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ALPINER SKISPORT UND DIE ERFINDUNG DER ÖSTERREICHISCHEN NATION 1945 – 1964

Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz

eingereicht von Mag.phil. Christoph Eric HACK

am Institut für Geschichte

Betreuer und Erstbegutachter: O.Univ.-Prof. Dr.phil. Dr.h.c. Helmut KONRAD Zweitbegutachter: Ao.Univ.-Prof. Dr.phil. tit.Univ.-Prof. Dieter-Anton BINDER

2013

2 INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG S. 6

Thema S. 6 Forschungslage S. 8 Quellen und Methodik S. 9 Aufbau und Inhalt S. 11 Anmerkungen S. 13 Sport und Nation S. 13

I. ÖSTERREICHISCHE IDENTITÄT NACH 1945 S. 23

1. ZUR FRAGE NACH EINER „NATION“ S. 25 2. DIE FRAGE NACH „IDENTITÄT“ S. 29 3. DAS „KOLLEKTIVE GEDÄCHTNIS“ S. 35 4. „IMAGE“ S. 41 5. ÖSTERREICH NACH 1945 S. 42 6. ÖSTERREICHISCHE IDENTITÄT NACH 1945 S. 52 7. BEMERKUNGEN UND ERGÄNZUNGEN S. 64

II. ALPINER SKISPORT IN ÖSTERREICH 1945-1964: AKTEURE S. 71

1. MAN FÄHRT „SCHI“! S. 73 2. ÖSV-KSC-SCA S. 76 3. SPORTLERINNEN UND SPORTLER S. 83 4. ERGEBNISSE, ERFOLGE, „FEHDEN“ S. 93 Exkurs: MEDIALE PRÄSENZ DES ALPINEN SKIRENNSPORTS AM BEISPIEL DER BERICHTERSTATTUNG DER „ WOCHENSCHAU“ ZU DEN XI. ALPINEN SKIWELTMEISTERSCHAFTEN IN ASPEN 1950. S. 102 5. LEBEN ALS „SKISTAR“ S. 104 Exkurs: GESCHLECHT UND SPORT IM ÖSTERREICH DER „LANGEN 1950er JAHRE“ AM BEISPIEL DES ALPINEN SKILAUFS. S. 109 a. Der zeitgeschichtliche Kontext S. 109 b. Theorie: Sport und Geschlecht S. 112 c. Die Diskussion um den Frauensport im Österreich der „langen 1950er Jahre“ S. 118

3 d. Geschlecht und Alpiner Skilauf in Österreich 1945-1964 S. 122 e. Vom österreichischen „Frauen-Wunderteam“ zum „Begleitprogramm für Männerbewerbe“ S. 134 f. Der Skifahrer als Mann S. 137 g. Kategorie Geschlecht in Skifahrerbiographien 1945-1964 S. 142 h. Geschlecht und Alpiner Skilauf 1945-1964: Fazit S. 146 6. , DER „SCHWARZE BLITZ“ S. 147 Sailer über Sailer: Jugendjahre S. 151 Sailer über Sailer: das Erlernen des Skifahrens S. 160 Sailer über Sailer: sommerliches „Trockentraining“ S. 163 Sailer über Sailer: Training im Schnee S. 166 Sailer über Sailer: Verletzungen S. 171 Sailer über Sailer: Berufsethos S. 175 Sailer über Sailer: Der Rennläufer S. 178 Sailer über Sailer: die „Heldentaten“ von Cortina S. 185 Sailer über Sailer: die „Abdankung“ S. 190 Sailer über Sailer: Fazit S. 194 7. , DER „EINSAME WOLF VOM ARLBERG“ S. 198 Schranz über Schranz: Jugendjahre S. 200 Schranz über Schranz: das Erlernen des Skifahrens S. 204 Schranz über Schranz: Berufsethos S. 205 Schranz über Schranz: Training S. 209 Schranz über Schranz: Rennläufer S. 211 Schranz über Schranz: Bescheidenheit und Demut S. 223 Schranz über Schranz: Heimatverbundenheit S. 226 8. „SAILER ÜBER SAILER“ UND „SCHRANZ ÜBER SCHRANZ“ IM VERGLEICH S. 229

III. ALPINER SKISPORT UND DIE ERFINDUNG DER ÖSTERREICHISCHEN NATION 1945-1964: REPRÄSENTATION, INSZENIERUNG UND REPRODUKTION S. 232

1. (-) SPORT ALS KULTURELLE LEISTUNG: POLITISCHE DISKUSSION S. 235 2. (SKI-) SPORT ALS KULTURELLE LEISTUNG DER 2. REPUBLIK: FINANZIELLES S. 243 3. (SKI-) SPORT ALS KULTURELLE LEISTUNG DER 2. REPUBLIK: OLYMPIA 1964 S. 247 FIS-WM 1958 als Generalprobe S. 256 Großauftrag Olympia S. 257 Arbeitsaufwand (des Bundesheeres) für die Olympischen Spiele 1964 S. 264 Finanzieller Aufwand für die Olympischen Spiele 1964 S. 270 Der Erfolg der Olympischen Spiele 1964 S. 276

4 „TV-Event“ 1964 S. 279 4. INSZENIERUNG IM RAHMEN OLYMPISCHER SPIELE S. 281 Das ÖOC S. 286 „Olympiahoffnung“ alpiner Skisport S. 292 Olympischer Gedanke S. 298 5. SKIERFOLGE ALS NATIONALES ANLIEGEN S. 301 6. ALPINER SKISPORT ALS „ÖSTERREICHISCHER“ SPORT S. 304 7. ALPINER SKISPORT ALS ÖSTERREICHISCHER EXPORTARTIKEL S. 310 8. ÖSTERREICHS KAMPF UM DIE (ALPINE) HEGEMONIE S. 312 Die Botschafter der (Ski-)Weltmacht: Staatlich geprüfte Skilehrer S. 318 Die Demonstration der (Ski-)Weltmacht: Internationale Skilehrerkongresse S. 321 9. REPRODUKTION: DER ERZIEHERISCHE WERT DES SKISPORTS S. 326 Der Skikurs S. 336

FAZIT S. 344

1. ALPINER SKISPORT ALS STIFTER ÖSTERREICHISCHER IDENTITÄT S. 346 2. SKIFAHRER/IN IN ÖSTERREICH – ZWISCHEN MYTHOS UND REALITÄT S. 347 3. REPRÄSENTATION, INSZENIERUNG UND REPRODUKTION DER „SKI-NATION“ S. 349 4. ÜBER BESTÄTIGTE ANNAHMEN UND NICHT BEWIESENE THESEN: ERGEBNISSE S. 351

BIBLIOGRAPHIE S. 353

1. QUELLEN S. 353 2. SEKUNDÄRLITERATUR S. 362

Danksagung und Ehrenwörtliche Erklärung S. 373

5 EINLEITUNG. Thema.

Beim „Fall Österreich“ wird der hobsbawm’sche „verspätete“ Nationalismus1 wirksam: die „neue“ Nation nach 1945 ist als Antwort auf den Nationalsozialismus zu sehen. Zwar konnte man sich selbst und den Rest der Welt sehr früh offiziell davon überzeugen, dass Österreich ein „Opfer“ der Nazis war2, doch bedarf die Erfindung einer neuen Nation viel mehr als die bloße Negation eines geächteten und mittlerweile gescheiterten „invasiven“ Regimes. Für die Erfindung eines „neuen Österreichs“ war ein besonders großes Maß an Kalkül und Feingefühl vonnöten, um über die Definition dessen, was „österreichisch“ und was „nicht österreichisch“ ist oder war, die Substanz für ein keimendes Nationalgefühl zu finden. So achtet die Inszenierung der „Zweiten Republik“ stets darauf, antipreußisch im Sinne von antinationalsozialistisch zu sein: die Propagierung der Wiener „Hochkultur“ bis hin zur semiwissenschaftlichen Beweisführung, es gäbe eine vom Preußischen unabhängige österreichische Sprache zielt vor allem darauf ab, die „Österreicher“ als Gesamtheit weit weg von Auschwitz zu positionieren. Eine besondere Rolle fällt dabei den ruralen Gebieten zu. Das „Land“ als Negation zur „sündigen Stadt“ bietet die perfekte Bühne für die Inszenierung des am technisierten Holocaust unschuldigen Österreichers. Besonders dort, wo die Berge selbst im Sommer schneebedeckt sind, weiß man die Menschen in vormoderner Zeit verweilend. Diese Menschen vom Land sind - als „Hinterweltler“ bekannt – die perfekten Botschafter der neuen Zeit. Alleine ihre geographische Entfernung zu den peinlich bürokratisierten (urbanen) Zentren der Nazis machen sie für das „neue Österreich“ unverzichtbar; hinzu kommt das unschätzbare finanzielle Potenzial ihres Lebensraums hinsichtlich einer touristischen Vermarktung. Dabei stellt die „Blut und Boden“-Romantik der Nazis keineswegs ein Hindernis dar und wird kaum als Kontinuität wahrgenommen; engagierte Schriftsteller wie etwa Karl Springenschmid3 – im Nationalsozialismus nicht verschmäht – finden gerade in den 1950er Jahren wieder ihre heimatliebende Leserschaft. Genau an diesem Punkt ist die Importanz des alpinen Skisports für die Erfindung der österreichischen Nation nach 1945 unübersehbar. Die alpinen SkirennfahrerInnen

1 Hobsbawm: „Nationen und Nationalismus.“ Frankfurt/Main 2004 2 Wie es schon in der Moskauer Konferenz im Oktober 1943 von den späteren Siegermächten in der „Declaration on Austria“ im Unterpunkt 1 formuliert wurde. 3 Hier wird er vor allem deshalb genannt, weil er der (Co-)Autor der Autobiographie Toni Sailers von 1956 war.

6 feiern genau in jenen Jahren Erfolge, in denen sie ruhig als „Glücksfall“ für die junge Nation bezeichnet werden dürfen. An unbedenklichen „Helden und Idolen“ fehlte es bis dahin; und diese SportlerInnen vereint vor allen Dingen eines: die ländliche Herkunft, gepaart mit der Naivität eines Abenteurers und einer latent anhaftenden Vormodernität, machen sie zu vollkommen unproblematischen, weil unpolitischen und deshalb vor allem nicht-nationalsozialistischen Botschaftern eines neuen Staates. Die geographische Lage der Orte ihrer Jugend prädestinierten sie dabei zum späteren Leistungssport; der junge Toni Sailer, der „schwarze Blitz“ aus Kitzbühel, bietet ab der Mitte der 1950er Jahre so eine ideale Projektionsfläche für die neue Zeitrechnung nach 1945: er ist nur ein junger Mann auf zwei Skiern, der seit seiner Kindheit nichts anderes macht als im Schuss die Berge seiner Heimat zu befahren4. Dabei funktioniert er wie alle anderen erfolgreichen SkisportlerInnen seiner Zeit neben seiner Botschafterrolle für das „neue Österreich“ vor allem als Werbefigur für die bergigen Bundesländer im Westen. Neben der Rolle der für den ÖSV an internationalen Rennen teilnehmenden SportlerInnen für das österreichische Nationsbewusstsein wird vor allem die Propagierung der „Österreichischen Schischule“ seit 19475 sowie die „Erziehung der ÖsterreicherInnen hin zu SkifahrerInnen“ von großer Bedeutung sein und zeigen, dass der Nutzen des alpinen Skisports für den Staat nicht alleine im Tourismus liegen kann. Die Thematik „Alpiner Skisport und die Erfindung der österreichischen Nation 1945- 64“ ist eine zentrale Fragestellung der Geschichte der österreichischen Nachkriegszeit, die bisweilen nur wenig erforscht wurde. Die Einschränkung von 1964 macht in zweierlei Hinsicht Sinn: zum einen sehe ich, dass sich Österreich als „Ski-Nation“ durch die Austragung der Olympischen Spiele in Innsbruck, der als „Hauptstadt des alpinen Skisports“6 propagierten Tiroler Landeshauptstadt, grundsätzlich etabliert hat. Zum anderen schafft die zeitliche Begrenzung einen sicheren Abstand zur Thematik zu den Vorgängen rund um Karl Schranz‘ verhinderter Olympiateilnahme, die einen neuen Aspekt des Nationalismus in die Diskussion bringen würde, der Gegenstand einer eigenen Arbeit sein müsste.

4 Im Gegensatz dazu stünde der „Drill“ eines Kindes hin zum Skifahren. Das „österreichische Turnen“ nach 1945 stellte sich jedoch bewusst gegen jeden Zwang und feierte die „Natürlichkeit der Bewegung“ als Antwort auf die Militärspiele der Nazis. 5 Burger, Eduard: „Die österreichische Schischule. Amtlicher Lehrplan.“ Wien 1947. 6 Im Gegensatz zu den Spielen 1952 in Oslo, wo man den nordischen Skisport beheimatet sah.

7 Forschungslage.

Themenbereiche wie „Sport und Nation“ oder „Sport und Identität“ sind mittlerweile fixer Bestandteil jeder seriösen Kulturgeschichte. Nationale Geschichten wie jene Argentiniens sind heute ohne die Betrachtung des Sports unvollständig. Im deutschsprachigen Raum bildet dabei die Aufarbeitung der Rolle des Sports im Nationalsozialismus einen zentralen Themenkomplex, der in den Arbeiten zu den Olympischen Spielen von 1936 kumuliert und durch die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland eine Renaissance erlebte. Daneben erleben Themen, die der Frauenforschung zugeschrieben werden können, seit den 1980er Jahren einen „Boom“. Diese sogenannten „social sport studies“, bei denen der Sport auf seine kulturelle Relevanz hin untersucht wird, stellen in Österreich einen noch relativ jungen Forschungszweig dar. Die hier engagierten Forscher wie Matthias Marschik, Rudolf Müllner, Georg Spitaler oder Gertrud Pfister publizieren auf diesem Gebiet seit den frühen 2000er Jahren. Dabei stellt der 11. Internationale Kongress des Europäischen Komitees für Sportgeschichte (CESH) in Wien im Spätsommer 2006 einen Meilenstein auf dem Gebiet der Thematik „sport and the construction of identities“ dar, welche als Ausgangspunkt meiner Forschung bezeichnet werden kann. Es gibt zur Frage nach der Thematik in Österreich nach 1945 zum einen eine allgemeine Monographie über die Rolle des Sports in der Konsolidierung der Jahre bis 1950 von Matthias Marschik, daneben eine allgemeine Betrachtung durch Ernst Bruckmüller und Hannes Strohmeyer; hinzu gesellen sich einige Werke über Fußball. Der alpine Skisport wird dabei nur indirekt thematisiert, wenn es um die Betrachtung bestimmter SportlerInnen geht – mittlerweile gibt es einige wissenschaftliche Betrachtungen der Biographien Toni Sailers und Karl Schranz‘ hinsichtlich derer Bedeutung für die Ausbildung einer österreichischen Identität. Skiläuferinnen wie Annemarie Moser- Pröll, Ulli Maier, – im voyeuristischsten Sinne auch Erik(a) Schinegger – wurden nach „genderrelevanten Themen“ analysiert. Die Einordnung solcher österreichischer „Sportstars“ fand im Werk „Helden und Idole“7, herausgegeben von Matthias Marschik und Georg Spitaler im Jahre 2006, ihren bisherigen Höhepunkt. Was fehlt, ist aber eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Rolle des alpinen Skisports für die österreichische Nation, denn obwohl die Affinität zum Skisport in

7 Marschik, Matthias und Spitaler, Georg (Hrsg.): „Helden und Idole. Sportstars in Österreich.“ Innsbruck 2006.

8 Österreich allgegenwärtig ist, nehmen sich einzig einige journalistische Annäherungen der Thematik peripher an.

Quellen und Methodik. Vorweg möchte ich meine Entscheidung, sowohl auf Methoden der oral history als auch auf eine allgemeine Medienanalyse komplett zu verzichten, erklären. Tatsächlich wären SportlerInnen, die in den Jahren von 1945-1964 aktiv an Skirennen teilgenommen haben durchaus bereit gewesen, mir Rede und Antwort zu stehen. Dabei wurden allerdings zwei Argumente dagegen wirksam, welche die Methode der oral history für meine Zwecke von Anfang an ausschloss: erstens erfüllen selbstproduzierte Quellen nicht meinen eigenen wissenschaftlichen Anspruch und zweitens erschwert sich der Umstand, Sinnvolles aus Interviews herauszulesen vor allem dann, wenn es sich bei den Befragten um im Umgang mit der Öffentlichkeit erfahrenen Persönlichkeiten handelt. Zwar erwartete ich mir keine Schablonenantworten wie von PolitikerInnen, doch die Vorhersehbarkeit der Antworten von SportlerInnen zu bestimmten Fragen bringt mich in meiner Erkenntnis keinen Schritt weiter. Die Entscheidung, auf eine Medienanalyse zu verzichten, dürfte daneben ebenso kontrovers aufgenommen werden. Hierbei spreche ich dieser Methode keineswegs ihre Sinnhaftigkeit ab, vielmehr nehme ich mir in diesem Fall die Freiheit heraus - nach der Lektüre etlicher Werke der „social sport studies“, die ständig auf Medienanalysen (vor allem zur gender-Thematik) basieren - bewusst darauf zu verzichten um nicht den anschaulich „leichten“ Weg der allseits beliebten Quelle „Zeitung“ zu wählen, sondern um neue Wege (Quellen) zum Ziel der Erkenntnis zu suchen. Einzig Texte von Wochenschauberichten veranschaulichen da und dort als kompositorische Maßnahme die Sinnlichkeit meines Themas. Die Wahl der Quellen stellte mich so vor die größte Problematik. Vor allem als trotz mehrmaliger Kontaktaufnahme meinerseits beim Österreichischen Skiverband (ÖSV), Österreichischem Olympischen Komitee (ÖOC), Kitzbüheler Skiclub (KSC) und Skiclub Arlberg (SCA) die Recherche in Vereinsarchiven sehr unwahrscheinlich wurde, stand meine Arbeit auf quellentechnisch sehr wackeligen Beinen. Letzten Endes bewährten sich die offiziellen Publikationen der oben angeführten Vereine aber als ausgiebige Quellen hinsichtlich ihrer Selbstdarstellung. Mit nötigem

9 Abstand und quellenkritischer Betrachtung fand ich mit den Chroniken von ÖSV8, KSC9 und SCA10 mein Auslangen hinsichtlich ihrer Inszenierung in den Jahren 1945- 64. Aus der Biographiensammlung des ÖSV11 ließ sich daneben ein Datensatz von 40 Männern und 40 Frauen erstellen, die zwischen 1945 und 1964 aktiv für den ÖSV an Skirennen teilnahmen, der Aufschluss über Alter, Karriereverlauf oder Herkunft gibt und so zur Basis einiger Fragestellungen wurde12. Wertvoll erwiesen sich die zeitgenössischen Autobiographien von Toni Sailer (1956)13 und Karl Schranz (1963)14, deren Vergleich und Analyse einen großen Teil meiner Arbeit einnehmen. Zwar gibt es Aufsätze, die auf die Autobiographie Toni Sailers verweisen, doch fehlt dabei eine umfassende wissenschaftliche Analyse. Gegenübergestellt mit aktuelleren Biographien der beiden15, sowie mit den später erschienenen Lebensgeschichten von Franz Gabl16 und Christl Ditfurth17, ist ein umfassender Einblick in die Lebenswelt von SkifahrerInnen innerhalb meines zeitlichen Beobachtungsrahmens möglich. Dazu gesellen sich allgemeine zeitgenössische Publikationen zum alpinen Skisport, um die „Ideologie“ des alpinen Skisports in der damaligen Zeit greifbar zu machen. Offizielle Publikationen des ÖOC18 halfen dabei, die Importanz des internationalen sportlichen Wettkampfes auf der olympischen Bühne für die österreichische Nation zu verstehen. So geben sie Auskunft über organisatorische Bemühungen (vor allem bezüglich St. Moritz 1948), die (offiziellen) Finanzen und lassen erkennen, dass aus sportlicher Sicht tatsächlich dem Skisport in Österreich ein hegemonialer Anspruch im Reigen der olympischen Disziplinen innewohnt. Versehen mit Vorworten repräsentativer Politiker und Funktionäre erwiesen sich diese Publikationen als Quelle mit herausragendem Wert, vor allem hinsichtlich der IX. Olympischen Winterspiele in Innsbruck 1964.

8 Österreichischer Skiverband: „100 Jahre Österreichischer Skiverband.“ Innsbruck 2005. 9 Bronisch, Alexander; Kitzbüheler Ski Club (Hrsg.): „Hahnenkamm - Chronik eines Mythos. 100 Jahre Kitzbüheler Ski Club (K.S.C.). Offizielle Jubiläumsschrift des Kitzbüheler Ski Clubs, Veranstalter des internationalen Hahnenkamm- Rennens.“ München 2003. 10 Mähr, Christian (Skiclub Arlberg Hrsg.): „Skiclub Arlberg. Ein Jahrhundertbericht.“ St. Anton am Arlberg 2000. 11 Schmid, Josef und Schwald, Otto; Österreichischer Skiverband (Hrsg.): „Österreichische Skistars von A-Z.“ Innsbruck 2008. 12 Geschlechterspezifische Unterschiede, Kriegsveteranen, etc. 13 Sailer, Toni: „Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. 14 Schranz, Karl: „2x Weltmeister.“ München 1963. 15 Wie etwa Bergmann, Sigi: „Toni Sailer: Sonntagskind. Das Leben eines außergewöhnlichen Sportlers.“ Wien 2009. Bzw. Madl, Florian: „Karl Schranz. Vom Sportidol zum Netzwerker. Eine Biografie.“ Wien-Graz-Klagenfurt 2011 16 Gabl, Franz: „Franzl. The story of Franz Gabl.“ New York 1995. 17 von Ditfurth, Christina: „Die Welt ist meine Heimat.“ Norderstedt 2005. 18 Erscheinen im Auftrag des ÖOC in jedem Olympiajahr: 1948 – 1952 – 1956 – 1960 – 1964.

10 Quantitativ wenig brauchbares Material lieferte die enorm zeitaufwendige Analyse der stenographischen Protokolle des Nationalrats (und Bundesrats) hinsichtlich der Themen Sport, alpiner Skisport und Olympia. Meine Bemühungen lohnten sich aber schon alleine deshalb, weil ich damit für die „sport studies“ ziemliches Neuland betrat; tatsächlich fand ich in keinem Sekundärwerk Anzeichen für ein derartiges Vorgehen. Die Diskussionen im Nationalrat von Dezember 1945 bis zum Februar 1964 hinsichtlich Sport lieferten allerdings wichtige Auskunft über die Politisierung des Sports in der jungen Zweiten Republik; mitunter fand ich Stellen, an denen direkt auf SkifahrerInnen verwiesen wurde und Aufschlussreiches zu den Olympischen Spielen 1964. In Kombination mit relevanten Gesetzen und Beschlüssen bildet die Erschließung dieser Quelle die nötige trockene „Seriosität“ in meinen sonst sinnlichen Text. Als die wahrscheinlich wichtigste und mit Abstand ergiebigste Quelle erwies sich die von mir anfänglich eher stiefmütterlich behandelte Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“, die, mit der in ihr integrierten Zeitschrift „Der Sportlehrer“, ab dem Schuljahr 1946/47 monatlich erscheint und als offizielles Publikationsmedium des Bundesministeriums für Unterricht und Sport funktionierte. Neben Aufsätzen von Sportwissenschaftlern werden darin auch alle relevanten Beschlüsse des Bundesministeriums für Unterricht veröffentlicht. Eine Vorauswahl ergab so eine Unmenge an Artikeln, deren Thematik vom universellen Wert des Skifahrens für die Jugend bis hin zu skitheoretischen Mikroanalysen zur schrägen Geländefahrt, alles bieten, was mein Thema begehrt. In Verbindung mit zeitgenössischen skipädagogischen Werken19 gelingt damit ein sehr tiefer Einblick in die Thematik der „Erziehung von SkifahrerInnen“.

Aufbau und Inhalt. Diesen einführenden Notizen, denen eine allgemeine Betrachtung der Thematik „Sport und Nation“ folgt, schließt sich ein theoretisches Kapitel an, welches sich den Themen „Nation“ und „Identität“ annehmen muss. Dabei war es vonnöten, theoretische Ansätze mit der Geschichte Österreichs zu verknüpfen. Der Kernteil der Arbeit richtet sich im Aufbau nach den Quellen. So beginne ich mit dem großen Kapitel „AKTEURE“ und meine damit all jene, die es durch ihre Verbindung zum alpinen Skisport zu einer gewissen „Berühmtheit“ schafften und so

19 Wie etwa Skilehrpläne und allgemeine Theorien zum Turnunterricht.

11 zu „Idolen“ wurden. Natürlich muss es dabei vor allem um die Ikone Toni Sailer gehen; daneben um seinen „Thronfolger“ wider Willen, Karl Schranz. Zentrale Fragen an diese Persönlichkeiten sind zum einen der banale Verlauf einer Skikarriere im gewählten Zeitraum; daneben natürlich die Fragen nach erfüllten Klischees, Repräsentation, Inszenierung, Patriotismus und „Charakter“. Eine vorangestellte, allgemeine Betrachtung verschiedenster Charaktere des ÖSV, lässt mich - nach der umfassenden Analyse und dem Vergleich der zeitgenössischen Autobiographien von Sailer und Schranz - eine Charakterisierung des Typs „SkifahrerIn“ versuchen, um – bei aller Vorsicht - den Prototypen des antipolitischen, naiven, vormodernen, draufgängerischen, heimatverbundenen und durch all diese Eigenschaften höchst österreichischen Sportlers zu konstruieren. Ein Exkurs in die Problematik der Geschlechter darf in meinem Text schon alleine deshalb nicht fehlen, weil die Sportthematik immer enorm viel an genderrelevanter Substanz besitzt und die Betrachtung hinsichtlich meiner „Akteure“ ohne diesbezügliche Fragestellungen inakzeptabel wäre. Der zweite Kernteil nennt sich „INSZENIERUNG, REPRÄSENTATION UND REPRODUKTION“. Dabei wird die Rolle des Sports in der politischen Diskussion, die Selbstinszenierung berühmter Skiclubs und vor allem die Austragung von Skirennen in Österreich beleuchtet. Den alpinen Skiweltmeisterschaften 1958 in Bad Gastein, vor allem aber den Innsbrucker Winterspielen von 1964 kommen hier eine besondere Bedeutung bei: die Schlagworte der Analyse sind Finanzierung, Organisation, Inszenierung. Der Einsatz des Bundesheeres zur Pistenpräparierung wird dabei zum Sinnbild des „neuen Österreichs“, dessen größte Waffe – zumindest im Winter – zwei Latten aus Holz (oder später aus Epoxyharz) sind. Entscheidend wird in diesem Kapitel aber auch die Auswertung der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ sein. Dadurch wird die (Erfolgs-)Geschichte der österreichischen Skilehrer bei den seit 1951 stattfindenden internationalen Skilehrerkongressen ebenso erzählt wie der durchschlagende Erfolg der Schulskikurse, die als „Erfindung“ der Ersten Republik mit den frühen 1950ern so richtig an Fahrt aufnehmen und das Skifahren zum Instrument der „Staatsbürgererziehung“ erheben. Im Fazit werden letzten Endes noch Erkenntnisse rekapituliert und in einen größeren Kontext gebracht, um die Rolle des alpinen Skisports für die Erfindung der österreichischen Nation nach 1945 zu beurteilen.

12 Anmerkungen. Meine Erfahrungen hinsichtlich sportgeschichtlicher Werke ließen mich erkennen, dass die größte Hürde auf diesem Gebiet der Geschichtswissenschaft die Kunst ist, nicht zum Sportchronisten zu verkümmern. Die durchaus zahlreichen Werke von Journalisten zur Thematik schaffen diesen Sprung nicht; genau aus diesem Grund muss der Historiker besonders gewissenhaft arbeiten, um die Verbindung zur politischen Geschichte niemals zu verlieren. Die Beschneidung meines Handlungsspielraumes hinsichtlich der Erschließung von Quellen in privaten Vereinsarchiven gibt meiner Dissertation diesbezüglich, entgegen der ursprünglich angedachten Version, einen sehr universellen und runden Charakter. Ist man sich der Problematik propagandistischer Publikationen bewusst, so kann man – wie in meinem Fall – eine Vielzahl an schier unerschöpflichen Quellen nutzen. Methodisch gesehen stellte mich diese Arbeit vor keine große Schwierigkeit. Ich bleibe immer sehr nahe an der Quelle, wobei ich fast ausschließlich Originalzitate verwende und nur durch kurze Kommentare, Erklärungen und Anmerkungen die Arbeit in ihre Form bringe, sodass am Ende ein vollständiges Abbild meiner Gedanken zum Thema entsteht.

Sport und Nation. Im Februar 1964 sendete die „Austria Wochenschau“ einen Beitrag mit folgendem Begleittext über den „triumphalen Empfang unserer Olympioniken“ am Wiener Westbahnhof: „Polizeiaufgebot für Österreichs erfolgreiche Olympiakämpfer bei deren Ankunft am Wiener Westbahnhof. Die Polizei ist nur deswegen da, um den Sportlern den Weg durch eine freudig gestimmte Menschenmenge freizuhalten. Der Besuch Wiens wird für die Sportler vom ersten Augenblick an zu einem Triumphzug ohne gleichen. Zehntausende von Händen grüßen die Olympiakämpfer. , Schranz und Stiegler mit ihrem Betreuer Zimmerebner. Nenning, Zimmermann und Trainer Oberaigner. Ein dichtes Spalier hat sich auf der Mariahilferstraße gebildet. Die Kolonne kommt nur langsam vorwärts. Das ist die Chance für begeisterte Jugendliche, die den Sportlern während der Fahrt Autogramme abverlangten. [...]

13 Höhepunkt des Wiener Triumphes: Dr. Schärf dankt den Sportlern, die im friedlichen Wettstreit zum Ruhme ihres Landes beigetragen haben. […]“20

Wenige Tage zuvor waren in Innsbruck die IX. Olympischen Winterspiele über die Bühne gegangen, welche als Spiele in der „Heimat des alpinen Skilaufs“ propagiert wurden – ganz in der Tradition der „nordischen“ Winterspiele von Oslo 1952. Österreich hatte sich in den Jahren seit 1945 den Beinamen „Ski-Nation“ erarbeitet und machte diesem auch bei den Heimspielen alle Ehre: drei Goldmedaillen in sechs alpinen Bewerben, dazu zwei Mal Silber und zwei Mal Bronze ließen den Schönheitsfehler insofern verblassen, dass man in der alpinen Medaillenstatistik hinter Frankreich (3x Gold, 3x Silber) zurücklag, als die „Königsdisziplin“, die Abfahrt der Männer, als auch der Männerslalom und die Frauenabfahrt gewonnen wurden. Die Sieger – , und Christl Haas – stehen dabei am Ende einer Entwicklung, die bei den Olympischen Spielen 1948 in St. Moritz mit Trude Beisers Abfahrtsgold begann, 1956 mit der dreifachen Krönung des österreichischen „Ski-Messias“ Toni Sailer ihren Höhepunkt hatte und nun, 1964 im eigenen Land, bestätigt wurde.

Die Rolle Toni Sailers bekommt dabei insofern eine besondere Dimension, als seine Siege zeitlich genau dann passieren, als sich Österreich das erste Mal als unbesetztes Land nach dem Krieg bei sportlichen Wettkämpfen repräsentiert; der „schwarze Blitz“ aus Kitzbühel wird so zur Gallionsfigur einer neuen Ära; seine Person ist der Kristallisationspunkt aller Hoffnungen einer jungen, noch wenig definierten Nation. Toni Sailer wird über die Grenzen Österreichs hinaus berühmt und schafft somit ein ganz neues „Image“ vom Österreicher. Es ist, als hätten ihn die besten Werbefachmänner des Landes generiert: seine Jugend, verbunden mit einer inszenierten Bodenständigkeit, welche innerhalb der illustren Ski-Society zur charmanten Naivität transformiert, wirkt, besonders in Kombination mit seinen fulminanten Siegen bei den Olympischen Spielen 1956 und der alpinen Ski-WM 1958, wie ein kitschiger und märchenhafter Heimatfilm. Die Popularität Toni Sailers lässt sich dabei kaum abschätzen; Zeitung, Rundfunk und Wochenschau hatten in der Mitte der 1950er Jahre die Beliebtheit des alpinen Skisports längst erkannt und lieferten Woche für Woche Berichte über neue Heldentaten des feschen „Tonai“,

20 Austria Wochenschau Nr. 8/1964, Beitragsnummer 7. Erscheinungsdatum: 21.2.1964. Titel: „Westbahnhof: Triumphaler Empfang für unsere Olympioniken.“

14 nach seiner sportlichen Karriere blieb er dem Kollektiv als eindringlicher Protagonist in Heimatfilmen erhalten; die Rollen, die er dort spielten waren bloße Fortsetzungen seiner sportlichen Inszenierung. Sailer wird so zum Vorbild einer ganzen Generation. Alleine die Entwicklung der Mitgliederzahlen des Kitzbüheler Skiclubs (KSC) machen dies deutlich: von 1954 auf 1955 steigt die bis dahin konstante Zahl der Kinder im Verein um mehr als 100% von 28 auf 61, im nacholympischen Jahr 1957 sind es 7221, in der österreichischen Jugend gibt es kaum jemanden, der nicht wie Toni Sailer über die verschneiten Hänge der Alpen „wedeln“ will. Diese Popularität trifft das Interesse der Öffentlichkeit, die Jugend hin zum Sport zu bringen, immerhin diene dieser „der Gemeinschaftsbildung, als Ablenkung und Sublimierung der Triebe [und der; Anm.] Abnahme alkoholischer Geistesstörungen.“22

Dabei ist Toni Sailer nicht das erste österreichische „Ski-Idol“, vielmehr könnte man die Pioniere der „Ski-Nation“ in der Zwischenkriegszeit oder der NS-Zeit suchen. Die Verschreibung des Skisports als „österreichischen“ Sport darf man auch getrost vor 1945 ansiedeln; Skikurse, staatliche Skilehrerausbildungen oder international anerkannte Leistungen betreffend der Skitechnik sind alles Erfindungen der Ersten Republik; die Skivereine wie der ÖSV als Dachverband gehen sogar in die Zeit der Monarchie zurück. Der Grund, warum sich diese Arbeit trotzdem mit der Entwicklung ab 1945 befasst, ist in der politischen Dimension zu sehen: mein Blick richtet sich auf die Rolle des Sports im Allgemeinen; die Bedeutung des alpinen Skisports im speziellen für die Erfindung einer neuen österreichischen Nation als Antwort auf die Jahre 1938-45.

Die „verspätete“ Nation Österreich kann sich in seiner Selbstfindungsphase – anders als es noch wenige Jahre zuvor gewesen wäre – auch auf die konsolidierende Wirkung des Sports verlassen. Die Olympischen Spiele der Neuzeit etwa waren schon lange nicht mehr das propagierte Fest der Jugend der Welt, bei dem man sich im friedlichen Wettkampf an der sportlichen Betätigung erfreute und am Ende im bloßen Dabeisein seine Satisfaktion erfuhr; Olympische Spiele sind in ihrer neuzeitlichen Ausprägung vielmehr höchst politisch; ab dem Zeitpunkt, da ein/e

21 Bronisch: „100 Jahre KSC.“ 2003. Chronikbeilage/Tabellenteil. S. 19. 22 Beichl, Leopold: „Seelische Hygiene und Sport.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli 1947. (Heft 11/Jahrgang 1.) S. 3-6. Leopold Beichl schrieb in seiner Funktion als Primarius der neurologischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Linz.

15 AthletIn hinter dem Banner seiner Staatszugehörigkeit bei der Eröffnungsfeier das Olympiastadion23 betritt, wird er vom Individuum zum Vertreter seiner Nation24; seine Erfolge werden am Ende des Tages peinlichst genau zur Ermittlung einer Siegernation in den Medaillenspiegel eingetragen. Bei Carl Diem, dem berühmten Sporttheoretiker, lautet das Zehnte seiner „Zehn Gebote des Sportlers“: „Halte dich rein an Körper, Geist und Gesinnung; lege Ehre ein für dich, deinen Verein, dein Land.“25 Spätestens die „deutschen“ Spiele von 1936 – Garmisch-Partenkirchen im Winter und Berlin im Sommer – demaskierten die Olympischen Spiele als politische Scharade, die wenig mehr als eine ritualisierte Abfolge von chauvinistischen Inszenierungen darstellt. So wird ein paramilitärischer Akt wie das Hissen der Flaggen und das inbrünstige Singen der Nationalhymnen bei den Medaillenzeremonien zum kollektiven Gänsehautmoment hochstilisiert und ein künstlicher, höchst politischer Akt zum Höhepunkt der ganzen Sportveranstaltung. Dabei kämpfte das IOC – vor allem in den 1940er und 1950er Jahren - gegen die Nationalisierung des Sports. Nationalstaaten würden durch Trainingscamps und Geschenke aus ihren Amateuren sogenannte „Staats-Amateure“ machen. So eine Politisierung von SportlerInnen war vom IOC unerwünscht26. Schon im April 1955 erscheinen erste Artikel zum Problem des „nationalen Dopings“; als Gefahr wird der Trend angenommen, dass ein Sieg für die Nationen unbedingt erreicht werden muss27; Soziologen sprechen im diesem Zusammenhang von gehemmter Moral28 - der Sport wird zum Ersatz für Krieg29. Besondere Brisanz erfuhr dieses Thema hinsichtlich der „Versportlichung“ des Kalten Krieges ab den 1950er Jahren, wobei die „Heranzüchtung“ von SpitzensportlerInnen in den sozialistischen Staaten sowie die dortige totale Kontrolle des Breitensports nur die halbe Wahrheit sind. Im Laufe dieser Arbeit wird man erfahren, dass es auch in sogenannten „westlichen“ Staaten, außerhalb der Moskauer Machtsphäre, wie Österreich, die Politisierung des Sportes in einem hohen Maße gibt. Wenn es der Historiker Kai Reinhart in seiner Abhandlung zum Sport in der DDR erwähnenswert findet, dass es in einer Sitzung des

23 Diese Form der Eröffnung gibt es seit den Spielen von 1906 in Athen und dient seither als Bühne für politische Inszenierungen. Siehe: Lennartz, Karl: „The parade of nations. Also in the latter half oft he 20th century a symbol of political legitimation.“ In: Kratzmüller, u. a.: „Sport and the Construction of Identities.“ Wien 2007. S. 634-644. 24 Im Gegensatz dazu könnte man das „Ideal“ der antiken Olympischen Spiele sehen. Doch auch dort wurde neben dem Namen auch die Zugehörigkeit zur relevanten polis zum Thema und der Athlet war auf der olympischen Bühne zuallererst Vertreter seiner Heimat. Siehe: Seitschek, Stefan: „Siege für die Heimat – der Athlet und die Polis.“ In: Kratzmüller, u. a.: „Sport and the Construction of Identities.“ Wien 2007. (230-242.) S. 230. 25 zit. nach Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1952. Heft 10/Jahrgang 6.) S. 4. 26 aus: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1953. Heft 10/Jahrgang 7.) S. 12f. 27 Prokop, Ludwig: „Das Dopingproblem im Sport.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. April 1955. Heft 4/Jahrgang 9.) S. 6f. 28 Emrich: „Zur Soziologie der Olympiastützpunkte.“ Habilitationsschrift. Niedernhausen 2007. (32ff.) S. 34. 29 Tanter: „Der ‚Schranz-Rummel‘ von 1972.“ In: „ZeitRaum. Zeitschrift für historische Vielfalt.“ Heft 2/1955. (8-33.) S. 2.

16 Zentralkomitees der SED am 17. März 1951 hieß, „Körperkultur und Sport müssen einen Teil unserer Kultur, einen festen Bestandteil unserer Lebensweise darstellen. Um die Heranbildung des allseitig entwickelten Menschen zu fördern und zu sichern, ist es notwendig, die Einheit der körperlichen und der geistigen Erziehung zu gewährleisten“30, so muss ich darauf hinweisen, dass ähnliche Aussagen mit gleichem Inhalt auch in Österreich getätigt werden. Der einzige (große) Unterschied ist dabei lediglich, dass das Postulat der „Staatsangelegenheit Sport“ in sozialistischen Staaten realisiert wird, während es in Österreich oftmals bei der bloßen Forderung bleibt und der Sport etwa chronisch unterfinanziert wird. Die Republik überlässt die meiste Verantwortung dabei den Verbänden und Vereinen. Zum Vergleich einige Zahlen aus einer Dissertation des Jahres 1952: In D-Mark umgerechnet standen 1952/3 demnach dem Österreichischen Skiverband 89.000,- zur Verfügung - dem Italienischen Skiverband 594.000,-; dem Französischen 290.000,-; dem Schwedischen 182.000,- und dem Deutschen Skiverband 76.000,-.31

Die Politisierung von AthletInnen macht aber sehr wohl Sinn. SportlerInnen werden im internationalen Einsatz fast immer in erster Linie mit ihrer Nationszugehörigkeit wahrgenommen und haben so entscheidenden Einfluss auf das Image eines Staates im Ausland. Umso erfreulicher ist diese Repräsentation im Falle Österreichs, wenn nach 1945 österreichische SportlerInnen, als Gegenentwurf zur theatralisch- dramatisch inszenierten Repräsentation der NS-Zeit, als möglichst schlicht und seriös wahrgenommen werden. Alpine SkirennläuferInnen passten dabei perfekt in das propagierte neue Bild des bescheidenen Österreichers: die einheitlichen Skipullover mit kleinem Wappen erinnerte mehr an eine Horde von SkilehrerInnen als an uniformierte „NationalsportlerInnen“; als 1947 der Schweizer Skiverband (SSV) den österreichischen Frauen zum ersten Auslandsstart gratuliert (Grindelwald), so wird neben der sportlichen Erfolge auch ein Kompliment hinsichtlich des kollektiven Auftretens der österreichischen Expedition gemacht: hervorgehoben wurde „ihr kameradschaftliches Verhalten und bescheidenes Auftreten“. Das Fachblatt „Leibesübungen und Leibeserziehung“ kommentiert: „Wir freuen uns mit Trude Beiser, Annelore Zückert und Erika Mahringer ebenso wie über ihre sportlichen

30 Er zitiert an der Stelle nach: Teichler, Hans Joachim: „Die Sportbeschlüsse des Politbüros: eine Studie zum Verhältnis von SED und Sport mit einem Gesamtverzeichnis und einer Dokumentation ausgewählter Beschlüsse.“ Köln 20002. S. 200. Siehe: Reinhart, Kai: „Sport, Identität und Alltagskultur in der DDR – Das Beispiel der Bergsteiger-Szene.“ In: Kratzmüller, u. a.: „Sport and the Construction of Identities.“ Wien 2007.(206-221.) S. 210. 31 Benk: „Geschichte des Skilaufs.“ Dissertation. Innsbruck 1952. S. 25.

17 Erfolge über diese anerkennende Feststellung und hoffen zuversichtlich, dass auch in Zukunft jeder österreichische Schiläufer nicht nur wegen seines sportlichen Könnens, sondern auch wegen seines persönlichen Auftretens geschätzt wird.“32 Die Inszenierung der „Zivilperson“ stellt also hinsichtlich österreichischer SkifahrerInnen eine entscheidende Rolle dar. Besonders die Analyse der zeitgenössischen Autobiographien Toni Sailers und Karl Schranz‘ soll diesbezüglich Auskunft geben. Auch die Rolle der Repräsentation im Bereich der Sporterziehung wird deutlich, wenn man im November 1957 zum „Jugendschilauf“ liest: „Gerät und Kleidung seien gediegen, sportgerecht; nicht modisch, überzüchtet! Das gleiche gelte für Auftreten und Gehaben des jungen Schiläufers.“33

Sport kann einen wertvollen Teil zur Konsolidierung eines Staates beitragen. Besonders im Fall Österreichs, dessen Nationswerdung nach 1945 als Reaktion auf den Nationalsozialismus gesehen werden muss und auf der Negation zur NS- Vergangenheit wurzelt, funktioniert gerade der Sport in dem Bereich noch, der auf anderen Gebieten nach der moralischen Katastrophe von 1938-45 verpönt scheint: im Sport überlebt der Nationalismus beinahe unbeschadet. Hier werden Fahnen geschwenkt, bei großen Empfängen die Nationalhelden gefeiert, beim sportlichen Wettkampf die „Eigenen“ euphorisch angefeuert um diese gegen die „Anderen“ siegen zu sehen – um für die eigene Nation die Gewissheit daraus mitzunehmen, im gerade vorgeführten Sport eine „Überlegenheit“ demonstriert zu haben, was sich wiederum unmittelbar positiv auf die kollektive Identität auswirkt34. So erhält Toni Sailer im Jahr seines dreifachen Olympiasieges von Cortina, 1956, das „Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich“, Trude Klecker (1960), (1960) und (1964) erhalten als alpine SkirennläuferInnen jeweils das „Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich“.

Neben der positiven Wirkung der passiven Konsumption von Leistungssport (im Falle des „nationalen“ Erfolges) erhält der Sport in seiner Wirkung auf die Volksgesundheit und damit auf die allgemeine Zufriedenheit der Nation eine zusätzliche wichtige

32 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. April 1947. (Heft 8/Jahrgang 1.) S. 21. 33 Burger, E. Wolfgang: „Jugendschilauf.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1957. Heft 9/Jahrgang 11.) S. 1f. 34 Dzintra Grundmane spricht dabei von der emotional experience in sport, die dazu beiträgt, dass Sieg oder Niederlage des favorisierten Teams über die Laune seiner Anhänger entscheidet. Auf die Nation übertragen hieße dies banal, dass sich die Nation gut fühlt, wenn seine SportlerInnen erfolgreich sind und sich schlecht fühlt, wenn sie es nicht sind. Siehe: Grundmane, Dzintra: „About sensation od identification of identity with emotional experience in sport.“ In: Kratzmüller, u. a.: „Sport and the Construction of Identities.“ Wien 2007.(502-506.) S. 502.

18 Dimension. Natürlich sind diese Überlegungen bei weitem keine Erfindung der Jahre nach 1945, doch die folgenden Seiten sollen auch darüber Auskunft geben, wie sehr das Wissen um diese mehrdimensionale Wirkung des Sports für die Nation in Österreich nach 1945 bewusst war.

Ein Grundsatzartikel von Viktor Kollars vom Institut für Leibesübungen und Leibeserziehung an der Universität Graz, erschienen im Juli im 1946, in der ersten Ausgabe der vom Bundesministerium geschaffenen Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“, bildet dabei einen guten Einblick in die Grundüberlegungen. Er schreibt: „[…] die ersten freundschaftlichen Beziehungen mit den angrenzenden Staaten werden durch sportliche Wettkämpfe und Spiele wieder hergestellt. Die schwer geprüfte Menschheit will wieder Sport und Spiel betreiben und wohl der größere Teil davon im Schauen spannender und friedlicher Kämpfe für Stunden Vergessen und Erholung in der harten Zeit finden.“ Der Sport wird hier in seiner antiken Gestalt propagiert: der freundschaftliche Wettkampf mit anderen Nationen als erste außenpolitische Annäherung; daneben die moderne Variante eines idealisierten „panem et circenses“. Wenn Kollars weiter schreibt, „der Sport in Österreich bahnt sich aus eigener Kraft seinen Weg“, so meint er damit die Ausgangslage des sportlichen Treibens in Österreich nach 1945. Seit dem späten 19. Jahrhundert entstanden zahlreiche Sportvereine, welche genug Zeit hatten sich zu entwickeln, um nach dem Krieg 1939- 45 eine intakte Basis für die Weiterarbeit darzustellen. Die Importanz des Sports wurde dabei klar erkannt: „Diese selbständigen Verbände und Vereine haben in ihrer Gesamtheit als ‚Österreichischer Sport‘ mit seiner Bedeutung für Gesundheit, Wirtschaft, Kultur und Staat große Aufgaben zu erfüllen.“ Die Rolle des Staates sieht Kollars in der finanziellen Sportförderung, vor allem aber auch „die Schaffung von Sportmöglichkeiten, Übungsstätten und Sportheimen aller Art; die gesundheitliche Überwachung der Sporttreibenden, vor allem der Jugendlichen und Frauen mit Heranziehung von Sportärzten; die Sorge für die einheitliche und beste Ausbildung von Sport- und Turnlehrkräften; die Förderung des Jugendsportes; die gemeinsame Festsetzung von Terminen und Teilnahme an Veranstaltungen; die Förderung der Alpinistik und der sportlichen Beziehungen zum Auslande; die Einflussnahme in der österreichischen Fremdenverkehrswerbung und schließlich die Werbung für den österreichischen Sport in Presse, Film, Lichtbild, Rundfunk, Literatur und Kunst.“ Die

19 staatliche Einflussnahme wird über „Landes“- und „Bundessportämter“ zentral in der Abteilung „Sport“ des Bundesministeriums für Unterricht geregelt. Alleine die Zuordnung des Aufgabenbereichs „Sport“ zum Unterrichtsministerium sagt über die Funktion des Sports zur Staatsbürgererziehung viel aus. Kollars beschließt seine Ausführungen mit den Worten: „Neue Wege beschreitet Österreichs Sport! Zu gemeinsamer Arbeit treffen sich die Männer aller Sportverbände mit Hintansetzung von Politik und Weltanschauung für Österreich und seinen Sport! Der Staat hat […] die große Verpflichtung, den Sport in jeder nur möglichen Art zu fördern. […] Volksgesundheit und Volkswirtschaft sowie Staatsansehen sind die Gegenleistungen des österreichischen Sportes an sein Vaterland!“35 Auch Frank Ritschel, vom Wiener Institut für Leibesübungen und Leibeserziehung, schreibt in der nächsten Ausgabe der gleichen Zeitschrift: „Es gibt heute kaum mehr einen Staat, der mit der Zeit gegangen ist und den Sport übersehen könnte. […] Drei Gesichtspunkte bestimmen das Interesse des Staates am Sport: Volksgesundheit, Volkswirtschaft und das mit sportlichen Höchstleistungen und Einrichtungen verbundene Ansehen nach außen hin.“36 Dabei fällt in den Rahmen der „Volksgesundheit“ die körperliche wie auch geistige Erziehung der Jugend, sowie die allgemeine Gesundhaltung der Menschen und die dadurch geringeren Krankenhauskosten. Die volkswirtschaftlichen Interessen beschreibt Ritschel wie folgt: „In der Volkswirtschaft liegt die zweite Interessensphäre des Staates auf sportlichem Gebiet verwurzelt. Der Fremdenverkehr ist gerade in unserem Lande ein wesentlicher Faktor des Volks-und Staatseinkommens und für den Fremdenverkehr ist wieder der Sport oder wenigstens einige seiner Zweige ein ganz besonderes Anziehungs- und Werbemittel. Dadurch ergibt sich wieder ein Interesse öffentlicher Stellen auf diesen Gebieten des Sports und allen damit verbundenen Auswirkungen. An den Quellen der direkten und indirekten öffentlichen Einkünfte wie an allen Verkehrsmitteln, an allen Arten von Unterkünften sowie an den Sportanlagen, aber auch an der Bildung erstklassiger Sportschulen und an dem Wirken ausgezeichneter Sportlehrer wird der Staat lebhaftestes Interesse haben, das sich in einer Förderung durch Subventionen sowie der Erleichterung der Privat-

35 Kollars, Viktor: „Gestaltung des Sportes in Österreich.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli/August 1946. (Heft 1/Jahrgang 1.) S. 4f. 36 Ritschel, Frank: „Das Interesse des Staates am Sport.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. September/Oktober 1946. (Heft 2/Jahrgang 1.) S. 4.

20 initiative auswirken wird. […] Auch Sportartikelerzeugung und -vertrieb gehören in den Rahmen des volkswirtschaftlichen Interesses des Staates am Sport.“37 Das staatspolitische Interesse des Staates am Sport ruhe darauf, dass „die Spitzenleistungen im Sport […] Wertmaßstab für den Erfolg und damit für die Reihung eines Volkes unter den Sportnationen“ sei. „Die Beachtung, welche diese Reihung für jedes Volk im internationalen Leben in den letzten Jahrzehnten neben der Beurteilung seiner anderen kulturellen Leistungen beinhaltet, lässt jeden Staat erhöhtes Augenmerk auf diese Seite des Sports lenken.“38

Bundeskanzler Figl adressierte bei den Feierlichkeiten zum „950jährigen Bestehen Österreichs“ im September 1946 die Sportjugend: „Österreich hat den Sport und das Turnen immer gepflegt und hat auf die Körperertüchtigung nicht vergessen. Aber die Ertüchtigung darf nicht zum Kampf gegen andere ausarten, sondern soll zu Gesundheit, Glück und Wohlstand führen. Es ist ein gutes Omen, dass gerade jetzt, wo wir neu aufbauen, körperliche Ertüchtigung, starker Geist und ehrliches Wollen zum Frieden zum Ausdruck kommen. Darum seid besonders bedankt für Euer Können und Wollen und für Euer Treuegelöbnis zu Österreich. Es ist eine harte aber stolze Verpflichtung, die Ihr übernommen habt an dem Tage, da wir 950 Jahre Österreich und eineinhalb Jahre befreites Österreich feiern. Es ist die Verpflichtung, nicht zu ruhen und nicht zu rasten und in dem Geist wie heute - einerlei welchem Verband sie angehören - einen gesunden Körper und einen starken Geist heranzubilden.“39

Die erwünschten Wirkungen des Sports auf den Staat40 - in diesem (österreichischen) Fall auf die Nationswerdung - waren also: - positive internationale Repräsentation durch erfolgreiche SportlerInnen; - sportliche Erziehung der Jugend hin zum Staatsbürger; - Entwicklung eines Nationalgefühls über die Identifikation mit SportlerInnen; - Förderung der Volksgesundheit; - Belebung der „Sportindustrie“ im Sinne von Umsatzsteigerungen.

37Ritschel, Frank: „Das Interesse des Staates am Sport.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. September/Oktober 1946. (Heft 2/Jahrgang 1.) S. 5. 38 ebenda. S. 4ff. 39 Auszug aus der Festrede Leopold Figls im Rahmen der Feier „950 Jahre Österreich“ am 29.9.1946. aus: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. September/Oktober 1946. (Heft 2/Jahrgang 1.) S. 5. 40 Siehe dazu v.a. Schulke, Hans-Jürgen: „Ein Schmetterschlag für die Gesellschaft: Die gesellschaftlichen Funktionen des Sports.“ in: Lienen, u. a.: „Sport, Politik und Profit.“ Reinbeck bei Hamburg 1985. S. 50-63.

21

Die vorliegende Arbeit soll vor allem diese ersten drei Punkte hinsichtlich des alpinen Skisports in Österreich von 1945-1964 beleuchten. Der universelle Anspruch des Skisports in Österreich ist dabei unbestritten: Mit Toni Sailer, Karl Schranz, und erschuf der ÖSV eine sich stetig erweiternde Ahnengalerie österreichischer „Ski-Götter“. Heute ist der/die alpine SkifahrerIn von der österreichischen Öffentlichkeit kaum wegzudenken: im öffentlich-rechtlichen Fernsehen tummeln sich aktive wie ehemalige „Skistars“ nicht nur bei berufsähnlichen Formaten wie Skiübertragungen, sondern auch tanzend im Ballkleid oder augenzwinkernd intellektuell als Präsentator von Allgemeinwissensshows. Das Format namens „zapping international“ vom deutsch-französischen Fernsehkanal arte, das es sich zur Aufgabe macht, das Fernsehprogramm einzelner Staaten zu analysieren, bemerkte so am österreichischen Fernsehen vor allem die starke Präsenz von alpinen SkifahrerInnen. Mittlerweile ist Österreich tatsächlich diese „Ski- Nation“. Noch immer übertreffen sich von Jahr zu Jahr die Quoten bei Skiübertragungen; als Werbefigur funktioniert das Prinzenpaar der ÖSV-Gilde ebenso hervorragend wie der ehemalige Seriensieger als Geldanlagespezialist. Eine Umfrage des Gallup-Institutes von 1958 ermittelte (um zurück in meinen Beobachtungsrahmen zu kommen), dass 30% der Österreicher regelmäßig die Sportnachrichten im Rundfunk oder in Zeitungen und Zeitschriften verfolgen41, 30% dies gelegentlich tun und nur 19% kein sportliches Interesse zeigen. Am meisten sportbegeistert waren dabei die 18- bis 29jährigen und Männer. Die Popularität der Sportzweige zeigt dabei eine klare Präferenz: an erster Stelle liegt das Skifahren, an dem 49% starkes Interesse bekundeten, dahinter Schwimmen (44%) und Fußball (30%) u.a.42 Reinhard Bachleitner veröffentlichte 1992 eine Studie – in Zusammenarbeit mit dem ÖSV. Er ermittelte Daten über den Breitensport und kam darauf, dass 1979 29% der Männer und 18% der Frauen, insgesamt 2,2 Millionen Menschen in Österreich zumindest gelegentlich Skisport ausübten43, daneben im Jahr 1966 Österreich 167,5 Mio. Menschen mit Seilförderanlagen transportiert, 1976 bereits 302 Mio. und 1986 535,7 Millionen44. Über das Interesse am alpinen Skirennsport erfährt man bei ihm, dass das IMAS 1986 errechnete, dass sich das

41 Laut „Leibesübungen und Leibeserziehung“ nahm der Sport Anfang der 1960er Jahre in der Eurovision „41,5% der Sendungen ein – gegenüber von 51,4% Aktualitäten“. Siehe: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1962. (Heft 1/Jahrgang 16.) S. 19. 42 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1959. Heft 2/Jahrgang 13.) S. 16. 43 Bachleitner: „Der alpine Skisport.“ Innsbruck 1992. S. 11. 44 ebenda. S. 116.

22 Interesse an Skirennen dabei kaum regional unterscheidet. Zwar steige der Prozentsatz für Salzburg, Tirol und auf 62%, doch liegt der niedrigste Wert mit 42% (Wien) nur 20 Prozentpunkte darunter. Daraus schließt er, dass beim Skisport keine starke Polarisierung wie bei anderen Sportarten auftritt.45 Die Begeisterung am Skisport ist und war also immer ein gesamtösterreichisches Phänomen, was eine Betrachtung der Rolle des alpinen Skisports für die Geschichte der Zweiten Republik höchst spannend macht. Zunächst muss aber die Frage nach einer österreichischen Identität nach 1945 geklärt werden.

I. ÖSTERREICHISCHE IDENTITÄT NACH 1945.

Zur österreichischen Identität wurde schon vieles geschrieben und noch mehr gesagt; und trotzdem ist es in diesem Werk unverzichtbar diesem Thema einen breiten Raum zuzugestehen. Das Verständnis der außergewöhnlichen Identitätsgrundlagen, welche dem österreichischen Konstrukt zu Grunde liegen, ist für die folgenden Zusammenhänge nämlich von großer Bedeutung, denn dieses Werk ist keine Nacherzählung der Erfolgsgeschichte des österreichischen alpinen Skilaufs; es ist auch keine Biographiensammlung von erfolgreichen Wintersportlern. Was diese Arbeit vielmehr beleuchtet, ist der Glücksfall der sportlichen Erfolge von ÖsterreicherInnen in einer Zeit, in der es darum ging, den Einwohnern eines Kleinstaates nach der Katastrophe von 1938-1945 eine neue, „unschuldige“ Identität zu geben. Was mit der Moskauer Deklaration der Alliierten 1943 begann („The governments of the United Kingdom, the Soviet Union and the United States of America are agreed that Austria, the first free country to fall a victim to Hitlerite aggression, [...]“46) und in der Selbstdarstellung Österreichs in der Nachkriegszeit als „erstes Opfer des Nationalsozialismus“ kumulierte, fand – überspitzt ausgedrückt – im schnellen Schwung Toni Sailers seine einfachste und medienwirksamste Ausformung, welche für die allgemeine Öffentlichkeit der ÖsterreicherInnen verständlich wurde. Dabei sei erwähnt, dass diese sogenannte „Opferthese“ einer korrekten historischen Analyse nicht standhält. Karl Vocelka zum Beispiel schreibt zu einer der symbolhaftesten und im kollektiven Gedächtnis verhaftetsten Erscheinungsformen nationalsozialistischem Aktionismus, nämlich zum „Anschluss“

45 Bachleitner: „Der alpine Skisport.“ Innsbruck 1992.. S. 138. 46 Moscow Conference, Oktober 1943, Joint four-nation declaration. Declaration on Austria. Unterpunkt 1. online unter: http://www.ibiblio.org/pha/policy/1943/431000a.html. (Stand: 27.10.2010)

23 Österreichs an Hitlerdeutschland am 12. März 1938, dass dieser ein doppelter gewesen wäre, weil einerseits vom äußeren Druck provoziert, aber andererseits vom inneren Nationalsozialismus getragen wurde47. Zwischen dieser Erkenntnis und meinem Beobachtungszeitraum liegen allerdings Jahrzehnte der Forschung, Diskussion und nicht zuletzt die Protestbewegung „1968“.

Was der Erfindung der österreichischen Nation nach 1945 zugrunde liegt, ist eine große Portion an Kalkül, wie es Anton Pelinka48 treffend formuliert. Dass dabei Romantik und Mythos auf der Strecke bleiben - im Vergleich zu anderen europäischen Nationserfindungen – liegt nicht zuletzt an der zeitlich verspäteten österreichischen Nationswerdung, welcher, im historischen Kontext gesehen, ein Negativ zum Nationalsozialismus zugrunde liegen musste. Das dabei entstandene Konstrukt aus harmloser monarchistischer Nostalgie, nicht unbedeutend garniert mit dem Anspruch der Hegemoniestellung in Bezug auf (Hoch-)Kultur und die starke Einbindung regionaler Teilidentitäten bediente sich von Anfang an starker visueller Inszenierungen; Beispiele dafür können die überwiegend medial beeinflussten Bilder Leopold Figls am Belvedere ebenso sein wie die sofort kurz nach der Befreiung im August 1945 wiederaufgenommenen Salzburger Festspiele.

Anhand dieses Kapitels erfährt meine Einordnung der alpinen Skifahrer in Bezug auf die österreichische Identität zunächst ihr theoretisches Fundament. Diese Verankerung dient vor allem dazu, meine späteren Ausführungen in ihrer Relevanz bewerten und verorten zu können; darüber hinaus macht es Sinn am Anfang dieser Arbeit bestimmte Begrifflichkeiten und Einordnungen zu definieren. Beginnend mit einer Übersicht über die Diskussion um den „Nationsbegriff“ spanne ich einen Bogen über die Frage nach „Identität“ zur Thematik des „kollektiven Gedächtnisses“ und zur sogenannten „Imageforschung“, was als Basis für diesen Rahmen genügen wird. Davon ausgehend gilt es den Sonderfall Österreich in diese theoretischen Überlegungen einzuordnen. Dabei ist es unumgänglich einen kurzen Blick auf den geschichtlichen Kontext zu werfen um im weiteren Verlauf das Konstrukt einer österreichischen Identität zu beleuchten.

47 Vocelka: „Geschichte Österreichs.“ Graz-Wien-Köln 2000. S.297. 48 im Vorwort zu Breuss, u. a.: „Inszenierungen.“ Wien 1995. S. 9.

24 1. ZUR FRAGE NACH EINER „NATION“.

Dass der Nationsbegriff eine Erscheinung des (europäisch geprägten) 18. Jahrhunderts ist, der ideengeschichtlich in der Aufklärung, politisch in der Französischen Revolution wurzelt, gilt heute als bewiesen. Davon ausgehend prägte er das 19. Jahrhundert wie kein anderes um im 20. Jahrhundert in großen Katastrophen zu gipfeln. Was Max Haller unter der Überschrift „der Begriff „Nation“ als soziologische Perspektive auf die Staatsgesellschaft“ postuliert, scheint mir äußerst wichtig: in der Diskussion um die Begriffe „Nation“ und „nationale Identität“ müsse man zwei Ebenen unterscheiden. Zum einen gäbe es die Ebene des politischen Gemeinwesens; zum anderen die Ebene der individuellen Haltungen der Angehörigen dieses Gemeinwesens zu ihrem Staat und ihrer Nation49. Für mich unterscheidet Haller mit diesen Ebenen die das Zusammenleben gestaltende, institutionalisierte Öffentlichkeit und das relativ handelnde Individuum, welches von persönlichen Erinnerungen und Umständen geprägt innerhalb des offiziellen „Nationsäthers“ agiert. Haller verwendet die Metapher „Kartenhaus“ für den Vergleich eines Staates mit einem bloßen Gehäuse, welches beim ersten Windstoß kollabieren würde, könnte es sich nicht auf die Loyalität und Partizipation seiner Angehörigen verlassen50. Aus diesen Ausführungen lässt sich die Quintessenz des Nationsbegriffes extrahieren: es ist eine politische Gemeinschaft, die Raum dafür gibt, dass sich Bürger mit ihr identifizieren können – dabei geht es nicht unbedingt um formelle Mitgliedschaft, vielmehr aber um „nationale Zugehörigkeit“, „Gemeinsamkeit“ und „Solidarität“. Diese Erkenntnis lässt mich Max Haller widersprechen. Ich glaube nicht an die konsequente Trennung der oben beschriebenen Ebenen, vielmehr präsentiert sich mir die Nation als globaler „top- down“ Prozess, bei dem Zugehörigkeit, Gemeinsamkeit und Solidarität gelehrt, vorangetrieben und mitunter auch bestimmt wird. Aus dem metaphorischen, instabilen Kartenhaus wird also ein sich selbst verleimender Bunker aus zum „Nationsgefühl“ gebündelten Mythen. Wie Benedict Anderson51 sehe ich die klassischen Merkmale einer Nation wie Sprache, gemeinsames Territorium, gemeinsame Geschichte, kulturelle Eigenarten u.a. (Kategorien, die Eric J. Hobsbawm52 mit äußerster Vorsicht betrachten lässt) als ein Ergebnis der

49 Haller: „Identität und Nationalstolz der Österreicher.“ Wien-Köln-Weimar 1996. S.25. 50 Haller: „Identität und Nationalstolz der Österreicher.“ Wien-Köln-Weimar 1996. S.25. 51 Anderson: „Imagined communities.“ London 1993. 52 Hobsbawm: „Nationen und Nationalismus.“ Frankfurt/Main 2004.

25 Nationsbildung und nicht als Voraussetzung für diese. Aus frühkindlichen Prägungen heraus, durch die private und öffentliche Erziehung geprägt, funktioniert das Individuum erst als Bestandteil der Nation, bei persönlichen Erinnerungen und Wertvorstellungen kann so von freiem Entstehen bei weitem nicht die Rede sein. Über dies hinaus ist es, wie Hans-Dieter Klein in seinem Aufsatz über „Nationalismus und partikularer Geist“ bereits im einleitenden Absatz erklärt, die Einordnung eines Menschen sehr schwierig, da er vor allem Mensch ist. Für ihn ist die Nation eine Verbindung mehrerer Traditionsaspekte wie z.B. Sprache, Religion, Lebensweise; Individuen könnten durchaus in einem Aspekt der einen; in einem Anderen einer anderen „Tradition“ stehen53.

Fernab dieser theoretischen Grundüberlegungen aber widme ich mich hier der Definition des Nationsbegriffes wie sie für die Forschung zur österreichischen Nation häufig verwendet wird. Hier sind die Werke von Ernest Gellner54, Eric J. Hobsbawm55 und Emmerich Francis56 prägend57. Was vor allem Gellner und Hobswawm gemeinsam haben ist der Gedanke, dass der Nationalismus seinen Höhepunkt im 20. Jahrhundert schon überschritten hat; dieser sich aber dessen unbeirrt in der Geschichte niedergeschrieben hat. Beide entwickeln diese lineare - Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang umfassende - Definition des Nationsbegriffs aus einer von ihnen als zentral bestimmten gesellschaftspolitischen Funktion der Entstehung von Nationen: der Rolle, die der Nationsbegriff im Übergang vom Feudalismus in eine bürgerliche Gesellschaft und die politische Ordnung des Nationalstaates erfüllt hat - sie stellen ihre Argumentation damit in die Tradition der Begriffs-Auffassung der Französischen Revolution58. Daraus wird eine sozialhistorische sowie eine politische Rolle des Nationsbegriffs hergeleitet. Als wesentlichste Rolle fällt dem Nationalismus dabei zu, die Entstehung der Nationalstaaten im Europa des 19. Jahrhunderts gefördert zu haben. Nationalen Bewegungen des 20. Jahrhunderts werden folglich - aufgrund der historischen Funktion des Begriffs in der Ausbildung einer bürgerlichen Gesellschaft - als verspätet beschrieben; weshalb ich diesen Terminus auch für die österreichische Nationswerdung einleitend bewusst gewählt habe. Diesen

53 Klein, Hans-Dieter: „Nationalismus und partikularer Geist.“ in: Burger, u. a.: „Gesellschaft, Staat, Nation.“ Wien 1996. S. 19. 54 Gellner: „Nations and Nationalism.“ Oxford 1983. 55 Siehe 33. 56 Francis, Emmerich: „Ethnos und Demos. Soziologische Beiträge zur Volkstheorie.“ Berlin 1965. 57 nach Breuss, u. a.: „Inszenierungen.“ Wien 1995. S. 19. 58 ebenda.

26 „verspäteten Nationalismen“ des 20. Jahrhundert wird durch die Diskrepanz zwischen den zeitlich im 19. Jahrhundert verorteten sozialhistorischen Grundlagen und der trotz dessen vorherrschenden Aktualität des Nationsbegriffs als Reaktion auf den Nationalsozialismus in Europa; in außereuropäischen Gebieten als Reaktion auf den Kolonialismus erklärt59. Die fundamentale Bedeutung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus für die Entwicklung nationaler Zusammengehörigkeitsgefühle nach 1945 spielt vor allem für die Entwicklung in Österreich eine große Rolle.

Gellner leitet - von denselben historischen Grundlagen ausgehend - davon eine Typologie der Definitionsversuche des Nationsbegriffs im 20. Jahrhundert ab. Diese umfasst im Wesentlichen drei Ansätze:

1) Die Nation als Sprach- und/bzw. Kulturgemeinschaft; 2) der Anspruch auf die Identität ethnischer und politischer Grenzen sowie 3) die Nation als Willensgemeinschaft.

Dabei erscheinen ihm alle drei Definitionsmöglichkeiten einzeln genommen als unzureichend, da sie ebenso für die Entstehung anderer Phänomene wie sozialer Gruppen oder Willensgemeinschaften gelten können. Gellner schließt daraus, dass diese Begründungstypen im Nationsbildungsprozess in Mischformen oder abwechselnd von Bedeutung sind und dass es folglich der Nationalismus selbst als politische Bewegung ist, der zur Nationsbildung führt, entgegen der These von dessen jeweiligen Anhängern, dass eine bereits bestehende Nation die Voraussetzung ihrer Bewegungen bildet60.

Francis siedelt die Entstehung des modernen Nationsbegriffs auch in der Französischen Revolution an, dessen Entwicklung er jedoch mit dem Sonderfall der absolutistischen Staatsform Frankreichs erklärt. Wesentlich ist sein Versuch einer Differenzierung der Begriffe Nation, Volk, Ethnie usw. als kritische, gesellschaftstheoretische Rekonstruktion von deren sprachgeschichtlichen Wurzeln bis zu den, jeweils mit unterschiedlichen Definitionen verbundenen, politischen und

59 siehe Hobsbawm: „Nationen und Nationalismus.“ Frankfurt/Main 2004. 60 Gellner: „Nations and Nationalism.“ Oxford 1983. S. 55f.

27 gesellschaftlichen Interessen61. So unterscheidet er den Nationsbegriffs vom nationalstaatlichen Prinzip. Die Nation wird bei ihm zur inneren Identität des Staates mit seinem Staatsvolk, die im demokratischen Ordnungssystem seinen Ausdruck findet und im Nationalbewusstsein der Bürger verankert ist. Die Herstellung dieser Identität knüpft Francis nicht unbedingt an das Vorhandensein einer ethnischen und kulturellen Homogenisierung. Das nationalstaatliche Prinzip dagegen sei ein nach außen gerichtetes Prinzip der ethnischen Homogenität von Staaten, das die ethnische Identität eines Volkes mit der Staatsnation postuliert und aus dem in der Folge Grenzziehungen oder kollektive Rechte für ethnische Minderheiten, die diesem Staatsvolk nicht angehören, abgeleitet wurden.

Diesen für mich nicht unwesentlichen Ansatz vertritt auch Manfred Prisching. Auch er ist der Meinung, dass sich eine Nation nicht immer auf gemeinsame Abstammung, Sprache o.ä. zurückführen lässt – eine Nation zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass sie eine kollektive Forderung und den Willen zur Zusammengehörigkeit hat. Diesem romantischen Postulat setzt er aber sofort entgegen, dass es eine nationalistische Propaganda bedarf, um ein Nationsgefühl überhaupt erzeugen zu können – folglich käme der Nationalismus vor der Nation62. Darüber hinaus bescheinigt Prisching dem Nationalismus die „bedeutendste politische Ideologie“ zu sein, welche besagt, „dass die Individuen ihre Identität vor allem aus der Zugehörigkeit zu einer Nation ableiten sollen, das sie ihre Loyalität in erster Linie auf diese (statt auf andere Gruppen) zu richten haben, und dass sie bereit sein müssen, für die Verteidigung der nationalen Interessen Opfer zu bringen.“63 Für Anton Pelinka wird – in diesem Zusammenhang – der Nationsbegriff zum „Kampfbegriff“, wenn er schreibt: „entstanden rund um die bürgerliche Revolution und Ausdruck des politischen Hegemonieanspruches des Bürgertums, kennzeichnet die Konzeption einer Nation eine radikale Einschließung und eine radikale Auschließung.“64 Neben diesem politischen Ansatz möchte ich aber noch Stuart Hall stellen, der die kulturellen Inhalte einer Gruppe beim Nationsbegriff in den Mittelpunkt stellt. Die Nation spiegelt sich demnach gerade in ihrer Symbol- und Repräsentationswirkung wieder. Hall meint: „Nationale Kulturen konstruieren Identitäten, indem sie die

61 nach Breuss, u. a.: „Inszenierungen.“ Wien 1995. S. 21. 62 Prisching: „Soziologie.“Wien-Köln 1990. S. 274. 63 ebenda. S. 273. 64 Pelinka, Anton: „Zur intellektuellen Widersprüchlichkeit des ethnischen Nationsbegriffes.“ in: Burger, u. a.: „Gesellschaft, Staat, Nation.“ Wien 1996. S. 27.

28 Bedeutungen der ‚Nation’ herstellen, mit denen wir uns identifizieren können; sie sind in den Geschichten enthalten, die über die Nation erzählt werden, in den Erinnerungen, die in ihre Gegenwart mit ihrer Vergangenheit verbinden, und in den Vorstellungen, die über sie konstruiert werden.“65

Durch eine alleinige Beschäftigung mit dem Nationsbegriff könnte ich Hunderte folgender Seiten füllen. Für meine Forschung aber habe ich die Kernpunkte in Bezug auf „Nation“ in diesen wenigen Zeilen zusammengetragen, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu stellen; welcher aber in diesem Rahmen auch nicht vonnöten wäre. Die zentralen und folgend wichtigen Punkte waren: 1) Nationalgefühl entsteht durch die Institutionalisierung einer Nation. Nationalismus selbst führt als politische Bewegung zur Nationsbildung. Nur die Notwendigkeit der Erfindung einer Nation, wie es 1945 in Österreich der Fall war, kann diese Chronologie verändern: die Nation kommt hier vor dem Nationalismus. 2) Ein Individuum muss nicht eindeutig zu allen Kategorien einer Nationsdefinition einzuordnen sein, um einer Nation anzugehören. 3) Ein „verspäteter“ Nationsbegriffs ist in Europa als Reaktion auf den Nationalsozialismus zu verstehen. 4) Eine Nation basiert nicht immer auf gemeinsame Abstammung, Sprache o.ä., sie zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass sie eine kollektive Forderungen und den Willen zur Zusammengehörigkeit hat. 5) Nationale Kulturen konstruieren Identitäten.

2. DIE FRAGE NACH „IDENTITÄT“.

Was Jan Assmann mit seiner Aussage „Identität ist das Wissen einer Person, sie selbst, einzig und unverwechselbar zu sein“66 auf das Individuum bezieht, wird im folgenden auf eine Nation projiziert; ungeachtet dessen, das Identität natürlich etwas subjektives ist wird auch das Thema der „nationalen Identität“ an dieser Stelle erklärt. Vorangestellt sei anzumerken, dass Identität kein starres System ist. Identität ist vielmehr das Produkt eines dynamischen Prozesses, mit dem Ergebnis, dass ein

65 Hall, Stuart: „Kulturelle Identität und Globalisierung.“ in: Hörnig, u. a.: „Widerspenstige Kulturen.“Frankfurt am Main 1999. S. 415f. 66 Assmann, J.: „Das kulturelle Gedächtnis.“ München 1992. S. 130.

29 Individuum auch multiple Identitäten besitzen kann, die jeweils in unterschiedlichen Kontexten und Graden aktiviert werden. Stuart Hall meint dazu, dass „in uns widersprüchliche Identitäten [wirken], die in verschiedene Richtungen drängen, so dass unsere Identifikationen beständig wechseln. Wenn wir meinen, eine einheitliche Identität von der Geburt bis zum Tod zu haben, dann bloß, weil wir eine tröstliche Geschichte oder „Erzählung unseres Ich" über uns selbst konstruieren. Die völlig vereinheitlichte, vollkommene, sichere und kohärente Identität ist eine Illusion. In dem Maße, in dem sich die Systeme der Bedeutung und der kulturellen Repräsentation vervielfältigen, werden wir mit einer verwirrenden, fließenden Vielfalt möglicher Identitäten konfrontiert, von denen wir uns zumindest zeitweilig mit jeder identifizieren könnten. "67

Was die Theorie betrifft geht Assmann davon aus, dass Identität Sache eines „Reflexivwerdens eines unbewussten Selbstbildes“68 sei – was für das individuelle wie für das kollektive Leben gilt. Die von ihm eingeführte Unterteilung der Begrifflichkeit scheint mir auch für meine Ausführungen sinnvoll zu sein. Von „einer Identität" ausgehend unterteilt er diese weiters in eine „ich-" und eine „wir-" Identität69. Dabei entsteht die individuelle Identität durch exogene Einflüsse von „anderen“ kommend: ein aufgebautes und durchgehaltenes Bild, das ihn von allen Anderen aufgrund seiner unterscheidenden Einzelzüge, seiner Unverwechselbarkeit und seiner Unersetzbarkeit zu seiner individuellen Identität macht. Neben Körperlichkeit, praktischen und intellektuellen Fähigkeiten ist ein wesentlicher Aspekt der individuellen Identität auch die soziale Komponente: die Gesellschaft trägt einen wesentlichen Beitrag zur Ausgestaltung auf kognitiver und emotionaler Ebene bei70. Haller meint ähnliches, indem er schreibt, Identität sei eine „sozial konstruierte Definition eines Individuums, und als soziale Konstruktion knüpft Identität an die jeweils gegebenen kulturellen Muster und Interaktionsregeln an."71

Viel wichtiger für meine Ausführungen aber ist die Definition der „kollektiven“ oder „wir-“ Identität. Auch hier hat Jan Assmann eine treffende Formulierung. Er versteht

67 Hall, Stuart: „Kulturelle Identität und Globalisierung.“ in: Hörnig, u. a.: „Widerspenstige Kulturen.“ Frankfurt am Main 1999. S. 369. 68 Assmann, J.: „Das kulturelle Gedächtnis.“ München 1992. S. 130. 69 innerhalb des „ich" differenziert Assmann noch zwischen "individueller" und "personaler" Identität, deren Erklärung hier aber zu weit führen würde. 70 nach Holzer: „Sehenswürdigkeiten und Tourismus.“ Diplomarbeit. Graz 2005. S. 10. 71 Haller: „Identität und Nationalstolz der Österreicher.“ Wien-Köln-Weimar 1996. S. 38f.

30 unter dieser „kollektiven“ Identität das Bild, das sich eine Gruppe von sich aufbaut und mit dem sich deren Mitglieder identifizieren72. Das dabei konstruierte „Wir- Bewusstsein" ist dabei fundamental. Eine Ausformung eines solchen Bewusstseins erscheint nicht nur Ernst Bruckmüller73 nur dann für möglich, wenn alte Erzählungen stetig wiederholt und alte Ordnungen immanent betont werden, darüber hinaus gemeinsame Symbole verwendet und wiederholt gemeinsame Rituale zelebriert werden.

Diese Ausführungen leiten in die Thematik der „nationalen Identität“ über. Anton Pelinka, dessen Artikel „Nationale Identität“74 die Grundlage für die folgenden Zeilen bildet, schreibt: „jede nationale Identität beruht auf einer subjektiven und auf einer objektiven Komponente. Diese beiden Komponenten sind in unterschiedlicher Form miteinander verbunden - und sie sind auch historisch wandelbar, bzw. (in Grenzen) politisch steuerbar. Die objektive Komponente hat, im europäischen Kontext, entweder stärker den Charakter einer politischen Dimension („Staatsnation"), oder aber eher den Charakter einer kulturellen Dimension („Kulturnation"). In beiden Fällen ist immer auch genügend Flexibilität gegeben, die Grauzonen und Übergänge zulässt.“75

So könne für die "Kulturnation" das die nationale Einheit stiftende Merkmal die Sprache, aber ebenso auch die Religion sein; die "Staatsnation" wiederum basiere auf völkerrechtlichem, den souveränen Staat als materielle Grundlage einer Nation sehendem, Verständnis. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Wahrnehmung objektiver Gegebenheiten, wie etwa Staat, Sprache oder Religion, zu verschiedenen Konsequenzen führen kann. Pelinkas führt hier etwa Österreich an, wo die Deutschsprachigkeit der großen Mehrheit seiner Bürgerinnen nach 1918 zur Wahrnehmung führte, ÖsterreicherInnen seien Deutsche. Nach 1945 jedoch stellt die Deutschsprachigkeit keinen "nationsstiftenden" Faktor mehr dar, er wich einem staatsbezogenen Patriotismus. So wurde aus dem Deutschnationalismus der 1. Republik das Österreichbewusstsein nach 1945.76

72 Assmann, J.: „Das kulturelle Gedächtnis.“ München 1992. S. 132. 73 Bruckmüller: „Nation Österreich.“ Wien-Köln-Graz 1996. S. 16f. 74 Pelinka, Anton: „Nationale Identität.“ in: „Nationale und kulturelle Identitäten Österreichs.“ Wien 1995. S. 28-33. 75 ebenda. S. 28. 76 siehe ebenda. S. 28f.

31 Dass es bei einer „nationalen Identität“ auch um Ein- und Ausschließung geht, erklärt sich schon aus dem Nations-Diskurs. Bei Pelinka erfährt diese Dichotomie gerade in der Identitätsthematik eine emotionale Aufladung, wenn er schreibt: „[...] „Wir“ stehen gegen "die Anderen", "die Fremden"; und daher stehen - zumindest der Tendenz nach - letztlich "Gut" und "Böse" einander gegenüber.“77 Weil oft eine Identität (die „Nationale“ oder „Religiöse“) übersteigert betont wird, kommt es oft zu einer vereinfachten Sicht der komplexen gesellschaftlichen Realität, was die Verschärfung der Ein- und der Ausschließungsfunktion noch verstärkt. Dieses Phänomen nennt Pelinka „die Grundlage jedes Fundamentalismus“78.

Dieser nationalistische Fundamentalismus ist als (bewusster oder unbewusster) Protest gegen die Moderne zu lesen. In ihm spiegelt sich die Sehnsucht nach einer einfachen Gesellschaft wieder: mit der klaren Trennung von „heimisch" und „fremd" wird auch "gut" und "böse" klar definiert. Dieser Protest gegen die Moderne äußert sich oft auch in nationaler Symbolik und der Tradition, nationale Geschichte als Folge von durch fremde Verschwörungen initiierten Katastrophen zu vermitteln. So wird eine Solidarisierung innerhalb anderer Identitäten wie etwa in Form der Solidarität einer Klasse, einer Religionsgemeinschaft oder auch eines Geschlechts oftmals unmöglich, denn der nationalistische Fundamentalismus kennt keine Parteien, Klassen, Religionen oder Geschlechter - er kennt nur die Nation.79 Pelinka schließt aus seinen Ausführungen auf eine Antithese zum nationalen Fundamentalismus, welcher in modernen demokratischen Staaten angestrebt werden muss. Diese Antithese bedürfe aber einiger Einsichten80: 1) Nationale Identität ist kein Phänomen der Natur, sondern der Kultur - also abhängig von der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie ist veränderbar und (in Grenzen) steuerbar, denn erst die politische Sozialisation macht aus einem Menschen einen „Nationsangehörigen“. Und über die Sozialisation erfährt der Mensch auch Stellenwert und Konsequenz seiner eigenen und aller anderen Identitäten. 2) Nationale Identität ist nur eine von vielen parallel existierenden Identitäten. diese Einsicht relativiert die Tragweite einer einzigen Identität, was die Hegemonie einer einzigen, wie etwa der nationalen, verhindert.

77 Pelinka, Anton: „Nationale Identität.“ in: „Nationale und kulturelle Identitäten Österreichs.“ Wien 1995. S. 29. 78 ebenda. S. 30. 79 vgl. ebenda. S. 31f. 80 ebenda. S. 32f.

32 3) Nationale Identität ist nicht nur Realität, sondern auch Indikator. Ihre Intensität zeugt von realen Verhältnissen, insbesondere in Bezug auf die Verteilung von Lebenschancen. Bei Veränderungen dieser Rahmenbedingungen verändern sich auch Richtung und Intensität der nationalen Identität.

Für meine Beobachtungen wird im Folgenden von großer Bedeutung sein, dass Identität ein kulturelles Phänomen ist. Ein kollektives „Wir-Gefühl“ bedarf Rituale, Geschichten und Traditionen; darüber hinaus sind kollektive Erlebnisse von immenser Bedeutung. Gerade in Bezug auf die österreichische Geschichte nach 1945 ist die Etablierung einer „nationalen Identität“ wichtig. Was bei Pelinka und den anderen Theoretikern allerdings fehlt ist die Betonung der enorm emotionalen Aufladung, welche die Identifizierung mit einer Identität in vielen Fällen erfährt. Erst diese Emotionalität lässt den Fundamentalismus greifbar und verständlich werden, nicht zuletzt im sportlichen Umfeld. Der erste Punkt von Pelinkas Antithese zum nationalen Fundamentalismus führt uns zur problematischen Definition von „Kultur“. Fernab eines umfassenden Diskurses darüber, was „Kultur“ sein kann, welcher im Rahmen dieser Arbeit nicht vonnöten ist, zitiere ich an dieser Stelle den Soziologen Dirk Baecker, der schreibt: „Die Kultur ist [...] nicht nur das Programm der Gesellschaft, das es erlaubt zu definieren, wie der Mensch zum Mensch wird, sondern auch der Einwand gegen diese Gesellschaft, wenn sie dem Menschen zumutet, was dieser für unzumutbar hält.81“ Für Stuart Hall gehören nationale Kulturen zu den Hauptquellen der kulturellen Identität. Eine nationale Identität sei dabei nicht in unseren Genen eingeprägt; dennoch aber denke man, sie wären Teil unserer Natur.82 Was das „Österreichischsein“ definiert, zum Beispiel, wird erst durch kulturelle Repräsentation offensichtlich; durch eine Fülle von Bedeutungen, durch welche die österreichische nationale Kultur repräsentiert wird.83

Für die kulturelle Präsentation eines Staates stellen Symbole eine zentrale Rolle dar. Für Prisching sind Symbole "materielle Gegenstände, Laute, Gesten, Handlungen, Farben, Gerüche und dergleichen, die für einen Sinngehalt stehen, welcher nicht aus

81 Baecker, Dirk: „Was ist Kultur? Und einige Anschlussüberlegungen zum Kulturmanagement, zur Kulturpolitik und zur Evaluation von Kulturprojekten.“ Bislang unveröffentlicht. Friedrichshafen 2010. S.8. Online unter: http://www.dirkbaecker.com/WasistKultur.pdf (Stand: 8.11.2010) 82 Hall, Stuart: „Kulturelle Identität und Globalisierung.“ in: Hörnig, u. a.: „Widerspenstige Kulturen.“Frankfurt am Main 1999. S. 415. 83 Wodak, Ruth (Leitung): „Identitätswandel Österreichs im veränderten Europa.“ in: „Nationale und kulturelle Identitäten Österreichs.“ Wien 1995. S. 9.

33 der Beschaffenheit des Trägers des Symbols ableitbar ist; vielmehr ruft er Gedanken, Gefühle oder Absichten wach.“84 Auch Dirk Lyon schreibt: „Symbole sind optisch und/oder akustisch wahrnehmbare Zeichen, die eine verabredete, unmittelbar einsichtige oder in einem konkreten historischen Kontext stehende und damit variable Bedeutung aufweisen."85 Symbole sind also subjektiv wahrnehmbar; ihm wird und kann kein objektiver Sinn zugeschrieben werden; seinen Sinn erhält es durch die Aufladung durch eine bestimmte Gemeinschaft – wie z.B. einer Nation. Die ganzheitliche Wahrnehmung und die „Codierung“ der Botschaft eines Symbols verlaufen über die spezifische Gemeinschaft selbst und deren Selbstverständnis. Dabei kann ein Symbol gleichzeitig mehrere Bedeutungen haben - je nach Standpunkt kommen verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zum Ausdruck86. Durch die „Zusatzbotschaften" erfährt man eine intensivere „Codierung", und es entsteht eine verstärkte Verankerung bei den jeweiligen Bezugspersonen, sowie eine erhöhte Identifikationsbereitschaft87.

Ein Symbol ist also der Ausdruck eines Komplexes von individuellen und kollektiven Empfindungen und Erfahrungen, und der Symbolakt kann entweder unbewusst oder als bewusster Symbolisierungsversuch einer Person oder Gruppe verstanden werden. Trotz eines gewissen Rationalisierungsgrades der „modernen Welt“ bleiben Symbole bis heute omnipräsent und sind für das Sozialleben obligat88; dabei erweisen sie sich auch als wenig vergänglich und profitieren selbst im Stadium des Vergessens, wie es Hermann Härtel in seinen Ausführungen zur steirischen Landeshymne treffend formuliert: „Symbole sind - wenn sie einmal zu solchen erhoben wurden - nicht so schnell wieder abzuschaffen, zu verändern. Sie brauchen ebenso wie im Entstehen auch lange Zeit um vergessen werden zu können. Je mehr sie aber vergessen werden, desto größer ist ihr Mythos.“89

Wichtiges zur nationalen Identität schreibt Ueli Gyr in einem Artikel von 1988: „Die Identität von Großgruppen, von Nationen oder Völkern wurde und wird in bestimmten Symbolen versinnbildlicht, tradiert und gestärkt. In Symbolen verdichtet sich das

84 Prisching: „Soziologie.“ Wien-Köln 1990. S. 337. 85 Lyon, u. a.: „Österreichbewusstsein.“ Wien 1985. S. 56. 86 Prisching: „Soziologie.“ Wien-Köln 1990. S. 338. 87 Lyon, u. a.: „Österreichbewusstsein.“ Wien 1985. S. 56. 88 Prisching: „Soziologie.“ Wien-Köln 1990. S. 344. 89 Härtel, Hermann: „Die steirische Landeshymne.“ in: „Der Vierzeiler – Zeitschrift für Musik und Kultur und Volksleben“ Heft 3/2003. S. 34. Nach: Holzer: „Sehenswürdigkeiten und Tourismus.“ Diplomarbeit. Graz 2005. S. 16.

34 Zusammengehörigkeitsbewusstsein einer sozialen Gruppe. Sie schaffen Dazugehörigkeit und Ausgrenzung. Symbole sind zur Kennzeichnung von Gruppen umso weniger entbehrlich, je größer die Gruppe ist und je weniger sie durch direkte und ständige Kommunikation Gemeinsamkeit erfahren kann."90

Die neuere Forschung verwendet den Begriff des Sozialkapitals. Dieser entstammt aus den Sozialwissenschaften und bezeichnet das Ganze an kollektivem Wissen, Gewohnheiten und Erwartungen, die von Angehörigen einer Gruppe geteilt werden und die das Funktionieren einer modernen Gesellschaft gewährleisten; dabei wird das Sozialkapital vom Erziehungs- und Bildungssystem einer Nation genährt.91

Für meine Ausführungen bleiben die Erkenntnisse: 1) Identität ist ein kulturelles Phänomen. 2) Identifizierung mit einer Identität erfährt in vielen Fällen eine enorm emotionale Aufladung. 3) Was die Zugehörigkeit zu einer nationalen Identität definiert wird erst durch kulturelle Repräsentation offensichtlich; durch eine Fülle von Bedeutungen, durch welche eine nationale Kultur beschrieben wird. 4) Für die kulturelle Präsentation eines Staates stellen Symbole eine zentrale Rolle dar. Identität von Großgruppen, von Nationen oder Völkern wurde und wird in bestimmten Symbolen versinnbildlicht, tradiert und gestärkt. 5) Symbole sind subjektiv wahrnehmbar; ihnen wird und kann kein objektiver Sinn zugeschrieben werden; seinen Sinn erfährt es durch Aufladung durch eine bestimmte Gemeinschaft – wie z.B. einer Nation. 6) Symbole sind äußerst beständig. Sie brauchen ebenso wie im Entstehen auch lange Zeit um vergessen werden zu können.

3. DAS „KOLLEKTIVE GEDÄCHTNIS“.

In den vorangegangenen theoretischen Überlegungen zum Nationsbegriffs und der (nationalen) Identität finden sich eine Reihe von Bezügen zu kollektiven Identifikationsprozessen als Grundlage der Entwicklung nationaler Identitäten. Was

90 Gyr, Ueli: „Touristenkultur und Reisealltag. Volkskundlicher Nachholbedarf in der Tourismusforschung.“ in: Zeitschrift für Volkskunde, Heft 84. 1988. S. 224–239. S. 234. 91 zum Sozialkapital: Field, John: „Social Capital.“ New York 2003.

35 ich in den folgenden Zeilen exerziere ist die Anwendung der theoretischen Überlegungen von Maurice Halbwachs zum kollektiven Gedächtnis als Ort kultureller Identitäten. In diesem Zusammenhang muss eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Erinnerung als absichtliches Hervorbringen früherer Bewusstseinsinhalte und dem als passiv verstandenen Gedächtnis gemacht werden. Das Gedächtnis ist das Sammelsurium aller erinnerbaren Erlebnisse und Inhalte. Dabei geht es um die Merkfähigkeit genau so wie um die Tätigkeit, frühere Erlebnisse und erworbenes Wissen zu reproduzieren. Das Gedächtnis bezeichnet abstrakt gesehen einen inneren Raum oder einen geistigen Akt. Das Konzept des kulturellen Gedächtnis dagegen erfasst neben Inhalten auch die kulturellen Rahmenbedingungen und die gesellschaftlichen Überlieferungsformen der kulturellen Erinnerung. Gedächtnis ist dabei kein bloßes Vergangenheitsdepot, sondern Ort der Neukonstruktion der Erinnerung in Anpassung einen wechselnden Bezugsrahmen. Gedächtnis baut demnach auf der Erinnerung auf, welche es reproduziert und verändert.

Basierend auf dem historischen Modell der Entstehung des Nationsbegriffs von Gellner und Hobsbawm erbringt Miroslav Hroch92 den Nachweis, dass mit dem aufkommenden Bürgertum, welches den Feudalismus ablöste, ein definierbares soziales Kollektiv als Träger neuer politischer sowie staatlicher Organisationsformen auftritt. Daneben zeigt Lynn Hunt93 in ihrer Analyse der Französischen Revolution, dass Nationalbewusstsein nicht allein im engen politischen Diskurs zum Ausdruck kommt, sondern in symbolischer Form in Alltagsbereichen auftritt - was einen neuen Zusammenhang von Politik und Alltag begründet. Dieser ist für sie Ausgangspunkt einer politischen Kultur, wie sie bis heute - in abgewandelter Form - in den Nationalstaaten wirksam ist. Als besonderes Merkmal der in der Französischen Revolution entstandenen politischen Kultur hebt Hunt die Riten der symbolischen Wiederholung und des Erinnerns revolutionärer Ereignisse hervor, die eine kollektive Identität der neuen Staatsform, der Nation begründen. Diese Riten sollten der Vergewisserung ausgewählter, historischer Ereignisse dienen und deren Deutung in einem kollektiven Gedächtnis, das damit als „Ort" nationaler Identität angesprochen wird.94

92 Hroch: „Social Preconditions of National Revival in Europe.“ Cambridge 1985. 93 Hunt: „Symbole der Macht – Macht der Symbole.“ Frankfurt am Main 1989. 94 nach Breuss, u. a.: „Inszenierungen.“ Wien 1995. S. 32.

36 Maurice Halbwachs sieht in seinem „La memoire collective“95 das nationale Gedächtnis als eine Form des kollektiven Gedächtnisses, welches als „Theater" einer bestimmten Zahl ausgewählter Ereignisse funktioniert, die von dessen Trägern oft nur indirekt über Medien oder andere Überlieferungsformen historischer Ereignisse und nicht aus eigener Teilnahme erfahren werden. Den Terminus „Theater“ verwendet er bewusst um damit die Notwendigkeit ihrer symbolischen Re- Inszenierung als Basis ihrer sozialen bzw. gruppenspezifischen Geltung anzusprechen. Die Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses in der Ausformung eines Nationalbewusstseins ist für Halbwachs in der Distanz des durchschnittlichen Alltagslebens zu den „historischen Ereignissen" einer Nation begründet, die erst in ihrer symbolischen Form, ihrer Re-Inszenierung greifbar werden. Dabei ist anzumerken, dass von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Elemente nationalen Bewusstseins in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext – wie etwa Schule, Familie, Partei - auch in verschiedenen Varianten tradiert. Von zentraler Bedeutung ist, dass das kollektive Gedächtnis die für die Gruppe konstanten, gleichbleibenden Merkmale ihrer Identität hervorhebt; was die symbolische Form als eine seiner bevorzugten Ausdrucksformen begründet. Dadurch erfährt das kollektive Gedächtnis im Alltag seine solide Verankerung.96

Eine klare Definition gibt Aleida Assmann zum kollektiven Gedächtnis, wenn sie schreibt: „es [das kollektive Gedächtnis] besteht aus kodifizierten und gespeicherten Zeichen, die wir zusammen mit dem allgemeinen und spezialisierten Wissen durch die Bildungsinstitutionen aufnehmen. Vom allgemeinen oder spezialisierten Wissen unterscheiden sich die Inhalte des kulturellen Gedächtnisses jedoch dadurch, dass wir sie uns aneignen, nicht um sie zu ‚beherrschen’ oder für bestimmte Ziele einsetzen, sondern um uns mit ihnen auseinander zu setzen und sie zu einem Element unserer Identität zu machen.“97

Während Halbwachs vor allem statische Traditionslinien wie etwa Schule oder Familie (siehe oben) sieht, wird heute, zugunsten multipler und variabler Traditionsträger, wie etwa den Medien, der Begriff des kollektiven Gedächtnisses von

95 Halbwachs: „Das kollektive Gedächtnis.“ Stuttgart 1967. 96 nach nach Breuss, u. a.: „Inszenierungen.“ Wien 1995. S. 33. 97 Assmann, A.: „Soziales und kollektives Gedächntis.“ S.4. Online unter http://www.bpb.de/files/0FW1JZ.pdf. Stand: 9.11.2010.)

37 Peter Connerton98 durch den des habituellen, auf bestimmte Situationen und Kontexte bezogenen Gedächtnisses, ersetzt. Dabei gibt es zwei Formen dieses habituellen sozialen Gedächtnisses: einerseits die von Halbwachs im Bereich des nationalen Gedächtnisses erwähnten „commemorative ceremonies", die zum Teil auch indirekt, über die Massenmedien erlebt werden, und, über Halbwachs hinaus, die körperlichen Fixierungen des habituellen Gedächtnisses, mit dem Begriff der „bodily practices" bezeichnet werden. Diese zweite, über Rituale des nationalen Bewusstseins hinausgehende „körperliche" Traditionslinie wird etwa am Beispiel des Essens und Trinkens als Ausdruck eines alltäglichen Nationalbewusstseins sichtbar99, aber auch in für bestimmte Nationen „typischen“ Sportarten. Im Rahmen dieser Arbeit zwingt sich eine entscheidende Frage förmlich auf: wie kann ein lokales Ereignis wie ein Skirennen mit einer begrenzten Anzahl an Zuschauern vor Ort Relevanz für die Nationswerdung eines Staates wie Österreichs haben? Eine grundsätzliche Unterscheidung erfahren Medien in der neueren Forschung in Speicher- und Übertragungsmedien. Für Jan Assmann nimmt das klassische Speichermedium eine zentrale Rolle ein. Dabei werden „kulturelle Texte“ über Jahrtausende hinweg gesichert und bewusst enkodiert, um entweder im kulturellen Funktionsgedächtnis durch regelmäßige Aktualisierung angeeignet oder aber im Speichergedächtnis (Archiv) abgelagert zu werden100. Daneben steht u.a. Harald Welzer, der auf die Rolle von Medien in verschiedenen anderen Systemen des kollektiven Gedächtnisses verweist: so dienen etwa Familienfotos und alte Zeitschriften als Anlässe zum Gespräch über gelebte Geschichte und spielen damit eine Rolle bei der kollektiven Bildung von Vergangenheit „en passant“ - d.h. im Rahmen des „sozialen Gedächtnisses“.101 Daneben könnten Massenmedien wie Kinofilme als Vorlagen für individuelle Lebensgeschichten dienen, also auch auf das kollektiv geprägte autobiografische Erinnerungen Einfluss nehmen102. Solche Medien des alltäglichen kommunikativen Gedächtnisses werden als sogenannte „Übertragungsmedien“ verstanden, denn sie ermöglichen sozialen Erfahrungsaustausch und kollektive Gedächtnisbildung dominant über räumliche Grenzen (und nicht in erster Linie über zeitliche) hinweg.103

98 Connerton: „How Societies remember.“ Cambridge 1989. 99 nach Breuss, u. a.: „Inszenierungen.“ Wien 1995. S. 34. 100 vgl. Assmann, Jan: „Kulturelle Texte im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit.“ in: Assmann, J.: „Religion und kulturelles Gedächtnis.“ München 2000. S. 124-147. 101 siehe Welzer: „Das soziale Gedächtnis.“ Hamburg 2001. 102 siehe Welzer: „Das kommunikative Gedächtnis.“ München 2002. 103 nach Erll, Astrid: „Medium des kollektiven Gedächtnisses – ein (erinnerungs-) kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff.“ in: Erll, u. a.: „Medien des kollektiven Gedächtnisses.“ Berlin-New York 2004. S. 10.

38

Astrid Erll fasst in ihrem Aufsatz zu den Medien des kollektiven Gedächtnisses die zentralen Aspekte des Verhältnisses von Medium und Kollektivgedächtnis wie folgt zusammen:104 1) Für sie ist Medialität in Prozessen kollektiver Gedächtnisbildung in vielen Fällen weitab von technischen (Massen-)Medien und kommunikationswissenschaftlichen Sender-Kanal-Empfänger Modellierungen auszumachen; für sie können diese Funktionen auch ästhetische Formen, Objekte, natürliche Gegebenheiten (Steine, Flüsse, Berge) und soziale Gruppen übernehmen. 2) Die auf verschiedenen Ebenen anzusiedelnden medialen Phänomene bei der kollektiven Gedächtnisbildung interagieren auf komplexe Weise. Schrift und Drucktechnik etwa eines konkreten Romans und seinen literarischen Formen könne nicht nur gleichermaßen eine jeweils spezifische Materialität und Gedächtnis-Medialität zugeschrieben werden - die genannten Komponenten wirken in der Erinnerungskultur wohl erst in ihrem Zusammenspiel. 3) Die Medialität ist innerhalb unterschiedlicher Systeme der kollektiven Gedächtnisbildung wirksam. Kulturelles, kommunikatives und soziales Gedächtnis sind nur einige Rahmen des sozialen Bezugs auf Vergangenheit, innerhalb deren Medien konsumtive (und konstruktive) Funktionen erfüllen.

Um den Begriff der „Medien“ zu definieren führt Astrid Erll vier „Komponenten“ ein, um Kommunikationsinstrument, Technologie und Objektivation als mögliche materiale Teile des Gedächtnismediums zu bestimmen. Ihre erste Komponente sind „semiosefähige Kommunikationsinstrumente zur Externalisierung gedächtnisrelevanter Informationen“. Demnach seien semiosefähige Kommunikationsmittel wie mündliche Sprache, Schrift, Bild oder Ton Instrumente, welche die Voraussetzung zur Bildung von Kollektivgedächtnis erst ermöglichen. Komponente Nummer zwei nennt sie „Medientechnologien zur Verbreitung und Tradierung von Gedächtnisinhalten.“ Demnach ermöglichen Medientechnologien auf räumlicher Ebene die Verbreitung und in zeitlicher Ebene die Tradierung von Inhalten des kollektiven Gedächtnisses. Dabei gibt es natürlich einen Unterschied in der Breitenwirkung dieser Kommunikationsinstrumente. Schrift, z.B., erreicht in Stein

104 Erll, Astrid: „Medium des kollektiven Gedächtnisses – ein (erinnerungs-) kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff.“ in: Erll, u. a.: „Medien des kollektiven Gedächtnisses.“ Berlin-New York 2004. S. 10f.

39 gemeißelt, auf Papier gedruckt oder im Internet gepostet verschieden große Kreise von sog. Erinnerungsgemeinschaften und ist von unterschiedlich langer Haltbarkeit. Somit tragen Medientechnologien fernab ihrer neutralen, technischen Eigenschaften zur Art der Botschaft bei. Diesen Standpunkt verdeutlicht auch Elena Esposito, wenn sie schreibt, dass „das Gedächtnis der Gesellschaft von den verfügbaren Kommunikationstechnologien [...] der jeweiligen Gesellschaft abhängt: diese beeinflussen dessen Formen, Reichweite und Interpretation.“105 Als 3. Komponente nennt Erll „Kulturelle Objektivationen als konkrete Gedächtnismedienangebote und ihre formale Gestaltung.“ Hierzu zählen Quellen eines Archivs und Fotos in einem Familienalbum genauso wie Gemälde und verkörpern allesamt kulturelle Objektivationen, die zu Medienangeboten des kollektiven Gedächtnisses werden. Nachdem diese drei Komponenten zwar Funktionsweisen aufweisen, die für das Erinnern von Bedeutung sind, fehlt noch der tatsächliche Übergang von einem medialen Phänomen zu einem Gedächtnismedium, welcher stets im Rahmen der sozialsystemischen Komponente erfolgt. Dabei wird ein Medium als Gedächtnismedium durch soziale Gruppen und Gesellschaften funktionalisiert. Somit ist die 4. Komponente die sog. „Soziale Institutionalisierung und Funktionalisierung von Medien des kollektiven Gedächtnisses.“ Kollektives Gedächtnis werde, so Erll, in sozialen Kontexten (re-)konstruiert und die soziale Trägerschaft des Gedächtnisses entscheidet dabei darüber, welcher Medien sie sich bei der Konstruktionsarbeit bedient. Ihre stärkste Ausformung findet diese sozialsystemische Komponente im Kontext des kulturellen Gedächtnisses, da gerade die Medien dieses mit hoher Wichtigkeit ausgestatteten Gedächtnisrahmens einer Institutionalisierung bedürfen, um Überlieferung zu sichern. Diese „Organisiertheit“, also die Institutionalisierung des Gedächtnisses und die Spezialisierung seiner Trägerschaft ist ein konsumtives Merkmal des kulturellen Gedächtnisses. Hierbei gilt es zwei fundamentale Aspekte einer solchen Funktionalisierung zu unterscheiden: einerseits gibt es die „produktionsseitige Funktionalisierung“, für die das typische Beispiel der ,kulturelle Text' darstellt, in dem Botschaften an die Nachwelt kodiert werden; andererseits gibt es eine „rezeptionsseitige Funktionalisierung“, bei der es darum geht, dass ein Medium des kollektiven Gedächtnisses auch das ist, was von einem Kollektiv als ein solches angesehen und funktionalisiert wird, selbst wenn es

105 Esposito: „Soziales Vergessen.“ Frankfurt am Main 2002. S.10.

40 nicht als Gedächtnismedium geschaffen wurde. Diese kollektive Zuschreibung gedächtnisrelevanter Information macht selbst aus Körpern, Objekten und natürlichen Gegebenheiten Medien des kollektiven Gedächtnisses. Dabei muss diese rezipientenseitige Funktionalisierung nicht intentional erfolgen - oft wird erst retrospektiv deutlich, dass bestimmte Medien oder Phänomene in einer vergangenen Epoche offensichtlich als Medien des kollektiven Gedächtnisses gedient haben, heute diese Funktion aber längst verloren haben.106

4. „IMAGE“.

Zusätzlich zu den in diesem Kapitel vorgestellten Theorien macht es Sinn, auch kurz auf die sogenannte „Imageforschung“107 einzugehen. Dabei ist voranzustellen, dass man unter einem „Image" ein aus sachlichen und emotionalen Bestandteilen zusammengesetztes dynamisches Gesamtbild von Ländern, Menschen, Objekten, Organisationen, Produkten o.ä., dass sowohl durch eigene wie auch durch übermittelte fremde Informationen und Wahrnehmungen, zustande kommt. Die wissenschaftliche „Imageforschung“ beobachtet nach verschiedensten Kriterien nationale Fremd- und Selbstbilder, was als Aspekt des nationalen kollektiven Gedächtnisses eine gewichtige Rolle spielt. Methodologisch geht die „Imageforschung“ so vor, dass sie repräsentative Umfragen mit werbepsychologischen Methoden kombiniert. Diese werbepsychologischen Methoden funktionieren über multimodal verbale und nonverbale (Zuordnung von Bildern bzw. musikalischen Fragmenten) Medien, welche Assoziationen und Stereotypen von Personen aus verschiedenen Kulturkreisen zu und einer bestimmten „Nation“ hervorrufen. Diese Länderimages werden als Produkte mehrdimensionaler schematisierter Vorstellungen von hohem Prägnanzniveau beschrieben, welche überzeichnete und zugleich reduzierte Klischeebilder sind, die eine enorme zeitliche und inhaltliche Stabilität aufweisen. Dieses „Image“ kann, muss aber nicht der Realität eines Landes entsprechen. Dass es sich dabei häufig um überzeichnete Klischees handelt, liegt in der Natur der Sache. Diese Übertreibungen aber zeichnen sich für die Verhaltenswirksamkeit der „Images“ aus, sodass sie das

106 4 Komponenten der Medien des kollektiven Gedächtnisses nach Erll, Astrid: „Medium des kollektiven Gedächtnisses – ein (erinnerungs-) kulturwissenschaftlicher Kompaktbegriff.“ in: Erll, u. a.: „Medien des kollektiven Gedächtnisses.“ Berlin-New York 2004. S. 12-18. 107 dazu vgl. Breuss, u. a.: „Inszenierungen.“ Wien 1995. S. 35-37. bzw. Schweiger, Günter: „Österreichs Image in der Welt: ein weltweiter Vergleich mit Deutschland und der Schweiz.“ Wien 1992.

41 menschliche Verhalten im Hinblick auf den Kauf von Produkten und Dienstleistungen dieser Staaten beeinflussen. Beim Entstehungsprozess eines Images spielt neben der Erwartungshaltung (Wunsch oder Ablehnung) gegenüber einem Land, welche natürlich vom individuellen Weltbild eines Menschen und dessen persönlicher Anschauung und Kulturkreis abhängig ist, auch Kritik oder Empfehlung Dritter eine große Rolle. Aus diesem wissenschaftlichen background heraus ist es zulässig, dass ich mich im Laufe dieser Arbeit oft mit dem Klischee des „skilaufenden Österreichers“ beschäftige, ohne dabei den Beweis zu erbringen, dass tatsächlich jeder Österreicher Ski läuft.

Im Folgenden werden die Ereignisse in Österreich nach 1945 dahingehend betrachtet, sie in die vorangestellten Theorien einzuordnen. Dabei ist die politische Geschichte von größter Wichtigkeit, da der Sonderfall dieser „verspäteten“ Nationswerdung ansonsten nicht erklärbar wäre.

5. ÖSTERREICH NACH 1945.

Wie bereits eingangs zu diesem Kapitel erklärt, stellte es für die junge 2. Republik einen Glücksfall dar, schon während dem Kriegsverlauf von den Alliierten als „erstes Opfer“ nazideutscher Aggression dargestellt worden zu sein, was den Jahren nach 1945 ihre entscheidende Prägung gab. Auch wenn wir heute – wie bereits oben bemerkt – wissen, dass Österreich keineswegs erstes Opfer war, sondern reale Schuld auf sich geladen hat und an den Verbrechen des Nazi-Regimes prominent beteiligt war, so nahm die Öffentlichkeit diese „unschuldige Rolle“ dankbar an um auf dieser Lüge über zwei Jahrzehnte lang eine österreichische Identität neu zu erfinden.

An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass der Nationalsozialismus natürlich keineswegs nach Österreich importiert wurde; die zarten Anfänge der Bewegung reichen bis vor 1920 zurück; während sich der Aktionismus ab den späten 1920er Jahren bis 1938 – mit vereinzelten Höhepunkten – steigerte. Das Deutsche Reich speist erst nach der Machtergreifung Propaganda, Redner und Geld nach Österreich. Was die nationalsozialistische Bewegung letzten Endes im Laufe der 1930er Jahre in Österreich nach lager- und parteiinternen Hahnenkämpfen und Querelen konsolidierte, war eine organisatorische und personelle Straffung, welche zum

42 stetigen Aufstieg der NSDAP führte108. So erfolgte am 11. Juli 1931 die Vereinheitlichung und Unterstellung der einzelnen österreichischen Gauleitungen unter eine gemeinsame Organisationsstruktur des „Landes Österreichs“ als Teil der Gesamtorganisation der NSDAP des Reiches unter Alfred Proksch als Landesleiter und dem Reichsdeutschen Theodor Habicht als Landesgeschäftsführer und Verbindungsmann zu Hitler.109 Diese Vereinheitlichung, gekoppelt mit der Wiederherstellung einer einheitlichen Linie bei den oft widerspenstig agierenden Parteiorganisationen HJ, SA und SS ist für die kommenden Erfolge der Partei insofern als entscheidend einzustufen, als diese organisatorische Straffung die Basis dafür stellte, dass die NSDAP im Sog der sich pauperisierend auswirkenden Wirtschaftskrise und der damit einhergehenden Demokratie- und Parlamentarisierungskrise, im Glanz der deutschen Schwesterpartei stehend, zur attraktiven Alternative in der österreichischen Parteienlandschaft wurde. Sichtbar wird dies anhand einiger Wahlergebnisse. Bei den letzten Nationalratswahlen von 1930 konnte die NSDAP mit 111.627 Stimmen in ganz Österreich, was einen Anteil von lediglich 3%110 aller abgegebenen gültigen Stimmen ausmacht, noch kein einziges Mandat erringen. Bei den Landtagswahlen am 24. April 1932 in Salzburg jedoch gelangen mit 29 Prozent, in Niederösterreich mit 14 Prozent und Wien mit 17 Prozent sowie bei der Landtagswahl am 6. November 1932 in Vorarlberg mit 11 Prozent vergleichsweise erstaunliche Wahlerfolge. Insgesamt entfielen auf sie über 344.000 Stimmen oder 16 Prozent der Wählerschaft in denjenigen Bundesländern, in denen die Landtagswahlen stattfanden111. Gerhard Jagschitz rechnet aufgrund der bemerkenswerten Dynamisierung der Partei in den Jahren 1931/1932 anhand der letzten demokratischen Wahlen, den Gemeinderatswahlen in Niederösterreich und Tirol im März und April des Jahres 1933 umgerechnet auf ganz Österreich bei starken regionalen Schwankungen mit einem durchschnittlichen Stimmenanteil von 20 bis 25 Prozent112. Von der Gunst der Wähler angeheizt, verschärfte sich ab diesem Zeitraum nicht nur Propaganda und Parteiwerbung. Das latent vorhandene Gewaltpotenzial der Bewegung erfuhr einen dahingehenden Aufschwung, dass die

108 Jagschitz, Gerhard: „Die nationalsozialistische Partei.“ in: Tálos, u. a.: „Handbuch des politischen Systems Österreichs.“ Wien 1995. S. 235. 109 Dostal, Thomas: „„Das ‚braune Netzwerk’ in Linz. Die illegalen nationalsozialistischen Aktivitäten zwischen 1933 und 1938.“ in: Mayrhofer, u. a.: „Nationalsozialismus in Linz.“ Linz 2001. S. 24f. 110 „Ergebnisse der Nationalratswahlen 1919 bis 1930.“ Online unter: http://www.wahlen.cc/downloads/wahlen/A/NR/Nationalratswahl_Hauptergebnisse_1919-1930.pdf (Stand: 16.11.2010) 111 Botz, Gerhard: „Die österreichischen NSDAP-Mitglieder. Probleme einer quantitativen Analyse aufgrund der NSDAP- Zentralkartei im Berlin Document Center.“ in: Mann: „Die Nationalsozialisten.“ Stuttgart 1980. S. 108f. 112 Jagschitz: „Der Putsch.“ Graz-Wien-Köln 1994.

43 bisher nur punktuell auftretenden Gewaltausbrüche ab Juni 1933 zu einer organisierten Terrorwelle heranschwellte, die sich in Mordanschlägen, Böller-, Tränengas- und Sprengstoffattentaten vor allem in Wien und touristischen Gegenden artikulierte. Dieser gewalttätige Aktionismus, von Habicht gefördert und von Hitler still geduldet, sollte den politischen Gegner sowie die Regierung zermürben und einen Umsturz herbeiführen113.

Was bei der Schilderung der Etablierung der NSDAP in Österreich nicht fehlen darf, ist eine kurze Zusammenfassung der politischen Rahmenbedingungen der Ersten Republik, zumindest ab den späten 1920er Jahren. Entscheidenden Einfluss auf die Destabilisierung des jungen Staates, welche jene Radikalisierung zur Folge hatte, die im Februar 1934, letzten Endes auch im März 1938 kumulierte, waren die Jahre der Großen Depression, die alle Schichten und Klassen betraf und zu politischen sowie kulturellen Veränderungen führte. Die Krise traf 1929 die junge Volkswirtschaft mitten im Prozess der Umstrukturierung, welche nicht zuletzt deshalb vonnöten war und damit erklärt werden kann, dass innerhalb der Donaumonarchie Österreich im System der hochgradigen Arbeitsteilung der Monarchie vernetzt war und nach dem Zerfall 1918 Industrie und Gewerbe nur mehr knapp 15% ihres alten Absatzgebietes blieben. Was nun die Krise real bewirkte war ein Rückgang der industriellen Produktion um 40% bis 1933; wobei es am heftigsten die Eisenindustrie traf, deren Produktion auf 8% zurückgegangen war. Als Folge schnellte die Arbeitslosenquote von 9% in den Jahren 1927-29 auf 38% im Jahr 1933, von denen nur 40% Notstandshilfe bekamen. Betroffen war mit den Industriearbeitern die klassische Kernschicht der Arbeiterbewegung, was das Gewicht und Moral der organisierten Arbeiterschaft stark schwächte. „Zermürbt durch jahrelange Arbeitslosigkeit, perspektivlos und zunehmend resigniert“, um Wolfgang Maderthaner in einem entscheidenen Punkt zu zitieren, „erlahmte ihre Widerstandskraft gegenüber autoritären Experimenten der politischen Rechten.“114

Was folgte, war eine zunehmende politische Radikalisierung und der gewalttätige Grabenkampf zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen, welcher im

113 Dostal, Thomas: „„Das ‚braune Netzwerk’ in Linz. Die illegalen nationalsozialistischen Aktivitäten zwischen 1933 und 1938.“ in: Mayrhofer, u. a.: „Nationalsozialismus in Linz.“ Linz 2001. S. 29.

114 Maderthaner, Wolfgang: „12. Februar 1934: Sozialdemokratie und Bürgerkrieg.“ in: Steininger, u. a.: „Österreich im 20. Jahrhundert.“ Wien - Köln - Weimar 1997. S. 154.

44 Februar 1934 seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Mit dem schleichenden Staatsstreich nach der sog. „Selbstausschaltung“ des Nationalrats am 4. März 1933 begann in Österreich eine semidiktatorische Phase mit zunehmender partieller Faschisierung115. Im Windschatten des niedergeschlagenen partiellen Schutzbundaufstandes vom Februar 1934 und des fehlgeschlagenen nationalsozialistischen Putschversuches im Juli desselben Jahres konnte sich mit Hilfe der Rumpfsitzung des Nationalrates vom 30. April 1934 und der darauffolgenden „Maiverfassung“ jenes semifaschistisch-autoritäre Diktat Legitimation verschaffen116, welches als sog. „Ständestaat“ in die Geschichte der Ersten Republik eingehen sollte. Dass der österreichische „Bruderkampf“ zwischen Sozialdemokratie und der sich letztendlich selbst erschaffenden „Vaterländischen Front“ den nationalsozialistischen Aufstieg in Österreich beschleunigte gilt heute als ebenso erwiesen wie die brüchige innere Dichte des „Austrofaschismus“, der von Machtkämpfen zwischen Vaterländischer Front und Heimwehr ebenso geprägt war wie – was zumindest mit der Ernennung des Grazers Josef Dobetsbergers zum Sozialminister sichtbar wird – durch ideologische Inkonsequenz. Streitereien innerhalb der Bewegung, das Unvermögen eine Massenbewegung zu erschaffen und letzten Endes der unrühmliche „Phönix“ – Versicherungsskandal beschleunigten die Entwicklungen bis zum Juliabkommen 1936 ungemein. Das janusköpfige Abkommen mit Hitlerdeutschland vom 11. Juli 1936 stellte den Dolchstoß für die Eigenstaatlichkeit Österreichs dar. Kanzler Kurt Schuschnigg, schlecht beraten vom nationalsozialistischen „trojanischen Pferd“ in Österreich, Franz von Papen, ließ sich in den unveröffentlichten „gentlemen agreement“ nicht nur die Amnestie aller verurteilten Nationalsozialisten diktieren, sondern verpflichtete sich darüber, im berühmten Punkt IXb, mindestens zwei Vertreter der sog. „nationalen Opposition“ (NSDAP) in die Regierung aufzunehmen. Somit war der „Anschluss“ innenpolitisch vorbereitet; das Berchtesgadener Abkommen vom 12. Februar 1938 hat nur noch symbolhaften Wert. Erst im März 1938 beginnen die seit Jahren feindlich gesinnten österreichischen politischen Fronten einen kurzen lagerübergreifenden „Endkampf“ gegen die Nationalsozialisten. Der politische sowie militärische Druck Hitlerdeutschlands jedoch machte jeglichen Aktionismus zunichte. Die folgenden Geschehnisse sind bekannt. Schuschnigg nahm unter der massiven Androhung

115 Binder, Dieter Anton: „Der „christliche Ständestaat“ Österreich 1934 – 1938.“ in: Steininger, u. a.: „Österreich im 20. Jahrhundert.“ Wien - Köln - Weimar 1997. S. 209. 116 ebenda. S. 210.

45 einer militärischen Intervention den Nationalsozialisten Dr. Arthur Seyß-Inquart als Sicherheitsminister in sein Kabinett auf, was diesem die Exekutive unterstellte. Aus diesem Umstand heraus konnten die österreichischen Nationalsozialisten ungestört agieren. Als sich Bundeskanzler Schuschnigg am 9. März dazu veranlasst sah, für den 13. März eine Volksabstimmung über Anschluss oder Unabhängigkeit Österreichs anzukündigen, war bereits jeder Widerstand zwecklos. 2 Tage später wurde die widerrufen, als bereits deutsche Truppen an den österreichischen Grenzen standen. Hitler gab am 10. März den Marschbefehl zur Besetzung Österreichs und nahm Schuschnigg so ins Visier, dass dieser im Angesicht seiner Ohnmacht noch am 11. März 1938 zurücktrat, seine berühmte „Gott-Schütze-Österreich“-Ansprache hielt und vorläufig Platz für Seyß-Inquart freimachte, der den Auftrag zur Regierungsbildung von Bundespräsident Miklas. Die Abstimmung zum Anschluss an das Deutsche Reich wurde am 10. April 1938 unter demokratiefeindlichen Bedingungen nachgeholt, das Ergebnis von fast 100% ist deshalb irrelevant. Ein Teilergebnis sei vielleicht an dieser Stelle zu erwähnen: so verkündete das Amtsblatt der Landeshauptstadt Linz für die Stadt ein Ergebnis von 99,9988% positiven Stimmen, was das beste Ergebnis einer Großstadt in Österreich und dem „Altreich“ bedeutete117. Der Einzug der deutschen Truppen am 12. März 1938 erwies sich etappenweise als recht chaotisch, weil unzureichend geplant. Da das seit 1935 stark ausgebaute Bundesheer allerdings von Schuschnigg den Befehl erhielt, keinen Schuss abzugeben und der aufgesetzte „Jansa-Plan“ zu Verteidigung nicht zur Anwendung kam, erreichten die ersten Panzerspitzen unter General Guderian bereits zur Mittagsstunde die Stadt Linz. Dorthin verschlug es auch den Reichsführer der SS Heinrich Himmler, der Hitler in seiner „Jugendstadt“, gemeinsam mit Übergangskanzler Seyß-Inquart und seinem Vize Edmund Glaise von Horstenau, auf österreichischem Boden begrüßen wollte.118 Adolf Hitler, in seiner Funktion als „Führer“ des Deutschen Reiches, selbst zog unter Beifall um 16:00 desselben Tages durch seine Geburtsstadt Braunau um ostwärts in Richtung Landeshauptstadt zu ziehen. Dort trifft er um 19:00119 ein, wo ihm rund 60.000 Menschen zujubeln. Der Grund für diese Euphorie ist mehrdimensional. Darauf weist u.a. Fritz Mayerhofer hin: „Den triumphalen Einzug Adolf Hitlers […] können wir retrospektiv als eine Mischung aus Massenhysterie, aus Hoffnung auf die

117 Mayrhofer, Fritz: „Die ‚Patenstadt des Führers’. Träume und Realität.“ in: Mayrhofer, u. a.: „Nationalsozialismus in Linz.“ Linz 2002. S. 336. 118 Mayrhofer, u. a.: „Geschichte der Stadt Linz.“ Linz 1990. S.304. 119 Lehr: „Landeschronik Oberösterreich.“ Berlin-Damstadt-Wien 1987. S.346.

46 Verbesserung des Lebensstandards und aus genuiner Sympathie mit den Zielen des Nationalsozialismus sehen.120“ Evan Burr Bukey kennt vier Gründe für die Euphorie der Österreicher, vor allem der Linzer, während des „Anschlusses“: 1. war der Enthusiasmus der Bevölkerung genuin und spontan, weil es für die NS-Propagandamaschinerie zu wenig Zeit gegeben hätte, den „Anschluss“ in Linz zu inszenieren. 2. war die Bevölkerung erleichtert, dass kein Blut vergossen wurde und im Angesicht der deutschen militärischen Überlegenheit sah man einem Ende der Schmach von 1918 entgegen. 3. hoffte beinahe Jedermann auf eine drastische Verbesserung der Lebensumstände; die Wirtschaftserfolge der Nazis konnten bereits in Bayern bewundert werden. 4. gab es, obwohl im Großraum Linz nur weniger als 1.000 Juden lebten, eine Anzahl von Menschen, die besonders den Antisemitismus begrüßten.121 Um 20:00 sprach Hitler vom Balkon des 1. Stockes des Rathauses am Linzer Hauptplatz. Dabei formulierte er eine berühmte Aussage: „Wenn die Vorsehung mich einst aus dieser Stadt heraus zur Führung des Reiches berief, dann muss sie mir damit einen Auftrag erteilt haben, und es kann nur ein Auftrag gewesen sein, meine teuere Heimat dem Deutschen Reich wiederzugeben.“122 Die nationalsozialistische Propaganda schreibt nicht weniger pathetisch über Hitlers Auftritt in Linz: „Das Auto des Führers hatte sich mühevoll auf den von begeisterten Menschen übervollen Straßen durch Oberösterreich bis nach Linz, der Stadt seiner [Anm.: Hitlers] Jugend, durchgekämpft. Stundenlang harrte dort die Menschenmenge an dem kühlen Abend aus. Endlich kam der Führer und stand oben auf dem Balkon des alten Rathauses am Hauptplatz im Scheinwerferlicht, und in seinem zuckenden Gesicht spiegelte sich die namenlose Ergriffenheit des Menschen, der einst als arme Waise von dieser Stadt ausgezogen war und nun als Befreier eines ganzen Volkes hierher zurückkam.“123 Einige Autoren verweisen darauf, dass Hitler, ergriffen vom enthusiastischen Empfang, den ihm am ersten Tage seiner „Heimkehr“, von den

120 vgl. Mayrhofer, u. a.: „Geschichte der Stadt Linz.“ Linz 1990. S. 304. 121 Bukey, Evan Burr: „Meldungen aus Linz und dem Gau Oberdonau 1938-1945. Eine Analyse der politischen und gesellschaftlichen Situation im Reichsgau Oberdonau auf Grund geheimer und vertraulicher Berichte von Gestapo, Sicherheitsdienst der SS, staatlicher Verwaltung (Gendarmerie) und Gerichtsbarkeit.“ in: Mayrhofer, u. a.: „Nationalsozialismus in Linz.“ Linz 2002. S. 603. 122 Hoffmann: „Wie die Ostmark ihre Befreiung erlebte.“ Berlin 1940. S.1. 123 ebenda. S.78.

