Musikstunde Mit Katharina Eickhoff Dienstag, 7
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__________________________________________________________________________ Musikstunde mit Katharina Eickhoff Dienstag, 7. Dezember 2010 Schwabenstreiche – Ausfahrten in romantischer Seelenlandschaft mit Kerner, Uhland, Mörike und den Freunden Teil II: Im Gartenhaus Indikativ „Hier kotzte Goethe“. Das schon ziemlich abgeblätterte Schildchen hängt da, als könne es kein Wässerchen trüben, unter einem der Fenster am alten Gebäude gegenüber der Tübinger Stiftskirche. Mit der Tatsache, dass man hier auf jedem zweiten Meter irgendeine geistesgeschichtliche Gedenktafel anbringen könnte, geht man in Tübingen schon lange ironisch um. Dass den Olympier hier vor Ort tatsächlich mal ein Unwohlsein befiel, ist unwahrscheinlich, denn Goethe hat ja seine wilde Studentenzeit nicht in Tübingen verbracht, er war bloß auf der Durchreise mal ein paar Tage hier und fand die Stadt abscheulich. Also hat er womöglich doch...? – Na, egal. Justinus Kerner jedenfalls hat genau dort gewohnt, wo das fatale Täfelchen heute hängt, im sogenannten „Martinianum“, dem ältesten Studentenwohnheim Tübingens. Im 17. Jahrhundert hat die Stiftung dieses große neue Haus bekommen, das dann noch zu Kerners Zeiten „Der Neue Bau“ genannt wurde, und im Neuen Bau wohnen – und vor allem: feiern – bis heute Studenten. 2 „Wer pöbelt, anmacht oder schnorrt, fliegt raus“, steht drinnen auf einer gelben Tür, die eindeutig in eine Art Fetenraum führt, und überhaupt fühlt man sich, sobald man sich durchs quietschende Tor in die Einganshalle zwängt, ganz schnell wieder wie zwanzig: Es riecht atemberaubend nach kaltem Rauch und verschüttetem Bier, dazu Fahrräder, Graffiti und kreischbunt mit Veranstaltungsplakaten gepflasterte Wände, Aufrufe zur Anti-Castor-Demo, Annoncen für freie Zimmer und Yoga-Kurse, Einladungen zum Konzert des Ernst-Bloch-Chors Tübingen, der tapfer gegen die seltsamerweise immer noch vorhandenen schlagenden Studentenverbindungen ansingt – und mittendrin, ein bisschen blass und angenagt, der Grabstein des Stiftungsgründers Martin Plantsch aus dem 16. Jahrhundert. Hier also, im Neuen Bau in der Münzgasse, hat die Schwäbische Romantik mit Kerner, Uhland, Gustav Schwab und einigen Studienfreunden ihren Anfang genommen, und von hier ist der frischgebackene Doktor Justinus Kerner dann nach seiner Promotion im Frühjahr 1809 davongezogen, um sich ein bisschen in der Welt umzusehen. Der Weg zu seiner Heimatbasis, der Familie in Ludwigsburg, führt über Stuttgart, und Kerner ist ihn mehr als einmal zu Fuß gegangen. Etwa in der Mitte dieser knapp elfstündigen Fußreise liegt Echterdingen, und dort, im Gasthaus Hirsch, hat Justinus Kerner eins seiner berühmtesten Gedichte geschrieben: 3 CD T. 12 3’00 R. Schumann/J. Kerner, Wanderlied Christoph Prégardien, Michael Gees RCA 74321 73235 2, LC 00316 ...gedichtet im Jahr 1809 im Gasthaus Hirsch zu Echterdingen. Das gibt’s heute erfreulicherweise immer noch, und auch, wenn die Wirtsstube eventuell schon mal gemütlicher war: Man kann dort nach wie vor einen ordentlichen Rostbraten kriegen, und die Filderbürger, die da vor ihrem Trollinger mit Lemberger sitzen, sind ausgesprochen