier schon erwähnt, egal ob Land, Bund, tungsbewusst handeln. Aber was wir im Endeffekt hier Kommunen, Tarifpartner. sehen, ist leider nur Stückwerk und vor allem eine Gieß- kanne, die das meiste Geld in die Richtung beitragsfreier Trotzdem bin ich dankbar, dass wir dadurch heute Kitas lenkt. 40 Millionen Euro geben Sie für eine Fach- noch einmal über die Probleme in diesem Bereich spre- kräfteoffensive aus. Wenn Sie sich das in Relation zu den chen können. Die Vorredner, interessanterweise auch die Geldern ansehen, die dort fließen, dann kann man nur Vorredner der Großen Koalition, haben an sich ja auch sagen, dass das lächerlich ist. bestätigt, dass sie erkannt haben, worin eigentlich die höchste Priorität liegen sollte und worin die besondere (Beifall bei der FDP) Herausforderung liegt, nämlich in der Qualität. Wenn wir über Qualität reden, ob das jetzt im Kita-Gesetz ist – ich Aber noch einmal zu Ihrem Antrag: Sie packen in die vermeide ganz bewusst das Adjektiv davor – oder ob es wichtigen Bereiche Dinge wie – letzter Gedanke, Herr in der Jugend- und Kinderhilfe ist, dann muss man sagen: Präsident –: generelle Abschaffung von sachgrundlosen Die Qualität hängt mit dem Personal und mit der Ausstat- Befristungen, Eindämmung unfreiwilliger Teilzeit. Da tung des Arbeitsumfeldes für dieses Personal zusammen. legen Sie sich nicht fest oder sagen: Wer legt eigentlich (Beifall bei der FDP) fest, was das ist? Usw. usw. Dann fehlt nur noch ein Satz über den Mindestlohn, mit dem Sie sich in die Arbeit der Fangen wir mit dem Kita-Gesetz an. Als in der letz- Mindestlohnkommission einmischen würden. ten Sitzung des Familienausschusses das Gesetz überra- schend wieder von der Tagesordnung gestrichen wurde, Schade, dass Sie in einen vom Ansatz her guten Fach- keimte zumindest die Hoffnung auf, dass die GroKo antrag ideologische Forderungen hineinschreiben. Die tatsächlich aus der Ohrfeige der Experten lernen würde, Kinder verdienen es besser. Ich hoffe, dass wir in den verstehen würde, dass vor allem die Steigerung der Qua- Beratungen im Ausschuss etwas Besseres zustande brin- lität durch die Investition in Erzieherinnen und Erzieher, gen, vor allem Richtung Qualität. in Personal ihre dringendste Pflicht gewesen wäre. Am Dienstagabend kam aber mit dem Änderungsantrag der Vielen Dank und Ihnen allen schöne Feiertage! Koalition die Ernüchterung. Gedacht wird bei dieser Re- gierung nach wie vor offensichtlich nur in Schaufenster- (Beifall bei der FDP) 8516 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Leider muss ich feststellen, dass in diesem Bereich in (C) Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste den letzten Jahren wenig, zu wenig passiert ist. Die ers- Rednerin. ten Empfehlungen aus der Bund-Länder-Arbeitsgruppe liegen uns seit 2012 vor. Die Ministerin hat in ihrem Etat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für eine Fachkräfteoffensive 30 Millionen Euro zur Ver- fügung. Ab 2020 sind es noch einmal 60 Millionen Euro. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ein erster Schritt, den erkennen wir auch an. Es ist aber klar, dass das angesichts der Herausforderungen nur Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! ein Tropfen auf den heißen Stein sein kann. Die Linksfraktion gibt uns für die Advents- und Weih- nachtszeit einen achtseitigen eng bedruckten Besin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nungsaufsatz mit auf den Weg. Ernsthaft will ich sagen: und bei der LINKEN) Danke dafür! Heute Morgen haben wir über das Gute-Kita-Gesetz Dass es in unseren Kitas und auch in den Kinder- und gesprochen. Mit dem Gute-Kita-Gesetz wurde die Mög- Jugendeinrichtungen insgesamt einen großen Fachkräf- lichkeit vertan, eine substanzielle Verbesserung für die temangel gibt, ist seit Jahren bekannt. Dieses Thema ist Situation der Fachkräfte in den Kitas zu schaffen. Das es wert, hier diskutiert zu werden. Die Arbeitsbedingun- Gesetz beinhaltet keine verbindlichen Personalschlüssel. gen der Menschen, die gerade im sozialen Bereich in der Es verzichtet auch auf die Möglichkeit, gezielt zu steu- Kinder- und