Plenarprotokoll 16/110

Deutscher

Stenografischer Bericht

110. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Inhalt:

Gedenken an die Opfer der Anschläge am Peer Steinbrück, Bundesminister 11. September 2001 in den Vereinigten BMF ...... 11378 B Staaten von Amerika ...... 11377 A Jürgen Koppelin (FDP) ...... 11388 A Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Dr. (CDU/CSU) ...... 11390 A neten , Detlef Parr, Klaus Hofbauer, Günter Baumann, Waltraud Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 11392 B Lehn, Dr. Marlies Volkmer, Annette Faße Joachim Poß (SPD) ...... 11393 B und ...... 11377 B (BÜNDNIS 90/ Begrüßung der neuen Abgeordneten Cajus DIE GRÜNEN) ...... 11395 A Caesar, Dr. Stephan Eisel und ...... 11377 B Steffen Kampeter (CDU/CSU) ...... 11397 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Dr. (FDP) ...... 11399 C nung ...... 11377 D (Erfurt) (SPD) ...... 11400 A Dr. (DIE LINKE) ...... 11402 C Tagesordnungspunkt 1: (CDU/CSU) ...... 11403 D Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung Jörg-Otto Spiller (SPD) ...... 11405 B des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- kräfte im Rahmen der „United Nations Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL) auf Einzelplan 10 Grundlage der Resolutionen 1701 (2006) Bundesministerium für Ernährung, und 1773 (2007) des Sicherheitsrates der Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vereinten Nationen vom 11. August 2006 bzw. 24. August 2007 , Bundesminister (Drucksache 16/6278) ...... 11377 D BMELV ...... 11406 D Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 11409 C Tagesordnungspunkt 2: Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) ...... 11411 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (DIE LINKE) ...... 11412 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (BÜNDNIS 90/ zes über die Feststellung des Bundes- DIE GRÜNEN) ...... 11413 A haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsgesetz 2008) Georg Schirmbeck (CDU/CSU) ...... 11414 A (Drucksache 16/6000) ...... 11378 A Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) ...... 11415 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Manfred Zöllmer (SPD) ...... 11416 B Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011 (Drucksache 16/6001) ...... 11378 A (DIE LINKE) ...... 11417 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Dr. Michael Luther (CDU/CSU) ...... 11447 C DIE GRÜNEN) ...... 11418 B Dr. (FDP) ...... 11449 A (CDU/CSU) ...... 11419 B (SPD) ...... 11450 B Elvira Drobinski-Weiß (SPD) ...... 11420 C Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) ...... 11451 C (SPD) ...... 11421 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11452 B Einzelplan 16 (BÜNDNIS 90/ Bundesministerium für Umwelt, Natur- DIE GRÜNEN) ...... 11453 B schutz und Reaktorsicherheit (SPD) ...... 11453 D , Bundesminister Fritz Rudolf Körper (SPD) ...... 11454 C BMU ...... 11423 A (SPD) ...... 11456 A (FDP) ...... 11425 C (CDU/CSU) ...... 11457 A (Potsdam) (CDU/CSU) ...... 11426 C Reinhard Grindel (CDU/CSU) ...... 11458 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 11428 B Sebastian Edathy (SPD) ...... 11458 C Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11429 A Einzelplan 07 (Essen) (SPD) ...... 11430 B Bundesministerium der Justiz Ulrike Flach (FDP) ...... 11432 B , Bundesministerin BMJ ...... 11459 A Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) ...... 11433 B Mechthild Dyckmans (FDP) ...... 11461 D Petra Hinz (Essen) (SPD) ...... 11434 C Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 11463 A Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 11435 A Wolfgang Nešković (DIE LINKE) ...... 11465 B Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11436 A DIE GRÜNEN) ...... 11467 A Josef Göppel (CDU/CSU) ...... 11437 B Siegfried Kauder (Villingen- Schwenningen) (CDU/CSU) ...... 11468 A Einzelplan 06 Joachim Stünker (SPD) ...... 11468 D Bundesministerium des Innern (FDP) ...... 11470 C Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Dr. Ole Schröder (CDU/CSU) ...... 11471 D BMI ...... 11438 C Daniela Raab (CDU/CSU) ...... 11472 D Gisela Piltz (FDP) ...... 11440 D Nächste Sitzung ...... 11474 C Fritz Rudolf Körper (SPD) ...... 11442 A (DIE LINKE) ...... 11444 A Anlage Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11445 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11475 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11377