kontaktfreudig, irgendwie scheint der Zauber des Orts auch zweihundert Jahre später noch zu wirken. Der „Hirsch“ war nämlich schon zu Kerners Zeiten eine Legende, ein Treffpunkt und echter Dichter-Hotspot: Lavater und Schiller, Kerner, Uhland und später auch Mörike, Wilhelm Hauff und Lenau und überhaupt tutti quanti haben hier ein Viertele und manchmal auch ein Viertele zuviel geschlotzt, denn in dieser Wirtschaft kehrten alle ein, die von Nord nach Süd oder von Süd nach Nord unterwegs waren. Es gibt diesen Spruch aus dem 19. Jahrhundert, den alle kannten, die den Hirschen kannten, und der da hieß: „Wenn wir uns auf dieser Welt nicht mehr sehen, im Echterdinger „Hirsch“ treffen wir uns wieder.“ Das schöne, große Fachwerkhaus steht an der sogenannten „Schweizer Straße“, dem zentralen Weg, den die Kutschen von Stuttgart nach Süden genommen haben. Die Kutschen, und auch die Fußgänger: Den Postwagen, der zwei mal die Woche zwischen Tübingen und Stuttgart fuhr, konnten sich die Studenten ja nur selten leisten. 4 Aus dem Stuttgarter Kessel ging’s also zu Fuß die Alte Weinsteige hoch, vorbei an der Degerlocher Poststation, dem Wirtshaus Ritter, wo man früher die Pferde wechselte und wo heute eine Pilsbar die Gäste verscheucht, und dann über die Fildern und durch den Schönbuch. In der Krone in Waldenbuch, heute Ziel für Feinschmecker, war dann traditionell die nächste Raststation: „Schoppen in Waldenbuch. Geldklemme.“, schreibt zum Beispiel Kerners bester Freund Ludwig Uhland in seinem Tagebuch. Hier an der Schweizer Straße nehmen wir jetzt erstmal Abschied von Justinus Kerner und lassen ihn in die Welt hinauswandern, bzw. nach Wien, wo er neben anderen interessanten Leuten auch Ludwig van Beethoven kennenlernt. Ob die zwei es nett hatten, ist nicht überliefert, sicher ist, dass Kerner sich mit Beethovens Wiener Kompositionslehrer Johann Georg Albrechtsberger viel zu sagen gehabt hätte, der war nämlich auch ein Freund von Justinus Kerners Lieblingsinstrument, der Maultrommel – Albrechtsberger, der kurz vor Kerners Ankunft in Wien gestorben ist, hat sogar ganze Konzerte für sie komponiert. Das klingt dann so: CD T. 6 3’50 Johann Georg Albrechtsberger, Konzert für Maultrommel, Mandora und Orchester F-Dur, Menuetto Fritz Mayr, Dieter Kirsch, Münchener Kammerorchester, Hans Stadlmair Orfeo C 035 821 A, LC 8175 5 „Tübingen ist in der Vakanz wie ein umgestürzter Handschuh: es liegt wie in einem recht leeren und stillen Katzenjammer da, und die gegenwärtige Jahrszeit, die trübe Witterung stimmt vollkommen dazu.“ Das schreibt, herbstlicher Stimmung, Eduard Mörike aus Tübingen an einen Studienfreund. Es ist das Jahr 1828, und Mörike studiert hier gar nicht mehr, hat schon vor zwei Jahren mühselig seinen Abschluss in Theologie am Stift gemacht und versucht gerade erfolglos, den Pfarrberuf lieben zu lernen,- aber gerade ist er mal wieder hier, sitzt vergangenheitsselig im Studenten- und Dichtertreff, dem „Lamm“ am Marktplatz, herum, saugt an der Pfeife und hofft, dass ihn keiner erkennt. „Ich grüßte auch einen jeden, so freundlich ich nur konnte“, schreibt er im Brief, „aber jedes Mal fiel mirs aufs Herz, ob ich dem Kerl nicht noch schuldig sei, und ich ersann mir auf alle Fälle eine Formel, worin unter anderem auch von schlechtem Gedächtnis, einem alten Familienfehler der Mörikes, etwas vorkam...