47 OberösterreicherInnen, vor allem aber von den LinzerInnen gemacht wurde, sich erst entschloss, keine Satellitenregierung unter Seyß-Inquart im Amt zu belassen, sondern Österreich direkt dem Deutschen Reich zu unterstellen124. Das wirtschaftliche Kalkül Hermann Görings, der die österreichischen Wirtschaftsressourcen schon seit 1936 in die deutsche Wirtschaftsplanung mit einzurechnen pflegte125, scheint allerdings die plausiblere Erklärung für das Handeln Hitlers zu sein. Am 13. März 1938 jedenfalls, um zu den Fakten zurückzukommen, wurde das Reichsgesetz zur „Wiedervereinigung“ Österreichs mit dem Deutschen Reich unterzeichnet, nachdem einen Tag zuvor das Anschlussverbot von St.Germain annulliert wurde. Am 18. März kommentierte Hitler in seiner Reichstagsrede „Ein Volk. Ein Reich. Deutschland! Sieg heil!“ die Ereignisse der Märztage wie folgt: „Welch stolzere Befriedigung kann es auf dieser Welt für einen Mann geben, als die Menschen der eigenen Heimat in die größere Volksgemeinschaft geführt zu haben!“126

Auf die Jahre 1938 bis 1945 in diesem Rahmen genauer einzugehen macht wenig Sinn, da die Fakten bekannt sind. Österreich wurde zum Schauplatz der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts, eines des retrospektiv größten Verbrechens an der Menschheit. Gräueltaten, die sofort nach dem „Anschluss“ Österreichs einsetzten, waren dabei kein Werk deutscher Invasoren; vielmehr waren die Täter „österreichische Nazis und biedere österreichische Bürger.127“ Weit weg von der Schande Mauthausen jedoch darf nicht darauf vergessen werden, dass fernab des (wie oben beschriebenen) Jubels, es in Österreich auch eine Kehrseite der großdeutschen Medaille gab. In den ersten Tagen bereits wurden Zehntausende ÖsterreicherInnen verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau gebracht; die friedliche Übernahme des Verwaltungsapparates vom „alten“, „austrofaschistischen“ Regime machte alle potentiellen linken Gegner des „Ständestaates“ ebenso sichtbar wie die austrofaschistischen Führer, sodass beinahe jeder Funken des Widerstandes im Keim erstickt werden konnte. Karl Vocelka spricht von 2700 zum Tode verurteilten österreichischen Widerstandskämpfern; 16.000 nicht jüdischen Österreichern, die in

124 Den Umstand, dass Adolf Hitler wegen des Enthusiastischen Empfanges diese Entscheidung traf, findet man u.a. bei Cornelia Daurer und bei Alan Bullock. Bullock, Alan: „Hitler. Biographie 1889-1945.“ (=“Hitler. A Study in Tyranny.“) Dt.Übersetzung. Augsburg 2001. S.415. Daurer, Cornelia: „NS-Diktatur 1938-1945.“ in: Schuster, u. a.: „Linz Bilder Bd. 2.“ Linz 2006. S.78. 125 Binder, Dieter Anton: „Der „christliche Ständestaat“ Österreich 1934 – 1938.“ in: Steininger, u. a.: „Österreich im 20. Jahrhundert.“ Wien - Köln - Weimar 1997. S. 221f. 126 nach Klöss: „Reden des Führers.“ Nördlingen 1967. S. 185. 127 Vocelka: „Geschichte Österreichs.“ Graz-Wien-Köln 20000. S. 297.

48 Konzentrationslagern, 10.000 in Gestapogefängnissen und 6000 in Gefängnissen ums Leben kamen128.

Auch am aggressiven Krieg des nationalsozialistischen „Großdeutschen Reiches“ ab 1939 waren Österreicher aktiv beteiligt und kämpften, ob innerhalb der Wehrmacht oder der Waffen-SS, an allen Fronten. Volcelka’s Zahlen sind hier ca. 247.000 Gefallene (oder für tot erklärte), 114.000 schwer kriegsgeschädigte, 500.000 Kriegsgefangene, 24.000 Zivilopfer bei Luftangriffen129. Daneben zeigt sich ein eklatant hoher Anteil an österreichischen Offizieren und Generälen der Wehrmacht. Die vielen hochrangigen Österreicher innerhalb der SS und Polizei sind als Beteiligte und Teilverantwortliche an der Shoa zu nennen.

Wolfgang Neugebauer sagte 1978 bei seiner Rede in Innsbruck vor der Arbeitsgemeinschaft vaterlandstreuer Verbände Tirols: „Zwischen fanatischen Kollaborateuren und entschlossenen Gegnern, zwischen Nazis und Antifaschisten, stand – um ein Modewort zu gebrauchen – eine schweigende Mehrheit der Österreicher, deren Bewusstsein in diesen sieben ereignisreichen Jahren einen grundlegenden Wandel durchmachte.130“ Er reflektiert damit den Umstand, dass durch Terror und Verbrechen des Naziregimes, vor allem aber durch vom Krieg bedingte Leid der Bevölkerung, die Jubelstimmung vom März 1938 mit fortschreitender Dauer letzten Ende eine Abneigung wurde. Seiner Meinung nach hatte gerade die Verwirklichung des „Anschlusses“ der in der Ersten Republik noch universell und parteiübergreifend existierenden Idee eines vereinten deutschen Staates „ein Grab geschaufelt“131.

Somit erscheint es fast so, dass im Mai 1945 der März 1938 schon lange vergessen war; der Nationalsozialismus wahrscheinlich tatsächlich mit ganz anderen Dingen assoziiert wurde als sieben Jahre zuvor. Dass eine späte Einsicht nicht vor Schuld, zumindest vor Selbstreflexion nicht schützt, war allerdings keiner der Gedanken nach 1945. Alles dahingehend politisch entscheidende ist ein Produkt der Jahre 1945-50. Diese Zeit nennen Gerhard Botz und Albert Müller „unmittelbare Nachkriegsperiode“

128 Vocelka: „Geschichte Österreichs.“ Graz-Wien-Köln 20000. S. 298. 129 ebenda. S. 302. 130 Neugebauer, Wolfgang: „Der Widerstand 1938 bis 1945. Seine Leistungen und Grenzen.“ in: Kaiser: „Täter-Mitläufer- Opfer.“ Thaur/Tirol 1993. S. 22. 131 ebenda.

49 und beschränken diese mit den Jahren 1945 bis 1947/49132. Auch Ernst Hanisch beginnt seine „langen 50er Jahre“ bereits 1947/49 um die Zeit der Stabilisierung und Konsolidierung Österreichs zu beschreiben133. Was diese Zeit davor ist, kann als „Übergangszeit“ bezeichnet werden, während welcher die für die folgenden Entwicklungen so wichtige Entnazifizierung teils fahrlässig betrieben wurde.

Die drei Phasen dieser Entnazifizierung nach Dieter Stiefel134 sehen die 1. Phase vom April 1945 bis Jänner 1946; welche durch die Zerschlagung der nationalsozialistischen Systeme gekennzeichnet sei. Nach Verhaftungen und Internierungen durch die Militärbehörde kam es zu Entnazifizierungsmaßnahmen der jeweiligen Besatzungsmacht. Darüber hinaus setzte die (noch) wenig einflussreiche österreichische Regierung das Verbots- und Kriegsverbrechergesetz in Kraft. Die 2. Phase, vom Februar 1946 bis Anfang 1948 dauernd, ist durch die Verlagerung der Kompetenzen in Sachen Entnazifizierung zu Gunsten der österreichischen Regierung gekennzeichnet. Die zwei beschlossenen Gesetze konnten von nun an auf dem gesamten Bundesgebiet angewendet werden. Im Jahr 1947 beginnt die Klassifizierung der Ehemaligen in „belastete“ und „minderbelastete“, mit dem Ergebnis, dass von den 537.000 registrierten ehemaligen Nationalsozialisten nur noch 42.000 „belastet“ waren. Damit einhergehend kamen Sühnemaßnahmen, die vom Ausschluss von politischen Rechten bis hin zu Vermögensstrafen reichten. Die 3. Phase beginnt im Jahr 1948 und reicht bis 1958 und kann als „Zeit der Amnestien“ betrachtet werden; wobei der allgemeine Drang der Regierung auf Teilamnestien immer wieder von sowjetischer Seite verhindert wurde. 1948 allerdings kommt es zu einer Teilamnestie der „minderbelasteten“ Österreicher, was eine Begnadigung von 90% aller Registrierten bedeutete. Der harte Kern der „Belasteten“ musste im Regelfall bis in die zweite Hälfte der 1950er Jahre warten, als entweder Strafen ausliefen oder folgende Amnestien griffen. Dass es sich bei diesem System um politisches Kalkül der österreichischen Großparteien handelte, ist dabei offensichtlich. Weder SPÖ noch ÖVP wollte es riskieren, potentielle Wähler an den Gegner zu verlieren. In diesem Kontext entstand das Bild des „kleinen Mannes“ der „doch nur Mitläufer war“135 und den jede der

132 Botz, Gerhard und Müller, Albert: „Differenz/Identität in Österreich. Zur Gesellschafts-, Politik- und Kulturgeschichte vor und nach 1945.“ in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG), Jg. 6, Heft 1 (1995). S. 25. 133 Hanisch: „Der lange Schatten des Staates.“ Wien 1994. S. 426f. 134 Das Standardwerk ist Stiefel, Dieter: „Entnazifizierung in Österreich.“ Wien 1981. 135 siehe Stiefel: „Entnazifizierung in Österreich.“ Wien 1981. S. 57.

50 beiden Parteien auf ihrer Seite haben wollte. Letzten Endes waren doch die Nationalsozialisten zum Großteil vor 1938 (1934) noch Anhänger der einen oder anderen Bewegung gewesen, bis sie an die NSDAP verloren gingen. Doch nicht nur im politischen Kalkül der Parteien, sondern in der „typischen Biographie“ des stereotypen Österreichers kann man auf gewisse Kontinuitäten trotz historischen Bruchlinien pointiert reduzieren. So erwähnt z.B. Robert Menasse in seinem „Land ohne Eigenschaften“ die Karriere von Michael Powolny, der in der Monarchie u.a. Kaffeetassen mit Kaiserkrone, das Fries der Kaisertribüne des Wiener Trabrennplatzes; im Ständestaat den Sarkophag Dollfuß’; für die Nazis die Fassade des Hauses der Wehrmacht und den Adler mit dem Hakenkreuz; und in der Zweiten Republik vor allem die Gedenkmedaille „Niemals vergessen!“ entwarf. Die Lehre aus dieser und ähnlichen Geschichten zieht Menasse in den Folgerungen: „Besser vergessen-Wiederholen-Dem Ausland erklären“136.

Neben strategischer Parteipolitik und mangelndem Willen der Verantwortlichen scheiterte die Entnazifizierung in Österreich allerdings auch an der praktischen Undurchführbarkeit. Der gemeinsame Wiederaufbau, oftmals als „österreichisches Wunder“ propagiert, wirkte darüber Identitätsstiftend137. Die Verwaltung war naturgemäß mit anderen elementaren Problemen wie Lebensmittel- und Energieversorgung, Wiederaufbau der zerstörten Städte bzw. Aufbau demokratischer Strukturen ausgelastet, was eine intensive Beschäftigung mit der Entnazifizierung oftmals unmöglich machte.138 Hinzu kam das Drängen und Hoffen auf den Staatsvertrag, für den die Opferrolle Österreichs entscheidend war. Eine rigorose Entnazifizierung hätte den Anschein vermitteln können, dass in Österreich doch mehr Menschen mit dem Nationalsozialismus paktiert hatten als ein „unschuldiger“ Staat ertragen hätte können. Zudem sorgte man sich nach Fritz Mayerhofer und Walter Schuster um die Akzeptanz der jungen Demokratie in der Bevölkerung, wenn großen Teilen grundlegende Rechte wie Wahlrecht und freie Berufswahl vorenthalten werden würden139, was dazu führte, dass im April 1948 alle „minderbelasteten" Nationalsozialisten, die einfachen Parteimitglieder also, von den „Sühnefolgen" und im Juli 1949 von der Registrierungspflicht befreit wurden, was diese in der Folge an den Wahlen im Jahr 1949 partizipieren ließ. Zur Amnestie „belasteter“, also höherer

136 Menasse: „Das Land ohne Eigenschaften.“ Wien 1992. S. 64. 137 u.a. bei den Ausführungen von Hertha Firnberg in: Bock, u. a.: „Österreich zuliebe.“ Wien-Hamburg 1985. S. 85 138Stiefel: „Entnazifizierung in Österreich.“ Wien 1981. S. 132ff. 139 Mayrhofer, u. a.: „Bilder des Nationalsozialismus in Linz.“ S. 165.

51 NS-Funktionäre, kam es in den späten 1950er Jahren. Was in meinen Ausführungen als österreichische Eigenheit und als eine Art von ungerechtfertigtem „Händewaschens in Unschuld“ präsentiert wird, muss korrekterweise im internationalen Kontext gesehen werden. Hier erschließen sich die Amnestien von 1948 als keine österreichischen, sondern europäische Kennzeichen. Ein neues Gespenst hatte sich nämlich mittlerweile in den Köpfen festgesetzt: der Kalte Krieg war es nun, der mit all seiner uneingeschränkten Pragmatik entscheidenden Einfluss auf die Entnazifizierung hatte. Die politische Basis der Zweiten Republik war nämlich im neuen historischen Kontext nicht mehr der Anti-Nationalsozialismus bzw. der Anti- Faschismus, sondern hatte sich hin zum westlichen Antikommunismus verlagert140. Auch Otto Klambauer sieht die Schuld an der Verdrängung der Mittäterschaftsfrage im Kalten Krieg, der Österreich mit der Rolle als Vermittler zwischen Ost und West betraute141; aus diesem historischen Kontext heraus ist die intensive Beschäftigung mit dem wahrscheinlich dunkelsten Kapitel der österreichischen Geschichte erst nach der Waldheim-Affäre in den späten 1980er Jahren möglich142, während sich das offizielle Österreich erst 1995 durch Bundeskanzler Franz Vranitzky schuldig bekannte.

6. ÖSTERREICHISCHE IDENTITÄT NACH 1945.

Für die Einschätzung der Stimmung kurz nach Kriegsende in Österreich ist die Lektüre des 16. österreichischen Monatsheftes aus dem Jahr 1946 als Beispiel sehr wertvoll. Chefredakteur Alfred Missong - als katholischer Publizist bereits in der Ersten Republik tätig und nach Kriegsende als Mitbegründer der ÖVP in Vorschein getreten143 - schreibt dort: „In den ersten Wochen und Monaten nach der Befreiung unseres Vaterlandes vom deutschen Joch erlebten wir eine Welle der vaterländischen Begeisterung, wie sie wohl kaum zuvor in der wechselvollen Geschichte Österreichs verzeichnet werden konnte. Aus dem leidenschaftlichen Protest gegen den deutschen Unterdrücker, der nun elementar hervorbrechen konnte, erwuchs ein reines, klares und starkes Österreichbekenntnis, an dem alle

140 Stiefel, Dieter: „Forschungen zur Entnazifizierung in Österreich. Leistungen, Defizite, Perspektiven.“ in: Schuster, u. a.: „Entnazifizierung im regionalen Vergleich.“Linz 2004. S. 56. 141 Klambauer, Otto: „Der Kalte Krieg und seine Folgen. Notizen und Gedanken.“ in: Reiter, u. a.: „Kalter Krieg.“ Wien 2002. S. 15f. 142 Weiss: „Nation und Toleranz?“ Wien 2004. S. 25 143 „Missong, Alfred.“ siehe Online unter http://geschichte.landesmuseum.net/index.asp?contenturl=http://geschichte.landesmuseum.net/personen/personendetai l.asp___id=2145905208. (Stand: 22.11.2010)

52 Bevölkerungsgruppen ohne Rücksicht auf ihre parteipolitische Orientierung teilnahmen.“144 Die Entscheidende Frage, die sich die „Nation“ nun zu stellen habe wäre: „Wollen wir Österreicher endlich unseren Patriotismus reinlinig zu Ende denken und zielklar und unbeirrt den Weg der Nationswerdung gehen?“145 Was nach diesen einleitenden pathetisch-patriotischen Worten folgt, ist durch die Betonung einer klaren Abgrenzung zu Deutschland geprägt. So heißt es etwa zur „österreichischen Sprache“: „Gewiss ist es richtig, dass die Österreicher die bayerische Mundart der deutschen Sprache annahmen, aber sie haben im Laufe der Jahrhunderte diese Sprache mundartlich nicht unbeträchtlich umgebildet und so erst ihrem Wesen angepasst. Eine innere – etwa blutsmäßig bestimmte – Notwendigkeit, gerade die deutsche Sprache als volkstümliches Verständigungsmittel zu wählen, bestand keineswegs; denn seiner Blutzusammensetzung nach war damals das österreichische Volk eine sehr bunte Mischung aus illyrischen und keltischen, römischen, slawischen, magyarischen und germanischen Elementen. [...] Der österreichische Dialekt der deutschen Schriftsprache, der sich dann herausbildete, wich vom bayrischen stark ab und hat sich diese Besonderheit bis heute bewahrt.“146 Spannend werden die Ausführungen Missongs besonders, wenn es um die Charakterisierung des „Österreichers“ geht; wenn er etwa versucht, „deutsche“ und „österreichische“ Kultur zu definieren: „An dem Bestande einer österreichischen Nationalkultur, die ungleich viel mehr als ein Abklatsch der deutschen Kultur ist, sollte vernünftigerweise nicht gezweifelt werden. Ihre Inhalte sind: die österreichische Literatur, die namentlich auf ihren Höhepunkten keine Vermengung mit der deutschen Literatur erlaubt; die österreichische Kunst, die sowohl im Barock wie in der Romantik etwas vollständig Eigenwüchsiges, von der deutschen Kunst scharf Unterschiedenes darstellt; die österreichische Musik, die stets eigene, die Bahnen der deutschen Musik nur gelegentlich berührende oder kreuzende Wege der Entwicklung ging; und endlich auch die österreichische Wissenschaft, die selbst dort, wo sie sich - wie etwa in Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaft – gerne ins Schlepptau der Deutschen nehmen ließ, doch immer wieder Besonderheiten aufweist, die mit „stämmischer Nuancierung" allein nicht erklärt werden können. [...] Auch Volkssitten, Lebensstil, Empfindungsweise, Denkform und äußeres Verhalten stellen wesentliche Bausteine einer nationalen Kultur dar. Wie tief da die

144 Missong: „Die Österreichische Nation.“ Wien 1946. S.1. 145 ebenda. S.2. 146 ebenda. S. 5.

53 Unterschiede zwischen Österreichern und Deutschem gehen, hat uns die aufgezwungene Lebensgemeinschaft mit den „deutschen Brüdern" in den letzten Jahren drastisch genug ad oculos demonstriert. Allein schon die pazifistische Geistesart des Österreichers würde ausreichen, in ihm den Vertreter einer den Deutschen fremden, ja gegensätzlichen, Nation zu erkennen.“147 Was den „österreichischen Nationalcharakter“ betrifft, liest man: „Uns Österreicher ziert Bescheidenheit, dem Deutschen eignet Hochmut und Selbstüberhebung. Wir arbeiten, um zu leben; der Deutsche lebt, um zu arbeiten. Wir reagieren auf die Widrigkeit des Lebens und unserer näheren Umwelt mit Gelassenheit, allenfalls noch mit Schimpfen und Raunzen, das nicht gar so ernst gemeint ist; der Deutsche schlägt mit der Faust auf den Tisch und trampelt wie der Elefant im Porzellanladen alles nieder, was ihm nicht passt oder unverständlich ist. Wir wissen es immer und überall, dass Österreich nicht die Welt ist, sondern dass wir nur ein freilich für das Gesamtbild wesentliches und unersetzbares Mosaiksteinchen sind; der Deutsche sieht im Andersnationalen nicht seine notwendige Ergänzung, sein heilsames Gegengewicht, sondern den Feind, den der Gegenspieler Wodans in die Welt gesetzt hat, damit das „deutsche Wesen" an ihm Ärgernis nehme und ihm je früher, desto besser, den Garaus mache. Die satirische Deutung des deutschen Volkscharakters: ein Deutscher - ein Gelehrter, zwei Deutsche - ein Verein, drei Deutsche - ein Krieg, birgt eine bitterernste Wahrheit, die Wahrheit nämlich, dass das deutsche Volk durch und durch ein Kriegervolk ist [...]. Wer aber könnte dem Österreicher [...] nachsagen, dass er kriegerisch denkt und auf Krieg sinnt?“148 Besondere Résistance gegen diesen auf Antipathie basierenden Ansatz findet sich v.a. im „dritten Lager“. So schöpft etwa Günther Berka 1961, in „deutscher Fraktur“ publiziert, aus dem Vollen, wenn er über eine „neue Rassenlehre“ der österreichischen Nationalisten schreibt; sowohl das Vorhandensein eines „österreichischen Volkes“ („Stehen sich nicht Salzburger und Münchner stammesmäßig viel näher als ein Wiener und ein Vorlarlberger?“149) als auch der „österreichischen Sprache“ (wobei man „[...] den Weg in die Lächerlichkeit nicht zurückscheut. [...]“150), Kultur, etc. bestreitet. Auf gleicher Schiene publiziert 1967 Helfried Pfeiler, ebenfalls in der Reihe der „Eckhart-Schriften“: „Man kann die Eigenstaatlichkeit Österreichs bejahen, ohne den deutschen Charakter dieses

147 Missong: „Die Österreichische Nation.“ Wien 1946. S. 6f. 148 Missong: „Die Österreichische Nation.“ Wien 1946. S. 8. 149 Berka: „Gibt es eine österreichische Nation?“ Wien 1961. S. 16. 150 ebenda. S. 17.

54 Landes zu verleugnen.“ Für ihn ist es eine Erscheinung der Zeit, dass es keine „reinrassigen Völker“ (sic!) mehr gäbe und die Mischung des Blutes bei verschiedenen deutschen Völkern eben unterschiedlich sei; so sei das Mischungsverhältnis bei ÖsterreicherInnen mehr bairisch geprägt151.

Der Grund, warum ich der patriotischen Propaganda Alfred Missongs hier so viel Platz einräume, ist der Verweis auf die entscheidendste Komponente des österreichischen Nationalkonstrukts nach 1945: die Abgrenzung zu Deutschland. Diese Erscheinung nennt Helmut Konrad „Identität durch Negation“152. Sein Vergleich zwischen Österreich und Kanada macht deshalb Sinn, weil sich beide Staaten einem starken Nachbarn gegenübersehen, dessen Einfluss schon alleine mangels sprachlicher Barrieren unübersehbar ist, dem es sich aber im Rahmen der Nationsdiskussion zu „erwehren“ gilt. Diese Emanzipation ist der Konsens der Zweiten Republik. Bei der Konstituierung von „Deutsch-Österreich“ am 12. November 1918 nämlich lautete Artikel 2: „Deutsch-Österreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.“153 Karl Renner, der den Gesetzestext vorgelegt hatte, sprach darüber hinaus vor der Nationalversammlung: „Wir [Deutschland und Deutsch-Österreich] sind ein Stamm und eine Schicksalsgemeinschaft. Der Artikel 2 ist ein Bekenntnis.“ Gerade an der Person Renners lässt sich die sprunghafte Entwicklung Österreichs nachzeichnen. Als erster Kanzler der jungen Republik Deutsch-Österreich ist er klar – wie das Zitat oben zeigt – für den Anschluss Österreichs an die Deutsche Republik. Sein sich den Westmächten anbiederndes Verhalten als Bevollmächtigter Österreichs in Saint-Germain ist als politisches Kalkül zu bewerten. Seine Überlegungen jedenfalls, Österreich zu einer „zweiten Schweiz“ oder zu einem „Mitläufer“ des Westens zu machen, verliefen sich nach seinem Rücktritt aus den Regierungsgeschäften im Jahr 1920 und seine großdeutsche Gesinnung trat wieder stärker hervor154. Letzten Endes war es auch Renner, der für ein „Ja“ im April 1938 eintrat; bei seinem berühmten Interview im „Neuen Wiener Tagblatt“ sagte er u.a.: „Obschon nicht mit jenen Methoden, zu denen ich mich bekenne, errungen, ist der Anschluss nunmehr doch vollzogen, ist geschichtliche Tatsache, und dies betrachte ich mit Genugtuung für die Demütigung von 1918 und 1919, Saint-Germain und

151 Pfeiler: „Werden und Wesen der Republik Österreich.“ Wien 1967. S. 81. 152 Konrad, Helmut: „Identität durch Negation. Kanada und Österreich im Vergleich.“ in: Musner, u. a.: „Gestörte Identitäten?“ Innsbruck 2002. S. 35-43. 153 Staatsgesetzblatt Nr. 5. nach: Kreissler: „Der Österreicher und seine Nation.“ Wien-Köln-Graz 1984. S. 375. 154 ebenda. S. 376.

55 Versailles.“155 Daneben trat Renner für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich ein und begrüßte auch die Annexion der sudetendeutschen Gebiete im Herbst 1938 in der Schrift "Die Gründung der Republik Deutschösterreich, der Anschluss und die Sudetendeutschen"156. Nach 1945 dann zeichnet Renner ebenso, ähnlich wie der christlichsoziale Alfred Missong, das Bild vom geläuterten, von der Geschichte belehrten Österreichers, wenn er schreibt: „Nachdem jedoch Hitlers Methoden der Unterdrückung und seine Endabsichten, insbesondere seine kriegerischen Pläne erkennbar geworden, habe sich die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung von dem Gedanken des Anschlusses hassvoll abgewendet, sie wünsche heute nichts sehnlicher als die Wiederherstellung der unabhängigen Republik Österreich.“157 Aber auch nach 1945 findet man bei – dem nunmehr als Staatspräsident agierenden – Renner eine ambivalente Haltung zum „Deutschtum“ des Österreichers. Zwar bezeichnet er 1948 die Österreicher als die „Deutschen der Alpenländer“; doch ethnisch seien die ÖsterreicherInnen keine Deutschen, sondern ein Konglomerat aus vielen Stämmen, insbesondere der Baiern, Franken, Schwaben, Hessen und Sachsen158. Dass bei Renners Ausführungen der Geschichte der ÖsterreicherInnen 1918-1945 nicht zuletzt das Bild von Opportunisten entsteht, wird gern in Kauf genommen. So war der Anschluss an Deutschland nach 1918 eine parteiübergreifende, fundamentale Forderung um trotz der Erscheinungsform als Rumpfgebilde der zerfallenen Donaumonarchie einer größeren Deutschen Gemeinschaft angehören zu können; solange die Verblendung durch die NSDAP- Propaganda wirkte, waren die ÖsterreicherInnen massenhaft dazu bereit „ihrem Führer“ ekstatisch zuzujubeln. Von der kriegsbedingten wirtschaftlichen Not anfänglich noch mehr geschockt als vom Genozid; daneben die zivilen Bombenopfer und die gefallenen Söhne beklagend allerdings beginnt die Abwendung; Renner erkennt sogar den Hass seiner Landsleute gegen das Naziregime. Diese neue, ambivalente Haltung gegenüber den „großen Bruder Deutschland“ bestimmte in meinem Beobachtungszeitraum genauso die Identität Österreichs wie heute. Fritz Fellner sieht den Deutschenhass, wie er gerade von den Konservativen propagiert

155 Interview Dr. Karl Renner im „Neuen Wiener Tagblatt“ am 3.4.1938. nach: Kreissler: „Der Österreicher und seine Nation.“ Wien-Köln-Graz 1984. S. 377. 156 „Dr. Karl Renner.“ Wiener Zeitung Online. Online unter http://www.wienerzeitung.at/linkmap/personen/renner.htm (Stand: 23.11.2010.) 157 Renner, Karl: „Denkschrift über die Geschichte der Unabhängigkeitserklärung Österreichs und die Einsetzung der provisorischen Regierung der Republik.“ Wien 1945. S.5. 158 nach: Suppanz: „Österreichische Geschichtsbilder.“ Köln-Weimar-Wien 1998. S.24.

56 wurde, als aus den Erfahrungen erklärbar, jedoch bedenklich, denn letzten Endes sei es eine Kontinuität der „Mentalität des Hasses“159.

Ich widme mich im Folgenden kurz der klassischen Herangehensweise an die Thematik des österreichischen Nationalbewusstseins. Ernst Bruckmüller160 zitiert in seiner Einleitung die Beobachtungen fünf verschiedener Autoren: William T. Bluhm161, Peter J. Katzenstein162, Friedrich Heer163, Georg Wagner164 und Felix Kreissler165. Was diese Werke letzten Endes vor allem verbindet ist die Definition Österreichs entlang der Negation zu Österreich. Beispiele für diese Negativ-Identität finden sich in beinahe allen Publikationen zum Thema; um Albert F. Reiterer zu zitieren: „Der Österreicher ist also zuerst und vor allem einmal als Nichtdeutscher zu definieren; erst danach können positive Bestimmungen ausgesprochen werden.“166

Bluhm, der sich als „Modernisierungstheoretiker" versteht, und die Probleme der gegenwärtigen Entwicklungsländer und ihre Schwierigkeiten auf dem Wege in eine „bessere Zukunft“ erklären und damit zur Problemlösung beitragen möchten, sieht für Österreich das Problem nach 1918 dass – wie bei den meisten Entwicklungsländern - sowohl die äußeren Grenzen sowie die politischen Institutionen mehr oder weniger fremdbestimmt waren und so nur begrenzt dazu beitragen konnten, eine neue Identität für den jungen Staat zu schaffen. Er verweist dabei auf die Haltungen der wichtigsten Parteien der Ersten Republik, die um ein neues Österreichbewusstsein ringenden Literaten wie Wildgans, Schmilz oder von Hofmannsthal, sowie auf die Bemühungen des Ständestaats um ein eigenständiges Profil; daneben natürlich auch auf die Märztage des Jahres 1938. Diesen „politics of disintegration" stellt er die „politics of integration" gegenüber, die ihre Wurzeln in der Erfahrung 1938-1945 und danach im gemeinsamen Bemühen um den Staatsvertrag hatten. Von entscheidender Wichtigkeit ist dabei für ihn der Wechsel der Führungsgruppen bei den Parteien von 1945, in denen an die Stelle der austromarxistischen bzw. austrokorporativen Ideologen eher pragmatische, ältere und deshalb erfahrene

159 Fellner, Fritz: „Das Problem der österreichischen Nation nach 1945.“ in: Botz, u. a.: „Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte.“ Frankfurt-New York 1994. S. 222. 160 Bruckmüller: „Nation Österreich.“ Wien-Köln-Graz 1984. 161 Bluhm: „Building an Austrian Nation.“ New Haven-London 1973. 162 Katzenstein: „Disjoined Partners.“ Berkeley-Los Angeles-London 1976. 163 Heer: „Der Kampf um die österreichische Identität.“ Wien-Köln-Weimar 1981. 164 Wagner: „Österreich. Von der Staatsidee zum Nationalbewusstsein.“ Wien 1982. 165 Kreissler: „Der Österreicher und seine Nation.“ Wien-Köln-Graz 1984. 166 Reiterer: „Die unvermeidbare Nation.“ Frankfurt am Main-New York 1988. S. 217.

57 Politiker-Typen wie Renner oder Schärf; daneben von den jüngeren solche getreten waren, welche die Demokratie als politisch Verfolgte entweder im KZ oder in der Emigration gelernt hatten (Czernetz, Pollak, Figl, Hurdes). Gerade der jungen ÖVP konstatiert Bluhm ein besonderes Bemühen um die „österreichische Nation", während bei der SPÖ der Verweis auf die sozialistische Gesellschaft vordergründig wäre. Die Bemühungen der ÖVP allerdings, um eine eigene politische und kulturelle nationale österreichische Identität trat seit 1949 immer stärker zurück um mit dem Konzept der „deutschen Kulturnation" Anhängern aus dem Lager der ehemaligen Nationalsozialisten, welche seit 1949 zu Wahlen wieder zugelassen wurden, zu ködern. Bei seinen Untersuchungen in der 2. Hälfte der 1960er Jahre sieht Bluhm für den kleinen Kreis der Spitzenpolitiker eine positive, aber pragmatische Haltung zur österreichischen Nation, gekennzeichnet etwa durch die Art und Weise, wie der Nationalfeiertag entstand. Die mittleren Ränge schienen ihm geteilt zwischen Wienern, die sich den Spitzenpolitikern anglichen und den Provinzvertretern, bei denen der Gedanke der „deutschen Kulturnation" viel weiter verbreitet war. Neben politischen Faktoren beschreibt Bluhm die Veränderung des ökonomischen und gesellschaftlichen Gefüges. Eine Rolle spielt dabei die Verstädterung; daneben der Ausgleich zwischen agrarischem Westen und industrialisierten Osten. An seine theoretischen Ausgangspunkte anknüpfend findet er, dass der „moderne Mensch“ in Österreich der vorherrschende Typ geworden sei und dass für die starke Identifikation der Österreicher mit ihrem Staat die positive ökonomische Entwicklung der Zweiten Republik ausschlaggebend sei. Dabei sieht er in der Bevölkerung einen unproblematischen, unreflektierten österreichischen Patriotismus wachsen.

Peter J. Katzenstein, ebenfalls Modernisierungstheoretiker, steht als Schüler von Karl W. Deutsch die Frage nach der „gesellschaftlichen Kommunikation“ in den Mittelpunkt. Dieser Ansatz vertritt die Theorie, dass wenn zwischen bisher weitgehend getrennt lebenden Bevölkerungsschichten ein kommunikativer Austausch entsteht, neue Gemeinsamkeiten des Verhaltens, der gesellschaftlichen Bedürfnisse und Zielvorstellungen entwickelt werden. Katzenstein untersucht davon ausgehend die Kommunikation innerhalb der deutschen, also Österreich und „Deutschland" umfassenden, Nation. Indikatoren der Kommunikation sind dabei z.B. der Stand des Verkehrs- und Postwesens; v.a. aber die Aufmerksamkeit, welche die Zeitungen den Vorgängen im Partnergebiet widmen. Seine Periodisierung

58 unterscheidet sechs von ihm unterschiedene Muster der Kommunikation und Integration „Deutschlands" und „Österreichs": 1) Die Periode des „Aristocratic Pattern" von 1815-1848, gekennzeichnet durch geringe wirtschaftliche und geistige Kommunikation, aber zugleich auch durch eine relativ hohe Eliten-Migration von Deutschland nach Österreich. 2) „Conflict Pattern" von 1848-1870, als sich intensive Bemühungen der österreichischen Regierung um eine Lösung der „deutschen Frage" sich u.a. auch in einer intensivierten Kommunikation auf den Gebieten des Postwesens und des Verkehres ausdrückten. 3) „Hierarchical Pattern" (1870-1918), gekennzeichnet durch die Kontinuität der autonomen Organisation sowohl Deutschlands wie Österreichs auf vielen Gebieten weitergeht, während Österreich in ökonomische Abhängigkeit zu Deutschland gerät, was zu einer Ungleichheit führt. 4) „Voluntaristic Pattern" (1918-1938), in der einige Indikatoren kein ausgeprägtes Anwachsendes Kommunikationsfeldes anzeigen (so die Aufmerksamkeit in Zeitungen), während andere, etwa die Zahl der deutschen Studenten in Österreich, stark anstiegen, wobei während einer relativ kurzen Phase von 1923 bis 1927 die realistische Chance auf Entfaltung eines österreichischen Bewusstseins bestanden hätte, was allerdings die ökonomische Entwicklung ebenso wie die Entscheidung des großdeutschen und des sozialdemokratischen Lagers für den Anschluss zunichte machte. 5) „Structural Pattern" (1938-1945), in der dem Konsens der Österreicher mit der Politik des Nationalsozialismus auf den Grund gegangen wird. Mit dem Ergebnis, dass weder Ablehnung und Widerstand so stark waren, wie das manchmal suggeriert wird, noch das Engagement für Hitlerdeutschland überdimensional ausgebildet war, sodass die „disjoined partnership" weitgehend erhalten blieb. 6) „Pluralistic Pattern" seit 1945, gekennzeichnet durch stark wachsende Außenhandels- und Kapitalabhängigkeit Österreichs von Westdeutschland (in der heutigen Gesellschaft vom globalen Wirtschaftsmarkt), gekoppelt mit einer breiteren Streuung des österreichischen Interesses für Vorgänge über Deutschland hinaus und mit einer nun auch unumstrittenen Politik der österreichischen Eigenständigkeit.

59 Friedrich Heer formuliert seine zentrale These des Buches eingangs: 1) Es gibt kein historisch-politisches Gebilde in Europa, das so sehr außengesteuert ist wie Österreich. 2) Vom 16. zum 20. Jahrhundert stehen sich in den deutschsprachigen Landen Österreichs, in den habsburgischen „Erblanden" gegenüber: zwei (in besonderen Krisenzeiten drei, vier) politische Religionen, zwei Nationen, zwei (in besonderen Krisenzeiten drei, vier) Kulturen.167 Wichtigster Beleg für diese in Punkt 1 genannte „Außensteuerung" sind die „Invasionen" durch Reformation, Aufklärung und protestantisch-norddeutsche Geisteskultur. Damit hängt auch die Ausbildung von zwei Nationen und zwei Kulturen zusammen. Auch bei ihm findet man, wie bei Bluhm, den breiten, wenig reflektierten Patriotismus „von unten". Der Wert von Georg Wagners Werk ist der Verweis darauf, dass der Herder’sche Nationsbegriff nicht auf Österreich angewendet werden kann, weil die Sprachgemeinschaft hier keinen Sinn macht. Was Österreich allerdings ausmacht sei das Bekenntnis zur österreichischen Nation, zu gemeinsamen Traditionen und zum gemeinsamen Weg in die Zukunft.

Felix Kreissler analysiert die Entstehung des österreichischen Nationalbewusstseins im Rahmen der politischen und Kulturgeschichte seit 1934. Ein wichtiger Standpunkt bei Kreissler ist, dass die Literatur in der Emigration in einer im Verhältnis zum tatsächlichen Widerstand sehr bedeutenden Weise zum Überleben der Idee eines unabhängigen Österreich beigetragen hat. Die literarisch-theoretische Verarbeitung der Erfahrung, aber auch das Bewusstsein um die historische Tiefendimension Österreichs wird hier zur Grundlage der Nationsbildung.

Aus der neueren Forschung sind für dieses Werk besonders die Gedanken von Werner Suppanz168 interessant. Er differenziert die österreichische Identität während Ständestaat und Zweiter Republik in „nicht-preußisch“ und „nicht-deutsch“. Überlegungen, die für meine Einordnung der alpinen Skifahrer entscheidend sind. Ausgehend von der These, dass die ÖsterreicherInnen die besseren Deutschen wären, bestimmt Suppanz drei wichtige Argumente169: 1) die Österreicher als Anti-Preussen;

167 Heer: „Der Kampf um die österreichische Identität.“ Wien-Köln-Weimar 1981. S. 17. 168 Suppanz: „Österreichische Geschichtsbilder.“ Köln-Weimar-Wien 1998. 169 ebenda. 27.

60 2) die Österreicher als Bewahrer der Reichstradition (gleichbedeutend mit dem „wahren deutschen Wesen“) 3) die Mentalitätsunterschiede zwischen Nord- und Süddeutschen, Preußen und Österreichern. Während sich die Erste Republik von der multinationalen Monarchie fundamental zu unterscheiden versuchte, und sich deshalb als dezidierter deutscher Staat präsentierte170, war für die Zweite Republik die Abgrenzung von diesem Deutschtum umso wichtiger; das offizielle Österreich wollte nichts mehr mit Deutschland zu tun haben: weder historisch noch kulturell – sogar auch sprachlich. Die völlige historische Lösung Österreichs von Deutschland wurde dabei vor allem im Umfeld der ÖVP und KPÖ propagandiert. Die oben zitierte Haltung Alfred Missongs erfährt durch die Worte seines Parteifreunds und Bundeskanzlers Leopold Figl in der zweiten Sitzung des Nationalrats am 21. Dezember 1945 eine Ergänzung: „Wenn wir immer wieder mit allem Fanatismus heimatverwurzelter Treue zu uns selbst betonen, dass wir kein zweiter deutscher Staat sind, dass wir kein Ableger einer anderen Nationalität jemals waren noch werden wollen, sondern dass wir nichts anderes sind als Österreicher, dies aber aus ganzem Herzen und jener Leidenschaft, die jedem Bekenntnis zu seiner Nation innewohnen muss [...]"171 Die SPÖ stimmte zwar nicht zum Österreich- Bekenntnis, aber in der Ablehnung eines „deutschen Österreichs“ zu. Diese politisch geforderte „Entgermanisierung“ des österreichischen National- und Geschichtsbewusstseins fand dabei – im Sinne einer „österreichischen“ Erziehung – Eingang in die Schulen. Die Österreichischen Geschichte wurde nun von möglichst frühen Zeiten an als vollkommen eigenständig präsentiert. So durften die Ausführungen über das Mittelalter z.B. nicht mehr als deutsches Mittelalter und als Geschichte des deutschen Reiches und seiner Kaiser gelehrt werden; vielmehr war die Darstellung der gesamteuropäischen Kulturgemeinschaft und der österreichischen Geschichte als integrierender Bestandteil des Donauraums herauszuarbeiten172. Wichtig ist auch der Ansatz Suppanz‘, dass sich die Gleichsetzung von Preußentum mit Nationalsozialismus, welche die Zweite Republik aus dem Ständestaat übernommen hatte, nicht nur fortsetzte, sondern sogar verschärft wurde: jetzt wurde auch deutsch und preußisch (und nicht nur preußisch und nationalsozialistisch) gleichgesetzt und kein positiver Begriff zu „deutsch“

170 Binder, Bruckmüller: „Essay über Österreich.“ Wien 2005. S. 101. 171 nach: Suppanz: „Österreichische Geschichtsbilder.“ Köln-Weimar-Wien 1998. S. 32. 172 ebenda. S. 33.

61 entgegengesetzt. Für Suppanz gehört das „Preußen-Motiv“ nach 1945 zu den vorrangigen Elementen der österreichisch-nationalen Propaganda. Als Beispiel führt er u.a. die bereits zweite Folge des „Neuen Österreich", vom 24. April 1945, an, in welcher der Titel eines Beitrages des stellvertretenden Chefredakteurs Paul Deutsch „Die Räuber" lautete und den „Einstrom einer preußisch-deutschen Räuberbande" thematisierte. Daneben zitiert er den katholischen Schriftsteller und Geschichtspublizisten Ernst Joseph Görlich, der das Dritte Reich als „die übersteigerte und ins Diabolische verzerrte Form des preußischen Staatsgedankens“ bezeichnet und die Überwindung des Mythos von Bismarck und Friedrich II. fordert. Alfred Kasamas spricht in seinem vom Generalsekretariat der ÖVP herausgegebenen Kommentar zum Programm der Volkspartei vom preußisch- deutschen Nationalsozialismus und bekennt sich zum Gegensatzpaar: „Preußendeutschland" und „Krieg" vs. „Österreich" und „Friede".173 Nicht zuletzt sei das bereits im Ständestaat propagierte Negativbild vom stereotypen Preußen erwähnt, bei dem der primitive Charakter und die gleichsam barbarische Abstammung der Preußen, die im Grunde ein deutsch-slawisch-baltisches Mischvolk seien, unterstrichen wird. Der Nazi wird so seiner politischen und zeitgeschichtlichen Dimension beraubt und zum einem seinen Naturinstinkten folgenden, barbarischen Preußen, der nur zu Zerstörungen fähig ist. Seinen reaktionären Charakter bestimmt der Kommunist Ernst mit seinen Aussagen über den Nationalsozialismus: „Er ist das Erbe des großpreußischen Gedankens und des hohenzollernschen Militärstiefels.“174

Eine sich aufzwingende Frage zu diesem Zeitpunkt dieses Werks ist, was die österreichische Identität nach 1945 fernab der Negation zu Deutschland, besser zum Synonym des „Preußen“ (= Nazi), ausmacht. Im Grunde können alle gängigen Charakterisierungen darauf reduziert werden. Die christliche Tradition etwa, welche für das österreichische Konstrukt fundamental erscheint, und für Gordon Sheperd die einzige Kontinuität nach 1945 zur Monarchie herstellt175, ist in seiner Mehrdimensionalität dahingehend zu erfassen, dass es in seiner älteren Tradition als Gegenentwurf zum protestantischen Nachbarn; in seiner jüngeren Dimension schlichtweg als Negation des nationalsozialistischen Antiklerikalismus dient. In

173 Suppanz: „Österreichische Geschichtsbilder.“ Köln-Weimar-Wien 1998. S. 34. 174 nach: ebenda. S. 35. 175 Sheperd: „Die österreichische Odyssee.“ Wien 1958. S. 3.

62 diesem Kontext nur am Rande erwähnt, weil später ausführlicher thematisiert, sei die enorm identitätsstiftende Wirkung der Landschaft auf ihre österreichischen Bewohner. Dass man diese österreichische (alpine) Landschaft auch – zumindest peripher – als Negation zum (zumindest preußischen) industrialisierten Flachland sehen kann ist vielleicht vermessen. Für die Neutralität gilt dasselbe und lässt sich mit dem pazifistischen Gegenentwurf zum aggressiven, martialischen Nazi erklären. Nicht umsonst entwirft Wilfried Daim bei seinem Vortrag, gehalten auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Westberlin am 13. November 1966, das Bild des Österreichers als Anti-Großdeutschen, der gegenüber Deutschland eine gewisse Reserve hat, den östlichen Nachbarn aber eine Wertschätzung entgegenbringt, weil er deren Anteil am eigenen Charakter schätzt176. Karl Heinrich Waggerl pointiert in seinem Text „Der Österreicher“ die pazifistisch - ins gleichgültige gehende Charakterisierung treffend wenn er formuliert: „[Das] ständige Schwanken, diese Scheu vor endgültigen Entschlüssen, überhaupt vor allem, was scharfe Konturen hat, das bringt den Österreicher in den Ruf, unzuverlässig zu sein. Freilich trägt ihm seine Schwäche auch wieder den Nutzen ein, dass er eigentlich nirgends in der Welt Feinde hat. Denn überall verzeiht man dem Nächsten lieber seine Fehler als seine Vorzüge.“177 Daneben lässt sich allerdings eine deutliche Identifizierung mit der – im Kalten Krieg „aufgezwungenen“ - Rolle Österreichs als Bindeglied zwischen Ost und West; als Vermittler zwischen den Blöcken, erkennen. „Österreich“, so etwa Roman Sandgruber, „versteht sich gern als Mitte und Herz Europas.“178

Letzten Endes ist festzuhalten, dass das sich auf die lange Reichstradition stützende Österreichbild des Ständestaates - die Launen der jungen Ersten Republik auszuklammern – nach 1945 nur in sehr abgeschwächter Form übernommen wurde und für ein zukunftsorientierteres Selbstbild Österreichs Platz machte. Der Konsens, dass die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus den ÖsterreicherInnen ihre wahre Identität sichtbar gemacht hatte, erklärt die permanente Reflexion gegenüber und das unverzichtbare Abgrenzen vom „deutschen Feindbild“. Skizziere ich hier zwar vor allem meinen Beobachtungszeitraum von 1945 bis 1964, so kann man diesen „Kulturkampf“ bis ins 21. Jahrhundert weiterexerzieren. Markus Kòth z.B. erwähnt in seiner Einleitung zu einem Werk über die Österreichische Identität den 2003 von

176 Daim, Wilfried: „Die Nation – in österreichischer Sicht.“ in: Massiczek: „Die österreichische Nation.“ Wien 1967. S. 26. 177 Waggerl, Karl Heinrich: „Der Österreicher.“ in: Rauscher: „Das Buch Österreich.“ Wien 2005. S. 34. 178 Sandgruber: „Illustrierte Geschichte Österreichs.“ Wien 2000. S. 11.

63 „Bild“ und „Kronenzeitung“ ausgetragenen „Kampf um Mozart“179, bei dem es, fernab jeglicher historischer Reflexion, um dessen Zuschreibung als deutschen oder österreichischen Landsmann ging.

7. BEMERKUNGEN UND ERGÄNZUNGEN.

Werner Anzenberger schreibt über die Nationswerdung Österreichs: „Das österreichische Rätsel ist mittelalterlich und avantgardistisch zugleich, nostalgisch einer glorreichen Vergangenheit verfangen und postmodern.“180 Diese Antagonismen scheinen zunächst kühn und unzureichend. Doch bei genauerer Überlegung und Rezeption der relevanten Literatur erscheint einem dieser Satz umso richtiger. Zwar verweist Franz Mathis darauf, die österreichische Identität in postmodernen Gegenwarten zu suchen, anstatt eine gewisse Habsburger-Nostalgie zu überschätzen181, jedoch haftet auch an der österreichischen Nation eine große Portion an historischem Erbe. Diese äußert sich nicht zuletzt im Anspruch, eine „Kulturweltmacht“ zu sein. Augenzwinkernd kommentiert Hans Rauscher die Zerstörung der Wiener Staatsoper am 12. März 1945 als „Terrorangriff“ auf die österreichische Hochkultur182; dass Zehntausende entlang des Rings den Eröffnungsworten von Unterrichtsminister Drimmel lauschten erklärt sich nicht aus der Tatsache, dass in Wien zehntausend Kulturbegeisterte wohnen. Eine genaue Bestimmung dessen, was Österreich und die Identität seiner BewohnerInnen ausmacht, ist allerdings unmöglich, weil immer subjektiv. Was das Konstrukt nach 1945 betrifft, so handelt es sich hierbei um einen enorm von exogenen Kräften geprägten, vom historischen Erbe gezwungenen Prozess, der sich seine Symbole und Identitätsmarken erst im Laufe der Zeit zueigen machte, was die Nationswerdung Österreichs zu einem dynamischen Prozess macht, der mit der Befreiung vom Nationalsozialismus allerdings einen genau definierten Geburtstag kennt.

Die überwiegende Mehrheit der Autoren bedient sich einer positiven Konnotierung der Zweiten Republik; darüber hinaus definiert man Österreich als „Staatsnation“ im

179 Kòth, Markus: „Österreich: Einleitende Anmerkungen zur Alpenrepublik und ihrer Identität.“ in: Csúri, u. a.: „Österreichische Identität und Kultur.“ Szeged-Wien 2007. S. 11. 180 Anzenberger: „Casa de Austria Republicana.“ Graz 1999. S. 115f. 181 Mathis, Franz: „1,000 Years of Austria and Austrian Identity: Founding Myths.“ in: Bischof, u. a.: „Austrian Historical Memory and National Identity.“ New Jersey 1997. S. 23f. 182 Rauscher: „Die Bilder Österreichs.“ Wien 2006. S. 224.

64 Sinne einer Willensgemeinschaft seiner Bürger183. Von großer Bedeutung dabei ist die einerseits gängige Erzählung über das Erwachen des österreichischen Nationalgefühls während der Zeit des Nationalsozialismus; allgemein aber eher die historische Entwicklung 1939-1945, die dem kleinen Staat keine andere Wahl ließ als sich antideutsch zu positionieren. Eine rein opportunistische Erklärung dafür ist allerdings vermessen. Dieter A. Binder und Ernst Bruckmüller erwähnen, dass mit Leopold Figl an der Spitze des Staates und dem späteren Unterrichtsminister (und Sportminister) Felix Hurdes zwei Österreicher prägend für die Identität des Staates waren (Hurdes in Form von Wissensvermittlung in Schulen), die den Nationalsozialismus zum größten Teil als politische Häftlinge im KZ erlebten; ihnen kann ein reiner Opportunismus nicht vorgeworfen werden. Daneben findet man die Einwände, dass die SPÖ, als zweitstärkste Partei, bis um 1960 keine national österreicherische Ausrichtung hatte; die stärkste Partei, die ÖVP daneben um 1949 eine neue Position – weg von der österreichischen Nation, hin zum „christlichen Abendland“ – annahm (um amnestierte „Minderbelastete zu ködern“); daneben nur noch die KPÖ der Linie einer „österreichischen Nation“ treu blieb – der Einfluss dieser Zwergpartei jedoch kaum bedeutend sei184. Wieder einmal sind es Worte von Anton Pelinka, die weitere Gedanken zu Österreich zulassen, zumal er es ist, der einst die These des „positiven Österreichs“ als Erfolgsgeschichte nach 1945 der These des „hässlichen Österreichs“ entgegenstellte. Diese „dunkle Seite der Republik“ beschreibt er als „einzige Lebenslüge [...] um Österreichs schuldhafte Verstrickung in Totalitarismus, Angriffskrieg und Holocaust zu vertuschen; um aller Welt einzureden, unser Land wäre voll von Lippizanern, die ununterbrochen von Angehörigen der Trapp-Familie mit Mozartkugeln gefüttert werden; klein, aber kulturell eine Großmacht; bewacht von tapferen Tiroler Schützen, aber darüber friedlich bis zum Exzess [...] Doch dahinter verstecken sich Kriegsverbrecher und Judenmörder, von österreichischen Geschworenen lustvoll freigesprochen; geschützt von der beängstigend liebevollen Fassade wirklichkeitswidriger Konstruktionen, die Österreich permanent zum Opfer erklären. [...]185“

183 u.a. Breuss, u. a.: „Inszenierungen.“ Wien 1995. S. 24.

184 Binder, Bruckmüller: „Essay über Österreich.“ Wien 2005. S. 103f. 185 Pelinka, Anton: „Die Erfindung Österreichs. Zur dialektischen Entdeckung von Wirklichkeit.“ in: Jochum: „Reden über Österreich.“ Salzburg-Wien 1995. S.11f.

65 Man darf davon ausgehen, dass ab den 1960er Jahren - nach anfänglichen Schwächen – ein „kollektives kulturelles Bewusstsein“ der ÖsterreicherInnen so stark war, um von einem österreichischen Nationalbewusstsein sprechen zu können186. In diesem Bewusstsein fehlen laut Binder und Bruckmüller im Vergleich zu anderen Nationen die Bilder von Freiheitskämpfen, Revolutionen, großer Herrscher oder Geisteshelden. Die kollektiven Bilder des Österreichbewusstseins wären z.B. geprägt von der „schönen Landschaft“ und vom „kulturellen Erbe“187. Erich Zöllner schrieb 1988, dass in Österreich eine mit dem Heimatgedanken eng verknüpfte, unkomplizierte, positive Staatsgesinnung vorherrscht, gestärkt vom politischen Realismus188. William M. Johnston führt eine Zensur um 1970 ein; während sich davor die Autoren um die Charakterisierung des „österreichischen Menschen“ bemühten, um den ÖsterreicherInnen eine Identität fernab einer „Deutschen“ zu verleihen, ging die Debatte nach 1970 dahingehend, die Beziehung zwischen Staatsbürgern und ihren Traditionen, der politischen und wirtschaftlichen als auch die ideologischen und kulturellen Erscheinungen des Staates zu reflektieren189.

An dieser Stelle rekapituliere ich meine bisherigen Ausführungen und erinnere mich an den Beginn dieses Kapitels, als es darum ging, den Begriff der „Nation“ zu definieren. In meinem ersten für wichtig befundenen Grundsatz hielt ich fest, dass das Nationalgefühl durch die Institutionalisierung einer Nation entsteht. Für den Sonderfall Österreichs nach 1945 heißt dies – um die Entwicklungen vor dem März 1938 zu vernachlässigen – dass die Zweite Republik beinahe als fremdbestimmtes Konstrukt angesehen werden kann. Da dieser Institutionalisierungsprozess zum Großteil von äußeren Umständen bestimmt war – was eine logische Folge der historischen Entwicklung ist – ist es nicht vermessen zu sagen, dass sich die österreichische Identität entlang exogener Kräfte bilden musste. Der „Opfermythos“, lange vor Ende des Krieges von den Alliierten ins Leben gerufen, wurde von Österreich unverändert übernommen. Unter strengem Blick der Besatzer - letzten Endes unter dem Blick des „Westens“ - bildete sich die österreichische Identität als Abbild des von diesen „Fremden“ erwarteten Ideals. Die teilweise extremistische Auslegung der Prämisse des Österreichers als Antideutschen ist die Kumulation

186Binder, Bruckmüller: „Essay über Österreich.“ Wien 2005. S. 110. 187 ebenda. 188 Zöllner: „Der Österreichbegriff.“ Wien 1988. S. 96. 189 Johnston: „Der österreichische Mensch.“ Wien-Köln-Graz 2010. S. 31f.

66 dieser „self-fulfilling prophecies“: die peinlich genaue Interpretation der Erwartungen einer vom Nationalsozialismus geschockten Weltöffentlichkeit.

Noch einmal sei an dieser Stelle das entscheidende Adjektiv „verspätet“ bei der Nationswerdung im Fall Österreichs hervorgehoben. Eine verspätete Entwicklung, in Reaktion auf den Nationalsozialismus. Dabei herrscht eine besondere Sensibilität in Bezug auf historische Bezugspunkte; Nationsmythen wie sie Franzosen, Italiener o.ä. kennen, verhalten sich für das österreichische Konstrukt sehr schwierig. Eine Verankerung in der Monarchie scheitert oftmals am rein geographischen Größenunterschied; daneben verstand sich die Habsburgermonarchie zumindest in Europa als Supermacht; der „deutsche Rumpf“ sozusagen, um einige Deutschsprachige Gebiete sogar noch beschnitten, übernimmt sich als Erbe des Vielvölkerstaates. So gelingt es am ehesten den regionalen Telidentitäten (allen voran den Tirolern und vielleicht den Wienern) ein historisches Fundament zu kultivieren. An die Stelle längst vergangener (und dadurch heroisierter) Personen und Ereignisse treten so in Österreich rezentere Daten; zum „Gründungsmythos“ gehört der vereinte Wiederaufbau genauso wie das Erfolgsrezept der Interessensvertretungen. Wichtig, weil nicht entzaubert, sind deshalb für die Identität die sportlichen Erfolge der kleinen Nation. So entstehen Symbole, die, wie eingangs erwähnt, für die kulturelle Präsentation für einen Staat eine wichtige Rolle spielen. Und diese Symbole wiederum finden sich im „Image“ des Landes wieder, wobei anzuführen ist, dass vor allem bei einer nur schwach gefestigten Nation, wie sie Österreich bis in die späten 1960er Jahre ist, dieses „Image“ für die ÖsterreicherInnen selbst wichtiger war als für das Ausland, galt es doch für sich eine stolze, unschuldige und vor allem „herzeigbare“ Identität aufzubauen – der junge Staat befand sich nämlich noch im Selbstfindungsprozess.

Um dem Leser einen gewissen Überblick über die Stimmung im Beobachtungszeitraum zu geben, werde ich im folgenden neben einigen statistischen Erhebungen zeitgenössische Publikationen zitieren; ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass ein komplexes und kaum messbares Phänomen wie „nationale Identität“ damit nur periphär bearbeitet werden kann.

67 Einen gewissen „Blick von außen“ lässt Gordon Sheperd in seinem 1958 erschienenen Werk „The Austrian Odyssey“ zu. Seiner Meinung nach wird „jeder Eingeborene in den Augen des Ausländers zur Karikatur“190. Der gemeine Österreicher sei ein „heiterer, unheilbar fauler Gesell, den nur Anstoß von außen durch die Drehtür für das Leben befördert.“191 Obwohl Sheperd diese Verballhornungen im folgenden im Allgemeinen entkräftigt, lässt er sich trotz allem darauf ein, die „Faulheit“ der Österreicher, allen voran der Wiener zu erklären: es läge am Klima, denn der Föhn hemmt jegliche Lebendigkeit; Wien sei die einzige Stadt Europas, in der man Tauben mit dem Auto überfahren könne192. Auch bei Sheperd findet man das typische Negativ zum Deutschen: für ihn ist der Österreicher weniger „fanatisch“ als der Deutsche, weil in ihm die „Hohlheit jeglicher Macht wurzelt“193; die Titelsucht des Österreichers sei eine bloße Sucht nach „Ansehen“, während der Deutsche Rang und Titel „anbetet“ und diszipliniert verfolgt, weil er letzten Endes Macht verleiht194. Daneben sei der Österreicher körperlich ausdauernd, beharrlich, standhaft, mutig aber auch gemütlich (was für ihn in der Monarchie wurzelt). Eigenschaften, die auch dem Idealbild des „österreichischen Skifahrers“ anhaften.

Ernst Bruckmüller, der sich wiederum auf Georg Wagner bezieht, lässt in einem Kapitel über die Meinungsforschung195 tief in die „österreichische Seele“ blicken. So veranstaltete das Fessel-Institut im Jahr 1956 eine Umfrage unter dem Titel „Nationalbewusstsein der Österreicher". Auf die Frage: „Sind Sie persönlich der Meinung, dass wir eine Gruppe des deutschen Volkes sind, oder sind wir ein eigenes österreichisches Volk?" antworteten demnach 49%, dass die ÖsterreicherInnen ein eigenes Volk seien, 46 % entschieden sich für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk, 5% verhielten sich unentschieden. Erwähnenswert ist, dass die Frauen (54%) österreichbewusster als die Männer (46%) waren. Regional führte Wien vor Tirol, Vorarlberg, Niederösterreich und Burgenland. Bedingt vergleichbar sind die Daten der Jugend-Studie des Fessel-Instituts von 1959. Gewisse Sätze konnten dabei mit einer Wert-Skala von 1 bis 5 versehen werden, wobei 1 „sicher richtig“ bezeichnet und 5 „sicher falsch“. Der Satz: „Die

190 Sheperd: „Die österreichische Odyssee.“ Wien 1958. S. 4. 191 ebenda. S. 5. 192 ebenda. S. 5. 193 ebenda. S. 6. 194 ebenda. S. 18. 195 alle Zahlen gemäß Bruckmüller: „Nation Österreich.“ Wien-Köln-Graz 1996. S. 21-23.

68 Österreicher sind keine Deutschen, sondern ein eigenes Volk", erzielte einen Schnitt von 1,7 Punke; der Gegensatz: „Die Österreicher sind Deutsche" 1,74. Als „nicht unwesentlich“ bewertet Bruckmüller die Bewertung folgender Sätze: „Die Interessen eines Volkes (der Nation) kommen vor allen anderen", welcher 2,35 erreichte; der Satz „Österreich und Deutschland sollten vereinigt werden" sogar nur 4,07. Eine weitere Umfrage, diesmal von 1963 (wieder Fessel-Institut) befasste sich mit der Bewertung zweier gegensätzlicher Auffassungen. Zwei entgegengesetzte Sätze wie z.B. „Die Österreicher sind genauso deutsch wie die anderen deutschen Stämme" vs. „Die Österreicher sind keineswegs deutsch, sondern eine eigene Nation" wurden formuliert und die Befragten waren dazu aufgefordert, die Sätze mit 1-100 zu bewerten. 28 % waren demnach für die völlige Gleichartigkeit der Österreicher mit den anderen deutschen Stämmen, 17 % für absolute eigene Nationalität. 11 % wählten den vorsichtigen Standpunkt der 50 Punkte (Mitte), 23 % votierten für die Ränge 60-90,13 % für die Ränge 10-40. Eine Umfrage von 1964/65 der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft hat auf die Behauptung: „Die Österreicher sind eine Nation" 47,4% Zustimmung erhalten, zu dem Satz „Die Österreicher beginnen sich langsam als Nation zu fühlen" 23 % und zu dem Satz „Die Österreicher sind keine Nation" 15,3 %. Ziemlich hoch die Zahl der Unentschiedenen: 15%. Eine weitere Umfrage, 1966 vom Gallup-Institut für William T. Bluhm erbracht, fiel wie folgt aus (Zustimmungswerte): 1) „Österreich ist eine völlig eigene Nation“ 35%; 2) „obwohl Österreich dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört, ist Österreich eine eigene Nation“ 29%; 3) „obwohl Österreich ein unabhängiger Staat ist, gehört Österreich zur deutschen Nation“ 11%; 4) „obwohl die Österreicher eine politische Nation sind und für die Unabhängigkeit einstehen, gehören sie zur deutschen Nation“ 9%; 5) „obwohl die Österreicher zum deutschen Sprach- und Kulturkreis gehören, beginnen sie, sich langsam als Nation zu fühlen“ 8%.

69 Rupert Gmoser196 veröffentlichte 1967 die Ergebnisse seiner beiden 1965 in Auftrag gegebenen Umfragen. Bei ihm ergaben sich Ergebnisse (wieder Zustimmung): 1) „Die Österreicher sind eine Nation“ 48%; 2) „die Österreicher beginnen sich erst langsam als Nation zu fühlen“ 23%; 3) „die Österreicher sind keine Nation“ 15%; 4) „weiß nicht“ 14%. Die Frage nach den Aufgaben Österreichs brachte folgende Ergebnisse: 1) „Brücke zwischen Ost und West“ 31%; 2) „neutrale Zone zwischen den Machtblöcken“ 26%; 3) „Schaufenster sozialer Demokratie“ 10%; 4) „Vorhut des christlichen Abendlandes“ 5%; 5) „Österreich soll nur für Österreicher da sein“ 11%; 6) „Österreich hat keine wirkliche Aufgabe“ 2%; 7) „keine Meinung“ 3%. Wenn Österreich auf seine Nachbarstaaten aufgeteilt werden sollte würden 22% mit der Mehrheit gehen; 18% dagegen streiken; weitere 18% gar nichts tun; 11% als Partisanen dagegen kämpfen; 10% auswandern und 1% es begrüßen.

Was diese Zahlen zeigen, ist, dass der Gedanke einer eigenen österreichischen Nation durchgehend bei fast 50% gefestigt ist, wobei sich deutschnationale und Anschlusssympathien im Bereich unter/gleich 15% bewegen. Nichtsdestotrotz ist der Gedanke, Österreich dem deutschen Kulturkreis, die ÖsterreicherInnen gar zum deutschen Volk zu zählen, noch weit verbreitet.

Diese Ergebnisse sollten bei der Rezeption der weiteren Arbeit im Hinterkopf verankert bleiben. Mein Ziel ist es zu ergründen, inwiefern die sportlichen Erfolge von ÖsterreicherInnen an der Entstehung einer – wie heute bestehenden – unbestrittenen österreichischen Identität beteiligt waren und welche Rolle der alpine Skisport an sich in der Nationswerdung Österreichs einnimmt.

196 Gmoser, Rupert: „Wie denken Herr und Frau Österreicher über Österreich?“ in: Massiczek: „Die österreichische Nation.“ Wien 1967. S. 37-68.

70 II. ALPINER SKISPORT IN ÖSTERREICH 1945-1964: AKTEURE.

Die Untersuchung der „Akteure“ des österreichischen alpinen Skirennsports nimmt einen großen Teil dieses Werkes ein. Das Wort „Akteure“ dient dabei als Sammelbegriff für all jene Personen, die in den Jahren 1945-1964 am Betrieb der österreichischen Ski-Nationalmannschaft beteiligt waren. Diese Personengruppe umfasst vor allem jene 80 Skiläufer, die während dieser Zeit aktiv im Kader des ÖSV standen (und die Kriterien für die Aufnahme in die offizielle Biographiensammlung des ÖSV erfüllen197). Trainer, die sich in der Betreuung der ÖSV-Kampfmannschaft übten, sowie jene Personen, die mit der Organisation des ÖSV beauftragt waren finden kaum Erwähnung, da es nicht um jene Personen gehen darf, die tatsächlich den Skibetrieb gewährleisteten, sondern vielmehr um jene, die von der Öffentlichkeit, letzten Endes in der Öffentlichkeit der Republik Österreich als Personifizierungen der „Ski-Nation“ wahrgenommen wurden. Dabei geht es allerdings nicht um eine akribische Aneinanderreihung von Biographien, sondern macht es Sinn, mein Gespür, welches ich mir in über einem Jahr der Recherche angeeignet habe, dafür einzusetzen, welche dieser „Akteure“ wirklich breitenwirksam aktiv waren, einzusetzen. Die Aufarbeitung etlicher Biographien fielen meiner Thematik letzten Endes zum Opfer. Natürlich könnte ich auf jede einzelne im ÖSV aktive Person individuell eingehen; nach biographischen Brüchen oder Kontinuitäten nach der NS- Zeit suchen; doch wäre ein solcher Enthüllungsbericht gleichsam ausdruckslos wie für meine Thematik unpassend. Letzten Endes sind es eine Hand voll Personen, die übrig bleibt. Ein paar Menschen, die den alpinen Skisport in ihrer Zeit aufgrund ihrer Erfolge aber vor allem auch ihrer (inszenierten) Persönlichkeit prägten. So ist eine genauere Betrachtung Leopold Spitz‘ zum Beispiel im Folgenden nicht zu finden, obwohl er 1945 bis 1948 erster Nachkriegspräsident des ÖSV war. Vielmehr muss es natürlich um Toni Sailer gehen, der, wie ein Ski-Messias, wenige Monate nach dem Abzug der Besatzungsmächte mit drei Goldmedaillen bei den Olympischen Winterspielen von Cortina d’Ampezzo als Lichtgestalt des österreichischen Sportes

197 Mag. Otto Schwald schreibt in seinem Vorwort zur ÖSV-Biographiensammlung: „Was den persönlichen Hintergrund der Sportler anbelangt, waren die Voraussetzungen [für die Aufnahme in die Biographiensammlung, Anm.] folgende: Auffindbarkeit von Sportler und Angehörigen; […]; Internationales Antreten für den ÖSV bzw. für Österreich. In leistungsmäßiger Hinsicht waren in erster Linie folgende Kriterien entscheidend: Teilnahme an Olympischen Spielen bzw. FIS-Weltmeisterschaften; Spitzenplätze in Weltcup- bzw. Europacupwertungen; Podestplätze bei Weltcuprennen bzw. FIS-A Rennen (in der Zeit vor dem Weltcup) [was sich mit der hier beobachteten Zeit deckt, Anm.].“ siehe: ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 6.

71 viel mehr für die österreichische Nationswerdung erreichte als man vermuten will. Es muss auch um seinen „Thronfolger“, Karl Schranz, gehen, der das schwere Erbe des Toni Sailer zu ertragen hat und es trotzdem schafft, seinen eigenen Weg zum Erfolg – und zur Popularität – zu gehen. Die folgenden Seiten handeln von Trude Beiser- Jochum, die als Anführerin des starken Frauenteams ihrer Zeit dem stolzen österreichischen Ski-Team in den späten 1940er Jahren einige Blamagen erspart; vom „ewigen zweiten“ Anderl Molterer; von Dagmar Rom, die wie Toni Sailer den Sprung ins Filmgeschäft wagte. Trainer, die in diese illustre Runde gehören sind maximal Fred Rößner, der mit seinem sommerlichen Höhentraining den Erfolg Toni Sailers und des „weißen Wunderteams“ erst möglich machte oder Hermann Gamon198, der als Trainer der Österreichischen Frauen den Dreifachsieg bei der Olympiaabfahrt von Innsbruck 1964 mitverantwortete und bei den Frauen einen so großen Eindruck hinterließ, dass ihm Marianne Jahn nach ihrem Sieg im Slalom von 1962 eine Hälfte ihrer zerschnittenen Startnummer schenkte, die sie nach dem Rennen behalten durfte199. Zwar bezeugt Fred Rößner retrospektiv, dass „die beiden Trainer, Josl Rieder (Herren) und Hermann Gamon (Damen) [...] beinahe das Optimale aus beiden Teams herausgeholt“ hatten,200 doch spielte der Trainer damals wie heute eine eher nebensächliche Rolle in der sportlichen Repräsentation.

Dieses Kapitel ist aber keine romantische Sammlung von Anekdoten. Mein Ziel wäre damit weit verfehlt. Die Intention, die ich mit diesen Ausführungen verfolge, ist, zu zeigen, wer die Akteure hinter der österreichischen „Ski-Nation“ sind und welche Eigenschaften sie dazu beisteuerten um letztendlich den stereotypen österreichischen Skiläufer zu entwerfen der in weiterer Folge als Identifikationsfigur für eine ganze junge Nation dienen konnte. Dabei geht es nicht darum, aus möglichst vielen unterschiedlichen Quellen ein authentisches Bild der jeweiligen Person zu bekommen. Was vielmehr wichtig und interessant ist, wie sich diese Akteure in ihrer Zeit inszenieren bzw. inszeniert werden. Lange Zeit dachte ich darüber nach, dass zu diesem Zwecke eine Medienanalyse unumgänglich sei, was mich jedoch unzufrieden machte, da es in zu vielen wissenschaftlichen Arbeiten der sport studies um genau

198 Hermann Gamon aus Nenzing, stand ab 1954 im Nationalteam und feierte im Winter 1956/7 vier Abfahrtssiege. In seiner 2. Karriere als Trainer war er Chef des Frauenteams des ÖSV bei der erfolgreichen WM in Chamonix 1962, dazu Coach von Christl Haas, Edith Zimmermann und Traudl Hecher bei deren Olympia Dreifachsieg 1964 in Innsbruck. Siehe: ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 89. 199 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 177. 200 Rößner, Fred: „Die Hypothek von Chamonix.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (92- 96.) S. 95.

72 diese geht und die Verwendung von Zeitungen nur noch wenig innovativ ist. Deshalb beschränke ich mich auf „offizielle Inszenierungen von Innen“: vom ÖSV oder ÖOC lizenzierte Publikationen und Autobiographien. Daneben geben die offiziellen Chroniken des Kitzbüheler Skiclubs sowie des Skiclubs Arlberg, als prominente Beispiele, Einblick in die Selbstdarstellung der regionalen Organisationen. Der Aufbau dieses Kapitels ist wenig überraschend. Nachdem ich mich dazu bekenne, „Ski“ anstatt „Schi“ zu schreiben und erkläre, warum dieser Umstand von Bedeutung ist; ich danach kurz auf die wichtigen Vereine ÖSV – KSC – SCA eingehe; wird an eine allgemeine Betrachtung der oben definierten „Akteure“ zwei Kernstücke dieser Arbeit anschließen: erstens eine Abhandlung über die Bedeutung des Geschlechts für SkifahrerInnen 1945 bis 1964 und zweitens ein Vergleich der Autobiographien von Toni Sailer (1956) und Karl Schranz (1963) um einen Fokus auf die „Ideologie des Skifahrers“ in den späten 1950er, frühen 1960er Jahren zu legen. Abschließend werde ich in einem kurzen Zwischenresümee die bis dahin gewonnenen Einsichten kommentieren.

1. MAN FÄHRT „SCHI“!

Vorweg noch eine kurze orthographische Erklärung. Ursprünglich wollte ich die Schreibweise „Skifahren“ unkommentiert im gesamten Text verwenden, um das mehr oder weniger schnelle abfahren eines meist schneebedeckten Berges mithilfe zweier an der Unterseite der Füße wie auch immer befestigten Latten aus diversen Materialien (sogenannten „Skiern“) zu beschreiben. Unter allen Umständen wollte ich eine Rechtfertigung betreffend meiner Rechtschreibung hinsichtlich der Schreibweisen „Ski“ oder „Schi“ vermeiden, wie es bei älteren Arbeiten zum Thema üblich war. Der Umstand jedoch, dass über meine ganze Beobachtungsperiode hindurch die Diskussion um die „richtige“, weil „österreichische“ Schreibweise fortgeführt wurde, machte diesen Aspekt auch für mich interessant. Die Forderung nach einer einheitlichen Schreibweise veranschaulicht in unvergleichbarer Weise, wie sehr die „österreichischste“ aller Sportarten, nämlich der Alpine Skilauf, bis in ihre irrelevantesten Ausmaße wie nach ihrer korrekten schriftlichen Bezeichnung, zur nationalen Angelegenheit wurde. So wandte sich das Bundesministerium für Unterricht bereits im Frühjahr 1947 an die nationalen Institute für Leibeserziehung, um betreffend der Frage „Ski oder Schi?“ Stellung zu beziehen.

73 Hans Groll, Leiter des Instituts für Leibeserziehung der Universität Wien, schrieb darauf: „Als Ergebnis des Studiums sprachkundlicher Unterlagen sowie der Durchsicht der Schiliteratur [sic!] hinsichtlich der tatsächlich verwendeten Schreibweise und einer Rundfrage bei aktiven Sportlern, kann folgendes zusammenfassend festgestellt werden: 1. Es besteht vom rein Sprachlichen her keine Notwendigkeit, das schon eingedeutschte Lehnwort Schi durch die ausländische Schreibweise Ski zu ersetzen. Die [...] Schreibweise Schie findet sich in anderen sprachkundlichen Unterlagen nicht. Sie weicht von dem im allgemeinen Sprachgebrauch verwendeten Schriftbild Schi zu sehr ab, als dass sie (obwohl sprachlich am einwandfreiesten) zu empfehlen wäre. Sprachlich einwandfrei und unserem Kulturkreis am meisten entsprechend ist die Schreibweise: der Schi, des Schi's, die Schier. 2. Eine Durchsicht der Fachliteratur auf den tatsächlichen Gebrauch des Wortes Schi oder Ski ergab folgendes: In der Zeit der Einführung des Schilaufens in Österreich (Pionierzeit, nordischer Einfluss) findet wir nur die Schreibweise Ski. Später in der Zeit, des Aufschwunges des Schilaufens in Österreich wird in der österreichischen Schiliteratur das Schriftbild Schi häufiger verwendet.Vorübergehend taucht in der Fachliteratur das Wort Schneeschuh auf und wird […] als das deutsche Wort für Ski propagiert. Nach dem Zusammenbruch von 1945 finden wir in der Fachliteratur beide Schriftbilder (Schi und Ski), wobei allerdings das Wort Ski wesentlich häufiger Verwendung findet. Diese Tatsache ergibt: 1. Dass in den Zeiten der österreichischen Führung im Schilauf die Sache mit dem unserem Volks- und Sprachgebrauch entsprechenderen Schriftbild Schi bezeichnet worden ist, 2. dass bei uns in weitgehendem Maße die Selbstsicherheit am Wert der eigenen Österreichischen Sprachgestaltung verloren gegangen ist. Eine eingehende Umfrage hat die Erfahrungstatsache bestätigt, dass die Österreicher nur vom Schi sprechen und dass in Sportkreisen die Schreibweise Schi mindestens ebenso häufig wie die Schreibweise Ski Verständnis findet. Aus Sorge um den internationalen Anschluss und die Bindung ans Ausland glauben viele, der Schreibweise Ski den Vorzug geben zu müssen. Dieser Gedankengang ist allerdings keineswegs stichhaltig, weil bei einem Auslandsverkehr Übersetzungen ohnedies nicht zu umgehen sind, und hierbei dann auch das österreichische Wort Schi in die

74 entsprechende Fremdsprache übersetzt wird. Es drückt sich in obiger Sorge vielmehr die Tatsache von dem verloren gegangenen Führungsbewusstsein im Schilauf aus. Österreich ist eine Schi-Nation und kann hoffentlich recht bald wieder den Anspruch erheben, führend im Schilauf zu sein. Warum sollen wir uns scheuen, unsere Herzenssache mit der sprachlich richtigen und uns volkstümlich gemäßesten Schreibweise zu bezeichnen und vom Schi, Schifahren, Schiläufer usw. zu sprechen?“201 Das Skifahren wird so erst in der Form des Schifahrens zur österreichischen Angelegenheit. Tatsächlich werden beide Schreibweisen etwa gleich oft verwendet, wobei auffällt, dass besonders auf skipädagogischer Ebene – Lehrpläne, skitheoretischen Erklärungen etc. – fast ausschließlich die Schreibweise „Schi“ verwendet wird. Skiliteratur für den Alltag, wie auch zum Beispiel die Autobiographien Toni Sailers (1956) und Karl Schranz‘ (1963), verwenden das „weniger österreichische“ Wort „Ski“. Besondere Brisanz erfährt die Thematik, als 1960 im offiziellen Organ des „Deutschen Schiverbandes" wieder einmal eine Diskussion wegen der Schreibung „Schi oder Ski" in die Gänge kommt, und die „Schi- Schreibung“ sich den Vorwurf gefallen lassen musste, besonders bei den Nazis gebräuchlich gewesen zu sein. Dazu liest man im Organ der österreichischen Sportlehrer: „[Und das,] obwohl im Lager der Nazis ebenso viele für die Schreibung Ski wie für die von Schi eingetreten sind. Auch mit dem Odium der „Deutsch- Tümelei" wird die Schreibung von Schi belastet, obwohl die Schreibung Schi statt Ski noch lange keine Verdeutschung ergibt!“ Die Schreibweise „Schi“ ergäbe sich aus den „Lautgesetzen dieser Sprache“202 Erst im Dezember 1962 räumte ein Beitrag der „Gesellschaft der deutschen Sprache“ in der deutschen Zeitschrift „Der Winter“ auf: „In Österreich waren 1935 beide Formen – ‚Ski‘ und ‚Schi‘ - nebeneinander gültig. In Deutschland dagegen erklärte man während der Nazizeit ‚Ski‘ zur amtlichen Schreibweise (vergl. die 12. Auflage des Duden, Leipzig 1941). Mit der 13. Auflage (1947) entschied sich der Duden für ‚Schi‘; die Form ‚Ski‘ wurde nur noch in spitzen Klammern oder Winkeln angegeben, mit denen man nicht (oder nicht mehr) übliche Formen kennzeichnet. […] Als amtliche Form gilt also seit nunmehr 15 Jahren die Schreibweise ‚Schi‘.“203

201 Groll, Hans: „Schi oder Ski?“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1947. Heft 4/Jahrgang 2.) S. 18f. 202 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1960. Heft 2/Jahrgang 14.) S. 16. 203 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1962. (Heft 10/Jahrgang 16.) S. 9.

75 Was in den kommenden Monaten folgt ist eine immer wiederkehrende Bestätigung der Schreibweise „Schi“ und die wissenschaftliche Beweisführung für die Richtigkeit dieser. Während in Österreich diese Beweisführung bis dahin reicht, dass das Wort „Schi“ vom „Scheit“ abgeleitet wird204, demnach mit dem skandinavischen „Ski“ nur noch die Lautsprache gemein hat, beruft man sich in Deutschland auf linguistische Methoden und belustigt sich am Habitus der alten Feinde: „Wir sprechen also ‚Schi’. [...] Anders als die Franzosen und Engländer. Sie sind weniger genau und halten sich vielmehr an das ‚irreführende Schriftbild’. Sie sprechen das Wort nach ihren Regeln als ‚S-ki’ aus, wie sie ja auch fremde Eigennamen nicht selten nach ihren Sprachregeln aussprechen. Doch das ist ihre Sache. Wir wollen uns an unseren Sprechgebrauch halten. Dieser folgt der fremden Aussprache – diese ist das Echte – und nicht dem nach fremden Regeln entstandenen und dann fälschlich nach unseren Regeln ausgesprochenen Schriftbild. Wir halten jeden für ungebildet, der etwa B-u- re-au oder Schake-spe-are sagen wollte.“205 Ich verwende im Folgenden die Schreibweise „Ski“ und stelle es dem Leser frei, je nach Gutdünken dies entweder als „S-ki“ oder als „Schi“ auszusprechen. Dabei fühle ich mich weder in der Tradition längst vergangener Zeiten, noch beabsichtige ich, mich dem „Österreichischen“ zu verschließen. Die Schreibweise „Ski“ ist vielmehr die mir am angenehmsten von der Hand gehende und die im Schriftbild – fern von jeder weiterführenden Wertung – sympathischere.

2. ÖSV – KSC – SCA.

Mit seiner Gründung am 4. November 1905 begann für den Österreichischen Skiverband seine perfekt inszenierte Erzählung, welche zu einer unendlichen Geschichte österreichischer Erfolge aufstieg. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel meinte dazu 2005: „Dass heute international von einer ‚Ski-Nation Österreich‘ gesprochen wird, ist in erster Linie den Bemühungen und dem Engagement des ÖSV zu verdanken.“206 Tatsächlich stellte die Konsolidierung von 11 Skivereinen in diesen Anfangsjahren des Vereines die Basis für die Etablierung Österreichs als Hegemonialmacht vor allem im alpinen Skisport dar. Zwar wurde der Lilienfelder Skiverein – seines Zeichens größter Skiverein der Donaumonarchie – von den

204 Mathys, F.K.: „Vom Scheit zum Schi.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1964. (Heft 1/Jahrgang 18.) S. 4. 205 Mehl: „Weltgeschichte des Schifahrens.“ S. 145. 206 ÖSV: „100 Jahre ÖSV.“ Innsbruck 2005. S. 6.

76 Versammlungen ausgeschlossen, doch verfolgte man von Anfang an, vor allem auf dem alpinen Sektor, die Pionierarbeit Zdarskys weiterzuführen. Dazu gehörte neben der Veranstaltung von Skirennen auch die Arbeit an der „Basis“ – dem sogenannten Breitensport. Mithilfe von Skikursen wurde so versucht, letzten Endes der gesamten Nation das Skifahren beizubringen: umfasste der ÖSV anfangs 11 Vereine mit insgesamt rund 600 Mitgliedern, so betrug die Anzahl der Mitglieder zu Ende des Ersten Weltkrieges bereits um die 10.000 Mitglieder; im Winter 1913/14 wurden um die 6.000 Skischüler in die Kunst des Skilaufs eingeführt207. Dieser universelle Anspruch fand in der Einführung sogenannter Schulskikurse in der Ersten Republik ihre Fortsetzung, welche besonders in der Zweiten Republik, ab der Mitte der 1950er Jahre, besonderen Aufschwung erfuhren.

Die Transformation in die Erste Republik gelang dem ÖSV vor allem deshalb so reibungslos, weil er von Beginn an ein geschlossener Verein deutschsprachiger Mitglieder war und so nach dem Zerfall der Donaumonarchie in seinem Machtzentrum erhalten blieb. Der Übergang vom, durch Mathias Zdarsky und Georg Bilgeri geprägten, militarisierten Skilauf der Kriegsjahre 1914-18 zurück zum Wintervergnügen verlief ebenso unproblematisch. Das Vereinsleben wurde zwar durch die Wirren des Krieges erheblich gestört und daneben stellte die Beschneidung des Vereines um seine südtirolerischen und sudetischen Mitglieder eine Zäsur dar, doch schon im November 1919 konsolidierte man sich aufs Neue und die Zahl der Mitglieder stieg bis 1921 von 4.317 auf 6.768208. Natürlich blieb der Sport auch nicht von der Politik unbeeindruckt. So kristallisiert sich hinsichtlich der Betrachtung des ÖSV in der Zwischenkriegszeit die deutschvölkische Prägung als interessanter Anhaltspunkt heraus. Trotz eines Verbots der Zusammenlegung des ÖSV mit dem Deutschen Skiverband (DSV) sind die Jahre 1918-1938 auch im Umfeld der organisierten Skivereine Österreichs durch die Anbiederung an den deutschen Nachbarn geprägt. Daneben wurde schon im Jahr 1920 auf Treiben des steirischen Landesverbandes hin, die Einführung des sogenannten „Arierparagraphen“ vorangepeitscht. Letzten Endes wurde dieser 1923 mit 675 zu 174 Stimmen beschlossen – was zur Aufspaltung des ÖSV führte: Skiverbände, die sich dem neuen rassischen Reinheitsgebot nicht verschrieben, fassten sich zum „Allgemeinen Österreichischen Skiverband“ zusammen. Als sich

207 Alle Zahlen: ÖSV: „100 Jahre ÖSV.“ Innsbruck 2005. S. 56ff. 208 ebenda.

77 1924 der internationale Skiverband (FIS) begründete, und sich unbeeindruckt von Rasse und Nationalität zeigte, überließ der ÖSV dem sportlich minder bedeutenden AÖSV den Österreichischen Sitz bei der FIS und schloss sich 1926 als Unterverband dem DSV an. Österreichische SportlerInnen traten künftig für Deutschland oder den kleineren Konkurrenzverband AÖSV an.209 Erst als sich eine Aufnahme alpiner Bewerbe bei Olympischen Spielen abzeichnete und die FIS die alpine Variante des Skilaufs nicht mehr blockierte, versuchte der ÖSV aus seiner untergeordneten Rolle beim DSV herauszukommen, bis schließlich die beiden Verbände unter dem Dachverband „Deutscher und Österreichischer Skiverband“ unter Wahrung der Selbstständigkeit beider Verbände, neu aufgestellt wurden.210

Mit den ersten alpinen Skirennen gelang der Aufstieg Österreichs innerhalb der FIS, was mit der Austragung der internationalen FIS-Wettkämpfe 1933 in Innsbruck seinen Höhepunkt fand. Vom Einsatz der ganzen Stadt verzückt, sprach man den Tirolern die Austragung der Wettkämpfe 1936 gleich noch einmal zu211. Große Erwartungen hatte man innerhalb des ÖSV hinsichtlich der ersten alpinen Bewerbe bei Olympischen Spielen in Garmisch-Partenkirchen 1936. Der strenge Amateurparagraph des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) machte den berechtigten Siegeschancen allerdings bereits vor Beginn der Spiele einen Strich durch die Rechnung: alle als Skilehrer tätigen AthletInnen waren aufgrund der strengen Amateurregelungen von den Spielen ausgeschlossen; die Schweiz und Österreich reagierten darauf mit Protest und schickten keine Männerteams zu der Großveranstaltung. Die deutschen reagierten gereizt und strichen ihrerseits ihre TeilnehmerInnen von den Startlisten der internationalen Bewerbe in Innsbruck – beide alpinen Skigroßereignisse wurden so stark entwertet.

Bis zum Jahr 1937 wuchs der ÖSV nach eigenen Angaben auf 360 Vereine mit 47.000 Mitgliedern an. In Zell am See wurde eine eigene Rennläuferschule eingerichtet; der Staat stellte dem österreichischen Sport 1935 das Schloss Schielleiten zur Verfügung. Man kann also davon ausgehen, dass der Skisport in Österreich bereits sehr lebendig war, als mit der „Gleichschaltung“ 1938 der ÖSV in das „Fachamt des Reichsbundes für Leibeserziehung“ eingegliedert wurde. Dass

209 ÖSV: „100 Jahre ÖSV.“ Innsbruck 2005. S. 63ff. 210 ebenda. S. 66. 211 ebenda.

78 dabei das „Fachamt Skilauf“ von Berlin nach Innsbruck verlegt wurde, zeigt die herausragende Stellung Österreichs im alpinen Sektor. Zahlreiche ÖsterreicherInnen setzten in diesem Fachamt ihre Arbeit fort. Als 1939 die ersten gesamtdeutschen Skimeisterschaften abgehalten werden, erhält mit Kitzbühel einer der prestigeträchtigsten Orte des österreichischen Skisports die Zusage. Generell sieht der ÖSV die nationalsozialistische Zeit als „Entwicklungshelfer“ für den alpinen Skisport in Österreich: mit dem Anschluss wäre plötzlich mehr Geld da gewesen und die zahlreichen Berichte in Zeitungen förderten die Popularität des Sports212. Pepi Jenewein, Willi Walch und Albert Pfeifer wurden von den Nazis groß gefeiert, bevor sie letzten Endes in den sinnlosen Soldatentod geschickt wurden. Generell kam der Skizirkus mit Fortdauer des Krieges zum Erliegen, im Winter 1943/44 finden nur noch vereinzelt Rennen statt.

Nach dem Krieg stellte sich der ÖSV sofort in den Dienst der Zweiten Republik. Noch 1945 trafen sich die Landesverbände in Kitzbühel, um von vorne zu beginnen. Der ÖSV verweist an dieser Stelle seiner Chronik auf Heinz Polednik, der schrieb: „Als oberster Grundsatz wurde die absolut unpolitische Führung des Verbandes auf demokratischer Grundlage festgelegt; als oberstes Ziel seiner Tätigkeit die Förderung des Skilaufs als Mittel körperlicher und geistig-sittlicher Erziehung auf möglichst breiter Grundlage. Als dringlichste nächste Aufgaben standen das Ansuchen um Wiederaufnahme in die FIS, die Gründung einer Rennläuferschule, die Durchführung der ersten Skimeisterschaften nach dem Krieg, Einflussnahme auf die Wiedereinführung der staatlichen Skilehrerprüfung, die Zusammenarbeit mit den Fremdenverkehrsstellen sowie die Herausgabe einer eigenen Zeitung zur Beschlussfassung.“213

Diese Zeilen will ich genauer betrachten: mit der Führung betraute man den Wiener Leopold Spitz. Die Forderung nach einer demokratischen, unpolitischen Führung darf als Zugeständnis an die Zweite Republik, sowie als Lehre aus den Jahren ab 1920 gesehen werden. Als Antwort auf den Drill der Nazis, der immer in der Ausbildung künftiger Soldaten wurzelte, stellt man nun die körperliche und geistig-sittliche Erziehung in den Vordergrund; dieser Anspruch wird von der allgemeinen Turnbewegung der jungen Zweiten Republik, die sich ihrerseits auf die 1920er Jahre

212 ÖSV: „100 Jahre ÖSV.“ Innsbruck 2005. S. 73. 213 Polednik: „100 Jahre Skilauf in Österreich.“ Wien-Leipzig-Zürich 2000. S. 88.

79 zurückbesinnt, getragen. Ganz frei von Konkurrenzdenken gebärt sich der ÖSV 1945 jedoch auch nicht: die Aufnahme in die FIS und die Eröffnung einer Rennläuferschule soll den status quo vor dem Zusammenbruch des Skirennsports 1943/44 wiederherstellen; Österreich soll zur alpinen „Ski-Nation“ werden und bei internationalen Rennen über ein schlagkräftiges Team verfügen. Dabei setzte man auf Kontinuität. Als etwa auf der 9. Länderkonferenz das Amt des 1. Sportwartes vergeben wurde, wählte man Toni Seelos, einen der größten Stars der Vorkriegsära214. Natürlich verkauft sich der ÖSV in seiner Chronik betont Entnazifiziert; eine Betrachtung der Wahrhaftigkeit dessen stellt nicht meine Aufgabe dar. Sehr wohl bleibt anzumerken, dass der ÖSV fortan unpolitisch in Erscheinung tritt und sich auch unpolitisch inszeniert. Daneben sorgen die SportlerInnen für wenig Bedenken, sodass der ÖSV unbeschadet aus der Zeit von 1939 bis 1945 herausging und zur Heimat zahlreicher „Heimatmacher“ wurde. Bundespräsident Heinz Fischer schreibt im Vorwort zur Jubiläumsschrift des ÖSV: „Die Erfolgsgeschichte des ÖSV begann nach 1945 und erreichte mit dem dreifachen Olympiasieg Toni Sailers bei den Olympischen Winterspielen in Cortina ihren ersten Höhepunkt. Ich erinnere mich gut und gerne an die drei Goldmedaillen von Toni Sailer, der elf Jahre nach Kriegsende zum Sporthelden wurde und mit seinen Siegen viel zum Selbstverständnis und Selbstbild unseres Landes in einer sehr schwierigen Zeit beigetragen hat.“215 Was Heinz Fischer damit artikuliert ist die Propagierung des vor 1945 geschichtslosen ÖSV, dessen Wirken so sehr mit der Etablierung des „neuen Österreichs“ nach dem Nationalsozialismus verbunden ist, dass Fragen an die Zeit davor überflüssig werden. Natürlich sind sie es aber nicht. Um die Rolle des alpinen Skisports für die Erfindung der österreichischen Nation 1945-1964 zu ergründen muss ich aber von diesem „geschichtslosen“ ÖSV ausgehen.

Nicht minder bedeutend für die Entwicklung des österreichischen Skisports sind die beiden Traditionsvereine Kitzbühler Ski Club (KSC) und der Skiclub Arlberg (SCA). Läge es im Bereich meiner Beobachtungen, wäre eine Recherche hinsichtlich personeller Kontinuitäten oder Brüche nach 1945 hilfreich; meine Ausführungen finden allerdings wie oben begründet ihr Auslangen, die Zeit des Nationalsozialismus zu übergehen, weil dieser in den Inszenierungen nach 1945 ohnehin hinfällig wurde. So macht es auch die offizielle Chronik des KSC: zwei Seiten zur Zeit 1938-45

214 ÖSV: „100 Jahre ÖSV.“ Innsbruck 2005. S. 76. 215 ebenda. S. 5.

80 genügen hier; dazu Erklärungsversuche, warum alle Unterlagen des Skiclubs 1945 vernichtet wurden. Die vorhandenen Versionen stützen sich lediglich auf vage Überlieferungen. Es sei möglich, dass die Alliierten alle Unterlagen des Skiclubs vernichtet hatten. Oder Buben verwendeten das Aktenmaterial aus Not zum Heizen. Daneben könnten es aber auch „Widerständler“ gewesen sein, die die Akten aus Rache am KSC, der „wie alle Sportorganisationen […] in das nationalsozialistische Gesamtsystem eingebettet“ war216, verbrannten. Wie auch immer der Aktenbestand verloren ging, Fakt ist, dass die Nazis keinen Grund sahen, den Präsidenten des KSC 1938 auszutauschen, vielmehr blieb der Veterinär Ludwig Hörtnagl von 1930- 1945 im Amt217. Indizien könnten dafür sprechen, dass der Verein im konservativ- nationalen Lager anzusiedeln sei. So wurde 1945 mit dem Kaufmann, Bezirkshauptmann und ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat, Max Werner, ein Widerstandsaktivist mit ehemaligem Naheverhältnis zur Heimatwehr zum Präsidenten gewählt218. Auch der Umstand, dass Karl Springenschmid die Biographie Toni Sailers von 1956 (mit-) schreibt und er darin von Sailer als „alter Freund der Familie“ ausgewiesen wird, spricht für diese Zuordnung. Die Familie Sailer hatte sicherlich starken Einfluss im KSC, Toni Sailer und sein Vater (Anton senior) waren u.a. Ehrenmitglieder. Sicher ist die Zuordnung des Clubs in das großbürgerliche Milieu. Der Skiclub Arlberg erfüllt seine Chronik in den Jahren von 1938 bis 1945 mit mehr Leben. Dieser Umstand lässt sich banal damit erklären, dass sich die Geschichten rund um den SCA als retrospektiv „positiv“ im Sinne von erzählbar, weil vornehmlich unbedenklich herausstellten. Die herausragende Gestalt des Skiclubs - Hannes Schneider - etwa, der in den 1920er und frühen 1930er Jahren in Arnold Francks Skifilmen an der Seite von Leni Riefenstahl und spielte, wurde als Christlichsozialer vom NS-Regime aller seiner Ämter enthoben und ins Exil gezwungen. Daneben beugte sich der SCA nicht dem oben erwähnten „Arierparagraphen“ des ÖSV von 1925 (auch der KSC nahm diesen nicht an)219; mit Rudolf Gomperz, einem Mitarbeiter Schneiders, kann man darüber hinaus in seiner Geschichte sogar auf ein jüdisches Opfer des Holocaust verweisen – seine Spur

216 Bronisch: „100 Jahre KSC.“ 2003. S. 42. 217 ebenda. S. 60. 218 Siehe Kurzbiographien der österreichischen Nationalratsabgeorneten. Online unter http://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_01476/index.shtml 219 Der Umstand, dass weder KSC noch SCA den „Arierparagraphen“ annahmen, interpretiere ich als Zugeständnis an den Internationalismus. Beide Vereine waren z.B. traditionell bei den Engländern beliebt.

81 verliert sich 1942220. Trotz allem stellt der Chronist Christian Mähr fest, dass auch im Umfeld des SCA die Biographien von 1939-45 „schwarze Löcher“221 haben.

Die Wichtigkeit der beiden Vereine – KSC und SCA – ist hinsichtlich der Entwicklung des alpinen Skisports in Österreich nach 1945 vielschichtig. Zum einen sind es natürlich die den Skisport in Österreich prägenden Persönlichkeiten wie Toni Sailer vom KSC und Karl Schranz vom SCA, die diese beiden Vereine erwähnenswert machen. Neben diesen beiden Ausnahmeskifahrern standen jeweils ein ganzes Team von Elitefahrern; besonders die Kitzbüheler um Sailer, mit Anderl Molterer, u.v.m., verdienten sich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre den Namen „Wunderteam“. Den Kitzbüheler Skiclub erhebt daneben vor allem die Austragung des legendären Hahnenkammrennens auf der „Streif“, dem nach Dieter Seefranz „Gnadenort göttlichen Skilaufs“222, der nach Rudolf Müllner die „Sozialisationsinstanz des österreichischen Skihelden“223 ist. Die nach Siegern des Hahnenkammrennens benannten Gondeln der Seilbahn runden die Inszenierung des österreichischen Ski-Walhallas ab; Kitzbühel wurde so durch seine Hahnenkammrennen, welche ab 1931 stattfanden, zum Erinnerungsort der österreichischen „Ski-Nation“. Diese Symbolkraft wird auch dann sichtbar, wenn sich der ÖSV 1945 zum ersten Mal nach dem Krieg eben in Kitzbühel wieder zusammenfindet, um den österreichischen Skilauf wieder auf Kurs zu bringen. Die kleine Tiroler Stadt erfuhr aufgrund dieser Symbolfunktion für den alpinen Skisport auch im „zivilen“ Dasein eine Sonderstellung innerhalb der Städte Österreichs: Ambitionen, eigene Hochschulen zu gründen; aber auch die Inszenierung des Ortes durch die Produktion einer eigenen Krimiserie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, welche sonst nur in der Bundeshauptstadt Wien angesiedelt werden, zeigt die enorme Aufladung Kitzbühels, die nur über den alpinen Skisport erreicht wurde. Der Skiclub Arlberg verweist daneben in seiner Tradition auf die Leistungen im skitechnischen Bereich. Zwar wartet man mit Karl Schranz, Trude Beiser oder Egon Zimmermann auch mit „Helden der Ski-Nation“ auf, doch ist es vor allem die Pionierarbeit in St. Christoph und die Skilehrertätigkeit Hannes Schneiders, die den SCA untrennbar mit der sogenannten „Arlbergschule“ des alpinen Skilaufs verknüpfen. Mit dem Kandaharrennen in St. Anton bekommt der SCA daneben einen

220 Mähr: „Skiclub Arlberg.“ St. Anton am Arlberg 2000. S. 80. 221 ebenda. S. 81. 222 Zit. nach: Sachslehner: „Schicksalsorte.“ Wien-Graz-Klagenfurt 2011. S. 114. 223 ebenda.

82 Hauch von internationalem Flair, den sich der KSC durch die illustren Gäste beim Hahnenkammrennen sichert.

Zusammenfassend verweise ich darauf, dass die Geschichte der einzelnen Vereine für die Etablierung der „Ski-Nation“ Österreich eine untergeordnete Rolle spielte. Daneben ist aber die Wichtigkeit der Repräsentation dieser Vereine herauszustreichen: neben der nationalen Komponente ist der/die SkirennläuferIn immer für den ÖSV, vielmehr aber für seinen/ihren Heimatverein am Start. Durch die klare Zuordnung der SkisportlerInnen werden diese Vereine selbst zu heimatproduzierenden Institutionen, weshalb ihre Rolle in der Geschichte des österreichischen Skisports in dieser Arbeit nicht fehlen durfte.

3. SPORTLERINNEN UND SPORTLER.

An dieser Stelle wird der Vergleich von 80 „offiziellen“ Skifahrerbiografien versucht. Biographische Daten entnehme ich dabei, wie Eingangs beschrieben, aus der offiziellen Publikation des Österreichischen Ski Verbandes (ÖSV) „Österreichische Skistars A-Z“, das Auswahlkriterium meinerseits ist die aktive Partizipation des/der SportlerIn am alpinen Skisport unter der Schirmherrschaft des ÖSV in den Jahren 1945-1964. Nach der Auslese bezüglich dieser Auswahlkriterien bleiben aus den 700 Einträgen der Sammlung genau 40 weibliche und 40 männliche Skifahrerbiographien übrig, was den folgenden Datensatz erklärt. Die SportlerInnen wurden nach Geschlechtern getrennt und alphabetisch geordnet. Name Jg. Geburtsort Skiclub Herlinde 1936 Salzburg WSV St. Gilgen Beutlhauser Lotte Blattl 1933 Innsbruck SC Saalfelden Sieglinde Bräuer 1942 Hofgastein SC Piesendorf Grete Digruber 1945 Mariazell SC Mariazell Christl Ditfurth 1943 Lebring WSV St. Johann/Pongau Traudl Eder 1941 Mittersill SC Mittersill Gertraud 1941 Graz ASC Graz Ehrenfried-Gaber Josefa "Putzi" 1930 Mandling SC Radstadt Frandl Rosemarie Gebler- 1921 Trautenau (CSSR) Innsbrucker SV Proxauf

83 Grete Gander 1942 St. Johann/Tirol SC St. Johann/Tirol Lydia Gstrein- 1931 Kitzbühel Kitzbühler SC Kosta Christl Haas 1943 Kitzbühel Kitzbühler SC Resi Hammerer 1925 Hirschegg SC Kleinwalsertal Helga Hanel 1937 St. Johann/Tirol SC St. Johann/Tirol Grete Haslauer 1936 München SK Grödig Traudl Hecher 1943 Schwaz SC Schwaz Helga Herdy 1937 Wien Innsbrucker SV Thea Hochleitner 1925 Bad Gastein SC Bad Gastein Hilde Hofherr 1930 Lermoos SC Lermoos Kathi Hörl 1936 Saalfelden SC Saalfelden Marianne Jahn 1942 Zürs SC Arlberg Luise Jaretz 1931 Warth SC Montafon Trude (Jochum) 1927 SC Arlberg Beiser Edda Kainz 1940 Immenstadt SC Kleinwalsertal Trude Klecker 1926 Semmering ASC Wien, WSV Semmering Christl Machek 1939 Innsbruck Innsbrucker SV, WSV Erika "Riki" 1924 Linz TS Innsbruck Mahringer Elisabeth 1937 Hallein SC Hallein Mittermayer Erika Netzer 1937 St. Gallenkirch WSV St. Gallenkirch Sophie Nogler 1924 St. Ulrich SC Lienz Hiltrud Rohrbach 1944 Kasten (NÖ) SC Saalbach Dagmar Rom 1928 Innsbruck SC Seegrube Rosi Sailer 1931 Kitzbühel Kitzbühler SC Ilse Schickl 1932 Wien SK Union Wien Regina Schöpf 1935 Innsbruck SC Seefeld Anneliese Schuh- 1922 Innsbruck SC Seegrube, Proxauf KSC, SC Seefeld Christl Straffner 1940 Kitzbühel TS Innsbruck, KSC Hilde Walter- 1915 Reichenberg Wiener SK Doleschell Edith Zimmermann 1941 Lech SC Arlberg Annelore Zückert 1925 Gartenau SK Grödig

Name Jg. Geburtsort Skiclub

Martin Burger 1939 Pettneu SC Pettneu

Franz Digruber 1940 St. Sebastian SC Mariazell

84 Karl Fahrner 1929 St. Anton SC Arlberg

Ernst Falch 1939 St. Anton SC Arlberg

Franz Gabl 1921 St. Anton SC Arlberg

Hermann Gamon 1929 Nenzing WSV Nenzing, ESV Bludenz Pepi 1932 Innsbruck Innsbrucker SV Gramshammer Engelbert Haider 1922 Reith bei Seefeld SC Seefeld

Gebhard Hilbrand 1934 Mittelberg SC Kleinwalsertal, SCA Ernst Hinterseer 1932 Kitzbühel Kitzbüheler SC

Adalbert Leitner 1942 Mittelberg SC Kleinwalsertal

Hias Leitner 1935 Kitzbühel Kitzbüheler SC

Otto Linher 1922 Frastanz SC Arlberg

Edi Mall 1924 St. Anton SC Arlberg

Toni Mark 1934 Saalfelden SC Saalfelden

Heini Meissner 1939 Obernberg SC Gries, SC Steinach Anderl Molterer 1931 Kitzbühel Kitzbüheler SC

Rudi Moser 1921 St. Anton SC Arlberg

Gerhard Nenning 1940 Lech SC Arlberg

Hugo Nindl 1942 Axams SC Axams

Hans Nogler 1919 Wien SC Lienz

Ernst Oberaigner 1932 Uttendorf SK Saalfelden

Christian Pravda 1927 Kufstein Kitzbüheler SC

Josl Rieder 1932 Lermoos SC Lermoos

Toni Sailer 1935 Kitzbühel Kitzbüheler SC

Othmar Schneider 1928 Lech SC Arlberg

Egon Schöpf 1925 Innsbruck TS Innsbruck

85 Helmut Schranz 1941 St. Anton SC Arlberg

Karl Schranz 1938 St. Anton SC Arlberg

Walter Schuster 1929 Lermoos SC Lermoos

Thaddäus Schwabl 1917 Kitzbühel Kitzbüheler SC

Hans Senger 1935 Bad Gastein SC Bad Gastein

Luis Seyrling 1923 Seefeld SC Seefeld

Stefan Sodat 1941 Paternion WSV Unterdrautal

Toni Spiss 1930 St. Anton SC Arlberg

Pepi Stiegler 1937 Lienz SC Lienz

Martin Strolz 1932 Lech SC Arlberg

Egon Zimmermann 1933 Innsbruck TS Innsbruck I E. Zimmermann II 1939 Lech SC Arlberg

Herbert Zitterer 1923 Mallnitz SZ Klagenfurt

Tabelle 1 und 2: Relevante SkifahrerInnen in alphabetischer Reihenfolge, nach Geschlecht getrennt.

Unterteilt man nun in Alterskohorten, so macht eine Klassifizierung anhand auffälliger Jahrgänge Sinn. Auffällig sind in diesem Fall die Jahrgänge bis 1929 (welche noch theoretisch zum Dienst in der Wehrmacht 1945 herangezogen wurden); dann die Jahrgänge bis 1935 (von denen man ausgehen kann, dass sie einen großen Teil der Kindheit mit nationalsozialistischer Indoktrination sozialisiert wurden; letzten Endes die Jahrgänge ab 1936, die mit Kriegsende maximal 9 Jahre alt waren und höchstwahrscheinlich nationalsozialistisches Gedankengut in der Grundschule vermittelt bekamen, den Großteil der Sozialisation jedoch nach 1945 erfolgte. Altersgruppe 1 (Jahrgänge bis 1929) umfasst dabei 26 SportlerInnen (11 Frauen und 15 Männer), also 32,5% (27,5 bei den Frauen und 37,5% bei den Männern); Altersgruppe 2 (Jahrgänge 1930 bis 1935) 21 SportlerInnen (8 Frauen und 13 Männer), also 26,25% (20% bei Frauen, 32,5% bei Männern); Altersgruppe 3 (Jahrgänge ab 1936) 33 Sportlerinnen (21 Frauen und 12 Männer), was einen relativen Anteil von 41,25% (52,5 bei Frauen und 30% bei Männer) ergibt Der Verweis auf einen tatsächlichen Kriegseinsatz liegt bei 10 Läufern vor:

86 . Franz Gabl, vom SC Arlberg, wurde 1940 zum Arbeits- und Kriegsdienst eingezogen. 6 Mal verwundet kam er 1945 aus russischer Gefangenschaft zurück nach Österreich. Daheim im französisch besetzten St. Anton entkam er durch gute Kontakte zum Widerstandskämpfer Willy Schäffler den Umerziehungsmaßnahmen. Vor allem halfen ihm dabei seine zahlreichen Kriegsverletzungen.224 Über die Kriegsjahre schreibt Gabl in seiner 1995 erschienen Biographie „Franzl. The story of Franz Gabl“: „[…] in 1938 a cloud appeared on the Austrian horizon. Hitler marched into Autria. The population was ecstatic and welcomed him. In 1941, the cloud darkened my life. I was sent tot he Russian front as cannon fodder for Hitler’s madness. He wanted more ‚lebensraum‘ for . The hardships the German „landser“ (GI) endured, especially the infantryman there, cannot be adequately described. It was inhuman.“225 1948 holte er in St. Moritz Silber in der Abfahrt. Diese Medaille war die erste Skimedaille für einen Österreicher bei Olympischen Spielen und die gleichzeitig einzige alpine Herrenmedaille 1948. Nach der WM 1950 in Aspen blieb er in den USA und arbeitete als Skilehrer in der eigenen Skischule. Später war er Coach des kanadischen Skinationalteams vor Olympia 1952 in Oslo.226 . Engelbert „Engele“ Haider vom SC Seefeld lernte vom großen Toni Seelos und wurde 1940 deutscher Jugendmeister in Garmisch und bekam während des Krieges den Nimbus der Unbesiegbarkeit, was ihn zum würdigen Nachfolger von Seelos machte. Er musste kurz in den letzten Kriegsmonaten an die Front, Konnte aber 1946/7 schon wieder im Skirennsport Fuß fassen. Engelbert Haider verstarb 1999 in Bad Wiessee.227 . Otto Linher vom SC Arlberg, der 1953 am Alpeiner Ferner/Stubai bei einem Bergunglück ums Leben kam, verlor seine Karriere an den Krieg und qualifizierte sich erst 1952 für sein erstes Großereignis (Olympische Spiele in Oslo, er wurde aber nur 28. In der Abfahrt).228 . Edi Mall, SC Arlberg, wurde 1942 einberufen und kam erst 1946 wieder zurück zum Skisport. Seine beiden Titel bei den ersten offiziellen

224 Gabl: „Story of Franz Gabl.“ New York 1995. S. 211. 225 ebenda. S. xi. 226 siehe ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 86. 227 ebenda. S. 134. 228 ebenda. S. 239f.

87 Nachkriegsmeisterschaften in Tschagguns machten ihn aber zum Maße aller Dinge des österreichischen Skisports. Olympia 1948 als Vierter in der Kombination, merkte man den fehlenden internationalen Vergleich. Bei der WM im amerikanischen Aspen wurde noch Siebter in Abfahrt, und blieb danach als Skilehrer in den USA.229 . Rudi Moser, auch vom SC Arlberg, fuhr 1939/40 in der gesamtdeutschen Mannschaft und wurde 1941 zur Wehrmacht einberufen. Seine Kriegsgefangenschaft endete 1946/47 mit seiner Rückkehr aus Russland, trotzdem konnte er bald wieder respektable Ergebnisse im Sport erzielen, er konnte aber nie an seine Vorkriegsform anschließen. Er war 1951 Trainer der deutschen Nationalmannschaft, 1952 Trainer der japanischen Olympiamannschaft, 1952/53 Trainer des österreichischen Nachwuchs‘ und danach der Frauenmannschaft der US-Amerikaner.230 . Egon Schöpf vom TS Innbruck musste durch den Krieg seine steile Karriere unterbrechen. Nach zwei Jahren in Kriegsgefangenschaft wurde er aber bereits 1948 Olympia-Fünfter in der Abfahrt dazu Sechster im Slalom. Nach der WM in Aspen 1950, wo er Bronze in Abfahrt gewann, unterbrach er aus finanziellen Gründen seine Karriere um 1952 noch einmal bei der Olympiaabfahrt anzutreten. Nach exzellenter Zwischenzeit schied er allerdings aus.231 . Thaddäus Schwabl vom Kitzbüheler Skiclub gelang 1937 sensationell der Sieg auf der Streif. In der starken gesamtdeutschen Mannschaft hatte er jedoch keine Chance, tatsächlich stahl ihm der Krieg die besten Jahre der Karriere. 1947/8 wurde er als 30jähriger bereits Trainer der ÖSV-Frauen.232 . Hans Senger, SC Bad Gastein, war nach dem Kriegsdienst 2 Jahre in Gefangenschaft und fand erst 1948 ins Nationalteam. Er wurde im „weißen Wunderteam“ unter Trainer Fred Rößner Weltklassefahrer, blieb aber ohne Medaille. Er wurde Trainer der italienischen Nationalmannschaft, Mitte der 1960er der ÖSV-Männer.233 . Luis Seyrling, vom SC Seefeld, stammte aus einer bekannten Hoteliersfamilie, was ihn aber vor dem Kriegsdienst nicht bewahrte. Er wurde

229 ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 256. 230 ebenda. S. 283. 231 ebenda. S. 394f. 232 ebenda. S. 404f. 233 ebenda. S. 414.

88 1941/2 Wehrmachtsmeister und finnischer Meister im alpinen Skilauf. Auch er wurde um die besten Jahre seiner Karriere gebracht.234 . Herbert Zitterer vom SZ Klagenfurt fand nach seinem Kriegsdienst bereits 1946/7 Anschluss an die nationale Spitze, ein Beinbruch 1947/48 beendete jedoch seine Karriere frühzeitig.235

Zusammenfassend lässt sich beobachten, dass sich in den meisten Fällen der Kriegseinsatz verzögernd bis vernichtend auf die Karriere auswirkte. Gründe dafür findet man im allgemein kurzen Zeitfenster, in dem sportliche Höchstleistungen finanziell möglich waren: damalige SkifahrerInnen waren keine Profis, sondern mussten neben dem Beruf Zeit und Geld für den Skisport aufbringen. Dieser Zeitraum ließ sich bis zum 26., 27. Lebensjahr hinausdehnen; danach aber wird der Skisport meistens zugunsten eines finanziell lukrativerem Daseins an den Nagel gehängt. Ein weiterer Grund für die karrierehemmende Wirkung des Kriegseinsatzes ist der eng mit dem (im Falle einer Kriegsgefangenschaft noch verlängerten) Trainingsausfall verbundenen Leistungsabfall, welcher durch das Verbot der Teilnahme an internationalen Rennen bis zum Winter 1946/47 für österreichische Läufer noch verstärkt wurde, weil der internationale Vergleich fehlte. So fand sich das Männerteam des ÖSV erst mit den Olympischen Spielen 1952 in Oslo im absoluten Spitzenfeld bei alpinen Großereignissen.

Natürlich forderte der Krieg auch innerhalb der alpinen Skisportelite Österreichs seine Opfer. Albert Pfeifer236 etwa, der nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 der Ordensburg im allgäuischen Sonthofen237 unterstellt war, als großes Skitalent von der NS-Propaganda zum Vorbild stilisiert wurde238 und 1943 als Flieger über den

234 ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 415. 235 ebenda. S. 509. 236 Bei der im Nachhinein von der FIS annullierten Weltmeisterschaft in Cortina d’Ampezzo 1941 holte er Gold im Slalom. Obwohl die Messung bei Vittorio Chierroni eine um sechs Hundertstelsekunden langsamere Zeit ergab, wurde der Italiener ex aequo mit dem für das Deutsche Reich an den Start gehenden Tiroler Weltmeister, denn die Wettkampfleitung gab einem Protest der italienischen Mannschaft nach und rechnete dem vermeintlich Zweitschnellsten die schlechteren Bedingungen gut. Siehe: Polednik: „100 Jahre Skilauf in Österreich.“ Wien-München 1991. S. 85. 237 1935 von Hermann Giesler erbaute Erziehungsanstalt für Parteikader. Siehe v.a.: Klein, Gerhard: „Die NS- Ordensburg Sonthofen 1934 bis 1945.“ In: Ciupke, u. a. (Hrsg.): „Weltanschauliche Erziehung in Ordensburgen des Nationalsozialismus.“ Essen 2006. S. 65–84. Josl Pfeifer, der ältere Bruder von Albert (geb. 1911), war gemeinsam mit Toni Seelos Trainer der deutschen Skimannschaft bei den Olympischen Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen 1936. Nach dem Anschluss 1938 floh er nach Australien, später trat er der 10. Gebirgsdivision der US Army bei. Er gilt als Gründer des Skigebiets in Aspen, . Siehe: Pfeifer, Josl (mit Lund, Morton): „Nice goin‘. My life on .“ Missoula (Montana) 1994. 238 Nach ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 317.

89 Niederlanden abgeschossen wurde. Mit Hans Seelos239, Willi Walch und Richard Werle240 verloren u.a. drei weitere Talente im Krieg ihr Leben. Einzig Franz Gabl gelang trotz des Kriegseinsatzes der Weg zurück an die Weltelite.

Wie eingangs beschrieben sind persönliche Verhältnisse zum NS-Regime kein Thema dieses Werkes, jedoch fallen drei Biographien in der offiziellen Sammlung des ÖSV auf. Dabei handelt es sich um die Lebensläufe Eberhard Kneisls, Jakob Lackners und Hellmut Lantschers. Kneisl, der in der Nachkriegszeit als Bergführer Berühmtheit erlangte, entging dem Fronteinsatz aufgrund seines Leidens an zwei Magensgeschwüren und unterrichtete den Wehrkreis 10 an den Winterkampfschulen Pettneu und Obergurgl.241 Jakob Lackner betätigte sich schon früh als illegaler Nazi und wurde für seine Systemtreue mit der Leitung einer eigenen Skischule belohnt.242 Die Praxis der „Gleichschaltung“ der Skischulen wurde unmittelbar nach dem Anschluss beinahe flächendeckend praktiziert. Franz Gabl erinnert sich an das Jahr 1938 bei der Skischule St. Anton: „Two men we did not know, one from Innsbruck, Hubert Salcher, the other, someone from Salzburg by the name of Aichinger, both Nazis, we presumed, took over as our new ski school codirectors.“243 Hellmut „Heli“ Lantscher, Sprössling der großen Skidynastie der Lantschers244, war aktiv am Juliputsch beteiligt und galt zeitlebens als „enfant terrible“ des österreichischen Skisports.245

Dass NS-Regime und Krieg auch Einfluss auf die Karriere von Frauen hatten ist unbestritten. Dennoch erfährt dieser Teil der Geschichte kaum Erwähnung in den Biographien der Sportlerinnen. Einzig über Rosemarie Gebler-Proxauf liest man,

239 1945 in Jugoslawien vermisst. Nach: ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 411. 240 Walch fiel 1941 am ersten Tag des Russlandfeldzuges; Werle wurde trotz der versuchten Auswanderung nach Australien zur Wehrmacht einbezogen und fiel 1944. Siehe beide ebenda S. 486. 241 „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. 242 ebenda. S. 226. 243 Damit ersetzten sie Hannes Schneider, der vermutlich aufgrund seines freundschaftlichen Verhältnisses zu Kurt Schuschnigg verhaftet wurde. Siehe Gabl: „Story of Franz Gabl.“ New York 1995. S. 49f. 244 Bekannte Namen aus der Familie Lantscher sind die Schwester Hellmuts‘, Grete Lantscher, besonders aber Gustav, der 1932 bei der WM in Cortina d’Ampezzo erster österreichischer Skiweltmeister in der Abfahrt wurde, später als Schauspieler in Bergfilmen, wie neben Leni Riefenstahl in „Der weiße Rausch – neue Wunder des Schneeschuhs“, für Furore sorgte. Dessen Bruder Otto Lantscher tat sich als Produktionsassistent bei Liefenstahls‘ „Triumph des Willens“ hervor; übte sich aber auch als Kameramann der nicht unumstrittenen deutschen Filmemacherin. 245 ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 229.

90 dass die Kriegswirren ihre Karriere stoppten, nicht zuletzt weil ihr Mann im Krieg fiel und sie als Alleinerzieherin zweier Kinder zurückließ.246 Während sich die in Österreich geborenen Männer, die für das Deutsche Reich starteten, durchwegs durchsetzen konnten und zu Leistungsträgern wurden, war dies für österreichische Frauen schwierig, weil diese einem enorm starken Team rund um die Ikone gegenüberstanden. Die in Belgien geborene Sportlerin gewann zwischen 1934 und 1939 zwölf Weltmeistertitel für Deutschland und war Olympiasiegerin 1936 in Garmisch-Partenkirchen. Angesichts dieser scharfen Konkurrenz war es für Talente wie die im tschechischen Liberec (Reichenberg) geborene und bei Olympia 1936 noch für Tschechien startende Hilde Walter- Doleschell, die erst 1937 zum ÖSV kam und dann vom DSV übernommen wurde247, schwierig, Startplätze zu erhalten. Hadi Pfeifer-Lantscher, auch vom oben erwähnter Lantscher-Clan, konnte sich allerdings durchsetzen und erhielt 1936 Startplätze vom DSV. Nachdem sie 1935 einen Deutschen heiratete, erreichte sie für Deutschland Platz fünf in der Kombination, Rang vier im Slalom und wurde Fünfte im Abfahrtslauf.248

Was die regionale Herkunft der SportlerInnen betrifft, lässt sich feststellen, dass 30 von 40 männlichen Skifahrern, die in der Zeit von 1945-64 im ÖSV aktiv waren, aus Tirol stammen, was einen Prozentsatz von 75% ausmacht. Bei den Frauen liegt der Wert bei 20 von 40, also bei 50%. Daneben sind die SportlerInnen aus Vorarlberg zu erwähnen, die zu insgesamt 10% (4 Frauen, 4 Männer) in dieser Auswahl vertreten sind. Aufgrund der Popularität und Professionalität des SC Arlberg diente der Skiclub als Anlaufstelle für Skifahrer aus dem ganzen Gebiet des Arlberg; oftmals sind SkifahrerInnen auf der Vorarlberger Seite des Arlbergs geboren und gehen für den Tiroler SC Arlberg an den Start. Fasst man nun die Skifahrer aus Vorarlberg und Tirol logisch zusammen, so ergibt sich eine Zahl von 58 SportlerInnen. Insgesamt stammen also 72,5% aus Tirol (62,5%) oder Voralberg (10%). Die nächstgrößte Gruppe mit insgesamt 14 LäuferInnen (17,5%) kommt aus dem Bundesland Salzburg, wobei der Prozentsatz bei den Frauen mit 27,5% deutlich höher liegt als bei den Männern (7,5%).

246 ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008.. S. 94. 247 1946/7 gewann sie aber für den ÖSV auf der Streif. ebenda. S. 481f. 248 ebenda. S. 319.

91 3 Frauen aus Niederösterreich/Wien (7,5% der Frauen; 3,75% aller), 3 Männer aus Kärnten (7,5% der Männer; insg. 3,75%) und insgesamt 3 SportlerInnen aus der Steiermark (1 Mann, also 1,25% aller Männer; 2 Frauen, 5% der Frauen) können dabei schon als exotisch angesehen werden. Auffallend wenige SkisportlerInnen stammen aus den östlichen Bundesländern. Bei den Männern ist es einzig Hans Nogler, dessen Geburtsort zwar Wien ist, der aber in Südtirol aufwuchs und 1941 nach Osttirol übersiedelte.249 Bei den Frauen ist der Anteil mit den Wienerinnen Helga Herdy und Ilse Schickl, den Niederösterreicherinnen Trude Klecker und Hiltrud Rohrbach, sowie der Linzerin Erika Mahringer höher. Kurt Bernegger schrieb über die regionale Verteilung österreichischer SpitzenläuferInnen: „Österreichs alpine Ski-Elite hat in vier Winterspielen 27 Medaillen (7 Gold-, 10 Silber-, 10 Bronzemedaillen) errungen. Tirol (4/6/8) stellte die Mehrzahl der Winter-Olympioniken, aber Vorarlberg (3/2/1) sorgte mit Trude Beiser und für das Eröffnungs-Gold. Salzburg (0/1/1) und Kärnten/Osttirol (0/1/0) waren unter den Medaillengewinnern noch vertreten. Die beiden weltbekannten Skiklubs, der Kitzbühler SC (4/3/3) und der SC Arlberg (3/3/1), lieferten sich ein erbittertes Privatduell um das Primat im alpinen Ski-Olympia und würden in einem olympischen Klassement der Skiklubs souverän an der Spitze stehen.“250 Diese Zahlen heißen für den „typischen österreichischen Skisportler“ bzw. die „typische österreichische Skisportlerin“, dass er/sie aus Westösterreich war und als solcher seiner Heimat im Skiclub treu blieb. Diese Treue und Heimatverbundenheit wird dann sichtbar, wenn die ländliche Heimat verlassen wird. Beinahe exotisch muten Bilder der Skistars an, wenn sie auf sommerlichen PR-Touren oder im Rahmen von Ehrungen im urbanen Raum auftauchen. Karl Schranz zitiert in seiner Autobiographie Marianne Jahn, die nach dem Empfang der Weltmeisterschaftsteilnehmer von 1962 in Chamonix in Wien meinte: „Schön ist das alles schon. Aber so hart wie’s Pflaster in der Stadt kann eine gar nicht sein!“251 Was die wirtschaftlichen Verhältnisse betrifft, so lässt sich allgemein sagen, dass diese(r) „typische“ SportlerIn aus einfachen Verhältnissen stammt und die Ausübung

249 ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 298f. 250 Bernegger, Kurt: „Von Trude Beiser bis Ernst Hinterseer.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (77-84.) S. 84. 251 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 199.

92 des Skisports oftmals von Kleinkindalter an nicht zuletzt aus Mangel an Alternativen geschah. Bei der Erzählung von Christl Haas‘ Anfängen auf Skiern liest man bei Lukas Wieselberg: „Gemeinsam mit den Großeltern mütterlicherseits wohnte die Familie in Christls Kindheit […] direkt neben der Bergstation der Hahnenkammbahn in Kitzbühel. Wenn man dort aufwächst […] hat man im Winter nur zwei Möglichkeiten: entweder runter mit dem Lift oder runter mit den Skiern. Schon sehr früh hat sich Christl für die zweite Variante entschieden. […] Wo sich die gewöhnlichen Skitouristen heute ineinander verkeilen und dank der Schwerkraft talwärts purzeln, fuhr die Christl in frühester Kindheit in Schusslinie Richtung Ziel. Und das war damals noch die Schule unten im Dorf.“252 Tatsächlich finden sich ähnliche Geschichten bei fast allen SkifahrerInnen aus dieser Zeit. Nur wenige Frauen kamen nicht als Kleinkinder zum Skifahren. Christina (von) Ditfurth zum Beispiel, ist aber kein praktischer Zugang als Transportmittel zum Skilauf feststellbar; vielmehr erlebt sie den Skilauf von Anfang an als Sport: „Mein um zwei Jahre älterer Bruder und ich wurden, als wir den Eltern alt genug erschienen – ich war drei oder vier -, im Winter täglich auf Ski gestellt. Das war unser Kindergarten.“253

4. ERGEBNISSE, ERFOLGE, „FEHDEN“.

In den folgenden Zeilen skizziere ich kurz die Ergebnisse der österreichischen Ski- Nationalmannschaft bei FIS-Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Diese als „Großereignisse“ bezeichneten Wettkämpfe dienen als internationaler Leistungsmaßstab. Da der Alpine Skiweltcup in seiner heutigen Form erst 1967 ins Leben gerufen wurde, müssen die Ergebnisse dieser Veranstaltungen als Anschauungsmaterial reichen. Zwar gab es auch vor der Zeit des Weltcups sogenannte FIS-A Rennen, die einen gewissen internationalen Vergleich zulassen; dazu kamen Weltranglisten und die Verleihung des „ski d’or“ durch die französische Sportzeitschrift „L’Equipe“ für den besten Skifahrer der Saison (was allerdings wenig ohne nennenswertes Interesse der Öffentlichkeit blieb254), doch ist ein Leistungsvergleich über eine ganze Saison hindurch vor der Einführung des

252 Wieselberg, Lukas: „Christl Haas“ in: Madl: „Golden Girls.“ Wien 2006. S. 230f. 253 Ditfurth: „Die Welt ist meine Heimat.“ Norderstedt 2005. S. 11. 254 Assinger, u. a.: 40 Jahre Ski-Weltcup.“ Wien 2007. S. 12.