Jugendhilfe tätig sind, sind es wert, dass wir ern, wo die Bundesmittel in den Kitas ankommen. Damit hierzu eine Plenardebatte führen und uns mit konkreten befürchten wir – das muss ich einfach sagen –, dass dies Vorschlägen auseinandersetzen. Insofern ist es gut, dass zur Beitragsabsenkung, zur Abschaffung der Elternbei- wir dieses Thema auf der Tagesordnung haben. träge führt und nicht zur Verbesserung der Personalsitua- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tion und nicht zur Verbesserung der Arbeitssituation der und bei der LINKEN) Fachkräfte vor Ort. Das halten wir für falsch. Der Fachkräftemangel, gerade im Kitabereich, hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich in den letzten Jahren tatsächlich stark verschärft, und sowie des Abg. Tankred Schipanski [CDU/ er hat sich verschärft wegen des Rechtsanspruchs auf ei- CSU]) nen Kitaplatz für Kinder unter drei Jahren, den wir fast Eines ist auf alle Fälle klar: Gute Arbeit braucht gute alle gewollt und immer unterstützt haben. Wir wissen Bedingungen. Um die zu verbessern, haben sich einige heute, dass die ursprünglichen Prognosen längst überholt Bundesländer schon auf den Weg gemacht. Ich will ein- sind. Wir brauchen mehr Plätze, der Bedarf steigt wei- (B) mal Baden-Württemberg herausgreifen. Mit ihrer praxis­ (D) ter, und damit steigt auch der Bedarf nach gut ausgebil- integrierten Ausbildung schließen Azubis einen Ausbil- detem Personal. Gerade in diesem Bereich gibt es sehr dungsvertrag mit der Kita und werden schon während seriöse Zahlen. Bis zum Jahr 2025 werden mindestens der Ausbildung nach dem gültigen Tarifvertrag vergütet. 270 000 neue Erzieherinnen und Erzieher alleine in den Das ist natürlich wesentlich attraktiver als die klassische Kitas gebraucht. Wir sprechen auch – das steht im Koali- schulische Ausbildung, wo viele noch Schulgeld bezah- tionsvertrag der Großen Koalition – vom Rechtsanspruch len müssen. Das sind richtig gute Beispiele. Ich finde, an auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. Wir finden denen sollte sich die Bundesregierung orientieren. das gut. Aber auch hier muss uns klar sein: Auch das wird mit einem zusätzlichen Bedarf an Fachkräften einherge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hen. Ich will abschließend sagen: Wir werden sicherlich Schon heute können in vielen Kitas Plätze, die eigent- nicht mit allen Vorschlägen, die im Antrag der Linken lich da wären, gar nicht besetzt werden, weil die Fach- aufgeführt sind, konform gehen. Wir haben auch Kritik. kräfte fehlen. Träger sagen mir vor Ort, sie würden ger- Aber ich freue mich, dass wir das im Ausschuss konkret ne zusätzliche Gruppen einrichten. Sie machen es aber und an den einzelnen Forderungen orientiert diskutieren nicht, weil sie kein Personal finden. Das ist doch eine werden. Es ist ein wichtiges Thema. Wir sollten es wirk- dramatische Situation, liebe Kolleginnen und Kollegen, lich intensiv beraten. insbesondere für die Eltern, die vielerorts immer noch dringend und händeringend einen Platz für ihre Kinder Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und natürlich suchen. frohe Weihnachten und einen guten Rutsch! Wenn wir uns vor Augen halten, dass eine Erzieher- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausbildung etwa fünf Jahre dauert und wir kontinuierlich sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]) mehr Plätze benötigen, dann heißt das für uns Grüne ganz klar: Es muss dringend gehandelt werden, und zwar Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: jetzt. Es ist höchste Zeit, auch für die Bundesregierung, in den Turbogang zu schalten und gemeinsam mit den Da der Kollege Sönke Rix mit guten Weihnachtswün- 1) Bundesländern für mehr Ausbildungsplatzkapazitäten schen seine Rede zu Protokoll gegeben hat, und mehr Fachkräfte in den Kitas wie in der Jugendhilfe (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) insgesamt zu sorgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 1) Anlage 3 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 72. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2018 8517

