Die Freien Pop-Geister
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Der kleine — Donnerstag, 22. November 2012 35 Mehr Angaben unter: Berner Woche Veranstaltungen www.agenda.derbund.ch Von 22. bis 28. November 2012 Sounds Ladylike Lily Die Welt wird besser Eine schmale Französin schenkt der Welt fl üchtige Lieder voller melancholi- schem Liebreiz. Gestatten: Ladylike Lily. Ane Hebeisen Nun, wie eine ausgewachsene Dame klingt sie nicht, die Ladylike Lily aus dem Finistère, dem allerwestlichsten Zipfel Frankreichs. Eher wie eine Kindfrau – dazu noch eine besonders lichtscheue Kindfrau. Und im Grunde möchte man ihr im ersten Refl ex zurufen, dass sie Lasziv und leise: Ladylike Lily aus doch schon mehrfach da waren, die et- Frankreich. Foto: zvg was verschämten Sing-Fräuleins mit ihren Glockenspielen, Holzgitarren und fenbaren fortwährend hübsche Überra- Schattenliedern. Doch dann beginnt sie schungen. Da schwillt der scheue Ge- zu singen, zu zupfen und zu glockenspie- sang schon mal zu einem selbstbewuss- len, und die Welt um einen herum wird ten Chor an, da wird schier unbemerkt tatsächlich eine bessere. Elektronisches eingefädelt, und Errun- genschaften wie Strophe oder Refrain Alles im Fluss werden gar nicht erst ins Spiel gebracht. Es sind bewölkte Lieder, die die schmale Alles ist hier im Fluss, und dieser Fluss Anfangzwanzigerin uns unterbreitet, mündet in ein Gebiet, in dem alles im eine Bewölkung, durch die durchaus im- biologischen Gleichgewicht ist. mer wieder ein paar scheue Sonnen- Kein Wunder, dass die französische strahlen funkeln. Ihre Stimme gemahnt Folk-Szene Ladylike Lily zum nächsten in ihrer Sirenenhaftigkeit an Künstlerin- grossen Ding ausgerufen hat und Künst- nen wie Stina Nordenstam oder Lykke ler wie Miosec, Zaz oder Moriarty sie ins Li. Doch auch wenn ihre Lieder stets in Vorprogramm casteten. Man wird noch eine schwerblütige Schönheit getunkt viel von ihr hören – es wird leise sein, sind und keine kunstwollenden Kapri- aber wunderschön. Sie denken den Club und den Orchestergraben zusammen: Micachu aus dem englischen Königreich. Foto: zvg zen im Sinn haben, sind sie doch musi- kalisch stets raffi niert verästelt und of- Turnhalle Progr Mi, 28. Nov., 20.30 Uhr. Sounds Micachu und Kwes Sounds Lia Sells Fish Die freien Pop-Geister Unmissverständliches Talent Selbst gebaute Instrumente, Levi alias Micachu studierte klassische Mica ist natürlich nicht allein in die- Noch Geheimtipp oder Komposition und tauchte des Nachts tief sen Free-Pop-Feldern: Ihre Komplizen irrwitzige Song-Entwürfe, in die Londoner Clubs ein: als DJ, als ihrer Band The Shapes (Mark Pell, Raisa schon bekannt? Lia Sells grimmige Raps, Orchester- Chronistin des Aufbruchs der Bass- Khan) begleiten sie auf den Exkursio- Fish steckt irgendwo dazwi- partituren und Soul für musik, als furchtlos Tanzende. nen, auch zählt sie auf weitere Wegge- schen. Ein gleichermassen grimmiges wie fährten, namentlich den Querfeldein- Liebende: Micachu und verspieltes Zeugnis dieser Nachtwachen Rapper Dels, auf Ghostpoet, vor allem Kwes basteln am Free Pop. ist das Mixtape «Filthy Friends», das aber auf den singenden Soulproduzen- Die Künstlerin Christine Hasler scheint Mica auf den Radar des