93 Weltcups nicht möglich, da bei internationalen Rennen nicht immer alle SportlerInnen am Start waren. Dieser Umstand verleiht Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen den Charakter der einzigen Chance auf eine im Sport wichtige Bestimmung des oder der Besten. Auch sind es diese Großereignisse, welche das größtmögliche Interesse der Öffentlichkeit bedienen: gerade in diesem Zusammenhang, da Sport mit seiner Wirkung auf die Ausbildung einer Nation betrachtet wird, sind Ergebnisse und später im Text auch „Inszenierungen“ bei Großereignissen so wichtig, weil sich im Wettkampf mit „den Anderen“, also allen SportlerInnen anderer Nationalität, das Individuum ins Kollektiv verzahnt um als Ganzes, als das „wir“, gegen den Rest der Welt anzutreten um letzten Endes, in diesem Fall, „für Österreich“, zu siegen. Gerade das nach zwei Weltkriegen für seine Geschichte mit Minderwertigkeit bestrafte Österreich konnte sich so, durch den glücklichen Umstand zahlreiche Skitalente hervorzubringen, mit einer zumindest in der Skiwelt geltenden Hegemonie die Seele streicheln.

In meinen Beobachtungszeitraum von 1945 bis 1964 fallen neun solcher Großveranstaltungen; zu beachten gilt es, dass bis zu den Olympischen Spielen in Lake Placid 1980 die Wertung der Olympiarennen auch gleichzeitig als Weltmeisterschaftsergebnisse gehandelt wurden. Bei diesen „Großereignissen“ präsentierte sich das ÖSV-Team wie folgt:

- Bei den Olympischen Spielen in St. Moritz 1948 wurde Österreich in der alpinen Medaillenwertung Dritter hinter der Schweiz und Frankreich. Immer wieder wird das für österreichische Verhältnisse schwache Abschneiden bei diesen Olympischen Spielen mit dem Umstand erklärt, dass dem österreichischen Skinationalteam aufgrund eines Ausschlusses durch die FIS in den ersten Wintern nach Ende des NS-Regimes der Vergleich mit den Talenten anderer Nationen fehlte. Tatsächlich reichte es bei den Männern einzig bei Franz Gabl255 zu einer Medaille (Silber im Abfahrtslauf). Die österreichischen Frauen hingegen präsentierten sich wenig beeindruckt von der internationalen Konkurrenz: mit einmal Gold, einmal Silber und dreimal Bronze aus drei Bewerben256 stellten sie vor den Schweizerinnen und US- Amerikanerinnen die beste Mannschaft. Neben den

255 Biographisches siehe oben. 256 Abfahrt, Slalom, Kombination.

94 Bronzemedaillengewinnerinnen Erika Mahringer257 (Slalom und Kombination) und Resi Hammerer258 (Abfahrt) tat sich vor allem Trude Beiser259 mit einmal Gold (Kombination) und einmal Silber (Abfahrt) hervor und wurde damit zu dem österreichischen Skistar der ersten Nachkriegsjahre.

- Die alpinen FIS-Weltmeisterschaften 1950 in Aspen, gelegen im US- amerikanischen Bundesstaat Colorado, ermittelten das österreichische Team als Sieger im Medaillenspiegel. Zwar steuerten die Männer wieder nur eine Medaille bei (Egon Schöpf260 wurde Dritter im Abfahrtslauf), doch zeigten sich die österreichischen Frauen in überlegener Form und feierten in allen drei Rennen261 jeweils Doppelsiege: Dagmar Rom262 wurde mit ihren beiden Goldmedaillen (Riesenslalom und Slalom) zur absoluten Gewinnerin dieser Weltmeisterschaften; Trude Beiser mit je einmal Gold (Abfahrt) und einmal Silber (Riesenslalom) sowie Erika Mahringer mit ihrer Silbermedaille im Slalom präsentierten sich ähnlich souverän.

- Die alpinen Bewerbe bei den Olympischen Winterspielen 1952 in Oslo wurden ebenfalls von den ÖsterreicherInnen dominiert, wobei erstmals auch die Männer eine Goldmedaille beisteuern konnten. Diesmal holten die Männer in allen Bewerben263 Medaillen: Othmar Schneider264 vom SC Arlberg gewann

257 Erika „Riki“ Mahringer wurde 1924 in Linz geboren und war schon 1930 beim Christlich-Demokratischen Turnverein. Nach der Matura begann sie ihr Sportstudium in Innsbruck, wo sie mit dem Skilauf begann. Im ersten Nachkriegswinter war sie bereits im Kader des ÖSV und holte sowohl 1948 als auch 1950 Medaillen für den ÖSV. 1954 Ende der Karriere, danach staatlich geprüfte Skilehrerin und Lehramt Sport. Siehe: ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008 S. 248f. 258 Resi Hammerer aus Hirschegg wurde mit 22 Jahren Kombinationszweite beim Bundesländervergleich. Beendete 1950 ihre Karriere und begann mit der Produktion eigener Skimode. ebenda. S. 135f. 259 Trude (Jochum-)Beiser, 1927 in Lech am Arlberg geboren, stand mit 5 Jahren auf Skiern und wurde mit 16 bereits Fünfte bei den deutschen Meisterschaften. Nach ihrem Olympiasieg 1948 Unterbrechung der Karriere und Hochzeit mit Alois Jochum, erstmals Mutter; danach ohne nennenswerte Vorbereitung 1950 nach Aspen und holt WM-Titel in der Abfahrt, dazu Silber im RTL. Nach der WM-Saison wieder Karriereunterbrechung, um für die Familie zu sorgen. 1951 wieder zurück, mit 24 in Oslo 1952 wieder Olympiagold in Abfahrt, danach endgültiges Ende der Karriere. 1952 „Österreichs Sportlerin des Jahres“, 1996 „Goldenes Ehrenzeichen der Republik Österreich“. „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 184f. 260 Biographisches siehe oben. 261 Anders als bei Olympischen Spielen 1948 fehlte bei der Weltmeisterschaft 1950 die Kombinationswertung, dafür gab es einen Riesentorlauf. 262 Dagmar Rom aus Innsbruck machte Matura und feierte 1946/7 erste Erfolge im Skirennsport. 1950 Sportlerin des Jahres. 1951 Eröffnung des eigenen Skisportgeschäft mit ihrem Lebensgefährten Egon Schöpf, deshalb keine Rennen, daneben zeitweilig als Filmschauspielerin tätig („Nacht am Montblac“ sowie später die TV-Serie „Mario“). 1952 noch Silbermedaille im RTL, danach noch in Oslo Hochzeit. Studium der Geographie und Sport nicht abgeschlossen. Comeback 1954/5 als Dagmar Rom-Preis, aber nach der Geburt des 2. Sohnes kein Rennen mehr. ebenda. S. 360f. 263 Die Kombinationswertung wurde 1952 durch die Riesentorlaufwertung ersetzt. Erst bei den Olympischen Winterspielen in 1988 fand die Kombinationswertung, bestehend aus Abfahrts- und Slalomzeit, wieder Eingang in den Kreis der olympischen Disziplinen. 264 Othmar Schneider aus Lech am Arlberg stand mit vier Jahren auf Skiern und war ein hoffnungsvolles Jugendtalent. Nach seinem Olympiasieg Wahl zum „Sportler des Jahres 1952“. Für Skisport bricht er daraufhin Pharmaziestudium ab, 1952/3 nur in den USA gestartet, verliert im Vergleich zu Sailer und Molterer an Boden. Nach Cortina 1956 Ende der

95 eine Gold- (Slalom) und eine Silbermedaille (Abfahrt), Christian Pravda265 eine Silber- (Riesenslalom) und eine Bronzemedaille (Abfahrt) und Toni Spiss266 eine Bronzemedaille (Riesenslalom). Bei den Frauen wurde Trude Beiser, nach ihrer Hochzeit nun als Trude Jochum-Beiser in den Ergebnislisten geführt, Olympiasiegerin in der Abfahrt und Dagmar Rom holte Silber im Riesenslalom.

- Die 13. Alpine Skiweltmeisterschaft in Are (Schweden) 1954 beendete das österreichische Team auf Rang 2 des Medaillenspiegels hinter Norwegen. Zwar erreichte Österreich mit 8 Medaillen aus 8 Rennen267 die meisten Podestplätze, doch konnte sich Norwegen mit drei Goldmedaillen durchsetzen. Erstmals feierte Österreich in der „Königsdisziplin“, dem Abfahrtslauf der Männer, einen Dreifachtriumph. Österreichs SkifahrerInnen holten sich folgende Medaillen: Gold (Abfahrt) und Silber (Kombination aus Abfahrt, Slalom und Riesenslalom), Trude Klecker268 ebenfalls Gold (Silber) und Silber (Abfahrt); Martin Strolz269 Silber (Abfahrt); Toni Spiss (Slalom), Andreas Molterer270 (Riesenslalom) und Ernst Oberaigner271 (Abfahrt) holten jeweils eine Bronzemedaille.

Karriere und danach Skilehrer in den USA, Pistenchef bei der WM im chilenischen Portillo 1962, Profi-Rennen. Später Sportschütze. ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 391. 265 Christian Pravda aus Kufstein kam mit 10 Jahren zum KSC und wurde 1946 Hahnenkammsieger, 1951 Streckenrekord auf der Streif, Dreifacher Österreichischer Meister 1951 und absolutes Vorbild aller Nachwuchsfahrer. Olympia 1956 kein Thema mehr, ging nach Amerika. 1955 Hochzeit mit Tochter eines reichen texanischen Farmers. In den USA Profirennen, Profi-Weltmeister 1964 und Einzug in die „Ski Hall of Fame“ in Vail. Pravda wurde Skilehrer von Prominenten: neben Mitgliedern der Rockefellers auch Gerald Ford. ebenda. S. 328f. 266 Toni Spiss aus St. Anton (1993 in Feldkirch verstorben) hatte aufgrund seiner Slalomtechnik den Beinamen „Gummi-Spiss“. 1950/1 in internationale Spitze. Ende der Karriere 1957, danach Leben in den USA, danach BRD, später wieder Österreich. ebenda. S. 420f. 267 Die Bewerbe waren Abfahrt, Riesenslalom, Slalom, Kombination. 268 Trude Klecker vom Semmering, Tochter einer Rodlerin, war selbst eine vielseitige Sportlerin: Schwimmen, Turnen, Trampolin, Leichtathletin, Eislaufen. Im Gymnasium in Krems dann Konzentration auf den alpinen Skilauf den sie sich selbst beibrachte. Nach dem Krieg Studium in Wien. Erst 1950 im Nationalteam, „Österreichische Sportlerin des Jahres 1954“. Nach der sieglosen Saison 1956/7 Karriereende und Dissertation, war Deutschlehrerin in Italien und heiratete einen Italiener. „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 195. 269 Martin Strolz aus Lech (wo er 1994 verstarb) kam erst mit 14 zum Skilauf. 1951/2 stellten sich aber erste Siege ein. Bereits 1954 bleibt er lange in Nordamerika, ehe er 1957/8 seine Karriere beendet und noch einige Jahre in den USA bleibt. ebenda. S. 447. 270 Andreas „Anderl“ Molterer aus Kitzbühel, hatte bereits als Kind mit Skifahren geliebäugelt, hatte aber kein Geld für Ski bis er 11 war. Sein Vater war im Krieg gefallen, seine Mutter war alleine mit 2 Kindern. Nach einer Zimmermannlehre 1947 lotst ihn Pepi Salvenmoser zum KSC. Franz Kneissl stellte ihn in seiner Skifirma ein. In jungen Jahren schon extrem erfolgreich, 1950/1 im Nationalteam. 1952/3 überragend: alle Kombinationen gewonnen, mit 19 Siegen in wichtigen Rennen setzte er neue Maßstäbe. Sein Freund Toni Sailer wurde sein großer Konkurrent, wobei der aufgrund seiner hellen Haare „weiße Blitz“ genannte Molterer dem „schwarzen Blitz“ Sailer nicht nachkam. Trotzdem 1958 Abfahrt, Slalom und Kombination am Hahnenkamm gewonnen, während Sailer enttäuschte. WM in Bad Gastein aber verbremst. Nach Olympia 1960 folgt er dem Ruf von um Profirennen in den USA zu fahren, dort 2 Mal inoffizieller Weltmeister. ebenda. S. 279f. 271 Ernst Oberaigner aus Uttendorf kam mit 16 zum SK Saalfelden und 1951/2 zur Nationalmannschaft hatte 1956 im starken Olympiateam um Sailer und Molterer keine Chance, fuhr aber als Vorläufer im Slalom schneller als der spätere Olympiasieger Sailer. Nach 1960 Ende der Karriere, 1962-64 Trainer der ÖSV-Männer. ebenda. S. 301.

96 - Die Olympischen Spiele in Cortina d’Ampezzo (ITA) 1956 gingen als die Wettkämpfe des Toni Sailer in die österreichische Geschichte ein. Österreich setzte sich mit 9 Medaillen aus 6 Bewerben als „Skination Nummer 1“ vor der Schweiz und Deutschland durch. Neben den drei Goldmedaillen von Toni Sailer (Abfahrt, Riesenslalom, Slalom) zählen auch Sailers Freund und Clubkollege Andreas Molterer (Silber im Riesentorlauf, Bronze in der Abfahrt), Josefa, genannt „Putzi“, Frandl272 (Silber im Riesenslalom), Regina Schöpf273 (Silber im Slalom), Walter Schuster274 (Bronze im Slalom) und Thea Hochleitner275 (Bronze im Riesenslalom) zu den österreichischen Medaillengewinnern. Zudem bekam Toni Sailer den Weltmeisterschaftstitel für die Kombination (Abfahrtslauf und Slalom addiert).

- Die Weltmeisterschaften im Salzburger Kurort Bad Gastein 1958 zeigten wenig Veränderung. Österreich gewann das Medaillenranking mit 4 Mal Gold (Toni Sailer in Abfahrt, Riesenslalom, Kombination und Josef Rieder276 im Slalom), 4 Mal Silber (Josef Rieder im Riesenslalom, Kombination; Toni Sailer im Slalom; Josefa Frandl im Slalom) und 1 Mal Bronze (Josefa Frandl in der Kombination) klar vor Kanada und der Schweiz.

- Die alpinen Bewerbe bei den VIII. Olympischen Winterspielen im kalifornischen Squaw Valley 1960 bedeuten für das Österreichische Team im zweiten Jahr nach Toni Sailer, der die Skier nach der WM in Bad Gastein für eine Karriere beim Film an den Nagel hing, einen deutlichen Abfall im internationalen Vergleich. Hinter Frankreich, Kanada, der Schweiz und der Gesamtdeutschen Mannschaft erreichen die österreichischen SkifahrerInnen nur Platz fünf im alpinen Medaillenspiegel. Die einzige Goldmedaille steuerte

272 Josefa „Putzi“ Frandl aus Mandling, war ab der Saison 1951/2 Teil der Nationalmannschaft. Nutzte die Übersee- Tournee 1959 um in den USA zu bleiben, heiratete Air-Force-Lieutnant und bekam drei Kinder. „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 80. 273 Regina Schöpf aus Innsbruck begann nach dem Krieg mit dem rennmäßigen Skiaufen. Ihre Förderer waren „Engele“ Haider und auch Toni Seelos. 1952/3 erste Spitzenplätze. Nach Olympia 1956 mit 20 Jahren Karriereende, danach als Seglerin 2 Mal den Atlantik überquert. ebenda. S. 395. 274 Walter Schuster aus Lermoos wuchs in äußerst bescheidenen Verhältnisse auf. Erster Abfahrtssieg 1948 auf selbstgemachten Eschenskiern. 1956/7 letzte Saison, danach Maurer und Skilehrer. ebenda. S. 403. 275 Thea Hochleitner aus Bad Gastein fuhr aufgrund ihrer frühen Heirat nie unter ihrem Mädchennamen Seer. 1952/3 erste Einsätze im ÖSV-Team. Karriereende mit 32, später bei Kneissl beschäftigt. ebenda. S. 154. 276 Josef „Josl“ Rieder aus Leermoos kam erst spät zum Rennskilauf. Die Handelsschule und das Mithelfen am elterlichen Bauernhof waren wichtiger, dazu machte er die Hotelfachschule in Bad Gastein. Erst 1952 aktiv im Skilauf. Bei der WM in Bad Gastein gelingt ihm als einzigem Fahrer der Sieg gegen Sailer bei einem Großereignis. 1960 Trainer des spanischen Teams, danach Cheftrainer ÖSV-Herren als die sensationellen Erfolge in Chamonix 1962 eingefahren wurden. 1964 entzündete er das Olympische Feuer am Bergisel. ebenda. S. 347f.

97 der Kitzbühler Ernst Hinterseer277 im Slalom bei, daneben gewann er Bronze im Riesenslalom. Die Silbermedaillen von Josef Stiegler278 (Riesenslalom) und Matthias Leitner279 (Slalom); sowie die Bronzemedaille von Traudl Hecher280 in der Abfahrt rundeten das Ergebnis ab.

- Zwei Jahre danach jedoch fand die österreichische Skination in Karl Schranz den neuen „Messias“. Mit 15 Medaillen aus 8 Rennen holte Österreich bei der Alpinen Ski-WM in Chamonix 1962 auf „feindlichem“, weil französischem Terrain, ein Traumergebnis. Die sechs Goldmedaillen holten: Karl Schranz (Abfahrt, Kombination), Marianne Jahn281 (Slalom, Riesenslalom), Egon Zimmermann282 (Riesenslalom) und Christl Haas283 (Abfahrt). Dazu kamen vier Silbermedaillen (Karl Schranz, Gerhard Nenning284, Erika Netzer285 und Marianne Jahn) und fünf Bronzemedaillen (2 Mal Erika Netzer; dazu Egon Zimmermann, Martin Burger286, ).

277 Ernst Hinterseer aus Kitzbühel lernte das Skifahren vor der Haustür. Neben seiner Zimmermannlehre 1946 zum KSC; Lehre aber abgebrochen nach ersten Skierfolgen. 1957 Slalomweltranglistenerster, nach Sturz in St. Anton 1958 durch eine Embolie Lebensgefahr. 1959/60 eigentlich nicht erfolgreich, Olympiasieg kam unverhofft. Nach Olympia beendet er seine Amateurlaufbahn, bestreitet für Kneissl in Japan und den USA Profirennen. Später Betreuer seines Sohnes Johann „Hansi“ Hinterseer, Techniktrainer beim ÖSV und Deutschen SV. ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008.. S. 150. 278 Josef „Pepi“ Stiegler aus Lienz war schon als Kind ein großes Talent, machte eine Ausbildung zum Fotografen, und kam Mitte der 1950er ins Nationalteam. Nach seinem Olympiasieg 1964 in die USA ausgewandert, wo er das „Jackson Hole“ Skigebiet aufbaute. Mit seiner Ehefrau hat er zwei Kinder; seine Tochter Resi fährt im Skiweltcup für die USA. ebenda. S. 435f. 279 Matthias „Hias“ Leitner aus Kitzbühel machte eine Lehre als Maurer und kam 1951 zum KSC, wo er mit Toni Sailer die Jugendklasse dominierte. 1959/60 größte Erfolge inklusive Olympia-Silber im Slalom. Nach Olympia 1960 aber fielen die Kitzbühler gegenüber den Arlbergern Zimmermann, Schranz und Nenning ins Hintertreffen. Nach Olympia 1964 Karriereende Profiläufer in den USA; dreimal Profiweltmeister. 1974-76 im Trainerteam von Toni Sailer des ÖSV. ebenda. S. 233f. 280 Traudl Hecher aus Schwaz in Tirol wurde von ihren Eltern zum Skilaufen gedrängt. Hermann Gamon holte sie schon mit 15 Jahren zu einigen Einsätzen. 1960/1 hatte sie praktisch alles Wichtige gewonnen, 1962 in Chamonix am Druck gescheitert. Danach nicht so stark wie zuvor, aber bei Heimolympia 1964 überraschend wieder Bronze in Abfahrt. 1968 waren kein Anreiz mehr, weiterzumachen: Ende der Karriere mit 24. Erst spät fand sie im Theologen und Gesprächtherapeuten Anton Görgl den Mann fürs Leben und bekam drei Kinder ab 1976. Darunter Stephan (*1978) und Elisabeth (*1981), die ebenfalls für den ÖSV aktiv sind. ebenda. S. 143f. 281 Marianne Jahn aus Zürs wuchs als Tochter eines Bäckermeisters in einfachen Verhältnissen auf. 1958 als Double für Maria Perschy bei Dreharbeiten mit Toni Sailer im Einsatz. Brach für ihre Skikarriere ihre Krankenschwesterausbildung ab und stand ab 1959/60 im ÖSV Kader. Die medienscheue Vorlarlbergerin beendete nach dem Olympiawinter 1963/4 ihre Karriere und hatte danach keinen Bezug mehr zum Skifahren. ebenda. S. 179. 282 Egon Zimmermann (II) aus Lech feierte in der Saison 1959/60 erste Erfolge war in Chamonix 1962 als Ersatzmann nominiert. Von Medien und Fans bald als der neue Toni Sailer gefeiert. 1964 Krönung zum Abfahrts-Olympiasieger. 1965 schwerer Autounfall mit seinem Sportwagen. Nach der WM in Grenoble 1968 nur noch Profi-Rennen in den USA. Hochzeit 1981 mit schwedischer Prinzessin Charlotte Klingspor, inzwischen getrennt. ebenda. S. 506f. 283 Christl Haas aus Kitzbühel, die 2001 im türkischen Manavgat bei einem Badeunfall verstarb, wuchs unmittelbar neben dem Hahnenkamm auf und hatte 1959/60 ihre ersten internationalen Einsätze. Abfahrtsweltmeisterin 1962 mit über drei Sekunden Vorsprung, 1964 erst 20jährig als große Favoritin auch Gold in Innsbruck. Ein Jahr darauf stoppt eine Verletzung ihre Siegesserie, kommt aber zurück und gewinnt 1965/6 die meisten Abfahrten ihrer Karriere. 1968 Rückzug ins Privatleben. ebenda. S. 129f. 284 Gerhard Nenning aus Lech (1995 in Bregenz verstorben) wurde vom Vater gefördert und galt als Riesentalent. Aufgrund seiner Waghalsigkeit war er der legitime Nachfolger von Anderl Molterer. Große Erfolge auch im 1967 gegründeten Weltcup, erster österreichischer Sieger des Abfahrtsweltcups. 1970 Rücktritt, Skilehrer. ebenda. S. 288f. 285 Erika Netzer aus St. Gallenkirch, die 1977 40jährig einem Leberleiden erlag, kam 1957/8 in den A-Kader des ÖSV und gewann ad hoc 3 Abfahrten. 1958/9 überragende Fahrerin des Winters. Nach 1962/63 vor Olympia Ende der Karriere. ebenda. S. 289f 286 Martin Burger aus Pettneu wuchs am Arlberg auf und begann in der Schulzeit mit regelmäßigem Training. 1961 Österreichischer Meister, im Winter 1960/1 vier RTL-Siege. Qualifikation für Innsbruck 1964 verpasst, aus A-Kader

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- Schließlich fallen in meinen Beobachtungszeitraum noch die IX. Olympischen Winterspiele in Innsbruck 1964, das Prestigeprojekt des österreichischen (Winter-) Sports. Das österreichische alpine Skiteam erfüllte mit 3 Gold- (Egon Zimmermann, Josef Stiegler, Christl Haas), 4 Silber-(2 Mal Edith Zimmermann287; Karl Schranz, Gerhard Nenning), und 3 Bronzemedaillen (Josef Stiegler, Traudl Hecher, Edith Zimmermann) die Erwartungen und gewann die alpine Medaillenwertung vor Frankreich, (Gesamt-) Deutschland und den USA.

Neben FIS-Weltmeisterschaften und den alpinen Konkurrenzen bei Olympischen Winterspielen gibt es noch einige wenige Rennen, die es mit dem Prestige einer solchen Medaillenkonkurrenz aufnehmen kann.

- Natürlich zählen dazu die klassischen Bewerbe am Lauberhorn288, die seit 1930 Sieger in Abfahrt, Slalom und Kombination ermitteln. Von 1945 bis 1964 holten dort Othmar Schneider, Andreas Molterer, Christian Pravda, Toni Spiss, Toni Sailer, Josef Rieder, Karl Schranz, Ernst Oberaigner, Matthias Leitner, Josef Stiegler, Egon Zimmermann und Georg Nenning insgesamt 29 Siege für Österreich. - Das Arlberg-Kandahar-Rennen289 findet seit 1927 abwechselnd in St. Anton am Arlberg, Mürren, Garmisch-Partenkirchen, Chamonix und statt und ist eines der bedeutendsten Rennen des alpinen Skisports. 1945-64 erreichten dort Trude Beiser, Anneliese Schuh-Proxauf290,, Rosemarie Gebler- Proxauf Othmar Schneider, Fritz Huber291, Erika Mahringer, Andreas Molterer, Thea Hochleitner, Trude Klecker, Ernst Oberaigner, Christian Pravda, Walter gestrichen und Karriereende mit 26 Jahren. Danach Skilehrer in Chile und den USA. Als Wahlamerikaner war er das letzte Mal 1979 in Österreich. ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 38f 287 Edith Zimmermann aus Lech kam 1960/1 in die Nationalmannschaft und beendete nach der Saison 1965/6 bereits ihre Karriere. „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 504f. 288 Born, Martin: „ – die Geschichte eines Mythos.“ Zürich 2004. 289 Siehe: Lunn, Arnold: „The Story of Ski-ing.“ London 1952. S. 83–93. bzw. Mähr: „Skiclub Arlberg.“ St. Anton am Arlberg 2000. Skiclub Arlberg (Hrsg.): „75 Jahre Skiclub Arlberg.“ St. Anton 1976. 290 Anneliese Schuh-Proxauf aus Innsbruck, deren Vater Robert Proxauf Kriegskamerad von Skipionier Bilgeri im 1. Weltkrieg war, fuhr ab Anfang der 1930er rennmäßig Ski. Machte Matura und studierte Wirtschaft und holte bei der nachträglich gestrichenen WM in Cortina 1941 2 Bronzemedaillen. In St. Moritz 1948 6. Slalom, 7. in der Kombination, 17. Abfahrt. Nach Karriere noch Tennisspielerin (Österreichische Meisterin und Riviera-Turnier in Nizza gewonnen). ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 399f. 291 Fritz Huber aus Kitzbühel ist der Sohn des Skipioniers Fritz Huber sen., der mit Geschwindigkeitsrekord 1934 aufzeigte. Ende der Karriere mit 24, weil viele Verletzungen Erfolge verhinderten. Gründete eigenes Taxiunternehmen in Kitzbühel und arbeitete als Trainer für die schwedische Nationalmannschaft 1955, war Coach der ÖSV Damen sowie DSV Cheftrainer 1959/60. ebenda. S. 171.

99 Schuster, Hilde Hofherr, Fritz Huber, Karl Schranz, Toni Mark, Lotte Blattl292, Josefa Frandl, Erika Netzer, Traudl Hecher, Matthias Leitner, Marianne Jahn, Josef Stiegler, Egon Zimmermann und Edith Zimmermann insgesamt 49 österreichische Siege (in Abfahrt, Slalom oder Kombination, wobei der Sieger der Kombination der eigentliche „Kandahar“-Sieger war). - Letztendlich gehört in diese Aufzeichnung natürlich auch das Kitzbüheler Hahnenkammrennen, seit 1931 ausgetragen, wo Traudl Hecher, Hilde Hofherr293, Josefa Frandl, Dorothea Hochleitner, Regina Schöpf, Erika Mahringer, Trude Klecker, Rosi Sailer294, Mitzi Stüger, Resi Hammerer, Sophie Nogler295, Hilde Doleschell, Gundl Baur sowie Annelore Zückert296 bei den Frauen;Egon Zimmermann, Gerhard Nenning, Josl Rieder, Toni Sailer, Toni Spiss, Andreas Molterer, Christian Pravda, Fritz Huber, Egon Schöpf, Hellmut Lantscher, Thaddäus Schwabl, Karl Feix297 und Karl Koller298 gewinnen konnten.

Die Gegner der österreichischen SkifahrerInnen sind mehr an Individuen als an Nationen festzumachen. Aufgrund der geographischen und auch kulturellen Ähnlichkeiten entwickelte sich auch in der Schweiz früh der Glaube an die „Ski- Nation“, von einer Rivalität mit den Eidgenossen oder gar einer Fehde fehlt aber jede Spur. Auch die Deutschen, die immer wieder Erfolge im alpinen Skilauf feiern, werden nicht als „Feinde“ – wie in anderen Sportarten299 - angesehen300. Der Erfolg

292 Lotte Blattl aus Innsbruck wurde mehrfache Österreichische Meisterin in den 1950ern. Beste Saison 1955: mit Ski d’Or ausgezeichnet, Cortina 1956 aber verletzt. Ende Winter 1957/8 Rückzug ins Privatleben. Biographiensammlung S. 30. 293 Hilde Hofherr aus Lermoos kam im Kindergartenalter zum Skilauf und mit 22 ins Nationalteam, wo sie bis 1960 feste Größe war. Beendet Karriere 1960, danach Tätigkeit bei der FIS. Biographiensammlung S. 157. 294 Rosi Sailer aus Kitzbühel war wie ihr Bruder vom Skifieber von ihrem Vater Anton senior angesteckt worden. Nach dem Doppelsieg am Hahnenkamm Olympia 1952 Olso, wo sie 17. im Slalom wurde. Nach WM 1954 Ende der Karriere und Beruf. Biographiensammlung S. 369. 295 Sophie Nogler aus Osttirol ist die Schwester von Hans Nogler, wuchs in Südtirol auf, holte 1948 keine Medaille und qualifizierte sich für die WM 1950 nicht. Später Hotel mit ihrem Bruder, Volksmusikantin, Auswanderung nach Montreal. Biographiensammlung S. 399f. 296 Annelore Zückert aus Grödig fuhr mit Umsteigetechnik, was ihr 1952 sogar kurzzeitig den Trainerinnenposten des jugoslawischen Teams einbrachte. Nach 1952 Rückzug, Hochzeit, 2 Kinder. Biographiensammlung S. 510. 297 Karl Feix aus dem Tiroler Kirchberg war ab 1938 im Deutschen Ski-Kader und war ein fanatischer Kriegsgegner, sodass er sich selbst verletzte, um dem Kriegsdienst zu entgehen. Trotz allem kam er zur Wehrmacht und in französische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Heimkehr hielt er sich als Schmuggler über Wasser. Dies gelang nicht immer fehlerfrei, weshalb er seine Heimat überstürzt verlassen musste. In Venezuela verkaufte er Feuerzeuge aus Kitzbühel. 1963 stirbt er in Caracas im Feuer, nachdem er seinen Fliegeranzug mit Benzin von Ölflecken befreien wollte. Biographiensammlung S. 74. 298 Karl Koller, geboren 1919 in Kitzbühel, war kein Mitglied des A-Kaders, deshalb nicht in der Liste oben angeführt. Der Skisport prägte sein Leben maßgeblich: er war Rennläufer, Skischulleiter von Kitzbühel und Obmann des österreichischen Skilehrerverbandes. Er ist neben Eberhard Kneisl, Gustav Lantscher und Richard Rossmann sen. in dem österreichischen Dokumentarfilm „Ski Heil! Die zwei Bretter, die die Welt bedeuten“ von Richard Rossmann jun. (2009) zu sehen. 299 Man denke an die Rivalität im Fußball. 300 Sondern eher als potentielle Werbeträger für deutsche Touristen.

100 der US-amerikanischen SkifahrerInnen sowie KanadierInnen wird ebenso freudig aufgenommen wie jener eines Exoten wie aus Japan. Die SkisportlerInnen dieser Nationen gelten anstatt als Konkurrenten vielmehr als Sprösslinge einer erfolgreich exportierten Österreichischen Ski-Expertise (welche auch in Deutschland und der Schweiz Anwendung fand). Besonders im Falle Igayas sparte man nicht mit Lob: das ÖOC schrieb über den Japaner: „Chiharu Igaya, der gelenkige Japaner, war aus den USA, wo er studierte, zu den Rennen nach Cortina gekommen. In seinem Herzen trug er noch die überlieferte Ehrfurcht vor den Gewalten der Natur, in seinem Geist aber wußte er die Mittel, sie zu überwinden. Die Spur Igayas im Schnee war wie ein zartes japanisches Gedicht. Sie war das Lied vom weißen Wunder, vom Tanz des Eisstaubes um schmale Bretter und vom Wind, der sich wie ein wehendes Tuch um den Körper legt. Igaya meisterte die Schwierigkeiten der Piste mit dem unverdrossenen Gleichmut seiner Rasse und dem Können eines Meisters.“301 Einzige Ausnahme scheinen die Franzosen zu bilden, die ab den Olympischen Spielen 1960 u.a. mit Guy Perillat, Jean Vouarnet, , Emile Voillat, später bei den Frauen mit Marianne und ein schlagkräftiges Team stellten ohne die Weisungen eines Österreichers erhalten zu haben. Der Konkurrenzkampf mit den Franzosen, der kein völkisches Relikt ist, spitzt sich genau zu jener Zeit zu, da der Stern von Karl Schranz aufzugehen beginnt. Deshalb ist seine Autobiographie in diesem Zusammenhang die Spannendste; im relevanten Kapitel wird deshalb noch einmal auf diesen Konflikt eingegangen. Als Ursache für das Erstarken der französischen Skifahrer wird gerne auf das größere vom französischen Verband bereitgestellte Budget verwiesen. Karl Schranz erinnert sich an die Vorbereitungen für die WM in Chamonix 1962: „Wir diskutieren wieder einmal über das Training der Franzosen, die im Sommer so ziemlich alles gemacht haben, was überhaupt möglich ist, wobei sie mit finanziellen Mitteln durch das französische Sportministerium Unterstützung fanden.“302 Die beschränkten finanziellen Mittel werden auch thematisiert, wenn Karl Schranz über das Geplänkel vor den Weltmeisterschaften 1962 spricht, die im Kalten Krieg am diplomatischen Unvermögen von West und Ost zu scheitern drohten, was die Ski-WM in Chamonix zur internationalen Skiwoche degradiert hätte:

301 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 36. 302 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 139.

101 „Wenn's so ist, müssen wir wohl heimfahren! Es zahlt sich für den Verband nicht aus, für Konkurrenzen ohne Titel so viel Geld auszugeben. Unser Verband verfügt nicht über uferlose Mittel und muss stets sparen, wo es geht.“303 Gelingt es der Österreichischen Nationalmannschaft die Franzosen noch bis zu den Olympischen Spielen 1964 in Schach zu halten, so sehr schmerzte die große Niederlage bei den Weltmeisterschaften 1966 im chilenischen Portillo, wo Frankreich 7 von 8 möglichen Goldmedaillen errang und mit 16 Medaillen die weit abgeschlagenen Österreicher in ihre Schranken wiesen. Die anschließende Dominanz Jean-Claude Killys im neu gegründeten Ski-Weltcup setzte nahtlos an diesen Erfolg an.304

Exkurs: Mediale Präsenz des alpinen Skirennsports am Beispiel der Berichterstattung der „Austria Wochenschau“ zu den XI. Alpinen Skiweltmeisterschaften in Aspen 1950.

Eine umfassende Medienanalyse ist für meine Beweisführung wenig interessant. Dennoch darf ein gewisser Einblick in die Popularität des alpinen Skirennsports – in aller Kürze – nicht fehlen, um die Propagierung sowie mediale Inszenierung dieses Sports nicht gänzlich auszuklammern. Als sinnvolle Quelle erschien mir der Blick auf Beiträge der „Austria Wochenschau“, die es verstand, dem Publikum in Wort und Bild die Geschehnisse im sogenannten „Skizirkus“ näher zu bringen. Beiträge über den Alpinen Skisport finden sich bereits ab den späten 1940er Jahren. Mit steigender Popularität – welche als Folge der steigenden Erfolgskurve österreichischer SkirennläuferInnen gesehen werden kann – nimmt die Anzahl der relevanten Beiträge in den 1950er Jahren zu, bis letzten Endes mit den Erfolgen Toni Sailers der/die SkiläuferIn zum Stammgast in den Wochenschauen wurde – egal ob Sommer oder Winter. Dadurch unterscheidet sich die Berichterstattung über den alpinen Skilauf deutlich von anderen Sportarten: während man über den Fußball z.B. nur während dessen Saison berichtet, zeigt man AthletInnen des ÖSV auch gerne fernab von Schnee und Eis. Im Folgenden zitiere ich exemplarisch einige Texte aus Wochenschauberichten, um ein Gefühl für den Inhalt der Berichte zu vermitteln. Eine bildliche Analyse wäre

303 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 164. 304 Französisches „Wunderteam“ siehe: Werthan: „Weiße Pisten.“ Reichling 1976. S. 55ff.

102 daneben sehr interessant gewesen, jedoch für diesen kurzen Einblick zu umfangreich und aufwendig. Besonderes Interesse weckten erstmals die Alpinen Skiweltmeisterschaften 1950 in Aspen/Colorado. Nachdem sportlich eher mittelmäßigen Abschneiden der österreichischen SkirennläuferInnen bei den Olympischen Spielen in St. Moritz 1948 waren die Erwartungen hinsichtlich der Leistungsvergleiche 1950 sehr groß; daneben wurde die österreichische Skinationalmannschaft als eine Gruppe von Botschaftern gesehen, die eine Expedition nach Amerika unternehmen, und den österreichischen Skisport in Übersee vermarkten. Die besondere Importanz dieser WM von 1950 zeigt sich, dass die „Austria Wochenschau“ bereits zur Vorbereitung auf der Zugspitze einen Bericht sendet, die mit den Worten „wir hoffen, dass unsere brave Skielite Ruhm und Ehre in Amerika erkämpfen wird“305 endet. Auch über die feierliche Verabschiedung in Form eines Balls in Wien mit Beteiligung des Unterrichtsministers Felix Hurdes wird gesendet306, sodass man von einem bewusst erzeugten „Hype“ rund um die Ski-WM 1950 sprechen kann. Als die Wettkämpfe in Amerika erfolgreich beendet wurden, wird um die Rückkehr ein ähnliches mediales Spektakel veranstaltet. Am 31. März erscheint ein Beitrag mit folgendem Wortlaut: „Die Austria Reporter berichten, dass sie bereits in Zürich unsere ruhmbedeckten FIS Kämpfer begrüßen könnten. Das aus Kanada kommende Flugzeug verlässt als Erste die Weltmeisterin Trude Beiser-Jochum. Trotz aller Siege, Ehrungen und Angebote in Amerika freuen sie sich, wieder nach Hause zu kommen. Edi Mall, Hans Nogler, Toni Seelos, Walter Schuster mit zwei gebrochenen Beinen, Gebler, Proxauf, Schuh-Proxauf, Resi Hammerer, Pravda, Haider, Senger, Lydia Gstrein und sogar die fünffache Kronprinzessin Erika Mahringer lächelt - trotz Bänderriss. Feldkirch wartete zum Empfang in Österreich alles auf, was gut und teuer war. Talisman, Fahnen und Blumenschmuck, Schützenkompanie, hochoffizielle Begrüßung, ein bescheidener Dank für den Triumph, zu dem die Skikanonen unserem Sport in der Welt verhalfen.“307 Eine Woche später wird ein Beitrag über den vom Bundesministerium für Unterricht gegeben Staatsempfang gesendet: „Zu Ehren unserer siegreichen FIS-Mannschaft wurde im Bundesministerium für Unterricht ein Staatsempfang gegeben, an dem die

305 Austria Wochenschau Nr. 3/1949, Beitragsnummer 10. Erscheinungsdatum: 25.11.1949. Titel: „Österreichs FIS- Kämpfer trainieren auf der Zugspitze“. 306 Austria Wochenschau Nr. 12/1950, Beitragsnummer 1. Erscheinungsdatum: 27.1.1950. Titel: „Skikanonen am Tanzparkett“. 307 Austria Wochenschau Nr. 21/1950, Beitragsnummer 3. Erscheinungsdatum: 31.3.1950. Titel: „Heimkehr unserer FIS Kämpfer“.

103 gesamte Bundesregierung und zahlreiche prominente Persönlichkeiten teilnahmen. Rechtzeitig von Hollywood zurückgekehrt, konnte der vielumjubelte Star Dagmar Rom mit Trude Beiser-Jochum, Erika Mahringer und den weiteren Teilnehmern der Skiweltmeisterschaft von Aspen an der vollverdienten Ehrung teilnehmen. Österreich ist erste Skination der Welt geworden. Wahrlich ein Grund, stolz zu sein und die Träger dieses Sieges zu ehren.“308 Bereits die Analyse der Beiträge zu einem Skiereignis, wie hier die Ski-WM in Aspen 1950, zeigt den Pathos, den die „Austria Wochenschau“ an den Tag legt. Zwar ist dieses Format für seinen übersteigerten Patriotismus bekannt und funktioniert natürlich als Medium der Propaganda, doch ist es eben für diese propagierte Glückseligkeit aufgrund des Skisports eine umfassende Quelle.

5. LEBEN ALS „SKISTAR“.

Das Leben eines/einer an internationalen Rennen teilnehmenden Skifahrers/Skifahrerin der „langen 1950er Jahre“ sind mit den Biographien heutiger Sportler kaum vergleichbar. Hermann Maier, der in seiner Karriere zwischen 1997 und 2009 insgesamt geschätzte 40 Millionen Euro verdient hat309 (vor allem an Werbeeinnahmen) und auch nach seiner Karriere als Skirennläufer weiterverdient, darf in seiner Popularität getrost mit Toni Sailer oder Karl Schranz verglichen werden. Natürlich liegen aber zwischen der finanziellen Entlohnung des „wohl größten Phänomen des rot-weiß-roten Sports“310 Maier und den „Stars“ der 1950er und 1960er Jahre Welten. Anders als heute, da Sportler durch Werbeverträge teilweise Millionen verdienen, war es 1945-1964 (wie lange drüber hinaus) unmöglich, vom Sport alleine zu leben. Zwar konnte man sich durch internationale Rennen das Gehalt aufbessern, Reich wurde man davon aber nicht. Aus einer Dissertation aus dem Jahre 1952 zum Thema „Die Geschichte des Skilaufs und seine wirtschaftliche Bedeutung“ liest man zur finanziellen Situation der SkirennläuferInnen in den 1950er Jahren: „Die Zeiten, in denen aktive Sportler auf eigene Kosten und ohne Betreuung sogar zu internationalen Sportveranstaltungen fuhren, sind endgültig vorbei. Die hohen Leistungen, die heute von einem Läufer der Nationalmannschaft verlangt

308 Austria Wochenschau Nr. 22/1950, Beitragsnummer 2. Erscheinungsdatum: 7.4.1950. Titel: „Ehrung der österreichischen FIS-Kämpfer.“ 309 „Hermann Maier bleibt auch als Skirentner eine Geldmaschine für die Werbebranche“ aus: „Format online“ vom 16.10.2009. Siehe online unter http://www.format.at/articles/0942/525/253418/hermann-maier-skirentner-geldmaschine- werbebranche (Stand: 27.12.2011) 310 Assinger, u. a.: „Gold.“ Wien 2004. S. 12.

104 werden, beanspruchen wochenlanges Training unter Aufsicht und Anleitung von erfahrenen Trainingsleitern, laufende ärztliche Betreuung und eine hervorragende, sehr kostspielige Ausrüstung. Das alles kostet sehr viel Geld und kann von dem einzelnen in den wenigsten Fällen selbst aufgebracht werden. Er wird also unterstützt vom Verein, vom Verband, vom Staat und von der Industrie. Ein ungefährer Anhalt hierüber lässt sich aus der Tatsache ableiten, dass jährlich rund DM 100.000,- vom DSV und von den deutschen Verbänden für die sportliche Weiterbildung der Besten ausgegeben werden.“ 311 Sir Arnold Lunn […] schreibt im Jahrbuch des Schweizer Skiverbandes 1948: „Der kommerzielle Wert der internationalen Skisiege ist recht erheblich. Die nationalen Verbände werden deshalb direkt oder indirekt von ihren Regierungen unterstützt, und alle Spitzenläufer sind aus diesem Grunde mehr oder weniger ‚Amateure mit Staatshilfe‘. […] Es geht nun aber nicht an, von dieser Schau aus die Verhältnisse in ganz Mitteleuropa zu betrachten, in dem die Trainingsmöglichkeiten vielfach vor der eigenen Haustüre zu finden sind.“312 Sigi Bergmann z.B. zitiert Toni Sailer über dessen Gage bei Rennen gegen das französische Olympiateam in der Saison vor den Spielen in Cortina d’Ampezzo 1956: „Neben den Reisespesen bekamen wir nämlich noch 1.200 Schilling Gage, das war ein ganzes Jahresgehalt für einen Spenglerlehrling, denn ich verdiente damals monatlich 124 Schilling.“313 Eine finanzielle Richtmarke gibt ebenfalls Bergmann, wenn er über Toni Sailer schreibt: „Mit seinen drei olympischen Goldmedaillen und den vier Weltmeistertiteln verdiente er 1956 insgesamt 164.000 Schilling, heute [Jahr 2009, Anm.] hätte diese Summe einen Wert von 71.353 Euro.“314 Diese Summe darf allerdings, wie die von Sailer erbrachte Leistung in diesem Winter, als Ausnahme gewertet werden. Rikki Mahringer erinnert sich an ihre „Entlohnung“ für ihre beiden Silbermedaillen bei den Olympischen Spielen 1948: „Für meine Medaillen bekam ich nach meiner Heimkehr nach Österreich Gutscheine für je fünf Kilogramm Zucker.“315 Ernst Hinterseers erste Prämie beim traditionsreichen Gornergrat-Derby von Zermatt waren 1.000 Schweizer Franken und eine Uhr316. Auch Franz Gabl belegt seine Bezüge nach seiner Silbermedaille 1948. In einem Brief des Österreichischen

311 Benk: „Geschichte des Skilaufs.“ Dissertation. Innsbruck 1952. S. 44. 312 Nach: ebenda. S. 44f. 313 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 72. 314 ebenda. S. 60. 315 zit. nach Werthan: „Weiße Pisten.“ Reichling 1976. S. 60. 316 ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 150.

105 Olympisches Comités vom Februar 1948 liest man: „Es freut uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Ihnen seitens der Convoy-Mejor- Kolonnen 1 Paket Reis (5 Kilo) und 1 Paket Zucker (5 Kilo) gewidmet wurde, welche Sie gegen Vorweisung der beiliegenden Bestätigung in […] Wien […] beheben können.“ Ironisch bemerkt Gabl, dass er den Reis und den Zucker im 400 Kilometer entfernten Wien abholen musste – was sich aber dennoch auszahlte.317

Im vom Arbeitsethos erfüllten Österreich der langen 1950er Jahre wäre eine rein sportlich ausgerichtete Karriere daneben unpopulär gewesen; besonders an der Person Toni Sailers erkennt man in der Betonung seines Handwerksberufs (den er im Sommer ausübt) trotz seiner großen Erfolge die Wichtigkeit einer hauptberuflichen Beschäftigung. Amateurregelungen der FIS und des IOC taten das ihre dazu bei, dass eine vollzeitliche Beschäftigung mit dem Skisport undenkbar war. Zwar gab es Fahrer wie Karl Schranz, der durch seine Arbeit in der Kneissl Skifabrik eine seiner Sportart entgegenkommende Arbeit fand, doch musste – zumindest nach außen hin318 – der zivile Beruf der/des SportlerIn im Vordergrund stehen. Die ÖSV- Zeitschrift Nummer 5 aus dem Jahr 1960 etwa, zeigt die Skistars bei ihren Sommerjobs319. Sigi Bergmann zitiert Toni Sailer über dessen Schwester Rosi: „Meine Schwester Rosl, vier Jahre älter als ich, war zur damaligen Zeit eine der besten Abfahrtsläuferinnen. Aber sie war vor kurzem als Verkäuferin in einem Lebensmittelgeschäft eingetreten, nahm ihre Aufgabe sehr ernst und lehnte es ab, beim Hahnenkammrennen zu starten.“320 Tatsächlich war Rosi Sailer im Olympiateam 1952 und beim WM-Aufgebot 1954. Wie ihr berühmter Bruder beendete sie allerdings mit 23 Jahren ihre Karriere um ihren Beruf auszuüben, zu heiraten und Kinder großzuziehen. Ihr Bruder kehrte dem Skisport einst den Rücken zu um seine Popularität als Skifahrer in Filmen zu vermarkten. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den von der FIS streng eingeforderten Amateurregelungen und der Wirklichkeit. Bei den Schilderungen Toni Sailers und Karl Schranz unten im Text erkennt man die Wichtigkeit des ständigen Trainings um schon damals im Skisport mithalten zu können. Neben Berufen bei Skifabrikanten,

317 Brief des ÖOC an Franz Gabl am 4.2.1948. siehe: Gabl: „Story of Franz Gabl.“ New York 1995. S. 251. 318 Dass zumindest seit Toni Sailer ein intensives Sommertraining betrieben wurde, musste geheim gehalten werden. 319 nach Ditfurth: „Die Welt ist meine Heimat.“ Norderstedt 2005. S. 44. 320 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 47.

106 wie ihn Karl Schranz innehatte, konnten auch PR-Veranstaltungen im Sommer zur Aufbesserung der Finanzen genutzt werden. Das Publikum war ein Dankbares: Karl Schranz erinnert sich im Gespräch mit Florian Madl an ein Fußballspiel der Österreichischen Skifahrer gegen die Schweizer, bei dem 10.000 Fans in Linz zusahen und sogar 18.000 in Bern, während damals Rapid bei seinen Freundschaftsspielen nicht einmal ein Drittel der Menschenmassen ins Stadion locken konnte.321

Einhergehend mit dem Wunsch vom Skisport leben zu können, fällt bei den Skifahrerbiographien 1945-64 die Sehnsucht nach einem Leben in Amerika auf. So sehr Karl Schranz in seiner Biographie auch die Liebe zur Tiroler Heimat bekundet überlegte er tatsächlich nach den Olympischen Spielen 1960 in den USA zu bleiben um dort an der - zu einem großen Teil von Österreichern getragenen – Pionierzeit des Skisports in Amerika teilzuhaben. Tatsächlich finden sich zahlreiche Beispiele für SkifahrerInnen die ihren Sport dazu nutzten, um nach Nordamerika auszuwandern (oder zumindest eine Zeit lang in den USA als Skilehrer oder Profi-Skiläufer zu bleiben): mit Martin Burger, Karl Fahrner, Franz Gabl, Pepi Gramshammer, Ernst Hinterseer, Hias Leitner, Anderl Molterer, Rudi Moser, Hans Nogler, Christian Pravda, Othmar Schneider, Helmut Schranz, Hans Senger, Toni Spiss, Pepi Stiegler, Martin Strolz und beiden Egon Zimmermann finden sich deutlich mehr Männer in dieser Liste als Frauen, bei denen nur Christl Ditfurth, Putzi Frandl, Sophie Nogler, Christl Straffner und Hilde Walter-Doleschell den Weg nach Übersee gingen. Statistisch gesehen nutzte so fast jeder zweite Mann seine Karriere, um im Ausland Fuß zu fassen, aber nur etwas mehr als jede zehnte Frau. Insgesamt sind es fast 30% aller 1945-64 für den ÖSV aktiven Läufer, die im Ausland ihr Glück suchten.

Mit der Auswanderung bzw. dem Auslandsaufenthalt bedienten die SportlerInnen das Klischee des abenteuerlustigen Skifahrers. Tatsächlich gibt es zahlreiche Beweise für die Erzählungen über waghalsige SkifahrerInnen, sodass der Alpine Skirennläufer zur Ausbildung des Stereotyps eines todesmutigen Draufgängers drängte. Der Skisport war damals wie heute ein gefährliches Unterfangen; immer wieder kam und kommt es zu schweren Verletzungen bis hin zu Todesfällen. Gerade im noch jungen alpinen Skirennsport, wo noch ohne Helm oder Sicherheitsnetze

321 Madl: „Karl Schranz.“ Wien-Graz-Klagenfurt 2011. S. 53f.

107 gefahren wurde, brauchte der/die SportlerIn vor allem eines: Mut. Dieser Mut geht, wie man später bei Toni Sailer lesen wird, entweder mit uneingeschränktem Selbstvertrauen oder naiver Realitätsverweigerung einher. Jedenfalls sind es jene SportlerInnen, die sich besonders leichtsinnig über die eisigen Steilhänge stürzen, auch jene, die oftmals am meisten Bewunderung fanden. In der offiziellen Biographiensammlung des ÖSV finden sich bei einigen SkiläuferInnen Verweise auf deren Draufgängertum: Otto Linher etwa, der seine Leichtsinnigkeit 1953 am Alpeiner Ferner unter einer Lawine mit dem Leben bezahlte; Andreas „Anderl“ Molterer, dem sein risikofreudiger Stil oftmals den Sieg kostete; Gerhard Nenning, der dem „weißen Blitz“ Molterer um nichts nachstand; Christian Pravda wurde als Hasardeur zum Vorbild einer ganzen Generation rund um Toni Sailer; Egon Schöpf, der sich nach seiner Karriere als Skifahrer im Cockpit von Rallyeautos versuchte; daneben aber auch der durch seine verwegene Art berühmt gewordene Abfahrts- Olympiasieger von 1964 in Innsbruck, Egon Zimmermann (II), der 1965 beinahe bei einem Unfall mit seinem italienischen Sportwagen (mit dem er zu schnell fuhr und einen Kleinbus überholte) sein Leben verlor und danach trotzdem noch einmal in den Skizirkus zurückkam322. Vergleicht man später Sailer und Schranz, so erkennt man, dass an die Stelle des archaischen Siegeswillen und dem damit verbundenen einkalkulierten Risiko, wie es bei Sailer vorherrscht, bei Karl Schranz ein gewisses Maß an Kalkül tritt, der Skisport wird bei Schranz vom Sport des Herzens und der Leidenschaft zum Sport des Kopfes und der Berechnung. Für Frauen gilt das gleiche wie für Männer. In der offiziellen Biographiensammlung bleibt zwar die Betonung des Mutes bei Frauenbiographien großteils aus, jedoch darf in Erinnerung an das in den langen 1950er Jahren vorherrschenden Frauenbild von der im Idealfall als Hausfrau und Mutter lebenden Frau davon ausgegangen werden, dass eine sich mit hoher Geschwindigkeit über vereiste Pisten schwingende junge Frau ohnehin gemeinhin als waghalsig angesehen wurde. Die Erzählungen über die mutigen Frauen im Skisport reichen von Trude Beiser, die als Kind gegen ihre älteren

322 Theiner, Egon: „Egon Zimmermann. Der Verwegenste.“ In: Pointner, u. a.: „Die goldenen Sechs.“ S. 60.

108 Brüder Ski springt bis die Knochen brechen323 bis hin zu Christl Haas, die als Siebenjährige schon täglich die Streif abfuhr324. Karl Schranz erinnert sich an eine Begegnung mit Putzi Frandl in Kalifornien, bei der die Salzburgerin auf Wasserskiern „neben Haien“ fuhr325. Ob und wie sich das Geschlecht auf die Wahrnehmung und Biographie von Alpinen Skirennläufern auswirkte, wird im folgenden Exkurs beleuchtet.

Exkurs: GESCHLECHT UND SPORT IM ÖSTERREICH DER „LANGEN 1950er JAHRE“ AM BEISPIEL DES ALPINEN SKILAUFS.

a. Der zeitgeschichtliche Kontext. Österreich nach 1945: ein Land in Trümmern, gerade im Begriff sich von der „männlichen Katastrophe“ des preußischen Nationalsozialismus so gut es geht zu erholen. Während der Besatzungszeit diplomatisch und weltmännisch von Männern gelenkt, erhielt die Geburt der Unabhängigkeit der neuen Republik 1955 in der Gestalt des Außenministers Figl dazu ein männliches Konterfeit, eingebettet in die Legenden rund um die Verhandlungstage in Moskau, die Reminiszenzen an rituell- maskuline Herrenabende initiieren. Dabei immer beachtet und geschätzt, im entmilitarisierten, weil geläuterten, Österreich trotz allem mit militärischem Geist besetzt326, stehen die Männer, die aus den Trümmern, kräftig auf Baugerüsten stehend, neue Häuser bauen und eine neue Heimat schaffen. Männer, die aus dem Scherbenhaufen, in den sich die Vergangenheit in den letzten Kriegsjahren verwandelt hatte, ein neues Vater-Land erschufen. Das neue Land der Berge, aus dem Boden gestampft von seinen großen Söhnen.

Daneben fügt sich die Erzähltradition der Trümmerfrauen. Deren Ansehen und rechtliche sowie politische Stellung schloss an das Jahr 1918 an: nachdem nämlich große Fortschritte in der Emanzipation im späten 19. Jahrhundert erzielt wurden, welche in der Integration weiblicher Arbeitskräfte in entscheidende Produktionsprozesse während den Kriegsjahren 1914 – 1918 kumulierte (aus

323 Theiner, Egon: „Trude Jochum-Beiser.“ in: Madl: „Golden Girls.“ Wien 2006. S. 259. 324 Wieselberg, Lukas: „Christl Haas“ in: Madl: „Golden Girls.“ Wien 2006. S. 232. 325 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 82. 326 Erika Thurner schreibt, dass das Fehlen eines eigenen Heeres es zwangsläufig erfordere, andere Orte und Räume mit militärischen Geist zu besetzen. Dabei verweist sie auf die Helden und Ikonen des Wiederaufbaus. siehe Thurner: „Identität und Geschlecht.“ Innsbruck-Wien-München 2000. S. 44.

109 kriegsbedingtem Mangel an männlicher Arbeitskraft), gelang es den Männern in der Ersten Republik Frauen wieder weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück in die Ausübung ihrer „traditionellen Funktionen“327 im Haushalt zu drängen. So wurde zwar das 1918 eingeführte Frauenwahlrecht nicht mehr zurückgenommen, eine kulturelle Suppression jedoch trieb spätestens die Ideologie des Austrofaschismus voran; sowie bestimmt der nationalsozialistische Grundkonsens der weitgehenden Beschränkung des weiblichen Aktionsradius auf die Rolle einer fanatisierten Mutter. Wie im Ersten Weltkrieg war es nun auch der logische Männermangel, den der Zweite Weltkrieg mit sich brachte, welcher die Frauen wieder zunehmend in die Wirtschaft integrierte328. Aus den aus Nazifantasien entsprungenen soldatenproduzierenden Legehennen wurden Arbeiterinnen: ab 1942/43 in Rüstungsbetrieben, ab 1944 als Luft- und Flakwaffenhelferinnen und 1945 nicht selten als „Endkämpferinnen“329. Dabei ist der Widerspruch zwischen der propagierten Mutterideologie und der ökonomischen Notwenigkeit von weiblichem Arbeitsdienst auffällig. Neben den kulturellen Ehren des Mutterkreuzes steht die Betonung der Notwendigkeit von ‚Einsatzbereitschaft und Verantwortungsgefühl’ der sogenannten ‚Arbeitsmaiden’ in der (Fabrik-) Arbeit330. Natürlich darf in diesem Kontext nicht auf die Rolle von Täterinnen im Nationalsozialismus vergessen werden. Vor den 1980er Jahren pauschal als Opfer des antifeministischen Systems angesehen, gibt es mittlerweile zahlreiche Untersuchungen zu weiblicher Partizipation an Ausgrenzung, Terror und politischen wie rassistisch motivierten Tötungen331.

Karl Vocelka schreibt, man könne überspitzt formulieren, dass „der Wiederaufbau nicht zuletzt – oder sogar vorwiegend – eine Leistung der Frauen war“332. Dass dies aus der sprichwörtlichen „Not am Mann“ nach verlustreichem Krieg logischerweise resultieren musste schmälert das Ansehen des Mythos der Trümmerfrauen bis heute kaum. Der gesamtwirtschaftliche Frauenüberschuss änderte sich bis heute nicht mehr. Das Synonym „Trümmerfrauen“ steht für eine Generation von Frauen, die

327 Vocelka: „Geschichte Österreichs.“ Graz-Wien-Köln 2000. S. 337. 328 ebenda. S. 337. 329 Altenstraßer, Christina: „Zwischen Ideologie und ökonomischer Notwendigkeit. Der ‚Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend’.“ in: Hauch: „Frauen im Reichsgau Oberdonau.“ Linz 2006. S. 108. 330 ebenda. S. 109. sowie Berger: „Zwischen Eintopf und Fließband.“ Wien 1984. S. 22-31. 331 Kepplinger, Brigitte: „Frauen in der Tötungsanstalt: der weibliche Anteil an den Euthanasiemorden in Hartheim.“ in: Hauch: „Frauen im Reichsgau Oberdonau.“ Linz 2006. S. 381. 332 Vocelka: „Geschichte Österreichs.“ Graz-Wien-Köln 2000. S. 337.

110 selbstständig schwere körperliche Arbeit auf sich nahmen um die ersten Aufräumarbeiten zu verrichten. Dabei gab es im Unterschied zu Deutschland in Österreich keine Legionen von Trümmerfrauen, ein massiver Einsatz weiblicher Arbeitskraft war kurzfristig und vor allem in Ostösterreich erkennbar, dass viele der „Trümmerweiber“ zwangsverpflichtete Nationalsozialistinnen waren und viele Antifaschistinnen den „Nazi-Dreck“ nicht aufräumen wollten, wurde aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen333. Sowohl der erzwungene als auch der freiwillige Arbeitseinsatz der Frauen wurde im Nachkriegsjahrzehnt jedoch weitgehend unter den Teppich gekehrt. Die wahren Ikonen des Wiederaufbaus waren – wie eingangs beschrieben – die Männer. Zwar würdigte Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (der mit seinem Resort auch für den Sport zuständig war) via Schulfunk in seiner Rede an die österreichische Jugend den Arbeitseifer der Frauen nach 1945 und bezeichnete diese Zeit als „Heldenzeitalter der Frauen“334, an die Stelle der fleißigen Arbeiterin drängte aber sofort ein Heer von Maurern und Bauarbeitern; die „Helden der Arbeit“ wurden zum Ersatzprodukt für die gefallenen und moralisch entglittenen Kriegshelden, die Wiederaufnahme des Kraftwerksbaues Kaprun ab 1947 dient – als Österreichs Symbol Nummer eins des Wiederaufbaues – als pazifistischer „Feldzug“ inklusive Frontbewegung, einem sich nicht beugen wollenden Feind (der Berg) und „im Kampfe“ (mit dem Berg) gefallenen, maskulinen Kameraden335. Diese Verdrängung der Frauen geschah in den späten 1940er Jahren, als die letzten Kriegsgefangenen heimkehrten, gesund gepflegt waren und den Arbeitsmarkt wieder an sich rissen. Während der Wiederaufbaumythos und die heldenhafte Wiederherstellung einer geregelten Ordnung sowie die Etablierung des neuen Österreichs den Männern zugeschrieben wurde, stellte sich dem Ideal der Trümmerfrau ein moralisch verwerfliches Bild der Weiblichkeit entgegen: die „gefallenen Mädchen“, in der amerikanischen Besatzungszone oftmals als „Amiflitscherl“ beschimpft, welche intimen Kontakt zu Besatzungssoldaten oder „displaced persons“ unterhielten. In Linz zum Beispiel setzte es sich das sogenannte „Haarabschneiderkommando“ zum Ziel, solchen unzüchtigen Verräterinnen die blonden Locken als Strafe abzuschneiden336. Männer betätigten sich so als Hüter der

333 Thurner: „Identität und Geschlecht.“ Innsbruck-Wien-München 2000. S. 52f. 334 Drimmel: „Freiheit für die Jugend.“ 1955. nach Thurner: „Identität und Geschlecht.“ Innsbruck-Wien-München 2000. S. 53. sowie Kos: „Eigenheim Österreich.“ Wien 1995. S. 89. 335 Thurner: „Identität und Geschlecht.“ Innsbruck-Wien-München 2000. S. 46-52. 336 vgl. John, Michael: „Das „Haarabschneiderkommando von Linz. Männlicher Chauvinismus oder nationalsozialistische Wiederbetätigung? Ein Fallbeispiel aus den Jahren 1945-1948.“ in: Mayrhofer, u. a.: „Entnazifizierung und Wiederaufbau.“ Linz 1996. S. 335-359.

111 Moral.

Zu einer Zeit also, da traditionell-konservative Rollenklischees mit einem produktivem Mann neben der prestigearmen, vom Mann abhängigen Hausfrau, nach kurzem Aufbrechen durch die Kriegswirren, wieder fest innerhalb der starren österreichischen Gesellschaft verankert wurde, liegt mein Beobachtungszeitraum für die folgende Abhandlung über die Kategorie „Geschlecht“ im Sport. Dabei sei vorangestellt, dass im zeitgeschichtlichen Kontext gesehen die oberflächlich betrachtete Emanzipation der Frau im Alpinen Skilauf im Österreich dieser „langen 1950er Jahre“ als Sonderfall angesehen werden darf. Bis heute gibt es im Sport eklatante Beispiele für eine geringere Gleichstellung der Geschlechter im sportlichen Wettkampf; man denke z.B. an die Farce um die Etablierung eines Skisprungwettbewerbes für Frauen bei Olympischen Winterspielen oder die marginale Präsenz männlicher Synchronschwimmer. Daneben ist die lange Geschichte von Frauen- wie Männerbewerben beim Alpinen Skilauf beinahe vorbildlich.

b. Theorie: Sport und Geschlecht.

Während die traditionelle soziale Ordnung, deren fundamentalster Code die Kategorisierung des Menschen in weiblich und männlich ist, heute in der westlichen Welt zumindest überdacht und in Ausnahmefällen auch umgangen wird, ist das Feld des Sports bis heute weitgehend unverändert in die Welt von Frauen- und Männerwettkämpfe separiert. Die banalste Begründung dafür liefert bis heute die Medizin. So schreibt S. Israel 1992: „Jede Auflistung von sportlichen Spitzenleistungen und Rekorden bringt die Abständigkeit von Frau und Mann hinsichtlich der körperlichen Leistungsfähigkeit zur Geltung. Zweifellos haben sich die Höchstleistungen der Frau in den letzten Jahrzehnten denen des Mannes angenähert; dennoch bleibt die Differenz bei den Rekordleistungen hochsignifikant.“337 Unabhängig der physischen Anforderungen einer Sportart, die eine Trennung in Frauen- und Männerklassen legitimieren, empfiehlt sich der Sport, wie es Gertrud Pfister in ihrem Artikel „Sportstars und Doing Gender338“ schreibt, allgemein als die letzte Bastion von „Produktion und Demonstration von Differenzen“,

337 siehe Israel, S.: „Leistungsvoraussetzungen der Frau im Sport.“ in: Medau, u. a.: „Frau und Sport IV.“ Erlangen 1992. S. 21. 338 Pfister, Gertrud: „Sportstars und „Doing Gender.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 49-60.

112 schlichtweg als „das einzige System in unserer Gesellschaft [...] das auf der Basis der Geschlechtertrennung organisiert ist“.339 Dabei würden Unterschiede zwischen Frauen und Männern nicht in Frage gestellt, sondern Leistungsunterschiede bewusst als Beweis für eine „natürliche Hierarchie der Geschlechter“ inszeniert werden340. Die zwei hier wirksamen Momente sind zum einen die „exogene“ Wahrnehmung und Beurteilung von Sporttreibenden seitens Dritter (vor allem der Medien) und zum anderen das individuelle, „endogene“ Verhalten der Sporttreibenden selbst. Beide Momente sind dabei immer auch abhängig von der ausgeübten Sportart. So inszenieren sich – um auch bei der Beispielsuche bei Gertrud Pfister zu bleiben – Fußballerinnen weniger „weiblich“ als Gymnastinnen, was die jeweilige Wahrnehmung und Beurteilung beeinflusst341. Eine Neubewertung dieser Beobachtungen wird jedoch bald vonnöten sein: eine Kategorisierung in „weibliche“ und „unweibliche“ Sportarten, wie sie Gertrud Pfister mit diesem Beispiel vornimmt ist nicht zeitgemäß, da es immer mehr Beispiele für Frauen in „unweiblichen“ Sportarten gibt, die bewusst ihr allgemein als damenhaft empfundenes Äußeres in den Vordergrund kehren. So inszenieren sich heute Skiläuferinnen wie die Amerikanerinnen Lindsay Vonn und Julia Mancuso ebenso als Sexsymbole wie Fußballerinnen (siehe z.B. Heather Mitts, ebenfalls USA).

Andrea Bachmann zitierte in ihrem Beitrag zu einer Diskussion zum Thema in Köln 1999 die österreichische Sportreporterlegende Robert Seeger: „Ein Großteil der Sportlerinnen sind wirklich weibliche Sportlerinnen. Die haben sich sehr gewandelt. Die Zeit der Sportlerinnen, die, sagen wir, optisch geschlechtsneutral erschienen, sind vorbei. Ich glaube, heute hat sich die Weiblichkeit bei den Sportlerinnen auch in den harten Sportarten durchgesetzt.“342

Dieses Phänomen der sexuellen Vermarktung von Sportlern ist ein Produkt einer steigenden Popularität der jeweiligen Sportart; Randsportarten werden mit attraktiven SportlerInnen bewusst aufgewertet. Die Kronenzeitung etwa zitierte den deutschen Ex-Fußballprofi Lothar Matthäus, der als Botschafter für die Frauen-

339 Anja Voss beschäftigte sich mit den sozialkonstruktivistischen Lesarten von Geschlecht im Sport. siehe: Voss, Anja: „Geschlecht im Sport – sozialkonstruktivistische Lesarten.“ (= Reihe Junge Sportwissenschaft. Bd. 4.) Schorndorf 2003. 340 Pfister, Gertrud: „Sportstars und „Doing Gender.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 49f. 341 Pfister, Gertrud: „Sportstars und „Doing Gender.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 50. 342 Robert Seeger in einem Interview am 3.11.1997. nach: Bachmann, Andrea: „Frauen in den Medien. Eine Bestandsaufnahme und Wertung der Sportberichterstattung.“ in: Anders, u. a.: „Sportlerinnen in den Medien.“ Köln 1999. S. 70.

113 Fußballweltmeisterschaft in Deutschland 2011 Werbung für das Turnier machte, wie folgt: „Sie [die deutsche Frauen-Nationalmannschaft, Anm.] spielen einen tollen Fußball, aber auch das Optische ist sehenswert.“343

Die allgemeingültige Regel sex sells gilt im Sport mindestens genauso wie in der Werbung. Vor allem seit den letzten Jahrzehnten, da sich Sport und Werbung immer mehr überlappen, greift man immer öfters – vor allem bei der Propagierung weiblicher Sportlerinnen als Werbeträgerinnen zu offensiver Erotik als Vermarktungsinstrument. Sylvia Nagel344 dokumentiert in ihren Ausführungen den werbemäßigen Erfolg der in den 1990ern aktiven, international wenig erfolgreichen Sportgymnastin Magdalena Brzeska, die sich als eine der ersten Athletinnen außerhalb ihrer sportlichen Arbeit freizügig ablichten ließ und dadurch Millionen verdiente und bis heute zum erweiterten Kreis deutscher Fernsehprominenz zählt; weitere Beispiele sind diverse Auftritte von Sportlerinnen in Hochglanz- Herrenmagazinen wie Playboy.

Ein immer wiederkehrendes Motiv in der sportbezogenen Geschlechterforschung stellt die Medienanalyse dar, die eine sexistische Betrachtungsweise seitens der Medien entlarvt; so geht man heute davon aus, dass das Aussehen einer Sportlerin für ihren medialen Erfolg oftmals wichtiger ist als ihre sportlichen Leistungen345. Ein berühmtes Beispiel der jüngeren Geschichte stellt die russische Tennisspielerin Anna Sergejewna Kurnikowa dar, die in ihrer aktiven Karriere von 1995 bis 2003 kein einziges Einzelturnier gewinnen konnte, trotzdem aber - dank der Vermarktung ihres Aussehens – bis heute eine der bekanntesten Sportlerinnen weltweit ist. In modifizierter Weise gilt das Gleiche auch für männliche Sportler. Die körperliche Attraktivität relativiert bei Männern zwar nicht den sportlichen Erfolg, verhilft jedoch des öfteren zu größerem finanziellen Segen, als es die rein sportliche Leistung zu erwarten lässt.

Die generell vorherrschende Geringschätzung des Frauensports verstärkte diese Erscheinungen in den frühen Jahren der Sportgeschichte eklatant. Die aus England

343 Kronen Zeitung vom 20. Mai 2011. 344 Nagel, Sylvia: „Erotik als Vermarktungsinstrument.“ in: Anders, u. a.: „Sportlerinnen in den Medien.“ Köln 1999. S. 19. 345 siehe u.a. Brusis, Ilse: „Sportlerinnen in den Medien.“ in: Anders, u. a.: „Sportlerinnen in den Medien.“ Köln 1999. S. 9.

114 kommend langsam in Kontinentaleuropa Fuß fassende sports – Bewegung346 war vor dem Ersten Weltkrieg eine männliche Domäne, für Frauen war die Teilnahme an Sportveranstaltungen aus verschiedensten Gründen schwierig: medizinische Vorurteile bremsten eine weibliche Partizipation ebenso wie banale Dinge wie Kleidung und gemeingültige Sittlichkeitsnormen347. Im 19. Jahrhundert beschränkte sich die weibliche sportliche Betätigung noch auf wenige Übungen und Tänze, welche die Gesundheit verbessern, die Attraktivität fördern und die Gebärfähigkeit steigern sollten. Erst die generelle Besorgnis über gesundheitsschädigende Einflüsse der Industrialisierung führten zu einem beschränkten Zugang zu sportlichen Aktivitäten von Frauen348. Nach Johanna Dorer und Matthias Marschik war eine Trennlinie um 1900 allerdings primär zwischen bürgerlichem bzw. adligem einerseits und dem Arbeiter- Sport andererseits angesiedelt, die Geschlechtertrennung war erst zweitrangig349. So konnten Frauen – bei latenter Diskriminierung – am Sport partizipieren. Die ersten Erfolge der Emanzipationsbewegung im 20. Jahrhundert ließen dann eine zunehmende Integration weiblicher Sportlerinnen zu. Um als Frau aber ab den späten 1920er Jahren durch den Sport berühmt zu werden war es von großer Wichtigkeit den Spagat zwischen sportlicher Leistung und weiblicher Ausstrahlung zu finden350. Durch den Vorteil eines „weiblichen“ Sportes gelang dies in den frühen 1930er Jahren besonders der norwegischen Eiskunstläuferin Sonja Henie, die neben ihren drei Olympischen Goldmedaillen und zehn Weltmeistertiteln besonders durch ihre kurzen Kostüme auffiel und es 1939 auf das Cover des Time Magazine brachte, als Filmschauspielerin Karriere machte und bis zum gern gesehen Gast bei hochrangigen Nazis (bis zu Adolf Hitler) avancierte351.

Generell ist ein schneller Aufschwung des Sports nach dem Zweiten Weltkrieg zu beobachten, welcher auch den Frauensport mitzog. Im auf Nebenschauplätze in Fernost und außerhalb der Atmosphäre verbannten „Kalten Krieg“ zwischen Ost und West war bald der Sport einer der (medien-)wirksamsten Methoden Überlegenheit

346 Marschik, Mattthias: „Moderne und Sport. Transformationen der Bewegungskultur.“ in: Marschik, u. a.: „Sport Studies.“ Wien 2009. S. 23. 347 Pfister, Gertrud: „Sportstars und „Doing Gender.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 50. 348 Hartmann-Tews, Ilse und Luetkens, Sascha Alexandra: „The inclusion of women into the German sport system.“ in: Hartmann-Tews, u. a.: „Sport and Women.“London 2003. S. 53. 349 Dorer, Johanna und Marschik, Matthias: „Sportlerinnen in Österreichs Medien 1900-1950. Das ‚Sportgirl’ als Symbol für die moderne Frau.“ in: Marschik, u. a.: „Mediatisierung des Sports in Österreich.“ Göttingen 2010. S. 239. 350 Pfister, Gertrud: „Sportstars und „Doing Gender.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 51. 351 Biografie von Sonja Henie siehe Kirby, Michael: „Figure skating to fancy skating. Memoirs of the life of Sonja Henie.“ Raleigh 2000.

115 gegenüber dem ideologischen Feind zu demonstrieren. Besonders die sozialistischen Länder schienen bei diesem Kampf verstärkt auf Sportlerinnen zu setzen.

Die Frau als Sportlerin darf in meinem Beobachtungszeitraum generell als Minderheit betrachtet werden. Eine veröffentlichte Studie aus dem Jahr 1967 bescheinigt, dass 60% aller deutschen Frauen noch nie in einem Spotverein oder –club Mitglied waren; aber nur 45% der Männer.352

Gleichzeitig mit der Integration von Frauen etablierte sich der Sport als zentrales Medienereignis, dessen Hauptinteresse auf der Berichterstattung über Männer lag. Eine zentrale Aussage Gertrud Pfisters ist, dass erst um 1970 der Anteil an den „human interest stories“ in der Sportberichterstattung erheblich zunahm. Ihre Zahlen dazu sind, dass 1980 55% der Berichte über Frauen, aber nur 20% der Berichte über Männer Angaben über das Aussehen des/der SportlerIn thematisierten353. Im Umfeld meiner Recherchen über österreichische SkirennläuferInnen fallen Anspielungen auf Äußerlichkeiten immer wieder auf: so wurde Toni Sailer stets als der fesche „schwarze Blitz“ inszeniert, der die Frauenherzen höher schlagen lässt; Resi Hammerer, Bronzemedaillengewinnerin bei den Olympischen Winterspielen in St. Moritz 1948, fiel vor allem durch ihre modische Skibekleidung auf und wurde von der Presse zur „bestangezogensten Skidame“354 ernannt; Dagmar Rom, Doppelweltmeisterin von 1950 in Aspen war besonders wegen ihres Äußeren beliebt355. Christl Ditfurth wählte man bei den argentinischen Meisterschaften 1965 zur „Miss Schnee“356. Erika Mahringer wird daneben in der ÖOC-Publikation zu den Olympischen Winterspielen in St. Moritz 1948 im Begleittext zu einem Bild von ihr mit der US-Amerikanerin Gretchen Frazer trotz ihrer skifahrerischen Erfolge besonders nach Äußerlichkeiten beurteilt: „Die Stimmung der beiden graziösen Skiamazonen ist [...] die denkbar beste.“357 Der österreichische Journalist Heribert Meisel schrieb unter ein Bild von den deutschen Skisportlerinnen Burgl Färbinger, Barbi

352 siehe Bausenwein, u. a.: „Frau und Leibesübungen.“ Mülheim/Ruhr 1967. S. 10. 353 siehe Pfister, Gertrud: „Sportstars und „Doing Gender.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 52 und Pfister, Gertrud: „Women in the Olympics 1952-80: An Analysis of German Newspapers.“ in: „The Olympic Movement and the Mass Media.“ Calgary 1987. 354 ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 135f. 355 ebenda. S. 360f. 356 ebenda. S. 48. 357 ÖOC: „Fest der Völker 1948.“ Wien 1948. S. 43.

116 Henneberger und Heidi Mittermaier: „Woll’n mal sehen, was die hübschen deutschen Ski-Girls zu bieten haben...!“358 Thea Hochleitner wird von ihm in der „Austria Wochenschau“ als „schönste Milchfrau Österreichs“ bezeichnet359.

Eine umfassende Analyse der deutschen Bild-Zeitung aus dem Jahr 1985 bestätigte die Hypothesen der Autorinnen: so nahm z.B. bei einer Raumanalyse des Jahrgangs 1979 95,7% der Sportfläche der Männersport ein, 4,3% entfielen auf die Frauen360, eine Analyse der Textfläche gesteht den Ehefrauen von Sportlern 6,3% zu, dem Frauensport hingegen nur 4%361; die sexuelle Attraktivität eines Sportlers im Verbindung mit dessen bildlicher Darstellung ergab, dass bei 28,9% der abgebildeten Frauen das sogenannte sex appeal thematisiert wurde, jedoch nur bei 3,3% der abgebildeten Männer362. Überspitzt ausgedrückt ist hier die Sportlerin, die für ein Herrenmagazin die Hüllen fallen lässt interessanter als die Weltrekordlerin; die Tennisspielerin, der beim Aufschlag das Trägerband ihres Oberteiles reißt erwähnenswerter als ihre siegreiche Gegnerin363.

Das österreichische Pendant zur deutschen Bild-Zeitung, nicht zuletzt auf dieser Ebene, bildet die Kronenzeitung. So wurde etwa die österreichische Skiläuferin Christl Haas - die einzige Österreicherin, die auf österreichischem Boden 1964 eine Olympische Goldmedaille (Abfahrt) gewinnen konnte - ob ihrer Maße von 1,74 Metern Größe und 74 bis 84 Kilogramm an Gewicht und ihrer Narben im Gesicht, die sie sich bei einem Brandunfall im Kleinkindalter zuzog, nicht nur vom IOC in ihrer Dokumentation zum 100-Jahr-Jubiläum der Olympischen Spiele als „Bergweib aus Tirol“ diffamiert, sondern auch von der mit im Umgang mit Frauen nicht gerade zimperlich umgehenden Österreichischen Kronenzeitung als „burschenhafter Typ mit Anti-Sex Aussehen“ beschrieben364. Auch der „Spiegel“ urteilte über Christl Haas‘ Äußeres und zitierte die deutsche Barbara Henneberger, die als biertrinkende Magd

358 Meisel, u. a.: „Olympia 1964.“ München 1964. S. 31. 359 Austria Wochenschau Nr. 12/1953, Beitragsnummer 9. Erscheinungsdatum: 20.3.1953. Titel: „Internationales Kandahar-Skirenner 1.Teil. Am Mikrophon: Heribert Meisel.“ 360 Klein, u. a.: „Goldmädel.“ Berlin 1985. S. 45. 361 ebenda. S. 49. 362 ebenda. S. 76. ähnliche Ergebnisse präsentiert auch Johanna Dorer in ihrer Analyse österreichischer Medien: Dorer, Johanna: „Sportjournalismus und die Konstruktion von Geschlecht.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 88-100. 363 Seite 1 der Bild-Zeitung vom 29.6.1979 zeigt die US-amerikanische Tennisspielerin Linda Siegel, deren linke Brust beim Aufschlagspiel aus dem Oberteil rutschte. Der Text zum Foto geizt nicht mit Sexismus: so wird die 18jährige als „formvollendet“ bezeichnet, und mit „lecker oben-ohne“ kommentiert. siehe ebenda. S. 77. 364 Wieselberg, Lukas: „Christl Haas“ in: Madl: „Golden Girls.“ Wien 2006. S. 246.

117 ihr Gewicht vor den Olympischen Spielen in Innsbruck von 50 auf 53 Kilo erhöhte und trotzdem die leichteste Teilnehmerin im Feld war: „Eine Frau ist keine Trainingsmaschine. Ich möchte noch einigermaßen Frau bleiben, denn das ist besser, als Erste zu sein und auszuschauen wie ein Mann."365 Zum Abfahrtslauf der Frauen in Squaw Valley 1960 liest man z.B. in einem deutschen Buch zu den Olympischen Spielen: „Bereits mit Startnummer 1 startete eine der ganz großen Favoritinnen des Rennens, die Amerikanerin Penny Pitou, ein süßer blonder Pummel, überall lustig und rund.“366 Solche negativen Besetzungen einer Sportlerin, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht, können vielfach belegt werden. Immer wieder werden Kugelstoßerinnen, Hammerwerferinnen, Gewichtheberinnen o.ä., die aufgrund der professionellen Ausübung ihrer Sportart oftmals „untypisch“ trainiert sind, in den Medien verunglimpft. Aber auch „kleinere Mängel“ im Bezug auf das Schönheitsideal finden immer wieder Erwähnung. Ulrike Schwarz-Hinterberger, ORF- Sportjournalistin, meinte während der Übertragung der Turmspringbewerbe der Olympischen Spiele in Atlanta 1996: „Man sieht’s am faltigen Gesicht, sie ist eine sehr routinierte Springerin. Sie ist 33.“367

Die Thematik „Sport und Geschlecht“ ist vor allem ab den 1950er Jahren mit der Mediatisierung des Spitzensports zu verknüpfen. Am Umgang der Medien mit Frauensport wird die Geringschätzung weiblicher athletischer Leistung bis heute demonstriert. Die sportlich aktive Frau wird dabei auf ihre nicht-sportlichen Attribute reduziert, ihr Aussehen steht im Vordergrund. Anders als Männer, die meistens bei sportlichen Aktionen oder in heroischen Siegerposen abgebildet werden, wird die Frau bei der Ausübung sportlicher Anstrengung als unattraktiv angesehen. Deshalb überwiegen Darstellungen von Sportlerinnen abseits der sportlichen Aktivität368

c. Die Diskussion um den Frauensport im Österreich der „langen 1950er Jahre“.

365 „Der Spiegel“: „Abfahren wie ein Mann.“ Nr. 5/1964. 366 Maegerlein: „Olympia 1960. Squaw Valley.“ Wiebelsheim 1960. S. 55. 367 zit. nach Bachmann, Andrea: „Frauen in den Medien. Eine Bestandsaufnahme und Wertung der Sportberichterstattung.“ in: Anders, u. a.: „Sportlerinnen in den Medien.“ Köln 1999. S. 70. 368 ebenda. S. 71.

118 Die Themen hinsichtlich der Diskussion um den Frauensport in der jungen Zweiten Republik sind immer die gleichen: wie viel an Sport ist für die Frau gesund, wie viel an Sport verträgt das Aussehen einer Frau, wie viel an sportlichem Leistungsvergleich verträgt die Psyche der Frau. So entbrannte nach den Olympischen Sommerspielen 1952 in Helsinki eine rege Diskussion darüber, ob die Leichtathletik für Frauen zukünftig nicht mehr erlaubt bleiben sollte, da sich die körperliche Anstrengung negativ auf den weiblichen Körper auswirke. Liselott Diem, Frau des Sporttheoretikers Carl Diem, machte es sich 1962 zur Aufgabe, den Frauensport zu beleuchten. Dabei verwies sie auch auf historische Arbeiten zum Frauensport, wie auf ein 1931 erschienenes Buch des bekannten Frauenarztes Hugo Sellheim gegen den Frauensport369. „Er glaubte“, so Diem, „die ‚straffe Faser‘ beweisen zu können, die der Sport züchte und die Frau damit in ihren biologischen Aufgaben gefährde. Er bezeichnete die hübsche Hürdenläuferin Ruth Engelhard auf einem Sportfoto als ‚Sportstudentin mit ihrem völlig männlichen Zuschnitt […]‘. Noch 1956 erschien von dem bekannten Gynäkologen Martius ein ‚Kleines Frauenbuch‘370, das den Frauensport ähnlich verzeichnet.“371 Trotz ihrer liberalen Herangehensweise gibt sie ihren Lesern zu verstehen, dass für sie der Frauensport deshalb in Ordnung sei, weil er die Sportlerin nicht ästhetisch verunstaltet – im Grunde genommen ein weiterer Bezug auf das Aussehen von Athletinnen. Von den Finnischen Gymnastikerinnen bei den Olympischen Sommerspielen 1952 in Helsinki schwärmt Lieselott Diem: „Die Schönheitskönigin der Welt ist eine Finnin. Ob Klima oder gesunde Lebensführung, die Sauna oder der Genuß von Milch, Grütze und Knäckebrot die zarte Haut, die warmen Farben und den Augenglanz finnischer Frauen hervorzaubern - wer vermag das zu sagen? Die finnischen Turnerinnen im Olympischen Wettkampf […] gewännen auf der Bühne des Nationaltheaters jeden Schönheitswettbewerb.“372 Hier wird der Frauensport geduldet, weil er aus den Frauen „Schönheiten“ macht. Hans Martius schreibt noch 1956: „Das Skilaufen ist auch für die Frau ein herrlicher Sport, aber nur dann, wenn die Bedingungen für das Erlernen so günstig sind, dass es zur mühelosen Beherrschung der Schwünge kommt, die in idealer Weise den Körper wie für einen Tanzschritt lockern und zu den größten sportlichen Genüssen gehören. Oft sieht man beim Skilaufen schreckliche Gestalten, die nicht können, aber

369 Sellheim: „Frauengymnastik.“ Leipzig 1931. S. 15. 370 Martius: „Frauenbuch.“ Stuttgart 1958. 371 Diem: „Vernünftige Leibeserziehung.“ Frankfurt –Wien 1962. S. 145. 372 Diem: „Vernünftige Leibeserziehung.“ Frankfurt –Wien 1962. S. 149.

119 gerne möchten und den Sport nur der Mode wegen ausüben."373 Dazu meint Lieselott Diem: „Die ‚mühelose Beherrschung der Schwünge‘ ist das Ziel jeder Skiläuferin, aber dazu gehören Jahre, eine ‚mühelose Beherrschung‘ ist immer Folge errungener Technik durch viel Übungsgelegenheit. Dürfen deshalb Mädchen und Frauen, die ihren kurzen Urlaub zum Skilaufen benutzen, nicht auch ohne ‚Bedingungen, die für das Erlernen günstig sind‘, Skilaufen, so gut sie können? Und sind ‚Gestalten, die nicht können, aber gerne möchten‘, nur Frauen? Was die Mode anbelangt, so haben wir Alten lernen müssen, dass die elegante Elastic-Hosen- Trägerin mit Make-up auch oft die eleganteste Abfahrtsläuferin ist. […] Wir bitten um Gerechtigkeit und darum, den Frauensport weder vom gynäkologischen noch väterlich-männlichen Standpunkt aus zu beurteilen, sondern ihn als Lebensbedürfnis, als individuellen Ausdruck der Persönlichkeit anzuerkennen und darum der Frau ihren Sport zu lassen als Ausgleich, als Erholung oder als Wettkampf.“374

Die Diskussion um die Leibesübungen und den Turnunterricht an den Schulen beschäftigt sich schon von Beginn an mit der Thematik des sogenannten „Mädchenturnens“. So findet man bereits im ersten Jahrgang der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“, 1946, einen Artikel des Theoretikers Hans Groll über „Die Leibeserziehung im neuen Österreich“, in dem er darauf verweist, dass „den Leibesübungen der weiblichen Jugend […] die gleiche Bedeutung wie den Leibesübungen für die männliche Jugend“ zukomme. „Diese Forderung ist allen, die die Aufgaben der Frauen als Mütter und erste, einflussreichste Erzieher unserer Kinder erkennen, selbstverständlich.“ Die Grundsätze der Leibeserziehung der weiblichen Jugend müssten sein: „Ausgleich in körperlichem und geistigem Sinne, Formung an Haltung und Bewegung, Leistungsfähigkeit als körperliches und charakterliches Vermögen, Befriedigung und Kultivierung des natürlichen Bedürfnisses nach schöner Bewegung (Bewegungskunst). Es ist für die Leibesübungen der weiblichen Jugend von grundlegender Bedeutung, dass sie nicht wesensfremden Idealen zustreben. Bei den Leibesübungen der Mädchen ist einerseits die Gefahr der Vergröberung, der Vermännlichung zu meiden, anderseits der Gefahr der Überfeinerung zu einem Körperkult zu begegnen.“375

373 Martius: „Frauenbuch.“ Stuttgart 1958. S. 70. 374 Diem: „Vernünftige Leibeserziehung.“ Frankfurt –Wien 1962. S. 157. 375 Groll, Hans: „Die Leibeserziehung im neuen Österreich.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1946. (Heft 4/Jahrgang 1.) S. 1.

120 Besondere Betonung findet auch hier die Vermeidung der Leistungssportlerin. Heinz Seist schreibt in seinem Artikel über die Psyche von Spitzensportlern, dass die leistungssportliche Betätigung von Mädchen deshalb negativ zu beurteilen wäre: „Zu einer Knickstelle von erhöhter Bedeutung wird die Pubertätszeit. Während die meisten Sportler ohne gesteigerte Schwierigkeiten die Maturitätsform erreichen, obwohl sie einige Wesenszüge aus ihrer Bubenzeit ins Leben mitnehmen, bereitet den Sportlerinnen der Abschied von der Kindheit manche Sorgen. Damals waren sie dem Durchschnitt der Buben nicht nur gewachsen, sondern sogar überlegen; nun empfinden sie ihr Frauwerden als schicksalhafte Benachteiligung. Dieser psychische Knoten hemmt die Entwicklung zur Frau und Mutter.“376 Im Grunde bediente man sich auch nach 1945 den Forderungen Margarete Streichers, die mit Karl Gaulhofer das „natürliche“ Österreichische Turnen erfand. Die erneute Publikation ihrer „Gebote“ in der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ im Jahre 1953, deren Lektüre für TurnlehrerInnen obligatorisch war, lässt diese Rückwärtsgewandtheit besonders erkennen. Zu lesen ist dort: „Es ist von fundamentaler Bedeutung, dass die weibliche Jugend dazu erzogen wird, ihrer Eigenart treu zu bleiben und nicht wesensfremden Idealen nachzustreben. Nur dann wird die Kulturarbeit der Frauen bleibenden Wert haben. Das Mannweib, der Blaustrumpf sind ja glücklich überwundene Ideale. Die Zeit ist vorbei, wo es nur darauf ankam, den Beweis für die intellektuelle Gleichwertigkeit zu führen; wir wissen heute, dass der Unterschied zwischen Mann und Frau ein qualitativer ist, kein quantitativer. […]Als eine der wichtigsten Waffen im Kampf gegen den Intellektualismus betrachte ich die körperliche Erziehung, die bisher im allgemeinen und bei den Mädchen im Besonderen arg vernachlässigt wurde.“ Der Frauensport habe sich nach Streicher jedem Einfluss aus dem Männersport zu verschließen um sich von dort nicht „verderben“ zu lassen.377

Nun kapselte sich der alpine Skisport der Frau von jenem des Mannes jedoch in keiner Weise ab: ebenso wie bei den Männern wurden in Abfahrt, Riesenslalom und Slalom Siegerinnen ermittelt und „Stars“ geboren. Der daraus resultierende Ruhm schien – besonders für Frauen – ebenfalls gefährlich zu sein. Zum Starrummel um weibliche Sportstars schreibt Lieselott Diem 1962: „Zunächst geben wir zu, dass

376 Seist, Heinz: „Der Typ des Spitzensportlers.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. September 1953. Heft 7/Jahrgang 7.) S.12. 377 Zitate aus Streicher, Margarete: „Gesammelte Aufsätze Band 1.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1954. Heft 9/Jahrgang 8.) S. 12.

121 manches junge Mädchen den Sport übertreibt, dass es andererseits leider auch die weibliche ‚Sportkanone‘ gibt, mit all den Schattenseiten wiederholten öffentlichen Auftretens. Die Zeitungen beschäftigen sich mit ihr, ihre Bilder schmücken die Titel- seite: nicht nur die junge Meisterin im Gespräch mit ihrem Trainer, die Meisterin in Begleitung der Mutter, die Meisterin auf dem Weg zur Schule, die Meisterin zu Hause, und wenn wir Glück haben, dann sehen wir auch das Schlafzimmer der Meisterin. Ein solches junges Mädchen muss ja ihr Weltbild verzerren, sie wird ,behext'. Bei ihr wendet sich jenes unleidliche Gebaren heraus, dass wir von männlichen Sportkanonen her kennen, jenes egozentrische Wesen, das immer nur von sich spricht, an sich denkt, sich über sein eigenes Befinden verbreitet und den Maßstab zu wirklichen Gütern des Lebens verliert. Es entsteht neben dem Sportnarren die Sportnärrin.“378 Lobenswerte Erwähnung findet in diesem Zusammenhang Marianne Jahn in der „Austria Wochenschau“, als die sich nach einem Sieg bescheiden und ganz „lady-like“ von den Kameras wegdreht.379 Heinz Weinberger beschäftigte sich im Mai 1956 mit der Frage: „Ist der Wettkampfsport der Frau ihrer Psyche adäquat?“ Seine Ergebnisse weichen vom Konsens seiner Zeit wenig ab. In seinem Resümee liest man: „Was aber mit aller nur möglichen Schärfe gesagt werden muss, ist dies: der weibliche Wettkampfsport mit seinen zum überwiegenden Teil aus dem Materialismus entsprungenen Postulaten, ganz gleich, welchen Platz sie einer gewissen Kollektivbegeisterung einräumen, sündigt gegen die weibliche Psyche. [...] Da dem Wettkampfsport die Kraft innewohnt, nicht nur Spuren am Körper, sondern auch im Antlitz der Frau zu hinterlassen, liegt ein weiterer Grund vor, vom Frauensport abzuraten.“380

d. Geschlecht und Alpiner Skilauf in Österreich 1945-1964.

Die Etablierung der alpinen Variante des Skisports, der seine Wurzeln im Skilauf Skandinaviens hat, ist eng mit männlichen Skipionieren verbunden. In diesem Zusammenhang stolpert man zumeist über Namen wie die Norweger Sondre Ouverson Norheim und Fridtjof Nansen, sowie über den Österreicher Mathias Zdarsky381.

378 Diem: „Vernünftige Leibeserziehung.“ Frankfurt –Wien 1962. S. 173f. 379 Austria Wochenschau Nr. 3/1963, Beitragsnummer 6. Erscheinungsdatum: 18.1.1963. Titel: „Sport: Triumphe unserer Ski-Mädel.“ 380 Weinberger, Heinz: „Ist der Wettkampfsport der Frau ihrer Psyche adäquat?“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1956. Heft 5/Jahrgang 10.) S. 3-6. 381 Die Ausführungen zu den Skipionieren entnehme ich v.a. aus Amstutz: „Golden Age.“Zürich 2010. S. 25-35.

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Norheim (1825-1897), der als Sohn eines Kleinbauern in Morgedal in der norwegischen Provinz Telemark geboren ist, erlangte als Langläufer große Popularität und schuf mit dem Telemark-Stil einen bis heute geläufigen Begriff. Ihm verdankte der Skisport auch die erste Fersenbindung, welche für den Alpinen Skilauf existenziell wurde. Der Zoologe und spätere Friedensnobelpreisträger Nansen (1861-1930), in wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen, machte wiederum mit seiner Durchquerung Grönlands auf Skiern auf sich aufmerksam. Seine 1891 erschienene Publikation „På ski over Grønland“ begeisterte in ihrer deutschen Übersetzung „Auf Schneeschuhen durch Grönland382“ und förderte den ersten „Boom“ des Skisports – allerdings in seiner nordischen Langlaufvariante – in Mitteleuropa. Mathias Zdarsky (1856-1940), ein deutschsprachiger Tscheche aus Mähren, zog sich mit 33 Jahren in die niederösterreichischen Alpen zurück um dort die Eignung der Nansen’schen Skier für die Abfahrten von den steilen Hängen der Berge zu erproben. Als „Eremit von Lilienfeld“ tüftelte er an einer neuen Bindung, die – in Verbindung mit tadelloser Körperbeherrschung – das Kurvenfahren (und somit eine Geschwindigkeitsregulierung) auf Abfahrten ermöglichte383. Bislang war die einzige Möglichkeit der Abfahrt eine Schussfahrt, bei der ein Holzstock zwischen den Beinen als einzige Bremshilfe fungierte; die einzige Möglichkeit der Vollbremsung lag in der Herbeiführung eines kontrollierten Sturzes. Durch seine Propagierung des Skisports als gymnastische Disziplin erhielt Zdarsky in Anlehnung an den deutschen „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn den Beinamen „Jahn des Skisports“. In der Perfektion des sturzfreien Fahrens gilt er als Begründer des Torlaufs, sein im Jahre 1900 in Wien gegründeter Alpen-Skiverein war vor dem Ersten Weltkrieg mit 1889 Mitgliedern der größte Mitteleuropas384.

Neben den oben genannten Skipionieren muss auch Oberst Georg Bilgeri (1873- 1934), österreichischer Offizier der Alpintruppen und Skilehrer in der Armee, erwähnt werden. Er veröffentlichte 1922 sein eigenes Lehrbuch und entwickelte die Bindung Zdarskys weiter; von ihm stammt die neue Technik des Skilaufens mit zwei Stöcken

382 Nansen, Fridtjof: „Auf Schneeschuhen durch Grönland.“ dt. Übersetzung. Hamburg 1891. Skier waren in der Pionierzeit im deutschsprachigen Raum als „norwegische Schneeschuhe“ im Umlauf. 383 Die Technik Zdarskys inkludierte allerdings immer noch einen Skistock („Alpenlanze“), welche bei der Kurvenfahrt zur Verengung des Kurvenradius in den Schnee gestemmt wurde. 384 Tiwald, Horst: „Vom Pflugbogen, Schlangenschwung und Schuss-Bums-Technik.“ 2004. S. 6. Online unter http://www.mathias-zdarsky.de/wisstexte/buch_manuskripte/schuss_bum.pdf.

123 – wobei er eine eigene Skiausrüstung entwickelte.385 Generell darf auf den entscheidenden Impuls des militärischen Skilaufs auf die Breitensportvariante verwiesen werden: viele bergerprobte Freiwillige ließen sich während des Krieges zu Skisoldaten ausbilden, dazu kam die Anfertigung Hunderttausender Paar Skier für den Gebirgsdienst. Nach 1918 waren somit nicht nur viele Skilehrer für die Abhaltung ziviler Skikurse bereit; auch waren zahlreiche Skier im Umlauf.386 Der militärische Einsatz von Skiern – zur raschen Verschiebung auf topografisch stark wechselndem Gelände – war dabei natürlich dem nordischen Skilauf (v.a. Langlauf) zugetan. Alpine Disziplinen wie Anfahrt und Slalom treten jedoch bereits als Randerscheinung auf387. Den Durchbruch schafften die alpinen Disziplinen allerdings erst durch engagierte Briten, die in Mürren den Kandahar-Skiclub gründeten und zur Popularisierung von Abfahrt und Torlauf entscheidend beitrugen388.

Der Österreichische Skiverband findet noch die Pioniere Max Kleinoscheg, Toni Schruf, Viktor Sohm, Franz Reisch und Hannes Schneider erwähnenswert389. Die eingangs beschriebenen geschlechterabhängigen Verhältnisse lassen den Umstand, dass es sich bei diesen Skipionieren ausschließlich um Männer handelt, wenig überraschend erscheinen. Zwar schreibt die deutsche Ski-Meisterin Christel Cranz390 in ihrem 1935 publizierten Buch „Skilauf für die Frau“, dass im späten 19. Jahrhundert bereits Frauen auf Skiern anzutreffen waren – sie verweist auf eine „Frau Holland“ aus Oberhof und eine „Frau Finsterlin“ aus München391 – jedoch gesteht auch sie in ihrem an sich beinahe feministischen Buch zum Skilauf den Männern die Rolle als „Pioniere des Skilaufs“ zu.

Dabei sei erwähnt, dass man dem weiblichen Geschlecht mit nur wenigen Vorurteilen in Bezug auf die Ausübung des alpinen Skisports gegenüberstand und der Zugang zu dieser Sportart weiblichen Personen offen stand. In der Publikation zum 20jährigen Bestehen des Österreichischen Ski-Vereins erinnert man sich an die

385 siehe v.a. Kirnbauer, u. a.: „Skipionier Georg Bilgeri.“ Graz 2001. 386 siehe bei Tschofen, Berhard: „Schneekulturen.“ in: Natter, Tobias G. (Hrsg.): „Schnee – Rohstoff der Kunst.“ Ausstellungskatalog. Ostfildern 2008. 387 Amstutz: „Golden Age.“ Zürich 2010. S. 35. 388 ebenda. S. 83-116. 389 ÖSV: „100 Jahre ÖSV.“ Innsbruck 2005. S. 25-37. 390 Christl Cranz, geboren 1914 in Brüssel (gest. 2004 in Oberstaufen-Steibis), dominierte den Frauenskilauf der 1930er Jahre und war das Aushängeschild der starken dt. Mannschaft. Neben ihren zwölf Weltmeistertiteln gelang ihr auch 1936 der Sieg im olympischen Kombinationsrennen von Garmisch-Partenkirchen. siehe: Biographie auf sportsreference.com: http://www.sports-reference.com/olympics/athletes/cr/christl-cranz-1.html (Stand: 10.5.2011) 391 Cranz: „Skilauf für die Frau.“ Aalen 1935. S. 6.

124 Pionierzeit des Skilaufens: „Von all jenen, die damals eifrige Skifahrer waren, sind nur sehr wenige übrig, die es heute noch sind. [...] unter diesen wenigen Getreuen verdient das rühmliche Beispiel einer Dame hervorgehoben zu werden, welche, ebenso wie damals als junges Mädchen, heute als blühende Frau, eine eifrige Skiläuferin geblieben ist.“392 Gertrud Pfister verweist in ihrem Artikel über die Anfänge des Frauensports in Österreich auf den 1. Wiener Skiclub, der 1893 sogar eine Frau als Rechnungsprüferin einsetzte393.

Der renommierte Kitzbüheler Ski Club (KSC) verweist in der Tradition des Frauenskisports auf die Pionierin Paula Gräfin Lamberg. Das Jahrbuch des Wintersports 1910 schreibt über sie: „Die beste Skispringerin Europas ist Paula Gräfin Lamberg aus Kitzbühel. 1910 gelang es dieser leidenschaftlichen Skiläufrin, zwei gestandene Sprünge von 24 und 23 Meter Weite in ausgezeichneter Haltung auszuführen. Sprünge von dieser Weite sind auch für einen Mann hervorragend, wie viel schwerer ist es für eine Dame, mit ihrer die Bewegung hemmenden Kleidung derartige Leistungen zu erzielen.“394

Generell muss man sogenannte „Skipionierinnen“ in den sozial höher gestellten Kreisen suchen. Neben Paula Gräfin Lamberg findet man u.a. mit Gerda Gräfin Paumgarten-Hohenschwangau395 eine weitere Vertreterin des Adels. Auffällig ist daneben eine hohe Dichte an Akademikerinnen: Beispiele sind Elli Löri- Stiller396, Emmy Ripper-Schwabe397 und Hilde Walter-Doleschell398. Sie kamen über

392 ÖSV: „20 Jahre ÖSV.“ Wien 1912. S. 5. 393 Erwähnenswert ist der Umstand, dass es sich bei besagter Dame um die Ehefrau des Obmanns handelte. siehe: Pfister, Gertrud: „Die Anfänge des Frauenturnens und Frauensports in Österreich.“ in: Bruckmüller, u. a.: „Turnen und Sport in Österreich.“ Wien 1998. S. 98. und: Hüttenegger, Theodor: „Die Anfänge des Frauen-Schilaufs in Österreich.“ in: „Internationales Seminar für Geschichte der Leibeserziehung und des Sports Nr. 7“. Wien 1974. S. 1. 394 zit. nach Bronisch: „100 Jahre KSC.“ 2003. S. 122f. 395 Gerda Paumgarten, geboren 1907 in Graz, ist die Tochter des Skipioniers Camillo Paumgarten. Emigrierte während des 2. Weltkrieges in die USA, arbeitet nach dem Krieg als Skilehrerin für Besatzungssoldaten. Gerda Paumgarten starb 2000 in Wien. siehe ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 311. 396 Elli Löri-Stiller, geboren 1904 in Wien (gest. 1991 in Aspen, Colorado, USA), kam nach dem 1. Weltkrieg zum Skilauf. Nach Studienabschluss zum alpinen Skilauf. 1933 u.a. Kitzbühel-Sieg, 1935 WM-Teilnahme. siehe: ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 243f. 397 Emmy Ripper-Schwabe, geboren 1909 in Görz (gest. 1997 in Innsbruck) wurde 1929 akademische Meisterin Österreichs, fuhr ab 1931 regelmäßig FIS-Konkurrenzen. Etablierte bei Olympia 1964 in Innsbruck ihren eigenen Hostessendienst, der auch 1968 in Grenoble, 1972 in München und 1976 in Innsbruck tätig war. siehe: ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 357. 398 Hilde Walter-Doleschell, geboren 1915 in Reichenberg, CZE, war ein sportliches Multitalent. 1936 in Garmisch- Partenkirchen Olympiastart im Skilauf für die Tschechoslowakei, ab 1937 beim ÖSV. 1950 nach Kanada ausgewandert. siehe:

125 den Akademikersport zum Skilauf.

Anders als in der späteren Phase des alpinen Skisports ab 1945, in welcher beinahe alle aktiven Skisportlerinnen aufgrund ihrer geographischen Herkunft im westlichen, alpingeprägten Österreich zum Skisport prädestiniert erscheinen, kommen die Sportlerinnen dieser Pionierzeit öfter aus dem Flachland; die Ausübung des Skisports wird dadurch auch zum finanziellen und logistischen Aufwand. Elli Löri- Stiller etwa war Wienerin; Emmy Ripper-Schwabe war zwar in Görz geboren, verbrachte ihre Kindheit aber in Linz und studierte in Wien Chemie; Hilde Walter- Doleschell kam als Siebenjährige vom tschechischen Reichenberg nach Wien und studierte dort Leibesübungen.

Daneben ist oft ein gewisses Naheverhältnis zum Skisport über männliche Bezugspersonen feststellbar. Grete Alt-Lantscher399 etwa, wird in der Biographiensammlung des ÖSV wie folgt zitiert: „Ich bin in Igls [...] auf die Welt gekommen und blieb dort bis zu meinem 10. Lebensjahr [...] Dabei lernte ich gut rodeln. Bei Neuschnee wäre es mit Ski leichter gegangen, aber wir hatten als Kinder eine Abscheu vor diesen Brettln. [...] Später ging ich viel mit meinen Brüdern Ludwig und Hellmuth und mit meinem Mann [Ludwig Alt, Anm.]in die Berge. Von ihnen lernte ich die fehlende Fahrtechnik.“400

Die Initiation durch einen männlichen Mentor ist bei den von mir untersuchten Biografien österreichischer Skirennfahrerinnen omnipräsent. Eine Erklärung dafür liegt allerdings weniger in der Geringschätzung des weiblichen Könnens (auch wenn Grete Alt-Lantscher darauf verweist den Feinschliff in der Technik von den Männern gelernt zu haben) als in der bloßen Tatsache, dass es viel mehr männliche Skirennläufer gab und diese auch populärer, in ihren heimischen Skiclubs darüber hinaus einflussreicher waren.

Für einen Leistungsvergleich dienten in der Pionierzeit vor allem Rennen der

ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 481f. 399 Grete Alt-Lantscher, geb. 1906 in Igl, nahm an der Ski WM 1935 in Mürren (CH) teil, wurde Österreichische Meisterin 1933 in der Kombination, Siegte u.a. bei der Abfahrt in Kitzbühel. Entstammte einer großen Skidynastie. Ihre Brüder Hellmut, Gerhard, Gustav und Otto waren ebenso wie ihre Schwestern Hadi Pfeifer-Lantscher und Inge Wersin- Lantscher skifahrerisch aktiv; Gustav Lantscher war daneben als Schauspieler, Otto Lantscher als Kameramann (u.a. „Triumph des Willens“) für Leni Riefenstahl tätig. Grete Alt-Lantscher starb 1989 in Igls. 400 nach ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 12.

126 Männer; bis in die späten 1920er Jahre gab es kaum Frauenrennen. Die ersten Frauenmeisterschaften in Österreich fanden z.B. 1928 statt. Beim berühmten Hahnenkammrennen in Kitzbühel gab es erstmals 1932 Frauenbewerbe (bei verkürzter Abfahrt)401. 1953 wurden dabei erstmals Stimmen laut, die bis heute als eine der gefährlichsten Abfahrten der Welt geltende „Streif“ wäre für Frauen zu schwierig und deshalb gesundheitsbedrohend - immerhin verletzten sich die Salzburgerinnen Resi Schafflinger und Heidi Möslacher im Training teils schwer. Die bis heute geltende Streichung alpiner Frauenbewerbe in Kitzbühel war letztens eine Entscheidung am grünen Tisch; 1961 fanden die letzten Hahnenkammrennen für Frauen statt402.

Um mich wieder bei den Ausführungen von Christl Cranz (1935) zu bedienen, geht die Geschichte eigener Frauenrennen allerdings auch in die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts zurück: das damalige Zentrum des Skilaufs war Mürzzuschlag, wo 1893 der „Erste Steirische Skiclub“ gegründet wurde; bei den ersten Wettläufen war bereits ein Frauenrennen ausgeschrieben: der 400 Meter lange sogenannte „Kürlauf“403 – in der damals populäreren nordischen Variante. Christl Cranz schreibt über die Etablierung alpiner Bewerbe: „Bald wurden auch im Schwarzwald Rennen durchgeführt, meist waren auch Frauen dabei. So wurde im Winter 1893/94 in Todtnau ein Skiwettlauf für Bauernmädel abgehalten und 1896 ein Damenlauf auf dem Feldberg. Es waren aber meist Flachläufe, und erst 1902 wurde auf Anregung Paulkes ein Abfahrtslauf für Damen eingeführt, bei dem es auf Schönheit der Haltung und Gewandtheit ankam.“404

Der berühmte, 1901 gegründete „Skiclub Arlberg“, verweist in seiner Kurzchronik auf den hohen Frauenanteil von 12,5% bei der Gründung des Vereins und rühmt sich: „davon sind viele Vereine hundert Jahre später weit entfernt“405. Christl Cranz notiert ein Frauenrennen am Arlberg zumindest bereits im Jahr 1904, angeschlossen an den Fern- und Schnellauf der Männer406. Von einer Etablierung von Frauen-Skirennen kann man aber erst, wie bereits erwähnt, im Laufe der 1920er Jahre sprechen; einen

401 Bronisch: „100 Jahre KSC.“ 2003. S. 85. 402 ebenda. S. 124. 403 Cranz: „Skilauf für die Frau.“ Aalen 1935. S. 7 404 ebenda. 405 Schrift für die Homepage des SC Arlberg betreffend dessen Gründungsgeschichte. siehe: http://www.skiclubarlberg.at/deutsch/pdf/geschichte_gruendung.pdf. (Stand: 10.5.2011) 406 Cranz: „Skilauf für die Frau.“ Aalen 1935. S. 8.

127 wichtigen Impuls erhielt die Entwicklung durch die im Umfeld des Kandahar-Skiclubs angesiedelte Gründung des englischen „Ladies Ski Club“ im schweizerischen Skiort Mürren.

Ausschlaggebend für die Nachkriegszeit war der Zugang zum Skilauf in den 1930er Jahren. Die Vereinnahmung des Sports durch die nationalsozialistische Ideologie spielt dabei eine wichtige Rolle. Die besonders auf physische Ebene projizierte, propagierte Überlegenheit einer deutschen „Herrenrasse“ förderte den Kult um eine neue Körperlichkeit, welche in Parolen wie „schlank und rank, flink wie Windhunde, zäh wie Leder, und hart wie Kruppstahl“407 kumulieren. Die körperliche Ertüchtigung wird dabei ebenso zum Politikum wie die Demonstration der motorischen Fähigkeiten bei sportlichen Wettkämpfen. Einen wichtigen Stellenwert in Bezug auf Sport und Leibesübungen allgemein nimmt die Pflege des Körpers ein. Im Vorwort zum Lehrplan für das „Mädchenturnen“ von 1935 liest man: „Viel mehr als das bisher geschehen ist, muss die Leibeserziehung zugleich eine solche zur Gesundheit, zur Gesundheitspflege und einer allgemeinen gesundheitlichen Lebenshaltung sein. [...] In der Schule müssen alle die Voraussetzungen geschaffen werden, mit deren Hilfe waches Verständnis für die vielen wichtigen Fragen einer gesundheitlichen Lebensführung zu erzielen ist.“408

Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten verfolgte den Plan, Deutschland, das bei den Olympischen Spielen in Los Angeles 1932 nur auf Rang 7 der Medaillenwertung aufschien409, an die Spitze des internationalen Sportes zu bringen. Den Athleten kamen dabei die Rollen von „Kämpfern für Deutschland“ zu, welche die „Repräsentanten der germanischen Rasse“ wären410. Tatsächlich zeigte sich Nazideutschland (besonders in der Leichtathletik) bald sportlich erfolgreich: bei der ersten Leichtathletik-Europameisterschaft 1934 in Turin holte man 8 Titel; 9 Titel bei den 4. Frauen-Weltspielen der Leichtathletinnen in London und fünf gewonnene Länderkämpfe taten das ihre dazu bei, dass Deutschland 1933/34 zur sportstärksten Nation in Europa aufstieg411. Die medienwirksamsten und damit prestigeträchtigsten

407 Adolf Hitler wollte diese Eigenschaften bei „deutschen Jungen“ sehen. Das Zitat stammt vom Reichsparteitag 1935. siehe: Zentralverlag der NSDAP: „Der Parteitag der Freiheit 1935.“ München 1935. S. 183. 408 Klinge, u. a.: „Deutsches Mädchenturnen.“ Berlin 1935. S. 13. 409 Mit 5 Mal Gold, 12x Silber und 7x Bronze hinter den USA, Italien, Frankreich, Schweden, Japan und Ungarn. siehe: Anders, u. a.: „Die Spiele 1896-1992.“ Hamburg 1996. S. 40. 410 Teichler: „Sportpolitik im 3. Reich.“ Schorndorf 1991. S. 97. 411 vgl. Figura: „Sport im Nationalsozialismus.“ Diplomarbeit. Graz 2004. S. 74.

128 Sportarten waren dabei die Leichtathletik, der Boxkampf (um Max Schmeling) und Fußball; im Breitensport daneben der traditionelle Turnsport, welcher bereits von Friedrich Ludwig Jahn im 19. Jahrhundert politisiert wurde.

Ideologisierter Ehrgeiz bis hin zum Fanatismus sorgten aber dafür, dass auch der Skilauf - im Sinne einer alle Sportarten umfassenden Dominanz – trotz seiner noch geringen Popularität vereinnahmt wurde. In einer Publikation des „Amtes für Sportwerbung“ im Vorfeld zu den Olympischen Winterspielen 1936 in Garmisch- Partenkirchen liest man: „Vor allem bilden die heute so geschätzten Slalom-Konkurrenzen [...] eine gar nicht hoch genug einzuschätzende Wertung derjenigen Charaktereigenschaften, die den Skiläufer zu einem ganzen Kerl machen.412“

Der alpine Skilauf wurde erstmals bei den Olympischen Spielen in Garmisch- Partenkirchen in Form einer „alpinen Kombination“ aus einem Abfahrts- und zwei Slalomläufen, olympisch. Nachdem aufgrund des strengen Amateurparagraphen österreichische und schweizerische Skilehrer von der Teilnahme ausgeschlossen wurden, avancierten die Bewerbe in Oberbayern zur Glanzstunde des deutschen Skilaufs: sowohl im Männer- als auch im Frauenbewerb gab es einen Doppelsieg. Der Berchtesgadener Franz Pfnür gewann bei den Männern vor Gustav Lantscher, der nach seiner Arbeit mit Leni Riefenstahl seine österreichische Heimat in Richtung Deutsches Reich verließ; die strahlende Siegerin bei den Frauen war die Skiikone ihrer Zeit, Christl Cranz, welche die Lokalmatadorin Käthe Grasegger aus Partenkirchen auf Rang zwei verwies. Die Presse lobte Cranz: „Beste Skiläuferin der Welt! Beste im Kampf gegen die ‚schneegeborenen’ Norwegerinnen, gegen die kühnen Mädels aus der Schweiz, gegen die sieggewohnten Österreicherinnen und die zähen Engländerinnen. Da gehört mehr dazu, als nur gute Schneelauftechnik oder körperliche Kraft, dazu gehören Nerven und unerhörte Konzentration, geistige Überlegenheit und ein unbändiger Siegeswille.“413 Das ÖOC nahm die Spiele von 1956 zum Anlass, um die Olympische Geschichte in ihrer Publikation noch einmal zu rekapitulieren. Kommentare zum

412 von Tschammer und Osten, Hans (Hrsg.): „Skilauf.“ Berlin 1936. S. 9.

413 zit. nach Czech: „Frauen und Sport in NS-Deutschland.“ Dissertation. Göttingen 1994. S. 90.

129 Nationalsozialismus fehlen dabei vollständig. Dabei finden die Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen besondere Erwähnung, feierten dort doch die alpinen Bewerbe ihr Olympiadebut. Tatsächlich wird dieses Debut als „Premiere mit Dissonanzen“ bezeichnet. Nicht jedoch aus politischen Gründen – mit „Dissonanzen“ meinte man das vom IOC verhängte Verbot für Skilehrer an den Bewerben teilzunehmen. Selbst Gustav Lantscher, der als Österreicher 1936 schon für das Deutsche Reich startete, findet in dieser Chronik der Ereignisse unkommentierte Erwähnung414.

Eine elitäre Auffassung des Skisports, der sich auch die Nazis bedienten, findet sich immer wieder. Ein Werk der Skilehrerliteratur, 1947 erschienen, fasst diesen universellen Anspruch in der Einleitung zusammen: „Er [der Skilauf, Anm.] gehört zu jenen Sportarten, die nicht nur eine Angelegenheit bestimmter Muskelgruppen und engbegrenzter Möglichkeiten sind, sondern den ganzen Menschen erfassen und verlangen. Er schenkt uns ein naturnahes Leben und dazu den Rausch der Geschwindigkeit, der Weite und der Höhe, der uns moderne Menschen so begeistert. Kein Wunder, dass wir alle mit Leib und Seele Skiläufer sind.“415

Bei Harald Bosio (1936) liest man: „Neben den rein körperlichen Anlagen sind noch die psychischen von Bedeutung. Zähigkeit, Kampfgeist und Willenskraft, gepaart mit Gleichgewichtssinn, Rhythmusgefühl, Ruhe, Unbeeinflussbarkeit und Muskelgefühl zeichnen den Lang- und Abfahrtsläufer aus. Der Torläufer bedarf blitzschneller Auffassungsgabe, scharfen Augenmaßes, räumlicher Vorstellungskraft, hoher Konzentrationsfähigkeit und seinen Gleichgewichtsgefühls. Hinzu kommen für den Abfahrtsläufer noch: Mut, Zähigkeit und Willenskraft.“416

Im Fahrwasser ihrer Erfolge erschienen auch einige Bücher Christl Cranz’ zum Skilauf. Im Vorwort zu ihrem Buch „Skilauf für die Frau“ liest man folgende Zeilen: „Ich wurde aufgefordert, ein Buch über den Frauenskilauf zu schreiben. Erst als ich angenommen hatte, und mir die Sache einmal näher überlegte, merkte ich, dass es

414 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 11. 415 Haas, u. a.: „Ski-Abfahrt.“ Graz-Wien 1947. S. V. 416 Bosio: „Training des Skiläufers.“ Wien-Leipzig 1936. S. 9.

130 eigentlich gar nicht so leicht ist. Denn gerade über ‚Frauenskilauf’ im besonderen kann man gar nicht so viel sagen, weil ja fast alles für den Mann genauso gut gilt. Die Berge und der Schnee sind die Hauptsache beim Skilauf, und die bleiben sich immer gleich, ob da nun Männlein oder Weiblein drauf herumrutschen. Aber auch das Training ist genau dasselbe für Männer und Frauen, soweit es Abfahrt und Slalom anbetrifft. Auf Hütten, Touren und in den Skikursen sind Männer und Frauen beisammen, und es wird bestimmt niemandem einfallen, nun für Frauen eine extra Lehrmethode ausfindig zu machen. Wenn man aber die Leistungen der Frauen mit denen der Männer vergleicht, so sieht man, dass sie gar nicht so arg weit dahinter zurück sind.“417

Der „Beinahe- Gleichsetzung“ der Geschlechter im alpinen Skilauf verstärkt sie weiters: „Beim Skilaufen gibt es eigentlich keinen großen Unterschied zwischen Mann und Frau. Technisch kann eine Frau genauso gut fahren wie der Mann, nur sind die Männer stärker und ausdauernder, und das wirkt sich dann auf längeren Strecken und Touren aus.“418

Beinahe feministisch muten jene Textpassagen an, in denen Christl Cranz besonders das weibliche Potential zum Skifahren adressiert. So schreibt sie etwa: „Der Skilauf ist ein Sport, der wie selten einer auch für die Frau geeignet ist.“419 An einer weiteren Stelle bezeugt sie den Frauen sogar einen „besseren Zugang“ zum Skisport: „Der Skilauf ist aber nicht nur Sport, er ist viel, viel mehr. Aber was dieses ‚mehr’ ist, das kann man nicht in Worte kleiden, das muss man selbst erleben und selbst fühlen. Gerade das empfänglichere Gemüt der Frau wird dieses ‚mehr’, dieses unbestimmte Etwas, das Schöne und Geheimnisvolle tiefer und nachhaltiger empfinden als der Mann.“420 Nicht frei von Pathos und im Stil der 1930er Jahre postuliert sie: „Jede deutsche Frau und jedes deutsche Mädel, das irgendwie Gelegenheit hat, Ski zu laufen und den Skilauf zu erlernen, sollte das unbedingt tun.“421

417 Cranz: „Skilauf für die Frau.“ Aalen 1935. Vorwort. 418 ebenda. S. 16. 419 ebenda. S. 14. 420 ebenda. S. 15. 421 ebenda. S. 19.

131 Die besondere Betonung gerade auch des Frauensports intendierte die Erziehung junger Mädchen hin zu einem Ideal der starken, belastbaren, aber zugleich schön und anmutigen422 Frau im Nationalsozialismus. Der ab der Vereinnahmung durch den BDM ausgeübte Druck, Sport zu betreiben, muss dabei nicht nur als Zwang verstanden werden; Michaela Czech sieht im nationalsozialistischen Frauensport viel mehr die Etablierung eines weiblichen Machtbereichs innerhalb der chauvinistischen nationalsozialistischen Gesellschaft423. Johanna Dorer steckt den propagierten „neuen deutschen Mädeltyp“ ab: es gibt „das trainierte BDM-Mädchen, die spärlich bekleidete Sportlerin, die verführerische sportliche Gattin“. Im Ganzen allerdings zeigten die Nazis den Mädchen und Frauen damit deren Möglichkeiten auf, an der neuen nationalsozialistischen Gesellschaft teilzuhaben.424

Das von den Nationalsozialisten propagierte Frauenbild als Mutter wird bei Christl Cranz mit der Betonung der Familienfreundlichkeit des Sports bedient: „Für die Frau ist das Schöne am Skilauf, dass sie ihn nie aufgeben muss, auch dann nicht, wenn sie verheiratet ist und Kinder hat, ja selbst als Großmutter kann sie immer noch Ski laufen. Es ist doch sicher sehr schön für eine Mutter, wenn sie mit ihren Kindern losziehen kann in die weiße Wunderwelt des Winters und mit ihnen leicht mitkommt und nicht zu Hause sitzen muss und zittern.“425

Was neben all den „feministischen“ Parolen bei Christl Cranz formuliert wird ist die Fortführung einer tradierten Klassifikation, die bis heute gültig ist: die Besetzung von Sportarten durch eine Bewertung in „männlich“ und „weiblich“. Der Skisport, der Geschichten von auf Skiern stehenden, sich ins Tal stürzenden, mutigen Männern erzählt, wird dabei mit männlichen Attributen besetzt. Cranz konstruiert dabei ein ganz bestimmtes Frauenbild der „Kameradin“: „Beim Skilauf gibt es keine ‚Dame’ und keinen ‚Kavalier’. Die Frau ist die Kameradin des Mannes und wird als richtige Skiläuferin auch immer so handeln. Sie trägt ihren Rucksack allein, lässt sich nicht die Ski anschnallen und schleppen. Nur wenn einer schlapp macht, hilft ihr der Mann, das ist ja auch selbstverständlich, der Stärkere hilft ja immer dem Schwächeren. Allerdings wird in den großen Sporthotels auch immer

422 Nach Baldur von Schirach. siehe: Wortmann: „Baldur von Schirach.“ Köln 1982. S. 162. 423 Czech: „Frauen und Sport in NS-Deutschland.“ Berlin 1994. S. 19. 424 Dorer, Johanna und Marschik, Matthias: „Sportlerinnen in Österreichs Medien 1900-1950. Das ‚Sportgirl’ als Symbol für die moderne Frau.“ in: Marschik, u. a.: „Mediatisierung des Sports in Österreich.“ Göttingen 2010. S. 244f. 425 Cranz: „Skilauf für die Frau.“ Aalen 1935. S. 18f.

132 das Gegenteil anzutreffen sein, das sind aber auch keine Skiläuferinnen, sondern einfach vergnügungssüchtige, geschminkte und gepuderte ‚Dämchen’, die mit lackierten Fingernägeln, bunten Handschuhen und Mützchen versuchen, die Männerwelt zu betören.“426 Das Bild vom hübschen, aber talentfreien „Skihaserl“427 wird bis zu den Skifilmen der 1950er Jahre nachwirken.

Weiter oben im Text liest man über die Zähigkeit und Härte der Skifrauen: „Heult draußen der Wind, und der Schneesturm fegt so richtig um die Ecken der Hütte oder des Hotels, verkriechen wir uns nicht hinter dem großen grünen Kachelofen, oder gehen zum ‚five o’clock tea’, dann ziehen wir den weißen Eskimo- Anorak an und lassen uns den Wind mal ordentlich um die Nase blasen. [...] Wenn die Schneekristalle ins Gesicht peitschen und wie tausend Nadeln auf unserer Haut stecken, überkommt uns ein Hochgefühl von Draufgängertum und Kampfeslust, dann müssen wir eben aushalten und durchhalten. Das können wir Mädels von heute jedenfalls auch, wir sind nicht mehr zimperlich und ‚weiblich’ wie anno dazumal, wir stehen auch unseren ‚Mann’.“428 Trotz dieser eher geschlechtsneutralen Herangehensweise bleibt es Christl Cranz nicht schuldig, doch die Unterschiede zwischen Mann und Frau in Bezug auf den Skilauf zu betonen. So liest man: „Bei den Kindern gibt es keinen Unterschied in der Leistung. [...] Die Kinder sollte man überhaupt machen lassen, was sie wollen. Wenn man immer mit Verboten kommt, z.B. dem Mädel sagt: ‚Du darfst nicht springen, das ist nichts für Mädchen’, dann nimmt man ihnen die ganze Freude, und warum soll ein Mädel nicht auch springen, wenn es doch der Bruder darf und wenn es ihr genau dieselbe Freude macht? Später, wenn es auf größere Schanzen geht, hört es dann schon von selber auf.“429 Weiters: „Für Frauen kommt nur Abfahrt und Slalom in Frage. In diesen beiden Disziplinen kann die Frau ihr Können ganz auswerten. Es gehört nicht eine übermäßige Kraft und Ausdauer dazu, die Zeit des Rennens ist beim Abfahrtslauf selten mehr als 5-6 Minuten, beim Slalom zählt sie sogar nur Sekunden. Der Hauptfaktor bei den

426 Cranz: „Skilauf für die Frau.“ Aalen 1935. S. 17. 427 Stefan Kruckenhauser bezeichnet immer wieder skilaufende Frauen als sogenannte „Skihaserl“. Siehe vor allem: Kruckenhauser, Stefan: „Du schöner Winter in Tirol.“ Berlin 1937. Bildteil. 428 Cranz: „Skilauf für die Frau.“ Aalen 1935. S. 15. 429 ebenda. S. 16f.