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) ist Michael Kießling, CDU/CSU, der letzte Redner in Fraktion Die Linke, ich weiß, es könnte schwierig sein, (C) dieser Debatte. Ich erteile ihm hiermit das Wort. aber schauen Sie einmal in den Süden. Die Kollegin von den Grünen hat Baden-Württemberg erwähnt. Ich muss (Beifall bei der CDU/CSU – mich jetzt leider auf Bayern beziehen. Ich hoffe, Sie ha- [SPD]: SPD: Guten Beispielen darf man fol- ben etwas Nachsicht dafür, aber das ist auch in Ordnung. gen! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kann ja kürzer reden!) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Völlig legitim!) Michael Kießling (CDU/CSU): Da sieht man: Wenn man richtige Maßnahmen ergreift, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und um Fachkräfte zu gewinnen, kann man etwas bewegen. Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! Die obers- Klar, auch bei uns fehlt Personal. Klar ist auch, dass die te Maxime ist das Wohl des Kindes. Ich glaube, darin Ausbildung nicht schneller absolviert wird wie in ande- sind wir uns alle einig: die Kommunen, das Land und der ren Ländern. Aber in Bayern sind Maßnahmen ergriffen Bund. Das ist eine gute Basis. worden, um diesem Mangel zu begegnen. Der Antrag der Linken enthält durchaus interessante Im Jahr 2018 gibt es allein 65 Fachakademien für So- Punkte, aber auch einige, über die man sicherlich disku- zialpädagogik in Bayern. In den letzten zehn Jahren wur- tieren kann. Die frühkindliche Förderung ist nicht mehr de die Zahl der Fachakademien für Sozialpädagogik von nur Aufgabe der Eltern, sondern auch der Gesellschaft. 39 auf 65 gesteigert. Zudem sind zeitgleich die Schüler- In Zeiten, in denen Beruf und Familie unter einen Hut zahlen in der Ausbildung von Erziehern um 70 Prozent zu bekommen sind, übernehmen Kindertagesstätten und gestiegen. Auch die Zahl der Absolventen hat sich vom auch die Erzieherinnen und Erzieher eine immer wich- Jahr 2007 bis zum Jahr 2018 um 66 Prozent erhöht. Da tigere Rolle. In den vergangenen Jahren – das ist schon sieht man: Wenn die Länder die richtigen Maßnahmen angesprochen worden –, unter Regierungsverantwortung ergreifen, kann man auch was bewegen. der CDU und CSU, ist ein Rechtsanspruch auf den Kita- platz eingeführt worden. Dadurch sind viele Tausend Be- (Beifall bei der CDU/CSU) treuungsplätze entstanden. Die Zahl der zu betreuenden Es geht dann natürlich auch darum, das Personal zu Kinder ist innerhalb der letzten neun Jahre um fast eine behalten und zu binden. Dazu hat Bayern eine Qualitäts- halbe Million auf über 3,5 Millionen Kinder gestiegen. begleitung ins Leben gerufen. Wir haben gehört: Auch die Fallzahlen in der Kinder- und Jugendhilfe sind gestiegen. Im Koalitionsvertrag stehen (Marianne Schieder [SPD]: Ihr seid einfach noch viele andere gute Dinge. Das zeigt natürlich, dass die Besten, gell?) (B) (D) wir Fachkräfte benötigen. Ich selber war Bürgermeister. – Na, das ist bloß ein Beispiel. Vielleicht habt ihr auch In dieser Zeit habe ich gemerkt: Wenn man engagiert ist Beispiele aus anderen Ländern; aber ich kann halt das und qualifiziertes Personal haben will, ist es sehr schwie- von Bayern vortragen, weil ich es zufällig kenne. Es rig. bleibt ja jedem freigestellt, das auch zu tun. Dennoch sollte man einige sachliche Punkte erwäh- (Marianne Schieder [SPD]: Ich muss sagen, nen. Während sich die Zahl der zu betreuenden Kinder dass die Ausbildung immer noch viel zu lang zwischen 2008 und 2017 um 16 Prozent erhöht hat, hat ist!) sich die Zahl des pädagogischen Personals auch erhöht, und zwar von 382 000 auf 600 000. Die Zahl zeigt na- Mit der Pädagogischen Qualitätsbegleitung wird bei- türlich auch, dass die Politik in der Vergangenheit gut spielsweise die Qualität der Einrichtungen vor Ort mit al- gewesen ist. Aber wir müssen noch weiter arbeiten, da- len Beteiligten zusammen entwickelt, um die Fluktuation mit wir in Zukunft dem Anspruch einer guten Kinderbe- von Fachkräften zu vermeiden. Es zeigt sich: Wenn auf treuung gerecht werden. Für mich ist auch wichtig, dass Länderebene ordentlich Politik gemacht wird, kann man die Fallzahlen der Kinder- und Jugendhilfe entsprechend die Herausforderungen meistern. bearbeitet werden können. Daher ist wichtig, dass wir entsprechendes Personal bekommen. Nichtsdestotrotz möchte ich uns als Bund nicht ganz rausnehmen. Wir haben im Koalitionsvertrag, wie be- Nach dem quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung sprochen, das Fachkräftezuwanderungsgesetz; damit gehen wir jetzt einen Schritt weiter in den qualitativen wollen wir dem Fachkräftemangel begegnen. Ich denke, Ausbau. Heute früh haben wir über das Gute-Kita-Ge- wir können gemeinsam daran arbeiten, dass das Fachper- setz diskutiert und es verabschiedet. Klar, bei diesem sonal für die Erziehung auch mehr in den Fokus gerückt Gesetz hätte ich mir schon vorstellen können, dass wir wird. Ich denke, es ist aller Mühen wert, darüber zu dis- eine Fachkraft-Kind-Relation hätten einführen können. kutieren und das auch voranzutreiben. Aber jetzt liegt es an den Ländern, die Verantwortung zu übernehmen. Jedes Land kann die Verantwortung über- Deswegen – Herr Müller, zum Antrag der Linken –: nehmen, um für den qualitativen Ausbau das Geld zu Der Antrag geht in die richtige Richtung. Es gibt Punkte, investieren und anderweitige Maßnahmen zu überlegen. über die wir durchaus diskutieren können. Es gibt auch Punkte, die ich gern ablehne. (Beifall bei der CDU/CSU) (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Än- Bei den Ländern sind wir an der richtigen Adresse, derungsantrag stellen! – Marianne Schieder wenn es um die Ausbildung der Fachkräfte geht. Liebe [SPD]: Längere Redezeit!) 8518 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

