Leseprobe

Professor Dr. Jack Nasher Deal! Du gibst mir, was ich will!

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Seiten: 368

Erscheinungstermin: 16. Februar 2015

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Zum Buch

Gefällt ihnen die Zahl auf ihrem Gehaltszettel? Gibt man ihnen im Hotel das Zimmer mit Ausblick? War ihr Auto ein Schnäppchen? Ja? Dann können sie hier aussteigen. Allen anderen verrät Wirtschaftspsychologe Jack Nasher, wie man endlich das bekommt, was man will – durch effektives Verhandeln. Er zeigt, wie wenige Sekunden über große und kleine Vermögen entscheiden. und wie man diese kurze Zeit nutzt. Das Handwerkszeug für die besten Deals: erprobte Verhandlungsmethoden und psychologische Techniken. Damit ist endlich Schluss mit faulen Kompromissen!

Autor Professor Dr. Jack Nasher

Jack Nasher, Jahrgang 1979, ist Wirtschaftspsychologe und Jurist. Er studierte und lehrte an der Oxford University und ist zurzeit Professor für Führung und Organisation an der

Munich Business School. Jack Nasher berät internationale Unternehmen und hält weltweit Vorträge und Seminare zu Kommunikation und Verhandlungstechnik. Der »Natural Born Dealmaker« ist einer der führenden Verhandlungsexperten im deutschsprachigen Raum. Sein Buch »Durchschaut!« stand wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste. Mit seinem psychologischen Wissen fasziniert er ein Millionenpublikum.

Buch Jack Nasher Was haben Sie heute schon verhandelt? Sicher mehr als Sie glauben! Denn Ihr Leben besteht zum größten Teil aus Verhandlungen. Offensichtlichen wie versteckten. Sind Sie darauf nicht vorbereitet, zieht man Sie über den Deal! Tisch. Faule Kompromisse, schlechte Geschäfte und das Gefühl, hinter- her schlauer zu sein: Damit ist jetzt Schluss! Spiegel-Bestsellerautor Jack Nasher entschlüsselt in »Deal!« die Geheim- Du gibst mir, was ich will! nisse der erfolgreichsten Verhandler. Er zeigt Ihnen, wie Sie sich die sub- tilen Tricks der Profis zunutze machen und nie mehr aufs verhandlungs- psychologische Glatteis geraten. Denn wer ein Ass im Ärmel haben will, muss es vorher hineinstecken!

Autor

Jack Nasher leitet das NASHER Verhandlungsinstitut, das Menschen in Verhandlungsfragen berät und trainiert. Nashers Bücher wurden Bestsel- ler und erschienen in zahlreichen Ländern, von den USA bis . Er ist Autor der jährlichen Forbes-Liste der »World Changing Negotiations«. Internationale Publikationen wie das Wall Street Journal, die Times und die FAZ berichten regelmäßig über ihn. Nashers Oxford-Studium folgten Stationen bei der größten Wall-Street-Kanzlei Skadden und den Vereinten Nationen in New York. Er ist zurzeit Professor an der und lehrt an der .

www.jacknasher.com

Außerdem von Jack Nasher im Programm

Entlarvt! Wie Sie in jedem Gespräch an die ganze Wahrheit kommen Überzeugt! Wie Sie Kompetenz zeigen und Menschen für sich gewinnen

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Du gibst mir, was ich will!

Nasher_Deal_CC21.indd 3 10.11.2020 16:17:20 INHALT­

Ein­lei­tung ...... 7

I. Die Macht ...... 17

Macht ver­ste­hen ...... 19 Macht er­hö­hen ...... 35 Von der Macht zum Ziel ...... 60

II. Die Kom­mu­ni­ka­ti­on ...... 69

Die Be­zie­hung zum ­Ge­gen­über ...... 71 Emo­ti­o­nen ...... 98 In­for­ma­ti­o­nen ...... 109 Al­ter­na­ti­ve Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge ...... 134

III. Die In­te­res­sen ...... 143

Be­kom­men, was Sie ­wirk­lich wol­len ...... 145

IV. Die Tricks ...... 191

An­kern ...... 193 Das Prin­zip der ­Ge­gen­sei­tig­keit ...... 215 Fair­ness ...... 231 Fram­ing ...... 244

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V. Der Ab­schluss ...... 255

Over­com­mitm­ent ...... 257 Dro­hun­gen ...... 267 Die gol­de­ne Brü­cke ...... 275 Die Schrift­form ...... 283

Nach­wort ...... 295 Das Puz­zle zu­sam­men­setzen ...... 304 Dank ...... 307 An­mer­kun­gen ...... 309 Li­te­ra­tur ...... 341 Register ...... 365

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Nasher_Deal_CC21.indd 6 10.11.2020 16:17:20 EINLEI­ TUNG­

»Alle Krie­ge en­den mit Ver­hand­lun­gen. Wa­rum also nicht gleich ver­han­deln?« Jawa­har­lal Neh­ru

Vor vielen­ Jah­ren starb ein wohl­ha­ben­der Mann im Orient.­ Sei­nen drei Söh­nen hin­ter­ließ er sieb­zehn Ka­me­le. In sei­nem Tes­ta­ment ver­füg­te er, wie sie auf­ge­teilt wer­den sol­len: Der äl­ tes­te Sohn solle­ die Hälf­te, der Zweitäl­ ­tes­te ein Drittel­ und der Jüngste­ ein Neuntel­ der Kame­ ­le erhal­ ten.­ Die Söhne­ saßen­ am La­ger­feu­er und be­rat­schlag­ten sich, wie sie den Willen­ des Va­ ters umset­ zen­ sollten.­ Als sie nicht mehr weiterwuss­ ten,­ riefen­ sie einen­ weisen,­ alten­ Mann um Hil­fe. Der Weise­ kam schon bald auf sei­nem Kamel­ ange­ ­rit­ten und sag­te ihnen:­ »Ich gebe Euch mein Kamel.«­ Die drei Brüder­ schau­ten sich an und ver­ stan­den nicht. Der alte Mann fuhr fort: »Nun be­kommt der Äl­tes­te von Euch neun, der Zweitäl­ ­tes­te sechs und der Jüngs­ te zwei Kame­ ­le.« Eines­ blieb übrig:­ und so ritt er auf seinem­ Ka­mel fort. Wo­ran den­ken Sie, wenn Sie das Wort Ver­hand­lung hö­ren? An ei­nen gro­ßen Kon­fe­renz­tisch, an dem sich ein Dut­zend Ma­na­ger mit ei­nem Tross von An­wäl­ten ge­gen­über­sitzen und über die Zerschla­ gung­ von Milli­ ar­ den­ un­ ter­ neh­ men­ verhan­ ­

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deln? An Staats­chefs mit ei­ner En­tou­ra­ge von Staats­sek­re­tä­ren und Bot­schaf­tern, die über Grenz­zie­hun­gen und die Lö­sun­gen eth­ni­scher Kon­flik­te be­ra­ten? Solche­ Szena­ ri­ en­ gibt es, aber sie stellen­ ledig­ lich­ einen­ Bruch­teil der re­a­len Ver­hand­lungs­si­tu­a­ti­o­nen dar. Tat­säch­lich ist jede Verhand­ ­lung eine Entschei­ ­dungs­fin­dung, bei der zwei oder meh­re­re Par­tei­en ver­su­chen, ihre ent­ge­gen­ste­hen­den In­ te­res­sen zu lö­sen.1 Un­se­re ers­te Ver­hand­lung füh­ren wir mit un­se­ren El­tern: Wir brüllen­ so lan­ge, bis sie uns füt­tern. Als Kin­der wollen­ wir Cola trin­ken, län­ger wach bleiben­ und mehr Taschen­ ­geld be­ kom­men. Ein paar Jah­re später­ wollen­ wir un­se­re Haare­ fär­ ben, bis Mitter­ ­nacht aus­ge­hen und das Auto fah­ren. Sind wir er­wach­sen, geht es wei­ter: Wel­ches Fa­mi­li­en­au­to kau­fen wir? Wohin­ fah­ren wir in den Urlaub?­ Was essen­ wir heu­te? Sie ver­han­deln jedes­ Mal, wenn ein Po­li­zist Sie an­hält, Sie Ihr Park­ti­cket ver­lo­ren ha­ben oder et­was ohne Kas­sen­zet­tel um­tau­schen wol­len. Im Be­ruf ver­han­deln Sie selbst­ver­ständ­ lich mit Kun­den, Ver­trieb­lern oder Ein­käu­fern um Prei­se und mit Ihrem­ Chef über Ihr Gehalt.­ Aber Sie verhan­ deln­ auch über die Umset­ ­zung neuer­ Ideen. Jedes­ Mal, wenn Sie versu­ ­ chen, je­man­den von et­was zu über­zeu­gen, ver­han­deln Sie – näm­lich da­rum, wer Recht hat. »Was ha­ben Sie heu­te schon ver­han­delt?« Mit die­ser Fra­ge be­gin­ne ich mein Se­mi­nar zur Ver­hand­lungs­tech­nik, und erst lang­sam wird al­len be­wusst, wie vie­le All­tags­si­tu­a­ti­o­nen ei­ gent­lich Ver­hand­lung­sze­na­ri­en dar­stel­len – die Welt ist nichts als ein rie­si­ger Ver­hand­lungs­tisch!2 Wis­sen­schaft­ler ge­hen da­ von aus, dass wir sage und schreibe­ knapp vierzig­ Stunden­ pro