133 Abfahrtskonkurrenzen ist die vollständige technische Beherrschung des Sportes, während Lang- und Sprunglauf eben athletische Leistungen sind, zu denen viel Kraft und Ausdauer gehören, mehr als Frauen hergeben können, ohne sich zu schaden. Es wird sicher keinem vernünftigen Sportmädel einfallen, sich auf Marathonläufe oder Boxen zu verlegen, und so ist bei uns Skiläuferinnen auch für Lang- und Sprunglauf kein Interesse vorhanden.“430

Auch dass der Erfolg einem Manne zu verdanken ist, bleibt nicht unerwähnt: „In den letzten zwei Jahren wurden vom DSV Trainingskurse durchgeführt. 1934 wurden allein in den ersten zwei Kursen 60 Skiläuferinnen geschult. [...] Schon allein das fabelhafte Vorbild unseres Lehrers Anton Seelos machte viel aus.“431

e. Vom österreichischen „Frauen-Wunderteam“ zum „Begleitprogramm für Männerbewerbe“.

Der Mann als Mentor der Skifahrerin wird damit über die Pionierzeit des Frauenskifahrens in den 1920er Jahren über die 1930/40er bis hinein in die 1950er Jahre tradiert. Die Präsidenten des Österreichischen Ski Verbandes (ÖSV) sind seit der Gründung 1905 durchgehend männlich; weibliche Trainerinner – auch im Frauenbereich – sucht man vergebens.

Dabei waren es vor allem während den unmittelbaren Nachkriegsjahren die Ski- Frauen, die das erfolgsverwöhnte Österreich mit Prestigesiegen verwöhnten: nachdem Österreich bis 1946 von internationalen Rennen ausgeschlossen war und die Rennen so zu nationalen Kräftemessen verkamen, siegte 1947 Dagmar Rom bei den akademischen Weltmeisterschaften, die spätere Olympiasiegerin von 1948 und 1952, Trude Beiser, triumphierte bei den prestigeträchtigen Kandahar-Rennen in Mürren ebenso wie bei den SDS-Rennen in Grindelwald und Resi Hammerer gelang der Sieg bei der Olympia-Generalprobe um das „Weiße Band“ in St. Moritz432. Das Männerteam brauchte noch bis in die Mitte der 1950er Jahre um sich den Beinamen „Wunderteam“ zu erarbeiten. Auf der Ebene des Breitensports lassen sich auch keine eklatanten Geschlechterunterschiede feststellen: zu den Skimeisterschaften

430 Cranz: „Skilauf für die Frau.“ Aalen 1935. S. 20. 431 ebenda. S. 28. 432 ÖSV: „100 Jahre ÖSV.“ Innsbruck 2005. S. 76.

134 der steirischen Mittelschulen und mittleren Lehranstalten 1950 hatten sich 153 Teilnehmer gemeldet, 47 davon waren weiblich.433

Besonders die Olympischen Winterspiele 1948 in St. Moritz zeigten in Bezug auf die Ski-Elite klare Verhältnisse: Österreich holte insgesamt 6 Medaillen bei den Alpinbewerben, davon eine in Gold, zwei in Silber und drei in Bronze. Während Franz Gabl in der Abfahrt die einzige Medaille (Silber) der Männer gewann, sicherten sich die restlichen fünf das Frauenteam um Trude Beiser (Gold in der Kombination und Silber in der Abfahrt), Resi Hammerer (Bronze in Abfahrt und Kombination) und um die für Skifahrerkreise aus dem exotischen Linz stammenden Erika Mahringer (Bronze im Slalom). Von den 7 Medaillen bei den Alpinen Ski-Weltmeisterschaften im amerikanischen Aspen (Colorado) steuerten die Männer gar nur eine Bronzemedaille (Egon Schöpf in der Abfahrt) bei; die österreichischen Frauen präsentierten sich mit drei Goldmedaillen aus drei Bewerben (Abfahrt, Riesenslalom, Slalom) in Bestform434.

Die offizielle Publikation des Österreichischen Olympischen Komitees zu den Spielen im Engadin zollt der Leistung der alpinen Ski-Frauen besonderen Respekt, ohne dabei mit gängigen Vorurteilen zu sparen: „Bei den Damen [...] hat auch das Technische Können während der vergangenen Jahrzehnte wesentlich zugenommen. Die besten unter ihnen nähern sich in ihren Leistungen immer mehr den Spitzenläufern der Herrenklasse, und der Eindruck ist nicht zu übersehen, dass die Anforderungen der heutigen Damen-Abfahrtsrennen schon über die physischen Grundlagen der weiblichen Konstitution vielfach hinausgewachsen sind.“435

Die Leistungen der Frauen, die für Österreich de facto eine Blamage auf dem alpinen Sektor verhindern konnten, waren allerdings im Vergleich zu der enttäuschenden Ausbeute der Männer kaum der Rede wert. Während man sich die Niederlagen der Ski-Männern mit Materialbenachteiligungen und Wachs-Fehlgriffen zu erklären versuchte, wurde der Olympiasieg Trude Beisers lediglich in ihrer Vorarlberger

433 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1950. Heft 5/Jahrgang 4.) S. 17. 434 Dagmar Rom wurde Weltmeisterin in Riesenslalom und Slalom, Trude Beiser Weltmeisterin in der Abfahrt. Daneben holte Erika Mahringer Silber in Abfahrt und Slalom, Trude Beiser Silber im Riesenslalom. 435 ÖOC: „Fest der Völker 1948.“ Wien 1948. S. 26.

135 Heimat euphorisch gefeiert.436 Die Ski-Frauen, die Österreich als Skination in der Nachkriegszeit bei den wichtigen Olympischen Spielen 1948 etablierten, mussten sich mit Verhätschelungen zufrieden geben. „Die Welt“ kommentiert: „Höchstes Lob gebührt unseren braven Mädeln. Sie haben sich wirklich restlos eingesetzt.“437 Recht zufrieden gab man sich damit aber nicht. Der „wahre“ Sieg, nämlich der eines Mannes, war ausgeblieben. Weil 1948 keine Kombinationsmedaille bei den Männern erreicht wurde, schreibt das ÖOC: „Wir waren – wie gesagt – ein wenig enttäuscht, weil einfach jeder am liebsten seine Landsleute siegen sieht.“438 Dabei vergisst man ganz auf Trude Beiser.

Tatsächlich dienten die Leistungen der Frauen nur als Ansporn für die Männer. Nach den Erfolgen der Frauen in den späten 1940er Jahren und bei der Ski-WM in Aspen 1950 war die Richtung für den österreichischen Skisport klar. Kurt Bernegger erinnerte sich 1964: „‘Der Skitriumph der Damen in Aspen muss uns Ansporn und Richtschnur für den Neuaufbau eines leistungsstarken Herrenteams sein’, kommentierte ÖSV-Coach Prof. Fred Rössner die großen Damenerfolge. ‚Erst wenn sich gleiche Erfolge bei den Herren einstellen, ist Österreich wieder alpine Skination Nummer eins...’“439 Als 1952 in Oslo das Männerteam die Frauen überflügelte, war man zufrieden. Über das Abschneiden in Oslo 1952 schreibt Bernegger: „Österreichs Herren hatten in Oslo fünf von neun möglichen Medaillen gewonnen, die ÖSV- Damen nur zwei. Rössners ‚Erfolgsuhr' ging richtig.“440 Tatsächlich waren Medaillen der Männer gewichtiger als Medaillen der Frauen.

An dieser Stelle macht eine Zäsur Sinn: oben im Text erwähnte ich die Erzähltradition der Trümmerfrauen, die – in kriegsbedingter Abstinenz der Männer – die ersten Aufräumarbeiten leisteten; die Ikonen des Wiederaufbaus allerdings waren Männer auf Gerüsten, auf Dächern und auf Mauern. Es drängt sich ein Vergleich mit dem alpinen Skisport auf, welcher – sozusagen – eine „Baustelle des repräsentativen österreichischen Wiederaufbaus“ darstellte. Die Sportlerinnen um Trude Beiser und

436 Marschik: „Vom Idealismus zur Identität.“ Wien 1999. S. 173f. 437 „Die Welt“ vom 10.2.1948, zit. nach: ebenda. S. 174. 438 ÖOC: „Fest der Völker 1948.“ Wien 1948. S. 37. 439 Bernegger, Kurt: „Von Trude Beiser bis Ernst Hinterseer.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (77-84.) S. 78. 440 ebenda. S. 79.

136 Erika Mahringer stellen dabei die Trümmerfrauen des alpinen Skisports in Österreich dar. Sie hielten von den Olympischen Spielen 1948, über die Weltmeisterschaft in Aspen 1950, bis zu den Olympischen Spielen 1952 die Fahne Österreichs bei Alpinbewerben hoch. Die Ikone des Wiederaufbaus durfte sich aber jemand anderes nennen. Es war der Sohn eines Spenglers, aufgewachsen in Kitzbühel, dem Mekka des österreichischen Skisports, beheimatet unweit der „Streif“, dem traditionellen Geburtsort der nationalen Sporthelden: Toni Sailer, der „schwarze Blitz“. Er ist es, der sogar im Umfeld des realen, architektonischen Wiederaufbaus als fleißiger Handwerker einen Platz in der österreichischen Galerie der Heimatmacher findet. Trude Beiser hingegen, als erste österreichische alpine Olympiasiegerin der Geschichte, ist heute längst vergessen. Ebenso ihre Kolleginnen aus dem ÖSV- Team. Das Schicksal der österreichischen Ski-Frauen sollte sich allerdings des öfteren wiederholen: auch bei den Olympischen Spielen in Innsbruck 1964 sollte die Olympische Goldmedaille Egon Zimmermanns II den Dreifachsieg der Frauen in der Abfahrt verblassen lassen. Nicht zuletzt gilt die Abfahrt der Männer bis heute als die „Königsdisziplin“ des alpinen Skisports.

f. Der Skifahrer als Mann.

Es waren die schneidigen Burschen aus Kitzbühel (allen voran Toni Sailer und Anderl Molterer), die den Mythos des waghalsigen, oft leichtsinnigen, erfolgreichen und vor allem männlichen Skifahrers in die Zweite Republik tradierten. Ihnen folgten die jungen Draufgänger vom Arlberg (um Karl Schranz); die Dynastie der männlichen Ski-Idole lässt sich über Franz Klammer bis zum unverwundbar anmutenden, einst herkulesgleichen Hermann Maier fortführen. Eine Charakterisierung des österreichischen Ski-Stereotypen lässt sich ob der Fülle an Beispielen leicht vornehmen: er ist männlich; nicht redselig, aber gewitzt; er ist ein Einzelkämpfer; er scheut den Konflikt mit der Obrigkeit (im Skisport die internationale Organisation der FIS) nicht; er stammt aus ländlichen Gebieten; er ist ledig und doch der Schwarm aller Frauen441; er ist ein getriebener Perfektionist – und bei allem Vorwärtsdrang haftet ihm eine latente Aura der Antimoderne an: Toni Sailer fürchtet sich etwa in einem Bericht der Wochenschau mehr vor dem Arztbesuch als vor der eisigen

441 Die Erzählung vom einsamen Mann auf zwei Skiern, dem die Frauen zwar zu Füßen liegen, er jedoch kaum einen anderen Gedanken an etwas anderes als das Skifahren verschwendet, fand Eingang in die Legende vom feschen Tiroler Skilehrer - welche sich bis auf weiteres bis heute jährlich (im Winter) reproduziert. Auch die Skifahrerfilme mit Toni Sailer bedienten dieses Klischee perfekt.

137 Abfahrtspiste442. Der Skifahrer ist damit die österreichische Version des nordamerikanischen Cowboys. Als Toni Sailer im Slalom 1956 zur Goldmedaille wedelte, schrieb das ÖOC: „Der Männerslalom von Cortina war erregend wie ein guter Kriminalfilm, anstrengend wie eine schwierige Schularbeit und rührselig wie ein Frauenroman – der Held gewann!“443 Die Beobachtung der Französinnen in Cortina d’Ampezzo 1956 schafft ebenso klare Verhältnisse in der Frage nach den Geschlechterrollen. Während die Männer im Falle einer Niederlage zornig bis aufbrausend dargestellt werden, bleibt für die Frauen das typische Klischee des weinerlichen Mädchens: „Nach dem Rennen konnten die Französinnen Enttäuschung und Schmerz nicht verbergen. So verbissen hatten sie gekämpft, so sehr hatten sie sich eingesetzt, und nun waren doch die anderen stärker gewesen. Mit großen Augen, in denen der Schimmer ungeweinter Tränen stand, warteten sie auf Vorwürfe und Belehrungen, wie Schulmädchen warteten, die mit einem schlechten Zeugnis nach Hause gekommen sind.“444

Das sogenannte „Ski-Lied“ der österreichischen Olympiamannschaft weckt Reminiszenzen an Soldatenlieder und inszeniert den Skiläufer eindeutig als Mann. Der Text von Ludwig Prokop lautet (in den ersten beiden Strophen): „Wir sind die schnellen Läufer von der weißen Spur, wir brauchen nur zwei schmale Schi, dann ziehn wir durch die Bergnatur, ein Rasten gibt es für uns nie. Und ist die Spur auch noch so schwer, und führt sie steil hinauf, wir sind dem Siege hinterher und geben niemals auf. Drum immer weiter Kameraden, keiner darf jetzt müde sein, denn am Ziele wartet schon, unser kleines Mägdelein, unser kleines Mägdelein.

442 Austria Wochenschau Nr. 7/1958, Beitragsnummer 7. Erscheinungsdatum: 14.2.1958. Titel: „SKIWELTMEISTERSCHAFTEN: Toni Sailer 3-facher Weltmeister.“ 443 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 34. 444 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 52.

138 Uns, den Alpinen, ist das Tempo nie zu viel, wir steigen auf die Bergeshöh’n und schwingen wie die Teufel, talwärts in das Ziel, denn ohne Schuss ist es nicht schön. Ist auch der Slalom noch so schwer und steil der Abfahrtslauf, wir sind dem Siege hinterher und geben niemals auf. Drum immer weiter Kameraden, keiner darf jetzt müde sein, denn am Ziele wartet schon, unser kleines Mägdelein, unser kleines Mägdelein.“445 Die Identität des Skiläufers ist somit sofort klar: er ist der unerschrockene Abenteurer, dessen Heimkehr von den Frauen sehnlichst erwartet wird.

Besonders der Umgang mit dem anderen Geschlecht erweist sich in diesem Rahmen als wichtig. Analysiert man die zeitgenössischen Autobiographien von Toni Sailer (1956) und Karl Schranz (1962), so sticht bei beiden die besondere Betonung der Verbindung zur Mutter ins Auge. Toni Sailer etwa schreibt: „Vom Vater kam die Freude am Skifahren, die Erfahrung, die Ausdauer, die Zähigkeit, kurz gesagt das, was, rein sportlich gesehen, für einen erfolgreichen Skiläufer notwendig ist. Doch dies alles hätte niemals für wirkliche Erfolge hingereicht, wenn uns nicht die Mutter ihren Segen mitgegeben hätte. Wenn ich heute zurückdenke, was die gute Mutter mit uns Kindern durchzustehen hatte, weiß ich nicht, wem ich mehr zu danken habe, dem Vater oder der Mutter.“446 Karl Schranz erinnert sich: „Ich besitze eine große Vitrine voll prächtiger Pokale, Medaillen und Trophäen. Neulich stand ich neben meiner Mutter vor dem Schrank, während sie die ohnehin blitzenden Pokale zum Polieren hervorholte. Sie hielt gerade die große gläserne Weltmeisterschaftstrophäe von Chamonix in der Hand, da sagte sie nachdenklich: ‚Wer hätte das mal gedacht, Karli!’ Ob ich all das ohne ihr Verständnis und ihre

445 ÖOC: „Fest der Völker 1948.“ Wien 1948. S. 15. 446 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 28.

139 ständige Sorge um mein leibliches Wohlergehen geschafft hätte?“447

Die Enttäuschung eines Reporters in Cortina d’Ampezzo 1956, als Toni Sailer die junge Frau, die ihn im Zielgelände nach seinem Sieg in der Abfahrt umarmte und stürmisch auf die Wangen küsste, als seine Schwester Rosi enttarnte kommentiert er in seiner Autobiographie: „’Nur die Schwester!’ Ich höre das Wort noch in meinen Ohren. Wie ungerecht war dieses ‚Nur’. Ich hätte mir in jenem Augenblicke keinen lieberen Menschen auf Gottes Erde gewusst, als meine Schwester Rosl.[...].“448 Erst später gab Sailer zu, dass er während den Olympischen Spielen in Cortina sehr wohl eine französische Freundin hatte. Karl Schranz erinnert sich an den Jubel im Zielbereich nach seinem Weltmeistertitel in Chamonix 1962: „Gratulanten stürmen auf mich zu. Ein schwarzhaariges, hübsches Mädchen will mich abküssen. Aber ich bin in dieser Beziehung sehr abergläubisch. Noch habe ich keinesfalls gewonnen! Ich wehre Gratulationen und Kuss ab.“449

2011 liest man von Karl Schranz über dessen Gedanken über Beziehungen zum anderen Geschlecht während seiner aktiven Zeit als Skirennfahrer: „Eine Freundin würde mich nur ablenken. Nach meiner Karriere habe ich noch genug Zeit, mich um Frauen zu kümmern. [...] Wenn du heiratest, riskierst du nicht mehr so viel. Du weißt schließlich, dass Frau und Kind auf dich warten. [...] Wenn du Angst hast, brauchst du gar nicht fahren. Ich hatte nur Angst, dass ich nicht gewinne.“450

Für Frauen, die sich über die steilen, eisigen Pisten ins Tal trauen kennt man meist nur eine Erklärung: sie sind nicht frei von männlichen Attributen. Die erfolgreiche Skifahrerin ist der Kumpeltyp, eine wenig feminine Kämpferin. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn die Sportlerin abseits ihres Sportes gezeigt wird. Nachdem bei den Olympischen Winterspielen 1964 Christl Haas einen Dreifachsieg der Östereicherinnen bei der Abfahrt der Frauen anführte, berichtete die „Austria Wochenschau“: Nicht ganz so sicher wie auf der Piste sind die drei Mädel am Abend bei der Siegerehrung. Die Medaillen werden ihnen umgehängt, drei rot-weiß-rote

447 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 217. 448 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 30f. 449 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 192. 450 Madl: „Karl Schranz.“ Wien-Graz-Klagenfurt 2011. S. 45.

140 Fahnen steigen an den Masten empor. Jetzt könnten sich Christl Haas, Edith [Zimmermann] und Traudl [Hecher] ausgelassen freuen, aber zu sehr beeindruckt sie die Feierlichkeit des Augenblicks. Ihrem zaghaften Winken und ihrem ein wenig unbeholfenem Händeschütteln merkt man es an: Lieber würden sie jetzt draußen auf den Bretteln stehen.“451 Nur die mediale Verschreibung als sexuell attraktive Frau schützt die Sportlerin vor Verunglimpfungen, wie sie z.B. Christl Haas, später dann Annemarie Moser-Pröll erlebten452. Riesentorlauf-Goldmedaillengewinnerin aus Deutschland karikierte man in der ÖOC-Publikation als Kellnerin mit spitzen Brüsten und drei Maß Bier in der Hand453 und über die Schweizerin liest man an anderer Stelle: „Wie ein Mann sprang sie über die Bodenwellen [...].“454 Besonders der Fall Erik(a) Schineggers machte ab den 1970er Jahren die Betonung der Weiblichkeit bei Skifahrerinnen besonders wichtig. Allerdings versprach ein öffentliches Image als burschikose Rennläuferin größeres Ansehen. In den 1950er, frühen 1960er Jahren war nach der Auffassung der aktiven Skiläuferinnen der Vergleich mit Männern eher ein Kompliment; Christina Ditfurth schreibt: „Wir Mädchen trugen damals weder Make-up noch Schmuck. Ohrringe unterm Sturzhelm – nicht auszudenken! Das wäre viel zu feminin gewesen. Wir kannten weder Nagellack noch Lippenstift. Man hätte uns weniger ernst genommen. Wir wollten ja so hart wie die Männer sein, nicht feminin und schwach.“455

Die Beziehung zwischen Ski-Männern und Ski-Frauen wird als durchgehend herzlich dargestellt. Toni Sailer und Karl Schranz erwähnen ihre Freude über etwaige Erfolge der Frauenmannschaft; Christina Ditfurth erinnert sich an gemeinsame Trainingstage in Zürs: „Die Anwesenheit der Herrenmannschaft gab unserem Skilaufen eine andere Dimension: wenn wir hinter den Burschen nachfahren durften, spürten wir, was Tempo wirklich heißt, und um wie viel schneller es noch gehen konnte. [...] Bis heute ein Geheimnis – jedenfalls schlichen sich ‚die Kollegen’ nach dem Skilaufen in

451 Austria Wochenschau Nr. 7/1964, Beitragsnummer 3. Erscheinungsdatum: 14.2.1964. Titel: „IX.Olympische Winterspiele Innsbruck 1964: Österreichs Damenteam triumphiert in der Abfahrt.“ 452 Heinz Prüller Annemarie Moser-Pröll als „kumpelhaftes“, „wildes“ Wesen, mit dem man „Pferde stehlen“ könne, die als Kind „viel lieber ein Bub sein wollte“. zit. nach: Spitaler, Georg: „Annemarie Moser-Pröll. Österreichs weibliche Skiikone.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 290. 453 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 49. 454 ebenda. S. 50. 455 Ditfurth: „Die Welt ist meine Heimat.“ Norderstedt 2005. S. 79.

141 unsere Zimmer ein, denn als einzige Hotelgäste sperrten wir nie ab, und stahlen, ganz selektiv, unsere Unterwäsche. Bevorzugt: Höschen schwarz mit Spitze, viele gab’s da nicht, und Büstenhalter mit möglichst großer Schale. [...] Dann warteten sie, bis es Nacht wurde, organisierten sich eine riesen Leiter, um unsere Unterwäsche, Stück für Stück, über die Telefonleitung, die mitten durch den Ort quer über die Arlbergstraße gespannt ist, aufzuhängen.“456

g. Kategorie Geschlecht in Skifahrerbiographien 1945 – 1964.

Im Folgenden führe ich den Vergleich der 80 Skifahrerbiografien hinsichtlich geschlechtsspezifischer Unterschiede/Gemeinsamkeiten durch. Analysiert man nun die (offiziellen) Biographien, gibt es in der frühkindlichen (Ski-)Sozialisierung keine Auffälligkeiten. So sind die Angaben über den Zeitpunkt des ersten Kontaktes mit dem alpinen Skilauf bis auf wenige Ausnahmen homogen: die ersten Skifahrversuche datieren bis in das Vorschulalter zurück. Begründet wird dies oftmals mit der geographischen Lage des Ortes des Aufwachsens, welcher zumeist im bergigen Westen Österreichs liegt. Die Skier spielten dabei vor allem eine Rolle als Fortbewegungsmittel und der Skisport war der bequemste, weil er direkt vor der Haustüre ausgeübt werden konnte. Christina Ditfurth schreibt dazu in ihrer Autobiographie: „Tiroler Blut war das ‚blaue Blut’ der Skielite!“457 Im Februar des Jahres 1952 erfahren die gespannten Zuseher der „Austria Wochenschau“ von den Nachwuchsskimeisterschaften. Auch dabei darf ein Verweis auf die Überlegenheit der Westösterreicher im Bezug auf Skifahren nicht fehlen: „Unter den Knaben kann schließlich die Mannschaft des ATV Innsbruck gewinnen und die siegreiche Mädelmannschaft heißt: Realgymnasium Innsbruck; Also ein Doppelerfolg für der Tiroler Jugend, die ja bekanntlich auf Brettln schon auf die Welt kommt.“458 Meistens gibt es auch einen skifahrbezogenen „Ziehvater“ der späteren Rennläufer. Dieser Mentor ist bei Männern als auch bei Frauen durchgehend männlich; ein Umstand, den die Ski-Frauen der Nachkriegszeit von den oben beschriebenen „Pionierinnen“ nahtlos übernommen haben. Auf die Frage nach Vorbildern antworten männliche wie weibliche Skistars mit den Namen männlicher Skifahrer, deren

456 Ditfurth: „Die Welt ist meine Heimat.“ Norderstedt 2005. S. 57. 457 ebenda. S. 39. 458 Austria Wochenschau Nr. 8/1951, Beitragsnummer 9. Erscheinungsdatum: 23.2.1951. Titel: „Von den Skimeisterschaften Haus im Ennstal, Badgastein und Innsbruck.“

142 Popularität jener der Frauen weit überstieg: Trude Beiser nannte etwa den Arlberger Skipionier Hannes Schneider und die Rennläufer Rudi Matt und Toni Seelos459, Christl Haas entschied sich für ihren Trainer Peter Feyersinger und ihren Vater Willi460. Erst Annemarie Moser-Pröll konnte später als Sportlerin so überzeugen, dass sie als Vorbild für andere funktionierte (wie für Petra Kronberger461).

Beim Vergleich des Lebensalters bei den ersten nennenswerten Erfolgen fällt auf, dass die weiblichen Skifahrerinnen in jüngeren Jahren Anschluss an die Weltspitze erlangen als ihre männlichen Kollegen: die Frauen sind mit einem Durchschnittsalter von ca. 19 Jahren um 2 Jahre früher Konkurrenzfähig als die Männer (ca. 21 Jahre)462. Dieser Trend, der auf die schnellere Entwicklung des weiblichen Körpers zurückgeht, lässt sich bis heute verfolgen und ist nichts Ungewöhnliches. Bis in die 1960er Jahre verstärkte sich dieser Trend. 1964 schreibt Fred Rößner über die immer jünger werdenden Frauen in der Skielite, dass „der Damenskirennlauf ein Sport für Teenager geworden ist.“463 Ein Phänomen, das Gisela Reinke-Dieker abseits des früheren Leistungshoch in der sexualisierten Ästhetik des Frauensports sieht: für sie ist die sogenannte „Anstrengungsfreudigkeit“ junger Frauen Projektionsfläche von Männerfantasien464. Fast interessanter scheint aber Gegenüberstellung des Alters der SportlerInnen beim Zeitpunkt des Endes ihrer Karrieren. So beenden die in den Jahren 1945-1964 aktiven Ski-Frauen ihre Karrieren als Sportlerinnen im Schnitt mit 25,4 Jahren; die Männer sind 28 Jahre alt465. Der Grund für diese knappen drei Jahre Altersunterschied beim Ende der aktiven Laufbahn liegt oftmals im Wunsch der Frauen, Ehefrau und Mutter zu werden. In der Autobiographie von Toni Sailer liest man etwa über die Karriere seiner Schwester Rosl, die 1952 bei den Olympischen Winterspielen von Oslo für Österreich an den Start ging: „[…] meine Schwester Rosl, die als junge Ehefrau in diesem Rennen nicht mehr gestartet war, lief mir entgegen

459 Theiner, Egon: „Trude Jochum-Beiser.“ in: Madl: „Golden Girls.“ Wien 2006. S. 261. 460 Wieselberg, Lukas: „Christl Haas“ in: Madl: „Golden Girls.“ Wien 2006. S. 231. 461 Vor allem die Siege im Gesamtweltcup 1990, 1991 und 1992 führten zum Vergleich Kronberger – Pröll. siehe u.a. Neumann, Fritz: „Petra Kronberger.“ in: Madl: „Golden Girls.“ Wien 2006. S. 43. 462 Die genauen Werte sind 18,949 Jahre bei den Frauen und 20,943 bei den Männern. Die Angabe des Alters bei den ersten Erfolgen ist allerdings oft ungenau, da hier keine Definition für einen positiven Fall „Erfolg“ zum Maßstab genommen wurde, sondern Otto Schwald oft einerseits vordere Platzierungen der/des SportlerIn erwähnenswert findet, andernfalls wieder die Einberufung in das Nationalteam. Der Vergleich ist aber dennoch für Demonstrationszwecke geeignet. 463 Rößner, Fred: „Die Hypothek von Chamonix.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (92- 96.) S. 95. 464 Reinke-Dieker, Gisela: „Die Emanzipation der Amazonen. Frauensport, Geschichte und Gegenwart.“ in: Lienen, u. a.: „Sport, Politik und Profit.“ Reinbeck bei Hamburg 1985. S. 94. 465 Genaue Werte: 25,35 Frauen / 28,103 Männer.

143 und küsste mich stürmisch.“ Über die Amerikanerin Andrea Lawrence-Mead liest man beim ÖOC: „Andrea Lawrence-Mead, die amerikanische Hausfrau mit der Gestalt eines Jungen, beendete den Abfahrtslauf als Siebzehnte.“466 Als sie 1956 erneut antrat und den Zenit ihrer Karriere bereits überschritten hatte, schrieb man: „1952 hieß es [bei ihr; Anm.] noch: Olympia – Familie – Haushalt. In Cortina aber galt: Familie – Haushalt - - - Olympia.“467

Ein Vergleich heutiger Zahlen wird ähnliche Unterschiede ergeben; der Skirennsport wird als sehr gefährlich wahrgenommen, zudem ist die Ausübung jedes Leistungssportes sehr Zeitintensiv, sodass viele Sportlerinnen den Kinderwunsch auf die Zeit nach der Karriere verschieben. Nur wenige Frauen riskieren daneben einen Trainingsrückstand und den damit verbundenen Leistungsabfall nach einer sog. Babypause. Ausnahmen finden sich innerhalb des Pools der von mir ausgewählten Skiläuferinnen in Rosemarie Gebler-Poxauf, die als Mutter von 2 Kindern wieder Skirennen fuhr468; Marianne Jahn469; Trude Jochum, die ohne große Vorbereitung nach der Babypause 1950 in Aspen Weltmeisterin wurde470, und Dagmar Rom471. Natürlich ist die Familiengründung nur eine mögliche Erklärung für Karriereenden. An erster Stelle liegt bei Frauen wie bei Männern die berufliche Neuorientierung, nachdem der Skisport finanziell wenig hergab. Besonders für Frauen scheint das Finanzielle Über-Wasser-Halten mithilfe des alpinen Skisports aussichtslos. Otto Schwald verweist im Zuge der Kurzbiographie Elisabeth Mittermayers darauf, dass eine ausschließliche Konzentration auf den Skisport undenkbar gewesen wäre472 und beim Eintrag über Toni Sailers ältere Schwester Rosi, dass es für eine Frau zur damaligen Zeit unmöglich gewesen wäre, vom Skisport zu leben473. Die nervliche Belastung durch den Sport, vor allem aber durch die Medien, ist ein weiteres Motiv, das bei der Erzählung über die Ski-Frauen Erwähnung findet. Während Skiläuferinnen wie Christl Ditfurth oder Resi Hammerer ihre Medienpräsenz

466 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 20. 467 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 63. 468 Nachdem ihr Mann im Krieg fiel, war sie Alleinerzieherin. siehe ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 94. 469 ebenda. S. 179. 470 ebenda. S. 184f. 471 ebenda. S. 360. 472 ebenda. S. 277. 473 ebenda. S. 369.

144 in ökonomischen Erfolg umsetzten474, empfanden es Läuferinnen wie Marianne Jahn als Belastung. Jahn wurde mit 16 als Double für Maria Perschy für Dreharbeiten mit Toni Sailer entdeckt wurde und galt selbst nach ihren Weltmeistertiteln 1962 in Slalom und Risenslalom stets als „das Mäuschen vom Arlberg“, sodass Frauencoach Hermann Gamon einen Appell ausrief, die medienscheue Zürserin in Ruhe zu lassen. Ihre Karriere beendete sie mit 22 Jahren, es habe sie unglücklich gemacht dass ihre Person, nicht ihre Leistungen im Vordergrund standen475. Dabei zeichnete sie sich als Läuferin durch „stupende Technik, Mut und Temperament“476 aus.

Eine entscheidende Lebensfrage für Sportler ist die Frage nach der Beschäftigung nach der aktiven Karriere. Heute haben wirtschaftlich erfolgreiche Sportarten wie Fußball, Tennis oder auch Skifahren (zumindest in Österreich) einen großen sog. „Zirkus“ ausgebildet, der als Auffangbecken für „Pensionierte“ Sportler dient; man wird Trainer, Funktionär, vielleicht findet man indirekten Anschluss an den Sport in der Berichterstattung. Natürlich war der „Alpine Skizirkus“ 1945-64 noch kein so aufgeblähter Apparat wie heute um alle ehemaligen Aktiven zu beschäftigen, dennoch erwies sich der alpine Skisport für männliche Skifahrer als zukunftsträchtiger als für weibliche: knappe zwei Drittel aller in Tabelle 1 angeführten Männer bestritten nach ihrer Karriere als Skirennfahrer ihren Lebensunterhalt durch einer mit ihrem Sport verwandten Tätigkeit als Skilehrer, Profifahrer in den USA oder als Trainer diverser Ski-Nationalteams. Bei den Frauen sieht es anders aus: hier ist es nur ein Drittel, das nach der Karriere als Skilehrerin arbeitet, an eine Tätigkeit als Trainerin ist nicht zu denken. Einzig Annelore Zückert, die mit einer modernen Umsteigetechnik in den frühen 1950er Jahren beeindruckte, war kurzzeitig Trainerin des jugoslawischen Teams477. Bis heute findet man in den Betreuerstäben der Ski- Nationalteams (unabhängig der Geschlechterklasse) kaum Frauen. Die wenigen Skilehrerinnen erklären sich aus dem zeitlichen Kontext: zum Berufsbild des Skilehrers liest man bei einer empirischen Untersuchung von 1973, dass es sich dabei um einen „Beruf für Männer“ handelt: „unter den 1.374 in den Jahren 1949 bis 1971 zur Skilehrererprüfung angetretenen Personen waren aber doch 3,7%

474 Christl Ditfurth nutzte ihren Titel „Miss Schnee“, den sie bei den Argentinischen Meisterschaften 1965 bekam, Resi Hammerers besonderes Markenzeichen war ihre modische Skibekleidung, sie produzierte nach ihre Karriere selbst Skimode. 475 ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 179. 476 Jeschko: „Pisten-Artisten.“Wien-München 1963. S. 94. 477 ebenda. S. 510.

145 weiblichen Geschlechts.“478 Tatsächlich kam das Ende der Skikarriere mit kaum Mitte zwanzig Jahren besonders für Frauen abrupt und oftmals unfreiwillig. In ihrem Vorwort erinnert sich Christina (von) Ditfurth: „Zehn Jahre war ich dem Skisport verfallen. Ich habe alle Höhen und Tiefen durchlebt. Ich wurde mit dreiundzwanzig Jahren entsorgt, einfach auf den Misthaufen geschmissen. Und wie für viele von uns hörte das Leben für mich auf. Bis dahin verschwendete ich weder Zeit noch Energie an Zukunftspläne, denn die hätten mich von meinem Ziel, Olympiasiegerin zu werden, nur abgelenkt. Und Mitte Zwanzig lag in weiter Entfernung. Es war eine Zeit, in der wir Mitte zwanzig zu alt waren für den Sport, der unser Lebensinhalt war. Aus der aufregenden, privilegierten Welt des internationalen Skizirkus wurden wir ausgestoßen, einfach so, als wären wir nie vorhanden gewesen. Ich konnte mich nie mehr in einen bürgerlichen Alltag einleben.“479

h. Geschlecht und Alpiner Skilauf 1945-64: Fazit.

Unbedingt erwähnt werden muss, dass der gewählte Beobachtungszeitraum für die Rolle des Skisports in der Etablierung eines österreichischen Nationalgefühls, aber nicht hinsichtlich geschlechterspezifischer Fragestellungen sinnvoll ist. Die sich ergebenden Unterschiede in den Biographien von Ski-Frauen und –Männern sind weder ein Produkt der Nachkriegszeit um 1945 und ändern sich auch mit der Etablierung der Österreichischen Ski-Nation 1964 nicht; Entwicklungen können hier weniger an Daten als an Personen festgemacht werden. So wäre eine Analyse ohne zeitliche Einschränkung aufschlussreich: oberflächlich betrachtet fällt z.B. heute noch der leichtere Zugang für Männer in Berufe im Umfeld der Ski-Branche auf. Für die Wahrnehmung weiblicher Skifahrerinnen sind die 1970er Jahre entscheidender: die ästhetische „Weiblichkeit“ war durch Erik(a) Schinegger in den Fokus gerückt, fortan war das äußere Erscheinungsbild genauso wichtig wie die sportlichen Leistungen einer Frau (oder sogar wichtiger). So wurde die österreichische Olympiasiegerin von 1968 in Grenoble, , nicht selten als „Ski-Pin-Up“ bezeichnet. Diese Beobachtungen decken sich mit der oben zitierten These von Gertrud Pfister. Doch auch vor der Sexualisierung des sportlichen Frauenkörpers durch die Medien gerät

478 siehe Scheiber: „Der Österreichische Schilehrer.“ Innsbruck 1973. S. 56. 479 Ditfurth: „Die Welt ist meine Heimat.“ Norderstedt 2005. S. 8.

146 die oberflächliche Gleichberechtigung der Geschlechter im Alpinen Skisport in ein Ungleichgewicht: denn trotz des Erfolges des Frauen-Teams in der jungen Zweiten Republik wurde die Ikone des „Ski-Wiederaufbaus“ der fesche, urige Toni Sailer. In diesem Kontext ist die Erfolgsgeschichte der Österreichischen Ski-Frauen nur ein weiteres Kapitel im verzerrten Geschlechterbild der österreichischen Nachkriegsgesellschaft mit den männlichen Helden eines sich neu positionierenden Österreichs, denen die Frauen als Helferinnen zur Seite stehen. Ungeachtet voriger Erfolge gilt Toni Sailer als „Urahn“ legendärer Österreichischer Ski-Ikonen, die einzig durch Annemarie Moser-Pröll in ihrer Herrenrunde gestört werden. Um die Frage nach der Rolle des Geschlechts im Sport im Österreich der „langen 1950er Jahre“ am Beispiel des Alpinen Skirennsports zu beantworten, muss zusammengefasst gesagt werden, dass das Geschlecht auch in einer sich in ihren öffentlichen Praktiken zwischen den Geschlechtern neutral repräsentierenden Sportart, wie sie der Alpine Skilauf im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten darstellt, eine entscheidende Kategorie ist. Das Geschlecht spielt hier sowohl bei der medialen Präsenz als auch beim Sport selbst eine Rolle. Das propagierte Bild des Skifahrers unterstützt dabei ein Männerideal, das auch abseits der Skipisten Resonanz findet. Weibliche Skifahrerinnen hingegen kennen keine Stereotypisierung, die einzig nennenswerte zugeschriebene Eigenschaft ist die wenig schmeichelhafte Besetzung als „Mannsweib“. Der entscheidendste Unterschied allerdings ist wirtschaftlicher Natur: während eine sich um den Skisport aufbauende Lebensplanung für Männer eine reale Alternative zu einer zivilen, „normalen“ Biographie darstellt, haben Frauen diese Option meist nicht und stehen nach der Karriere vor dem Nichts, das oftmals ein Leben als Hausfrau und Mutter nach sich zieht.

6. TONI SAILER, DER „SCHWARZE BLITZ AUS KITZ.“

Als Toni Sailer im Juni 1959, im Alter von erst 23 Jahren, vom aktiven alpinen Skirennsport zurücktrat, beendete er eine der erfolgreichsten und berühmtesten Sportlerkarrieren Österreichs. Seine sportlichen Erfolge lesen sich wie ein fulminanter Siegeszug: rund 180 Siege bei großen Skirennen480, darunter die berühmten Klassiker des alpinen Skirennsports wie das Wengener Lauberhorn- und das Kitzbühler Hahnenkammrennen; bei zwei Teilnahmen an Großererignissen –

480 nach Pointner, Karl: „Toni Sailer.“ in: Pointner, u. a.: „Die goldenen Sechs.“ S. 38

147 den VII. Olympischen Winterspielen in Cortina d’Ampezzo 1956 und der Alpinen Ski- Weltmeisterschaft 1958 in Bad Gastein – wurde er nur einmal (von Josef Rieder im WM-Slalom in Bad Gastein) geschlagen. Mit seinem dreifachen Olympiasieg (Riesentorlauf, Slalom, Abfahrt) und sieben Weltmeistertiteln gelang Sailer in der zweiten Hälfte der 1950er Jahren das, was kein Rennläufer der erfolgsverwöhnten Ski-Nation Österreich seitdem erreichte. Der junge Sailer wird daraufhin 1956, 1957 und 1958 zum „Sportler des Jahres in Österreich“481 gewählt, im Jahr 2000 dann zu „Österreichs Sportler des Jahrhunderts“.

Der Kult um seine Person erfuhr abseits der sportlichen Erfolge von Beginn an eine bis heute historisch relevante und unvergleichbare Dimension: Toni Sailer war Identitätsstifter, der erste Held der zweiten Republik. „Seine Erfolge kommen zu einem Zeitpunkt“, schreibt Rudolf Müllner, „zu dem die Zweite Österreichische Republik diese dringend nötig hat.“482 Erst sieben Monate waren seit des Inkrafttretens des Österreichischen Staatsvertrages vergangen, als der dunkelhaarige Naturbursche aus Kitzbühel mit vier Läufen - insgesamt 8,76 Minuten - in den italienischen Dolomiten der leidgeprüften, mit ihrer schwierigen Vergangenheit hadernden, Nation Österreich ein Stück Selbstvertrauen und Stolz schenkte. Und wie es der Zufall so wollte, brachte die kleine Alpenrepublik just zu jenen Olympischen Winterspielen ihren größten und bis dahin medienwirksamsten Athleten hervor, als diese erstmals von 23 Stationen live im Fernsehen übertragen wurden483. Man kann es als Ironie des Schicksals lesen, dass gerade ein Österreicher aus dem Jahrgang 1935 – ein junger Mann also, der aufgrund seines Kinderstatus während der NS-Zeit als unbelastet einzustufen ist – der Superstar jener Spiele wurde, die man 1944 aufgrund des sich im vollen Gange befindlichen 2. Weltkrieges ausfallen lassen musste484 und nun, 11 Jahre nach Ende der Katastrophe, nachgetragen werden konnten. „Cortina 1956“ wurde alsbald zum österreichischen Gedächtnisort außerhalb seines Staatsterritoriums; Sailer brachte das Goldene Vlies in Form dreier Medaillen als neue Reichskleinodien mit nach Österreich um sich damit in Kitzbühel, dem österreichischen Walhalla, zur Ruhe zu setzen. Nicht verwunderlich, dass Toni Sailer mit dem Großen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich

481 Statistik auf der Sporthilfe-Homepage online unter http://www.sporthilfe.at/sh/powerslave,id,364,nodeid,.html (Stand: 25.2.2011.) 482 Müllner, Rudolf: „Anton Sailer: Österreichs Sportler des Jahrhunderts.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 242. 483 nach Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 93. 484 Kluge: „Olympische Winterspiele.“ Berlin 1994. S. 138.

148 ausgezeichnet wurde. Sigi Bergmann formuliert dazu treffend: „Toni Sailer, der erste echte Star der alpinen Skigeschichte, hatte in sechs Tagen geschafft, was der Staatsdiplomatie vermutlich auch in sechs Jahren nicht gelungen wäre, nämlich Österreich wieder zu einem geschätzten Mitglied der großen Völkerfamilie zu machen. Alle Welt konnte nun im Fernsehen und in großen Zeitungsberichten Zeuge sein, welch herrliches Land mit gewaltigen Bergen und dynamischen jungen Menschen dieses Österreich war.“485

Sailer bekam retrospektiv eine tragende Rolle für das Österreich der 1950er Jahre zugeschrieben. Rudolf Müllner schuf die aktuellste Abhandlung zum Thema, deren Ergebnisse in diesem Rahmen erwähnt werden müssen. Er siedelt die Figur Toni Sailer in das Umfeld der „Re-Austrifizierung“ und des „Heimatmachens“ der jungen Zweiten Republik an. Eine Untersuchung zu Sailers touristischem Wert für Kitzbühel und der Bewertung seines Arbeits-/Berufsethos folgen als Ergänzung. In einer Analyse der Berichterstattung rund um die Olympischen Winterspiele von Cortina d’Ampezzo 1956 beobachtet Müllner die langsame Aufhebung der Grenzen zwischen den Begriffen „Österreich“, „Toni Sailer“ und dem „Wir“486. Das junge Kitzbühler Skitalent, 20 Jahre alt, schaffte inmitten der österreichischen Identitätskrise die heilende Schaffung des „Wir-Gefühls“. Getrost konnte auf die Jahre 1938-45 vergessen werden, wenn der „Tonei“ nun als Held galt487, und dessen Person keine Assoziationen mit Stalingrad auslösten. Robert Seeger schreibt: „Ski- Genie, Mädchenschwarm, Held einer ganzen Nation. Kurz und bündig: der erste österreichische Superstar“488. Das ÖOC schrieb nach den Spielen 1956 logischer Weise in höchsten Tönen vom neuen Superstar: „Österreich gewann durch den Kitzbühler Toni Sailer drei Goldmedaillen. Sauber vereint er vollendete Fahrtechnik mit der Kraft seiner Jugend, hohen Mut mit der Nervenkraft eines Mannes, der die Freude am Spiel höher stellt als die Freude am Sieg.“489 Besondere Betonung fand auch hier das „natürliche“ am Stil des Olympiasiegers: „[…] Toni hatte seine Sphäre nie verlassen. Eben hatte er

485 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 92f. 486 Müllner, Rudolf: „Anton Sailer: Österreichs Sportler des Jahrhunderts.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 247. 487 Bei Müllner liest man, dass Sailer zwar nicht sehr häufig in der Berichterstattung „Held“ genannt wurde, sich heroisierende Ausdrücke allerdings sehr wohl (vor allem in einer Sondernummer des „Express“) wiederfinden. Siehe Müllner, Rudolf: „Anton Sailer: Österreichs Sportler des Jahrhunderts.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 244. 488 Assinger, u. a.: „Gold.“ Wien 2004. S. 16. 489 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 28.

149 es bewiesen, dass er hier daheim war, in den Bergen, über Schnee - auf Bretteln, die leise singen und jauchzen, wenn sie über die Hänge gleiten. [...] Der perfekte Athlet, der moderne Typ des Rennläufers hatte sich durchgesetzt. Und ein Mensch dazu, der auch nach dem Triumph nichts anderes blieb als ein junger Mann, der im Sport die große Freude seines Lebens findet.“490

Rudolf Müllner schreibt über die Biographie Toni Sailers, sie wäre eine „Inszenierung des modernen Sports mit österreichspezifischen Charakteristika“; wobei sich der Sport in archaischen Epen, Minidramen und Märchen erzählt491. Was er damit meint ist die einzigartige Verflechtung der Biographie und vor allem Erfolgsgeschichte mit der Erzähltradition der jungen Zweiten Republik und des Wiederaufbaumythos. Für Johann Skocek ist Sailer der „Mensch gewordene Gründermythos, der Mann, der von den Bergen herunterstieg und den Österreichern verkündete, sie könnten sich ab sofort wieder selbst in ihre schweißnassen Gesichter sehen“492. Toni Sailer selbst meinte dazu zu Skocek: „Österreicher, zwei Weltkriege, Friedensschluss, Straßenkämpfe drüben in Ungarn, der Einmarsch der sowjetischen Armee, die Wiederaufbauzeit. Woher sollte der Österreicher Mut schöpfen, nachdem zwei Weltkriege vorbei waren, Not und Elend geherrscht haben? Da war der Sieg eines Österreichers das Zuckerle im Mund, gell? Das ihm die Bestätigung gezeigt hat, wir sand wer, wir können was. Das is im Sport die Identifizierung, ob das eine Fußballmannschaft is oder ein Skifahrer. Das is überall so. Das Selbstvertrauen, das nicht da war, ist gekommen, der Glaube an den Wiederaufbau, an das Investment und alles. Dadurch kam das so stark zur Geltung."493

Dass Sailer diese Erzähltradition über sich selbst nicht nur annimmt, sondern bewusst inszeniert bemerkt Skocek mit den Worten „er spricht, als habe er die eigene Geschichte gut studiert und redigiert, er spricht, wie ein Schauspieler sprechen würde, wenn man ihm auftrüge, möglichst natürlich über sich selbst zu

490 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 43. 491 Müllner, Rudolf: „Anton Sailer: Österreichs Sportler des Jahrhunderts.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 243. 492 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 169. Zitat liest man verkürzt auch bei Müllner, Rudolf: „Anton Sailer: Österreichs Sportler des Jahrhunderts.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 243 493 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 169.

150 erzählen“494. Doch ist diese Reflexion, verbunden mit bemerkbar „österreichischer“ Erzähltradition, bereits in jungen Jahren bei Sailer erkennbar. So liest sich die kurz nach seinem dreifachen Olympiasieg gemeinsam mit dem für seine nationalsozialistische Vergangenheit bekannten Schriftsteller Karl Springenschmid495 entstandene Biographie wie ein moderner Heldenepos. Sailer bemüht sich um den eigenen Mythos, inwiefern die Erzählungen der Wahrheit entsprechen mögen oder nicht: es entsteht bei der Rezeption der unweigerliche Gedanke an eine konstruierte Geschichte, an ein inszeniertes, bestimmt tirolerisches aber auch „österreichisches“ Märchen.

Sailer über Sailer: Jugendjahre.

Anton Engelbert, kurz: „Toni“, Sailer, erblickte am 17. November 1935 im Haus Bichlstraße 10 in Kitzbühel, Tirol, als drittes von fünf Kindern, das Licht der Welt. War es zwar an jenem Tage noch nicht ersichtlich, dass eine Lichtgestalt der Österreichischen (Ski-)Nation geboren ward, so erlaubten bereits die Umstände seines ersten Tages Großes vor zu erahnen. Toni Sailer ist es selbst, der in seinem 1956 erschienenen autobiographischen Werk „Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg“496 nicht ohne Ehrfurcht den Mythos um die eigene Person mit folgenden Worten beginnen lässt: „In diesem Hause wurde ich [...] um die Mittagsstunde, als von der nahen Stadt her die Kirchenglocken läuteten [geboren]. Denn dieser Tag, so sagte sie [seine Mutter, Anm.] sei ein Sonntag gewesen, und das habe etwas Besonderes für mich zu bedeuten.“497 Die Legende des vom Glück verfolgten war damit geboren und obwohl Sigi Bergmann seine Sailer-Biographie von 2009 noch in Anspielung daran „Sonntagskind“498 nennt, stellt Sailer, dem Fatalismus den Wind aus den Segeln nehmend, selbst im oben zitierten Werk noch fest:

494 ebenda. 495 Karl Springenschmid (geboren 1897 in Innsbruck, gestorben 1981 in Salzburg) war NSDAP-Gauamtsleiter und Regierungsdirektor in Salzburg. Er publizierte einschlägige Literatur wie „Österreichische Geschichten. Aus der Zeit des illegalen Kampfes.“ (1938) oder „Eine wahre Geschichte aus dem Leben unseres Führers.“ (1941) unter dem Pseudonym „Christian Kreuzhakler“. Weitere Werke u.a.: „Helden in Tirol“ (1935). Er war Organisator und Redner der Bücherverbrennung vom April 1938 in Salzburg und 1945-51 im Untergrund tätig. siehe: Klee: „Kulturlexikon zum 3. Reich.“ Frankfurt am Main 2007. S. 522. 496 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. 497 ebenda. S. 7. 498 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009.

151 „Weil sie [seine Mutter, Anm.] aber sehr darauf bedacht war, mich strenge zu erziehen und mich auf keinen Fall zu verwöhnen [...] fügte sie jedes Mal, wenn darauf die Rede kam, einen besonderen Ausspruch hinzu [...]: ‚Man darf nicht bloß auf das Glück warten, bis es kommt. Man muss ihm entgegengehen!’“499 Sein Vater, ein vom Skifahren Besessener500, habe den Ausspruch dahingehend modifiziert, als er meinte, dem Glück entgegenfahren zu müssen.

Sailer wurde im Jahre 1935 in unruhige Zeiten geboren. Der Februar 1934 war noch keine 2 Jahre her, der Juliputsch der Nationalsozialisten 1934 warf noch seinen langen Schatten; die Wirtschaft war am Boden und der Druck aus Deutschland auf den kleinen „Staat, den keiner wollte“ erhöhte sich steigend. Eine zeithistorische Reflexion fehlt allerdings in sämtlichen Sailer-Werken; es bleibt beim verklärten, vielleicht naiven Fokus auf den Kitzbüheler Mikrokosmos, der die Lebenswelt des jungen „Tonei“ darstellt und so fügt sich nahtlos an die Erzähltradition des „Sonntagskindes“ die geographische Lage seines Geburtshauses: die Kitzbüheler Bichlstraße; „ein zweistöckiges Stadthaus, etwas außerhalb des Stadttores, ungefähr an der Stelle, bei der die Gasse zum Hahnenkamm abzweigt [...].“501 Das Sonntagskind, geboren unweit der „schwierigsten Abfahrt der Welt“. Ein Szenario das die Assoziation mit der Geburt eines Ski-Messias nahe legt.

Die Verankerung der Familie in Kitzbühel geht auf den Großvater Toni Sailers, Johann Sailer, Jahrgang 1873, zurück. Johann war aus dem abgelegenen Bergdorf Stilfs im heutigen Südtirol nach Meran gegangen um der Familientradition wegen die Spenglerei zu erlernen. In Sailers Autobiographie wird die Zeit der Sailers in Stilfs als eine Art „archaische Urzeit der Familie“ dahingehend genutzt, um den eigenen Menschenschlag zu begründen. So schreibt er: „Die Bauern, die da [in Stilfs, Anm.] leben, haben es gewiss nicht leicht. Auf ihren steilen Äckern und Wiesen müssen sie sich ehrlich plagen. Es gibt kaum ein ebenes Stück Land da oben. Aber die Menschen werden stark und das Leben verwöhnt sie nicht. Dafür müssen wir, ihre Nachkommen, ihnen dankbar sein.“502

499 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 7f. 500 Sailer schreibt über seinen Vater: „Bei ihm bekam alles, was über das Alltägliche hinausging, den Bezug auf das Skifahren.“ Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 8. 501 ebenda. S. 7. 502 ebenda. S. 6.

152 So erweist sich Sailer als determiniert: das Blut der Bergbauern aus Stilfs im Blut, abgehärtet von der spektakulär schönen, aber unwirtlichen Landschaft. Archaisch reiht sich auch die weitere Erzählung über Johann Sailer ein: „Als er Meister geworden war, ging er auf Brautschau, stieg auf den Ritten und holte sich in Oberbozen eine Frau.“503 Danach übernahm der Großvater das Spengler- und Glasgeschäft seines Onkels in Kufstein, welches er im Jahre 1914 von dort nach Kitzbühel verlegte.

Der Vater Toni Sailers, Anton Sailer sen., wurde in Meran geboren und heiratete 1930 Maria Kals aus Kirchberg in Tirol. Er brachte den vom Großvater mit wenig Freude beobachteten Enthusiasmus für das Skifahren in die Familie. „Der Großvater entdeckte bald, welche Versuchung für Söhne und Enkel mit der Hahnenkammbahn verbunden war. Er hätte das Haus am liebsten wieder aufgepackt und anderswohin gebracht, an einen Ort, an dem nicht gerade die schönsten Skihänge in alle Fenster schauten.“504 Die Versuchung der steilen Tiroler Berghänge war aber letzten Endes so groß, dass Anton Sailer sen. seinem Spross den Weg als Skirennläufer vorzeichnete; an Skirennen teilnahm – und auch durchaus Erfolge verzeichnete. So erinnert sich Toni Sailer an einen Wandschrank in der Stube, „deren Fenster gegen die Streif gehen“505, in welcher der Vater seine Trophäen verwahrte; am wichtigsten schien ihm eine Medaille aus dem Jahre 1926/27 zu sein; er erreichte den 2. Platz beim ersten Slalom im Kitzbühel, ausgetragen vom Kitzbüheler Ski Club (K.S.C.). Dem Club blieb Sailer sen. nicht nur als Sportler, sondern später auch als Sportwart treu; Toni Sailer berichtet von Besprechungen in der Sailerschen Stube, bei denen der Skilauf in Kitzbühel weiterentwickelt wurde und welche er selbst, mit kindlicher Neugier, belauschte506.

Der Spenglereibetrieb stellte dabei die materielle Grundlage der Familie dar. Zu Zeiten größter Not blieb die Familie wirtschaftlich besser gestellt. Auch wenn Sailer einen gewissen Mangel während der Kriegszeit erwähnt, kann davon ausgegangen werden, dass dieser mit allgemeinen Versorgungsengpässen einherging und weniger mit der Armut der Familie zu tun hatte. Wie bereits Johann Skocek bemerkt, musste

503 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 6. 504 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 19f. 505 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 14. 506 siehe ebenda. S. 15.

153 Toni Sailer aus einem bessergestellten Haus kommen, denn „er bekam Skier, als er welche wollte, und das war nicht selbstverständlich“507. Gewiss ist dabei auch die geographische Lage ein Indiz, Kitzbühel war und ist der Hort der „Alpenelite“508.

1939 wurde Anton Sailer sen. zum Krieg eingezogen. Über diese Zeit liest man in der Autobiographie nur spärlich: „Es kam der Krieg. Der Vater wurde Soldat. Eine besondere Sorge hatte er, als er fortzog: Nur keinen Schuss in das Bein; denn dann wäre es mit dem Skifahren aus.“509 In der gemeinsam mit Sigi Bergmann veröffentlichten Biographie liest man weiter: „Während der Kriegszeit führte die Mutter zu Hause das Regiment und kümmerte sich darum, dass wir einigermaßen unser Auskommen hatten. Es gab damals keine Heizung, und im Winter hingen wir oft wie die Trauben hinten und vorne an ihr, um noch irgendwas von ihr zu erhaschen, einen Arm, ein Bein, damit wir ein bisschen Wärme auf der Haut spürten und nicht mehr vor Kälte zitterten.“510 Das Schicksal meinte es mit Anton Sailer sen. nicht gut, als tatsächlich sein Bein durch einen Bombensplitter verletzt wurde. Die Wunde sollte allerdings verheilen, es wurde zur Familientradition, dass „ein verletztes und gut ausgeheiltes Bein besser sein kann als ein gesundes.“511

Generell ist dem Vater Anton Sailer senior in der Autobiographie Toni Sailers ein großer Teil gewidmet. Dabei werden diesem immer wieder Fleiß, Schweigsamkeit und Sportlichkeit als charakterisierende Eigenschaften zugeschrieben. In der Funktion als Trainer von Toni Sailer junior fällt besonders folgende Passage auf: „So sehr sich der Vater über meine Erfolge freute, achtete er doch streng darauf, dass ich mir nicht zuviel zumutete. Nach dem Eiskunstlaufen der Herren in Cortina sahen wir einen jungen Amerikaner, der in der Kür gestürzt war. Es [sic!] saß da, ganz verstört, und weinte wie ein kleines Kind. Da sagte der Vater: ‚Wenn du einmal nach einem Sturz oder nach einem Brettelbruch so geheult hättest, Tonei, wie der arme Teufel da heult, hätte ich deine Brettel auf Scheiter gehackt.’“512 Dabei verrät Toni Sailer seinem Biographen Sigi Bergmann 2009 über seinen ersten Sieg beim 1. Kitzbüheler Jugendskitag 1946:

507 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 169. 508 ebenda. S. 170. 509 ebenda. S. 15. 510 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 20. 511 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 15. 512 ebenda. S. 73.

154 „Bei diesem Rennen habe ich meinen ersten Sieg nicht nur erkämpft, sondern auch erweint! [...] Mein seelisches Elend bewog die Verantwortlichen, die Zeitprotokolle noch einmal zu überprüfen, und da entdeckte man einen Fehler...ich war der rechtmäßige Sieger.“513

Mutter Maria wird von Toni Sailer als gütige, wenn auch strenge Frau beschrieben. Obwohl sie selbst eine begeisterte Skifahrerin war, bevor sie den Rennläufer Anton Sailer sen. heiratete, wurde ihre Rolle innerhalb der Familie zunehmend passiv; Sailer schreibt von einer „Ehe auf Bretteln", künftige Erfahrungen sammelte sie bei der „Zubereitung des Skiwachses bis zur fachgemäßen Behandlung der Pokale“.514 Die Kurzbeschreibung seiner Eltern funktioniert für Toni Sailer 1956 wie folgt: „Vom Vater kam die Freude am Skifahren, die Erfahrung, die Ausdauer, die Zähigkeit, kurz gesagt das, was, rein sportlich gesehen, für einen erfolgreichen Skiläufer notwendig ist. Doch dies alles hätte niemals für wirkliche Erfolge hingereicht, wenn uns nicht die Mutter ihren Segen mitgegeben hätte. Wenn ich heute zurückdenke, was die gute Mutter mit uns Kindern durchzustehen hatte, weiß ich nicht, wem ich mehr zu danken habe, dem Vater oder der Mutter.“515 Ihre eigenen Skifahrerischen Ambitionen werden kaum gewürdigt; Toni Sailer erinnert sich daran, dass er der Mutter bereits „als kleiner Stöpsel“ (sic!) auf dem Hahnenkamm davonfuhr und er das letzte Mal von ihr besiegt wurde, als er vier Jahre alt gewesen sei516. Darüber hinaus erzählt er: „Allerdings erinnere ich mich auch an eine Abfahrt von der ‚Kaser’ [Abfahrt in Kitzbühel, Anm.], [...] ich war damals nicht viel mehr als vier Jahre alt. [...] Als wir beide zum ‚Maierl’ kamen, dem Gasthofe, der etwa im unteren Drittel der Abfahrt liegt, hatte ich genug und wollte einfach nicht mehr weiter. Da geschah etwas Furchtbares. Die Mutter, in den strengen Ton des Vaters fallend, hob den Skistock drohend hoch und rief: ‚Jetzt fahrst!’ Ich aber, der ich die gute Mutter in dieser ungewohnten Haltung vor mir sah, erschrak furchtbar, sprang um und schoss auf meinen kleinen roten Bretteln pfeilgerade den Hang hinab. Darüber erschrak nun die Mutter bis ins Herz. Sie hat es mir später oftmals erzählt, mit welcher Angst sie hinter mir nachschoss, um das Schlimmste zu verhüten. Umsonst! Unten am Zaune überschlug es mich. Nach einer langen Serie von Purzelbäumen landete ich in einer

513 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 41f. 514 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 28. 515 ebenda. S. 27. 516 ebenda. S. 28.

155 Schneewehe, aus der mich die Mutter mit beiden Händen ausgrub. Als sie mich gefunden hatte, küsste sie mich innig auf beide Wangen, und alles war wieder gut“517. Der kleine Toni war demnach besser beraten, beim Skifahren auf seinen Vater zu hören. Und Maria Sailer war die Rolle als sich aufopfernde Skifahrerfrau und –mutter zugeschrieben. So hatten ihre künftigen schönen wie schwierigen Stunden im Hause Sailer mit den Skikarrieren ihrer Familienmitglieder zu tun: die Bezeichnung als „schwarzes Jahr für die Familie“518 etwa, mit welcher Toni Sailer das Jahr 1952 meint, charakterisiert sich durch gleichzeitige Fußverletzungen der Kinder Rosl (gebrochener Fuß), Hilda (gebrochener Knöchel) und Toni (Waden- und Schienbeinbruch). „Geduldig nahm sie alles hin, was hingenommen werden musste. Obwohl ihr bei kleinen und nebensächlichen Dingen mitunter die Geduld sehr rasch ausgehen konnte, vor unseren verletzten Knochen erwies sie eine unerschöpfliche Geduld und Liebe. Ich weiß nicht, ob wir ohne diese verständnisvolle Haltung unserer Mutter den Mut gefunden hätten, mit unseren notdürftig verheilten Knochen nochmals an einen Start zu gehen“519.

Das Dasein als Mutter einer Skifamilie hatte allerdings auch ihre schönen Seiten. So definiert Toni Sailer einen Sonntagabend, an dem sowohl Vater Anton senior, die Schwestern Rosl und Hilda als auch er jeweils einen Pokal gewonnen hatten als „erhebendes Familienfest“520. Kommentar Toni Sailer: „Vier Sailersiege an einem Tage! Da saßen wir alle vier in der Küche um die Mutter herum, die mit dem Kochen kaum nachkommen konnte, so hungrig waren wir alle.521“

Es ist wenig überraschend, dass ein Skistar in seiner Biographie, die sich „Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg“ nennt, auch die Beschreibung seiner Geschwister exklusiv auf skifahrerische Basis beschränkt. Daraus lässt sich nichts über die emotionale Bindung zu den Geschwistern herauslesen; eine Fokussierung auf den Sport kann allerdings vermutet werden. Die beiden Schwestern Hilda (Jahrgang 1930522) und Rosi (1931), sowie sein Bruder Rudi (1944) fuhren ausgezeichnet Ski;

517 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 28f. 518 ebenda. S. 27. 519 ebenda. S. 28. 520 ebenda. S. 29. 521 ebenda. 522 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 23.

156 Rosi nahm bei den Olympischen Spielen 1952 in Oslo teil (17. Platz Slalom)523, Rudi (1944) bei den Skiweltmeisterschaften 1970 in (7. Platz Abfahrt) und fuhr 11 Mal unter die besten Zehn im FIS-Weltcup (in 4 Saisonen 1966/67 bis 1969/70)524. Besonders mit Rosi hatte Toni Sailer eine (sportliche) Verbindung: „Zwischendurch einmal mit Rosl die ‚Streif‘ hinabzublitzen und es richtig „tuschen" zu lassen, war eine Freude besonderer Art und gehörte unbedingt zu einer richtigen Heimkehr. Dabei schauten wir einander haarscharf auf die Bretteln, was das eine, was das andere inzwischen gelernt hatte.“525 Schwere Schicksalsschläge der Familie spart Sailer 1956 aus; Sigi Bergmann verzeichnet sie kurz: Tonis jüngerer Bruder, Walter Sailer (geboren 1939) stürzt 1943 vom Balkon des elterlichen Hauses; auch Hilda Sailer stirbt in jungen Jahren526.

Für die spätere Analyse als Identitätsstifter ist es aufschlussreich zu untersuchen, wie sich Toni Sailer in seinen Autobiographien als Privatmensch positioniert. Naturverbundenheit, Zurückhaltung und Bodenständigkeit - wichtige Tugenden des „neuen“ Österreichers - beweist der Rennläufer in den folgenden Zeilen: „Meine Mutter hat mich in keiner Weise verwöhnt, ja, sie hat mich vielleicht sogar etwas knapper gehalten, als es nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Vaters notwendig gewesen wäre. Jeder Luxus, zu dem man in einem Orte wie Kitzbühel so leicht verführt wird, war bei uns zu Hause strenge verpönt. Daran änderten auch meine Erfolge nichts. Als ich nach soundso viel Einladungen, Empfängen und Festlichkeiten, bei denen es oft sehr hoch herging, zum ersten Male wieder richtig heimkam und bei der Mutter in der Küche saß, setzte sie mir den gleichen einfachen Grießbrei vor, den ich früher abends oftmals gegessen hatte. Und ich muß es offen gestehen, dieser Grießbrei hat mir besser geschmeckt als manches vornehme Gericht an einer Galatafel...“527

Auch den Titel seines Buches kommentiert Sailer 1956 beinahe beschämt:

523 Datenbank der Sports-Reference unter http://www.sports-reference.com/olympics/athletes/sa/rosi-sailer-1.html (Stand: 2.2.2011). 524 Statistik auf der FIS-Homepage unter http://www.fis- ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=53002&type=result (Stand: 2.2.2011). 525 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 30. 526 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 23. 527 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 31.

157 „Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg, wie der Verleger mein bescheidenes Buch genannt hat – mir wäre ein einfacherer Titel lieber gewesen!“528 Sigi Bergmann notiert 2009: „Schon sehr früh empfand Toni Sailer eine starke Abneigung gegen allzu großes Gehätschel und Getätschel seitens fremder Personen. Es war ihm lieber, wenn sie auf Distanz blieben. Diese leise Zurückhaltung [...] legte er auch in späteren Jahren nicht ab.“529

Daneben schreibt Sigi Bergmann: „Von klein auf war Toni Sailer ein stilles, introvertiertes Kind.“530 Beachtlich auch folgendes: „Als ich bei der Winterolympiade in Cortina zum Abfahrtslauf auf der Tofanastrecke antrat, die in diesem Jahre infolge des Schneemangels schwieriger war als sonst, wozu noch, um das Maß voll zu machen, eine unerwartete Kälte kam, und ein Sturm, der die einzelnen Wettläufer geradezu von der Piste wegfegte, erhielt ich von Leuten, die es mir gut meinten, eine große Auswahl von Glückszeichen zugeschickt, die ich als Talisman bei diesem halsbrecherischen Start mitnehmen sollte. […] Vielleicht bereite ich manchem Spender und mancher Spenderin Ärger, wenn ich offen eingestehe, dass diese netten Geschenke alle miteinander im Hotel zurückgeblieben sind. Nur ein einziges Zeichen habe ich mitgenommen: das geweihte Kreuzlein, das mir meine Mutter gegeben hat.“531

Generell kann davon ausgegangen werden, dass Toni Sailer wenig abergläubisch war. Trotzdem er erwähnt, in seiner Kindheit als Ministrant tätig gewesen zu sein, nimmt das Transzendente keine Rolle ein; bisweilen kann man behaupten er hätte das Spirituelle gegen nüchternen Sachverstand und Realismus ersetzt; so liest man: „Ich bin gewiss nicht abergläubisch und halte nicht viel von dem Zauber, mit dem sich andere Sportler manches Mal umgeben. […] Mein Sieg stand nicht in den Sternen, sondern auf den Bretteln.“532

Die semiautobiographische Aufzeichnung von 2009 divergiert am stärksten zur 1956 erschienen „Erfolgsstory“ bei der beinahe konstruiert wirkenden Erinnerung an die Schulzeit. Dort prangt unter anderem die Geschichte eines kleinen Jungen, der sich

528 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 42. 529 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 25. 530 ebenda. S. 20. 531 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 41f. 532 ebenda. S. 107f.

158 der „preußischen“ Autorität des Lehrers widersetzt, noch dazu aufgrund seines Tiroler Idioms: „Zunächst lernten wir uns vorzustellen, das war gar nicht so einfach. Mein Freund Hias Leitner – er gewann bei den Olympischen Spielen 1960 die Silbermedaille im Slalom – stellte sich zuerst vor: ‚Also, griaß Gott, i bin der Hias Leitner.’ Der Lehrer streng: ‚Du heißt nicht Hias, sondern Matthias Leitner! [...]“533 Eine klare Abgrenzung und Fehde mit einem emsigen Schulkameraden sticht dabei auch ins Auge: „Immer wieder stellte er [der Lehrer, Anm.] mich vor der gesamten Klasse einem Streber gegenüber, der noch dazu mit mir verwandt war, und machte mit uns eine Doppelprüfung. Wenn ich die Antwort nicht wusste, blies der Cousin sie aus dem Effeff heraus. Darauf zeigte der Lehrer mit theatralischer Geste auf den Streber und sagte: ‚Das ist ein Fleißiger, und der [Toni Sailer, Anm.] ist ein ganz Fauler. Der wird’s im Leben schwer haben.’ Dieses Wissensduell gab es oft, einige Male wusste ich sogar die richtige Antwort, war aber zu stolz und zu stur, um sie als Erster hinauszutrompeten. Dabei dachte ich mir: Mein fleißiger Gegner ist ein Kameradschaftsschwein. [...] und du [der Lehrer, Anm.] bist ein Riesenarschloch.“534

Schlechte Schulnoten rechtfertigt Sailer mit einer aus diesem feindlichen Klima resultierenden Unlust535; nach einer Unterredung seitens der Mutter („Es darf nichts hintenbleiben. Entweder du bringst beides zusammen, oder du lasst eines bleiben, nämlich das Skifahren“536) allerdings verbessert sich die Schulleistung nach eigenen Angaben eklatant („Im Sommer war ich schon Drittbester. Dann war ich nur noch Vorzugsschüler.“537) und stolz erzählt Sailer 1956 von der Gesellenprüfung vor der Glaser- und Spenglerinnung: „Das schöne Buch, das ich als Preis von der Innung erhielt: Ing. Otto Karpf: ‚Feinblechbearbeitung in Handwerk und Industrie’, wurde mit der gleichen Freude aufgenommen, als hätte ich bei einer schwierigen Abfahrt den schönsten Pokal erkämpft.“538

533 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 28. 534 ebenda. S. 29f. 535 Wobei sich hier die Ausführungen in „Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg“ (1956) mit jenen in „Sonntagskind“ (2009) nicht decken. 536 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 41. 537 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 31. 538 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 41.

159 Sailer über Sailer: Das Erlernen des Skifahrens.

Ein besonderes Kapitel in der Lebensgeschichte Toni Sailers nimmt das Erlernen des Skifahrens ein. Zwar ist er aufgrund seines familiären Backgrounds zum Skifahren prädestiniert, dennoch gesteht er sich in seiner Autobiographie anfängliche Schwächen ein; die Erinnerungen an das Kleinkindalter, Sailer schildert seine Gefühle und Erlebnisse ab seinem ersten Paar Ski, welches er im Alter von zwei Jahren bekam, kommentiert er: „Bis zu meinem sechsten Lebensjahr ließ ich die Bretteln laufen, wie sie eben liefen. Der Vater gab sich alle Mühe, mir vernünftige Schwünge beizubringen. Ich aber hatte meine Freude, wenn die Bretteln mit mir taten, was sie wollten. Es konnte nicht steil genug, nicht schnell genug gehen, einerlei, wie es endete. Der Vater betrachtete mich als hoffnungslosen Fall und war nahe daran, mit mir völlig die Geduld zu verlieren. Niemals würde sein Sohn, damals noch sein einziger, lernen, eine Piste ordentlich herunterzuschwingen.“539

Erst ein traumatisches Erlebnis, ein böser Sturz bei der Schussfahrt über den Ganslernhang, welcher im gefrorenen Bachbett des namensgebenden Ganslernbaches mit einer kurzen Amnesie endete, brachte den Durchbruch für den noch kleinen Toni Sailer. Anton Sailer senior brachte seinen Sohn mit einer heute als eine Art Schocktherapie zu bezeichnenden „Radikalkur“ dazu, sich den nach dem Sturz aufkommenden Ängsten zu stellen; der Sechsjährige wurde auf die „Streif“ gestellt, wie Phönix aus der Asche – ein Motiv, das Sailer auch bei der Erzählung von seinem verletzten Bein 1952 aufgreift – schoss das Kind ohne Furcht in die lebensgefährliche „Mausefalle“ und jegliche Angst war dahin540. Von da an ging es schnell und Toni Sailer sollte sich als waghalsiger Skifahrer sozialisieren. So gesteht er in seinem Buch 1956, dass er sich fortan Freunde „nach ihren Leistungen als Skifahrer“541 aussuchte. Dabei konnte er im heimatlichen Kitzbühel aus einem großen Pool fischen, er erwähnt die „beiden Söhne vom Grand Hotel“, Flori und Toni Kofler, Horst Ebersberg, Gernot Wersin, Hans Ritz, Herbert Marchner, Werner Tscholl und den Schulkameraden Hias Leitner. Schon bald genügte die abenteuerliche „Streif" nicht mehr; auf der Suche nach Gefahr – Toni Sailer

539 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S.42. 540 ebenda. S. 42f. 541 ebenda. S. 44.

160 bezeichnet sich selbst in dieser „wilden“ Phase als „Karl May auf Skiern542“ – mussten es die steilsten, gefährlichsten Abfahrten sein, auf denen es den Mut der Jungen auszutesten gab. Dabei bezeichnet sich der zurückhaltende Toni Sailer als Anstifter zu dieser Ski-Initiationen.

Als großes Vorbild verweist Sailer auf Christian Pravda, dessen Mut und Waghalsigkeit den Jungen beeindruckten: „Christian Pravda imponierte uns aber vor allem durch seinen Mut. Ich erinnere mich, wie er einmal bei uns in der Stube saß. Der Vater kam von der Piste zurück und berichtete, die „Streif" müsse gesperrt werden; denn sie wäre von oben bis unten nur mehr Eis. Niemand könne jetzt fahren. „Niemand?" fragte Pravda und blickte den Vater herausfordernd an. „Nein, niemand!" sagte der Vater. Da packte Christian Pravda seine Skier, fuhr auf den Hahnenkamm und schoß über das glatte Eis herab, dass uns Hören und Sehen verging.“543 So kam es, dass sich der junge Sailer im Imitieren seines Idols versuchte; Christian Pravda wurde in seiner Ideallinie über die „Steif“ verfolgt und kopiert: „Ein geflügeltes Wort ging damals unter uns Buben um: ‚So wie der Pravda!’ Dieses Wort ersetzte uns ein ganzes Buch voll Skifahrer-Weisheiten. Wir redeten nicht viel darüber, wir stritten uns nicht um diese oder jene Fahrweise. Wir stellten uns bloß hin und gaben uns Mühe, dem Pravda alles nachzumachen.“544

Es dauerte allerdings nicht lange, bis Toni Sailer eine allgemeine Weisheit entdeckte. Zwar wendet er diese auf den Skisport an, aber es könnte als ein allgemeines Gebot für den „homo austriacus“ festgehalten werden: „Wer gut nachfährt, ist meistens ein schlechter Alleinfahrer. Es kommt mir so vor, als würde ich hinten in einem Auto sitzen und dem, der vor mir am Volant sitzt, das Fahren überlassen. Der zweite Fehler lag darin, dass jeder auf seine eigene Art Meister werden muss. Er kann dazu manches vom anderen lernen. Das Letzte aber muss er ganz aus eigenem dazutun.“545

Beim Interview mit Johann Skocek fasst Sailer noch einmal zusammen:

542 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. Kapitel „Karl May auf Skiern“ S. 42-46. 543 ebenda. S. 45. 544 ebenda. S. 44f. 545 ebenda. S. 45.

161 „Für mich war der Pravda ein Vorbild in seiner Natürlichkeit, in seiner Lockerheit. Ein ausgesprochenes Naturtalent. Auf der anderen Seite ein Zeno Collo [...]. Ein Kraftbündel, der sehr viel mit Kondition, mit Ausdauer, mit Willen erreicht hat. Der dritte war der wilde Stein Eriksson [sic!], der artistische, athletische. Aus diesen dreien hab' ich mir meinen Brei gekocht. Wenn das alles da wäre, müsste das hinhauen."546

Das Sporttalent Toni Sailer – er wurde auch Tiroler Schülermeister im Tennis547 – fand natürlich die eigene Linie. Pathetisch notiert er: „Ich war fünfzehn Jahre alt, als ich Christian Pravda auf unserer Hausstrecke, nämlich beim Riesentorlauf vom Steinbergkogel, schlug. Um eine ganze Sekunde war ich schneller als der Mann, der als der Welt bester Abfahrtsläufer galt. Es wurde ernst.“548

Diese Wortwahl scheint für einen als zurückhaltend geltenden jungen Mann anmaßend. Was bei der Analyse der Autobiographie entsteht ist die Dichotomie des scheuen Kitzbühler Spenglermeisters einerseits und des triumphalen Sporthelden andererseits, der in seiner ruhig bis braven Art in seiner Persönlichkeit alle Tiroler Naturkräfte vereinigt; es dominiert bei Toni Sailer die „Österreichische Seele“ des passiven Romantikers, der jedoch sehr wohl – mit purer, vormodern bis archaisch anmutenden Tugenden wie Willenskraft, Fleiß und Mut ausgestattet – alle Gesetze des Universums aus eigener Kraft widerrufen kann. Liest man diese Selbstgefälligkeit nicht aus dem oben erwähnten Phönix–Legenden, so ist die Erzähltradition der Olympia-Prophezeiung Toni Sailers als Beweis dafür stark genug: „seit seinem zwölften Lebensjahr“, schreibt Bergmann in der Sailer-Biographie, „baute er seinen Lebenswunsch auf drei Worten auf: ‚Ich werde Olympiasieger!’“549 Dem fügen sich weitere Prophezeiungen Dritter an. Besonders auffällig in diesem Zusammenhang ist die Erzählung Sailers von seinem ersten Österreichischen Jugendskimeisterschaftstitel 1950 am Semmering: „Dr. Hurdes550, damals Unterrichtsminister, gratulierte mir herzlich. Als Tiroler freute er sich besonders über meinen Erfolg und prophezeite mir gleichfalls den künftigen

546 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 171. 547 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 33. 548 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 46. 549 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 46. 550 Felix Hurdes; geb 1901 in Bruneck (Südtirol), gest. 1974 in Wien; war 1945-52 Bundesminister für Unterricht.

162 Weltmeister, eine Prophezeiung, an die ich mich inzwischen allmählich gewöhnt hatte. Professor Rößner, der später Führer unserer österreichischen Nationalmannschaft wurde, ein Mann, dem ich für meinen sportlichen Aufstieg viel zu verdanken habe, sagte damals: ‚Sailer wird im Slalom ein zweiter Stein Eriksen, in der Abfahrt ein zweiter Pravda.’ Das war ein großes Wort. Aber es gefiel mir nicht sehr. Ich hatte nicht den Ehrgeiz, ein Stein Eriksen oder ein Pravda zu sein. Ich wollte mich lieber an die Tradition unserer Familie halten und wie der Vater ein Toni Sailer werden.“551

Sailer über Sailer: sommerliches „Trockentraining“.

Dass den großen Worten auch Taten folgten, verdiente sich Toni Sailer neben oben erwähntem autogenen Trainings auch physisch. Dabei sei erwähnt, dass das Zeitalter der Technisierung und Spezialisierung im Sport noch bei weitem nicht angebrochen war; während heute tagelang im Windkanal an der aerodynamischsten Abfahrtshocke getüftelt wird und das Schneetraining dank Aufenthalten in Neuseeland und Chile praktisch nur durch den Konditionsaufbau in den heimischen Olympiastützpunkten unterbrochen wird, liest man bei Sigi Bergmann, dass das Training im Sommer in den 1950er Jahren für Beobachter „fast anrüchig“ gewesen sei; man lief Gefahr, dass die Kitzbühler Nachbarn mutmaßten, man wäre arbeitslos552. So sehr Toni Sailer als Naturtalent galt; sooft er schon als Kleinkind die Hänge der brutalsten Abfahrten der Welt im Schuss genommen hat; musste auch er trainieren.

Die Schilderung des Sommertrainings wirkt dabei wie eine Geheimmission. Wahrscheinlich war Sailer damit auch gut beraten, denn aufgrund der strengen Auslegung der Amateurregel – die FIS und das IOC witterten im Sailer’schen Sommertraining die verbotene Professionalität – musste er ein Mysterium daraus machen. So vergehen beim Autobiographischen Werk von 1956 an die 150 Seiten ohne vom Training des dreifachen Olympiasiegers zu erfahren. Licht ins Dunkel bringt allerdings die Aufzeichnung von 2009: „Für mich war die Trainingszeit immer eine der schönsten Zeiten, auch wenn mir der Schweiß nur so über die Stirn tropfte, denn ich kam dabei meinem Ziel näher. Wenn

551 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 59. 552 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 47.

163 ich im September damit anfing, lief ich jeden Tag auf den Hahnenkamm im Intervall hinauf, machte oben mindestens zwanzig Minuten Gymnastik und rannte nonstop in neuneinhalb Minuten vom Hahnenkamm über die Streif wieder hinunter, gut dreieinhalb Kilometer.“553

Für Bergmann ist Toni Sailer der „Galileo Galilei vom Hahnenkamm“, weil er sich im Sommer doch bewegte554. Daneben genießt Sailer den Status eines Propheten, der den Weg zum Skilauf, den wir heute in seiner ganzen Professionalität kennen, ebnete. Lange bevor Konditionstrainer die Intervalle am Ergometer für die Skistars festlegten, pirschte er im Laufschritt über die Kitzbühler Alpen. Lange bevor Mentaltrainer im Dienste des Weltcupsieges engagiert wurden fand Toni Sailer die Wichtigkeit der Mentalen Stärke: „Ich probierte alle verschiedenen Methoden in irgendeiner Form aus, war aber mit keiner zufrieden. Eigentlich [...] müsse die Idealform der Konzentration darin bestehen, gar nichts zu denken. Das versuchte ich auch.“555

Auch in Sachen Ernährung folgte Sailer nach Eigenbeobachtung den Empfehlungen der zeitgenössischen Literatur556. Johann Skocek zitiert: „Vor dem Rennen hab' i immer zwa Paarl Würstl gessn mit zwa Semmeln. Ein Wahnsinn. Ich hab' mir immer gedacht, ja Herrschaftszeiten, wieso bin denn ich nach einer Minuten schon so miad? I hab überlegt, überlegt, was das sein könnte, bis ich durch ein Gespräch einmal draufgekommen bin, dass diese Nahrungsaufnahme zu gewissen Zeiten vorher sein muss. Beim Trainieren g'spür' i nix, da kann i dauernd machen, was I will, und beim Rennen bin I nach einer Minuten hin. Also diese Esserei vor dem Start war weg, höchstens ein Schlückerl Juice oder Wasser."557

Die zeitgenössische Skiszene war von Trainingstheorien, man könnte heute von „Trainingsphilosophien“ sprechen, kaum durchdrungen. Was Sailer hier beschreibt ist ein vager Übergang vom bloßen Fortbewegen über einen mit Schnee bedeckten Hang zur ausgeklügelten Konstruktion spezialisierter Athleten. Harald Bosio aus dem steirischen Judenburg, selbst in den 1920er und 1930er als Skispringer, Langläufer

553 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 57f. 554 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 56. 555 ebenda. S. 53. 556 Bei Harald v. Bosio liest man: „Zwei Stunden vor dem Training und mindestens drei Stunden vor dem Rennen soll keine Hauptmahlzeit eingenommen werden.“ Bosio: „Training des Skiläufers.“ Wien-Leipzig 1936. S. 10. 557 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 172.

164 und Nordischer Kombinierer aktiv558, beschreibt in seinem 1936 erschienenen Buch „Das Training des Schiläufers“559 die gängigen Trainingsmethoden. Die Stagnation über die Kriegsjahre hindurch einkalkulierend kann davon ausgegangen werden, dass seine Ausführungen auch in den späten 1940er Jahren noch Gültigkeit hatten. Zum Sommertraining schreibt er: „Wie jeder Sport, so verlangt auch der Skilauf eine entsprechende Vorbereitung des Körpers, insbesondere dann, wenn wir den ganzen Sommer über auf der faulen Haut gelegen sind. [...] Mit dem Rückgang des sommerlichen Bergsteigens und dem Emporblühen des faulen Dahinliegens in den Sonnenbädern ist auch automatisch das vorbereitende Training für den Skilauf verloren gegangen. [...] Da Skilaufen aber nur dann wirklich Freude macht, wenn wir seine Technik beherrschen und seiner kraftfordernden Anstrengung mühelos gewachsen sind, so müssen wir bemüht sein, unsern Körper in jene Form zu bringen, die uns all dies restlos ermöglicht, mit einem Wort: wir müssen trainieren. Unter Training verstehen wir nicht nur gewisse Fertigkeiten üben und gewisse Muskelgruppen ertüchtigen, sondern überdies noch die Stärkung unseres Gesamtorganismus durch entsprechende Lebensweise. [...] [Der Skiläufer vereint, Anm.]: die leichtathletische Übung des Laufens, das turnerische Moment des Springens, die touristische Betätigung des Bergsteigens, das tänzerisch-rhythmische Einfühlen in die Bewegung und die Geschicklichkeitsübung des Abfahrens, also Tätigkeiten, die in ihrer Vereinigung zu einem Ganzen nicht nur alle Muskeln, sondern auch die Innenorgane und die seelischen Kräfte zugleich oder abwechselnd beschäftigen.“560 Der hier formulierte universelle, elitäre Ansatz kann bei Toni Sailer nicht übersehen werden. Vor allem die beinahe beiläufig erwähnten Erfolge beim Tennis, Fußball und Skisprung erzeugen ein Bild des „Alleskönners“, der im Skilauf alleine alle Fertigkeiten und Talente zur Perfektion bringt.

Eine Skilehrerliteratur, 1947 erschienen, fasst diesen universellen Anspruch in der Einleitung zusammen:

558 Harald (von) Bosio (1906-1980), nahm 1928 in St. Moritz, 1932 in Lake Placid und 1936 in Garmisch-Partenkirchen an Olympischen Winterspielen teil. Sein größter Erfolg war die Bronzemedaille in der Nordischen Kombination bei der Nordischen Skiweltmeisterschaft in Innsbruck 1933, welche die erste Medaille für Österreich bei einer Nordischen Ski- WM darstellte. Online bei Sports Reference.com unter http://www.sports-reference.com/olympics/athletes/bo/harald- bosio-1.html und bei der Fis unter http://www.fis-ski.com/uk/604/613.html?sector=NK&competitorid=6370&type=result (Stand: 8.2.2011) 559 Bosio: „Training des Skiläufers.“ Wien-Leipzig 1936. 560 Bosio: „Training des Skiläufers.“ Wien-Leipzig 1936. S. 20f.

165 „Er [der Skilauf, Anm.] gehört zu jenen Sportarten, die nicht nur eine Angelegenheit bestimmter Muskelgruppen und engbegrenzter Möglichkeiten sind, sondern den ganzen Menschen erfassen und verlangen. Er schenkt uns ein naturnahes Leben und dazu den Rausch der Geschwindigkeit, der Weite und der Höhe, der uns moderne Menschen so begeistert. Kein Wunder, dass wir alle mit Leib und Seele Skiläufer sind.“561

Bei Harald Bosio (1936) liest man: „Neben den rein körperlichen Anlagen sind noch die psychischen von Bedeutung. Zähigkeit, Kampfgeist und Willenskraft, gepaart mit Gleichgewichtssinn, Rhythmusgefühl, Ruhe, Unbeeinflussbarkeit und Muskelgefühl zeichnen den Lang- und Abfahrtsläufer aus. Der Torläufer bedarf blitzschneller Auffassungsgabe, scharfen Augenmaßes, räumlicher Vorstellungskraft, hoher Konzentrationsfähigkeit und seinen Gleichgewichtsgefühls. Hinzu kommen für den Abfahrtsläufer noch: Mut, Zähigkeit und Willenskraft.“562 Zwar verändert sich die Ausdrucksweise in der postfaschistischen Ära zunehmend; hin zu einer Entradikalisierung; doch der von Harald Bosio beschriebene „Herrenmensch auf zwei Skiern“ scheint auch nach 1945, wie ich oben gezeigt habe, noch Gültigkeit zu haben.

Sigi Bergmann zitiert den Olympiasieger 1960, Ernst Hinterseer wie folgt: „Wir waren körperlich stark, ohne Kraftkammer und Hantel, es war eine Art Naturkraft, die den Läufern heute fehlt, obwohl sie durch Gewichttraining gewaltige Oberschenkel bekommen. Wir dagegen waren knochiger, zäher, und wir hielten unendlich viel aus.“563 Sailer über Sailer: Training im Schnee.

„Wer an Abfahrtsläufen teilnehmen will, muss Skifahren können, muss alle Schwünge und technischen Hilfen beherrschen, über eine außergewöhnliche Standsicherheit verfügen und Kampfgeist besitzen [...]. Wir müssen uns daher für diese Wettlauffahrt besonders gut vorbereiten, müssen ständig bemüht sein, unser Können zu vermehren. Als vorbereitende Übung werden uns der Waldlauf recht gute

561 Haas, u. a.: „Ski-Abfahrt.“ Graz-Wien 1947. S. V. 562 Bosio: „Training des Skiläufers.“ Wien-Leipzig 1936. S. 9. 563 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 49.

166 Dienste leisten, sie werden unseren Körper kräftigen, die Muskeln geschmeidiger machen, die Atmungsorgane zu erhöhter Leistung vorbereiten und die Nerven stärken. Dazu müssen wir das abwechslungsreiche Gelände mit all seinen Schwierigkeitsgraden und allen vorkommenden Schneearten aufsuchen und so oft und so lange üben, als es unsere Zeit erlaubt.“ 564

1956 schenkt Toni Sailer dem Schneetraining wenig Raum in seiner Autobiographie; es kann davon ausgegangen werden, dass das Erlernen des Skifahrens bei ihm weniger mühsam war als etwa beim gemeinen Stadtmenschen der 1940er Jahre. „Ganz klar kristallisierte sich in meiner Kindheit schon heraus, dass der Ski-Sport alles andere beherrschen würde565“, wird Sailer 2009 zitiert; dabei verweist er nicht nur auf den Vater, sondern auch auf seinen Onkel Sepp, der österreichischer Meister im Skisprung war und natürlich auf die Kindheit im „Wintersportparadies“ Kitzbühel. Die geographische und familiäre Nähe zum Skilauf erweist sich in seiner Biographie als wegweisend; daneben verweist Sailer allerdings bewusst darauf, sich sportliche Erfolge mit hartem Training und Ehrgeiz verdient zu haben. Schilderungen, wie es zum Verständnis für den Skisport kam, fehlen völlig; nebenbei erwähnt wird der Vater, Anton Sailer senior, der dem jungen Toni jene Stellen im Hang mit Zweigen markiert, an denen er den Druck für den Schwung setzen sollte; daneben finden sich die Pravda – imitierenden Abfahrten. Natürlich kann aber von einem gewissen Maß an „Naturtalent“ ausgegangen werden, wenn man den Erzählungen Glauben schenken darf, er hätte seinen Vater, selbst Wettläufer, bereits in jungen Jahren auf der „Streif“ geschlagen. Sailer beschreibt sein Skitalent wenig bescheiden: „[Ich kämpfte, Anm.] mich allmählich an die Spitze der Klasseläufer vor, zuerst natürlich innerhalb der Jugendklasse. Das Komische dabei war, dass ich mich manches Mal älter machen musste, als ich war, um gleichwertige Konkurrenten zu finden. […] Als ich 1952 nach Frankreich geschickt wurde, schlug ich in Megeve die französische Nationalmannschaft, die für die Winterolympiade ausgewählt worden war. Um nicht disqualifiziert zu werden, sagte ich, ich sei achtzehn, war aber erst sechzehn.“566

564 Bosio: „Training des Skiläufers.“ Wien-Leipzig 1936. S. 52. 565 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 36. 566 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 57.

167 Gleich im Anschluss an diese Ausführungen kommt es zu einer Rechtfertigung, um die Illusion, ihm wären alle Erfolge förmlich in den Schoß gefallen, zu entkräften: „Im übrigen aber muss ich feststellen, dass ich es mir in meinem Kampf um die Spitze nicht leicht gemacht habe. Meine sportliche Laufbahn ist in jeder Hinsicht die eines normalen Klasseläufers. Ich habe keine Stufe übersprungen und mich ehrlich von der Klubmeisterschaft zum österreichischen Jugendmeister, und von dieser Stellung zur Österreichischen Juniorenmeisterschaft und zum olympischen Sieger hinaufgearbeitet. In meiner Laufbahn gibt es eigentlich keine Überraschungen. Jeder einzelne Erfolg bildet die Voraussetzung für den nächsten.“567

Harald von Bosio findet 1936 zeitgemäß pathetische Worte, wenn er im Vorwort zu seinem Skihandbuch schreibt: „Skilauf ist Spiel und Kampf zugleich! Spiel im schäumenden Fluss der herrlichen Schneekristalle, die im goldenen Licht der Sonne kühle atmen, und Kampf, wenn die Berge in Aufruhr sind. [...] Wer den Kampf nicht liebt und nur das Blumige, Zarte und In-den-Schoß-Gefallene sucht, wird niemals Anteil haben an den großen Freuden des Daseins. Wer aber kämpfen und im Kampfe bestehen will, muss sich bereit machen, muss hart werden wie Stahl und zäh wie glühendes Eisen.“568

Nicht frei von darwinistischen und eugenischen Ansätzen findet man im gleichen Werk eine Beschreibung der „Veranlagung“ des Skiläufers: „Die Leistung jedes einzelnen ist individuell begrenzt und abhängig von dem körperlichen und geistigen Erbe, das der einzelne mit auf die Welt bekommen hat. [...] Wer einer bestimmten Höchstleistung möglichst nahe kommen will, muss sich jene Kampfart als Sonderfach auswählen, die seiner körperlichen Veranlagung entspricht.“569 So wäre der Körperbau des Torläufers im Idealfall etwa von kleiner bis mittelgroßer Gestalt, mit schwächerem und schlankerem Leib; der des Abfahrtsläufers hingegen gesetzt und mit stark ausgeprägten Muskeln, dazu kräftigen Beinen und einem „mittelgroßen Herzen“570.

567 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 57f. 568 Bosio: „Training des Skiläufers.“ Wien-Leipzig 1936. Vorwort. 569 ebenda. S. 7. 570 ebenda. S. 7f.

168 Sailer war von seiner körperlichen Fitness überzeugt. 2009 meinte er über den langen, schwierigen Olympiariesentorlauf von Cortina, bei dem er die erste von drei Goldmedaillen bei diesen Spielen errang: „Wenn es noch fünf Minuten länger dahingegangen wäre, wäre ich auch noch fünf Minuten länger gefahren, das hätte mir überhaupt nichts ausgemacht. Ich glaube nicht, dass damals einer meiner Gegner konditionell an mich herankam. Ich konnte laufen wie ein Windhund und hatte eine Kraft wie ein Bär.“571

Viel wichtiger allerdings als die Fähigkeit, eine Abfahrt physisch zu bestehen, ist nach Toni Sailer die mentale Stärke, welche sich unter anderem in der Reaktionsgeschwindigkeit auswirkt und über Sieg und Niederlage – manchmal auch über Leben und Tod – entscheiden kann. Hier spielt sehr wohl die „Veranlagung“ eine große Rolle und das „Naturtalent“ scheint – wie man beim zweiten Zitat liest – doch über den „Trainierten“ zu siegen: „Ich bin überzeugt, dass der Erfolg eines Skiläufers zum großen Teil von einer gesteigerten Beherrschung des Körpers abhängt. Wenn ich immer wieder sage, ich habe es ‚tuschen’ lassen, meine ich damit nicht, dass ich mich sinnlos den Berg hinunterstürze. Im Gegenteil! Gerade was wir Kitzbühler das ‚Tuschen’ nennen, ist ein sehr bewusstes Fahren, ebenso gut eine körperliche Leistung wie eine geistige. Nach einem richtigen ‚Tuschen’ auf einer Strecke, die mir noch nicht sehr vertraut ist, spüre ich die Anstrengung mehr im Kopf als in den Beinen. In meinem Gehirn geht es dabei zu, als hätte jemand scharf hintereinander hundert verschiedene Fragen an mich gerichtet, auf die ich, um zu bestehen, ebenso schnell Antwort zu geben hätte, viel schneller, als ein Mensch normalerweise sprechen kann.“572 An anderer Stelle erklärt er: „Wenn eifrige Reporter immer wieder nach dem ‚Geheimnis’ fragen, dem ein Läufer seine Siege verdankt, so liegt dieses sogenannte ‚Geheimnis des Abfahrtsläufers’ meiner Ansicht nach wirklich nur in der Fähigkeit, vorauszudenken. Man braucht bloß zu beobachten, wo ein Läufer bei einer rasanten Abfahrt seine Augen hat. Wenn er nur unmittelbar auf die Strecke blickt, die er momentan bewältigen muss, ist es mit ihm nicht weit her. Der gute Läufer blickt seinen Skiern weit voraus, so weit als es nur möglich ist. [... ] Diese Fähigkeit, das was der Körper im Augenblicke tun muss, von dem zu trennen, was die Augen sehen und diese optische Wahrnehmung wieder auf

571 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 99. 572 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 89.

169 die vorauseilenden Gedanken abzustimmen — das muss man einfach können, sonst hat es keinen Sinn, an den Start zu gehen. Im Kopfe legt man sich blitzschnell zurecht, wie man bei den gegebenen Verhältnissen am besten, am schnellsten und doch am sichersten zum Ziele kommt. Die Augen kontrollieren mit dem, was sie sehen, das, was man sich vorgenommen hat. Inzwischen tun die Beine das, was Kopf und Augen ihnen befohlen haben, obwohl man selbst gewissermaßen daran gar nicht mehr beteiligt ist. Geheimnis ist das keines, wohl aber etwas, das nicht jeder in sich hat und das man, wie ich glaube, nur bis zu einem gewissen Grad durch Übung und Training erlernen kann.“573

Dass neben der Reaktionsfähigkeit auch ein großer Intellekt gefragt ist, verrät Sailer in seinen Ausführungen zur Vorbereitung auf den Olympiaslalom 1956: „Sich einen Slalom einzuprägen ist eine besondere Kunst, die mit einer heiklen Schachaufgabe oder mit dem Lösen eines schwierigen Kreuzworträtsels vergleichbar ist.“574

Das Skifahren wird so als Sport der mentalen und physischen Elite demonstriert. Über seinen Start bei der alpinen Ski-WM in Bad Gastein 1958, also zwei Jahre nachdem er in Cortina jede goldene Alpinmedaille gewann, sagt Sailer: „Ich bin 1958 noch weitergefahren, weil ich beweisen wollte, dass es nicht Glück ist, wenn man gewinnt, sondern Können und geistige Arbeit.“575

1952 dann ist es aber ein banales Gipsbein, der den kommenden Ski-Messias den ganzen Winter über vom Skifahren fernhält.

Sailer über Sailer: Verletzungen.

Damit komme ich zu einer weiteren Dimension der widrigen Umstände, mit welchen Toni Sailer im Rahmen seiner „olympischen Mission“ zu kämpfen hatte: sein Körper. „Eine andere Sorge aber tauchte vor mir auf“, schreibt er 1956, „ich war bisher immer einer von den Kleinsten gewesen. Klein war ich, aber recht flink und wendig. Dadurch war ich vielen, die älter waren und mehr Kraft besaßen als ich, im Torlauf überlegen.

573 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 105f. 574 ebenda. S. 126f. 575 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 55.

170 [...] Und nun schoss ich plötzlich in die Höhe, als müsste ich, was ich im Wachsen während etlicher Jahre versäumt hatte, in wenigen Monaten aufholen. [...] Mir wurde selbst vor mir bange. Ich wusste nicht, was ich mit so langen Armen und Beinen anfangen sollte, und ich dachte mit Sorge daran, wie ich meine ungewohnte Länge durch die schmalen Tore bringen sollte. Waren nicht alle Läufer der Weltklasse, insbesondere jene, die den Slalom beherrschten, mittelgroß, ja eher klein und untersetzt, als so schlacksig und hochaufgeschossen wie ich?576“ Toni Sailer sollte 1,81 Meter groß werden; da er trotz der Körpergröße seine Wendigkeit behielt, erlitt er dadurch im Torlauf keinen Schaden. In der Abfahrt erwies sich das Gardemaß sogar als hilfreich: „Wenn die anderen mit ihrer Kraft zu Ende waren, konnte ich immer noch etwas einsetzen. Das Körpergewicht half mir, das Tempo zu forcieren.“577

Außerdem war es ja die bereits oben zitierte Sailertradition aus einem „Rückschlag“ das Beste mitzunehmen und daraus gestärkt hervorzugehen. Diese Skifahrerischen Rückschläge lesen sich bei Sailer 1956 immer als Phönix-Legenden. Zuerst schon der oben beschriebene, schwere Sturz am Ganslernhang; erst danach kam Toni Sailer als Skifahrer so richtig in Schwung und übertrumpfte fortan nicht nur Eltern sondern auch ältere Freunde in waghalsigen Abfahrten. Im Fahrwasser dieser Erzähltradition ist auch die Schilderung des Sieges bei der bereits oben erwähnten Österreichischen Jugendskimeisterschaft am Semmering zu interpretieren: Sailer erzählt davon, wie sich „bei einem lokalen Skiwettrennen [...] ein Mädel den Arm gebrochen [hatte]. Ich half die Verletzte bergen und gab ihr meinen Schal mit. Dass ich das zweite Rennen ohne Schal lief, bekam meinem empfindlichen Halse nicht gut. Mit Fieber kam ich zu den Eltern heim und lag drei Wochen lang mit eitriger Mandelentzündung im Bette. Und dabei stand die österreichische Jugend- meisterschaft knapp bevor. Die Eltern spürten, was in mir vorging, und sprachen mit dem Arzt. ‚Skilaufen? Ja, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Ganz ausgeschlossen!’ Die Mutter aber wickelte mir einen dicken Schal um den Hals. Der Vater packte mir gute Ratschläge dazu, und ich fuhr direkt vom Krankenbett auf den Semmering. […] Ich lief, wie ich noch niemals gelaufen war. Als Einziger erreichte ich im Slalom eine Zeit, die unter einer Minute lag.“578

576 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 48. 577 ebenda. S. 48f. 578 ebenda. S. 59.

171 Ein Aspekt, der nicht nur aus diesen Zeilen hervorgeht, sondern schon beim „Ganslernhang-Zwischenfall“ auffallend ist, ist der Umstand, dass es die Eltern sind, die dem verletzten bzw. erkrankten Sohn zurück zum Skilauf führen. So wird sogar die Empfehlung vom Arzt über Bord geworfen, um den jungen Toni Sailer an der Jugendmeisterschaft teilnehmen zu lassen. Es scheint sich als österreichisches Sportlerschicksal etabliert zu haben, dass der Sieg - der wahre Triumph - nur über widrige Verhältnisse und Verletzungen führen kann, einen Sieg „über sich selbst“, über „die eigenen Dämonen“ voraussetzt. So wurde aus Hermann Maier erst der „Herminator“ nach seiner „Wiederauferstehung“ nach der Olympiaabfahrt in Nagano 1998, als er trotz seines Horrorsturzes bei den gleichen Spielen noch Gold in Super-G und Riesentorlauf holte, ja sogar nach einem Motorradunfall, bei dem er ein Bein zu verlieren drohte, Weltcupsieger wurde. Oder Niki Lauda, dem der Rückschlag förmlich ins Gesicht geschrieben steht579, der nach seinem Unfall vom 1. August 1976 am Nürburgring, nicht nur dem Tod entrann, sondern noch einmal Formel 1 Weltmeister wurde. Auch der Autounfall von Österreichs bislang einzigem Weltranglisten-Ersten im Tennis, Thomas Muster, reiht sich nahtlos in die österreichische Tradition ein, Schicksalsschläge nicht nur zu überwinden, sondern daraus gestärkt für künftige Erfolge herauszutreten. Wenngleich wesentlich weniger tragisch ist die Erzählung von Sailers „haarigem Gips“580 damit doch vergleichbar. Immerhin schenkt er dem Schicksalsschlag in seinen Ausführungen von 1956 ein ganzes Kapitel: 1952, bei seinem ersten Trainingslager mit der Nationalmannschaft, kam Toni Sailer bei einer einfachen Übungsfahrt so unglücklich zu Sturz, dass er sich ein Bein brach. Zum Schweregrad der Verletzung erfährt man, dass es ein doppelter Schien- und Wadenbeinbruch gewesen ist, so kompliziert, dass der Knochen genagelt werden musste. Nach zeitgenössischen Publikationen zufolge war der Bruch des Unterschenkels damals nach Verletzungen im Sprunggelenk die zweithäufigste Verletzung bei Skifahrern581. Sailer beschreibt seine Gedanken: „Am meisten betroffen war unser Sportwart, Fred Rößner. Er hielt große Stücke auf mich, besonders im Abfahrtslauf, und hatte sich vorgenommen, mich bei allen

579 siehe Wieselberg, Lukas: „Niki Lauda. Überleben war das Wichtigste.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 321. 580 Ausdruck von Anton Sailer senior. Namen eines Kapitels in: Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg- Stuttgart 1956. S. 74-80. 581 Gelehrter: „Verletzungen beim Wintersport.“ Stuttgart 1966. S. 24. Die Frakturhäufigkeit im Unterschenkel liegt hier zwischen 37,9 und 47,9% für die Nachkriegszeit. Die Statistiken von S. 22-25. stammen von Untersuchungen in den Jahren 1928-37, 1960-61 und 1956-64.

172 großen Konkurrenzen einzusetzen. Mein Unfall warf alle seine Berechnungen über den Haufen. Doch das war nicht das Ärgste. Ärger war, dass er mich vielleicht für immer abschreiben musste. Ein solcher Sturz bedeutet für den Fahrer auch eine schwere seelische Belastung. Nicht bloß, dass er lange Zeit aussetzen muss, mehr noch, dass er oft nicht mehr den Mut zum letzten Einsatze findet.“582

Sailer musste einen ganzen Winter lang aussetzen; vertrieb sich die Zeit damit, bei den Skirennen als Zuschauer anzureisen. Die mentale Stärke zur Rückkehr auf die Piste schöpfte er aus Besuchen im elterlichen Hause in Kitzbühel: Nachbarn, Klubkameraden, aber auch der Präsident des ÖSV von 1951-1956, Fred Achammer583. Sein Kommen kann als Hinweis darauf gesehen werden, wie viel der Skiverband bereits auf seinen jungen Schützling hielt, der innerhalb der Nationalmannschaft noch keinen Renneinsatz hatte. Besondere Erinnerungen knüpfte Sailer an den Besuch von Stein Eriksen584 in seinem Haus in Kitzbühel, als Christian Pravda diesen während des Hahnenkammrennens mitbrachte: „Die Begegnung mit Stein Eriksen ist mir unvergesslich geblieben. Er war ein feiner, offener Mensch, den wir alle liebten. ‚Du musst so weiterfahren, Tonei’ sagte er zu mir, ‚wie du es von klein auf gewohnt bist. Kümmere dich nicht um das, was die Skigelehrten sagen. Jeder hat seine eigene Art, Ski zu laufen, und dabei muss er bleiben. [...] Jeder muss auf seine Weise zum Ziele kommen.’“585

Die Unruhe sollte sich im nächsten Winter legen: „Meine Sorge war überflüssig gewesen. Ich lief, allerdings nur handgestoppt, eine ausgezeichnete Zeit. Ich hatte nichts verlernt und nichts vergessen. Ja, es kam mir vor, als hätte mir der ‚haarige’ Gips nur gut getan und der Vater wäre mit seinem sonderbaren Ausspruch im Recht, daß bei den Sailers ein repariertes Bein besser wäre als ein gewöhnliches, genau wie eine reparierte Gießkanne dichter hält als

582 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 76. 583 ÖSV: „100 Jahre ÖSV.“ Innsbruck 2005. S. 54.

584 Toni Sailer verweist bei seinen Vorbildern zumeist auf Christian Pravda und auf Stein Eriksen. Eriksen, geboren 1927 in Oslo, holte drei Mal Gold bei der WM in Are 1954 (Kombination, Riesentorlauf, Slalom), Gold und Silber als Lokalmatador bei den Olympischen Spielen in Oslo 1952 (Gold im Riesentorlauf, Silber im Slalom). Siehe Online auf der FIS-Homepage unter http://www.fis-ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=15844&type=result (Stand: 10.2.2011.) 585 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 77.

173 eine, von der man noch nicht weiß, ob man sich ganz auf das, was man bekommen hat, verlassen kann.“586

Gewissheit stellte sich in der vorolympischen Saison ein und der angeschlagene Körper ging endgültig wiedererstarkt; beinahe besser, dem großen Triumph von Cortina entgegen: „Der Winter 1954/55 hatte es in sich. Der Schnee kam früh und reichlich. Eine herrliche Zeit begann. Ich fühlte mich wohler denn je. Das linke Bein hatte das rechte vollständig aufgeholt […]. Auch die breite Bauchbinde, die mir die Mutter fürsorglicher weise vor jeder Abreise zu einem Start um den Leib band, damit sich nicht die so schmerzhafte und langwierige Nierenbeckenentzündung587 wiederhole, war nicht mehr notwendig.“588

Dass es beim Skifahren auch zu tödlichen Unfällen kommen kann, blendet der junge Sailer 1956 aus; Stürze werden verharmlost, halsbrecherische Aktionen zwar registriert, aber nicht lebensgefährlich eingestuft. Johann Skocek zitiert Sailer 1994: „Angst? Beim Abfahrtslauf war das immer Überwindung. Ich hab' nichts riskiert, aber ich wäre von 50 Meter auch runterg'sprungen, wenn's etwas gebracht hätte. Keine Angst kann nur jemand haben, der sich nicht bewusst ist, was passieren kann. Wenn du das Gefühl hast, es ist zu schnell, kannst immer aufmachen und ein bisserl brem- sen. Das hab' ich mir vor jedem Abfahrtslauf zum Trost gesagt.589“ Der Riesentorlaufhang der Olympischen Winterspiele in Cortina d’Ampezzo erinnert ob der Namensgebung den jungen Skirennläufer an die Gefahren seines Sportes. Sailer schreibt 1956: „Die Piste führt den Namen „Ilio Colli". Das hat seine besonderen Gründe. Ilio Colli war ein Skiläufer aus Cortina, der im Alter von zweiundzwanzig Jahren bei einem Abfahrtsrennen im Achtzig-Kilometer-Tempo gegen einen Baum raste, sich die Schädeldecke einschlug und auf der Stelle starb. Wir erhielten als Andenken die Parte, die das Bild des verunglückten Skifahrers zeigte. [...] Es ist ein schöner Gedanke, eine so weltberühmte Piste, wie die Faloria, nach einem tödlich verunglückten Rennläufer zu benennen, wenn es auch für den, der an diesen Start

586 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 90. 587 Sailer holte sich beim Abtransport nach seinem fatalen Sturz im Trainingslager diese Nierenbeckenentzündung. 588 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 95. 589 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 175.

174 geht, nicht gerade ermutigend wirkt, wenn man ihm einen Partezettel in die Hand drückt.“590

Trotz diesen nachdenklichen Erinnerungen ist das halsbrecherische Element eines der stolzesten bei den Schilderungen des „alten“ Toni Sailers. Erstaunliches liest man bei Johann Skocek über seine einstige Aufgabe bei der FIS: „Nur Verletzungen bringen einen weiter, mit Sack reinschmeißen ist es nicht getan."591

Sailer über Sailer: Berufsethos.

Besonders Rudolf Müllner ist es, der zur Analyse der Biographie Toni Sailers darauf verweist, dass er eine „Allegorie des Wideraufbau“592 sei – nicht nur, aber zu einem großen Teil aufgrund seiner Ausführungen zum Berufsleben abseits der Skipisten, welches bei jeder Gelegenheit thematisiert wurde. So liest man bei Sailer: „Vor allem Sportlichen stand die Arbeit.“593

Die Arbeit und der Sport stehen bei Sailer im ewigen Spannungsverhältnis. So nennt sich ein entscheidendes Kapitel in „Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg“ „Meisterschaften und Gesellenprüfung“. Immer wieder, auch wenn er seine sportlichen Erfolge schildert, darf die Betonung der Ernsthaftigkeit, mit welcher er seinem Spenglerhandwerk nachging, nicht fehlen. Besonders wichtig erscheint auch die Unterstreichung dessen, dass der Beruf nicht unter dem Sport litt; denn in den 1950er Jahren hatte das praktische Handwerk Priorität gegenüber einem unproduktiven Abfahrtslauf. Die folgenden Zeilen sollen aber nicht nur dahingehend berücksichtigt werden, auch ist die Heimatverbundenheit Sailers, der als Gesellenstück – natürlich – das Kitzbühler Wappentier anfertigte, markant: „Mittlerweile arbeitete ich fleißig an meinem Gesellenstück. Ich hatte mir vorgenommen, das Wappen meiner Heimatstadt in Bleiglas auszuführen. […] die Kommission war damit zufrieden und einer der Herren von der Innung behauptete, es

590 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 121. 591 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 175f. 592 Müllner, Rudolf: „Anton Sailer: Österreichs Sportler des Jahrhunderts.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 249. 593 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 60.

175 sei seit Jahren das beste Gesellenstück gewesen, das er zu Gesicht bekommen habe. Und genau so wie ich befürchtet hatte, geschah es: Meine Gesellenprüfung fiel in die gleiche Woche wie das Glocknerrennen. Ein Kunststück, auch diesmal nach dem Willen der Mutter ‚nichts hinten zu lassen’! Aufregende Tage! Am Freitag legte ich in Innsbruck die Gesellenprüfung für das Spengler- und Glasergewerbe mit Auszeichnung ab, fuhr am Samstag auf den Glockner und startete am Sonntag auf der Adlersruhe, ohne dass ich Zeit gehabt hätte, die schwierige Strecke über den steilen Hofmannsgletscher vorher zu durchfahren. Ich wurde Erster, Anderl wurde Zweiter, Walter Schuster Dritter.“594

In meinen Ausführungen wird eine selbstkonstruierte Heldengeschichte Sailers, besonders wenn es daran geht, Erinnerungen an die Olympischen Spiele in Cortina d’Ampezzo zu analysieren, von großer Bedeutung sein. Doch auch in der Berufswelt hält Sailer an dieser Tradition fest. Ein Zitat aus Toni Sailers Erinnerungen vereint sämtliche negativen Kräfte, welche dem Handwerker das Leben schwer machen; um letzten Endes doch den Sieg über die Natur, gegen alle Widrigkeiten davonzutragen. Als etwa Sailer mit seinem Vater im Dorf ein Dach deckte, zog ein schweres Gewitter auf: „Ein Sturm brauste heran und riss mich fast vom Dache herab. [...] Bei Blitz und Sturm arbeiteten wir weiter. Das Haus kam noch gut unter Dach. Kein Wort sprach der Vater hinterher darüber. So etwas galt bei ihm als selbstverständlich.“595

Den Arbeitseifer scheint Sailer vor allem von seinem Vater mitbekommen zu haben. Dessen strenge Erziehung dahingehend wird beim Gespräch mit Johann Skocek deutlich: „Wenn I am Wochenende a Rennen g'foahn bin, musste ich am Montag um sieben Uhr in der Bude sein. Der Papa hat nicht ein Auge zugedrückt. Die Arbeit musste gemacht werden, ich fand das auch sehr gut, weil das erzieht einen.“596

Müllner verortet diese Ausführungen in der von Wolfgang Kos597 geprägten Hausbaumetapher für den Wiederaufbaumythos. Toni Sailer setze ihm nach „dem

594 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 108. 595ebenda. S. 60f. 596 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 173. 597 Kos: „Eigenheim Österreich.“ Wien 1995.

176 ‚Eigenheim Österreich’ mit selbstverständlicher Professionalität die Krone auf“598. Passend zu meinen oberen Ausführungen des harten, emsigen Trainings verstehe ich die Erzählungen zum Beruf als weiteren Versuch nicht in Verlegenheit zu geraten, als Naturtalent – gar Wunderkind dazustehen, der im Leben nichts erlernen und arbeiten müsse. Denn – so weiß es Inge Karazman-Morawetz – war in den 1950er Jahren „schwere Arbeit eine nicht zu hinterfragende Selbstverständlichkeit, die mit einem handwerklichen Arbeitsethos und einer Pflichtethik verbunden war“599. Arbeit galt als höchstes Gut der Lebenswelt der 1950er Jahre. Nach Jahrzehnten der Entbehrung, die in der Massenarbeitslosigkeit der 1930er Jahre unter dem Begriff „Weltwirtschaftkrise“ Berühmtheit erlangten und dem ewig zu dauern scheinenden Hunger war es die Arbeit, die in den 1950er Jahren den Einstieg in eine beinahe neuartig erscheinende Konsumwelt ermöglichte. So wird Toni Sailers Anstrengung beim Berglauf mit der schweißtreibenden Spenglerarbeit gleichgesetzt um ein Sinnbild des arbeitenden Österreichers zu zeichnen. Die ständige Bewegung, in Arbeit genauso wie im Sport entwickelte sich zur Überwindung der Schattenjahre 1938-45; Karl Vocelka schreibt: „Die Trümmerjahre nach 1945 mussten – nicht nur im übertragenen Sinn – den Schutt der Vergangenheit beseitigen und einen Wiederaufbau beginnen.“600 Das System der Arbeit, in Verbindung mit einer stetig verbesserten Entlohnung ermöglichte es rasch, materiell vieles zu erreichen „von dem man in der Ersten Republik nicht einmal zu träumen wagte“601: auch bei Toni Sailer ließ der Lohn nicht lange auf sich warten. Bevor es Edelmetall in Cortina d’Ampezzo für den 21 Jährigen Sailer regnete, war es eine Trophäe aus einem Rennen im Winter 1951/52, welche den Eintritt in die Moderne bedeutete. Rennläufer vom Kitzbühler Skiclub waren eingeladen in Frankreich gegen das französische Olympiateam von 1952 zu fahren. Die Rennen wurden für die Österreicher zum Triumph und so kam es, dass auch Toni Sailer einige Preise bekam. Er erinnert sich: „Unter den verschiedenen Trophäen, die vor dem Rennen ausgestellt worden waren, befand sich auch ein großes, ungefügiges Trumm, ein weißlackierter Kasten, von dem ich mir nicht vorstellen konnte, weshalb man ausgerechnet diese schwerfällige Rumpelkiste als ersten Preis festgesetzt hatte. [...] Ich ließ es ‚tuschen’, und richtig wurde der Kasten zur Siegesfeier transportiert und ich feierlich zu seinem Besitzer

598 Müllner, Rudolf: „Anton Sailer: Österreichs Sportler des Jahrhunderts.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 249. 599 Karazman-Morawetz, Inge: „Arbeit, Konsum, Freizeit. Veränderungen im Verhältnis von Arbeit und Reproduktion. in: Sieder, u. a.: „Österreich 1945-95.“ Wien 1995. S.419. 600 Vocelka: „Geschichte Österreichs.“ Graz-Wien-Köln 2000. S. 316. 601 ebenda. S. 330.

177 erklärt. Ich überlegte mir, ob ich dieses schwere Trumm überhaupt weiterbringen sollte, von dem ich noch immer nicht recht wusste, wofür es eigentlich gut war. Schließlich, wer denkt auch im Winter an einen Kühlschrank?“602

Sailer über Sailer: Der Rennläufer.

Um die Schilderungen Toni Sailers hinsichtlich seiner Skierfolge zu analysieren, sollte man sich noch einmal die Charakterisierung des Kitzbühler Rennläufers vor Augen führen. Der als schüchtern und zurückhaltend geltende Sailer schreibt: „Von meinen Siegen brauche ich nicht viel zu erzählen. Wer sich dafür interessiert, kann in den Startlisten nachsehen, was ich jeweils herausgefahren habe. Ich möchte viel lieber von jenen Wettkämpfen erzählen, bei denen nicht gerade alles nach meinen Wünschen gegangen ist.“603 Was im Buch namens „Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg“ folgt, sind meist Schilderungen von Siegen; manches Mal die Begründung warum einmal ein Rennen nicht gewonnen wurde, daraus aber trotzdem seinen Nutzen zog: „Im übrigen aber habe ich aus meinen Niederlagen oft mehr gelernt als aus meinen Siegen.“604 Die Startlisten, auf die Sailer verweist, befinden sich als Anhang in der Biographie, führt Buch über Rennen des Olympiasiegers seit dem (erweinten, s.o.) Sieg beim Kitzühler Jugendskitag 1946 bis zum dreifachen Gold in Cortina d’Ampezzo 1956.

Von besonderem Ehrgeiz, der Verbissenheit zu Siegen, daneben von einem starken Gerechtigkeitssinn, zeugen jene Passagen in der Autobiographie, an welchen sich Toni Sailer zu Unrecht als Verlierer eines Rennens sah. Bei Sigi Bergmann liest man, dass Sailer den Siegeswillen nicht unreflektiert hinnahm: „Aber zu Talent, Fleiß und Draufgängertum kommt noch eine nicht ungefährliche Emotion dazu, die Spitzensportler sozusagen als Antriebsmotor unbedingt brauchen: der Ehrgeiz. [...] Aber dann gibt es noch den Fall von krankhaftem Ehrgeiz, der ist sehr gefährlich, und von diesem Ehrgeiz ist der Weg zum Fanatismus nicht mehr

602 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 64-73. 603 ebenda. S. 90. 604 ebenda. S. 105.

178 allzu weit entfernt. Fanatismus aber ist unkontrollierbar, rücksichtslos, brutal und hat im Sport nichts verloren!“605 Als Beispiele dienen u.a. der oben erwähnte erste, jedoch erweinte Sieg beim Kitzbühler Jugendskitag von 1946, zum anderen die Tatsache, dass sich Toni Sailer, mittlerweile dreifacher Olympiasieger noch immer über eine Disqualifikation von 1955 echauffieren kann: „[...] dann der Riesenslalom auf dem Zürser See, bei dem ich zu unrecht dis- qualifiziert worden war. Ich hatte das strittige Tor nicht ausgelassen, sondern lediglich die Torstange umgeworfen.“606

Es kann von einer erhöhten Rivalität im Skisport ausgegangen werden. Zwar funktionieren die Individualläufer als Team, treten als Nationalmannschaft bei Großereignissen auf und teilen sich meist die Trainer, doch fehlt naturgegeben der Teamgeist von Mannschaftssportarten. Unvergessen ist das Interview mit nach der Weltmeisterschaftsabfahrt in Vail 1999, bei der sie hinter drei Österreicherinnen Vierte wurde und meinte: „Es ist mir egal, woher die sind, wenn ich Vierte bin.“607 Besonders im Österreichischen Skiteam ergaben sich aufgrund der Leistungsdichte immer wieder Rivalitäten. Vor Großereignissen, für die man sich als Österreicher traditionell qualifizieren muss, steigert sich die Rivalität dabei meistens noch einmal. Die größte Konkurrenz findet der gemeine Österreichische Skifahrer also innerhalb des eigenen Landes; oftmals – wie Toni Sailer in der Person Andreas Molterers – in der eigenen Stadt. Ein jüngeres Beispiel ist der Kampf zwischen Hermann Maier und Ende der 1990er bis in die frühen 2000er Jahre; Toni Sailer kannte seine größten Rivalen auch im eigenen Teamdress und wusste in der vorolympischen Saison 1954/55 um seinen Qualifikationsdruck: „Da ich mich im vergangenen Winter endgültig zur Nationalklasse durchgekämpft hatte, stand diese vorolympische Saison ganz im Zeichen des Kampfes um die Spitze. Dies bedeutete, dass ich bei allen großen Entscheidungen mit den gleichen Klasseläufern zusammenstieß und mich sozusagen mit jedem einzeln messen musste.“608

605 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 40/42. 606 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 95. 607 u.a. Interview Alexandra Meissnitzer mit „Kurier“ am 14.2.2011. Interview online auf kurier.at unter http://kurier.at/sport/wintersport/2073263.php (Stand: 16.2.2011) 608 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 94.

179 An anderer Stelle: „Alles deutete auf einen zähen Kampf hin. Die ‚gemütlichen’ Jahre, in denen man auch einmal unbeschadet verlieren konnte, waren vorbei.“609

Tatsächlich gab es zu den Olympischen Winterspielen von Cortina d’Ampezzo ein beinhartes, österreichinternes Vorspiel. Sigi Bergmann zitiert Hermann Nussbaumer, der in seinem Werk „Sieg auf weißen Pisten“610 die Rebellion der starken Vorarlberger gegen die Kitzbüheler Konkurrenz beschreibt, die in einer kurzfristigen Olympiasperre für die Arlberger kulminierte.

Toni Sailer erwähnt in seinen Ausführungen nichts davon. Sachlich analysiert er seine Gegner wie Ernst Hinterseer, Toni Spiss611, Ernst Oberaigner612, den Franzosen Andrien Duvillard613 oder den Italiener Zeno Colo614.

Die Rivalität, auch innerhalb des österreichischen Teams, zeigt sich schön im Verhalten Sailers vor dem Start bei der berüchtigten Olympiaabfahrt 1956 in Cortina d’Ampezzo. Sailer hatte für sich das Aufwärmen erfunden, eine Technik, die den Teamkollegen nicht bekannt war: „Durch dieses Aufwärmen konnte ich mir sicher einen großen Vorteil verschaffen, und ich war darauf bedacht, es vor meinen Mannschaftskollegen, die ich ja als meine schärfsten Rivalen einstufte, zu verheimlichen.“615

Besonders Toni Sailers Klubkollege beim Kitzbühler Skiclub, Andreas Molterer, wurde zum ewigen Rivalen. Sailer schreibt 1956: „Doch mein eigentlicher Konkurrent bei den Starts in diesem Winter war Anderl Molterer, der mich wie mein eigener Schatten überall begleitete, wobei es allerdings

609 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 110. 610 Nussbaumer: „Sieg auf weißen Pisten.“ Linz 1963. 611 Toni Spiss, geboren 1930 in Sankt Anton am Arlberg, gestorben 1993 ebenda, gewann u.a. bei den Olympischen Spielen in Oslo 1952 die Bronzemedaille im Riesentorlauf und schied im Slalom aus. Datenbank der Sports-Reference unter http://www.sports-reference.com/olympics/athletes/sp/toni-spiss-1.html (Stand: 15.2.2011.) 612 Ernst Oberaigner, geboren 1932 in Saalfelden, ist Träger des Goldenen Verdienstzeichens der Republik Österreich und gewann u.a. die Bronzemedaille bei der WM-Abfahrt in Aare 1954. Statistik auf der FIS-Homepage unter http://www.fis-ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=44349&type=resul (Stand: 16.2.2011.) 613 Adrien Duvillard, geboren 1934 in Megeve, Frankreich, war u.a. Hahnenkammsieger 1960, wurde in Cortina d’Ampezzo 1956 Olympia-Vierter im Riesentorlauf und Sechster bei der WM-Abfahrt 1958 in Bad Gastein. Statistik auf der FIS-Homepage unter http://www.fis-ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=14849&type=result (Stand: 16.2.2011.) 614 Zeno Colò, geboren 1920 in Abetone, Italien, gestorben 1993 in San Marcello Pistoiese, holte sich bei der Ski-WM in Aspen 1950 Gold in der Abfahrt und im Riesentorlauf, dazu Silber im Slalom. Daneben wurde er Abfahrtsolympiasieger in Aare 1952. Statistik auf der FIS-Homepage unter http://www.fis- ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=10831&type=result (Stand: 16.2.2011.) 615 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 114.