Michael Kießling (A) Aber ich denke, wir sind hier auf dem richtigen Weg, das Michael Kießling (CDU/CSU): (C) Thema Fachkräfte entsprechend voranzutreiben, auch im Ich bedanke mich bei den Mitarbeitern der Verwal- sozialen Bereich. tung, beim Stenografischen Dienst und bei der Saalas- sistenz. Abschließend wünsche ich Ihnen allen schöne Weih- nachten (Heiterkeit) (Marianne Schieder [SPD]: Danke schön!) Und jetzt haben Sie das letzte Wort. Ich bedanke mich und freue mich auf das nächste Jahr. und besinnliche Feiertage; denn Zeit zur Besinnung und Einsicht würde dem einen oder anderen nicht schaden. Vielen Dank. – Bürgermeister überziehen halt etwas öfter; aber, Herr Präsident, Sie haben es im Griff. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist aber neten der SPD – Grigorios Aggelidis [FDP]: gut!) Den Papst haben Sie vergessen!) Zudem bedanke ich mich bei dieser Gelegenheit für in der Regel fair geführte Debatten in diesem Jahr Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Alles ist gut. – Ich schließe die Aussprache. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Na ja!- Zuruf von der SPD: Na ja!) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 19/6421 an die in der Tagesordnung – in der Regel – sowie beim Tagungspräsidium. aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Dann ist das so beschlossen. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss Herr Kollege, lassen Sie dem Tagungspräsidenten der heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen allen und auch noch was. Ihre Redezeit ist nämlich abgelaufen. Ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest, Ihnen allen Tage der Erholung und uns allen ein friedvolles, (Heiterkeit) glückliches Jahr 2019. (Marianne Schieder [SPD]: Jawohl, so ma- Michael Kießling (CDU/CSU): chen wir das!) Selbstverständlich. – Einen Satz würde ich gerne noch sagen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (B) tages auf Mittwoch, den 16. Januar 2019, 13 Uhr, ein. (D) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Die Sitzung ist geschlossen. Einen Satz noch. (Schluss: 16.03 Uhr) Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018 8519

