Matthias Hamann on Rilke. Worpswede. Eine Ausstellung
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Rilke. Worpswede. Eine Ausstellung als Phantasie über ein Buch. Kunsthalle Bremen, Reviewed by Matthias Hamann Published on H-Museum (December, 2003) "Eine Ausstellung als Fantasie über ein Buch" Worpswede-Buch, S. 270-287; das Zitat S. 278). Der lautete der Untertitel des Publikumsmagneten, Zeitpunkt ist günstig gewählt, denn Künstlerkolo‐ den die Bremer Kunsthalle im Kräftefeld des nien haben Konjunktur. Arvika in Schweden, Ausstellungssommers 2003 einsetzte.[1] "Rilke. Grez-sur-Loing in der Nähe von Barbizon, die Worpswede" versprach nicht zuletzt wegen des Fraueninsel im Chiemsee, das Dörfchen Schorn in starken Interesses an Leben und Werk des Dich‐ Mecklenburg-Vorpommern, Ahrenshoop auf dem ters und wegen der intensiven Öffentlichkeitsar‐ Fischland unweit von Rostock--in ganz Europa beit des Museums ein Erfolg zu werden. Die Besu‐ entdecken fast vergessene Künstlerkolonien ihre cherzahlen geben Wulf Herzogenrath und seinem Rolle, die sie in der Kunstgeschichte des späten 19. Team, vor allem Andreas Kreul, der für Ausstel‐ und frühen 20. Jahrhunderts spielten. Worpswede lung und Katalog verantwortlich zeichnet, recht. war sich dieser Rolle immer bewusst, seine Ge‐ Die von der Bühnenbildnerin Nicola Reichert (Es‐ schichte ist bekannt und muss nicht neu geschrie‐ sen) inszenierte Schau vereinte alle verfügbaren ben werden. Dennoch lohnt der Versuch, der in Werke, die sich in Rilkes Worpswede-Buch abge‐ Bremen unternommen wurde, und bietet mit dem bildet fnden und folgte in seiner Ausstellungsar‐ Ausstellungskatalog eine spannende Lektüre. <p> chitektur den einzelnen Kapitel der Rilkeschen Rilkes Monographie besteht aus fünf biographi‐ Monographie; sie wurden mittels Farben und in‐ schen Beiträgen und einer Einführung. Sie ist szenatorischer Leitlinien konturiert. Das Ergebnis nicht der erste Beitrag über die Künstlerkolonie wurde in der Presse eingehend besprochen, und im Teufelsmoor bei Bremen. Worpswede war es nicht Anliegen dieses Beitrages, ein weiteres durch eine Ausstellung im Münchner Glaspalast Urteil über das Gelingen der Inszenierung hinzu‐ (1895) über Nacht zum vielbeachteten Phänomen zufügen. Zumal das Ereignis Vergangenheit ist. Es geworden. So nimmt es nicht Wunder, dass einer gilt vielmehr danach zu fragen, inwiefern die be‐ der renommierten Kunstverlage der Jahrhundert‐ gleitende Publikation die "Fantasie" abstreift und wende, Velhagen & Klasing, eine Monographie als eigenständiges Werk von nachhaltigem Ge‐ über den Ort in sein Programm aufnahm. Das wicht Bestand hat, also das Flüchtige der Ausstel‐ Buch, für das Rainer Maria Rilke verpflichtet wur‐ lung hinter sich lässt. <p> "Rilkes Buch ist seit de, ist die erste umfassende Abhandlung über die hundert Jahren im Gespräch und doch ein Brun‐ Worpsweder Künstler Fritz Mackensen, Otto Mo‐ nen geblieben, den auszuloten man sich erst jetzt dersohn, Fritz Overbeck, Hans am Ende und Hein‐ anschickt", befindet Bernd Stenzig in seinem re‐ rich Vogeler. Der hier angezeigte Ausstellungska‐ zeptionsgeschichtlichen Beitrag zu Rilkes Worps‐ talog gibt den vollständigen Text von Rilkes Mono‐ wede-Monographie (Zur Aufnahme