(A) (C) Redetext

110. Sitzung

Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Beginn: 10.00 Uhr

Präsident Dr. : der den meisten noch in allerbester Erinnerung ist und Die Sitzung ist eröffnet. der dem Parlament sicher nicht nur durch die Durch- schlagskraft seines Namens behilflich sein wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zur ersten Arbeitssitzung des Deutschen Bun- Als Nachfolger von Herrn Dr. Paziorek begrüße ich destages nach der parlamentarischen Sommerpause. den Kollegen Dr. Stephan Eisel Heute gedenken nicht nur in Amerika viele Menschen (Beifall) der entsetzlichen Anschläge vom 11. September 2001 und der Tausenden von Opfern, die diese Terroran- und als Nachfolgerin von Herrn Dr. Loske die Kollegin schläge gefordert haben. Unser Gedenken an die Opfer Bettina Herlitzius. verbindet sich mit der Entschlossenheit, jeder Form von (Beifall) Terrorismus, mit welcher Begründung auch immer, ent- gegenzutreten und allen möglichen Bedrohungen der Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit! (B) (D) Freiheit und des Lebens der Menschen in diesem Lande Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene entgegenzuwirken. Tagesordnung um die erste Beratung des von der Bun- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP desregierung eingebrachten Entwurfs des Heimkehrer- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie stiftungsaufhebungsgesetzes auf Drucksache 16/5845 zu der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) erweitern. Dieser Gesetzentwurf soll ohne Aussprache an die Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit Vor Eintritt in unsere Tagesordnung möchte ich einige einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist Mitteilungen machen: das so beschlossen. Während der parlamentarischen Sommerpause haben Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 1: eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen runde Ge- burtstage gefeiert. Der Kollege Otto Schily wurde am Beratung des Antrags der Bundesregierung 20. Juli 75 Jahre alt, und der Kollege Detlef Parr wurde am 8. September 65 Jahre alt. Diesen beiden kann man Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut- schon einmal gesondert gratulieren. scher Streitkräfte im Rahmen der „United Nations Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL) (Beifall) auf Grundlage der Resolutionen 1701 (2006) Ihren 60. Geburtstag haben im gleichen Zeitraum die und 1773 (2007) des Sicherheitsrates der Ver- Kolleginnen und Kollegen Klaus Hofbauer, Günter einten Nationen vom 11. August 2006 bzw. Baumann, Waltraud Lehn, Dr. Marlies Volkmer, 24. August 2007 Annette Faße und Eduard Oswald begangen. Im Na- – Drucksache 16/6278 – men des ganzen Hauses gratuliere ich nachträglich herz- Überweisungsvorschlag: lich und wünsche alles Gute! Auswärtiger Ausschuss (f) (Beifall) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Die Kollegen Dr. Reinhard Göhner, Dr. Peter Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Paziorek und Dr. Reinhard Loske haben zwischenzeit- Entwicklung lich auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union verzichtet. Als Nachfolger für Herrn Dr. Göhner begrüße Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ich herzlich den Kollegen Cajus Julius Caesar, Eine Aussprache dazu ist für heute nicht vorgesehen; (Beifall) aber wir müssen diesen Antrag zur Beratung an die Aus- 11378 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) schüsse überweisen. Interfraktionell wird die Überwei- rend man gleichzeitig die erwünschten Folgewirkungen (C) sung der Vorlage auf Drucksache 16/6278 an die in der gern in Kauf nimmt – abschotten, oder es würde reichen, Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland quasi Ich nehme an, dass Sie damit einverstanden sind. – Das das Rollo herunterzulassen. Wer so argumentiert, streut ist offenkundig der Fall. Dann ist die Überweisung so den Menschen Sand in die Augen. beschlossen. Deutschlands Wirtschaft, die über 40 Prozent ihrer Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 2 a und Wertschöpfung über Ex- und Importe erzielt, ist eng mit 2b: der Weltwirtschaft verbunden. Das heißt, 40 Prozent un- seres Wohlstandes gewinnen wir durch Globalisierung. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Die Bundesrepublik Deutschland ist durch die Entwick- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die lung der letzten Jahrzehnte einer der großen Gewinner Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das dieser Globalisierung. Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsgesetz 2008) Wenn wir unsere Verknüpfungen mit der Weltwirt- – Drucksache 16/6000 – schaft schwächen oder beschädigen, wenn wir sie belas- Überweisungsvorschlag: ten, verlieren wir Arbeitsplätze, verlieren wir Wohlstand Haushaltsausschuss und Wachstum, und wahrscheinlich könnten wir unser b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- soziales Sicherungssystem immer weniger auf dem gierung Niveau finanzieren, wie wir es heute noch können. Stim- men, die zumindest unterschwellig mit dem Motto Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011 „Wohlstandssicherung durch Abschottung“ eine politi- sche Rendite zu gewinnen versuchen – teilweise übri- – Drucksache 16/6001 – gens auch mit nationalistischen Untertönen –, handeln Überweisungsvorschlag: angesichts unserer faktischen Verflechtung in einem zu- Haushaltsausschuss sammenwachsenden Europa und weltweit, wie ich Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im glaube, verantwortungslos. Rahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aus- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sprache im Anschluss an die einstündige Einbringung des Haushalts sechseinhalb Stunden, für Mittwoch sie- Wir wissen, dass Globalisierung anstrengend ist. Un- bendreiviertel Stunden, für Donnerstag sieben Stunden ser Zeitalter ist von Beschleunigung, von raschen Verän- und für Freitag drei Stunden vorgesehen. Ich nehme an, derungen und zunehmender Komplexität gekennzeich- dass es auch dazu keinen Widerspruch gibt – in weiser net. Damit müssen wir umgehen lernen. Dabei dürfen (B) Vorahnung, dass es am Ende jeweils vermutlich etwas wir die Menschen nicht verschrecken, sondern müssen (D) länger dauern wird. – Dann ist das so beschlossen. sie zur Teilnahme und Teilhabe befähigen. Das ist in meinen Augen die erforderliche politische Verantwor- Ich erteile nun das Wort zur Einbringung des Haus- tungsethik. haltes dem Bundesminister der Finanzen Peer Steinbrück. Aktuelles Beispiel: Seit einigen Wochen haben wir es mit erheblichen Verunsicherungen und einer sehr großen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nervosität an den internationalen Finanzmärkten zu der CDU/CSU) tun. Keine Frage: Was wir dort erleben, ist sehr ernst zu nehmen. Dennoch sollten wir die Lage jenseits jeder Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Verharmlosung, die nicht angebracht ist, nicht dramati- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten sieren. Wir brauchen jetzt weder Verharmlosung noch Damen und Herren! Der Präsident hat daran erinnert: Hysterie, sondern wir brauchen verantwortungsbewuss- Heute auf den Tag genau vor sechs Jahren fanden die tes Handeln und die Reifezeit, um Lerneffekte zu erzie- heimtückischen Terrorakte in New York und Washington len und Konsequenzen aus dieser Entwicklung zu zie- statt. Seitdem ist nichts mehr so, wie es war, vor allem in hen. den USA, wo bei diesen Anschlägen Tausende von Men- Ich will an dieser Stelle deutlich machen, dass ich schen umgekommen sind, derer wir nicht nur heute ge- sehr zufrieden bin mit der professionellen und sehr ra- denken. Es ist auch nichts mehr so in der übrigen Welt, schen Reaktion der Vertreter der Banken aller drei Säu- wohin sich die politischen, die wirtschaftlichen und auch len unseres deutschen Kreditwesens. Ich möchte ihnen die psychologischen Schockwellen, die für unsere inzwi- an dieser Stelle namentlich danken: Herrn Müller für die schen hochgradig vernetzte und globalisierte Welt cha- privaten Geschäftsbanken, Herrn Haasis für die öffent- rakteristisch sind, mit sehr großer Geschwindigkeit