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Reto Sorg »Wir leben in plakätischen Zeiten.« Robert Walser und der Literaturbetrieb seiner Zeit

Bald waren die eigenen Produkte, die den direkten Menschen offenbaren sollten, den Dichtern entfremdet. Carl Einstein 1. Kein Doppelleben

Ein eigentliches ›Doppelleben‹ wie , Alfred Döblin oder , die neben dem Schreiben alle einem bürgerlichen Beruf nachgingen, hat Robert Walser (1878–1956) keines geführt. Nach einer Ausbildung zum kaufmän- nischen Bankangestellten und anschließenden Wanderjahren, in denen das litera- rische Schrei­ben mit Gelegenheitsarbeit einherging, widmete er sich ab 1905 fast ausschließlich der Schriftstellerei – bevor er 1933 aufgrund einer persönlichen Krise und wegen der erzwungenen Überführung aus einer psychiatrischen Heilanstalt in in eine solche in (Appenzell) das Schreiben vollständig aufgab. Dass Walser in seinem Spätwerk, das ab den 20er Jahren entsteht, die bürgerliche Vorstel- lung vom freien Schriftsteller als trügerisch entlarvt, verbindet ihn mit kritischen Zeitgenossen wie , Carl Einstein, oder . Das idealistische Konzept der poetischen Berufung wird bei Walser identisch mit der Ausübung eines Berufs, denn sein autofiktionales Schreiben bezieht den emphati- schen Selbstentwurf des Dichters auf die pragmatisch-nüchternen Produktionsbe- dingungen der modernen Schriftstellerexistenz. Dabei nährt die Darstellung, die Walser seinem ›Poetenleben‹1 verleiht, den Verdacht, das evozierte Schriftsteller-Ich sei in Wirklichkeit ein Angestellter des Literaturbetriebs.2 Die erste Publikation, die man von Robert Walser kennt, erfolgte 1898 sinniger- weise in einer Zeitung.3 Als ob ihm dafür ewiger Dank gebührte, zauberte das Feuil- leton auch noch ungedruckte Walser-Texte aus seinen Schubladen, als der Autor

1 Vgl. SW 6 (Poetenleben, 1917). Die Texte Robert Walsers werden nach der folgenden Ausgabe zi- tiert: Robert Walser, Sämtliche Werke in Einzelausgaben, hg. von J. Greven, 20 Bde., Zürich, Frank- furt a. M. 1985/86, und zwar unter der Verwendung der Sigle SW, der Angabe von Bandnummer und Seitenzahl(en) sowie der Anführung des jeweiligen Texttitels und des Erscheinungsjahres in Klammern. – Für Hinweise und Unterstützung danke ich herzlich Gelgia Caviezel, Bernhard Echte, Lucas Marco Gisi, Barbara Loop, Peter Stocker und Peter Utz. 2 Zur ambivalenten Bedeutung der Angestelltenkultur in Walsers Werk vgl. Reto Sorg, Lucas Marco Gisi, »›Er gehorcht gern und widersetzt sich leicht.‹ Zur Figur des Angestellten bei Ro- bert Walser«, in: Robert Walser, Im Bureau. Erzählungen, hg. u. mit einem Nachw. von R. Sorg, L. M. Gisi, 2011, S. 129–143. 3 Am 8. Mai 1898 erschienen Walsers Lyrische Erstlinge im Sonntagsblatt des Bund, der Wochenendbei- lage der Berner Tageszeitung . 168 | Reto Sorg längst zu schreiben aufgehört hatte.4 Dabei hatte Walser dieses Medium keineswegs gesucht. 1907, als er bald dreißig war, wollte er noch lieber »›unter die Soldaten‹« gehen, als »Zeitschriftenlieferant«5 zu werden, um jedoch schon 1912 resigniert zu konstatieren, es habe ihn »das barsche Leben in die Bahnen eines exekutierenden Feuilletonisten«6 geschleudert. 1928 zögerte nicht, Robert Walser weniger für seine Bücher als für die »zarten oder stachligen Blüten« der Feuilleton- beiträge zu loben, mit denen er wie und Franz Hessel »der Öde des Blätterwaldes« entgegenwirke.7 Das Bild des Feuilletonisten Walser, das man gewin- nen konnte und das auch Walser selber aktiv beförderte, darf nicht verdecken, dass er nebst seiner Tätigkeit als »›Zeitungsschreiber‹«8 und »›Journalist‹«9 liebend gern der gestandene »Schriftsteller«10 und Buchautor geblieben wäre, der zwischen 1904 und 1925 fünfzehn Bücher vorgelegt hat, die nebst Kurzprosa auch Romane, Ge- dichte, Erzählungen, Dramolette und dramatische Szenen umfassten.11 Es trifft zu, dass Walser bei aller Verstrickung im Feuilletonismus12 seiner Zeit »vom literarischen Cliquenbetrieb«13 Abstand hielt und in mancherlei Hinsicht der Außenseiter14 blieb, der er von Anfang an gewesen war.15 Dabei war er aber keines-