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Altenkamp, Norbert CDU/CSU Merkel, Dr. Angela CDU/CSU

Bause, Margarete BÜNDNIS 90/ Metzler, Jan CDU/CSU DIE GRÜNEN Mieruch, Mario fraktionslos Beermann, Maik CDU/CSU Mortler, Marlene CDU/CSU Behrens (Börde), Manfred CDU/CSU Mrosek, Andreas AfD Bellmann, Veronika CDU/CSU Müller, Hansjörg AfD Beutin, Lorenz Gösta DIE LINKE Müntefering, Michelle SPD Brandt, Michel DIE LINKE Nietan, Dietmar SPD Freitag, Dagmar SPD Remmers, Ingrid DIE LINKE Frohnmaier, Markus AfD Rüthrich, Susann SPD Gabriel, Sigmar SPD Scheer, Dr. Nina SPD (B) Gremmels, Timon SPD (D) Schmidt, Uwe SPD Held, Marcus SPD

Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Schulz, Jimmy FDP

Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/ Solms, Dr. Hermann Otto FDP DIE GRÜNEN Steinke, Kersten DIE LINKE Kemmerich, Thomas L. FDP Strack-Zimmermann, Dr. Marie-Agnes FDP Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Ulrich, Alexander DIE LINKE

Kolbe, Daniela* SPD Wadephul, Dr. Johann David CDU/CSU

Konrad, Carina FDP Wagner, Andreas DIE LINKE

Korte, Jan DIE LINKE Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Weidel, Dr. Alice AfD

Kulitz, Alexander FDP Weinberg, Harald DIE LINKE

Liebich, Stefan DIE LINKE Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU

Maier, Dr. Lothar AfD Witt, Uwe AfD

Marschall, Matern von CDU/CSU Zimmermann, Pia DIE LINKE

Mayer (Altötting), Stephan CDU/CSU *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes 8520 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