aus- lich-rechtlichen Kreditinstitute und Herrn Pleister für die gebreitet haben. Genossenschaftsbanken. Ich möchte dem Bundesbank- präsidenten, Herrn Weber, und dem Präsidenten der Unbestreitbar ruft diese globalisierte Welt bei vielen BaFin, Herrn Sanio, dafür danken, dass das Zusammen- Menschen Unsicherheit, ja gelegentlich sogar ausge- wirken dieser wichtigen Partner der deutschen Finanz- prägte Angst hervor. Dennoch oder gerade deshalb er- wirtschaft in einer sehr zugespitzten, krisenhaften Situa- scheint es mir unverantwortlich, bei den Menschen den tion funktioniert hat und dadurch nach Lage der Dinge Eindruck zu vermitteln, man könne Globalisierung Schlimmeres verhindert wurde. quasi zurückdrehen, man könne sich gegen Globalisie- rung und ihre unerwünschten Folgewirkungen – wäh- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11379

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Ich möchte auch den großen Zentralbanken ein- wegs bereits so gut aufgestellt, wie wir es zur Bewälti- (C) schließlich der Europäischen Zentralbank danken. Sie gung der zukünftigen Herausforderungen sein müssten. haben schnell und effektiv insbesondere auf dem Markt Dies könnte eine ausgewogene, ausbalancierte Beurtei- für Unternehmensanleihen eine Liquiditäts- und Kredit- lung unserer Lage sein. klemme und damit Schlimmeres verhindert. Dadurch wurde insbesondere die drohende Gefahr abgewendet, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dass sich die Realwirtschaft an der Entwicklung auf den Um im Telegrammstil auf einige Fakten einzugehen, Finanzmärkten ansteckt, was zu Eintrübungen der wirt- möchte ich darauf hinweisen, dass eine Befragung der schaftlichen Entwicklung hätte führen können. Wir sind renommierten Unternehmungsberatung Ernst & Young jetzt dabei, diese Krise sorgfältig aufzuarbeiten und dann bestätigt: Für international tätige Unternehmen ist – aber erst dann – Konsequenzen für die Bankenaufsicht Deutschland inzwischen wieder der attraktivste Standort und bezogen auf andere Problemfelder zu ziehen. Es in Europa und der drittattraktivste Standort weltweit, sollte nichts überstürzt werden. und zwar nicht nur wegen der Verbesserung der Wettbe- werbsfähigkeit und nicht nur wegen der Lohnstückkos- Meine Damen und Herren, ohne dass es zynisch tenentwicklung, sondern auch wegen seiner nach wie klingt, will ich hinzufügen: Man kann der jüngsten dra- vor sehr guten Infrastruktur, der Attraktivität und Größe matischen Entwicklung auch etwas Gutes abgewinnen des deutschen Marktes, unserer Wirtschaftsgeografie, und sie als eine Art Normalisierung auf den Finanzmärk- auch vor dem Hintergrund der erweiterten Europäischen ten nach einer Phase der absoluten Maßlosigkeit, der Union, der Qualität von Forschung und Entwicklung so- Überhitzung und der Übertreibungen bewerten. Die wie der hohen Qualifikation und Motivation unserer Ar- Chance dieser Krise liegt darin, dass sie endlich wieder beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hinzu kommt die zu einem angemesseneren Risikobewusstsein der Ak- gesellschaftliche Stabilität, die es in Deutschland im teure führt, dass sich Kreditrisiken wieder deutlicher in Vergleich zu anderen Ländern nach wie vor gibt. Das ist der Höhe der Risikoprämien niederschlagen und sich das ein Wert, der sich kaum messen lässt, aber mit zu den eine oder andere Bankenmanagement vielleicht nicht positiven Standortfaktoren dieser Republik gehört. mehr mit hochkomplexen Produkten am Markt bewegt, von denen es weitaus weniger versteht als größere Kre- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ditinstitute. Über die erfreulich gestiegene Wettbewerbsfähigkeit Der deutsche Finanzmarkt hat genug Reserven, um der deutschen Wirtschaft habe ich schon gesprochen. Es die derzeitigen Spannungen zu überstehen. Ebenso bleibt zu ergänzen, dass einer der großen Pluspunkte wichtig ist, dass die realwirtschaftlichen Grunddaten in nach wie vor ein sehr starker Mittelstand ist, der sich ins- (B) Deutschland nach Einschätzung vieler Verbandsvertre- besondere im Vergleich zu europäischen Partnerländern (D) ter, vieler renommierter Ökonomen und auch aus Sicht als immer gewichtiger für die wirtschaftliche Entwick- der wirtschaftswissenschaftlichen