180 auch oft umgekehrt war, nämlich, dass ich Anderl als Schatten begleitete. Obwohl Anderl ein paar Jahre älter ist als ich616, kennen wir uns, seit wir auf Bretteln stehen. [...] Für die Olympiade in Oslo war er zu jung. In Cortina aber musste er erleben, dass ein anderer bei der Siegerehrung in der Mitte stand und er, der Anderl, einmal rechts, einmal links davon stehen musste. Ich wusste, wie ihm dabei zumute war, obwohl er sich nicht das geringste anmerken ließ. Darin war mir Anderl immer schon ein Vorbild. Ob er siegte, ob er verlor, das Rennen machte ihm jedes Mal den gleichen Spaß. ‚Nicht ich, nicht du — der Klub!’ das war seine Meinung. Einerlei, wer den Pokal nach Hause tragen musste, Hauptsache, dass er nach Kitzbühel kam. [...] Wenn Anderl verlor, sagte er: ‚Das nächste mal bin ich wieder an der Reihe!’ In diesem Winter war es tatsächlich so, dass Anderl und ich uns abwechselnd als Sieger ablösten. [...] Im ganzen gesehen, endete der Zweikampf in diesem Winter mit einem Unentschieden. Erst die Olympiade brachte eine Änderung.617“

Die Olympischen Spiele in Cortina d’Ampezzo brachten jedoch keinen anderen Sieger hervor. Wieder war Toni Sailer vom Glück gesegnet, als er auf der Strecke „Ilio Colli“ mit einer Laufzeit von 3:00,1 min seinen Landsmann und Freund Anderl Molterer um 6,2 Sekunden, den Leermoser Walter Schuster um 7, 1 Sekunden618 hinter sich ließ und damit (trotz der für den alpinen Skirennsport enormen Zeitunterschiede belegten die beiden die Ränge 2 und 3) die österreichischen Konkurrenz deklassierte. Sailer erinnert sich: „Da ist auch schon Anderl da. ‚Wir haben alle drei Medaillen, Tonei!’ ruft er, ‚aber dass du mich um mehr als sechs Sekunden putzt hast...’ [...] Ich kann es selbst kaum glauben. Als das Rennen vorüber war, hat es mir einer ausgerechnet. In den ersten sechs Sekunden nach meiner Zeit bin ich ganz allein auf der Rangliste, in den nächsten sechs Sekunden liegen neun Konkurrenten dicht beisammen. Ich bin ihnen eben davongefahren, wie die Leute sagen. Anderl tröstet sich mit dem Gedanken, dass beim nächsten Male er wieder an die Reihe kommen wird, wie es bei uns beiden üblich ist. Für Walter Schuster freue ich mich besonders. Er hat bisher oft Pech gehabt und infolge seiner schweren Verletzung fast drei Jahre lang nicht

616 Andreas Molterer ist Jahrgang 1931. 617 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 95f. 618 Alle Zeiten bei Olympischen Spielen entnehme ich aus: Kluge: „Olympische Winterspiele.“Berlin 1994. S. 146.

181 starten können. Jeder andere hätte an seiner Stelle das Rennen aufgegeben. Er aber blieb bei uns und siegte!“619 Anmerkend sei erwähnt, dass Toni Sailer bemerkt, wie Ernst Hinterseer die Startnummer 3, Anderl Molterer die 6, Walter Schuster 14 hatte und er selbst, als letzter österreichischer Läufer, die Nummer 18 - was bei den schlechten Schneeverhältnissen ein Nachteil gewesen wäre620.

Die Schilderungen vom Slalom in Cortina, bei dem Toni Sailer die zweite von seinen drei olympischen Goldmedaillen bei diesen Spielen erringen konnte, kann als Kritik an Molterers ungestümer Fahrweise gelesen werden: „Aber jetzt kommt Anderl. Mit Schwung saust er los. Wenn er so weitermacht — doch da bleibt er mit der Skispitze an der Torstange hängen, Pech!, stürzt und fliegt, wie es bei seinem Tempo nicht anders zu erwarten war, weit den Hang hinab.“621 Auch die „Königsdisziplin“, die Olympiaabfahrt auf der gefürchteten Tofana, brachte keine Wende. Sailer raste zum dritten Gold in Serie, Molterer wurde mit 4 Sekunden Rückstand622 Dritter. Sailer, der diesmal bereits vor Molterer gestartet war, lief auf seinen Freund im Zielraum zu. Später erinnert er sich: „Wir gratulierten uns gegenseitig, weil uns schon die allgemeine Unsitte des vorzeitigen Gratulierens erfasst hatte. ‚Einmal ich — einmal du, Anderl!’ wollte ich sagen. Aber beim Anderl war es nicht nötig, solche Worte zu machen. Sicherlich dachte er jetzt schon an das nächste große Rennen, vielleicht sogar schon an das Arlberg-Kandahar in Sestriere. Dort gab es nicht bloß Gold, sondern Diamanten zu holen...“623

Vergleicht man Sailers Aussagen von 1956 mit jenen von 2009, so ist ein Österreichbewusstsein zwar 1956 unübersehbar, doch 2009 wirken die Ausführungen stärker. Der junge Sailer sieht in seinen österreichischen Teamkollegen vor allem Freunde, mit denen er sich Trainer, oftmals auch Heimatstadt teilt. Über den Olympiaslalom 1956 in Cortina liest man: „Es können nicht jedes mal von vier Österreichern drei auf dem Siegespodest stehen. Dass aber von uns vieren schon beim ersten Durchgang drei ausfallen

619 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 124. 620 ebenda. S. 122. 621 ebenda. S. 128. 622 Kluge: „Olympische Winterspiele.“ Berlin 1994. S. 144. 623 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 145.

182 würden, war ein furchtbares Unglück. Für mich war die Lage genau entgegengesetzt wie beim Riesenslalom. Als ich über die Piste [...] fuhr, wusste ich, dass nichts mehr schief gehen konnte, weil alle drei Kameraden schon ganz vorne lagen. Da konnte ich es also hemmungslos ‚tuschen’ lassen. Daß ich dabei sechs Sekunden Vorsprung herausfahren konnte, hatte ich Anderl und Walter zu verdanken, die bereits den ersten und zweiten Platz in der Hand hatten. Dieses Mal aber hing alles von mir allein ab. Ein ungutes Gefühl für einen Läufer, der an den Start geht.“624

Patriotismus kommt einzig bei der Erinnerung an die Siegerehrung nach dem Dreifachsieg im Riesentorlauf von Cortina auf: „Es ist sehr schön und ergreifend, wie unsere Hymne erklingt und die rot-weiß-rote Fahne am Maste emporsteigt.“625

Sigi Bergmann hingegen zitiert im Jahr 2009 Toni Sailer, der sich an seinen ersten internationalen Start erinnert: „Erstmals hatte ich das prickelnde Gefühl, in der Fremde für Österreich zu kämpfen [...].“626 Eine gewisse historische Reflexion wird erkennbar, wenn Sailer im Anschluss daran über seinen Erfolg in Frankreich meint: „Alle kannten mich plötzlich und lobten den unbekannten David aus Österreich, der den französischen Goliath zum zittern gebracht hatte.627 Diese Frankreich-Reise war für uns Österreicher zu einem beispiellosen Triumph geworden, obwohl die Franzosen damals nicht gerade deutsch- bzw. österreichfreundlich waren.“628

Johann Skocek zitiert einen zwiespältigen Sailer: „Für Österreich? Ich würde sagen, ja und nein. Es hat mir ungeheuer imponiert, bevor ich in Cortina zum Einsatz gekommen bin, wie die Mädchen da gestanden sind und die Hymnen sind gespielt worden. Am nächsten Tag bin ich oben gestanden. Ungeheure Gedanken gehen einem durch den Kopf. Wer hat schon das Glück, dass sie einem die Hymne spielen? Das ist schon ein ungeheures Gefühl. Man ist eine

624 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 137. 625 ebenda. S. 124. 626 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 70. 627 ebenda. 628 ebenda. S. 74.

183 Mannschaft, ein Einzelgänger, jeder, und doch eine Mannschaft. Das gibt die Kraft für das Volk.“629

Einen besonderen Umgang mit Nicht-Österrreichern liest man bei Toni Sailers Ausführungen nicht. Dem zielstrebigen Kitzbüheler Skitalent waren alle Skifahrer, ob Österreicher oder nicht, gleich viel Konkurrenz und ein Saalfeldener zum Beispiel, erweist sich beinahe als ebenso exotisch wie ein US-amerikanischer oder gar japanischer Skifahrer. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die bereits oben erwähnte Freundschaft mit dem Norweger Stein Eriksen, den Sailer immer wieder als Vorbild angibt; Aussagen über Adrien Duvillard, den er als seinen „französischen Freund aus Megève“630 bezeichnet, oder andere – für Sailer – „ausländische“ Athleten lassen keine Vermutung zu, dass die Meinung bestand, dass Österreicher die besseren Skifahrer wären; eine nationenbezogene Arroganz oder gedachte Privilegiertheit liegt nicht vor. So schreibt Sailer über das russische Team, das ihn mit Kameratechnik bei seinen Fahrten beobachtete: „So sehr ich mich freuen würde, wenn die Russen in den alpinen Wettkämpfen ebenso wie in anderen Sportarten erstklassige Leute an den Start brächten, so wenig verspreche ich mir von einem bloßen ‚Filmtraining’.“631

Selbst dem Japaner Chiharu Igaya632, der hinter Toni Sailer im Olympiaslalom 1956 von Cortina d’Ampezzo Zweiter wurde, wird zwar eine exotische Herkunft versichert, jedoch kein Vorurteil entgegengebracht, auch wenn sich Sailer an den ersten Durchgang des Slaloms von 1956 erinnert und schreibt: „Nicht nur beide Schneider, Othmar und Georges633, selbst der Japaner Igaya war besser gefahren als ich.“634 Sailer spricht Igaya eine Technik zu, die einer Katze ähnelt, die um die Stangen herumschleicht635; dabei merkt er wohlwollend an:

629 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 177. 630 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 123. 631 ebenda. S. 106. 632 Chiharu Igaya, geboren 1931 auf Kunashir, Hokkaido, heute Russland, bestätigte seine Leistung zwei Jahre später bei der Alpinen Ski-WM in Bad Gastein mit Bronze im Slalom. Heute ist Igaya ein Vizepräsident des Internationalen Olympischen Comités. Siehe FIS_Statistik online unter http://www.fis- ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=26580&type=result (Stand: 17.2.2011.) und Website des IOC unter http://www.olympic.org/mr-chiharu-igaya (Stand: 17.2.2011.) 633 , geboren 1925 in La Chaux-de-Fonds, Schweiz, gestorben 1963 in Stans, wurde 1950 in Aspen, Colorado Slalom-Weltmeister. FIS-Statistik online unter http://www.fis- ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=54734&type=result (Stand: 17.2.2011.) 634 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956.. S. 110. 635 ebenda. S. 139.

184 „Draußen startete Igaya. Mit einem Mut warf er sich in die Tiefe, als käme er nicht aus dem Fernen Osten, sondern mitten aus unseren Bergen.“636

Die US-Amerikaner werden durchwegs als Draufgänger bezeichnet. Dabei ist eine gewisse Arroganz gegenüber den technisch nicht perfekt ausgebildeten Fahrern ersichtlich. Über die Überraschungsfahrt des aus Colorado stammenden Wallace Werners637 beim Kitzbüheler Hahnenkammrennen 1956, der Generalprobe zur Olympiaabfahrt von Cortina, zollte er großen Respekt638.

Dabei sei allerdings anzumerken, dass Sailer sehr wohl um die Vormachtstellung Österreichs im alpinen Skirennlauf wusste; weil das gesamte Team beim Olympiaslalom unprofessionell die Startnummern im Hotel vergessen hatte, kommentiert Sailer: „Dies also waren die so gefürchteten Österreicher, von denen man annahm, sie würden Tag und Nacht nur an den Sieg denken. Jetzt hatten sie sogar ihre Startnummern vergessen. Das war noch niemandem auf einer Olympiade passiert. Ja, wenn das Pakistan oder Peru geschehen wäre!“639

Sailer über Sailer: die „Heldentaten“ von Cortina d’Ampezzo 1956.

Die Erinnerungen Toni Sailers an „seine“ Olympischen Winterspiele 1956 lesen sich wie die Memoiren eines Helden; wie Berichte von Heldentaten, bei denen am Ende der junge Tonei aus Kitzbühel – wieder einmal gegen alle Widrigkeiten des Universums – jedes einzelne alpine Rennen gewinnt, dafür mit dreimal Olympia- und viermal WM-Gold640 ausgezeichnet wurde. so schreibt er über den Riesentoraluf am „Ilio Colli“: „Fünfundneunzig Läufer aus zwanzig Nationen stellten sich auf der Piste Ilio Colli zum Kampfe. Der Ampezzaner Alverà hatte über sechzig Tore ausgesteckt. Das war

636 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 142. 637 Wallace - genannt „Buddy“ - Werner, geboren 1936 in Steamboat Springs, Colorado, 1964 in den Schweizer Alpen bei einem Filmdreh verunglückt, war 1956, 1960 und 1964 im Olympiateam der USA. Er war der erste US- amerikanische Sieger der Hahnenkammabfahrt 1959. Nach seinem Tod wurden Spendengelder zur Finanzierung einer öffentlichen Bibliothek in Steamboat Springs verwendet. FIS-Statistik unter http://www.fis- ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=65836&type=result bzw. Homepage der „Bud Werner Memorial Library unter http://www.steamboatlibrary.org/geninfobudwerner.html (stand: 17.2.2011.) 638 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 111. 639 ebenda. S. 128. 640 Die Olympischen Bewerbe zählten damals auch als alpine Weltmeisterschaften. Sailer bekam zu seinen drei Titeln in Riesentorlauf, Slalom und Abfahrt auch noch den Weltmeistertitel im nicht-olympischen Kombinationslauf zugesprochen, bei dem die Zeiten aus Slalom und Abfahrtslauf addiert werden.

185 etwas viel. Überhaupt war die Strecke meiner Ansicht nach für einen Riesenslalom zu lang. […] Wer jemals die körperliche und geistige Anspannung eines Riesenslaloms mitgemacht hat, weiß, was dieses Zuviel bedeutet. [..] Die Strecke war sehr rasch und unwahrscheinlich hügelig. Dabei steckte sie von oben bis unten voller Tücken.“641

Dazu kam der verletzte Stolz des jungen Toni Sailers, den man zwar als großen Favoriten in der Abfahrt, nicht aber in Riesentorlauf oder Slalom ansah: „Weder Kollegen noch Fachjournalisten wie der Reporter des Wiener ‚Kurier’ Heribert Meisel glaubten an meinen Riesentorlaufsieg und schwafelten nur von der Abfahrt [...]! Hatten sie denn vergessen, dass ich im letzten Jahr alle Riesentorläufe bis auf einen gewonnen hatte?“642

Auch der Slalom, bei dem Sailer als einziger Österreicher das Ziel sehen sollte, steckte voller Tücken und wird als „2. schwere Heldenprüfung“ innerhalb des Cortina- Komplexes bewertet. Dabei sei erwähnt, dass es Sailer einzig dem österreichischen Bob-Team verdankte, überhaupt an den Start gekommen zu sein: sie hatten dem Kitzbühler ein Auto organisiert, nachdem das restliche Team ohne ihn früh morgens die Unterkunft in Richtung Slalomhang verließ; Sailer hatte schlichtweg „verschlafen“643. Zum verhängnisvollen Hang selbst meinte er: „Dass bei diesem schwierigen Slalom viele ausfallen werden, hatte ich erwartet. Es mußte jeder das Äußerste wagen, um seinen Platz behaupten zu können. Die Versuchung, über das eigene Können zu fahren, war sehr groß.“644 „Dazu kam, um das Übel voll zu machen, der Nebel. Man startete in eine graue, undurchsichtige Wand hinein und musste froh sein, wenn man die Tore fand, die man durchfahren sollte.“645

Zu allem Schicksalhaften kommt eine Vorwarnung von Betreuer Ernst Spieß646, der ihm vor dem Start zuflüsterte: „Fahr nicht zu schnell, Tonei. Es ist sehr eisig. Es hat schon viele hinausgehaut."

641 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 121f. 642 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 95f. 643 siehe ebenda. S. 103. 644 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 137 645 ebenda. S. 127. 646 Ernst Spieß, geboren am 16.1.1927 war Trainer diverser National- und Olympiamannschaften, zudem Rennleiter der Abfahrtsläufe bei den Olympischen Spielen in Innsbruck 1964 und 1976. Siehe auf der Homepage des Familienbetriebes Spieß unter http://www.spiess.at/de/rennerfolge.html (Stand: 22.2.2011.)

186 Doch der naive Held Toni Sailer, noch keine 20 Jahre alt, kennt keine Angst und erinnert sich: „’Beim Eis muss man es tuschen lassen’, gab ich ihm zur Antwort. Dann ließ ich es ‚tuschen’.“647

Besonders die Abfahrt von der Tofana in Cortina d’Ampezzo erweist sich in der Autobiographie Toni Sailers als enorm schwierige Prüfung. Sailers Herakles-ähnliche Taten kulminieren in der Olympiaabfahrt von 1956. Nachdem er den „Todeshang“ „Ilio Colli“ als Sieger im Riesentorlauf abgefahren war, trotz hoher Startnummer und immens langer Laufzeit; dazu den Sieg über Nebel und tückische Torsetzung auf dem Col Drusce, dem Slalomhang in Cortina d’Ampezzo, der für viele im Tiefschnee endete, erzwang, war die Tofana – oder „Stratofana“, wie sie Toni Sailer in seinen Ausführungen nennt – die endgültige Bewährungsproben für den kommenden Helden einer ganzen Nation. Sailer erinnert sich, dass er „so eisig und gefährlich wie dieses Mal“648 die Tofana-Abfahrt noch niemals gesehen hatte. Hinzu kamen Sturmböen der Stärke 8 auf der Beaufortskala und Temperaturen von -28°C649. Sailer schreibt: „Wenn ich alles einkalkulierte, was in diesem Tage in der „Stratofana" steckte, musste es Massenstürze geben.“650 Das Ziel sollten an jenem Tag tatsächlich nur 17 von insgesamt 90 gemeldeten Läufern sehen. Die Erzählung vom Olympiagold kennt bei Toni Sailer auch als einzige Ansätze von Aberglauben, er gibt sich beinahe Deterministisch, wenn er schreibt: „Mir spukte dabei [im Vorfeld zum Rennen, Anm.] die verhängnisvolle Zahlenreihe ‚eins-zwei-drei’ durch den Kopf. Nachdem mich die ‚Stratofana’ schon als Ersten und Dritten gesehen hatte, war für mich jetzt der Zweite fällig. Auf diese Weise konnte Anderl morgen zu seinem ‚Gold’ kommen651. Die Startnummern wurden ausgelost. Josl Rieder erhielt die Nummer 2, Walter Schuster 8, ich 14 und Anderl 20. Nachdem bisher immer jener Österreicher, der die

647 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 139. 648 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 139. 649 nach Müllner, Rudolf: „Tonai, wir beten für dich! Anton Sailer als Sportheld des österreichischen Wirtschaftswunders.“ in: Wiener Zeitung Online vom 2.2.2001. Online abrufbar unter http://www.wienerzeitung.at/Desktopdefault.aspx?tabID=3946&alias=wzo&lexikon=Sport&letter=S&cob=5669 (Stand: 22.2.2011.) 650 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 141. 651 Aus dieser Stelle könnte man herauslesen, dass Andreas Molterer der Meinung Toni Sailers nach auf transzendente Kräfte angewiesen wäre um zu gewinnen; gleiches gilt für die folgende Diskussion der Startnummern.

187 höchste Startnummer besaß, gesiegt hatte, sprach auch diese Auslosung für einen Sieg meines Freundes Anderl.“652 Und tatsächlich schienen sich alle Kräfte gegen den bislang zweifachen Olympiasieger verschworen zu haben. Zunächst hatte er gravierende Probleme mit seinen Skiern: nachdem Sailer die Siege in Riesentorlauf und Slalom jeweils auf Kästle errang, war er davon überzeugt auf der schwierigen und eisigen Tofana nur auf Kneissl bestehen zu können. Beim Training aber sprang dem Kitzbühler derartig oft der Ski, dass seine Bretter beinahe wie zusammengeflickt funktionierten. Für Sailer stellten die fünffach geklebten Skier aber keinen Nachteil dar: „Fünffach geklebt und trotzdem Gold!“653, erinnert er sich 2009.

Doch davor stellte sich ein neues Problem ein: „Ich nahm die Skier und zog den Langriemen, mit dem der Schuh an den Ski gebunden wird, fest. Malheur! Der Riemen riss ab. […] Hansl Senger654, der Trainer der italienischen Mannschaft, [...] kam bei mir vorbei und sah die Bescherung. [...] Da zog Senger kurz entschlossen von seiner Bindung den Langriemen heraus und reichte ihn mir her. Ich zog ihn ein. […] Da sah ich, dass der zweite Riemen, den mir Senger geliehen hatte, an der Naht aufgegangen war.“655 Dann beginnt die Schilderung der eigentlichen Heldentat, der Fahrt über die Olympiaabfahrt „Stratofana“, die sich wie der Bericht einer erfolgreichen Schlacht liest: „Wie eine Maus, die ihren Kopf aus dem Loch hinaussteckt, steckte ich den Kopf in den Sturm und fuhr los. Der Wind kam von allen Seiten angesprungen, einmal von vorn, einmal von hinten. Ich wusste niemals, wie ich bei diesem Sturm daran war und war schon zufrieden, wenn ich nicht durch eine Böe aus der Spur gehoben wurde. Es war gefährlich, zu tief in der Hocke zu fahren, weil man dadurch an Bewegungsfreiheit verlor und nicht mehr imstande war, plötzlich auftauchende Schwierigkeiten auszugleichen. Freilich war es bei diesem Sturm auch nicht ratsam, zu hoch, zu fahren. Man musste eben sehen, wie man durchkam.

652 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 140. 653 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 112. 654 Hans Senger, geb. 1925 in Bad Gastein, gest. 2004 Heiligenblutfuhr 1946/47 erste größere Rennen; ab 1948 Nationalteam. Unter Fred Rößner Weltklassefahrer. Wurde nach seiner Karriere Trainer der italienischen Nationalmannschaft, Mitte der 1960er der ÖSV-Herren. Nach: ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 414. 655 ebenda. S. 142f.

188 Ich fuhr den gefürchteten Steilhang hinab, der mit einer Neigung von fünfundsechzig Grad unmittelbar nach dem Start einsetzt und zwischen zwei mächtigen Felsklötzen hindurchführt [...]. Alles ging gut. Ich hatte ein gewaltiges Tempo auf den Brettern. Jetzt kam jene Stelle, die ich mehreren Landsleuten als den günstigsten Übersichtsplatz der ganzen Strecke empfohlen hatte. „Wenn ihr euch dort aufstellt", hatte ich gesagt, „könnt ihr die ganze Anfahrt sehen. Außerdem wird es dort die meisten Stürze geben und Kleinholz l" Da standen sie schon, die guten Landsleute, genau an der Stelle, die ich ihnen angegeben hatte. In diesem Augenblicke aber wäre ich beinahe selbst gestürzt. Das hätte bei diesem Höllentempo eigenes Kleinholz gegeben. Man soll nie etwas verschreien. Ich wusste, dass weiter unten noch ein vereister Weg quer über die Piste führte. Dieser Weg mit seiner scharfen Kante bedeutete noch eine besondere Gefahr. Zum Glück hatte ich meine Bretter so sicher in der Gewalt, dass ich das Tempo etwas mäßigen konnte. Außerdem war es notwendig, Kraft zu sparen, um das Wellblech- gelände im Auslauf gut durchstehen zu können. Ich bremste also etwas ab und nahm den nächsten Teil der Strecke mit weniger Tempo. Ich war mir durchaus bewusst, dass ich damit etwas Zeit verlor. Aber dafür blieb mir für die weitere Abfahrt etwas mehr Kraft. Wahrscheinlich wäre ich ohne dieses Abbremsen noch näher an meinen Streckenrekord herangekommen. Aber ebenso wäre es möglich gewesen, dass ich im Walde gelandet wäre, wie so viele vor mir. So kam ich gut über den Weg, schwang das Wellblech aus und fuhr auf das „Arrivo" los. [...] Meine Zeit, 2:52,2, betrug genau um sechs Sekunden mehr als mein Streckenrekord vom Jahre 1955. Aber immerhin hatte ich die bisher beste Zeit herausgefahren. Hanspeter Lanig656 lag mehr als vier Sekunden hinter mir.“657

Im Ziel, als dreifacher Olympiasieger und vierfacher Weltmeister gekrönt, gilt die Aufmerksamkeit dann sofort der Familie und aus dem heldenhaften Bezwinger der schwierigsten Hänge der Dolomiten wird wieder der Tonei aus Kitzbühel, der bei aller

656 Hanspeter Lanig, geboren 1935 im deutschen Hindelang, wurde bei der Olympiaabfahrt in Cortina 5., vier Jahre später in Squaw Valley gewann er Silber in der gleichen Disziplin. Siehe Statistik auf der FIS-Homepage online einsehbar unter http://www.fis-ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=33864&type=result (Stand: 22.2.2011.) 657 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 143-145.

189 Freude über den Sieg in der Königsdisziplin auch die ausgeborgten Langriemen nicht vergisst: „Mein Schwager Brandner kam dahergesprungen und schnallte mir die Skier los. Ich sagte: ‚Die Langriemen muss ich dem Senger Hansl zurückgeben.’ Meine Schwester Rosl schlüpfte durch die Absperrung und stürzte voll Freude auf mich zu. [...] Jetzt kam auch der Vater, der sich an einer besonders kritischen Stelle der Abfahrt postiert hatte, den Hang herabgesprungen. Die Mutter wurde leider auf der Tribüne festgehalten und durfte nicht zu mir kommen.“658

An diesem Punkt endet die Autobiographie Toni Sailers aus dem Jahr 1956. In den letzten Zeilen nimmt er sich noch einmal zurück, gibt sich als Familienmensch und bodenständiger Kitzbüheler: „Über das, was nach diesem Siege, mit dem ich bei dieser Winterolympiade insgesamt drei Goldmedaillen und vier Weltmeistertitel errungen hatte, geschehen ist, wurde viel geredet und geschrieben, Wahres und Unwahres. Etwas aber hat niemand gesehen und niemand geschrieben. Deshalb möchte ich mit diesem Erlebnis mein Buch abschließen. Als ich nach der letzten Siegerehrung endlich mit meinen Eltern zu einem kleinen Sailerischen Familienfest versammelt war und die drei goldenen Olympiamedaillen in der Hand hatte, hielt ich die erste Ansprache meines Lebens. ‚Gut, dass es drei Medaillen sind’, sagte ich. ‚Eine für dich, Vater, eine für dich, Mutter. Dann bleibt immer noch die dritte für mich übrig.’“659

Erst später wird Sailer zugeben, dass seine Aufmerksamkeit nach dem Abfahrtgold auch seiner damaligen Freundin Françine galt. Dem Jubelsturm im Zielraum der Tofana entkam der 20jährige per Autostopp, er hatte sich unter parkenden Autos zur Straße durchgekämpft660.

Sailer über Sailer: die „Abdankung“.

Toni Sailer pflegte immer selbst darauf zu verweisen, sein eigentliches Ziel, nämlich eine Olympische Goldmedaille zu erringen, nach Cortina 1956 bereits erreicht zu

658 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 145. 659 ebenda. S. 146. 660 siehe Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 120f.

190 haben und deshalb bereit gewesen wäre, schon als 20jähriger vom aktiven Skirennsport zurückzutreten. Doch Spekulationen darüber, ob sein totaler Triumph bei den Olympischen Winterspielen in Cortina d’Ampezzo 1956 „nur Glück“ gewesen wären; verstärkend wirkte der Umstand, dass Sailer bei der Generalprobe der Alpinen Skiweltmeisterschaften in Bad Gastein im Abfahrtslauf 1957 nur Dritter hinter Hias Leitner und Anderl Molterer geworden war661; zwangen den ehrgeizigen Tiroler zum Durchhalten. In Wahrheit aber waren es Sailer-Festspiele, die in Bad Gastein 1958 abgehalten wurden und dem Superstar der österreichischen Ski-Szene blieb nichts anderes übrig, als bei seiner „Heim-WM“ an den Start zu gehen. Der Star von Cortina, mittlerweile auch im Film „Ein Stück vom Himmel“662 zu sehen, wirkte als förmlicher Publikumsmagnet: die offiziellen Angaben über die Besucherzahlen belaufen sich auf 30.000 bis 40.000 bei Riesentorlauf und Slalom, sogar 60.000 bei der Abfahrt663. Daneben erwähnt Sigi Bergmann auch einige Zwischenrufe: das Engagement beim Film war teils negativ aufgenommen worden; darüber hinaus waren Stimmen zu hören, die Toni Sailer als arrogant bezeichneten und das nächtliche Vergnügen des Sportlers vor dessen Trainingsleistung stellten. Sailer meinte dazu zu Johann Skocek: „Andere Leute trinken auch gern, aber denen schaut kein Mensch zu. Und wenn einer aus der Gruppe, in der ich war, zuviel getrunken hat, wars immer der Sailer. Weil die anderen hat kaner kennt. (Lacht) Dass der nur Mineralwasser trunken hat, oder verdünnt, hat keiner mitkriegt. Das ist bei vielen Dingen so. Wenn ich mit dem Auto einen überhol, dann wird das gleich mit dem Namen genannt. Vielleicht bin ich nur neben g'sessen, aber den Fahrer kennt keiner, da heißts, der Sailer ist schon wieder gerast."664

Seit seiner Demonstration in Cortina d’Ampezzo war Toni Sailer nicht nur zum Nationalhelden, sondern auch zum Frauenschwarm aufgestiegen. Der Hype um seine Person erreichte ungeahnte Dimensionen, als Busse eingesetzt wurden – vorwiegend mit Damen befüllt – um Fans nach Kitzbühel zu karren und den

661 Werthan: „Weiße Pisten.“ Reichling 1976. S. 76. 662 „Ein Stück vom Himmel“, unter der Regie von Rudolf Jugert, erschien 1957 im deutschsprachigen Raum. Sailer spielte darin u.a. neben Ingrid Andree, Georg Thomalla, Margit Saad und Horst Buchholz. Eine Szene, bei der Toni Sailer Wasserski fährt, rief die FIS auf den Plan, Sailers Amateurstatus zu überdenken. Letzten Endes war der Bestand Wasserski zu fahren allerdings kein Verstoß gegen den Amateurparagraphen. Der Film gilt als leichte Unterhaltung, „wirklichkeitsfremd, aber vorwiegend sympathisch“. siehe Brühne: „Lexikon des internationalen Films.“ Reinbeck bei Hamburg 1990. S. 3635. 663 Wochenschau „Alpine Skiweltmeisterschaften Bad Gastein 1958“ vom Februar 1958. 664 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 181.

191 „Schwarzen Blitz“ in seiner natürlichen Umgebung zu bestaunen. Sailer, der angibt diesen Rummel nicht erwartet zu haben, erinnert sich: „Im Mai 1956, nach den olympischen Spielen, hob I wieder in der Spenglerei gearbeitet. Das ging nicht lang gut. Wenn mich die Leut' entdeckt haben, wars Feierabend. De san hinter mir herg'saust wie hintern Eulenspiegel. Auch nach '58 musst' I spätestens um halb sieben aus dem Haus sein und konnte nie vor zwölf Zuhause sein. I hab mi versteckt, bin bei Freunden g'sessen, war praktisch weg. I hab nicht leben können in Kitzbühel, bin dann weggezogen.“665 Bei Sigi Bergmann liest man darüber hinaus von einem Zwischenfall, bei dem rund einen Monat vor Beginn der WM in Bad Gastein „begeisterte weibliche Fans in hochhackigen Schuhen sein geliehenes Mercedes Cabrio lädiert hatten“666.

Was aus sportlicher Sicht in Bad Gastein geschah, interpretierte Sailer immer wieder als Krise. Sigi Bergmann spricht von einer „Übertrainiertheit“667, die dem Titelverteidiger im Slalom, gerade im ersten Bewerb des Großereignisses – dem ersten vor heimischen Publikum – die Goldmedaille kostete. Josl Rieder gilt seither als einziger „echter“ Bezwinger von Toni Sailer, dem in diesem Bewerb „nur“ die Silbermedaille blieb. Ein weiterer Beweis für die Verbissenheit, die Sailer an den Tag legte, stellt die Wortwahl „schwarzes Schaf“ als Bezeichnung für seine Silbermedaille von diesem Slalom in Bad Gastein 1958 dar. Johann Skocek zitiert: „Das war die Weltmeisterschaft 1958, da hat sich das schwarze Schaf, die Silbermedaille eing'schlichen. Ich hab ein bißchen zu viel trainiert, der Tausendfüßler hat nimmer g'wußt, welchen Fuß er einsetzen soll. Eine ganze Woche bin ich nicht mehr Ski gefahren, ich konnte nicht mehr.“668

Wahrscheinlich nagte an dem ruhigen Kitzbühler auch der große Druck. Seine Symptome könnten heute vielleicht mit der Modekrankheit „Burn-Out“ verglichen werden, die Enttäuschung über einen zweiten Platz bei einer Weltmeisterschaft zeugt aber viel mehr von krankhaftem Ehrgeiz. Die Schilderung einer ernsthaften Trainingsstörung wird dabei zur Generalentschuldigung; daneben zur Machtdemonstration trotz allen Widrigkeiten eine Medaille zu erreichen. Besonders im Skisport lassen sich diese Strategien immer wieder beobachten: ein Beispiel der

665 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 173f. 666 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 138. 667 ebenda. S. 142. 668 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 179.

192 jüngeren Geschichte ist die kroatische Läuferin Janica Kostelic669, die oftmals schmerzverzerrt, humpelnd und weinend den Zielauslauf als Siegerin verließ.

An die Stunden nach dem Slalom von Bad Gastein erinnert sich Sailer mit Sigi Bergmann: „Ich konnte mich vor dem Slalom nicht frei bewegen, die Leute hätten mich vor Begeisterung fast zerrissen. Nach dem Torlauf machte keiner ein Foto von mir, kein Journalist wollte mich interviewen, und die Leute, die mir vorher am liebsten die Skischuhe abgeschleckt hätten, wandten sich von mir ab. So wie sich vor Moses das Meer geteilt hatte, so wichen die Leute links und rechts vor mir zur Seite. Ich war nur Zweiter geworden, um vier Zehntelsekunden, ich hatte verloren. Aber es war keine Niederlage. Verlieren ist etwas anderes als eine Niederlage! [...] Nach dieser silbernen Schande taten alle so, als hätte ich die Pest. Wenn ich einen berührt hätte, der hätte sich wahrscheinlich bekreuzigt. Da wusste ich, ich hatte bei dieser Weltmeisterschaft und in meinem Skifahrerleben noch zwei Rennen, und die musste ich gewinnen.“670

Und wieder erfüllte sich die Prophezeiung in biblischer Manier. Am 5. Februar 1958 gewann Sailer den Riesentorlauf mit einem Vorsprung von 3,8 Sekunden vor Josl Rieder. Die Tradition der schweren Prüfungen und Widrigkeiten – ja fast magischen Kräften, die gegen den „Tonei“ einwirkten – setzt sich hier fort: die Piste war weich; dazu kam der Umstand, dass sich der Titelverteidiger noch in der Nacht vor dem Rennen mit Schüttelfrostanfällen und Fieberstöße herumschlagen musste671. Als Sailer dann noch mit neuem Streckenrekord die Abfahrt gewinnen konnte kannte der Jubel keine Grenzen. Die 60.000 Fans im Zielgelände feierten dem abermals erfolgreichen „Schwarzen Blitz“, der mit seinem zweiten Platz im Slalom und dem Sieg in der Abfahrt auch Gold in der Kombination an sich riss.

Für Sailer bedeutete dies den erfolgreichen Schlusspunkt hinter einer außergewöhnlichen Sportlerkarriere. Zu Skocek meinte er:

669 Janica Kostelic, geboren 1982 in Zagreb, gewann 3 Mal den Gesamtweltcup, war fünffache Weltmeisterin und vierfache Olympiasiegerin (Riesentorlauf, Slalom und Kombination in Salt Lake City 2002 sowie Kombination in Turin 2006). Siehe Statistik auf der FIS-Homepage unter http://www.fis- ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=32044&type=result. (Stand: 3.3.2011.) 670 Bergmann: „Sonntagskind.“ Wien 2009. S. 143ff. 671 siehe ebenda. S. 146.

193 „Ich wollte nie länger fahren, ich hatte alles erreicht. Es war abgeschlossen, für mich war der Beruf wichtig. G'winnst halt no a Rennen und no a Rennen. Ich hatte gar nicht mehr den Wunsch, noch zu gewinnen. Wennst den Wunsch nimmer hast, musst es lassen.“672

Es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass dem jungen Toni Sailer, der bei seinem Rücktritt erst 23 Jahre alt war (Hermann Maier hatte mit diesem Alter noch kein Weltcuprennen bestritten), einerseits der Trubel um seine Person zu viel wurde und andererseits der Kampf mit der FIS zuletzt ein Weitermachen ausschloss. Schon während der WM in Bad Gastein war bekannt, dass Sailer einen zweiten Film „Der Schwarze Blitz“ drehen wird, in dem er auch beim Skifahren zu sehen sein wird. Daneben machte Sailer Werbung für Skihosen. Sailer erinnert sich: „Für mich war das immer schon verlogen: Man sagt, wir sind Amateure. Ich hab gesagt, nein, ich geh' der Sache nach. Ich möchte wissen, wie die Definition ist. Wieso a Bauernbua an Anzug hat nachher. Wieso er a Fahrradl hat und ka Geld verdient? Wieso er a Motorradl hat? Diese Fragen hab ich der FIS gestellt. Denn die haben gesagt: ,Den Fall Sailer müss' ma prüfen'. Auch wenn ich unter an andern Namen auftrete, die Leut' werden mich immer erkennen auf der Leinwand, der Max Hofer ist der Toni Sailer."673 Toni Sailer gilt als Vorkämpfer gegen den umstrittenen Amateurparagraphen der FIS, der in den folgenden Jahren gelockert wurde.

Sailer über Sailer: Fazit.

Toni Sailers zweite Karriere beim Film liest sich wie eine logische Fortsetzung der Biographie des neuen österreichischen Superstars; bis 1964 (dem Ende meines Beobachtungszeitraumes) spielt er in 11 Spielfilmen, darunter die Gassenhauer „Der schwarze Blitz“ (1958)674, „Ein Stück vom Himmel“ (1957)675 oder „Zwölf Mädchen und ein Mann“ (1959)676 bis hin zu exotisch anmutenden Filmen wie „Samson und der Schatz der Inkas“ (italienischer Film, 1964)677. Der Film „Zwölf Mädchen und ein Mann“ – der erste österreichische (nicht deutsche) Spielfilm, in dem die Hauptrolle

672 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 178. 673 Skocek: „Sportgrößen.“ Wien 1994. S. 178. 674 „Der schwarze Blitz.“ Film. Regie: Hans Grimm. BRD 1958. 675 „Ein Stück vom Himmel.“ Film. Regie: Rudolf Jugert. BRD 1957. 676 „Zwölf Mädchen und ein Mann.“ Film. Regie: Hans Quest. Österreich 1959. 677 „Sansone e il tesoro degli Incas.“ Film. Italien 1964.

194 mit Toni Sailer besetzt wurde – soll hier Beispielhaft für die Verselbstständigung der in den 1950er gängigen Klischees des Ski-Idols Sailer erwähnt werden. Wie es für die Touristenfilme dieser Zeit üblich war, wurde die Schönheit der österreichischen Landschaft mit „künstlerisch und materiell wenig aufwendigen Lustspielen678“ bespielt; mit der Tradition der Skifilme wurde gebrochen, da sich anstatt des sportlichen Könnens eine leicht verdauliche Liebes- und Verwechslungsgeschichte in den Vordergrund drängte. Toni Sailer zählte zu dieser Zeit selbst schon zum touristischen Inventar der Zweiten Republik, war er doch Idol der ganzen Nation und Weltstar (zumindest was den deutschsprachigen Raum und Japan angeht) zugleich, was ihn und seine beschneiten Hänge unwillkürlich zum Touristenmagneten machten. Die Geschichte des Filmes ist schnell erzählt: Toni Sailer (als Florian) quartiert in seiner Funktion als Leiter der Gendarmerie-Skischule in einer Skihütte, um einem mysteriösen Lebensmitteldiebstahl auf die Spur zu kommen. Wie es der Zufall so will, beheimatet dieselbe Hütte auch den zwölfköpfigen deutschen Damenskiklub „Schneestern“, der aus durchwegs hübschen Mädchen besteht. Bei diesen geographischen (dieselbe Hütte) wie thematischen Interessensüberschneidungen (das Skifahren) muss es so kommen, dass elf der zwölf deutschen Mädchen dem Charme des österreichischen Skihelden erliegen – er jedoch, in einer Mischung aus heldenhafter Tugend und hinterweltlerischer Naivität, macht sich wie ein Ritter auf Schnee auf, um das zwölfte, an ihm eigentlich nicht interessierte Mädchen (gespielt von Margit Nünke) zu erobern. Dem schnellen Kitzbüheler Schwung sei Dank, schafft es Toni (Florian) tatsächlich mit einer halsbrecherischen Skifahrt sowohl den Dieb zu stellen als auch das Herz von Margit Nünke (Eva) zu erobern. Was heute unfreiwillig albern klingt, thematisierte in den 1950er und auch 1960er Jahren noch das idealisierte Bild der Frau und derer Einstellung zur Hochzeit. Der Kampf um einen Mann war im vom Frauenüberschuss bedrohten ehemaligen „Großdeutschland“ kein Ausnahmefall, wobei die Hochzeit das höchste Ideal einer jungen Frau war; auch ist es kein Zufall, dass die zurückhaltende Eva letzten Endes den feschen Tiroler als Mann bekommt: sie hat die Regeln des Spiels verstanden und mit ihrer (gespielt) spröden Art ihre wenig zurückhaltenden Nebenbuhlerinnen leer ausgehen lassen.679

678 Steiner: „Die Heimat-Macher.“ Wien 1987. S. 201. 679 Steiner: „Die Heimat-Macher.“ Wien 1987. S. 202f.

195 Es ist der stereotype Österreicher, der in diesem wie allen seinen Filmen von Toni Sailer gespielt wird. Der Naturbursche, der sich verschwiegen und immer etwas zurückhaltend, sich auf sein (Ski-)Können verlassend, im Kampf um das Herz einer (deutschen) Frau durchsetzen kann. Nicht zuletzt dann, wenn diese (deutsche) Frau bereits einem wohlhabenden (preußischen) Mann versprochen ist. So ist es beim deutschen Spielfilm „Ein Stück vom Himmel“, indem Toni Sailer seine Wasserskikünste vorführt; beim ebenfalls deutschen Spielfilm „Der schwarze Blitz“, in dem er sich gegen die Preußin, aber für das Mädchen aus dem Dorf entscheidet, darüber hinaus den arroganten deutschen Skifahrer trotz aller Widrigkeiten in einem wichtigen Skirennen besiegt; so ist es auch in „Tausend Sterne leuchten“680, wenn sich die Verlobte des bösen Regisseurs in den jungen Mechaniker verliebt.

Die Filmkarriere schließt zwar logisch an die Skikarriere des Toni Sailer an (auch Dagmar Rom ging diesen Weg), die Inhalte der Filme, vor allem die Figuren, die Sailer in diesen Filmen spielt, sind aber sich selbst reproduzierte Stereotypen, wenn nicht Karikaturen, des dreifachen Olympiasiegers.

Die „Austria Wochenschau“ berichtet nach den Skiweltmeisterschaften 1958 in Bad Gastein über Toni Sailer: „Er ist die überragende Skiläuferpersönlichkeit der letzten Jahre. Die Begeisterung der Massen kennt keine Grenzen: 7-facher Weltmeister und 3-facher Olympiasieger, das macht 10 Goldmedaillen innerhalb einer Frist von zwei Jahren. Nicht nur die FIS ist stolz auf diesen Sportsmann.“681 Der Hype um den jungen Tiroler endete dabei nicht an der österreichischen Grenze. Drei Bilder von Toni Sailer im Bildteil der DDR-Publikation zu den Olympischen Spielen 1956 machten klar, dass er auch in Ostdeutschland der Star seiner Zeit war682. Toni Sailer galt noch lange Zeit nach seinem Rückzug aus dem alpinen Skisport als das Maß aller Dinge und war nach wie vor der Star seines Sportes. Das Nationale Olympische Komitee der Bundesrepublik Deutschland schrieb etwa über die Spiele von 1960: „Keinem gebührt die Krone, keiner trat die Nachfolge Toni Sailers an!“683 Und Heribert Meisel kommentierte 1964: „Es ist kein Zufall, dass Toni Sailer, der die

680 „Tausend Sterne leuchten.“ Film. Regie: Harald Philipp. Deutschland 1959. 681 Austria Wochenschau Nr. 6/1958, Beitragsnr. 6. Erscheinungsdatum: 7.2.1958. Titel: „GROSSBERICHT VON DEN SKIWELTMEISTERSCHAFTEN: Weltmeister Josl Rieder.“ 682 Eichel, u. a.: „Olympische Spiele Cortina 1956.“ Ost-Berlin 1956. Bildteil. 683 Maegerlein: „Olympia 1960. Squaw Valley.“ Wiebelsheim 1960. S. 29.

196 Winterspiele in Innsbruck als Reporter mitmacht, immer noch mehr Popularität genießt, als die im olympischen Tirol ermittelten Sieger.“684 Besondere Popularität erreichte Toni Sailer in Deutschland, was seinem indirekten Auftrag als Werbefigur für den österreichischen Skisport nicht schadete. Besondere Auswüchse erreichte der Starkult um Sailer in Deutschland in Form von „Bravo“- Cover inklusive unzähliger Artikel. Ein Buch, herausgegeben vom Deutschen Skiverband (DSV), dass Kinder zum Skilaufen bringen sollte, hatte nicht etwa einen deutschen Skiläufer zum Paten: es erzählte die Geschichte eines kleinen Kindes Namens Toni S. aus einem österreichischen Dorf, der sich aufmachte, um „nach Toni Seelos und Toni Sailer der dritte große Toni S. zu werden.“685 Durch den Eintritt in die neue Welt der Popkultur mit Coverbildern auf deutschen Jugendmagazinen wird der Pathos rund um die Figur Toni Sailer geschliffen; aus dem Helden der Nation wird ein schlagersingender Mime in seichten Liebesfilmen, der Heldenstatus haftet dem Kitzbüheler zeitlebens nur noch in Verbindung mit seiner kurzen, aber höchst erfolgreichen Skikarriere an. Gerade für diese Zeit wird die Autobiographie von 1956 zur aussagekräftigsten Quelle. Hier schreibt (und lässt von Karl Springenschmid schreiben) ein junger Skifahrer, der sich und seine für die neue österreichische Nation essenziellen Erfolge beweihräuchert und mystifiziert, sich beinahe religiös entrückt; dabei aber fest mit „seinem“ Kitzbühel und seiner Familie wie auch seinem Handwerk verwurzelt. Ein Vergleich mit Heldengeschichten aus der NS-Zeit ist nicht angebracht, zu unpolitisch, zu wenig wortgewaltig ist die Autobiographie. Doch nicht zuletzt durch den (Co-)Autor Karl Springenschmid686 begibt sich Sailer hier auf dünnes Eis. Springenschmid, der unter anderem das wenig zurückhaltende Synonym „Christian Kreuzhakler“ verwendete, war ab den 1930er Jahren der völkischen Blut-und-Boden Dichtung verbunden; endete 1946 mit zahlreichen Werken auf der „Liste der auszusondernden Literatur“ wegen des Tatbestands der NS-Propaganda. Nachdem er sich vor der Bestrafung durch die Alliierten versteckt hatte, tauchte er erst in den 1950er Jahren wieder auf und setzte sein völkisches Werk fort. Sailer schreibt in seinem Nachwort zur Autobiographie:

684 Meisel, u. a.: „Olympia 1964.“ München 1964. S. 42. 685 Endres: „Toni der kleine Skilehrer.“ München 1962. S. 11. 686 Eine nicht unproblematische Biographie Karl Spirngenschmids erschien 1987: Laserer, Wolfgang: „Karl Springenschmid. Biographie.“ Graz 1987.

197 „Zum Schlusse meines Buches möchte ich dem lieben Freund unseres Hauses, dem bekannten Tiroler Schriftsteller und Erzähler Karl Springenschmid, herzlich für seinen Rat und seine Mithilfe beim Zustandekommen dieses Buches danken.“687 Jegliche Art von Mutmaßungen verurteilend darf ich annehmen, dass Toni Sailer, sich bis dahin unpolitisch gebend, vom Wirkungsbereich Springenschmids nicht wusste oder den Nazi fälschlicher Weise als „Ehemaligen“, „Geläuterten“ und „zur Vernunft Gekommenen“ ansah.

Im Folgenden führe ich eine Analyse der Autobiographie von Karl Schranz aus dem Jahre 1963 durch; danach werde ich bei einem Vergleich der beiden noch einmal zu Toni Sailer Stellung beziehen.

7. KARL SCHRANZ, DER „EINSAME WOLF VOM ARLBERG“.

Über den Aufstieg von Karl Schranz zum neuen Ski-Messias, im „langen Schatten“ Toni Sailers und dessen sportlichem, vor allem aber auch identitätsstiftendem Erbe stehend, schreibt Rudolf Forster treffend: „Auf Schranz, der wie Sailer aus einfachen Verhältnissen stammte und geniales Talent mit harter Trainingsarbeit verband, konzentrierten sich, nachdem der erst 23jährige Toni Sailer auf der Spitze seines Ruhmes abgetreten und ins Filmgeschäft gewechselt war, die hochgesteckten Erwartungen des nach einem Ersatzidol suchenden Skipublikums.“688 Tatsächlich sollte Karl Schranz aber seinen eigenen Weg gehen und – im Gegensatz zu Toni Sailer – vielmehr als tragische Figur des Skisports berühmt werden, was ihn nicht daran hindern sollte, wie der „fesche Tonai aus Kitzbühel“ zum Helden eines neuen Österreichs aufzusteigen. Dabei findet die Geschichte von dem um seinen Olympiasieg betrogenen Karl Schranz, dessen Fall für die österreichische Nation viel mehr bedeutete, als „bloß“ einen Weltklasseläufer weniger bei den Olympischen Winterspielen in Sapporo 1972 an den Start schicken zu können, in meinen Ausführungen keinen Eingang. Zum Ausschluss des Athleten von diesen Spielen und den damit verbundenen, tiefgreifenden politischen Nachwehen wie auch Aufbrechen alter Wunden (verbunden mit den wiedererhörten, längst verhallt

687 Sailer: „Mein Weg zum 3fachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956. S. 147. 688 Forster, Rudolf: „Karl Schranz. Skirennläufer.“ in: Marschik, u. a.: „Helden und Idole.“ Innsbruck 2006. S. 260.

198 erhofften Stimmen689) haben sich genügend Wissenschaftler beschäftigt und ausreichend Schlüsse gezogen690. Gegenstand meiner Beobachtungen ist also nicht der Karl Schranz, der erstmals seit 1938 die Massen am Wiener Heldenplatz zu Begeisterungsstürmen hinreißen kann, sondern der junge Karl Schranz - vor seiner Brandmarkung als österreichischer Märtyrer691 - bis 1964. Eine Zeit, in der es Karl Schranz gelingt, 3 Mal das berühmte Kandahar-Rennen für sich zu entscheiden; die Zeit, in der das Österreichische Nationalteam den Schwung aus Cortina d’Ampezzo nicht nach Kalifornien 1960 mitnehmen kann und – angesichts des historischen Dreifacherfolges der Lichtgestalt Sailer – nahezu eine ganze Nation enttäuscht. Es ist aber auch die Zeit, in der sich der 24jährige Arlberger dazu berufen fühlt, seine Autobiographie zu veröffentlichen, als einziger österreichischer Skiläufer seiner Zeit neben Toni Sailer. Nach den beiden Weltmeisterschaftstiteln im französischen Chamonix 1962 benannte Schranz das Werk treffend „2x Weltmeister“; zwar sind die Weltmeistertitel an fiktiver sportlicher Ehre gemessen unter die Olympiasiege des Toni Sailer anzusiedeln, doch machten die Erfolge des „schwarzen Blitz“ die österreichische Öffentlichkeit zugänglich für die Präsenz eines großen Ski-Idols, sodass die Publikation weniger als Hochmut denn als Eingehen auf die Wünsche der Öffentlichkeit gewertet werden kann. Neben allen Parallelen, die sich im Folgenden zur Autobiographie Toni Sailers von 1956 ergeben werden, darf allerdings ein zweiter Fokus auf die Unterschiede gelegt werden, um zu erkennen, dass bei Karl Schranz der Schwerpunkt von der Selbstbeweihräucherung und Mythisierung weg geht hin zu einer nüchternen Beschreibung eines Sportes, der – anders als die romantischen Ausführungen Toni Sailers von 1956 erahnen lassen – hochtechnisiert und professionell ist. Dabei dürfen einige Punkte nicht außer Acht gelassen werden: - Erstens hat sich der Skisport in diesen sechs Jahren zunehmend hin zur Professionalisierung verändert (1966 beginnt die Ära des Alpinen Skiweltcups).

689 Hier sehe ich ein politisches Naheverhältnis des „Falles Schranz“ 1972 mit der „Waldheim-Affäre“ von 1986 und der Regierungsbildung 1999, als – nicht zuletzt von den Medien geschürt – die Maske des unschuldigen Österreichs einer verbitterten Fratze wich, um zu betonen, dass das „wir“ (also Österreich) tut, was das „wir“ tun will; egal was die Welt, die Geschichte, sogar die Moral dagegen einzuwenden hat. 690 Hier verweise ich neben Rudolf Forstener (s.o.) vor allem auf: Tanter, Anton: „Der ‚Schranz-Rummel‘ von 1972. Geschichte, Sport, Krieg und Konstruktion von Nation.“ In: ZeitRaum. Zeitschrift für historische Vielfalt, Neue Folge, Heft 2/1995, S. 8–33. Labitsch, Florian: „Die Narrischen. Sportereignisse in Österreich als Kristallisationspunkte kollektiver Identitäten.“ (= Marchik, Matthias und Moser, Gerda (Hrsg.): „Österreichische Kulturforschung.“ Bd. 10.) Wien – Berlin 2009. 691 Der Spiegel vom 14. Februar 1972 berichtete von einem Plakat eines Fans auf dem Heldenplatz, auf dem ein Tiroler seine beiden Tiroler Märtyrer – Andreas Hofer und Karl Schranz – huldigte. Siehe: „A Hetz“ in: Der Spiegel 8/1972 vom 14.2.1972.

199 - Zweitens ist die Zeit 1962 dahingehend eine andere als 1956, als dass die Zweite Republik deutlich gefestigter ist, die Besatzungssoldaten bereits sieben Jahre außer Landes sind und sich die „Nationsbildung“ in einem reiferen Stadium befindet und damit die Wichtigkeit von Stereotypisierungen des „Österreichischen“ zurückgehen. Es darf nicht darauf vergessen werden, dass Toni Sailer maßgeblich an diesen beiden Entwicklungen beteiligt war. Bevor ich die Analyse der Autobiographie von Karl Schranz durchführe, weise ich auf die Wichtigkeit dieser beiden Quellen (zeitgenössische Autobiographien von Sailer und Schranz) hin: es sind dies die beiden österreichischen Skifahrer, die während meines Beobachtungszeitraumes den mit Abstand größten Widerhall in den Medien fanden, die – damit verbunden – zum Vorbild der nächsten Generationen (nicht nur der Skifahrer) wurden und international am Erfolgreichsten agierten. Sicher stünde Trude Jochum-Beiser (z.B.) den Beiden um nichts nach; die „langen 1950er Jahre“ waren aber keine Zeit in der Frauen aus sportlichen Erfolgen heraus die Legitimation publizierter Autobiographien erlangten.

Schranz über Schranz: Jugendjahre.

Karl Schranz beginnt seine Kindheitserinnerungen in seiner 1963 erschienen Autobiographie mit der Schilderung der Umstände seiner Geburt in Verbindung mit seiner Familiengeschichte: „Einen Tag bevor ich am 18. November 1938 auf die Welt kam, starb mein Großvater, der aus dem Piztal stammte. Als einer von 4300 Mann hatte er einst mit an dem großen Tunnel gearbeitet, der Tirol mit Vorarlberg verbindet. Die Entwicklung von St. Anton ist eng damit verquickt. Über ihm liegt das Massiv einer mächtigen Passlandschaft, Arlberg genannt, „Mons Arula" in alten Zeiten […]. Wie mancher andere, so blieb auch mein Großvater nach Fertigstellung des Tunnels in St. Anton. Meinen Großvater habe ich also nie gesehen, aber an meine Großmutter kann ich mich noch gut erinnern. Ihr Sohn Anton - mein Vater - war Angestellter bei der Bahn. Anna, meine Mutter, stammt aus Böhmen und arbeitete in St. Anton in einem großen Villenhaushalt als Köchin, bevor Vater sie kennen lernte und bald darauf heiratete. Im Lauf der Jahre wurden fünf „Schranz-Kinder" geboren; in unserem Hause ging es

200 immer lebhafter zu: 1933 kam Arnold an, 1935 Gertrud, 1938 ich, 1941 Helmut und 1944 Anton.“692 Auffallend ist hier ein sofortiger Verweis auf die Verbindung der Biographie mit der Familiengeschichte und vor allem die geographische Verortung am Arlberg, der hier als Schicksalsort eine weitaus wichtigere Rolle einnimmt als das heimatliche Kitzbühel bei Toni Sailer. Während Sailer die Umstände der eigenen Geburt mystifiziert und die Ahnen im südtirolerischen Bergdorf beinahe religiös entrückt präsentiert, fügt sich Schranz bescheiden in das Schicksal seiner Region. Nicht umsonst nennt er das Kapitel, in dem er seine Kindheit beschreibt „Der große Tunnel“, während Toni Sailer dem Anfang seiner Erinnerungen den Titel „An einem Sonntag geboren“ gab.

Anders als bei Toni Sailer lag das Skifahren bei Karl Schranz nicht in der Familie, generell darf Familie Sailer materiell besser gestellt angesehen werden als Familie Schranz. Der Skilauf – zwar durch die geographischen Begebenheiten beider Herkunftsorte begünstigt – war trotzdem eine Frage des Geldes; Schranz sah retrospektiv im Rennlauf einen „Ausweg aus der Armut.“693 Trotz allem verweist Karl Schranz in seinen Erinnerungen auf die günstigere Ausgangslage während der Kriegszeit in ruralen Gebieten im Gegensatz zu den von Engpässen stark betroffenen urbanen Gebieten: „Während der Kriegszeit hatten wir gottlob wenigstens eine Kuh und ein paar Ziegen.“694

Ähnlich wie bei Toni Sailer sucht man längere Bezugnahmen zur Zeit von 1938-1945 vergebens. Neben einer kurzen Notiz zur Versorgungslage wird bei beiden der Status des Vaters im Kriegsdienst nur spärlich dokumentiert. Von Karl Schranz liest man, der Vater wäre vom Militärdienst ausgeschlossen, weil er an einer Lungenerkrankung litt.695 Der Krieg an sich, geschweige denn die Zeit des Nationalsozialismus wird nicht thematisiert. Gleich anschließend an die oben zitierte Passage und einer Bemerkung über die mütterliche Versorgung während der Kriegszeit liest man:

692 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 14f. 693 siehe Madl: „Karl Schranz.“ Wien-Graz-Klagenfurt 2011. S. 32. 694 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 15. 695 Madl: „Karl Schranz.“ Wien-Graz-Klagenfurt 2011. S. 30.

201 „Endlich ging der Krieg zu Ende; alles atmete auf. Wir ahnten nicht, dass unserer Familie ein Unglückstag bevorstand: der 12. September 1946...“696

Das Unglück des Krieges wird durch die folgende Schilderung des Brandes des Elternhauses vollkommen relativiert: „Blass und zitternd standen wir da und mussten zusehen, wie unser Elternhaus bis aufs Fundament abbrannte.“697 Der spätere Biograph Florian Madl schildert das Unglück wie folgt: „Bekleidet mit nichts als einer Lederhose und einem ‚Ruderleiberl’ stand Karl da. Während sich die Dorfgemeinschaft bemühte, das Haus zu löschen, dachte Schranz vor allem an eines: ‚Am meisten tat es mir um meine neuen Skier und Stöcke leid. ich wusste: Die werde ich nicht mehr retten können.’“698 Ein Schicksalsschlag, der es einem in den 1950er Jahren in der Öffentlichkeit stehenden Österreicher vielleicht im späteren Leben einfacher machte. Der Krieg war nämlich glimpflich am Tiroler vorbeigegangen, die Grausamkeiten aus Mauthausen durch die vielen Gipfel und Täler dazwischen abgeschwächt worden. Und trotzdem verstand es dieser Landsmann was es heißt, sein Hab und Gut zu verlieren. So wirkte das Feuer im elterlichen Haus nivellierend mit anderen Österreichern, die im Bombenhagel ein ähnliches Schicksal erlitten. Wahrscheinlich wirkt die öffentliche Person Karl Schranz dadurch glaubwürdiger als Toni Sailer, dessen „Skibesessenheit“ zwar im Nachkriegsösterreich für „Flachländler“ eine willkommene Abwechslung darstellen konnte, sein Schicksalsschlag aber – ein gebrochener Fuß nämlich – im Vergleich mit den Existenzängsten der bitteren Nachkriegsrealität kaum für Mitleid sorgen konnte. So gelingt Karl Schranz mit seinem Schicksal die Geschichte der Zweiten Republik, versinnbildlicht im Mythos des „Phönix aus der Asche“, fast besser zu personifizieren als Toni Sailer. Auch den viel gepriesenen Zusammenhalt im Wiederaufbau erlebte der junge Karl Schranz, abseits von Trümmerfrauen und Arbeitsdienst in den Städten, innerhalb der kleinen ländlichen Gemeinde: „Die Gemeinde verschaffte uns im ‚Musikhaus‘ von St. Anton ein paar Räume, wo wir zunächst wohnen konnten. Nach dem anfänglichen Schock gingen meine Eltern trotz aller Schwierigkeiten daran, unser Haus wieder aufzubauen - diesmal aus Stein und

696 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 15. 697 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 16. 698 Madl: „Karl Schranz.“ Wien-Graz-Klagenfurt 2011. S. 29.

202 in kompakter Bauweise. […] Es war größer als das alte und kam uns natürlich viel schöner vor. […] So kamen wir Kinder viel schneller über die häusliche Katastrophe hinweg als die Eltern, und für mich rückte schon wieder das Skifahren in den Vordergrund.“699

An seine Schulzeit erinnert sich Karl Schranz nur: „Der Ernst des Lebens begann mit der Schule, die ich in St. Anton besuchte. Das Lernen fiel mir nicht leicht, zumal die Lehrer während der Kriegszeit gar zu häufig wechselten.“700 Seine Eltern, die ihm auch bei der späteren Berufswahl beratend zur Seite standen, erklärten dem jungen Karl Schranz jedoch die Wichtigkeit einer schulischen Ausbildung: „In St. Anton war es möglich, von der vierten Klasse Volksschule an auch Englisch zu lernen. Es war kein Zwang, aber meine Eltern legten Wert darauf, dass ich diese wichtige Sprache lernte.“701

Auch bei der Schilderung Karriere von Toni Spiss, auf den Karl Schranz bei der Frage nach seinem Vorbild verweist702, fällt die Betonung auf dessen Werdegang nach der aktiven Skilaufbahn auf: „Bei den Olympischen Spielen 1952 gewann er in Oslo die Bronzemedaille im Riesentorlauf - nur von Stein Eriksen und Christl Pravda geschlagen. Bei der Weltmeisterschaft 1954 in Schweden wurde Toni trotz eines Sturzes Dritter im Slalom. Dieser Wettbewerb war seine Stärke. Er war ein Akrobat auf Ski, dem es damals nur wenige gleichtaten. […] Später hatte Toni unfassbares Glück. Mr. Star, ein amerikanischer Versicherungsmillionär, war auf ihn aufmerksam geworden und nahm sich seiner an. Toni erhielt nun eine gute Ausbildung im Spezialfach ‚Welthandel‘.“703 Eine auf das Skifahren kompensierte Konzentration, wie sie bei Sailer (trotz des glorifizierten Handwerks) vorherrscht, ist beim jungen Karl Schranz wenig bemerkbar. Schranz bleibt Realist; weiß um die Wichtigkeit eines „anständigen“ Berufs.

699 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 16. 700 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 15. 701 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 15. 702 Karl Schranz schreibt über Toni Spiss: „Auf die Idee, Rennen zu fahren, hat mich Toni Spiss gebracht, mein allererstes Vorbild. Toni kannte mich von klein auf.“ Nach: Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 21. 703 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 21.

203 Schranz über Schranz: das Erlernen des Skifahrens.

Bei Toni Sailer, dessen Autobiographie von 1956 geradlinig zum Olympiasieg führt gibt es neben der Betonung des eigenen Skitalents besonders in der Schilderung des Erlernens der Skifahrtechnik wenig Raum für anfängliche Unsicherheiten. Während Sailer im Kleinkindalter über jedes Gelände rast bleibt Karl Schranz zurückhaltender, wenn er schreibt: „Ich war gerade drei Jahre alt, als ich begann, mich für die Skifahrerei zu interessieren. Von unserem ganz nahe an der alten Arlbergstraße gelegenen Hause aus sah ich die Skilehrer oft mit ihren Kursteilnehmern die Hänge herunterkommen. ‚Willst's auch einmal probieren?’ fragte meine Mutter. Sofort war ich dabei - und wenig später nahm mich auf Mutters Bitte hin ein Skilehrer zwischen die Knie und tat mit mir den ersten Rutscher. Mit vier oder fünf Jahren fuhr ich unverdrossen die ersten Kinderrennen mit: Alle Teilnehmer starteten gleichzeitig!“704

Die bei Sailer als Motiv immer wiederkehrende skibegeisterte Familie wird bei Karl Schranz durch die Geographie des heimatlichen St. Anton ersetzt; für ihn prädestiniert das Leben am Arlberg den Drang, Ski zu fahren: „Aber was hat man schon anderes gemacht, dort, wo ich aufgewachsen bin? Skifahren! Schließlich lebten wir neben der Seilbahn!“705 Auffallend dabei ist auch der sofortige Verweis auf die Seilbahn. Generell erkennt man bei Karl Schranz, der beim Tiroler Skifabrikanten Kneissl sein Geld verdiente, ein größeres Verständnis für Material und Technik. Während Toni Sailer 1956 die eigenen Fähigkeiten von der Materialfrage fast löste, die Wahl der richtigen Ski damit fast zur Nebensache macht, verliert sich Schranz bei Schilderungen über die Herstellung von Skiern und macht keinen Hehl daraus, von gutem Material zu profitieren. Die Wahl des richtigen Skis wird bei ihm zur Wissenschaft, wenn man liest: „Mit Ski ist es wohl so ähnlich wie mit Autos. Fünfzig Wagen einer bestimmten Serie sind nicht fünfzigmal das gleiche Auto! Zwar ähneln sie sich zu hundert Prozent in sämtlichen Teilen — aber trotzdem fährt sich jeder Wagen anders. Beim Ski- Aussuchen muss man sich Zeit nehmen. Der Ski muss dem Fahrer - genau wie ein

704 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 15. 705 Madl: „Karl Schranz.“ Wien-Graz-Klagenfurt 2011. S. 32.

204 Auto – ‚sympathisch’ sein. Obendrein soll er verschiedene Eigenschaften aufweisen, die man sich von ihm erträumt. Das mag an winzigen Kleinigkeiten liegen...“706

Das spezielle Wissen über spezifische Vorteile bei Materialfragen waren Ergebnis des Berufes in der Firma von Franz Kneissl. Als Kind musste sich der junge Rennläufer neue Skier selber organisieren, der Familie fehlte es an Geld. So erzählt Schranz: „Als 12jähriger gewann ich bei einem Jugendrennen in Zürs ein Paar Ski[…]. Ein paar Jahre hintereinander verdiente ich mir auf diese Weise meine neuen Ski.“707

Generell liest sich aus der Autobiographie von Karl Schranz die Gewissheit über einen möglichen sozialen Aufstieg durch die Perfektion des eigenen Könnens. „Ich war 14 Jahre alt, als wir unter der Führung von Rudi Moser einmal zur Bezirks- Jugendmeisterschaft in Hochsölden ins Ötztal fuhren. Zum ersten Mal durfte ich in einem Hotel wohnen, und das war schon etwas ganz Besonderes!“708 Zwar schwärmt auch Toni Sailer über die neuen Eindrücke, die er bei seinen internationalen Rennen sammelt, doch Karl Schranz wiegt öfter und eindeutiger sein Talent im Skifahren auf mögliche Zukunftschancen auf. Dass auch bei jungen Arlbergern der Wunsch nach einem besseren Leben in Amerika an erster Stelle stand, erfährt man an folgender Stelle in der Autobiographie: „Die Jugendrennen des Skiclubs Arlberg finden abwechselnd in St. Anton, in Zürs, Lech und Stuben statt, also an allen vier Arlbergplätzen. Als ich noch dabei war, herrschte unter den Buben dieser Orte eine Mordsrivalität. Jeder wollte es den bekannten Größen nachtun, um vielleicht ‚sogar einmal nach Amerika’ zu kommen. Solche Gedanken hatten wir im Kopf!“709

Schranz über Schranz: Berufsethos.

Liest man aus der Biographie Toni Sailers einen großen Berufsethos, der weit über die Erzählung des fleißigen Handwerkers hinausgeht und den Sportler bis hin zur Wiederaufbauikone hochstilisiert; steht bei Karl Schranz das Geldverdienen, der Weg aus der materiellen Armut, im Mittelpunkt. Schranz präsentiert bei der Berufswahl

706 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 32. 707 ebenda. S. 16f. 708 ebenda. S. 17. 709 ebenda. S. 17.

205 seine Eltern als die vernünftige treibende Kraft, die für ihren Sohn einen Beruf fernab des Skisports suchten, dabei aber nicht auf dessen Talent vergaßen: „Meine Eltern freuten sich über jeden meiner kleinen Erfolge. Für sie rückte nun aber mehr und mehr in den Vordergrund, was mir zunächst herzlich gleichgültig war: die Berufswahl. Weit mehr als die Schule, die ich nun bald verlassen sollte, ging mir die Skifahrerei im Kopf herum. Jeden Herbst, wenn die ersten Flocken auf unseren Hängen liegen blieben, wurde ich rebellisch. ‚Vom Skifahren allein kann man nicht leben!’ sagte Mutter einmal sehr ernst zu mir - und das blieb doch nicht ganz ohne Eindruck auf mich. Naheliegend wäre gewesen, Skilehrer zu werden, aber dazu hatte ich keine Lust. Zu oft hatte ich in St. Anton unseren Lehrern zugesehen. Manchmal taten sie mir leid. Sie waren erfahrene Skiläufer und mussten sich den ganzen Tag mit Neulingen und Anfängern plagen.“710 Weiters liest man: „So stolz meine Eltern im Winter auf meine kleinen skifahrerischen Erfolge waren, so sehr sorgten sie sich gleichzeitig um meine Zukunft. ‚Woher sollen wir den Chef nehmen, der dir die Zeit lässt, die du zum Skifahren brauchst?’ seufzte Mutter manchmal.“711 Schicksalhaft ist die Begegnung mit dem Skifabrikanten Franz Kneissl, der Karl Schranz letzten Endes einstellt und den Sportler fördert. Karl Schranz erinnert sich: „Eines Tages war in meinem St. Antoner Elternhaus der Skifabrikant Franz Kneissl aus Kufstein aufgetaucht und wollte mich sprechen. Ich hatte ihn schon öfter als Beobachter bei großen Rennen gesehen und war ihm auch vorgestellt worden. ‚Was ist, Karli’, sagte er, ‚hast’ Lust, bei mir zu arbeiten? Du kannst als kaufmännischer Lehrling anfangen. Später sehen wir dann weiter...’ Meine Eltern waren sofort einverstanden - zumal ich ja im Laufe der letzten zwei Jahre immer nur als Aushilfe Arbeit gefunden und schon manche Absage von allen möglichen Firmen erhalten hatte, bei denen ich midi um eine Lehrstelle bewarb. ‚Ja, aber dann kann ich doch nicht mehr...’ Ich wagte nicht, auszusprechen, worum es bei meiner Stellungsuche bisher immer gegangen war: um die Freizeit zur Rennsaison. ‚Du meinst, dann kannst' keine Rennen mehr fahren?’ sagte Franz Kneissl und musterte mich belustigt.

710 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 18. 711 ebenda. S. 18.

206 ‚Na ja ...’ murmelte ich bedrückt. ‚Wir werdens schon einrichten können’, sagte der Fabrikant. ‚Aber in der übrigen Zeit musst du fleißig sein. Da kenn ich nix!’“712 Stolz fügt Schranz hinzu: „Am 22. Mai 1956 trat ich meine Lehrstelle in Kufstein an. Mein neuer Chef hatte mich in einem ihm gehörenden Gasthof untergebracht, dem ‚Kufsteiner Hof’, wo ich hinfort während meiner ganzen Lehrzeit wohnte und gegen ein äußerst bescheidenes Entgelt auch prima verpflegt wurde.“713 Auch das Skifahren kam nicht zu kurz: „Ich hatte tatsächlich den idealen Lehrherrn gefunden: Er schickte mich sogar selbst zum Training, und über meine alten Brettl brauchte ich mir auch keine Gedanken mehr zu machen.“714

Aus dem Beruf beim Kufsteiner Skifabrikanten entspringt die bereits oben erwähnte enge Verknüpfung des sportlichen Erfolges an das Material. Über zahlreiche Seiten hinweg widmet sich Schranz in seiner Autobiographie der Herstellung von Skiern und verliert sich dabei in jedem Detail. Er beginnt seine Dokumentation der Produktion wie eine Einführung in den technischen Aspekt: „‚Wenn du mit Ski handeln und sie verkaufen willst, musst du erst einmal wissen, wie sie gemacht werden’, sagte Franz Kneissl. [...] Nun lernte ich das alles kennen. […] Etwa achtzig verschiedene Arbeitsgänge musste ich durchmachen und begreifen!“715

Kann man bei Sailer – zumindest was die Autobiographie von 1956 angeht – noch vom Bild eines vormodernen, weil nicht technisierten Sportlers, der den Drill des eigenen Körpers, vor allem die Willenskraft als Quell des Erfolges ansieht, erkennen, so enttarnt Schranz mit seiner detailreichen Schilderung der steril-technisierten, hochspezialisierten Skiproduktion den Skifahrer als einen seinen Skiern ausgelieferten Menschen und Skirennen als technologische ‚Materialschlachten‘. Schranz schreibt: „Der Skisport ist mehr oder minder zum Material- oder Gerätesport geworden. Freilich spielen auch Skibindungen, Bekleidung und Zubehör eine große Rolle - aber

712 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 29. 713 ebenda. 714 ebenda. S. 32. 715 ebenda. S. 29-32.

207 tausend Gespräche drehen sich zunächst nur um den Ski, seine Vorzüge und Nachteile.“716

An anderer Stelle liest man etwa über das Wachsen der Skier: „Das Ski-Wachsen ist ein Thema ohne Ende. Auch für uns Abfahrer kann es unter Gleichwertigen eine entscheidende Rolle spielen […] nachdem heute zuweilen eine Hundertstelsekunde Sieg und Plätze beeinflussen kann.“717 Tatsächlich ist der Skisport bereits früh hinsichtlich des Wachses „verwissenschaftlicht. In der ÖOC-Publikation zu den Olympischen Spielen von 1948 findet man Bemerkungen zur „Mär des wissenschaftlichen Wachsen“718 – dort wird das Thema jedoch noch zugunsten skiläuferischer Qualitäten heruntergespielt. Schranz als „Ski-Wissenschaftler“ widmet ein ganzes Kapitel seiner ‚Erfolgsstory‘, die er doch immerhin „2 Mal Weltmeister“ nennt, dem Tüfteln am perfekten (Epoxy-)Ski, dem er einige Erfolge zuschreibt719; beim Testen des Materials werden bis dahin als undenkbar gehaltene Methoden verwendet: „Die exaktesten Ergebnisse bekommen wir nur durch Versuche im Windkanal’, sagt mein Chef.“720 Die Technisierung des Skisports wurde besonders Ende der 1950er Jahre sichtbar. Es lag wohl mit der Dominanz Toni Sailers zusammen, dass seine Konkurrenten am Training, aber auch im technischen Bereich zu tüfteln begannen, um den Rückstand auf ihn aufzuholen. Über den olympischen Abfahrtslauf von 1960 in Squaw Valley konnte man etwa lesen: „Dieser Abfahrtslauf vom Squaw Peak bedeutet einen weiteren und vielleicht entscheidenden Schritt in Richtung einer neuen Abfahrtstechnik, die sich immer weiter von der bisherigen Standard-Laufweise der Slalomtechnik entfernt. Man könnte sagen, der athletische Abfahrtslauf, bei dem Kondition, Gewicht und eine neue Technik die Hauptrolle spielen, habe den künstlerischen, alpin-schwierigen Abfahrtslauf abgelöst. [...] Es sind sogar schon Stimmen laut geworden, die davor warnen, dass am Ende dieser Entwicklung das Kilometer-Lance, der Abfahrtslauf im Schuss mit Spezialskiern und Stromlinienanzügen stehen könnte, bei dem der Skiläufer selbst nur noch – Ballast ist...“721

716 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 118. 717 ebenda. S. 72f. 718 ÖOC: „Fest der Völker 1948.“ Wien 1948. S. 35f. 719 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 119f. 720 ebenda. S. 122f. 721 Lorenz: „Olympische Spiele 1960.“ Innsbruck 1960. S. 22.

208 Schranz über Schranz: Training.

Anders als bei Toni Sailer gibt es bei Karl Schranz keine langen Passagen über das Training. Jene Stellen der Autobiographie aber, die sich der Vorbereitung widmen, gibt es viele Parallelen. So nutzt auch Karl Schranz die Erzählung vom Sommertraining dazu, um die Landschaft seiner Heimat romantisch zu beschreiben. Daneben wird immer wieder die Amateurregelung betont: „Der Sommer kommt; in St. Anton und bei Kufstein blühen die Bergwiesen. So schön für mich die ersten Schneeflocken von Kindheit an gewesen sind, so sehr liebe ich die mit Blüten übersäten Hänge. Die Zeit, in der wir unsere Kondition ‚aufbauen’ müssen, ist gekommen, und ausnahmslos alle müssen wir das mit unseren Berufen in Einklang bringen.“722

Dass auch Karl Schranz ein sportlicher Allrounder ist, zeigt die genauere Beschreibung des sommerlichen Konditionstrainings: „Im Sommer sieht das für mich so aus: Waldläufe, Bergtouren, (aber möglichst keine gefährlichen Klettertouren, die mir nicht sehr am Herzen liegen) zwischendurch viel Tennis und - Fußball. [...] Die Sommermonate vergehen viel zu schnell.“723 An anderer Stelle heißt es: „Manchmal spiele ich Fußball, öfter Tennis (inzwischen habe ich es sogar zum zweit- besten Spieler in St. Anton gebracht), oder ich mache Waldläufe.“724

Es sind auch die Passagen die das Training thematisieren jene, in denen sich Karl Schranz als jener „einsame Wolf“ enttarnt, als den man ihn retrospektiv wahrnahm. So schreibt er: „Nach Spiss, der ja lange auch unser Mannschaftstrainer war, kam Othmar Schneider und nach ihm Josl Rieder. Beide sind für das Mannschaftstraining. Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum ich mit ihnen nicht recht klarkam.“725 Karl Schranz nämlich trainierte lieber alleine: „Solch ‚einsames’ Training gefällt mir am besten. Auch im Winter absolviere ich mein Trainingspensum am liebsten allein. Bei gemeinsamem Training schaue ich zu viel auf die anderen Fahrer.“726

722 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 37. 723 ebenda. S. 37f. 724 ebenda. S. 126. 725 ebenda. S. 130.

209

Es ist wohl als eine Erscheinung einer neuen Zeit nach Sailer anzusehen, dass sich das Training zunehmend professionalisierte. Der Skifahrer entwickelte sich langsam vom Saisonarbeiter zum Profisportler, was in den späten 1950er, vor allem aber in den 1960er Jahren zunehmend toleriert wurde, sodass Karl Schranz diesen Aspekt in seiner Autobiographie nicht verschweigt. Dass der Verband (ÖSV) gezielt in das Leben seiner Athleten eingreift und immer mehr an Einfluss gewinnt, erfährt man, wenn Schranz über den Sommer 1961 schreibt: „In diesem Sommer erhalten wir vom Verband schriftliche Anweisungen, was wir daheim alles tun sollen. Teilweise sind die Ratschläge sehr nützlich.“727

Die Leistungsschau bei den Olympischen Spielen im US-amerikanischen Squaw Valley 1960 bedurfte ebenfalls einer spezialisierten Vorbereitung: „Jede freie Minute nütze ich zu hartem Sommertraining aus. In der kommenden Saison beginnen die Olympischen Winterspiele. Das ist nicht nur für meinen Trainingsfleiß ein enormer Ansporn, sondern für den aller meiner in Frage kommenden Kameraden auch. [...] Konditionskurse in Schielleiten und in Schruns, wo ich das erste Mal bin, helfen uns vorwärts. Dort erhalten wir auch Sauerstoffbäder und werden nach dem Training gründlich massiert.“728 Auch das Aufwärmen, das Toni Sailer noch im Geheimen machte, stellt 1963 keinen Grund zu Scham dar. Beiläufig zitiert Schranz zur Vorbereitung auf das Hahnenkammrennen: „Ich wärme mich noch etwas auf und lasse mich leicht massieren.“729

Vor allem die französische Nationalmannschaft ist der große Konkurrent zur damaligen Zeit. Dass die Franzosen statt Fußball oder Tennis allerdings Boxen als Konditionssportart im Sommer gewählt haben, akzeptiert der junge Karl Schranz nicht: „Wir hören auch eine Menge über das Training der anderen. Am seltsamsten wird von vielen das der Franzosen gefunden, die alles tun, was man zu diesem Zweck auch nur erfinden kann. Im Verlaufe ihres Konditionstrainings steigen sie sogar in

726 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 130. 727 ebenda. S. 132. 728 ebenda. S. 86. 729 ebenda. S. 89.

210 den Boxring! Wenn ein Skiläufer boxen soll, damit er besser Ski fährt, ist das genau so, als wenn ein Boxer Ski läuft, damit er besser boxen kann.“730

Schranz über Schranz: Rennläufer.

War bei Toni Sailer die wenig bescheidene Art seine Siege nachzuerzählen sehr auffallend, so ist Karl Schranz sichtlich bemüht, nicht zu sehr mit Siegen zu prahlen und bemüht sich in Zurückhaltung. So erinnert sich Schranz an seinen Sieg im 2. Durchgang eines Riesentorlaufs, an dem er als 15jähriger teilnahm, zum ersten Mal in Frankreich mit den besten Franzosen um Guy Perillat zusammentreffend: „Dann kam die Durchsage: ‚Schranz hat im zweiten Durchgang mit 2,5 Sekunden Vorsprung bisherige Bestzeit gefahren.’ Vater Sailer [Als Betreuer, Anm.] klopfte mir auf die Schulter. Ich blieb lieber vorsichtig: ‚Es sind ja noch nicht alle durch!“731

Schranz erinnert sich an ein Interview nach seinem ersten Sieg beim Kandahar- Rennen 1957 in Chamonix: „’Glauben Sie, Toni Sailer wäre hier schneller gewesen als Sie?’ fragt mich ein Journalist. Das ist für mich gar keine Frage: ‚Bestimmt um zwei Sekunden!’“732

Generell auffallend ist, dass Schranz Prestige im Skizirkus anders verteilt als Toni Sailer. Bei beiden Skifahrern erkennt man den Lokalpatriotismus, wenn für Sailer das Kitzbüheler Hahnenkammrennen, für Schranz jedoch die Kandahar-Konkurrenzen733, welche in St. Anton ihren Ursprung hatten, die wichtigsten des Winters wären. Pathetisch rekapituliert Schranz die Siegerehrung seines ersten Kandahar-Sieges: „Als die Siegerehrung vorgenommen wird und ich als Kombinations- und damit Kandarharsieger 1957 den schönen Pokal in die Hand gedrückt bekomme, muss ich einen Knödel, der im Hals sitzt, herunterschlucken - so groß ist meine Freude. Bei uns allen gilt diese Konkurrenz als etwas Besonderes. Sie gehört zum Fundament

730 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 131f. 731 ebenda. S. 20. 732 ebenda. S. 10. 733 Das traditionelle Arlberg-Kandahar-Rennen fand 1928 zum ersten Mal in St. Anton am Arlberg statt. Neben St. Anton ist Chamonix (FRA), Sestriere (ITA), Garmisch (GER) und Mürren (CH) Austragungsort der Veranstaltung, bei der Stets der Sieger aus Abfahrt und Slalom ermittelt wird. Die Austragungsorte in meiner Beobachtungszeit waren: 1947 Mürren, 1948 Chamonix, 1949 St. Anton, 1950 Mürren, 1951 Sestriere, 1952 Chamonix, 1953 St. Anton, 1954 Garmisch, 1955 Mürren, 1956 Sestriere, 1957 Chamonix, 1958 St. Anton, 1959 Garmisch, 1960 Sestriere, 1961 Mürren, 1962 Sestriere, 1963 Chamonix und 1964 Garmisch. Siehe zur Geschichte des Arlberg-Kandahar: Lunn, Arnold: „The story of ski-ing.“ London 1952. S. 83-93.

211 des alpinen Skilaufs - auch international. Vielen ist ein Kandarharsieg soviel wert wie eine Weltmeisterschaft […].“734 Dass das Rennen bei weitem kein leichtes Unterfangen war, stellt Schranz mit folgenden Zeilen fest: „Ich muss lachen und möchte trotzdem heulen, so glücklich bin ich darüber, dass ich endlich wieder einmal kein Pech gehabt habe! Dabei gibt es bei diesem Kandahar- Abfahrtsrennen wenig zu lachen. Von den 78 startenden Läufern kommen nur 47 glatt durchs Ziel. Die anderen erleben die unwahrscheinlichsten Unfälle, Stürze und Widrigkeiten.“735

Die Sozialisierung in den Skisport über die Kandaharrennen ergibt eine von Nationen eher gelöste Konkurrenzdisposition. Zwar zeigt die Analyse der Autobiographie von Toni Sailer sehr wohl lokalpatriotische Tendenzen und eine Identifizierung mit dem Kitzbühler Skiclub, dennoch ist die Zusammenfassung des Kandaharrennens 1958, wie sie Karl Schranz in seiner Autobiographie ausführt, auffallend: nach dem Namen des Athleten stellt er kein Kürzel als Auskunft über dessen nationale Herkunft, sondern den vom jeweiligen Skifahrer repräsentierten Skiclub736. Dass man bei Karl Schranz aber trotzdem mehr von einem „österreichischen Teamgeist“ liest als bei Toni Sailer liegt am professionalisiertem Teamtraining und der oftmaligeren Teilnahme an Großereignissen. Zur Zeit der FIS-Rennen, als es noch keinen Weltcup gab, waren Weltmeisterschaften und Olympische Spiele jene Konkurrenzen, die man bewusst als Nationalmannschaft bestreitet. So liest man bei Karl Schranz auch über „sein“ Kandaharrennen 1959 in Garmisch: „Kandahar ist eigentlich eine individuelle Konkurrenz ohne Nationalklassement und Prestige, aber von den vielen internationalen Starts her ist man daran gewöhnt, auch beim Kandahar an die Mannschaft des eigenen Landes zu denken.“737 Zum Abfahrtsergebnis der Kandaharabfahrt 1957 in Chamonix notiert Schranz: „Fünf Österreicher befinden sich auf den Plätzen 1 bis 8; das ist ein großer Erfolg für uns - um so mehr, als sich unsere Kanonen wie Sailer, Anderl Molterer und Rieder in den Vereinigten Staaten aufhalten und überhaupt nicht mitmachen.“738

734 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 12. 735 ebenda. S. 10. 736 ebenda. S. 42. 737 ebenda. S. 75. 738 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 11.

212 Das letzte gewählte Zitat dient als Überleitung zu einem bei Karl Schranz auffalendem Motiv: der beinahe als Ehrfurcht einzustufende Respekt vor der „goldenen Generation“ um Toni Sailer. Bei Schranz, der sich während der Olympischen Spiele 1956 in Cortina d’Ampezzo in Lienz im Jugendlager aufhielt, basiert diese Ehrfurcht nicht zuletzt auf den Ausflügen zu den Wettkampfstätten in Cortina. „Jeden Tag fuhren wir nach Cortina und schauten vor allem bei den alpinen Konkurrenzen zu. [...] Mit einer großen Überraschung ging es los: Ossi Reichert – Deutschland - gewann den Riesenslalom vor Josefine Frandl, genannt ‚Putzi’, und Thea Hochleitner. ‚Eine Silber- und eine Bronzemedaille haben wir schon!’ rechneten wir am Abend im Lienzer Jugendlager stolz nach.“739 Man erkennt eine Identifikation mit dem österreichischen Team: Schranz schreibt vom „wir“-Gefühl. Dass allerdings das starke Männer-Team als Vorbild fungierte, liest man im Folgenden. Ebenso, dass besonders die drei Goldmedaillen von Toni Sailer den St. Antoner sehr beeindruckten: „Umso besser sah es aus, als unsere Vorbilder bei den Männern starteten - voran Toni Sailer [...]. Vor dem Slalom platzten wir fast vor Spannung. Wenn Toni Sailer wieder gewinnen sollte, würden wir außer Rand und Band geraten. […] Unser Toni war dreifacher Olympiasieger geworden! Auf mich machte das starken Eindruck...“740

Als im Jahr nach den Olympischen Spielen von 1956 Karl Schranz gemeinsam mit den Stars aus Cortina nach Italien zu einem internationalen Rennen fahren durfte, erfährt man vom großen Status der etablierten Skifahrer, die bei Schranz gar zu „Helden“ verklärt werden, wenn er schreibt: „Rennen fahren - in Konkurrenz mit unseren Berühmtheiten - das war so viel wie zu den Zeiten Old Shatterhands und Winnetous Ehrenhäuptling bei den Indianern zu werden!“741 Doch auch hier ist auffallend, dass Karl Schranz vor allem materiell denkt: „In Innsbruck traf ich unsere Helden der nationalen und internationalen Pisten […] jeder hatte vier, fünf, sechs oder gar sieben Paar Ski dabei – vorwiegend neue Brettel! Da kam ich mir mit meinen zwei Paar alten recht ärmlich vor.“742

739 ebenda. S. 22. 740 ebenda. S. 23. 741 ebenda. S. 24. 742 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963.

213 Wie schon bei Toni Sailer sieht man auch bei Karl Schranz die größte Konkurrenz im eigenen Land. Besonders der Konkurrenzkampf innerhalb der österreichischen Nationalmannschaft macht dem jungen Tiroler Probleme. Zur Qualifikation innerhalb der Mannschaft für den vierten nationalen Startplatz bei der Weltmeisterschaft in Bad Gastein 1958 notiert Schranz: „Hias Leitner, Hinterseer, Zimmermann und ich müssen um die vierten Plätze für die Aufstellung in den drei Wettbewerben der Weltmeisterschaft 1958 kämpfen. Sailer, Molterer und Rieder haben es besser; sie sind für Badgastein ‚klar’!“743

Dass auch abseits der Skipiste kein Landsmann geschont wurde, erfährt man aus den Schilderungen über die Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen in Squaw Valley 1960. Der Konkurrenzkampf innerhalb der Nationalmannschaft war zum Großereignis am Höhepunkt: ein Teaminternes Eishockeyspiel wird so hart geführt, dass Verletzungen nicht ausbleiben744.

Letzten Endes war es eine Grippe, die Karl Schranz um den Start bei der Heim-WM 1958 bringt. Wichtig bleibt die Betonung eines höheren Schicksals, in diesem Fall der Krankheit, die dem jungen Talent die Teilnahme kostete. Lakonisch bemerkt Schranz nach dem Riesenslalom in 1958 die Aufstellung seiner Konkurrenten: „Endlich, im Riesenslalom, wird es etwas besser. Molterer, Oberaigner und Zimmermann I kann ich mit meinem fünften Platz schlagen. Noch habe ich eine leise Hoffnung, durch diese Platzierung eine Chance für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Badgastein zu erhalten. Aber sie ist vergeblich: Nicht als Wettkämpfer fahre ich mit, sondern als Zuschauer.“745

Dass diese Entscheidung eine falsche war, eröffnet Schranz im Folgenden: „Um mich zu trösten, schickt man mich als Slalom-Vorläufer über den Kurs. […] Ganz inoffiziell hat man meine Zeit aber doch gestoppt - und so erfahre ich nach dem Rennen, dass beide Male keiner der Teilnehmer schneller war als ich. Das ist eine kleine Genugtuung, aber kein Trost dafür, nicht teilnehmen zu dürfen.“746

743 ebenda. S. 38. 744 ebenda. S. 86f. 745 ebenda. S. 39. 746 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 39.

214 Einen Einblick in die kämpferische Art Karl Schranz‘ geben Erinnerungen von Egon Zimmermann, dem Abfahrtsolympiasieger von 1964 in Innsbruck. In seinem Bericht schreibt Egon Theiner: „War das Team unkompliziert und stressfrei, so war Karl Schranz anders. […] Der Drang zum Sieg ging bei Schranz dermaßen weit, dass er in Megeve nicht bereit war, sein Wachs […] mit Teamkollege Zimmermann zu teilen. ‚Nimm dir dein G’lump selbst mit‘, fauchte er ihn an.“747

Dass – wie immer vor Großereignissen – die Nominierung der Endgültigen österreichischen Starter (pro Bewerb nur vier Startplätze) bei den Olympischen Spielen 1960 kein Leichtes waren, erfährt man in folgenden Zeilen: „Für Dr. Sulzberger, unseren Sportwart, ist es keine leichte Aufgabe, die Leistungsgrenzen gegeneinander abzuwägen und anhand der Ergebnisse von Lienz, Grindelwald (Damen), Wengen, Kitzbühel und Saalfelden jeweils die vier besten Österreicher für Squaw Valley zu nominieren. Soll er dem risikofreudigen Molterer, dem besonnenen Zimmermann, dem Pechvogel Leitner oder dem wieder prächtig in Schwung gekommenen Oberaigner als drittem und viertem Läufer den Vorzug geben?“748

Kurt Jeschko schrieb 1964 über die Ereignisse in Squaw Valley: „Die österreichische Mannschaft von Squaw Valley war, so paradox es klingt, zu stark. Die Selektion zermürbte das Team, die erwarteten großen Erfolge blieben daher aus.“749

Trotz allem bleibt Schranz aber immer fair und kollegial gegenüber seinen Konkurrenten. So bezeichnet er etwa den Kitzbüheler Anderl Molterer als seinen Freund750, mit dem er auch die Nichtberücksichtigung beim olympischen Slalom in Squaw Valley 1960 überbrückte. Enttäuscht über zwei siebente Plätze in Abfahrt und Riesentorlauf (Schranz war verletzt an den Start gegangen) waren beide wegen disziplinärer Probleme beim Abschlussrennen nicht nominiert worden. An die gereizte Stimmung im Team erinnert sich Schranz: „In unserem österreichischen Lager herrscht keine Spur von Einigkeit. Anordnungen werden gegeben und widerrufen, Läufer aufgestellt und wieder abgestellt. Jeder ist

747 Theiner, Egon: „Egon Zimmermann. Der Verwegenste.“ In: Pointner, u. a.: „Die goldenen Sechs.“ S. 68. 748 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 91f. 749 Jeschko, Kurt: „Österreich in Olympia.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964.S. 16. 750 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 66.

215 ohnehin bis zum Bersten voller Spannung vor den Wettkämpfen. Kein Wunder, dass es manchmal zu geradezu explosiven Ausbrüchen von uns Aktiven oder unseren Funktionären kommt! Da das alles, wie in dieser räumlichen Quartierenge nicht anders möglich, nicht im Geheimen und unter uns bleiben kann, ist bald im wahrsten Sinne des Wortes die Weltpresse voll über die ‚Streitigkeiten im Lager der Österreicher’. Das Schlimmste ist: auch ich kann mich nicht zurückhalten. Mein Temperament geht mit mir durch; ich gebe meine Meinung gar zu deutlich zum Besten. Natürlich geht es nur um die Frage, wer nun endgültig starten wird und wer nicht.“751

Doch auch in der schwierigen Lage, zum Zuschauen beim letzten olympischen Rennen 1960 verdammt zu werden, bleibt er betont korrekt: „Anderl Molterer und ich beginnen allmählich, unsere schwere Enttäuschung zu überwinden. Um uns abzulenken, fahren wir nach Reno, schauen uns die Stadt an und stürzen uns in den dortigen Rummel. Im Grunde aber interessiert uns ja doch nur eins: Wie wird der Slalom ausgehen? Wer gewinnt?“752 Letzten Endes finden sich beide im Publikum des Olympiaslaloms von Squaw Valley wieder. Bei der Fahrt von Hias Leitner, der die Silbermedaille holen sollte, lebt Schranz mit: „Jetzt ist Hias Leitner dran. Vielleicht hilft mein Daumendrücken. Sicherlich wird er aufs Ganze gehen. Aber er gerät einmal so in Rücklage, dass er um ein Haar stürzt. Mir bleibt fast das Herz stehen vor Schreck.“753 Der Neid auf den Goldmedaillengewinner Ernst Hinterseer und den Zweitplatzierten Hias Leitner scheint beim Verfassen der Autobiographie 1963 auch vergessen: „Damit [Sieg von Hinterseer, Anm.] ist uns die erste alpine Goldmedaille sicher, und eine silberne für Hias Leitner dazu! Wir freuen uns wie die Schneekönige.“754 Trotzdem haftet Karl Schranz und Anderl Molterer eine schlechte Reputation innerhalb der Nationalmannschaft an. Dass die lautstarken Beschwerden nach den enttäuschenden Rennen auch von den Teamkollegen sanktioniert wurden, erfährt man, wenn Schranz schreibt:

751 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 96f. 752 ebenda. S. 107. 753 ebenda. S. 110. 754 ebenda. S. 111.

216 „Am Abend veranstalten Franz Kneissl und Ernesto Saska eine Feier, bei der Anderl Molterer und ich in teilweise recht auffälliger Form von einigen bisherigen Freunden ‚geschnitten’ werden.“755

Die Olympischen Spiele von Squaw Valley 1960 erwiesen sich insgesamt zur Probe für den jungen Rennläufer. An den Olympiariesentorlauf erinnert sich Schranz: „Stiegler ist mit der Nummer 3 unterwegs. Seine Zwischenzeit gibt mir einen Stich ins Herz. Schon dort ist er um 2 Sekunden schneller, als ich es war! Damit kann ich all meine Hoffnungen begraben. Das wird vollends klar, als Pepis Endzeit durchgegeben wird. Er war um 2,1 Sekunden besser! Sonst bin ich kein schlechter Verlierer. Diesmal aber übermannt mich die Bitterkeit. […] ich muss allein sein, um meine erste Enttäuschung erst einmal abzureagieren. Ich verlasse das Ziel und gehe einfach planlos davon.“756 Tatsächlich hatte Toni Sailer ein schweres Erbe hinterlassen. Cortina d’Ampezzo 1956 waren die Spiele Österreichs geworden, die mit dem dreifachvergoldeten Kitzbüheler einen Nationalhelden hervorbrachten. Schranz, der sich gerne in der Rolle des „neuen Sailer“ gesehen hätte, war von siebenten Plätzen naturgemäß enttäuscht, verstärkend wirkte dabei die Erwartungshaltung daheim im fernen Österreich: „Sind meine beiden siebenten Plätze wirklich so schlecht? Viele wären glücklich darüber, aber daheim in Österreich gilt ein strenger Maßstab.“757 Versöhnlich notiert er: „Das Gesamtergebnis spricht trotz allem für unsere Mannschaft.“758

Für seine internationalen Rivalen hat Karl Schranz – mit Ausnahme vielleicht der französischen Topfahrer, welche die größte Konkurrenz damals zum österreichischen Nationalteam darstellten – stets versöhnliche Worte. Dem Amerikaner Bud Werner versicherte er, „ein toller Draufgänger“ zu sein, dem Schweizer Olympiasieger von 1960 im Riesentorlauf, Roger Straub, attestierte er eine gute Technik.759 Im Gegenzug schrieben beide ein Vorwort zu Schranz‘ Biographie; Bud Werner etwa adressiert an den Arlberger:

755 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 111f. 756 ebenda. S. 100. 757 ebenda. S. 106. 758 ebenda. S. 101. 759 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 69.

217 „Ich bin davon überzeugt, dass du eines der größten Skitalente bist, die Österreich je hervorgebracht hat, und dass du deinem schönen Vaterland Ehre machst.“760 Weniger Verständnis bringt Schranz für sogenannte „Ski-Exoten“ auf: „Der letzte Teilnehmer, der im ersten Durchgang antritt, heißt Kyung Soon Yim und stammt aus Korea. Er braucht 140,9 Sekunden! Vielleicht ist es richtig, auch Konkurrenten skifahrerisch schwacher Länder an den Olympischen Winterspielen teilnehmen zu lassen, und sicher entspricht es dem olympischen Gedanken. Andererseits macht man sich als Aktiver aber doch Gedanken darüber, warum hier Leistungsklassen vermengt werden, die einfach nicht zueinander passen, da die Schwachen von vornherein ohne jede Chance gegen die routinierten Größen bleiben müssen. Es ist, als müssten Kinder gegen Erwachsene antreten!“761

Augenscheinlich bei Karl Schranz ist die Konkurrenz mit dem französischen Nationalteam. Der Kampf um die Hegemonie im Skisport (siehe im nächsten Kapitel) projizierte sich naturgemäß auch auf den Wettkampfsport. Dabei sind Ressentiments auf nationalistischer Basis ebenso auszuschließen wie ein historisches Erbe; die Fehde basiert rein auf sportlichem Ehrgeiz. Ein Sieg gegen die Franzosen, die sich mit allen Mitteln für die Weltmeisterschaften in Chamonix vorbereiten wollten (siehe Boxtraining im Sommer), galt, je naher das Großereignis heranrückte, als große Genugtuung. Schranz erinnert sich an die Abfahrt des internationalen Skirennens 1962 am Olympiahang von 1956, in Cortina d’Ampezzo: „Als die Favoriten des Rennens herunter sind, ist nicht daran zu rütteln: ich habe die Abfahrt gewonnen! Kein Mensch kann sich vorstellen, wie glücklich ich bin. Und auf dem zweiten Platz? Kein Franzose! Sondern der Deutsche Wolfgang Bartels […]. Erst auf dem dritten Platz ist ein Franzose gelandet, Gaston Perrot. Duvillard762, der Tipp des ‚Ski-Napoleons’ Bonnet763 für Chamonix, ist Vierter geworden, Alberti Fünfter, Lacroix764 Sechster, Hias Leitner Siebenter. Den 8. Platz nimmt der Finne

760 ebenda. S. 5. 761 ebenda. S. 109. 762 Adrien Duvillard, geb. 1934 in Megève (FRA), wurde in Chamonix 1962 4. Im Riesentorlauf. Siehe Statistik auf www.fis.com unter http://www.fis-ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=14849&type=result. (Stand: 1.10.2011) 763 Honore Bonnett übernahm ab 1960 die Betreuung des französischen Nationalteams und gilt als Begründer des französischen Wunderteams um Leo Lacroix, , Adrien Duvillard bis hin zu Jean-Claude Killy. Siehe „Alpine coaching hall of fame“ auf www.youcanski.com. (Stand: 1.10.2011) 764 Leo Lacroix, geb. 1937 in Bois-d’Amont (FRA), wurde bei den Olympischen Spielen in Innsbruck 1964 Zweiter in der Abfahrt und sprach bei den Olympischen Spielen 1968 in Grenoble den Olympischen Eid. Siehe: Kluge: „Olympische Winterspiele.“ Berlin 1994. S. 224.

218 Manninen ein, an den kein Mensch gedacht hat, Neunter ist Perillat765 geworden und Zehnter Bonlieu766. Es war mir möglich, Perillat um 7,2 Sekunden zu schlagen!“767 Schadenfroh notiert Karl Schranz: „Die Franzosen schauen sich gegenseitig betreten an. Ihre Trainingsboxkämpfe haben nichts eingebracht...“768

Den rein sportlichen Rahmen sprengt der Konkurrenzkampf zwischen Österreich und Frankreich im Vorfeld der 17. Alpinen Skiweltmeisterschaften im französischen Chamonix, als sowjetische Sportler keine Einreiseerlaubnis nach Frankreich bekommen. Die FIS drohte damit, die Weltmeisterschaften durch das unvollständige Teilnehmerfeld zu einer internationalen Ski-Woche zu degradieren, woraufhin Österreich anbot das Großereignis in Bad Gastein oder Kitzbühel auszutragen, denn in Österreich gab es keine Einreiseschwierigkeiten für Personen aus der Sowjetunion. Frankreich wiederum protestierte dagegen und enttarnte einen Versuch Österreichs, die Weltmeisterschaften an sich zu reißen.769 Letzten Endes aber wird der diplomatische Streit gelöst und die WM kann wie geplant mit Blick auf den in Chamonix abgehalten werden; Karl Schranz legitimiert seinen Sonderstatus innerhalb der österreichischen Skifahrerelite durch seine zwei Goldmedaillen in Abfahrt und Dreier-Kombination, sowie der Silbermedaille im Riesenslalom (dazu Platz vier im Slalom).

Dass der Konkurrenzkampf mit den Franzosen hohe Wellen schlägt, liest sich bei Karl Schranz sehr anschaulich. So findet er z.B. nur Lob für die Organisatoren eines internationalen Skirennens in Oslo und auch in Squaw Valley findet er keine Mängel. Über die Situation im französischen Nobelskiort Chamonix hingegen schreibt er: „Auch die Journalisten haben mit allerhand technischen und organisatorischen Mängeln zu kämpfen. Im Pressezentrum gibt es außerdem noch einen Rohrbruch. Im Telefonsaal steht das Wasser knöcheltief und zeitweise müssen die Reporter im Dunkeln oder bei Kerzenlicht schreiben...“770

765 Guy Perillat, geb. 1940 in La Clusaz (FRA), holte sich 1960 (Kombination) und 1966 (Riesenslalom) jeweils einen Weltmeistertitel. Siehe Statistik auf www.fis.com unter http://www.fis- ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=46992&type=result. (Stand: 1.10.2011) 766 Francois Bonlieu, geb. 1937 in Juvincourt-et-Damary (FRA), bei einem Streit in Cannes 1973 getötet, gewann den Olympischen Riesentorlauf von Innsbruck 1964. Siehe: Kluge: „Olympische Winterspiele.“ Berlin 1994. S. 198. 767 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 144-161. 768 ebenda. S. 140. 769 Zum Vorfeld der Ski-WM in Chamonix siehe v.a. ebenda. S. 165. 770 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 178.

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Der Streit mit den Franzosen bekommt eine weitere Dimension, als man erfährt, dass selbst Bundeskanzler Alfons Gorbach beim Empfang der Weltmeisterschaftsteilnehmer in Wien zu Karl Schranz‘ Siegen meinte: „Es macht Ihre Siege doppelt wertvoll, dass Sie auf der Hausstrecke der Franzosen gewinnen konnten!“771.

Doch Karl Schranz, stets Gentleman, zeigt Einfühlsamkeit, gerade gegenüber seinen sportlichen Gegnern. Dass beweisen u.a. die Schilderungen des Kandahar-Rennens von 1959 in Garmisch-Partenkirchen, welches er erneut als Sieger – wie schon 1957 und 1958 davor – beenden konnte. Die schwierige Streckenführung, gepaart mit gefährlichen Verhältnissen machte die Abfahrt sehr riskant. Als der Kanadier John Semmelink während dem Rennen verunglückte, nachdem er aus der Piste flog und mit dem Kopf in einem steinigen Bachbett aufprallte, verflog die Freude über den erneuten Sieg bei Schranz772. Betroffen schreibt er: „Es war ein Kandahar ohne Kandahar-Stimmung. Stattdessen wird einer von uns zu Grabe getragen.“773 Tatsächlich führten die Diskussionen nach dem Rennen dazu, dass neben einem verpflichtenden Trainingslauf bei Abfahrten auch das Tragen eines Sturzhelmes obligatorisch wurde.

Der Unfalltod von Toni Mark774 traf Karl Schranz ebenfalls schwer: „Bei den österreichischen Meisterschaften in Kitzbühel bin ich zwar dabei, aber nur als Zuschauer. Riesenslalom und Abfahrt gehören Hias Leitner. Molterer ist im Slalom nicht zu schlagen, aber in der Dreier-Kombination ist Toni Mark der Beste. Ich freue mich, dass Toni diesen Erfolg errungen hat und gratuliere ihm herzlich Er strahlt über das ganze Gesicht. Kurz darauf aber findet derselbe muntere Kamerad, der sich so über seinen Kombinatioissieg gefreut hat, am Wallberg bei Rottach-Egern in Oberbayern nach einem bösen Sturz den Tod.“775

771 Dr. Alfons Gorbach zit. nach: ebenda. S. 199. 772 ebenda. S. 77. 773 ebenda. S. 79. 774 Toni Mark, geboren 1934 in Saalfelden, starb 1959 im deutschen Rottach-Egern 10 Tage nach seinem Sieg bei den Österreichischen Meisterschaften. Siehe: ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008.S. 260. 775 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 80.

220 Trotz der Einfühlsamkeit bleibt Schranz realistisch und schätzt seinen Sport nicht unnötig sicherer ein, als er tatsächlich ist. Schwere Stürze mit schweren, lebensgefährlichen Verletzungen als Folge sind bis heute trotz größtmöglicher Sicherheitsvorkehrungen bei jedem Rennen möglich. Deshalb darf eine gewisse Härte und Kaltschnäuzigkeit nicht fehlen. Schranz schreibt dazu: „Wir Skifahrer sind raue Burschen und haben wenig Erbarmen mit Neulingen. [...] Aber wenn er [Hugo Nindl776, ein junger Ersatzmann] ein guter Abfahrtsläufer werden will, darf er keine Scheu vor einer schweren Piste haben, und man muss sie ihm gleich austreiben.“777 Neben der unübersehbaren technischen Dimension, die Karl Schranz dem Skilauf mit seinen Schilderungen über Skiherstellung, -auswahl und Wachspräparation in seiner Autobiographie gibt, ist auch das Eingestehen von sportlichem Kalkül eine auffallende Abweichung von Toni Sailers Aufzeichnungen. Dabei ist es weniger die Angst vor fatalen Stürzen als eine beinahe mathematische Berechenbarkeit der Gegner, die Karl Schranz im Wettkampf an den Tag legt. Bei seinem Kandahar – Heimsieg im Jahr 1958 zeigt er keinen unbändigen Willen, jedes Rennen zu gewinnen; vielmehr ist Schranz auch bereit Zeit auf Kosten einer sicheren Talfahrt zu investieren. Zum Ausscheiden Josl Rieders im Slalom von St. Anton notiert er: „Nachdem er als Kandidat für die Kombination ausgeschieden ist, kann ich auf ‚Nummer Sicher’ fahren.“778

Dass es beim erfolgreichen Skiläufer auch auf Kalkül ankommt, fehlt beim siegeshungrigen Toni Sailer gänzlich. Karl Schranz fasst die seiner Meinung nach entscheidenden Dinge im folgenden Zitat zusammen: „Oft kommt es nur auf eine Kleinigkeit an […]. Vielleicht ist es der Verzicht auf einen leichten Schwung an der Stelle, die ein anderer vorsichtiger fährt - und schon hat man's geschafft... Das alles hängt zusammen mit Kondition, Nervenverfassung während des Rennens und dem Gesamtbefinden überhaupt.“779

776 Hugo Nindl, geb. 1942 in Axams, 1962 überraschender 7. Platz am Hahnenkamm. Er war Hoffnungsträger für das Österreichische Team für die Olympischen Spiele 1964, fiel aber verletzungsbedingt aus. Siehe: ÖSV (Hrsg.): „Skistars A-Z.“ Innsbruck 2008. S. 297. 777 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 166. 778 ebenda. S. 43. 779 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 69.

221 Damit wird er seinem akribischen Anspruch gerecht. Bei ihm steht nicht der „Triumph des Willens“ wie bei Toni Sailer im Vordergrund, sondern das Zusammenspiel eines fragilen Systems, bei dem auch das Wetter mitspielen muss780. Vor der Olympiaabfahrt in Squaw Valley 1960, die Schranz als Siebtschnellster abfuhr, werden seine Prioritäten noch einmal sichtbar: „Wer hat heute alle Trümpfe in der Hand, den besten Ski - das beste Wachs, die beste Kondition, die größte Sicherheit und - das meiste Glück?“781

Auch bei der Erzählung seines großen Triumphes in der WM-Abfahrt 1960 im französischen Chamonix bleibt Schranz – anders als Sailer in seiner von Springenschmied kräftig mit Pathos gewürzten Biographie von 1956 – am Boden und vor allem technisch. Was bei Toni Sailer die mentale Stärke ist, die in sportlichem Hochmut kumuliert, ist bei Karl Schranz das Vertrauen auf die Technik. Besser gesagt das Wissen um die Notwendigkeit eines intakten Materials. Und so schildert er den Vorabend seines Weltmeistertitels ungewohnt nüchtern und fernab von Mythen: „Am Abend richten Hias [Leitner, Anm.] und ich unsere ausgewählten Ski her. Wir nehmen sie mit auf unser Zimmer. Das ist an sich nicht erlaubt, aber für uns bedeuten diese Brettl so viel, dass wir sie am liebsten mit ins Bett nehmen würden!“782

Eindeutig misst Schranz den richtigen Skiern die größte Importanz bei. Tatsächlich gab es nach dem enttäuschenden Ergebnis bei der Olympiaabfahrt 1960 in Squaw Valley (Schranz wurde als bester Österreicher 7.), die noch dazu mit Jean Vuarnet783 einen französischen Rivalen als Sieger ermittelte, eine große Diskussion über das wahrscheinlich falsche, weil langsame, verwendete Wachs. Karl Schranz aber erkennt die Wichtigkeit des gesamten Systems und schreibt: „Natürlich hat das Wachs eine gewisse Rolle gespielt - für den einen in günstigem, für den anderen in ungünstigem Sinne. Wäre allein das Wachs der Hauptfaktor für

780 ebenda. S. 170. 781 ebenda. S. 102. 782 ebenda. S. 183. 783 Jean Vuarnet, geb. 1933 in Bardo, Tunis (TUN), wurde 1960 in Squaw Valley Olympiasieger und Weltmeister in der Abfahrt nachdem er 1958 in Bad Gastein Bronze in derselben Disziplin gewann. Siehe Statistik auf der FIS-Homepage unter http://www.fis-ski.com/de/606/615.html?sector=AL&competitorid=64763&type=result (Stand: 5.12.2011.)

222 den Sieg gewesen, dann hätte sich - außer den drei Ersten - das gesamte übrige Teilnehmerfeld ‚verwachst’! Und das erscheint doch reichlich übertrieben.“784

Zwar schreibt Florian Madl in seiner Schranz-Biographie, dass der Glaube im Leben des Arlberger Skiläufers eine große Rolle spielt785, doch darf man diesen nicht mit Aberglauben gleichsetzen. So stört er sich nur wenig an der Startnummer 13786; letzten Endes erkennt er für sich selbst: „[...] der Mensch ist keine Präzisionsmaschine, sondern ein lebendes Wesen mit einer ‚Tagesform’, die von vielem abhängen kann - nicht zuletzt von den Nerven oder womöglich gar von einer banalen Sache wie einer Startnummer...“787 Doch das Material bleibt niemals unerwähnt: „Vor allem an die Schuhe muss man sich rechtzeitig gewöhnen; nichts ist für mich unangenehmer und gefährlicher, als mit neuen Schuhen in ein Rennen zu gehen!“788

Schranz über Schranz: Bescheidenheit und Demut.

Nebst aller Selbstbeweihräucherung Toni Sailers, der sich in seiner Autobiographie bei der Schilderung von Prophezeiungen religiös entrückt präsentiert, darf in den 1950er Jahren in Österreich ein großes Maß an Bescheidenheit und Demut nicht fehlen. Sailer, der als „Sonntagskind“ von klein auf seinen Erfolgsweg in einer fatalistischen Betrachtungsweise als unaufhaltsam steigende Kurve inszeniert wird nicht müde, auch von „Rückschlägen“ so zu erzählen, als wären sie große Bürden; ein gebrochener Fuß jedoch war damals wie heute keine Seltenheit bei alpinen Skifahrern. Auch Karl Schranz, der seinen Erfolg niemals skimaterialtechnisch unreflektiert lässt, erkennt, dass die Sportlererzählung neben einer Erfolgsstory vor allem eines sein muss: eine Aneinander Kettung von Widrigkeiten, trotz denen man große Triumphe feiert. Zu jenen passen natürlich die ärmlichen Verhältnissen, in denen Sailer wie Schranz aufwuchsen (auch wenn diese Armut im Vergleich zur allgemeinen Armut der Zeit nichts Außergewöhnliches war). Der Erfolg musste sich hart erarbeitet werden. Als Karl Schranz 1957 das erste Mal in Chamonix Kandahar- Sieger in der Kombinationswertung wurde, darf der stolze Blick zurück nicht fehlen:

784 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 105. 785 Madl: „Karl Schranz.“ Wien-Graz-Klagenfurt 2011. S. 27. 786 Schranz schreibt: „Die 13 stört mich nicht, obwohl mir die gewohnte 12 lieber gewesen wäre.“ aus: Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 75. 787 ebenda. S. 131. 788 ebenda. S. 86.

223 „Als ich abends endlich ins Bett komme, kann ich vor lauter Nachdenken nicht einschlafen. Weiß der Himmel - es war ein harter Weg bis zu diesem Sieg, dem größten meines 18jährigen Lebens! Und auf Rosen gebettet war ich nie...“789

Von jedem Anflug von Starallüren befreit schreibt Karl Schranz über seine Zeit beim Österreichischen Bundesheer und fügt sich so seiner Staatsbürgerlichen Pflicht: „Am 3. Oktober 1960 werde ich zum Bundesheer eingezogen. Gleich am ersten Samstag heißt es: ‚Schranz, in die Küche zum Kartoffelschälen!’ Wahrscheinlich soll mir gleich der Star gestochen werden, damit ich nicht meine, man werde mir hier Extrawürste braten. Damit kann man mich aber nicht beeindrucken.“790 Weiters liest man: „Beim Militär gefällt es mir sogar, zumal es mir hier gelingt, von allen Ereignissen des vergangenen Dreivierteljahres [v.a. den enttäuschenden Olympischen Spielen 1960. Anm.] weiten Abstand zu bekommen.“791

Tatsächlich kann der Sportler seiner militärischen Ausbildung für seine Skikarriere etwas abgewinnen: „In bester Stimmung diene ich meine Militärzeit ab. Manchmal machen wir größere Gebirgstouren - mit Gepäck. Ich fasse es als Training auf und habe Freude daran.“792

Natürlich wird Schranz als Skifahrer beim Bundesheer speziell behandelt. Urlaube für Skirennen erhält er problemlos bewilligt793 und Samstags trainiert er in Innsbruck mit einer Trainingsgruppe für die Alpine Skiweltmeisterschaft 1962 in Chamonix.794

Neben aller Bescheidenheit darf aber auch ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein nicht fehlen. Es sind Tage im Sommer, an denen die österreichischen Skisportler fernab ihres gewohnten Einsatzgebietes in galanter ziviler Kleidung im östlichen Flachland die goldenen Lorbeeren für ihre Erfolge in Eis und Schnee des winterlichen Westens verliehen bekommen. So exotisch der ungewohnte Blick auf Karl Schranz im Anzug vor den geschichtsträchtigen Fassaden der Wiener Innenstadt auch sein mögen, so selbstverständlich werden Empfänge und Ehrungen

789 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 14. 790 ebenda. S. 126f. 791 ebenda. S. 127. 792 ebenda. S. 129. 793 Wie für das Lauberhornrennen im Jänner 1961. Siehe: ebenda. S. 127. 794 ebenda. S. 129.

224 abgehalten, um den Zauber des erfolgreichen Winters in die Hauptstadt zu tragen. 1959 erhält so Karl Schranz die Ehrung zum „Besten Sportler des Jahres 1959“; eine Auszeichnung, die in den drei Jahren zuvor (1956, 1957, 1958) Toni Sailer von den Sportjournalisten verliehen bekam. Karl Schranz scheint die Ehrung jedoch nicht allzu sehr herbeizusehnen, da er eine Reaktion des Publikums bezüglich seines disziplinären Fehlverhaltens bei den Olympischen Spielen 1960 in Squaw Valley fürchtete. Immerhin war Toni Sailer im Vorjahr bei der Verleihung vom Wiener Publikum mit Pfiffen bedacht worden, da der Neoschauspieler nicht beim Begräbnis Toni Marks erschien.

Natürlich hinterlässt dieses große Interesse auch mentale Spuren. Zum Druck, der auf der Nationalmannschaft für die Olympischen Winterspiele in Squaw Valley 1960 lastete, schreibt er in Erinnerung an die Abfahrt von Wien aus: „Hoffentlich erwarten die Menschen in der Heimat von uns nichts Unmögliches! Die Konkurrenz ist beachtlich, und man braucht auch ein bisserl Glück...“795 Von diesem Druck liest man bei Toni Sailer nichts. Vielleicht liegt es im Naturell des Kitzbühlers, der an einem Sonntag geboren wurde und dem das Siegen leicht fiel, keinen Druck zu verspüren. Generell hielt er seine Skikarriere so kurz, dass er nur sehr wenig in die unangenehme Lage kam, Druck von der Öffentlichkeit zu erleben. Einzig im Angesicht seines großen Erfolges und den jubelnden Menschenmassen nach seinem Triumph bei den Weltmeisterschaften in Bad Gastein 1958 liest man von einem Toni Sailer der dem Rummel überdrüssig wird und lausbubenhaft verschwindet. Karl Schranz fällt die große Erwartungshaltung der Öffentlichkeit nicht leicht. Trotz allem kann aber auch er große Erfolge feiern.

Wie Toni Sailer vergisst Karl Schranz aber auch im Angesicht dieser Erfolge nicht auf seine Mutter: „Ich besitze eine große Vitrine voll prächtiger Pokale, Medaillen und Trophäen. Neulich stand ich neben meiner Mutter vor dem Schrank, während sie die ohnehin blitzenden Pokale zum Polieren hervorholte. Sie hielt gerade die große gläserne Weltmeisterschaftstrophäe von Chamonix in der Hand, da sagte sie nachdenklich:

795 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 93.

225 ‚Wer hätte das mal gedacht, Karli!’ Ob ich all das ohne ihr Verständnis und ihre ständige Sorge um mein leibliches Wohlergehen geschafft hätte?“796

Schranz über Schranz: Heimatverbundenheit.

Wie auch Toni Sailer betont Karl Schranz seine Heimatverbundenheit immer wieder. Damit einher geht meist – bei beiden – die Betonung der Wichtigkeit der Familie, wobei die Mutter als klassischer Hort der Geborgenheit betrachtet werden kann. Über sein Heimrennen schreibt Schranz: „Vom 7. bis 9. März 1958 wird in St. Anton das XXIII. Arlberg-Kandahar-Rennen veranstaltet. Diesmal bleibe ich also daheim! Das hat gewisse Vorteile - nicht zuletzt den, von meiner Mutter eigenhändig mit meinen Lieblingsspeisen ‚bekocht’ zu werden.“797

Zu seinem Sieg in der WM-Abfahrt von Chamonix 1962, welche er zum Motiv für das Verfassen seiner Autobiographie machte, notiert Schranz: „Gratulanten stürmen auf mich zu. Ein schwarzhaariges, hübsches Mädchen will mich abküssen. Aber ich bin in dieser Beziehung sehr abergläubisch. Noch habe ich keinesfalls gewonnen! Ich wehre Gratulationen und Kuss ab. [..] All solche Urteile aber verblassen für mich, als ich endlich Gelegenheit finde, meine Mutter in St. Anton telefonisch zu erreichen. Ihr Glückwunsch ist der schönste für mich!“798 Auch Toni Sailer hatte den Kuss einer Frau nach dem Sieg in Cortina d’Ampezzo 1956 gestellt. Er löste die Verwirrung auf und nannte seine Schwester als Absenderin. Dass Karl Schranz den Kuss eines „hübschen Mädchens“ hier den telefonischen Glückwünschen seiner Mutter unterordnet, darf man aus heutiger Sicht als sogenannte „Imagepflege“ verstehen.

Auch für seine Heimat, St. Anton am Arlberg, findet Schranz immer wieder romantische Worte: „Ich freue mich auf St. Anton, aufs Oberdorf an der Arlbergstraße, wo unser Haus steht, auf die blühenden Bergwiesen im Sommer und die Farbenpracht im Herbst,

796 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 217. 797 ebenda. S. 40. 798 ebenda. S. 192, 194. Auf dieses Zitat wird im Kapitel „Geschlecht und Sport im Österreich der ‚langen 1950er Jahre am Beispiel des Alpinen Skilaufs“ noch einmal verwiesen.

226 auf die tiefverschneiten Hänge im Winter, auf Felsgipfel und Kare und die würzig riechenden Wälder im Tal.“799

Der Bewegungsradius eines Skifahrers in den 1950er Jahren war dabei im Vergleich zum Bewegungsradius des Durchschnittlichen Österreichers um ein Vielfaches größer. Zwar beginnt mit dem einsetzenden „Wirtschaftswunder“ und der damit verbundenen Leistbarkeit eines eigenen Automobils eine neue Reisewelle; doch kamen die gemeinen Urlauber während ihren Ausflügen bei weitem nicht so weit herum wie ein Mitglied der Ski-Nationalmannschaft. Für diese jungen Menschen, die zum Großteil vom Land kamen und in bescheidenen Verhältnissen aufwuchsen, war das Dasein als Kosmopolit eine Novität. Die neuen Eindrücke des „Fremden“ wird bei der Autobiographie von Karl Schranz sichtbarer als bei Toni Sailer; letzterer verweist lediglich auf Abweichungen der verschiedenen Pisten.

Als 1957 zum internationalen Ski-Wettbewerb im polnischen Zakopane geladen wird, wo er sowohl Abfahrt, Slalom als auch Dreierkombination gewinnen konnte, bemerkt Karl Schranz: „Wir fahren mit der Bahn über Wien nach Zakopane. Es ist eine unbeschreiblich langweilige Tour. In der Nähe von Kattowitz wird der Waggon, in dem wir sitzen, an einer Station auf ein Rangiergleis gestellt.“800 Damit beschreibt er den Weg in die Hohe Tatra unfreiwillig ähnlich wie man es aus der Literatur der Donaumonarchie kennt. Zakopane, das 1929, 1939 und 1962 als Austragungsort der Nordischen Skiweltmeisterschaften Berühmtheit erlangte, war dem jungen Tiroler kein Begriff. Erstaunt stellt er fest: „Zum Abfahrtslauf kommen ungeheure Zuschauermassen. So viele Menschen sind wir gar nicht gewöhnt. Das Interesse der Polen am Skisport scheint außerordentlich groß zu sein.“801

Weniger Vorurteile als gegenüber dem Ostblock hat der junge Tiroler gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika. Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 1960 im kalifornischen Squaw Valley werden viele österreichische Skistars, darunter auch Karl Schranz, in die USA eingeladen um vom know-how der Österreicher was den

799 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 115. 800 ebenda. S. 35. 801 ebenda. S. 36.

227 Skisport betrifft, zu profitieren. Tatsächlich werden es österreichische Skiläufer wie Anderl Molterer sein, die nach den Olympischen Spielen 1960 in Amerika bleiben und als Pioniere für die großen Wintersportgebiete in den Rocky in Erscheinung treten werden. Karl Schranz wurde im Frühjahr 1959 von seinem Chef, Franz Kneissl, zu dessen Schwester und vor allem Schwager Ernesto Saska, seines Zeichens Generalvertreter der Firma Kneissl in Nordamerika, nach Los Angeles geschickt um die Werbetrommel für den Tiroler Ski zu rühren. Ausgehend des Nobelviertels Pacific Palisades, wo Familie Saska ein Haus besitzt, erkundet Schranz die Stadt und erinnert sich: „Einstweilen interessiert mich in erster Linie aber noch die Stadt Los Angeles. Man kann sich keinen größeren Gegensatz vorstellen: bei der Zwischenlandung in Grönland auf dem Flug hierher sah ich nichts als Regen, Schnee und Nebel. Es war bitterkalt. Hier hängen Orangen an den Bäumen! Die Luft, meist durch eine Brise von der See her aufgefrischt, ist warm und angenehm zu atmen. Die Stadt wirkt riesengroß. [...] Anfangs weiß man kaum, wohin man zuerst blicken soll. Familie Saska macht mit mir auch einen Ausflug nach Hollywood, das mir aber weniger imponiert. [..]. Dagegen ist die Sierra Nevada, das beschneite Gebirge mit dem 4420m hohen Mount Whitney und zahlreichen herrlichen Skigebieten, für mich ein Erlebnis. [...] Es ist herrlich hier!“802 Letzten Endes ist es also die beschneite Bergwelt, die dem Tiroler Skifahrer in Kalifornien am meisten gefällt.