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Woche­ verhan­ deln.­ 3 Ob die­se Zahl nun auf Sie zu­trifft oder nicht: Sie verhan­ ­deln jeden­ ­falls häufig,­ und es würde­ Ihr Le­ ben deutlich­ verbes­ ­sern, wenn Sie jedes­ Mal besser­ abschnei­ ­ den wür­den. Vie­len Men­schen aber ist es sehr un­an­ge­nehm, sie be­trach­ ten es als »Schachern«­ und als etwas,­ was auf einen­ Basar­ ge­ hört, si­cher­lich aber kei­nen Platz in ihrem­ Le­ben hat. Im­mer wenn sich mein af­gha­ni­scher Groß­va­ter in Eng­land auf­hielt, muss­te ihn mein On­kel To­oran, der da­mals in Ox­ford stu­dier­te, wie ein Pri­vat­sek­re­tär um­sor­gen. Er fuhr ihn, or­ga­ni­ sier­te sei­nen Tag und be­glei­te­te ihn auf sei­nen Ein­kaufs­tou­ren. Wo immer­ er gera­ ­de war, ob im vornehms­ ­ten Antik­ ­la­den oder im Kaufhaus­ Marks & Spencer,­ mein Großva­ ­ter feilschte­ stets. Er konnte­ nicht anders.­ Mein Onkel­ Tooran,­ mittler­ ­wei­le eher Englän­ der­ als Orien­ ta­ le,­ schämte­ sich zu Tode: »Hier kann man nicht han­deln«, sag­te er im­mer wie­der. Umso er­staun­ter war er, dass mein Großva­ ­ter fast immer­ er­folg­reich war und so gut wie nie etwas­ ohne Nachlass­ kauf­te, ob es eine alte chi­ ne­si­sche Vase oder drei Glüh­bir­nen wa­ren.4 Aber er blieb ein Ku­ri­o­sum. Doch das war in den Acht­zi­ger­jah­ren. Für West­eu­ro­pä­er war das Han­deln frü­her ein Spaß, den man sich im Ur­laub in Ägyp­ten oder Tu­ne­si­en auf dem Ba­sar mach­te. Hier je­doch war das Verhan­ ­deln et­was für sehr arme oder sehr geizi­ ­ge Menschen.­ Das hat sich mitt­ler­wei­le völlig­ ver­än­dert. Spä­tes­tens seit Ab­schaf­f ung des Ra­batt­ge­set­zes ist es heu­te fast schon un­üb­lich, nicht zu han­deln, wenn man ei­ nen Fernse­ ­her oder ein Auto kauft. Die Be­reit­schaft, be­wusst zu ver­han­deln, er­streckt sich auf die un­ter­schied­lichs­ten Le­bens­be­rei­che. Gei­sel­nah­men wur­

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den noch vor we­ni­gen Jahr­zehn­ten re­la­tiv ein­fach ge­löst: Man gab den Gei­sel­neh­mern ein paar Minu­ ­ten, und wenn sie nicht he­raus­ka­men, wur­de eben das Feu­er er­öff­net – häu­fig star­ben da­bei Gei­seln, Gei­sel­neh­mer und Po­li­zis­ten. Das Vor­ge­hen hat sich seitdem­ verän­ ­dert: Man nimmt sich Zeit für eine aus­ge­ dehn­te Ver­hand­lung.5 Nicht, weil die Po­li­zei ihre Lie­be zu Gei­ sel­neh­mern entdeckt­ hat, sondern­ weil die Verhand­ ­lung zu ei­ nem bes­se­ren Er­geb­nis führt – zu we­ni­ger To­ten. Als Kindern­ wird uns bei­ge­bracht, dass je­der am Ende das be­kommt, was er ver­dient. Die­ses als Just-World-The­o­rie 6 (Prin­ zip der ge­rech­ten Welt) be­kann­te Phäno­ ­men ist ei­ner der gro­ ßen Irrtü­ ­mer, die wir in uns tra­gen. Aber irgend­ ­wann fällt der Gro­schen, und wir ver­ste­hen, dass wir nicht das be­kom­men, was wir ver­die­nen, son­dern das, was wir ver­han­deln.7 Und so gibt es für fast al­les zwei Prei­se: den Preis für den­ je­ni­gen, der ver­han­delt, und den Preis für die an­de­ren. Da­mit geht täg­lich das Ge­fühl ein­her, dass wir bes­ser hät­ten ab­schnei­ den können,­ wenn wir nur ge­wusst hätten,­ wie. Wie un­an­ge­ nehm ist es, wenn wir eine Woh­nung kau­fen und spä­ter er­ fahren,­ dass unser­ Nachbar­ für seine­ Wohnung­ 20 Prozent­ we­ni­ger be­zahl­te, ein­fach, weil er bes­ser ver­han­delt hat? Wie wir in den unzäh­ ­li­gen Verhand­ ­lun­gen von dem Moment­ un­ se­res Auf­ste­hens bis zu dem un­se­res Zu­bett­ge­hens agie­ren, ent­schei­det da­rü­ber, ob wir uns als über­vor­teil­ten Trot­tel füh­ len oder als cle­ve­ren Herrn der Lage.8 Viel­leicht den­ken Sie, dass Sie häu­fig gar nicht ver­han­deln kön­nen, weil Sie es sich nicht mit Ih­ren Kun­den, Kol­le­gen oder Freun­den ver­scher­zen wol­len. Täu­schen Sie sich nicht: Han­

5deln kann eine Bezie­ ­hung so­gar ver­bes­sern. Oder haben­ etwa

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die­je­ni­gen El­tern eine bes­se­re Be­zie­hung zu ih­ren Kin­dern, die ih­nen alles­ ge­ben, was sie wol­len?9 Kön­nen wir als seri­ ö­ se­ Men­schen nicht auf das Handeln­ ver­zich­ten? Jeder­ legt ein­fach sein bes­tes Ange­ ­bot vor und der an­de­re ent­schei­det sich. Der Ge­ne­ral Elec­tric Ma­na­ger Lem­uel Boul­ware ver­such­te in den Fünf­zi­ger­jah­ren ge­nau das, als er Ge­werk­schaf­ten ein faires­ Ange­ ­bot auf den Tisch legte,­ ohne ei­nen Ver­hand­lungs­spiel­raum zu bie­ten.10 Sehr schnell wur­de die­se Me­tho­de ab­fäl­lig Boulw­arism ge­nannt, und sei­ne Ge­gen­ über re­a­gier­ten mit Wut und Ra­che­ge­lüs­ten.11 Et­was Ähn­li­ches ge­schah in den frü­hen Neun­zi­ger­jah­ren, als sich knapp 2000 ame­ri­ka­ni­sche Au­to­händ­ler zu­sam­men­ schlos­sen und sich zu ei­ner Re­gel ver­pflich­te­ten: Je­dem Kun­ den solle­ von Anfang­ an ein fairer­ Preis genannt­ werden,­ und man könne­ sich nun die scheinbar­ lästi­ ge­ Feilsche­ rei­ erspa­ ­ ren.12 Das Ergeb­ ­nis? Nach weni­ ­gen Jahren­ sprangen­ fast alle Händ­ler ab, weil Kun­den sich un­fair be­han­delt fühl­ten und ihr Auto lie­ber dort kauf­ten, wo man mit ih­nen han­del­te. Men­schen fühlen­ sich besser,­ wenn sie das Ge­fühl haben,­ das Er­geb­nis der Ver­hand­lung be­ein­flus­sen zu kön­nen. So­gar dann, wenn sie im Ergeb­ ­nis mehr bezah­ ­len: Wenn Verhand­ ­ler sehr hoch be­gin­nen und ei­nem dann lang­sam ent­ge­gen­kom­ men, füh­len sich die meis­ten Kun­den bes­ser be­han­delt, als wenn ihnen­ ein fai­rer Preis vor­ge­setzt wird, an dem es nichts zu rüt­teln gibt.13 Men­schen tun sehr viel dafür,­ ihr Le­ben zu verlän­ ­gern, aber nur sehr wenig,­ um es zu verbes­ sern.­ 14 Mit wirk­sa­men Ver­hand­lungs­tech­ni­ken be­schäf­ti­gen sich die we­nigs­ten. An Busi­ness Schools sieht das an­ders aus: Hier sind Ver­hand­