Expertise weiterhin lung in Deutschland herausstellt. positiv und stabil sind, sowohl in Deutschland als auch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) weltweit. Was die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland angeht, sehe ich wie die Mehrzahl der Als einziger G-7-Staat konnte Deutschland seinen Experten keinerlei Anzeichen für eine ernsthafte Eintrü- Welthandelsanteil in den letzten zehn Jahren auf einem bung. Um die deutsche Konjunktur steht es nach wie hohen Niveau ausbauen. Viermal in Folge Exportwelt- vor gut. meister, das ist schon ein sensationeller Erfolg. Meine Damen und Herren, nicht nur der deutsche Eine weitere Tatsache: Die Arbeitslosigkeit ist inner- Konjunkturmotor läuft rund; auch der Standort Deutsch- halb eines Jahres auf den niedrigsten Stand seit 1999 ge- land klettert in den internationalen Rankings nach oben. sunken. Mit inzwischen 3,7 Millionen Arbeitslosen lie- Was in Deutschland noch vor einigen Jahren in einem gen wir um gut 670 000 unter dem Vorjahreswert und verbreiteten Lamento für sehr unwahrscheinlich gehal- sind damit von der erschreckenden Rekordmarke von ten wurde, ist heute Realität. Die deutsche Wirtschaft hat 5 Millionen Arbeitslosen im Jahre 2005 weit entfernt. in den letzten Jahren deutlich an Wettbewerbsfähigkeit Ich weiß, dass dies nicht reicht; aber der Trend ist wich- gewonnen. Wir sind nicht mehr diejenigen, die die rote tig und weist nach unten. Konjunkturlaterne tragen. Inzwischen ist die Wirtschaft Auch wenn es viele immer wieder überrascht, unsere Deutschlands eine von mehreren Lokomotiven der euro- Steuer- und Abgabenquote liegt unter dem Durch- päischen Konjunktur. schnitt der 25 europäischen Mitgliedstaaten, wenn ich Angesichts der fast schon selbstzerstörerischen die neuen Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien ein- Selbstbespiegelung, die wir in den letzten Jahren teil- mal außen vor lasse. Die Belastung über die Steuer- und weise erlebt haben, überraschen die Fakten inzwischen Abgabenquote in Deutschland ist im europäischen Ver- positiv und tragen endlich auch zu einer Veränderung der gleich unterdurchschnittlich und nicht überdurchschnitt- mentalen Einstellung der Menschen in unserem Land lich. bei. Es ist vielleicht hinzuzufügen, dass die Lage in der (Beifall bei der SPD) Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung unseres Landes in den letzten Jahren nie so schlecht gewesen Eine weitere wichtige Botschaft, die in ordnungspoli- sind, wie wir es uns selbst eingeredet haben. Die voll- tischen Debatten gelegentlich ignoriert wird, lautet, dass ständige Botschaft lautet allerdings: Wir sind keines- es inzwischen in Deutschland – wahrscheinlich in die- 11380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bundesminister Peer Steinbrück (A) sem Jahr schon – weniger Staat gibt als zum Beispiel im Herr Solms prognostizierte: „Die Binnenkonjunktur (C) Vereinigten Königreich, einem Land im angloamerikani- wird 2007 einbrechen.“ Noch einmal Herr Solms: „Die schen Bereich, dem immer unterstellt wird, dass dort der Löcher in den öffentlichen Haushalten werden sich wei- Staat sehr viel weniger imperialistisch und krakenartig ter öffnen.“ etwas von der Wirtschaftsleistung für sich in Anspruch nimmt. Bereits im letzten Jahr lag unsere Staatsquote mit (Beifall bei der FDP – Jürgen Koppelin [FDP]: 45,4 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit der Wieder- Stimmt doch auch!) vereinigung. Dies sollte endlich auch diejenigen beein- Was ist aus diesen Einschätzungen geworden? Wenn Sie drucken – sie sollten es wenigstens zur Kenntnis neh- sich in Ihren vergangenen Haushaltsreden so geirrt ha- men –, die keine Gelegenheit auslassen, den Staat als ben, warum sollten wir Ihren im Rahmen dieser Haus- fetten Moloch zu diskreditieren. Die Wahrheit ist: Dieser haltsdebatte bevorstehenden Beiträgen Glauben schen- Staat wird schlanker und effizienter. Ich werde mich ken? weiterhin dafür einsetzen, dass er über diese Entwick- lung nicht handlungsunfähig wird, sondern weiterhin ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten handlungsfähiger Staat bleibt, der den Menschen die der CDU/CSU – Lachen der Abg. Ulrike Flach Dienstleistungen