Elektronikers ten Kwes. sich nicht um Angebot und Nachfrage auf Benedikt Sartorius Matthew Herbert brachte – der dann dem Musikmarkt zu scheren. Eher tut sie, Es könnte eine Bewegung werden: Die auch gleich das vor drei Jahren erschie- Mixtapes als Zeitvertreib was sie will. Und kreiert genau mit die- waghalsigen Exponenten nennen sie nene Album «Jewellery» produzierte. Der 25-Jährige veröff entlichte im Som- sem Verhalten eine Nachfrage, die sie Free Pop, und sie propagieren eine neue Die kurzen Songs auf dieser Platte mer seine lang erwartete EP «Meantime» dann doch nicht bedient – Tonträger gibt Popmusik. Eine Musik ohne Grenzen. rabauk ten, schrubbten – auch dank dem auf dem immer noch prägenden Elektro- es von ihr noch keine zu erstehen. Eher kein Blumenmädchen: Die Bernerin Eine, die die Exzentrik nicht scheut und «Chopper», ihrer selbst gebastelten nik-Label Warp, schrieb mit «Igoyh» Es gibt zwar Aufnahmen und Videos, Lia Sells Fish. Foto: zvg alle Regeln über den Haufen wirft. Eine, Gitarre – atonal, krachten und tanzten einen der verführendsten Songs dieses aber die sind eher verstörend als massen- die es notwendig macht, schreddernde fröhlich und angstvoll in der wider- Jahres, der Schwäche, Wärme und ideen- tauglich. Als Lia Sells Fish spielt die Ber- ihre unbändige Stimme auf das Publi- Instrumente aus Sperrmüll zusammen- spenstigen Pop-Ecke. Eine Pop-Ecke, die reiche Arrangements – so klackt fort- nerin Gitarre und singt mit einer Grob- kum loslässt. Die ehemalige HKB-Stu- zubasteln und Staubsauger-Sounds ein- mit dem gemeinsam mit der London Sin- während eine Schreibmaschine – zusam- heit, wie man sie von Frauen wie Patti dentin gewann 2011 im Rahmen der Vi- zubauen. Eine, die den Club und den fonietta eingespielten Platte «Chopped menbringt. Das Multitalent, das auch in Smith und Fiona Apple kennt. Als Ak- sio-Night des Lucerne Festivals den Pu- Orches tergraben zusammendenkt. Eine, & Screwed» beinahe ganz verlassen den Kreisen von Damon Albarn und The tionskünstlerin dreht sie Videos, in denen blikumspreis. Am Theater Kanton Zü- die so tut, als seien von den Beatles nur wurde – und die auch auf dem im ver- xx anzutreff en ist, fand natürlich auch sie ihre Körperform aus einer Grasfl äche rich war sie dieses Jahr beim Stück «Ka- psychedelisch-verspulte Kassettenbän- gangenen Sommer erschienenen Album Zeit, um mit Mica Levi zwei Mixtapes schneidet und auf ihrem Rücken einen simir und Karoline» für Musik und Kon- der übrig geblieben. Den Song, die Me- «Never» nie direkt angesteuert wird. unter dem Label Kwesachu zusammen- Mann durch den Wald trägt. zept verantwortlich. lodie, die pappt die Hörerschaft dann Man kann die Pop-Überbleibsel aber in zubasteln: Mixtapes, auf denen Rap, Die Aufnahmen im Internet sind okay. schon selber aus all den hingeworfenen den vierzehn meist nur zweiminütigen Grime, überschlagende Sounds und lie- Ruppiger Publikumsliebling Aber um die ganze Wirkung von Lia Sells Einzelteilen zusammen. Tracks fi nden: etwa in «You Know» mit besseliger Soul kollidieren. Man kann All das zeugt nicht von einer Angst, als Fish zu erfahren, lohnt sich ein Besuch der listigen Tastenfi gur, im geradezu dies der Einfachheit halber auch Free verschroben bezeichnet