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lungs­se­mi­na­re Pflicht und ge­hö­ren zu den be­lieb­tes­ten Kur­ sen überhaupt.­ Ist das vielleicht­ einer­ der Gründe,­ weshalb­ ihre Ab­sol­ven­ten – Be­ra­ter, Ban­ker, Ma­na­ger – so über­durch­ schnitt­lich viel mehr ver­die­nen als die Er­folg­reichs­ten an­de­ rer Fach­rich­tun­gen? Un­ab­hän­gig von Ih­rem Be­ruf und Ih­rer Aus­bil­dung ist die Fä­hig­keit, gut zu ver­han­deln, der Weg, Wi­ der­stän­de aus­zu­räu­men, die Sie da­von ab­hal­ten, Ihr ganz per­ sön­li­ches Po­ten­zi­al ab­zu­ru­fen. Mein letztes­ Buch Durch­schaut über das Entlar­ ­ven von Lü­ gen hat sehr vie­le Le­ser in vie­len Län­dern der Welt er­reicht. Wenn es kri­ti­siert wurde,­ dann fast im­mer aus dem glei­chen Grund: Es lie­fe­re kei­ne neuen­ Er­kennt­nis­se, alles,­ was in dem Buch stünde,­ seien­ die Ergeb­ ­nis­se der Praxis­ und Forschung­ der letz­ten Jahr­zehn­te. Dem kann ich nichts ent­geg­nen, denn ge­nau so ist es. Wenn jeder­ wieder­ bei Adam und Eva anfin­ ­ ge, kämen­ wir auch nicht weiter­ als Adam und Eva. Und so ist auch die­ses Buch eine sys­te­ma­ti­sche Samm­lung der um­ fang­rei­chen Er­kennt­nis­se zu Ver­hand­lun­gen. Ich ver­tre­te kei­ ne Ver­handlungs­ ­schu­le und ver­su­che nicht, Sie von ei­ner be­ son­de­ren The­o­rie zu über­zeu­gen. Mich in­te­res­siert nur ei­nes: Was funk­ti­o­niert, und wie kann ich es nut­zen? Zwi­schen die­sen zwei Buchde­ ­ckeln fin­den Sie die ef­fek­tivs­ ten Ver­hand­lungs­tech­ni­ken, die Pra­xis und For­schung ent­wi­ ckelt ha­ben. Das um­fang­rei­che Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis zeigt Ih­ nen, dass Sie hier nicht we­ni­ger als das destil­ ­lier­te Weltwis­ ­sen über Ver­hand­lungs­tech­ni­ken in den Hän­den hal­ten. Viele­ Beispie­ le­ stammen­ aus der Welt der Wirtschaft,­ was da­ran liegt, dass Ver­hand­lungs­for­schung und -trai­nings tra­di­ ti­o­nell für das Wirt­schafts­le­ben kon­zi­piert wer­den. Al­ler­dings

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wir­ken die er­folg­rei­chen Me­cha­nis­men uni­ver­sal, ob Sie nun um eine Airline­ verhan­ deln­ oder um einen­ Apfel.­ Hervor­ ra­ ­ gen­de Ver­hand­ler kön­nen um al­les her­vor­ra­gend ver­han­deln und schlechte­ um nichts.15 Die bes­ten Verhand­ ­ler wissen,­ was Macht in einer­ Verhand­ ­lung bedeu­ ­tet, und wie sie ihre Macht stei­gern können.­ Sie wis­sen, wie man in­ner­halb weni­ ­ger Au­ gen­bli­cke eine Be­zie­hung zum Ver­hand­lungs­part­ner auf­baut. Die bes­ten Ver­hand­ler ha­ben die Fä­hig­keit, die In­te­res­sen bei­ der Partei­ ­en zu erken­ ­nen, und das zu bekom­ ­men, was für sie den höchs­ten Wert hat. Sie wis­sen, wann sie das ers­te An­ge­bot vor­le­gen und wann sie lieber­ schweigen­ sollten.­ Sie benut­ ­zen ob­jek­ti­ve Standards­ zu ih­ren Gunsten.­ Und sie wis­sen, wie sie dem an­deren­ eine gol­de­ne Brü­cke bau­en, auf der er ihnen­ ent­ ge­gen­kom­men kann. Die Kunst des Verhan­ ­delns besteht­ darin,­ wie man aus ei­ nem gro­ßen Schlüs­sel­bund blitz­schnell den pas­sen­den Schlüs­ sel ergreift.­ Wenn Sie die falschen­ Techni­ ­ken anwen­ ­den, ist es nicht nur, als ob Sie kei­nen Schlüssel­ hätten,­ es ist noch viel schlim­mer, da Sie sich in trü­ge­rischer­ Si­cher­heit wie­gen; so als ob Sie mit einem­ Stadt­plan von Ham­burg in Ber­lin he­rum­ fah­ren wür­den. Mit den hier beschrie­ be­ ­nen Techni­ ­ken werden­ Sie in großen­ Ver­hand­lun­gen Mil­li­o­nen spa­ren, aber auch aus den Zehn­tau­ sen­den klei­ner Ver­hand­lun­gen in Ih­rem Le­ben mit dem Ma­xi­ mum he­raus­ge­hen. In pri­va­ten An­ge­le­gen­hei­ten wer­den Sie Ihre Freunde­ und Fami­ lie­ von den Urlaubs­ or­ ten­ Ihrer­ Wahl über­zeu­gen und sich sel­te­ner strei­ten. Si­cher­lich wer­den Sie ei­ni­ge der hier be­schrie­be­nen Me­tho­den schon ge­nutzt ha­ben. Aber bald wer­den Sie ver­ste­hen, wa­rum sie funk­ti­o­nie­ren, und

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wie Sie sie am ef­fek­tivs­ten einset­ zen.­ Wie und ob Sie diese­ Tech­ni­ken ein­set­zen, ist selbst­ver­ständ­lich Ihre Ent­schei­dung. Ich sage nieman­ ­dem, was er tun soll, ich zeige­ Ihnen­ nur, was mög­lich ist. Zu­min­dest hel­fen Ih­nen die be­schrie­be­nen Tech­ ni­ken zu er­ken­nen, wann ge­wief­te Ver­hand­ler Sie ma­ni­pu­lie­ ren wol­len. Wer­den Sie nach der Lektü­ ­re im­mer al­les be­kommen,­ was Sie wol­len? Lei­der nein. Die Tech­ni­ken funk­ti­o­nie­ren häu­fig, aber nicht immer.­ Aber das Ge­setz der großen­ Zahlen­ arbei­ ­ tet für Sie: Wenn Sie bei je­der Ver­hand­lung Ihre Chan­ce er­hö­ hen, bes­ser ab­zu­schnei­den, wer­den Sie ins­ge­samt ge­nau um die­sen Pro­zent­satz mehr Erfolg­ ha­ben als ohne die Kenntnis­ der Techni­ ­ken. Stellen­ Sie sich vor, jede Verhand­ ­lung wäre ab heute­ 10 Prozent­ profi­ tab­ ler­ für Sie oder Ihr Unter­ neh­ men:­ Was für eine au­ßer­ge­wöhn­lich po­si­ti­ve Ent­wick­lung wäre das! Zu guter­ Letzt noch ein paar Anmer­ ­kun­gen: An­cho­ring, Bo­ gey, Over­com­mitm­ent – die Ver­hand­lungs­kunst ist ein Be­reich, der sehr mit der englisch­ ­spra­chi­gen Welt verwur­ ­zelt ist, was sich in dem ein oder ande­ ­ren – selbstver­ ­ständ­lich im guten­ al­ ten Deutsch er­läu­ter­ten – Fach­aus­druck wi­der­spie­gelt. Da­mit das Buch besser­ lesbar­ ist, habe ich es in einem­ Ge­ schlecht ge­schrie­ben – um es zu ermit­ teln,­ wer­fe ich stets eine Münze­ (Kopf für männ­lich, Zahl für weib­lich), und zwar so ­lan­ge, bis Kopf kommt – denn im eige­ ­nen Geschlecht­ schreibt es sich am bes­ten. Über das Buch ver­teilt fin­den Sie Bo­xen, in de­nen in­te­res­ san­te Fak­ten er­klärt wer­den. Vor al­lem aber wer­den hier psy­ cholo­ gi­ sche­ Denkfal­ len­ bei der Verhand­ lung­ aufge­ zeigt,­ vor de­nen Sie sich besser­ in Acht neh­men sollten.­ 16

