Petra Kelly STIFTUNG

Bayerisches Bildungswerk für Demokratie und Ökologie in der Heinrich-Böll-Stiftung e.V.

Kleine Schritte gegen rechte Tritte? Konzepte gegen Rechtsextremismus Dokumentation der Tagung am 28./29. November 2003 in Tutzing

A K A D E M I E F Ü R P O L I T I S C H E B I L D U N G T U T Z I N G Dokumentatio n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Inhaltsübersicht:

Dr. Manfred Schwarzmeier / Gesa Tiedemann Begrüßung und Einführung ...... 3

Prof. Dr. Hans-Gerd Jaschke Erscheinungsformen des Rechtsextremismus in Deutschland Organisation – Entwicklung – Positionen ...... 5

Prof. Dr. Birgit Rommelspacher Rechtsextremismus und die Mitte der Gesellschaft...... 12

Rebecca Weis Gesicht Zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland e.V...... 19

Dr. Reiner Schiller-Dickhut Das Bündnis für Demokratie und Toleranz...... 23

Dr. Fridolin Wimmer Rechtsradikale Musik im Unterricht...... 28

Stefan Glaser Rechtsextremismus im Internet...... 34

Bernhard Krohn Projekt „Schule gegen Rassismus“ an der Berufsschule 2 in Passau ...... 37

Jakob Ruster/Silke Schuster Trainings gegen Rechts – LIDIA ...... 40

Erich Schriever/Gandhi Chahine „Rap für Courage“...... 43

Matthias Adrian EXIT – das Austeigerprogramm für Rechtsextreme ...... 48

Prof. Dr. Birgit Rommelspacher Erfolgreich oder nicht? – Zur Wirkung der Konzepte ...... 52

Dr. Manfred Schwarzmeier Wie weiter? – Zusammenfassung der Abschlussdiskussion ...... 58

Referent/inn/en ...... 59 n 2 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

1. Begrüßung und Einführung Dr. Manfred Schwarzmeier/Gesa Tiedemann a. Dr. Manfred Schwarzmeier geraten. Damit sind dann nicht nur Bereiche wie Herzlich willkommen, meine sehr geehrten Damen Kultur- und Sportförderung, sondern eben auch Ini- und Herren, zu unserem Workshop über ein The- tiativen gegen Gewalt und Intoleranz, wie sie sich ma, das leider seit geraumer Zeit an Aktualität schon vor dem Jahr 2000 – Stichwort „Aufstand nichts verloren hat. der Anständigen“ –, verstärkt aber danach gebildet haben. Drei Jahre später haben viele Initiativen Lassen Sie mich, bevor ich einige organisatorische handfeste Existenzsorgen. Förderprogramme wer- und inhaltliche Bemerkungen machen werde, vorab den immer mehr zusammen gestrichen, die Suche im Namen der Akademie unserem Kooperations- nach Geldgebern belastet das Zeitbudget für die ei- partner, der Petra-Kelly-Stiftung, danken. In allen gentliche Arbeit und die Mitarbeiter haben ange- Phasen der Vorbereitung der Tagung war die Zu- sichts der angespannten Finanzlage keine persönli- sammenarbeit mit Herrn Dr. Rudel ein wirkliches che Planungssicherheit. Zwischen den Initiativen Vergnügen. Ohne ihn wäre die Veranstaltung in herrscht harte Konkurrenz um Geld und Unterstüt- dieser Form nicht zustande gekommen. Umso mehr zung. Dabei gehen die vorläufigen Bewertungen bedauere ich, dass er wegen eines familiären Trau- des Erfolgs oder Misserfolgs der Projekte durchaus erfalls nicht an der Veranstaltung teilnehmen kann. auseinander. Während die Befürworter von Mittel- In Vertretung Herrn Rudels darf ich die Geschäfts- streichungen keine signifikanten Auswirkungen der führerin der Stiftung, Frau Tiedemann, bei uns Programme und Projekte zu erkennen glauben, ver- begrüßen, die die Tagung seitens der Petra-Kelly- weisen deren Mitarbeiter auf viele kleine Erfolge Stiftung eröffnen wird. vor Ort. Sie sehen: Es gibt eine Reihe guter Grün- de, die dafür sprechen, dass wir einen passenden Ich freue mich sehr darüber, dass die Tagung auf Zeitpunkt für eine Zwischenbilanz zu diesen The- so großen Zuspruch gestoßen ist. Insgesamt über men gewählt haben. 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben den Weg an den Starnberger See gefunden. Neben Ich wünsche uns, dass jeder nach dem Ende der dem großen Interesse von Lehrern, Schülern, Stu- Tagung mit dem Gefühl nach Hause geht, viele denten und Sozialarbeitern ist besonders erfreulich, neue Impulse für die Arbeit vor Ort mitgenommen dass so viele Aktive aus ganz unterschiedlichen zu haben und diese neu motiviert trotz aller Pro- Initiativen und Gruppen gegen rechtsextremistisch bleme weiterzuführen. motivierte Gewalt dabei sind. Geographisch decken wir mit dieser Tagung nicht nur Bayern, sondern b. Gesa Tiedemann auch Nordrhein-Westfalen sowie weitestgehend Gerade die letzten Wochen haben gezeigt, wie auch die „neuen“ Bundesländer ab. Dass das aktuell und brisant unser Thema ist – und wie groß Thema aber auch unsere Nachbarn beschäftigt, die Bandbreite der Fragen, die dabei zu behandeln dafür sind die Anmeldungen aus Österreich und sind. Auf der einen Seite wird – nicht zuletzt durch Italien Beweis. Die Bandbreite der konkreten Pro- entsprechende Äußerungen des bayerischen In- jekte ist groß. Sie reicht von speziellen Program- nenministers Günter Beckstein – die Gefahr einer men staatlicher Institutionen wie Polizei und Staats- „braunen RAF“ apostrophiert: Generalbundesan- schutz über sozialpädagogische Angebote zur Ge- walt Kay Nehm hat diese Gefahr erst kürzlich in waltprävention bis hin zu Aussteigerprogrammen einem SZ-Interview ganz sachlich so beschrieben: und Internet-Informationsplattformen. Insgesamt „Wir haben mit der ‚Kameradschaft Süd‘, die in zeigt die starke Resonanz auf unser Programm München ein Attentat bei der Grundsteinlegung deutlich: Es gibt ein ausgeprägtes Bedürfnis nach des Jüdischen Zentrums begehen wollte, erst- Informations- und Erfahrungsaustausch sowie nach mals eine Gruppe, die mit Hilfe von Waffen und Diskussion über Zukunftsperspektiven. Sprengstoffen in einer Planungsphase eines großen Attentats war. Die geplante Tat der Die Frage „Wie geht es weiter?`“ gewinnt ange- ‚Münchner Gruppe‘ zeigt eine neue Dimension sichts der Tatsache, dass allerorten „Sparen“ auf rechtsextremistischer Verbrechen.“ (SZ der Prioritätenliste staatlichen Handelns ganz oben 14.11.2003, S. 10) steht, immer mehr Relevanz. Die sogenannten Fast zur gleichen Zeit markiert die sog. „Hohmann- „freiwilligen Leistungsempfänger“ sind immer die Rede“ des inzwischen aus der CDU/CSU-Fraktion ersten, die dabei ins Fadenkreuz der Mittelkürzung ausgeschlossenen Bundestagsabgeordneten und die n 3 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus offenkundige Zustimmung, die sie offensichtlich mentationen, die von unserer Homepage kostenfrei neben der wohlverdienten Kritik auch bekommen heruntergeladen werden können. Auch für die hat, die andere Seite des Rechtsextremismus: ihr heutige Tagung ist eine solche Dokumantation ge- ideologisches Fundament, das mit seinen antisemiti- plant.) schen Versatzstücken immer noch in nicht unbe- trächtlichem Maße in der bundesdeutschen Bevöl- kerung verankert zu sein scheint.

Wer solche unsäglichen Auffassungen nicht hin- nehmen und der rechtsextremen Gewalt den ideo- logischen Boden entziehen will, der muss gezielt aktiv werden. Dies ist der Hintergrund unserer Tagung und das einigende Band wohl aller hier vorgestellten Projekte und Maßnahmen. Unter diesen Vorzeichen stimmt es dann doch einigerma- ßen verwunderlich, dass die Gelder, die für diese Maßnahmen und Projekte aus öffentlichen Töpfen fließen, immer knapper zu werden scheinen. „Spa- ren gegen Rechts“ betitelte die SZ einen Artikel im Mai diesen Jahres, in dem es hieß: „In den Zei- ten knappen Geldes dürften viele Initiativen nicht überleben“(SZ 3./4.5.2003, S. 3).

Mancherorts wurde auch bezweifelt, ob solche Initiativen überhaupt etwas bewirken können. Natürlich müssen sich solche Projekte auch Fragen nach ihrer Wirkung gefallen lassen – neudeutsch nennt man so etwas Evaluation. Auch wir wollen dieser Frage ja im Rahmen der Tagung nachgehen. Aber Evaluation braucht Zeit und einigermaßen objektive Qualitätskriterien. So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in Zeiten knapper Kassen und ohne neue, spektakuläre Gewaltaktio- nen rechtsextremistischer Kreise die Gelegenheit genutzt wurde, eigentlich ungeliebten Kindern die finanzielle Alimentation zu entziehen. Dass dies ein Sparen am falschen Platz ist, haben nicht nur die jüngsten von mir erwähnten Ereignisse von Neuem deutlich gemacht, sondern auch der im Mai diesen Jahres vorgestellte Verfassungsschutzbericht für 2002, der nach wie vor von einem Ansteigen der „rechten Gewalt“ sprach.

Aus diesem Grund meinen wir, die Veranstalter dieser Tagung, dass kontinuierliche und große – auch finanzielle – Anstrenungen notwendig sind, um wenigstens – wie in unserem Titelmotto ange- deutet – kleine Schritte gegen rechte Tritte unter- nehmen zu können. Die Petra-Kelly-Stiftung selbst versucht schon seit einigen Jahren, dazu etwas beizutragen: Mit zwei großen Veranstaltungen zu Methoden und Ansätzen der Gewaltprävention und einer Tagung zu Trainings und Konzepten der in- terkulturellen Arbeit haben wir konkrete Maßnah- men und Projekte vorgestellt und den Austausch der Projektträger untereinder vorangetrieben. (Zu allen drei Tagungen gibt es umfangreiche Doku- n 4 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

2. Erscheinungsformen des Rechtsextremismus in Deutschland: Organisation – Entwicklung – Positionen1 Prof. Dr. Hans-Gerd Jaschke

Im März 2001 melden die Zeitungen einen starken kelfelder bleiben ihnen verschlossen. Bei der Ver- Anstieg der bekannt gewordenen rechtsextremisti- folgung von Straftaten mit rechtsextremem Hinter- schen, fremdenfeindlichen und antisemitischen grund jedoch häufen sich Berichte über schleppen- Straftaten für das Jahr 2000. Fast 16000 Fälle be- de Verfahren und ausbleibenden Tatendrang der deuten einen Anstieg von etwa sechzig Prozent im Behörden. Vergleich zum Vorjahr. In Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland, haben sie sich 2000 im Der Rechtsextremismus hat viele Facetten, nicht Vergleich zum Vorjahr gar verdoppelt. Nicht nur in nur die gewalttätige, brutale, menschenverachten- Ostdeutschland, auch in den alten Bundesländern de. Er zeigt sich auch in Parteien wie der NPD. ist die zunehmende Gewaltbereitschaft rechter Eine schwer überschaubare Facette des Rechts- Jugendlicher nicht zu übersehen. Zählten die Ver- extremismus ist sein Vordringen in die Alltagswelt fassungsschutzbehörden 1994 noch rund 5 500 und die kulturelle Praxis von Jugendlichen. Ent- Militante, stieg ihre Zahl bis 2000 auf etwa 10000. sprechende Musik, Kleidung und Verhaltensstile Kann man, ja muss man aus all dem schließen, sind Teil der Jugendkulturen geworden. Seitdem dass der Rechtsextremismus, vor allem aber sein wurden 17 neonazistische Organisationen verboten, gewaltbereites Segment, im Aufwind ist? Diese darunter die Wiking Jugend, die Nationalistische weit verbreitete Annahme erweist sich bei genaue- Front und, im September 2000, die rechte Skin- rer Betrachtung als korrekturbedürftig. Schon ein- Gruppe Blood and Honour Division Deutschland. mal war die Anzahl der Gewalttaten besonders Fachleute bezweifeln jedoch schon seit langem, ob hoch: Im Jahr 1992/93, als Anschläge gegen Asyl- staatliche Repression gegen rechts wirklich zu bewerberheime die Öffentlichkeit in Atem hielten, einer Zerschla gung der Szene beitragen kann. zu weit beachteten Lichterketten und Rock gegen Denkbar wäre vielmehr, dass Repression Lernpro- Rechts-Konzerten führten, wurden mehr als 1400 zesse freisetzt und zu organisatorischen und strate- Fälle gezählt. Doch in den folgenden Jahren sank gischen Umorientierungen führt. die Zahl der Gewalttaten von rechts kontinuierlich bis auf etwa 700 im Jahr 1998. Nun also gehen sie Unstrittig sind freilich die symbolischen Gewinne wieder nach oben. der Repressionspolitik: Der Staat zeigt Härte, Ent- schlossenheit und Durchsetzungskraft. Er übersetzt Die Aussagenreichweite der amtlichen Zahlen darf die komplexe Rechtsextremismus-Problematik in nicht überschätzt werden. Hinter ihnen verbirgt einfache Gegenüberstellungen von Freund und sich ein erhebliches Dunkelfeld nicht angezeigter Feind, Gut und Böse. Den Bürgern wird nahe ge- und damit nicht erfasster Straftaten und: Ein- legt, sich bei solchen Polarisierungen für die eine schüchterungen, Bedrohungen, Diskriminierungen oder die andere Seite zu entscheiden. Im Ergebnis aus rassistischen Gründen gelangen in der Regel wird der Rechtsextremismus weiter ausgegrenzt, nicht zur Anzeige. Unbekannt ist auch die Zahl der die Solidarität der Demokraten bestärkt und ihre Jugendlichen, die aus fremdenfeindlichen Motiven Bindung an den Staat erhöht. Auf diese Weise heraus tätlich angegriffen werden und aus Angst entsteht zwar ein Legitimationsgewinn der Politik, vor Racheakten den Gang zur Polizei scheuen. aber nicht unbedingt eine effektive Strategie ge- Systematische, wissenschaftlich fundierte Opferbe- genüber Parteien wie der NPD. fragungen in diesem Bereich, die zuverlässige Schätzungen ermöglichen würden, gibt es bisher Dabei zeigen sich Globalisierungstendenzen auch in nicht. Auf der anderen Seite erscheinen Polizei und diesem Segment. Das internationale Anwachsen Justiz eigentümlich machtlos. Unterhalb der Straf- der rechten Skinhead-Szene hat sich mittlerweile zu verfolgungsebene werden sie kaum tätig, die Dun- einer eine millionenschweren internationalen Indu-

1 Dieser Text beruht auf – redaktionell zusammengestellten – Ausschnitten aus: Hans-Gerd Jaschke: Für eine aktive Bürgergesellschaft – Thesen zur Diskussion über Rechtsextremismus im Sommer 2000; in: Perspektive. Ein Forum der Landeszentrale für politische Bildung in Rheinland-Pfalz, Nr. 6/ September 2000 Hans-Gerd Jaschke: Zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland; in: epd-Dokumentation 49/2002, S. 6-13 n 5 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus strie entwickelt, der modernste Technik zur Ver- deten sie sich zurück: Die Deutsche Reichs-Partei breitung ihrer Botschaft zur Verfügung steht. CDs, (DRP), eine eher gemäßigte, deutschnationale Videos oder Computerspiele werden erst in einem Gruppierung und die Sozialistische Reichspartei Staat hergestellt und dann in einem anderen, häufig (SRP), ein Wurmfortsatz der NSDAP, betraten die über das Internet, zum Verkauf angeboten. So Bühne. Unter den Mitbegründern der SRP fand wurde zum Beispiel das neueste Album von „No sich auch der ehemalige Generalmajor Otto-Ernst Remorse“, einer der bekanntesten Bands, mit dem Remer, der mitverantwortlich war für die Nieder- Titel „Barbecue in Rostock“ in Großbritannien schlagung des Widerstandes am 20. Juli 1944. Als produziert, in Dänemark gepresst und wiederum in die SRP 1951 bei Landtagswah-len in Bremen 7,7 einem anderen Staat der Europäischen Union zum und in Niedersachsen 11 Prozent erzielte und damit Verkauf angeboten. das Nachleben des Nationalsozialismus bei Teilen der Wählerschaft nicht mehr zu übersehen war, Es mangelt nicht an Erklärungsversuchen und Ge- entschloss sich die Bundesregierung zu einem Ver- genstrategien. Angst vor Arbeitslosigkeit, soziale botsantrag. 1952 wurde die SRP vom Bundesver- Deklassierung, mangelnde Erziehung, ein zu nach- fassungsgericht verboten. sichtiger Staat – all dies wird in verschiedenen Varianten vorgebracht. Einigkeit besteht darüber, Meinungen, Haltungen und Orientierungen sind dass ein Bündel von Ursachen in Betracht zu zie- freilich nicht zu verbieten. Nach dem SRP-Verbot hen ist, einfache Erklärungen gehen ins Leere. war klar, dass offenes Eintreten für nationalsoziali- Dabei wird häufig übersehen, dass der Rechtsex- stische Ideale dem Ansehen der Bundesrepublik im tremismus in Westdeutschland, aber mittlerweile Ausland schadeten und deshalb von den staatlichen auch in Ostdeutschland längst schon eine eigen- Stellen energisch verfolgt wurden. Ein Großteil ständige politische Strömung geworden ist, mit ehemaliger Nationalsozialisten begab sich in die einer gewachsenen Geschichte und Tradition. Vie- innere Emigration und passte sich den Bedingungen les spricht dafür, dass der Rechtsextremismus in der neuen Bundesrepublik an, arbeitete und lebte der Nachkriegsgeschichte eine zwar randständige, unauffällig, schloss sich den bürgerlichen Parteien aber auch selbstständige und dynamische Rand- an. Nazistische Überzeugungen lebten fort in den strömung war und ist, deren Gefahren für die De- privaten sozialen Welten, in den Familien, Vereinen mokratie nicht überbewertet werden sollten, die und den Nachbarschaftsbeziehungen. Unbelehrba- aber dennoch eine ernst zu nehmende und länger- re, buchstäblich „Ewig-Gestrige“ organisierten sich fristige Bedrohung ist. in heute längst vergessenen Vereinigungen wie dem Kameradschaftsring Nationaler Jugendver- a. Historischer Rückblick bände, der Mitte der fünfziger Jahre immerhin Es kann nicht überraschen, dass ehemalige Natio- 50000 national gesinnte Jugendliche hinter sich nalsozialisten und ihre Anhänger auch nach der brachte. Die Neuauflage der Hitler-Jugend nannte Kapitulation im Mai 1945 versuchten, ihre Ideen zu sich ab 1952 „Wiking-Jugend“. Erst zweiundvierzig organisieren und durchzusetzen. Der militärischen Jahre später, im November 1994, wurde sie vom Kapitulation folgte keineswegs die allgemein ver- Bundesinnenminister verboten. breitete Einsicht über den Irrweg des Nationalso- zialismus, Teile der Hitler-Jugend-Generation traten Ausgrenzung und Integration waren freilich zwei auch nach dem Ende des Krieges für ihre Über- Seiten derselben Medaille. Kleine, aber nicht unbe- zeugung ein. Die „Stunde Null“, den vollständigen deutende Rechtsaußen-Parteien im Grenzbereich Bruch mit der NS-Vergangenheit hat es gegeben zwischen offenem Rechtsextremismus und Kon- auf der Ebene der Verfassung und der Ordnung servatismus wie etwa die Deutsche Partei (DP) der Institutionen, nicht aber bei den Mentalitäten des niedersächsischen Ministerpräsidenten Hein- und Einstellungen. Auch die Entnazifizierung durch rich Hellwege, die Wirtschaftliche Aufbau- die alliierten Siegermächte vermochte nicht die Vereinigung (WAV) und die Deutsche Gemein- Reste des Nationalsozialismus aus den Köpfen zu schaft (DG) des späteren Grünen-Mitbegründers vertreiben. Demokratie war und ist ein langwieriger August Haussleiter waren in den fünfziger Jahren Lernprozess, NS-nahe Überzeugungen überlebten parlamentarisch präsent. Für diese Parteien und das Ende des Nationalsozialismus und prägten Teile ihre Anhängerschaft gilt, was Wolfgang Gessen- der gesellschaftlichen Grundorientierungen auch harter als Druck zur Anpassung an das nationale nach 1945. Zunächst verhinderte die Vergabe der und konservative Spektrum bezeichnet hat: „Ras- Partei-Lizenzen durch die Alliierten die Gründung sismus, Antisemitismus und autoritärer Führergla u- einer neuen Rechtsaußen-Partei. Doch bald nach be wichen immer stärker einer Haltung, die sich in der Entstehung des westdeutschen Teilstaates 1949 der Kritik am ‚überzogenen‘ Pluralismus, an der und der Verabschiedung des Grundgesetzes mel- Westbindung, aber auch in scharfem Antikommu- n 6 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus nismus mit den nationalkonservativen Kräften einig traditionsbewahrende national-konservative Ge- wusste. Zentraler Bezugspunkt aber blieb für das genströmung zur revoltierenden Studentenbewe- rechte Lager die Auseinandersetzung mit der NS- gung Ende der sechziger Jahre und als Alternative Zeit, die man allerdings nicht aus der Position des zur CDU/CSU, die in eben jenen Jahren eine Gro- Schuldigen, sondern des Opfers in Gestalt des le- ße Koalition mit der SPD eingegangen war und von galen Führerbefehlen gehorchenden, für verbre- vielen Konservativen des Verrats ihrer Ideale be- cherische Ziele missbrauchten Untertanen führte.“ zichtigt wurde, an. Die Niederlage der NPD bei der Auf Grund der ideologischen relativen Nähe gelang Bundestagswahl 1969 und das anschließende parla- es CDU und CSU bis Anfang der sechziger Jahre, mentarische Aus auch bei den folgenden Landtags- das Wählerpotenzial Rechtsaußen zu erobern, so wahlen schien all denen Recht zu geben, die dass rechts von der Union in der Tat kein Platz Rechtsextremismus für ein Problem der Kriegsge- mehr war für eine demokratisch legitimierte neration hielten, das sich mit fortschreitender Zeit rechtsextreme Partei, ganz so, wie es der CSU- von selbst erledigen würde. Diese damals weithin Vorsitzende Franz-Josef Strauß immer gefordert geteilte Auffassung sollte sich jedoch als falsch hatte. herausstellen.

