Studia Theodisca VIII
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Studia theodisca VIII Christoph Martin Wieland • Heinrich Heine • Georg Büchner Thomas Bernhard • Alfred Döblin • Robert Walser Kasimir Edschmid • Ingeborg Bachmann Joseph Roth • Heimito von Doderer Edidit Fausto Cercignani Studia theodisca An international journal devoted to the study of German culture and literature Published annually in the autumn ISSN 1593-2478 Editor: Fausto Cercignani Electronic Edition (2011) of Vol. VIII (2001) Studia theodisca Founded in 1994 Published in print between 1994 and 2010 (vols. I-XVII) On line since 2011 under http://riviste.unimi.it Online volumes are licensed under a Creative Commons Attribution- NonCommercial-NoDerivs 3.0 Unported License. The background image of the cover is elaborated from the original of Georg Büchner’s “Woyzeck” (F4-2v). _| |_ Studia theodisca VIII Christoph Martin Wieland • Heinrich Heine • Georg Büchner Thomas Bernhard • Alfred Döblin • Robert Walser Kasimir Edschmid • Ingeborg Bachmann Joseph Roth • Heimito von Doderer edidit Fausto Cercignani _ _ | | _| |_ Proprietà letteraria originaria dell’Università degli Studi di Milano Sezione di Germanistica del DI.LI.LE.FI _ _ | | | | Premessa Raccolgo in questo volume alcuni saggi di letteratura tedesca offerti da studiosi italiani e stranieri che hanno partecipato in vario modo agli scambi e alle iniziative culturali della Sezione di Germanistica del Dipartimento di Studi Linguistici, Letterari e Filologici (DI.LI.LE.FI) dell’Università degli Studi di Milano. F. C. | | | | Indice dei saggi Primus-Heinz Kucher – «Rätselhafte, unfaßbare Menschen waren die Frauen ...». Anmerkungen zum Thema der Geschlechterbezie- hungen in Döblins Prosa p. 9 Stefano Beretta – La conoscenza del mondo attraverso l’esperienza estetica. Sui fondamenti della poetica di Robert Walser p. 27 Hermann Schlösser – Terra Santa. Über die Italienbücher Kasimir Edschmids p. 49 Alessandro Fambrini – Heine a Lucca p. 63 Eva Reichmann – Fische und Glasschränke. Frauenfiguren im Werk von Heimito von Doderer p. 81 Fausto Cercignani – «Leonce und Lena» e il teatrino del mondo p. 95 Fee-Alexandra Haase – Vom Brief zum Buch. Zur Gattung Brief in Christoph Martin Wielands Rezeption antiker Schriften im Zu- sammenhang mit der Literatur der Neuzeit p. 117 Raul Calzoni – Berlino: fra metropoli e differenza p. 135 Riccarda Novello – Die “rücksichtslose Freiheit” des Neinsagens. Bernhards «Auslöschung» und die Philosophie Schopenhauers p. 153 Vincenza Scuderi – Esperienza di sé nella scoperta dell’altro. Autori austriaci in Italia negli ultimi vent’anni p. 165 | | | | Studia theodisca VIII (2001), 9-26 Primus-Heinz Kucher (Klagenfurt) «Rätselhafte, unfaßbare Menschen waren die Frauen ...»