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Noch ein­mal zu den drei Söh­nen mit ih­ren Ka­me­len. Die Lö­sung des al­ten Mannes­ ist der Kö­nigs­weg der Ver­hand­lung: Je­der be­kommt, was er will. Nach der Lek­tü­re wer­den Sie er­ ken­nen, dass es häufi­ ­ger ein achtzehn­ ­tes Kamel­ gibt, als Sie jetzt viel­leicht den­ken.

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Nasher_Deal_CC21.indd 15 10.11.2020 16:17:21 Nasher_Deal_CC21.indd 16 10.11.2020 16:17:21 TEIL I DIE MACHT

Nasher_Deal_CC21.indd 17 10.11.2020 16:17:21 Nasher_Deal_CC21.indd 18 10.11.2020 16:17:21 MACHT VERSTE­ HEN­

»Du er­reichst mehr mit ei­ner Pis­to­le in dei­ner Hand und net­ten Wor­ten als nur mit net­ten Wor­ten.« AI Cap­one

Als Theodore­ Roosevelt­ sich 1912 im Endspurt­ seiner­ Präsi­ ­ dentschafts­ kan­ di­ da­ tur­ befand,­ reiste­ er quer durch die USA und hielt Reden­ in unzäh­ ­li­gen Städten­ – vor der Zeit von Ra­ dio und Fern­se­hen war das der ein­zi­ge Weg, Wäh­ler zu er­rei­ chen.1 Sein Wahlkampf­ team­ ließ drei Milli­ o­ nen­ Broschü­ ren­ mit sei­nem Re­de­text dru­cken, die bei den Ver­an­stal­tun­gen ver­ teilt werden­ sollten.­ Auf dem Cover­ war ein präsi­ di­ a­les­ Foto Roosevelts­ zu sehen.­ Kurz vor Beginn­ der Reise­ fiel einem­ Mit­ ar­bei­ter des Wahl­kampf­teams ein klei­ner aber ver­häng­nis­vol­ler Schrift­zug auf dem Bild auf: »Mof­fet Studi­ ­os Chica­ ­go«. Und tatsäch­ ­lich: George Mof­fet hielt die Rech­te an dem Bild. Soll­ ten sie die Bro­schü­ren dennoch­ ver­tei­len, könn­te er ei­nen Dol­ lar pro un­au­to­ri­sier­ter Ko­pie des Bil­des ver­lan­gen, ins­ge­samt also die für da­mals ast­ro­no­mi­sche Sum­me von drei Mil­li­o­nen Dollar,­ die Roosevelts­ Wahlkampf­ kas­ se­ gesprengt­ hätte.­ Für das Wahlkampf­ ­team sa­hen die Opti­ ­o­nen so aus: Ohne die Bro­ schü­re setz­ten sie die Prä­si­dent­schaft aufs Spiel. Ver­wen­de­ten sie die Bro­schü­re, lie­fen sie Ge­fahr, dass es ei­nen Skan­dal gäbe

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und sie ru­i­niert wä­ren – ge­wis­ser­ma­ßen eine Wahl zwi­schen ­Ar­sen oder Zy­an­ka­li. Mof­fet, so schien es, hielt alle Macht in seinen­ Händen­ – auch wenn er von der Situ­ a­ti­ on­ noch gar nichts wuss­te. Was tun? Die Wahl­kampf­mann­schaft ging zu Kam­pag­nen­ chef George Perk­ins, sei­nes Zei­chens Ei­sen­bahn­mag­nat und Part­ner des Bank­hau­ses J. P. Mor­gan. Die­ser fa­ckel­te nicht lan­ge und ließ um­ge­hend ein Te­le­gramm an Mof­fet schi­cken: »Wir planen,­ Milli­ o­ nen­ von Broschü­ ren­ mit Roosevelts­ Bild auf dem Co­ver zu ver­tei­len. Es wäre groß­ar­ti­ge Werbung­ für das Foto­ ­stu­dio, dessen­ Bild wir nehmen.­ Wie viel zahlen­ Sie uns, damit­ wir Ihres­ verwen­ ­den?« Die Antwort­ kam prompt: »Wir ha­ben das noch nie ge­macht, aber un­ter die­sen Um­stän­ den freuen­ wir uns, Ihnen­ 250 Dollar­ zu bieten.«­ Obwohl­ er si­cher­lich wuss­te, dass er noch ein paar Hun­der­ter mehr hät­te raus­schla­gen kön­nen, nahm Perkins­ an. Und Mof­fet? Er hät­ te be­stimmt vie­le Tau­send Dol­lar be­kom­men kön­nen, er­hielt aber im­mer­hin die Wer­bung sei­nes Le­bens. Selbst in schein­bar aus­weg­lo­sen Si­tu­a­ti­o­nen kön­nen Sie also Ihre Macht oder zumin­ dest­ die Wahrneh­ mung­ Ihrer­ Macht er­ hö­hen. Für den bri­ti­schen Ver­hand­lungs­pro­fi Ga­vin Ken­ne­dy ist Macht die Es­senz des ge­sam­ten Ver­hand­lungs­pro­zes­ses.2 Stel­ len Sie sich vor, Ihr vierjäh­ ­ri­ger Sohn wei­gert sich, sei­nen Spi­ nat zu es­sen.3 Wer hat die Macht? Sie sind viel­leicht Part­ner einer­ inter­ na­ ti­ o­ na­ len­ Großkanz­ lei­ und Ihr Sohn kann noch nicht ein­mal sei­nen Vor­namen­ (Kurt) mit we­ni­ger als fünf Feh­lern schrei­ben. Ganz egal. In dem Mo­ment kann nur er das tun, was Sie wollen,­ näm­lich den Spinat­ es­sen. An­ders als

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ihm ist Ih­nen ist die Sa­che aber auch noch wich­tig. Macht ist ab­hän­gig von Si­tu­a­ti­o­nen. Schein­bar Macht­lo­se ha­ben häu­fig die Macht, ob es nun Ihr Kind ist oder der sture­ Schal­ter­be­ am­te. Die reichs­ten Länder­ der Welt mit rie­si­gen Armeen­ sind macht­los, wenn ein ein­fa­cher Gei­sel­neh­mer mit ei­ner ein­zi­ gen Pisto­ ­le fünf Menschen­ in seiner­ Gewalt­ hat.4 Die Po­li­zei kann das Gebäu­ ­de umstel­ ­len und auf den nächsten­ Schritt des Geisel­ neh­ mers­ warten,­ viel mehr aber nicht. Wenn Sie das Ge­ bäude­ stürmt – wie es vor weni­ gen­ Jahrzehn­ ten­ noch gang und gäbe war – ist die Chance­ hoch, dass eini­ ­ge Geiseln­ dabei­ ums Le­ben kom­men. Das Macht­ver­hält­nis aus­zu­glei­chen hie­ße für die Po­li­zei, Freun­de und Ver­wand­te des Gei­sel­neh­mers aus ih­ ren Häu­sern zu zer­ren und dem Gei­sel­neh­mer mit ih­rer Er­ mor­dung zu dro­hen: »Wir ha­ben Ihre Mut­ter. Wir zäh­len bis drei, und Sie sind Halb­wai­se.«5 Die Macht zu ver­ste­hen und – trotz wid­rig­ster Um­stän­de – zu Ih­ren Guns­ten zu steuern,­ ist der Kern jeder­ Ver­hand­lung.