Der politische Druck auf den organisierten Rechts- In den siebziger Jahren vollzieht sich in West- extremismus führte zu einer Zersplitterung der Sze- deutschland ein grundlegender Strukturwandel des ne und zu einer Konzentration auf öffentlich wenig organisierten Rechtsextremismus. Generations- auffällige Aktionsformen. Das NS-Gedankengut wechsel, Provokation und Militanz sind die Stic h- wurde konserviert in kleinen kulturellen Zirkeln wie worte. Jüngere, in der Nachkriegszeit Geborene, dem betulichen Deutschen Kulturwerk Europäi- drangen nach vorne. In der NPD und anderen schen Geistes oder der Gesellschaft für freie Publi- Organisationen geraten die Alten unter Druck, die zistik und in Zeitschriften wie „“. Jüngeren wollen eine radikale Reform der Pro- Hier fanden die Dichter und Denker des National- grammatik. Die Aktion , nationalrevo- sozialismus ihre Anhänger und Verehrer im Ver- lutionäre Gruppen an den Hochschulen und andere, borgenen, bei den Lippoldsberger Dichtertagen zumeist um kleine Zeitschriften gruppierte Strö- oder auch den öffentlich wenig beachteten Sonnen- mungen nehmen sich die französische Neue wendfeiern. Hier betrieben NS-Literaten wie Hans Rechte, die Novelle Droite zum Vorbild und starten Grimm oder Hans Venatier Traditionspflege für den Kampf um die Köpfe. Die Rechte soll theorie- Ewig-Gestrige, weitgehend unbeachtet von der Öf- und programmfähig werden, rechtsgerichtete fentlichkeit der Wirtschaftswunder-Gesellschaft mit Schüler- und Jugendzeitschriften expandieren. ihrer „Ohne-mich“- Mentalitat. Das politische und Ernst Jünger, Moeller van den Bruck und andere gesellschaftliche Ghetto solcher Positionen wurden Vertreter der Konservativen Revolution der zwan- von den Akteuren legitimiert vom Glauben an die ziger Jahre werden gelesen und diskutiert, die Neue künftige Elite, an die besseren Deutschen. Ihre Ak- Rechte soll nach dem Muster der Neuen Linken tivitäten sind natürlich noch eng verbunden mit den antreten. Es geht um die Kritik am „american way biografischen Erfahrungen des noch nicht lange of life“, am Kapitalismus, die nationale Revolution zurückliegenden Nationalsozialismus. Die rechts- soll Deutschland und Europa wieder auf die alteu- extreme Szene der fünfziger Jahre agiert bewusst ropäischen, vorrevolutionären Entwicklungspfade im gesellschaftlichen Abseits, sie bildet subkultu- bringen. In Deutschland operieren die kleinen relle Verhaltensstile. Lebenspraktische Orientie- Gruppen der Neuen Rechten letztlich ohne größere rungen, subjektive Wertsetzungen, Sprachregelun- Erfolge, sieht man von kleinen Projekten, wie etwa gen, Feierrituale, soziale Beziehungsmuster und der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ ab, die sich als Umgangsformen stiften einen gemeinsamen Le- Gegengründung zur Tageszeitung (taz) versteht. benszusammenhang, der das gesamte rechte Lager zusammenhält im kollektiven Selbstverständnis des Folgenreicher sind die Provokationen der jungen Wartens auf bessere Zeiten. Neonazis um Michael Kühnen und . Vor allem Kühnens Aktionsfront Nationa- Erst 1964 führten die Bemühungen der verspreng- ler Sozialisten (ANS) betreibt geschickte Öffent- ten Rechten, eine schlagkräftige Sammlungsbewe- lichkeitsarbeit. Kühnen erklärt in der Rhetorik und gung von rechts zu gründen, zum Erfolg. Die Na- im Gestus junger Intellektueller die Gaskammern tionaldemokratische Partei (NPD) wurde zur er- zur Erfindung der Siegermächte und proklamiert die folgreichsten rechtsextremen Partei in der Bundes- nationalsozialistische Revolution. Die westdeutsche republik. Sie saß bis 1969 in sieben Länderparla- Öffentlichkeit hatte lange Jahre, begleitet vom menten und scheiterte bei der Bundestagswahl „Wirtschaftswunder“, geringer Arbeitslosigkeit und 1969 nur knapp mit 4,3 Prozent. Sie bot sich als die steigenden Einkommen, den Rechtsextremismus n 7 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus zum Randproblem ewiggestriger Alt-Nazis erklärt rungsprozesse der Gesellschaft wurden übersetzt in und damit das Problem verdrängt. Nun aber war es autoritär-populistische Konzeptionen der inneren eine neue Generation der Zwanzig- und Dreißigjä h- Sicherheit, in Probleme von Recht und Ordnung. rigen, die unter Bedingungen einer lange anhalten- Überdies kamen die Republikaner nicht aus dem den Krise des Arbeitsmarktes und verminderter weit verzweigten rechtsextremen Netzwerk, son- Lebenschancen Jugendlicher nach der Ölkrise dern sie entstanden aus einer Abspaltung aus der 1973/74 an den Zielen der NSDAP festhielten und CSU. Auftrieb erhielten sie von Konservativen im durch spektakuläre Aufmärsche auf einen wunden Grenzbereich zwischen rechts und rechtsextrem, Punkt der demokratischen Entwicklung in West- die mit dem Ausbleiben der von Kohl versproche- deutschland hinwiesen. Der Strukturwandel des nen „geistig-politischen Wende“ unzufrieden waren organisierten Rechtsextremismus erhärtete die und diese Wende jetzt einforderten. Dieser bürger- Annahme, dass die Rechtsaußen-Parteien NPD lich-oppositionelle Herkunftsrahmen schien eine und DVU, eine Vielzahl neonazistischer Kleingrup- Garantie zu sein für eine wirksame Protestpartei pen und ebenso viele sonstige Vereinigungen eine jenseits des rechtsextremen Stigmas. Zwar stießen randständige, aber auch etablierte Randströmung seit 1985 einige Funktionäre zu den Republikanern, des politischen Spektrums geworden waren. die zuvor bei rechtsextremen Organisationen tätig waren, allen voran Harald Neubauer, zuvor lange Die 1981 öffentlich breit diskutierte so genannte Jahre bei NPD und DVU und die rechte Hand des „Sinus-Studie“ eines Heidelberger Umfrageinstituts DVU-Chefs Gerhard Frey. Doch diese braunen kam zu dem Ergebnis, dass 13 Prozent der Bundes- Tupfer beeinträchtigten das nationalkonservative bürger ein konsistentes rechtsextremes Weltbild populistische Image der Republikaner nicht allzu aufwiesen – ein in Fachkreisen lange bekanntes sehr, zumal Schönhuber sich als geschickter Stra- Phänomen, das durch die öffentliche Debatte nun tege und Redner erwies, der die Wirtshäuser und aber unabweisbar ein erhebliches gesellschaftliches Festzelte der bayerischen Provinz problemlos füllen Potenzial des Rechtsextremismus in den Blickpunkt konnte. Zwischen 1989 und 1992 hatte die Partei rückte. Die außerhalb der rechtsextremen Kern- beachtliche Wahlerfolge, seitdem nur noch in Ba- strömung 1984 erfolgte Gründung der Republikaner den-Württemberg 1996. ergänzte dieses Bild von einer anderen Seite: Aus der konservativen Mitte heraus, in der bayerischen Die deutsche Vereinigung 1989/90 hat eine weitere CSU hatte sich Protest entzündet an der Ostpolitik Veränderung der Struktur des Rechtsextremismus der Partei. Drei CSU-Abtrünnige gründeten die zur Folge. Westdeutsche Organisationen versu- Republikaner, ihr Zugpferd Franz Schönhuber chen, im Osten Fuß zu fassen, und treffen dort auf konnte mit populistischen Parolen süddeutsche eine Mentalität, der es an demokratischen Erfah- Wirtshäuser füllen und die Grauzone zwischen rungen fehlt. Mehr als zehn Jahre nach der Verei- Rechtskonservatismus und Rechtsextremismus nigung sind rechtsextreme Parteien im Osten noch verwischen. Noch heute haben sie Sitz und Stimme immer schwach, aber das Gewaltpotenzial entwik- im Landtag von Baden-Württemberg. Die Republi- kelt sich dennoch überwiegend in den neuen Län- kaner galten zu Beginn der neunziger Jahre als dern. „Im Ergebnis“, schreibt Peter Reif-Spirek, aussichtsreichste Partei rechtsaußen, der auch „führt dies zu einer rechten Alltagskultur, in der die längerfristig parlamentarische Erfolge zugetraut alltägliche Diskriminierung von Fremden und Ande- wurden. Maßgeblich für diese Einschätzung waren ren (keineswegs nur durch gewalttätige Übergriffe der wesentlich von Franz Schönhuber geprägte militanter Cliquen) überhaupt nicht mehr als Pro- populistische Politikstil, die Attraktivität der Partei blem wahrgenommen wird, sondern als normal und bei Arbeiter- und kleinbürgerlichen Wählern und berechtigt gilt. Die sozialräumlichen Positionsge- das internationale Umfeld erfolgreicher rechtspo- winne der Rechten sind bereits so gravierend, dass pulistischer Parteien in Frankreich, Österreich und zahlreiche Gegenden im Osten als ‚No-go-areas‘ Italien. Es gelang den Republikanern eine Zeit lang, für Minderheiten eingeschätzt werden müssen“. das Asylthema wählerwirksam zu instrumentalisie- Diese politisch umstrittene, weil Standortnachteile ren und die Sehnsüchte der Stammtische zu bedie- nach sich ziehende Diagnose wird vom Bundesamt nen. Sie schienen in der Lage, das diffuse rechte für Verfassungsschutz bestätigt. In einem Report Protestpotenzial längerfristig zu bündeln und ihm über die Entwicklung des Rechtsextremismus in einen parlamentarischen Ausdruck zu verleihen. den neuen Ländern vom Januar 1999 heißt es: Ihre Themen zielten in die Mitte der Gesellschaft: „Verschiedentlich sind rechtsextremistische Ver- Weltweite Armutswanderungen wurden wirkungs- haltensweisen und Symbole in Bereiche der Ju- voll als „Überfremdung“ der Deutschen durch gendkultur, wie z.B. Jacken, Stiefel und Haar- Ausländer artikuliert. Der Vertrauensverlust der schnitt, eingedrungen und Teil des Alltagsgesche- Institutionen und weit reichende Individualisie- hens geworden. Rechtsextremisten sehen sich hier n 8 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus in ihrer strategischen Zielsetzung der Schaffung winnern und Verlierern wird größer, das Ausmaß ‚national befreiter Zonen‘ bestätigt. Mit diesem sozialer Ungleichheit kommt an die Grenze der So- auch von den ‚Jungen Nationaldemokraten‘ (JN) zialverträglichkeit. Dadurch wird der Protest von aufgegriffenen Terminus versuchen sie, eine politi- rechts strukturell gleichsam aufgeladen, ohne dass sche, soziale, kulturelle und ethnische Vorherr- politische Ansätze erkennbar wären, dies als schaft über begrenzte Gebiete und Einrichtungen strukturelles Grundproblem überhaupt wahrzuneh- herzustellen und das staatliche Gewaltmonopol men. Die Modernisierungsthese erklärt im Übrigen auszuhöhlen. Soweit es rechtsextremistischen Ju- auch, warum Rechtsextremismus auch in anderen gendlichen und Heranwachsenden in Ansätzen Industriegesellschaften wie Österreich, Italien oder gelungen ist, in und über gemeinschaftliche Ein- Frankreich ein ernst zu nehmendes Problem dar- richtungen zu bestimmen und konkurrierende Kul- stellt. Es nimmt dort nur andere, durch nationale turen auszuschließen – teils durch Drohungen, teils Besonderheiten bedingte Formen an. mit handfester Gewalt – so ist dies jedoch nicht das Ergebnis strategischer Planung, sondern des jewei- Kern der Modernisierungstheorie ist die Annahme, ligen Kräfteverhältnisses vor Ort.“ Was in West- dass Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit deutschland kaum je gelungen ist, das scheint in in der Mitte der Gesellschaft entstehen und deshalb Ostdeutschland Konturen anzunehmen: die soziale auch dort zuallererst bekämpft werden müssen. und kulturelle Verwurzelung des Rechtsextremis- Dies bezieht sich vor allem auf zwei Punkte: mus vor Ort. · Familie, Schule und Arbeitsplatz einschließlich ihrer sozialen Umfelder sind jene Instanzen der b. Rechtsextremismus: politischen Sozialisation, in denen Meinungen, eine „normale Pathologie westlicher Orientierungen und Verhaltensmuster erworben Industriegesellschaften” werden. Rassistisches Denken und Handeln ist nur der Endpunkt eines mittel- oder längerfristi- Vor mehr als dreißig Jahren hat der Kölner Sozio- gen negativen Lernprozesses, der früher ein- loge Erwin K. Scheuch den Rechtsradikalismus ei- setzt und durch diese Instanzen oder eine von ne „normale Pathologie westlicher Industriegesell- ihnen wesentlich geprägt wurde. Vor diesem schaften” genannt. Je schneller das Tempo der Hintergrund macht es durchaus Sinn, von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisie- Mitte der Gesellschaft und ihrer Verantwortung rung voranschreitet, je komplexer gesellschaftliche zu reden. Wenn jugendliche Gewalttäter davon Verhältnisse erscheinen, desto eher werden die ausgehen, ihre Taten würden insgeheim gedeckt Verlierer dieser Entwicklung, d.h. diejenigen, deren oder unterstützt von ihren sozialen Umfeldern, objektive Lebenschancen von ihnen selbst als rela- so zeigt sich genau darin die Schlüsselfunktion tiv begrenzt und als von außen verursacht empfun- der Mitte für eine offene und pluralistische ge- den werden, zu rückwärts gewandten Denkmu- sellschaftliche Entwicklung. stern greifen. · Wenn der öffentliche Diskurs der Eliten in Poli- tik, Wirtschaft, Sport und anderswo fremden- Übersteigerte nationale und ethnische Abgrenzung feindliche Deutungsmuster selber benutzt oder sind heute angesichts der Globalisierung derartige sie nahe legt, können ohnehin vorhandene rassi- rückwärts gewandte Gegenreaktionen. Der Öff- stische Milieus sich bestätigt fühlen. Dies be- nung gegenüber den Weltmärkten setzt die Rechte trifft vor allem den Bereich der Ausländer- und nationale Abschottung entgegen, einer multiethni- Integrations- bzw. Desintegrationspolitik. Unter- schen Gesellschaft die ethnische Identität der scheidungen in gute, nützliche und unnütze Aus- Deutschen, der räumlichen und beruflichen Mobili- länder oder die immer wieder vorgetragene tät die überschaubare heimatliche Verwurzelung, These einer Belastung öffentlicher Haushalte den alltäglichen Konflikten um materielles und kul- durch Ausländer lassen häufig fremdenfeindli- turelles Kapital innerhalb der Leistungsgesellschaft che Schlussfolgerungen zu. das Kameradschaftsprinzip der Volksgemeinschaft. Selbst militante Aktionen gegen Ausländer finden heimliche Sympathien bei einem Teil der Bevölke- c. Soziale Basis rung. Rechtsextremismus ist primär ein Syndrom der Modernisierungsverlierer. Welches ist die soziale Nicht nur das Tempo der Modernisierung im Um- Basis der Gewalt von rechts? Die Wahlsoziologie bruch von der Industrie- zur Dienstleistungsgesell- und die Kriminalstatistiken geben eine eindeutige schaft schreitet voran, auch der Kern der gesell- Antwort: Es sind junge Männer zwischen 14 und 25 schaftlichen Integration beginnt zu schmelzen: Der Jahren, formal eher schlecht ausgebildet, in eher Abstand zwischen oben und unten, zwischen Ge- untergeordneten oder prekären Berufspositionen. n 9 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Die Berufschancen dieser Gruppe werden sich in nicht besonders hoch. Die meisten von ihnen sind den nächsten Jahren im Zuge voranschreitenden Arbeitnehmer. Die Betriebe müssen zur Kenntnis Abbaus von Arbeitsplätzen im Industriebereich und zu nehmen, dass sich künftig gewaltige ethnische höheren Qualifikationsanforderungen im Dienstle i- Konfliktpotenziale zusammenballen, wenn türkische stungsbereich drastisch verschlechtern und ihre und deutsche Jugendliche und jugendliche Aus- Protestbereitschaft wird sich vergrößern. siedler um die immer knapper werdenden Stellen konkurrieren. Gefragt sind mehr Lehrstellen, mehr Natürlich ist rassistisches Denken nicht auf diese Forderung der beruflichen und der politischen Bil- Gruppe beschränkt, aber hier findet die Rechte ich- dung, mehr Teamarbeit und mehr Förderung so- ren bedeutsamsten Nährboden. Eine 1998 an der zialer Kompetenzen. In den Betrieben muss ein FU Berlin durchgeführte empirische Untersuchung Verhaltenskodex etabliert werden, der Toleranz ge- (vgl.: Richard Stöss, Rechtsextremismus im ver- genüber den Kollegen gleich welcher ethnischen einten Deutschland, hrsg.von der Friedrich-Ebert- Zugehörigkeit zwingend verordnet und Verstöße Stiftung, Bonn 1999, S. 26 ff.) kommt zu folgenden dagegen auch empfindlich sanktioniert. Ähnliches bemerkenswerten Ergebnissen: gilt für den öffentlichen Dienst. Hier mussten die · 12 Prozent der westdeutschen, 17 Prozent der Instrumente erst geschaffen werden, um das Dis- ostdeutschen Bevölkerung bilden das rechtsex- kriminierungsverbot des Grundgesetzes wirksam tremistische Einstellungspotential. Im Westen umzusetzen und im Umgang der Behörden mit sind es eher die Älteren, im Osten ist dieses Po- Nicht-Deutschen ein alltägliches Klima der Tole- tential verteilt über alle Altersgruppen. ranz herzustellen. In Sozialämtern, Polizeirevieren, · Arbeiter sind besonders anfällig für rechtsextre- Ausländerbehörden und anderen Dienststellen me Einstellungen. bedarf es entschlossener Durchsetzung des Dis- · Das rechtsextreme Einstellungspotential ist in kriminierungsverbotes. Die Gewerkschaften und den ostdeutschen Bundesländern deutlich höher die Parteien müssen zur Kenntnis nehmen, dass als in den westdeutschen. Während auf der sich unter ihren Mitgliedern und Wählern ein er- Ebene von Meinungen und Orientierungen die heblicher Anteil rechtsextrem Eingestellter befin- älteren Generationen sogar eher noch rechtsex- det. Dies wurde zu lange totgeschwiegen, um die treme und fremdenfeindli-che Auffassungen Anhängerschaft nicht zu verprellen. Das Engage- goutieren, sind es auf der Ebene aktiver Pro- ment gegen rechts wirkt unglaubwürdig, wenn testbereitschaft eher die jüngeren Männer. nicht auch vor der eigenen Tür gekehrt wird, mehr noch: unterbleibt die Selbstreflexion von Betrieben, Praktisch alle Kriminalstatistiken und wissenschaft- Verbänden, Gewerkschaften und Parteien, dann lichen Untersuchungen der letzten Jahre weisen in legen sie sich selber Fesseln an und können eine diese Richtung. Neu an der aktuellen Entwicklung nachhaltige Politik gegen rechts nicht betreiben. sind die hohe Gewaltbereitschaft, die neuen Kom- munikationsmedien und der durch die Globalisie- Drei Ebenen des Umgangs mit Rechtsextre- rung bedingte neue Kontext internationaler Abhän- mismus gigkeit (Standortfaktor) Polizeiliche Kriminalstati- 1. Ebene: symbolische Politik, geistig-politische stiken – die nur angezeigte Fälle aufnehmen – sind Auseinandersetzung keine wirklich aussagekräftigen Indikatoren für Ge- - Demonstrationen, öffentliche Aktionen, Publizi- waltbereitschaft. Nicht nur in Ostdeutschland, son- stik, Öffentlichkeitsarbeit, politische Bildung dern auch an westdeutschen Haupt- und Berufs- - Betroffenheit, moralische Empörung, Aufklä- schulen und in den städtischen sozialen Brennpunk- rung/Information, Ächtung des Rassismus, aber ten verbreitert sich ein Klima der Bedrohung durch auch: Durchsetzung von Gruppeninteressen Gewalt. Es wird überhöht durch die Normalisie- rung von Gewalt in den Medien seit Einführung des 2. Ebene: Repression Privatfernsehens Mitte der achtziger Jahre, aber - Polizei, Justiz, Verfassungsschutz, Politik der auch durch ein dichtes Netzwerk rassistischer inneren Sicherheit/Gesetzgebung Homepages im Internet, das Jugendlichen zeigt, - Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, polizeiliche „wir sind da, wir sind schlagkräftig“ und faktisch Prävention, Politikberatung über Extremismus. dazu beiträgt, die rechtsextreme Szene enger zu Staatliche Drohpotenziale vernetzen. 3. Ebene: Politik der sozialen Integration d. Probleme des Umgangs mit Rechts- - Bildung, Sozialarbeit, Sozial-, Jugend-, Migra- extremismus tions-, Arbeitsmarktpolitik, politische Bildung. Der Anteil der Arbeitslosen unter den rechten Ge- - soziale Integration in die Gesellschaft, Ver- walttätern und den rechtsextrem Eingestellten ist mittlung von Werten und Fertigkeiten n 10 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Es kann nicht bezweifelt werden, dass entschiede- Gemeinsames Ziel aller Ebenen ist die Minimierung nes repressives Vorgehen ebenso wie die Elemente von Gewalt, der Abbau von Diskriminierung, die der Symbol-Politik richtig und angemessen sind. Einübung demokratischer Formen der Konflikt- Wohl aber muss auch darauf hingewiesen werden, regulierung und das Sicherstellen annähernder so- dass eine Zuspitzung der Auseinandersetzung auf zialer Chancengleichheit. Medienwirksam insze- diese Ebenen kontraproduktiv ist. Die Konzentrati- nierte Betroffenheit und die Rituale moralischer on auf Symbolpolitik und Repression hat Gründe im Empörung, Demonstrationen, Unterschriftenaktio- Zeitfaktor und in der öffentlichen Wirkung. Sym- nen, Rockkonzerte, Prominenten-Bündnisse, Dis- bolpolitik kann aus dem Stand heraus produziert kussionsrunden usw. haben mehrere Funktionen. werden mit nur geringer zeitlicher Verzögerung. Sie dienen – neben der eigenen Profilierung – der Pressekonferenzen, Demonstrationen usw. können Mobilisierung, der kollektiven Vergewisserung über praktisch unmittelbar umgesetzt werden. Für die zu Grunde liegende gemeinsame Werte und nicht Politik der Repression ist nicht nur diese selbst von zuletzt sollen sie nach außen hin Signalwirkung Bedeutung, sondern ihre öffentliche Ankündigung: haben für ein demokratisches Deutschland. Re- Die Drohung mit dem NPD-Verbot, die öffentlich pression durch Polizei und Justiz verfolgt nicht nur verkündete Verstärkung von Polizei und Bundes- Zwecke der Abschreckung, der Sühne und der grenzschutz, die Forderung nach Ausschöpfung des Sanktionierung von Gewalt. Sie hat auch symboli- Strafrahmens begründen ein staatliches Drohpo- sche Funktionen, indem sie das Funktionieren der tenzial, das seine Wirkung nicht verfehlt. Politik der öffentlichen Ordnung und ihrer Institutionen augen- sozialen Integration hingegen hat mittel- und lang- scheinlich sicherstellt. Sichtbare Repression be- fristige Vorläufe. In Politikfeldern wie Sozial-, Ju- schwichtigt, indem die Täter nicht ungestraft da- gend-, Arbeitsmarkt- oder Ausländerpolitik bedarf vonkommen. Die symbolische Funktion der Re- es häufig komplizierter Abstimmungen im Ent- pression zeigt sich auch darin, dass sie die verbrei- scheidungsprozess, während die Auswirkungen oft tete „Sehnsucht nach dem starken Staat“ (Carl erst Monate oder gar Jahre später zu sehen sind. Schmitt) bedient. Politik der sozialen Integration Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus zielt mittel- und langfristig auf die Verbesserung und Fremdenfeindlichkeit setzt nach allen Erfah- der Lebenschancen durch Bildung, Sozial- und rungen Nachhaltigkeit des Problembewusstseins Arbeitsmarktpolitik. und entsprechende praktische Schritte voraus.

Politische Bildung innerhalb und außerhalb der Eine Kombination von symbolischen, repressiven Schule hat in diesem Zusammenhang eine wichtige und sozial-integrativen Schritten und Maßnahmen Funktion, denn sie ist in allen drei Ebenen zu ver- lässt sich in einer offenen Gesellschaft zum Glück orten: weder gänzlich planen noch dirigistisch verordnen. - Symbolische Politik und geistig-politische Aus- Symbolische Politik unterliegt dem freien Spiel des einandersetzung haben ausreichende Kenntnisse Meinungsmarktes und seiner pressure groups, Re- der politischen Zusammenhänge zur Vorausset- pression ist gebunden an die Gesetzeslage, Politik zung. Zudem ist öffentliche geistig-politische der sozialen Integration ist grundsätzlich geräusch- Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremis- arm und langfristig. Dennoch scheint eine sinnvolle mus und all seinen Schattierungen selbst Teil ei- Kombination die einzig wirklich erfolgversprechen- ner umfassenden demokratischen politischen de Strategie. Bildung. - Innerhalb der repressiven Institutionen, vor al- lem Polizei und Verfassungsschutz, ist politische Bildung deshalb von Bedeutung, weil ausrei- chende Information und angemessene Deutung des Rechtsextremismus neben den rechtlichen Handlungsvoraussetzungen und den personellen Ausstattungen eine zentrale Wissens-Ressource für wirksame Gegenstrategien sind. - Auf der Ebene der sozialen Integration schlie ß- lich ist politische Bildung als Erziehung zur De- mokratie, als Prozess reflexiver Verinnerlichung demokratischer Grundorientierungen unerläss- lich und ein Kernelement für die Entwicklung einer offenen, pluralistischen Gesellschaft.

n 11 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

2. Rechtsextremismus und die Mitte der Gesellschaft Prof. Dr. Birgit Rommelspacher

Es gibt viele Formen von Rechtsextremismus. In und vor allem zu fragen, welcher Zusammenhang Deutschland wird er in erster Linie mit jugendlichen zwischen der Mitte der Gesellschaft und dem Skinheads assoziiert. In den Medien wird das The- Rechtsextremismus besteht und wie er in dieser ma meist mit den Bildern von „glatzköpfigen“ jun- Gesellschaft thematisiert wird. gen Männern illustriert und auch die sozialwissen- schaftliche Forschung konzentriert sich in aller a. Diskurse zum Rechtsextremismus Regel auf gewalttätige männliche Jugendliche. Das Eine gängige Argumentationsfigur im Zusammen- ist umso erstaunlicher als Untersuchungen zeigen, hang mit Rechtsextremismus lautet, dass die Ursa- dass gar nicht die Jugendlichen besonders rechts- chen von Rechtsextremismus bei den Jugendlichen extrem sind, sondern dass der Rechtsextremismus vor allem in problematischen biographischen Erfah- mit dem Alter kontinuierlich ansteigt, d.h. dass rungen, drohender Arbeitslosigkeit und Orientie- Jugendliche sogar als weniger rechtsextrem einzu- rungslosigkeit zu suchen seien. Ja, dass diese Ju- stufen sind als die Erwachsenen (Heyder & gendlichen im Grunde unpolitisch seien, denn Ge- Schmidt 2002). Insofern fragt sich, wie sich diese walt und Rechtsextremismus seien letztlich nur das Konzentration auf jugendliche Rechtsextreme er- Vehikel, um Frustrationen abzureagieren. Zudem klären lässt. ginge es den Jugendlichen in ihrer Gewalt- und Trinkkultur vor allem um action und thrill. Am En- Vermutlich ist es die Gewalt, die in diesem Zusam- de dieser Analysen steht dann meist der Verweis menhang die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die auf ökonomische und psychosoziale Problemlagen Gewalt ist besonders spektakulär und wird von den (vgl. ausführlicher dazu Rommelspacher 2002, allermeisten Menschen entschieden abgelehnt. Da S.147 ff). der Rechtsextremismus jedoch mit den gewalttäti- gen Jugendlichen identifiziert wird, erscheint es so, Mit der Konzentration auf gewalttätige Jugendliche wie wenn man sich mit der Ablehnung dieser Ju- und von diesen wiederum auf psychosoziale und gendlichen auch vom Rechtsextremismus distanzie- ökonomische Probleme hat sich im Laufe der Ar- ren würde. So formuliert etwa Rainer Fromm: „In gumentation der Rechtsextremismus zunehmend der Öffentlichkeit werden die rechten Skins zu verflüchtigt und ist nicht mehr greifbar. Lena Aliens und Frankensteins stilisiert. Damit wird der Inowlocki spricht in dem Zusammenhang von einer Rechtsextremismus gesellschaftlich ausgelagert „Flucht vor dem Phänomen“, indem von den Er- und von der Politik bagatellisiert (2002, S. 51). scheinungsformen des Rechtsextremismus immer weiter abstrahiert und so vorschnell zu allgemeinen Diese These wird unterstrichen durch die seit na- Erklärungen übergegangen wird (Inowlocki 2000, hezu 10 Jahren jährlich durchgeführten Erhebungen S. 22). des Sinus-Instituts Heidelberg, nach denen Natio- nalismus und Angst vor Überfremdung in der Be- Indem der Rechtsextremismus in erster Linie als völkerung kontinuierlich bei 40-48% liegen, wohin- ein psychosoziales Problem verstanden wird, wird gegen die Gewaltakzeptanz lediglich bei 4% liegt auch eine Phantasie des Bewältigens genährt, (Wippermann et al. 2002). D.h. dass rechte Über- nämlich dass mit vermehrten Anstrengungen in zeugungen weit in die Mitte der Gesellschaft hin- Form arbeitsmarktpolitischer und pädagogischer einreichen, ihre gewalttätigen Äußerungsformen Programme das Problem aus der Welt geschafft aber deutlich abgelehnt werden. Dennoch besteht werden könnte. Es bedarf dann keiner besonderer ein Zusammenhang zwischen diesen Formen. So Anstrengungen, um den Rechtsextremismus anzu- formulieren Wippermann und Zarcos-Lamolda: gehen, und die Gesellschaft braucht auch nicht zu „Kulturelles Zentrum von Nationalismus und Angst sehen, dass und inwiefern sie selbst ständig den vor Überfremdung sind auch die Milieus der tradi- Boden dafür bereitet. tionellen und modernen Mitte, die damit ungewollt den Boden für Rechtsextremismus und Gewalt ge- Auch wenn sowohl von Seiten der Forschung (vgl. gen Ausländer bereiten“ (2002, S.34) etwa Heitmeyer 1994), aber auch zunehmend von der Politik immer wieder darauf hingewiesen wird, D.h. wenn wir über Rechtsextremismus reden, dass der Rechtsextremismus aus der Mitte der kann es nicht allein darum gehen zu versuchen, das Gesellschaft stamme, so hat das bislang kaum Wir- Phänomen „als solches“ zu erforschen, sondern es kung gezeigt. Meist bleibt diese Aussage eine Flos- ist in seinen gesellschaftlichen Kontext einzubinden n 12 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus kel, da der Frage des Wirkungszusammenhangs Empörung über die Gewalt gegenüber den Opfern zwischen Mitte und Rand nicht weiter nachgegan- und das Mitgefühl mit ihrem Leiden in den Hinter- gen wird. grund. Diese Mitleidslosigkeit und „Einfühlungs- verweigerung“, wie dies Alexander und Margare- Und ein weiteres ist an diesem Diskurs zum the Mitscherlich (1967) nennen, hat wiederum eine Rechtsextremismus auffallend: Es wird in erster besondere deutsche Tradition. Linie, wenn nicht gar ausschließlich über Täter gesprochen. Die Situation der Opfer gerät dabei Die bürgerliche Mitte, die traditionsorientierten völlig aus dem Blick. Eine solche strukturelle Fo- Milieus des Kleinbürgertums und Teile der eta- kussierung2 ist keineswegs selbstverständlich. Be- blierten Oberschicht, die, wie die Sinusstudie her- trachten wir etwa die Situation in Bezug auf Opfer ausarbeitet, die entscheidenden Milieus sind, die männlicher Gewalt, so stehen hier in der Regel die rechtsextremes Denken in unserer Gesellschaft Opfer, nämlich die Frauen viel mehr im Zentrum Vorschub leisten, sie thematisieren sich nicht selbst, der Aufmerksamkeit. Für sie gibt es auch eine denn sie repräsentieren die Normalität in dieser breite Palette von Unterstützungsmaßnahmen von Gesellschaft. Sie verbreiten ihre Vorstellungen von Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen bis hin zu der unterschiedlichen Wertigkeit von Menschen im qualifizierter psychologisch-therapeutischer und Schutze ihrer bürgerlichen Rechtschaffenheit und juristischen Beratung. Normalität. Anstößig ist für sie in erster Linie das Schmutzige und Unordentliche des jugendlichen Davon kann in Bezug auf die Opfer rechtsextremer Rowdytums. Gewalt keine Rede sein. Die Opfer dieser Über- griffe werden oft nicht einmal öffentlich wahrge- Insofern drückt sich im Diskurs über den Rechts- nommen. Das hat vermutlich vor allem damit zu extremismus diese Normalität selbst aus und zwar tun, dass die Menschen, die von rechtsextremen zum einen Gewalttätern angegriffen werden, seien es Ange- - durch die Reduktion des Rechtsextremismus auf hörige ethnischer Minderheiten, behinderte Men- ein Problem gewalttätiger Jugendlicher, der schen oder aber „linke“ Jugendliche, in dieser Ge- Rechtsextremismus an den Rand der Gesell- sellschaft ohnehin weniger Ansehen genießen. Mit schaft gedrängt wird (Externalisierung); zum der nahezu ausschließlichen Fokussierung auf die anderen Täter wird so also eine gesellschaftliche Hierarchie - durch die Konzentration auf psychosoziale Pro- bestätigt, die den hier lebenden Menschen je nach blemlagen das Phänomen pädagogisiert (Päd- dem Grad der ihnen zugesprochenen „Fremdheit“ agogisierung) und schließlich oder auch ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit oder - durch die asymmetrische Verteilung von Auf- Angepasstheit unterschiedliche Bedeutung zuweist. merksamkeit und Zuwendung gegenüber Tätern und Opfern, ihre unterschiedliche gesellschaftli- Männliche Gewalt gehört zur Normalität in einer che Bedeutung unterstrichen (Hierarchisie- patriarchalen Gesellschaft – solange sie privat ge- rung). genüber den „Angehörigen“ ausgeübt wird, und es bedurfte erheblicher Anstrengungen von Seiten be- Betrachtet man hingegen den Zusammenhang zwi- troffener Frauen diese überhaupt sichtbar zu ma- schen gesellschaftlicher Mitte und dem Rand des chen und zu skandalisieren. Gewalt in der Öffent- Extremismus, so zeigt sich, dass sich inhaltlich vie le lichkeit hingegen wird sehr viel eher als anstößig Überschneidungen ergeben. D.h. unterschiedliche empfunden. Sie steht gegen das Gewaltmonopol Ideologien werden aus dem Zentrum heraus in die des Staates und stört das Selbstbild einer Gesell- Peripherie hinein getragen bzw. von ihr aufgegrif- schaft, die sich als offen, demokratisch und gewalt- fen und radikalisiert – dies vor allem, wie die Sinus frei verstehen möchte. Der rechte Gewaltakt wird Studie zeigt, in Bezug auf „Nationalismus“ und deshalb als Verletzung des gesellschaftlichen Kon- „Angst vor Überfremdung“. An dieser Stelle senses verstanden. Dabei spielt in Deutschland möchte ich nur einen der Argumentationsstränge aufgrund der nationalsozialistischen Geschichte herausgreifen und zwar die Konkurrenz um Ar- auch die Angst um das Ansehen im internationalen beitsplätze, die einen zentralen Platz in der rechts- Kontext eine große Rolle. Damit tritt jedoch die extremen Argumentation einnimmt.

2 „Strukturelle Fokussierung“ bedeutet in dem Zu- b. Ideologischer Kristallisationskern: sammenhang, dass sich die ganze Aufmerksam- die Konkurrenz um Arbeitsplätze keit sowohl in der Analyse und den Forschungen wie auch bei den pädagogischen und politischen Das Argument, die Ausländer nehmen uns die Programmen auf die Täter konzentriert und damit Arbeitsplätze weg, ist keineswegs nur am rechten die Opfer und ihre Situation ausblendet. n 13 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Rand populär, sondern reicht weit in die Mitte der deutsche Gesellschaft aussortiert werden. „Dabei Gesellschaft hinein. Es wird auch von der Politik wird eine Subjekt-Objekt Struktur und Hierarchisie- gerne zur Mobilisierung für eine harte Abschot- rung der Welt reproduziert“ (S. 93). tungspolitik gegenüber EinwanderInnen genutzt. So sind laut Eurobarometer (1998) etwa 40% der Diese Hierarchisierung schwingt auch immer mit, Deutschen der Auffassung, dass die „Fremden“ wenn Politiker z.B. die Zahl der Arbeitslosen gegen den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen und die Zahl der Zuwanderer aufrechnen, wie wenn je- über Gebühr das soziale Netz belasten. der Einwanderer jedem Arbeitslosen die Chance auf einen Arbeitsplatz streitig machen würde und Dem steht jedoch entgegen, dass die meisten Deut- umgekehrt, wie wenn unter der Bedingung völliger schen materiell und beruflich von Einwanderung Abschottung alle Einheimischen Arbeit finden wür- und illegaler Beschäftigung profitieren. Zwar gibt den. So zeigen Ruth Wodak und Maria Sedlack es in bestimmten Segmenten des Arbeitsmarktes (2000) in einer Diskursanalyse von Parlamentsde- sehr wohl eine Konkurrenz um Arbeitplätze und batten zur Einwanderung in verschiedenen westeu- Lohnniveau, so etwa in der Baubranche, im Pfle- ropäischen Ländern, wie sehr in allen politischen gebereich und Gaststättengewerbe oder auch bei Lagern diese Rhetorik genutzt wird. Überall wer- Hilfen in privaten Haushalten. Aber auch hier fe- den im Namen von Freiheit und Aufklärung oder dert das Inländerprimat, also die Regelung, dass bei aber zum Schutz des eigenen Volkes Bedrohungs- einer offenen Stelle zuerst Menschen mit deut- szenarien ausgemalt, um sich und die eigene Partei schem Pass, dann EU-Bürger und schließlich als Sachverwalter einer „vernünftigen“ Lösung zu Ausländer genommen werden, die Konkurrenz für empfehlen. die Einheimischen deutlich ab. Noch sehr viel mehr gilt dies für die Beschäftigten in den anderen Bran- Ebenso zeigt auch Jürgen Link (1997), wie in den chen und vor allem für Angehörige hoch qualifi- verschiedenen Medien der BRD immer wieder das zierter Berufe. Sie haben kaum Konkurrenz zu Bild eines von allen Seiten durch Einwanderungs- fürchten, werden doch Hochschul- und Ausbil- „ströme“ bedrohten Landes evoziert wird, das dungsabschlüsse aus anderen Ländern sehr oft überflutet zu werden droht, wenn nicht strengste nicht anerkannt. D.h. durch die soziale Unter- Maßnahmen getroffen werden und mit äußerster schichtung durch MigrantInnen und Flüchtlinge, die Härte gegen ungebetene Gäste vorgegangen wird. die niedrigen und unqualifizierten Arbeiten über- Er hat die Metaphorik dieses Bedrohungsszenari- nehmen, wird den einheimischen Deutschen ein ums analysiert, nach der das Boot immer voll ist beruflicher Aufstieg ermöglicht und zudem profitie- und ständig unterzugehen droht. Es geht also in den ren sie von der billigen Arbeitskraft der Einwande- Medien der Mitte der Gesellschaft immer wieder rInnen und von Menschen mit illegalem Status. um eine Inszenierung der Bedrohung mit der Folge, dass nicht nur vor weiterer Einwanderung gewarnt Konkurrenzen sind also ausschließlich in eng ein- wird, sondern dass auch den EinwanderInnen, die gegrenzten Sektoren zu verzeichnen. Und was die bereits im Lande sind, das Recht gleichberechtigt Arbeitslosigkeit generell anbetrifft, so können, wie an der Gesellschaft teilzunehmen, in Frage gestellt Klaus Zimmermann et al. in ihrer Untersuchung zur wird. „Einwanderung bei hoher Arbeitslosigkeit“ (2002) resümieren, „zahlreiche Zuwanderungsstudien in In der rechten Argumentation wird dies Bedro- den vergangenen Jahren keine nennenswerten hungsszenarium nun aufgegriffen, noch weiter negativen Wirkungen der Zuwanderung von Ar- übertrieben und polemisch aufgeladen. Die Macht- beitskräften auf Entlohnung und Beschäftigung der verhältnisse werden geradezu umgekehrt, um zu einheimischen Bürger nachweisen“ (S. 218). zeigen, wie sehr man selbst benachteiligt ist, und wie sehr dieser Staat seine „eigenen Kinder“ ver- Demgegenüber wird gerade durch die staatlich nachlässigt. So äußert sich etwa ein Jugendlicher in sanktionierte Ungleichbehandlung im Sinne eines der Sinusstudie zu rechtsextremen Jugendlichen „Deutschenprimats“ das Denken in ethnischen folgendermaßen: „Die Ausländer.. die führen Hierarchien gefördert, das im Übrigen bereits auf sich hier so auf, als ob sie die Herren wären. eine entsprechende Politik in der Weimarer Repu- Die hauen auf den Tisch und wollen haben und blik zurückgeht, und damit, wie Kein Nghi Ha sagen nicht Bitte und nicht Danke. Das kann (2003) ausführt, ein koloniales Muster der Ar- einfach nicht sein. Dann fangen sie einem an zu beitsmigrationspolitik fortgeführt: Indem Einwande- drohen, wenn man nicht gleich springt, wenn rungswillige nach nationalen Verwertungsgesichts- sie hopp sagen“. Oder ein anderer Jugendlicher punkten hierarchisiert und nach ihrem sozio- meint, die Türken wären so in der Übermacht, dass ökonomischen und kulturellen Nutzwert für die man sich hier bald nur noch türkisch verständigen n 14 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus könne: „Ich will nicht, dass die deutsche Spra- barometer (1998) überein, nachdem spezifische che ausstirbt. Ich will nicht, dass ich mich in ökonomische Problemlagen, insbesondere die Ar- Zeichensprache verständigen muss. Und tür- beitslosigkeit, keinen Einfluss auf rassistische Ein- kisch lerne ich auf keinen Fall, und ich denke, stellungen hat – im Gegenteil, auch hier sind bei das geht dann zu weit“ (Wippermann et al. 2002, einzelnen Fragen die Arbeitslosen toleranter als die S. 123). Berufstätigen aller sozialen Schichten.

