Aus Der Iüdischen
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Heft Nr. 14 - 2/97 SACHOR - Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-pfalz 1. Spuren der ersten jüdischen Mit- bürger Ein Geheimnis wird es wohl immer blelben, wann sich die ersten jüdischen Menschen in Nievern ansiedelten. Si- Aus der cher ist, daß sie schon früher hier leb- iüdischen ten, als die historischen Dokumente belegen. Geschichte uon Für unser Heimatgebiet ist bekannt, daß mit der Eroberung des Rheinlan- des durch die Römer im 1 . Jahrhundert Nievern vor Christus Juden in den verschieden- sten Diensten in den Legionen oder deren Gefolge - als Sklaven, Freie, von Elmar Ries Soldaten, Kaufleute oderArzte - zu uns kamen. Einzelheiten können aber da- rüber nicht belegt werden. Zum ersten Mal begegnet uns der Name,,Jude" in den historischen Doku- Patin war die erlauchte Gräfin Sophia sten Juden im Jahre 1679 erwähnt, menten im Jahre 1629. Hellmuth Gen- M a ri a, di e älteste Tochte r Sei n e r D u rc h - und beide Ofte haben in der Folgezeit, sicke erforschte in ,,das Kirchspiel und laucht des Herrn Grafen Karl Kaspar was ihre diesbezügliche Geschichte die Herrschaft Nievern", daß am 18./ von der Leyen, Herren zu Adendorf, betrifft, vieles gemeinsam. 28.3.1629 Heinrich August von Staffel Nievern und des Gebietes der Trieri- mit Einwilligung - der Lehnsherren, der sc h e n Lan d H of m e i ste re i. I n Ve rtretu ng 2. Dieiüdischen Einwohnervon Nie- Grafen von Nassau, die Herrschaft Nie- der Patin stand dem Täufling bei die vern im 19. Jahrhundert vern mit Fachbach und Miellen und mit tugendsame Frau Anna, Frau des 2.1. Das erschwerte Leben der jüdi- den doftigen Eigentümern für 17.000 Ley'schen Bürgers in Nievern Johan- schen Menschen in dieser Zeit Gulden an Damian von der Leyen ver- nes Berndt. Von Nievern ist erst mit Dokumen- kauft hat, der noch gleichen im Jahr F. Johannes Theodorus Trippler ten belegt, daß es im Jahre 1818 - mit dies in Besitz nehmen ließ. Zu den Aus dem Praemonstratenser-Orden, Fachbach und Miellen gemeinsam - aufgezählten Besitztümern und Rech- Regular-Kanoniker einen jüdischen Religionslehrer ange- ten gehöde auch,,Judenschatzung", von Arnstein, z.Z. Pfarrer da hier. stellt hatte, der 1825 ,,ausgewiesen" was jüdische auf Einwohner schließen eigenhändig." wurde, weil er,,Ausländer" war. läßt. Dieser Begriff ist also der erste Wie wichtig diese Taufe damals Die Notwendigkeit eines Religions- urkundlich jüdi- belegte Hinweis auf genommen wurde, beweist die Tatsa- Iehrers für Nievern im Jahre 1818 läßt sche Menschen in Nievern und seinen che, daß die älteste Tochter des dama- auf mehrere jüdische Schulkinder, die- Nachbaroften. ligen Landesherrn - Gräfin Sophie Ma- se auf mehrere Familien und damit das Ganz merkwürdig ist dann der Um- ria von der Leyen - Patin gewesen ist. Bestehen einer jüdischen Gemeinde stand, wie die erste namentlich be- vor diesem Jahre schließen. kannte jüdische Person Nieverns in die Anme rku n g des C h ron isten : Bei den Familien handelte es sich Geschichte eintritt. Sie heißt ,,Lina", Was sagt uns heute jenes Doku- um sogenannte,,Schutzjuden". lhr Blei- und der 10. Oktobel1716 wird für sie ment des Jahres 1716? berecht