(A) Anlage 2 Beitragsfreiheit stecken werden oder die Mittel in andere (C) gesetzesfremde Bereiche fließen, weil wir keine konkre- Erklärungen nach§ 31 GO ten Maßnahmen im Gesetz prioritär festschreiben. Nach zu der Abstimmung über den von der Bundesre- meinen Informationen haben bereits zehn von 16 Bun- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur desländern angekündigt, die Bundesmittel voll oder in Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe großen Teilen für Gebührenfreiheit zu verwenden. Eine in der Kindertagesbetreuung prominente Vertreterin war dabei auch die ehemalige (Zusatztagesordnungspunkt 15 a) Bundesfamilienministerin und gegenwärtige Minister- präsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD). Doch an dieser Stelle sage ich auch Sylvia Pantel (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Qualität und ganz klar: Wenn ihr dieses Anliegen so wichtig wäre, Teilhabe in der Kindertagesbetreuung werde ich nicht zu- hätte Manuela Schwesig die Kitagebührenfreiheit mit ih- stimmen. Im Folgenden möchte ich meine Gründe hier- rem Überschuss von 676 Millionen Euro im vergangenen für darlegen. Jahr doch als Land allein stemmen können. Schließlich liegt die Finanzverantwortung für die Kommunen bei Wir als Union haben versprochen, die 5,5 Milliarden den Bundesländern. Euro in echte Qualitätsmaßnahmen in der Kindertagesbe- treuung zu investieren. In Anbetracht des Platzmangels Angesichts dieser Ausgestaltung des Gesetzes kann in der Kindertagesbetreuung sowie des massiven Perso- ich dem Gesetz keine Zustimmung erteilen. nalmangels war es eine Kernforderung der Union, mit dem sogenannten Gute-Kita-Gesetz hier nachzubessern Tankred Schipanski (CDU/CSU): Das sogenannte und allen Kindern die Chance zu geben, ein qualitativ Gute-Kita-Gesetz soll die Qualität in unseren Kinder- hochwertiges Angebot zu erhalten. Die Anhörung von gärten verbessern. Daher ist der Bund bereit, ohne An- Sachverständigen zum „Gute-Kita-Gesetz“ im Bundes- erkennung einer Rechtspflicht, 5,5 Milliarden Euro in tagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Qualität unserer Kindergärten zu investieren. Ich bin hat diesen Anspruch klar bestätigt: Qualität vor Beitrags- enttäuscht, dass einige Bundesländer ankündigen, das freiheit. Neun von zehn Experten haben klar kommuni- Geld nicht in die Qualität ihrer Einrichtungen zu inves- ziert, dass die Bundesmittel erst in die Qualität – erst die tieren, sondern in die sogenannte Beitragsfreiheit. Dies Pflicht – und erst in einem zweiten Schritt in die Senkung widerspricht dem Geist des Gesetzes und dem Ergebnis der Kitagebühren – dann die Kür – fließen sollen. Damit der Sachverständigenanhörung vom 5. November 2018. spiegelten die Experten auch die Meinung der Mehrheit Übereinstimmend haben die Fachpolitiker und Sachver- der Mütter und Väter in Deutschland wider, die gerade ständigen festgestellt: „Qualität vor Beitragsfreiheit“. Ich (B) in der frühkindlichen Bildung eine gute Qualität mit fordere die Bundesländer auf, das vom Bund zur Verfü- (D) angemessen Betreuungszeiten, einem guten Personal- gung gestellte Geld in die Qualität der Kindereinrichtun- schlüssel und bedarfsgerechten Öffnungszeiten zu fairen gen zu investieren. Die Mehrheit der Mütter und Väter Preisen viel wichtiger empfinden als die Kostenfreiheit. und alle Experten in Deutschland wünschen sich in der Sie würden sogar noch mehr Beiträge zahlen, um eine frühkindlichen Bildung eine gute Qualität mit angemes- gute Qualität zu haben. In diesem Zusammenhang habe senen Betreuungszeiten, einem guten Personalschlüssel ich als direkt gewählte Bundestagsabgeordnete auch in und bedarfsgerechten Öffnungszeiten. Faire Preise wer- vielen Gesprächen mit Erzieherinnen und Erziehern in den als wichtiger empfunden als die Kostenfreiheit. Ge- meinem Wahlkreis stets die Rückmeldung erhalten, dass ringverdiener und sozial Schwache werden bereits heute angesichts des drohenden Erziehermangels zunächst die durch eine Sozialstaffel bis hin zur Beitragsfreiheit ent- Politik die Pflicht hat, für mehr Qualität zu sorgen und in lastet. Ich stimme dem Gesetz somit nur mit der oben einem zweiten Schritt die Beitragsbefreiung in Angriff zu genannten Einschränkung und dem Appell an die Bun- nehmen. Geringverdiener und sozial Schwache werden desländer zu. Jedes Bundesland, welches sich dem Geist ja bereits heute durch eine Sozialstaffel bis hin zur Bei- des Gesetzes und dem Sachverstand widersetzt, hemmt tragsfreiheit entlastet, und ich sage an dieser Stelle auch die frühkindliche Bildung in Deutschland und schädigt ganz deutlich: Einen Platz, den es nicht gibt, kann man unsere Bildungsrepublik vorsätzlich. nicht beitragsfrei stellen. Vor diesem Hintergrund lag für mich in den Ver- handlungen der Fokus klar auf der Qualität. Und dazu Anlage 3 zählen beispielsweise Investitionen in einen guten Per- sonal-Kind-Schlüssel, in die Gewinnung und Sicherung Zu Protokoll gegebene Rede von qualifizierten Fachkräften sowie die Unterstützung zur Beratung des Antrags der Abgeordneten und Entlastung der Kitaleitungen und auch eine bedarfs- Norbert Müller (Potsdam), Birke Bull-Bischoff, gerechte Öffnungszeit. Und das regelt sich meiner Über- Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der zeugung nach nicht über die Kostenfreiheit, sondern zu- Fraktion DIE LINKE: Mehr Fachkräfte für gute nächst mal über die Qualität, über die Ausstattung und Kitas und eine starke Kinder- und Jugendhilfe beispielsweise über den Personalschlüssel. Das war und ist für mich immer vorrangig. Sönke Rix (SPD): Vielen Dank an Die Linke. Ihr An- Ich habe die Befürchtung, dass viele Bundesländer trag und diese Debatte gibt mir die Gelegenheit einmal die Bundesmittel in Höhe von 5,5 Milliarden Euro in die mehr für den Beruf der Erzieherin und des Erziehers zu Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018 8521