Die Macht und Präsenz der Anderen wird ins Die teilweise größere Offenheit der Benachteilig- Groteske übersteigert, um die eigene Ohnmacht ten lässt sich nach Held et al. so erklären, dass bei deutlich zu machen und die Notwendigkeit, sich mit den benachteiligten Jugendlichen gegen das Über- allen Mitteln verteidigen zu müssen. Der Abwehr- legenheits- und Konkurrenzmotiv das Moment des kampf wird zu einem schieren Kampf ums Überle- Politischen in den Vordergrund rückt, das einen ben hochstilisiert. fairen Interessenausgleich für alle fordert. Ebenso weisen Wippermann und Zarcos-Lamolda (2002) Tatsächlich sind jedoch, wie wir sahen, die einhei- darauf hin, dass der Unterschied zwischen Men- mischen Deutschen bei ihrem Zugang zum Arbeits- schen mit rechtsextremen Einstellungen und sol- markt wie im Übrigen auch zur Bildung, wie ja die chen, die sich als demokratisch und liberal verste- PISA Studie gezeigt hat, deutlich privilegiert. Die hen nicht darin liegt, dass letztere nicht auch Ab- Bedrohungsszenarien zielen nach der Analyse von wertungs– und Ausgrenzungsphantasien gegenüber Hoffmann-Nowotny (1996) genau auf diese Tatsa- EinwanderInnen hätten, sondern dass ihnen auch che ab. Mit der Umkehrung der Machtverhältnisse Gegenargumente einleuchten d.h. dass sie auch soll die Diskrepanz zwischen dem Selbstverständnis Ambivalenzen zulassen können. So zeigen die Au- der Gesellschaft, das auf dem Postulat der Chan- toren der Sinusstudie, dass die Milieus in der Mitte cengleichheit beruht und der Tatsache der eth- der Gesellschaft zwar recht massiv Nationalismus nischen Privilegierung überspielt werden. Diese und Fremdenfeindlichkeit vertreten, sie aber diese doppelte Moral macht die Position der ethnisch Einstellungen zugleich durch Gegenargumente, wie Privilegierten prekär. Es bedarf vermehrter Bemü- etwa die von Globalisierung und Multikulturalität hungen von Seiten der Alteingesessenen, ihre Posi- relativieren. Diese Relativierungen und Differenzie- tionen zu verteidigen und zu legitimieren – und das rungen gibt es dann bei den Rechtsextremen nicht umso mehr, je selbstbewusster die Minderheiten mehr. auftreten und ihren gerechten Anteil an den gesell- schaftlichen Ressourcen einfordern. Der Wider- Wir finden also bei den Rechtsextremen dieselben spruch zwischen Leistungsprinzip und ethnischer Einstellungen wie in der Mitte der Gesellschaft, al- Privilegierung führt dann zu einer forcierten Selbst- lerdings meist ins Groteske übersteigert und nicht behauptung bei den Alteingesessenen, indem die relativiert durch Gegenargumente. Die Unfähigkeit, Anderen besonders drastisch zu Fremden gemacht Ambivalenzen zuzulassen finden wir bei ihnen nicht werden und die Unvereinbarkeit zwischen den Kul- nur in Bezug auf bestimmte Einstellungsmuster, turen unterstrichen wird. So erklärt sich, dass gera- sondern auch auf der Beziehungsebene, wo es de die Privilegierten sich als bedroht und zurückge- auch nur ein Entweder-Oder gibt. Wer nicht mein setzt erklären. Freund ist, ist mein Feind. So polarisiert die rechts- extreme Ideologie immer zwischen „Innen“ und Wäre die tatsächliche Konkurrenz auf dem Ar- „Außen“ und das vor allem mithilfe des Abstam- beitsmarkt für die politischen Einstellungen aus- mungsgedankens. Das Volk, die Nation, die „Ras- schlaggebend, müsste der Rechtsextremismus vor se“ oder die Kultur gelten als Bezugspunkt eigener allem bei denjenigen ausgeprägt sein, die am un- Identität und Größenphantasien. Während im „In- mittelbarsten von Konkurrenz betroffen sind, also neren“ Ordnung und bedingungslose gegenseitige bei den Angehörigen der unteren sozialen Schic h- Unterstützung herrschen, muss draußen jeder um ten, den Arbeitslosen und Frauen. Das ist jedoch sein Überleben kämpfen. Verwandtschaft und nicht der Fall. Rechte Einstellungen werden weder Sympathie werden in eins gesetzt, so als ob das besonders stark von den Arbeitslosen vertreten, „Band des Blutes“ per se Harmonie und Glück noch von den Frauen oder den Angehörigen unte- bedeuten würde. Die patriarchale Familie wird da- rer sozialer Schichten. Der Rechtsextremismus ist bei zum Modell für Staat und Gesellschaft erklärt, in allen sozialen Schichten gleichermaßen zu fin- in dem jede/r seinen/ihren Platz kennt und Positio- den; teilweise ist er bei den sozial benachteiligten nen nicht mehr ausgehandelt werden müssen Jugendlichen sogar weniger ausgeprägt als bei den (Brück 2000). Die Definition des Staates als ein relativ privile gierten (Held et al. 1991 und 1996). politisches Gemeinwesen, in dem Verfahrensregeln Diese Befunde stimmen auch mit denen des Euro- aufgestellt werden, um widersprüchliche Interessen n 15 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus und Perspektiven einzubringen und einen Konsens beit menschenrechtsorientiert sein und die Perspek- zu erarbeiten, wird hier suspendiert. Dies ist auch tive der Opfer bzw. potentieller Opfer rechtsex- die Grundlage für die antidemokratische Einstellung tremer Gewalt im Blick haben. Im Zentrum stehen im rechten Denken. dabei die Anerkennung, der Schutz und der Re- spekt gegenüber ethnischen, kulturellen und sozia- Wenn wir also nach dem Zusammenhang zwischen len Minderheiten. rechtsextremen gewalttätigen Jugendlichen und der Mitte der Gesellschaft fragen, so kann resümiert In der Zielformulierung des Programms heisst es werden: Soziale Problemlagen und persönliche weiter, dass der zukünftige Erfolg der Demokrati- Spannungen führen keineswegs automatisch zu sierung vor allem von der Entwicklung und Stär- rechtsextremen Einstellungen. Vielmehr kommt es kung zivilgesellschaftlicher Strukturen vor Ort ab- darauf an, welche „Lösungsmuster“ ihnen ihr Um- hängt. Deshalb sind die Entwicklung örtlicher zivil- feld anbietet, d.h. welches Recht das soziale Um- gesellschaftlicher Initiativen sowie die Professiona- feld den Jugendlichen zugesteht, ihre Eigeninteres- lisierung von Beratungsstrukturen wichtige Ele- sen auf Kosten von anderen durchzusetzen. Denn mente im Kampf gegen Rechtsextremismus, Frem- ökonomische Problemlagen führen nur dann zum denfeindlichkeit und Antisemitismus. Rechtsextremismus, wenn die eigene Lage als ungerecht im Vergleich zu anderen erlebt wird, Diese Zielformulierung zeigt bereit, dass ein erheb- wenn „also eine Transmission der individuellen liches Umdenken stattgefunden hat, denn: ökonomischen Lage in subjektive Deprivationsge- n Rechtsextremismus wird hier nicht mehr in ers- fühle stattfindet“ (Rippl und Seipel 2002, S. 82). ter Linie als ein Jugendproblem definiert, son- Dies wird dadurch nahe gelegt, indem im Allgemei- dern als Problem der gesamten Gesellschaft. nen gesellschaftlichen Diskurs die Konkurrenzsi- Es wird als Resultat der Wechselwirkung unter- tuation bestimmter Arbeitsmarktsegmente genutzt schiedlicher Faktoren gesehen, an denen die wird, um die Vorteilnahme der Mehrheit der Be- verschiedensten Akteure in der Gesellschaft völkerung in eine Benachteiligung umzudefinieren. jeweils auf ihre Weise beteiligt sind. In diesem Entscheidend sind also nicht so sehr spezifische Sinne wird die Verantwortung an die Gesell- Problemlagen, sondern vielmehr, welches Bild von schaft zurückgegeben. der gesellschaftlichen Ordnung entworfen wird, n Rechtsextremismus wird nicht mehr vorrangig denn die Einstellungen sind die Moderatorvariablen, als ein psychosoziales Problem behandelt, son- die darüber entscheiden, wie eine Situation inter- dern als ein politisches Phänomen begriffen, pretiert und ein Konflikt ausagiert oder bearbeitet das über gesellschaftliche Strukturen, das politi- wird. sche Klima und über Einstellungen und Men- schenbilder vermittelt wird. In diesem Sinne fin- In Anbetracht des engen Zusammenhangs zwi- det eine Repolitisierung der Interventionen statt. schen der Argumentation der Mitte der Gesell- Es wird gefragt, welche Strategien die politi- schaft und den Gewalttaten des rechtsextremen schen Parteien und die Rechtsextremen vor Ort Randes müssen auch die bisherigen Programme entwickeln und was dem entgegengesetzt wer- gegen Rechtsextremismus, die sich in erster Linie den kann. Die Strategien der rechtsextremen auf eine pädagogische Arbeit mit Jugendlichen Szene werden genau beobachtet und analysiert. konzentrieren überdacht werden. Das geschieht Die politischen Verantwortungsträger, aber vor auch in zunehmendem Maße. Beispielhaft dafür allem auch die Multiplikator/innen werden über kann das CIVITAS Programm gelten, ein Modell- Erscheinungsformen, Ursachen und Hinter- projekt der Bundesregierung, das sich gegen gründe des Rechtsextremismus aufgeklärt, um Rechtsextremismus wendet, indem es Maßnahmen auch Stellung beziehen zu können und argu- zur Stärkung der demokratischen Kultur entwickelt mentative Kompetenzen zu erwerben. Bei allen und unterstützt – dies vor allem bezogen auf die Beteiligten soll auch die Konfliktlösungskompe- östlichen Bundesländer. tenz gestärkt und die Demokratiefähigkeit un- terstützt werden. c. Neue Strategien gegen Rechtsex- n Schließlich wird die „strukturelle Fokussie- tremismus – am Beispiel von CIVI- rung“ auf die Täter aufgehoben, indem sich TAS das Programm auch an die Opfer und potenti- elle Opfergruppen wendet. Damit findet ein Ziel des Programms von CIVITAS ist es, der Perspektivwechsel statt und die Situation wird rechten Ideologie der Ungleichwertigkeit von Men- von mehreren Blickwinkeln betrachtet. Durch schen eine demokratische, gemeinwesenorientierte die Bezugnahme auf die Position der Opfer und Gesamtkultur entgegenzusetzen. Dabei soll die Ar- potentieller Opfergruppen wird das Bild diffe- n 16 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

renziert und das Spektrum der Interventionen Indem die Position der Opfer und potentieller Opfer erheblich erweitert. So ist es ein wesentliches gestärkt wird, signalisiert die Gesellschaft, dass sie Ziel des CVITAS-Programms, die Opfer zu einen respektvollen Umgang der Menschen mitein- unterstützen und dadurch auch Entsolidarisie- ander möchte unabhängig von ihrer ethnischen, rungsprozesse mit den Tätern auszulösen und zu kulturellen oder sozialen Herkunft und unabhängig stärken. von der persönlichen, sexuellen oder politischen Orientierung. In diesem Sinn soll die demokratische So werden im Rahmen des CIVITAS-Programms Kultur gefördert und all denen entgegengetreten die so genannten Mobilen Beratungsteams geför- werden, die die Multikulturalität und Pluralität die- dert, die in unterschiedlichen Handlungsfeldern ser Gesellschaft nicht akzeptieren wollen. agieren wie in der Schule, der Jugendhilfe, der Verwaltung und Wirtschaft in Form von Fachbe- Schließlich geht es in einem dritten Bereich bei ratung z.B. zu dem Projektvorhaben um die Stärkung und Ent- - Rechtsextremismus, Ursachen, Erscheinungs- wicklung zivilgesellschaftlicher, demokratischer formen und Gegenstrategien Strukturen im Gemeinwesen, in denen lokale In- - Beratung für Lehrer und Lehrerinnen zur itiativen unterstützt werden z.B. in Form von work- Deeskalation von Konflikten in Schulen shops und Zukunftswerkstätten zur Bekämpfung - Konfliktmediation und Gewaltprävention in der von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Jugendarbeit Es werden lokal-historische Studien und/oder Ge- - Beratung von Flüchtlings- und Migrantenorgani- schichtswerkstätten unterstützt oder auch Begeg- sationen, nungen bzw. Patenschaften mit Asylbewerber und - Erstkontakt zu ausstiegswilligen rechtsextremen Migrantengruppen. Ebenso geplant sind Peerle a- Jugendlichen der-Trainings für Demokratie. - Krisen- und Konfliktmanagement bei Polizei, Justiz, Nachbarschaftsinitiativen etc. So sehr sich rechtsextremes Gedankengut in vielen Gemeinden und Regionen, gerade auch in den öst- Ebenso wichtig in diesem Konzept ist die Beratung lichen Bundesländern ausgebreitet hat, so sehr von Opfern bzw. potentiellen Opfer rechtsextre- haben sich doch auch nahezu überall immer auch men Straf- und Gewalttäter, die persönlich oft in Gegeninitiativen entwickelt. Diese sollen gestärkt einer sehr schwierigen Situation sind. Die Opferbe- werden, um die kulturelle Hegemonie im Sinne ratung soll zum einen unmittelbar die Einzelnen in einer demokratischen Alltagskultur zurück zu ge- Krisensituationen beraterisch-therapeutisch unter- winnen. Damit wird deutlich, dass die Einseitigkeit stützen und zum anderen auch Netzwerke in Ko- bisheriger Analysen zunehmend relativiert und auch operation mit anderen Beratungsstellen aufbauen. praktische Konsequenzen aus einer fundierteren Sichtweise gezogen wurde.

Literatur

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n 18 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

3. Gesicht Zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland e.V. Rebecca Weis a. Der Verein er war nur wenigen Zuschauern bekannt. Das Gesicht Zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland Drehbuch ist von Titanic-Redakteuren, dank vielfa- e.V. ist ein bundesweit arbeitender Verein, der cher Unterstützung konnten wir ihn in über 800 Menschen ermutigen möchte, gegen Fremden- Kinos bundesweit bringen. Auch zahlreiche TV- feindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und jede Sender zeigten ihn. Handicap beschäftigte sich auf Form rechter Gewalt aktiv zu werden. Ziel ist die für Deutschland sehr unübliche Weise mit dem Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements Thema und bescherte uns damals eine sehr große und die Sensibilisierung gegen jede Art von Diskri- Resonanz. Über Monate hinweg erreichten uns minierung und für mehr Weltoffenheit. Der Verein zahlreiche Unterstützungsmails, allerdings auch wurde im August 2000 von Uwe-Karsten Heye Anfeindungen. Gesicht Zeigen! etablierte sich da- und Paul Spiegel gegründet, Schirmherr ist Bun- mals sehr schnell als eher unkonventionell und ju- despräsident Johannes Rau. gendlich.

Gesicht Zeigen! initiiert öffentliche Kampagnen in Flächenbrand-Kampagne Form von Kino-, TV- und Radiospots, Plakat- und Wenig später, im Jahr 2001, starteten wir unsere Anzeigenmotiven. Darüber hinaus entwickelt Ge- erste eigene bundesweite Kampagne, „Flächen- sicht Zeigen! Projekte und Aktionen – wie bspw. brand“. Sie setzte nicht auf reine Betroffenheit, den Medienkoffer für Zivilcourage, die bundeswei- sondern nahm jeden Einzelnen in die Verantwor- te Aktionswoche gegen Rassismus, das Ausstel- tung. Die Kernaussage war „Rechte Gewalt wird lungsprojekt „Unser Ausland“, die Zeitzeugenpro- zum Flächenbrand. Sehen Sie nicht tatenlos zu!“. gramme „rent / meet an immigrant“ u.v.m.. Au- Die optische Umsetzung war sehr stylish und sollte ßerdem ist Gesicht Zeigen! als Mittler für Men- sowohl Aufmerksamkeit für das Thema Fremden- schen aktiv, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit feindlichkeit erregen, als auch Gesicht Zeigen! als und Rassismus engagieren wollen, und betreibt eine Marke etablieren. Dazu gehörte ein Kinospot, eine umfangreiche Internetseite www.gesichtzeigen.de. bundesweite Plakatkampagne auf 17.000 Werbe- flä chen sowie Rundfunkspots.

Der Spot lief in über 1000 Kinos bundesweit und auf zehn TV-Sendern über Monate hinweg. Die zwei Plakate wurden in sehr vielen Printmedien als Anzeige geschaltet. Die Kampagne war insgesamt ein sehr großer Erfolg: sie wurde sehr kontrovers diskutiert. Viele haben sie auch nicht verstanden, viele fanden sie zu „werbig“ – aber alle haben b. Kampagnen drüber gesprochen. Realisieren konnten wir sie nur Ein Hauptarbeitsfeld von Gesicht Zeigen! ist die mit der Unterstützung zahlreicher Medienpartner, Kampagnen- und Aufklärungsarbeit. Ziel ist es, die die uns Anzeigenfreischaltungen und freie Sende- Themen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und plätze im TV anboten. Das Mediavolumen ent- Rechtsextremismus im Bewusstsein und im Fokus sprach insgesamt damals ca. 8 Millionen Mark. der Diskussion zu halten. Das Medium Kino-Spot ist sehr gut geeignet, ein großes Publikum anzu- Mut proben – Kinospot sprechen. Wir erreichen sehr schnell sehr viele Unser dritter Spot, „Mut proben“, soll besonders Menschen. Kino-Spots sind sehr öffentlichkeits- ein jugendliches Publikum ansprechen und zu Zi- wirksam, wir erreichen durch viele Kooperations- vilcourage in Alltagsituationen aufrufen. Dies ge- partner eine bundesweite Öffentlichkeit. schieht nicht durch den viel zitierten erhobenen Zeigefinger, sondern indem der Spot auf die Ebene Kinospot Handicap der Jugendlichen spielt, ihre Ängste ernst nimmt Gleich im Oktober 2000 – kurz nach Gründung des und thematisiert. Zivilcourage kann man von Ju- Vereins – brachten wir den Kinospot „Handicap“ gendlichen nicht einfach nur einfordern – sie zu in die Kinos. Dieser Spot war schon produziert, bis zeigen ist sehr schwer und erfordert Überwindung dahin hatten allerdings nur sehr engagierte Pro- und auch ein bisschen Übung. grammkinos den sehr ironischen Spot gezeigt und n 19 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Auf den Tutzinger Medientagen warnte Jürgen Zivilcourage-Poster Grimm vor plump moralisierenden Spots und warb Das Zivilcourage-Poster entstand im Jahr 2001 in für mehr Witz und Humor bei der Umsetzung des Zusammenarbeit mit dem Anne-Frank-Zentrum. Es Themas. Dies berücksichtigend und aus der Über- ist als Würfelspiel konzipiert, bei dem die Spieler zeugung, nicht aus sicherer Position heraus anderen möglichst schnell „Gesicht zeigen“ sollen. Es ist ein gute Ratschläge erteilen zu können, ist unser Spot interaktives Poster, das sich an Jugendliche wen- entstanden: Unkonventionell, schnell, witzig und det. Auf dem Zivilcourage-Poster sind dreizehn nicht moralinsauer haben wir das Thema Zivilcou- prominenten Unterstützer von Gesicht Zeigen! zu rage für Jugendliche umgesetzt. „Mut proben“ sehen. Zwischen ihnen bleibt viel Freiraum für ei- konnten wir in 800 Kinos bringen im Jahr 2002. gene Gestaltungsideen der Jugendlichen, die – an- Das Thema hatte zu diesem Zeitpunkt schon nicht geregt durch die Statements der Prominenten – das mehr die Konjunktur, die Unterstützung von TV- Poster nach ihren eigenen Vorstellungen ergänzen Sendern blieb fast gänzlich aus. Als Kampagne können. Dies ist ein niedrigschwelliges Angebot, wurde er gar nicht wahrgenommen. man kann sowohl nur Fotos machen und reinkle- ben, man kann sehr lange am Text arbeiten. Mit c. Projekte dem bearbeiteten Poster kann eine Ausstellung er- Neben unseren Kampagnen haben wir Projekte stellt werden. Es eignet sich für Aktionstage, für und Materialien entwickelt, die ich in Kürze vor- Schulklassen etc. und wird von uns kostenlos abge- stellen möchte. geben.

Handbuch für Zivilcourage Der Medienkoffer für Zivilcourage Sehr viele Menschen haben sich Hilfe und Rat Gesicht Zeigen! hat im Laufe der Zeit sehr viele suchend an uns gewandt und wollten wissen, wie Materialien entwickelt, aber auch sehr viele gute oder wo sie sich engagieren können. Das hat uns Fremdmaterialien kennen gelernt. Der Medienkof- auf die Idee gebracht, ein Handbuch für Zivilcou- fer für Zivilcourage ist die logische Konsequenz rage zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit dem daraus – eine einzigartige und umfangreiche Mate- Campus Verlag entstand im September 2001 das rialsammlung. Der Medienkoffer enthält alle Mate- „Handbuch für Zivilcourage“. Es enthält Tipps, rialien von Gesicht Zeigen!, Materialien von ande- Ideen, Kontaktadressen und einen sehr großen ren Einrichtungen, aber auch speziell für den Me- Adressteil. So findet jeder Ansprechpartner oder dienkoffer entwickelte Inhalte: zahlreiche VHS, Organisationen in seiner Nähe. Es ist ein prakti- CD-ROMs, DVDs, Audio-CDs, Bücher, Hefte, sches Nachschlagewerk – von A wie Aktionstag Dokumentationen, Poster u.v.m. In acht unter- bis Z wie Zivilcourage. Mit dem Handbuch für schiedlichen Medienpaketen sortiert von A-H sind Zivilcourage bieten wir einen Ratgeber an, der hilft, insgesamt 25 Einzelmaterialien enthalten. So gibt es selbst vor Ort aktiv zu werden. Gleichzeitig ist es ein Ausstellungspaket, ein Videopaket, ein Musik- ein Nachschlagewerk für Menschen, die in Schule, paket etc. Wir haben einen Song komponieren Jugendarbeit oder einem Verein aktiv sind und hier lassen und ihn in verschiedenen Instrumentalver- noch mehr Tipps und Anregungen finden können. sionen auf CD aufgenommen, die Schüler können Was Sie bspw. tun können, wenn Sie selbst Zeuge sowohl den vorgegebenen Text einfach darauf oder Opfer rechter Gewalt werden, finden Sie in singen oder eigenen Texte verfassen und singen. zahlreichen Verhaltenstipps für den Ernstfall, Trai- So entsteht ein eigener Song gegen rechts. Wir nings und Seminare werden vorgestellt und wo man regen dazu an, eigene Ausstellungen zu entwerfen, diese Angebote buchen kann – ob Deeskalation- Rollenspiele einzustudieren, einen eigenen Spot zu straining, Selbstbehauptungskurs oder Toleranztrai- derhen u.v.m. ning. Es bietet einen Überblick über rechte All- tagskultur, Anlaufstellen für Opfer inkl. Bera- Der Medienkoffer für Zivilcourage schult den Um- tungsleistungen, Argumentationshilfen gegen aus- gang mit unterschiedlichen Medien. Kritischer Um- länderfeindliche Parolen und weiterführende Lite- gang mit Medien, kommunikative Kompetenz, ana- ratur zu jedem Thema. lytische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Es bündelt auf über 300 Seiten in leicht verständli- medialen „Verpackungen“ und Erprobung und Ent- cher Form Wissen, Ideen und Adressen. Das wicklung eigener medientechnischer Fähigkeiten „Handbuch für Zivilcourage“ ist ein Lexikon der werden gefördert. Ein Leitfaden bietet einen Möglichkeiten. Zielgruppe sind alle, die sich gegen schnellen Überblick und enthält Anleitungen, Tipps Rechtsextremismus engagieren wollen. und Erklärungen zum kreativen Gebrauch des Me- dienkoffers. Alle Materialien sind darin zweifach geordnet – sowohl nach Thema als auch nach Me- dium. Für eine Schutzgebühr von lediglich 80,- € n 20 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus zzgl. Versandkosten ist der Koffer bei Gesicht Moderne Zeitzeugen – „meet an immigrant“ Zeigen! erhältlich. Nach einjähriger, sehr erfolgreicher Durchführung des Projekts Moderne Zeitzeugen - „rent an immi- Moderne Zeitzeugen – „rent an immigrant“ grant” vertauschten wir die Rollen: Bei dem neu Gesicht Zeigen! hat ein Zeitzeugenprogramm ent- entwickelten und im September 2003 angelaufenen wickelt, das seit Anfang 2002 läuft. Wir vermitteln Projekt Moderne Zeitzeugen - „meet an immi- Migranten und/oder deren Nachfahren aus Berlin grant” besuchen Schülerinnen und Schüler aus als Zeitzeugen an Schulen nach Brandenburg. Das Brandenburg Migrantinnen und Migranten in Berlin Modellprojekt richtet sich speziell an Jugendliche in – es finden also Gegenbesuche der Brandenburger Brandenburg. Das Besondere und Neue an „rent Schulklassen bei Berliner Migrant/inn/en statt. an immigrant“ ist, dass die Migranten als Spezia- Nachdem wir im o.g. Projekt einen ersten Kontakt listen für ein bestimmtes Gebiet auftreten. Es han- zwischen Brandenburger Jugendlichen und Migran- delt sich um kompetente und selbstbewusste Per- ten aus Berlin hergestellt haben, wollten wir diesen sönlichkeiten, die von den Jugendlichen als Exper- Kontakt vertiefen. Daher treten in diesem Projekt ten eingeladen werden. Der Besuch ist thematisch die Migranten als Gastgeber auf und die Jugendli- in eine Unterrichtsreihe eingebettet, die bis zu zehn chen als Gäste. Die Schulklasse kommt im Rahmen Stunden umfassen kann. Zur Vorbereitung stellen eines Projekttages nach Berlin und trifft „ihren” wir den Lehrern eine Handreichung zur Verfügung, Spezialisten bzw. „ihre” Spezialistin wieder. Zum die Zahlen und Fakten enthält zum Ausländeranteil Programm gehören ein interkultureller Workshop in an der Bevölkerung, der Gesetzgebung, Asylpraxis, einem soziokulturellen Zentrum, ein orientalisches aber auch Rollenspiele u.a., vielfältige Anregungen Mittagessen, ein Stadtrundgang durch Berlin- also für die Vor- und Nachbereitung. Die Schüler Kreuzberg, „Klein-Istanbul in Berlin“, und der Be- wissen vorher, wer zu ihnen kommt und bereiten such in einer Moschee. sich dementsprechend vor. Brandenburg ist ein Flächenstaat, die Fahrtzeiten zur teilnehmenden Die Begegnung steht im Vordergrund, ein Dialog Schule von Berlin aus betragen oft mehr als zwei auf gleicher Augenhöhe kann nur stattfinden, wenn Stunden. Der Ausländeranteil ist sehr gering, die man dem jeweils Anderen offen und respektvoll Vorurteile sehr groß. Moderne Zeitzeugen – „rent begegnet. Wir möchten in diesem Projekt derartige an immigrant“ greift auf einen Pool von Speziali- Begegnungen möglich machen, sie sollen erfahrbar sten zurück, in dem sich selbstbewusste, professio- – für beide Seiten – sein und wiederholbar. Wir nelle und begabte Persönlichkeiten mit einer spezi- verstehen dieses Projekt als einen Beitrag zur För- fischen fachlichen bzw. beruflichen Fähigkeit ver- derung interkultureller Kompetenz und zur Toleran- sammeln, die zugleich ihre Migrationserfahrung in zerziehung. Bisher haben wir mit diesem Projekt die Diskussion mit den Schülern einbringen können. rund 300 Schüler erreicht und boten ihnen damit Wir vermitteln z. B. einen Streetworker und eine häufig erstmalig eine intensive Begegnung mit Mi- Erzieherin aus der Türkei, eine Künstlerin aus dem granten oder deren Nachfahren. Iran, eine Unternehmensberaterin aus Indien, eine Filmproducerin und eine Rechtsanwältin aus Polen. Unser Ausland Im ersten praktischen Teil des Besuchs wurde „Unser Ausland“ ist ein aufwändiges Film- und bspw, eine komplette Zeitung erstellt, ein Kunst- Ausstellungsprojekt. In einem eigens gedrehten werk geschaffen, eine Einführung in indische Mu- Film beschreiben zehn Berliner nicht-deutscher sik gegeben. Wir holen also das Thema damit aus Herkunft mit ihrem speziellen Blick aus ihrer Per- den üblichen Schulfächern heraus. Im zweiten Teil spektive die Besonderheiten der Deutschen, ihrer geht es dann in die Diskussion: Keine Fragen sind Kultur und ihrer Lebensweisen. Ein erstaunlicher verboten, es kommen sehr spannende Gespräche Schatz an ethnographischem Wissen und eine meist und Diskussionen zustande. Ziel ist es, für die Ju- amüsante, oft spielerische Annäherung an deutsche gendlichen einen selbstverständlichen Kontakt mit Eigenarten öffnen unseren Blick – für den Blick Migranten herzustellen. Ausdrücklich vermeiden des Anderen. „Unser Ausland“ tourte 2002 als möchten wir jeden folkloristischen Aspekt, die aufwändige Installation durch öffentliche Orte übliche afrikanische Trommelgruppe o.ä. Migration Berlins, in 2003 war es in Potsdam, Stuttgart und soll als Bestandteil bundesdeutscher Zeitgeschichte Darmstadt zu sehen. Die Fotoausstellung – etwas und als Bereicherung für die Entwicklung der Ge- kleiner und wendiger – kann bei uns ausgeliehen sellschaft wahrgenommen werden. Bisher haben werden. wir ca. 1000 SchülerInnen erreicht. Dieses Projekt ist umfassend dokumentiert in einem ca. 15- Zu einem großen Teil werden diese Projekte vom minütigen Film. Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend im Rahmen des Programms „entimon – n 21 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus“ gefördert.

Aktionswoche gegen Rassismus Jährlich im März, anlässlich des „UN-Tags zur Überwindung von Rassismus“ am 21.03., veran- stalten wir eine bundesweite Aktionswoche gegen Rassismus. Wir organisieren Veranstaltungen an Schulen mit Zeitzeugen, vermitteln prominente Un- terstützer oder andere Personen des öffentlichen Lebens für eine Schulstunde zum Thema Rassis- mus. Lesungen, Theaterworkshops, Musikveran- staltungen, Ausstellungen, Podiumsdiskussionen u. ä. wurden bisher realisiert.

2003 beteiligten sich erstmals bundesweit 23 Mu- seen mit eigenen Programmen. Für 2004 sind schon viele weitere Veranstaltungen geplant. Ko- operiert haben wir bei diesem Projekt wie auch bei anderen Projekten mit anderen Initiativen. Zu unse- ren Partnern gehören das Anne Frank Zentrum Berlin, die Kreuzberger Musikalische Aktion, das Projekt „Ich bin ein Berliner“, die Berliner Mär- chentage, der Interkulturelle Rat u.a. d. Probleme / Ausblick Zum Schluss möchte ich Ihnen einen kurzen Aus- blick geben. In der Einladung zu dieser Tagung stand schon sehr viel Richtiges und Besorgnis Er- regendes. Vom Aufstand der Anständigen, vom Verblassen des Medieninteresses, vom mangelnden Geldfluss und der Konkurrenz untereinander. Das immer nur periodisch auftretende Interesse der Medien für bestimmte Themen wirkt sich natürlich vehement auf unsere Arbeit aus. Die Folgen lassen sich schnell zusammenfassen: Lässt das Interesse der Medien nach, sinkt der Bekanntheitsgrad, ist man nicht mehr in der Diskussion, schwindet die Attraktivität für Sponsoren, Geldgeber und freiwil- lige Helfer.