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James Stockd­ale war ei­ner der höchst­de­ko­rier­ten US-Of­fizie­ re al­ler Zei­ten.6 Wäh­rend des Vi­et­nam­krie­ges wur­de er von den Vi­et­cong ge­fasst und soll­te ge­zwun­gen wer­den, in ei­nem Pro­pa­gan­da­film ge­gen die USA auf­zu­tre­ten. Aus­ge­rech­net er, der mit ei­ni­gen an­de­ren Häft­lin­gen den Wi­der­stand un­ter den Kriegs­ge­fan­ge­nen or­ga­ni­siert hat­te. Ein ab­ge­ma­ger­ter Mann in ei­ner Zel­le – wel­che Wahl hat­te er? Kurz vor den Drehar­ ­bei­ten nahm er den Ho­cker in seiner­

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Zel­le, drosch auf sein Gesicht­ ein und verwan­ ­del­te es in bluti­ ­ gen Matsch. Kein gu­tes Mo­tiv mehr für ei­nen Pro­pa­gan­da­film, der nie gedreht­ wur­de. Wel­che Macht ha­ben Sie, wenn Sie je­mand mit vor­gehal­ ­ te­ner Waf­f e über­fällt? Ein ame­ri­ka­ni­scher Se­na­tor sag­te dem Räu­ber Folgen­ ­des: »Töten­ Sie mich ru­hig. Ich habe Krebs im End­sta­di­um. Ich habe über Selbst­mord nach­ge­dacht, aber dann wür­de mei­ne Frau die Le­bens­ver­si­che­rung nicht be­kom­ men. Wenn Sie mich töten,­ helfen­ Sie meiner­ Fami­ ­lie.« Eine Räu­ber­pis­to­le aber ein ef­f ek­ti­ves Mit­tel ge­gen eine eben­sol­che, mit der der schein­bar übermäch­ ­ti­ge Räuber­ all seiner­ Macht be­raubt wur­de und ab­zog. Auch wenn Sie glau­ben, dass Sie ab­so­lut nichts ma­chen kön­ nen, gibt es im­mer einen­ Hebel,­ und Sie ha­ben mehr Macht, als Ihnen­ be­wusst ist. Stel­len Sie sich vor, Sie sind gera­ ­de knapp bei Kasse.­ 7 Nach ei­ni­gen Wo­chen, in de­nen Ihre Kin­der mit De­cken im win­ter­ li­chen Wohn­zim­mer vor ei­ner kar­gen und un­ge­schmück­ten Weih­nachts­tan­ne vom letz­ten Jahr sit­zen und Ihre Frau mit Schei­dung droht, rap­peln Sie sich auf und ge­hen zur Bank, um einen­ Überbrü­ ckungs­ kre­ dit­ zu bean­ tra­ gen.­ Wählen­ Sie Ihre ab­ ge­wetz­tes­ten Klei­der, um den An­ge­stell­ten von Ih­rer Be­dürf­ tig­keit zu überzeu­ ­gen und Mitleid­ bei ihm zu erwe­ ­cken? Sa­gen Sie ihm, dass Ihre Kinder­ ger­ne ein Weihnachts­ ­fest ohne Trä­ nen fei­ern möch­ten und ver­spre­chen Sie ihm, wenn auch kei­ ne Rückzah­ ­lung, so doch zu­min­dest Lohn im Jen­seits? Wohl kaum. Ban­ken ge­ben dem Geld, von dem sie glauben,­ dass er es nicht braucht. Ei­nen Kre­dit zu ge­ben ist eine Wet­te auf die wirtschaft­ li­ che­ Stabi­ li­ tät­ einer­ Person:­ Das Geld ist weg, wenn

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die Bank die Wette­ verliert.­ Wenn der­je­ni­ge, der sich das Geld ge­lie­hen hat aber über Nacht auf eine Öl­quel­le stößt, wird er der Bank zum Dank wohl kaum das Doppel­ ­te zu­rückzah­ ­len. Die Bank muss ihr Risi­ ko­ mini­ mie­ ren.­ Je weni­ ger­ bedürf­ tig­ Sie wir­ken, des­to hö­her Ihre Chan­ce auf das Geld. Vor allem­ aber: Se­hen Sie sich auch in dieser­ Situ­ ­a­ti­on nicht als Bittstel­ ­ler. Ma­ chen Sie sich klar, dass der an­de­re ebenso­ Zwän­gen unter­ wor­ fen­ ist. Eine Bank lebt davon,­ Kre­di­te zu verge­ ­ben, sie tut Ihnen­ da­ mit keinen­ Gefal­ len.­ Es gibt sogar­ Werbe­ kam­ pag­ nen,­ um Men­ schen zu über­zeu­gen, ihr Geld von ge­nau die­ser Bank zu lei­hen. Es ist ein weit ver­brei­te­tes Ge­fühl un­ter Ver­hand­lern, die an­ de­re Par­tei für mäch­ti­ger zu hal­ten als sich selbst.8 Denn sie se­hen ihre Zwän­ge, Ängste­ und Fris­ten klar vor Au­gen, nicht aber die des Gegen­ ü­ bers,­ der scheinbar­ sorglos­ auf seinem­ Ses­sel sitzt. Der Ver­trieb be­trach­tet den Ein­kauf als die gro­ ße Macht, der Ein­kauf hinge­ ­gen wähnt alle Macht bei den Zu­ lie­fe­rern. Ge­werk­schaft­ler se­hen in den Ma­na­gern die ge­ball­ te Macht des Ka­pi­tals, die Un­ter­neh­mens­füh­rung wie­de­rum sieht sie bei den Arbeit­ ­neh­mern. Verkäu­ ­fer sind beses­ ­sen von der Macht der Käufer­ und der der Konkur­ renz.­ Sie fokus­ sie­ ren­ sich auf ihre Schwächen­ und glauben­ den Käufern­ bereit­ wil­ lig,­ wenn die­se von der Kon­kur­renz schwär­men. Aber nie­mand bie­tet ge­nau das, was Sie bieten.­ Ma­chen Sie sich die Ein­zig­ar­tig­keit Ih­res Ver­hand­lungs­ge­gen­stands be­ wusst. Häu­fig un­ter­lie­gen Ein­käu­fer Vor­ga­ben aus dem Un­ ter­neh­men: Spe­zi­a­lis­ten kön­nen an­geb­lich nur mit Ih­rem Pro­dukt ar­bei­ten, ganz egal, ob es teu­rer ist als das der Kon­ kur­renz. Viel­leicht aber gibt es auch Vorga­ ­ben, dass das Unter­ ­ neh­men nur Lie­fe­ran­ten ab ei­ner be­stimm­ten Un­ter­neh­mens­

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grö­ße wäh­len darf, oder dass das Un­ter­neh­men grund­sätz­lich zwei Lie­fe­ran­ten für eine Ware hat. Ge­ra­de Groß­un­ter­neh­ men, mit ihren­ stadtar­ ti­ gen­ Gebäu­ de­ komp­ le­ xen,­ ihren­ rie­ sigen­ Fuhrparks­ und ihren­ scheinbar­ unbe­ grenz­ ten­ Mitteln­ er­schei­nen übermäch­ ­tig. Die Wahr­heit ist: Sie sind es nicht. Viel­mehr sind sie wie ein riesi­ ­ges Schiff, das, wenn es einmal­ Kurs in eine Rich­tung auf­ge­nom­men hat, fast nicht zu stop­pen ist.9 Zu vie­le Par­tei­en sind be­tei­ligt, und nie­mand will der­je­ni­ ge sein, der den Deal plat­zen lässt. Wenn Sie zu Ihrem­ Chef ge­hen, um eine Gehalts­ ­er­hö­hung aus­zu­han­deln, dann denken­ Sie sich, dass es sicher­ ­lich Tau­ sen­de gäbe, die Ih­ren Job ger­ne ma­chen wür­den. Der Vor­ge­ setz­te aber hat Angst, Sie zu ver­lie­ren, und fragt sich, wie er Sie gleich­zei­tig zu­frie­den­stel­len und sein Bud­get ein­hal­ten kann. Macht be­deutet­ nichts an­de­res, als über Wohl und Wehe des an­de­ren zu ent­schei­den, wo­bei am mäch­tigs­ten der­je­ni­ge wahr­ge­nom­men wird, der dem an­de­ren am meis­ten Scha­den zu­fü­gen kann. Fra­gen Sie sich: Was ist das Schlimms­te, das mir mein Ge­gen­über antun­ kann?10 So mer­ken Sie, dass er ei­ gent­lich gar nicht viel machen­ kann. Auch wenn Sie keiner­ ­lei Macht bei sich wähnen,­ kön­nen Sie immer­ noch Ihre Koo­ ­pe­ ra­ti­on be­en­den. Die­sen Weg be­schritt Gan­dhi, der In­di­en von der schein­bar über­mäch­ti­gen Ko­lo­ni­al­macht Groß­bri­tan­ni­en ohne eine ein­zi­ge Waf­f e be­frei­te. In ganz selte­ ­nen Fällen­ mag das Gefühl­ von Machtlo­ ­sig­keit an­ge­nehm sein.11 So kann man sich für ver­schie­de­ne Si­tu­a­ti­o­ nen als nicht ver­ant­wort­lich fühlen:­ »Was hät­te ich schon tun kön­nen?« In der Regel­ aber ist das Gefühl­ der Macht sehr för­ der­lich für Ihr Wohlbe­ ­fin­den. Wa­rum sind so viele­ Men­schen