von Rilkes graphie einschließlich der Einleitung wieder und H-Net Reviews folgt dabei orthographisch der Erstausgabe. An der Aufgabe der Bildbeschaffung zu entzie‐ die fünf biographischen Kapitel Rilkes schließen hen--"Mir ist diese Arbeit so zeitraubend und sich unter dem Titel "Kommentare" fünf sorgfältig auch so fremd, daß ich sie nur mit viel Mühsälig‐ recherchierte Beiträge an, die Rilkes Text zum Ge‐ keit [!] zustandebringe" (Rilke brieflich am 17. genstand haben und ihn kunsthistorisch untersu‐ März 1902). Dieser redaktionelle Aspekt des Bu‐ chen. Den dritten Teil des Katalogbuches bilden ches scheint den Autor größere Kraftanstrengung "Erinnerungen", vulgo Quellentexte und Stim‐ zu kosten als der Text selbst, der in enger Koope‐ mungsbilder zu Rilkes Worpswede-Aufenthalt. ration mit den "Worpswedern" entstand. In Ge‐ Der vierte Abschnitt "Kontexte" vereint vier wis‐ sprächen gaben die Maler dem Autor Rilke gern senschaftliche Beiträge zu Entstehung und Rezep‐ Auskunft über Biographie, Studium und Arbeits‐ tion der Worpswede-Monographie sowie zu Rilkes weise. Fritz Mackensen äußerte sich sogar schrift‐ ästhetischer Konzeption und zu seinem Kunstver‐ lich, so dass Rilke den Maler passagenweise zitie‐ ständnis. Eine Chronologie zu Rilke und Worps‐ ren konnte. So entstand ein subjektiver, von der wede beschließt zusammen mit einer umfangrei‐ Unmittelbarkeit des Interviews geprägter Text, chen Bibliographie den Band. Rilke, der seit Mai der immer wieder auf die Originalität der Künst‐ 1901 zusammen mit Clara Westhoff in Westerwe‐ ler, das Selbststudium, auf den Einfluss der Land‐ de, einem Nachbardorf von Worpswede, lebte, er‐ schaft auf die Malerei abhebt. Besonders deutlich hielt im Jahre 1902 durch Vermittlung von Gustav wird dies in Rilkes Einleitung (S. 17-33), die im Pauli, dem Direktor der Bremer Kunsthalle, vom Ausstellungskatalog bedauerlicherweise keine ei‐ Verlag Velhagen & Klasing den Auftrag für die gene Analyse erfährt, wohl aber verdiente. Die Künstlermonographie über Worpswede. Michael darin aufscheinenden Begriffe wie Dasein, Ebene, Fuhr legt in seinem sorgfältigen Beitrag (Zur Ent‐ Himmel oder Landschaft, der summarische Hin‐ stehung der Künstler-Monographie Worpswede, S. weis auf die Schule von Barbizon und die Kunst 260-269) sachkundig dar, welche Auflagen die Pu‐ Millets geraten im weiteren Text zu Leitmotiven. blikationen des Verlags zu zeitgenössischer Kunst Fuhr gelingt der Nachweis, dass dies durchaus im zu erfüllen hatten. So bekamen die zumeist jun‐ Sinne des Verlages ist. In vielen Monographien er‐ gen Autoren den Auftrag, nicht nur das Manu‐ scheine der Topos, dass die Größe eines Künstlers skript--möglichst binnen weniger Wochen--zu er‐ sich daran bemesse, dass er ohne Vorbilder zur stellen, sondern sie hatten auch für das Bildmate‐ Genialität gelange. <p><blockquote> "Es stellt in rial zu sorgen. Rilke, der nach seiner Heirat mit diesem Zusammenhang also keine Ausnahme dar, Clara Westhoff und der Geburt der Tochter Ruth wenn Rainer Maria Rilke zu behaupten wagt, die in einer fnanziellen Misere steckte und Pauli be‐ Mitglieder der Worpsweder Künstlervereinigung reits eine Stelle beim Bremer Tageblatt verdankte, hätten ihre Werke ohne fremde Hilfe