zu werden. Eine ihres Konzerts. Etwa diesen Freitag im In der widerspenstigen Pop-Ecke direkten «Heaven» oder dem schwer Pop nennen. Selbstverständlichkeit, die nicht von un- Wartsaal. (mik) Free Pop, das ist die Angelegenheit der hangenden, desillusionierten Raus- gefähr kommt: Ihr ruppiges Talent ist Engländerin Mica Levi. Die 25-jährige schmeisser «Nothing». Bad Bonn Düdingen Sa, 24. Nov., 21.30 Uhr. unmissverständlich. Gerade, wenn sie Wartsaal Fr, 23. November, 20.30 Uhr. Klassik BSO-Galakonzert mit dem Pianisten Fazil Say Sounds Deerhoof Er spielt und schweigt Freude am Lärm Mit gemischten Gefühlen beleidigt und dadurch den öff entlichen einer Schriftstellerin hatte goldene Pia- Süss lärmende Pop-Träume: mende Popsongs inszeniert. Popsongs Frieden gestört. Mitte Oktober musste nistenfi nger und galt bald als Ausnahme- mit Brüchen, Songs, die mit Future-Funk- sieht Fazil Say dem neuen Say vor einem Gericht in Istanbul antra- talent. Das ist die Meisterschaft der Elementen, mit groteskem Euro-Dance Jahr entgegen: Seine Welt ben; nach einer Stunde wurde die Ver- phänomenalen Liveband und monumentalem Progrock hantieren scheint derzeit nur beim handlung auf Februar vertagt. Würde Ravels Klangzauber Deerhoof. und doch immer kompakt bleiben. Die der Pianist dann verurteilt, drohen ihm Als Pianist, Komponist und Improvisa- beiden Gitarristen John Dieterich und Ed Klavierspielen im Lot. bis zu 18 Monate Gefängnis. Es könnte tor ist Fazil Say längst in den Konzertsä- Rodriguez stören sich listig, Sounds fl a- das Ende seiner Pianistenkarriere be- len der Welt zu Hause. Auch in Bern und Seit achtzehn Jahren betreibt der Teufels- ckern, die Beats karnevalisieren, wäh- Ein gesprochenes Wort holen vier Pferde deuten. Dabei hatte einst alles so wun- an der Seite des BSO konzertierte er Schlagzeuger Greg Saunier seine Band rend Matsuzaki mit ihrem gebrochenen im Galopp nicht ein, sagt ein Sprichwort. derbar angefangen: Der Sohn eines tür- schon etliche Male. Anfang November Deerhoof. In all den Jahren erforschte der Englisch den spielerischen Akzent dieser Was solls, haben wir nicht Redefreiheit? kischen Musikwissenschaftlers und hat Patricia Kopatchinskaja, mit der er Kalifornier krachend, fi ntenreich und genau gebastelten Musik unterstreicht. In der Türkei herrscht Meinungsfreiheit. regelmässig auftritt, im Kultur-Casino lustvoll die freie Rockmusik und schlug Nun kehren Deerhoof, die als Support- Das bedeutet aber nicht, dass jeder seine sein Violinkonzert «1001 Nights in the mit seiner wechselnden Mitstreiterschaft Band mit Grössen wie Radiohead oder Ansichten frei äussern kann. Der türki- Harem» aufgeführt. Am Freitag nun ist – zuvorderst die japanische Nonsense- Sonic Youth durch die USA tourten, sche Pianist Fazil Say, der nicht nur für Fazil Say wieder selber Gast beim Berner Sängerin und Bassistin Satomi Matsuzaki zurück an den Ort, den sie letztmals im sein Klavierspiel berühmt ist, sondern Symphonieorchester. Als Solist in Ravels – immer überraschende Haken. Das Frühling 2009 bespielten. Damals krönte auch für seine Art, unverblümt zu sagen, G-Dur-Klavierkonzert (Dirigent Mario reichte von direkten Garage-Rock-Alben die phänomenale Liveband ein sensatio- was er denkt,