4 Im Prager Tageblatt, dessen Redaktor Max Brod Walser besonders zugetan war, wurden bis 1938 vereinzelt unveröffentlichte Walser-Texte gedruckt, obschon der Autor seit Mitte 1933 nichts mehr geschrieben hatte. 5 Robert Walser, Briefe (1975), hg. von J. Schäfer unter Mitarb. von R. Mächler, Frankfurt a. M. 1979, S. 49 (Brief vom 18. Januar 1907 an ). 6 SW 15, 73 f., hier 73 f. (Was aus mir wurde, 1912). 7 Walter Benjamin, Robert Walser (1929), in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von R. Tiedemann, H. Schweppenhäuser, 7 Bde., Frankfurt a. M. 1991 ff., Bd. II,1., S. 324–328, hier S. 324. 8 SW 20, 427–430, hier 429 (Meine Bemühungen, 1928/29). 9 SW 18, 59–110, hier 61 (Das »Tagebuch«-Fragment von 1926). 10 Ebd. 11 Vgl. Reto Sorg, Lucas Marco Gisi (Hg.), »Jedes Buch, das gedruckt wurde, ist doch für den Dichter ein Grab oder etwa nicht?« Robert Walsers Bücher zu Lebzeiten, Bern 2009 (Schriften des Robert Walser- Zentrums 1). – Walser konnte seine Bücher in renommierten Verlagshäusern wie Insel, Cassirer oder Rowohlt unterbringen, es war ihm aber nicht gegeben, sich an einen Verlag zu binden; vgl. dazu Bernhard Echte, »›Wer mehrere Verleger hat, hat überhaupt keinen.‹ Untersuchungen zu Robert Walsers Verlagsbeziehungen«, in: Rätus Luck (Hg.) unter Mitarb. von Peter Edwin Erismann, Peter Kraut, Geehrter Herr – lieber Freund. Schweizer Autoren und ihre deutschen Verleger. Mit einer Umkehr und drei Exkursionen, , Frankfurt a. M. 1998, S. 201–244. 12 Zum Stellenwert des Feuilletons bei Walser vgl. Peter Utz, Tanz auf den Rändern. Robert Walsers »Jetztzeitstil«. Frankfurt a. M. 1998, S. 295–368; zum Boom der Kurzprosa nach 1900 vgl. Reto Sorg, »Kurze Prosa«, in: Sabine Haupt, Stefan Bodo Würffel (Hg.), Handbuch Fin de Siècle, 2008, S. 369–414. 13 Carl Seelig, Wanderungen mit Robert Walser (1957), neu hg. u. mit einem Nachw. von E. Fröhlich, Frankfurt a. M. 1984, S. 10. 14 Vgl. Dieter Fringeli, Dichter im Abseits. Schweizer Autoren von Glauser bis Hohl, Zürich, München 1974, Jochen Greven, Robert Walser. Figur am Rande, in wechselndem Licht, Frankfurt a. M. 1992 und ders., Ro- bert Walser – ein Außenseiter wird zum Klassiker. Abenteuer einer Wiederentdeckung, Lengwil 2003, S. 42–45. 15 Zu Walsers kleinbürgerlicher Herkunft und seiner autodidaktischen Bildung vgl. Robert Mäch- ler, Das Leben Robert Walsers. Eine dokumentarische Biographie (1966), Frankfurt a. M. 1978, S. 13–48.