(A) werben, auf die Fachkräfteoffensive der Bundesregie- 27. Jahrestagung der Parlamentarischen Versamm- (C) rung hinzuweisen und speziell für die Unterstützung der lung der OSZE vom 7. bis 11. Juli 2018 in Berlin, von Bundesfamilienministerin Giffey bereits angekün- Deutschland digten Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzie- her zu werben. Drucksachen 19/5285, 19/5647 Nr. 6 Gute Bedingungen für Erzieher: „Streitschlichter, – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Liederonkel, Motivationskünstler“ – ich kann mir kaum Parlamentarischen Versammlung der Union für den einen besseren Beruf als Erzieher vorstellen. Es fällt mir Mittelmeerraum besonders leicht, dafür zu werben, weil ich ihn selbst 14. Plenartagung der Parlamentarischen Ver- gelernt habe. Da ich die Innenansicht kenne, weiß ich sammlung der Union für den Mittelmeerraum vom natürlich auch, dass die Bedingungen vielerorts deutlich 28. bis 29. April 2018 in Kairo (Ägypten) besser sein könnten. Deshalb krempeln wir Sozialdemo- kratinnen und Sozialdemokraten auch die Ärmel hoch: Drucksachen 19/5676, 19/5993 Nr. 6 Wir unterstützen Erzieherinnen und Erzieher mit dem – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen von uns heute Morgen auf den Weg gebrachten „Gu- Bundestages in der Ostseeparlamentarierkonferenz te-Kita-Gesetz“. Damit investieren wir auch in bessere Arbeitsbedingungen in Kitas. 27. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkonfe- renz vom 26. bis 28. August 2018 in Mariehamn, Fachkräfteoffensive der Bundesregierung: Wir küm- Åland-Inseln mern uns heute darum, dass es morgen ausreichend Fach- kräfte gibt. Weil wir in Regierungsverantwortung sind, Drucksachen 19/5949, 19/6213 Nr. 1 schreiben wir dazu keine Anträge – wie die Linken – son- dern machen Gesetze: das Qualifizierungschancengesetz, Haushaltsausschuss das Gesetz zur Brückenteilzeit, ein Fachkräfteeinwande- – Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof rungsgesetz, ein Gute-Kita-Gesetz. Das, liebe Kollegin- nen und Kollegen, ist unser roter Faden für ausreichend Bericht nach § 99 der Bundehaushaltsordnung Fachkräfte. über die Risiken der Einrichtung eines Europäi- schen Währungsfonds für den Bundeshaushalt Fachkräfteoffensive von Bundesministerin Giffey: Er- gänzend dazu wird im Familienministerium mit Hoch- Drucksachen 19/5330, 19/5647 Nr. 8 druck an einer Fachkräfteoffensive speziell für Erziehe- rinnen und Erzieher gearbeitet. Die finanziellen Mittel – Unterrichtung durch das Bundesministerium der Fi- (B) dafür haben wir bereits in den Bundeshaushalt 2019 ein- nanzen (D) gestellt. Griechenland: Technische Umsetzung der Wie zu lesen war, wird es dabei zum Beispiel darum EFSF-bezogenen mittelfristigen schuldenbezoge- gehen, wie der Bund erfolgreiche Ansätze, wie die „Pra- nen Maßnahmen xisintegrierte Ausbildung – PIA“, fördern kann. Drucksachen 19/5823, 19/5993 Nr. 9 Das ist der richtige Weg! Wir freuen uns auf die Vor- Ausschuss für Wirtschaft und Energie schläge der Familienministerin. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Es wird Sie wenig überraschen, dass die SPD-Fraktion beim Thema Fachkräfte die Initiativen der Bundesregie- Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Wei- rung unterstützt und nicht den hier vorliegenden Antrag terentwicklung eines gesamtdeutschen Fördersys- der Linken. tems für strukturschwache Regionen ab 2020 Allen wünsche ich eine schöne Weihnachtszeit und Drucksachen 18/13590, 19/1409 Nr. 14 freue mich schon jetzt auf den weiteren Wettbewerb mit Ihnen im Jahr 2019 – um die besten Konzepte für Fami- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur lien, Senioren, Frauen und Jugendliche. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über Maßnahmen auf dem Gebiet der Un- fallverhütung im Straßenverkehr 2016 und 2017 Anlage 4 (Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 2016/17) Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Drucksache 19/5000, 19/5647 Nr. 2 Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Si- gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von cherheit einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: – Unterrichtung durch die Bundesregierung Auswärtiger Ausschuss Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2016 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE Drucksachen 19/5350, 19/5647 Nr. 9 8522 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 72 Sitzung Berlin, Freitag, den 14 Dezember 2018