“, so Mörike – der sich ansonsten da in der alten Stammkneipe sehr melancholisch-nostalgisch fühlen will: „Der Wind“, schreibt er, „tummelt sich auf dem Wörth herum und ruht nicht, bis er die ganze Reihe von Pappeln aufs letzte Blatt wie zu Besen verkehrt hat. Meinethalb! denk ich; den letzten verflossenen Frühling und Sommer hab ich doch nicht in Tübingen verlebt; diese rot und gelben Läuber hab ich nicht grün gesehen, und so kränkts mich weniger. Die Wetterfahnen rufen einander in langgezogenen Tönen zu, einförmig genug, aber es tut auf mich jetzt doch eine Wirkung, wie die Klage der Aeolusharfe.“ 6 12-035343 T. 24 2’40 F. Silcher, Der Lindenbaum Die Singphoniker Oehms OC 548, LC 12424 Nein, das ist nicht Mörike, das ist „Der Lindenbaum“ von Wilhelm Müller, zuerst veröffentlicht im Jahr 1823 und dann verkomponiert von Franz Schubert und, zweitens, von Friedrich Silcher, und Silchers Version hat es dann, wie fast alles von Silcher, zu einer fast gespenstischen Popularität gebracht. Wer hat nicht schon alles Silcher gesungen – ein Blick ins SWR-Archiv befördert da ein fantastisches Sammelsurium an den Tag: Die Schlümpfe, die Fischer-Chöre, das Karlsruher Männerquartett, der Silcherchor Zollernalb e.V., Heintje und die Regensburger Domspatzen, Hermann Prey, der MGV Liederkranz Oberjettingen, Costa Cordalis, das Unterländer Alphorntrio, Nena, der Bürgermeisterchor Kreis Reutlingen. Sich über Silcher, seine Volkslieder und seine Männergesangsvereine zu belustigen, ist aber ein bisschen wohlfeil, denn aus der Kulturgeschichte ist er gar nicht wegzudenken, und das, was er damals in Tübingen als hochgeachteter Musikdirektor der Universität geleistet und an Liedern gesammelt und komponiert hat, hat die Identität der Deutschen geprägt, ob ihnen das nun passt oder nicht. Silcher hilft mit seinen Gesangsvereinsgründungen dem deutschen Chorwesen, das es bis dahin so gar nicht gab, auf die Sprünge, und er legt mit seinen Vertonungen damals populärer Romantiker-Gedichte und volkstümlicher Texte den Grundstock für das, was man gern so „Des 7 deutschen Volkes Liederschatz“ nennt, und wohlgemerkt, es handelt sich da tatsächlich um einen Schatz. Gedichte von Eduard Mörike hat Silcher allerdings nur ausgesprochen selten vertont – vermutlich, weil er ihn persönlich gekannt hat: Ein Pfarr- Anwärter am evangelischen Stift in Tübingen musste natürlich auch in Musik Bescheid wissen, und Friedrich Silcher hat in seiner Zeit unter anderen Schwabendichtern auch die Studenten Eduard Mörike und Wilhelm Hauff unterrichtet. Wobei Mörike vermutlich keinen sonderlich günstigen Eindruck bei ihm hinterlassen hat – in seinem Abschlusszeugnis aus dem Stift von 1826 steht, er habe zwar eine hinreichend gute Begabung, sei aber, besonders in Theologie und Philosophie, bloß mittelmäßig und habe außerdem, Zitat, „nicht genügend standhafte Sitten“. 19-68654/2 Disc 2, T. 21 3’15 H. Wolf/Mörike, Zur Warnung Dietrich Fischer-Dieskau, Daniel Barenboim DG 447 517-2, LC 0173 ... Wir sind also für heute noch einmal in Tübingen mit unseren schwäbischen Ausfahrten, denn hier hat ja eben nach Kerner und Uhland noch eine weitere