am Oft mußten sie mit dem zu einem wichtigen Tag, denn sie gibt Man glaubte damals, mit dieser Erwerb eines teuren,,Schutzbriefes" damals ihrJudentum auf und wird christ- Taufe dem ,,Judenmädchen Lina" Gu- beim Landesherrn erkaufen, dem da- lich geiauft. tes anzutun, - wahrscheinlich sogar - nach eine hohe jährliche Sonderzah- Woherwissen wirdas? Einem glück- es vor der ewigen Verdammnis zu rel- lung (,,Schutzgeld") folgte. Dabei wur- lichen Umstand ist es zu verdanken, ten. Die christliche Kirche sah sich zu de der Schutz meist nur auf wenige daß im Deckeldes ältesten erhaltenen dieser Zeit als die allein heilbringende Jahre zugesicherl und mußte dann Kirchenbuches von Nievern folgende und die jüdische Religion als überhott immer wieder verlängert werden. Eintragung die Zeiten überdauert hat: und damit vergleichsweise als minder- ,,Auch wurde aus jeder einheimF Jahre ,,lm 1716, am 19. Sonntag nach wefiig an. schen Familie meist nur dem ältesten Pfingsten, der am 10. Oktober war, Diese negative Einschätzung zum Sohn der landesherrliche Schutz er- habe ich, Endesunterzeichneter, feier- Judentum, die einer totalen Verken- teilt, während die übrigen Söhne und lich vor allem Volke in der Pfarrkirche nung seiner großen religiösen Tiefe, Töchter zusehen mußten, wo sie spä- zu Nievern vor dem Hochamt ein Ju- Weisheit und Ethik gleichkam, vertrat ter blieben."l) denmädchen getauft. Sie war etwa 18- die christliche Kirche bis in die Mitte Eine stete Unsicherheit bestimmte 19 jüdi- Jahre alt, mit Namen Lina, von des 20. Jahrhunderts offiziell. damals die jüdische Existenz, welche schen Eltern in Grenzhausen, nach- Pfarrer Trippler und seine Gemein- durch die lntoleranz der christlichen dem sie ungefähr 18 Monate im Pfarr- defolgten also 1 Tl6deraktuellen, noch Umwelt noch verstärkt wurde. Sie wa- haus Tag und Nacht geweilt hatte und 250 Jahre gültigen intoleranten Lehr- ren trotz ,,Schutzbrief und -geld" nur durch mich oder einen Beauftragten meinung ihrer Kirche. geduldete Untertanen, keine Mitglie- genügend in den christlichen Glaubens- Von Menschen jüdischen Glaubens der der bürgerlichen Gesellschaft. Sie artikeln und christlichen Sitten genü- ist in diesem Dokument keine Rede. waren im Vergleich zu den christlichen gend unterrichtet worden war. lm Nachbardorf Frücht sind die er- ,,staatsbürgerlichen" n u r,,nichtbü rgerl i- r 6 SACHOR - Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-pfalz Heft Nr. 14 - 2 97 che" Gemeindeangehörige gewesen. hatten zur Folge, daß ein Großteil der an dieArmen geschehen soll, soscheint lhre Einschränkungen im täglichen Juden im 15. und 16. Jahrhundertver- es doch dem beabsichtigten Zweckam Leben beschrieb die ,,Denkschrift des armte. Bis zur Mitte des 19. Jahrhun- entsprechendsten, wenn solche dem nassauischen Staatsministeriums zur derts währte in unseren Landen diese zutreffenden judenschaftlichen lJ nter- Judenfrage im Jahre 1821" sol: jüdischen ,,Von ,,Ausbeutung" der Personen. stütz u n gsfo n d zu g ewe nd et we rde n. Es bürgerlichen Gewerben waren sie aus- Erst dann fiel das diskriminierende ist daher tunlich dahin zu wirken."z) geschlossen, sie konnten keine Lie- ,,Schutzgeld" weg. genschaften (Grundbesitz) ohne