Auch Karl Schranz überlegte nach den Streitereien während den enttäuschenden Olympischen Spielen 1960 in den USA zu bleiben; eigenen Angaben nach hatte er mehrere Angebote als Skilehrer zu arbeiten; ihm sei gar eine ganze Skischule angeboten worden803. Nach drängen Franz Kneissls und gutem Zuspruch seines Freundes Anderl Molterers, der in Aspen verblieb, setzte der junge Skistar seine Karriere aber fort. An den Besuch in Aspen, Colorado, erinnert sich Schranz: „Aspen liegt in einem herrlichen Skigebiet, dem besten, das ich in Nordamerika kennengelernt habe. […] Hier trifft man sehr viele österreichische und deutsche Skilehrer. Was mich aber am meisten freut: mein alter Freund, mein früheres, großes Vorbild, Toni Spiss, ist hier!“804

802 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 81f. 803 ebenda. S. 114f. 804 ebenda. S. 114.

228

Auffallend ist der Verweis auf die Schönheit, die Karl Schranz wieder in Gestalt eines Skigebietes entdeckte. Zwar erwähnt er augenzwinkernd den Schweizer Skifahrer Adolf Mathis805, der während den Olympischen Spielen 1960 in Squaw Valley von Reportern gefragt wurde, was ihm in Amerika bisher am besten gefallen habe und er darauf ‚Ein Fuchs!’ antwortete, daneben am meisten von ‚Zweitausend Kühen zusammen auf einer riesigen Weide!’ beeindruckt war806, doch auch Karl Schranz findet immer wieder jene Dinge erwähnenswert, die er bereits aus Tirol kennt.

8. „SAILER ÜBER SAILER“ UND „SCHRANZ ÜBER SCHRANZ“ IM VERGLEICH.

Die Analyse der zeitgenössischen Autobiographien Toni Sailers und Karl Schranz nehmen in diesem Werk deshalb einen so großen Platz ein, da es keine wichtigere Quelle der Selbstdarstellung und auch der Selbstverständnis bis hin zur Inszenierung gibt.

Die Selbstdarstellung der beiden ist dabei ähnlich: ein immer wiederkehrendes Motiv ist die enge Bindung zur Heimat, welche sich nicht selten in einer romantischen Landschaftsdarstellung gebärt. Es darf davon ausgegangen werden, dass diese „Heimat“ bei Sailer und Schranz (wie auch bei den anderen SkifahrerInnen) nicht etwa die Republik Österreich ist, sondern eine lokal sehr begrenzte geographische Fläche rund um den Mikrokosmos des Ortes des Aufwachsens, der gleichbedeutend Ort des Erlernen des Skifahrens und Ort der ersten großen Skierfolge ist. Einzig wenige Frauen zieht es vom östlichen Flachland Österreichs in den bergigen Westen um dort den Skisport auszuüben; tatsächlich bestätigt sich das Klischee eines beinahe auf Skiern geborenen Sportlers. Das Einzugsgebiet der jeweiligen Skiregion wird auch als Heimat verstanden: wenn Sailer beschreibt, dass er die „Streif“ auswendig kennt, im Winter wie im Sommer; Karl Schranz daneben um jede Bodenwelle der Abfahrt in Sankt Anton am Arlberg Bescheid weiß, so ist dies Ausdruck eines begrenzten Reiseradius‘ der damaligen Zeit, der durch den Skisport auf unnatürliche Dimensionen vergrößert wird. Fern der Heimat wird das bewundert,

805 Adolf Mathis, geboren 1938 in Oberrickenbach, CH, wurde 1959-64 6x in Folge Schweizer Meister im Slalom und gewann 1962 das Lauberhornrennen. Siehe: Munzinger-Biographie. Online unter https://munzinger.de/search/portrait/Adolf+Mathis/1/51960.html (aus dem Internationalen Sportarchiv; Stand: 7.12.2011.) 806 Schranz: „2x Weltmeister.“ München 1963. S. 137.

229 was der Heimat am ähnlichsten ist; fern der Heimat wird der, der vom selben Skiclub kommt, zum Kameraden. Dieser Lokalpatriotismus lässt sich auf ein gemeinsames Bundesland (Tirol) erweitern, im Härtefall aber kann auch ein Konkurrenzkampf zwischen Arlbergern und Kitzbühelern entstehen. Der Konkurrent auf der Piste ist aber immer zugleich ein Kamerad, ein Mensch, mit dem man die Liebe zum Skisport und den Bergen teilt. Freund ist jeder, egal ob Österreicher oder nicht, solange er im Sport zu schlagen ist. Mit der Verbundenheit zur Heimat entsteht unweigerlich das Bild des bescheidenen Skisportlers. Eines Stars, der am Boden geblieben ist. Gerne dient das Essen, welches nirgends besser ist als bei der Mutter, als Beweis für Bescheidenheit. Gratulationen werden am liebsten von Familienmitgliedern entgegengenommen. Beinahe peinlich berührt geben sich die SkifahrerInnen wenn es darum geht, Geld- oder Sachpreise für ihre Leistung anzunehmen (wobei Karl Schranz hier durchaus berechnender wirkt).

Sowohl bei Toni Sailer als auch bei Karl Schranz bestimmt ein nicht übersehbarer Teil an anmaßender Überheblichkeit das Selbstverständnis. Der Skisport wird – vor allem bei Sailer – zur höchsten aller (sportlichen) Künste erkoren, beinahe entsteht das Bild vom sportlichen Herrenmenschen der sich in allen erdenklichen Leibesübungen ein Höchstmaß an Leistungsfähigkeit aneignen muss um, letzten Endes SkifahrerIn werden zu können. Anstatt die Begeisterung für den Skisport mit ihren Autobiographien zu schüren werden Heldentaten, die Übermenschliches vom Athleten verlangen, erzählt und dem breitensporttauglichen Freizeitvergnügen wird sein universeller Anspruch aberkannt. Toni Sailer bringt zur körperlichen Fitness auch die mentale, spirituelle Komponente als wichtiges Utensil des Skifahrers ins Spiel, was in den 1950er Jahren sehr abstrakt ist. Karl Schranz daneben erklärt akribisch die technischen Eckdaten eines Skis und des verwendeten Wachses, lässt es sich auch nicht nehmen von der Wichtigkeit des richtigen Skischuhs zu schreiben und macht auf seine Art und Weise den Skisport, in einer Zeit, da sich mehrere Familienmitglieder Skier teilten und der Gedanke an das generelle Vorhandensein von geeigneten Schuhen reichte, zu einer Aktivität für wenig Auserwählte: entweder den großen Skitalenten, die als Kinder von den Bergbauernhöfen hinunter ins Tal auf Skiern in die Schule fuhren oder die materiell Privilegierten, die sich teures Material und teuren Unterricht (beim Österreichischen Skitalent) leisten konnten.

230

Die Selbstinszenierung divergiert bei den beiden Autobiographien am stärksten. Maßgeblich Schuld daran hat wohl der (Co-)Autor Toni Sailers, Karl Springenschmid, der es sich nicht nehmen lässt in völkischer Tradition von (Süd-)Tiroler Ahnen zu schreiben; von familiär (eugenisch) erklärbarer „Zähigkeit“ der Sailers. Tatsächlich schafft die Autobiographie Toni Sailers einen Mythos, der an alte Heldensagen erinnert und in der Heldentat von Cortina d’Ampezzo 1956 seinen logischen Höhepunkt findet. Natürlich Inszeniert sich auch Karl Schranz, wenn er seine Person bewusst zurücknimmt und dem Material fast die größte Wichtigkeit beim Skilauf zumisst und damit das Understatement zelebriert.

Gängige Skifahrerklischees bedienen beide perfekt: es sind zwei Heimatverbundene Kinder vom Land, die abseits des gewohnten (bergig-beschneiten) Terrains unsicher agieren; zwei Draufgänger die neben dem Skifahren keinen Geist für romantische Gefühle haben; zwei Rebellen auf Skiern, die sich gegen die mächtige FIS auflehnen (letzten Endes beide die Skier wegen der Obrigkeit an den Nagel hängen); es sind bescheidene Naturburschen die vor allem eines sind: hochgradig unpolitisch.

Im zweiten Teil richtet sich nun mein Blick weg von den „Akteuren“ hin zur Repräsentation und Inszenierung des alpinen Skisports in Österreich. Die Rolle der „Akteure“ darf dabei allerdings niemals aus den Augen verloren werden: erst durch Erfolge lassen sich SportlerInnen erfolgreich vermarkten; der Sieg beim internationalen Rennen bringt einem/einer SportlerIn jene Berühmtheit, die Voraussetzung dafür ist, als „Aushängeschild“ oder „Projektionsfläche“ eines „Nationalsports“ zu funktionieren.

231 II: ALPINER SKISPORT UND DIE ERFINDUNG DER ÖSTERREICHISCHEN NATION 1945 – 1964: REPRÄSENTATION, INSZENIERUNG UND REPRODUKTION.

Die Grundannahme dieses Kapitels ist, dass sich Österreich – nach 1945 arm an Identifikationsmerkmalen – in seiner Nationswerdung nicht aus Zufall um das Image einer „Ski-Nation“ bemühte und dass die Identifikation und gelehrte Heimatverbundenheit über den Skilauf ein Ergebnis gezielter Propaganda war. Vom eingangs beschriebenen „top-down“ Prozess in der Nationswerdung ausgehend, stellt die Analyse der Bemühungen des Staates um eine Erziehung der Bürger hin zum Skifahrer (was eine eigentliche Erziehung zum „Österreicher, weil Skifahrer“ bedeutet) den Kern der folgenden Ausführungen. Bei der „Erziehung“ von Bürgern hin zu „Staatsbürgern“ gibt es zwei entscheidende Prozesse: die Propaganda und die Erziehung. Besonders die verspätete Nationsbildung Österreichs, die frei nach Hobsbawm als Reaktion auf den Nationalsozialismus basieren muss, agiert in beiden Prozessen mit viel Kalkül. So liegt allen neuen Bestrebungen die Bemühung zugrunde, die junge Republik mit solchen Charakteristika auszustatten, die keine Erinnerungen an den Nationalsozialismus erwecken; folglich Österreich mit einem „unschuldigen“ Nationsbegriff in Verbindung bringen. Dorthin erzieht man jene, die vom Alter her noch in der Einflusssphäre der staatlichen Erziehung im Rahmen der schulischen Ausbildung stehen und dahin propagiert man, um jene dorthin umzuerziehen, die nicht mehr wie Schüler direkt von staatlichen Einrichtungen erzogen werden, weil sie ihre Schulpflicht bereits erfüllt haben. Natürlich erweisen sich tatsächliche Schüler in Schulen als dankbarere Rezipienten der Staatsbürgererziehung, während die erwachsene Bevölkerung nicht mehr so rigoros indoktriniert werden kann. Die vom Staat unterstützten Projekte wie die Revitalisierung einer Wiener Bühnenkultur807 oder der Produktion landschaftsromantischer Heimatfilme, sowie die Bemühung, sich außenpolitisch als Opfer der Nationalsozialisten zu präsentieren, decken exemplarisch die Kernbereiche des „neuen Österreichs“ ab. Gerade die „neue“ Landschaftsromantik der Zweiten Republik spielt bei der Inszenierung der „Österreichischen Skination“ eine große Rolle und wird mit höchster Sorgfalt betont.

807 Welche natürlich – wie man am Beispiel der Salzburger Festspiele erkennt – nicht an den Ort „Wien“ gebunden ist, sondern hier als Synonym für die allgemein als „Hochkultur“ bekannten Veranstaltungen dient.

232 Nicht zuletzt, weil darauf auch der Tourismus und damit die Stütze einer finanziell gesicherten Zukunft der Republik aufbaut. Im Dezember 1948 gibt Abgeordneter Karl Aichhorn von der ÖVP einen Einblick in diese Argumentationslinie, wenn er sagt: „Österreich hat ein Aktivum in seinen Bergen und Seen, in seinen Heilbädern, Kurorten, Wintersportplätzen und nicht zuletzt in seiner schönen Bundeshauptstadt Wien. Dieses Aktivum muss […] schon jetzt genützt werden; einerseits für die österreichischen Arbeitenden, die sich ihr Recht auf Urlaub in weitgehendem Ausmaß erkämpft haben und nun diesen Urlaub dazu benützen, um Österreichs Sommerfrischen und Fremdenverkehrsorte aufsuchen; darüber hinaus muss jedoch auf jenen Fremdenverkehr Bedacht genommen werden, der die Ausländer nach Österreich bringt, jene Fremden, die sich schon in der Vergangenheit als Devisenbringer erwiesen haben und sich auch in Zukunft als solche erweisen werden.“808 Unter dem Deckmantel der Kultur wurden bereits im Frühjahr 1946 all jene Ausgaben der Republik zusammengefasst (in der sogenannten „Gruppe VI“), die für die Erziehung der Bürger entscheidend sind. Spezialberichterstatter Dr. Hans Pernter von der ÖVP erklärt im Mai 1946 vor dem Nationalrat im Rahmen der Budgetbesprechung: „Die Gruppe VI des Bundesvoranschlages umfasst außer dem Etat des Bundesministeriums für Unterricht das Budget des gesamten Unterrichtswesens; das ist Schulaufsicht, Hochschulen und wissenschaftliche Zwecke, mittlerer und niederer Unterricht, Volksbildungswesen, Lichtbild- und Filmwesen, Überwachung und Lenkung der Jugendbewegung und Überwachung des Sportwesens, ferner das Budget der Kunst, darunter die Aufwendung des Staates für die bildenden Künste, die Musik und darstellende Kunst, das Musealwesen, die Denkmalpflege und die Literatur, und schließlich noch den Voranschlag für die Bundestheater. Es handelt sich also hier [...] um das Kulturbudget Österreichs, somit um einen Teil des Staatsvoranschlages, dem im Hinblick auf die großen kulturellen Leistungen unseres Landes und seine Wertung in der Welt als Kulturstaat hohen Ranges eine besondere Bedeutung zukommt. Der Gesamtbetrag dieses Kulturbudgets, der rund 200 Millionen Schilling ausmacht, stellt wohl nur acht Prozent des Staatshaushaltes dar, ist aber mit Rücksicht auf die außerordentlichen Schwierigkeiten unserer Lage doch ein namhafter Betrag, der

808 Sten. Protokoll der 99. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der V. Gesetzgebungsperiode. 16.12.1948. S. 2896.

233 beweist, dass Österreich bestrebt ist, trotz seiner Notlage das Möglichste für die Erhaltung seiner kulturellen Einrichtungen aufzubringen.“809 Tatsächlich stellen 8% des Staatshaushaltes im finanziell sehr geschwächten Österreich der unmittelbaren Nachkriegszeit einen beachtlichen Wert dar, der Nutzen für den Staat liegt aber weniger in der Betätigung als Mäzen als auf dem Wert der Kultur als Erziehungsinstrument zum Staatsbürgertum und der Inszenierung. Der Sport wird dabei in einem Atemzug mit den bildenden Künsten, sogar den wissenschaftlichen Leistungen des Staates genannt. Dadurch stelle ich fest, dass die Bedeutung des Sportes für die Nationswerdung von Anfang an eine wichtige war und im Laufe der Zeit sogar an Importanz zunahm. Der Ansporn, Österreich als universelle Kulturnation zu etablieren, ging dabei immer Hand in Hand mit der Förderung des Sports. So wird im Zuge der Budgetverhandlungen für 1947 ein Mehraufwand im Bereich des Etats für Unterricht und Kultur dadurch gerechtfertigt, dass das „schwer geprüfte Vaterland [...] trotz seiner Notlage das möglichste für die Erhaltung seiner kulturellen Einrichtungen und für die geistige Schulung der jungen Generation“ tun müsse, denn „Österreich hat nun einmal seine kulturelle Sendung in Europa und in der Welt und kann [...] auf diesem Gebiete eine Weltmacht sein“810. Welche wichtige Rolle dabei dem Sport zufällt, liest man daraus, wenn Forderungen an die Regierung gerichtet werden und dabei - nach der Entnazifizierung der Hochschulen und der Wiedereinführung von Stipendien - der Ruf danach, „unverzüglich die Konstituierung des Österreichischen Olympischen Komitees zu veranlassen“811 bereits an Dritter Stelle formuliert wird. Früh wird auch die Notwendigkeit eines Expertengremiums betreffend sportliche Belange erkannt. Das stenographische Protokoll der 96. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der V. Gesetzgebungsperiode vom 13. Dezember 1948 gibt über den Entschluss Auskunft, dass das Bundesministerium für Unterricht aufgefordert wurde, „ehestens einen Bundessportbeirat zu bilden, der bei allen den Sport betreffenden Fragen seitens des Unterrichtsministeriums zu Rate gezogen wird und die Repräsentation des Sports für alle in Betracht kommenden Fragen darstellt.“812

809 Sten. Protokoll der 18. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der V. Gesetzgebungsperiode. 24.5.1946. S. 313. 810 Sten. Protokoll der 36. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der V. Gesetzgebungsperiode. Freitag, 6.12.1946. S. 955f. 811 Sten. Protokoll der 36. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der V. Gesetzgebungsperiode. Freitag, 6.12.1946. S. 956. 812 Sten. Protokoll der 96. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der V. Gesetzgebungsperiode. 13.12.1948. S. 2708.

234 Bei aller Kenntnis um die Wichtigkeit des Sportes für die Nationsbildung bleibt die Einstellung dazu jedoch oft auch zurückhaltend. Wenn Abgeordneter Karl Mark von der SPÖ 1954 über die Vermischung von Sport- und Kulturbudget sagt: „Sportheime und Sportplätze sind unbedingt nötig, aber man kann sie nicht als wissenschaftliche Institute bezeichnen“813, so erfährt man den Grund für den latenten Geldmangel im österreichischen Sport der „langen 1950er Jahre“. Im folgenden Abschnitt wird mittels Auszügen aus den stenographischen Protokollen des Nationalrats (stellenweise auch Bundesrates) der impact des Sportes auf die Diskussionen der Österreichischen Legislative betrachtet. Vorausgestellt dazu sei, dass der Sport vor allem bei den Budgetverhandlungen Thema ist; nur in den frühen Jahren der Zweiten Republik werden ideologische Grundsätze formuliert und dem Sport vor allem als Medium der Jugenderziehung Wichtigkeit gezollt.

1. (SKI-) SPORT ALS KULTURELLE LEISTUNG DER 2. REPUBLIK: POLITISCHE DISKUSSION.

Dass der Sport in seiner kulturellen Funktion andere Sparten wiederum hinter sich ließ, liegt natürlich an den Ergebnissen. So konnte Österreich z.B. nach 1945 nicht an die wissenschaftlichen Leistungen der Jahre vor 1938 anschließen (nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Emigrationen) und brauchte auf diesem Gebiet lange, um sich einigermaßen zu erholen. Die Betonung dieser Leistungsdivergenzen wird dann sinnvoll, wenn man sich die Beurteilung der österreichischen Nationswerdung in Erinnerung ruft und dabei nicht zuletzt an die Rezeption Österreichs nach 1945 als „Erfolgsgeschichte“ anknüpft. Sport findet in den politischen Diskussionen der „langen 1950er Jahre“ (vornehmlich werden hier Diskussionen im Österreichischen Nationalrat besprochen) vor allem in Bezug auf staatliche finanzielle Förderungen Eingang in die Protokolle. Sport wird dabei zur förderungswürdigen Kulturleistung der Nation; die Definition Österreichs als „Kulturnation“ klammert dabei den Sport von Anfang an nicht aus. Spezialberichterstatterin Lola Solar von der ÖVP zieht bereits im März 1950, also noch nicht einmal nach fünf Jahren „Zweite Republik“ ein positives Zwischenresümee und berichtet vor dem Nationalrat: „Unsere Schule, unsere Wissenschaftler, unsere Fachgelehrten und nicht zuletzt unsere Künstler haben Weltruf erlangt. Gegenwärtig

813 Sten. Protokoll der 53. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VII. Gesetzgebungsperiode. Donnerstag, 2.12.1954. S. 2421f.

235 erleben wir die großartigen Leistungen unserer Sportjugend, die uns Weltmeisterschaften heimbringt und den Namen unseres kleinen Landes von neuem in die Welt trägt.“814 Auch in ihrem Resümee des Jahres 1950 bleibt sie den Verweis auf die sportlichen (Ski-)Erfolge nicht schuldig: „Das Jahr 1950 brachte für Österreich wieder große Sporterfolge. So konnten nicht weniger als drei Weltmeisterschaften im Skilauf heimgebracht werden.“815 Sie bezieht sich dabei auf die Erfolge des Österreichischen Ski-Teams bei den alpinen Skiweltmeisterschaften 1950 in Aspen, Colorado und beweist das leistungsorientierte Denken der jungen Nation: Erfolg verbindet. Der „Erfolgreiche“ wird zum Vorbild und dadurch zum Identifikationsobjekt. Ist dieser „Erfolgreiche“ nun für seine Heimat, also seine „Nation“ erfolgreich, so wird auch die Heimatverbundenheit, also das Nationsbewusstsein durch dieses Vorbild auf seine Nachahmer übertragen. So wird dem jungen Toni Sailer in seiner sportlichen Überlegenheit auf zwei Skiern ebenso nachgeeifert wie seinem Einsatz in der österreichischen Skinationalmannschaft. Der heute als „Fan“ bezeichnete Nachahmer wird so – vereinfacht dargestellt – zum Skifahrer und gleichzeitig Österreicher. Wenn Abgeordneter Ernst Fischer von der KPÖ bei der gleichen Sitzung wie Lola Solar vor dem Nationalrat sagt, „Wohlverdiente Erfolge der Philharmoniker, einige glanzvolle Aufführungen in den Staatstheatern für ein zahlungskräftiges Publikum, Nobelpreisträger in der Emigration und internationale Preise für unsere Sportler können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kultur in Österreich mehr ein Museumsstück als atmende Wirklichkeit ist“816, dann fürchtet er ein „Ausruhen auf den Lorbeeren“ und die Rücknahme von Fördermitteln. Er erkennt in den erfolgreichen (Ski-) SportlerInnen neben ihrer Funktion als „Staatsidole“ auch deren Potential als „Botschafter“ des neuen Österreichs. Echauffiert über abgewiesene Rückerstattungen von Fahrpreisen für SportlerInnen klagt Fischer an: „Es ist auch nicht einzusehen, warum man den Sportlern keine entsprechende Fahrpreisermäßigung zubilligt. Eine der Sportlerinnen, die nach Aspen reisten, wo Österreich einen Welterfolg hatte, konnte das Fahrgeld selbst nicht aufbringen und musste es sich im letzten Augenblick ausleihen. In anderen Ländern reisen solche

814 Sten. Protokoll der 19. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VI. Gesetzgebungsperiode. 15.3.1950. S. 555. 815 Sten. Protokoll der 38. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VI. Gesetzgebungsperiode. 8.12.1950. S. 1507. 816 Sten. Protokoll der 19. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VI. Gesetzgebungsperiode. 15.3.1950. S. 557.

236 Delegationen zu internationalen Wettspielen kostenlos.“817 Seine Überzeugung, wie wichtig der Sport für die internationale Stellung Österreichs ist, wird vor allem dann greifbar, wenn er sagt: „Österreich wird durch seine offiziellen Politiker nicht sehr glücklich vertreten. Umso erfolgreicher kämpfen unsere Sportler für Österreich: Die Skiläuferin Dagmar Rom hat uns mehr genützt als eine ganze Kompanie von Diplomaten.“818 Es mag in der Ideologie des KPÖ-Funktionärs liegen, SportlerInnen im internationalen Wettkampf einen derart hohen Stellenwert einzuräumen. Tatsächlich entfacht im Verlauf der 1950er Jahre und dem zunehmenden „Wettrüsten“ der Nationen (allem voran der Kontrahenten des Kalten Krieges) im Sport eine hitzige Debatte um die Hochstilisierung von Sportlern zu Botschaftern des Staates. Der ob der Bekleidung diverser prominenter Ämter im Nationalsozialismus heute nicht unumstrittene deutsche Sportwissenschaftler Carl Diem genoss in den Jahrzehnten nach 1945 uneingeschränkte Popularität und so ist es wenig überraschend, dass seine Bücher und Aufsätze auch in Österreich zahlreiche Rezipienten fanden. Diem, der besonders um die „ideologische Reinheit“ (Sport um des Sportes Willen) der Olympischen Spiele der Neuzeit bemüht war, griff immer wieder entscheidend in die in den 1950er bis in die jüngste Vergangenheit aktuelle Diskussion über Profi- bzw. Amateursport ein: im Sinne seines ausgeprägten Amateurideals definiert er den Profisport als etwas Böses, weil Materialistisches819. In seinem Werk „Leibeserziehung“, das in österreichischen Zeitschriften zitiert wurde, schreibt Diem 1959 über die Transformation der Sportler zu sogenannten „Staatsamateuren“: „Die Fratze des Sports hat zum Zusammenbruch der Stufenleiter der Werte geführt. […] Hier hat der Sport zu seinem Teil Unerwünschtes ausgelöst, aber er ist nicht schuld daran; Beweis ist das Unmaß der Ehrung, die der deutsche Sieg beispielsweise in der Fußballweltmeisterschaft 1954 damals ausgelöst hat. Der Sport kam bei der Ehrung dieses Erfolges gar nicht zu Wort, sondern die Gemeinde-, Staats- und Bundesbehörden übersteigerten sich, von der Gestellung eines Sonderzuges angefangen bis zur Auszeichnung durch die höchsten Stellen. […] Was soll aus einem Volke werden, dessen Jugend in dem Glauben aufwächst, man könne sich genauso gut an sportlichen Darbietungen bezahlt machen, wie man Lohn für

817 Sten. Protokoll der 19. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VI. Gesetzgebungsperiode. 15.3.1950. S. 564. 818 Sten. Protokoll der 19. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VI. Gesetzgebungsperiode. 15.3.1950. S. 563. 819 Siehe auch: Breuer: „Sport zwischen Kampf und Spiel.“ Bochum 2008. S. 195.

237 ehrliche Arbeit einstreicht: Geld sei eben Geld! Für den Einbruch der Gewinnsucht in den Sport gibt es eine Erklärung, nicht Entschuldigung: die Oberbewertung des Wirtschaftlichen gegenüber dem Geistigen in unserem gesamten öffentlichen Leben.“820 Dieses Zitat ist neben seiner Funktion als Beweis für die als „unmoralisch“ angesehenen Einnahmen aus Sport (vor allem der in den 1950er Jahren vorherrschenden Meinung, vom Sport alleine sollte niemand leben können) ein Appell an den Staat - bei Veröffentlichungen in österreichischen Zeitschriften an Österreich – aus seinen Sportlern eben keine dieser „Staatsamateure“ zu machen. Hier ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen Sportwissenschaftlern und der Öffentlichkeit: der Staat hat nicht erst seit der Fußballweltmeisterschaft 1954 um den Nutzen guter Sportler für das Nationsbewusstsein gewusst und natürlich lässt man sich zu einer staatlichen Förderung der Spitzensportler hinreißen. Aber auch im Nationalrat hört man kritische Stimmen. Abgeordneter Jakob Mädl von der ÖVP äußerte sich z.B. im Dezember 1955 wie folgt: „Einen anderen Faktor will ich noch aufzählen, der […] zur Verrohung des Gemütslebens beiträgt: der entartete Sportbetrieb. Der Sport diente ja ursprünglich der körperlichen Ertüchtigung. Heißt es doch so schön: Nur in einem gesunden Körper eine gesunde Seele! Lange Zeit hielt man an diesem Grundsatz fest. Wann und wo wird aber wirklich noch Leichtathletik betrieben? Wo sind die erzieherisch wertvollen Turn- und Sportspiele geblieben? Es ist die Zeit gekommen, in der man den Sport bloß als Mittel zum Zweck auffasst, zum Geldverdienen. [...] Sport muss das bleiben, was er ursprünglich bezweckt hat, ein Mittel zur Ertüchtigung des jungen menschlichen Körpers; er darf kein Mittel zur Beschaffung und Anhäufung irdischer Güter oder zum Menschenhandel werden.“821 Ganz ohne materielle Anreize werden aber selten Sportidole geboren. Im Dezember 1954 ist es wieder Ernst Fischer, der vor dem Nationalrat für mehr Unterstützung der österreichischen SportlerInnen eintritt: „Die Sportförderung kommt in dem vorliegenden Kulturbudget noch weit zu kurz. Ich möchte darauf hinweisen, dass die letzten Europa-Wettspiele und internationalen Meisterschaftsspiele gezeigt haben, dass Österreich zwar im Wintersport eine führende Stellung einnimmt, aber in den anderen Sportzweigen, obwohl wir über erstklassige Sportler verfügen,

820 Diem: „Leibeserziehung.“ Schorndorf 1959. S. 12. 821 Sten. Protokoll der 87. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VII. Gesetzgebungsperiode. 15.12.1955. S. 4115.

238 zurückgeblieben ist und nicht die Erfolge heimträgt, die es heimbringen könnte auf Grund des Talentes, auf Grund der Begabung unserer Sportler auf den verschiedensten Gebieten.“ Dabei tritt er für eine parteienunabhängige Organisation des Sportes auf: „Ich glaube, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die überwiegende Mehrheit der Sportler in Österreich mit Parteipolitik direkt nichts zu tun haben will. Sie sind natürlich Wähler der einen oder der anderen Partei, sie sind natürlich Menschen, die politisch ihren Willen bekunden, aber als Sportler möchten sie der Parteipolitik entrückt sein, als Sportler möchten sie über Parteigrenzen hinaus und nicht dirigiert von Parteien arbeiten. Ich glaube auch, dass diese Aufspaltung [in parteipolitische Organisationen, Anm., …] eine der Ursachen für das Zurückbleiben des österreichischen Sports ist.“822 Fischer fordert hier einen überparteilichen Konsens um SportlerInnen bestmöglich zu fördern. Die Bedeutung von SportlerInnen in der Nationsbildung erkannte jedoch nicht nur Ernst Fischer. Oskar Huemer, für die „Wahlpartei der Unabhängigen“ im Nationalrat das „dritte Lager“ repräsentierend, sieht in den SportlerInnen eine wichtige Vorbildfunktion und greift die Erfolge bei der Ski-WM in Aspen 1950 auf: „[…] es ist wahrlich nicht so, dass unsere junge Generation auf einen derartig moralischen Tiefstand gekommen ist, dass ein Eingreifen des Nationalrates dringendst erforderlich wäre. Was unsere Jugend wirklich zu leisten imstande ist, was die junge Generation zu leisten vermag, das haben in letzter Zeit gerade unsere Skiläuferinnen und Skiläufer bei den Wettkämpfen in Aspen bewiesen. Ich fühle mich verpflichtet, hier von dieser Stelle aus im Namen der jungen Generation den Siegerinnen und Siegern von Aspen die höchste Anerkennung und den aufrichtigsten Dank auszusprechen. Wenn einmal in der großen Politik nicht mehr Atombomben, Wasserstoff-Superbomben, Fluggeschwader und Panzerarmeen das entscheidende Wort sprechen, sondern die Waffen des Geistes, dann werden wir Österreicher auch dort als die Ersten mit im Rennen sein.“823 Der sportliche Erfolg wird hier mit den „Waffen des Geistes“ gleichgesetzt; er dient als Maßstab für die Erfolgsaussichten der Jugend und wird so zum Parameter für die Zukunft einer ganzen Nation. Umso ärgerlicher ist es für manchen Parlamentarier, wenn die Sportförderungen – ob der wirtschaftlichen Not – dürftig ausfallen. 1952 ist es wieder ein Kommunist – nämlich Erwin Scharf (späterer

822 Sten. Protokoll der 53. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VII. Gesetzgebungsperiode. 2.12.1954. S. 2379. 823 Sten. Protokoll der 23. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VI. Gesetzgebungsperiode. 31.3.1950. S. 872.

239 Chefredakteur der Zeitschrift „Volksstimme“) – der die finanziellen Förderungen der SportlerInnen anprangert: „Auch die Entwicklung des Schisportes leidet unter der finanziellen Not. Gerade der Schisport, für den es in Österreich alle natürlichen Voraussetzungen gibt, der in Österreich längst ein Massensport geworden ist, verdiente die eingehende Förderung durch Zuschüsse aus Staatsmitteln.“824 Hier ist das Verständnis um die Sonderrolle des Skisports in Österreich ersichtlich. Trotzdem betrug noch 1960 die Förderung mit 438.000 Schilling aus dem Topf des Sport-Toto gleich wenig wie die der damaligen Randsportart (zumindest im Vergleich zum Skisport) Handball825. Trotz allem ist die Förderung des Skisports in Österreich im Beobachtungszeitraum 1945-64 unübersehbar. Vor allem die großen Erfolge in den 1950er Jahren (hier v. a. die prestigeträchtigen Olympiasiege von Toni Sailer 1956) ließen die Erfolge im Skisport zu förderwürdigen Kulturleistungen des Landes aufsteigen. So spricht Johanna Bayer, als Spezialberichterstatterin der ÖVP im Vorfeld zu den Skiweltmeisterschaften 1958 in Badgastein im Nationalrat: „Der Sportförderung dienen unter anderem die vorgesehenen Beträge für zahlreiche Bundessportschulen und für die FIS-Wettkämpfe 1958 in Badgastein. In den letzten Jahren haben hervorragende österreichische Wintersportler dazu beigetragen, dass unserem Lande Anerkennung und Bewunderung gezollt wurde. Sie haben sich als würdige Vertreter des Sportes erwiesen, der ein bedeutendes Mittel zur friedlichen Verständigung der Völker darstellt. Beste Vorbereitung und Organisation einer so bedeutenden Veranstaltung, wie sie die Skiweltmeisterschaften darstellen, erscheint im Interesse des Ansehens unseres Landes notwendig und gerechtfertigt.“826 Hier wird die Wichtigkeit des Skisports für Österreich mit seiner Wirkung auf die Außenwahrnehmung Österreichs legitimiert. Die Außenwahrnehmung, welche am besten als „Image“ eines Staates verstanden werden kann, ist für die Konsolidierung einer Nation von äußerster Wichtigkeit und ist letzten Endes auch direkt mit der Selbstwahrnehmung ihrer Bürger verknüpft. Gerade Klischees und Stereotypen grenzen das „wir“ gegenüber dem „Anderen“ am deutlichsten ab. Die Sitzungen des Nationalrats im Dezember 1956 wurden mitunter dazu genutzt, um das vergangene Jahr – mit den für Österreich erfreulichen Ergebnissen bei den

824 Sten. Protokoll der 93. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VI. Gesetzgebungsperiode. 25.6.1952. S. 3612. 825 Siehe: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli 1960. Heft 7/Jahrgang 14.) S. 16. 826 Sten. Protokoll der 43. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VIII. Gesetzgebungsperiode. 5.12.1957. S. 1811.

240 Olympischen Winterspielen in Cortina d’Ampezzo – Revue passieren zu lassen und ein Resümee zu ziehen. Wieder betont Ernst Fischer von den Linken die Wirkung des Sportes und schwärmt: „Unsere Sportler sind im Triumph von den Olympischen Winterspielen in Cortina heimgekehrt, und ihre Leistung ist Österreich zu Gute gekommen.“ Wenn er bei dieser Sitzung vom 7. Dezember 1956 sagt, es sei „kein Zufall, dass unter den österreichischen Sportlern der Geist der Fairness, der Kameradschaft, der Völkerverständigung bei weitem überwiegt, dass hier eine weltaufgeschlossene Jugend heranwächst“827, propagiert er damit das neue Image der ÖsterreicherInnen; knapp mehr als zehn Jahre nach dem Nationalsozialismus wird dabei - nicht ohne Grund - vor allem auf die „unschuldige“ Jugend gesetzt. Nationalratsabgeordneter Adolf Harwalik von der ÖVP schließt an die Worte von Fischer an: „Nicht nur unsere Kunst und Wissenschaft, auch unser Sport, wie das bereits von meinem Vorredner erwähnt wurde, hat uns die Achtung und Anerkennung der ganzen Welt eingebracht. Und damit haben wir auch Freunde in der Welt gewonnen. Auch ich möchte die integrierende Funktion des Sportes unterstreichen. Noch brandet der Jubel um unsere Sieger bei den Olympischen Spielen an unsere Ohren, noch beseelt uns das schöne Gefühl, im friedlichen Wettkampf der Völker zu den ausgezeichneten Nationen zu gehören. Unsere Jugend soll sich mit der Jugend anderer Länder und Völker immer wieder finden, vornehmlich auch im Sport. Dieser gegenseitige Austausch, dieses Geben und Nehmen ist ein verheißungsvoller Anfang auf dem Wege zu einer besseren Völkerverständigung. Der Sport ist ein nationaler Erziehungsauftrag ersten Ranges.“828 Gleichzeitig warnt Harwalik aber vor den „Schattenseiten“ des Sports, wenn er meint: „Nun ein offenes Wort zum Fußball. Er gehört zu unserer Jugend. […] Heute erscheinen Könige und Staatspräsidenten auf dem Fußballplatz. Sorgen wir aber durch Errichtung von Sportplätzen, Schwimmhallen, Schischanzen, Eisbahnen und Sporthallen dafür, dass wir einer gesunden Sportausübung, die den harmonischen Ausgleich von geistiger und körperlicher Arbeit ermöglicht, die Wege ebnen. So nur können wir unsere Jugend im Verein mit den außerschulischen Erziehungsbemühungen wegführen von den gemeinen und billigen Augen- und Ohrensensationen, so können wir auch verhindern das Abgleiten in das

827 Sten. Protokoll der 16. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VIII. Gesetzgebungsperiode. 7.12.1956. S. 602f. 828 Sten. Protokoll der 16. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VIII. Gesetzgebungsperiode. 7.12.1956. S. 604f.

241 Starunwesen, in die Sportneurose und Sporthysterie. Die Volksvertretung kann dieses Problem nicht ernst genug nehmen und die daraus erwachsenden Aufgaben nicht verantwortlich genug fördern und unterstützen.“829 Eine für die Etablierung eines neuen Österreichs nach 1945 wichtigste Dimension des Sportes ist die olympische - weil pazifistische – Perspektive. Ernst Fischer äußert sich bereits im Dezember 1951 wie folgt zum gegenüber dem Vorjahr knapp gehaltenen Kulturbudget: „Ich möchte daran erinnern, dass seinerzeit - als man das Sporttoto in Österreich beschlossen hat – verbindlich erklärt wurde, dass damit die Verpflichtung des Staates nicht aufgehoben ist, für den Sport, für die Körperkultur in Österreich zu sorgen. In Wirklichkeit hat der Finanzminister mehr und mehr diese Gelder an sich gezogen, und für die gesamte Sportförderung sind in diesem Jahr nicht mehr als 4,5 Millionen Schilling übriggeblieben. Dem steht aber gegenüber, dass der Staat im ersten Jahr des Sporttotos ungefähr 17,5 Millionen Schilling, im zweiten Jahr 20,5 Millionen Schilling aus diesem Sporttoto verdient hat. [...] Wir stellen die Forderung, das Kulturbudget auf Kosten der Ausgaben für die Aufrüstung in Österreich zu unterstützen. Wir sind der Meinung, dass Schulen wichtiger sind als Kasernen. Wir sind der Meinung, dass gesunde, gebildete Kinder ein besserer Schutz dessen sind, was Sie die abendländische Zivilisation nennen, als wenn Sie Geld für die sogenannte Verteidigung der abendländischen Zivilisation ausgeben und dabei diese Zivilisation vor die Hunde gehen lassen, diese Zivilisation zermalmen unter den Ausgaben für ihre angebliche Verteidigung!“830 Auch ÖVP-Abgeordneter Harwalik sieht im olympischen Gedanken die Chance auf eine friedliche Koexistenz der Völker. Im Dezember 1958 sagt er im Parlament: „Der Leistungssport in Österreich gewinnt in der Vorschau auf die kommenden Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck, für die das Budget bereits vorsorglich einen Betrag von 10 Millionen Schilling vorsieht, besondere aktuelle Bedeutung. Möge dieser friedliche Wettkampf dazu beitragen, die kriegerischen Begegnungen der Jugend aller Völker für lange Zeiten zu bannen.“831

829 Sten. Protokoll der 16. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VIII. Gesetzgebungsperiode. 7.12.1956. S. 604f. 830 Sten. Protokoll der 69. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VI. Gesetzgebungsperiode. Samstag, 8.12.1951. S. 2610f. 831 Sten. Protokoll der 71. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VIII. Gesetzgebungsperiode. 5.12.1958. S. 3343.

242 2. (SKI-)SPORT ALS KULTURELLE LEISTUNG DER 2. REPUBLIK: FINANZIELLES.

Die vorangegangenen Zitate richten den Blick auf die sogenannten hard facts der Diskussion um den Sport: auf die finanzielle Sportförderung. Prinzipiell erhält der Sport Förderungen aus dem Kulturbudget und finanziert sich seit dem 55. Bundesgesetz, vom 18. Dezember 1948, über das sogenannte „Sporttoto“. Der Gesetzestext dazu lautet: „Der Nationalrat hat beschlossen: § 1. Sporttoto im Sinne dieses Bundesgesetzes ist eine Einrichtung, die Wetten, welche über den Ausgang mehrerer sportlicher Kämpfe (Kollektivwetten), mit Ausschluss der Pferderennen, abgeschlossen werden, annimmt und durchführt. § 2. (1) Der Betrieb des Sporttotos ist zufolge des bestehenden Glücksspielmonopols ein ausschließliches Recht des Bundes und wird von der Dienststelle für Staatslotterien ausgeübt. (2) Zur Durchführung des Sporttotos wird bei der Dienststelle für Staatslotterien ein Beirat errichtet. Die Zusammensetzung und der Aufgabenkreis dieses Beirates, insbesondere seine Mitwirkung bei Erfassung von Verordnungen, betreffend die näheren Bestimmungen über die Durchführung des Sporttotos (wie Wettbestimmungen usw.), werden durch eine Verordnung des Bundesministeriums für Finanzen im Einvernehmen mit den Bundesministerien für Unterricht und für soziale Verwaltung geregelt, die der Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates bedarf. […] § 3. (1) Vom Reinertrag des Sporttotos fließen 10 v. H., von dem 15 000 000 S übersteigenden Teil des jährlichen Reinertrages 20 v. H. dem Bunde zu; der verbleibende Teil des Reinertrages ist für Zwecke der Sportförderung zu verwenden. (2) Das Bundesministerium für Finanzen im Einvernehmen mit den Bundesministerien für Unterricht und für soziale Verwaltung bestimmt durch Verordnung, die der Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates bedarf, die Richtlinien, nach denen der für Zwecke der Sportförderung gewidmete Teil des Reinertrages zu verwenden ist. […]“832 Bis zum Inkrafttreten des Sporttoto-Gesetzes war die die Sportförderung über das Kulturbudget geregelt, dessen Anteil oben bereits mit 8% des Gesamtbudgets

832 „55. Bundesgesetz vom 18. Dezember 1948, betreffend die Einführung des Sporttotos (Sporttoto-Gesetz).“ BGBl für die Republik Österreich, ausgegeben am 15.3.1948, Stück 12, Jahrgang 1948. S. 273f.

243 ausgewiesen wurde (was im Jahr 1946 einen Gesamtbetrag von 200 Millionen Schilling ausmachte). Der latente Geldmangel bei den Sportvereinen konnte seitens des Bundes nur schwer kompensiert werden, solange hohe Ausgaben für den Wiederaufbau benötigt wurden. Doch auch die Einführung des Sporttotos brachte keine endgültige Lösung des Problems. Eine schöne Quelle dafür sind die stenographischen Protokolle der Nationalratssitzungen und darin wiederum die alljährlich mahnenden Worte Ernst Fischers bezüglich der kümmerlichen Sportförderungen. Fischer bemängelt im Dezember 1954 noch die den SportlerInnen verweigerte Fahrpreisermäßigung: „Die Sportförderung kommt in dem vorliegenden Kulturbudget [für 1955, Anm.] noch weit zu kurz. […] Mit Recht wurde im Ausschuss gesagt, man müsse vor allem den Massensport fördern, man solle nicht das Hauptgewicht auf die Professionals legen. Aber, meine Damen und Herren, gerade wenn man den Massensport fördern will, wenn man den Sport der arbeitenden Bevölkerung fördern will, dann muss man zu einer […] Ermäßigung der Fahrpreise kommen, weil sonst sehr viele dieser Sportorganisationen in eine ganz unmögliche Lage geraten.“833 Ein Jahr später wird sein Anspruch schon universeller: „Der Unterrichtsminister hat im Budgetausschuss erklärt - und wir danken ihm dafür – dass die Erträgnisse des Sporttotos ausschließlich den Sportorganisationen zu Gute kommen. [...] Im abgelaufenen Toto-Jahr wurden immerhin noch aus den Erträgnissen des Totos mehr als 21 Millionen Schilling an den Staat, an den Bund abgeführt. Die staatliche Subvention betrug nur 11 Millionen, und wenn man die Einnahmen abrechnet, sogar nur 7,8 Millionen. In diesem Budget für das Jahr 1956 betragen die Ausgaben für den Sport nahezu 14 Millionen, denen Einnahmen von 3,8 Millionen gegenüberstehen. Es bleiben also etwas mehr als 10 Millionen gegenüber 7,8 Millionen des Vorjahres. Das ist aber eine faktische Erhöhung um nur 2,3 Millionen. Im Rahmen des Gesamtbudgets werden für die Sportförderung nur 0,37 Prozent ausgegeben. Jeder weiß, dass die finanzielle Lage vieler Sportorganisationen in Österreich beunruhigend ist und dass zum Teil auch damit das Absinken mancher Leistungen der österreichischen Sportler in internationalen und auch österreichischen Wettbewerben zusammenhängt. [...] Es ist kein Geheimnis, dass viele Vereinigungen nicht einmal mehr imstande sind, österreichische Meisterschaften zu beschicken […] Außerdem werden die Sportveranstaltungen […] übermäßig besteuert. Daher sind

833 Sten. Protokoll der 53. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VII. Gesetzgebungsperiode. Donnerstag, 2.12.1954. S. 2379f.

244 fast alle internationalen Wettkämpfe in Österreich mit der einzigen Ausnahme der Fußballwettkämpfe mit einem großen Defizit verbunden. […] Ich habe schon darauf hingewiesen, dass diese wirtschaftliche Notlage des österreichischen Sportes zum Teil mitverantwortlich ist für die Senkung des Leistungsniveaus. In vielen Sparten des Sportes, in denen wir jahrelang international zu den Spitzen gehörten, sind wir in der letzten Zeit weit zurückgeblieben.[…] Wir halten eine Erhöhung der Mittel für die Sportförderung im Budget für notwendig. Wir vertreten die Forderung nach einer 50prozentigen Fahrpreisermäßigung für die Sportler und die Forderung nach einer Streichung der Steuern des Bundes für solche Sportveranstaltungen.“834 Auch im darauffolgenden Jahr lässt sich die „Krise“ aus den Aussagen Ernst Fischers deutlich lesen: „Im Budget 1956 waren für Sportförderung ungefähr 10 Millionen Schilling vorgesehen. Im Laufe des Jahres wurden noch weitere 1,1 Millionen freigemacht. Im Jahre 1957 sollen die Mittel für die Sportförderung auf 7 436.000 S gekürzt werden und nur mehr 0,238 Prozent des gesamten Budgets betragen. [...] Die wirtschaftliche Lage der Sportorganisationen hat sich im Laufe der Jahre nicht verbessert, sondern verschlechtert. Allein in Wien sind in diesem Jahr 26 Vereine zugrunde gegangen, in Niederösterreich in jüngster Zeit 15 Vereine. In ehemaligen USIA-Betrieben werden viele Sportanlagen der Arbeiterschaft zum Teil für andere Zwecke verwendet, zum Teil überhaupt aufgelassen.“835 Als Beispiel der Unkosten für den internationalen Auftritt österreichischer Wintersportler eignet sich ein Blick auf die Olympischen Winterspiele 1952 in Oslo. In der offiziellen Publikation des ÖOC liest man: „Die erforderlichen Mittel [zur Vorbereitung der Olympiateilnehmer; Anm.] wurden vom ÖOC beigestellt, das auch alle Sportgeräte und die Olympiakleidung beschaffte. Die hierfür auflaufenden Kosten wurden aus dem dem ÖOC zufließenden Gewinnanteil des Österreichischen Sporttotos, aus einer besonderen Bundesubvention und einer namhaften Zuwendung der Kommission für die Durchführung von internationalen Groß-Sportveranstaltungen bestritten. Seitdem Österreich an Olympischen Spielen teilnimmt, war es das erste Mal, dass die für die Beschickung benötigten Gelder bereits vor Beginn der Spiele vorhanden waren, da besonders darauf Bedacht genommen wurde, dass alle Kosten durch die bereits beim ÖOC befindlichen Mittel gedeckt waren, um nicht nachträglich,

834 Sten. Protokoll der 87. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VII. Gesetzgebungsperiode. 15.12.1955. S. 4084f. 835 Sten. Protokoll der 16. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VIII. Gesetzgebungsperiode. 7.12.1956. S. 602f.

245 durch das Ausbleiben von in Aussicht gestellten Zuwendungen, unliebsamen Überraschungen ausgesetzt zu sein.“836 Die Kosten der Expedition nach Oslo beliefen sich auf insgesamt 608.000 Schilling, die „gebraucht wurden, um Österreich bei den Olympischen Winterspielen in Oslo 1952 zu repräsentieren.“837 Hohe Summen für ein kleines Land wie Österreich. Was folgt, sind jährlich wiederkehrende Appelle von Ernst Fischer betreffend einer Erhöhung des Sportbudgets. Dieses Mantra scheint erst dann Gehör zu finden, als Innsbruck die Zusage für die Abhaltung der IX. Olympischen Winterspiele des Jahres 1964 erhielt. So brüstet sich der seit 1945 parteilose Reinhard Kamitz838 als Finanzminister im Oktober 1958: „Von der Erhöhung im Sachaufwand sind im besonderen hervorzuheben 10 Millionen Schilling für die Vorbereitungskosten der Olympischen Winterspiele im Jahre 1964 in Innsbruck.“839 Ernst Fischer demaskiert zwei Monate später jedoch die neue Spendierfreudigkeit, wenn er sagt: „Die Subventionen für den Sport sind einfach minimal. Der Betrag für Sportförderung macht nur 0,041 Prozent des Gesamtbudgets aus. In diesem Betrag sind aber auch die 5 Millionen Schilling enthalten, die für die Olympischen Winterspiele 1964 vorgesehen sind. Wenn man diese Summe abzieht, bleiben 0,028 Prozent, also ein noch geringerer Prozentsatz als im Budget des vergangenen Jahres.“840 Aus dem stenographischen Protokoll der 108. Sitzung des Nationalrates der IX. Gesetzgebungsperiode, abgehalten am 23. Juli 1962 erfährt man neben der chronischen finanziellen Unterversorgung auch vom Missbrauch diverser Gelder, wenn man dem Abgeordneten Franz Enge Gehör schenkt: „Bei Überprüfung der Gebarung des Bundessportheimes und der Alpinen Forschungsstelle der Universität Innsbruck in Obergurgl kamen verschiedene Unzukömmlichkeiten zutage, die sich der ehemalige Leiter des Bundessportheimes hatte zuschulden kommen lassen. Der Rechnungshof bemängelte weiters, dass Subventionen, vor allem an Sportvereine,

836 ÖOC: „Oslo 1952.“ Wien 1952. S. 13. 837 ÖOC: „Oslo 1952.“ Wien 1952. S. 13. 838 Reinhard Kamitz war von 1952-1960 Finanzminister im Kabinett von Bundeskanzler Julius Raab. 839 Sten. Protokoll der 64. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VIII. Gesetzgebungsperiode. 22.10. 1958. S. 2972. 840 Sten. Protokoll der 71. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VIII. Gesetzgebungsperiode. 5.12.1958. S. 3336.

246 gegeben wurden, ohne dass die Vereine entsprechende Verwendungsnachweise erbrachten.“841

3. (SKI-)SPORT ALS KULTURELLE LEISTUNG DER 2. REPUBLIK: OLYMPIA 1964.

Besonders rund um die IX. Olympischen Winterspiele in Innsbruck 1964 entfachen die Diskussionen im Nationalrat zum Thema Sport. Auch dabei steht vor allem die Finanzierung im Vordergrund; über den ideologischen, weltpolitischen und nicht zuletzt touristischen Nutzen für die Republik gab es zu keinem Zeitpunkt Zweifel. Adolf Harwalik, Abgeordneter zum Nationalrat, von der ÖVP sagt im Dezember 1960: „Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat Österreich für eine seiner Städte die Abhaltung Olympischer Spiele gewinnen können. Sie werden 1964 in Innsbruck stattfinden und eine einzigartige Krönung einer trotz aller Beengtheiten und Rückschläge guten Entwicklung des Breiten- und Spitzensports dokumentieren.“842 Harwalik erhebt damit den Sport zur Krönung des Wiederaufbaus. Tatsächlich stellte der Wunsch, Olympische Spiele nach Österreich zu bringen, einen Meilenstein in der Geschichte der jungen Zweiten Republik dar und darf als Weg zurück in die internationale Gemeinschaft gewertet werden. Der frühe Zeitpunkt der Kandidaturen zur Austragung Olympischer Spiele ist ein klares Zeichen dafür, dass die junge Zweite Republik um die nationsbildende Kraft des internationalen sportlichen Wettkampfes wusste und sich derer rasch bedienen wollte. Für Kurt Bernegger war die Initialzündung das Antreten Österreichs bei den Olympischen Winterspielen 1948 in St. Moritz, von wo aus der „Olympische Geist“ von den österreichischen SportlerInnen nach Österreich importiert wurde – hauptsächlich von alpinen SkiläuferInnen843. Die Ersten offiziellen Ambitionen gehen auf das Jahr 1950 zurück, als im August ein Brief des Generalsekretärs des Österreichischen Olympischen Comités, Edgar Fried, bei seinem Präsidenten, den Bundesminister für Justiz a. D., Dr. Josef Gerö, mit der Bitte eingeht, Österreich möge sich über die Möglichkeiten der Durchführung von

841 Sten. Protokoll der 108. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der IX. Gesetzgebungsperiode. 23.7.1962. S. 4779. 842 Sten. Protokoll der 49. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der IX. Gesetzgebungsperiode. 2.12.1960. S. 2004. 843 Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (24-36.) S. 25.

247 Olympischen Winterspielen informieren.844 Danach lud Gerö den damaligen Bürgermeister der Stadt Innsbruck, Dr. Anton Melzer, als auch an den Bürgermeister von Badgastein, Franz Wagenleitner, dazu ein, sich mit ihren Gemeinden um die Durchführung von Olympischen Winterspielen zu bewerben. Am 11. April 1951 beschloss der Gemeinderat der Stadt Innsbruck, sich für die Bewerbung auszusprechen und Bundeskanzler, Leopold Figl, der Tiroler Landeshauptmann Alois Grauß, sowie der Bürgermeister der Stadt Innsbruck, Franz Greiter, verfassten daraufhin ein Schreiben an das Internationale Olympische Comité, in dem die Überprüfung der Eignung der Stadt Innsbruck in Bezug auf die Durchführung von Olympischen Winterspielen bestätigt wurde. Auch wurde versichert, dass bei einer eventuellen Vergabe von Olympischen Winterspielen an die Stadt Innsbruck mit einem vollen Erfolg dieser Spiele gerechnet werden könne. Der nächste wichtige Schritt in Richtung der Olympischen Spiele 1964 war die vom 3. bis 11. Mai 1951 in Wien stattfindende 45. Session des Internationalen Olympischen Comités. Generell darf diese IOC Versammlung als großer Schritt Österreichs – Wiens im besonderen – in Richtung seiner Mittlerfunktion zwischen Ost und West gesehen werden. Tatsächlich befindet sich Österreich auf diesem IOC-Kongress in einer international bedeutsamen Zusammenkunft wieder und dient sogar als Gastgeber. Kurt Bernegger erinnert sich: „Die Vierzonenstadt Wien bewies in diesen Maitagen des Jahres 1951 nicht nur ihre hervorragende Eignung für internationale Kongresse von Format, sondern war einmal mehr Mittler zwischen Ost und West.“845 Die Symbolkraft des Kongresses wurde auch durch die dort gefällten Entscheidungen untermauert, als die Sowjetunion als vollberechtigtes Mitglied in das IOC aufgenommen und der Präsident des sowjetischen nationalen olympischen Comités ohne Gegenstimmen zum Mitglied des IOC gewählt wurde; daneben Nigeria und Ghana in das IOC aufgenommen und das nationale olympische Comité der Bundesrepublik Deutschland nach dem Bann von den Spielen 1948 wieder in die olympische Familie aufgenommen wurde. ÖOC-Generalsekretär Edgar Fried erinnert sich: ,,Sechs Jahre nach Kriegsende saßen die Feinde des Zweiten Weltkrieges, Amerikaner, Japaner, Russen, Deutsche, Franzosen, Italiener und Engländer, friedlich am Konferenztisch zusammen, der Erzbischof von Wien,

844 Die Geschichte der Bewerbung der Stadt Innsburck für die IX. Olympischen Winterspiele, einschließlich Daten, Zitate von Tiroler Landtags- sowie offiziellen Beschlüssen der internationalen wie nationalen Olympischen Organisationen entnehme ich aus der offiziellen Publikation des Österreichischen Olympischen Comités. ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 9f. 845 Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (24-36.) S. 26.

248 Kardinal Dr. Innitzer, neben den Hochkommissaren der vier Besatzungsmächte und Österreichs Bundeskanzler Leopold Figl. Österreich und Wien haben damals über den IOC-Kongress die Rückkehr in die internationale Welt gefeiert. Zugleich war dieser olympische Schritt in die Welt die Geburtsstunde der nationalen olympischen Idee, Winterspiele in Österreich zu veranstalten."846 Im Zuge des Kongresses besuchten die IOC-Verantwortlichen Badgastein und Innsbruck, um sich ein Bild der möglichen Wettkampfstätten zu machen. Besonders aufgrund der besseren Infrastruktur kristallisierte sich bald schon Innsbruck als Favorit gegenüber Badgastein heraus, wobei die Erklärung des IOC-Kanzlers Otto Mayer kurz vor der Abreise der IOC-Delegation aus Innsbruck zur österreichischen Sportlegende geworden ist. Zu den Überlegungen meinte er: „Unser aller Herz wäre zweifellos für Gastein, allein der Verstand rät uns, Innsbruck als Austragungsort für Olympische Winterspiele dem österreichischen Olympischen Comité in Wien vorzuschlagen. Die örtlichen und verkehrsmäßigen Voraussetzungen sind in Innsbruck wesentlich besser.“847 So fasste am 2. Juli 1951 die Vollversammlung des Österreichischen Olympischen Comités den Beschluss, dem Internationalen Olympischen Comité die Bewerbung der Stadt Innsbruck um die Durchführung der VIII. Olympischen Winterspiele 1960 vorzuschlagen. Anlässlich der Olympischen Winterspiele 1952 in Oslo wurde die Bewerbung Innsbrucks an die IOC-Mitglieder bekanntgegeben und von diesen diskutiert. Ein entscheidender Schritt in Richtung internationaler Skigroßveranstaltungen in Österreich stellte auch die internationale Wintersportwoche 1952 in Bad Gastein dar. Diese war durch einen Beschluss der FIS zur Pflichtveranstaltung der Alpenländer erklärt worden. Die ausgezeichnete Beteiligung von Nationalteams stand damit fest. Da ganz Europa in der ersten Jännerhälfte des Jahres 1952 unter starkem Schneemangel litt, waren aber viel mehr Nationen gezwungen, ihre alpinen Olympiaskimannschaften hinsichtlich der Vorbereitungen für Oslo in die besonders schneesicheren, hochgelegenen Gebirgsorte Mitteleuropas zum Training zu entsenden. Dem ÖSV gelang es letztlich, fast sämtliche Trainingsgruppen für Badgastein zu gewinnen, und das Nennungsergebnis übertraf bei weitem alle Erwartungen: 14 Nationen, darunter Deutschland, Australien, Dänemark, Frankreich,

846 Zit. Nach: Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien- München 1964. (24-36.). S. 26. 847 ebenda. S. 27.

249 England, Italien, Japan, Neuseeland, Norwegen, Schweden, Schweiz, USA, Jugoslawien und Österreich, mit fast den vollen Nationalmannschaften meldeten sich zum Start. Bad Gastein trotzte dabei dem schlechten Wetter, das auch dem zentralen Alpenraum nicht verschonte. Doch mit vereinten Kräften schaffte man es, die Pisten zu Präparieren. Das ÖOC schrieb darüber 1952: „Alle Schichten der Bevölkerung Badgasteins waren bei diesen Arbeiten mit beispielgebendem Idealismus am Werke gewesen.“ Was folgte, wurde als österreichische Erfolgsstory verkauft: „Unter außergewöhnlichen Sicherheitsmaßnahmen wurde dann schließlich am Sonntag, den 20. Jänner, nachmittags der Abfahrtslauf gestartet. Nahezu 10.000 Zuschauer umsäumten die Rennstrecke, die bei leicht sonnigem Wetter eine sehr schwierige aber ideale Kampfbahn darstellte. Immer wieder riss der gewaltige Zielschuss die Zuschauermassen zu begeistertem Beifall hin. […] Glänzend, ohne wesentlichen Unfall, und für Österreichs Farben besonders glücklich, waren die alpinen Kämpfe vorbeigegangen. Für ganz Österreich und besonders für Badgastein ehrend, waren die Kritiken der ausländischen Gäste. Otto Menardi, der Präsident des Abfahrts- und Slalom-Komitees der FIS, fand herzliche Worte der Anerkennung, und das olympische Team der USA sandte ein von allen Mitgliedern unterzeichnetes Schreiben, in dem es seinen Dank an Österreich für ‚die wundervolle Woche in Badgastein‘ zum Ausdruck brachte. Badgastein ist es damit gelungen, nicht nur die sportlichen Wünsche seiner Gäste zu befriedigen, sondern auch vor höchstem internationalem Forum zu zeigen, dass Österreich als Gastland und Organisator Vorbildliches zu leisten versteht.“848 Hier wird der Anspruch Österreichs deutlich sichtbar, künftig nicht nur erfolgreiche SportlerInnen im alpinen Skisport zu stellen, sondern auch als erstklassiger Veranstalter für internationale Skigroßereignisse in den Vordergrund zu treten. Ganz so, wie es Kurt Bernegger 1964 schrieb, als er Innsbruck, als Veranstalter der Olympischen Winterspiele 1964 als „Hauptstadt des alpinen Skilaufs“849 bezeichnete; die Stadt, die so sehr mit dem Skisport verbunden ist, dass sie einen „wohlsitzenden Maßanzug“850 für Ereignisse wie diese darstellt.

Innsbrucks Bürgermeister Alois Lugger verkaufte die Spiele in seiner Bewerbungsrede letztendlich 1964 als „Heimkehr“ des Skisports, ähnlich der

848 ÖOC: „Oslo 1952.“ Wien 1952. S. 85. 849 Bernegger, Kurt: „Winterspiele in einer Skistadt.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (47f.) S. 47. 850 Souk, Bertil: „Der Österreicher und sein Olympischer Traum.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien- München 1964. (67-69.) S. 67.

250 Werbestrategie um den Slogan „football is coming home“ rund um die Fußballeuropameisterschaft 1996 in England: „Als sich Innsbruck um die Olympischen Winterspiele bewarb, geschah dies […] keineswegs nur in der Absicht, die mit großen Mühen geschaffenen Sportanlagen wirtschaftlich nutzbringend werden zu lassen. [...] Vielmehr war der entscheidende Beweggrund: Innsbruck fühlt sich verpflichtet, den österreichischen Meistern, die seit Generationen zur Weltklasse zählen, die Möglichkeit höchster Bewährung in der eigenen Heimat zu verschaffen. Die Olympischen Winterspiele sind vor allem ein Dank an die Sieger von gestern, die mit ihren Erfolgen den Weltruf des österreichischen Wintersports begründet haben. Zugleich sind sie ein Ansporn für die Aktiven von heute, den Vorbildern nachzueifern.“851 Innsbruck erfülle demnach 1964 nur seine historische Pflicht. Am 6. April 1954 beschloss der Tiroler Landtag, sich an der Finanzierung der Spiele zu beteiligen. Am 5. Mai 1954 beschloss der Innsbrucker Gemeinderat ähnliches. Auf Vorschlag des damaligen Justizministers und Präsidenten des Österreichischen Olympischen Comités, Josef Gerö, fasste der Ministerrat am 8. Juli 1954 den Beschluss, die Bewerbung Innsbrucks zu unterstützen. So teilte im Oktober 1954 Bundeskanzler Julius Raab der Stadt Innsbruck die Unterstützung der Bundesregierung zum Finanzierungsübereinkommen mit. Neben den Ambitionen, Olympische Spiele in Innsbruck zu veranstalten, bewarb sich Österreich – davon beseelt, sich als Wintersportnation international zu positionieren – bei der FIS um die Abhaltung der alpinen Weltmeisterschaften von 1958. Die Vergabe der beiden Großveranstaltungen lagen dabei gefährlich nahe beieinander: Ende Mai vergab die FIS in Montreux ihre Weltmeisterschaften, im Juni 1955 das IOC die Olympischen Spiele 1960852. Dabei gelang der österreichischen Delegation ein großer Coup: man einigte sich, gemeinsam mit dem finnischen Lahti um die Vergabe der FIS- Weltmeisterschaften anzutreten. Die Finnen sollten als Großmacht im nordischen Skisport die nordische Ski-WM austragen; Bad Gastein sollte die alpinen Bewerbe abhalten. Die Vermarktung Österreichs zielt klar darauf ab, ein Land des alpinen Skisports zu sein und dadurch Anspruch auf die Großveranstaltung zu haben. Was ein Erfolg für Bad Gastein sein sollte, war für die Bewerbung Innsbrucks für die Olympischen Spiele 1960 eine herbe Niederlage: als der 20. FlS-Kongress in Montreux (Schweiz) die alpinen Ski-Weltmeisterschaften 1958 an Badgastein und die

851 ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. S. 14. 852 Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (24-36.) S. 27.

251 nordischen FIS-Bewerbe an Lahti (Finnland) vergab, wusste man, dass es unwahrscheinlich war, dass das IOC Österreich zwei Jahre nach einer Ski- Großveranstaltung auch die Olympischen Winterspiele abhalten ließ. Auch die FIS begrüßte keine Kollision dieser beiden Veranstaltungen und sprach Bad Gastein die WM mit der Auflage zu, dass, wenn der IOC-Kongress in Paris zwei Wochen später Innsbruck zum Austragungsort der VIII. Olympischen Winterspiele wählen sollte, die alpinen Ski-Weltmeisterschaften 1958 an Kanada fallen würden853. Diese Klausel wurde aber hinfällig, als das IOC in Paris am 17. Juni 1955 über die Vergabe der Winterspiele 1960 abstimmte und Innsbruck gegen das kalifornische Squaw Valley mit 30 zu 32 Stimmen verlor. Diese Entscheidung wurde in Österreich naturgemäß schlecht aufgenommen; immerhin hatte ein noch nicht existierendes Skigebiet in der Nähe eines kalifornischen Dorfes gegen die „Hauptstadt“ der Ostalpen gewonnen. Wilfried Gredler, für die Wahlpartei der Unabhängigen im Nationalrat, misst dem Ergebnis dieser Abstimmung weltpolitisches Kalkül ein, als er im Juni 1955 anmerkt: „Österreich hat [...] die Embargo-Bestimmungen sehr genau erfüllt, während andere Staaten über Hongkong einen recht munteren Handel getrieben haben beziehungsweise über die Schweiz, oder wo immer es war. Es ist das jener merkwürdige Geist, Wasser zu predigen und Wein zu trinken, der manchmal zu Wort kommt, vielleicht auch jetzt bei der Vergebung der Olympiade an ein Dorf unaussprechlichen Namens, Squaw Valley, welches die äußeren Voraussetzungen dazu überhaupt nicht hat. Die schlechtere Behandlung der Stadt Innsbruck war ungerechtfertigt, da diese Stadt zweifellos traditionell und sportlich durchaus den Anspruch auf die Durchführung der Olympiade gehabt hätte. Ich ziehe darum einen Vergleich zwischen dieser Situation auf dem sportlichen Gebiet und der Einstellung auf dem außenpolitischen Gebiet.“854 Die Spiele in Squaw Valley 1960 wurden in der Folge mit Argusaugen beobachtet. Die Bevorzugung einer kalifornischen Großstadt gegenüber Innsbruck, das als Mekka für Wintersportler gehandelt wurde, echauffierte die österreichische Öffentlichkeit noch lange. Im Dezember 1959 liest man in der Sportlehrer-Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“: „Schon jetzt wartet Squaw Valley mit Rekorden auf: Eine Eintrittskarte, die allerdings den Besuch „fast aller

853 Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (24-36.). S. 28. 854 Sten. Protokoll der 71. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der VII. Gesetzgebungsperiode. 22.6.1955. S. 3312.

252 Veranstaltungen“ erlaubt, kostet 1500 Schilling! Ein Sängerchor von 2000 Stimmen wird die Olympische Hymne intonieren! Eine Kapelle mit 1000 Instrumenten wird intonieren! 2000 Offizielle werden 1000 Aktive betreuen! [...] Wie muss den „armen Verwandten des Sportes“ zumute sein, wenn sie sich den Aufwand in Landeswährung umrechnen, während sie nicht wissen, wo ein Turnsaal oder ein Spielplatz aufzutreiben wäre, oder wovon die Miete dafür bezahlt werden sollte?“855 Selbst noch im Juli 1963, als die Spiele in Innsbruck in der letzten Vorbereitungsphase sind, gibt es von Robert Mader in der selbigen Zeitschrift einen Seitenhieb auf die US-amerikanischen Spiele, wenn er schreibt: „Derzeit sind beim Organisationskomitee [der Olympischen Spiele, = „OK“, Anm.] etwa 50 Personen hauptamtlich beschäftigt, und wenn wir rasch einen Vergleich mit Squaw Valley anstellen, dann waren es dort im gleichen Zeitpunkt der Vorbereitungsarbeiten etwa 200 Mitarbeiter, die aber noch nicht so weit waren, wie Innsbruck heute ist. Denn das OK kann heute bereits ehrlichen Herzens sagen: ‚Innsbruck ist bereit.‘“856 Die Schilderungen der Folgenden nationalen Anstrengungen zeigen jedoch, dass Innsbruck nicht mit purem „Talent“ in Form von geographischer Ideallage zur Abhaltung Olympischer Winterspiele prädestiniert war. Alleine am Beispiel der Schneeversorgung möchte ich auf einen Aspekt der Schwierigkeiten und Beschwerlichkeiten voreilig eingehen. So wurde nach mangelndem Schneefall aus Gschnitz der Schnee „von Schneepflügen auf ebenen Wiesen zusammengeschoben, mit Ladegeräten auf schwere Lastkraftwagen geladen, von diesen nach Patsch gefahren, hier in einem der drei Schneedepots abgekippt, mit Ladegeräten auf geländegängige, mit Aufsteckwänden ausgerüstete UNIMOG Fahrzeuge geladen und von diesen über Forstwege und teilweise über die Rennstrecke selbst zu den Bedarfsstellen gebracht.“857 Sieben Tage lang sollte diese „Schneebeschaffungsaktion“ im Vorfeld der Olympischen Spiele in Innsbruck 1964 andauern, welche nur einen kleinen Teil im Mosaik dieser riesigen Aufgabe für Österreich darstellten.

Die großen Anstrengungen waren schon im Umfeld der Bewerbung absehbar; trotzdem war Innsbruck davon getrieben, die Olympischen Spiele nach Österreich zu holen. So sehr man sich bei der Vergabe der VIII. Olympischen Winterspiele auch

855 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1959. Heft 10/Jahrgang 13.) S. 16. 856 Mader, Robert: „Die Vorbereitungen zu den IX. olympischen Winterspielen 1964 in Innsbruck.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli 1963. (Heft 7/Jahrgang 17.) S. 14f. 857 ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 76.

253 vom IOC hintergangen fühlte, beschloss der Gemeinderat der Stadt Innsbruck bereits am 14. Juli 1955 die Bewerbung der Stadt auch für die Austragung der IX. Olympischen Winterspiele 1964 aufrechtzuerhalten. Das Amt des Präsidenten des ÖOC bekleidete nach dem Tod von Dr. Josef Gerö im Jahre 1955 ab März 1956 der Bundesminister für Unterricht, Dr. Heinrich Drimmel, dessen Ministerium auch den österreichischen Sport mitverwaltete. Schon in seiner Antrittsrede erklärte Drimmel, sich mit allen Kräften dafür einzusetzen, dass die nächsten Olympischen Winterspiele in Österreich ausgetragen würden. In der 40. Vorstandssitzung des ÖOC vom 27. Juni 1956 wurde dann beschlossen, das IOC um eine möglichst baldige Entscheidung über den Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1964 zu ersuchen, daneben wurde die neu gebildete Bundesregierung gebeten, noch vor der nächsten IOC-Tagung eine Bestätigung die von der früheren Regierung gemachten finanziellen Zusagen für die Abhaltung Olympischer Spiele zu bestätigen. Nachdem bekannt wurde, dass die Entscheidung über die Vergebung der Olympischen Winterspiele 1964 bei der IOC-Tagung in München im Mai 1959 erfolgen werde, folgte die Bestätigung vom neuen Innsbrucker Bürgermeister, DDr. Alois Lugger, dass der Gemeinderatsbeschluss von 1955, mit dem die Bewerbung um die Austragung der Olympischen Winterspiele 1964 beschlossen worden war, nach wie vor in Kraft sei. Verhandlungen über die Kostendeckung mit Bund und Land würden allerdings erst nach den Tiroler Landtagswahlen stattfinden können. Wieder stand die Kandidatur unter keinem guten Stern, als einige IOC-Mitglieder inzwischen gewisse Bedenken gegen die Kandidatur von Innsbruck wegen eventuellen Schneemangels und Föhneinflusses hatten und andere Austragungsorte bevorzugen würden. Ein weiterer österreichischer Bewerber kristallisierte sich allerdings diesmal – anders als bei den Bewerbungen für 1960 – nicht heraus. Was vor allem fehlte war eine Bestätigung des Budgets der Bewerbung von 1960, um die Spiele von 1964 abzusichern. Am 26. November 1957 ersuchte das ÖOC Bürgermeister Lugger um eine dringende Behandlung der Bewerbung um noch vor Einreichfrist etwaige Schritte einleiten zu können. Gleichzeitig wurde auch das zuständige Ressortministerium über die gegebene Situation unterrichtet, worauf Bundesminister Drimmel für den 17. Dezember 1957 zur Behandlung der Vorbereitungsarbeiten eine Sitzung einberief. In der ÖOC-Vorstandssitzung vom 16. Jänner 1958 wurde letztlich neuerdings die Bewerbung Innsbrucks beschlossen.

254 Was folgte war ein Tauziehen um die Finanzierungen. Im Jänner 1958 wurden in Innsbruck unter Hinzuziehung der Vertreter des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau und des Bundesministeriums für Finanzen Besprechungen geführt; anlässlich der Alpinen Ski-Weltmeisterschaften 1958 in Badgastein wurde eine Delegation des Organisationskomitees von Squaw Valley 1960 eingehend über die Kosten der verschiedenen Sportanlagen und der Organisation verhört. Im Mai 1958 wurde im Bundesministerium für Unterricht eine Sitzung abgehalten, in der man sich mit der Errichtung der Sportstätten für die Winterspiele Innsbruck 1964 befasste, wobei bereits erste Berechnungen für Bauten und Anlagen sowie für die unbedingten anderweitigen Erfordernisse vorlagen. Die dadurch errechnete Endsumme von 118.400.000 Schilling wurde als Grundlage für die Vorlage an den Ministerrat angenommen. Am 30. Mai 1958 stimmte der Ministerrat der Bewerbung Innsbrucks zu. Am 27. Juni 1958 fasste der Tiroler Landtag nachstehenden Beschluss: „Das Land Tirol unterstützt die Bewerbung der Landeshauptstadt Innsbruck um die Abhaltung der Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck. Die Landesregierung wird ermächtigt und beauftragt, bezüglich der finanziellen Beteiligungen und Haftungen des Landes mit den Bundesstellen und der Stadtgemeinde Innsbruck Verhandlungen zu führen und das Ergebnis dieser Verhandlungen dem Landtag zur Beschlussfassung vorzulegen."858 Am 25. September 1958 wurde im Bundesministerium für Unterricht eine weitere interministerielle Sitzung abgehalten, um auf die besondere Wichtigkeit der Erbauung eines Olympischen Dorfes hinzuweisen. Da sich das Olympische Dorf für die längerfristige Verwendung als Familienwohnhäuser eignete, sollten hierfür Mittel des sozialen Wohnbaues herangezogen werden. Am 26. November 1958 überreichte Bürgermeister Lugger in Begleitung von Vizebürgermeister Hans Flöckinger dem IOC die Bewerbung der Stadt Innsbruck, die von Bundeskanzler Julius Raab mit einem Schreiben befürwortet wurde, in dem er dem Projekt die volle Unterstützung der österreichischen Bundesregierung versicherte. Am 26. Mai 1959 letztendlich sprach sich die 55. Session des IOC in München für Innsbruck als Austragungsort der IX. Olympischen Winterspiele aus. Bereits im ersten Wahlgang erhielt die Kandidatur Innsbrucks 49 Stimmen und setzte

858 Zit. Nach: ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 8.

255 sich damit klar gegen die kanadische Bewerbung für Calgary (9 Stimmen) und das finnische Lahti (keine Stimme) durch859.

FIS-WM 1958 als „Generalprobe“.

Schon kurz nach der Niederlage beim Pariser IOC-Kongress von 1955, als man die Spiele an die USA verlor, war der österreichischen Sportwelt klar, dass man sich über die Veranstaltung von Ski-Weltmeisterschaften für künftige wintersportliche Großveranstaltungen – wie die Olympischen Spiele 1964 – aufzwingen könnte. Badgastein wurde so zum „Schrittmacher für die Olympiastadt Innsbruck“860: die Modelle der Olympiastadt Innsbruck wurden bei den alpinen Ski- Weltmeisterschaften 1958 in Badgastein ausgestellt und fanden die größte Beachtung der versammelten Skiexperten aus aller Welt. Daneben spielten auch die WintersportlerInnen mit: seit den Weltmeisterschaften 1950 in Aspen war Österreich die dominierende Skination und brachte bei den Olympischen Spielen von 1956 in Cortina d'Ampezzo und den Weltmeisterschaften in Bad Gastein mit Toni Sailer eine der größten Lichtgestalten des Skisports hervor. Die olympischen Spiele 1964 brachten in ihrem Umfeld zahlreiche Publikationen zum Vorschein, die auch die Geschichte der Bewerbung nicht außer Betracht ließen. Über die Rolle der Ski-WM in Bad Gastein 1958 schreibt Kurt Bernegger etwa: „Der SC Badgastein, der in engster Zusammenarbeit mit Kurverwaltung und Gemeinde im Auftrag des österreichischen Skiverbandes die FIS-eigenen Meisterschaften in den alpinen Disziplinen ausrichtete, hatte diese Prüfung für den Veranstalter Österreich vor dem höchsten Forum ,mit Auszeichnung' bestanden. Schon die Vorbereitungen, die unter der fachmännischen Regie des Generalsekretärs Prof. Friedl Wolfgang standen, forderten dem technischen Experten der FIS […] den Superlativ ,‘einmalig" ab. Der Veranstalter der Ski-Weltmeisterschaften 1954 in Aare drückte vor allem seine uneingeschränkte Bewunderung darüber aus, dass der Skisport in Österreich von Bund, Land und Gemeinde so großzügig unterstützt werde, was in anderen Ländern nicht der Fall wäre. Der Vorsitzende des Abfahrts- und Slalom-Comités der FIS, Prof. Friedl Wolfgang, konnte in Badgastein mit den alpinen Ski- Weltmeisterschaften 1958 jenes Versprechen wahr machen, das er dem FIS- Kongress in Dubrovnik 1957 gegeben hatte: ‚Ich werde mich bemühen, das

859 Kluge: „Olympische Winterspiele.“ Berlin 1994. S. 188. 860 Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (24-36.) S. 29.

256 Musterbeispiel einer idealen FIS-eigenen Meisterschaft vorzuführen...‘ Wetter- und Organisationsglück standen Generalsekretär Wolfgang helfend zur Seite, um die ,WM der Superlative', eine Testveranstaltung für Österreich als Kandidaten um die Winterspiele, zu einem Großerfolg werden zu lassen. Erstmalig in der Geschichte des alpinen Skilaufs konnten sechs FIS-Rennen ohne Proteste abgewickelt werden. Die Mannschaftsführer der 25 Teilnehmernationen gratulierten und dankten für die großartige Leistung der Organisation.“861 Neben dem sportlichen Erfolg konnte sich tatsächlich auch der organisatorische Erfolg sehen lassen: 80.000 verkaufte Eintrittskarten waren ein neuer WM-Rekord; alleine dem Abfahrtslauf am Schlusstag wohnten (Dank Toni Sailer) etwa 35.000 Zuschauer bei. Die österreichischen Bundesbahnen brachten in 36 Sonderzügen mehr als 40.000 Besucher ins Gasteiner Tal.862 Selbst die bestehenden organisatorischen Rekorde der Olympischen Winterspiele 1956 in Cortina d'Ampezzo übertraf Badgastein auf der ganzen Linie. Die Weltmeisterschaften sollten aber auch im Bereich des Einsatzes zur Bewährungsprobe für den Willen der ÖsterreicherInnen werden. Bernegger schreibt: „[…] das Bundesheer-Kommando hatte von Anfang Jänner bis zum 9. Februar zusammen mit freiwilligen Helfern 35.000 Arbeitsstunden geleistet, ungefähr 1000 Stunden am Tag; 40 Kilometer Kabel waren verlegt worden, 40.000 Liter Wasser mussten mit Traggestellen des Bundesheeres an die Rennstrecken transportiert werden, um den Schnee zu binden.“863

Großauftrag Olympia.

Wenige Tage vor den alpinen Ski-Weltmeisterschaften in Badgastein machte Wiens Bürgermeister Franz Jonas in einer Rundfunkansprache die national wie international begrüßte Andeutung, die Bundeshauptstadt Wien wolle sich um die Olympischen Sommerspiele 1964 bewerben. Der Wunsch, die Olympischen Spiele endlich auf österreichischem Boden zu veranstalten, war so stark geworden, dass die Vollversammlung des ÖOC im Dezember 1958 die Bewerbungen der Stadt Innsbruck um die Olympischen Winterspiele und der Stadt Wien um die Olympischen Sommerspiele des Jahres 1964 entgegennehmen konnte. Die Stadt Wien war bereit,

861 Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (24-36.) S. 31. 862 Siehe ebenda. S. 32. 863 ebenda. S. 32.

257 sich seine Olympischen Spiele 500 Millionen Schilling kosten zu lassen. Im Schatten dieser neuen Entwicklung stellte der Bürgermeister der Stadt Innsbruck, DDr. Alois Lugger, fest, dass jedoch Innsbruck das „moralische Recht“ hätte, erstmals Olympische Winterspiele in Österreich zu veranstalten – ein klarer Verweis auf Österreichs Rolle als Wintersport-, vor allem aber als Skination. Ob die Bewerbung Wiens um die Sommerspiele als Aktion im „Kampf des flachen Ostens gegen den bergigen Westen“ gesehen werden kann, ist unwahrscheinlich. Natürlich sieht sich die Stadt Wien als Metropole gern im Zentrum der österreichischen Inszenierung; die Euphorie der Wiener bei den Winterspielen in Innsbruck zeigt aber, dass der Kampf um die Olympischen Spiele 1964 zwischen Innsbruck und Wien weniger mit Hegemonialstreben als mit Neid zu tun hat.

Die Ambitionen um die Ausrichtung von Sommerspielen in Wien waren keineswegs zum Scheitern verurteilt. Das erst zweite Mal (nach Deutschland 1936) bewarb sich ein Land um die Ausrichtung von Winter- und Sommerspiele in einem Jahr; jedoch ließ die Tendenz der Vergabe der Spiele von 1960 den Schluss zu, dass eine der beiden Veranstaltungen in Übersee stattfinden würde. Da Innsbruck im Rennen um die Olympischen Spiele 1964 als haushoher Favorit dastand und das IOC mit der parallelen Abhaltung der Weltausstellung in Wien nicht erfreut war, stellte sich bald Ernüchterung gegenüber den Olympischen Spielen in Wien ein.864

Am 26. Mai 1959 fiel die Entscheidung in München. Innsbrucks Bürgermeister Lugger sprach vor den Vertretern des IOC sein Plädoyer für die Olympischen Spiele 1964 in Innsbruck: „Wollen Sie, sehr geehrte Herren, bei Ihrer Entscheidung auch in Betracht ziehen, dass bisher schon in allen Wintersportländern Mitteleuropas Olympische Winterspiele stattgefunden haben. Unser Land hat an sämtlichen Olympischen Winterspielen seit ihrer Gründung, dem Jahre 1924, mit sehr starken Mannschaften teilgenommen. In aller Bescheidenheit, aber doch mit berechtigtem Stolz darf ich darauf hinweisen, dass wir zahlreiche Olympiasieger und Medaillen- gewinner stellen konnten, sodass unser Land zu den führenden Wintersportländern der Welt gehört. Aus sportlichen Gründen glaubt Österreich, ein moralisches Recht zu haben, die Olympischen Winterspiele 1964 zu beherbergen." 865

864 Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (24-36.) S. 32. 865 Zit. nach: ebenda. S. 34.

258 Die Wiener Bewerbung konnte nicht damit aufwarten, Österreich als Sommersportmacht zu propagieren, sondern zeigte sich um das kulturelle Erbe bemüht. Immer noch wolle Wien „die Hauptstadt Europas werden und nichts wäre geeigneter, dieses Projekt zu unterstützen, als großartige Olympische Spiele in der Donaumetropole. Spiele, wie sie nur Österreich, nur Wien veranstalten kann - Olympische Spiele mit Herz!“866

Als der Wahlgang Tokio 34, Wien zehn, Detroit neun und Brüssel fünf Stimmen zurechnete, war die Entscheidung mit großer Mehrheit für Innsbruck und Tokio gefallen. Während sich Bürgermeister Lugger pressewirksam auf einem Rennschlitten triumphal in den Garten des Münchner „Haus des Sports“ ziehen ließ, stimmte die Wiener Delegation in den Jubel mit ein. Auffallend ist aber die retrospektive Einschätzung Kurt Berneggers, der die Olympischen Spiele 1964 in Innsbruck als Vorbereitung zur Abhaltung Olympischer Spiele in Wien 1968 sieht: „Nun hat Österreich wie vorher Italien, das 1956 die Winterspiele in Cortina d'Ampezzo und 1960 die Sommerspiele in Rom ausrichtete, die Möglichkeit, über die Bewährung im Winter auch das große Fest der Jugend der Welt, die Sommerspiele, nach Wien zu erhalten.“867 Das internationale Interesse war – damals wie heute – bei Sommerspielen doch um ein Vielfaches höher und der internationale Nutzen einer Stadt war durch die „Adelung“ in Form der Olympischen Flamme bei Sommerspielen unvergleichlich.

Für das junge Österreich stellte die Ausrichtung Olympischer Winterspiele 1964 eine große Chance dar, sich endgültig in seinem internationalen Gebären neu zu positionieren. Der pazifistische Grundgedanke der modernen Olympischen Spiele passte gut zu der Rolle, die Österreich seit dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ spielte: es ist dies die Rolle des unschuldigen Mittlers zwischen Ost und West; während so die Teilnahme bei der alpinen Ski-WM in Chamonix zwei Jahre zuvor den von der Sowjetunion entsandten SportlerInnen beinahe verwehrt wurde, ist Innsbruck 1964 die romantische Hülle der romantischen coubertin’schen Ideologie. Der FPÖ-Abgeordnete Klaus Mahnert sichert, stellvertretend für seine Partei, der Organisation der Olympischen Winterspiele in Innsbruck seine volle Unterstützung: „Sie (die freiheitlichen Abgeordneten) geben diese Zustimmung gern, weil sie den olympischen Gedanken bejahen; sie geben die Zustimmung gern, weil sie vor allem

866 Olympiabewerbung der Stadt Wien, nach: Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (24-36.). S. 34. 867 ebenda. S. 34.

259 auch die politische Bedeutung, die politische Wirkung des Sportes in seiner völkerverbindenden Funktion erkennen.“868 Die Abhaltung Olympischer Winterspiele versprach aber vor allem eines: touristische Werbung. So spricht Josef Fink von der Volkspartei im März 1963 in einer Anfrage an den Bundeskanzler über Kredite für die Fremdenverkehrswirtschaft davon, dass – vor allem durch die „großartigen Erfolge der Skisportler“ bedingt - die Olympischen Winterspiele in Innsbruck eine „große fremdenverkehrswirtschaftliche Bedeutung“ hätten.869 Sein Parteikollege Karl Marberger spricht noch kurz vor den Winterspielen, im Dezember 1963, zum Nationalrat: „Auf eine sehr wirkungsvolle Werbemethode will ich besonders hinweisen: die Entsendung unserer Klasseschiläufer zu Auslandsstarts. Sie haben unser Österreich als Wintersportland in der ganzen Welt bekannt gemacht. [...] In wenigen Wochen werden die Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck feierlich eröffnet werden. Dieses sportliche Großereignis für die Jugend der Welt wird Österreich sehr deutlich in die erste Reihe der Wintersportländer hinaufheben. […] Die erfolgreiche Abwicklung der Olympischen Winterspiele wird Österreich Ehre und Nutzen bringen und auch dem wichtigen Zweig unserer Volkswirtschaft Fremdenverkehr starke neue Impulse geben.“870 Hier liest man von „Ehre und Nutzen für Österreich“, welche mit Übernachtungsgästen alleine nicht erreicht werden. Was sich die Republik Österreich von der Abhaltung dieses Sportgroßereignisses neben den touristischen Mehreinnahmen erwartete, fasste der Nationalratsabgeordnete Alfred Migsch von der SPÖ bei der 39. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der X. Gesetzgebungsperiode, am 11. Dezember 1963, zusammen, als er sagte: „Wir alle bringen durch unsere Steuerleistung ein sehr erhebliches Opfer für die Abhaltung der Olympiade, und zwar alle Bevölkerungsteile, und das ist, glaube ich, im ganzen Haus unbestritten. Wir alle! Nun erwarten wir von der Abhaltung einer solchen Olympiade nicht nur sportliche Ereignisse, wir erwarten nicht nur einen finanziellen Erfolg, der einen Teil der Kosten hereinbringen soll, sondern wir erwarten auch eine entsprechende Stärkung des österreichischen Prestiges in der ganzen Welt, wie das

868 Sten. Protokoll der 6. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der X. Gesetzgebungsperiode. 13.3.1963. S. 207. 869 Sten. Protokoll der 94. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der IX. Gesetzgebungsperiode. 7.3.1962. S. 4095. 870 Sten. Protokoll der 37. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der X. Gesetzgebungsperiode. 6.12.1963. S. 2022.

260 auch den anderen Ländern, in denen Olympiaden abgehalten wurden, gelungen ist.“871 FPÖ-Mandatar Jörg Kandutsch meinte bei der gleichen Sitzung: „Ich glaube, dass es in diesem Hause und auch außerhalb niemanden Vernünftigen geben kann, der vielleicht der Meinung sein könnte, es handle sich hier [bei den Olympischen Winterspielen 1964, Anm.] um eine Fehlinvestition. Österreich hat verschiedene Merkmale, die in der Welt bekannt sind und die zu seinem Weltruf beigetragen haben. War es in der Vergangenheit vor allem unsere große Kulturleistung, so ist es in der Gegenwart zum Beispiel die Wiener Staatsoper […] und in jüngster Zeit ist es sicherlich vor allem der Wintersport. Wenn man heute eine Stiltechnik im Skifahren als typisch österreichisch oder tirolerisch bezeichnet und wenn man den österreichischen Ski in der ganzen Welt fährt, weil man in subkutaner Propaganda behauptet, auf österreichischen Skiern könnte jeder ein Toni Sailer werden, so ist das eine große Aktivpost für unsere Wirtschaft , eine Aktivpost, die sich natürlich erst in den nächsten Jahren fruktifizieren wird, wenn diese Olympiade, wie wir alle hoffen, gut und erfolgreich vorbeigegangen ist.“872 Natürlich steckt hinter den Bemühungen wirtschaftliches (touristisches) Kalkül. Beide Redner geben aber mit ihren Aussagen Aufschluss darüber, dass mit dem Wintersport – vor allem mit dem Skisport – ein Stück „neues Österreich“ propagiert wird; und das nicht nur nach außen hin, sondern auch nach innen um konsolidierend zu wirken. Zwar sind beim Tiroler Abgeordneten Hans Jungwirth von der SPÖ noch regionalpatriotische Tendenzen ersichtlich, wenn er sagt, dass „niemand […] bezweifeln [wird], dass das Land Tirol als Fremdenverkehrsland Nummer 1 und als Wintersportland zur Austragung dieser Spiele geradezu prädestiniert ist, haben doch unsere Mädel und Jungen vor allem in den alpinen Disziplinen bei den bisherigen internationalen Veranstaltungen die rot-weiß-roten Farben Österreichs würdevoll und auch siegreich vertreten“873, doch tut er dies nur im Zusammenhang mit der Betonung des universellen Anspruchs dieser Spiele für ganz Österreich: „Es ist erfreulich, dass bereits im Finanz- und Budgetausschuss die einhellige Auffassung

871 Sten. Protokoll der 39. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der X. Gesetzgebungsperiode. 11.12.1963. S. 2099. 872 Sten. Protokoll der 39. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der X. Gesetzgebungsperiode. 11.12.1963. S. 2110. 873 Sten. Protokoll der 6. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der X. Gesetzgebungsperiode. 13.3.1963. S. 201.

261 vertreten wurde, dass die Winterspiele 1964 nicht nur eine Tiroler’sche oder Innsbrucker, sondern eine gesamtösterreichische Angelegenheit sind.“ 874 Trotz allem bleibt aber bei den Tiroler Abgeordneten der unisono-Unterton, Tirol würde sich hervortun um Österreich zu helfen. Wieder zitiere ich den Abgeordneten Jungwirth. Im März 1963 sagt er, sehr zum Gefallen seiner Fraktion: „Ich darf abschließend der Hoffnung Ausdruck geben, dass es der große Bruder Bund sicher wird verschmerzen können, einmal etwas großzügiger gegenüber seinem kleinen Bruder Josef zu sein, der ihm ja bereits durch 600 Jahre in einem nicht unbewegten Geschichtsabschnitt immer treu zur Seite gestanden ist. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass in diesen entscheidenden Tagen vom 29. Jänner bis 9. Februar 1964 Sie alle, ob im Osten oder im Westen unseres Landes, einmütig und fest die Daumen drücken werden, dass uns unsere Madeln und Buam durch einen reichen Medaillensegen die Sorgen wegen eines eventuellen Defizits rascher vergessen lassen. Ihre Erfolge, die sie an die rot-weiß-rote Fahne heften, werden unserer geliebten Heimat Österreich als großer Wintersportnation zur Ehre gereichen.“875 Dass er dabei auf die Rolle Tirols in der Geschichte verweist, gilt als Treppenwitz der Österreichischen Geschichte und erweist sich als Annahme, das Land Tirol würde der Nation (wieder einmal) heroisch zur Seite stehen. Was an diesem Zitat jedoch wirklich in diesem Rahmen interessant ist, ist die Propagierung Österreichs als Wintersportnation. Diese „Wintersportnation“ kann dabei getrost mit dem Begriff der „Ski-Nation“ ersetzt werden. Der ÖVP-Abgeordnete Karl Marberger sieht in den Olympischen Spielen von 1964 die finale Phase hin zur Etablierung dieser Skination: „In wenigen Wochen werden die Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck feierlich eröffnet werden. Dieses sportliche Großereignis für die Jugend der Welt wird Österreich sehr deutlich in die erste Reihe der Wintersportländer hinaufheben.“876 Bereits 1962 findet man Spuren dieser „Sportnation“ – „Wintersportnation“ – „Skination“ im Nationalrat. In der Debatte um den Verzicht auf die Aufenthaltskosten des finnischen Skispringers Pekka Salo, der nach einem Sturz im Rehabilitationszentrum in Tobelbad untergebracht ist, meinte der Abgeordnete Othmar Tödling von der ÖVP: „Herr Minister! Ich anerkenne Ihre Argumentation. Ich möchte aber doch die Frage stellen, ob Sie nicht auch glauben, dass wir als

874 Sten. Protokoll der 6. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der X. Gesetzgebungsperiode. 13.3.1963. S. 201. 875 Sten. Protokoll der 6. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der X. Gesetzgebungsperiode. 13.3.1963. S. 203. 876 Sten. Protokoll der 37. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der X. Gesetzgebungsperiode. 6.12.1963. S. 2022.

262 Sportnation speziell auf dem Gebiete des Wintersportes eine Verpflichtung hätten, helfend einzugreifen.“877 In der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“, herausgegeben vom Bundesministerium für Unterricht und Sport, liest man über die Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen in Innsbruck 1964: „Unser kleines Heimatland mit seinem verpflichtenden Ruf als Wintersportgroßmacht wird bestrebt sein, in diesem Sinne die IX. Olympischen Winterspiele 1964 zu gestalten.“878 Ein Gespür für die Stimmung vor den Winterspielen 1964 gibt uns Heribert Meisel, der in seinem Buch zu den olympischen Spielen in Österreich schrieb: „Nicht nur jene Österreicher, in deren Brust ein „Sportherz“ schlägt, alle, auch die Gesunden, waren ein bisschen stolz, als sie hörten, in ihrem Land würden Olympische Winterspiele stattfinden. Der damit verbundene, harte finanzielle Brocken [...] blieb (vorläufig) niemandem im Halse stecken. Österreich wäre gewiss nicht auf die Idee gekommen, so kostspielige Winterspiele zu veranstalten, wenn in den Bergen dieses Landes nicht eine der Wiegen des alpinen Skilaufes gestanden hätten.“879 Wie viel sich der Bund die Olympischen Winterspiele und alle damit verbundenen (teilweise erhofften) Nebeneffekte tatsächlich kosten lassen will, liest man aus dem betreffenden Gesetzestext vom März 1963: „Der Nationalrat hat beschlossen: § 1. (1) Dem Organisationskomitee der IX. Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck wird aus Bundesmitteln eine Subvention in der Höhe eines Drittels des Abgangs, der sich bei der Durchführung der IX. Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck ergibt, und insoweit dieser Abgang den Betrag von 10 Millionen Schilling übersteigt, eine Subvention in der Höhe der Hälfte des Abgangs bis zu einem Gesamtabgang von höchstens 25 Millionen Schilling gewährt. Die Zahlungen des Bundes haben nach Maßgabe der vom Land Tirol und der Landeshauptstadt Innsbruck übernommenen anteiligen Zahlungen zu erfolgen. (2) Auf diese Subvention können an das Organisationskomitee der IX. Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck Vorschüsse geleistet werden. § 2. Der Landeshauptstadt Innsbruck wird zur Errichtung einer Bobbahn und einer Rodelbahn auf der Heiligwasserwiese bei Igls und zum Ausbau der

877 Sten. Protokoll der 105. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der IX. Gesetzgebungsperiode. 12.7.1962. S. 4601. 878 Mader, Robert: „Die Vorbereitungen zu den IX. olympischen Winterspielen 1964 in Innsbruck.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli 1963. (Heft 7/Jahrgang 17.) S. 14f. 879 Meisel, u. a.: „Olympia 1964.“ München 1964. S. 12.

263 Spezialsprungschanze auf dem Berg Isel aus Bundesmitteln ein Zuschuss von höchstens 30 Millionen Schilling zu den Baukosten gewährt. Desgleichen wird der Gemeinde zum Ausbau der Kombinationssprungschanze ein Zuschuss von höchstens 700.000 S und der Stadtgemeinde Imst zum Ausbau der Rodelbahn ein Zuschuss von höchstens 600.000 S gewährt. § 3. Die nach §§ 1 und 2 zu leistenden Bundeszahlungen sind — ebenso wie die bisher geleisteten Bundeszahlungen — bei den Krediten des Bundesministeriums für Unterricht für die „Sportförderung" im Ausgabenkapitel 12 des Bundesvoranschlages zu verrechnen. § 4. Mit der Vollziehung der §§ 1 und 3 dieses Bundesgesetzes ist das Bundesministerium für Unterricht im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Finanzen und dem Bundesministerium für soziale Verwaltung, mit der Vollziehung des § 2 ist das Bundesministerium für Unterricht im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Finanzen, dem Bundesministerium für soziale Verwaltung und dem Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau betraut.“880 Tatsächlich ist aber mit finanzieller Subventionierung das Projekt, Olympische Winterspiele auszurichten, noch nicht gesichert. Dieser Ansatz führt zum nächsten Punkt: des Einsatzes des Bundesheeres bei sportlichen Großveranstaltungen.

Arbeitsaufwand (des Bundesheeres) für die Olympischen Spiele 1964.

Seit der Neuaufstellung des Österreichischen Bundesheeres im Jahre 1955 konnte es sein Image durch den Einsatz während des Ungarnaufstands 1956 und dem UN- Auslandseinsatz in der Demokratischen Republik Kongo deutlich verbessern. Das Bundesheer abseits kriegerischer Handlungen erfolgreich agieren zu lassen war aber ein noch wichtigerer Aspekt in der Etablierung des „antipreußischen“ Österreichs. Katastropheneinsätze schüren dabei das Vertrauen der Bevölkerung. Durch die Mithilfe bei der Durchführung von Skirennen bekommt das Bundesheer aber eine neue Dimension der Akzeptanz: kein Konflikt, keine Katastrophe stellt den Grund zum Aufmarsch; es ist der positiv konnotierte sportliche Wettkampf, den das Bundesheer mit allen Mühen gewährt und vielleicht in der Praxis erst möglich macht. Das Bundesheer verbreitet so - indirekt - Vergnügen bei der Zivilbevölkerung.

880 „55. Bundesgesetz vom 13. März 1963, betreffend die Förderung der Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck.“ BGBl für die Republik Österreich, ausgegeben am 21.2.1963, Stück 14, Jahrgang 1963. S. 154.

264 Besonders entscheidend ist der Einsatz des Bundesheeres bei Skirennen. Nicht nur die Pistenpräparierung und –instandhaltung bedarf einer großen Anzahl an menschlicher Arbeitszeit; auch die Erschließung neuer Skigebiete bedarf einer solch großen Menge an Arbeitern, sodass für den Veranstalter alleine, ohne Mithilfe der Armee, der Aufwand kaum erschwinglich wäre. Diese „Pioniereinsätze“ des Bundesheeres werden dabei nicht zu wenig heroisiert. Als Beispiel darf der Wochenschaubericht über die Alpine Ski-WM in Badgastein 1958 gesehen werden, bei dem der Beginn des Beitrages mit Bildern von Holz-, Planier- und Sprengungsarbeiten – unter Verwendung des Bundesheeres - bespielt wird. Im Folgenden widme ich mich dem Einsatz des Bundesheeres bei den Olympischen Winterspielen in Innsbruck 1964, welcher durch seine Dimensionen als Beispiel in diesem Rahmen genügt und den enormen Willen zum Mehraufwand der Republik deutlich zeigt. Der Bundesminister für Landesverteidigung, Karl Schleinzer von der ÖVP, rechtfertigte das kaum als militärischen Einsatz einzustufende Engagement des Bundesheeres bei den Olympischen Spielen im März 1963 vor dem Nationalrat wie folgt: „Es handelt sich hier im Grunde nicht um einen Einsatz des Bundesheeres im Sinne des Wehrgesetzes und nur in einem gewissen Umfang um eine Tätigkeit im Rahmen der militärischen Ausbildung. Da jedoch der klaglose Ablauf der Olympischen Winterspiele im Interesse Österreichs liegt und in keinem Staat der Welt Olympische Spiele ohne die Mitwirkung der Armee durchgeführt werden und auch in Österreich nur durch die Mitwirkung des Bundesheeres eine klaglose Durchführung gewährleistet ist, konnte ich mich dem diesbezüglichen Ersuchen des Organisationskomitees nicht verschließen. Auf meinen Antrag hat dann auch der Ministerrat die Mitwirkung des Bundesheeres bei den Olympischen Winterspielen beschlossen.“881 Die Erfahrungen von früheren internationalen Wintersportveranstaltungen hatte gezeigt, dass ohne die intensive Mithilfe von Soldaten bei der Organisation die Veranstaltungen kaum durchführbar wären. Besonders eindrucksvoll trat diese Tatsache schon bei den Alpinen Skiweltmeisterschaften 1954 in Aare und 1958 in Badgastein sowie bei den Olympischen Winterspielen in Cortina d‘Ampezzo und in Squaw Valley in Erscheinung; doch auch der Einsatz des norwegischen Militärs

881 Sten. Protokoll der 6. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der X. Gesetzgebungsperiode. 13.3.1963. S. 178.

265 wegen Schneemangels im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 1952 in Oslo wurden breit diskutiert882. Bilder von amerikanischen Soldaten bei der Pistenpräparierung fanden sogar ihren Weg in die Publikation des deutschen olympischen Comités883.

Schon bei der Gründung des „Organisationskomitees“ der Olympischen Winterspiele in Innsbruck wurde in den Statuten die Mitarbeit des Bundesheeres bei der Vorbereitung und Durchführung der Spiele durch die Nominierung eines Verbindungsoffiziers im Exekutivkomitee vorgesehen. Im offiziellen Bericht des ÖOC liest man: „Die Mithilfe des österreichischen Bundesheeres bei der Organisation der IX. Olympischen Winterspiele wurde schließlich zu einem großen friedlichen, von der ganzen Welt bewunderten Einsatz der jungen österreichischen Armee.“884 In diesem Rahmen reicht eine kurze Darstellung der organisatorischen Abwicklung des Einsatzes. Planung und Strategie erinnern dabei unfreiwillig an einen kriegerischen Einsatz: am 1. Jänner 1963 wurde beim Militärkommando Tirol der „Einsatzstab Olympiade" aufgestellt. Die personelle Zusammensetzung war im allgemeinen diejenige des Militärkommandos; lediglich der Verbindungsoffizier zum Organisationskomitee wurde dem Militärkommando dienstzugeteilt. Der Militärkommandant von Tirol war somit auch Kommandant des „Einsatzstabes Olympiade“ und damit verantwortlicher Vorgesetzter für alle am Olympiaeinsatz beteiligten Einheiten und Kommandos des Bundesheeres. Der „Einsatzstab Olympiade“ erfuhr eine Unterteilung in sieben Gruppen deren Aufgabengebiete von der Planung und Durchführung der Einsätze über Hubschrauberdienste bis hin zu militärmusikalischen Aufgaben reichten. Weiters wurden für spezielle Regionen, die mit bestimmten Aufgaben einhergingen - die alpinen Bewerbe in der und am – eigene Einsatzleiter ernannt, die für rein truppendienstliche Aufgaben, wie Durchführung der erteilten Aufträge, Sicherstellung der Disziplin, materielle Anforderungen und die Regelung der wirtschaftlichen Belange verantwortlich waren. Daneben regelte ein Stabsoffizier die Kooperation mit der zivilen Organisation.

882 Das ÖOC berichtet von 500 Soldaten, die alleine bei den Alpinbewerben die Pisten betreuten. ÖOC: „Oslo 1952.“ Wien 1952. S. 26. 883 Lorenz: „Olympische Spiele 1960.“ Innsbruck 1960. Bilderteil. 884 ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 27.

266 Um fernmeldemäßig vom Post- und dem bestehenden Heeresnetz unabhängig zu sein, wurde beim Einsatzstab die „Olympia-Vermittlung" mit 39 Anschlüssen in Betrieb genommen. Diese Vermittlung verband Kommanden, Wettkampfstätten, eingesetzten Truppen, Flughafen, das Olympische Dorf und das Organisationskomitee miteinander. Die Unterbringung der Truppe erfolgte in Kasernen der Garnisonen Innsbruck und Solbad Hall in Tirol. Um die Einheiten möglichst nahe bei ihren Arbeitsstellen zu haben, wurden zusätzliche Unterkunftsräume geschaffen oder gemietet. Für die alpinen Bewerbe wurden so in der Axamer Lizum eine Baracke mit eigener Kochstelle und das Naturfreundehaus Birgitz beim Start des Riesentorlaufes der Herren mit insgesamt 135 Mann Belegungsmöglichkeit beansprucht. Der Transport der Pistenkommandos wurde mit Privat- und Postautobussen von den Kasernen zu den Einsatzräumen durchgeführt. Vom 8. Dezember 1963 bis 9. Februar 1964 wurden so insgesamt 21 596 Soldaten mit 595 Autobussen transportiert. Daneben stellte das Bundesheer insgesamt 394 Kraftfahrzeuge zur Verfügung. Sämtliches Kleingerät, wie Schaufeln, Beile, Rechen, Schneehexen, Schneerinnen o.ä. stellte das Organisationskomitee der Truppe zur Verfügung. Das Bundesheer steuerte 50 Akjas, 8 Notstromaggregate, 15 Großzelte, Planierraupen, Löffelbagger, Dieselrammen, Bohrmaschinen und Motorsägen zum Einsatz bei. Für die Schneepräparierung der Sprunganlagen, Torlaufhänge und Abfahrtspisten stellte die Firma Fischer 250 Paar Skier, die Firma Tyrolia die Bindungen und die Firma Komperdell die dazugehörigen Skistöcke zur Verfügung. Die übrigen Kommandos für die Pistenpräparierung übten ihren Dienst mit dem militärischen Kurzski aus. Daneben wurde jeder Soldat mit einem zweiten Paar Bergschuhe, Keilhose, einem Alpinpullover, Anorak und Pelzmütze ausgestattet. Wegen der anstrengenden körperlichen Arbeit wurde der Verpflegungssatz vor den Winterspielen um 30 Prozent; während der Spiele um 50 Prozent erhöht. Außerdem wurde pro Tag und Mann eine Zusatzverpflegung im Werte von 4 Schilling, in Form von Obst, Schokolade oder Drops, gegeben.885 Der Einsatz begann im Herbst 1960, als die vorbereitenden Arbeiten im für die Winterspiele neu erschlossenen alpinen Hauptkampfraum der Axamer Lizum begannen. Aufgrund der großen Anforderungen stellte das Verteidigungsministerium im Frühjahr 1961 die „Olympiakompanie", eine Pionierbaukompanie mit der Stärke

885 Ausführliche Schilderungen und Zahlen zur Organisation findet man im offiziellen Bericht. Siehe: ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 30-36.

267 2:8:211, auf, welche in den Jahren 1961 und 1962 die alpinen Wettkampfstätten in der Axamer Lizum, die Herrenabfahrt am Patscherkofel, die Loipen im Raum Seefeld, sowie die Bob- und Rodelanlagen in Igls bearbeiteten. Für die alpinen Bewerbe bestanden diese Arbeiten aus: Rodung, Planierung und Besämung der Pisten für Slalom Damen, Abfahrtslauf Damen, Riesenslalom Herren und Damen und der Reservestrecke für Abfahrtslauf Herren; Aufstellen von vier Zielhäusern, Verlegung der FM-Pistenkabel; Bau einer heereseigenen Unterkunft mit Kochstellen in der Axamer Lizum; sowie Rodung, Planierung und Besämung der Herrenabfahrtsstrecke; Verlegung von FM-Pistenkabeln, Aufstellen eines Zielhauses am Patscherkofel. Insgesamt gibt das ÖOC an, dass „rund 960 000 Arbeitsstunden geleistet und nachstehendes Sprengmaterial verbraucht [wurde]: 6435 kg Sprengstoff, 1266 Stück Sprengkapseln und 8770 Stück Glühzünder.“886 Wer nicht im Großraum Innsbruck beheimatet war, konnte sich von der Militärpräsenz per Filmmaterial ein eigenes (vorgefertigtes) Bild machen. Die Austria Wochenschau brachte im November 1963 einen Bericht über den Einsatz des Bundesheeres mit dem Kommentar: „Erster Schnee, wenn auch nicht nass, in der Axamer Lizum, dem alpinen Skizentrum der Olympischen Winterspiele. Die Soldaten des Bundesheeres sind die treuesten Helfer der Olympia-Organisation. Am 20. Dezember soll in der Lizum alles fertig sein. Auch im Gelände der Bobbahn in Igls fließt Schweiß unserer Soldaten, die dabei sind eine friedliche Schlacht im Dienste des Sports zu gewinnen. [...]“887 Dieser Pioniereinsatz war natürlich auch eine Materialschlacht. Fehlendes Gerät bekam das Bundesheer vom Organisationskomitee: Planierraupen, 4 Motorsägen, 6 Bohrmaschinen „Kobra“, 9 GMC-Kipper, Puch-Haflinger-Geländefahrzeuge und 4 Tragtiere888. So konnten bis zum Herbst 1962 alle Wettkampstätten soweit fertiggestellt werden, dass sie für die Generalprobe der IX. Olympischen Winterspiele 1964 geeignet waren. Diese Generalproben wurden in der Zeit vom 4. März 1961 bis April 1963 in insgesamt 37 Testbewerbe durchgeführt. Zu deren Ablauf waren täglich durchschnittlich 500 Soldaten eingesetzt. Die Generalprobe deckte noch einige Mängel auf. Im Sommer und Herbst 1963 mussten so nicht nur alle Wettkampfstätten überarbeitet und fertiggestellt werden, sodass sie für die olympische Winterpräparierung einwandfrei geeignet waren,

886 ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 27. 887 Austria Wochenschau Nr. 46/1963, Beitragsnr. 11. Erscheinungsdatum: 15.11.1963. Titel: „SPORT: Bundesheer bei Olympiade-Vorbereitungen.“ 888 ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 27.

268 sondern auch neue Aufgaben, wie der Ausbau der Reservestrecke „Götzener Abfahrt“ oder die Neuerstellung einer Alternativabfahrt vom Patscherkofel, mussten bewältigt werden. Details über die Vorbereitungen im Vorolympischen Jahr 1963 gibt der offizielle Bericht des ÖOC, aus dem hervorgeht, dass „während der Zeit vom 1. Mai bis 1. November 1963 täglich rund 500 Soldaten eingesetzt waren und rund 440.000 Arbeitsstunden in diesem Zeitraum von ihnen geleistet wurden.“889 Für den Olympiawinter selbst wurde mit dem Einsatz von insgesamt 2468 Mann gerechnet, 550 davon alleine in den alpinen Skizentren Axamer Lizum und Patcherkofel890. Aufgrund einer extrem schlechten Schneelage im Olympiawinter mussten dabei für die Präparierung und Instandhaltung der Pisten zeitweise alle Reserven in Anspruch genommen werden. Einen tatsächlichen, wesentlichen personellen Mehrbedarf, der durch die Reserve gedeckt wurde, erforderten die erst später beantragte Mitwirkung bei der Eröffnungsfeier (490 Mann), die Absperrmaßnahmen infolge des ursprünglich nicht erwarteten Zuschauerandranges an den Autobusbahnhöfen Axams und Axamer Lizum (270 Mann), sowie die Absperrkette beim Herrenabfahrtslauf am Patscherkofel (220 Mann). Eine zusätzliche Reserve in der Stärke von 300 Mann, die im Raum Kufstein/St. Johann abrufbereit gehalten wurde, kam jedoch nicht zum Einsatz. Im offiziellen Bericht des ÖOC liest man: „Vom 2. August 1960 bis 9. Februar 1964 wurden von den Angehörigen des österreichischen Bundesheeres nach vorsichtiger Berechnung 2.703.200 Arbeitsstunden geleistet. Bei Zugrundelegung eines Stundenlohnes von 15 Schilling würde diese Arbeitsleistung einen Betrag von 40.548.000 Schilling ausmachen.“891 Als Dank wurden dem Bundesheer 8000 Freikarten zum Besuch von Bewerben der Winterspiele zur Verfügung gestellt. In der dienstfreien Zeit konnten die Soldaten darüber hinaus die Skilifte ihrer Einsatzräume kostenlos benützen. Daneben stellte man in den Unterkünften und Kasernen zusätzliche Fernsehapparate auf, die mit 44 Filmvorführungen bespielt wurden.892 Tatsächlich hatte auch dieser Einsatz des Bundesheeres kleinere Opfer zu beklagen: so brauchten in der Zeit vom 8. Dezember 1963 bis 10. Februar 1964 insgesamt 805 Soldaten ärztliche Betreuung; 84 Soldaten, davon 32 Verletzungen und 30 Erkältungskrankheiten, mussten stationär behandelt werden. In den Einsatzräumen

889 ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 27f. 890 ebenda. S. 28. 891 ebenda. S. 30. 892 ebenda. S. 36.

269 Seefeld, Axamer Lizum und Patscherkofel/lgls wurden zusätzliche Sanitätstrupps bereitgestellt, die Wettkämpfer, Streckenposten und Zuschauer versorgten.893 Zusammenfassend liest man im offiziellen Bericht: „Die bei der Vorbereitung und Durchführung der IX. Olympischen Winterspiele 1964 eingesetzten Soldaten des österreichischen Bundesheeres waren trotz oft schlechtester Wetterbedingungen eifrig bei der Arbeit, in dem Bewusstsein, auch hier ihre soldatische Pflichterfüllung zu finden.“894 Der Landeshauptmann von Tirol, Eduard Wallnöfer, geht in seiner Dankesrede nach der Abhaltung der Winterspiele auch auf die Pflicht des Bundesheeres ein, dem „neuen Österreich“ zu seinem Image zu verhelfen, wenn er sagt: „Am guten Gelingen dieser als Weltereignis zu achtenden Veranstaltung hatten die Angehörigen des Bundesheeres einen ganz hervorragenden Anteil. […] Wenn auch das Land Tirol nicht direkt der Veranstalter der IX. Olympischen Spiele war, so hat doch ihre Abhaltung in Tirol in hohem Maße zur Geltung und Wertschätzung unseres Landes in Österreich, in Europa und in der Welt beigetragen. […] Dabei möchte ich die Haltung eines jeden einzelnen Soldaten hervorheben: ihren restlosen Einsatz schon in der Vorbereitungszeit und dann besonders während der Olympischen Spiele, ihr bestimmtes, aber immer freundliches und herzliches Auftreten gegenüber unseren Gästen und unserer Bevölkerung."895 Diese Schilderungen des Einsatzes des Bundesheeres ergeben das Bild eines aufwendigen Kraftaktes, den die Republik Österreich mit der Austragung der IX. Olympischen Winterspiele in Innsbruck 1964 in Kauf nimmt. Der Einsatz des Bundesheeres in einem völlig neuen Kontext steht dabei als Sinnbild für das „neue Österreich“. Der „Feind“ steckt in keiner fremden Uniform; die Offiziere planen keine Eroberungsfeldzüge. Die Schlachten finden am Berg statt, gegen die Natur; und für nur einen Grund: dem Land der Berge seine Identität als Skination zu sichern.

Finanzieller Aufwand für die Olympischen Spiele 1964.

Fritz Kolneder schrieb 1964 über „Das große Finanzielle Opfer“ der Olympischen Winterspiele in Innsbruck: „Als das Internationale Olympische Comité im Mai 1959 die Tiroler Landeshauptstadt mit der Durchführung der Olympischen Winterspiele 1964 betraute, wurde diese Meldung nicht überall begeistert aufgenommen. Die Gegner der Bewerbung um die Spiele standen nicht nur im Lager jener, die jedem

893 ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 36. 894 ebenda. 895 Zit. Nach: ebenda.

270 Sport abhold sind, selbst begeisterte Sportler warnten vor der Übernahme so vieler Aufgaben. ,Olympische Spiele sind mit großen finanziellen Opfern verbunden’, hieß es. ‚Sind wir wirklich schon so reich, dass wir uns den Luxus solcher Feste leisten können?’ Einigen Politikern waren solche Einwände willkommen, als sie über die Finanzierungsfragen verhandelten und die Belastungen zwischen Bund, Land und Stadt auszugleichen versuchten. [...] Der Bund verbürge sich für 177 Millionen Schilling. Die Stadt Innsbruck geht mit 157 Millionen Schilling hohe Verpflichtungen ein, sie erhält zwar viele Millionen refundiert, aber rund 42 Millionen Schilling müssen aus eigener Kraft aufgebracht werden. Das Land Tirol hat durch Gesetz einen ‚Olympiagroschen' eingeführt, der Gemeinden und Fremdenverkehrsvereine entsprechend ihrer Größe verpflichtet, bis zum Juni 1965 zusammen 30 Millionen Schilling aufzubringen. Bund, Land und Stadt übernehmen auch die reinen Organisationskosten und decken etwa auftretende Verluste. Aus der Steuerleistung aller Österreicher fließen jene Millionen, die für die Vorbereitung und Durchführung der IX. Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck benötigt werden.“ Dennoch steht für ihn der Auftrag Österreichs zur Ausrichtung der Spiele außer Frage, wenn er schreibt: „Österreichs Ruf als ,Welt-Skination Nummer 1’ ist durch die hervorragenden Erfolge unserer alpinen Skiteams begründet [...].“896 Bundesminister Heinrich Drimmel sieht den symbolischen Biss in den sauren (Finanz-)Apfel, der durch die Austragung der Winterspiele 1964 unumgänglich war, in ähnlichem Licht, wenn er schreibt: „Wir Österreicher sind uns der hohen Ehre, der riesigen organisatorischen Aufgaben und auch der großen finanziellen Belastungen, die hiermit verbunden sind, wohl bewusst.“897 An der Finanzierung der IX. Olympischen Winterspiele in Innnsbruck beteiligten sich die Republik Österreich, das Land Tirol und die Stadt Innsbruck. Alleine die Aufstellung über die Kosten des Baus der Kampfstätten lässt die Dimensionen erahnen. Der offizielle ÖOC-Bericht gibt Auskunft über die einzelnen Projekte898. So kostete der Republik das Olympiaeisstadion mit der angeschlossenen, im Freien liegenden Kunsteisschnellaufbahn rund 75.709.000 Schilling; die Spezialsprungschanze auf dem Bergisel, die Bobbahn und die Rodelbahn bei Igls

896 Kolneder, Fritz: „Das große finanzielle Opfer.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (38- 40.) S. 38. 897 ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. S. 9. 898 Finanzstatistik der IX. Olympischen Winterspiele siehe: ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 252-264.

271 zusammen 29.967.000 Schilling; der Beitrag zur Kombinationssprungschanze in Seefeld 700.000 Schilling an Subventionen; die benötigte Reserve-Rennrodelbahn in Imst Subventionen in der Höhe von S 600.000. Die Stadt Innsbruck ließ sich die alpinen Kampfstätten in der Lizum, auf dem Patscherkofel und die nordischen Langlauf- und Biathlon-Kampfstätten in Seefeld rund 19.000.000 Schilling kosten, für den Grunderwerb von Sportstätten blätterte man offiziell 29.373.000 Schilling hin. Zur Finanzierung der Olympischen Winterspiele in Innsbruck wurde vom Land Tirol ein Fremdenverkehrsabgabegesetz beschlossen, das zum Ziele hatte, die erforderlichen zusätzlichen Mittel aufzubringen und auch der Stadt Innsbruck die notwendigen Beträge bereitstellen zu können. Der Zuschuss des Landes Tirol an die Stadt Innsbruck betrug rund 27,5 Millionen Schilling. Alle genannten Kosten betrafen tatsächlich nur die reinen Bauten; nicht enthalten sind dabei die sonstigen Investitionen baulicher und einrichtungsmäßiger Art, wie z.B. Zuleitungen und Anschlüsse für Strom, Zielhäuser, Kampfrichtertürme sowie die gesamten sonstigen beweglichen und unbeweglichen Einrichtungen. Dazu kam die Finanzierung des Olympischen Dorfes um 173.538.000 Schilling (getragen von der Stadt Innsbruck und Siedlungsgenossenschaften); daneben eine Mehrzweckhalle (als „Recreation Center“ für die Aktiven) – mit der Umgebungsumgestaltung erreichten die Kosten hierfür 16.950.000 Schilling. Straßen- und Brückenbauten verschlangen im Bereich der Bundesstraßen von der Republik Österreich getragenen rund 117.000.000 Schilling; das Land Tirol brauchte zum Ausbau der Landstraßen rund 36.000.000 Schilling; die Stadt Innsbruck finanzierte im Wert von rund 22.454.000 Schilling. Daneben wurde von der Stadt Innsbruck im Zuge der südlichen Umfahrung Innsbrucks durch die Bundesstraße Nr. 1 (Wien-Bregenz) der Neubau der Olympiabrücke um 23.200.000 Schilling vorfinanziert. Das ÖOC betont dabei, dass diese Straßenbauprojekte auch ohne Olympische Spiele in Zukunft durch den wachsenden Verkehr nötig geworden wären, und dass Projekte in diesem Sinne vorgezogen wurden und dadurch keine exklusiven Olympiaausgaben darstellen würden. Daneben erwähnt soll aber auch die vollkommen neu gebaute Privatstraße von Axams in die Axamer Lizum, dem Austragungsort fast aller alpinen Bewerbe, werden. Die in besonders schwierigem Gelände gebaute Bergstraße, mit Parkplatz, kostete rund 27.700.000 Schilling.

272 Darüber hinaus wurde die Seilschwebebahn auf den Patscherkofel doppelbahnig ausgebaut (22 Mio. Schilling), Liftanlagen in der Axamer Lizum neu errichtet (24,1 Mio. Schilling)899. Der Vollständigkeit halber - und um den hohen finanziellen Aufwand der noch jungen Republik zu verdeutlichen – noch die restlichen Kosten aus der Budgetoffenlegung: so kommen 63,55 Millionen Schilling für die Infrastruktur bei den ÖBB, 17 Millionen Schilling für den Österreichischen Rundfunk (Fernsehen), 25,9 Mio. Schilling für die Aufwendungen für Polizei und Gendarmerie, 18 Mio. Schilling für die Gewährleistung des Bundesheereinsatzes und dazu natürlich noch unschätzbar hohe Organisations- und Durchführungskosten zu den oben erwähnten Kosten hinzu. Scherzhaft kommentierte die „Austria Wochenschau“ die Einweihung der Liftanlagen in der Axamer Lizum: „Finanzminister Dr. Klaus schaut nach, ob unser Geld richtig verwendet worden ist.“900

Insgesamt weist der Bericht des ÖOC über die Olympischen Spiele in Innsbruck 1964 einen Betrag von 107.840.000 Schilling als Kosten für die Olympischen Spiele aus901 (ohne bauliche Maßnahmen). Volker Kluge ermittelte rund 80 Millionen Schilling, die Baumaßnahmen erreichen bei ihm rund 390 Mio. Schilling zusätzlich902.

Dem gegenüber stehen Einnahmen in der Höhe von 83,73 Millionen Schilling903. Diese errechnen sich durch: 31,8 Mio. Schilling für Verkauf von Eintrittskarten; 24,166 Mio. Schilling für Verkauf von Fernsehrechten; 0,913 Mio. für den Verkauf von Olympiamünzen; 0,322 Mio. für den Verkauf von Sonderbriefmarken; 1,047 Mio. für den Verkauf „sonstiger Lizenzen“; 0,743 Mio. Einnahmen aus der Olympialotterie; 2,396 Mio. sonstige Werbeeinnahmen; 7,37 Mio. Schilling durch Verpflegung und Unterkunft; 8,965 Mio. durch Liquidation (getilgte Vorschüsse durch das Organisationskommitee).

899 Diese Liftanlagen wurden auch als Investition in die Zukunft der touristischen Nutzung Insbrucks gewertet. In einer Broschüre der Innsbrucker Liftanlagen aus der zweiten Hälfte der 1960er Jahren liest man: „Sie [die Liftanlagen] bilden in ihrer Gesamtheit ein nahezu senkrecht gespanntes Verkehrsnetz, das dem Menschen im Sommer wie im Winter rasch emporhilft. […] Sie schenken all jenen, die es sonst nie wagen würden, die Berge zu besteigen, ein herrliches Gefühl der Überlegenheit und Gewissheit, auf der Höhe zu sein.“ 900 Austria Wochenschau Nr. 8/1963, Beitragsnr. 8. Erscheinungsdatum: 22.2.1963. Titel: „OLYMPIA-GENERALPROBE IN INNSBRUCK: Eröffnung der Skilifte in der Axamer Lizum.“ 901 ÖOC: „Offizieller Bericht Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964. S. 262. 902 Kluge: „Olympische Winterspiele.“ Berlin 1994. S. 191. 903 ebenda. Kluge deckt sich hier mit dem ÖOC-Bericht.

273 Die Olympischen Winterspiele von 1960 in Squaw Valley konnten dazu im Vergleich mit 2,21 Millionen US-Dollar Einnahmen aufwarten904, was im Jahr 1960 beim üblichen Wechselkurs von ca. 25,86 Schilling für 1 US-Dollar Einnahmen um die 50 Mio. Schilling ausmacht. Über die Ausgaben gibt es in Squaw Valley keine brauchbaren Angaben. Der Aufwand, in Squaw Valley aus dem nichts einen Austragungsort für Winterspiele zu errichten, verbunden mit einer spektakulären Inszenierung, darf allerdings zur Vermutung anstiften, die VIII. Olympischen Spiele wären sehr teuer gewesen. Dieser Umstand brachte den USA nicht nur Bewunderung aus Österreich. Die Sportlehrerzeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ mutmaßte im Vorfeld zu den Spielen 1960 nicht ohne Ironie über die Eröffnungsfeier: „Das Programm der Eröffnungsfeierlichkeiten der Olympischen Winterspiele 1960 wartet mit überdimensionalen Ereignissen und Zahlen auf: Das Olympische Feuer wird von einem Düsenflugzeug von Norwegen nach Los Angeles gebracht. Dort werden 600 Schüler in Staffelläufen die Fackel nach Squaw Valley bringen […]. 1300 Musiker und 2000 Sänger werden konzertieren. 20000 Luftballons werden ‚entfesselt‘ und bei einem Riesenfeuerwerk werden die Flaggen sämtlicher Nationen durch Raketen in die Luft geschossen, um mit Fallschirmen langsam schwebend zur Erde zurückzukehren!“ 905 Derartige Stimmen gibt es allerdings seit langem. Die Diskussion über den finanziellen Aufwand bei Olympischen Spielen kennt man zumindest seit 1948. Schon damals bemerkte die Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ unter dem Titel „problematisches Olympia“ zur anscheinenden Dekadenz der Schweizer: „Zu sehr trat manchmal das finanzielle Moment in den Vordergrund, man wurde das Gefühl nicht los, dass ‚Verdienen‘ allzu groß geschrieben wurde.“906 Einen Vergleich mit vorangegangenen Spielen scheute auch das ÖOC 1964 nicht. Fritz Kolneder analysierte: „Für eine Nation mit mehr als 150 Millionen Einwohnern [USA 1960, Anm.] waren die Finanzierungen leicht zu lösen. Auch die anderen großen Staaten, die seit 1924 Olympische Spiele durchführten, hatten geringe Sorgen, die Kosten zu decken. Das gilt für Deutschtand (Garmisch-Partenkirchen 1936) und Italien (Cortina d'Ampezzo 1956), aber ebenso für die Schweiz (Sankt Moritz 1948), die nicht die harte Bürde zweier Weltkriege tragen musste. Norwegen (Oslo 1952) und Österreich haben mit den Olympischen Winterspielen große

904 Kluge: „Olympische Winterspiele.“ Berlin 1994. S. 265. 905 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1960. Heft 2/Jahrgang 14.) S. 16. 906 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner/Februar 1948. Heft 4,6/Jahrgang 2.) S. 26.