* Anmerkungen zum Thema der Geschlechterbeziehungen in Döblins Prosa Wer die Geschlechterthematik bei Döblin von seinem bekanntesten Roman her, Berlin Alexanderplatz, zu fassen versucht, wird alsbald auf auf- fällige Rollen- und Identitätsentwürfe sowie auf eine weitverbreitete dif- fuse Gewalt im Kontext des Körperlichen bzw. Sexuellen und deren ver- schiedenartige Markierung durch pathologische oder metaphorische Dis- kurse und Bilder stoßen. Die vielleicht auffälligste Form der Metaphorisie- rung, zugleich von leitmotivischem Charakter, ist jene durch alttestamen- tarische Bilder, konkret durch das an fünf Stellen wiederkehrende der “Hure Babylon”, das fast wörtlich aus der Offenbarung des Johannes (17,5) von Döblin übernommen wurde: Und nun komm her, du, ich will dir etwas zeigen. Die große Hure, die Hure Babylon, die da am Wasser sitzt. Und du siehst ein Weib sitzen auf einem scharlachfarbenen Tier. Das Weib ist voll Namen der Lästerung und sieben Häupter und zehn Hörner. Es ist bekleidet mit Purpur und Scharlach und übergüldet mit Gold und edlen Stei- nen und Perlen und hat einen goldenen Becher in der Hand. Und an ihrer Stirn ist geschrieben ein Name, ein Geheimnis: die große Babylon, die Mutter aller Greuel auf Erden. Das Weib hat vom Blut aller Heiligen getrunken. Das Weib ist trunken vom Blut der Heili- gen.1 (BA 6. Buch, 211) * A. Döblin: Der schwarze Vorhang. In: Ders.: Jagende Rosse; S. 122. 1 Vgl. A. Döblin: Berlin. Alexanderplatz. Die Geschichte von Franz Biberkopf. Mit einem Nachwort von Adolf Muschg. München 1961, 21965 Künftig zit. mit Sigle BA und Seitenangabe. | | | | 10 Primus-Heinz Kucher In der Döblin-Forschung wurde diese Form der Metaphorisierung vorwiegend mit der dynamisch-aggressiven Dimension der Großstadt, dem anmaßenden Berlin maudit, der Krise der (schein)bürgerlichen deut- schen Gesellschaft Ende der 20er Jahre samt ihrer aus dem Wilhelminis- mus weitertradierten Wertvorstellungen gesehen, die unter den Schlägen der Inflation und Radikalisierung als hohle Konstrukte zusammenbrachen und das latente Gewaltpotential des deutschen Spießers (und als solcher ist ja Biberkopf mitmodelliert) an die Oberfläche bringen. Diese kultur- soziologische Lesart hat zweifellos einiges für sich und wirkt auch plausi- bel. Wären da nicht immer wieder Stellen im Roman, die weniger plausi- bel, sondern unvermittelt eruptiv, irritierend Nachfragen provozieren. Barbara Beckermann Cantarino ist – ausgehend von den Hure-Baby- lon-Bildern – in einem bemerkenswerten Essay diesen und ähnlichen Bildkonstellationen nachgegangen, um daraus eine These zu entwickeln, die das kulturelle Substrat auf geschlechtertypologische Rollenfixierungen ausweitet: Döblin hat [...] den Kulturpessimismus der Jahrhundertwende im mystisch-religiösen Bild der Hure Babylon aufgegriffen, mit der “Männerphantasie der kastrierenden Frau” verbunden und zur mo- nomanischen Idee verdichtet, daß erotische Dominanz über andere die Triebfeder des Lebens ausmache.2 (368) Sadomasochistische Phantasien, die im Frühwerk, d. h. bis zu den Er- zählungen im Umfeld der Ermordung einer Butterblume, wesentlich die the- matischen wie narrativen Texturen kennzeichnen, sowie die latente und offen ausgelebte Gewalt des Franz Bieberkopf (Mord an Ida, Vergewalti- gung ihrer Schwester, Abtretung Mietzes an Reinhold u.a.m.) zählen zu den wiederkehrenden Formen jener “erotischen Dominanz”. Sie können als Abbild eines geradezu pathologisch fehlverstandenen Männlichkeits- ideals, einer atavistischen und zugleich mystifizierten Gewaltanmaßung verstanden werden: Gewalt, Gewalt ist ein Schnitter, vom höchsten Gott hat er Gewalt. 