be- Zu alledem standen die jüdischen Als weiteres noch gravierenderes sondere Erlaubnis erwerben, kein Menschen in der 1 . Hälfte des 19. Jahr- Beispiel der staatlichen Einflußnahme Handwerk lernen oder betreiben, Et- hunderts noch unter strenger Aufsicht auf religiöses jüdisches Leben soll der lenwaren- und Spezereihandel, Koto- der,,Herzoglich Nassauischen Landes- Erlaß der,,Hezoglich Nassauischen nialwarenhandel war ihnen an den regierung". lmmer wieder griff diese in Landes-Regierung" dienen, der 183'l meisten Orten versagt, und nur der einer für uns heute unverständlichen in Wiesbaden an die Herzoglichen Handel mit Vieh, Felten, Fellwaren, Weise in das religiöse Leben der jüdi- Amtmänner versandt wurde. Dieses Schlachten etc. stand ihnen frei." schen Gläubigen ein. Zwei Beispiele Dokument ist in vieler Hinsicht so inter- Sie waren in die wenig geachteten sollen das beweisen. essant, daß ich seinen vollen Wortlaut Berufe des Kleinhändlers oder des Am 16. September 1829 wurden in wiedergebe: Geldwechslers gedrängt. Vielen Juden, Wiesbaden die Herzöglichen Landes- ,,4d. Num. Reg.3057. vor allem auf dem Lande, blieb somit ämter Naussaus (hier St. Goarshau- Auf MinisterialResolution vom 20. Ja- nur der sogenannte ,,Nothandel", wo- sen) laut ErlaB Num.Reg. 28,884 an- nuar, die Einführung des von Dr. runter man vor allem den Hausier-, gewiesen, streng dahin einzuwirken, Herxheimer, Kreisrabbiner zu Eschwe- Leih- und Trödelhandel verstand. ,,den bei Juden-Hochzeiten stattf inden- ge, herausgegebenen Lehrbuchs der Unter der Territorialgewalt des Frei- den Bettelunfug" abzustellen. jüdischen Glaubens- und Pflichtenleh- herrn von und zum Stein (1757-1801) re im Herzoglichen Nassau betreffend. durften die Juden kein Gewerbe trei- An merku ng des Ch ron isten : Dieses Lesebuch enthält wahrhaft reli- ben ohne Zustimmung des Landes- Seit Jahrlausenden war es in jüdi- giöse Grundsätze und reine Moral, so herrn; Handel mit Vieh durften sie nur schen Kreisen ein traditioneller und daß es allgemein empfohlen werden dann ausüben, wenn sie im Besitz ei- sehr sinnvoller Brauch der Brautleute, kann und zu wünschen ist, daß solches nes zusätzlichen,,Schutzbriefes" wa- an ihrem Hochzeitstage Arme und Not- andere schädliche Bücher, welche jetzt ren, für jährlich den acht Gutden ('180S) leidende mit Almosen zu beschenken hier und da dem mosaischen Retigions- an die gräfliche Kasse in Nassau zu oder sie sogar bei ihrem Festmahl teil- unterricht zum Grunde liegen mögen, zahlen war. nehmen zu lassen. - Erinnern wir uns verdränge. ln einem solchen,,Schutzbrief" des an das Gleichnis Jesu, bei dem Außen- Es r.sf daher dessen Einführung im Jahres 1805 stand z.B. unter Punkt 1 stehende zum Hochzeitsmahl gerufen l-lerzogthum höheren Orts genehmigt fürden jüdischen Bürger Moses Samu- und geladen wurden. - worden, und da der Preis zu 24 Kr. el zu Frücht, daß er,,sich sowohl über- Notdürftige Juden haben also 1829 nicht hoch rsf, so wird auch in dieser haupt als in gegen spezie die Freiherr- diese karitative Geste genutzt, um end- H insicht dem allgemeinen Gebrauche lich vom Steinschen Untertanen alles lich einmal wieder satt werden zu kön- dieses nützlichen Buchs für den Unter-