Aufgeklärter Absolutismus Und Revolution

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Aufgeklärter Absolutismus Und Revolution Universitäts- und Landesbibliothek Tirol Aufgeklärter Absolutismus und Revolution Reinalter, Helmut Wien [u.a.], 1980 I. Zur Forschungssituation — Versuch einer Quellen- und Literaturübersicht urn:nbn:at:at-ubi:2-18477 I. ZUR FORSCHUNGSSITUATION —VERSUCH EINER QUELLEN - UND LITERATURÜBERSICHT Daß über die Jakobinerbewegungen in der Habsburgermonarchie erst re¬ lativ spät , nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges , geforscht und gearbeitet wurde , hängt natürlich mit dem Umstand zusammen , daß bis zum Zusammen¬ bruch der Monarchie dynastische Interessen jede Einsichtnahme in die Haupt¬ quellen der Wiener Jakobiner 1792—1794, in die „Vertraulichen Akten “, zu ver¬ hindern wußten . Dieser Bestand wurde nämlich auf Weisung Kaiser Franz II. lange Zeit in der Hofburg als Geheimsache aufbewahrt und damit dem Zugriff der Forschung entzogen . Auch als Kaiser Franz Joseph im Jahre 1878 dieses Quellenmaterial an das Haus -, Hof- und Staatsarchiv überstellen ließ , durfte nie¬ mand an die Archivalien heran , da er ausdrücklich die Verfügung traf , es un- durchsucht dort deponiert zu lassen 1. Auch nach 1918 fand sich kein Historiker , die Bearbeitung dieses noch brachliegenden Materials in Angriff zu nehmen und von diesem — für die österreichische Geschichte nicht unwesentlichen — Ereignis Notiz zu nehmen . Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begannen dann langsam einige Historiker — in erster Linie Ausländer — die bisher unberührten archiva- lischen Schätze zu durchforschen und als Ergebnis Spezialuntersuchungen wie vereinzelt auch Quellendokumente zu veröffentlichen . Erst in jüngster Zeit — nachdem seit dem Prozeß gegen die Wiener Jakobiner sechs Generationen ver¬ strichen sind — setzt nun die Jakobinerforschung auf breiterer Basis ein . Die neuesten Arbeiten versuchen dabei aus verschiedenen Perspektiven die Ziel¬ vorstellungen der Jakobiner zu interpretieren und den oft abenteuerlichen Spuren ihrer Tätigkeit zu folgen 2. 1 Über die Quellenlage und das Schicksal der Vertraulichen Akten (VA) vgl. Ludwig Bittner (Hrsg.), Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, 2, Wien 1937, 117 ff ., 142 ff.; weitere Hinweise bei Körner , Die Wiener Jakobiner, a.a.O., 16; Silagi , Jakobiner in der Habsburger -Monarchie, a.a.O., 11 ff. 2 Bleibende Verdienste um die Erforschung des Jakobinismus in Deutschland erwarb sich Walter Grab (Tel Aviv ) mit der Herausgabe der in Stuttgart erschienenen Reihe „Deutsche revolutionäre Demokraten “. Aus marxistisch -leninistischer Sicht lieferte in erster Linie Heinrich Scheel (Berlin/DDR ) eine grundlegende Sammlung von Materialien sowie Interpretationen über den deutschen Jakobinismus , insbe¬ sondere in bezug auf Süddeutschland und Mainz. Der Jakobinerforschung in der Habsburgermonarchie nahmen sich in den letzten Jahren verschiedene in- und aus¬ ländische Wissenschaftler an, wie z. B. Alfred Körner (Blecher—Odenthal ), Franz¬ josef Schuh (Hamburg ), Edith Rosenstrauch -Königsberg (Wien) und Dana Zwitter- Tehovnik (Klagenfurt ). Auch der Verfasser der vorliegenden Darstellung konnte mehrere Studien zum österreichischen Jakobinertum und seiner Vorgeschichte bei¬ steuern . — Grab wirft der deutschnationalen Geschichtsschreibung vor, den Jakobi- 24 I. Zur Forschungssituation Ihre Aktivität im süddeutschen Raum wurde in einer umfassenden Dar¬ stellung des DDR-Historikers Heinrich Scheel aufgezeigt 3. Diese groß ange¬ legte , auf ungewöhnlich breiter Quellenbenutzung beruhende Studie geht vom marxistisch -leninistischen Revolutionsbegriff aus und versucht mit Methoden der marxistischen Geschichtsauffassung die Klassenkämpfe und republika¬ nischen Bestrebungen im deutschen Süden zu erforschen , wobei für Scheel, durch Zitate von Marx und Engels belegt , die aus der Industrialisierung und den Lehren der Französischen Revolution resultierenden Spannungen für die nismus und die revolutionär -demokratischen Bestrebungen in Deutschland bewußt negativ beurteilt oder überhaupt verschwiegen zu haben (s. Einleitung zu Engels, a.a.O., VIII ff . (Anm . 3—5), hebt aber gleichzeitig die Historiographie der DDR her¬ vor , die nach seiner Auffassung die Bedeutung der sozialen und revolutionären Be¬ wegungen Ende des 18. Jahrhunderts im vollen Umfang erkannt hätte (ebd ., Xf ., Anm . 8—10). Braubach hingegen betonte die Überschätzung der Bedeutung und Wir¬ kung deutscher Jakobiner durch die DDR-Historiker (s. Max Braubach , Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß , in : Gebhardt -Grundmann , Hand¬ buch der deutschen Geschichte , 3, Stuttgart 1970, 1 ff ., bzw . dtv WR 4214, 14, München 1974, 16 (Anm . 