Die Arbeit gegen Rechtsextremismus und für mehr Weltoffenheit, für ein gleichberechtigtes Nebenein- ander braucht einen langen Atem. Gerade Gesicht Zeigen! hat den Vergleich zwischen der bundes- weiten „Schaumschlägerei“ in Form von Kampa- gnen und Spots einerseits und der mühsamen kleinteiligen Projektarbeit vor Ort. Beides ist not- wendig und greift ineinander, vor allem letzteres ist langwierig und oft undankbar, aber ich denke: loh- nenswert. Wir sind der Überzeugung, dass man im Kampf und Engagement gegen Rechtsextremis- mus, für mehr Weltoffenheit, ein gleichberechtigtes Miteinander, nicht nachlassen darf.

n 22 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

4. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz Dr. Reiner Schiller-Dickhut

Das Thema Rechtsextremismus, Antisemitismus Diese Umfrage zeigt, wie stark antidemokratische und Diskriminierung von Minderheiten steht nach und rechtsextreme Einstellungen dort verbreitet wie vor auf der Tagesordnung, und seit der Ver- sind. Damit wir nicht in einen falschen Ost-West- haftung der terroristischen Gruppe um Martin Wie- Gegensatz kommen, will ich kurz auf eine – wenn se erst recht. Wir sollten uns aber nicht von den auch kleine - Untersuchung aus Mecklenburg-Vor- aktuellen Schlagzeilen leiten (und blenden) lassen. pommern mit einer positiven Entwicklung hinwei- Die Extrema wie der verhinderte Anschlag auf den sen. In Greifswald wurden 1998 und 2002 fast alle Neubau der Synagoge sind außerordentlich bedroh- Schüler des 9. Jahrgangs an allgemeinbildenden lich und verlangen entschiedene Gegenmaßnah- Schulen befragt. Ergebnis: Ausländerfeindliche und men. Wichtig ist aber auch, was unter der Oberflä- rechtsextreme Einstellungen haben deutlich abge- che passiert und wie die Einstellungen der Men- nommen. Stark ausländerfeindliche Einstellungen schen in den Tiefenschichten sind. Dazu ist vor haben sich von rund 20 auf rund 10 % halbiert. Als zwei Wochen eine in ihren Ergebnissen erschüt- Ursache weist die Studie auf die umfangreichen ternde Umfrage veröffentlicht worden, die die Präventionsmaßnahmen in Greifswald hin, die sich Schwere unserer Aufgabe verdeutlicht und über offenkundig bewährt haben. die ich eingangs kurz berichten möchte. Sie bezieht sich auf das Bundesland Thüringen, wobei ich ähn- Das Bündnis für Demokratie und Toleranz ist auf liche Trends für einige andere Bundesländer nicht lange Frist angelegt. Es soll die gesellschaftlichen ausschließen kann. Kräfte gegen Ausländerfeindlichkeit, Intoleranz und Gewalt unterstützen und bündeln. Unterstrichen wird dies dadurch, dass es sowohl in der ersten als auch in der zweiten Koalitionsvereinbarung von SPD und Grünen als wichtiges Instrument genannt wurde. Kontinuierliches Handeln gegen Rechtsex- tremismus und für den Respekt verschiedener Kulturen und Lebensweisen ist notwendig, ein Strohfeuer bewirkt wenig. „Niemand darf erwar- ten, dass es heute eine Kundgebung gibt, morgen Nach dieser im Auftrag der Staatskanzlei Thürin- ein Förderprogramm und übermorgen schon Erfol- gen durchgeführten Umfrage (von infratest dimap, ge“, hat Bundestagspräsident Thierse unrealistische am 13.November in der FAZ wiedergegeben und Erwartungen treffend formuliert. auf der homepage der Landesregierung dokumen- tiert) lässt sich eine Zunahme von antidemokrati- Dies gilt umso mehr nach dem Scheitern des NPD- schen und rechtsextremen Einstellungen in Thürin- Parteiverbotsverfahrens. Der Tenor in den Medien gen konstatieren. Danach sind rechtsextreme Ein- dazu war, dass nun Zivilcourage gefordert sei. Wer stellungen bei knapp 23 Prozent der Befragten fest- wollte dagegen sein! Ich will die damalige Debatte zustellen. Im Vergleich zum Jahr 2001, als dieser aufgreifen, weil man daran einseitige Antworten Wert bei 18,6 Prozent lag, ist dies eine deutliche und das notwendige Nebeneinander verschiedener Zunahme. Besorgnis erregend sind auch die Werte Handlungsebenen aufzeigen kann. zu einzelnen Fragen. · So stimmte eine Mehrheit der These zu, dass In der Berliner Zeitung etwa wurde kommentiert: Deutschland durch Ausländer in gefährlichem „Fremdenfeindlichkeit lässt sich nicht gesetzlich Maß überfremdet sei. verbieten. Sie muss gesellschaftlich geächtet sein. · Mit der Demokratie als Staatsform zeigten sich Rassismus lässt sich nicht einsperren, aber er kann, nur noch 38 Prozent zufrieden. er muss in jeder Familie, in jeder Schulklasse, an je- · Und knapp 20 Prozent halten eine Diktatur im dem Arbeitsplatz verpönt sein. Der Kampf gegen (...) nationalen Interesse unter Umständen für die Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus lässt sich geeignetere Staatsform. nicht von der Gesellschaft an bezahlte Therapeuten, · Der Aussage „In diesen Zeiten brauchen wir Streetworker, Strafgerichte oder Gefängniswärter unbedingt eine starke Hand“ stimmten 39 % delegieren. Eine Gesellschaft, welche die Bekämp- ganz und 33 % überwiegend zu. fung von fremdenfeindlicher, rassistischer und anti- n 23 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

semitischer Gewalt nicht als Aufgabe eines jeden Das Bündnis wird sowohl von großen gesellschaft- Einzelnen begreift, hat den Kampf ohnehin verlo- lichen Vereinigungen, den Kirchen, den Gewerk- ren.“ schaften und großen Unternehmen, als auch von kleinen Initiativen als Koordinationsstelle und als Die Betonung hierbei liegt auf jede(r) Einzelne. Impulsgeber anerkannt. Dem Bündnis sind inzwi- Richtig ist, dass jede(r) Einzelne zu Zivilcourage schen fast 1.000 Gruppierungen verschiedenster aufgefordert ist. Aber das allein, der Appell an die Art angeschlossen, darunter Schulklassen, Bil- Moral, reicht meines Erachtens nicht aus. Der oder dungsträger, kirchliche Organisationen, aber auch die Einzelne ist manchmal überfordert, nicht nur Stiftungen wie die Bertelsmann-Stiftung. So wird wenn er oder sie sich einer gewalttätigen Gruppe das ganze gesellschaftliche Spektrum, von ganz gegenübersieht, sondern auch dann, wenn Rechts- kleinen, lokalen Initiativen, bis hin zu fest struktu- extreme in einzelnen Gegenden oder Szenen poli- rierten, großen Organisationen repräsentiert. tisch und kulturell sehr stark oder sogar dominant sind. Zivilcourage des Einzelnen ist gut, reicht je- Das Bündnis setzt nicht auf den Aufbau von neuen doch nicht aus; sie kommt auch nicht immer von Strukturen, sondern will vorhandene Aktivitäten selbst. Es müssen organisiertes Handeln, ggf. auch und Strukturen nutzen, diese ausbauen, unterstüt- unterstützende Strukturen und staatliche Maßnah- zen und bündeln. Es soll ein modernes Netzwerk men hinzukommen. zwischen Gruppen, die am selben Thema arbeiten, hergestellt werden. Die Enquete-Kommission des a. „Vier Säulen-Strategie“ Bundestags „Bürgerschaftliches Engagement“ hat Der Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit, Intole- eine Reihe allgemeiner Empfehlungen gegeben, wie ranz und Gewalt benötigt eine professionelle Prä- solches Engagement aussehen soll. Bürgerschaftli- vention, dazu Repression - dies allein schon der ches Engagement - so der Bericht der Kommission Opfer wegen - und wirkliche Integrationsbemü- - benötigt Öffentlichkeit und Interessenvertretung hungen. Unterlassene Integration bringt nicht nur auf den unterschiedlichsten Ebenen. Dafür sind die zahlreiche Folgeprobleme mit sich, etwa in der Bündelung der vorhandenen Ressourcen und die Wohnungs- und Bildungspolitik, sie erleichtert es Vernetzung von Akteuren und Organisationen und auch immer wieder, eine Spaltung in „wir“ und „die Institutionen der Bürgergesellschaft wichtig. Ein anderen“ zu reproduzieren. Damit wird der Nähr- solcher Aufbau von Netzwerken kann dazu beitra- boden für Ressentiments erzeugt beziehungsweise gen, bürgerschaftliches Engagement ge- erhalten. sellschaftlich aufzuwerten. Solchen Empfehlungen versucht das Bündnis für Demokratie und Toleranz Daneben ist ein zivilgesellschaftliches Engagement zu folgen. mit unterstützenden Strukturen notwendig. Und ge- nau hier kommt das Bündnis für Demokratie und c. Förderprogramme Toleranz „ins Spiel“. Das Bündnis wurde vor Mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz knapp drei Jahren vom Bundesinnenministerium sind in der Öffentlichkeit drei Förderprogramme (BMI) und dem Bundesjustizministerium (BMJ) verbunden: XENOS, CIVITAS und ENTIMON, gegründet, um die gesellschaftlichen Kräfte gegen auf die das Bündnis jedoch keinen formellen Ein- Ausländerfeindlichkeit, Intoleranz und Gewalt zu fluss hat. Sie sind in dem gleichen Themenfeld an- bündeln und die Grund- und Menschenrechte zu gesiedelt, der Bekämpfung von Intoleranz sowie stärken. Unser wesentliches Arbeitsgebiet ist der Rechtsextremismus und der Herausbildung zivilge- Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitis- sellschaftlicher Strukturen. Wegen ihrer großen mus, wir widmen uns aber außerdem auch der Bedeutung will ich kurz auf sie eingehen. Gewaltprävention und erarbeiten präventive Maß- nahmen gegen Diskriminierung. Diese drei Programme sind im Herbst 2000 von der rot-grünen Bundesregierung aufgelegt worden. Die Geschäftsstelle ist im Geschäftsbereich des In- Das wirklich Neue sind die Ziele, die sich am be- nenministeriums angesiedelt. Das Bündnis wird von sten mit den Leitsätzen des CIVITAS-Programms einem unabhängigen Beirat gesteuert. In diesem erläutern lassen, auch wenn dieses spezifische Beirat arbeiten Abgeordnete aus allen Bundes- Programm sich nur auf Ostdeutschland bezieht. tagsfraktionen sowie Persönlichkeiten aus Wirt- Dort heißt es: „Eine demokratische gemeinwe- schaft, Wissenschaft und sozialen Organisationen senorientierte Gesamtkultur einer Ideologie der mit, die sich durch spezifische Fachkenntnisse und Ungleichwertigkeit von Menschen entgegenzu- Engagement zum Thema profiliert haben. setzen und von der Entwicklung und der Wirk- b. Das Bündnis und seine Partner samkeit und Stärkung der Selbsthilfe zivilgesell- schaftlicher Strukturen hängt sowohl der aktu- n 24 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus elle als auch der zukünftige Erfolg der Demo- werden, u.a. vom ehemaligen CDU-Abgeordneten kratisierung vor Ort ab.“ Es geht also vornehm- Hohmann als Wortführer. lich darum, zivilgesellschaftliche Strukturen zu stärken. d. Schwerpunkte der Arbeit des Bündnisses Das Programm „Entimon“ bezieht sich auf den Ju- n Politische Bildung und Öffentlichkeitsarbeit gendbereich und ist bundesweit angelegt. Beide Das Bündnis für Demokratie und Toleranz führt Programme hatten bis 2003 ein Volumen von je 10 zuallererst politische Bildung und Öffentlichkeitsar- Mio. € ; ab 2004 wird dies weniger. Für den Be- beit durch. Es arbeitet, um entsprechende Werte zu reich der Arbeitswelt ist das XENOS-Programm vermitteln, mit Sportverbänden zusammen und konstruiert worden. Das Programm wird größten- führt Wettbewerbe durch, vor allem den Victor- teils aus dem Europäischen Sozialfond bestritten. Klemperer-Jugendwettbewerb, der sich an Schüler Insgesamt stehen dort 75 Millionen Euro im Zeit- zwischen 16 und 21 richtet. Dieser Wettbewerb raum zwischen 2001 und 2006 zur Verfügung. wird in Kooperation mit der Dresdner Bank und ab Hinzu kommen Komplementärmittel - in Ost- diesem Jahr mit dem Zweiten Deutschen Fernse- deutschland und Westdeutschland in unterschiedli- hen organisiert. In diesen Bereich gehören eben- chem Maße - von im Schnitt 50 Prozent. Ziel des falls öffentlichkeitswirksame Foren und unsere Programms ist es, Aktivitäten gegen Rassismus alljährliche Festveranstaltung am Verfassungstag in und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt mit Berlin. solchen in der schulischen und beruflichen Bildung miteinander zu verknüpfen. Dieses Programm n Förderung und Verbreitung zivilgesellschaftli- bezieht sich somit auf die Arbeitswelt, die anderen chen Engagements (Best Practice) richten sich an Jugendliche und lokale Strukturen. Außerdem sucht das Bündnis nach erfolgreichen Ziel ist es, ethnische Vielfalt als etwas Normales und innovativen zivilgesellschaftlichen Projekten erlebbar zu machen, Ausbilder entsprechend zu und versucht, diese zu verbreiten. Wir wollen, dass qualifizieren, so dass sie mit unterschiedlichen eth- diese „Schule machen“. Dazu führt das Bündnis nischen Gruppen und den möglicher Weise vorhan- für Demokratie und Toleranz, inzwischen schon denen Spannungen umgehen können. Interkultu- drei Mal, den Wettbewerb „Aktiv für Demokratie relles Lernen ist ebenso ein Bestandteil des Pro- und Toleranz“ durch. In diesem Jahr beteiligten gramms wie die Unterstützung lokaler Netzwerke. sich 360 Gruppen. Kerngedanke von XENOS ist „Leben und Arbeiten in Vielfalt“. Wir suchen nach Formen alltäglichen, ehrenamtli- chen Engagements in allen Lebensbereichen und Es hat natürlich vor 2000 schon eine ganze Reihe sprechen insbesondere kleine Gruppen an, die nor- von „Aktionsbündnissen gegen Rechts“ gegeben malerweise, allein auf Grund ihrer Größe von fi- oder Gruppen, die in der Ausländerintegration oder nanziellen Förderungen ausgeschlossen sind oder interkulturellen Begegnungen aktiv waren. Aber in nicht über die Fertigkeiten und Strukturen verfü- den großen gesellschaftlichen Gruppen fehlte es gen, um große Anträge stellen zu können, wie das lange Zeit an genügender Aufmerksamkeit. Deren beispielsweise bei den drei genannten Programmen Aktivitäten sind in den letzten drei, vier Jahren ein- CIVITAS, XENOS und ENTIMON erforderlich deutig umfangreicher geworden. Erste wissen- ist. Bei dem Wettbewerb stellt das Bündnis seit schaftliche Untersuchungen über das Thema Aus- 2002 jeweils 200.000 Euro Preisgeld zur Verfü- länderfeindlichkeit und Ressentiments gegenüber gung, das unter circa 90 Gruppen als Preisträger ethnischen Minderheiten in den Medien ergaben, verteilt wurde. dass seit 1998 ausländerfeindliche Diskurse in den exemplarisch untersuchten Medien - Spiegel, FAZ, Auf unserer Homepage www.buendnis-toleranz.de FR und Bild - zurückgegangen sind und sogar nach haben wir vorbildliche Projekte und Initiativen in dem 11.09.2001 entsprechende Stigmatisierungen einer Datenbank zusammengefasst, damit sich in den Medien nicht wieder hochgeschwappt seien. Interessierte nach verschiedenen Kriterien Anre- Damit setzt sich der rückläufige Trend von auslä n- gungen für ihre eigene Arbeit holen oder sich mit derfeindlichen Diskursen der neunziger Jahre fort, anderen Gruppen vernetzen können. und die drei Programme haben durchaus zum Er- folg beigetragen, ohne dass man wie in den Natur- Aber es geht nicht nur darum, die Arbeit der Grup- wissenschaften eine Kausalität nachweisen könnte. pen mit bestimmten Summen zu honorieren, son- Ich betone dies auch deswegen, weil sie auf politi- dern sie auch der Öffentlichkeit näher zu bringen, scher Ebene gelegentlich grundsätzlich kritisiert sie plastisch und nachahmbar zu machen. Deshalb werden Modelle auf Pressekonferenzen und im In- n 25 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus ternet vorgestellt oder werden in einer Broschüre über Ausgegrenzten, gegenüber tatsächlichen oder zusammengestellt. Das Spektrum der Aktivitäten potentiellen Opfern. Ihre Mitglieder leben Toleranz lässt sich aus der hier ausliegenden Broschüre im persönlichen Kontakt mit diesen, stärken da- ersehen. Ich will nur einige Beispiele nennen: durch deren Selbstwertgefühl und somit deren - Begegnungszentren aus ostdeutschen Bundes- Kraft, sich selbst zu behaupten. Ähnliches gilt auch ländern, wo es wenig Austausch zwischen ver- im Bereich der Gewaltprävention, so z. B. bei schiedenen Kulturen gibt Streitschlichter-Projekten: das gelebte Beispiel - Projekte gegen Diskriminierung „Wir können Konflikte selbst regeln und Verfahren - pädagogische Programme, angefangen bei Kin- lernen“ wirkt mehr als eine Einheit im Ethik- dergärten, bis hin zu Ausbildungsprogrammen Unterricht. zur Gewaltprävention für Polizisten - Gruppen, die die Jugendkultur in einem Umfeld b) Die Auszeichnung der Preisträger bedeutet eine mit starken rechtsextremen Strukturen stärken. Förderung und Anerkennung in dreierlei Hinsicht: - Das Preisgeld stellt eine finanzielle Unterstüt- n Netzwerk- und Bündnisarbeit zung dar bzw. ermöglicht neue Projekte. Das Bündnis vernetzt Initiativen und kooperiert mit - Zweitens ist die Auszeichnung eine wichtige großen Verbänden im Wirtschafts- und Bildungs- „moralische“ Unterstützung und Aufwertung bereich. Es lässt sich dabei von zwei Zielen leiten. für lokale Initiativen. Wir wollen erstens die Akteure in den jeweiligen - Drittens öffnen sich durch unsere Auszeichnung gesellschaftlichen Bereichen zusammenführen und neue Türen. Brücken schlagen. Wir wollen zweitens – bei- In der schon genannten Enquete-Kommission spielsweise durch Veränderung von Ausbildungsin- „Bürgerschaftliches Engagement“ spricht man halten – dabei helfen, im Alltag (nicht nur im hierbei von „Anerkennungskultur“. Ethikunterricht und am Feierabend in der Bürgerin- itiative) den gegenseitigen Respekt verschiedener c) Der Best Practice-Wettbewerb ist für das Kulturen und die Integration von Minderheiten von „Bündnis“ eins der wichtigsten Instrumente, um Grund auf zu stärken. In vielen Großunternehmen das Netzwerk engagierter Gruppen zu stärken. beispielsweise wird kulturelle Differenz als Chance Bewusst haben wir einen Großteil der Preisträger begriffen – diese Botschaft möchten wir weitertra- in regionalen Pressegesprächen unter Beteiligung gen und unterstützen deshalb diesbezügliche Be- von Beiratsmitgliedern vorgestellt. Neben der oben triebsvereinbarungen. erwähnten Rückenstärkung für die Preisträger diente dies dem Ziel, dass sie Kristallisationspunkte e. Wettbewerb „Aktiv für Demokratie auf regionaler oder fachlicher Ebene werden kön- und Toleranz“ nen – sofern sie dies nicht zuvor schon waren. Bei Schwerpunktmäßig möchte ich Ihnen das Konzept den Pressegesprächen hat sich herausgestellt, wie unseres Wettbewerbs „Aktiv für Demokratie und stark das Bedürfnis nach Erfahrungsaustausch bei Toleranz“ und Netzwerkaktivitäten darstellen. Projekten ist, die unter gleichartigen oder ähnlichen Bedingungen arbeiten. a) Wir sprechen vorwiegend Projekte an, die hauptsächlich ehrenamtlich arbeiten. Dabei sind d) Eine Quintessenz aus dem Wettbewerb ist, dass zwei Formen zu unterscheiden: zum einem solche, Brücken zwischen verschiedenen gesellschaftli- die von Organisationen des „dritten Sektors“ (z. B. chen Bereichen und Akteuren geschlagen werden freie Träger der Sozialarbeit) oder von kommuna- können. Ein einfaches, typisches Beispiel für den len Einrichtungen unterstützt wurden, zum anderen Nutzen von Kooperation ist das von uns ausge- solche, die ganz ohne hauptamtliches Rückgrat zeichnete Projekt „Farbe Bekennen“, bei dem auf auskommen wollen oder müssen. Dass an ehren- Initiative eines Berufsschullehrers unter Einwer- amtliche Best Practice-Projekte nicht gleiche An- bung von Sponsorenmitteln aus dem Handwerk forderungen zu stellen sind wie an durchorgani- Berufsschüler ein kirchlich getragenes Jugendfrei- sierte und solide finanzierte staatliche Maßnahmen, zeitheim in einem Stadtteil mit schwieriger sozialer versteht sich von selbst. Auf der anderen Seite hat Zusammensetzung renovierten. In Berlin soll nun zivilgesellschaftliches Engagement auch typische versucht werden, dieses Modell eines Netzwerkes Vorteile. So kommen beispielsweise jugendliche zwischen Jugendlichen, Sponsoren und Freizeitein- Mitglieder von Initiativen in der Aufklärung und richtungen auf andere Bereiche der beruflichen Wertevermittlung bei Ihresgleichen typischerweise Ausbildung zu übertragen. besser an als ältere Hauptamtliche. Und Initiativen zeigen i. d. R. mehr Empathie als bürokratische Ein anderes Beispiel ist die auch im Wettbewerb Organisationen: gegenüber Minderheiten, gegen- ausgezeichnete Evangelische Jugend in Dortmund: n 26 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Sie trägt auf regionaler Ebene die Aktion „Schule gen Umfeld. Inzwischen sind weitere Ansätze ohne Rassismus“; sie bündelt lokale Aktivitäten hinzugekommen: über die Schule hinaus; sie engagiert sich mit ande- - Sie hat alle Bürgermeister des Kreises an einen ren Gruppen in der „Erinnerungsarbeit“ und last not Runden Tisch geholt, least hat sie einen spannenden Austausch mit einer - sie hat im Projekt „Partner der Straße“ Sozi- Gruppe aus Frankfurt/Oder aufgebaut, die wieder- alarbeiter, Polizisten und Jugendrichter zusam- um Preisträger in unserem Viktor-Klemperer- mengebracht, damit diese das Arbeitsfeld des Wettbewerb waren. anderen besser verstehen und besser kooperie- ren können, f. Netzwerkbildung: Das Beispiel Pirna - sie arbeitet mit der Polizei gegen die „Skinheads und Sachsen Sächsische Schweiz“ (SSS) zusammen. Die Netzwerkbildung will ich anhand von Aktivitä- ten in Sachsen schildern, wobei im Mittelpunkt An Beispiel Pirna zeigt sich schon eine sehr weit- wiederum eine in unserem Wettbewerb „Aktiv für gehende Kooperation. Als Bündnis haben wir in Demokratie und Toleranz 2002“ ausgezeichnete diesem Raum und Sachsen überhaupt versucht, Gruppe steht, die „Aktion Zivilcourage Pirna“. wietere Verbindungen herzustellen. Mit der Lan- despolizeischule haben wir eine Präventionstagung Die „Aktion Zivilcourage Pirna“ gründete sich durchgeführt. Das Kulturbüro Sachsen, eine Orga- 1999. Hintergrund waren hohe Wahlergebnisse von nisation, die im Programm „Civitas“ ein sog. „Mo- Rechtsextremen in der Sächsischen Schweiz und biles Beratungsteam“ trägt, haben wir bei der zahlreiche, brutale Übergriffe, die teilweise von Durchführung einer weiteren Präventionstagung Anhängern der inzwischen verbotenen Gruppierung unterstützt. Diese wurde neben dem Kulturbüro „Skinheads Sächsische Schweiz“ verübt wurden. und der Landespolizeischule von den politischen Die Initiative organisierte den ersten „Runden Stiftungen veranstaltet, die der CDU, der SPD und Tisch“, an dem sie mit VertreterInnen von Polizei, den Grünen nahestehen. Geprägt war diese Ta- Gewerkschaften, Parteien, Vereinen oder Kirchen gung von vielen Formen der Zusammenarbeit zwi- das Problem thematisierte und konkrete Hand- schen staatlichen Stellen und zivilgesellschaftlichen lungsweisen diskutierte. Sie organisierte mit Part- Gruppen. nern des Runden Tisches eine Demonstration. g. Schluss Ein Schwerpunkt der Aktion Zivilcourage ist die Wie geht sowas? Was sind die Voraussetzungen Arbeit an den Schulen, einem Haupttätigkeitsfeld solcher Zusammenarbeit und Erfolge? der Rechtsextremen. Die Aktiven klären mit dem - Offenheit bei allen Akteuren, aufeinander zuzu- Projekt „Das sieht verboten aus!“ über rechtsex- gehen treme Symbole auf, widerlegen einschlägige, rechs- - Anerkennung solcher Gruppen wie der Aktion extreme Parolen mit klaren Fakten und weisen auf Zivilcourage Pirna durch Einrichtungen wie dem Handlungsansätze hin. Opfern rechtsextremer „Bündnis für Demokratie und Toleranz“, die Gewalttaten bietet die Aktion Zivilcourage morali- über eine hohe Reputation verfügen, sche Unterstützung und Hilfe bei Behördengängen. - materielle Unterstützung bis hin zur Teilpro- In enger Kooperation mit dem Büro für freie Kul- fessionalierung, damit bestimmte Aufgaben tur- und Jugendarbeit Dresden und dem Netzwerk dauerhaft und fachlich qualifiziert wahrgenom- Sachsen betreut sie einen Jugendclub in der Nähe men werden, (Liebstadt), der zuvor von Rechtsextremen domi- - gleichzeitig muss ein Weiterarbeiten als ehren- niert wurde. amtliche Initiative ermöglicht werden.

Durch die Schaffung von kulturellen Angeboten, Lokale Initiativen wie die beispielhaft herausge- wie Lesungen, Theateraufführungen, Konzerten griffene „Aktion Zivilcourage Pirna“ und bundes- oder Kulturfesten versucht die Initiative der rechts- weite Netzwerke wie das „Bündnis für Demokra- extremen Szene etwas entgegenzusetzen und ihr tie und Toleranz“ sind ein wichtiges und unver- die Hauptansatzpunkte für die Nachwuchsrekrutie- zichtbares Element, um Rechtsextremismus und rung zu nehmen. Seit 2001 bietet sie verstärkt Auf- Gewalt zurückzudrängen und ein tolerantes Mitein- klärungsveranstaltungen und Diskussionen an oder ander in der Gesellschaft zu verankern. organisiert Bildungsfahrten, etwa in die Gedenk- stätte Theresienstadt. Dieses Spektrum von Aktivitäten ist modellhaft für eine lokale Gruppe bzw. Bündnis in einem derarti-

n 27 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

5. Rechtsradikale Musik im Unterricht Dr. Fridolin Wimmer a. Beschreibung der Unterrichts- Erste Unterrichtseinheit sequenz Die Schüler werden mit den hier beschriebenen Nach der Behandlung des Nationalsozialismus im musikpsychologischen Methoden vertraut gemacht. Geschichtsunterricht und damit verbunden dem Sie hören zwei neonazistische Lieder und wenden Aufzeigen des großen Stellenwerts, den nationalso- die Methoden an. zialistische Lieder in der Propaganda des Dritten Reich eingenommen haben, kamen Schüler von Zweite Unterrichtseinheit sich aus darauf zu sprechen, dass der Einsatz von Der Lehrer stellt die ausgewerteten Ergebnisse der neonazistischen Liedern in bestimmten Kreisen Vorstunde den Schülern vor. Diese werden aus- heute wohl eine ähnliche Intention verfolgt, und führlich in der Klasse diskutiert und in einen Kon- boten an, solche Lieder für den Unterricht mitzu- text zur Realität gesetzt. bringen. In der nächsten Stunde lagen über zwan- zig einschlägige CD auf dem Pult und es zeigte Dritte Unterrichtseinheit sich, dass fast die Hälfte der Schüler diese Musik Weitere Beispiele rechtsradikaler Musik werden zumindest ab und zu hört und Bands wie die Grup- vorgespielt, um die ganze Bandbreite aufzuzeigen. pe „Landser“ kennt, ohne sich jedoch bisher über Die Wirkung der verschiedenen Musikstile wird den ideologischen Hintergrund Gedanken gemacht besprochen und die dahinterstehende Intention zu haben. Diese Konsumhaltung ist sehr bezeic h- aufgedeckt. nend für die Einstellung heutiger Jugendlicher ge- genüber dem Nationalsozialismus: Die Zeit des Hört man Skinhead-Musik im Unterricht, so macht Dritten Reichs ist längst Vergangenheit und rech- man bei der Diskussion des ersten Eindrucks stets ten Gruppen von heute sind so ernst nicht zu neh- die Erfahrung, dass vor allem die meist grölenden men. Wenn Bands wie „Landser“ überhaupt poli- Stimmen und der sehr oft unverständliche Gesang tisch eingeordnet werden, dann natürlich rechts, die meisten Schüler abschrecken und sie sich über ohne jedoch eine große Gefahr in ihnen zu sehen. Filmszenen von Saufgelagen grölender stiernacki- Dieses relativ naive Herangehen der Schüler an die ger Glatzen mit Springerstiefeln lustig machen. In rechte Szene erfordert es, sie mit der harten Rea- der Besprechung zeigt sich aber auch, dass Schü- lität näher in Kontakt zu bringen. lern die klaren Stellungnahmen rechter Musik zu Themen wie Integration und Einwanderung auffal- Im Rahmen des Deutschunterrichts sahen wir uns len. Themen, die auch die Shell-Studie 2002 als als Vorbereitung auf die hier beschriebene Unter- Bereiche feststellt, die Jugendliche bewegen. Hier richtssequenz zunächst die dreiteilige ARD-Doku- zeigen sich demnach (inhaltliche) Berührungspunk- mentation „Familienkrieg“ an, in der das Skinhead- te, zu denen rechtsradikale Bands richtungsweisen- pärchen Simon und Sandra ein Stück auf ihrem de Identitätsangebote bieten. Weg zwischen Auseinandersetzungen mit den El- tern, Integration in einer Skinheadgruppe, Arbeits- Dass diese Musik eine Einstiegsdroge in die Szene losigkeit, Drogenentzug und allgemeinen Problemen sein soll, können Schüler zunächst aber nicht nach- im gesellschaftlichen Umfeld begleitet wird. Dabei vollziehen. In der Diskussion sind sie sich sicher, wird die Rolle deutlich, die Skinhead-Musik als dass das mit einem „normalen“ Jugendlichen nichts Schlüssel zum Reich jugendlicher Emotionen, als zu tun hat und sie davon nicht angesprochen wer- Identitätsstifter nach innen und als Abgrenzung der den. Hier liegt der Ansatzpunkt der Sequenz, die Szene gegenüber der Gesellschaft spielt. den Schülern zeigen soll, wie die Musik auf sie wirkt, und dass dabei nicht nur musikalische Ele- Die Unterrichtssequenz in einer 10. Klasse eines mente, sondern durchaus auch textliche, d.h. ideo- Gymnasiums, an der 28 Schüler, 16 Mädchen und logische, Aspekte, ihre Wirkung hinterlassen. 12 Jungen, teilnahmen, umfasst in seinem Hauptteil drei Unterrichtsstunden. Eine fächerübergreifende Der Erfolg eines Einsatzes rechtsradikaler Lieder Zusammenarbeit mit Musik und Geschichte bietet im Unterricht lässt sich nur sehr schwer überprü- sich an. fen, da ja der Aufbau einer länger andauernden anti-nazistischen Haltung angestrebt wird. Es kann aber ein wichtiger Beitrag zum Prozess des Be- wusstwerdens der affektiven Wirkung von ideolo- n 28 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus gischer Musik sein, wenn man die Effektivität des Mediums Lied aus dem Bereich des Spekulativen herausnimmt und den Versuch unternimmt, den Beim Adjektivzirkel nach Kate Hevner charakteri- unmittelbaren Eindruck, den die Lieder bei den sieren die Schüler Lieder hinsichtlich ihrer affekti- Schülern hinterlassen, bewusst zu machen. ven Wirkung mit Hilfe von vorgegebenen Adjekti- ven. 60 Adjektive, die meist Gefühlsreaktionen be- Eine Verbalisierung der psychischen Wirkung von schreiben, sind in acht Gruppen in einem Kreis so Musik ist sehr schwer. Durch zwei Methoden der angeordnet, dass die beiden Hauptachsen durch die Musikpsychologie können aber die subjektiven Gegensätze „fröhlich – traurig“ und „kraftvoll – ru- Eindrücke von Schülerinnen und Schülern beim hig“ gebildet werden. Andere Achsen bilden Über- Hören von Liedern sehr genau erfasst werden. gänge, ähnliche Gefühle stehen in benachbarten Entscheidend dafür ist, dass die Teilnehmer keine Gruppen, unähnliche stehen sich polar gegenüber. Selbstzensur vornehmen. Es muss vor dem Ver- Die Schüler kreuzen beim Anhören des Liedes so such klargestellt werden, dass die Ankreuzungen viele Adjektive an, wie sie für das Lied für zutref- anonym erfolgen und lediglich angegeben werden fend halten. Mit dieser Methode lassen sich die As- muss, ob der Ankreuzende männlich oder weiblich soziationen beim Hören eines Liedes verbalisieren, ist. ohne sie zu sehr einzuschränken; durch das zur Verfügung gestellte Vokabular findet außerdem Adjektivzirkel und Polaritätsprofil eine Sprachsensibilisierung bezüglich der gefühls- mäßigen Wertung des Mediums statt. Bei der 6 Auswertung wird über Säulendiagramme die relati- fröhlich glänzend ve Häufigkeit der Ankreuzungen in den verschie- lebhaft denen Adjektivgruppen festgestellt. heiter glücklich sehr ziem ein ein ziem sehr bunt lich wenig wenig lich freudig lebendig kräftig gedämpft 7 5 kühl gefühlvoll sich aufschwingend sorglos angenehm unangenehm triumphierend zartfühlend feierlich ungezwungen froh erregt leicht aufregend anmutig angespannt gelöst ungestüm lustig geordnet zufällig ruhelos sprühend volltönend dünn aufwühlend spielerisch animierend humorvoll kontrastreich einförmig wunderlich gehemmt schwungvoll phantastisch vertraut ungewohnt putzig ausdrucksvoll matt traurig froh 8 4 vergnügt ernst kraftvoll ruhig kräftig heiter aufdringlich zurückhaltend kriegerisch besänftigend einfach kompliziert gewichtig gefühlvoll vorwärtsstre- nachdrücklich dichterisch bend ruhend majestätisch gemächlich geheimnis- durchschau- erhaben sanft voll bar zurückhaltend mitreißend 1 3 lebhaft müde würdig empfindsam interessant langweilig geistlich sehnsüchtig

feierlich romantisch merkwürdig vertraut sachlich klagend eckig rund ernsthaft verträumt oberflächlich tiefsinnig zart bewegungs- anregend beruhigend