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so ungern­ im Kranken­ haus?­ Weil Sie dort überhaupt­ keine­ Kont­rol­le haben.­ Warum­ fühlen­ Sie sich schlechter,­ wenn Sie im Bus sitzen­ und zu spät dran sind, als wenn Sie mit Ih­rem Auto fah­ren?12 Wer hat also die Macht? – Sie, wenn Ihr Gegen­ ­über davon­ über­zeugt ist!13

Ein­schüch­te­rung ver­ste­hen

Ver­sier­te Ver­hand­lungs­part­ner wer­den von An­fang an ver­su­ chen, die Wahrneh­ ­mung von Macht zu ihren­ Gunsten­ zu ver­ schie­ben. Der Ver­käufer­ Ih­rer neu­en Woh­nung kommt mit ei­nem May­bach mit Chauf­f eur zur Be­sich­ti­gung vor­ge­fah­ren. Was ge­schieht? Sie sind froh, dass Sie mit einem­ solch bedeu­ ­ ten­den Menschen­ Geschäf­ ­te machen­ dürfen,­ und es wäre Ih­ nen ge­ra­de­zu pein­lich, mit ihm zu feil­schen. Das Auf­tre­ten und Sta­tus­sym­bo­le sind die tra­di­ti­o­nel­len Mar­ken­zei­chen von Hochstap­ lern:­ Sie wussten­ schon immer,­ worauf­ Menschen­ ach­ten. Prunk­vol­le Ein­gangs­hal­len, hüb­sche Emp­fangs­da­men, Bü­ros mit Skyline-Blick­ – Requi­ ­si­ten, mit denen­ sie Ihnen­ zei­ gen wol­len, wie mäch­tig sie sind. Dazu gibt es zahlrei­ ­che sub­ ti­le Me­tho­den, Sie ein­zu­schüch­tern14: Man lässt Sie vor dem Büro warten,­ weil wichti­ ­ge­re Menschen­ als Sie zu tref­fen sind. Sie be­kom­men ei­nen Stuhl an­ge­bo­ten, der 50 Zen­ti­me­ter nied­ riger­ ist als der Ih­res Ge­gen­ü­bers und bli­cken direkt­ in die Son­ne. Vor dem Gespräch­ mit Ihnen­ sagt er seiner­ Assis­ ­ten­ tin, dass für die nächsten­ zwei Minu­ ­ten – länger­ nicht – keine­ An­ru­fe durch­ge­stellt wer­den sol­len. Er schaut ge­lang­weilt und

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guckt stän­dig auf die Uhr. Er ver­gisst wie­der­holt Ih­ren Na­men und den Ih­res Un­ter­neh­mens, spricht aber sehr ver­traut über sei­ne Ten­nis­kum­pel von der Kon­kur­renz. Er ig­no­riert Ihre mit­ ge­brach­ten Pro­ben. Wenn er Ih­nen nun doch ei­nen Deal vor­ schlägt, füh­len Sie sich ge­ra­de­zu ge­schmei­chelt. Chi­ne­si­sche Ge­schäfts­leu­te nut­zen eine Me­tho­de, die als Long Wait be­kannt ist15: Aus­län­di­sche Ge­schäfts­part­ner, die mit Produk­ ti­ ons­ stät­ ten­ im chine­ si­ schen­ Hinter­ land­ verhan­ ­ deln müs­sen, be­kom­men von der Re­gie­rung häu­fig noch wei­ ter ab­ge­le­ge­ne Un­ter­künf­te zu­ge­wie­sen. Nicht nur, dass die­se Schlaf­stät­ten kei­ne Mit­glie­der bei Lea­ding Hotels­ of the World sind: Man emp­fängt die Gäs­te zu ei­ner freund­lichen­ ers­ten Ver­handlungs­ ­run­de, nach der sie von ei­nem Fah­rer, der kein Eng­lisch spricht, zu­rück in die chi­ne­si­sche Pam­pa ge­fah­ren wer­den, wo man sie ohne neu­en Ver­hand­lungs­ter­min war­ten lässt. Ei­ni­ge Tage, manch­mal so­gar meh­re­re Wo­chen. Ir­gend­ wann hat auch der ge­dul­digs­te Be­su­cher kei­ne Lust mehr und will ein­fach nur nach Hau­se. Man packt die Kof­fer und be­gibt sich mit einem,­ nach eini­ gem­ Hin und Her aufge­ trie­ be­ nen­ Taxi zum Flug­ha­fen. Kaum ha­ben die chi­ne­si­schen Ge­schäfts­ part­ner davon­ erfah­ ­ren, kommen­ sie zum Flugha­ ­fen und ver­ spre­chen mit größ­ter Freund­lich­keit und Ver­bind­lich­keit so­ for­ti­ge Tref­fen. Nach ein, zwei Ta­gen der Ver­hand­lung be­ginnt das Spiel aufs Neue. Was geschieht­ dabei?­ Die Wahrneh­ ­mung der Macht wird ver­scho­ben. Aust­ra­li­en etwa ver­fügt über gro­ße Koh­le­vor­kom­men, ganz im Ge­gen­satz zu Ja­pan.16 Ja­pan aber braucht viel Kohle.­ Den­ noch sind die Ja­pa­ner in ei­ner bes­se­ren Ver­hand­lungs­po­si­ti­on. Wie ist das mög­lich? Die Ver­hand­lun­gen fin­den in Ja­pan statt.

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Das bedeu­ ­tet, dass die Austra­ ­li­er erst einmal­ eine lange­ Reise­ auf sich neh­men müs­sen (al­les ist weit von Aust­ra­li­en, so­gar nach Neu­see­land fliegt man meh­re­re Stun­den). Die Aust­ra­li­ er ha­ben Jet­lag, müs­sen sich auf un­ge­wohn­tem Ter­ri­to­ri­um he­rum­schla­gen und leben­ aus dem Kof­fer. Dazu kommt der kurz­sich­ti­ge Druck des Un­ter­neh­mens, bloß die Flü­ge nicht ver­fal­len zu las­sen: Man ver­liert Hun­dert­tau­sen­de in der Ver­ hand­lung, da­mit man ja nicht das Geld für die Ti­ckets um­sonst aus­ge­ge­ben hat. Die Ja­pa­ner da­ge­gen sind ent­spannt, schla­fen jede Nacht zu Hau­se und ha­ben es geschafft,­ dass der Ver­käu­ fer zu ih­nen kommt wie ein Hau­sie­rer. Der­je­ni­ge, der her­ge­be­ten wird, ist in ei­ner schwä­che­ren Po­ si­ti­on. Den­ken Sie nur an den Unter­ ­schied zwi­schen Bar­mann und Kellner:­ Wir gehen­ zum Barmann,­ buhlen­ um seine­ Auf­ merksam­ keit­ und hof­fen, dass er uns sieht, bis wir endlich­ or­dern dür­fen. Der Kell­ner hin­ge­gen kommt zu uns wie ein La­kai, um An­wei­sun­gen auf­zu­neh­men. Das Er­geb­nis ist das glei­che, doch die wahr­ge­nom­me­ne Macht des­je­ni­gen, den wir auf­su­chen, ist viel grö­ßer. Der Fi­nan­zier J. P. Morgan­ woll­te vor vielen­ Jah­ren ein Grund­stück von der Ro­cke­fel­ler-Fa­mi­lie kau­fen, die aber gar nicht son­der­lich an ei­nem Ver­kauf in­te­res­siert war. Schließ­ lich schickte­ der alte Rocke­ ­fel­ler auf Drängen­ Morgans­ seinen­ Sohn. Als dieser­ in Morgans­ Büro trat, blickte­ er kaum auf, son­dern arbei­ ­te­te weiter­ an seinen­ Akten.­ »Und? Wie viel wol­ len Sie?« Ro­cke­fel­ler war zwar jung, aber er ließ sich nicht ein­ schüch­tern: »Mr. Morgan,­ hier muss ein Irr­tum vorlie­ ­gen. Ich bin nicht herge­ ­kom­men, um zu ver­kau­fen. Soweit­ ich weiß, wol­len Sie kau­fen.«