(A) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 19/1252 Nr. C.41 (C) Ratsdokument 15091/16 Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie – Aktualisie- Drucksache 19/1252 Nr. C.42 rung 2018 Ratsdokument 15108/16 Drucksache 19/1252 Nr. C.43 Drucksachen 19/5700, 19/5993 Nr. 7 Ratsdokument 15120/16 Drucksache 19/1252 Nr. C.44 Ratsdokument 15135/16 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 19/1252 Nr. C.45 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- Ratsdokument 15149/16 onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Drucksache 19/1252 Nr. C.46 Beratung abgesehen hat. Ratsdokument 15150/16 Drucksache 19/1252 Nr. C.47 Ratsdokument 15151/16 Finanzausschuss Drucksache 19/2233 Nr. A.13 Ratsdokument 7288/18 Drucksache 19/4978 Nr. A.12 KOM(2018)645 endg. Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 19/4344 Nr. A.40 Ratsdokument 10886/18 Drucksache 19/910 Nr. A.60 Ratsdokument 11848/17 Drucksache 19/910 Nr. A.79 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ratsdokument 14992/17 Drucksache 19/910 Nr. A.80 Drucksache 19/910 Nr. A.119 Ratsdokument 15079/17 XT21121/17 Drucksache 19/1252 Nr. C.33 Drucksache 19/2773 Nr. A.21 Ratsdokument 5890/17 Ratsdokument 9245/18 Drucksache 19/1252 Nr. C.40 Drucksache 19/4344 Nr. A.45 Ratsdokument 15090/16 Ratsdokument 9249/18

(B) (D)

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333