2 Vgl. Barbara Becker Cantarino: Die Hure Babylon. Zur Mythisierung von Gewalt in Döblins Berlin Alexanderplatz. In: Reflektierendes Interpretieren. Festschrift für H. Laufhütte. Passau 1997, S. 367-374. Hier S. 368. Zum Hure-Babylon-Motivkomplex vgl. auch die ausgreifende Studie von Veronika Bernard: Babylons Erbe. Die körperliche Stadt als verkürzte Realitäts-Deutung. (Teil 1,2) In: Dvjs 72/1 (1998) S. 18-55 bzw. S. 316-346 (mit Beispielen von/Bezugnahmen auf George, Heym, Benn, Brecht, Auslän- der, Flake Borchert und G. Roth). | | | | Anmerkungen zum Thema der Geschlechterbeziehungen in Döblins Prosa 11 [...] Sie wirft sich noch, sie zappelt, sie schlägt hinten aus ... (BA, 317) Der Versuch, der brutalen Ermordung Mietzes durch Anrufung einer fernen Gottesinstanz eine Form von Legitimität und Schicksalshaftigkeit zu unterlegen, korrespondiert der Beziehungsunfähigkeit fast aller Prota- gonisten, deren Existenz von Sterilität und vom Unvermögen einer dialo- gischen Konfrontation mit den sich ändernden Konfigurationen und Rollenbildern geprägt ist. Weiblichkeit außerhalb des traditionellen Mut- terbildes gerät damit zwangsläufig in die Nähe irritierender, identitätsauf- lösender Potentiale und wird häufig in die Projektion der Hure gepreßt, wobei zugleich ein semantisches Areal über das Geschlecht hinaus mit- einbezogen wird: das chaotisch-triebhafte, aggressive, autodynamische, kaum domestizierbare (außer über Gewalt!) der Großstadt. Sie tritt viel- fach als der symbolische Über-Körper der Prostitution auf, verwischt die konkreten Konturen individueller Weiblichkeit und liefert – rückgekoppelt an den biblisch stigmatisierten Hure-Babylon-Diskurs – das geradezu zeitlose Modell misogyner Haltungen und Geschlechterdiffamierung, an deren Anfang nicht selten eine rätselhafte Komponente gestellt er- scheint3. Es drängt sich daher die Frage auf, warum Döblin über Jahr- zehnte hindurch in wichtigen, wenngleich nicht allen Romantexten Prota- gonisten nach dem Muster einer atavistisch-dumpfen Männlichkeit ent- wirft, die zugleich, und Biberkopf in geradezu fatalem Ausmaß, zu Emp- findungen im gleichgeschlechtlichen Umfeld fähig sind? Zeichnet hier Döblin bloß zeittypische Männlichkeitsideale und Stereotypen (die soldati- schen stiefelknechtischen Herrenprojektionen seit 1914 im Sinne von Klaus Theweleit4) nach oder verwendet er die Nachzeichnung bereits als diskurskritischen Ansatz in der Hoffnung, durch Potenzierung der Ge- walt-Bilder eine autodestruktive Bloßstellung oder wenigstens Ironisierung derselben zu erreichen, die LeserInnen auf das Glatteis eines piacere inter- rupto zu verführen? Daß er schlicht als Gefangener traumatisch erfahrener Verletzungen 3 Vgl. dazu auch Inge Stephan: Musen & Medusen. Mythos und Geschlecht in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Köln-Weimar-Wien 1997, bes. den Abschnitt über das “Rätsel Weiblichkeit” und literarische Sphinxdarstellungen zur Jahrhundertwende, S. 24ff. 4 Vgl. Klaus Theweleit: Männerphantasien. Bd. 2: Männerkörper- zur Psychologie des weißen Terrors. Reinbek 1980, bes. die Kapitel Kampf und Körper, S. 176ff. und Das Ich des soldatischen Mannes; S. 206ff. | | | | 12 Primus-Heinz Kucher aus den familiären Katastrophen her agiert, wie dies vor allem der Roman Pardon