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Das ist die rich­ti­ge Re­ak­ti­on, die das Macht­ge­fü­ge wie­der ins rech­te Licht rückt. Ver­sier­te Ver­hand­ler wer­den im­mer wie­der ver­su­chen, dass Sie sich ohnmäch­ ­tig fühlen.­ Wenn Sie dieses­ Ma­nö­ver aber durch­schau­en und kor­ri­gie­ren, wer­den Sie Ihr Ge­gen­über ver­blüf­f en und Ihre ei­ge­ne Macht er­hö­hen.

Der golde­ ­ne Mo­ment – der Gip­fel Ih­rer Macht

Macht zu ver­ste­hen, be­deu­tet auch zu wis­sen, wann Ihre Macht am größ­ten ist. Wehe, Sie ha­ben sich zu Hau­se aus­ge­ sperrt und müs­sen den Schlüs­sel­dienst ru­fen. Ein Hand­griff von etwa 20 Sekun­ ­den kann Sie leicht über 100 Euro kosten.­ Der seri­ ­ö­se Herr mit Dietrich­ weiß aber, dass er das Geld vor­ her ein­trei­ben muss: Wenn Sie sich am käl­tes­ten Tag des Jah­ res, ohne eine Ja­cke an­zu­ha­ben, aus­ge­sperrt ha­ben, bib­bernd und mit einge­ ­frore­ ­nen Tränen­ der Freude­ den Messi­ ­as vor sich se­hen, der Ih­nen das Tor in die Welt des flau­schi­gen So­fas mit acht Kissen­ vor dem knis­tern­den, nach Zimt und Ge­müt­lich­ keit duf­ten­den Ka­min öff­net, ak­zep­tie­ren Sie je­des An­ge­bot. Kaum sind Sie drin, se­hen Sie nur noch den un­ver­schäm­ten Ex-Knacki, der er ist. Man spricht vom Nutten-Prin­ ­zip (Ho­oker Princi­ple), weil der Freier­ stets vor der Dienstleis­ ­tung um das »Ho­no­rar« gebe­ ­ten wird. Vorher­ ist die Macht der Dienstlei­ ­ ste­rin groß, danach­ denkt sich fast jeder,­ dass man es selbst deut­lich bes­ser ge­macht hät­te.17 Der Fak­tor Zeit hat eine ent­schei­den­de Be­deu­tung für die Macht des Anbie­ ­ters. Wenn Sie in ein Hotel­ einche­ ­cken und der Nacht­por­ti­er Ih­nen die Re­ser­vie­rungs­be­stä­ti­gung vor­legt,

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auf der ein hö­herer­ Preis ver­zeich­net ist, als ver­ein­bart war, gehen­ Sie am besten­ ins Bett und verhan­ ­deln am nächsten­ Tag. Dann näm­lich hat sich das Macht­ge­fü­ge zu Ih­ren Guns­ ten ver­scho­ben. Na­tür­lich sind Sie in ei­ner bes­se­ren Po­si­ti­on in der Ge­halts­ ver­hand­lung, wenn Sie noch in ei­nem fes­ten Ar­beits­ver­hält­nis ste­hen. Selbstver­ ­ständ­lich können­ Sie eher um ein Auto feil­ schen, wenn Sie noch ei­nen fahr­ba­ren Un­ter­satz ha­ben, als wenn Sie bei Re­gen die drei Ki­lo­me­ter von der Bus­hal­te­stel­le zum Au­to­händ­ler ins In­dust­rie­ge­biet ge­stapft sind. Fra­gen Sie dann nach etwas,­ wenn Ihre Macht am größ­ten ist, bei Bewer­ ­bun­gen in dem Moment,­ in dem man Ihnen­ das An­ge­bot ge­macht hat, Sie aber noch nicht an­ge­nom­men ha­ ben. Also nicht etwa vor dem Ange­ ­bot, da man sich dann viel­ leicht für den fast genauso­ inte­ res­ san­ ten­ Gegen­ kan­ di­ da­ ten­ ent­schei­det. Aber eben auch nicht nachdem­ Sie an­ge­nom­men haben,­ da die Sache­ dann bereits­ erle­ digt­ ist und Menschen­ nur un­gern nach­ver­han­deln. Nut­zen Sie also den gol­de­nen Mo­ment zwi­schen der Zu­sa­ge des Ar­beit­ge­bers und Ih­rer An­ nah­me, um nach einem­ Firmen­ ­wa­gen, dem Eckbü­ ­ro oder Um­ zugs­kos­ten zu fragen­ – hier ist Ihre Macht am größ­ten.18 Drän­gen Sie auch dann auf die Beglei­ ­chung von Schulden,­ wenn Ihre Macht am größten­ ist. Sie sind Caterer,­ und Ihr Kun­ de hat noch nicht bezahlt?­ Verlan­ ­gen Sie die vollstän­ ­di­ge Be­ gleichung­ aller­ Rechnun­ gen­ direkt­ vor dem nächsten­ Event, wenn die hungri­ ­gen Gäste­ schon nervös­ nach dem Essen­ lu­ gen. Das Gleiche­ gilt, wenn Sie der Kunde­ sind. Sagen­ wir, Sie ha­ ben Parkett­ für Ihr Wohn­zim­mer bestellt,­ und eine der Kis­ten

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enthält­ wurmsti­ chi­ ges­ Holz. Zahlen­ Sie nicht schon alle an­ de­ren Kis­ten und hal­ten nur den Teil­be­trag zu­rück. Ich habe vor ei­ni­ger Zeit die Fel­gen mei­nes Au­tos aus­bes­sern las­sen. Die vierte­ aller­ ­dings ist dem Handwer­ ­ker misslun­ ­gen. Er ver­ sprach mir, in den nächs­ten Tagen­ bei mir vor­bei­zu­kom­men und sie noch aus­zu­bes­sern. Ich habe die an­de­ren drei ge­zahlt und ihn nie wieder­ gese­ hen.­ Gehen­ Sie jedoch­ sicher,­ dass Ihr An­sprech­part­ner im Un­ter­neh­men weiß, wa­rum Sie nicht zah­len, da­mit die For­de­rung nicht ein­fach an ein In­kas­so­un­ ter­neh­men wei­ter­ge­reicht wird.19 Warten­ Sie also stets mit der Zah­lung des gan­zen Be­trags, bis al­les er­füllt wur­de – so ist Ihre Macht un­ge­bro­chen. Vor al­lem: Ent­wi­ckeln Sie ein Auge da­für, wann Ihre Macht am größ­ten ist.