6). — Nach zahlreichen Untersuchungen über Ziele , Wege und Wirkun¬ gen revolutionärer Demokraten in Mitteleuropa steht fest , daß die sicher material¬ reichen Arbeiten der DDR-Historiker das Phänomen des Jakobinismus ideologisch etwas eingeengt auf der Grundlage der materialistischen Geschichtsauffassung analy¬ sieren und bewerten , während die Geschichtsschreibung in der BRD und in Österreich erst relativ spät erkannte , daß die Jakobinerbewegungen mehr als nur eine histori¬ sche Randerscheinung gewesen sind . Gerade die jüngsten Arbeiten auf diesem Ge¬ biet haben dies mit Deutlichkeit klargestellt . In diesem Zusammenhang muß hier ab¬ schließend auf den viel zu schematischen und polemischen Versuch von Hellmut G. Haasis : Bibliographie zur deutschen linksrheinischen Revolutionsbewegung 1792/1793 (Scriptor Literaturwissenschaft ), Kronberg/Ts . 1976, 7 ff ., hingewiesen werden , der die Tendenzen der Jakobinerforschung in vier Gruppen zusammenfaßt : konservative Interpretation , rechtsliberale , linksliberale und historisch -materialistische Interpreta¬ tion. Wichtige Literaturhinweise zur Geschichte des mitteleuropäischen Jakobinismus bieten : Walter Grab in den zitierten Einleitungen zur Reihe „Deutsche revolutionäre Demokraten “; Heinrich Scheel , Deutsche Jakobiner , a.a.O., 1130 ff .; drs ., Die Mainzer Republik im Spiegel der deutschen Geschichtsschreibung , a.a.O., gekürzt und etwas geändert auch in : Demokratisch -revolutionäre Literatur in Deutschland : Jakobinis¬ mus , hrsg . von G. Mattenklott und Klaus R. Scherpe (Literatur im historischen Prozeß 3/1), Kronberg/Ts . 1975, 11 ff .; drs ., Forschungen zur deutschen Geschichte 1789—1848, in : Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 18 (1970), 380ff .; Axel Kuhn, Der schwierige Weg zu den deutschen demokratischen Traditionen , a.a.O.; Dietfrid Krause -Vilmar , Neuere Literatur zum deutschen Jakobinismus , in : Das Argument 52 2/3 (1970), 233 ff .; Joachim Heilmann — Dietfrid Krause -Vilmar , Zum deutschen Jakobinismus . Ein Lesehinweis , Nachwort zu Albert Soboul , Die Große Französische Revolution , 2, Frankfurt/M . 1973, 575 ff .; Silagi , Jakobiner in der Habsburger -Monar¬ chie, a.a.O., 11 ff .; Reinalter , Die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der österreichi¬ schen Jakobiner , a.a.O.; drs ., Probleme und Schwerpunkte der mitteleuropäischen Jakobinismusforschung , Einleitung zum Sammelband Jakobiner in Mitteleuropa , Inns¬ bruck 1977. 3 Heinrich Scheel , Süddeutsche Jakobiner . Klassenkämpfe und republikanische Bestrebungen im deutschen Süden Ende des 18. Jahrhunderts (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin . Schriften des Instituts für Geschichte 1/13), Berlin/DDR 1962 (21971). Versuch einer Quellen - und Literaturübersicht 25 um 1790 feststellbaren Revolutionspläne entscheidend waren . Die mit großem Fleiß erstellte Materialsammlung macht dieses Werk für die Geschichte des Jakobinismus zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel , auch dann , wenn die von Scheel gezogenen Schlußfolgerungen beim kritischen Leser nicht immer Zu¬ stimmung finden können . In einer sorgfältig ausgewählten Dokumentation 4, die er der erwähnten Arbeit folgen ließ , weist er auf die erstaunliche Viel¬ falt der jakobinischen Manifeste zur Volkserhebung in den von ihm behandel¬ ten Gebieten Süddeutschlands hin , mit der er den Nachweis erbringen möchte, daß diese systematische Propagandatätigkeit der Jakobiner das Aufbegehren der werktätigen Massen nicht unwesentlich erleichtert hat . Ohne Zweifel ver¬ mittelt diese Sammlung interessanter Pasquillen , Flugblätter , Verfassungsent¬ würfe und Revolutionsschriften einen wertvollen Einblick in die Propaganda der Jakobiner und bestätigt die Tatsache , daß die Französische Revolution die schon vorher vorhandenen Ansätze antifeudaler Kritik verschärfte. Heinrich Scheel , der zwischen französischen und deutschen Jakobinern sehr wohl zu differenzieren weiß , hat als entscheidenden Wesenszug des deutschen Jakobinismus dessen konsequent bürgerlichen Demokratismus hervorgehoben: „ . Um zu einer brauchbaren Definition zu gelangen , bietet sich uns ein Wort Lenins an . Lenin sah die historische Größe der wahren Jakobiner darin , ,daß sie Jakobiner mit dem Volk waren , mit der revolutionären Mehrheit des Vol¬ kes .* Diese Bemerkung kennzeichnet als einen entscheidenden Wesenszug des Jakobinismus seinen konsequent bürgerlichen Demokratismus . Nun sind objek¬ tiv zwar die deutschen Jakobiner ,ohne Volk * geblieben , denn nirgends — das Linksrheinische bis zu einem gewissen Grade ausgenommen — haben sie tat¬ sächlich Massen in Bewegung gebracht . Doch subjektiv , in ihrer Zielsetzung, vertraten sie revolutionär -demokratische Grundansichten , die sie nach Mög¬ lichkeit auch anzuwenden sich bemühten . Daß ihnen dabei enge Grenzen ge¬ setzt waren , steht auf einem anderen Blatt und trifft nicht als Vorwurf die kleine Schar jakobinischer Avantgardisten , die unmöglich das leisten konnte, was das Bürgertum als Klasse versäumte . Die
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