2 traurig Beim Polaritätsprofil handelt es sich um ein allge- leidenschaftlich trauernd meines Verfahren zur Ermittlung der Intensität sub- melancholisch jektiver Eindrücke, das seit Mitte der sechziger niederdrückend düster Jahre auch von der Musikpsychologie eingesetzt schwer wird. Dabei stehen sich mehrere Begriffsgegen- tragisch satzpaare, meist Adjektive, jeweils als Endpunkte nn 29 nn Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus einer sechsstufigen Rangordnungsskala gegenüber, Moll, B-Dur, A-Dur bzw. 1. Stufe, 6. Stufe und 5. wobei die einzelnen Stufen der Skala den Ausprä- Stufe ist typisch für Hardrock. Die Bandbesetzung gungsgrad der betreffenden Eigenschaft angeben. weist auf schnellen Beat-Hardrock Richtung Metal Die Schüler entscheiden sich bei jedem Attribut- hin. Insgesamt kann man von primitiver Aufma- Paar, durch welchen Begriff und in welchem Grad chung mit immer gleichen Melodiefloskeln spre- ihr Eindruck zutreffend charakterisiert wird. Die chen. Anzahl der Gegensatzpaare ist nicht festgelegt. Die Auswertung erfolgt über das Zeichnen eines gra- phischen Profils. Durch die Berechnung von Durch- 100 schnittswerten – jedes Ad- 90 jektivpaar wird dabei als ein 80 Kontinuum gesehen, dessen 70 Teilbereichen eine Zahl von 60 Zahl der 1 bis 6 zugeordnet wird – 50 Nennungen lassen sich auch Gruppen- 40 profile erstellen, und so kann 30 ermittelt werden, welche Ad- 20 jektive in welchem Grad von 10 den meisten als zutreffend 0 angesehen werden. 1 2 3 4 5 6 7 8 Adjektivgruppe b. Landser Die Gruppe „Landser“ ist ei- Mädchen Jungen Gesamt ne der ungefähr hundert „braunen“ Bands in der Bundesrepublik. 1992 aus Adjektivgruppe weiblich männlich gesamt dem Ostberliner Rocker-Club „Vandalen“ gegrün- 16 12 28 det, stieg sie mit ihren fünf CD sehr schnell zur 1 3 5 8 Kultband auf, deren Lieder für die Skinhead-Szene 2 32 33 65 zu absoluten Schunkelhits wurden. Jedes CD- 3 2 5 7 Verbot wirkte wie ein Marketingprogramm. Dass 4 0 2 2 ihre Hits durchaus ganz konkrete Auswirkungen 5 0 2 2 hatten, kann man z. B. daran erkennen, dass Skin- 6 5 5 10 heads, die im August 1999 im vorpommerschen 7 39 25 64 Eggesin zwei Vietnamesen fast zu Tode prügelten, 8 52 32 84 dies laut Anklage mit dem Landserrefrain „Fidschi, Fidschi, gute Reise“ taten, und dass die Mörder von Alberto Adriano in Dessau nachgewiesener- Ein erster Blick auf die Ergebnisse des Adjektivzir- maßen Landser-Fans waren. Erstmals in der bun- kels zeigt, dass die Adjektivgruppen zwei („traurig desrepublikanischen Rechtsgeschichte wurde mit – tragisch“), sieben („sich aufschwingend – ani- Landser im September 2001 eine Band als krimi- mierend“) und acht („kraftvoll – erhaben“) am nelle Vereinigung verboten und ihre Mitglieder u. a. stärksten den subjektiven Eindrücken der Schüler wegen Volksverhetzung, Aufruf zu Straftaten und entsprechen. Die anderen Adjektivgruppen empfin- Verunglimpfung des Staates angeklagt. Der hand- den sie als für das Lied kaum zutreffend; hier wer- lungs- und erfahrungsorientierte Umgang mit zwei den meist keine oder nur sehr wenige Adjektive Liedern dieser Gruppe soll die schleichende Ver- angekreuzt. Das ist keineswegs überraschend, da einnahmung für die rechte Ideologie durch Musik diese Adjektive auch sehr wenig zu den Intentionen aufzeigen. von „Landser“ passen. Am meisten assoziieren die teilnehmenden Schüler mit dem Lied Eigenschaften wie „triumphierend“, „aufregend“, „animierend“ Beispiel 1: Landser – „Volk ans Gewehr“ Bei „Volk ans Gewehr“, dessen Hintergrund die und noch häufiger „kraftvoll“ und „kriegerisch“. von Rechtsradikalen heftig bekämpfte Wehr- Zunächst überraschenderweise werden auch sehr machtsausstellung bildet, handelt es sich musika- häufig „traurig“, „trauernd“, „gedrückt“ und „tra- lisch eingangs um einen einschmeichelnden Song- gisch“ als zutreffend empfunden. Damit wird er- stil. Der Refrain ist dann typisches Gebrüll unisono sichtlich, dass die eingesetzten musikalischen Ele- in Oktavierung. Als Harmonik ist eine einfache mente ihre Wirkung nicht verfehlen und dass mit Kadenzierung festzustellen, die Akkordfolge d- der Adjektivgruppe zwei sogar textbedingte Wer- n 30 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus tungen, d. h. die Wirkung der im Text verwendeten de dies die aufgezeigte Wirkung sicher noch ver- Propagandaelemente, aufgezeigt werden können stärken. („traurig“, „gedrückt“). Das Lied regt also zum Mitmachen an, die Herzfrequenz steigt und das Beispiel 2: Landser – „Deutschlandhymne“ ideologische Hauptanliegen im Hinblick auf die Bei der „Deutschlandhymne“ handelt es sich um umstrittene Wehrmachtsausstellung wird zielsicher die Hymne der rechtsradikalen Szene, deren in die Jugendlichen transportiert. Schlussrefrain mit „Heil“ und ausgestrecktem Arm abgeschlossen wird. Der Metalsound mit verzerr- Eine gesonderte Betrachtung der Mädchen und ten Gitarren, dröhnendem Bass, grölenden Stim- Jungen ergibt eine wichtige Differenzierung. Die men und geräuschintensivem Schlagzeug weist eine Mädchen werten eher die musikalischen Strukturen einfache Melodik und Harmonik auf, die mit deut- des Mediums (Gruppen sieben und acht), die Jun- scher Marschmusik bzw. Kinderliedern vergleic h- gen vollziehen diese Grundkomponenten zwar bar ist. Das Stück wird zweistimmig, eher als ebenfalls nach, werden von den inhaltlichen Aussa- Sprechgesang in C-Dur Kadenz im 5-Tonbereich gen (Gruppe zwei) aber durchschnittlich mehr be- vorgetragen. Der kurze und intensive Refrain wird rührt als ihre Mitschülerinnen. unisono von mehreren gebrüllt und weist durch die krächzende Stimme sicher nicht zufällig Anklänge Würde man die Handlungsorientierung im Unter- an Hitlers Stimme auf. richt bis zum Singen dieses Liedes fortsetzen, wür-

6 gedämpft gefühlvolll unangenehm ungezwungen gelöst zufällig dünn einförmig schwungvoll ungewohnt matt froh ernst zurückhaltend kompliziert ruhend durchschaubar mitreißend müde langweilig vertraut rund tiefsinnig beruhigend 6

5 5

4 4

3 3

2 2

1 1 kühl eckig kräftig traurig lebhaft einfach feierlich vertraut vergnügt geordnet gehemmt volltönend angenehm interessant aufdringlich angespannt merkwürdig oberflächlich kontrastreich ausdrucksvoll geheimnisvoll zurückhaltend

vorwärtsstrebend Ds(g) bewegungsanregend

n 31 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

6 gedämpft gefühlvolll unangenehm ungezwungen gelöst zufällig dünn einförmig schwungvoll ungewohnt matt froh ernst zurückhaltend kompliziert ruhend durchschaubar mitreißend müde langweilig vertraut rund tiefsinnig beruhigend 6

5 5

4 4

3 3

2 2

1 1 kühl eckig kräftig traurig lebhaft einfach feierlich vertraut vergnügt geordnet gehemmt volltönend angenehm interessant aufdringlich angespannt merkwürdig oberflächlich kontrastreich ausdrucksvoll geheimnisvoll zurückhaltend Ds(m) vorwärtsstrebend Ds(w) bewegungsanregend

Beim Polaritätsprofil empfanden die 28 teilnehmen- voll bestätigen. Für die Schüler wird damit nach- den Schüler im Durchschnitt folgende Eigenschaf- vollziehbar, dass die Liedstrukturen auf aktives ten als besonders charakteristisch (Ankreuzungen Mitmachen hin ausgerichtet sind, die propagandisti- meist bei „sehr“, teilweise bei „ziemlich“): „kräf- sche Wirkung aufgezeigt werden kann und dass die tig“, „unangenehm“, „volltönend“, „einförmig“, Lieder einen hohen Auforderungscharakter v.a. für „schwungvoll“, „froh“, „aufdringlich“, „einfach“, Szeneanfällige aufweisen. „vorwärtsstrebend“ „durchschaubar“, „mitrei- ßend“, „lebhaft“, „langweilig“, „oberflächlich“ und c. Vorteile des Einsatzes von Liedern „bewegungsanregend“. Sieht man von rein mu- Welche Vorteile ergeben sich aus dem Einsatz sikalischen Wertungen (einförmig, einfach, durch- rechtsradikaler Lieder in Verbindung mit den bei- schaubar, langweilig, oberflächlich) und hinsichtlich den musikpsychologischen Methoden im Unter- der grölenden, krächzenden Stimme (unangenehm) richt? ab, so kann man wieder erkennen, dass das Lied seine angestrebte affektive Wirkung nicht verfehlt n Lieder bzw. diese Methoden besitzen ein hohes und Bereitschaft auf- bzw. Hemmungen abbaut. Motivationspotential. Jungen und Mädchen werten hier ebenfalls relativ Wenn man etwas zunächst rational ablehnt bzw. gleichförmig, wobei die Schülerinnen die musikali- sogar belächelt und dann als „mitreißend“ und schen Elemente wieder differenzierter analysieren. „bewegungsanregend“ empfindet, steht man im Signifikante Unterschiede fallen bei „ungezwun- Konflikt mit den eigenen Vorstellungen. Dies gen“, „schwungvoll“, „froh“ und „vertraut“ auf. weckt beim Schüler echtes Interesse und kann Ob die durchschnittliche Bewertung „ziemlich ihn von der lebenspraktischen Bedeutung des froh“ (4,37) auf den siegeszuversichtlichen Inhalt Unterrichts überzeugen. des Liedes zurückzuführen ist, kann nicht hinrei- n Lieder bringen eine emotionale Dimension in chend geklärt werden. den Unterricht ein. Die Hörer werden direkt in ihrer Gefühlswelt angesprochen. Als Ergebnis der Untersuchung von beiden Liedern Das emotionale Nachvollziehen der Wirksam- ist festzustellen, dass die durch den Adjektivzirkel keit solcher Lieder darf aber bei den Schülern ermittelten Assoziationen der Teilnehmer beim Hö- nicht das Gefühl aufkommen lassen, die Mitma- ren des Liedes und die mit Hilfe des Polaritätspro- chenden werden gleichsam „unschuldig“ ver- fils herausgefundenen Eigenschaften der rechtsra- führt. Es muss in einer relativierenden Diskussi- dikalen Hymne den von Landser beabsic htigte mit- on klargestellt werden, dass sie trotzdem für ihr reißenden und vorwärtsdrängenden Charakter der Mitmachen verantwortlich sind, da sie wissen, Lieder, der zur aktiven Teilnahme animieren soll um welche Art von Liedern es sich handelt, die und sowohl musikalisch als auch sprachlich einen sie hören bzw. singen. Dies führt zum Aufbau kriegerischen, kämpferischen Eindruck hinterlässt, eines kritischen Bewusstseins. n 32 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus n Lieder ermöglichen Handlungsorientierung. mit der Szene aufbaut: Über eine Kollektividentität Auch das Hören eines Liedes erfordert persön- wird ein greifbares Gemeinschaftsgefühl ausgelöst, liche Aktivität. Das verhilft dem Schüler zu ei- in dem individuelle Probleme, Vorurteile, Minder- nem tieferen Eindringen in die Materie und da- wertigkeitsgefühle und Ängste aufgelöst werden. mit zu einer eigenständigen Aus- einandersetzung damit. Jugendliche mit verfestigten rechtsradikalen Ein- n Lieder ermöglichen exemplarisches Lernen. stellungen können durch die Unterrichtssequenz Sie zeigen exemplarisch die Wirkung von Musik, wahrscheinlich nicht zum Umdenken bewegt wer- das Zusammenwirken von Musik und Text auf. den. Um so wichtiger erscheint es aber, das Abtrif- Damit kann auf emotionale Beeinflussung durch ten von gefährdeten Jugendlichen zu verhindern, Musik und ihre ideologische Vereinnahmung all- die Unterrichtsteilnehmer anzuregen, über eigene gemein geschlossen werden. Handlungsmöglichkeiten bei der aktiven Abwehr n Lieder ermöglichen eine neue Perspektive. von rechtsextremen Tendenzen in der Jugendkultur Der Perspektivenwechsel hin zum Alltag des und im persönlichen Umfeld nachzudenken, und „kleinen Mannes“ (Skinhead) eröffnet neue dadurch eine Diskussionsgrundlage zu schaffen, in Dimensionen des Umgangs mit dieser politi- der die Schüler ihr überraschend oft durchaus vor- schen Erscheinung, so dass die Schüler das handenes rechtpopulistisches Gedankengut äußern, Problem dann ernst nehmen, es nicht mehr ver- auf das der Unterrichtende dann argumentativ harmlosen. eingehen kann. n Lieder ermöglichen es dem Schüler, sich über die eigenen Gefühle klar zu werden. d. Ausblick und andere musikalische Die Teilnehmer erkennen, dass diese Musik Stilrichtungen Gemeinschaftssinn und Integrationswilligkeit Die Vordenker der neuen Rechten wissen, dass fördert, dass Musik und gemeinschaftliches Sin- nach Bier stinkende Stiefelnazis mit ihren Sauf- gen eine Sache der Ich-Stärkung und Identitäts- Rock-Konzerten nicht gerade dazu geschaffen findung ist. Sie werden sich damit ihrer sind, Schüler oder im Berufsprozess stehende Ju- Schwachpunkte, also ihrer eigenen Verführbar- gendliche für ihre Ideologie einzunehmen, und dass keit bewusst und können somit ihre eigenen Be- andere Musikrichtungen viele Jugendliche wesent- dürfnisse analysieren und damit vielleicht kana- lich mehr ansprechen. Rock ist zwar zur Zeit noch lisieren lernen. die Subkultur, derer sich die Neonazis am meisten n Lieder ermöglichen dem Schüler die Erkenntnis, bedienen. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt dass Musik einen wichtigen Zugang zur Psyche aber, dass Techno ganz schnell eingenommen wur- des Einzelnen schafft, ihn bereit macht zur Iden- de, dass in rechtradikalen Versandläden Symbole tifikation, auch mit Ideologien, die er zunächst von Skatern und Punks annektiert werden und auch ablehnt. Er kann damit Musik als Wegbereiter die Liedermacherszene nicht vor einer Infiltration der Neonazis, als Brücke für die Internalisie- gefeit ist. Mit Frank Rennicke wurde bereits im rung weiterer „Werte“ erkennen. Herbst 2002 der erste Barde wegen Volksverhet- zung verurteilt. Hip-Hop hat große Medienwirkung Die Gefahr einer Ansteckung mit neonazistischem und ist als Subkultur bei den Jugendlichen im main- Gedankengut ist bei sorgfältiger Planung und stream. Schon 2001 tauchten die ersten ausländer- Durchführung nicht gegeben. Natürlich muss der feindlichen Rhymes auf („Affen wie Afrob gehö- Unterrichtende aber die Klassensituation zuvor ge- ren nach Afrika“, „Ab ins Gas“). Wenn man vor nau analysieren; nicht jede Hauptschul- oder Be- Augen hat, dass auch die Wurzeln des Rock afro- rufsschulklasse wird sich dafür eignen. Aufgrund amerikanisch sind, dann kann man davon ausgehen, der tieferen Reflexionsbasis, die die Schüler durch dass es bald eingedeutschten rechten Hip-Hop die Unterrichtssequenz erhalten, und durch das geben wird. Rechte Botschaften in verschiede-nen Aufzeigen der Wirkung der Ideologie kommt ein Stilen der Rock- und Populärmusik (Südstaaten- Erkenntnisprozess in Gang, der eine Ansteckung Rock, Punk, Dark-Wave, Black-Metal, Industrial verhindert. Eine ausführliche Diskussion und die u.a.) sind ebenfalls schon zu finden und auch Kon- Relativierung der Ergebnisse sind dafür unabding- trafakturen gängiger Schlager bis hin zu den Beat- bare Voraussetzung. Die Ergebnisse zeigen, dass les sind sehr häufig. die Beteiligten über Selbsterfahrung zu ideologie- kritischem Denken und einer persönlichen Aufbe- reitung der Thematik angeregt werden. In der Ab- schlussdiskussion kann man feststellen, dass die teilnehmenden Schüler dadurch den Rahmen er- kennen, den rechtsradikale Musik in Verbindung n 33 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

6. Rechtsextremismus im Internet Das entimon-Projekt von jugendschutz.net Stefan Glaser

Das Internet hat in den vergangenen Jahren als halten und das Drängen auf eine möglichst zeitnahe Kommunikations- und Informationsmittel immer Schließung bzw. Veränderung der betreffenden mehr an Bedeutung gewonnen und stellt mittle rwei- Angebote. le ein Massenmedium dar. Rechtsextreme machen In der konkreten Projektarbeit ist die Perspektive sich die Vorteile dieser Entwicklung zunutze, um des jugendlichen Internet-Users handlungsleitend. rassistische Ideen und neonazistische Propaganda- Angebote, die durch Inhalt oder Gestaltung einen materialien zu verbreiten. Es finden sich Hetz- bestimmten Reiz ausüben und für junge Menschen schriften gegen Minderheiten, rechtsextreme Pa- interessant sind, stehen im Mittelpunkt der Recher- rolen oder geschichtsverfälschende Thesen zum chen. Insgesamt haben sich vier Bereiche als Nationalsozialismus ebenso im Netz wie Werbung Schwerpunkte der Projektarbeit herauskristallisiert. für regionale Gruppen und Aktivitäten. Während Rechtsextreme auf Websites Ende der 90er noch, a. Internet-Monitoring ohne größere Finessen gestaltet, lediglich Das Internet ist ein dynamisches und sich beständig „Textwüsten“ präsentierten, sind viele der heutigen veränderndes Medium. Ein wichtiger und dauerhaf- Websites aufwändiger und medial ansprechend ter Bestandteil der Projektarbeit ist daher die konti- gestaltet. Mit bewegten Animationen, der Integrati- nuierliche Beobachtung rechtsextremer Aktivitäten on von Musik und Spielen oder interaktiven Ele- im Internet. Sie ist notwendig, um einen möglichst menten bedient man die Rezeptionsgewohnheiten vollständigen Überblick zu behalten, neue proble- der heutigen Generation. Schickes Design, Musik matische bzw. jugendschutzrelevante Entwicklun- und Interaktionsmöglichkeiten gehören inzwischen gen frühzeitig zu erkennen und zeitnah notwendige zum Standard der meisten rechtsextremen Web- Gegenaktivitäten entfalten zu können. Präsenzen. jugendschutz.net beschäftigt sich bereits seit dem Jahr 2000 intensiv in Form von Rechtsextreme verschaffen sich durch die Nutzung Projekten mit diesem Phänomen. Seit 2002 wird die von Web-Präsenzen einen modernen und attrakti- Arbeit im Bereich Rechtsextremismus im Rahmen ven Anstrich. Bedürfnisse der jungen Generation des Aktionsprogramms entimon - gemeinsam ge- werden bedient, indem Elemente integriert werden, gen Gewalt und Rechtsextremismus gefördert. die Jugendliche interessieren und die zu ihrem all- täglichen Leben gehören wie Musik, Spiele und Kommunikationsangebote.

Wie die bisherigen Erfahrungen aus Workshops mit Jugendlichen und Pädagogen deutlich machen, sind rechtsextreme Web-Angebote bei Jugendlichen durchaus bekannt. Insbesondere Szene-Bands und Insideradressen machen oftmals auf Schulhöfen und in Jugendclubs die Runde.

Außerdem werden Kinder und Jugendliche, haben sie erst Zugang zum Internet erlangt und nutzen die Dienste des WWW für private und schulische Belange, auch ungewollt mit rassistischen und Ho- locaust leugnenden Websites konfrontiert. Sucht ein Schüler z.B. mittels Suchmaschinen Informa- jugendschutz.net (www.jugendschutz.net) wurde tionen über den Nationalsozialismus und verwendet 1997 als Zentraleinrichtung der deutschen Bundes- dabei Begriffe wie „NSDAP“ oder „Judenverga- länder von den Jugendministerinnen und Jugendmi- sung“, sieht er sich nicht selten mit neonazistischer nistern gegründet und ist seither u.a. mit der Wah- Propaganda oder der vermeintlichen Widerlegung rung des Jugendschutzes im Internet betraut. Zu der Verbrechen des NS-Regimes konfrontiert. Vor den Aufgaben zählen die Suche nach jugendge- allem der beliebte und vielfach genutzte Suchdienst fährdenden und -beeinträchtigenden Internet-In- Google listet regelmäßig Websites wie die „revisio- n 34 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus nistische“ VHO oder die deutschsprachigen man gemeinsam gegen solche Angebote vorgehen Webseiten des amerikanischen Neonazis Gary kann. Lauck und seiner NSDAP-AO an zentraler Stelle auf derartige Suchanfragen. c. Internationale Kooperation Das Internet ist ein Medium mit grenzüberschrei- Neonazis suchen zudem gezielt jugendaffine Die n- tender Zugänglichkeit. Je mehr die damit verbunde- ste wie Kommunikationsplattformen oder Diskussi- nen Möglichkeiten dazu missbraucht werden, unzu- onsforen auf, um dort, wo sich vornehmlich junge lässige und jugendgefährdende rechtsextreme In- Internet-User tummeln, rassistisches Gedankengut halte anonym aus dem Ausland ins Netz einzuspei- zu verbreiten und für lokale Gruppen und Aktionen sen, desto wichtiger werden Kooperationen mit re- zu werben. Gerade für die organisierte rechtsextre- levanten Akteuren im internationalen Kontext. Auf me Szene ist das Internet ein ideales Rekrutie- europäischer Ebene existieren zwar Bestrebungen, rungs- und Mobilisierungsfeld. die Gesetzeslage anzugleichen, allerdings gibt es bislang keine effektive Bündelung der Aktivitäten b. Entfaltung von Gegenaktivitäten von antirassistischen Organisationen und kaum An- Ein wichtiges Ziel der Projektarbeit ist es, Rechts- sätze für eine praktische Durchsetzung kodifizierter extremen die Propaganda-Plattform im Internet zu Vereinbarungen. entziehen und hierfür geeignete Wege zu etablie- ren. Bisher wurde in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus hauptsächlich auf die Strafverfolgung von unzulässigen Angeboten ge- setzt. Dies funktionierte, so lange die Verbreitung rassistischer Medieninhalte allein durch nationale Gesetze reguliert werden konnte. Die Internationa- lität und Dynamik des Internets erfordern jedoch sich ergänzende Ansätze auf mehreren Ebenen. Daher spielt in diesem Bereich, neben dem Vorge- hen gegen die Anbieter strafrechtlich relevanter Inhalte in Abstimmung mit den zuständigen Behör- den, insbesondere die Kontaktaufnahme zu in- und ausländischen Providern eine wichtige Rolle. Viele ausländische Host-Provider dulden keine Hate- Speech auf ihren Servern und sind nach einem Hinweis durchaus bereit, betreffende Seiten zu Die Diskussion grenzüberschreitender Lösungsan- sperren. Im bisherigen Verlauf des Projektes ist es sätze ist seit Beginn wichtiger Bestandteil der Pro- in mehreren hundert Fällen gelungen, strafbare jektarbeit. Durch einen regelmäßigen Austausch rechtsextreme Web-Inhalte aus dem Netz entfer- und eine punktuelle Kooperation in exemplarischen nen zu lassen. Einzelfällen mit ausländischen Initiativen haben sich tragfähige Arbeitsbeziehungen entwickelt, die sich Viele Seitenbetreiber halten mittlerweile ihr Ange- zukünftig intensiv nutzen lassen. Um eine struktu- bot, liegt es auf einem deutschen Server, zur Ver- relle Festigung dieser Kontakte zu Partneror- meidung rechtlicher Konsequenzen in Wort und ganisationen zu erreichen und einen beständigen Symbolik bewusst unterhalb der Strafbarkeits- Erfahrungsaustausch zu gewährleisten, wurde im schwelle. Rechtsextreme haben zudem eigene Jahr 2002 das International Network Against Cy- Strukturen entwickelt, um sich behördlichem Druck ber Hate (INACH – www.inach.net) mitgegrün- oder einer Sperrung ihrer Angebote durch Provider det. Diesem Netzwerk sind bereits Organisationen zu entziehen. Man weicht auf so genannte Szene- aus vier europäischen Staaten sowie den USA Hoster aus den eigenen Reihen aus oder schafft angeschlossen, weitere Mitglieder sollen in den sich eigene Plattformen zu Kommunikationszwek- kommenden Monaten hinzugewonnen werden. Mit ken und zur Diskussion. Anbieter wie Odinsrage INACH besteht die Möglichkeit, Know-How ef- aus den USA sowie das Registrierungsangebot von fektiv zu bündeln und in Fällen rechtsextremer Gary Lauck haben sich etabliert und werden von Internet-Propaganda mit transnationaler Bedeutung vielen Gleichgesinnten zur Verbreitung rassistischer konzertierte Gegenaktivitäten zu entfalten. Hetze genutzt. Hier gilt es zukünftig in enger Ko- d. Medienpädagogische Workshops operation mit antirassistischen Organisationen aus Zentraler Schwerpunkt der Projektarbeit ist die dem Ausland Möglichkeiten zu entwickeln, wie Durchführung medienpädagogischer Workshops n 35 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus mit Jugendlichen und Erwachsenen. Die Mitarbei- völlig überarbeitet und enthält in der aktuellen Ver- ter des Projektes entwickelten didaktisch-methodi- sion Rechercheergebnisse aus den Jahren sche Konzepte zu verschiedenen Aspekten der 2002/2003 sowie didaktisch-methodische Modelle Thematik, die in der Praxis erprobt, ausgewertet zur Beschäftigung mit Rassismus im Web (Bestel- und beständig weiter entwickelt wurden und wer- ladresse im Internet: den. http://www.bpb.de/files/BKIJO5.pdf). Im Jahr 2004 soll zudem eine Online-Version entstehen, auf Das Internet als modernes und den meisten Ju- der ausgewählte inhaltliche Erkenntnisse und päd- gendlichen bekanntes Medium ist dabei Ausgangs- agogische Modelle einer breiteren Öffentlichkeit punkt für eine Auseinandersetzung. Ziel ist es, mit zugänglich gemacht werden. jungen Menschen in einen kritischen Dialog über rassistische und „revisionistische“ Thesen und Fazit Argumentationsmuster oder auch eigene Vorurteile Insgesamt zeigen die bisherigen Ergebnisse der einzutreten. Erfahrungen aus Seminaren machen Projektarbeit, dass es sich bei rechtsextremen Ak- immer wieder deutlich, dass Jugendliche nur selten tivitäten im Internet nicht um ein vorübergehendes gegen rassistische und neonazistische Beeinflus- Phänomen handelt. Trotz vieler Erfolge bei der sungsversuche gewappnet sind. Gerade der ver- Sperrung von unzulässigen Angeboten ist klar, dass meintlich wissenschaftliche Charakter macht die langfristig angelegte und abgestimmte Maßnahmen Problematik beispielsweise „revisionistischer“ The- auf allen relevanten Ebenen zur nachhaltigen Be- sen aus und birgt die Gefahr, dass ungeübte Leser kämpfung rechtsextremer Web-Propaganda uner- Geschichtsfälschern auf den Leim gehen. In ver- lässlich sind. Gegenstrategien greifen nur dann, schiedenen Arbeitsformen werden Wirkungswei- wenn Aktivitäten dauerhaft angelegt und die Rah- sen gemeinsam analysiert und die Reflexion auch menbedingungen für eine kontinuierliche Arbeit eigener alltagsrassistischer Einstellungen initiiert. gewährleistet sind.

Die Resonanz auf diese Workshops war bisher Gleichzeitig unterstreichen die Erfahrungen, dass durchweg positiv. Insbesondere der handlungsori- Gegenmaßnahmen durch die Sensibilisierung der entierte Ansatz, d.h. die kreative Entwicklung und Öffentlichkeit für das Phänomen Rechtsextremis- das Ausprobieren konkreter Schritte im Web, mus im Internet sowie durch die Förderung von machten Spaß und wirkten sich motivierend auf die Medienkompetenz über Veranstaltungen und jugendlichen Teilnehmenden aus. Sicherlich nicht Handreichungen flankiert werden müssen. Hier zuletzt dadurch, dass dabei immer ganz konkret die existiert ein großer Bedarf an Weiterbildung und Frage im Mittelpunkt steht, wie sich der Einzelne Information. gegen rechtsextreme Propaganda zur Wehr setzen kann. In Anbetracht der andauernden Präsenz rechtsex- tremer Inhalte im Internet werden die medienpäd- Daneben umfasst die konkrete medienpädagogi- agogische Arbeit mit Jugendlichen sowie Fortbil- sche Arbeit Fortbildungen für Pädagogen der schu- dungsangebote für Pädagoginnen und Pädagogen lischen und außerschulischen Bildungsarbeit. Es zu dieser Thematik immer wichtiger. Und Veran- geht vor allem darum, über das Phänomen Rechts- staltungen mit Jugendlichen und Pädagogen zeigen, extremismus im Internet zu informieren und in Se- wie fruchtbar eine kritische Auseinandersetzung minaren Perspektiven des pädagogischen Umgangs mit rechtsextremen Internet-Angeboten und den mit rassistischen, neonazistischen oder diskriminie- dort vermittelten Inhalten sein kann und dass Ju- renden Inhalten zu entwickeln und darüber hinaus gendliche durchaus bereit sind, offensiv Stellung Wege aufzuzeigen, wie man mit Jugendlichen in gegen Nazis und für Humanität und Menschen- eine Auseinandersetzung über derartige Thesen rechte zu beziehen. und Argumentationsmuster eintreten kann.