274 finanzielle Opfer auf sich genommen. […] Österreich wird der Vergleich mit Deutschland, Italien oder den USA nicht erspart bleiben, denn Olympische Spiele sind keine private Veranstaltung der durchführenden Orte, sie sind die Leistungsschau einer Sportnation, die nicht nach den finanziellen Möglichkeiten, sondern nach dem Erfolg beurteilt wird.“907

Die Franzosen ließen sich ihre Olympischen Spiele vier Jahre nach Innsbruck in Grenoble 1968 118,97 Millionen Franc kosten – was in etwa 600 Mio. Schilling waren.908 Im zeitlichen Kontext gesehen sind die finanziellen Daten der Olympischen Winterspiele in Innsbruck 1964 daher durchaus vergleichbar und nehmen keine Sonderstellung ein. Dennoch stolpert man in zeitgenössischen Medien immer wieder über Darstellungen die implizieren, die Spiele wären schlichtweg zu teuer. Als Beispiel für die Rechtfertigung der Spiele aus dem Sportlager dient der Artikel Robert Maders im Auftrage des Bundesministeriums für Unterricht und Sport, der in diesem schreibt: „Nicht alle Artikel, die bisher über [die Olympischen Spiele in; Anm.] Innsbruck geschrieben worden sind, sind absolut freundlicher Natur, und erst unlängst war in einer Schweizer Zeitung zu lesen: ‚Zurück zu den einfachen Mammutspielen.‘ In diesem Zusammenhang ging auch die Meldung um die Welt, dass die Spiele Österreich ca. 1 Milliarde Schilling kosten. Diese Meldung ist absolut unrichtig.“909 Er verweist in der Folge auf die langfristigen Nutzen der infrastrukturellen Verbesserungen. Auch Reinhard Bachleitner bewertete 1992 vor allem die langfristigen regionalen Auswirkungen der Innsbrucker Olympischen Spiele von 1964 – im Auftrag des ÖSV - als durchwegs positiv910. Die deutschen Medien sahen dies oftmals anders. Der „Spiegel“ attestierte so dem Innsbrucker Bürgermsiter Lugger am 15.1.1964 einen gewissen „Größenwahn“, wenn man liest: „Eine Milliarde Schilling (154 Millionen Mark) müssen Österreichs Steuerzahler für die Olympischen Winterspiele in Innsbruck insgesamt zahlen. Nur zehn Millionen Mark Zuschüsse waren ursprünglich geplant. Die Vervielfachung der Kosten verdanken die Österreicher dem Ehrgeiz des Innsbrucker Bürgermeisters Dr. Alois Lugger.“

907 Kolneder, Fritz: „Das große finanzielle Opfer.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (38- 40.) S. 40. 908 Wechselkurse über D-Mark gerechnet, deshalb nur als ungefähre Vergleichswerte zu verstehen. D-Mark-Kurse aus: Deutsche Bundesbank: „Devisenkursstatistik Januar 2010.“ Statistisches Beiheft zum Monatsbericht 5. S. 6. 909 Mader, Robert: „Die Vorbereitungen zu den IX. olympischen Winterspielen 1964 in Innsbruck.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli 1963. (Heft 7/Jahrgang 17.) S. 14f. 910 Bachleitner: „Der alpine Skisport.“ Innsbruck 1992. S. 125-127.

275 Besonders bissig ist der Verweis auf den Ausbau des Flughafens: „Obwohl Innsbruck (Bürgermeister Lugger: "Flugkreuz West") auch künftig nur vom innerösterreichischen Flugverkehr und von Charterflügen berührt werden soll, wird für 14 Millionen Mark ein Flughafengebäude mit 20 Abfertigungsschaltern gebaut. Besondere Pointe des Baus: Bis zum Olympia-Beginn am 29. Januar wird er nicht fertig sein.“911 Der Erfolg der Olympischen Spiele 1964.

„Als ‚Wunder‘ der Innsbrucker Spiele bezeichnet man den gigantischen Zuschauerandrang, der trotz großangelegter Fernseh- und Rundfunkübertragungen zu verzeichnen war. Die Innsbrucker Organisatoren können von sich wahrhaft behaupten, die Olympischen Spiele wieder dem Volk nahegebracht zu haben. Die Zuschauerzahlen, die mit insgesamt 1.073.000 alle bisher bei Winterspielen registrierten Zahlen weit übertreffen, bewiesen es: Innsbrucks Spiele waren nicht nur die ‚einfachen‘, sondern zugleich auch die ‚volkstümlichen‘.“912 In der genannten Zahl sind auch die Zuschauer, die beim Training gezählt wurden, inbegriffen. Dabei lässt sich eine klare Präferenz des österreichischen Olympiapublikums erkennen: die alpinen Bewerbe steuern mit insgesamt 261.000 Besuchern fast ein Viertel (24,34%) zu der Erfolgszahl bei; dicht gefolgt von den Eishockeybewerben (240.000 Zuseher; 22,37%); abgeschlagen an dritter Stelle folgen die Langlaufbewerbe mit 108.000 Zusehern (10,06%).913 Diese geschönten Zahlen werden aber bei einem Blick auf die Kartenverkaufsstatistiken getrübt. Die bereits im Juli 1962 genehmigten Eintrittsgelder ergaben sich durch die Beobachtung der Preise diverser vergleichbarer Sportgroßveranstaltungen der Vergangenheit und betrugen für Stehplätze zwischen satten 30 und 100 Schilling und für Sitzplätze zwischen 100 und 500 Schilling. Aufgeschlüsselt nach Bewerb/Ereignis ergibt sich folgende Preisliste für Stehplätze (nach absteigenden Preisen geordnet): S 100: Eröffnungsfeier, Spezialsprunglauf Bergisel S 60: Kombinationssprunglauf Seefeld, Spezialsprunglauf Seefeld S 50: Herren-Slalom (Finallauf) S 40: Herren-Abfahrtslauf, Herren-Riesenslalom, Damen-Abfahrtslauf, Damen- Riesenslalom, Damen-Slalom, Herren 4x10 km Staffel, Bobbewerbe S 30: Herren-Slalom (Ausscheidungsrennen), u.a.

911 „Der Spiegel“ vom 15. Jänner 1964. Heft Nr.3/1964. 912 ÖOC: „Offizieller Bericht der IX. Olympischen Winterspiele.“ Innsbruck 1964. S. 190. 913 ebenda. S. 190.

276 Daneben war für S 1.000 ein Generalabonnement (ohne Eishockey, Eiskunstlauf und Schlussfeier) zu haben; für Fans der Alpinbewerbe daneben z.B. eine Dauerkarte für sämtliche Bewerbe um 200 Schilling.914 Ermäßigte Eintrittskarten wurden an Gruppen inländischer Jugendlicher von mindestens zehn Personen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr unter einer verantwortlichen Aufsichtsperson für alle Bewerbe im freien Gelände um 10 Schilling pro Person und Bewerb und an einzelne inländische Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr für alle Bewerbe im freien Gelände mit 50 Prozent Ermäßigung vom normalen Eintrittspreis ausgegeben. Die Analyse der Verkaufszahlen der Eintrittskarten für die alpinen Bewerbe lässt eine genauere Bewertung hinsichtlich erwarteter Besucher und tatsächlicher Besucher zu. Im Vergleich zu den anderen Disziplinen stellen die Alpinbewerbe hier keinen Ausreißer dar: Für den Abfahrtslauf der Männer wurden 50.000 Eintrittskarten aufgelegt, davon wurden 25.069 nicht verkauft, was 50,1% der gesamten Auflage entspricht. Von den 30.000 aufgelegten Karten für den Frauenslalom blieben 8.454 Stück übrig (28,1%). Die Veranstalter blieben daneben auf 76,5% der Karten für den Ausscheidungsslalom der Männer; 57,9% der Karten für den RTL der Frauen; 46,6% der Karten für den Finalslalom der Männer; auf 45% der Karten für die Abfahrt der Frauen und auf 27,2% der Karten für den RTL der Männer sitzen. Im Schnitt ergibt das eine Ausfüllung der Kapazitäten von 47,35% für die alpinen Bewerbe der IX. Olympischen Winterspiele. Wenn man miteinrechnet, dass 2.099 Dauerkarten für die alpinen Bewerbe verkauft wurden, darf mit einer durchschnittlichen Auslastung von ca. 50% gerechnet werden.915 Von wirtschaftlicher Seite gesehen erzielten die Organisatoren mit dem Verkauf von Eintrittskarten für die Alpinen Skibewerbe Einnahmen in der Höhe von 5.421.175 Schilling916; was einem Anteil von rund 17% an den insgesamt 31.800.000917 Schilling, die aus dem Verkauf von Eintrittskarten insgesamt eingenommen wurden, gleichkommt. Es ergibt sich insgesamt eine Summe von 122.270 ausgegebenen Eintrittskarten für die alpinen Skibewerbe; mit den 1.389 verkauften Generalkarten und den 2.945 (insgesamt) ausgegebenen Trainingskarten918 muss man die 261.000 Zuseher der alpinen Bewerbe, auf die der ÖOC verweist, mit Vorsicht genießen.

914 ÖOC: „Offizieller Bericht der IX. Olympischen Winterspiele.“ Innsbruck 1964. S. 230. 915 Meine Berechnungen gehen auf die Verkaufsstatistik des ÖOC hervor. Siehe: ebenda. S. 236. 916 ebenda. 917 Kluge: „Olympische Winterspiele.“ Berlin 1994. S. 191. 918 ÖOC: „Offizieller Bericht der IX. Olympischen Winterspiele.“ Innsbruck 1964. S. 238.

277 Große Zuschauermassen musste Innsbruck während den Winterspielen vom 29. Jänner bis zum 7. Februar 1964 aber allemal bewältigen. Ein erwartetes Verkehrschaos blieb jedoch aus, was als „zweites Wunder von Innsbruck“919 bezeichnet wurde920. Der Ausbau der eisenbahntechnischen Infrastruktur, in Kombination mit straßenbaulichen Erneuerungen in der bis dahin autofeindlichen, verwinkelten Innsbrucker Innenstadt und der Erhöhung des Postbusverkehrs bewahrten die Stadt vor dem prophezeiten Chaos. Nach der auf Schiene und Straße üblichen Fahrgastzählung ergibt sich eine Transportleistung von 272.000 Personen. Diese Zahl erhöht sich auf mehr als 300.000, wenn jene Personen hinzugezählt werden, die im Zuge von Sonderfahrten befördert wurden.921

Ein so hohes Verkehrsaufgebot braucht natürlich auch die gesteigerte Aufmerksamkeit der Exekutive. Neben den personellen wurden so auch alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft: das Bundesministerium für Inneres stellte für Aufgaben der Verkehrsregelung aus der Luft drei Piper und drei Hubschrauber zur Verfügung. Die „Arbeiterzeitung“ schrieb über die Verkehrslage rund um die Olympische Herrenabfahrt am Patscherkofel: „Österreich hat am Donnerstag am Patscherkoferl zwei Siege errungen: Egon Zimmermann hat im Abfahrtslauf die Goldmedaille errungen – und die Polizei gewann eine Verkehrsschlacht, wie sie in Österreich noch niemals geschlagen worden war.“922 Auf kriminalpolizeilichem Gebiet ereigneten sich während der IX. Olympischen Winterspiele keine alarmierenden Vorkommnisse; das ÖOC verweist nur auf „auffallend häufige […] Fahnendiebstähle, als deren Täter junge Leute ermittelt wurden, die sich ein ‚Souvenir‘ verschaffen wollten“923.

Vergleicht man letzten Endes die Zuschauerzahlen, die Volker Kluge mit fairer Distanz ermittelte, so kommt man auf folgende Zahlen: 1960 kamen in Squaw Valley 249.653 Zuschauer, 1964 in Innsbruck 524.880 Zuschauer, 1968 in Grenoble 337.731 Zuschauer. Hier ist die Zahl der Zuschauer in Innsbruck sehr hoch; selbst in Lake Placid 1980

919 Das „erste Wunder“ waren die vielen Zuschauer – die trotz der Fernsehübertragungen zu den Veranstaltungen strömten. 920 ÖOC: „Offizieller Bericht der IX. Olympischen Winterspiele.“ Innsbruck 1964. S. 191. 921 ÖOC: „Offizieller Bericht der IX. Olympischen Winterspiele.“ Innsbruck 1964. S. 200. 922 Arbeiterzeitung vom 31.1.1964. 923 ÖOC: „Offizieller Bericht der IX. Olympischen Winterspiele.“ Innsbruck 1964. S. 204.

278 und in Sarajewo 1984 schauten weniger Menschen zu (während allerdings die TV- Verbreitung eine größere war). Sieht man sich die Zuschauerzahlen bei den alpinen Skibewerben an, so kommt man auf folgende Zahlen: 42.108 Zuschauer bei den Alpinbewerben in Squaw Valley 1960, 134.489 Zuschauer in Innsbruck 1964, 65.960 in Grenoble 1968. Zwar sind die alpinen Skibewerbe damit bei allen drei Olympischen Winterspielen hinter den Eishockeyturnieren auf Platz zwei in der Zuschauergunst, die hohe Zahl an „Fans“ in Innsbruck ist aber ein klarer Beweis für die Skibegeisterung der Österreicher. Während in Squaw Valley und in Grenoble das Eishockeyturnier beinahe doppelt so viele Besucher anzieht wie die alpinen Bewerbe, sind es in Innsbruck nur rund 30.000 Zuschauer mehr, die sich in die begaben.924 Natürlich ist bei den Zuschauerzahlen immer anzumerken, dass die Spiele in Innsbruck den Vorteil genossen, in einem urbanen Umfeld stattzufinden, während andere Austragungsorte wie Squaw Valley, Cortina d’Ampezzo oder Grenoble nicht diese Einwohnerzahlen aufweisen und die Zahl der lokalen Fans um ein Vielfaches geringer ist. „TV-Event“ Innsbruck 1964.

Natürlich fanden die Olympischen Spiele auch abseits der Wettkampfstätten Zuschauer in Form von Fernseh-Zuschauern. Tatsächlich wurde in Schulen der Unterricht unterbrochen, um den Schülern die Übertragungen aus Innsbruck vorzuführen. Die Olympischen Spiele erreichten – im damaligen Kontext – den Status eines globalen „Fernsehevents“. Das Fernsehen hatte im Verlauf der späten 1950er, frühen 1960er Jahre einen immer größeren Umfang angenommen, das zusätzlich gestiegene Interesse an Wintersportveranstaltungen machte aus den Olympischen Spielen ein gutes TV-Geschäft. Schon damals waren Fernsehrechte nur gegen Zahlung entsprechender Summen zu haben (wie auch schon in Squaw Valley 1960). Dieser Betrag nahm letztlich auch im Rahmen des Finanzplanes der Winterspiele 1964 einen entscheidenden Platz ein. Die Fernsehrechte brachten immerhin 24,144 Millionen Schilling ein (15,411 Mio. davon durch ABC) – was einen Anteil von fast

924 Alle Zahlen aus Kluge: „Olympische Winterspiele.“ Berlin 1994. Für 1960: S. 160ff; 1964: 185ff; 1968: 219ff.

279 30% an den Gesamteinnahmen (ca. 84 Mio.) entspricht. (Im Vergleich brachten Eintrittskarten 31,8 Millionen Schilling ein, also ca. 38%.)925

Nach § 49 der Regeln des IOC wird das Recht, „Live" oder Aufzeichnungen im Fernsehen zu übertragen, vom Organisationskomitee vergeben, nachdem die Genehmigung durch das IOC vorliegt. Das jeweilige Organisationskommitee muss zuvor aber dem IOC diese Fernsehrechte abkaufen. Das Organisationskomitee von Innsbruck nahm zunächst Verhandlungen mit dem Österreichischen Rundfunk als Mitglied der UER (Union Européenne de Radiodiffusion) wegen eines Verkaufs der Fernsehrechte für den Bereich der europäischen Rundfunkzone auf. Die UER wollte ursprünglich für die Rechte lediglich eine Anerkennungssumme bezahlen. Die Verhandlungen zogen sich über zwei Jahre hin. Der zustande gekommene Vertrag umfasste 14 Artikel, denen umfangreiche Annexe angegliedert waren, die sich vor allem mit den Problemen der notwendigen Baumaßnahmen und technischen Einrichtungen befassten, sowie Fragen der Werbung regelten. Neben der Übertragung der Rundfunkrechte an die UER für die europäische Zone wurde auch ein Partner in Übersee gesucht, den man in der American Broadcasting Company (ABC) schnell fand und mit der eine lukrative Vereinbarung abgeschlossen werden konnte: ABC bekam die Fernsehrechte für die Übertragung in die ganze Welt, mit Ausnahme der europäischen Zone der UER und der Ostgebiete. Im Osten wurde ein Vertrag mit der Organisation „Internationale de Radiodiffusion et Télévision“ (OIRT) in Prag geschlossen. Über die Fernsehübertragungen berichtet das ÖOC: „Die Art der Fernsehübertragungen erregte in der ganzen Welt Bewunderung. Der Österreichische Rundfunk hat auf Grund seiner jahrelangen Vorbereitungen mit den Fernsehsendungen über 151 Stunden und 46 Minuten sowie den Rundfunkübertragungen von 856 Stunden eine von allen Rundfunkgesellschaften anerkannte Meisterleistung vollbracht.“926 Der Bericht des ÖOC zitiert über die Fernsehsendungen in den Vereinigten Staaten und Kanada den Leiter des Österreichischen Informationsdienstes in New York, Kurt Hampe: „Die ABC-Sendungen wurden durchschnittlich täglich von 40 Millionen Menschen gesehen und diskutiert. Hatten schon die vorbereitenden Sendungen propagandistischen Wert, so multiplizierte sich dieser, als es dann wirklich losging. Ich möchte dabei besonders auf den ungemein österreichfreundlichen Ton

925 Zahlen aus: Kluge: „Olympische Winterspiele.“ Berlin 1994. Für 1960. S. 191. 926 ÖOC: „Offizieller Bericht der IX. Olympischen Winterspiele.“ Innsbruck 1964. S. 248.

280 hinweisen, der diese Sendungen charakterisiert hat. Ganz abgesehen davon, dass alle Österreicher hier stolz und glücklich sind, unser Land als Mittelpunkt eines Weltereignisses zu wissen . . . Diese Welle des guten Willens wurde von ABC jeden Abend eine Stunde lang über 141 Kanäle ausgeströmt ..."927 Der ÖOC gestand dem „TV-Event Olympia“ große Bedeutung zu und schließt seinen Bericht mit den Worten: „Die Übertragungen der IX. Olympischen Winterspiele im Fernsehen haben zweifellos dem olympischen Gedanken in der ganzen Welt neuerlich großen Auftrieb gegeben und waren auch für Innsbruck und Österreich von unschätzbarem Wert.“928 Daneben darf natürlich auf die Rundfunkübertragung nicht vergessen werden, die 1964 noch nicht vom Fernsehen verdrängt war.

4. INSZENIERUNG IM RAHMEN OLYMPISCHER SPIELE.

Gestohlene Fahnen als Souvenir für die Jugend; euphorische Zuschauermassen; elektrisierende Fernsehübertragungen – dieses Bild passt perfekt zur Olympiadiskussion im Vorfeld der Spiele. Besonders im Umfeld der Sporterziehung macht ein genauerer Blick auf die verschiedenen Argumentationen der „Sporttheoretiker“ Sinn. Die monatlich erscheinende Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung, welche dem Unterrichtsministerium ab 1946 als Publikationsforum dient und deren Lektüre für österreichische LeibeserzieherInnen obligatorisch war, widmet sich seit Anbeginn immer wieder der kritischen Beobachtung der modernen olympischen Bewegung.

Schon die dritte Ausgabe des Magazins, erschienen im Juni des Jahres 1946, beinhaltet einen Artikel von Hans Heinrich über dessen Überlegungen zum grundlegenden Olympischen Gedanken. Nachdem er die antiken olympischen Spiele hochstilisiert und besonders die Einstellung der antiken Hellenen zum Sport lobt, schreibt er: „Nie wieder erreicht wurde diese Kultur, meilenweit sind wir derzeit noch entfernt von dieser Wahrheit. […] Noch immer ist keine Rede von einer Gleichberechtigung der Erziehung des Körpers gegenüber der des Geistes.[…] Man

927 ÖOC: „Offizieller Bericht der IX. Olympischen Winterspiele.“ Innsbruck 1964. S. 249. 928 ebenda.

281 rede nicht so viel vom Ruhme der griechischen Kultur, man handle mehr danach!“929

Doch auch die sittliche Moral der antiken Spiele stellt bei Hans Heinrich einen entscheidenden Vorteil gegenüber den modernen Leistungsschauen dar. Über das hohe Gebot des Amateurparagraphen und die Ernsthaftigkeit der antiken Olympischen Spiele schreibt er: „Nie wieder ergoss sich über die Sünder wider die ‚Amateurbestimmung‘ […] so unauslöschliche Schande wie damals unter dem Azurhimmel Griechenlands. Selbst wenn einer zu spät bei den Spielen eintraf und nicht nachweisen konnte, dass höhere Gewalt ihn verhinderte, wurde er mit Strafe belegt. So hoch stand den Griechen der Ernst und die Pflicht im fröhlichen Spiel.“ 930

Weiters liest man: „Ein Volksfest, besser gesagt ein Völkerfest waren die olympischen Zusammenkünfte bei den Söhnen Hellas. Es war dies kein nationalstaatliches Fest nach den heutigen Begriffen […] es war ein Fest aller Kulturträger unter Ausschluss der Barbaren. Wer den olympischen Gedanken heute zu einem nationalen Fest verwenden will, der trägt eine Beschränkung in diese Idee hinein, welche den Griechen fremd war. Die Olympischen Spiele der Jetztzeit sind internationale Spiele und tragen den griechisch-historischen Formen auch insoweit Rechnung, dass unkultivierte Völker nicht zur Teilnahme aufgefordert werden (wie aus Zeitungsnotizen vor kurzem zu ergehen war, wird Deutschland und Japan zu den nächsten Olympischen Spielen nicht eingeladen werden).“931

Hier werden die Olympischen Spiele zum Politikum. Es scheint nicht weit hergeholt, dass sich das junge Österreich tatsächlich in seiner Opferrolle zusätzlich bestätigt fühlte, als der Ausschluss Deutschlands und Japans von den Spielen 1948 in London bzw. St. Moritz publik wurde. Stolz beschwört der Artikel im Folgenden das „österreichische“ am Sport und zieht die Grenze zum „barbarischen“ Deutschland noch deutlicher: „Österreich ist ein sportliches Land, unsere Menschen haben großes Talent für gute körperliche Leistungen, in dieser Hinsicht sind wir den meisten, auch großen Nationen voraus, wie auch jeweils unsere Leistungen bei den olympischen Spielen zeigten. Unser Volk huldigt aus innerem Bedürfnis der Körperkultur. Um unseren Beruf [der Sportlehrerer, Anm.] vor Schädlingen und Verrätern an der

929 Siehe Heinrich, Hans: „Wir und der olympische Gedanke.“ in: Zeitschrift „Der Sportlehrer.“ Juni 1946 (Jahrgang 1, Nummer 3.) S. 17f. 930 Siehe ebenda. 931 ebenda.

282 olympischen Idee zu bewahren, müssen wir die faschistische Ideologie energisch bekämpfen und unsere Reihen von allen nationalistisch-faschistischen Elementen säubern. Wir wollen nicht, dass neuerlich der Sport für die Zwecke der vormilitärischen Ausbildung, die letzten Endes immer zum Krieg direkt führt, missbraucht wird. Weit davon entfernt einen ‚Sportler ohne Weltanschauung’ zum Schüler zu wünschen, halten wir die Überparteilichkeit im Sport am zweckentsprechendsten.“932

Als aufschlussreich erweist sich auch die offizielle Publikation des ÖOC zu den Olympischen Spielen des Jahres 1948. Alleine die Rezeption der als Vorworte dienenden Artikel der damals führenden politischen Eliten lässt erkennen, dass die Olympischen Spiele keineswegs der Belustigung des Volkes durch Sport und Spiel dienen, sondern in ihrer Ideologie und Symbolhaftigkeit höchst politisch gewertet werden. So sucht man Glückwünsche an Sportler und des gleichen vom Bundespräsidenten vergebens; stattdessen erklärt Renner: „Zwei Ideenrichtungen hat der menschliche Gemeinschaftsgedanke in unserem Jahrhundert zu überwinden: den politischen Nationalismus und den wirtschaftlichen Imperialismus, die Trugbilder absoluter nationaler Souveränität und größter wirtschaftlicher Autarkie.“ Was dann folgt ist eine Analyse des Olympischen Gedankens, der bei Renner extrem politisch aufgeladen als Strömung des Internationalismus und Pazifismus funktioniert.933 Weniger universell gestaltet Bundeskanzler Figl sein Vorwort. Bei ihm wird der Nutzen des Olympiaauftritts für Österreich sichtbar, wenn er schreibt: „Nach zwölf Jahren ruft Olympia wieder Österreich. Zwei Olympiatermine 1940 und 1944 sind ungenützt verstrichen, da Wahnsinn die Menschheit von den friedlichen Zielen, denen in besonderem Maße der Olympiagedanke dient, abgekehrt hat. Als ehemaliger aktiver Sportler, der ich selbst bis weit über die Hochschulzeit hinaus mich vor allem als Turner und Leichtathlet betätigt habe, begrüße ich es mit Freuden, dass die österreichische Fahne wieder an einer Olympiastätte hochgezogen werden wird, dass österreichische Sportler den Olympiaeid leisten und mit ihren Sportkameraden aus der ganzen Welt in friedlichen Wettstreit treten werden. Österreich kann auf eine stolze Olympiatradition zurückweisen. Unsere Sportler haben für unser Land so manche goldene, silberne und bronzene Medaille erobert.

932 Heinrich, Hans: „Wir und der olympische Gedanke.“ in: Zeitschrift „Der Sportlehrer.“ Juni 1946 (Jahrgang 1, Nummer 3.) S. 17f. 933 ÖOC: „Olympia ruft Österreich.“ Wien 1948. S. 2.

283 Sie haben durch ihren Sportgeist und ihr vorbildliches Auftreten Österreich Sympathien nicht nur bei ihren Gegnern, sondern stets auch bei den Massen der Zuseher erobert. Sie haben gezeigt, dass auch in Österreich das Wort der Römer gilt, dass in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnt.“ Die Spiele 1948 sind aber – im Angesicht nachkriegsbedingter Not – schwierig. Figl meint dazu: „Wir wissen alle, dass es für die österreichischen Sportler nicht leicht sein wird, diese Tradition auch bei der nächsten Olympiade aufrechtzuhalten. Die Not, die heute in Österreich herrscht, ist auch an den Sportlern nicht spurlos vorübergegangen, und wenn sich das österreichische Olympische Comité auch in jeder Hinsicht bemüht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass unsere Sportler unter möglichst günstigen Voraussetzungen antreten werden, so dürfen wir doch nicht übersehen, dass unsere Mannschaft bestimmt unter ungünstigeren Bedingungen an den Start gehen wird als die meisten anderen. Aber immer wieder hat die unbezwingbare Zuversicht unserer Sportler an ihr Können Erfolge dann herbeigeführt, wenn wir nicht damit gerechnet haben, und so kann es ja auch diesmal sein.“934 Justizminister Josef Gerö, selbst ehemaliger Sportler935, schreibt in seiner Funktion als Präsident des ÖOC936: „Olympia ruft Österreich! hallt es durch Österreichs Lande und damit sind die bevorstehenden Olympischen Spiele zum Mittelpunkt des Interesses nicht nur der Sporttreibenden, sondern der gesamten österreichischen Sportöffentlichkeit, ja darüber hinaus ganz Österreichs, geworden. Nach zwölfjähriger Pause, die uns durch den nicht von uns verschuldeten Krieg aufgezwungen wurde, sollen Österreichs Sportler wieder als gleichberechtigte Partner in sportlichen Wettkämpfen antreten, an denen sich die Sportler der gesamten Welt beteiligen. Jahre hindurch waren Österreichs Sportler von der Welt abgeschnitten. Nach siebenjähriger nationalsozialistischer Zwangsherrschaft gelang es uns wieder, die Tore in die Welt aufzustoßen, wieder Anschluss an die Sportwelt zu finden, und die Olympischen Spiele sollen die Krönung der wiedergewonnenen Verbindung mit der ganzen Sportwelt darstellen. [...] Es ist jedes echten Sportlers Traum, an diesem wahren Friedensfeste der Völker teilnehmen zu können. Es geht hierbei nicht etwa allein nur um den Sieg, sondern um das Bewusstsein, von seinem Lande auserkoren zu sein, die Nationalfarben in

934 ÖOC: „Olympia ruft Österreich.“ Wien 1948. S. 3. 935 Als Fußballer spielte er beim FC Libertas Wien, von 1945 an war er Präsident des Österreichischen Fußballbundes (ÖFB), später Vizepräsident der Vereinigung Europäischer Fußballverbände (UEFA). 936 Gerö war von 1946 bis zu seinem Tode im Jahr 1954 Präsident des ÖOC.

284 dem schwersten Wettbewerb der Welt vertreten zu dürfen. [...] Sollte auch das Auftreten der Vertreter Österreichs bei den bevorstehenden Olympischen Spielen nicht jenes Ergebnis zeitigen, das von der teilweise überhitzten Phantasie der österreichischen Sportöffentlichkeit erwartet wird, so sei darauf hingewiesen, dass es bei den Olympischen Spielen nicht so sehr darauf ankommt, eine möglichst große Anzahl von goldenen Medaillen zu erwerben, sondern darauf an, einem wahren Friedensfeste der Völker teilnehmen zu dürfen, an einem wahren Feste der Völkerversöhnung und Völkerverbrüderung mitzuwirken und dadurch beizutragen, was uns allen so sehr am Herzen liegt, zur Wiederherstellung des Dauerfriedens auf der Welt.“937 Seine Botschaft ist klar: Österreich feiert bei den Olympischen Spielen seine Auferstehung; als klares Opfer des Nationalsozialismus ist Österreich beinahe prädestiniert am Friedensfest teilzunehmen; der Patriotismus hat bei Gerö keinen Nachgeschmack. Unterrichtsminister Hurdes hebt berufsbedingt den erzieherischen Wert der Olympischen Spiele hervor: neben dem Pazifismus lehrt die Antizipation am Olympischen Wettkampf vor allem die Integrierung in die internationale Weltgesellschaft. So liest man: „Sie [die Olympischen Spiele, Anm.] […] stellen ein eindrucksvolles Bekenntnis zur Gemeinschaft der Nationen, zur Solidarität der Völker, dar. Alles was das Gemeinschaftsbewusstsein der Völker stärkt, ist als Erziehungsfaktor einer durch Zwietracht an den Rand des Verderbens geratenen Welt zu begrüßen und zu fördern. Das Bundesministerium für Unterricht, das ja gleichzeitig auch die oberste Sportbehörde ist, freut sich der Teilnahme österreichischer Sportler an den Olympischen Spielen aber auch deshalb, weil diese Spiele ein Baustein zum Frieden sind, zum Frieden, den alle Welt, im besonderen aber Österreich, braucht. [...] Natürlich wird jeder Erfolg der österreichischen Olympiamannschaft ganz Österreich erfreuen und es mit Stolz erfüllen, aber wir wissen, dass die Aufgabe schwer und die Vorbedingungen nicht leicht sind, Hunger, Entbehrung and Enttäuschung sind nun einmal nicht für allzu günstigen Startbeginn geeignet. [...] Diesen Beweis muss und wird Österreichs Olympiamannschaft erbringen, diesen Sieg wird sie erringen. Und so wird sie nicht nur dem sportlichen Ansehen Österreichs nützen, sondern auch ganz allgemein den Ruf der österreichischen

937 ÖOC: „Olympia ruft Österreich.“ Wien 1948. S. 4.

285 Urbanität festigen. Heimgekehrt aber, wird sie Vorbild sein in jeder Richtung und die sportbegeisterten Massen des österreichischen Volkes eingliedern helfen in die große, weltumspannende Kameradschaft derer, die sich in friedlichem und fairem Wettkampf schätzen und achten lernten[...].“938 Aus allen Prologen der Politiker erkennt man das Bewusstsein um die enorme Bedeutung des Österreichischen Auftritts bei diesen ersten Olympischen Spielen nach 1945. Die Olympischen Spiele von 1948 stellen einen wichtigen Schritt Österreichs in die Weltgemeinschaft dar. Vor allem Unterrichtsminister Felix Hurdes ist klar, dass für einen positiven Auftritt Österreichs auch der ein oder andere sportliche Erfolg vonnöten sein wird – so schwierig die Vorbereitungen auch waren.

Das Österreichische Olympische Comité.

Das ÖOC nützte seine schön gestaltete Publikation im Vorfeld der Spiele von 1948 um sich zu legitimieren und einem breiteren Publikum vorzustellen bzw. sich nach dem Nationalsozialismus als wichtige diplomatische Instanz des neuen Österreichs zurückzumelden. Werfen wir also einen kurzen Blick auf die Selbstinszenierung des Comités: „Das österreichische Olympische Comité hat als Hauptaufgabe, neben der Propagierung des Olympischen Gedankens, die Teilnahme Österreichs an den Olympischen Spielen vorzubereiten und die Beschickung derselben zu organisieren. […] Diese größte Kundgebung des Sportes würdig zu beschicken, ist die wichtigste Aufgabe des Österreichischen Olympischen Comités, denn die Olympische Bewegung hat in Österreich bereits von Beginn an eifrigste Förderer gefunden.“ Nach einer Schilderung der Ereignisse – die einen Bogen von den Athener Spielen 1896 über die Gründung des ÖOC im Jahre 1910 bis hin zu den Spielen in Berlin 1936 spannen und in der „Besetzung“ Österreichs durch die Nazis enden – stellt sich das „neue“ ÖOC, nach 1945, vor: Nach der Befreiung Österreichs fanden sich bald Freunde der Olympischen Bewegung zusammen, welche sich die Gründung eines Olympischen Comités für Österreich zum Ziele setzten. [...] So wurde auf organisatorischem Gebiete alles getan, um dem österreichischen Olympischen Comité ein erfolgreiches Arbeiten zu ermöglichen und den österreichischen Sportverbänden bei der Überwindung der mannigfaltigen

938 ÖOC: „Olympia ruft Österreich.“ Wien 1948. S. 5.

286 Schwierigkeiten, welche sich dem Sport heute so häufig entgegenstellen, behilflich zu sein.“ Weiters liest man: „In erster Linie war es natürlich notwendig, die zur Vorbereitung erforderlichen Geldmittel sicherzustellen und diese konnten bis Ende Dezember bereits flüssiggemacht werden. Darüber hinaus wurden die Kosten der Verpflichtung von Olympiatrainern […] übernommen. Diese Olympiatrainer haben im ganzen Land Lehrkurse durchzuführen, an welchen jedermann teilnehmen kann. Die geeigneten Athleten werden den Olympiakaders der Verbände zugeführt, wo sie eine besonders sorgfältige Ausbildung und Förderung erhalten. Durch Ausscheidungskämpfe werden dann die Besten ermittelt […]. Dabei ist einzig und allein die gezeigte Leistung maßgebend. Jeder Österreicher, welcher den vom Internationalen Olympischen Comité festgelegten Bedingungen entspricht, ist zur Teilnahme berechtigt. Das Österreichische Olympische Comité ist sehr bemüht, auch für eine Verbesserung der Ernährung unserer Athleten zu sorgen, was durch Beistellung von Lebensmittelpaketen geschieht.“ Politisch interessant ist eine Kooperation mit Ungarn. Das ÖOC erklärt dazu: „Auch war es möglich, mit dem Ungarischen Olympischen Comité einen Sportleraustausch zu vereinbaren, durch welchen bereits heuer die österreichischen Boxer und Turner Gelegenheit hatten, in Ungarn gemeinsam mit ihren Kameraden zu trainieren, während im nächsten Jahr daran gedacht wird, den übrigen Sportlern Gelegenheit zu geben, durch den Aufenthalt in Ungarn und der damit verbundenen vorzüglichen Verpflegung einen bedeutenden Kräftezuschuss zu erlangen. Im Austauschwege kommen ungarische Eiskunstläufer und Skifahrer nach Österreich, welche auf unseren Kunsteislaufbahnen und in den prachtvollen Skigebieten beste Gelegenheit haben, ihr Können wesentlich zu steigern.“ Besonderes Augenmerk möchte ich hier darauf legen, dass sich Österreich im Austausch mit Ungarn als Zentrum des alpinen Skisports präsentiert. Es ist keine Modeerscheinung der Nachkriegsjahre, dass sich kulturelle Einrichtungen, deren Wirken als allgemein eher kostenintensiv wahrgenommen werden, rechtfertigen müssen und ihre Geldquellen offenlegen müssen. Natürlich ist die Offenlegung der Finanzen gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, da materielle Engpässe an der Tagesordnung stehen, noch unumgänglicher. So liest man weiter: „Die Tätigkeit des Österreichischen Olympischen Comités bleibt aber nicht nur bei der Vorbereitung der Teilnahme beschränkt. Daneben läuft eine große

287 Zahl von Aktionen, um die erforderlichen finanziellen Mittel aufzubringen. Die sehr bedeutenden Kosten werden zum großen Teil aus den Erträgnissen des ‚Olympiagroschens‘ gedeckt. In einem einstimmig gefassten Entschluss ver- pflichteten sich alle Sportverbände, bei sämtlichen Veranstaltungen einen kleinen Zuschuss zu den Eintrittsgeldern einzuzahlen, welcher dem Olympiafonds zufließt. Dies stellt einen schönen Beweis der Solidarität dar, denn die zugkräftigen Sportzweige, welche über ausgedehnte Einnahmemöglichkeiten verfügen, überlassen diese Beiträge ohne jede Einschränkung genauso dem österreichischen Olympischen Comité, wie dies die kleinen Verbände, die in erster Linie Nutznießer der Subventionen sind, tun. Darüber hinaus haben aber auch viele Organisationen, deren Sportzweige nicht auf dem Olympischen Programm stehen, die freiwillige Verpflichtung übernommen, gleichfalls diese Abgaben zu leisten. Ein sehr namhafter Betrag dürfte durch die Ausgabe der Olympia-Sonderpostmarke erzielt werden, welche nach einem Entwurf des akademischen Malers Alfred Chmielowski Ende dieses Jahres von der österreichischen Postverwaltung aufgelegt werden wird. Die Marke, mit einem Nennwert von 1 Schilling und einem Zuschlag von 50 Groschen, zeigt die Olympische Flamme auf braunem Grund und wird bestimmt durch ihre überaus kunstvolle Ausführung eine begehrte Erinnerung an die XIV. Olympiade bilden. Auch die Postkartenserie, die in hervorragender Ausführung die Olympischen Symbole und verschiedene Darstellungen aus dem Sportleben zeigt, dürfte bei allen Sportfreunden viel Anklang finden.“ Über die PR-Kampagnen des ÖOC liest man: „Der ausschließlichen Werbung für den Olympischen Gedanken dient das ‚Olympiabuch‘, welches in drei Bänden - die Vorbereitungen, die Winterspiele und die XIV. Olympiade umfassend - erscheint. Der ‚Olympiafilm’, der durch die besten Fachleute geschaffen wird, soll den Verlauf der Spiele unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen Mannschaften zeigen und wird damit hoffentlich der Olympischen Bewegung viele neue Anhänger gewinnen. Dem gleichen Zwecke diente auch das Internationale Olympische Werbemeeting, das unter Teilnahme der besten amerikanischen, italienischen und österreichischen Athleten am 16. August 1947 im Wiener Stadion abgehalten wurde und 25.000 begeisterten Zuschauern die Schönheiten des Olympischen Sportes vollendet zum Bewusstsein brachte. Von der Wichtigkeit wirkungsvoller Plakate und eines zugkräftigen Schlagwortes (Slogan) für eine erfolgreiche Werbung überzeugt, wurde ein Wettbewerb zur Erlangung geeigneter Entwürfe ausgeschrieben, der eine

288 sehr zahlreiche Beteiligung aufwies. Als Sieger der Plakatkonkurrenz ging akademischer Maler Mitschek hervor, im Slogan-Wettbewerb erhielt der Salzburger Joe Thumer für seine Einsendung „Olympia ruft Österreich" den ersten Preis.“ Zur Inszenierung des „neuen Österreichs“ gehörte auch eine neue Ästhetik. Die Bekleidung der Olympiamannschaft stellte dabei eine schwierige Aufgabe dar; nach den Jahren des Nationalsozialismus musste die Olympiamannschaft einheitlich bekleidet werden – jedoch ohne jegliche militärische Reminiszenz. Im Buch liest man: „Viel Kopfzerbrechen bereitete dem Olympischen Comité auch die schwer zu lösende Aufgabe, eine Bekleidung für die Olympiamannschaft zu schaffen, die zweckmäßig, geschmackvoll und zugleich die österreichische Note betonend, gestaltet sein muss. Auch hier konnte ein Preisausschreiben wertvolle Anregungen geben, und aus den über 300 eingesandten Entwürfen wurde der von Christiane Reuther vorgelegte zur Ausführung bestimmt. Dieser sieht ein dunkelgrünes Sakko mit grauer Hose und den sogenannten österreichischen Hut vor. Bei festlichen Anlässen wird dazu dunkelgrauer Brustlederkoller mit dem österreichischen Adler getragen, so dass unsere Mannschaft schon durch ihre geschmackvolle Kleidung überall einen vorzüglichen Eindruck hinterlassen wird.“ Dass die Olympiateilnahme ein nationales Anliegen ist, liest man aus folgendem Satz: „Es würde zu viel Raum beanspruchen, alle Behörden des Bundes, der Länder und Gemeinden, aber auch die vielen privaten Förderer aufzuzählen, welchen das Comité auf das tiefste verpflichtet ist und die ihre weitgehende Unterstützung in der richtigen Überzeugung gewährten, dass es Pflicht eines jeden Österreichers sein muss, das Beste zu tun, um den Vertretern unseres Landes ein würdiges Auftreten zu sichern.“939 Es scheint höchste Priorität zu haben, Österreich im Kreise der „Olympischen Familie“ zu wissen. Während der Besatzungszeit war die Olympische Repräsentation tatsächlich eines der wenigen internationalen Schauspiele, bei denen sich Österreich souverän präsentierte. Verstärkend für das neue Selbstvertrauen wirkte natürlich auch die Tatsache, dass Deutschland bei den ersten Spielen nach 1945 nicht eingeladen wurde – folglich auch die internationale Olympiagemeinschaft den für die Zweite Republik so günstigen Fall annahm, dass es sich bei Österreich um ein „Opfer“ des aggressiven nationalsozialistischen Expansionswahnsinns handelte. So stellen die relativ früh erfolgten Bewerbungen um die Ausrichtung Olympischer Spiele

939 „Geschichte des ÖOC“ übernommen aus: ÖOC: „Olympia ruft Österreich.“ Wien 1948. S. 11-15.

289 keine Überraschung dar. Österreich fühlte sich im sportlichen Internationalismus wohl. Um in den Kreis der „Sportnationen“ aufgenommen zu werden braucht ein Staat – neben inszenierter Sportbegeisterung – vor allem eines: Erfolge. In der Publikation des ÖOC nach den Olympischen Spielen 1952 in Oslo liest man im Vorwort von Theodor Körner: „Die prächtigen jungen Menschen, die wir als Vertreter Österreichs zur Winterolympiade 1952 entsandten, haben den friedlichen und dennoch so harten Wettkampf aufopferungsvoll bestanden und den österreichischen Farben aufs neue viel Ehre gemacht. Inmitten der ersten Wintersportnationen der Welt haben sie ihren hohen Rang zu behaupten gewusst und die stolzen Trophäen des Erfolges, die unser Land aufzuweisen vermag, um ein Erkleckliches vermehrt.“940

Das Vorwort von Bundespräsident Körner ist auch 1956 bemerkenswert, als er im Buch des ÖOC zu den Spielen in Cortina schreibt: „Großmacht oder Kleinstaat – die Herkunft des Bewerbers spielt keine Rolle, seine Tüchtigkeit allein entscheidet. So kann denn auch das kleine Österreich mit Stolz auf so manche große Erfolge hinweisen, die seine Sportler im Kampf um den olympischen Lorbeer davongetragen haben. Zum ersten Mal treten sie bei den Olympischen Spielen des Jahres 1956 wieder als Vertreter eines souveränen Staates, als Freie unter Freien, in die Arena. Sie werden, dessen bin ich gewiss, ihr Bestes geben und ihrer Heimat Ehre machen.“941 Entscheidend ist der Verweis auf den Kleinstaat – die österreichische Öffentlichkeit fühlt sich klar bei Wintersportveranstaltungen dazu beseelt, auf sportlicher Ebene zur Großmacht aufzusteigen. Der zeitgeschichtliche Kontext – der Abzug der Besatzungssoldaten 1955 und die damit verbundene neue Souveränität – trug das seine dazu bei, um die drei Goldmedaillen des Toni Sailers in Cortina 1956 noch Symbolträchtiger zu machen. Inwiefern solche sportlichen Erfolge auch nach außen wirken ist schwer abzuschätzen. In der Westdeutschen Ausgabe der Olympiapublikation zu den Winterspielen 1956 schreibt jedenfalls Willi Daume, Präsident des deutschen Sportbundes: „Wir wissen, [...], dass gewonnene olympische Medaillen nichts aussagen über die Bedeutung einer Nation oder über die Güte einer politischen Gesellschaftsordnung.“942 Generell beobachtet die

940 ÖOC: „Oslo 1952.“ Wien 1952. S. 5. 941 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 5. 942 DSB: „Olympiade 1956.“ Frankfurt/Main 1956. S. 5.

290 Bundesrepublik die Erfolge Toni Sailers und den dadurch ausgelösten Enthusiasmus und neuen österreichischen Patriotismus mit gemischten Gefühlen: „Was dann auf des Siegers weiterem Triumphzug von Cortina nach Kitzbühel und durch Wien geschah, bewies erneut, dass wir nicht zu den Zeitaltern der Helden zurückgehen müssen, um zu erkennen, wozu die Massen fähig sind. So kann es für einen Mann selbst leichter sein, dreimal Olympiasieger zu werden, als nur einmal die Folgen davon ohne Schaden zu überstehen.“943 Nichtsdestotrotz legten gerade die Erfolge bei Olympischen Spielen den Grundstein für das Selbstvertrauen Österreichs, sich selbst früh um die Austragung Olympischer Spiele zu bewerben. Carl Diem meinte in seiner Festrede zu den österreichischen Olympiabemühungen 1958 in Wien: „Wenn ich mir nun diese freudige und erfolgreiche, ja wegweisende Teilnahme Österreichs am olympischen Geschehen überdenke und versuche, nach einer tieferen Ursache zu fahnden, so will es mir scheinen, als ob die ästhetische Grundstimmung des österreichischen Wesens die Frage beantwortet. Dieses Urteil wird auch durch den Stil des ganzen Lebens, durch die Leistungen im Handwerk, in der Mode, durch den Häuser- und Städtebau, durch die bildende Kunst und die Musik, durch Gesang und Tanz bestätigt. Aus dieser Seite der menschlichen Eigenschaften ist auch Österreichs Freude am Sport, seine Liebe zu den Bergen, zum Schilauf und zur Alpinistik geboren.“944

Was hier der deutsche Carl Diem ausspricht, ist die Bestätigung erfolgreicher Selbstvermarktung; vielleicht auch gezielter Propaganda: Sport als kulturelle Leistung des „neuen Österreichs“, dessen Erfolg auf die Eigenart des „österreichischen Wesens“ zurückzuführen ist. Dass die Teilnahme an, letzten Endes sogar die Ausrichtung von Olympischen Spielen dabei die wichtigste Bühne darstellt, versteht sich von selbst. In den Nachkriegsjahren waren Sportgroßveranstaltungen im Gegensatz zur Gegenwart spärlich gesät; kein Ereignis führte so viele verschiedene Nationen an einem Ort zusammen; an keinem Ort konnte man sich selbst vor der Weltöffentlichkeit besser neu erfinden.

Natürlich brauchte man für diese Neuausrichtung auch gewisse Erfolge. In welchen

943 DSB: „Olympiade 1956.“ Frankfurt/Main 1956. S. 89. 944 Diem, Carl: „Olympisches Österreich.“ Festrede anlässlich der Olympiavorbereitungen für 1960 in Wien am 24.10.1958. Zitiert nach: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1958. Heft 10/Jahrgang 12.) S. 1ff.

291 sportlichen Disziplinen man am ehesten Überzeugen könnte, stellte man in der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 1948 in St. Moritz fest: „Wenn wir irgendwo begründete Aussicht auf olympische Ehren haben, dann im Schifahren, und da besitzen wir ja zum Glück genügend Trainingsgelegenheit.[...]“945

„Olympiahoffnung“ alpiner Skisport.

Es ist tatsächlich der alpine Skisport, der von Anfang an als Botschafter österreichischer Kompetenz herhalten musste. Die Erklärung für diesen Umstand ist so nüchtern wie ehrlich zugleich: die geographische Lage prädestiniert den österreichischen Skisport zur internationalen Konkurrenzfähigkeit; lange Wege zum Training sind hier fremd. Dass sich im Kontext der österreichischen olympischen Bestrebungen die „Winterspiele“ zur wichtigeren Bühne auftaten, versteht sich aus diesem Grunde von selbst. In der Publikation „Olympia ruft Österreich“ von 1948 versucht das ÖOC eine erste Prognose für die kommenden Spiele in London und Sankt Moritz abzugeben. Der Leitsatz „dabei sein ist alles“ wird dabei erstaunlich schnell über Bord geworfen, wenn es heißt: „Es wird eine große Streitmacht sein, die Österreich zur XIV. Olympiade entsendet. Bei den Winterspielen werden 82 Vertreter Österreichs, von den Glückwünschen aller begleitet, an den Start gehen, und beim ersten Nennungsschluss für London wurden 192 österreichische Teilnehmer gemeldet […]. Insbesondere bei den Winterspielen können wir mit einem guten Abschneiden rechnen. Unsere Skifahrer und Eiskunstläufer haben vorzügliche Aussichten und auch die Eishockeymannschaft geht nicht chancenlos in den Kampf. Bei den Sommerspielen erwarten wir insbesondere Erfolge der Ruderer, Kajakfahrer, Schützen und Turner, welche bereits erstklassige Trainingsresultate aufweisen können, während die Schwerathleten wohl etwas in der Form zurückgegangen sind, aber trotzdem auch eine gute Rolle spielen dürften. [...] Die Chancen im Fußball zu beurteilen, ist schwierig, da alles davon abhängt, welche Mannschaft entsendet wird. Gute Aussichten hat Österreich in den Frauenwettbewerben, wo mit Erfolgen im Fechten, Kunstspringen und in der Leichtathletik gerechnet werden kann. [...] Wie aus dem Gesamten hervorgeht, ist ein gewisser Optimismus sicherlich berechtigt,

945 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1947. Heft 4/Jahrgang 2.) S. 21.

292 aber es darf doch nicht übersehen werden, welch großes Handikap unsere Sportler durch die vielen Schwierigkeiten, welche heute der Sportausübung entgegenstehen, aufzuholen haben. Für Österreich ist aber die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1948 eine unbedingte Notwendigkeit, gibt es doch keine bessere Gelegenheit, als anlässlich einer die ganze Welt in ihren Bann ziehenden Manifestation zu beweisen, dass unser Land, ungeachtet der harten Wiederaufbauarbeit, hoffnungsvoll in die Zukunft blickt und gewillt ist, seinen ehrenvollen Platz unter den Kulturvölkern zu behaupten.“946 Im Anschluss folgt eine Analyse des status quo im Skisport: „In wenigen Jahrzehnten hat sich der Skisport die ganze Welt erobert, und kein anderer Sportzweig übertrifft ihn an Vielfalt. Jahrhundertelang geübter Gebrauchssport im Alltag der Nordländer und unentbehrliches Hilfsmittel der modernsten wissenschaftlichen Expeditionen: vom tiefsten Naturerleben hunderter, tausender Skitouristen bis zum farbenbunten Modetrubel auf den Skiliftstrecken der hypermondänen Wintersportplätze in aller Welt, vom sonntagsfrohen Treiben auf den unzähligen Übungswiesen bis zum mitreißenden Wettkampf der tollkühnen Virtuosen auf den Pisten, Bakken und Loipen der internationalen Skikonkurrenzen spannt sich der weltweite Bogen des unvergleichlich vielseitigen Skisportes.“ Dass der Skisport besonders Österreichisch ist, erkennt man im Folgenden: „Vom Beginn an waren Österreicher an dieser Entwicklung führend beteiligt. Namen wie Matthias Zdarsky, Oberst Bilgeri und Hannes Schneider wurden zu einem Begriff in der Skiwelt. Nach dem großen Aufschwung dieses neuen Sportzweiges nach 1918 gab es bald in allen Erdteilen begeisterte Anhänger der weltberühmt gewordenen Arlbergtechnik, die österreichischen Meisterläufer wurden in alle skisporttreibenden Länder als Skilehrer geholt, und die Spitzenläufer aus aller Welt pilgerten immer häufiger in die berühmten Skizentren unseres Landes, um hier die letzten Feinheiten und neuesten Fortschritte der alpinen Fahrkunst kennen zu lernen. Bis 1938 zählten die österreichischen Spitzenkönige im Skisport zur Weltsonderklasse. Ein Friedl Pfeiffer, Toni Seelos, Rudi Matt, Sepp Bradl, Eberhard Kneisl, [...] Dutzende andere von gleicher Qualität standen in den Bestenlisten aller großen internationalen Skikonkurrenzen. […]“ Das ÖOC wusste genau, was dem Skisport vor 1948 aber noch fehlte, um endgültig einen „Boom“ auszulösen: „Nur bei den Olympischen Winterspielen ist dem

946 ÖOC: „Olympia ruft Österreich.“ Wien 1948. S. 16.

293 österreichischen Skisport bisher noch keine einzige Gold-, Silber- oder Bronzemedaille zugefallen.“ Aufgrund des breiten Aktionsraumes bei Winterspielen – bei denen Skiveranstaltungen immerhin einen großen Teil einnehmen – gibt es seit je her eine enge Verbindung zwischen ÖOC und dem Österreichischen Skiverband (ÖSV). So scheint es auch nicht verwunderlich, dass in der Olympiapublikation dem Skiverband ein eigenes Kapitel geweiht wurde – nicht zuletzt auch deshalb, weil der Skisport für größte Hoffnungen auf olympisches Edelmetall zuließ. „6000 Mitglieder zählte der neugegründete ÖSV im Jahre 1945“, liest man über die „Erfolgsgeschichte“ des ÖSV, „Heute gehören ihm acht Landesverbände mit mehr als 260 Vereinen und rund 17.000 Mitgliedern an. Für die bereits geleistete erfolg- reiche Wiederaufbauarbeit wurde dem ÖSV als erstem Sportverband auf Vorschlag des Österreichischen Olympischen Comités am 26. Juli 1947 der Preis der Österreichischen Liga für die Vereinten Nationen verliehen. Die noch größeren Zukunftsaufgaben des ÖSV, besonders in Bezug auf die Förderung des Jugendskilaufes und der Skitouristik, mussten in den vergangenen Monaten hinter dem vordringlichsten Ziel, den Vorbereitungen für die Olympischen Winterspiele, vorübergehend etwas zurücktreten.“ Was danach folgt, ist eine Aufzählung der internationalen Skirennen des Jahres 1947 – und eine Dokumentation der Österreichischen Dominanz im Skilauf. Über die Chancen bei Olympischen Spielen schreibt das ÖOC: „Mit größtem Interesse sehen alle Beteiligten der kommenden Olympischen Bewährungsprobe entgegen. werden die im Vorjahr gewonnenen Erfahrungen, die erreichten Verbesserungen in der Ausrüstung, das intensive Training unserer Olympiakandidaten und die schon wieder erreichte Breite und Leistungsdichte unserer Spitzenklasse schon in diesem Winter zu Olympischen Siegen ausreichen oder werden diesmal noch die Schweizer, Franzosen und vielleicht auch andere Nationen dominieren? [...] In den alpinen Bewerben haben die österreichischen Damen reelle Chancen […]. Bei den Männern sind die gleichwertigen Läufer von Weltklasse noch wesentlich zahlreicher. Das technische Können unserer besten Läufer müsste, besonders im Slalom, unbedingt ausreichen, um mit guten Chancen auf erste Plätze zu starten. […]. Eines ist jedoch sicher: Die besten alpinen Läufer unserer Olympiamannschaft sind bereits wieder zur Weltklasse zu zählen. Ob es ihnen gelingen wird, ihr unbestreitbares Können taktisch richtig einzusetzen, wird sich zeigen. Doch sie werden auf jeden Fall im Olympischen

294 Geist kämpfen und haben das Zeug in sich, dem österreichischen Skisport seinen angestammten Platz auch für die Zukunft zu sichern.“ Pathetisch klingen die letzten Zeilen zum alpinen Skilauf: „Von den ewigen Wäldern im Norden Europas bis in die Anden am südlichen Polarkreis, von den White Mountains im Nordosten der USA bis in die Seefelder Bergwelt und auf die Steilhänge des Arlberges steht die Ski-Elite der ganzen Welt im scharfen Training für die kommende große Bewährungsprobe im Engadin. Dort, wo nicht die Ausdehnung eines Landes, sondern nur die Leistungen seiner Menschen zählen werden; dort, wo es gilt, der ganzen Welt - und nicht zuletzt uns selbst - zu beweisen, dass wir nach aller Not und Bedrängnis der vergangenen Jahre weder den Glauben noch die Kraft oder den Willen eingebüßt haben, uns im friedlichen Wettstreit der Nationen ehrenvoll zu behaupten, wird auch Österreichs Skisport wieder wie einst den Beweis erbringen, dass die weiße Kunst in der herrlichen Gebirgswelt unserer Alpen eine ihrer besten Heimstätten gefunden hat.“947 Ein weiterer Beweis für die Wichtigkeit des alpinen Skisports für die Selbstwahrnehmung Österreichs nach 1945. Gerade zu einem Zeitpunkt, da man sich damit abgefunden hat, ein „kleines Land“ zu sein (wohl durch das Trauma, welches die Partizipation an einem „Großreich“ von 1938 bis 1945, verursacht wurde) stellt das Wissen darum, auf bestimmten Gebieten dennoch eine Weltmacht zu sein, einen zentralen Punkt dar. In der offiziellen ÖOC Publikation zu den Winterspielen in Oslo 1952 liest man: „Wie sehr der Skisport im Rahmen des gesamten Wintersports bereits in der ganzen Welt, besonders aber in Österreich, eine dominierende Stellung einnimmt, zeigte sich am deutlichsten durch die Zusammensetzung des österreichischen Olympiateams [...]. Es umfasste neben vier Eiskunstläufern, drei Eisschnelläufern und acht Bobfahrern [...]“ nicht weniger als 14 alpine SkifahrerInnen und 13 nordische SkisportlerInnen.948 Dadurch werden zum einen klare Prioritäten abgesteckt; zum anderen zeigt sich die Fokussierung Österreichs auf den Skisport. Dass dabei bewusst Mythen geschaffen werden, ist ein eindeutiger Beweis für bewusste Inszenierung des alpinen Skisports als Weltsport. Kurt Bernegger etwa schreibt vor den Winterspielen in Innsbruck 1964, es müsse „objektiv festgestellt werden, dass die alpinen Skibewerbe, seit sie 1948 in Sankt Moritz den bis dahin dominierenden nordischen Skikonkurrenzen gleichwertig zur Seite gestellt worden waren, die Olympischen Winterspiele beherrschen“ und

947 ÖOC: „Olympia ruft Österreich.“ Wien 1948. S. 22ff. 948 ÖOC: „Oslo 1952.“ Wien 1952. S. 18.

295 „Österreichs Ski-Idol Toni Sailer gewann nicht nur drei Goldmedaillen, sondern auch die Herzen fast aller Olympiabesucher in der Dolomitenstadt.“949 Mit Wehmut erinnert er sich: „In der beinahe perfekten Olympic City in Squaw Valley, wo sich fast märchenhaft das erfüllte, was man in kühnsten Träumen erwarten durfte, klang immer wieder, nicht nur bei den Alpenländern, das Heimweh nach der Alpenheimat der Olympischen Winterspiele durch.“ Eine entscheidende internationale Komponente erhält der Skilauf über dessen Beliebtheit in exotischen Ländern: „Die Begeisterungswelle für den alpinen Skilauf in Japan ist unvorstellbar, erzählten Österreichs Skiexperten nach einer Besichtigung. Alles drängt zum alpinen Skilauf: der Koreaner genauso wie der Libanese, der Australier wie der Argentinier, der Südländer, der den Schnee nur vom Hörensagen kennt, wie der Flachländer, dem Berge, die der alpine Skiläufer ausnützt, völlig fremd sind.“ Zum Abschluss meint Bernegger: „Die Olympischen Winterspiele in Innsbruck werden nur bestätigen, was schon seit Jahren ein offenes Geheimnis ist - das Herz der Winterspiele schlägt alpin!“950

Dabei sollte der Sieg bei Olympia – zumindest ideologisch – nicht im Vordergrund stehen. Den wahren Nutzen der olympischen Idee bringt Robert Mader in seinem Artikel im Vorfeld der Olympischen Spiele in Innsbruck 1964 auf den Punkt: „So gilt es für Österreich, das auf Grund seiner guten Vorbereitungsarbeiten bereits in aller Welt besorgniserregende Vorschusslorbeeren erhält, nachzuweisen, dass die olympische Idee vom völkerverbindenden Wettkampf der Jugend auch in unserer Zeit ungebrochen wirksam ist. In einer Zeit, in der sich das Denken gerade unserer Jugend immer mehr materiellen Dingen zuwendet, erscheint diese olympische Idee schon aus rein pädagogischen Gründen nötiger denn je.“951 In seinem Leitartikel über den „Erziehungswert der Olympischen Spiele“ erörtert Frank Ritschel noch einmal – kurz von den Innsbrucker Spielen 1964 – die wesentlichen Punkte des pädagogischen Nutzens der Olympischen Spiele: „Die Olympischen Spiele sollten Hochfeste weltweiter Humanität auf der Grundlage einer gesunden Nationalität sein. Man kann diesem Grundsatz freudig zustimmen, denn vielfältig und auch tiefgreifend sind die Beiträge der Olympischen Spiele zu

949 Bernegger, Kurt: „Das Herz der Winterspiele schlägt alpin...“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (20-23.) S. 20. 950 ebenda. S. 21. 951 Mader, Robert: „Die Vorbereitungen zu den IX. olympischen Winterspielen 1964 in Innsbruck.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli 1963. (Heft 7/Jahrgang 17.) S. 14f.

296 internationaler Verständigung, zur Annäherung der Menschen aller Gesellschaftsschichten, aller Staaten, aller Völker, aller Rassen und aller Religionen. Die Wirklichkeit zwingt allerdings auch zur Bescheidenheit des Anspruchs, da es doch immer wieder zu Ausbrüchen rassischer, weltanschaulicher, politischer und persönlicher Unduldsamkeit und Gegensätzlichkeit bei den Olympischen Spielen und im Zusammenhang mit ihnen kommt. Wir wissen, dass die Olympische Idee und damit die Olympischen Spiele der Gegenwart durch das charakterliche Versagen einzelner Wettkämpfer, durch nationale und politische Feindlichkeit (in einer Art des Kalten Krieges), aber auch durch den Geschäftsgeist der Zeit vielfach gefährdet sind. […] Eine maßlose Überschätzung und Überforderung des Sports und seiner bildenden Möglichkeiten ist wohl die Deklaration des modernen Olympismus als Religion, wie dies durch Coubertin und durch führende Männer im IOC auch noch 1960 in Rom geschehen ist. Die ‚religio athletae‘ als ‚Religion der Muskelkraft‘ ist kein erfreuliches Leitbild. Sie ist Ausdruck einer sehr materialistischen Schein-Religiosität, in der manche Abwegigkeiten bei den Olympischen Spielen letztlich wurzeln. […] Wer einmal Gelegenheit hatte, an Olympischen Spielen teilzunehmen, wird ihre erhebende, begeisternde und antreibende Wirkung bestätigen. Der Glaube an sie wird allerdings durch das Wissen gedämpft, dass die perfektionierte sportliche Leistung für sehr viele Besucher der Olympischen Spiele zu einem schwer bezahlten Schauspiel geworden ist, bei dem sie ihre Sensationslust befriedigen. […] In diesen Zusammenhang muss auf die gefährliche Zweischneidigkeit des sehr bekannten und meist recht bedenkenlos verwendeten Wahlspruches der Olympischen Spiele, ‚Citius, altius, fortius!‘ hingewiesen werden. [...] ‚immer schneller, immer höher, immer stärker!‘, den Wahlspruch für alle diejenigen, die es wagen wollen, Rekorde zu brechen. In diesen Vorteil steckt ein Absolutsetzen der Höchstleistung sowie des Höchstleistungsstrebens, die keiner anderen Verpflichtung unterworfen sein soll. Sie werden, aus dem größeren Zusammenhang gerissen, oft als Freibrief verstanden, der die rücksichtslose, die Schranken der eigenen Gesundheit und die der Gemein- schaft missachtenden Rekordjagd rechtfertigt.[...] Was Unrecht ist, muss auch im Sport Unrecht bleiben. Der unersetzliche Wert der Olympischen Spiele liegt darin, dass sie einzigartige Feste sind, bei denen sich Menschen aller Religionen, aller Rassen, aller Völker, aller Stände und beider Geschlechter vereinen können und wo ihnen das

297 tiefgreifende Erlebnis der Zusammengehörigkeit über alle Unterschiede und Grenzen hinweg geschenkt wird. Die fünf ineinander verschlungenen Olympischen Ringe sind ein schönes Symbol dieser Bedeutung. Es ist notwendig und es lohnt sich, die Olympischen Spiele als gesamtmenschliche Hochfeste zu erhalten und zu kultivieren, weil damit der Menschheit gedient wird.“952 Zusammengefasst betont Ritschel den pazifistischen Grundgedanken der Olympischen Spiele, dessen Grenzen hin zum „gesunden Nationalismus“ gedehnt werden dürfen. Was Olympische Spiele nicht sind, ist eine Leistungsschau unbegrenzten Siegeswillens. Das berühmte „dabei sein ist alles“ soll hier zum Wahlspruch der österreichischen Wintersportnation werden, für die es seit Toni Sailers Dreifachtriumph bei den Spielen in Cortina d’Ampezzo jedoch zur Staatsangelegenheit wurde, zumindest im alpinen Skisport andere Nationen zu besiegen. Die Wirklichkeit sah natürlich anders aus: als Egon Zimmermann die Abfahrt in Innsbruck 1964 gewann, brauchte er Polizeischutz durch die euphorischen Fans hindurch direkt zum Bundespräsidenten953 – um sich dort vom „obersten im Staate“ symbolisch adeligen zu lassen. Auch vor der Teilnahme an den ersten Olympischen Spielen nach dem Krieg, den V. Olympischen Winterspielen in St. Moritz 1948, steht neben aller Bekenntnis zum Olympischen Gedanken die Konkurrenzfähigkeit der Österreichischen Gesandten im Fokus, wenn man in der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ liest: „[Es] ist in den alpinen Bewerben in Frankreich ein ernster Konkurrent für die Schweizer und Österreicher aufgetaucht.“954 Olympischer Gedanke.

Der erzieherische Wert des olympischen Gedankens war in der Sportwelt der 1950er/60er Jahre ein breit diskutiertes Thema. Olympische Spiele wurden als internationale Friedenswettspiele der Jugend propagiert, bei denen es weniger um Sieg, Niederlage oder materiellen Nutzen aus dem Sport, als um die Mitgliedschaft in der olympischen Familie gehen sollte. Mitte der 1950er Jahre darf man davon ausgehen, dass die Nachkriegszeit soweit in Österreich überwunden war, dass man getrost vom Entstehen der Konsumgesellschaft sprechen darf. Vor allem die junge Generation, die die Entbehrungen der letzten Kriegsjahre sowie der Jahre danach

952 Ritschel, Frank: „Vom Erziehungswert der Olympischen Spiele.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1964. (Heft 1/Jahrgang 18.) S. 1ff. 953 Siehe Beilage zur Abeiterzeitung vom 31.1.1964. 954 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner/Februar 1948. Heft 4,6/Jahrgang 2.) S. 26.

298 nicht – oder zumindest nicht bewusst – miterlebten, frönte verstärkt dem ethischen Materialismus. Unterrichtsminister Heinrich Drimmel mahnte in der ÖOC-Publikation zu den Winterspielen in Cortina: „[...] In einer Zeit, die das Denken der Menschheit immer stärker auf materielle Ziele hinlenkt, sind Olympische Spiele schon allein aus erzieherischen Gründen unbedingt notwendig. Sie sind Fackel und Licht einer Jugend, die hoher Ideale bedarf, um den Härten des Lebens besser gewachsen zu sein.“955 Eine Analyse der Publikationen des ÖOC lässt den Schluss zu, dass gerade nach einer ideologisch eindeutigen Propaganda zu den Spielen 1948 erst 1956 der olympische Gedanke wieder ähnlich religiös entrückt präsentiert wird. So liest man über die olympische Flamme in Cortina 1956: „Am Tage vor dem Beginn der Olympischen Winterspiele in Cortina kam das Olympische Feuer in das Ampezzo-Tal und trugen die Flamme hinauf vor die Zinnen der Tofana. Da loderte sie nun mit rötlichen Zungen, ein kleines Licht im Dunkel der Nacht. Ein Licht, das Menschen aus aller Welt in ihren Gedanken nach Cortina getragen hatten. Wie eine Fackel der Ritterlichkeit, der Völkerfreundschaft und Menschlichkeit leuchtete das Feuer über der lauten Geschäftigkeit des Tales.“

Die Feier wird zum Symbol der friedlichen Koexistenz stilisiert; tatsächlich herrscht seit dem Amtsantritt Chruschtschows ein sogenanntes „Tauwetter“ in der Sowjetunion, der deutsch-deutsche Konflikt zeigt sich entspannt und Österreich darf sich als souveräner Staat bewähren. Heinz Schöbel, Präsident des nationalen Olympischen Comités der DDR, schrieb im Vorwort des DDR-Olympiabuches von 1956: „[...] die gesamte friedliebende Menschheit wünscht, dass die Jugend – welchen Landes, welcher Weltanschauung auch immer – nie mehr mit der Waffe in der Hand gegenüberstehen möge, dass sie der friedliche Wettkampf des Sports in Eintracht und Freude zusammenführe.“956 Der Sport wird als verbindendes Element gesehen – so auch von Kurt Bernegger vor den Innsbrucker Spielen 1964: „Kein olympischer Wettkämpfer käme auch nur auf den Gedanken, seinen Widersacher zu fragen, welche Sprache er spricht, welcher Religion er angehört, aus welcher Rasse er stammt.“957 Er folgt dabei den Worten des vielzitierten Sporttheoretikers Carl Diem, der meinte: „Schon aus der Tatsache,

955 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 7. 956 Eichel, u. a.: „Olympische Spiele Cortina 1956.“ Ost-Berlin 1956. S. 5. 957 Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (24-36.) S. 25.

299 dass der sportliche Gegner die gleichen Spielregeln anerkennt, ergibt sich eine Gesinnungsgemeinschaft, die der Freundschaft nahe kommt.“958 Natürlich ist der Freundschaftsgedanke angesichts des Konkurrenzkampfes oftmals nicht zu realisieren; selbst innerhalb nationaler Verbände ist man vor Streitereien nicht gefeilt – ich erinnere an die beschriebenen Vorgänge in Squaw Valley rund um Karl Schranz. Doch erzeugen verschiedene Symbole bei Olympischen Spielen tatsächlich ein Gefühl der Einheit: das Leben im Olympischen Dorf universell nivellierend zwischen den AthletInnen; daneben herrscht jedoch eine hochgradige nationale Zuschreibung des Einzelnen. Auch wenn jeder Teilnehmer bei Olympischen Spielen letzten Endes als Vertreter seiner Nation kämpft, jede Medaille am Ende des Tages peinlichst genau in den sogenannten „Medaillenspiegel“ als Beweis der sportlichen Hierarchie eingetragen wird, so sind nationale Unterschiede des zivilen Lebens für die zwei Wochen der Olympischen Wettkämpfe aufgehoben. Gerade österreichische Publikationen betonen immer wieder die Gleichstellung kleiner Nationen mit den Großen im schimmernden Licht der olympischen Flamme: „[…] daneben standen ein Bolivianer, zwei Ungarn, drei Chilenen und andere kleine Equipen. Vor dem olympischen Gesetz aber waren die kleinen und die großen Mannschaften gleich. Auch den Kleinen bot sich die Chance, den Stärksten, Größten, Mächtigsten zu bezwingen. Nicht die Macht eines Staates, sondern der Wille und das Können des Menschen entscheidet in Olympia.“959 Österreich bleibt diesem Motto aufgrund seiner geringen geographischen und weltpolitischen Größe treu; gerade bei olympischen Winterspielen gelingt es immer wieder – aufgrund der Erfolge der SkifahrerInnen – kurz in den Olymp der Weltmächte aufzusteigen. Kurt Jetschko schrieb vor den Olympischen Spielen in Innsbruck 1964: „In Kultur und Sport wird Geschichte nicht allein von den Großmächten geschrieben. […] In Sport und Kultur fällt die Entscheidung wieder auf den Einzelmenschen zurück, die Persönlichkeit ist oft stärker als die Masse. Österreich, ein Land alter Kultur, hat im Sport stets eine gute Rolle gespielt und in einzelnen Sparten Erfolge errungen, die in einem kaum glaublichen, aber durchaus erfreulichen Missverhältnis zur Größe und politischen Bedeutung des Landes stehen. […] Österreich war von Anbeginn Gast in Olympia. Seine Sportler trugen dazu bei, dass Olympische Spiele wirkliche Feste des Friedens wurden. [...] Österreichs olympische Erfolge sind vielschichtig. Sie zeigen, dass sich das sportliche Talent der

958 Diem: „Wesen und Lehre des Sports.“ Berlin 1960. S. 17. 959 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 25f.

300 Österreicher nicht allein auf einige Spezialgebiete beschränkt. […] Die bedeutendsten Erfolge fielen den Wintersportlern zu. [...] Den bisherigen Höhepunkt erlebte der Österreichische Sport 1956 in Cortina d'Ampezzo, wo das Kitzbühler Ski- phänomen Toni Sailer alle drei Goldmedaillen der alpinen Konkurrenzen erringen konnte.“960 Vor allem der totale Triumph Toni Sailers bei den geschichtsträchtigen Spielen in Cortina 1956 erfüllte das sportliche Selbstverständnis Österreichs mit großem Selbstvertrauen und darf als Voraussetzung für die Bewerbung und Austragung Olympischer Winterspiele in Österreich gesehen werden. Bertil Souk schrieb 1964 zwar: „mit vierzig olympischen Medaillen haben wir unsere Brust gepanzert, ehe wir uns stark und ansehnlich genug wähnten, Olympia in unser Haus zu bitten“ 961, doch würde ohne den Erfolg Toni Sailers die entscheidende Initialzündung fehlen. Kurt Bernegger schreibt vor den Innsbrucker Spielen von 1964: „Die großartige Bilanz der alpinen Ski-Nationalmannschaft hat zu einem großen Teil mitgeholfen, Österreich bei Olympischen Winterspielen auch einmal den ‚Heimvorteil' der gewohnten Skiberge zu verschaffen. Nach der großartigen Weltmeisterschaft in Chamonix werden für Innsbruck ‚österreichische alpine Skispiele' vorausgesagt.“962

5. SKIERFOLGE ALS NATIONALES ANLIEGEN.

Von Anfang an war jedoch der Erfolg im österreichischen Sport entscheidend, vor allem bei Olympischen Spielen, wo man sich auf der größtmöglichen Bühne so teuer wie möglich verkaufen wollte. Die Zeit vor den Olympischen Spielen 1948 ist hinsichtlich des alpinen Skisports durch eine gewisse Nervosität gekennzeichnet. Da der internationale Vergleich fehlt, fiebert man den Spielen entgegen und beobachtet die Szene sehr genau. In der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ liest man im April 1947 über die Österreichischen Meisterschaften in Tschagguns von den schwierigen Bedingungen, die den Skiwettkampf - angesichts kommender internationaler Auftritte - nicht bremsen konnten: „In organisatorischer Hinsicht spiegelte die Veranstaltung die derzeitige Situation wieder. Außerordentliche Schwierigkeiten in Bezug auf Unterbringung, Verpflegung und Verkehr waren zu

960 Jeschko, Kurt: „Österreich in Olympia.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. S. 15f. 961 Souk, Bertil: „Olympische Flamme in Österreich.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (18- 20.) S. 18. 962 Bernegger, Kurt: „Von Trude Beiser bis Ernst Hinterseer.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (77-84.) S. 84.

301 überwinden und wurden vom Vorarlberger Verband im Allgemeinen gut gemeistert. [...] Von den während der Konkurrenz auftretenden Mängeln waren etliche trotz besten Willens derzeit unvermeidlich, andere, wie die Zwischenfälle auf dem noch unfertigen Schilift, mangelhafte Absperrung der Rennstrecke oder die nicht ausreichende Schanzenbetreuung während der Sprungkonkurrenzen sollen als notwendige Lehre aus diesen ersten Schimeisterschaften nach dem Kriege für künftige österreichische Großveranstaltungen dienen.“ Wichtiger jedoch ist die Analyse der Ergebnisse: „Noch wichtiger für die künftige Entwicklung des österreichischen Schilaufes, der jetzt nach Konsolidierung der österreichischen Schischule im neuen ‚Amtlichen Schilehrplan‘ in jeder Beziehung wieder seiner ehemaligen führenden Rolle zustrebt, waren die sportlichen Erkenntnisse, die sich aus einer richtigen Abschätzung der Wettkampfergebnisse ergeben. […] Von unseren schärfsten mitteleuropäischen Konkurrenten haben zwar die Schweiz, Italien und Frankreich gleichwertige alpine Läuferinnen und Läufer, doch keines dieser Länder in so großer Zahl wie Österreich. […] Bei den großen Wettbewerben und ganz besonders bei den nächstjährigen olympischen Winterspielen wird es aber nicht nur darum gehen, unter den zehn bis zwanzig Erstplazierten einen steigenden Prozentsatz von Österreich zu finden, sondern den einen oder anderen von ihnen auch als Sieger zu sehen. Erst damit wird unsere Klasse überzeugend unter Beweis gestellt sein und in aller Welt für den Öster- reichischen Schisport werben.“963 Nach den Spielen 1948 blieb die Freude über die erste Goldmedaille bei alpinen Disziplinen (Trude Beiser) nicht aus. Das ÖOC schrieb: „Zum ersten Mal seit Austragung olympischer Skiwettbewerbe startete auch Österreich in allen Disziplinen. Und was aus versteckten Ursachen bisher noch nie gelungen war, konnte diesmal erreicht werden: Österreichs Skisport trug sich in das Buch der Olympischen Sieger ein. Hautsächlich unserer Skimannschaft war es auch zu verdanken, dass unser Land in der Nationenwertung einen ehrenvollen 5. Platz unter 28 teilnehmenden Ländern in der allgemeinen Reihung besetzte. [...] Der Skisport – in unserer Heimat längst zum Volkssport geworden – ist nun auch im olympischen Bereich in den Mittelpunkt aller Wintersportzweige gerückt.“964

963 „Die Bilanz von Tschagguns“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. April 1947. (Heft 8/Jahrgang 1.) S. 20f. 964 ÖOC: „Fest der Völker 1948.“ Wien 1948. S. 28.

302 Da es sich beim alpinen Skisport um eine nationale Angelegenheit handelt fand auch folgendes Zitat Eingang in das Buch: „Ein Schweizer Freund, einer der besten Kenner des internationalen Skisports, fasste seinen Eindruck zusammen: ‚Die Österreicher haben auf mich unter allen Mannschaften [...] den größten Eindruck hinterlassen. [...]’“965 Der Einzelsport Alpiner Skisport wird sehr oft anhand mannschaftlicher Ergebnisse gemessen. Natürlich ist die Euphorie groß, wenn ein Sportler wie Toni Sailer unter rot-weiß-roter Fahne die Konkurrenz deklassiert; doch stellt das Mannschaftsergebnis – vor allem wenn kein österreichischer Sieger ermittelt wurde – einen wichtigen Gradmesser dar966. Heute noch wird im Österreichischen Rundfunk neben Frauen- und Männer – Weltcuplisten eine Nationenwertung geführt, die auf der Homepage der FIS o.ä. nicht aufscheint und Österreich als Skimacht Nummer 1 ausweist, dabei aber oft nur logische Folge der vom ÖSV in großer Anzahl in Rennen geschickter SkifahrerInnen ist. Doch ohne Sieg missfällt jede noch so klare „breite“ Dominanz. Bei den Olympischen Winterspielen in Oslo 1952 ließ eine Goldmedaille für Österreich lange auf sich warten. Das ÖOC analysierte: „Der vierte und letzte Tag in Norefjell brachte dann am 18. Februar auch den schon fälligen vollen Erfolg. Im Abfahrtslauf der Damen erwies sich Trude Jochum-Beiser allen Konkurrentinnen eindeutig überlegen und errang die erste Goldmedaille für Österreich.“ Doch auch hier lässt der Vergleich der Nationen nicht auf sich warten: „Nun führte Österreichs alpines Team in der zwar vollkommen inoffiziellen, aber für das Kräfteverhältnis so ungemein aufschlussreichen Punktewertung bereits mit 38 Punkten vor Italien (14), USA (11), Deutschland und Norwegen (je 9), Schweiz (6) und Schweden (1).“967 Im Windschatten des ersten „richtigen“, weil männlichen Erfolges968 bei den Spielen von 1952, resümierte man: „Der alpine Skisport, der in Österreich schon durch die landschaftlichen Voraussetzungen an erster Stelle unter allen Wintersportarten steht, hat seine bisher stärkste olympische Bewährungsprobe glänzend bestanden. Ebenso ist es vor allem den Leistungen unserer Skiläufer zu verdanken, dass unser Land in der Gesamtwertung aller Disziplinen den 4. Platz hinter Norwegen, USA und Finnland einnehmen konnte und damit große Wintersportnationen, wie Deutschland,

965 ÖOC: „Fest der Völker 1948.“ Wien 1948. S. 34. 966 Was vor allem auch in der Analyse der Spiele von 1952 in Oslo zur Anwendung kommt. Siehe: ÖOC: „Oslo 1952.“ Wien 1952. S. 29. 967 ebenda. S. 21. 968 Die Rede ist von der „ersten Goldmedaille für einen Österreicher“. Siehe: ebenda. S. 23.

303 Schweden, die Schweiz, Italien und Frankreich, sicher und zum Teil weit übertreffen konnte.“969 Zur Sinnhaftigkeit solcher Mannschaftswertungen liest man 1952: „Die zunehmende Leistungsdichte der Weltspitzenklasse im alpinen Skisport brache es mit sich, dass heute mehr denn je oft kleinste Zufälle über Sieg oder Platz entscheiden. Immer mehr gilt daher als echter Gradmesser für die Leistung eines Skiteams bei großen internationalen Konkurrenten die Anzahl der Placierungen in der Weltklasse.“970 Der Ländervergleich fehlt tatsächlich nach keinem „Großereignis“ des alpinen Skisports.

6. ALPINER SKILAUF ALS „ÖSTERREICHISCHER“ SPORT.

Wie ich oben gezeigt habe, ist die Entwicklung des alpinen Skisports zumindest seit 1946 in Österreich ein beachtetes Thema. Die mit Spannung erwarteten Auftritte österreichischer SkirennläuferInnen bei den ersten olympischen Nachkriegskonkurrenzen in St. Moritz 1948 beweisen, dass der alpine Skisport schon sehr früh zum nationalen Anliegen aufstieg. Es ist dies thematisch allerdings keine Erscheinung der Nachkriegszeit; vielmehr bedeutet die Konzentration auf den Skisport eine Rückbesinnung auf „frühere“, „unschuldige“ Zeiten der österreichischen Skipioniere um Zdarsky, Bilgeri und Hannes Schneider. Beachtenswert ist vor allem, mit welcher Importanz der österreichische Skilauf gleich nach 1945 bedacht wurde, sodass der Eindruck entstehet, dass es sich hierbei um ein essenzielles Projekt des „Wiederaufbaus“ handelt. Ein gutes Jahr nach Kriegsende liest man in der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ - welche sich als Quelle für meine Recherchen als enorm wichtig herausstellte und auch exklusiv betrachtet hätte werden können – in einem Artikel eines staatlich geprüften Skilehrers: „Durch die Unterdrückung der österreichischen Eigenart in den letzten Jahren hat die Entwicklung des Schilaufes gelitten. Während andere Länder sich in der Technik und Lehrweise des Schilaufes immer mehr Vervollkommnet haben, wurde bei uns immer noch nach dem seinerzeitigen Lehrplan gelehrt und geschult. Anfang Juli [1946, Anm.] fand nun eine Tagung in Obertauern statt, die die Erstellung eines neuen österreichischen Lehrplanes für Schilauf zur Aufgabe hatte. […] Der Titel des neuen österreichischen Lehrplanes wurde mit: „Die österreichische Schischule, Amtlicher

969 ÖOC: „Fest der Völker 1948.“ Wien 1948. S. 25. 970 ebenda. S. 40f.

304 Lehrplan“, festgelegt und als Herausgeber zeichnen der österreichische Schiverband und der Österreichische Sportlehrerverband. […] [Es; Anm.] wird jedermann den schönen Schisport auf seine Art lehren oder lernen können, und es wurde der goldene Mittelweg zwischen Arlbergschule und natürlicher Lehrweise, zwischen Lern- und Arbeitschule gefunden, die alle als Endziel doch immer das gleiche hatten: der reine Schwung. Oben erwähnte Tagung beauftragte nun drei Herren, und zwar Herrn Dr. Otto Lorenz, Innsbruck, Herrn Prof. Frank Ritschel, Wien sowie Herrn Dr. Hans Groll, Wien die endgültige Fassung des neuen Lehrplanes bis zur nächsten Länderkonferenz im August in Obertauern fertig zu stellen und so wird es möglich sein, dass der neue Österreichische Lehrplan bereits im Herbst erscheinen kann. So wird auch er dazu beitragen, unseren schönen Schisport sowie unsere bewährten Schischulen und guten Lehrer auf die Höhe zu bringen, die es erfordert, unserem guten Rufe im In- und Ausland gerecht zu werden. Österreich war und ist tonangebend im alpinen Schilauf und wir wollen uns von keinem Land den Rang ablaufen lassen, so sehr sich auch manches Land darum bemühen mag.“971 Die Erstellung eines „Österreichischen Skilehrplanes“ wird ab 1946 vorangetrieben. Dieser Lehrplan stellt jedoch mehr dar, als eine Vereinheitlichung der Skilehrweisen innerhalb Österreichs. Diese Vereinheitlichung besiegelt eine innere Konsolidierung auf dem Gebiet des alpinen Skisports einerseits und dient andererseits als Kristallisationspunkt patriotischer Gefühle. In den folgenden Jahren ging es darum, den Österreichischen Skilehrplan insofern zu verteidigen, als dass keine Nation, kein Staat und keine Einzelperson außerhalb Österreichs einen „besseren“ Skilehrplan veröffentlichen sollte; die „Österreichische Schischule“ wird dabei zur „Heiligen Schrift“ einer ganzen Interessensgemeinde. Von Anfang an ist dabei die Propagierung des österreichischen Selbstverständnisses, die Skination schlechthin zu sein, ein zentraler Aspekt. Hans Groll, Mitautor des Lehrplanes, meinte bei seiner Rede zur Einführung des österreichischen Schilehrplans: „Verschiedene Faktoren sichern dem Schilauf Österreichs für die Zukunft eine überragende Bedeutung: 1. Die großartige Bergwelt, die wir unser eigen nennen und die Österreich zu einem herrlichen Schiparadies macht; 2. die große Breitenentwicklung des Schilaufs bei uns, die diese schönste aller Leibesübungen zum wahren ‚Volkssport‘ in Österreich macht; 3. die hervorragende Klasse unserer Rennläufer, […];

971 Mayer, Georg (staatl. gepr. Skilehrer): „Der neue österreichische Lehrplan für Schilauf.“ in: Zeitschrift „Der Sportlehrer.“ August 1946 (Jahrgang 1, Nummer 5.) S. 35.

305 4. die große Zahl gut ausgebildeter Schilehrer, deren Ruf in Zukunft aufgrund der neuen, auf der Welt wohl einmalig dastehenden staatlichen Schilehrerausbildung und der staatlichen Schilehrerprüfung noch ansteigen wird. Dazu soll nun der neue österreichische Schilehrplan, „Die Österreichische Schischule“, treten. Unserem Lehrplan, sowie dem Schilauf in Österreich überhaupt, Glück auf den Weg zu seinem Siegeslauf! Schi Heil!“972 Generell regte die Einführung des Österreichischen Skilehrplanes von 1946 zu einer breiten Diskussion um das „Österreichische“ am Skilauf an. Kurt Bors schrieb dazu im März 1947: „Wie wenige aber von den heutigen Schiläufern, und besonders von der Schijugend, wissen, dass gerade Österreich den Hauptanteil zum Siegeszug des Schisports geleistet hat.“ Was folgt ist typisch für diese frühen Jahre: eine Retrospektive des Österreichischen Skilaufs von den Pionieren wie Zdarsky und Bilgeri, über Hannes Schneider, Arnold Franck, Eduard Friedl, bis hin zu Fritz Hoschek. Danach verweist auch er – wie oben Hans Groll an erster Stelle - auf die österreichische Landschaft, die für den Skisport prädestiniert scheint: „Schließlich ist es noch die österreichische Landschaft selbst, die in ihrer unvergleichlichen Schönheit und Erhabenheit dem Schilauf und speziell dem Schiwandern den seelischen Inhalt gibt. Für diese alpine Landschaft, für ihre Erschließung und winterliche Eroberung hat Zdarsky seine alpine Schifahrtechnik geschaffen, in ihr und durch sie aber hat sich der Schilauf zu seiner heutigen Bedeutung entwickelt und seine Freunde in aller Welt gefunden. […] In den stillen Winkeln, auf windumwehten Höhen und auf einsamen Gipfeln, an sonnigen Wintertagen und in eisigen Stürmen aber erprobt in unserer herrlichen Bergwelt Österreichs Jugend ihre Kraft, ihren Mut und ihre Ausdauer, sucht Erlebnisse, Gefahren und Erfüllung einer unbestimmten Sehnsucht nach Überwindung und Freiheit.“ Der alpine Skisport wird im Artikel folglich sogar zum Gradmesser eines nationalen Charakteristikums: „Diese seelischen Werte des bergsteigerischen Schilaufs stellen diesen Sport nicht nur an eine der ersten Stellen in den Leibesübungen, sondern lassen ihn auch zu der beliebtesten Winterübung unseres Volkes werden, der wie kein anderer unseren Eigenarten entspricht. Wenn wir daher von Österreichs Anteil am Schilauf sprechen, so ist es vor allem seine Landschaft, die nicht nur Ursache zur Entfaltung des bodenständigen Schilaufs war, sondern mit der ewigen Anziehungskraft ihrer Naturschönheiten auch zum treibenden Element in der Entwicklung des Schilaufs

972 Radiovortrag von Doz. Dr. Groll, zitiert nach: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner/Februar 1947. (Heft 5,6/Jahrgang 1.) S. 18.

306 wird. Haben wir so auch nur in kurzem Umriss Österreichs Anteil am Schilauf erkannt, können wir ohne Übertreibung zweifellos sagen, einen großen Beitrag zur heutigen Weltgeltung dieser Leibesübung geleistet hat und ohne dass dieser Leistung vielleicht heute noch nicht jene schönsten Seiten dieses Sports erschlossen wären. Mag Norwegen die Heimat des Flachlandschilaufs sein, Österreich ist die Heimat der alpinen Technik, ist das Land der modernen Schilauftechnik!973“

Der österreichische Skilehrplan „Die Österreichische Schischule“ wurde zum nationalen Kulturgut. In der Vorbesprechung des Lehrbuches liest man von Wolfgang Burger, dem Autor des Werks: „Unter allen Zweigen der Leibesübungen ist in Österreich der Schilauf am volkstümlichsten. Und überblickt man den Betrieb der Leibesübungen in anderen Ländern und bei anderen Völkern, so erkennt man, dass der Schilauf Weltgeltung hat wie wenige andere Arten des Spieles und Sportes. Österreich darf mit Stolz den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, für die Entwicklung der Schifahrtechnik bahnbrechend und für die Gestaltung des Schiunterrichtes stets beispielgebend gewesen zu sein. […] Wir in Österreich fühlen uns unserer großen pädagogischen Vergangenheit verpflichtet und wollen mit der ‚österreichischen Schischule‘ ein Unterrichtswerk begründen, das, fahrtechnisch und methodisch, auf der Hohe der Zeit stehend, Österreichs Führung im Schilauf auf Jahre hinaus gewährleistet.“974 Die Ergebnisse dieser neuen Skitechnik sind eine Betonung des „Stemmschwungs“, komplette Abkehr von „minder bedeutenden Schilaufbewegungen“ wie „Schere“ oder „Telemark“ hin zum „reinen Schwung“. Das besondere Merkmal der „österreichischen Technik“ wird in den folgenden Jahren in der Miteinbeziehung des Geländes liegen975. Immer wieder mit der österreichischen Skitechnik in Verbindung zu bringende Persönlichkeiten sind Prof. Frank Ritschel als Vertreter des Bundesministeriums für Unterricht (und Sport); der Dozent am Institut für Leibeserziehung an der Universität Wien, Dr. Hans Groll; sowie der Leiter des Bundesheimes für die staatliche Skiausbildung in St. Christoph am Arlberg, Prof. Stefan Kruckenhauser. Diese drei Experten sind auch die Kernautoren des Diskurses über den österreichischen Skisport in den 1950er und 1960er Jahren.

973 Bors, Kurt: „Der Anteil Österreichs an der Entwicklung des Schilaufs.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. März 1947. (Heft 7/Jahrgang 1.) S. 1-4. 974 Burger, Wolfgang: „Der neue österreichische Schilehrplan.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner/Februar 1947. (Heft 5,6/Jahrgang 1.) S. 1f. 975 Siehe u.a.: Wolfgang, Friedl: „Typische Geländeformen als Unterrichtshilfe im Schilauf.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1951. Heft 10/Jahrgang 5.) S. 1-4.

307 Dass es sich beim Skisport nicht nur um einen von der österreichischen Landschaft begünstigten Zeitvertreib der Bevölkerung in alpinen Gebieten handelt, sondern die Hegemonie darin von nationalem Interesse ist, beweist die Verlautbarung nach der 4. Ländertagung des Österreichischen Skiverbandes im September 1946 in Wien: „[Es; Anm.] entstand [...] als gemeinsames Bild die wichtige Position, die der Sportlehrer und besonders der Schilehrer im staatlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leben innehat. [...] Seine Heranbildung und Fortbildung liegen daher im Interesse des Staates.“976 Ein offensichtlicher und sehr großer Teil des „Nutzens“ der Skilehrer als „Ski-Elite“ der österreichischen Nation liegt offensichtlich im Fremdenverkehr. In der Zeitschrift „Der Sportlehrer“, dem offiziellen Publikationsmedium des Österreichischen Sportlehrerverbandes liest man im Oktober 1946: „Es gibt heute in Österreich keine im Fremdenverkehr führende Stelle, die die Bedeutung des Sportlehrers für den Fremdenverkehr verneinen oder dessen Mitarbeit am Wiederaufbau ausschlagen würde.“977 Wenn Karl Krois in seinem Artikel „Sport – ein Pfeiler im österreichischen Fremdenverkehr“ schreibt „es hieße Wasser in die Donau tragen, die Beweisführung dafür anzutreten, ob Sport und Fremdenverkehr aufeinander abgestimmt werden sollen.“978, so bezieht er sich ebenfalls auf die große Rolle des Skisports im österreichischen Wiederaufbau. In einer 1952 in Innsbruck eingereichten Dissertation liest man darüber nicht frei von Kritik: „Der Wintersportler ließ sich leicht überzeugen, dass er eben dort am leichtesten Ski laufen lernen könne, wo die Einheimischen selbst am besten liefen. […] Obwohl nun schon seit vor dem Kriege die Spitzenklasse sämtlicher Alpenländer gleichwertig ist, wurde diese Werbemethode von einzelnen Ländern weiterentwickelt. Große Summen wurden für die Organisation von nationalen Skischulen und von ihren Aushängeschildern, den nationalen Abfahrtsmannschaften ausgegeben. Der ‚Arlberg-Stil‘, die ‚Schweizerische Einheitsschule‘ und die ‚Ecole francaise‘, um nur die wichtigsten herauszugreifen, dienten im Wesentlichen den Interessen des Fremdenverkehrs, wobei hauptsächlich um das mit europäischen Verhältnissen

976 „Der Sportlehrer. Mitteilungen des Österreichischen Sportlehrer Verbandes.“ integriert in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1946. (Heft 3/Jahrgang 1.) S. 23. 977 Zeitschrift „Der Sportlehrer.“ Oktober 1946 (Jahrgang 1, Nummer 7.) S. 29. 978 Krois, Karl: „Sport – ein Pfeiler im österreichischen Fremdenverkehr.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1946. (Heft 3/Jahrgang 1.) S. 20.

308 weniger vertraute, dafür umso kapitalkräftigere amerikanische Publikum geworben wurde.“ 979 Der Autor unterlegt seine Ausführungen mit hard facts der Finanzierung. So führt er an, dass allein von 1950 – 1952 Österreich 284,14 Millionen Schilling langfristige Kredite vom ERP-Mittelfonds mit einer 3,5%igen Verzinsung und einer Laufzeit von 8-20 Jahren erhielt, von welchem Geld vor allem die westlichen Bundesländer profitierten, um den Ausländerfremdenverkehr anzukurbeln: in Tirol und Salzburg wurden zusammen über 50% der Gesamtsumme investiert. Von 33,5 Millionen Schilling, die in Verkehrsprojekte flossen, wurden 7 „schwere“ und 6 kleine Seilbahnen, daneben 23 Seilliftanlagen gebaut.980 Der österreichische Fremdenverkehr erholte sich tatsächlich und war im Winterhalbjahr 1951/52 erstmals höher als 1937. Trotz der günstigeren Preise im Sommer ist eine Umschichtung hin zum Winterverkehr seit 1948 feststellbar. Besonders der Inlandsverkehr hatte großen Anteil an dieser Entwicklung, wobei vor allem der große Anteil an Wienern auffallend ist und als weiterer Beweis dafür gilt, dass der Skisport in Österreich ein universelles, geographisch unabhängiges Phänomen ist.981 Der Auslandsverkehr hingegen nahm nach Benk seit 1948 wieder jährlich zu, lag aber gegenüber 1937 immer noch um 26% zurück: war der Anteil an Auslandsverkehr und Inlandsverkehr vor dem Krieg noch 1:1, verschob sich die Situation nach dem Krieg im Laufe der 1950er Jahre auf 1:2 zugunsten der Inländer – nicht zuletzt wurde dieser Umstand durch den Wegfall der Touristen aus Ost- und Südosteuropa beschleunigt; ihr Anteil war vor Kriegsbeginn immerhin bei 35%. An erster Stelle mit ca. 20% des gesamten Ausländerverkehrs nahmen 1950/51 Deutsche ein, ihnen folgten als Engländer (15%), Italiener (13%), Schweizer (12%) und Franzosen (11,5%). Von allen Ausländernächtigungen fielen dabei allein 75% auf die westlichen Bundesländer Tirol, Salzburg und Vorarlberg. Die aus dem Ausländerfremdenverkehr eingegangenen Devisen-Einnahmen betrugen im Winter 1950/51 109,2 Millionen Schilling gegenüber 27,9 Millionen Schilling im Winterhalbjahr 1948/49. Diese Steigerung ist real nicht so groß anzusetzen, da der schwarze Devisenmarkt 1948/49 noch florierte. Die Bedeutung des Auslandsfremdenverkehrs für die Devisenbilanz ist jedoch hoch einzuschätzen982.

979 Benk: „Geschichte des Skilaufs.“ Dissertation. Innsbruck 1952. S. 55. 980 ebenda. S. 49. 981 nach: ebenda. S. 50. Er verweist auf: „Monatsberichte des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung.“ Jahrgang XXIV. Wien 1951. S. 305f. 982 Benk: „Geschichte des Skilaufs.“ Dissertation. Innsbruck 1952. S. 52.

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7. ALPINER SKISPORT ALS ÖSTERREICHISCHER EXPORTARTIKEL.

Besonders die in den 1950er Jahren im Ausland (den USA) gebliebenen – vornehmlich österreichischen – Skifahrer dienten als Botschafter ihres Landes: „Sie alle leisten […] Werbedienste für ihre nationale Fremdenverkehrsindustrie. Sie werben aber nicht durch ihre in diesem Falle speziell österreichische Abfahrtstechnik, sondern dadurch, dass sie als Skilehrer mit sehr viel sportbegeisterten Menschen zusammenkommen und ihnen von der Schönheit ihrer Heimat in Wort und Bild berichten können.“983 Erkennt man diese Zusammenhänge, so bleibt Verwunderung aus, wenn man aus damaligen Publikationen über den alpinen Skirennsport wenig Neid gegenüber Erfolgen von Nationen wie den USA oder Japan spürt. Natürlich bleibt für Werbezwecke der Erfolg eines/einer ÖsterreicherIn höchste Priorität, doch kann man sich auch über Erfolge jener Nationen freuen, denen man selbst das Skifahren beibrachte. Nach der WM 1950 in Aspen liest man etwa: „Die USA haben in dem bei ihnen recht jungen Schisport beträchtliche Fortschritte gemacht[...].“984 Erfolge österreichischer SkiläuferInnen im Ausland werden als wichtige Botschaftertätigkeiten verstanden. Als zum Beispiel 1947 Hans Nogler, Edi Mall und Christian Pravda auf Einladung Hans Nöbls, dem Initiator des alpinen Skilaufs in Argentinien seit 1937, an den argentinischen Meisterschaften teilnahmen, konnte man in der „Heimat“ darüber folgendes lesen: „Der Erfolg unserer Läufer war so überzeugend ausgefallen, dass die argentinische Presse von einer ‚überragenden Demonstration österreichischer Schilauftechnik‘ sprach, wie man sie in Argentinien noch nicht erlebt hatte.“ Die Expedition endete mit einem Empfang beim argentinischen Präsidenten Juan Perón, der die österreichischen Ski-Asse „zum Wiederkommen herzlich einlud.“985 Stolz ist Österreich auch seit je her auf die alpine Skipionierarbeit in Japan. Immer wieder liest man in der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ über die Erfolgsgeschichte des österreichischen Skilaufs im fernen Osten; besonders hinsichtlich der Olympischen Spiele von 1964, für deren Ausrichtung sich Innsbruck und Tokio verantwortlich zeigten, wurde diese Beziehung noch einmal aktuell.

983 Benk: „Geschichte des Skilaufs.“ Dissertation. Innsbruck 1952. S. 55. 984 in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. März 1950. Heft 3/Jahrgang 4.) S. 15. 985 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1947. Heft 3/Jahrgang 2.) S. 18f.

310 Prinzipiell gilt Theodor von Lerch als Wegbereiter des japanischen Skilaufs, der 1910 nach Japan ging und dort „dem Schilauf auf die Beine half“986. Er legte mit der Verbreitung der alpinen Fahrweise Zdarskys die Grundlage für den Erfolg des Gastspieles von Hannes Schneider, der 1930 im Auftrag des japanischen Kronprinzen Chichibu eingeladen wurde, um seine „Arlbergschule“ zu demonstrieren987. Nach dem Krieg folgte Rudi Matt als Schüler Schneiders zweier Einladungen, nachdem die japanische Übersetzung der „Österreichischen Schischule“ in Japan „die große Wende im Schilauf“988 brachte.989 Erfolge in Japan feierte auch Ernst Hinterseer nach den Olympischen Spielen in Squaw Valley 1960, ehe Toni Sailer zum großen „Idol der Japaner“990 aufstieg. Im Winter 1962/3 letztlich wurde Stefan Kruckenhauser von den Universitäten Tamagawa und Seijo eingeladen, um mit einer Expedition österreichischer Experten insgesamt „etwa 1200 Schüler“991 zu unterrichten um dem japanischen Skilauf endgültig den „österreichischen Stempel“ aufzudrücken. Die Begeisterung der Japaner für den österreichischen Skilauf kannte keine Grenzen. Stefan Kruckenhauser erinnert sich: „Die Höhepunkte unseres Aufenthaltes waren: 1. meine Ernennung zum Ehrenprofessor der Tamagawa-Universität in Tokio; 2. die zweistündige Audienz bei Seiner Kaiserlichen Hoheit, dem Kronprinzen von Japan. Als aktiver Sportsmann folgte Seine Kaiserliche Hoheit mit größtem Interesse der Vorführung meines Filmes; im frivolen Studio seiner Residenz und führte mehr als eine Stunde Gespräche über fachliche und organisatorische Probleme des japanischen Schilaufes. Die Länge der Audienz bezeichneten die Japaner als ganz außergewöhnlich. 3. Die Enthüllung des zweiten Denkmals für Herrn Hannes Schneider auf einem Hügel des Geländes der Tamagawa-Universität im Rahmen einer ergreifenden Feier, an der 2000 Schüler und Hörer der Universität teilnahmen.[…]“992

986 Ritschel, Frank: „Ein österreichischer Schipionier in Japan.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. April 1959. Heft 4/Jahrgang 13.) S. 3f. 987 Thöni: „Hannes Schneider.“ St. Anton – Bludenz - Ludesch 1990. S. 67. 988 Kruckenhauser, Stefan: „Österreichischer Schilauf in Japan.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1963. (Heft 9/Jahrgang 17.) S. 16. 989 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1962. (Heft 9/Jahrgang 16.) S. 18. 990 Kruckenhauser, Stefan: „Österreichischer Schilauf in Japan.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1963. (Heft 9/Jahrgang 17.) S. 16. 991 Kruckenhauser, Stefan: „Österreichischer Schilauf in Japan.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1963. (Heft 9/Jahrgang 17.) S. 16. 992 Kruckenhauser, Stefan: „Österreichischer Schilauf in Japan.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1963. (Heft 9/Jahrgang 17.) S. 16f.

311 Abschließend zitiert der Skiexperte den österreichischen Botschafter in Tokio, Dr. Hartlmayer, der einst sagte: „Der Begriff Österreich ist für die Japaner – Musik und Schilauf!“993 Bewertet man die Freude über solche Erfolge als Form des Nationalismus, passt auch das Entstehen von Konkurrenz mit anderen „Skinationen“ ins Bild als Abgrenzungserscheinung im Sinne von „wir“ und „die Anderen“. Besonders mit Frankreich liegt man im alpinen Skisport seit je her im Clinch; oben wurde bereits die Fehde im Rennsport besprochen. Dieser Konkurrenzkampf entspringt der Tatsache, dass die Franzosen eine vollkommen selbstständige „Schule“ des alpinen Skisports erfanden und verbreiteten – eine Tatsache, die Österreich negativ aufnahm. Zwar erlaubte man den Schweizern ihre eigene (schwächere) Technik, doch die französischen Ambitionen galten als ärgerlich. Über den aufstrebenden chilenischen Schilauf, der sich der „französischen Schule“ verschrieb, liest man 1948: „Dass Österreichs Mädchen einen vielleicht noch eindrucksvolleren Beweis für die Güte der österreichischen Fahrweise geliefert haben, ist scheinbar völlig unbekannt geblieben. Es wäre sonst zumindest daraus die Lehre zu ziehen, dass beide Schischulen ebenbürtig sein müssten.“994

8. ÖSTERREICHS KAMPF UM DIE (ALPINE) HEGEMONIE.

Natürlich spielt für den Erfolg des österreichischen alpinen Skilaufs das Abschneiden österreichischer SkiläuferInnen bei internationalen Bewerben eine große Rolle. Fernab dieser oben beschriebenen Inszenierung des Leistungssportes gehe ich aber davon aus, dass viel wichtiger für das sogenannte „Image“ Österreichs als Ski-Nation das Vorantreiben einer eigenständigen Skitechnik, der sogenannten „Österreichischen Schischule“, war. Letzten Endes war das Kräftemessen der Leistungssportler nichts anderes als ein Kampf der verschiedenen „Ski- Philosophien“: war Österreichs Skinationalmannschaft erfolgreich, so konnte man dadurch direkt daraus schließen, dass die österreichische Technik die überlegene war. Dieser Sachverhalt erklärt sich aus seiner Zeit heraus: in einer Zeit nämlich, da Sportarten wie der alpine Skilauf noch nicht durch Heerscharen von hauptberuflich damit Beschäftigten bis ins kleinste Detail optimiert waren, wurden sie jeweils nach

993 Kruckenhauser, Stefan: „Österreichischer Schilauf in Japan.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1963. (Heft 9/Jahrgang 17.) S.17. 994 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1948. Heft 4/Jahrgang 3.) S. 17.

312 verschiedenen „Schulen“ ausgeführt. Eine bestimmte „Schule“ kennzeichnet sich durch eigene Technik oder Spielweisen aus; am besten scheint eine Übersetzung mit dem Wort „Stil“. Wie präsent diese „Stile“ in den 1950er und 1960er waren, zeigt ein Beispiel aus dem Fußball aus dem Jahr 1950: „Erstmals seit dem Krieg gastierte eine schottische Elf in Wien, der Cupfinalist Hibernians aus Edinburgh. Bekanntlich bildete das schottische Spielsystem seinerzeit den Ausgangspunkt für die Wiener Schule. Heute haben sich aber die Schotten zum WM-System bekehrt, während ihr Wiener Gegner Rapid ebenfalls keine Wiener Schule mehr führt, sondern die brasilianische Methode übernommen hat.“995 Im alpinen Skilauf herrschen ähnliche Verhältnisse, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass es hier eine „Österreichische Schule“ gibt, die – in der Theorie mehr als in der Praxis – auf keiner anderen basiert; ferner sogar die komplett eigenständige Herangehensweise einer für den alpinen Skisport prädestinierten Nation an eben diesen Sport darstellt. Ein wichtiger Aspekt der Entwicklung einer eigenen „Österreichischen Schischule“ ist es, durch den Wintertourismus den eigenen „Stil“ in der Welt zu verbreiten. Nur wenn die österreichische Technik, gelehrt vom österreichischen (staatlich geprüften) Skilehrer, auch wirklich am besten zu dem Ziel führt, den Skisport perfekt zu beherrschen, ist das Bemühen um diese eigene Schule erfolgreich. Dass dieser Anspruch jedoch kein Kind der späten 1940er Jahre ist, erfährt man beim Studium früher Werke des ÖSV. Bereits in der Jubiläumsschrift zum 20jährigen Bestehen des Österreichischen Skiverbandes aus dem Jahre 1912 erklären sich die Österreicher zu den großen Lehrmeistern des jungen Sportes; auch wenn auf der ersten Seite der norwegische Skipionier Fritjof Nansen mit Bild und Widmung geehrt wird996, liest man im Text: „Die Norweger sind keine guten Skilehrer [...] ich glaube, sie sind sich über ihre eigenen Bewegungen selbst nicht klar; sie fahren [...] ohne dabei zu überlegen, was die ‚Technik’ vorschreibt.“997 Die konkurrierenden Systeme nach dem zweiten Weltkrieg waren zum einen das Schweizerische und zum anderen das Französische. Zusammen mit den Deutschen und Italienern bildeten diese Staaten auch die als alpine Länder respektierten Nationen im alpinen Skisport. In der Publikation des ÖOC über die Olympischen Winterspiele in Cortina d’Ampezzo 1956 liest man etwa: „Im Abfahrtslauf bewährten

995 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juni 1950. Heft 6/Jahrgang 4.) S. 18f. 996 ÖSV: „20 Jahre ÖSV.“ Wien 1912. S. 1. 997 ÖSV: „20 Jahre ÖSV.“ Wien 1912. S. 9.

313 sich jene Männer, die mit den Bergen auf du und du sind. Die Österreicher, die Schweizer, zum Teil auch die Deutschen und Franzosen.“998 Sofort nach Erscheinen der „Österreichischen Schischule“ im Jahr 1946 spitzt sich ein „Kampf der Systeme“ zwischen Österreich, der Schweiz und Frankreich zu. Dieser Kampf gebärt sich in zahlreichen Publikationen und Artikeln. Im Februar 1949 geht Wolfgang Burger daran, den „modernen Schilauf in Frankreich und der Schweiz im Spiegel der Schiliteratur“ für die Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ zu analysieren. Seine Ausführungen sind Beweis für den universellen Anspruch des österreichischen Systems und der feindseligen Stimmung gegenüber den Konkurrenten. So liest man: „Im gewissen Gegensatz zur französischen Auffassung, welche auch die vieler streng-sportlicher Schiläufer ist, stehen wir in der österreichischen Schischule auf dem festen Standpunkt, in der Schwungbewegung ein höchst umfassendes Bewegungsproblem zu sehen, das mancherlei Lösungen, von denen viele je nach Individualität, Schneeverhältnissen usw. gleich gut sein können, zulässt. Wir lehnen es ab, den Anfänger bereits auf eine bestimmte Schwungtechnik zu drillen. Wir finden es vielmehr für richtig, den Anfänger einen umfassenden Schatz von Schwungerfahrungen sammeln zu lassen, um erst dann seine Schwungversuche in die Richtung einer oder einiger als zweckmäßig befundenen Schwungtechniken zu leiten.“ Die „Österreichische Schischule“ begegnet seinen Schülern als ungezwungene Bewegungslehre abseits jeden Drills: „Uns plagt dabei die Sorge, der Schüler könnte sich „falsche Reflexe" aneignen, ebenso wenig, wie eine vernünftige Mutter auch nicht die Sorge kennt, ihr Kind würde nicht richtig gehen lernen, wenn es sich zuvor im Kriechen versucht, oder nicht richtig sprechen lernen, wenn es zuvor spielhaft lallt.“ 999 Damit orientiert sich die „Österreichische Schischule“ an den Grundsätzen der Österreichischen Leibesübungen: betont wird die „natürliche“ Bewegung, bewusst als Zäsur zum Drill der Nazis gesetzt. Dass sich die österreichische Skilehre dieser neuen Philosophie der „Natürlichkeit“ verschrieb, ist kein Zufall: mit Wolfgang Burger und Hans Groll hat die Leibeserziehung der Zweiten Republik zwei Universalautoren, die sowohl Ski- als auch Turnliteratur verfassen1000. Diese Verschreibung hin zur Natürlichkeit ist auch eine Erklärung der Betonung des sogenannten „Naturtalents“ diverser österreichischer SkisportlerInnen. In der natürlichen Bewegung beim Schwung eines

998 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 27. 999 Burger, Wolfgang: „Moderner Schilauf in Frankreich und der Schweiz im Spiegel der Schiliteratur.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1949. Heft 6/Jahrgang 3.) S. 19f. 1000 Die Grundsätze des österreichischen Schulturnens etwa liest man aus: Burger, Groll: „Leibeserziehung.“ Wien 1949.

314 Toni Sailers, der mit zwei Jahren bereits auf Skiern stand, weil ihn die Umgebung des Ortes seiner Kindheit dazu prädestinierte, verbindet sich symbolisch alle Unschuld dieses Sportes; nicht Drill und Zwang, sondern Lust und Laune führen in Österreich (schneller als anderswo) zum Ziel. Damit lässt sich auch folgendes Zitat aus der Publikation des ÖOC über die Olympische Abfahrt von Cortina 1956 erklären: „Mit Ausnahme des alten Rennfuchses Charles Bozon [...] blieben alle auf der Strecke. Andre Simond, Rene Collet und – Adrien Duvillard, der verbissenste und unglücklichste Kämpfer dieser Winterspiele.“1001 Verbissenheit war auf den Pisten Österreichs nicht gefragt. Um zur Skiliteratur zurückzukehren darf ein wichtiger Aspekt nicht vergessen werden: die Artikel österreichischer Autoren lassen sich meist darauf reduzieren, dass konkurrierende Skitheorien heruntergespielt werden. In den meisten Fällen wird die Eigenständigkeit der anderen Systeme in Frage gestellt, weil schlichtweg das Österreichische kopiert wurde: „Die Bezeichnung ‚Französische Schilauftechnik‘ erscheint uns als irreführend. Richtiger wäre wohl, das Buch ‚Schilauf in Frankreich‘ zu benennen, denn die von den Franzosen verwendete Fahrweise ist lediglich eine besondere Art der allgemeinen modernen, und hat sehr viel fremde Anregung und viel von der fremden Entwicklung in sich aufgenommen.“1002 Als 1950 eine Liste der empfohlenen Skiliteratur in der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ erscheint, findet der Autor Fritz Heinrich nur ein nichtösterreichisches Buch (ein Schweizerisches) hilfreich. Die Grundhaltung Heinrichs zur ausländischen Skiliteratur ist offensichtlich, wenn er über das Buch „Ski-ing Simplified“ von Arnold Fawcus, erschienen in London 1949 schreibt, es beinhalte kaum technisch Neues, was man in Österreich nicht schon vor dem Krieg wusste1003; Norman Rogers‘ „Complete ski manual“ will er „nach Vorwort aus der Hand legen; bringt uns nicht weiter!“1004 Die Propagierung der „Österreichischen Schischule“ geht soweit, dass Kritik an ihr als „Nestbeschmutzung“ angesehen wird. Als ein Sportlehrer in der deutschen Zeitschrift „Der Winter“ dem österreichischen Skilehrplan einen „schweren Geburtsfehler" attestiert, da sich jener „nicht an den Erkenntnissen einer modernen Bewegungs- und Unterrichtslehre“ orientiere, schreibt die österreichische Zeitschrift

1001 ÖOC: „Olympia 1956: Cortina.“ Wien 1956. S. 47. 1002 Burger, Wolfgang: „Moderner Schilauf in Frankreich und der Schweiz im Spiegel der Schiliteratur.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1949. Heft 6/Jahrgang 3.) S. 19f. 1003 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1950. Heft 5/Jahrgang 4.) S. 19. 1004 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1951. Heft 1/Jahrgang 5.) S. 20.

315 „Leibesübungen und Leibeserziehung: „An dieser Stelle soll die Verwunderung aller für die Entwicklung des Schilaufes in Österreich sich irgendwie verantwortlich fühlenden Österreicher über den Auslandsbrief Ducias [Name des Skilehrers1005; Anm.] ausgesprochen werden. Was will Ducia mit seiner mehr als gehässigen Kritik? Etwa Osterreich schaden?“1006 Interessant ist dabei die Folgerung, dass mit dem Skilehrplan die ganze Nation kritisiert wird1007. Den möglichen Schaden sieht man dabei wohl vor allem aus touristischer Sicht. Die Berichterstattung über einen von Hans Groll produzierten Skilehrfilm beweist, dass man schon 1948 um das touristische Potential des österreichischen Skisport wusste: „Der Schifilm hat in der internationalen Fachwelt bei Sondervorführungen usw. bereits hohe Anerkennung gefunden und wird ein Exportartikel von hohem Wert werden, weil er nicht nur fachlich auf der Höhe ist, sondern auch auf den Fremdenverkehr Österreichs günstig wirken wird.“1008 So kann man das Hegemoniestreben vor allem als Buhlen um die Wintertouristen verstehen. 1947 schielte Österreich noch vor allem in die Schweiz; die materielle Not und die sich im Revitalisieren befindende Skilehre war Grund für die Unterlegenheit gegenüber der organisierten Schweizer Skischule, die sogar für die Abhaltung Olympischer Spiele 1948 gewappnet war. Frank Ritschel analysierte bei einem Referat, gehalten bei der Sportlehrertagung in Heiligenblut im Juni 1947 das Schweizer Skischulwesen im Vergleich mit dem Österreichischen. Zwar könne Österreich mit Einheitlichkeit, Modernität und Organisation aufwarten, doch die Schweizer hätten die Verbindung zwischen Skilehre und Tourismus besser erkannt.1009 Ziel war es, den kriegsbedingten Rückstand auf die Schweiz alsbald aufzuholen und die Vormachtstellung im alpinen Skilauf zu beanstanden: sowohl auf der Ebene der Rennen (wie man oben bei der Schilderung der Stimmung vor den Olympischen Spielen 1948 sieht) als auch auf Ebene der „Schulen“. Bereits die 4. Ländertagung

1005 Toni Ducia arbeitete später als Pressechef für den ÖSV. 1006 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1948. Heft 4/Jahrgang 3.) S. 23. 1007 Auch 1959 beschwert sich Eduard Koller über Fritz Baumrock, der den österreichischen Skilehrplan als unvollständig sieht. Siehe: Koller, Eduard: „Ist unser Schilehrplan unvollständig?“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. April 1959. Heft 4/Jahrgang 13.) S. 3f. 1008 Über den Schifilm „Grundschule des Schilaufs.“ von H. Groll. in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. August 1949. Heft 12/Jahrgang 3.) S. 22f. 1009 Ritschel, Frank: „Die Schweizer Schischule.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1947. Heft 4/Jahrgang 2.) S. 8f.

316 des Österreichischen Ski-Verbandes, vom 20. bis 22. September 1946 gab Grund zur Freude als nach der Eröffnung von Präsident Leopold Spitz „Berichte der Landesverbände [sich anfügten; Anm.], die ein erfreuliches Bild erfolgreicher Aufbauarbeit auf skisportlichem Gebiet in Österreich zeigten“. Beim gleichen Treffen wurde auch die Aufnahme Österreichs in die FIS mit großem Interesse verfolgt1010, was Österreichischen RennfahrerInnen wieder Starts bei internationalen Rennen erlaubte. Im November 1946 fand bereits im Hotel Seegrube, nahe Innsbruck, eine Tagung der Pressemitarbeiter des ÖSV statt, um die Propaganda, bestehend aus der Herausgabe einer „repräsentativen österreichischen Schizeitschrift, eines internationalen Informationsdienstes, verschiedener Publikationen und schisportlicher Arbeitsbehelfe“ 1011, zu koordinieren. Von Anfang an war die Basis dieser Propaganda die Betonung dessen, dass der alpine Skisport in Österreich erfunden wurde. Im Dezember 1947 erscheint ein „Aufruf zur Mitarbeit an der Schigeschichte Österreichs“ vom ÖSV, der zur Mithilfe beim Aufbau eines Schihistorischen Archivs (SHA), das später in Innsbruck aufgestellt werden soll, aufruft1012. Auch finanzierte das Bundesministerium für Unterricht 1955 die Ausstellung „Der Schi in Vergangenheit und Gegenwart“1013. Die Rolle des Urahns des österreichischen Skilaufs fällt bei diesen skigeschichtlichen Forschungen immer wieder Mathias Zdarsky zu1014. Die organisatorische Konsolidierung des österreichischen Skilaufs findet einen vorläufigen Höhepunkt in der 7. Länderkonferenz des ÖSV vom 20. bis 22. September 1947 in Bad Aussee, der „bedeutungsvoll für die weitere Arbeit des österreichischen Schiverbandes“ war. Beschlossen wurden neben neuen Wettkampfordnungen neue Bewerbe für sogenannte Krückenskiläufer, die zentrale Organisation von Auslandsstarts und die Bewerbung Seefelds um die FIS- Wettkämpfe 19491015. Die Jahre von 1945 bis 1950 bezeichne ich als jene Jahre, da der österreichische Skisport noch „im Dunklen tappte“. Der Ausschluss von internationalen Rennen bis vor die Olympischen Spiele 1948 in St. Moritz entzog dem österreichischen Skilauf die Möglichkeit seiner Repräsentation. Als 1951 dann zum ersten Mal internationale

1010 Zeitschrift „Der Sportlehrer.“ Oktober 1946 (Jahrgang 1, Nummer 7.) S. 55. 1011 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1946. (Heft 3/Jahrgang 1.) S. 20. 1012 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Oktober 1947. (Heft 2/Jahrgang 2.) S. 22. 1013 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1956. Heft 1/Jahrgang 10.) S. 17. 1014 Wie auch z.B. bei Kruckenhauser, Stefan: „50 Jahre „Alpine“ (Lilienfelder)-Schifahrtechnik.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezemberr 1947. Heft 4/Jahrgang 2.) S. 4-7. 1015 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1947. Heft 3/Jahrgang 2.) S. 18.

317 Kongresse für das Skilehrerwesen stattfanden, hatte die Ski-Nation eine neue Bühne.

Die Botschafter der (Ski-)Weltmacht: Staatlich geprüfte Skilehrer.

Sieht man den alpinen Skilauf als österreichisches Kulturgut, könnte man SportlerInnen, die bei internationalen Rennen antreten als die Botschafter dieser österreichischen Kulturform sehen. Eine repräsentativ ebenso hoch einzustufende Aufgabe kommt den österreichischen Skilehrern zuteil: sie vermitteln den Sport direkt an Einheimische und Touristen und verbreiten so unwillkürlich das Einflussgebiet der österreichischen alpinen Schule. Die staatlich geregelte Prüfung von Skilehrern ist eine Erfindung der Ersten Republik; als die österreichischen WeltklasseläuferInnen aufgrund ihrer Tätigkeit als SkilehrerInnen von den Olympischen Spielen 1936 unter Berufung auf den Amateurparagraphen nicht teilnahmeberechtigt waren, wurde die Thematik für ein breiteres Publikum sichtbar. Mit dem März 1938 wurden auch die Österreichischen Skischulen „gleichgeschaltet“ und mit Nationalsozialisten unterwandert; die Nazis ließen nicht den kleinsten öffentlichen Raum zu, um eine organisierte Opposition unmöglich zu machen. Am 26. Oktober 1946 wurde die staatliche Skilehrerprüfung durch einen Erlass des Bundesministeriums für Unterricht und Sport für den Winter 1946/47 neu geregelt. Dabei werden in Fortsetzungen an die bestehenden Erlässe vom Dezember 1938 und Februar 1932 die nun gültigen Prüfungsvorschriften erlassen. Die Prüfung ist vor einer vom BMfU bestellten staatlichen Prüfungskommission für Schilehrer abzulegen, die unmittelbar dem BMfU untersteht und ihren Sitz in Innsbruck hat. Wer zu Prüfung antreten wollte, musste ein schriftliches Gesuch an die Prüfungskommission richten. Dem Gesuch war beizulegen: „1. Eine vom Bewerber handgeschriebene Darstellung des Lebenslaufes, worin der Gang der allgemeinen und beruflichen Bildung und Verwendung, dann der Umfang und die Art der Ausbildung im Schilauf und schließlich die Ausbildung zum Bergsteiger anzuführen ist, wobei auch die im Sommer und die auf Schi durchgeführten größeren Bergwanderungen namentlich anzuführen sind. […] 2. Der Tauf- und Geburtsschein als Nachweis, dass der Bewerber nicht weniger als 25 und nicht mehr als 45 Jahre alt ist. 3. Ein amtsärztliches Zeugnis, das die vollkommene Gesundheit des Bewerbers und seine Eignung zum Beruf eines Schilehrers bestätigt.

318 4. Der Nachweis der mindestens achtjährigen Schulbildung. 5. Der Nachweis über eine Hilfsschilehrertätigkeit, die in die Zeit bis spätestens Winter 1937/38 fällt. Dieser Nachweis muss neben Ort, Zeit und Teilnehmerzahl der betreffenden Kurse auch Angaben darüber enthalten, durch wen der Bewerber für diese Kurse als Hilfsschilehrer bestellt wurde. 6. Nachweis der österreichischen Staatsbürgerschaft. 7. Ein behördliches Leumundszeugnis. 8. Eine eidesstattliche Erklärung, dass der Bewerber zu keinem Punkt Mitglied oder Anwärter der NSDAP, oder einer ihrer Gruppierungen gewesen ist.“1016 Über die Zulassung entschied die Prüfungskommission, wurden die Nachweise nicht vollständig erbracht, wurde eine Entscheidung beim Ministerium eingeholt. Die Aspiranten wurden nach erfolgreicher Bewerbung „auf Gesundheitsregeln und Nothilfe, Übungslehre, Unterrichtskunde, Bergkunde und Schneekunde; Fertigkeit im Schilauf und Geschick“1017 geprüft. Die Anmeldegebühr betrug 5,- Schilling, die Gebühr für Vorprüfung und Prüfung je 20,- Schilling. Dazu bereitete der Umstand, dass die Prüfung in Tirol stattfand, allen nicht-Tirolern große finanzielle und logistische Schwierigkeiten. Die Forderung nach einer „politischen und moralischen Unbedenklichkeit“1018, also einer nicht-nationalsozialistischen Vergangenheit, fällt mit den nächsten Erlässen weg und erübrigt sich durch generelle Entnazifizierungsmaßnahmen bzw. Vereinbarungen. 1951 ist der Wortlaut z.B.: „Schilehrerausbildung 1951 bewilligt. Kurs läuft über 2 Jahre in Innsbruck. Bewerbung mit handgeschriebenem Lebenslauf, Heimatschein, Geburtsschein, Leumundszeugnis.“1019 Wie man sieht, hat sich die Notlösung aus dem Winter 1946/47 hin zu einer institutionalisierten Ausbildung im Ausmaß von 2 Jahren entwickelt. Im Erlass liest man weiter: „Jene Kandidaten, welche die Aufnahmeprüfung bestanden haben, werden ersucht, sofort nach der Prüfung Wünsche wegen verbilligter Unterkunft und Verpflegung für die zwei Monate Aufenthalt in Innsbruck (Oktober und November 1952 sowie Oktober und November 1953) bekannt zu geben. Die Aufnahmsprüfungstaxe beträgt S 30,-. Über die Kosten der Verpflegung und Unterkunft können keine genaueren Angaben gemacht werden; bei sparsamer

1016 Erlass des Bundesministeriums für Unterricht, ZI 38.222 vom 26. Oktober 1946. veröffentlicht in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. September/Oktober 1946. (Heft 2/Jahrgang 1.) S. 23f. 1017 ebenda. 1018 Umschreibung in einem Artikel zur „Skilehrerausbildung.“ in: Zeitschrift „Der Sportlehrer.“ April 1946 (Jahrgang 1, Nummer 1.) S. 7. 1019 Erlass des Bundesministeriums für Unterricht ZI. 78.841-IV/19b/51 vom 19.12.1951.