geschaffen" nahm den Auftrag gern an, zumal der Museums‐ (S. 267). </blockquote> <p> Somit ist Rilkes Früh‐ mann ihn bei den Kontakten zu den Worpsweder werk eo ipso keine objektive Darstellung der Künstlern tatkräftig unterstützte. In der Folge ge‐ Künstlerkolonie Worpswede, sondern ein Zeugnis staltete sich die Zusammenarbeit mit den Malern künstlerischen Selbstbewusstseins, verbunden sehr produktiv. <p> Um die Produktionskosten mit Rilkes dichterischer Sicht auf ein vermeintli‐ niedrig zu halten, war auch Rilke aufgefordert, ches Paradies. <p> Die Auswahl und Reihenfolge für die Bebilderung zu sorgen. Dies gestaltete sich der Maler in Rilkes Werk--Fritz Mackensen (S. vergleichsweise einfach, denn die Künstler ver‐ 35-55), Otto Modersohn (S. 57-78), Fritz Overbeck sorgten Rilke mit Abbildungen--zumeist solche ak‐ (S. 81-99), Hans am Ende (S. 101-119) und Hein‐ tueller, noch unverkaufter Werke (Fuhr, S. 266). rich Vogeler (121-141) ist nicht beliebig, sondern Rilke versuchte wiederholt, aber vergebens, sich geradezu kanonisch, wie verschiedentlich, u. a. 2 H-Net Reviews von Dorothee Hansen (Fritz Mackensen, 144-155), mit denen Rilke die Kunst Mackensens zu fassen ausgeführt wird. Die herausgestellte Führungsrol‐ sucht: "nordisch, schwermütig, ernst und gesund" le Mackensens, die Sonderrolle Vogelers und das kehren immer wieder und fnden ihre Parallele in Wegblenden der in Worpswede tätigen "Malwei‐ der Begrifflichkeit von Heimatkunst-Vertretern ber"-- Paula Becker-Modersohn oder die eigene wie Paul Schultze-Naumburg, Hans Müller-Brauel Gattin Clara Westhoff beispielsweise-- fndet sich oder Paul Warncke (S. 151). Gerade die Beiträge auch in der zeitgenössischen Kunstliteratur, und Warnckes (Paul Warncke: Worpswede. In: Zeit‐ Rilke erfüllt hier die Erwartungen. Das gängige schrift für bildende Kunst, 11, 1901, S. 147-185 Worpswede-Bild ist deckungsgleich mit den fünf und id.: Worpswede. Berlin 1902) seien als Quelle Künstlern. Neu ist die Gleichbehandlung der Rilkes zu werten. Allerdings sei Rilke die völki‐ Künstlerindividuen. Während die ältere Literatur sche Konnotation fremd. Abschließend kommt aus der Reihung auch eine Wertung macht, oder Hansen zu dem Urteil, dass Rilkes Buch und ins‐ aber, wie Richard Muther, das Gemeinsame der besondere der Beitrag zu Mackensen den etablier‐ Worpsweder Kunst betont (Richard Muther: ten Mythos des Künstlerdorfes Worpswede verfes‐ Worpswede. Erstmals in: Der Tag, Berlin, 27. und tigt habe, dass er den "Klischees von der Ur‐ 28. November 1901), fndet der junge Autor je‐ sprünglichkeit der Landschaft und dem harten, weils einen individuellen Zugang zum Werk. Im ärmlichen Leben der Bauern" folge und die tou‐ Falle Mackensens ist es zwar die gängige Bewer‐ ristische Attraktivität, die Worpswede bereits vor tung als Figurenmaler--ausgehend von der Gold‐ 1900 entfaltete, völlig ausblende (S. 153). <p> medaille, die Mackensens Bild "Der Säugling" "Langzeilige, rauschende Verse" nennt Rilke die (1892; Abb. S. 39) 1895 in München erhielt, nimmt Werke Otto Modersohns (S. 57). Den Maler selbst dies nicht Wunder--, doch der Ton ist predigthaft, bezeichnet er als "Dichter" (S. 77), der aus der mitunter hymnisch: <p><blockquote> "Macken‐ Moorlandschaft und der