Der Bedarf an Informationsmaterialien und Hand- reichungen für die pädagogische Praxis ist sehr groß. Bereits im Jahr 2001 war daher im Rahmen der Projektarbeit und in Kooperation mit der Bun- deszentrale für politische Bildung eine sehr aus- führliche CD-ROM für Lehrer und Pädagogen zum Thema erstellt worden. Diese wurde 2003

n 36 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

7. Projekt „Schule gegen Rassismus“ an der Berufsschule 2 in Passau Bernhard Krohn

Rassismus, Rechtsradikalismus und Fremdenfeind- wickelt und ist auch in England, Frankreich und lichkeit sind aktuelle gesellschaftliche Themen. Deutschland bekannt. In Deutschland wird die Rassismus gibt es leider auch an der Berufschule 2 Kampagne „Schule ohne Rassismus“ von der Ak- in Passau, wie die Visitenkarte eines Schülers tion Courage koordiniert: deutlich zeigt. Aktion Courage, Ahornstraße 5, 10787 Berlin, Te- lefon: 030-214586-0, Fax: 030-214586-20, E-Mail: [email protected], Internet: http://www.aktioncourage.org

Gerade für eine Berufsschule ist es wichtig zu betonen, dass die Arbeitgeberverbände großen Wert auf ein gutes Miteinander von deutschen und ausländischen Arbeitnehmern legen. Ein Beispiel Voraussetzung für eine „Schule ohne Rassismus“ für antirassistische Arbeit in der Wirtschaft ist der ist die Einhaltung folgender Regeln: folgende Aufruf der Mitarbeiterinnen und Mitar- n Wir Schüler/innen, Lehrer/innen und Mitarbei- beiter der Fordwerke AG: ter/innen dieser Schule sagen NEIN zu Rassis- „... Wir arbeiten hier in Deutschland zusammen mit mus. vielen Kolleginnen und Kollegen aus über fünfzig verschiedenen Nationen. Wir sind stolz, in einem n Wir verpflichten uns, alle Formen und Äußerun- Weltunternehmen tätig zu sein, das seine Mitarbei- gen rassistischer und diskriminierender Art zu ter nach ihren Fähigkeiten und ihrem Beitrag zum vermeiden und zu verhindern. Erfolg des Unternehmens beurteilt und nicht nach n Unsere Schule widersetzt sich rassistischen Nationalität, Hautfarbe, Geschlecht, Glaubenszu- Organisationen und deren Propaganda. gehörigkeit oder sexuellen Neigungen.Wir dulden n Unsere Schule veranstaltet jährlich wiederkeh- keinen Hass, keine Hetze und keine Gewalt gegen rend besondere Projekttage zur Überwindung unsere ausländischen Mitbürger, Mitbürger gleich von Gewalt und Rassismus. welcher Überzeugung oder Hautfarbe ... Wir treten dafür ein!“ n Unsere Schule wird, entsprechend ihrem päda- gogischen Auftrag, Initiativen gegen Rassismus und zur Verständigung aller Menschen und Kul- turen ergreifen.

Diese Regeln werden ergänzt durch eine mit Na- me, Adresse und Unterschrift versehenen „Selbst- verpflichtung“: „Schule ohne Rassismus“ ist eine Aktion, die ur- „Ich werde mich dafür einsetzen, dass es zu einer sprünglich in Belgien entstanden ist und dort und in zentralen Aufgabe meiner Schule wird, nachhaltige und langfristige Projekte, Aktivitäten und Initiati- den Niederlanden bereits sehr erfolgreich und öf- ven zu entwickeln, um Diskriminierungen, insbe- fentlichkeitswirksam läuft. Inzwischen hat sich das sondere Rassismus, zu überwinden. Wenn an meiner Projekt zu einer europäischen Jugendkampagne Schule Gewalt, diskriminierende Äußerungen oder unter dem Motto „all different - all equal“ ent- Handlungen ausgeübt werden, wende ich mich da- n 37 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

gegen und setze mich dafür ein, dass wir in einer wurde. Ein Schwerpunkt der Ausstellung war das offenen Auseinandersetzung mit diesem Problem Thema Ausländer und Arbeitsplätze. Andere Inhal- gemeinsam Wege finden, einander künftig zu ach- te der Ausstellung waren z.B. rechtsradikales Ge- ten. Ich setze mich dafür ein, dass an meiner Schule dankengut, Ursachen des Rechtsextremismus, ein Mal pro Jahr ein Projekt zum Thema Diskrimi- nierungen durchgeführt wird, um langfristig gegen Nationalsozialismus etc. Sehr beeindruckend waren jegliche Form von Diskriminierung, insbesondere auch einige Skulpturen, die Nazis und ihre Opfer Rassismus, vorzugehen.“

Die Aktion „Schule ohne Rassismus“ will öffent- lichkeitswirksam sein. Regelmäßige Pressebericht- erstattung über einzelne Projekte sind deshalb ein integraler Bestandteil der Kampagne. Ein Beispiel hierfür ist der Artikel in der Passauer Neue Presse vom 23.11.2000, in dem über den Beginn der Akti- on berichtet wurde.

Die Aktion begann mit einer Unterschriftensamm- lung an der Schule, an der alle SchülerInnen teil- nahmen. Im Rahmen dieses Abstimmungsprozes- darstellen. ses konnten die SchülerInnen zu dem Statement „Ich kenne die Regeln für eine „Schule ohne Diese Figuren wurden von Schülern des evangeli- Rassismus“ und möchte, dass unsere Schule schen Religionsunterrichts gestaltet. diesen Titel erwirbt.“ positiv oder ablehnend Stellung beziehen. Das Ab- Im Rahmen des Projekts „Heißer Briefkasten ge- stimmungsergebnis war deutlich: Von den an der gen Gewalt“ rief die Klasse EK 10b zum Kampf Abstimmung teilnehmenden 1864 SchülerInnen gegen die Gewalt auf. Aufgerüttelt durch Meldun- stimmten 1611 für die Regeln. Das heißt: 86 Pro- gen über Mobbing oder körperliche Misshandlun- zent Zustimmung standen nur 14 Prozent ablehnen- gen startete sie ihre Initiative „Hot-X-Box“. In de Stimmen gegenüber. Im Rahmen der Ab- diesen heißen Briefkasten sollen Zettel geworfen schlussfeier am 19. Juli 2001 wurde der Schule werden, wenn Gewalt bemerkt wird. So können schließlich das Zertifikat „Schule ohne Rassismus“ Schülermitverwaltung und Schule sofort reagieren. verliehen. Mit Plakaten machten die beteiligten SchülerInnen auf ihren Einsatz aufmerksam. „Schule ohne Rassismus“ ist eine Jugendinitiative. Deshalb wurden engagierte Schüler gesucht. Alle Im Oktober 2001 schloss sich die Schule dem Pro- interessierten Schüler wurden aufgerufen, aktiv am test gegen die alljährlich wiederkehrende DVU- Projekt „Schule ohne Rassismus“ mitzuarbeiten. Veranstaltung in Passau an. Auch einige Lehrer Das Schülergremium trifft sich in regelmäßigen haben sich aktiv am Protest gegen die DVU betei- Abständen. Gesucht werden engagierte Leute, ligt und nahmen am „Lauf gegen Rechts“ teil. denen es Ernst ist mit dem Widerstand gegen Ras- sismus und Rechtsradikalismus, die sinnvolle Aktio- Nicht nur Demos, Austellungen und Flugblätter nen durchführen wollen und bereit sind, im Team waren Mittel des Protests gegen Rechts, sondern zu arbeiten. auch ein von Schülern der BS II veranstaltetes Konzert „Music against racism“. Unter dem Motto Im Rahmen der Kampagne wurden verschiedene „Passau ist bunt“ rockten vier Bands im Passauer Projekte realisiert, so z.B. eine Ausstellung zum Zeughaus in einem Konzert gegen Fremdenfeind- Thema Rechtsradikalismus, die von Schülern des Ethik- und Religionsunterrichts zusammengestellt n 38 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Im November 2003 befasste sich ein Vortrag von Christina Haverkamp unter dem Motto „Men- schenrechte bedrohter Völker“ mit den Yanoma- mi-Indianer im brasilianischen Regenwald. Die Yanomami sind eines der letzten noch ursprünglich lebenden Naturvölker dieser Erde. Seit zehn Jahren werden sie bedroht von Goldsuchern, Großgrund- besitzern, Minenkonzernen und der Holzindustrie. Der Vortrag zeigte auf, dass die Vertreibung der Yanomami Indianer auch eine Form des Rassismus ist. Der Schülersprecher überreichte ihr 1.700,-€ für ihre Arbeit unter den Yanomami Indianern.

Im Schuljahr 2003/04 ist für alle Klassen als Lektü- re im Deutschunterricht das Buch „Papa, was ist ein Fremder? – Gespräche mit meiner Tochter“ von Tahar ben Jelloun vorgesehen.

Die Projektverantwortlichen sehen in der Kampa- gne „Schule ohne Rassismus“ viele positive Aspek- te für eine erfolgreiche Antirassismusarbeit: n gewisser Verpflichtungscharakter (Regeln) n Nachhaltigkeit (jedes Jahr neue Projekte) lichkeit. Ca. 300 Jugendliche kamen zu dieser Ver- n Schülerinitiative wird gefördert anstaltung. n internationale Kampagne (Wiedererkennungsef- Plakatwand in der Pausenhalle: fekt) Gesicht zeigen gegen Rassismus

Im Dezember 2002 machte die BS 2 das Kino zum Lernort: KINO GEGEN GEWALT ist ein Projekt des Bundeszentrale für politische Bildung und des Instituts für Kino und Filmkultur, das mit der Un- terstützung der Filmverleiher und in Kooperation mit der AG KINO durchgeführt wird. Das Projekt ist Teil des Aktionsprogramms der Bundesregie- rung „Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und An- tisemitismus“ und wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

Eine Projektarbeit der KK11b im Schuljahr 2002-03 war eine „International Disconight“ mit Songs aus allen Nationen, mit der die Klasse in einer moder- nen Form gegen den Rassismus und für die To- leranz demonstrieren wollte. Ziel war es, alle Kul- turen (wenn auch nur an diesem Tag) zu einem Ganzen zu vereinen. Dazu wurden fünf Theken nach den fünf Kontinenten dekoriert. Jeder „Kon- tinent“ hatte andere Getränke. Dazu gab es Musik aus der ganzen Welt, die Tanzfläche im Mittelpunkt vereinte die fünf Kontinente zu einem Ganzen.

n 39 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

8. Trainings gegen Rechts - LIDIA Jakob Ruster/Silke Schuster

Nach einer kurzen Darstellung des Projektes stel- · Seminare für MultiplikatorInnen, z.B. das Semi- len wir ein Praxisbeispiels eines Seminars für Aus- nar „Argumentationstraining gegen Stamm- zubildende der Landeshauptstadt München vor und tischparolen“ und Fortbildungen wie z.B. „In- erläutern anhand dieses Beispiels fördernde Fakto- terkulturelle Kompetenz für LehrerInnen und ren für eine positive Wirkung solcher Seminare. AusbilderInnen“ a. Das Projekt LIDIA Bayern Materialien LIDIA ist ein XENOS-Modellprojekt, das interkul- · Lernpakete zum interkulturellen Lernen für den turelles Lernen und antirassistische Bildung in Aus- regulären Schulunterricht mit den Themen Be- bildung und Beruf fördert. LIDIA ist ein Netzwerk hinderung, Obdachlosigkeit, Homosexualität mit mehreren Trägern und Teilprojekten in Mün- (Pädagogisches Institut der Stadt München) chen und Ingolstadt. Neben dem XENOS – Pro- · Interkultureller Kalender, Postkarten und Pla- gramm wird LIDIA u.a. durch die Landeshaupt- kate, Bücherempfehlungen und Bibliothek stadt München gefördert. Die Projektlaufzeit ist von März 2002 bis Dezember 2004. Öffentlichkeitsarbeit · Information über Website und den LIDIA- Newsletter

c. Seminarreihe „Was heißt hier frem- denfeindlich? Seminar zur interkultu- rellen Kompetenz für Auszubildende der Stadt München“

Vom Anfang bis zur Realisierung LIDIA führt seit Oktober 2003 in Kooperation mit Die Arbeit von LIDIA Bayern ist eine breit ange- dem Personal- und Organisationsreferat der Lan- legte gesellschaftliche Präventionsarbeit gegen deshauptstadt München und INKOMM (AWO) Grundhaltungen von Ideologien der Ungleichheit, dreitägige Seminare mit Auszubildenden der Stadt Diskriminierung und Rassismus. Die Zielgruppen durch. sind alle Beteiligten im Umfeld von beruflicher Ausbildung und Betrieben. Der Hintergrund: Die Grundlage dieser Zusammen- arbeit stellt ein Stadtratsbeschluss dar, für alle b. Die Angebote von LIDIA Bayern Auszubildenden der Stadt München im Rahmen der interkulturellen Öffnung der Stadtverwaltung Präventive Jugendbildung Seminare gegen Fremdenfeindlichkeit durchzufüh- · Projekttage mit Berufsschulen und Betrieben zu ren. Die Landeshauptstadt München versteht sich den Themen Kultur und Vorurteile, Ausgren- als modernes und kundenorientiertes Dienstle i- zung, Zivilcourage, Kommunikation und demo- stungsunternehmen und möchte allen Bedürfnissen kratische Entscheidungsfindung sowie Gewalt- der EinwohnerInnen der Stadt München gerecht prävention. werden. In diesem Rahmen führt die Stadt dieses · Seminarreihe „Was heißt hier fremdenfeindlich? Seminar durch. Seminar zur interkulturellen Kompetenz“ für Auszubildende der Landeshauptstadt München Der Vorlauf: Zunächst legten wir die für uns (siehe untenstehenden Praxisbericht) handlungsleitenden Ziele fest und diskutierten unse- · Interkulturelle Seminare und Projektarbeit der re Vorannahmen. Wir gehen davon aus, dass Dis- LIDIA – Projektpartner kriminierung und Rassismus nicht immer erkannt werden. Hierfür existiert kein ausgeprägtes Be- MultiplikatorInnenbildung wusstsein. Deswegen möchten wir zunächst ein · Ausbildung „interkulturelle und antirassistische Bewusstsein schaffen in dem Sinne, dass es Per- TrainerIn“ für Fachkräfte aus Sozialer Arbeit, sonen gibt, die sich diskriminiert fühlen und es an- beruflicher Ausbildung und Betrieb (25 Tage dere Personen gibt, die das nicht erkennen wollen. berufsbegleitend, Februar 03 – Juni 04) Hinzu kommt, dass Handlungsperspektiven zur In- n 40 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus tervention gegen Rassismus und Diskriminierung unsere Seminare machen. Zusätzlich zeigen wir sowohl im Alltag als auch am Arbeitsplatz fehlen. uns als TrainerInnen mit unseren eigenen Vorur- Wir möchten Bewusstsein schaffen und Hand- teilen, Ängsten und Gefühlen. Dieses hohe Maß an lungsperspektiven eröffnen. Selbstoffenbarung lässt uns Moralisierungen ver- meiden und baut gegenseitiges Vertrauen auf. Die Konzeptentwicklung: In der ersten Phase der Letztlich bedienen wir uns in der Leitung unsere Konzeptentwicklung diskutierten wir unsere Hypo- Seminare der Moderationsmethode des israelischen thesen und das bis dahin angefertigte Grobkonzept Demokratieerziehungsprogramms „betzavta – Mit- mit „Feld-ExpertInnen“. Eine engere Bedarfsana- einander“4 mit dem Ziel Verantwortungsbewusst- lyse mit den späteren AdressatInnen des Seminars sein für das eigene Handeln oder auch Nicht- sowie den näheren ExpertInnen aus dem Feld war Handeln zu stärken. für uns ein wesentlicher Bestandteil der Semina- rentwicklung. Wir führten Gespräche mit Auszubil- Das Programm denden, AusbilderInnen und Personen aus dem Bereich der sonstigen Interessensvertretungen wie n Inhalte z.B. Jugendausbildungsvertretung, Gleichstellungs- 1. Tag stelle, Personalrat, Flüchtlingsrat etc.. · Warum haben wir alle Vorurteile und wann werden sie gefährlich? Nach dieser ersten Rückmeldung, überarbeiteten · Reflexion eigener Vorurteile wir unser Grobkonzept und legten folgende drei · Gruppe und Gruppenzugehörigkeiten Kernthemenbereich fest: · Verleugnete und verweigerte Identitäten · Vorurteile, Gruppe und Identität · Kanäle der Vermittlung (Sprache, Medien, Wit- · Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeind- ze u.a.) lichkeit · Wie kann ich Diskriminierung begegnen? 2. Tag · Was ist Diskriminierung? Didaktische Grundlagen · Gruppenprozesse und Vorurteilsbildung Im Tagungsworkshop stellten wir unsere Arbeits- · Verhältnis von Minderheit und Mehrheit weise mit der Übung „Wir hier – die da“3 exempla- · Was bestimmt, ob ich InländerIn oder Auslä n- risch vor. Die TeilnehmerInnen ordnen sich will- derIn bin? kürlichen Gruppen zu (z.B. RaucherInnen und · Begriffsklärung: Fremdenfeindlichkeit oder Ras- Nicht-RaucherInnen). Danach erhalten die jeweili- sismus? gen Gruppen den Arbeitsauftrag innerhalb einer ge- · Übertragung auf reale gesellschaftliche Ver- wissen Zeit drei Eigenschaften für die eigene hältnisse Gruppe zu finden und drei Eigenschaften die ty- pisch für die Anderen sind: Mit dieser Übung wer- 3. Tag den Hintergründe von Vorurteilsbildung sowie · Reflexion eigener Diskriminierungserfahrungen Gruppendynamiken spielerisch entdeckt. · Diskriminierung erkennen, Handlungskompetenz erweitern Generell ist es für uns wichtig, mit „neuen“ Grup- · Instrument und Wissen sowohl für den Alltag pen zu arbeiten, d.h. nicht mit bestehenden Kurs- als auch im Betrieb kennen lernen oder Klassenverbänden, da bestehende Gruppen- · Erprobung von Handlungsstrategien dynamiken die Arbeit erheblich erschweren kön- nen. Daneben weisen wir unsere Auftraggeber n Ablauf und Methodik darauf hin, dass wir mit nach Herkunft, Geschlecht, An jedem Tag beginnen wir mit einem Einstieg in Bildungsabschluss und Ausbildungsberuf heterogen die Situation und in das Thema. Daran schließen zusammengestellte Gruppen arbeiten möchten. Das die Vermittlung von Hintergründen und eine Analy- ermöglicht uns im Prozess die unterschiedlichen se der Situation an. Dies geschieht mit unterschie d- Perspektiven und lebensweltlichen Erfahrung der lichen Methoden. Im nächsten Schritt geben wir TeilnehmerInnen zum Thema zu machen. Dadurch theoretische Inputs in die Gruppe und diskutieren unterrichten oder belehren wir weniger, als dass diese gemeinsam. Am Ende steht der Transfer in wir die TeilnehmerInnen ernst nehmen und sie mit ichren individuellen Erfahrungen zum Mittelpunkt 4 Ein Bildungsprogramm zur Demokratieerziehung, das 1995 vom Centrum für angewandte Politikfor- 3 Vgl. Jugendbegegnungsstätte Anne Frank (Hrsg.): schung (CAP) mit Unterstützung der Bertelsmann Rechtsextremismus – was heißt das eigentlich Stiftung für die deutsche Bildungslandschaft adap- heute? Frankfurt a. M. 2003, S. 139. tiert wurde. n 41 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus den Alltag oder die eigene berufliche Praxis. Schließlich werten die TeilnehmerInnen die drei Tage anhand eines Fragebogens mit geschlossenen und offenen Fragen aus.

Methodisch arbeiten wir vor allem mit Übungen aus den Trainingsprogrammen „betzavta-Mitein- ander“, „Eine Welt der Vielfalt“ oder „Achtung (+) Toleranz“5. Zusätzlich integrieren wir Übungen aus der Theaterpädagogik wie z.B. Elemente aus Au- gusto Boals „Theater der Unterdrückten“. Das Programm runden klassische Methoden aus der politischen Bildungsarbeit wie z.B. Kleingruppenar- beit und Textanalysen ab. d. Hinweise zur nachhaltigen Wirkung antirassistischer Bildungsmaßnah- men Der Umfang eines dreitägigen Seminars ermöglicht es, im Gruppenprozess und persönlichen Lernpro- zess die Themen Diskriminierung und Rassismus teilnehmer- und erfahrungsorientiert zu behandeln. Dennoch bewirkt ein einmaliger Impuls sicher nur wenig nachhaltige Veränderungen. Deshalb fällt der Blick neben der direkten Wirkung der Seminare auf die TeilnehmerInnen vor allem auf das Umfeld der Organisation. Dazu einige Thesen:

Ø Je klarer ein solches Seminar von Beginn an kommuniziert und als Regelmaßnahme einge- führt wird, desto höher ist die Akzeptanz. Son- dermaßnahmen für bestimmte „problematische“ Gruppen erhöhen die Widerstände.

Ø Im angeführten Beispiel ist die Strategie der Stadt München zur Integration dieser Arbeit in die Ausbildung, die Einbindung im Vorfeld und Befragung der Betroffenen und FeldexpertIn- nen sehr positiv zu bewerten.

Ø Im Idealfall sind antirassistische Bausteine ein selbstverständlicher Teil der Ausbildung und gut in die Organisationsstruktur und -kultur einge- bunden. Dazu würden verbindliche Leitbildaus- sagen, Antidiskriminierungsstrategien und die Beteiligung von Ausbildern und Führungskräften an entsprechenden Schulungen gehören.

5 Das US-amerikanische interkulturelle Trainings- programm „A World of Difference“ (Eine Welt der Vielfalt) wurde ebenfalls vom Centrum für ange- wandte Politikforschung (CAP) mit Unterstützung der Bertelsmann Stiftung für die deutsche Bil- dungslandschaft adaptiert. Achtung (+) Toleranz wurde eigenständig vom CAP entwickelt. n 42 n Warten auf die nächste Katastrophe? – Gewaltprävention nach „Erfurt“

9. „Rap für Courage“ Erich Schriever/Gandhi Chahine a. Zum Hintergrund: entsprechender Hilfestellung als Texter/innen, Sän- Wer wir sind und was wir tun! ger/innen, Performer/innen, Autor/innen und Dar- „Rap für Courage“ wurde Anfang 1995 als über- steller/innen ihres Musikvideos aktiv beteiligt. regionales Jugendkulturprojekt für couragiertes und kreatives Handeln in Bezug auf das Thema „Ge- Konkrete Ziele des Arbeitsprozesses von „Rap für walt und Rassismus“ gegründet. Initiatoren waren: Courage at work“ sind, dass die beteiligten Mäd- die „Sons of Gastarbeita“ - eine multinationale chen und Jungen: professionelle Rap- und Hip-Hop-Formation aus - positive Energien entwickeln, Witten/ Bochum und das Referat Kulturarbeit im - Wut und Enttäuschungen 'rauslassen' können, Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche - die eigene Meinung öffentlich machen, von Westfalen mit der angeschlossenen Spiel- und - erstmalig den Weg vom Konsumenten zum Pro- Theaterwerkstatt Villigst. duzenten beschreiten, - ihr Selbstbewusstsein stärken - eine adäquate Unter dem Motto „alle anders - alle gleich“ Form des Selbstwertgefühls entwickeln und kul- startete im Sommer 1995 eine bundesweite Kam- turelle Selbstbehauptung entdecken. pagne, an der sich insgesamt 1.500 Jugendliche aus NRW, Norddeutschland, Berlin und Ostdeutschland In unserem Projektalltag vor Ort in Schulen und Ju- mit Songs, Texten, Theater-, Tanz- und Filmpro- gendeinrichtungen sind wir sehr nah an der Le- duktionen beteiligten. 40 Gruppen mit 380 Beteilig- benssituation der Jugendlichen. Um ihre Ängste, ten wurden ausgewählt und nahmen an mehreren Erwartungen und Hoffnungen in einem Song und bundesweiten „Rap für Courage-Festivals“, unter Film umsetzen zu können, müssen wir uns sehr anderem auch bei der Expo 2000 in Hannover teil. intensiv mit ihnen auseinander setzen. Dabei haben wir festgestellt, dass bei sehr vielen von ihnen das Grundsätzliche Ziele von „Rap für Courage“ sind Selbstwertgefühl auf dem Nullpunkt ist. Dies ist seit 1995 bis heute unserer Ansicht nach einer der zentralen Gründe, · angesichts verbreiteter Gewalt- und Rassis- warum große Teile von ihnen aus Zukunftsunsi- mustendenzen durch kulturelle Ausdrucksmög- cherheit und Perspektivproblemen heraus autoritäre lichkeiten Sprachlosigkeit und Ohnmacht über- gesellschaftliche Vorstellungen und wachsende winden Vorbehalte gegenüber Ausländern für richtig be- · Mut zum kreativen Widerstand wecken finden. Diese Position wurde auch durch die Er- · Courage zum Selbermachen fördern gebnisse der Jugendstudie „Rechtsextremismus · Zivilcourage entwickeln, um sich gegen Unge- und Gewalt“ in NRW von März 2001 im Auftrag rechtigkeiten öffentlich zu äußern der Jugendministerin Birgit Fischer bestätigt. Sie · Position beziehen - von der Fremdbestimmung zeigen, dass gerade im präventiven Bereich der zur Selbstbestimmung Auseinandersetzung mit Gewalt und Rassismus · die kulturelle Vielfalt der Ausdrucksmöglic h- noch große Herausforderungen zu bewältigen sind keiten von Jugendlichen sichtbar und öffentlich und dass eine schleichende Tendenz zur indirekten zu machen Befürwortung und Beachtung rechtsradikalen und rassistischen Gedankenguts Platz greift, die wir Ab Herbst 1996 wurde dann die Aktion durch das zunehmend als „rechten Mainstream“ unter vielen neue Basisprojekt „Rap für Courage at work“ Jugendlichen feststellen. erweitert und seitdem über 70 Mal mit unterschie d- lichsten Zielgruppen aus Schule und Jugendarbeit b. RAP FÜR COURAGE – XXL realisiert. Ca. 1.400 Jugendliche im Alter von 12 bis Ø ist: ein multimediales Jugendbildungsprojekt als 24 Jahren haben bislang mit „Rap für Courage at Kooperationsmodell zwischen Schule und Ju- work“ ihre aktuellen Lebensthemen, ihre Gedanken gendarbeit. und Aussagen zum Thema „Gewalt und Rassis- Ø ermöglicht: eine produktive Auseinandersetzung mus“ in Form eines selbst produzierten Songs so- mit dem Thema Gewalt und Rassismus und er- wie eines eigenen Musikvideos umgesetzt und öf- weitert damit die Basis von Toleranz und demo- fentlich präsentiert. In einem sehr intensiven Pro- kratischem Verständnis. zess von 4vier Tagen sind die Jugendlichen mit

n 43 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Ø öffnet: einen praktischen und theoretischen Musik- und Filmproduktion auf der Basis gegen- Erfahrungsraum zur Auseinandersetzung und seitiger Akzeptanz und gegenseitigen Respekts Selbstaneignung von Medienkompetenzen im · die Förderung und Erweiterung von Medie n- Umgang mit Musik- und Filmproduktion (Rap, kompetenzen in Bezug auf Aufnahme- und Be- Hip-Hop, Audio-Technik, Musikclips, Video- arbeitungstechnik im Musik- und Filmbereich technik). (Ton- und Videotechnik) Ø fördert: Respekt und Akzeptanz "Anderen" · die Entwicklung und den Aufbau eines neuen gegenüber sowie die kreative, schöpferische Partizipationsmodells (Schüler / Lehrer / peer Begegnung und Zusammenarbeit von Jugendli- education) chen aus verschiedenen Kulturen. · die Entwicklung eines eigenen Projektangebots Ø zielt auf die Erkenntnis, was das Thema Gewalt im Nachmittagsbereich (z.B. Ganztagsschule) und Rassismus mit dem eigenen Leben zu tun auf der Basis der Projekterfahrung (Wachhalten hat, die Bereitschaft, Position zu beziehen und der Thematik im Alltag) die eigene Meinung öffentlich zu machen. Ø bringt: neue Lern- und Erfahrungsimpulse in den Bislang war es weitgehend dem Zufall und dem be- Schulalltag und ermöglicht fachübergreifende sonderen Engagement von Lehrern oder Jugend- Lernprozesse in einer positiven Lernatmosphä- mitarbeitern vor Ort überlassen, ob die positive re. Schubkraft des Projektes ausreichte, die Energie Ø organisiert: einen gemeinsamen Lernprozess der Jugendlichen weiter in Gang zu halten. Im Rah- von Schüler/innen und Lehrer/innen, der erfahr- men von „Rap für Courage – XXL“ wollen wir in bar macht, wie Lernen und Bildung zukünftig der Startphase - im Vorfeld - mit den pädagogi- sein könnten. schen Fachkräften vor Ort innerhalb der Schule Ø schafft: durch die Realisierung von Eigenpro- oder Bildungseinrichtung - bereits die Phase „da- duktionen (Songs und Videofilme/Clips) mit pro- nach“ in den Blick nehmen, um Voraussetzungen fessioneller Hilfestellung die Stärkung von zu prüfen und zu schaffen, wie die Dynamik, die Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein bei den das Projekt erfahrungsgemäß hervorruft, sich z.B. Beteiligten. in einem längerfristigen Nachmittagsangebot an der Ø entwickelt: Nachhaltigkeit durch den Aufbau jeweiligen Schule entwickeln kann. eines schuleigenen AG-Projekts. Ø dauert: 14 Tage, davon 7 Tage Vor- und Nach- Projektstruktur arbeit und 7 Tage Vollzeitarbeit (8.30 - 15.30 Uhr). Modul I: Vorbereitung (3 Tage) Ø wird realisiert: auf Anfrage in Kooperation mit - Projektvorstellung (Schulleitung) interessierten Haupt- und Gesamtschulen. - Projektstrukturierung - Grundlagen der Koope- Ø durch: das Rap für Courage-Team, bestehend ration - Lehrer/innen - Projektteam aus 2 bis 3 Bandmitgliedern der professionellen - Gemeinsame Überlegungen zur Phase nach Rap- und Hip-Hop-Formation „Sons of Gastar- dem Projekt: Wie geht‘s weiter? / Zielvereinba- beita“ sowie 2 bis 3 Mitarbeiter/innen des Me- rungen dienteams der Spiel- und Theaterwerkstatt Vil- - Projektvorstellung für die Schüler/innen ligst (STW-Villigst) des Amtes für Jugendarbeit der EKvW. Modul II: Vermittlung technischer und inhaltlicher Ø für max.: 18 Schüler/innen (8./9. Klasse) und 2 Grundlagen (Audio- und Videobereich) (3 Tage) bis 4 Lehrer/innen. Thematische Auseinandersetzung mit den Themen Gewalt und Rassismus - Erfahrungs- und Erlebnis- Ziele von "Rap für Courage - XXL" austausch - produktive Umsetzung der Erfahrungen Positive Energien entwickeln, Wut und Enttäu- in Textideen - diese entwickeln - ausprobieren - schung rauslassen, die eigene Meinung öffentlich diskutieren - Material im Text- und Filmbereich machen, den Weg vom Konsumenten zum Produ- erarbeiten, sammeln und sichten. zenten gehen, Selbstbewusstsein stärken - eine n Musik- und Textarbeit – Musikbereich adäquate Form des Selbstwertgefühls entwickeln - Themen- und Gruppenfindung und kulturelle Selbstbehauptung entdecken, das ist - Vermittlung von Grundwissen zur Texter- die Basis von „Rap für Courage“. Mit dem Inten- stellung sivprojekt XXL geht es darüber hinaus um: - Arbeit an den Texten (Inhalte / Refrain · die Chancen zur Förderung kreativer Aus- usw.) drucks- und Gestaltungsformen in Bezug auf - Erfassen und Umsetzung der Texte in der das Thema Gewalt und Rassismus: Textarbeit, Gruppe - Sprach- und Gesangsproben n Kamera- und Aufnahmetechnik - Filmbereich n 44 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