319 Lebensführung konnte bisher mit S 500,- im Monat das Auslangen gefunden werden.“1020 Wieder ist die Ausbildung eine Kostenfrage.

Ein Erfahrungsbericht vom ersten Fortbildungslehrgang für Skilehrer und Skischulleiter erschien 1949 von Frank Ritschel. Er attestierte den meisten Aspiranten ein „beachtliches Fahrkönnen“, für einen Teil der Gruppe war eine Schulung aber „sehr notwendig“. Vor allem das methodische Können hinsichtlich des neuen Lehrplanes ließ jedoch „weit mehr zu wünschen übrig“. Aus diesem Bericht lässt sich auch eine Zahl eruieren: Frank Ritschel schätzt die Anzahl der Skilehrer in Österreich im Jahr 1949 auf „300-400“, wobei Tiroler und Vorarlberger die größte Masse stellten. Dabei kommen den Skischulleitern besondere Rollen zu. Als Erkenntnis aus dem ersten Kurs wurden diese fortan in 8-10tägigen zentralen Lehrgängen in den Bereichen „Fahrkönnen und praktisch-methodische Übungen, […] intensivere Alpinausbildung […] praktisch-medizinische Themen, Schischulorganisation, Administration, Werbung und vor allem Fremdsprachen“ geschult. „Die Forderung nach Schaffung einer Möglichkeit zur Erlernung von Fremdsprachen“, heißt es weiter, „wird immer klarer ausgesprochen. Der Einbau eines Anfängerunterrichts in Englisch und Französisch wäre in den Bundesanstalten für die Heranbildung anzuregen.“1021 Hier ist ein klarer Wunsch herauszulesen, Skilehrer und Skischulleiter zentral in eine einheitliche Richtung zu lenken. Der „Österreichische Skilehrer“ wird dabei zur „Marke mit geprüfter Qualität“, ein Touristengarant höchster Güte. Immerhin wurde bereits 1949 in einer Ausschreibung ein neues, vor allem „künstlerisch ansprechendes und repräsentatives“ Abzeichen für Skilehrer gesucht1022. Doch die Loyalität der jeweiligen Landesstellen war am Ende der 1940er Jahre noch wenig ausgeprägt. Auf ein Rundschreiben über die Abhaltung eines zweiten staatlichen Fortbildungslehrganges in St. Christoph vom 12. bis 19. Dezember 1949 kamen unerwartete Antworten. So konnte Kärnten schon einmal keinen schicken, da alle Skilehrer damit beschäftigt waren, den Engländern das Skifahren beizubringen; Oberösterreich lehnte die Lehrgänge ab, weil die Lehrenden nicht für gut genug

1020 Erlass des Bundesministeriums für Unterricht ZI. 78.841-IV/19b/51 vom 19.12.1951. 1021 Ritschel, Frank: „Erfahrungen aus dem ersten staatlichen Fortbildungslehrgang für Schilehrer und Schischulleiter.“ in: „Der Sportlehrer. Mitteilungen des österreichischen Sportlehrverbandes.“ intergriert in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1949. Heft 6/Jahrgang 3.) S. 23f. Tatsächlich erscheinen in den späten 1960er Jahren erste Wörterbücher für Skilehrer hinsichtlich eines Einsatzes für die Kommunikation mit englisch- oder französischsprachigen SchülerInnen. 1022 Anzeige in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. August 1948. Heft 12/Jahrgang 2.) S. 12.

320 befunden wurden; die Tiroler hielten gar – wie die Vorarlberger – einen eigenen Lehrgang ab. Hier setzt sich die Entwicklung der letzten Jahre fort: noch nie hatte es den Versuch nach einer so zentralistisch geregelten Organisation gegeben, vielmehr übten sich die Landesstellen, ja sogar die einzelnen Skischulen in stolzem Partikularismus. Ritschel jedoch setzt am Gemeinschaftsgedanken und dem „wir- Gefühl“ des Wiederaufbaus an, und mahnt in einem Schreiben. Was Österreich nämlich brauchen würde, wäre eine organisierte Imagekampagne für den „alpinen Skilauf made in Austria“: „Österreich würde z. B. eine wirksame Propaganda in Amerika brauchen […] um das Gleichgewicht der öffentlichen Meinung, sowohl im Norden und besonders im Süden Amerikas, in punkto österreichischer und französischer Schischule wieder herzustellen.“1023 Im nächsten Kapitel werden wir sehen, dass alle diese Ziele bis zur Mitte der 1950er Jahre erreicht wurden. An der Ausschreibung für die staatliche Skilehrerprüfung von 1961 erkennt man, dass die Transformierung des Skilehrers zum „Botschafter österreichischer Kultur“ vollzogen ist, wenn neben Alpinen Themen auch Staatsbürgerkunde und Umgangsformen gelehrt werden, sowie Sprachunterricht in Englisch und Französisch erteilt wird1024. Zwar sind die Aspiranten noch immer zuallererst SkifahrerInnen - die meisten negativen Beurteilungen während der Ausbildung werden in den theoretischen Fächern vergeben1025 - doch ihre Repräsentation wird mit jedem Jahr professioneller. Die Mission dieser Botschafter ist klar. Nach der Erkenntnis „Schilauf ist in unserem Lande Volkssport Nummer eins1026“ wird das „Kulturgut österreichischer Skilauf“ fremdenverkehrswirksam gelebt. Um dieses Image auch bei der internationalen Fachwelt zu pflegen, wurden internationale Skilehrerkongresse zur nationalen Angelegenheit.

Die Demonstration der (Ski-)Weltmacht: Internationale Skilehrerkongresse.

Der Bericht über den 1. Internationalen Skilehrerkongress in der Fachzeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ fällt noch sehr kurz aus: eine Randnotiz berichtet von „über 100 Teilnehmer aus Deutschland, Frankreich, Italien,

1023 Ritschel, Frank: „Erfahrungen aus dem ersten staatlichen Fortbildungslehrgang für Schilehrer und Schischulleiter.“ in: „Der Sportlehrer. Mitteilungen des österreichischen Sportlehrverbandes.“ intergriert in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1949. Heft 6/Jahrgang 3.) S. 23f. 1024 Ausschreibung für die Aufnahmsprüfung für die Schilehrerausbildung 1962/63 in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1961. (Heft 9/Jahrgang 15.) S. 23f. 1025 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1962. (Heft 2/Jahrgang 16.) S. 22ff. 1026 Siehe u.a. Ritschel, Frank: „Ein heißes Eisen: Die Schischulen und die Schulschikurse.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1962. (Heft 10/Jahrgang 16.) S. 24.

321 Jugoslawien, Kanada, Israel, den USA und der Schweiz“1027 in Zürs. Diese Veranstaltung in Vorarlberg zu veranstalten, war ein kluger touristischer Schachzug.

Nach dem Erfolg der „Österreichischen Schischule“ von 1946 war auch der 2. Internationale Skilehrerkongress in Davos 1953 sehr ernüchternd. Österreich wurde international kritisiert, die Lehrweise war veraltet. Bereits im März 1951 war die Angst vor dieser Entwicklung spürbar, als Stefan Kruckenhauser in einem Artikel über den „veralteten“ Stemmschwung über die schwierigen Zeiten nach dem Krieg in der „Keimzelle“ des österreichischen alpinen Skisports in St. Christoph am Arlberg berichtete und beinahe resigniert: „Sollte alles falsch gewesen sein, was wir Jahre vor dem letzten Krieg schon erprobt, erlebt und erstritten hatten. Sollte die große Linie der Technik und Lehrweise, die Österreich seit einem halben Jahrhundert in klarer Stetigkeit verfolgt und hochentwickelt hat; in den Wirren des Krieges, und noch mehr in jenen des Zusammenbruches, vertan worden sein? Fast wollte es so scheinen. Zu groß war das Lautsein der anderen, zu auffallend die augenblicklichen Erfolge mancher Nachbarn! Hier nicht unsicher zu werden, brauchte es klare Einsicht und ein gutes Maß Erfahrung! Erfahrung, die sich schon in früheren Fachkämpfen erprobt hat. Und den festen Glauben: Was sich in einem halben Jahrhundert zur Vollendung geformt hat, was bisher alle Stürme überstand, muss bleibenden Wert haben.“1028 Die „Niederlage von Davos“ rüttelte die österreichische Fachwelt komplett durcheinander: der „bleibende Wert“ des österreichischen Skilaufs war in Gefahr. Frank Ritschel fragt sich in einem Artikel: „Was nun im Schilaufunterricht?“ Plötzlich wäre die österreichische Lehrweise „nicht mehr einheitlich“.1029 Tatsächlich kritisierten die Schweizer, Franzosen und Italiener den österreichischen Stil als „Hinterweltlerisch“; Wolfgang Burger, sozusagen Ziehvater der „Österreichischen Schischule“, stieß mit seinem „natürlichen“ Stil auf Unverständnis. Erbost erwiderte er die Kritik, die Franzosen und Schweizer bräuchten „zu viel Kraft für den Schwung“. Trotzdem lässt er den Gedanken zu, dass Österreich einen neuen Lehrplan brauche1030. Die Diskussion um diesen initiiert eine Vielzahl an Grunsatzaufsätzen:

1027 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1951. Heft 5/Jahrgang 5.) S. 13. 1028 Kruckenhauser, Stefan: „Der Stemmschwung ist tot – es lebe der Stemmschwung!“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. März 1951. Heft 3/Jahrgang 5.) S. 11-17. 1029 Ritschel, Frank: „Was nun im Schilaufunterricht?“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1953. Heft 9/Jahrgang 7.) S. 1. 1030 Burger, E.W.: „Zur Krise des Schilaufunterrichts.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1953. Heft 9/Jahrgang 7.) S. 3ff.

322 Eduard Koller formuliert im November 1953 seine „Grundsätze für einen neuen Schilehrplan“1031, Stefan Kruckenhauser schreibt im gleichen Heft: „Der Lehrweg steht - die Diskussion geht um das Lehrgut.“1032 Selbst eine technische Rückbesinnung auf die Pionierzeit von Mathias Zdarsky und Hannes Schneider wird diskutiert1033.

Diese Diskussionen zeigen den Anspruch Österreichs an sich selbst, beim Skilehrwesen die größte Weltmacht zu sein. Schließlich hatte man auch im alpinen Skirennsport seit 1951 mit Trainer Fred Rössner darauf gebaut, ein Weltklasseteam aufzubauen1034. Tatsächlich gelingt es, die Welt 1955 in Val d’Isere beim 3. Internationalen Kongress der Skilehrer zu beeindrucken. Franz Hoppichler wurde Ehre zu teil, von den Ereignissen zu berichten. Der Aufbau seines Artikels erinnert wieder an Heldenmythen – wie man sie bei Toni Sailer oder Karl Schranz bereits lesen konnte. So beginnt er mit den äußerlichen Bedingungen: „Vergessen waren die Beschwerden der Anreise […] als am ersten Tag die Sonne mit dem Gewölk kämpfte. Am Ende dieses Vorbereitungstages wölbte sich ein sternklarer Himmel über die wohlgepflegten Demonstrationsplätze, einen strahlenden Tag mit schönstem Schnee verheißend. Drei Tage lang schien allen, die hier zum Wettbewerb antraten, die gleiche Sonne, das Hochtal und seine gewaltigen Schihänge verzaubernd und jene Atmosphäre der Duldsamkeit schaffend, die in Davos nicht aufkommen konnte.“1035 Internationale Skilehrkongresse hatten den Aufbau, dass die verschiedenen Delegationen nacheinander ihre Lehrweisen mithilfe von Demonstrationsfahrten vorführten. Hoppichler unterstreicht die universelle Darstellung der Ereignisse in Val d’Isere damit, dass er französische Zeitungen zitiert: „Von den Italienern hieß es (nicht ohne einen kleinen Beigeschmack von nationalem Stolz), dass das Gezeigte eine getreue Kopie der französischen Methode war. Über die Schweizer schreibt ‚L'Equipe‘: ‚In Wirklichkeit handelt es sich um einen Cocktail der Bewegungen der französischen Fahrweise und der des Arlbergs.‘ Und von den Deutschen schreibt die

1031 Koller, Eduard: „Grundsätze für einen neuen Schilehrplan.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1953. Heft 9/Jahrgang 7.) S. 5-8. 1032 Kruckenhauser, Stefan: „Der Lehrweg steht-die Diskussion geht um das Lehrgut.“in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1953. Heft 9/Jahrgang 7.) S. 8f. 1033 Wolfgang, Friedl: „Das Lehrgut im Schilaufunterricht.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1953. Heft 9/Jahrgang 7.) S. 9f. 1034 Bernegger, Kurt: „Von Trude Beiser bis Ernst Hinterseer.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (77-84.) S. 82. 1035 Hoppichler, Franz: „Sonne über Val d’Isere.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1955. Heft 5/Jahrgang 9.) S. 23.

323 gleiche Zeitung: ‚Derselbe Eindruck bei den Deutschen, die sehr stark von der Methode Emile Allais beeinflusst sind. Diese haben sie mit Ausnahme einiger Details vollständig adoptiert.‘ Bleiben also nur […] die beiden Gegenpole Österreich und Frankreich.“1036 In Wahrheit sagt Hoppichler damit aber nichts anderes, als dass die Österreicher die Vormachtstellung im alpinen Skisport errungen haben. Er schreibt weiter: „Jacques Roger bezeichnet in ‚Le Dauphine libere‘ vom 30.3. die österreichische Demonstration als Clou des ersten Tages des internationalen Schikongresses in Val d'Isere. Er schreibt: ‚Ohne voraussagen zu wollen, was uns die zukünftigen Tage bringen werden, kann man jetzt schon sagen, dass der heutige Tag einer gelungensten und der interessantesten dieses Kongresse gewesen ist und bleiben wird […]. Die Lehrer vom Arlberg, die zwei Stunden unter der Leitung von Professor Kruckenhauser und Rudi Matt gearbeitet haben, sind die besten Demonstranten gewesen, die man sich hätte vorstellen können. Die erste Feststellung, die sich einem aufdrängt, war, das das Burschen sind, die wirklich Schifahren können.‘ […] ‚Le Parisien libere‘ vom 31. 3. 1955 schreibt über die Vorführung der Österreicher: ‚Sie stellten sich zur Demonstration im Slalomstadion und ließen uns in einer hervorragenden Vorführung die vielfachen Qualitäten und den Wert ihrer Fahrweise erkennen. Die österreichische Darstellung war sicherlich die der oberen Stufen des Unterrichtes; dieser Stufe, die als Vorbereitung für den Wettkampf dient und uns besser die Überlegenheit des Österreichischen Schilaufes in internationalen Kräftemessen verstehen ließ.‘ […] ‚Le Figaro‘ schreibt [...]: ‚Das schwierigste Problem wird die Analyse der Bewegung sein, von deren Vorhandensein man eine Ahnung hatte und die von den Österreichern vervollkommnt wurde. Dies erklärt auch in einem gewissen Maße ihre gegenwärtige Überlegenheit im Wettkampf.‘ […] Das Echo der Presse war also äußerst positiv.“1037 Euphorisch berichtet Hoppichler anschließend davon, dass „das ‚Wedelfieber‘, das Alt und Jung während der Tagung ergriff und den 9 jungen Österreichern, welche die

1036 Hoppichler, Franz: „Sonne über Val d’Isere.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1955. Heft 5/Jahrgang 9.) S. 23f. 1037 ebenda. S. 24f.

324 Vorführungen trugen, jedes Unbeobachtet sein raubte, so richtig den Widerhall in der Öffentlichkeit“ zeigte: „Anerkennung, ja Bewunderung des Gezeigten, aber auch gewisse Zweifel (teils offen, teils versteckt) am Eigenen war bei fast allen, besonders aber bei den objektiven Franzosen zu spüren. Der Slalomdoppelsieg der zwei Österreicher Hinterseer und Oberaigner am Schlusstag trug nicht wenig zur nachdenklichen Stimmung bei“.1038 Von der Wichtigkeit dieser Expedition zeugen die Schlussworte Franz Hoppichlers: „Wir konnten uns bewähren in Val d'Isere. Dem Himmel danken wir das Segnen des Bemühens, dem Gastland die Gastfreundschaft und die freimütige Anerkennung unseres ehrlichen Strebens - den gewaltigen Bergen Savoiens eines der unvergesslichen Erlebnisse. Dem Bundesministerium für Unterricht aber danken wir für die wahrhaft großzügige Unterstützung, welche die Basis des Erfolges war.“1039

Tatsächlich wurde das österreichische „Wedeln“ zum Maß aller Dinge im alpinen Skisport1040. Die österreichischen Theoretiker sahen die großen Konkurrenten aus Frankreich im Abseits. Als 1959 die Bücher „Ski 1957“ von Jean Vouarnet und „La nouvelle technique du ski. Le jeu de jambes. Godille, wedeln, slalom.“ von Jean Juge besprochen werden urteilt man: „Nichts neues. Die Franzosen kopieren eher.“1041 Als der italienische Skiverband den österreichischen Lehrplan unter dem Namen „Sciaustriaco“ veröffentlicht, liest man: „Damit hat der österreichische Schiunterricht abermals seine Anerkennung erfahren.“1042 Der 5. Kongress der Skilehrer im polnischen Zakopane 1959 adelt dann Stefan Kruckenhauser, der als Präsident gewählt wurde1043. Auf Basis des Lehrwesens hatte sich Österreich klar durchgesetzt. Der Amerikaner Peter Schöck schrieb im Jänner 1961: „Noch nie in der Geschichte des alpinen Schilaufs hat sich eine so tiefgreifende Änderung vollzogen wie während des vergangenen Jahrzehnts. Die Keimzelle der modernen Laufweise war wiederum der Arlberg.“ Vor allem Stefan Kruckenhauser gebührt seiner Meinung nach höchste Ehre1044, die der Leiter des Bundessportheimes St. Christoph am Arlberg 1961 vom

1038 Hoppichler, Franz: „Sonne über Val d’Isere.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1955. Heft 5/Jahrgang 9.) S. 25. 1039 ebenda. S. 26. (23-36) 1040 siehe u.a.: Lotz, Friedrich: „Wo steht der deutsche Schilauf heute?“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. März 1956. Heft 3/Jahrgang 10.) S. 10. 1041 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1959. Heft 2/Jahrgang 13.) S. 8. 1042 ebenda. S. 17. 1043 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. April 1959. Heft 4/Jahrgang 13.) S. 17. 1044 Schöck, Peter: „Die Mechanik des modernen Schilaufs. in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1961. Heft 1/Jahrgang 15.) S. 1ff.

325 Deutschen Skiverband auch zugesprochen wird1045. Auch der Österreicher Fritz Baumrock bestätigte schon 1956: „Am Arlberg hat man sich zuerst auf die neue Fahrweise eingestellt, Jahre bevor andere Schilaufzentren folgten.“1046 Über den Österreichischen Schilehrplan von 1956 liest man in einer Publikation aus der DDR, die dem Skilauf den höchsten erzieherischen Rang in Bezug auf den Wintersport beimisst1047: „Der österreichische Lehrplan gilt als Standardwerk der heutigen Skitechnik und Methodik und ist das Vorbild vieler Lehrpläne anderer Länder.“1048 Berichte von späteren Skilehrerkongressen sind nur noch Loblieder auf die „österreichische Skikunst“1049, denn fortan ist Österreich wieder das Land, indem der Skisport weiterentwickelt wird1050.

9. REPRODUKTION: DER ERZIEHERISCHE WERT DES SKISPORTS.

Die Diskussion um den erzieherischen Wert der Leibesübungen nimmt sehr früh in der Zweiten Republik an Fahrt auf. Wolfgang Burger und Hans Groll betonen in ihrem theoretischen Werk über die Leibeserziehung von 1949 vor allem den Unterschied zum Turnunterricht der Nazis: „Das ‚Österreichische Schulturnen’ unterscheidet sich vom Schulturnen der nationalsozialistischen Zeit. Die nationalsozialistische Erziehung war zuvörderst eine politisch gerichtete. Aus der Erkenntnis, dass der Jugendliche vom Körper her am leichtesten zu packen sei, wurde der Leibeserziehung und den Leibesübungen so viel Raum und Bedeutung eingeräumt [...], dass darüber nicht selten die Gesamterziehung zu Schaden kam. Die Klagen über die Ungeistigkeit der Jugend wurden zum Teil mit Recht erhoben. Ziel der nationalsozialistischen Leibeserziehung war der politische Kämpfer [...]. Die überstarke Betonung des Leistungsgedankens (Wettkämpfe im Übermaß, feinst ausgeklügeltes System der Wertung und Leistungsmessung) führte dazu, dass in der Praxis das Turnen doch wieder sich dem Fertigkeitsfache näherte. Die überstarke Betonung des Kampfgedankens ließ Härte zum Leitmotiv der gesamten Arbeit

1045 Kruckenhauser bekam die „Silberne Ehrenplakette des Deutschen Skiverbandes.“ Siehe: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. März 1961. Heft 3/Jahrgang 15.) S. 20. 1046 Baumrock, Fritz: „Zur Bewegungslehre des Schilaufs mit Beinspiel.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1956. Heft 2/Jahrgang 10.) S. 9ff. 1047 Siehe Dießner, G.; Köhler, L.; Möser, G.: „Skilauf in der Schule.“ Berlin 1961. 1048 Ehrler: „Skiliteratur.“ Leipzig 1961. S. 72. 1049 z.b. Ritschel, Frank: „Der VI. Internationale Kongress für Schilehrwesen.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1962. (Heft 5/Jahrgang 16.) S. 18f. 1050 Wie z.B. der „eigenwillige“ Fahrstil der Marianne Jahn in Squaw Valley 1960, der „für die Fachleute eine Offenbarung bedeutete“. Siehe: Bernegger, Kurt: „Von Trude Beiser bis Ernst Hinterseer.“ in: ÖOC (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. (77-84.) S. 84.

326 werden und ‚hartmachende‘ Übungszweige (Fußball, Boxen) fanden daher besondere Pflege. Dies zum Schaden manch feineren Übungszweiges und manch feinerer Regung. Während bei den 6- bis 10jährigen in den Richtlinien noch ausdrücklich von ‚natürlichen Bewegungen‘ gesprochen wurde, ergab sich für die höheren Altersstufen aus der Forderung der soldatischen Haltung das stramme (‚zackige‘) Bewegungsideal. In systematisch-fachlicher Hinsicht standen, wie ehedem in den preußischen Lehrplänen, die gesinnungsmäßigen Wurzeln der modernen Leibesübungen Turnen, Sport, Spiel wie unterschiedliche Übungszweige nebeneinander. Schwimmen, Winterübungen, Wandern […] folgten als Anhängsel [...]. Es fehlte daran, dass die übergeordnete Erziehungsabsicht die Vielheit der Leibesübungen, wie sie im Turnen, Sport, Spiel-, Gymnastik-, Kampfbetrieb in Erscheinung tritt, zu einer pädagogischen Einheit verschmolzen hätte. Ebenso blieb die Gliederung der turnerischen Arbeit in Haltungs-, Bewegungs- und Leistungsschulung unklar.“1051 Daneben liest man: „Im Anschluss an diese kritischen Bemerkungen soll jedoch auch hier [...] darauf hingewiesen werden, dass neben drillmäßiger und erstarrt anmutender auch viel lebensvolle und turnfachlich einwandfreie Arbeit und gar manches auf dem Gebiete der Forschung geleistet worden ist.“1052 Anschließend folgt die Erklärung, was das „österreichische Schulturnen“ auszeichnet: „Das ‚österreichische Schulturnen‘ unterscheidet sich von allen einseitig gerichteten Leibesübungssystemen, die ein spezielles Ausbildungsziel verfolgen (z. B. vormilitärische Erziehung, Training zur Vorbereitung eines Wettkampfes) oder nur einer bestimmten Arbeitsweise huldigen (Entwicklung der Kunstfertigkeit durch die engere Arbeit der Turnvereine, der sportlichen Leistung in den Sportvereinen, der ‚schönen‘ Bewegung in Gymnastikschulen). Es ist aber klar, dass bei der Weitherzigkeit seiner Einstellung das ‚österreichische Schulturnen‘ all diesen Teilzielen dienlich sein kann. Die Zielsetzung […] heißt optimale Entwicklung des gesamten Menschen, d. h. Kraftentfaltung, und zwar Entfaltung nicht nur der körperlichen Kräfte, sondern auch der sittlichen und geistigen. Die Zielsetzung ist also eine formale und zeitlos pädagogische.“1053

1051 Burger, Groll: „Leibeserziehung.“ Wien 1949. S. 19f. 1052 ebenda. 1053 ebenda. S. 19f.

327 Objektiv betrachtet handelt es sich um eine Rückkehr zu den Wurzeln des „österreichischen“ Turnens: zu Margarete Streicher und Karl Gaulhofer1054, bei denen die Leibesübungen eine Gesamterziehung ist, „die den ganzen jungen Menschen umfasst, bei der Körperliches, Sittliches und Geistiges so enge verflochten sind, dass man nicht trennen kann, was doch zusammen gehört.“1055 Es handelt sich dabei also um eine Rückkehr zur pränationalsozialistischen Zeit, derer man sich bewusst als Reaktion auf den Nationalsozialismus bedient. So hält Groll und Burger fest: „Eine Bewegung, die zweckmäßig [...] ist, gilt dem ‚Österreichischen Schulturnen’ als schön. Durch diesen Schönheitsbegriff bekennt sich das ‚Österreichische Schulturnen’ zum Stil der ‚Modernen Sachlichkeit’, der, aus der Armut der ersten Nachkriegszeit geboren, Kunst und Architektur der Jetztzeit nachhaltig geprägt hat und im Grunde zeitlos gültig ist.“1056 Schon im Vorwort liest man: „Natürlichkeit ist uns in der Leibeserziehung Programm.“1057 Diese neue „Natürlichkeit“ ist – wie bereits oben erwähnt - die logische Folge des zweckmäßigen Drills der Nazis. Es ist die „neue Sachlichkeit“ im Turnen, die aus den 1920er Jahren in die Zweite Republik übertragen wurde und als Gegenentwurf zur systematischen Abhärtung eines dem Krieg geweihten Volkes dient. Das neue Motto lautet: „Statt ‚Drill und Zwang‘ freies, lustbetontes Entfalten der Kräfte.“1058 Der Bundesminister für Unterricht und Sport, Felix Hurdes, schreibt zum Geleit der ersten Ausgabe der für Turnlehrer obligatorischen Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“: „Über Leibesübungen und Leibeserziehung und den ihnen innewohnenden Wert heute noch viel zu sprechen, erscheint überflüssig. Nicht überflüssig aber ist es, dass dieses Richtige in richtiger Form und wirklich in die interessierten Kreise dringt. Der österreichische Sport, der sich von Entartungserscheinungen wie Rekordwahnsinn oder chauvinistische Übertreibung immer freigehalten hat, hat ein Recht darauf, dass seine Stimme ungetrübt zur Geltung kommt [...].“1059 Dadurch äußert er, dass auch auf dem Gebiet der Leibeserziehung der universell geltende Grundton gilt, die nationalsozialistische Ideologie hätte sich gewaltsam über

1054 Das Standardwerk ist wohl: Gaulhofer, Karl und Streicher, Margarete: „Grundzüge des Österreichischen Schulturnens.“ Wien 1922. 1055 Burger, Groll: „Leibeserziehung.“ Wien 1949. S. 13f. 1056 ebenda. S. 22. 1057 ebenda. S. 6. 1058 Überschrift eines Artikels über drei Übungsstunden am Sprungkasten in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli/August 1946. (Heft 1/Jahrgang 1.) S. 16. 1059 Hurdes, Felix: „Zum Geleit!“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli/August 1946. (Heft 1/Jahrgang 1.) S. 1.

328 alles „österreichische“ gelegt; so wurde Rekordzwang und Nationalismus dem österreichischen Sport von den Nazis aufgezwungen. Ministerialsekretär Fred Zdarsky, Referent für körperliche Erziehung im BM für Unterricht, schreibt in seinem Vorwort zur Zeitschrift: „Nach der rein politischen Zielsetzung und verfehlten Wertung und Anwendung der Leibesübungen in den letzten Jahren stehen wir vor der großen Aufgabe, den Leibeserziehungen wieder den richtigen Weg zu weisen und sie auf den Platz zu stellen, der ihnen im Rahmen der Gesamterziehung des einzelnen wie des ganzen Volkes zukommt.“1060 Über die Leibeserziehungen im Erziehungsprogramm der ÖVP liest man im September 1947: „Die Leibeserziehung soll unter besonderer Rücksichtnahme die Eigenart der beiden Geschlechter, auf den Grundsätzen der Natürlichkeit, Bodenständigkeit und Jugendmäßigkeit aufbauen. Die Leibeserziehung unserer Jugend muss von jedem militärischen Drill und jeder militärischen Zielsetzung frei bleiben.“1061

Das offizielle Organ des Österreichischen Sportlehrerverbandes, die Zeitschrift „Der Sportlehrer“, die in weiterer Folge in die Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ integriert wurde, widmete seine erste Ausgabe im April 1946 der Entnazifizierung um den Standpunkt einer „neuen Ordnung“ zu verdeutlichen. Hier erfährt man: „Nach Überprüfung ihrer politischen Unbedenklichkeit wurden in Österreich bisher 778 Sportlehrer zugelassen […]. An 65 Sportlehrer wurde, im Einvernehmen mit dem Stadtschulrat wegen Zugehörigkeit zur NSDAP, keine Arbeitsbewilligung erteilt.“1062 Die 1. Länderkonferenz des „Österreichischen Sportlehrerverbandes“ beschloss hinsichtlich der „Behandlung der ehemaligen NS-Sportlehrer“, dass „alle Sportlehrer die eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass sie nicht der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehört haben, die Arbeitsbewilligung [erhalten]. Eine provisorische Arbeitsbewilligung erhalten jene Sportlehrer, die zwar als politisch belastet aufscheinen, aber in ihren anderen Lehrberufen durch den Staat, die Länder oder Gemeinden provisorisch wieder im Schuldienst eingestellt wurden. Die provisorische Arbeitsbewilligung erhalten auch jene Sportlehrer, die in den Ländern Kärnten, Tirol und Vorarlberg durch die örtliche Widerstandsbewegung oder den

1060 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli/August 1946. (Heft 1/Jahrgang 1.) S. 2. 1061 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. September 1947. (Heft 1/Jahrgang 2.) S. 22.. 1062 Zeitschrift „Der Sportlehrer.“ April 1946 (Jahrgang 1, Nummer 1.) S. 8.

329 Sicherheitsdienst, den schriftlichen Nachweis ihrer aktiven Teilnahme an der Befreiung Österreichs erbringen. Allen anderen politisch belasteten Sportlehrern wird bis zur endgültigen Regelung der Nazifrage in Österreich durch ein Bundesgesetz eine Arbeitsbewilligung derzeit nicht erteilt.“1063

Neben der allgemeinen, logischen Forderung nach der Entnazifizierung ihrer Berufsgruppe stellt der Wunsch nach einer einheitlich antinationalsozialistischen Ideologie der SportlehrerInnen ein zentrales Thema dar. Den Wert der Leibeserziehung für die Staatsbürgererziehung haben nicht erst die Nazis erkannt; dabei handelt es sich vielmehr um eine Erkenntnis des 19. Jahrhunderts. Besonders in den ersten Jahrgängen der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ und „Der Sportlehrer“ werden dem Turnlehrer besondere Möglichkeiten hinsichtlich der Erziehung der Jugend attestiert. So findet man in der in den späteren Jahren praxisorientierten Fachzeitschrift immer wieder Artikel wie jenen von Werner Haas über die „Wechselbeziehung zwischen Leibesübungen und Gesellschaftsform“, indem er meint: „Die geistig-weltanschauliche Zerrissenheit, die unklaren und verwirrten gesellschaftlichen Verhältnisse, die politischen Machtkämpfe und noch andere Erscheinungen finden in den Leibesübungen ihren Niederschlag. Die ideelle Unsicherheit in den Grundfragen der Leibesübungen entspricht den gewaltigen gesellschaftlichen Verschiebungen unserer Zeit. Weist ein Volk klare gesellschaftliche Verhältnisse auf, dann wird es auch in den Belangen der Lebensformen eine eindeutige Linie aufzuzeigen haben. Als Ergebnis dieser Untersuchung kann gefolgert werden, dass die zukünftige Gestaltung der Leibesübungen mit eine Frage soziologischer Natur ist. Nur neue Strukturen der einflussnehmenden Gesellschaftsklassen, neue Stellungen zueinander, können neue Ideen und Formen in die Leibesübungen bringen. Wir alle sind zutiefst in unserer Gesellschaftsform verankert und damit die von uns gestalteten Leibesübungen. Daher darf gesagt werden: Das Ethos der zukünftigen Gesellschaftsordnung wird sich zum Ethos der zukünftigen Leibesübungen erheben!“1064 Als im Juli 1949 das BM für Unterricht einen Erlass über die staatsbürgerliche Erziehung an den österreichischen Schulen veröffentlicht, schreibt Norbert Groll darüber aus Sicht der TurnlehrerInnen: „Was […] unser Fach betrifft, so können wir

1063 Zeitschrift „Der Sportlehrer.“ Mai 1946 (Jahrgang 1, Nummer 2.) S. 13. 1064 Fazit zum Artikel. Haas, Werner: „Wechselbeziehung zwischen Leibesübungen und Gesellschaftsform.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1949. (Heft 9/Jahrgang 3.) S. 16f.

330 nicht umhin, zuallererst auf die längst bekannte Forderung der österreichischen Turnerneuerer nach ‚Erziehung zum ganzen Menschen‘ zu verweisen. Denn, diese Forderung steckt ein für alle Mal den großen Rahmen der Erziehungsaufgaben und Erziehungsmöglichkeiten des Leibeserziehers ab. Wir dürfen uns der Tatsache erfreuen, dass der […] Erlass ausführlich auf all die reichen, unserem Fach eigenen Möglichkeiten verweist und deren Bedeutung in einer befriedigenden Weise unterstreicht: Schikurse, Schullandwochen, sportliche Wettbewerbe (Meisterschaften), Wanderungen, Schülerreisen, Ferien- und Zeltlager werden namentlich als sehr geeignete Mittel einer Erziehung zum demokratischen Österreicher hervorgehoben. […] Heimatliebe entsteht, wenn man die Heimat kennen lernt; Sinn für die Gemeinschaft entwickelt sich, wenn man in ihr - und zeitweise nur mit ihr - lebt. Ist eine Spielmannschaft nicht eine ideale demokratische Lebensform Jugendlicher, in der jeder seine bestimmte Funktion hat und in der jeder die gleichen fairen Spielregeln zu befolgen hat? Setzen nicht zahlreiche Übungen im Saalturnen eine einwandfrei funktionierende Kooperation voraus? Verlangt nicht, oder besser, fördert nicht jeder Schikurs, jedes Lager, jeder zeitweise Aufenthalt in einem Heim Selbsterziehung in höchstem Maß?“ Zusammenfassend meint er: „Die Leibeserziehung ist - neben dem Geschichts- und Deutschunterricht - ein zentrales Mittel einer staatsbürgerlichen Erziehung. Alle Übungszweige eignen sich, sofern sie von pädagogischen Gesichtspunkten geleitet werden, im besonderen Maß, den Zielen unserer staatsbürgerlichen Erziehung zu dienen.“1065 Die Leibesübungen wurden tatsächlich in ihrer volksbildenden Funktion instrumentalisiert. Dabei ging es nicht nur darum, die „Bedeutung des Schulturnens für die Volksgesundheit“1066 zu propagieren, sondern gezielt „neue ÖsterreicherInnen“ zu erziehen. Im Dezember 1955 liest man darüber, dass in der DDR ab 1955 „Körpererziehung“ wieder „Turnen“ genannt wird, dass in Jahn’scher Tradition nun wieder „Turnen all das [sei], was dazu diente, die jungen Menschen für ihre patriotische Aufgabe, die Schaffung eines einheitlichen, demokratischen Deutschlands zu ertüchtigen.“1067

1065 Grell, Norbert: „Zum Thema: Staatsbürgerliche Erziehung.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1950. Heft 5/Jahrgang 4.) S. 5. 1066 Artikel von 1953. Nentwich, Alois: „Die Bedeutung des Schulturnens für die Volksgesundheit.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Oktober 1953. (Heft 8/Jahrgang 7.) S. 1f. 1067 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1955. Heft 10/Jahrgang 9.) S. 17.

331 Die vorangegangenen Seiten waren notwendig, um zum folgenden Punkt zu kommen: in Österreich spielt bei der Staatsbürgererziehung vor allem der alpine Skisport eine zentrale Rolle. Nicht umsonst ziert die Titelseite der ersten Folge der Zeitschrift „Der Sportlehrer“, dem offiziellen Organ des „Österreichischen Sportlehrer Verbandes“, das Bild eines Skilehrers bei einer riskanten Abfahrt1068; nicht zufällig fand die 1. Länderkonferenz desselben Verbandes vom 2. bis 5. Dezember 1945 nicht in der unproblematischer zu erreichenden Bundeshauptstadt Wien, sondern der „Skihauptstadt“ Kitzbühel statt, wo neben der oben beschriebenen „Entnazifizierung“ vor allem Praktisches rund um die Skilehrerzunft geregelt wurde1069.

Diese Begünstigung des alpinen Skisports zieht sich durch die ganze Diskussion der frühen Jahre der Zweiten Republik. Dem Skisport kommt innerhalb des Turnunterrichts; innerhalb der Erziehung der Jugend eine besondere Rolle zu. Im November 1946 liest man so über den „Spielcharakter des Schisports“: „Er [der Skisport; Anm.] wird bloß zum Vergnügen betrieben, ist etwas Überflüssiges, hat nichts mit den Notwendigkeiten des Lebens zu tun, er wird nicht befohlen und ist daher in diesem Sinne ein freies Handeln. Der reife Schisportler betrachtet seine Bretter nicht als Mittel zum Zweck, wie der Bergsteiger, der wiederum die reine Technik verachtet, sondern als Spielzeug seiner Kunst, die ihn Selbstzweck ist. Es treibt ihn die Lust am Schwingen und Schweben, am Laufen und Springen. […] Er passt sich jeder Form des Schnees an […], den Schnee sieht er als sein ständig wechselndes Lebenselement und Lebensmedium an, ähnlich wie der Segelflieger die Luft.“1070 Der Vergleich des Skifahrens mit dem Fliegen ist kein seltener in der Skiliteratur der 1940er und 1950er Jahre. Interessant, weil neu, ist, dass das Skifahren als „neue Stufe des Landschaftsinstinktes und Landschaftsbewusstseins“ gesehen wird. Damit knüpft man direkt an die neue Heimatromantik der Zweiten Republik an. Dem neuen Turnideal, dem „natürlichen“ Turnen mit seinem spielerischen Charakter passt sich der Skisport ideal an. Abschließend liest man im Artikel: „So finden wir in unserem Schisport im Ganzen in edelster Weise all das verkörpert und variiert, was das Spiel als solches auszeichnet: das freie, vergnügungsmäßige , überflüssige Handeln, das

1068 Zeitschrift „Der Sportlehrer.“ April 1946 (Jahrgang 1, Nummer 1.) S. 1. 1069 Es geht um Bezeichnungen, Förderungen und Betätigungsfelder der Skischulen. Siehe: Zeitschrift „Der Sportlehrer.“ Mai 1946 (Jahrgang 1, Nummer 2.) S. 13. 1070 „Vom Spielcharakter des Schisports“ aus: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1946. (Heft 3/Jahrgang 1.) S. 5f.

332 einen bestimmten Spielraum und eine bestimmte Spielzeit benötigt, das eine ihm gemäße Ordnung, Harmonie und Rhythmus ,Gleichgewicht in Spannung und Entspannung, in Bindung und Lösung besitzt, das von Spannungen und Chancen der Ungewissheit durchzittert wird, das seine eigenen Spielgeheimnisse besitzt gegenüber dem Alltag und den anderen Spielen.“1071 Auch für den Turntheoretiker Frank Ritschel gibt es kaum eine andere Sportart, die „wie wenige [dazu] geeignet [ist], die Gesamterziehung des Menschen zu beeinflussen.“ Abseits des „Spielcharakters“ des Skifahrens erörtert er im Dezember 1948 die kräftigenden Wirkungen des Sports auf Muskeln, die positiven Einflüsse der Höhenluft, des Kältereizes und der Sonnenstrahlung sowie positive Auswirkungen psychischer Natur. „Das Tummeln in der herrlichen Winterlandschaft“, schreibt er in einer Zeit der Wiederentdeckung der (österreichischen) Landschaft, „die weiten Hänge, die zum Übermut verlocken, geben das Gefühl völliger Ungebundenheit, das Herausgehoben sein aus dem Alltag - insbesondere für den Städter -, der Schnee in seinen vielen Gestalten, der uns oft ganz kindliche Freude bereitet - damit sind lange nicht alle Faktoren aufgezählt, die eine günstige seelische Wirkung hervorrufen, wie sie mit dem Schilauf untrennbar verbunden sind.“ Die Aufgabe des Skilehrers ist nach Ritschel „die charakterbildenden Werte des Schilaufs und die geistigen Einflüsse auszunützen und die richtigen Bahnen zu lenken. Die Weckung des Empfindens für die Schönheiten der Natur, Naturverbundenheit, stehen hier obenan.“1072 Werte wie „Kameradschaftsgefühl, Hilfsbereitschaft, Mut, Selbstvertrauen, Ausdauer, Härte und die Wertschätzung einer einfachen Lebensführung“1073 erinnern zwar an vergangene Zeiten, werden aber besonders in der Diskussion um die Skikurse immer wieder rezitiert. Zusammenfassend meint er: „Schilauf bedeutet Naturerleben und Naturverbundenheit, Geschwindigkeit und Schweben, Schilauf bedeutet Lebensfreude, Erinnerung und Sehnsucht nach Wiederholung dieses Erlebnisses, es bedeutet Kraft, Gesundheit - oder Heilung. Darum ist es gut so, dass der Schilauf eine Krankheit ist, von der die von ihr Befallenen glücklicherweise und zum eigenen Vorteil nie geheilt werden können.“1074

1071 „Vom Spielcharakter des Schisports“ aus: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1946. (Heft 3/Jahrgang 1.) S. 5f. 1072 Ritschel, Frank: „Der Schilehrer als Leibeserzieher.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1948. Heft 4/Jahrgang 3.) S. 7f. 1073 ebenda. S. 7f. 1074 Fazit zu Ritschel, Frank: „Vom Wert des Schilaufs (II. Teil).“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. März 1950. Heft 3/Jahrgang 4.) S. 10f.

333 Im Februar 1950 legt Ritschel noch einmal nach und merkt an, dass „der Schilauf […] wohl die gesündeste Leibesübung" sei; besonders bezogen auf seinen „ungeheuren Reichtum an gesundheitlichen und seelischen Werten“.1075

Beim 4. internationalen Kongress der Skilehrerer 1957 im norwegischen Storlien hielt Eduard Burger als Vertreter der österreichischen Delegation einen Vortrag zum Thema „Die Bedeutung des Schilaufs in der Jugenderziehung“. Dabei verweist er anfangs auf eine Tagung des Jahres 1956 im Bundessportheim Obergurgl zum Thema „Natur und Erziehung“, bei der die Anwesenden zum Ergebnis kamen, dass „bei uns in Österreich der Schilauf vielleicht der wichtigste Sportzweig [ist]. […] Zugleich ist der Schilauf unter allen anderen Sportarten (neben Wandern und Bergsteigen) so ziemlich am engsten mit der Natur verknüpft.“ Sehr angetan von einem Vortrag des Landesschulinspektors für Salzburg, Dr. Matthias Laireiter, zitiert er anschließend dessen Worte. Für Laireiter kennzeichne „die heutige Situation im Verhältnis Mensch - Natur […] einer Krise […] in einem Erneuerungsprozess.“ Durch die fortschreitende Technik hätte der Mensch seinen Draht zur Natur verloren; als Beispiele dafür dient Alltägliches wie das durch elektrischen Strom den Licht zum Tag machen, die Ausrichtung des Lebens nach der Uhr, künstliche Fortbewegungsmittel, etc. Nach Kritik an einer ausufernden Fankultur bis hin zum Starkult1076 schließt Burger seinen Vortrag mit den Worten: „Die Jugend will Schi laufen um des Schilaufs willen und sie will echten, zünftigen Schilauf. Das ist ihr gutes Recht. Darum heißt es, im Schiunterricht die Jugend mit dem letzten Stand der technischen Entwicklung vertraut zu machen, allerdings ohne Eintagsmoden übertrieben zu huldigen und ohne unser größeres Ziel aus dem Auge zu verlieren. Denn während wir zum Beispiel vom Beinspiel reden, meinen wir einen guten Schilauf ganz allgemein, während wir vom Schilauf reden, meinen wir den Menschen, während wir vom Sport reden, meinen wir eine rechte Weltanschauung.“1077

Um sich der psychologischen Wirkung des Skisports bewusst zu werden, verfasste Prof. Kurt Osolsobie von der Universität Wien 1958 einen Artikel „Zur Psychologie

1075 Ritschel, Frank: „Die körperlichen und seelischen Werte des Schilaufs.“ in : Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1950. Heft 2/Jahrgang 4.) S. 1ff. 1076 Was direkt mit den Erfolgen Toni Sailers in Verbindung gebracht werden kann. 1077 Burger, Eduard W.: „Die Bedeutung des Schilaufs in der Jugenderziehung.“ Vortrag, gehalten beim 4. internationalen Kongress für Schilehrwesen in Storlien (SWE), im Jänner 1957. Zitiert nach: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1957. Heft 1/Jahrgang 11.) S. 4.

334 des Schilaufs.“ Darin schreibt er: „Der Schisport hat, im Vergleich zu anderen Sportarten, in der letzten Zeit eine solche Breitenentwicklung erfahren und so viel Anhänger unter allen Altersschichten gefunden, dass man annehmen muss, er hat den meisten anderen Sportarten etwas voraus. Er vermittelt also wahrscheinlich lustvolle Erlebnisse in besonders großer Zahl oder Intensität.“1078 Zu diesen „lustvollen Momenten“ des Skilaufens zähle neben dem passiven Abwärtsgleiten, das auch ein Kind auf der Rutschbahn zu schätzen weiß der Genuss der Zentrifugalkraft beim Kurvenfahren; die stimmungsaufhellende Wirkung körperlicher Anstrengung; die Genugtuung, die Skier zu beherrschen; der „Rausch“ der Geschwindigkeit und der damit verbundene Nervenkitzel der unmittelbaren Gefahr vor allem das Naturerlebnis der SkifahrerInnen. Dazu fördere die geographische Abwechslung verbunden mit der Banalität einer speziellen, der alltäglichen Wäsche sehr fremden Kleidung die positive Wirkung einer bewussten Trennung vom Alltag. „Auf eine allgemeine Formel gebracht“, schreibt Osolsobie, „läge also der Genuss beim Schilauf hauptsächlich in einer Steigerung des Lebensgefühles“.1079

So langwierige Diskussionen um den Wert des Skilaufens hätten wenig Sinn, wollte man nicht die Importanz dieses Sportzweiges besonders propagieren und fördern. Die Analyse der Fachzeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“ brachte tatsächlich den Beweis dafür, dass in Österreich dem Skisport enorme Wichtigkeit zugesprochen wurde und die Erziehung hin zum Skisport in nicht unbedeutendem Maße mit der Erziehung hin zum „neuen Österreicher“ verbunden wurde. Zum Sinnbild für die Unzertrennlichkeit des Österreichs von seinen Skiern wird dabei der sofort nach Kriegsende geförderte Krückenskilauf, der die invaliden Heimkehrer – trotz Verlusten an Gliedmaßen – möglichst rasch zurück auf die Pisten bringen. Denn das Skifahren ist das, was ein Österreicher nun einmal tut. So tagte bereits im Winter 1946/47 der erste Krückenskikurs, der im Bundesministerium für Unterricht „größtmöglichste Unterstützung“ bekam1080. Robert Matz, von Anfang an mit dem Problem des Krückenskifahrens betraut, erinnert sich sogar daran, bereits im Jänner 1945 an der Umsetzung getüftelt zu haben; immerhin sieht er im Krückenski „die

1078 Osolsobie, Kurt: „Zur Psychologie des Schilaufs.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1958. Heft 2/Jahrgang 12.) S. 1. 1079 ebenda. S. 3. (1-4) 1080 Bekanntmachung über den 1. Krückenschikurs für Oberschenkelamputierte im ÖSV. in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1946. (Heft 4/Jahrgang 1.) S. 22.

335 Rettung der oberschenkelamputierten Schisportler.“1081 Der „Sinn des Versehrtenschilaufes soll [...] vor allem darin liegen“, liest man im Jänner 1950, „all die innerlichen, unermesslichen Schönheiten, die uns das Schifahren bringt, erleben zu dürfen und all den Menschen wieder vermitteln zu helfen, die einmal bereits diese Freuden dem Leben abschreiben mussten.“1082 Doch das Hauptaugenmerk der Erziehung hin zum Skilauf liegt nicht in der Betreuung der Veteranen. Besonders die Erziehung der Jugend hin zum Skisport hat innerhalb der österreichischen Leibeserziehung sowie der Staatsbürgererziehung höchste Priorität. Dabei bedienen sich die Pädagogen Österreichs eines speziellen Instruments: dem Skikurs.

Der Skikurs.

Mit Erlass des Bundesministeriums für Unterricht vom 17. April 1946 wurde die „Wiedererrichtung der Verwaltung der staatlichen Schikurs- und Schullandheime“ in Wien verfügt, was gleichzeitig die Rückgliederung aller Heime bedeutete, die der Verwaltung im Jahre 1938 unterstanden und deren frühere Zweckbestimmung wiederherstellte.1083 Damit konnten die Schulskikurse wieder zentral geregelt durchgeführt werden, diente doch die Zentrale in Wien als Anlaufstelle für die österreichischen Schulen bei Fragen bezüglich Unterkünften, Fahrkarten oder ähnlichem Organisatorischem. Grundsätzlich muss gesagt werden, dass der Schulskikurs keine Erfindung der Zweiten Republik darstellt; trotzdem ist seine Instrumentalisierung nach 1945 ein entscheidender Aspekt dieser Arbeit. Bis zum Winter 1950/51 finden sich Grundsatzdiskussionen rund um das Thema Skikurs. Im Grunde genommen decken sich die Argumente mit den oben beschriebenen „positiven Werten“ des Skisports. Eine zentrale Rolle dabei steht wieder das Kennenlernen der/des Jugendlichen seiner österreichischen „Heimat“. Im Oktober 1948 schreibt Kurt Wiessner in der Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“: „Schulschikurse sind eine österreichische Einrichtung und wohl einzigartig in der Welt. Sie sind aus der Kenntnis entstanden, den Schülern auch im Winter die Bergwelt zu erschließen und die Natur im Winterkleide kennen lernen zu

1081 Matz, Robert: „Der Krückenschi, die Rettung der Oberschenkelamputierten Schisportler.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner/Februar 1947. (Heft 5,6/Jahrgang 1.) S. 8. 1082 Zwicknagel: „Versehrtenschilauf.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1950. Heft 1/Jahrgang 4.) S. 16f 1083 Erlass des Bundesministeriums für Unterricht vom 17.4.1946. Zahl 73/71-IV/KE. veröffentlicht in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli/August 1946. (Heft 1/Jahrgang 1.) S. 24.

336 lassen.“1084 Daneben stärke der Skikurs, wie der Wandertag oder die Schullandwoche, die Klassengemeinschaft. Wandertage oder Schullandwochen sind allerdings in Zeiten materieller Not leichter zu organisieren. Deshalb befassen sich die frühen Diskussionen rund um den Skikurs auch mit der Finanzierung der Schulveranstaltung. Die Beteiligung des Staates beschränkt sich dabei auf die Anlaufstelle in der Wiener Sensengasse und die Ausbildung zusätzlicher Skilehrkräfte. Als sich die Skikurse allmählich im Laufe der Jahres 1948 zu etablieren beginnen, erscheint ein Erlass des BMfU mit dem Titel „Lehrer-Schikurse“, mit dem Wortlaut: „Die Durchführung der Schülerschikurse macht in den meisten Fällen die Heranziehung von Lehrern, die für Leibesübungen nicht geprüft sind, notwendig.“ Zwar sind die Kurskosten von 12 Schilling pro Tag selbst zu tragen, die Landesschulbehörden werden aber dazu ermächtigt, den TeilnehmerInnen den erforderlichen Urlaub zu gewähren.1085 Der Staat erkennt hierbei die Chance seine LehrerInnen zum Skifahren zu erziehen – damit dieses Lehrpersonal wiederum ihre SchülerInnen zum Skilauf bringt. Die oberösterreichischen Lehrerschikurse von 1948 wurden etwa als „wohlgelungen“ tituliert1086 und dienten da wie dort als Kennenlernen österreichischer Skigebiete um nicht zuletzt LehrerInnen wie deren SchülerInnen zu künftigen Skitouristen zu machen. Als Ausbildungszentrum des Lehrpersonals etabliert sich bald das Bundesheim in St. Christoph am Arlberg, wo Stefan Kruckenhauser als Leiter fungierte. Die Lehrerskikurse wurden ab den 1950er Jahren durch Erlässe des BMfU geregelt. So wurde z.B. im Oktober 1952 veranlasst, dass in fünf Kursen zu je 10 Tagen 280 Plätze für LehrerInnen in St. Christoph am Arlberg bereitgestellt werden, dazu die Mitteilung, dass „zu Verpflegungs- und Unterkunftskosten (26 S/Tag) und Anfahrt […] 50% erstattet“ wird.1087 1958 steigt die Zahl bereits auf 510 Fortbildungen für LehrerInnen in 8 Kursen1088, dabei wird auch immer die Quote für die TeilnehmerInnen aus bestimmten Bundesländern ermittelt. Für den Winter 1957/58 liest man im Erlass etwa: „Zur Sicherstellung der erforderlichen Zahl geeigneter Lehrkräfte für den Unterricht durch die Verwaltung der Bundesschullandheime

1084 Wiessner, Kurt: „Der Schulschikurs.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Oktober 1948. (Heft 2/Jahrgang 3.) S. 12. 1085 Erlass des Bundesministeriums für Unterricht Nr. 82.598-IV/16b vom 14.10.1948. aus: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Oktober 1948. Heft 2/Jahrgang 3.) S. 20. 1086 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juli 1948. Heft 11/Jahrgang 2.) S. 19f. 1087 Erlass des BMU ZI 81.333-IV/19b/52 vom Oktober 1952. 1088 Erlass des BMfU vom 10. 10. 1958, ZI 89.281-19/58.

337 im Winter 1957/58 die Abhaltung folgender Lehrerschikurse wird in Aussicht genommen: […] 3. Fortbildungskurs: Teilnehmerzahl 96, und zwar: Burgenland 4, Oberösterreich 36, Steiermark 20, Kärnten 15, Vorarlberg 5, Zentrallehranstalten 10.“1089 Das Bundesheim St. Christoph am Arlberg nimmt tatsächlich eine zentrale Rolle bei der Fortbildung von LehrerInnen aber auch bei der Ausbildung von SkilehrerInnen im Allgemeinen ein. Das Heim gilt – nicht zuletzt aufgrund Stefan Kruckenhausers – als „Keimzelle“ der österreichischen Skilehre. 1925 mit Unterstützung des BMfU errichtet, war das Heim bereits in der Zwischenkriegszeit die „berühmteste Ausbildungsstätte für Skilehrer1090“.Als 1952 der Umbau des Heimes abgeschlossen war, schreibt Leopold Endl sogar davon, dass dies „einen Stein zum Wiederaufbau Österreichs“ darstelle1091. Die Sanierung des Bundesheims St. Christoph war – wie die Rückgewinnung der Hegemonie im alpinen Skisport – ein höchst patriotischer Akt im Dienste eines neuen Nationalgefühls. Der repräsentative Bau ließ keine Wünsche offen. So grüßten am Eröffnungstag des Heimes am 13. Dezember 1952 „die Fahnen Österreichs und seiner neun Bundesländer“ die zahlreichen Gäste; unter ihnen der seit Anfang 1952 amtierende Unterrichtsminister Ernst Kolb (ÖVP), Josef Krzisch vom Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau, der Referent für Leibeserziehung Ferdinand Zdarsky, der Tiroler Landesbaudirektor Josef Stark, ein Vetreter des Landeshauptmanns sowie der Dechant von St. Anton. „Presse, Wochenschau und Rundfunk“ sorgten für die nötige Publicity. Die patriotische Feier begann mit einem Heimatlied, vorgetragen vom Chor der Lehrerbildungsanstalt in Zams in Tirol.1092 Das neue Heim konnte die Fachwelt sofort begeistern, repräsentierte es doch die Tradition des „neuen Österreichs“: „Schöpferisches Künstlertum, handwerkliches Können, Bodenständigkeit und Zweckmäßigkeit, gepaart mit getreuer Sparsamkeit schufen ein harmonisches Ganzes, das dem Arlberg zur Zierde gereicht.“1093 Bundesminister Ernst Kolb eröffnete das Heim mit den Worten: „Das Heim […] soll denen, die selbst der Schule verhaftet sind, die Schönheit der Heimat – insbesondere auch im Winter – zeigen und je mehr nun Gelegenheit haben, Heimat

1089 Erlass des BMfU ZI. 86.848-19/57 betreffend „Lehrerschikurse 1957/58“. 1090 ÖSV: „100 Jahre ÖSV.“ Innsbruck 2005. S. 63. 1091 Endl, Leopold: „Das Bundesheim St. Christoph am Arlberg.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1953. Heft 1/Jahrgang 7.) S. 4. 1092 ebenda. 1093 Endl, Leopold: „Das Bundesheim St. Christoph am Arlberg.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1953. Heft 1/Jahrgang 7.) S. 5.

338 kennen zu lernen und je mehr Gebiete der Heimat und je mehr Stimmungen sie kennenlernen, umso größer wird auch die Liebe zur Heimat sein.“ Als Abschluss der Inszenierung sang man die Bundeshymne.1094 Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: bis 1952 konnten die Gästezahlen im Vergleich zur ersten Nachkriegssaison 1947 beinahe vervierfacht werden (1947: 323 Gäste in 8 Kursen; 1952: 1140 Gäste in 21 Kursen). Insgesamt fanden sich bis 1952 4226 Gäste im Bundesheim in St. Christoph am Arlberg ein1095.

Nun aber zurück zu den Schülerskikursen. Ein Bericht über Schikurse in Salzburg veranschaulicht die Situation der späten 1940er Jahre. Demnach gab es im Winter 1945/46 keinen Kurs; die Winter 1946/47 sowie 1947/48 werden mit „bescheiden“ ausgewiesen. Erst mit dem Winter 1948/49 begann der Skikursbetrieb Fahrt auf zu nehmen mit dem Ziel: „Jeder Klasse ihren Schikurs!“ Dabei ist das Geschlecht der SchülerInnen egal, Buben- und Mädchenschulen wurden gleichwertig behandelt. Die Statistik für den Winter 1948/49 sah so aus, dass in Salzburg 56 einwöchige und 8 dreitägige Kurz-Skikurse veranstaltet wurden mit einer durchschnittlichen Teilnehmerzahl von 26 Kindern pro Kurs. Die Kosten für 7 Tage beliefen sich dabei – je nach Unterkunft – zwischen 63 und 75 Schilling, wobei soziale Unterschiede durch Klassenkassen, Flohmärkte, soziale Umverteilung, Erlöse aus dem Schulbuffet sowie die Nutzung von Freiplätzen in den Unterkünften ausgeglichen wurden. Dazu spendeten die amerikanischen Besatzer sowie das Landesernährungsamt einiges an Grundnahrungsmittel1096. Die Schikursberechnung eines Hauptschullehrers aus Wien sah 1950 wie folgt aus: „Kursbeitrag (Verpflegung, etc.) für 1 Woche 63 Schilling; Unfallversicherung 1,30 Schilling; Bahnfahrt (50% ermäßigt bis Puchberg am Schneeberg) 12,80 Schilling. Insgesamt also 77,10 Schilling plus Leihgebühr für die Schier um 5 Schilling machen 82,10 Schilling!“1097 Die finanziellen Opfer, die die Eltern erbringen mussten, um ihrem Kind die Teilnahme am Skikurs zu ermöglichen, wurden in Kauf genommen. Im Oktober 1949 erscheint ein Erlass des BMfU zur „Regelung der Schulschikurse“, der vermittelt, dass „die pädagogisch wertvollste Form der Schulschikurse […] eine Durchführung von Klassenschikursen [ist], für die eine mindestens 66%ige Teilnahme aller Schüler

1094 Endl, Leopold: „Das Bundesheim St. Christoph am Arlberg.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1953. Heft 1/Jahrgang 7.) S. 6. 1095 ebenda. 1096 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Juni 1949. Heft 10/Jahrgang 3.) S. 16f. 1097 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1950. Heft 5/Jahrgang 4.) S. 16.

339 der Klasse […] erforderlich ist, zu bestreben. An Schulen mit 5- bis 8jähriger Ausbildungszeit hat als Mindestforderung zu gelten, dass jeder Schüler im Verlauf der Schulzeit an zwei Schulkursen teilnimmt.“1098 Skifahren war immer schon ein teurer Sport. Als in einem Erlass des BMfU vom 26. Juni 1952 geregelt wird, dass „den Lehrpersonen […] mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1952 als Aufwandsentschädigung für [...] jeden Ganztag auf Schulschikursen ein Betrag von S 35,- [gebührt] und in jedem Falle Rückersatz der notwendigen Auslagen für die Fahrt [...] und […] Rückersatz für Nächtigung in derselben Höhe, wie sie von den Schülern getragen werden müssen“1099, herrscht wenig Begeisterung. Denn damit ist es noch lange nicht getan. 1962 erscheint in „Leibesübungen und Leibeserziehung“ eine repräsentative Kostenaufstellung für Turnlehrer: „Schi: 1.500,- Schilling; Schistöcke: 150,-; Schischuhe: 500,-; Schihose: 700,-; Anorak: 600,-.“1100 Das Lehrpersonal musste also Anfang der 1960er Jahre mit Ausgaben um die 3.500,- Schilling rechnen, um für die Teilnahme an Skikursen gewappnet zu sein. Um wirklich allen SchülerInnen die Teilnahme an Skikursen zu ermöglichen, gab es seit den frühen 1950er Jahren immer wieder Diskussionen um die Bereitstellung möglicher finanzieller Erleichterung betroffener sozial schwächerer Eltern. Die Thematik schaffte es sogar bis in den Nationalrat, als Abgeordente Johanna Bayer von der ÖVP im Dezember 1959 erörterte: „Besondere Sorge und große finanzielle Schwierigkeiten haben minderbemittelte kinderreiche Eltern mit mehreren Schulkindern. Für sie kann schon ein Skikurs eines Kindes ein finanzielles Problem bedeuten.“1101 Finanzielle Unterstützung fordert sie nicht; im Folgenden geht es um Skibedarf, den die Schule verleihen sollte. Im Jänner 1951 liest man in „Leibesübungen und Leibeserziehung“ aus einem Protokoll der „Vollversammlung des Elternvereins eines Realgymnasiums“, bei dem 890,- Schilling für die kommenden Skikurse gesammelt wurden. Der Turnlehrer wird zur Kostenfrage zitiert: „Ich bin dafür - ich glaube, verehrte Eltern, Sie stimmen mit mir überein - dass lieber die ganze Klasse keinen [Ski-]Kurs haben soll, bevor einer aus geldlichen Gründen daheim bleiben müsste. In keinem darf sich das bittere Gefühl des sozial Zurückgesetzten festsetzen. Auch heuer werden die Buben, die Klassengemeinschaften, durch kleine Schreiben um Spenden bitten, um ein

1098 Erlass des BMfU vom 27. Oktober 1949, Nr. 84.569-IV/16b/49. 1099 Erlass des BMfU vom 26. Juni 1952, ZI. 42.880-IV/20a/52. 1100 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. April 1962. (Heft 4/Jahrgang 16.) S. 20. 1101 Sten. Protokoll der 16. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der IX. Gesetzgebungsperiode. 4.12.1959. S. 544f.

340 Weihnachtsgeschenk zusammen zu bekommen: den Minderbemittelten die Teilnahme am Schikurs zu ermöglichen. Vergangenes Jahr wurden auf diese Weise 1100 S aufgebracht, während die Eltern Vereinigung nur 890,- Schilling beisteuerte. (Starke Bewegung, Rufe wie ‚So wenig!‘, ‚Hört, hört!‘, ‚Muss anders werden!‘)“1102 Die Begründung für die Wichtigkeit des Skikurses bleibt der Turnlehrer nicht schuldig, wenn er sagt: „Die Schikurse sind die Höhepunkte im Schulleben Ihrer Kinder. […] Man spricht viel von staatsbürgerlicher Erziehung, die Schüler sollen davon lernen - in dieser Schiwoche aber wird sie praktische Wirklichkeit. Hier wird das staatsbürgerliche Erleben unmittelbar unter erzieherischen Einfluss gestellt: in der Gemeinschaft zwischen Lehrern und Schülern, und den Schülern untereinander. […] Die Buben lernen unsere Heimat kennen, ja, sie werden in sie vernarrt in sausender Abfahrt. Das andere ist das Gesundheitliche. […] Immer weitere Kreise suchen die Herrlichkeit des winterlichen Wanderns auf Schiern in unseren prachtvollen Bergen […].“1103 Schulskikurse werden tatsächlich als wichtiger Teil der Staatsbürgererziehung angesehen. Dabei spielt das Kennenlernen des Lebens innerhalb einer Gemeinschaft ebenso eine Rolle wie anerzogene Heimatverbundenheit. Als sich der Wiener Landesschulinspektor Gustav Rotter über die Beeinträchtigung des Schulbetriebes durch die Skikurse beschwert, erreicht ihn im Winter 1955/56 ein Brief des Vereins der Wiener Mittelschuldirektoren mit den Worten: „Die gesundheitliche und erzieherische Bedeutung der Schikurse wie auch ihr Wert für die Förderung der Heimatverbundenheit und des staatsbürgerlichen Bewusstseins rechtfertigen die gewisse unvermeidliche Beeinträchtigung des sonstigen Schulbetriebes […].“1104

Liegt das Hauptaugenmerk der Diskussion um den Skikurs in den frühen Jahren auf der Grundsatzfrage „Wie?“, so tauchen im Laufe der 1950er Jahre immer öfter Artikel nach inhaltlicher Gestaltung des Skikurses auf. Die skitechnische Komponente ist dabei klar; einige wenige Artikel befassen sich höchstens mit der Frage, ob am letzten Tag des Kurses ein Wettlauf veranstaltet werden soll (und wenn ja, dann in welcher Form). Zentrales Thema wird die inhaltliche Gestaltung des universellen Problems „Skikurs“. Fortan spielen Vorschläge zur Freizeitgestaltung während der

1102 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1951. Heft 1/Jahrgang 5.) S. 6. 1103 ebenda. 1104 Brief des Vereines der Wiener Mittelschuldirektoren an Landesschulrat Hofrat Dr. Rotter. Zitiert nach: „Der Mittelschullehrer und die Mittelschule“ Februar 1956. (Heft 2/1956.) siehe auch: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Jänner 1957. Heft 1/Jahrgang 11.) S. 12.

341 Schulveranstaltung eine große Rolle. Diese sind eng mit der Vorstellung verbunden, wie man aus Kindern „gute“ StaatsbürgerInnen (ÖsterreicherInnen) macht. Die Verbindung mit dem Skifahren wirkt dabei verstärkend. Fritz Tscherne gibt im Februar 1950 Vorschläge für die Gestaltung der Heimabende. Neben dem gemeinsamen Kennenlernen abseits des Schulbetriebes stehen bei ihm das Singen von Lieder wie „z. B. „Kameraden, wir marschieren, wollen fremdes Land durchspüren" ebenso auf dem Programm wie das Kennenlernen fremder Länder durch Wandergeschichten, das Erwecken der Abenteuerlust durch das Rezitieren von Büchern wie „Kontiki“ des norwegischen Abenteurers Thor Heyerdahl, das Spielen von unverfänglichen Spielen wie „Fingerhut verstecken oder Lieder erraten“ aber auch gewagtere Unterhaltung wie „Der Mörder ist unter uns“, die „Aussprache über das gesunde, natürliche Leben: vom Maßhalten, vom Tagesablauf, von der Leistung, von der Freude der Großstädter", das spielerische Lesen von Hans-Sachs- Spieltexten und das Aufführen von Bauernspielen sowie eine Aussprache betreffend der Thematik „Der Film als die moderne Macht über die Jugend". Der Schlussabend sollte bereits von zu Hause aus geplant werden: „Die Teilnehmer werden aufmerksam gemacht, sich für den Schlussabend etwas zurechtzulegen. Allerdings lasse ich mir jede ‚Attraktion‘ vorführen, damit keine Entgleisungen die Abschiedsstimmung verderben“. Begegnungen mit dem anderen Geschlecht werden - unter Auflagen – geduldet: „Ist zufällig in einer benachbarten Hütte eine höhere Mädchenklasse auf Kurs, so ist sicherlich nichts einzuwenden, wenn gegen Ende der Kurszeit auch einmal unter Mittun der Lehrkräfte ein Tanzabend veranstaltet wird, nur darf er nicht zu lange ausgedehnt werden.“1105 Im Dezember 1952 betont Friedrich Tscherne, dass neben all der Diskussion um die Freizeitgestaltung auf Skikursen die Hauptsache das Skifahren sei: „alles andere [ist] zeitfüllendes Beiwerk.“ Auf die Anstrengung des Skifahrens solle „Muße“ folgen, denn „ihr erwachsen schöne Gedanken, Bilder, Gesang, Musik, aufgeschlossenes, ungezwungenes ‚Sich einander Ansprechen‘. Ein „ins-Gespräch-Kommen‘, wie einem ums Herz ist. Diese Mußezeit ist eine ,gemütvolle‘ Atmosphäre.“ Er empfiehlt es, den Tag gesammelt abzuschließen. „Bestes Zeichen für Güte des Kurses, wenn die Schüler den Tag in Stille beschließen.“ Pathetisch sind seine abschließenden Bemerkungen: „Der Kurs beginnt mit dem Handschlag, mit dem wir jeden Schüler auf dem Bahnhof in das gemeinsame Leben einbeziehen und endet mit einem noch

1105 Tscherne, Fritz: „Die Heimabende auf Schikursen.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1950. Heft 2/Jahrgang 4.) S. 10f.

342 freundlicheren, in dem etwas Neues zu spüren ist, ein seelisches Band, durch diese Woche in Arbeit und Zutrauen geflochten, ein körperlich und innerlich gefestigterer junger Mensch geht nach Hause.“1106 Seit 1950/51 gibt es eine Vielzahl an Artikeln, die geeignete Bücher für die sogenannte „Skikursliteratur“ nennen. So preisen Anzeigen des Verlages für Jugend und Volk die sogenannte „Lektüre für die Skihütte“ an, darunter finden sich Abenteurromane, Reiseliteratur, Bergsteigerromane und Jugendromane. Im Februar 1953 wird sogar die „Tragbare Schikursbücherei“ angepriesen: kleine Heftchen, die nur einen Karton oder kleinen Koffer füllen und „die Schundliteratur auf Schikursen untergräbt!“1107 Wera Derndarsky empfiehlt dabei heiteren Lesestoff aus der Bibliographie Karl Springenschmids1108. Bis 1954 kann man so von einer „Trivialisierung“ des Schulskikurses sprechen, die sich durch die besondere Betonung der Heimabende kennzeichnet, sodass der Eindruck entsteht, dass das Erlernen und die Perfektion der Skitechnik in den Hintergrund gerückt sei. Erst als am Karfreitag 1954 eine Schulklasse aus dem deutschen Heilbronn bei einer Tour am Krippenstein (Dachsteinmassiv) verunglückt, rückt die Skitechnik wieder mehr in den Vordergrund. Nachdem bei diesem Unglück 13 Tote – 3 Lehrer und 10 Schüler zwischen 14 und 16 Jahren – zu beklagen waren, stand die Besinnung auf den Skilauf und die Vorsichtsmaßnahmen im Vordergrund1109. Der oberösterreichische Landeshauptmann Heinrich Gleissner mahnte bei der Verabschiedung der „Dachsteinopfer“: „Diese Toten sollen für unsere Jugend, die in die Berge geht, eine Warnung sein – und Schutzengel zugleich.“1110 Verstärkend wirkt danach der Tod eines Schülers der Bundeslehranstalt Salzburg im März 19591111.

Generell wird dem Skiunterricht an österreichischen Schulen viel Ehre zugesprochen. In einem Artikel zur „Hygiene des Bergsteigers und Schiläufers“ von 1955 liest man:

1106 Tscherne, Friedrich: „Über die Mußestunde auf Schulschikursen.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Dezember 1952. Heft 10/Jahrgang 6.) S. 5. 1107 Tscherne, Friedrich: „Eine tragbare Schikursbücherei.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1953. Heft 2/Jahrgang 7.) S. 9. 1108 Derndarsky, Wera: „Schikurs-Abendgestaltung für 3./4. Klassen (Mädchen).“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1962. (Heft 2/Jahrgang 16.) S. 16. 1109 Artikel wie etwa: Swoboda, Karl: „Vor einem neuen Schiwinter.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1954. (Heft 9/Jahrgang 8.) S. 1-4. Lager, Herbert: „Planvolle Fortbildung im Schilauf.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1954. (Heft 9/Jahrgang 8.) S. 4-6. Koller, Edi: „Unfallfreier Schiunterricht.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1954. (Heft 9/Jahrgang 8.) S. 7f. Lager, Herbert: „Großplanung und Tagesarbeit unserer Schikurse.“ in: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Februar 1955. (Heft 2/Jahrgang 9.) S. 4-9. 1110 Zit. nach: Lehr: „Landeschronik OÖ.“ Wien 1987. S. 383. 1111 Rundschreiben des BMfU vom 21.3.1959, ZI 44.476-19/1959.

343 „Seit etwa 25 Jahren wird der Schilauf in den österreichischen Volks-, Haupt- und Mittelschulen gelehrt und geübt - sicher mit ein Grund, warum Österreich zu den führenden Schiländern zählt.“1112 Für Helmut Aigelsreiter sind im Jahr 1966 die österreichischen Schulen „derzeit eine der stärksten Keimzellen des Schilaufes in Österreich“1113; sieben Jahre später wiederholt er seine Aussage im Vorwort seines Buches „Anleitung für den sportlichen Schilauf in den Schulen und Vereinen1114“.

Die Gesamtübersicht der Schülerskikurse zeigt, dass sich in den Wintern von 1959/60 bis 1962/63 jeweils um die 14.000 SchülerInnen an Schulskikursen beteiligten1115. Über den Winter 1951/52 liest man: „Die Breitenentwicklung hat gegenüber den Vorjahren weiter erheblich zugenommen. Konnte im Winter 1950/51 eine Rekordteilnehmerzahl von 9540 Teilnehmern gemeldet werden, so sind es im Schuljahr 1951/2 12.384 Schüler, die an einem von der Verwaltung durchgeführten Schikurs teilgenommen haben.“1116 Eine Analyse des Winter 1953/54 zeigt eine Gesamtbeteiligung von 42.303 SchülerInnen auf 963 Kursen, hinzu kommen 2732 beteiligte LehrerInnen.1117 Weitere Zahlen konnten nicht ermittelt werden. Vermutlich übertrifft aber die Teilnehmerzahl an Skikursen seit der Mitte der 1950er die Kalkulation: Das BMfU muss in einem Erlass vom Oktober 1956 die Unterbringung von SchülerInnen bei Hüttenwirten regeln1118.

FAZIT.

Matthias Marschik fasste in seinem Grundsatzartikel aus dem Jahre 2006 die Funktionen der Sportgeschichtsschreibung in drei entscheidende Punkte zusammen: 1) sollte Sportgeschichte nicht nur die Darstellung der Geschichte des Sports sein, sondern vielmehr den Sport in seinem kulturellen Kontext betrachten; etwa als Stifter

1112 Jonas, R.: „Hygiene des Bergsteigers und Schiläufers.“ Wien 1954. zit. nach: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. März 1955. Heft 3/Jahrgang 9.) S. 1. 1113 Aigelsreiter, Helmut: „Vom Schulschilauf zum Rennschilauf. Grundschule des (alpinen) Schirennlaufes für die Jugend in Schule und Verein.“ Wien-München 1966. S. 15. 1114 ebenda. S. 4. 1115 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1954. Heft 5/Jahrgang 8.) S. 10. 1116 Bericht über die Schikurse 1951/52 der Verwaltung für Schi- und Schullandheime. zit. nach: Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. November 1952. Heft 9/Jahrgang 6.) S. 13. 1117 Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung“. Mai 1954. Heft 5/Jahrgang 8.) S. 10. 1118 Erlass des BMI vom 4. Oktober 1956, ZI. 90.090-12/56 sowie Beilage zu Min.-Vdg.-Bl. Nr. 130/56 des BMI vom Jänner 1957.

344 von Identität oder als gesellschaftlicher Raum, in dem gesellschaftliche Gruppen agieren. 2) dürfe die Sportgeschichte ihr Thema nicht als wertneutrales Terrain definieren, denn der Sport sei kein Mikrokosmos – er träge vielmehr entscheidend zur Konstruktion der Realität bei. 3) müsse die Sportgeschichte stets Beziehungen zur Gegenwart herstellen, „zugleich historisch und aktuell argumentieren.“1119 Unter diesen Gesichtspunkten möchte ich meine Schlussbemerkungen zu meinen vorangegangenen Ausführungen zum Thema der österreichischen Skination formulieren. Die kulturelle Verflechtung des Sports ist für den Sporthistoriker in der Tat von essentieller Bedeutung. Die Einordnung in den historischen Kontext und das Aufspüren und Bewerten der Funktionen des Sports für die Gesellschaft unterscheiden den Sporthistoriker erst vom Sportchronisten. Ich begann meine Ausführungen eingangs mit einem ausführlichen Kapitel zur Theorie von Nation und Identität. Für den „Sonderfall Österreich“ gilt die Zuschreibung als „verspätete“ Nation als Reaktion auf den Nationalsozialismus. Die romantische Erzählung, dem starken Nationalismus der großen Willensgemeinschaft folge als Konsequenz die Nation, ist dadurch für Österreich nach 1945 nicht brauchbar. Vielmehr beginnt sehr früh ein Wettrennen um das Nationsgefühl; die Frage nach einer österreichischen Identität wird zum nationalen Preisausschreiben. Die Bedeutung des alpinen Skisports für diese emotionale Neutralität hinsichtlich der neuen Nation seitens seiner Bürger ist eine sehr große. So bezeichne ich noch einmal die Erfolge österreichischer SkirennläuferInnen in den späten 1940er, vor allem aber in den 1950er Jahren als „Glücksfall“ für die Nationswerdung. Damit drücke ich aus, dass der identitätsstiftenden Wirkung des alpinen Skirennsports in Österreich weniger Kalkül zugeschrieben werden muss, als ich es anfangs annahm. Zwar ist das Abschneiden österreichischer RennläuferInnen bei internationalen Rennen früh schon ein nationales Anliegen und auch war die Bedeutung österreichischer Skierfolge für die Außenwahrnehmung der neuen Nation bestens bekannt, doch flossen in Österreich nie die großen Summen an Geldern in den Sport um von einer systematischen Lenkung sprechen zu können. Die finanzielle Förderung des (Ski-)Sports in Österreich reichte nie an die der Staaten des

1119 Marschik, Matthias: „Sport und Sportgeschichte, Identitäten und populäre/populare Kulturen.“ in: Kratzmüller, u. a.: „Sport and the Construction of Identities.“ Wien 2007. (104 - 116.) S. 114.

345 Ostblocks, der USA oder Deutschlands heran. Trotzdem schaffte es aber der alpine Skisport, identitätsstiftend zu wirken. Dieses Phänomen möchte ich noch einmal in aller Kürze skizzieren.

1. ALPINER SKISPORT ALS STIFTER ÖSTERREICHISCHER IDENTITÄT.

Nationale Kulturen konstruieren Identität. Der alpine Skisport schaffte es, zur nationalen Kultur zu werden. Die Gründe dafür sind mehrschichtig.

- Dominanz: Erfolge österreichischer SkirennläuferInnen bei internationalen, medial inszenierten Veranstaltungen. - Historisches Erbe: Anteil Österreichs an der Entwicklung der alpinen Skifahrtechnik. - Kalkül: Bewusstsein um den konsolidierenden sowie touristischen Nutzen aus dem Skifahren.

Alle drei angeführten Punkte können dabei darauf zurückgeführt werden, dass Österreich für die Ausführung der Leibesübung „alpiner Skilauf“ geographisch beste Voraussetzungen erfüllt. Ohne von einem/r dem Fatalismus entsprungenen, für den Skilauf „prädestinierten“ ÖsterreicherIn zu sprechen, bietet die österreichische Landschaft eine nützliche Kulisse für rasante Abfahrten. Gerade diese „Landschaft“ bildet so den Ausgangspunkt für sämtliche Überlegungen zum Thema. Das „Land der Berge“ wird mit skifahrenden Einheimischen bespielt, genauso wie es der Tourist, aber auch der Einheimische selbst gerne sieht. „Das Land“ wird – nicht zuletzt durch die Katastrophe von 1938 bis 1945 – zum Kristallisationspunkt aller Unschuldsvermutungen der jungen Nation. Der Schauplatz verlagert sich aus den bürokratisierten, in den Nationalsozialismus extrem verwobenen Städte, hinauf auf die schneebedeckten Hänge der prachtvollen Bergwelt; dorthin, wo niemand die Frage nach Schuld oder Unschuld stellt. In Sphären, wo sich jeder mit dem Wort „du“ anspricht, als Symbol dafür, dass jeder seine Geschichte im Tal gelassen hat und dort einem neuen kollektiv – jenem der Skifahrer – angehört. Das „Schicksal“, in Form von Aktion und Reaktion, legt man in die Hände des Berges, mit den Füßen an zwei Bretter geschnallt. So gelingt es, dem banalen Abfahren eines

346 schneebedeckten Berges auf zwei Latten aus Holz oder einem ähnlichen formbaren Material, eine identitätsstiftende Wirkung zu bezeugen. Diese nach innen Konsolidierende Wirkung des alpinen Skisports ist natürlich eng an touristisches Kalkül geknüpft, gerade nach 1945 war es für Österreich enorm wichtig, durch den Tourismus Geld in die leeren Kassen zu spülen. Es ist wohl der „Rückzug des Österreichers in die Berge“ - der hier vor sich geht – um sich danach als „neuer Mensch aus den Alpen“ der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Als sich 1964 Innsbruck als „Hauptstadt des alpinen Skisports“ inszeniert, sind die Olympischen Spiele wohl nichts anderes als eine bewegte Ansichtskarte aus den Bergen, die den Adressaten versichert, dass sich in Österreich Klischees bestätigen und nichts mehr an etwaige dunkle Kapitel der Vergangenheit erinnert. Mit fortschreitender Industrialisierung des alpinen Skisports verstärkt sich diese Wirkung. Kitzbühel, als Beispiel für die Inszenierung der „Ski-Nation“, wird bald zum „Disney-Land“ einer Sportart, die in Österreich weltberühmt ist. Die Figuren der Starparade sind dabei die SkifahrerInnen und „Legenden“, begleitet von einem Heer an SkilehrerInnen, die sich vor allem in der Kunst des ewigen Reproduzierens selbstinszenierter Klischees bewähren. So funktioniert der alpine Skisport als Symbol für die österreichische Nation. Nur Toni Sailer, als fleischgewordener Wiederaufbaumythos, schafft es, als Individuum in die Sammlung der Republikskleinodien, also der für die kulturelle Repräsentation im Sinne von Identitätsstiftung wichtigen Symbole. „Alpiner Skisport“ jedoch als Sammelbegriff bezeichnet an sich ein solches Symbol der 2. Republik; es ist die Mischung aus Hahnenkammrennen, Seriensiegern, Skilehrern und Skikursen, aus Goldmedaillen und aus Horrorstürzen. Das „wir“ in Österreich ist sehr oft „das Skifahren“; eine Sportart, die aufgrund ihrer emotionalen Aufladung, vor allem aber ihrer Neigung zur Mythenbildung alle Kriterien für die Stiftung einer Identität in Österreich erfüllt.

2. SKIFAHRER/IN IN ÖSTERREICH – ZWISCHEN MYTHOS UND REALITÄT.

Jede Zeit kennt seine Helden. Besonders im Sport. Das ist im alpinen Skilauf nicht anders als im Fußball. Im Kapitel „Akteure“ räumte ich vor allem zwei Skifahrern besonders viel Platz ein: Toni Sailer und Karl Schranz. Bleibt man strikt im von mir vorgegebenen Zeitraum bis 1964, so darf auf die besondere Bedeutung Toni Sailers verwiesen werden. Sein Beitrag am Selbstverständnis Österreichs ist unbestritten,

347 der „schwarze Blitz“ wurde vom Ski-Idol zum Filmstar und letztendlich zur unantastbaren Ikone der Nation. Für die Etablierung einer solchen symbolkräftigen Figur bedarf es natürlich gewisse äußere Umstände: die Siege Toni Sailers kamen genau rechtzeitig, als Österreich von den Fesseln der Besatzung befreit war und auch zeitlich erst dann, als ein junger Kitzbühler keine Fragen bezüglich seiner Vergangenheit vor 1945 aufwarf. Der „Mythos Sailer“ entstammt dabei bestimmt der literarischen Freiheit zeitgenössischer Journalisten; natürlich wusste vor allem sein Biograph, Karl Springenschmid, um die Macht der inszenierten Geschichte(n). Sailer reiht sich damit in eine Reihe beinahe spirituell entrückter Sportler, deren Funktion für ihre Nation, oder besser gesagt für ihr Heimatland, weit über die Dimension ihrer sportlichen Erfolge hinausgeht. Als Beispiele nenne ich Sohn Kee-Chung, der zum Helden Koreas wurde, als er 1936 unter der Flagge der japanischen Besatzer zu Gold lief; die erfolgreichen ungarischen Wasserballer, die sich, kurz nach dem von den sowjetischen Panzern niedergeschlagenen Volksaufstand, im „Blutspiel von Melbourne“ 1956 im brutalen Kampf gegen die Übermacht der UdSSR durchsetzten und folglich Olympiagold holten; oder Diego Maradona, der seine „mano de diós“ erfolgreich im Viertelfinalspiel der WM-Endrunde 1986 gegen England einsetzte und damit die „wie kleine Vögel“ getöteten Argentinier auf den Falklandinseln rächte1120, seinen Landsmännern den goldenen Pokal aus Mexiko mitnehmen konnte. Nirgendwo sonst als in Argentinien wird seither Sport und Politik so sehr verknüpft1121. Die Inszenierung einer Sport-Legende braucht den politischen Hintergrund; exogene Kräfte, denen sich der Held widersetzen muss. Cassius Clay würde nicht wie Muhammad Ali bis heute ein sogenannter „Weltstar“ sein. Die Liste derer ist lang; selbst heute, in einer scheinbar entzauberten Welt, gelingt Sportlern noch dieser große Wurf: die griechische Fußballnationalmannschaft etwa, die sich trotz aller Widerstände bei europäischen Großveranstaltungen den großen Übermächten erwehren kann; oder der serbische Tennisspieler Novak Đoković, der seinem oftmals negativ besetzten Heimatland nach bewegten Jahren durch sein erfolgreiches Spiel einen guten Dienst erweist, sodass er dafür in seiner Heimat mit Orden überhäuft wird1122. Die Autobiographie Karl Schranz‘, sowie die nüchterne Analyse der SkifahrerInnenbiographien nach klar definierten Kategorien bildet den Gegenpol zur

1120 Maradona: „The Autobiography.“ New York 2007. S. 128. 1121 Siehe v.a.: Albarces, Pablo: „Für Messi sterben? Der Fußball und die Erfindung der argentinischen Nation.“ Berlin 2010. 1122 OÖ Nachrichten vom 23. 6. 2012. S. 20. Artikel: „Novak Academy als Symbol Serbiens.“

348 Untersuchung des „Mythos Sailer“. Dort wird die Lebenswelt von damaligen alpinen SkirennläuferInnen nachvollzogen, bewusst im ständigen Vergleich mit dem Klischee des schelmisch grinsenden und feschen Naturburschen. Natürlich musste für den Erfolg hart trainiert werden. Natürlich steckt hinter zwei derben Holzlatten die Anstrengung einer ganzen Ski-Technologie. Die große Frage, die ich mir zu Beginn meiner Recherchen stellte, war, inwiefern sich ein(e) österreichische(r) SkirennläuferIn bewusst als ÖsterreicherIn sah und sich bewusst als solche(r) inszenierte. Dabei tat sich mir folgende Hierarchie auf: an erste Stelle setzt der/die österreichische alpine SkliläuferIn den eigenen Erfolg; danach den ihres Skiklubs; danach ihrer „Region“; danach ihres Bundeslandes und danach den Erfolg ihrer Nation. Skifahren ist und bleibt ein Einzelsport, die egozentrische Komponente wird dabei nicht verschwiegen. Sowohl bei Sailer als auch bei Schranz erkennt man die Voranstellung des „Ichs“ über das Kollektiv. Die Verbände intervenieren hier (in meinem Beobachtungszeitraum noch) nicht. Der Zusammenhalt wird lediglich durch einheitliche Kleidung und kollektives Erscheinen bei PR- Veranstaltungen vermittelt. Erst später, als die gelebte Freundschaft unter den Mitgliedern des Teams nach außen hin unverzichtbar wurde, liest man in den Biographien von Sailer und Schranz von Patriotismus und Mannschaftsgefühlen. Der „Ski-Star“ an sich bleibt durch die Verschreibung als Egoist jedoch unbeschadet: von Toni Sailer über Karl Schranz, Franz Klammer bis zu Hermann Maier wird diese Charaktereigenschaft nicht negativ bewertet.

3. REPRÄSENTATION, INSZENIERUNG UND REPRODUKTION DER „SKI-NATION“.

Bereits in den frühen Jahren der 2. Republik wird das Thema „Sport“ von der Politik aufgegriffen. Nachdem in den Jahren 1938-45 die vollkommene Vereinnahmung der Leibesübungen durch die nationalsozialistische Ideologie offensichtlich war, setzen die Theoretiker nach 1945 auf die Rückkehr zu der in den 1920er Jahren entdeckte „Natürlichkeit“ des Sports, fernab von Drill und Zwang. Der alpine Skisport eignet sich dabei besonders gut, soweit man dem zu befahrenden Hang die Richtung der Bewegung vorgeben lässt. Skifahren wird mit dem Traum vom Fliegen ohne technische Hilfsmittel gleichgesetzt; es sei die natürlichste Form des Österreichers mit seiner Umwelt zu interagieren.

349 Die große staatliche Lenkung dorthin ist nicht ersichtlich. Zwar basiert die politische Steuerung des Sportes in Österreich zwischen 1945 und 1964 auf dem überparteilichen Konsens, den Sport der 2. Republik anders zu gestalten als jenen des 3. Reiches, doch überlässt man die Praxis den Turntheoretikern und -lehrern. Die inszenierte österreichische „Ski-Nation“ hat mit dieser „Natürlichkeit“ wenig zu tun. Als es darum geht, große (Ski-) Sportveranstaltungen in Österreich zu organisieren, werden enorme Geldsummen in Skiliftanlagen, Pisten und den nötigen technischen Schnickschnack investiert. Die Natürlichkeit muss hier der Perfektion weichen; allzu Stolz sind die Organisatoren auf ihre „beeindruckenden“ Alpinen Skiweltmeisterschaften 1958; Innsbruck präsentierte sich 1964 als die „Heimat des alpinen Skilaufs“ auf perfekt inszenierter Bühne. Der martialische Drill der Nazis wich schon bald einer neuen Prämisse, derer man sich aber nicht weniger ehrgeizig verschrieb: das Streben nach Hegemonie im Skisport. Hinter den Anstrengungen, diese Hegemonie zu verwirklichen, liegt ein großes Maß an Kalkül der „Skiszene“ aus Skiindustrie, Tourismus und erst danach der Politik. Es sind tatsächlich vor allem wirtschaftliche Gründe, die den Skisport so attraktiv für die Politik und letztlich für ganz Österreich mach(t)en. Erfolgreiche „Ski-Stars“, weltbekannte Skigebiete, professionelle Skilehrer, die ständige Neuerfindung der Skilehre – so wird das Bild eines für die Winterfreuden perfekt geeigneten Landes konstruiert. Österreich ist das Land, das sich so sehr dem Wintersport verschreibt, dass es seinem Bundesheer für die Austragung von Skirennen den Großeinsatz befiehlt. Die Indoktrination der Kinder gewährleistet dieser „Ski-Nation“ das längerfristige Überleben. Auf Skikursen wird eine neue Generation an SkifahrerInnen erzogen; Skikurse gelten als wichtiger Teil der „Staatsbürgererziehung“. Es geht so weit, dass Kritiker des österreichischen Skilaufs angefeindet werden: bezeichnet man den als beinahe göttliche Offenbarung gehandelten österreichischen „Schilehrplan“ als mangelhaft, kommt dies fast einem Hochverrat gleich. Die Demonstration der österreichischen Überlegenheit in skifahrerischen Belangen bei Kongressen der internationalen Skilehrerschaft wird gefeiert wie einst ein Sieg auf dem Schlachtfeld.

350 4. ÜBER BESTÄTIGTE ANNAHMEN UND NICHT BEWIESENE THESEN: ERGEBNISSE.

Meine These, der österreichische alpine Skisport diene vor allem dazu, um sich in Form einer vormodernen Fortbewegung dem Schatten der nationalsozialistischen Vergangenheit zu entziehen, konnte ich nicht beweisen. Zwar komme ich im Text immer wieder darauf, wie wichtig der alpine Skilauf für die neue Identität Österreichs nach 1945 war und ist, doch wohnt dem alpinen Skisport nicht an sich die Negation zum „Preußentum“ inne. Diese Erkenntnis bewahrte diese Arbeit davor, zu einer monotonen Beweisführung zu verkommen. Zwar zielen alle meine Beobachtungen darauf ab, zu zeigen, inwiefern die Thematik „alpiner Skisport“ identitätsstiftend wirkt, doch musste ich mich diesem Ziel immer von neuem nähern, um letzten Endes doch wieder davon abzukommen. Es darf niemals der zeitgeschichtliche Kontext aus den Augen gelassen werden. Retrospektiv kann ich sagen, dass der alpine Skisport auch zum Symbol des neuen, antinationalsozialistischen Österreichs wurde. Der Glücksfall der Erfolge der SportlerInnen, gepaart mit der geographischen Verankerung und der damit verbundenen „Alltäglichkeit“ des Skilaufs im Westen gab diesem Sport seine Sonderrolle als „Heimatmacher“, er besitzt darauf allerdings keine Exklusivrechte. Zum Schluss dieser langen Arbeit widme ich mich einer kurzen Zusammenfassung meiner Ergebnisse, denn nicht nur im Sport zählt am Ende doch nur der Erfolg. An Stelle der Saisonbilanz als Leistungsindikator biete ich einen Überblick über meine Erkenntnisse, die ich in den letzten Jahren durch diese Arbeit gewonnen habe. Mit dieser Arbeit konnte ich Folgendes zeigen: - Die Nationswerdung, vor allem aber die Identität Österreichs wurde positiv vom alpinen Skisport beeinflusst: der alpine Skisport bietet dem/der ÖsterreicherIn ein Stück Heimat, das historisch unbelastet ist und dem kleinen Staat globale Bedeutung zukommen lässt. - Das Image der/des Österreicherin/Österreichers erhält durch den alpinen Skisport eine landschaftszentrierte, politisch unbedenkliche Dimension. - Der alpine Skisport wurde in Österreich zum Symbol der Nation. „Die Piste“ wird zum öffentlichen Raum für das Aufleben eines österreichischen Nationalismus, egal in welchem Teil der Erde sie sich befindet. Kitzbühel funktioniert dabei als zentraler Erinnerungsort in Österreich; Cortina d’Ampezzo als Gedächtnisort außerhalb des Staatsgebietes.

351 - Toni Sailer wurde durch seine Siege zur richtigen Zeit die Ikone des österreichischen Wiederaufbaus und bescherte ein neues Maß an Selbstbewusstsein. Politische Unbedenklichkeit, latente Antimodernität sowie sympathische Naivität zeichnen den/die SkiläuferIn der „langen 1950er Jahre“ aus. Bei Sailer spielt die Inszenierung dabei eine wichtige Rolle: diese funktioniert von innen wie von außen und resultiert im perfekten Klischee des „schwarzen Blitz“, das er später in Heimatfilmen reproduziert. - Der alpine Skisport präsentiert sich geschichtslos und wird auch so konsumiert. Sämtliche Organisationen, Vereine und Personen entkommen den Jahren 1938-45 unbeschadet. - Alpiner Skisport wird schon früh in der 2. Republik zum Politikum. Dieses Phänomen präsentiert sich dabei allerdings nicht als top-down Prozess, sondern wird vielmehr von der Skiszene induziert. Deshalb darf die Rolle der Politik beim Aufstieg des alpinen Skisports zum Nationalsport gering eingeschätzt werden; relevante Forderungen kommen aus dem Sport und werden von der Politik erhört. - Der Alpine Skisport trägt so weit zum österreichischen Selbstverständnis bei, dass die Olympischen Spiele 1964 in Innsbruck als „Spiele in der Heimat des Skisports“ verstanden werden. - Zwar wirkt der alpine Skisport konsolidierend, trotz allem scheint eine Zweiteilung des Landes allerdings unvermeidbar: während der bergige Westen mühelos die vom Skisport initiierten Klischees erfüllen kann, bleibt dem Rest des Landes die (hoch-)kulturelle Fixierung auf die Bundeshauptstadt Wien. Die Stadt bemüht sich, ihrer Mittelmäßigkeit zu entkommen: als Vermittler zwischen dem Westen und dem Ostblock. Sportlich bleibt „den Wienern“ der mittelmäßige Fußball, der nie die Erfolge der SkifahrerInnen in den Schatten stellen kann, für die Austragung Olympischer (Sommer-)Spiele reichte es bis heute nicht. Es bleibt dem Osten des Landes die patriotische Anteilnahme am Skikönnen der westlichen Landsfrauen (und –männer), die man von der Ferne aus betrachtet wie das Treiben in einer Schneekugel; im Sommer paradieren die Skistars wie exotische Tiere durch die betonierte Stadt als wären sie Heimkehrer – und doch sind sie nur auf Stippvisite in der Hauptstadt, die sich den folkloristischen Akt das ganze Jahr über einiges kosten lässt.

352 - Die Erziehung österreichischer Kinder zum alpinen Skilauf wird gleichgesetzt mit der Erziehung der Kinder zum Österreicher. Vor allem „die Landschaft“ soll bei der Jugend als heimatlicher Sehnsuchtspunkt funktionieren.

BIBLIOGRAPHIE.

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Zeitschrift „Leibesübungen und Leibeserziehung.“ Erschienen im Auftrage des Bundesministeriums für Unterricht. Hrsg: Bundesanstalten für Leibeserziehung in Wien, Graz und Innsbruck.“: Artikel mit unbekanntem Autor:  Artikel: „Bekanntmachung über den 1. Krückenschikurs für Oberschenkelamputierte im ÖSV.“ Ausgabe vom Dezember 1946. (Heft 4/Jahrgang 1.) S. 22.  Artikel: „Bericht über die Schikurse 1951/52 der Verwaltung für Schi- und Schullandheime.“ zit. nach: Ausgabe vom November 1952. Heft 9/Jahrgang 6.) S. 13.  Artikel: „Brief des Vereines der Wiener Mittelschuldirektoren an Landesschulrat Hofrat Dr. Rotter.“ Zitiert nach: „Der Mittelschullehrer und die Mittelschule“ Februar 1956. (Heft 2/1956.) siehe auch: „Leibesübungen und Leibeserziehung.“ Jänner 1957. Heft 1/Jahrgang 11.) S. 12.  Artikel: „Die Bilanz von Tschagguns.“ Ausgabe vom April 1947. (Heft 8/Jahrgang 1.) S. 20f.  Artikel: „Radiovortrag von Doz. Dr. Groll.“ zitiert nach: Ausgabe vom Jänner/Februar 1947. (Heft 5,6/Jahrgang 1.) S. 18.  Artikel: „Vom Spielcharakter des Schisports“ aus: Ausgabe vom November 1946. (Heft 3/Jahrgang 1.) S. 5f. Einzelne Passagen aus:

353  Ausgabe vom April 1947. (Heft 8/Jahrgang 1.) S. 21.  Ausgabe vom April 1959. (Heft 4/Jahrgang 13.) S. 17.  Ausgabe vom April 1962. (Heft 4/Jahrgang 16.) S. 20.  Ausgabe vom August 1948. (Heft 12/Jahrgang 2.) S. 12.  Ausgabe vom Dezember 1947. (Heft 4/Jahrgang 2.) S. 21.  Ausgabe vom Dezember 1948. (Heft 4/Jahrgang 3.) S. 17.  Ausgabe vom Dezember 1948. (Heft 4/Jahrgang 3.) S. 23.  Ausgabe vom Dezember 1952. (Heft 10/Jahrgang 6.) S. 4.  Ausgabe vom Dezember 1953. (Heft 10/Jahrgang 7.) S. 12f.  Ausgabe vom Dezember 1955. (Heft 10/Jahrgang 9.) S. 17.  Ausgabe vom Dezember 1959. (Heft 10/Jahrgang 13.) S. 16.  Ausgabe vom Dezember 1962. (Heft 10/Jahrgang 16.) S. 9.  Ausgabe vom Februar 1959. (Heft 2/Jahrgang 13.) S. 16.  Ausgabe vom Februar 1959. (Heft 2/Jahrgang 13.) S. 17.  Ausgabe vom Februar 1959. (Heft 2/Jahrgang 13.) S. 8.  Ausgabe vom Februar 1960. (Heft 2/Jahrgang 14.) S. 16.  Ausgabe vom Februar 1960. (Heft 2/Jahrgang 14.) S. 16.  Ausgabe vom Februar 1962. (Heft 2/Jahrgang 16.) S. 22ff.  Ausgabe vom Jänner 1951. (Heft 1/Jahrgang 5.) S. 20.  Ausgabe vom Jänner 1951. (Heft 1/Jahrgang 5.) S. 6.  Ausgabe vom Jänner 1951. (Heft 1/Jahrgang 5.) S. 6.  Ausgabe vom Jänner 1956. (Heft 1/Jahrgang 10.) S. 17.  Ausgabe vom Jänner 1962. (Heft 1/Jahrgang 16.) S. 19.  Ausgabe vom Jänner/Februar 1948. (Heft 4,6/Jahrgang 2.) S. 26.  Ausgabe vom Juli 1948. (Heft 11/Jahrgang 2.) S. 19f.  Ausgabe vom Juli 1960. (Heft 7/Jahrgang 14.) S. 16.  Ausgabe vom Juli/August 1946. (Heft 1/Jahrgang 1.) S. 16.  Ausgabe vom Juli/August 1946. (Heft 1/Jahrgang 1.) S. 2.  Ausgabe vom Juni 1949. (Heft 10/Jahrgang 3.) S. 16f.  Ausgabe vom Juni 1950. (Heft 6/Jahrgang 4.) S. 18f.  Ausgabe vom Mai 1950. (Heft 5/Jahrgang 4.)  Ausgabe vom Mai 1950. (Heft 5/Jahrgang 4.) S. 16.  Ausgabe vom Mai 1950. (Heft 5/Jahrgang 4.) S. 19.  Ausgabe vom Mai 1951. (Heft 5/Jahrgang 5.) S. 13.  Ausgabe vom Mai 1954. (Heft 5/Jahrgang 8.) S. 10.  Ausgabe vom Mai 1954. (Heft 5/Jahrgang 8.) S. 10.  Ausgabe vom März 1950. (Heft 3/Jahrgang 4.) S. 15.  Ausgabe vom März 1950. (Heft 3/Jahrgang 4.) S. 15.  Ausgabe vom März 1961. (Heft 3/Jahrgang 15.) S. 20.  Ausgabe vom November 1946. (Heft 3/Jahrgang 1.) S. 20.  Ausgabe vom November 1947. (Heft 3/Jahrgang 2.) S. 18.

354  Ausgabe vom November 1947. (Heft 3/Jahrgang 2.) S. 18f.  Ausgabe vom November 1962. (Heft 9/Jahrgang 16.) S. 18.  Ausgabe vom Oktober 1947. (Heft 2/Jahrgang 2.) S. 22.  Ausgabe vom September 1947. (Heft 1/Jahrgang 2.) S. 22..  Auszug aus der Festrede Leopold Figls im Rahmen der Feier „950 Jahre Österreich“ am 29.9.1946. aus: Ausgabe vom September/Oktober 1946. (Heft 2/Jahrgang 1.) S. 5.

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Publikationen des Österreichischen Olympischen Komitees:  Österreichisches Olympisches Comité (Hrsg.): „Olympia ruft Österreich.“ Wien 1948.  Österreichisches Olympisches Comité (Hrsg.): „Olympia – Fest der Völker. St. Moritz – London 1948.“ (=Österreichisches Olympiawerk Bd. I und II.) Wien 1948.  Österreichisches Olympisches Comité (Hrsg.): „VI. Olympische Winterspiele Oslo 1952.“ (=Bd. 1 des Olympiawerkes 1952.) Wien 1952.  Österreichisches Olympisches Comité (Hrsg.): „Olympia 1956: Winterspiele Cortina. Das offizielle Standardwerk des Österreichischen Olympischen Comités.“ Wien 1956.  Österreichisches Olympisches Comité (Hrsg.): „Olympia in Österreich.“ Wien-München 1964. Daraus die Artikel: - Bernegger, Kurt: „Das Herz der Winterspiele schlägt alpin...“ S. 20-23. - Bernegger, Kurt: „Der Marsch auf die Winterspiele 1964.“ S. 24-36. - Bernegger, Kurt: „Von Trude Beiser bis Ernst Hinterseer.“ S. 77-84. - Bernegger, Kurt: „Winterspiele in einer Skistadt.“ S. 47f. - Jeschko, Kurt: „Österreich in Olympia.“ - Kolneder, Fritz: „Das große finanzielle Opfer.“ S. 38-40. - Rößner, Fred: „Die Hypothek von Chamonix.“ S. 92-96. - Souk, Bertil: „Der Österreicher und sein Olympischer Traum.“ S. 67-69. - Souk, Bertil: „Olympische Flamme in Österreich.“ S. 18-20.  Österreichisches Olympisches Comité (Hrsg.): „Offizieller Bericht der IX.OIympischen Winterspiele Innsbruck 1964.“ Innsbruck 1964.

Stenographische Protokolle der Nationalratssitzungen Österreichs:  Stenographisches Protokoll der 105. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich der IX. Gesetzgebungsperiode. 12.7.1962.  Sten. Prot. der 108. Sitzung des NRdRÖ, IX. GP. 23.7.1962.  Sten. Prot. der 16. Sitzung des NRdRÖ, VIII. GP. 7.12.1956.  Sten. Prot. der 16. Sitzung des NRdRÖ, IX. GP. 4.12.1959.  Sten. Prot. der 18. Sitzung des NRdRÖ, V. GP. 24.5.1946.  Sten. Prot. der 19. Sitzung des NRdRÖ, VI. GP. 15.3.1950.  Sten. Prot. der 23. Sitzung des NRdRÖ, VI. GP. 31.3.1950.  Sten. Prot. der 36. Sitzung des NRdRÖ, V. GP. Freitag, 6.12.1946.

358  Sten. Prot. der 38. Sitzung des NRdRÖ, VI. GP. 8.12.1950.  Sten. Prot. der 39. Sitzung des NRdRÖ, X. GP. 11.12.1963.  Sten. Prot. der 43. Sitzung des NRdRÖ, VIII. GP. 5.12.1957.  Sten. Prot. der 49. Sitzung des NRdRÖ, IX. GP. 2.12.1960.  Sten. Prot. der 6. Sitzung des NRdRÖ, X. GP. 13.3.1963.  Sten. Prot. der 64. Sitzung des NRdRÖ, VIII. GP. 22.10. 1958.  Sten. Prot. der 69. Sitzung des NRdRÖ, VI. GP. Samstag, 8.12.1951.  Sten. Prot. der 71. Sitzung des NRdRÖ, VIII. GP. 5.12.1958.  Sten. Prot. der 71. Sitzung des NRdRÖ, VII. GP. 22.6.1955.  Sten. Prot. der 87. Sitzung des NRdRÖ, VII. GP. 15.12.1955.  Sten. Prot. der 93. Sitzung des NRdRÖ, VI. GP. 25.6.1952.  Sten. Prot. der 94. Sitzung des NRdRÖ, IX. GP. 7.3.1962.  Sten. Prot. der 96. Sitzung des NRdRÖ, V. GP. 13.12.1948.  Sten. Prot. der 99. Sitzung des NRdRÖ, V. GP. 16.12.1948. Hinzu:  „55. Bundesgesetz vom 13. März 1963, betreffend die Förderung der Olympischen Winterspiele 1964 in Innsbruck.“ BGBl für die Republik Österreich, ausgegeben am 21.2.1963, Stück 14, Jahrgang 1963. S. 154.  „55. Bundesgesetz vom 18. Dezember 1948, betreffend die Einführung des Sporttotos (Sporttoto-Gesetz).“ BGBl für die Republik Österreich, ausgegeben am 15.3.1948, Stück 12, Jahrgang 1948. S. 273f.

Amtliche Erlässe u.ä.:  Erlass des Bundesministeriums für Unterricht vom 10. 10. 1958, ZI 89.281-19/58.  Erlass des BMfU ZI. 86.848-19/57 betreffend „Lehrerschikurse 1957/58“.  Erlass des BMf Inneres vom 4. Oktober 1956, ZI. 90.090-12/56 sowie Beilage zu Min.-Vdg.-Bl. Nr. 130/56 des BMfI vom Jänner 1957.  Erlass des BMfU vom 26. Juni 1952, ZI. 42.880-IV/20a/52.  Erlass des BMfU ZI 81.333-IV/19b/52 vom Oktober 1952.  Erlass des BMfU Nr. 82.598-IV/16b vom 14.10.1948. aus: „Leibesübungen und Leibeserziehung.“ Oktober 1948. (Heft 2/Jahrgang 3.) S. 20.  Erlass des BMfU Nr. 84.569-IV/16b/49 vom 27. Oktober 1949.  Erlass des BMfU vom 17.4.1946. Zahl 73/71-IV/KE. veröffentlicht in: „Leibesübungen und Leibeserziehung.“ Juli/August 1946. (Heft 1/Jg. 1.) S. 24.  Erlass des BMfU ZI. 78.841-IV/19b/51 vom 19.12.1951.  Erlass des BMfU ZI. 78.841-IV/19b/51 vom 19.12.1951.  Erlass des BMfU, ZI 38.222 vom 26. Oktober 1946. veröffentlicht in: „Leibesübungen und Leibeserziehung.“ September/Oktober 1946. S. 23f.  „Ausschreibung für die Aufnahmsprüfung für die Schilehrerausbildung 1962/63.“ in: „Leibesübungen und Leibeserziehung.“ November 1961. (Heft 9/Jahrgang 15.) S. 23f.  Rundschreiben des BMfU vom 21.3.1959, ZI 44.476-19/1959.

359

Wochenschauberichte, Filme:  „Austria Wochenschau“ Nr. 12/1950, Beitragsnummer 1. Erscheinungsdatum: 27.1.1950. Titel: „Skikanonen am Tanzparkett“.  „Austria Wochenschau“ Nr. 12/1953, Beitrag 9 am 20.3.1953. Titel: „Internationales Kandahar- Skirenner 1.Teil. Am Mikrophon: Heribert Meisel.“  „Austria Wochenschau“ Nr. 21/1950, Beitrag 3. Erscheinungsdatum: 31.3.1950. Titel: „Heimkehr unserer FIS Kämpfer“.  „Austria Wochenschau“ Nr. 22/1950, Beitrag 2 am 7.4.1950. Titel: „Ehrung der österreichischen FIS-Kämpfer.“  „Austria Wochenschau“ Nr. 3/1949, Beitrag 10 am 25.11.1949. Titel: „Österreichs FIS- Kämpfer trainieren auf der Zugspitze“.  „Austria Wochenschau“ Nr. 3/1963, Beitrag 6 am 18.1.1963. Titel: „Sport: Triumphe unserer Ski-Mädel.“  „Austria Wochenschau“ Nr. 46/1963, Beitragsnr. 11 am 15.11.1963. Titel: „SPORT: Bundesheer bei Olympiade-Vorbereitungen.“  „Austria Wochenschau“ Nr. 6/1958, Beitragsnr. 6 am 7.2.1958. Titel: „GROSSBERICHT VON DEN SKIWELTMEISTERSCHAFTEN: Weltmeister Josl Rieder.“  „Austria Wochenschau“ Nr. 7/1958, Beitrag 7 am 14.2.1958. Titel: „SKIWELTMEISTERSCHAFTEN: Toni Sailer 3-facher Weltmeister.“  „Austria Wochenschau“ Nr. 7/1964, Beitrag 3 am 14.2.1964. Titel: „IX.Olympische Winterspiele Innsbruck 1964: Österreichs Damenteam triumphiert in der Abfahrt.“  „Austria Wochenschau“ Nr. 8/1951, Beitrag 9 am 23.2.1951. Titel: „Von den Skimeisterschaften Haus im Ennstal, Badgastein und Innsbruck.“  „Austria Wochenschau“ Nr. 8/1963, Beitragsnr. 8 am 22.2.1963. Titel: „OLYMPIA- GENERALPROBE IN INNSBRUCK: Eröffnung der Skilifte in der Axamer Lizum.“  „Austria Wochenschau“ Nr. 8/1964, Beitrag 7 am 21.2.1964. Titel: „Westbahnhof: Triumphaler Empfang für unsere Olympioniken.“  Film: „Der weiße Rausch – neue Wunder des Schneeschuhs.“ Von Arnold Franck. Deutschland 1931.  Film: „Ein Stück vom Himmel.“ Regie: Rudolf Jugert. BRD 1957.  Film: „Sansone e il tesoro degli Incas.“ Italien 1964.  Film: „Ski Heil! Die zwei Bretter, die die Welt bedeuten“ von Richard Rossmann jun. Österreich 2009.  Film: „Tausend Sterne leuchten.“ Regie: Harald Philipp. Deutschland 1959.  Film: „Zwölf Mädchen und ein Mann.“ Regie: Hans Quest. Österreich 1959.

Zeitgenössische Publikationen:  „Monatsberichte des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung.“ Jahrgang XXIV. Wien 1951. S. 305f.

360  Aigelsreiter, Helmut und Ortner, Sepp: „Anleitung für den sportlichen Schilauf in den Schulen und Vereinen.“ Wien 1973.  Aigelsreiter, Helmut: „Vom Schulschilauf zum Rennschilauf. Grundschule des (alpinen) Schirennlaufes für die Jugend in Schule und Verein.“ Wien-München 1966.  Baumrock, Fritz: „Zur Bewegungslehre des Schilaufs mit Beinspiel.“ Ausgabe vom Februar 1956. (Heft 2/Jahrgang 10.) S. 9ff.  Bausenwein, Inge und Hoffmann, Auguste: „Frau und Leibesübungen. Auswertung einer Umfrage über die Rolle der Leibesübungen in den Lebensgewohnheiten der Bevölkerung.“ Mülheim/Ruhr 1967.  Benk, Franz: „Die Geschichte des Skilaufs und seine wirtschaftliche Bedeutung.“ Dissertation. Innsbruck 1952.  Berka, Günther: „Gibt es eine österreichische Nation?“ (=Eckhart-Schriften, Heft 7.) Wien 1961.  Bosio, Harald: „Das Training des Skiläufers.“ Wien-Leipzig 1936.  Burger, E. W. und Groll, Hans: „Leibeserziehung. Gundsätzliches – Methodisches – Stoffliches.“ Wien 1949.  Cranz, Christel: „Skilauf für die Frau.“ Aalen 1935.  Deutscher Sportbund (Hrsg.): „XVI. Olympiade 1956. Erlebnis und Erinnerung. Bd. 1: VII. Olympische Winterspiele Cortina d’Ampezzo.“ Frankfurt/Main 1956.  Diem, Carl: „Leibeserziehung.“ Schorndorf 1959.  Diem, Carl: „Wesen und Lehre des Sports und der Leibeserziehung.“ Berlin 1960.  Diem, Liselott: „Vernünftige Leibeserziehung.“ Frankfurt –Wien 1962.  Dießner, G.; Köhler, L.; Möser, G.: „Skilauf in der Schule.“ Berlin 1961.  Ehrler, Wilfried: „Skiliteratur. Deutschsprachige Veröffentlichungen von den Anfängen des Skilaufes in Mitteleuropa bis zum Jahre 1959.“ Leipzig 1961.  Eichel, Wolfgang u.a. : „VII. Olympische Winterspiele Cortina d’Ampezzo 1956.“ Ost-Berlin 1956.  Endres, Hans und Bedal, Karl: „Toni der kleine Skilehrer.“ München 1962.  Gaulhofer, Karl und Streicher, Margarete: „Grundzüge des Österreichischen Schulturnens.“ Wien 1922.  Gelehrter, Georg: „Verletzungen beim Wintersport.“ Stuttgart 1966.  Gmoser, Rupert: „Wie denken Herr und Frau Österreicher über Österreich?“ in: Massiczek, Albert (Hrsg.): „Die österreichische Nation. Zwischen zwei Nationalismen.“ Wien 1967. S. 37- 68.  Groll, Hans (Hrsg.): „Zur Bewegungslehre des Schilaufs.“ Wien-München 1969.  Haas, Karl und Maurer, Heinrich: „Ski-Abfahrt. So fährt man heute – so lehrt man heute!“ Graz-Wien 1947.  Hoffmann, Heinrich (Hrsg.): „Wie die Ostmark ihre Befreiung erlebte.“ Berlin 1940.  Jeschko, Kurt: „Pisten-Artisten. Eine Kurzgeschichte des alpinen Schisports.“ Wien-München 1963.

361  Klinge, Erich und Dapper, Sophie: „Deutsches Mädchenturnen für Volksschule und höhere Schule, Unter- und Mittelschule.“ Berlin 1935.  Klöss, Erhard (Hrsg.): „Reden des Führers. Politik und Propaganda Adolf Hitlers 1922-1942.“ Nördlingen 1967.  Kruckenhauser, Stefan: „Du schöner Winter in Tirol. Ski- und Hochgebirgs-Erlebnisse mit der Leica.“ Berlin 1937.  Lorenz, Otto (Hrsg.): „Olympische Spiele 1960. Squaw Valley-Rom.“ (Österreich-Edition.) Innsbruck 1960.  Lunn, Arnold: „The Story of Ski-ing.“ London 1952.  Maegerlein, Heinz: „Olympia 1960. Band: VIII. Olympische Winterspiele Squaw Valley.“ Wiebelsheim 1960.  Martius, Hans: „Das kleine Frauenbuch.“ Stuttgart 1958.  Mehl, Erwin: „Grundriss der Weltgeschichte des Schifahrens. Der Weg eines steinzeitlichen Jagdgerätes zum modernen Sportgerät.“ Schorndorf bei Stuttgart 1964.  Meisel, Heribert und Winkler, Hans-Jürgen: „Olympia 1964. Die Jugend der Welt in Innsbruck und Tokio.“ München 1964.  Missong, Alfred (Red.): „Die Österreichische Nation.“ (=Österreichische Monatshefte – Blätter für Politik. (Heft 16.) Wien 1946.  Nansen, Fridtjof: „Auf Schneeschuhen durch Grönland.“ dt. Übersetzung. Hamburg 1891.  Pfeiler, Helfried: „Werden und Wesen der Republik Österreich. (=Eckhart-Schriften, Heft 21.) Wien 1967.  Renner, Karl: „Denkschrift über die Geschichte der Unabhängigkeitserklärung Österreichs und die Einsetzung der provisorischen Regierung der Republik.“ Wien 1945.  Sailer, Toni: „Mein Weg zum dreifachen Olympiasieg.“ Salzburg-Stuttgart 1956.  Schranz, Karl: „2x Weltmeister.“ München 1963.  Sellheim, Hugo: „Frauengymnastik im Lichte der funktionellen Entwicklung.“ Leipzig 1931.  Sheperd, Gordon: „Die österreichische Odyssee.“ (dt. Übersetzung) Wien 1958.  von Ditfurth, Christina: „Die Welt ist meine Heimat.“ Norderstedt 2005.  von Tschammer und Osten, Hans (Hrsg.): „Skilauf.“ Berlin 1936.

2. SEKUNDÄRLITERATUR.

 Albarces, Pablo: „Für Messi sterben? Der Fußball und die Erfindung der argentinischen Nation.“ Berlin 2010.  Altenstraßer, Christina: „Zwischen Ideologie und ökonomischer Notwendigkeit. Der ‚Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend’.“ in: Hauch, Gabriella (Hrsg.): „Frauen im Reichsgau Oberdonau. Geschlechtsspezifische Bruchlinien im Nationalsozialismus.“ (= Oberösterreichisches Landesarchiv (Hrsg.): Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus Bd. 5.) Linz 2006.

362  Amstutz, Max D.: „Die Anfänge des alpinen Skirennsports (The Golden Age of Alpine Ski- ing).“ Zürich 2010.  Anders, Heinrich und Friedrichsen, Frank (Red.): „Die Spiele 1896-1992. Die Höhepunkte der Olympischen Spiele bis heute.“ Hamburg 1996.  Anderson, Benedict: „Imagined communities. Reflections on the origin and spread of nationalism.“ London 1993.  Anzenberger, Werner: „Casa de Austria Republicana. Haus Österreich in Literatur und Politik.“ Graz 1999.  Assinger, Armin und Schönhofer, Claus: „40 Jahre Ski-Weltcup. Stars, Triumphe, Sensationen.“ Wien 2007.  Assinger, Armin und Seeger, Robert: „Gold. Österreichs größte Ski-Stars.“ Wien 2004.  Assmann, Jan: „Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen.“ München 1992.  Assmann, Jan: „Kulturelle Texte im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit.“ in: Assmann, Jan (Hrsg.): „Religion und kulturelles Gedächtnis. Zehn Studien.“ München 2000. S. 124-147.  Bachleitner, Reinhard: „Der alpine Skisport. Eine sozial-, wirtschafts- und ökowissenschaftliche Dokumentationsstudie.“ (Hrsg. vom Österreichischen Skiverband.) Innsbruck 1992.  Bachmann, Andrea: „Frauen in den Medien. Eine Bestandsaufnahme und Wertung der Sportberichterstattung.“ in: Anders, Georg und Braun-Laufer, Elisabeth (Red.): „Sportlerinnen in den Medien. Möglichkeiten und Grenzen. Dokumentation des Workshops vom 10. Februar 1999.“ Köln 1999. S. 63-80.  Berger, Karin: „Zwischen Eintopf und Fließband. Frauenarbeit und Frauenbild im Faschismus. Österreich 1938-1945.“ Wien 1984.  Bergmann, Sigi: „Toni Sailer: Sonntagskind. Das Leben eines außergewöhnlichen Sportlers.“ Wien 2009.  Binder, Dieter Anton und Bruckmüller, Ernst: „Essay über Österreich. Grundfragen von Identität und Geschichte 1918-2000.“ Wien 2005.  Binder, Dieter Anton: „Der „christliche Ständestaat“ Österreich 1934 – 1938.“ in: Steininger, Rolf und Gehler, Michael (Hrsg.): „Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Von der Monarchie bis zum Zweiten Weltkrieg.“ Wien - Köln - Weimar 1997. S. 201- 256.  Bluhm, William T.: Building an Austrian Nation. The Politicial Integration of a Western State.“ New Haven-London 1973.  Bock, Fritz; Firnberg, Hertha und Gredler, Wilfried: „Österreich zuliebe. Der Staat, den alle wollten.“ Wien-Hamburg 1985.  Born, Martin: „Lauberhorn – die Geschichte eines Mythos.“ Zürich 2004.  Botz, Gerhard und Müller, Albert: „Differenz/Identität in Österreich. Zur Gesellschafts-, Politik- und Kulturgeschichte vor und nach 1945.“ in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG), Jg. 6, Heft 1 (1995).

363  Botz, Gerhard: „Die österreichischen NSDAP-Mitglieder. Probleme einer quantitativen Analyse aufgrund der NSDAP-Zentralkartei im Berlin Document Center.“ in: Mann, Reinhard (Hrsg.): „Die Nationalsozialisten. Analysen faschistischer Bewegungen.“ (=Historisch- sozialwissenschaftliche Forschungen 9.) Stuttgart 1980. S. 98-136.  Breuer, Meike: „Sport zwischen Kampf und Spiel – der Sportbegriff in den Werken von Carl Diem.“ Dissertation. Bochum 2008.  Breuss, Susanne; Liebhart, Karin und Pribersky, Andreas: „Inszenierungen. Stichwörter zu Österreich.“ Wien 1995.  Bronisch, Alexander; Kitzbüheler Ski Club (Hrsg.): „Hahnenkamm - Chronik eines Mythos. 100 Jahre Kitzbüheler Ski Club (K.S.C.). Offizielle Jubiläumsschrift des Kitzbüheler Ski Clubs, Veranstalter des internationalen Hahnenkamm-Rennens.“ München 2003.  Bruckmüller, Ernst: „Nation Österreich. Sozialhistorische Aspekte ihrer Entwicklung.“ (= Brünner, Christian u.a. (Hrsg.): „Studien zu Politik und Verwaltung. Bd. 4.“) Wien-Köln-Graz 1984.  Bruckmüller, Ernst: „Nation Österreich: kulturelles Bewusstsein und gesellschaftlich-politische Prozesse .“ Wien-Köln-Graz 1996.  Brühne, Klaus (Hrsg.): „Lexikon des internationalen Films.“ (Band 7.) Reinbeck bei Hamburg 1990.  Brusis, Ilse: „Sportlerinnen in den Medien.“ in: Anders, Georg und Braun-Laufer, Elisabeth (Red.): „Sportlerinnen in den Medien. Möglichkeiten und Grenzen. Dokumentation des Workshops vom 10. Februar 1999.“ Köln 1999. S. 9-12.  Bukey, Evan Burr: „Meldungen aus Linz und dem Gau Oberdonau 1938-1945. Eine Analyse der politischen und gesellschaftlichen Situation im Reichsgau Oberdonau auf Grund geheimer und vertraulicher Berichte von Gestapo, Sicherheitsdienst der SS, staatlicher Verwaltung (Gendarmerie) und Gerichtsbarkeit.“ in: Mayrhofer, Fritz und Schuster, Walter (Hrsg.): „Nationalsozialismus in Linz (Bd.1)“. Linz 2002. S. 597-648.  Bullock, Alan: „Hitler. Biographie 1889-1945.“ (=“Hitler. A Study in Tyranny.“) Dt.Übersetzung. Augsburg 2001.  Connerton, Peter: „How Societies remember.“ Cambridge 1989.  Czech, Michaela: „Frauen und Sport im nationalsozialistischen Deutschland. Eine Untersuchung zur weiblichen Sportrealität in einem patriarchalen Herrschaftssystem.“ Dissertation. Göttingen 1994.  Daim, Wilfried: „Die Nation – in österreichischer Sicht.“ in: Massiczek, Albert (Hrsg.): „Die österreichische Nation. Zwischen zwei Nationalismen.“ Wien 1967. S. 13-28.  Daurer, Cornelia: „NS-Diktatur 1938-1945.“ in: Schuster, Walter und Mayrhofer, Fritz: „Linz zwischen Demokratie und Diktatur.“ (=Linz Bilder Bd.2) Linz 2006. S. 77-112.  Deutsche Bundesbank: „Devisenkursstatistik Januar 2010.“ Statistisches Beiheft zum Monatsbericht 5. S. 6.  Dorer, Johanna und Marschik, Matthias: „Sportlerinnen in Österreichs Medien 1900-1950. Das ‚Sportgirl’ als Symbol für die moderne Frau.“ in: Marschik, Matthias und Müllner, Rudolf

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Danksagung. Mein Dank gilt meinem Betreuer Helmut Konrad für sein unerschütterliches Vertrauen in meine Fähigkeiten, meiner Großmutter Berta Fiedler für das unermüdliche Aufspüren meiner Rechtschreib- und Tippfehler, sowie meiner Freundin Sonia für ihre unendliche Geduld.

Ehrenwörtliche Erklärung. Ich versichere, dass ich die eingereichte Dissertation selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfsmittel bedient habe. Ich versichere ferner, dass ich diese Dissertation bisher weder im In- noch im Ausland in irgendeiner Form als wissenschaftliche Arbeit vorgelegt habe.

Linz, am 13. Februar 2013

Christoph Eric Hack

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