Ver­rin­gern Sie Ihre Macht nicht unnö­ ­tig

Wenn der US-Prä­si­dent von vorn­her­ein ei­nen Krieg ge­gen den Iran aus­schließt, dann ist das auf den ers­ten Blick er­freu­lich für den Welt­frie­den. Wenn aber auf der ande­ ­ren Sei­te der Iran den Krieg durchaus­ als Opti­ ­on betrach­ ­tet, hat er damit­ eben eine Opti­ ­on mehr und damit­ mehr Macht. Elimi­ ­nie­ren Sie da­ her nicht früh­zei­tig Ihre Mög­lich­kei­ten! Ganz ähn­lich ist es bei Geisel­ ­nah­men, die von den Medi­ ­en ge­nau ver­folgt wer­den: Wenn Ter­ro­ris­ten fünf Deut­sche ver­ schlep­pen und alle Sen­der und Zei­tun­gen non­stop da­rü­ber be­ richten,­ geschieht­ was? Der Wert der »Ware«, der Geiseln,­ und da­mit die Macht der Gei­sel­neh­mer steigt ins Un­er­mess­li­che. Die Nach­fra­ge ist im­mens, das An­ge­bot auf fünf beschränkt.­ 20

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Nasher_Deal_CC21.indd 30 10.11.2020 16:17:21 Ver­rin­gern Sie Ihre Macht nicht un­nö­tig

Die Öf­fentlich­ keit­ unter­ gräbt­ die Macht des Verhandl­ ers­ für Deutsch­land, der nun kei­ne Wahl mehr hat und sich je­der For­de­rung beu­gen muss, da­mit die Bun­des­re­gie­rung vor den Wäh­lern nicht schlecht dasteht. Auf den All­tag an­ge­wen­det be­deu­tet das: Zei­gen Sie nie Ihr be­son­de­res In­te­res­se für eine Op­ti­on, da Sie da­mit Ihre Macht­ po­si­ti­on schwä­chen. Es ist nicht über­lie­fert, dass je­mals ein Käu­fer, der bei ei­ner ers­ten Be­sich­ti­gung das Haus »Per­fekt!« fand und mit den Kindern­ in den Armen,­ jeden­ sein Zimmer­ aus­su­chen ließ, mit ei­nem Zollstock­ nochmals­ nachmaß­ und dann nach dem Preis frag­te, einen­ großen­ Nachlass­ bekam.­ 21 Ihre Op­ti­o­nen zu re­du­zie­ren ist der si­chers­te Weg, ohne Not Ihre Macht zu ver­rin­gern. Sie dür­fen auch nie preis­ge­ben, wenn Sie we­nig Macht ha­ ben: dass Ihre Pro­duk­ti­on pau­sie­ren und Ihre Mit­ar­bei­ter in Kurz­ar­beit ge­hen müss­ten, wenn der Ver­trag heu­te plat­zen soll­te. Ge­ben Sie nie preis, warum­ Sie nicht mehr mit der Kon­ kur­renz des an­de­ren ar­bei­ten. Wa­rum? Wenn Sie sei­ne Kon­ kurrenz­ nicht mögen,­ hat er mehr Macht. Sagen­ Sie nicht, dass Sie sei­ne Pro­duk­te groß­ar­tig fin­den. Sei­ne Macht muss so ge­ ring wie mög­lich ge­hal­ten wer­den. Die ver­brei­tets­te Me­tho­de, sei­ne ei­ge­ne Po­si­ti­on zu un­ter­ gra­ben, ist, »Ver­hand­lungs­ba­sis« (VB oder VHB) hin­ter sei­ nen Preis zu schrei­ben. Haben­ Sie »VB« schon mal auf ei­nem brand­neu­en Mer­ce­des ge­se­hen? Nein, denn nur Ama­teu­re ma­ chen es. Wa­rum schreiben­ so vie­le VB an Din­ge, die sie ver­ kau­fen wol­len? Weil sie sich sagen:­ »Naja, so wird immer­ ­hin kei­ner ab­ge­schreckt vom Preis und ein paar Euro kann man ja im­mer run­ter­ge­hen.«

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Was aber geht im Kopf des Käu­fers vor, wenn er an Ih­rem Wa­gen 9000 Euro VB sieht? Er denkt sich, dass kein Mensch 9000 Euro zahlen­ würde,­ und fragt sich, für wie viel weni­ ­ger er ihn be­kommt. Wür­den Sie denn in ei­ner an­deren­ Si­tua­­ tion als Aller­ ­ers­tes sa­gen: »Ich will eigent­ ­lich 100 Euro für den Stuhl, aber ich bin auch be­reit, we­ni­ger zu neh­men«, be­vor Sie ir­gend­ei­nen Vor­zug des Stuhls an­ge­prie­sen ha­ben? Na­tür­ lich nicht. Aber mit VB machen­ Sie genau­ das. Sie er­schaf­fen da­mit das Ge­gen­teil ei­ner Kon­kur­renz­si­tu­a­ti­on, neh­men sich selbst die Macht und signa­ ­li­sie­ren, dass Sie den Wa­gen unter­ Wert ver­kau­fen müs­sen. Wenn Sie von je­man­den kau­fen, der VB an sei­nen Preis schreibt, dann betrach­ ­ten Sie es als Ihre vor­nehms­te Pflicht, den Preis emp­find­lich zu drücken.­ Denn Sie wis­sen jetzt, dass der ande­ ­re noch nicht einmal­ den ange­ ­ ge­be­nen Preis er­war­tet. Dass Sie Ihre wahr­ge­nom­me­ne Macht­po­si­ti­on nie­mals ver­ rin­gern dür­fen, il­lust­riert eine Ge­schich­te des fran­zö­si­schen Schrift­stel­lers Ho­noré de Bal­zac. Ein Pa­ri­ser Buch­händ­ler war von dem noch jungen­ Balzac­ hellauf­ begeis­ ­tert. Er wollte­ ihm 3000 Francs für seinen­ nächsten­ Roman­ bieten.­ Als er die Ad­ res­se des Au­tors in ei­nem Scher­ben­vier­tel er­fuhr, re­du­zier­te er sein Ange­ ­bot auf 2000 Francs. Nachdem­ er das Haus gese­ ­hen hatte,­ wollte­ er nur noch 1500 Francs bieten.­ Als er die Treppen­ erklomm­ und schließ­lich die schä­bige­ Dach­kammer­ sah, in der Bal­zac ge­ra­de ein al­tes Bröt­chen in ein Glas Was­ser tunk­ te, gab er schließlich­ sein An­ge­bot ab: 300 Francs.

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Nasher_Deal_CC21.indd 32 10.11.2020 16:17:21 Macht durch Drit­te

Macht durch Drit­te

Wenn Sie Macht ver­ste­hen und ei­nen He­bel su­chen, um sie zu ver­grö­ßern, kann der Weg auch über Dritte­ gehen.­ Dazu ein Bei­spiel: Mie­ter in ei­nem ver­wahr­los­ten Ge­bäu­de konn­ten ih­ ren Ver­mie­ter nicht über­zeu­gen, et­was an den de­so­la­ten Zu­ stän­den im Haus zu verän­ ­dern – nicht einmal­ das Abwas­ ­ser funk­ti­o­nier­te.22 Aber der Ver­mie­ter blieb un­tä­tig. Wel­che Macht hat­ten die Mieter,­ die sich noch nicht einmal­ einen­ Anwalt­ leis­ ten konnten?­ Sie marschier­ ­ten vor das Haus des Vermie­ ­ters in ei­nem ele­gan­ten Vor­ort und pro­tes­tier­ten dort mit selbst­ge­bas­ tel­ten Schil­dern und Trans­pa­ren­ten ge­gen sei­ne Un­tä­tig­keit. Es dauer­ te­ keine­ Viertel­ stun­ de,­ und die Nachbarn­ forder­ ten­ ihn auf, et­was zu tun, um die De­mons­t­ran­ten los­zu­wer­den. Der Ver­mieter­ knick­te ein und ließ das Haus sa­nie­ren. Ein Freund von mir wohnte­ für eini­ ­ge Mona­ ­te in einer­ WG in Ams­ter­dam. Nach sei­nem Aus­zug be­kam er die Kau­ti­on von sei­ner Ver­mie­te­rin, die zu­gleich sei­ne Mit­be­woh­ne­rin ge­we­sen war, ein­fach nicht zurück.­ Ein halbes­ Jahr nach seinem­ Aus­ zug hat­te er zig Mails geschrie­ ­ben und wurde­ ig­no­riert. Er hat es im­mer wie­der auf ih­rem Handy ver­sucht und wur­de weg­ ge­drückt. Was tun? Ei­nen nie­der­län­di­schen An­walt da­mit be­ auf­tra­gen? Das hät­te wohl Jah­re ge­dau­ert und wäre müh­se­lig ge­wor­den. Sei­ne Po­si­ti­on er­schien ihm fast aus­sichts­los, doch da hatte­ er eine zün­den­de Idee: Er ging auf Face­book und ko­ pier­te sich die ge­sam­te Freun­des­lis­te der Ver­mie­te­rin he­raus. Dann schrieb er ihr noch mal und fragte­ sie, was sie von der Idee hielte,­ ihren­ ganzen­ Freunden­ und Bekann­ ten­ von ihren­ Ma­chen­schaf­ten zu schrei­ben. Nö­ti­gung oder gar Er­pres­sung?

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