- Vermittlung von wichtigen Aspekten der Konzeptionelle Positionen Filmsprache „RFC – XXL“ bedeutet für die beteiligten Schü- - Einführung in die Grundlagen der Kamera- ler/innen: technik und -führung n Sie bekommen neue Lern- und Erfahrungsim- - Ideenentwicklung zur Umsetzung der Text pulse in ihren Schulalltag injiziert - sie erleben ideen in die Bildersprache neue Lernmodelle und werden zu Schlüsselper- - Aufsuchen der Drehorte - Inszenierung und sonen ihres eigenen Lernprozesses! Aufnahmen der Einzelszenen, Materialsic h- n Die Inhalte und Kompetenzbereiche orientieren tung sich an praxisbezogenen Lernschritten und - an- forderungen. Sie müssen sich "outen", ihre Ide- Modul III: Vertiefung / Produktion in Eigenregie en und persönlichen Erfahrungen mit dem The- mit professioneller Hilfestellung (4 Tage) ma Gewalt und Rassismus einbringen und reali- Texte und Filmideen verändern, erweitern, ergän- sieren, insofern sind in diesem Prozess die zen, in eine vorläufige Endfassung bringen und Schüler/innen das Subjekt des Bildungsprozes- proben - technische Grundlagen der Audio- und ses - Partizipation und Selbstorganisation in Filmproduktion am praktischen Beispiel erfahren eins! und erlernen - öffentliche Präsentation der Ergeb- n Das Projekt bietet einen intensiven Einblick nisse - Positionierung der Beteiligten zum Thema und Erfahrungsraum für Auseinandersetzung "Gewalt und Rassismus" - Aufruf zur Fortführung und Selbstaneignung von Medienkompetenz im als eigenes Angebot in Form einer Courage- Umgang mit Musik- und Filmproduktion - also Medien-AG in der eigenen Schule. Medien, die ihre Lebenswirklichkeit als Jugend- n Musikbereich liche stark prägen und begleiten. - Vermittlung von technischen Grundlagen der n Im Projekt können die Jugendlichen neue Aus- Aufnahmetechnik (analog und digital) drucksformen und neue Formen der Selbstdar- - Proben und Aufnahme der Songs in Varia- stellung ausprobieren, sie müssen Position be- tionen ziehen und sich äußern, sie erfahren neue Di- - Soundtechnische Bearbeitung / Erlernen von mensionen der thematischen und inhaltlichen Digitalschnitt-Techniken Auseinandersetzung. - Proben für die Live-Präsentation n Sie erlangen Medienkompetenzen, die für n Filmbereich ihren weiteren Bildungs- und Lebensweg von - Vermittlung der technischen und inhaltlichen Bedeutung sein können, die praktischen Umset- Grundlagen der Video-Schnitt-Technik zungsformen sowie deren Anwendung in Eigen- - Bearbeitung und Nachbearbeitung der Film- regie (z.B. durch Aufbau einer eigenen Schul- aufnahmen AG) konkretisieren die Nachhaltigkeitsdimensi- - Abdrehen von Zusatz- oder Veränderungss- on des Projekts. zenen / -variationen n Sie erfahren, wie schwierig, aber auch wie lust- - Vermittlung der Nachvertonungstechnik voll und gewinnbringend es sein kann, im Team - Herstellung der Video-Clip-Endfassung für eine wirkliche, thematische, inhaltliche und die Live-Präsentation. technische Herausforderung zu meistern, um ein n danach: Live-Präsentation der Projektergebnis- gemeinsames Produkt zu erstellen, auf das dann se alle stolz sein können. Diese Stärkung der - Vorstellung der produzierten Videoclips Teamfähigkeit ist eine wichtige Standardkom- - Live-Auftritt / Präsentation der Songs petenz für aktuelle und zukünftige Berufsanfor- derungen sowie für ihre demokratische Teilha- Modul IV: Professionelle Nacharbeit / Aufbauhilfe be. für die eigene Schul-AG n Sie können im Projekt ihre Lehrer/innen als Arbeit an der Implantierung eines sich an der Er- „Mit-Lernende“ in einem gemeinsamen Erfah- fahrungsbasis des Projekts entwickelnden länger- rungsprozess erleben. Diese Erfahrungen fristigen Nachmittagsangebots. Dieses orientiert könnten die oft eindimensionale Sichtweise et- sich an den jeweiligen materiellen, finanziellen und was aufbrechen. personellen Ressourcen der Schule bzw. Einric h- tung. Nach Beendigung der aktiven Phase (Modul „RFC – XXL“ bedeutet für die beteiligten Lehrer/- II / III) zwischen 2 bis 4 Begleit- und Koordination- innen: streffen zur Evaluation und Weiterentwicklung n Die Chance der konkreten und intensiven (Schüler/innen, Lehrer/innen, Mitarbeiter/innen des Fortbildung im Medienbereich, die Erlangung Projektteams). von Medienkompetenzen sowie die didaktischen Möglichkeiten der medialen Aufbereitung des n 45 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Themenkomplexes Gewalt und Rassismus zu sierung einer eigenen an Produktionsformen ori- entdecken. Durch die intensive kooperative Zu- entierten AG, von Schüler/innen und Lehrer/- sammenarbeit mit den Schülern erfahren sie innen organisiert, zu realisieren. „hautnah“, wie es mit der Realität der Themen n Das Projekt bietet einen intensiven Einblick und Gewalt - Rassismus - Intoleranz - Drogen usw. Erfahrungsraum für Auseinandersetzung und an der Schule aussieht und wo die Probleme sit- Selbstaneignung von Medienkompetenz im Um- zen. gang mit Musik- und Filmproduktion - also Me- n Im Prozess der Arbeit des RFC-XXL-Teams dien, die ihre Lebenswirklichkeit als Jugendliche mit den Schüler/innen erleben sie zeitnah und stark prägen und begleiten. intensiv neue Formen der didaktischen Arbeits- n Im Projekt können die Jugendlichen neue und Lernstrukturen, die evtl. auch für eigene Ausdrucksformen und neue Formen der Selbst- Projekte übertragbar sind. darstellung ausprobieren, sie müssen Position n In den durch ein Fremd-Team angeleiteten beziehen und sich äußern, sie erfahren neue Lern- und Erfahrungsprozessen kann ein neues Dimensionen der thematischen und inhaltlichen Schüler/Lehrerverhältnis entstehen, in dem all- Auseinandersetzung. tägliche Barrieren durch neue gemeinsame Er- n Das Schulimage, als Schule, die sich moder- fahrungen und Herausforderungen durchbro- nen und zukunftsweisenden Lern- und Arbeits- chen werden können. formen zuwendet, könnte durch Ergebnisse die- n Schüler und Lehrer können sich im Projekt neu ses Arbeitsfeldes bei Jugendlichen, Eltern und kennen und wahrnehmen lernen. Gegenseitige zuständigen Bildungsträgern positive Verstär- Fehleinschätzungen und Vorurteile können im kung erfahren. praktischen Prozess der Projektanforderungen n Eine Ausgangsbasis für die Schaffung einer abgebaut werden. Lernatmosphäre in Schule, die 'Lust am Lernen' n Diese Erfahrungen können in gegenseitigem - 'Lust am Entwickeln' - 'Lust an Teamarbeit ' - Respekt, z.B. im Prozess des Aufbaus einer 'Lust am Produzieren und sich öffentlich mitzu- schuleigenen Musik- und Film-Produktions-AG teilen' - 'den Lehrer/die Lehrerin als Partner und dazu führen, dass eine neue Lernatmosphäre Begleiter im eigenen Lernprozess zu entdecken', entstehen kann, in der Schule und Lust am/zum nicht nur in die visionäre Ecke abschiebt! Lernen kein Widerspruch mehr sein muss. n In der Begleitung und Absicherung des im Voraussetzungen für die Umsetzung und das Projekt anvisierten schuleigenen AG-Projekts ist Gelingen der Kooperation schulischerseits hier im Blick auf das Einbeziehen weiterer in Bezug auf "RFC - XXL" sind: Schülerinnen und Schüler sowie die gesamte n In entsprechenden Vorbereitungsgesprächen Öffentlichkeitsarbeit - Wirkung nach innen und (Leitung / Lehrer aus dem Kollegium) die in- außen - ein pädagogisch interessantes und haltlichen und thematischen Rahmenbedingun- wichtiges Wirkungsfeld gegeben, welches zu- gen sowie vor allem die Fortführung nach Pro- künftig im Blick auf die Bedeutung des Schul- jektabschluss zu gewährleisten (Betreuung / profils nicht zu vernachlässigen ist. technische Ausstattung). n Maximal 18 Schülerinnen / Schüler sowie 2 bis „RFC – XXL“ bedeutet für die beteiligte Schule: 4 Lehrerinnen / Lehrer die Beteiligung am Pro- n Im Zusammenhang mit dem Umgang der Schu- jekt Modul II und Modul III zu ermöglichen und le mit dem Thema Gewalt und Rassismus wird abzusichern (7 Tage - täglich von 9.00 bis 15.30 durch die Implantation des Projekts ein Zeichen Uhr) und Nachtreffen (AG- Aufbau). nach innen und außen gesetzt. n Die benötigten Arbeitsräume und Veranstal- n Schüler/innen unterschiedlicher Nationalitäten tungsräume für die Projektdurchführung zur lernen sich durch das Projekt auf einer neuen Verfügung zu stellen und die Nutzungsmöglic h- Ebene kennen und schaffen sich mit ihren Pro- keit sicherzustellen: Audio-Bereich: 3 Arbeits- duktionen eine Form, um ihre Sicht der Dinge räume / davon einen mit für das Projekt aufge- öffentlich zu machen. bauter Technik (PA/Licht/Aufnahmegeräte) n Die Chance, zu sehr günstigen Konditionen Video-Bereich: 3 Arbeitsräume (2 durchgehend ein neuartiges multimediales Bildungskonzept / 1 zu Sonderzeiten / davon einer für fest aufge- mit interessanten und wirkungsvollen Inhalten baute Technik / Beamer usw.) für Schüler/innen und interessierte Lehrer/innen n Die technische Ausstattung für die Realisie- zu rekrutieren. rung der Module II und III wird von der STW- n Die Chance, über den Nachhaltigkeitsaspekt Villigst gestellt. Evtl. vor Ort vorhandene Geräte des Projekts, durch Vermittlung entsprechender sollten dabei möglichst einbezogen werden kön- Praxiskompetenzen den Aufbau und die Reali- nen, um die Fortführung zu gewährleisten. n 46 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus n Für den AG-Betrieb müssten räumliche Vor- aussetzungen geschaffen werden, die über feste Installationen eine Weiterführung der Arbeit ermöglichen. n Die Technik für die Audio- und Videoproduk- tion müsste, soweit nicht vorhanden, auf einen praktikablen Mindeststandard gebracht werden, um die Entwicklung der AG-Arbeit zu ermögli- chen. n Eine angemessene Eigenbeteiligung an den Projektgesamtkosten von ca. 20 Prozent. n Schaffung von Finanzierungsmöglichkeiten für die Grundausstattung zur AG-Fortführung.

n 47 n Warten auf die nächste Katastrophe? – Gewaltprävention nach „Erfurt“

10. EXIT – das Austeigerprogramm für Rechtsextreme Matthias Adrian a. Das EXIT-Projekt Perspektiven zu entwickeln und Alternativen aufzu- Seit Herbst 2000 arbeitet die Initiative EXIT, ein bauen, wobei sich die Initiative bemüht, Angebote Projekt des Zentrums Demokratische Kultur, un- zu machen, die der individuellen Lebenssituation terstützt von der STERN -Aktion „Mut gegen der Betroffenen entsprechen. rechte Gewalt“, bundesweit. EXIT will der extre- men Rechten ihr wichtigstes Element entziehen: Vernetzung ihre AktivistInnen. EXIT bietet Aussteigewilligen Ausstiegsbegleitung ist ein komplexes, interdiszipli- eine Perspektive jenseits des braunen Dunstkrei- näres Arbeitsfeld, die Zusammenarbeit mit anderen ses. Dahinter steht der Gedanke, dass jede/r, zivilgesellschaftlichen Organisationen und ehren- die/der aus der rechten Szene gelöst werden kann, amtlichen Mitarbeitern ist daher ein wichtiges Ele- ein gesellschaftlicher Gewinn ist. ment unserer Arbeit, denn nur so können Fälle dezentral bearbeitet und optimal betreut werden. Die rechtsextreme Szene gibt niemanden wider- standslos frei. Deshalb ist es notwendig, die bishe- b. Bericht eines „Aussteigers“ rige Lebenswelt zu verlassen und eine neue aufzu- Der folgende – ausschnittsweise - Tatsachenbe- bauen. Dabei versucht EXIT zu helfen, vermittelt richt stellt den „Ausstieg“ aus der Nazi-Szene aus Kontakte und leistet praktische Hilfe, handelt aber der Sichtweise des Betroffenen authentisch und auch präventiv, indem es Aufklärungsarbeit leistet. exemplarisch dar.

EXIT kann prinzipiell allen Personen helfen, die aus „(...) eigener Motivation die rechtsextremen Szene ver- Die nächste Straftat, an der ich - im Nachhinein: Gott lassen wollen. Eine Arbeit mit aktiven Rechtsex- sei Dank - nicht beteiligt war, sollte für Gunda der tremisten lehnt EXIT ab. Das Konzept setzt eines erste Schritt in Richtung Ausstieg werden. Aber ich voraus: die Herstellung des Erstkontaktes durch die denke, zu dieser Zeit war sie sich dessen selbst noch ausstiegswillige Person, denn diese Eigeninitiative nicht bewusst. ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgverspre- chende Arbeit. Im zweiten Schritt analysiert EXIT Ich erfuhr von der Tat erst am nächsten Morgen, da ich gründlich die individuelle Situation und erstellt ein aus dienstlichen Gründen in der Kaserne übernachten Bedürfnisprofil. Wichtig ist dabei, wo und wie je- musste, und um ehrlich zu sein, war ich über die Tat mand in die rechtsextreme Szene involviert war, entsetzt. Allerdings nicht über die Tat an sich, sondern wie seine persönliche und berufliche Situation aus- über die Art und Weise, in der sie durchgeführt wurde sieht. Ein blosser Rückzug aus dem rechtsextre- und dass ich darüber nicht im Vorfeld informiert war. men Umfeld und der Verzicht auf Straftaten allein Denn Gunda erzählte mir am Telefon (wir benutzten zu sind für EXIT noch kein Kriterium für einen erfolg- dieser Zeit schon immer eine Art Code, mit dem man reichen Ausstieg. Schwerpunkt der Ausstiegsbe- alles sagen konnte, ohne etwas gesagt zuhaben), sie gleitung ist die inhaltliche Aufarbeitung des rechts- hätte gestern Nacht noch Gärtnerarbeiten verrichtet extremen Weltbildes und der in der rechtsextremen und ich wisse schon wo. In diesem Moment lief mir ein Szene angeeigneten, unsozialen Verhaltensweisen. kalter Schauer über den Rücken und ich war erst ein- mal platt, denn ich wusste, sie konnte damit nur ge- Was EXIT nicht leisten kann und will, ist eine öko- meint haben, dass sie den jüdischen Friedhof im Als- nomische und soziale Rundumversorgung ehemali- heim oder Oppenheim geschändet hätten. ger Rechtsextremisten. Von Aussteigewilligen werden Eigeninitiative und Eigenverantwortung Mir war klar, das würde Ärger geben, denn egal wel- erwartet, dies gilt auch im Falle strafrechtlich rele- cher Friedhof es gewesen war, wir würden auf Grund vanter Taten. EXIT schützt nicht vor strafrechtli- der räumlichen Nähe auf jeden Fall im Fahndungsra- cher Verfolgung. ster der polizeilichen Ermittlungen liegen. Zu Hause angekommen, hatten wir erst einmal einen richtig bö- Ziel: Neuorientierung sen Streit, aber schließlich beruhigte ich mich wieder, Mitglieder der Szene müssen beim Ausstieg ihre da die Tat ansonsten mit so großer Professionalität rechtsextremen Bezüge und Ideologien verlassen. durchgeführt wurde, dass man nicht von einer Rück- EXIT bietet AussteigerInnen die Möglichkeit, neue verfolgbarkeit der Tat ausgehen konnte. Was sich spä- n 48 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus ter vor Gericht auch als richtig herausstellen sollte, brechen und ich ein Aussteiger sein würde, ich hätte denn wir wurden eigentlich nur auf Grund unserer ihn für verrückt erklärt. Aber nach dieser Veranstal- eigenen Aussagen verurteilt. tung merkte ich zunehmend, dass sich Gunda veränder- te. Wir hatten immer öfter Streit wegen politischer Fra- Gunda sagte später, nach unserem Ausstieg, immer, gen, sie begann wieder, Rockmusik zuhören, und ging diese Tat wäre für sie der Anfang vom Ende gewesen - immer seltener zu Ursel Müller. Die Situation wurde auch wenn ihr das erst einige Zeit nach der Tat richtig immer gespannter. Wir diskutierten ständig über die klar wurde. Bücherverbrennung, über Rassismus und das III. Reich. (...) Wir versuchten dann, um unsere Beziehung zu retten, Politisches und Privates zu trennen und ich ging von Die letzte Veranstaltung, an der Gunda und ich ge- nun an allein zu Veranstaltungen der Szene und sie meinsam teilnehmen sollten, war das Juhlfest der Art- ging in die Disko. Aber nach einer Woche hatte auch gemeinschaft, das in einem ehemaligen Ferien- und das keinen Sinn mehr. Ich weiß nicht mehr, warum - Freizeitheim der DDR im Harz, Anfang Dezember 99, aber die Situation eskalierte mal wieder und ich konn- stattfinden sollte. Hierfür hatte sich Gunda, unter gro- te nicht mehr anders als gehen. Ich schlug die Tür hin- ßem Protest und nach einiger Überredung von mir, ter mir zu, brüllte noch einmal Sieg Heil durch den extra ein Trachtenkleid gekauft. Was ihr wie übrigens Gang und fuhr mit der Bahn zurück nach Bürstadt. die ganze Veranstaltung dann den Rest gab und sie endgültig zum Ausstieg brachte. Am nächsten Tag fuhr ich mit meinem Bruder nach Nackenheim und holte meine Sachen, die Nazi-Bücher, Ich hingegen war von den Veranstaltungen der Artge- Fahnen und Bilder und zog wieder bei meinem Vater meinschaft, an denen ich hin und wieder teilnahm, ein. Ich war zu diesem Zeitpunkt, durch die ganzen Er- begeistert. Denn genau so stellte ich mir das „Neu- eignisse, die in kürzester Zeit auf mich einstürzten, und Reich“ vor. Hier trugen die meisten Teilnehmer grund- meine persönliche Situation in eine schwere Krise sätzlich Trachten, es gab keine Skinheads, man sang geraten. Denn ich hatte Gunda, die Frau, die ich immer Lieder und man orientierte sich im Wesentlichen an den noch liebte, verloren, ich war seit meiner Entlassung Vorstellungen elitärer SS-Kreise, was Volks-, Volks- bei der Bundeswehr zum ersten Mal arbeitslos, mein glaubens- und Rassefragen anbelangte. Die Mitglie- Vater und ich kamen überhaupt nicht mehr miteinan- derschaft war auch dem entsprechen zusammengesetzt, der aus, auch hatte mein Weltbild durch die Diskussio- sie reichte von SS-Veteranen, über Altkader bereits nen mit Gunda erste Risse bekommen und einige Vor- verbotener Organisationen bis hin zu Führenden fälle in der Szene zehrten auch an mir. NPD/JN-Mitgliedern. So waren z.B. Manfred Röder, Steffen Hupkar, Jürgen Mosler und Rost van Tonningen War das noch das, was ich wollte? Skins, die unsere ei- unter den Gästen. genen Leute ausrauben? Vergewaltigungen innerhalb der Szene? Angebliche Geheimdokumente, die man sich Der Ablauf der Juhlfeier, die in der ein am Biertisch ausdachte und die dann offizielle Schu- religiöser Akt ist, lief nach einem festen Schema ab. Es lungsgegenstände wurden? Wo war die große Kame- wurde gesungen, Gedichte vorgelesen, es gab ein Lai- radschaft? Skins wurden von Vorständen ausgenutzt, enspiel und einige Segenssprüche auf Götter und Ah- die hinter vorgehaltener Hand Sprüchen wie „Für das, nen. Den Höhepunkt der Feier bildete die Eröffnung was wir nach der Machtergreifung mit denen vorhaben, des Metkessels durch Jürgen Rieger, einen bekannten haben die jetzt schon die richtige Frisur“ äußerten. Mir NS-Anwalt und Rechtsextremisten. hatte man in einer Runde, in der nur Vorstandsmitglie- der beisammen saßen, die Geldbörse gestohlen. War Für Gunda hatte ich mir für den Abend auch eine be- das Kameradschaft? sondere Überraschung ausgedacht und bat sie deshalb, mit mir vor die Tür zugehen. Ich ging mit ihr etwa hun- Ich beschloss, mich erst einmal von der Szene fern zu dert Meter zu einer allein stehenden Eiche und machte halten, und ging in den nächsten Tagen sehr viel in den ihr einen Heiratsantrag und steckte ihr einen Verlo- Wald um nachzudenken. Denn mir war eines von vorn- bungsring an den Finger. Danach nahm ich sie in den herein klar: Meine Weltanschauung war eine der radi- Arm und wir schauten uns noch etwas die Sterne an kalsten überhaupt, und ich hatte auch keine Probleme und gingen zurück zu der Feier, auf der man die Nach- damit, für sie zu kämpfen, ins Gefängnis zu gehen oder richt freudig aufnahm. An diesem Abend hatte ich das sogar Schlimmeres zu erdulden, da ich davon über- Gefühl, für mich persönlich alles erreicht zu haben, was zeugt war, dass sie richtig sei. einen Nationalsozialisten ausmacht und ein Mitglied der Keimzelle der „Neuen Volksgemeinschaft“ zu sein. Aber genau diese Überzeugung war mir abhanden Wenn mir an diesem Abend jemand gesagt hätte, dass gekommen. Die Sache war mir mit einem Mal einfach zu meine Welt in den nächsten acht Wochen zusammen- unrund, zu unausgegoren, um sie weiter mit solch einer n 49 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Vehemenz vertreten zu können. Auf der anderen Seite fand ich aber vieles doch auch richtig und ich wusste Mitte Februar kam es dann noch einmal zu einer Haus- nicht, was ich tun sollte. Schließlich entschied ich durchsuchung, wegen der Schändung des jüdischen mich, am 10 Januar( meinem Geburtstag) bei Frank Friedhofes in Alsheim, die bei uns in Nackenheim, im anzurufen und zu erklären, dass ich das, was ich bisher Haus meines Vaters und bei meinen Großeltern durch- vertreten hatte, nicht mehr mit gutem Gewissen weiter- geführt wurde. Die Beamten waren sichtlich über- führen könnte. Ich trat von meinen Ämtern zurück und rascht, denn unsere Wohnung entsprach nicht mehr so verkündete meinen Austritt aus der Partei. Versicherte ganz ichren Vorstellungen, denn die hatten wir schon aber, dass ich natürlich weiter national bleiben würde, „entnazifiziert“. Auch ich hatte mich äußerlich sehr aber dass mir die NPD/JN und ihre Thesen zu radikal stark verändert. Ich hatte meinen Hitlerbart abrasiert wären und ich deshalb zu den Republikanern gehen und hatte einen blond gefärbten Bürstenhaarschnitt. wolle. Wir wurden alle drei in Gewahrsam genommen und Gunda und Claudia machten umfangreiche Aussagen. Wie das für Frank geklungen haben musste, kann ich Da ich vor dem Dilemma stand, bei der Haupttat nicht mir gut vorstellen: der Rechtsaußen, der, dem es nie dabei gewesen zu sein und Gunda nicht belasten woll- krass genug sein konnte, ausgerechnet dem ist auf te, gab ich nur über Dinge Auskunft, die mich betrafen. einmal alles zu radikal? Frank nahm das alles so zur Kenntnis und sagte im Verlauf des Gespräches nur im- Als ich am nächsten Tag entlassen wurde und Gunda mer wieder ja, gut und wie. und Claudia mir erzählten, dass sie alles gestanden hätten, es also für mich keinen Grund gab, mit irgen- Nach dem Gespräch fühlte ich mich irgendwie frei und detwas länger hinter dem Berg zu halten, bat ich sogar beschissen zugleich. Das Gespräch hatte mich emotio- um einen Termin und machte eine weitere umfangreiche nal sehr mitgenommen und ich musste mit jemandem re- Aussage und legte alle Straftaten, in die ich involviert den, dem ich vertrauen konnte, und so rief ich Gunda war, offen. Durch dieses Ereignis wurde mir erstmals an. Wir sprachen uns kurz am Telefon und sie kam noch bewusst, dass ich endgültig ausgestiegen war. Aber in am gleichen Abend bei mir vorbei. Ich lud sie zum Es- meinem Kopf gab es noch viele Fragen. Ideologiefrag- sen ein und erzählte ihr alles, was seit unserer Tren- mente, die latent vorhanden waren, prägten noch einen nung geschehen war, und danach waren nicht mehr Großteil meiner Ansichten. So hatte ich immer noch viele Worte nötig. Als sie am nächsten Morgen zurück- Ressentiments gegenüber Juden, Schlesien war für mich fuhr, waren wir wieder ein Paar, wenn wir auch vorhat- noch immer deutsch und Linke alle Krawallbrüder und ten, erst einmal getrennt zu wohnen. Chaoten. Ich wollte zwar von den Republikanern auch nichts mehr wissen, geschweige denn Mitglied werden, Aber es kam mal wieder anders, denn mein Vater und aber meine konservative Erziehung steckte mir immer ich gerieten in einen Streit, der damit endete, dass ich noch im verlängerten Rückenmark. ihm schwor, nie wieder sein Haus zu betreten. Mein Bruder, der die ganze Sache mit angehört hatte, fuhr Dass es mir gelang, diese Denkschemata zu durchbre- mich dann nach Nackenheim und Gunda, die meinen chen und dass ich wirklich ein offener Mensch wurde, Vater nie besonders mochte, nahm mich wieder bei sich das verdanke ich einem Zufall, der mir einen meiner auf. Für uns war der Streit allerdings auch ein will- besten Freunde schenken sollte. Gunda begann zu kommener Vorwand, wieder zusammen zu ziehen, ohne dieser Zeit im Internet zu surfen, um einen Weg zu fin- dass einer unseren Entschluss, getrennte Haushalte zu den, wie sie sich gegen Rechts engagieren konnte - was führen, revidieren musste. mir mal wieder zu schnell ging, denn ich war mit sol- chen Dingen immer etwas träge und wollte außerdem Ich denke heute, dass die Liebe von und zu Gunda mir nicht als Überläufer gelten. Sie entdeckte dabei die in dieser Zeit die Kraft gab, diese für mich immer Internetseite www.nazis.de - eine Seite, auf der man schlimmer werdende Krise zu überstehen. Denn indem sich bemühte, mit Rechtsextemisten über Internetforen ich meinen alten Positionen und Ansichten gegenüber zu diskutieren. Ich war zunächst misstrauisch und wit- immer kritischer wurde, legte ich auch die ideologi- terte dahinter irgendwelche verkappte Kommunisten schen Scheuklappen ab und begann mich zu ersten Mal oder die Autonomen. Aber Gunda ließ sich nicht beir- in meinem Leben aus anderen als rechtsextremen und ren und schrieb eine erste E-Mail. Daraus entwickelte revisionistischen Quellen zu informieren, ohne den Hin- sich ein reger Kontakt, zunächst zu Gunda. Aber auch tergedanken, dass alles gefälscht oder Ergebnis einer ich schrieb bald regelmäßig mit einem gewissen Sven Verschwörung sei. Was mir anfangs sehr schwer fiel Möller von der Redaktion von Nazis.de. Und hier be- und - wenn überhaupt - schenkte ich nur Quellen aus kam ich Antworten, die mir sonst noch nie einer gege- explizit nicht linken Kreisen Glauben. Aber auch das ben hatte bzw. hier wurde die richtigen Gegenfragen reichte schon aus, um immer mehr Mythen und Lügen, gestellt. die meine Weltanschauung bildeten, aufzudecken. n 50 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Svens Art, in der er mir begegnete und mit der er mit mir diskutierte, war nie belehrend, sondern er gab mir eher Informationen, die mir halfen, mein eigenes Welt- bild Stück für Stück selbst zu demontieren - so dass ich nach etwa einem halben Jahr in der Lage war, mein ei- genes Internetforum zu betreuen und selbst mit Rechten zu diskutieren.

Sven brachte uns auch mit zwei Redakteuren vom Spie- gel in Kontakt, die Interesse daran hatten, unsere Ge- schichte zu veröffentlichen. Wir wurden zum Interview nach Berlin eingeladen. Dort lernten wir auch Sven persönlich kennen und verstanden uns so gut, als wür- den wir uns schon ein Leben lang kennen.

Da zu dieser Zeit unser letzter Prozess ins Haus stand und wir den Eindruck vermeiden wollten, uns durch die Veröffentlichung Vorteile verschaffen zu wollen, be- standen wir darauf, dass die Geschichte erst nach dem Prozess veröffentlicht werden sollte, was dann aber aus redaktionellen Gründen nicht möglich war. So wurde sie nach Absprache mit Staatsanwalt und Richter doch etwa zwei Tage vor Prozessbeginn veröffentlicht.

Der Prozess dauerte nur etwa zwei Stunden und die An- klage stützte sich im Wesentlichen auf unser Aussagen. Claudia wurde zu Arbeitsstunden, Gunda zu 16 Monate Haft auf drei Jahre Bewährung und ich zu 9 Monaten auf drei Jahre Bewährung verurteilt. Als der Prozess vorüber war, war unser erster Gedanke nicht, wie man sich vielleicht vorstellen könnte: zum Glück nur Be- währung, sonder eher: Jetzt können wir endlich aktiv werden, ohne in den Verdacht zu geraten, irgendwel- che Vorteile für uns herausschlagen zu wollen. Seit dieser Zeit begannen wir, uns gegen die rechtsextreme Szene und Weltanschauung zu engagieren. Was wir zunächst in direkter Zusammenarbeit mit Initiativen und aktiven Bürgern vor Ort und seit 1. Mai 2001 als Mitarbeiter des Zentrums demokratischer Kultur taten.

Leider kam meine geliebte Lebensgefährtin im Novem- ber letzten Jahres auf dem Rückweg von eine Veran- staltungsreihe in Schelswig Hollstei bei einem tragi- schen Unfall auf dem Bahnhof von Bad Oldesloh ums Leben. Ich vermisse sie sehr und sie fehlt mir jeden Tag, aber die Erinnerung an sie und ihr Wirken geben mir die Kraft, unseren gemeinsamen Weg nun alleine wei- tergehen zu können.

n 51 n Warten auf die nächste Katastrophe? – Gewaltprävention nach „Erfurt“

11. Erfolgreich oder nicht? - Zur Wirkung der Konzepte 6 Prof. Dr. Birgit Rommelspacher

(...) delns zu klären und damit den Diskurs und die Re- flexion über die eigenen Wirkungen oder auch nicht Für die Evaluation eines solchen Programms stellen intendierte Wirkungen zu unterstützen, und so das sich drei wesentliche Fragen: Konzept weiter zu entwickeln und zu differenzie- · Ist das CIVITAS-Programm die richtige Ant- ren. Zudem soll sie dazu beitragen, Entscheidungen wort auf den Rechtsextremismus in den neuen über Handlungsalternativen auf rationaler Basis zu Bundeslä ndern? fällen. Dabei geht es auch um die Überprüfung der (Konzeptanalyse) Durchführbarkeit der jeweiligen Zielsetzung, also · Kann das Programm mit den vorgesehenen Mit- ob die ausgewählten Methoden resp. Aktivitäten teln umgesetzt werden? sowie die Rahmenbedingungen des Projekts der (Implementationsevaluation) Zielsetzung entsprechen können und ob die Leitlini- · Zu welchen Effekten führt das Programm? en realistisch d.h. umsetzbar sind. Die Evaluations- Wobei hier zwischen intendierten und nicht in- kriterien ergeben sich in erster Linie aus den Leitli- tendierten Effekten zu unterscheiden ist. Weiter nien des CIVITAS-Projekts wie auch aus der ei- ist dann auch zu fragen, ob die modellhaft er- genen, von den Projektinitiatoren definierten Zie l- probten Ansätze in die Alltagspraxis umgesetzt setzung. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Kri- und in den vorhandenen Institutionen verankert terien, die sich auf die theoretische Analyse stüt- werden können. zen, und solchen, die auf der Erforschung der Ak- (Wirkungsanalyse und Erfolgskontrolle) zeptanz der Nutzer basieren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können lediglich erste Überlegungen zu (...) In Bezug auf die Konzeptanalyse fragt sich, Evaluationskriterien angestellt werden, die aus der welche impliziten Annahmen über die Ursachen Diskussion mit den Mitarbeiter/innen der Projekte von Rechtsextremismus mit dem CIVITAS-Pro- gewonnen wurden. Anhand der wissenschaftlichen gramm gefällt und welche Interventionsstrategien Begleitung soll ausgewertet und analysiert werden, als erfolgreich angenommen werden, wie also das wie Projekte modellhaft („Best Practices “) gegen Problem defininiert und welche Ziele daraufhin Rechtsextremismus und für ein zivilgesellschaftli- formuliert werden. Es ist also zunächst die Plausi- ches und demokratisches Handeln eingesetzt wer- bilität des Konzepts aufgrund der vorliegenden den können. theoretischen Analysen und empirischen Ergebnis- se zum Thema zu prüfen. Dabei stellen sich insbe- Die Evaluation hat mehrere Adressatengruppen: sondere folgende Fragen: Inwiefern bezieht sich Zum einen die in den Programmen Tätigen und dieses Programm auf die vorliegenden Analysen zu zum anderen die Träger und politischen Instanzen, den Ursachen von Rechtsextremismus und ist die- die das Programm geplant haben und finanzieren ses Prog amm in besonderer Weise geeignet, auf und schließlich die Öffentlichkeit, die über das die spezifischen Anforderungen der neuen Bundes- Programm informiert werden möchte. länder zu reagieren? Überlegungen zu möglichen Evaluationskriteri- (...) en Bei den Evaluationskriterien ist zwischen den lang- Das Evaluationskonzept fristig angelegten Projekten (14 Großprojekte) und Die wissenschaftliche Begleitforschung will ermit- den lokalen Initiativen/Projekten zu unterscheiden. teln, inwieweit die von CIVITAS geförderten Pro- jekte die Richtlinien des CIVITAS-Programms um- setzen und auf welche Schwierigkeiten und Hinder- nisse sie bei der Umsetzung ihres Vorhabens sto- ßen. Der Evaluationsansatz ist formativ und pro- zessorientiert. Sie zielt darauf ab, die Ausgangsbe- dingungen, die Prozesse und Wirkungen des Han-

6 Der folgende Text beruht auf – von der Redaktion ausgewählten - Ausschnitten aus: Birgit Rom- melspacher/Ülger Polat/Czarina Wilpert: Die Evaluation des CIVITAS-Programms; in: Lynen von Berg u.R.Roth (Hg.): Massnahmen und Programme gegen Rechtsext emismus wissenschaftlich begleitet. Opladen: Leske und Budrich 2002 n 52 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Tab. 1: chem Kontext übertragbar sind. Auch ist zu fragen, Zielvorstellungen zur Operationalisierung von unter welchen Bedingungen solche Projekte durch- Evaluationskriterien / Indikatoren für die Groß- führbar sind bzw. was die notwendigen Rahmen- projekte bedingungen sind, um lokale Projekte wirkungsvoll durchführen zu können. Insbesondere für lokale A) Aktivierung demokratischer Akteure Projekte definieren die Förderrichtlinien des CIVI- - Nachfrage nach den Serviceangeboten der TAS-P ogramms folgende Charakteristika der MBTs und Opferberatungsstelen/Bekannt- Ansätze und Aktivitäten bei der Umsetzung des heitsgrad Programms: - Entwicklung neuer Netzwerke und Initiativen – Förderung einer toleranten Streitkultur - Nachhaltigkeit der Initiativen – Multiplikatorenwirkung und Mobilisierung durch - Verstärkte Kooperation zwischen den Projekten, verschiedene Akteure den politischen Trägern und der Öffentlichkeit – Emanzipatorischer Ansatz und Förderung der - Aktivitäten der politischen Parteien, Gewerk- Selbstorganisation von Minderheiten schaften, Kirchen etc. – Gemeinweseno ientierte Arbeit: Schule und Gesellschaft; Jugendarbeit B) Pluralisierung der Lebenswelt – Lokale Geschichte untersuchen; Verarbeitung - Sichtbarkeit und Akzeptanz ethnischer Minder- geschichtlicher Brüche in der Vergangenheit heiten, „linker “ Gruppen, Behinderter, Schwuler – Peer-Ansatz für Jugendliche; die Entwicklung und Lesben, Obdachloser etc. von Handlungskompetenzen - Eigeninitiativen von Betroffenen – Zukunftswerkstätten; Lernen und Anwendung - Darstellung der Opferperspektive in den Medien demokratischer Prinzipien - Solidarisierung mit den Opfern: Unterstützungs- – Schulverwandte interkulturelle Projekte gruppen, professionelle Hilfe, Verständnis bei – Menschenrechtsbezogene intergenerative Ar- der Bevölkerung beit - Humanisierung der Migrations- und Flücht- lingspolitik z.B. Flexibilisierung der Verwaltung Die Leitlinien sind nicht nur Teil der Auswahlkrite- (Residenzpflicht) rien des CIVITAS-P ogramms,sondern sie sind auch notwendiger Bestandteil der spezifischen Kri- C) Zurückdrängen rechtsextremer Hegemonie terien, mit deren Hilfe die lokalen Projekte evaluiert - Abnahme von Aktivitäten der Rechtsextremen werden sollten. vor Ort: Veranstaltungen, Propagandaaktvitäten, Präsenz in Jugendclubs etc. (...) - Entsolidarisierung mit den Tätern: Medienbe- richterstattung, Äußerungen von Vertretern von Das bedeutet für die Projekte des CIVITAS-Pro- Politik und Öffentlichkeit gramms, dass sie für eine möglichst kompetente - Polizeiliche und juristische Verfolgung Intervention eine Analyse von Strategien und - Initiierung und Aktivitäten von Präventionsräten Schwerpunktbildungen der Rechtsextremen vor- - Rückgang von Angst und Bedrohungsgefühl nehmen und dann Entscheidungen fällen,ob sie etwa in erster Linie in Regionen intervenieren, in D) Rahmenbedingungen: fördernde und hemmende denen der Rechtsextremismus besonders stark und Faktoren insofern die Zivilgesellschaft einer besonderen Un- - Verankerung der Projekte vor Ort (Träger und terstützung und Hilfe bedarf, oder aber eher in Mitarbeiter/innen) „neutralen Regionen “, in denen vorhandene zivil- - Kooperationspartner (Initiativen, Organisatio- gesellschaftliche Kräfte unterstützt we den können, nen, Fachkräfte, Medien) um diese zu stabilisieren und eine weitere Ausbrei- - Qualifikationen der Mitarbeiter/innen (Professio- tung der rechtsextremen Hegemonie zu verhin- nalität, Interdisziplinarität, Vorerfahrung) dern. - Arbeitsbedingungen - Qualität der Konzepte und Programm Für den möglichen Erfolg der CIVITAS-Program- - Politisches Klima: lokal, regional, Landesebene me ebenso wie für andere zivilgesellschaftliche Ini- tiativen ist es von entscheidender Bedeutung, ob Evaluationskriterien für die lokalen Projekte und wie sie von den politischen Entscheidungsträ- Bei den lokalen Projekten stellt sich viel eher als gern sowohl auf der kommunalen wie auch auf der bei den 14 G oßprojekten die Frage nach den „Best regionalen und Landesebene unterstützt werden. Practices“, d.h. welche davon sind modellhafte und Vielfach aber scheint es so, dass die politischen innovative P ojekte, die möglicherweise in ähnli- Entscheidungsträger, insbesondere in Regionen, in n 53 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus denen es noch wenig Öffentlichkeit im zivilgesell- analysieren, welche Defizite bestehen und welche schaftlichem Sinne gibt, eher Teil des Problems als Erfolge bisher zu verzeichnen sind und je nach Teil der Lösung sind. So haben viele der Antrag- Konstellation gemeinsam eine genaue Zielformulie- steller/innen festgestellt, dass diese die Existenz des rung zu entwickeln, Kompetenzen zu vermitteln und Rechtsextremismus vielfach leugnen oder verharm- ein Problembewusstsein in der Region zu schaffen, losen, wobei dies unterschiedliche Gründe hat: Zum ohne die bisherigen Aktivitäten außer Acht zu la s- einen befürchten viele Politiker einen Imageverlust sen. ihrer Region, was sich auf sie als Wirtschafts- standort negativ auswirken kann. Zum anderen (...) fühlen sich auch viele engagierte kommunale Poli- tiker von den Landesbehörden, der Landesregie- Insofern hat das CIVITAS-Programm sich ein rung und dem Landeskriminalamt alleine gelassen. hohes Ziel gesetzt, wenn es die demokratischen Sie bekommen weder Informationen noch Un- Grunderfahrungen so vermitteln möchte, dass sie terstützung und haben das Gefühl, von sich aus auch angenommen und als eigene verstanden wer- nicht viel ausrichten zu können. Insofern ist zu un- den und nicht als ein neuer „Missionierungsver- terscheiden, ob das Problembewusstsein mehr aus such“ oder gar „Kolonisierungsversuch“ von Seiten strategischen Gründen fehlt oder aber aus Mangel des Westens; d.h. den Beteiligten muss vermittelt an Wissen und Unterstützung. Ein zweites Problem werden, dass sich Demokratie lohnt und auf der Ei- liegt darin, dass der Rechtsextremismus zwar geninitiative und den eigenen Interessen der Betei- wahrgenommen wird, aber „falsche“ Erklärungen ligten beruht. Es erscheint unerlässlich, dass diese dafür gesucht werden, insbesondere z.B.die Erklä- politischen Überzeugungen von Menschen vermit- rung, dass der Rechtsextremismus ein vor allem telt werden, die für die Ostdeutschen auch glaub- aus Westdeutschland importiertes Problem sei, da würdig und vertrauenswürdig sind. Deshalb ist es es ihn in de DDR früher nicht gegeben habe (Ge- wichtig bei der Auswahl des Personals – wie es die ulen 1998). Zudem wird er auch als eine Folge der Programmleitung von CIVITAS empfohlen hat – in Arbeitslosigkeit und strukturellen Probleme der erste Linie auf Menschen aus den neuen Bundes- neuen Bundesländer verstanden. Das muss nicht ländern zurückzugreifen;es muss aber auch in den falsch sein, da damit vielfach das Gefühl der Be- Interventionsmethoden versucht werden, lokale nachteiligung verbunden ist und damit auch ein Symbolfiguren zu gewinnen, die ihrerseits wieder Misstrauen in das politische System und die Demo- als Multiplikatoren modellhaft in diesem Sinne tätig kratie. Das Gefühl der Ohnmacht liegt auch vie l- sind. fach daran, dass die politischen Entscheidungsträ- ger ebenso wie viele zivilgesellschaftliche Initiati- (...) ven weder über Strategien und Handlungskompe- tenzen noch über das Handlungswissen und die Ein weiteres Problem liegt in den fehlenden Res- Interventionsmethoden verfügen,um gegen Rechts- sourcen, mangelnden Erfahrungen, fehlendem Wis- extremismus vorzugehen.Bisher wurde auf sen und professionellen Kompetenzen. Meist liegen Rechtsextremismus und die Gewalttätigkeit in den keine Analysen über die Problemsituation vor und Regionen vor allem mit einer Mischung aus Prä- auch kein Informations- bzw.Erfahrungstransfer vention und Repression reagiert.Es wurden vielfach von anderen Institutionen über geeignete Interven- Sondereinheiten der Polizei gebildet und auch das tionsmethoden und Strategien im Umgang mit der entsprechende Personal aufgestockt. Auf de Seite Problemsituation. Hier setzt das CIVITAS-Pro- der Prävention leiden die meisten Interventionen gramm unmittelbar an, indem es allen Projekten daran, dass sie methodische Unterstützung geben sowie Informati- – sich im Wesentlichen auf Jugendliche konzen- onstransfer, Kompetenzvermittlung, Mediation und trieren und den Rechtsextremismus vorrangig Vernetzungsarbeit leisten kann. Voraussetzung al- als ein Jugendproblem sehen, lerdings ist, dass das CIVITAS-Projekt nicht in das – sich vor allem auf Verhinderung krimineller politische Kalkül vor Ort einbezogen wird und Handlungen und auf Gewalttaten konzentrieren selbst mit agiert. Vielmehr müsste es in der Lage und schließlich sein, als „neutraler Akteur“ die unterschiedlichen – sich in erster Linie auf die rechtsextremen Ak- Gruppierungen zueinander in Beziehung zu setzen. teure beziehen und nicht auf potentielle Opfer Dabei werden sich wahrscheinlich die Veranke- und Opfergruppen und auch nicht auf die Zivil- rungen vor Ort zum einen als Vor-, auf der anderen gesellschaft im Allgemeinen. Seite aber auch als Nachteil erweisen.Vorteil, weil möglicherweise Vertrauen geschaffen wird, weil Insofern scheint es wichtig zu sein, mit den politi- die verschiedenen Akteure sich kennen und Kom- schen Entscheidungsträgern vor Ort gemeinsam zu munikation schnell herstellbar ist. Nachteil, weil sie n 54 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus unter Umständen als bestimmte Akteure identifi- wechseln. Als Hauptgrund werden dabei die Ar- ziert werden, die möglicherweise unerwünscht beitsbedingungen und hier insbesondere die relativ sind, und nicht in die Politik der Befriedung und schlechte Bezahlung genannt. Aber auch die Situa- Normalisierung hineinpassen. Diese Situation stellt tion vor Ort spielt eine Rolle, die in ländlichen Ge- an das CIVITAS-Team hohe Anforderungen in bieten weit ab von größeren Städten nicht allzuviel Bezug auf die politische Sensibilität bei der eigenen persönliche und berufliche Perspektiven bietet und Selbstpositionierung. Auch die Mobilität der Teams auch aufgrund der Dominanz von Rechtsextremen kann sich hier als Vor- oder auch als Nachteil er- teilweise auch als bedrohlich erlebt wird. Insofern weisen. Deshalb bedarf es sicherlich gerade wäh- ist die Tendenz zur Abwanderung auch bei den rend der Anfangssphase einer kompetenten Super- Fachkräften zu spüren. Auf der anderen Seite gibt vision,die auch in der Lage ist, die Analyse der es eine Reihe positiver Faktoren, die die Mitarbei- Selbstverortung und politischen Rolle im sozialen ter/innen für diese Arbeit motivieren. Dabei steht und politischen Netzwerk vor Ort zu unterstützen. an erster Stelle die starke Identifikation mit den Zielen des Programms. Den meisten Mitarbeiter/- Was die Umsetzung der Programmziele betrifft, so innen gilt ihre Tätigkeit als ein Auftrag von großer werden durch die Förderung der Großprojekte gesellschaftlicher Relevanz, den sie mit hohem in- (Mobile Beratungsteams und Opferberatungsstel- neren Engagement annehmen möchten. Somit lässt len) wie auch der lokalen Projekte und Initiativen sich unter den Mitarbeiter/innen ein großes Interes- eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze gewählt. se beobachten, durch adäquaten Kompetenzerwerb Diese Vielfalt in Bezug auf Adressatengruppen, den Herausforderungen, die die Tätigkeit an sie Arbeitsformen, Trägerstrukturen und Arbeits- stellt, gerecht werden zu können. Positiv erweist schwerpunkten entspricht der Komplexität der sich auch die in den meisten Projekten bisher als Zielsetzung. Ein solch anspruchsvolles Programm gelungen empfundene Teamstruktur. Die meisten erfordert eine Vielfalt von Arbeitsansätzen. Eine fühlen sich von ihren Kolleg/innen untestützt und Gefahr kann jedoch darin liegen, die Intentionen sehen den Teambildungsprozess insofern als erfolg- und Wirkungsweisen der Projekte nicht mehr hin- reich an, als eine ausgewogene Komplementarität reichend überprüfen zu können und unter Umstän- in der Aufgabenverteilung entwickelt werden den Aktionismus oder gar Konkurrenzen zu för- konnte. dern. Deshalb erscheint es dringend geboten, der Koordination, der Vernetzung und der Evaluation Für die Unterstützung der Kontinuität der Arbeit ist der Projekte große Aufmerksamkeit zu widmen. also in erster Linie zu prüfen, ob und wie die Ar- Die Komplexität der Zielsetzung schlägt sich nicht beitsbedingungen verbessert werden können. Das nur in de Vielfalt de Projekte sondern auch im An- betrifft zum einen die finanzielle Ausstattung, zum forderungsprofil der Mitarbeiter/innen (der Opfer- anderen aber auch eine kontinuierliche Reflexion beratungsstellen und der MBTs) nieder, die in na- der eigenen Arbeit, der Kooperation im Team und hezu allen Bereichen psychosozialer, pädagogischer mit anderen Projekten und der Strategien zur Posi- und politischer Beratung, auf den verschiedenen tionierung vor Ort. Zudem bedarf es einer ebenso Ebenen des Konfliktmanagements und der in- kontinuierlichen Fort- und Weiterbildung in den terkulturellen Kommunikation sowie der Projekt- nachgefragten Kompetenzen und schließlich eine entwicklung und Netzwerkarbeit kompetent sein klare Koordination und Arbeitsteilung, die nicht nur sollten. Hier hilft nur eine klare Arbeitsteilung und dem systematischen Erfahrungsaustausch dient, eindeutige Schwerpunktsetzung. Dem steht jedoch sondern auch Konkurrenzen vermeiden und Syner- der Anspruch auf Flexibilität je nach unterschiedli- gieeffekte entwickeln hilft. Insbesondere der Koor- cher Problemsituation und Nachfrage und der je- dination und Weiterbildung der Projekte wurde von weils unterschiedlichen Konstellationen vor Ort Seiten der Servicestelle viel Aufmerksamkeit ge- entgegen. widmet. Es wurde bereits eine Reihe von Koordi- nationstreffen, Fachtagungen und Weiterbildungen Im allgemeinen wird der Erwartungsdruck, unter durchgeführt, so dass die Mitarbeiter/innen nach den sich die Mitarbeiter/innen der MBTs durch das eigener Einschätzung bereits jetzt eine Steigerung CIVITAS-Programm, die öffentliche Meinung und der eigenen Kompetenz in Beratung, Kooperation die Politik gestellt sehen, als sehr hoch beschrieben. und Organisation erfahren haben, sowie einen Er- Sie fühlen sich auch aufgrund der teils schlechten kenntnisgewinn in der Beschäftigung mit dem The- Arbeitsbedingungen und der extrem komplexen ma Rechtsextremismus und der Analyse der Be- Kompetenzanforderungen tendenziell überfordert. dingungen vor Ort. Insofern besteht die Gefahr der Fluktuation, da Was die Institutionalisierung der Projekte betrifft, immerhin mehr als ein Drittel der Befragten sich so haben die meisten inzwischen erfolgreich eine bereits überlegt hat, den Arbeitsplatz wieder zu geregelte Arbeitsorganisation entwickelt. Ebenso n 55 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus wurden im Allgemeinen die logistischen Probleme tausch zwischen den Projekten wird aber die Sen- der Anfangsphase erfolgreich bewältigt. Die Mobi- sibilität und Kompetenzen bei diesen Aufgaben lität der Projekte erweist sich hingegen als Vor- sicherlich wesentlich unterstützen. Besonders er- und als Nachteil: Die Vorteile liegen vor allem da- schwerend für alle Projekte in eher ländlichen Ge- rin, dass die Teams mit wenig Mitarbeiter/innen bieten ist der Mangel an fachkompetenten Koope- flexibel auf einen weit gestreuten Bedarf reagieren rationspartnern. Das gilt vor allem für die Arbeit können. Damit wird auch die ereignis- bzw. nach- der Opferberatungsstellen, denen vielfach entspre- frageorientierte Beratungstätigkeit unterstützt. chende Kompetenzen in Form von Therapeut/innen Zudem sind die Teams nicht so sehr in die örtliche oder auch Jurist/innen mit Kenntnissen im Auslä n- politische Dynamik eingebunden. Nachteile liegen der- und Asylrecht nicht zur Verfügung stehen. hingegen in der Schwierigkeit, der Arbeit vor Ort Hier können die Projekte des CIVITAS-Modells Kontinuität zu verleihen. Die Mitarbeiter/innen nur tätig werden, indem sie in der Öffentlichkeit können auch als Eindringlinge erlebt werden, die sehr deutlich auf diesen eklatanten Mangel an ohne Kenntnis der lokalen Situation nicht kompe- Fachkompetenz hinwiesen, um die entsprechenden tent agieren können. Zudem stellt die Mobilität ho- Berufsverbände auf diesen Notstand aufmerksam he Anforderungen an die Einsatzbereitschaft der zu machen. Mitarbeiter/innen und erfordert vielfach einen ho- hen Zeitaufwand. So stellt sich zuweilen die Frage, Was die lokalen Initiativen und Projekte betrifft, so ob die Mobilität nicht nur eine Notlösung darstellt überzeugen sie vor allem durch ihre Fähigkeit, zi- und die Tatsache einer faktischen Unterversorgung vilgesellschaftliche Initiativen vorwiegend auf der verdeckt. Basis von ehrenamtlich Tätigen aufzubauen, in Zu- sammenarbeit mit verschiedenen Einrichtungen und Im Hinblick auf die Rahmenbedingungen zeigt sich Organisationen. Allerdings besteht auch hier zuwei- bereits jetzt, dass der Erfolg der Arbeit ganz ent- len die Gefahr der politischen Polarisierung, insbe- scheidend vom politischen Klima vor Ort abhängt. sondere in Kleinstädten. Zudem fragt sich, welche Auch eine Dekade nach der Einigung Deutschlands anhaltenden Wirkungen durch zum Teil nur einma- ist dies gekennzeichnet durch eine Steigerung der lige und kurzf istige Projekte erzielt werden kön- Gewalttaten, der rechtsextremen Propagandade- nen. Eine positive Prognose in Bezug auf die Ver- likte und des Festhaltens an völkischen, monokultu- ankerung vor Ort ergibt sich aus der Tatsache, rellen Ideologien. Vor allem das mangelnde öffent- dass die meisten Initiatoren der Projekte jeweils liche Bewusstsein, die Tendenz der Negation oder aus der Gegend stammen und bereits viel Vorer- Bagatellisierung des Rechtsextremismus durch die fahrung in den entsprechenden Tätigkeitsfeldern politischen Entscheidungsträger und andere wichti- mitbringen. Hier erweist es sich als ein großer ge lokale Akteure ist das zentrale Hemmnis. Dabei Vorteil, dass sich das CIVITAS-Programm auf die besteht die Gefahr, dass die Initiativen und Proje k- Erfahrungen der Praktiker/innen stützt und ihre te, die dieses Bild einer unproblematischen Norma- Initiativen aufgreift. lität stören, selbst in Misskredit geraten. So erleben die Opferberatungsstellen wie die MBTs die öf- Insofern verwundert es auch nicht, dass sich nach fentliche Wahrnehmung ihrer Aktivitäten als sehr Einschätzung der Mitarbeiter/innen nach diesem unterschiedlich. Einerseits gibt es viele,die das Pro- kurzen Zeitraum bereits erste Erfolge eingestellt blem des Rechtsradikalismus ignorieren möchten haben. Diese zeigten sich in erster Linie in einem und die auf die Aktivitäten der Projekte mit Ab- gestiegenen Vertrauen der durch Rechtsextremis- wehr und teilweise sogar mit Diffamierung reagie- mus und Fremdenfeindlichkeit betroffenen Men- ren. Andererseits nehmen viele gerne die Vermitt- schen in die Arbeit der Projekte und in positiven lungsangebote der Projekte an und sind froh, hier Rückmeldungen von verschiedenen Kooperations- Orientierung und Unterstützung zu finden. partnern. Sie zeigten sich aber auch in einer deutli- chen Ausweitung der bestehenden Netzwerke und Insofern kommt es ganz entscheidend darauf an, der Formierung zahlreicher neuer Bündnisse sowie wie sich die Projekte in der soziopolitischen Dyna- einer kontinuierlich steigenden Anzahl von Anfra- mik vor Ort positionieren. Sie müssen zum einen gen für Fortbildungen durch die Projekte. Insge- Gesprächspartner für Akteure und Institutionen un- samt konnten die Mitarbeiter/innen unter den Ak- terschiedlichster Ausrichtung sein und somit die teuren und Kooperationspartnern ein wachsendes Rolle des Mediators übernehmen, zum andern Problembewusstsein für den Wert eines zivilgesell- müssen sie aber auch Stellung beziehen und ihre schaftlichen Zusammenlebens sowie für die Ge- Partner auch dazu auffordern.Wie diese schwierige fährdungen eines solchen wahrnehmen. Dieser Balance gefunden werden kann, wird nur von Fall Erfolg ist nach Einschätzung der Mitarbeiter/innen zu Fall zu entscheiden sein. Der Erfahrungsaus- nicht zuletzt auf ihre Beratungstätigkeit zurückzu- n 56 n Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus führen. Eine Wirkungsanalyse im Zuge der Pro- jektevaluation sollte diese Einschätzungen fundieren und die Entwicklung anhand der damit benannten Erfolgskriterien überprüfen.

Insgesamt wird die Zukunft der Projekte ganz ent- scheidend davon abhängen, wie sie sich vor Ort in der politischen Dynamik positionieren und ob sie sich sozial verankern können. Dabei wird ein inten- siver Erfahrungstransfer zwischen den Projekten von großer Bedeutung sein. Aber auch die Ar- beitsbedingungen der Mitarbeiter/innen sind ent- scheidend, da von ihnen nicht zuletzt die Kontinuität der Arbeit abhängt. Ob sie ihre Ziele mit ihrer Ar- beit ereichen werden, hängt jedoch nicht nur von ihrem Engagement und ihrer Kompetenz ab, son- dern ganz entscheidend auch von dem politischen Willen auf allen Ebenen der Gesellschaft, nachhal- tig eine plurale und humane Gesellschaft in Deutschland fördern zu wollen.

n 57 n Warten auf die nächste Katastrophe? – Gewaltprävention nach „Erfurt“

12. Wie weiter? Zusammenfassung der Abschlussdiskussion Dr. Manfred Schwarzmeier

Die Qualität der Projekt-Strukturen – vor allem hinsichtlich ihrer finanziellen und personellen Aus- stattung - stand auch im Mittelpunkt der Ab- schlussdiskussion, in der es um die Frage „Wie weiter?“ ging. Die Wortmeldungen kreisten dabei um folgende Themenbereiche: a. Vernetzung Durch die weitere Intensivierung der Zusammen- arbeit und den verbesserten Informationsaustausch zwischen den Initiativen und Gruppen könnte einer Konkurrenz um Ressourcen zwischen ihnen vorge- beugt und die Arbeit effizienter und flächendecken- der gestaltet werden. b. Verstetigung Die Arbeit der Gruppen muss auf eine finanziell langfristig gesicherte Grundlage gestellt werden. Die ungesicherte finanzielle Zukunft der Projekte und der enorme bürokratische Aufwand zur Siche- rung finanzieller Mittel nimmt sehr viel Zeit und Energie in Anspruch. c. Motivation Generell ist die Motivation in den Projekten hoch. Immer wieder sind es die kleinen Erfolgserlebnisse, aus denen die Mitarbeiter ihre Motivation schöp- fen. Darüber hinaus wäre es aber zu begrüßen, dass die Aktiven durch die Öffentlichkeit mehr anerkannt würden. Natürlich ist es auch so, dass die ungesicherte persönliche Zukunft durch zeitlich befristete Verträge bei nicht wenigen Mitarbeite- rInnen motivationsmindernd wirke. Eine „gewisse Frustration“, so Erich Schriever ergänzend, „ist aber dann doch die Folge, wenn wie jetzt in Nord- rhein-Westfalen, durch die Schließung von 1000 Einrichtungen funktionierende Netzwerke zerstört werden.“ d. Professionalisierung Um mehr Einfluss auf die Politik zu erreichen, wurde dringend mehr und professionellere Lobby- arbeit angemahnt. Durch die Gründung eines Ver- bandes wäre es möglich, die Anliegen der Gruppen und Initiativen mit erheblich mehr Nachdruck zu vertreten.

Abschließend wurde von vielen TeilnehmerInnen der Wert der Veranstaltung als Informationsbörse hervorgehoben, aber auch ihr Beitrag zur Stärkung der Motivation für die zukünftige Arbeit. nn 58 nn Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

13. Referent/inn/en Matthias Adrian, EXIT-Deutschland, Mühlenstr. 47, 13817 Berlin, Mail: matthias.adrian@exit- deutschland.de; Internet: http://www.exit-deutschland.de Joachim Bischoff, Dipl.-Sozialpädagoge, Streetworker, Jugendamt der Landeshauptstadt Mün- chen, Orleansplatz 11, 81667 München, Fon: 089/48914-72 Gandhi Chahin, „Sons of Gastarbeita“, Haus Villigst, Iserlohner Straße 25 58239 Schwerte, Fon: 02304/9325-63, Fax: 02302/9325-62, Mail: [email protected], Internet: http://www.aej- haus-villigst.de Stefan Glaser, jugendschutz.net, Projektleiter, Fritz-Kohl-Str. 24, 55122 Mainz, Fon: 06131/3285-261, Fax: 06131/3285-22, Mail: [email protected] , Internet: http://www.jugendschutz.net Prof. Dr. Hans-Gerd Jaschke, Polizei-Führungsakademie, FB 3 Rechts- und Sozialwissen- schaften, Zum Roten Berge 18-24, 48165 Münster, Fon: 02501/806-295, Mail: jaschke@pfa- ms.de, Internet: http://www.pfa.nrw.de Bernhard Krohn, Oberstudienrat, Berufsschule Passau, Rittsteiger Str. 15, 94036 Passau, Fon: 0851/89771, Mail: [email protected] Prof. Dr. Birgit Rommelspacher, Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin, Alice-Salomon-Platz 5, 12627 Berlin-Hellersdorf, Fon: 030/99245-313, Fax: 030/99245-245, Mail: [email protected] , Internet: http://www.asfh-berlin.de Jakob Ruster, Dipl.-Verwaltungswirt, LIDIA-Bayern, Landwehrstr. 35, 80336 München, Fon: 089/4190-2728, Fax: 089/4190-2727, Mail: [email protected] , Internet: http://www.lidia-bayern.de Dr. Reiner Schiller-Dickhut, Bündnis für Demokratie und Toleranz, Stresemannstr. 90, 10963 Berlin, Fon: 030/236340-811, Fax: 030/236340-888, Mail: [email protected] , Internet: http://www.buendnis-toleranz.de/ Erich Schriever, Dipl.-Sozialpädagoge, Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen, Haus Villigst, Iserlohner Straße 25 58239 Schwerte, Fon: 02304.755-194, Telefax: 02304.755-248, Mail: [email protected], Internet: http://www.jugend-westfalen.de oder http://www.rap-fuer-courage.de Silke Schuster, Dipl.-Pädagogin, LIDIA Bayern, Landwehrstr. 35, 80336 München, Fon: 089/4190-2728, Fax: 089/4190-2727, Mail: [email protected] , Internet: http://www.lidia-bayern.de Dr. Manfred Schwarzmeier, Akademie für Politische Bildung Tutzing, Buchensee 1, 82323 Tutzing, Fon: 08158/256-52, Mail: [email protected], Internet: http://www.apb- tutzing.de Gesa Tiedemann. Geschäftsführerin, Petra-Kelly-Stiftung, Reichenbachstr. 3a, 80469 Mün- chen, Fon: 089/242267-42, Fax: 089/242267-47, Mail: [email protected], Internet: http://www.petra-kelly-stiftung.de Dr. Christiane Tramitz, Altostr. 20, 82319 Starnberg, Fon: 08151/72100, Mail: ctramitz@t- online.de Rebecca Weis, Kommissarische Geschäftsführerin, Gesicht Zeigen! e.V., Torstr. 124, 10119 Berlin, Fon: 030/28044-786, Fax: 030/28044-813, Mail: [email protected] , Internet: http://www.gesichtzeigen.de Dr. Fridolin Wimmer, Studiendirektor, Gymnasium Vilshofen, Prof.-Scharrer-Str. 7a, 94474 Vilshofen, Fon: 08541/91920, Fax: 08541/919240, Mail: [email protected]

!!! 59 !!! Kleine Schritte gegen rechte Tritte? – Konzepte gegen Rechtsextremismus

Herausgeberinnen: P ETRA-KELLY-STIFTUNG/AKADEMIE FÜR P OLITISCHE B ILDUNGILDUNG T UTZING

Redaktionelle Bearbeitung: Dr. Gerd Rudel

Layout: Dr. Gerd Rudel

Bamberg/Tutzing, Februar 2004

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