zur Verfügung stellt, die sie brauchen, [FDP]) um die Stabilität dieser Gesellschaft zu erreichen, und ihre großen Lebensrisiken absichert. Nichts von dem, was Sie prophezeit haben, ist eingetre- ten: weder das mit Blick auf die Haushaltslücken noch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) das bezogen auf die Konjunktur, noch das bezogen auf die anderen Faktoren, die Sie angesprochen haben. Eine weitere Tatsache ist, dass wir das Maastrichter Verschuldungskriterium weit unterschreiten. Während Die finanzpolitische Strategie der Großen Koalition unsere Verschuldung im Jahre 2005 – Sie erinnern sich – hat funktioniert. Es war richtig, 2006 alles zu unterlas- noch 3,2 Prozent betrug, wird sie in diesem Jahr auf vo- sen, was den konjunkturellen Himmel erkennbar in trü- raussichtlich ein halbes Prozent sinken. Die Chancen bere Farben hätte bringen können, und erst 2007 mit ei- stehen nicht schlecht, dass wir 2008 eine schwarze Null ner nachhaltigen Konsolidierung zu beginnen. Ich bleibe schreiben werden. dabei: Die Anhebung der Mehrwertsteuer war und ist der am wenigsten schädliche einnahmeseitige Beitrag zur Schließlich wird mit mehr als 2,5 Prozent des Brutto- strukturellen Konsolidierung der Staatsfinanzen, und den inlandsprodukts in Deutschland mehr Geld für For- Zeitpunkt für diese Erhöhung hat die Große Koalition schung und Entwicklung investiert als in den meisten an- richtig gewählt. deren europäischen Partnerländern. (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Lachen bei Abgeordneten der FDP – Jürgen CDU/CSU) Koppelin [FDP]: Die Merkel-Steuer war das!) Einige sind uns allerdings immer noch voraus, insbeson- – Ach! – Das, was meistens auch von Ihnen verdrängt dere die Skandinavier, deren Prozentanteil zum Teil bei wird, ist, dass es mit dem weitergereichten Mehrwert- 3,5 bis 4 liegt. Unser Ziel bleibt, die Dreiprozentmarke steuerpunkt möglich gewesen ist, den Arbeitslosenversi- zu erreichen, die erforderlich ist, um Deutschland global cherungsbeitrag von 6,5 auf 4,2 Prozent deutlich zu sen- weiterhin wettbewerbsfähig zu halten. ken. Wir werden diesen Weg weitergehen. Das hat allein (Beifall bei der SPD) im laufenden Jahr zu einer Entlastung von 17 Milliarden Euro, paritätisch für Arbeitgeber und für Arbeitnehme- Meine sehr geehrten Damen und Herren, die wieder- rinnen und Arbeitnehmer, geführt. Dadurch sind die gewonnene Stärke der deutschen Volkswirtschaft wird Bruttoarbeitskosten in Deutschland tendenziell gesun- auch dadurch eindrucksvoll bestätigt, wie sie die kon- ken, und die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehme- junkturell unzweifelhaft belastende Wirkung der Mehr- rinnen und Arbeitnehmer sind dabei um immerhin wertsteuererhöhung weggesteckt hat. Gut acht Monate 8,5 Milliarden Euro gestiegen. nach ihrem Inkrafttreten sind alle Horrorszenarien, die in der Vergangenheit auch an die Wände dieses Hohen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Hauses gemalt worden sind – Stichwort: Gift für die Dies ist in meinen Augen nicht die einzige dringend Konjunktur – zerplatzt. notwendige Maßnahme gewesen. Und ich bin mir ziem- Ich bin noch einmal in die Reden insbesondere von lich sicher: Wenn die FDP im November 2005 die Oppositionspolitikern der letzten Monate eingestiegen Chance gehabt hätte, Partner in einer Koalition zu wer- und finde dort folgende Zitate: „Die wirtschaftliche den, Belebung im Jahr 2007 wird kaputt gemacht“, „Die Neu- (Zuruf von der FDP: Hatten wir!) verschuldung wird in den nächsten Jahren nicht abge- baut“, „Das Konsumklima wird eingetrübt“ oder „Hoff- dann hätten Sie mit Blick auf die Mehrwertsteuer genau nung auf Wachstum wird sich mit dem rot-schwarzen dieselbe Entscheidung getroffen wie die Große Koali- Haushalt nicht erfüllen“, „Der Haushalt 2007 ist nicht tion. solide“. Letzteres stammt von Herrn Koppelin. (Jürgen Koppelin [FDP]: Das haben Sie schon (Beifall bei der FDP) letztes Jahr erzählt!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11381

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Diese Maßnahme ist nicht die einzige Maßnahme, um (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (C) eine solidere Haushaltspolitik zu implementieren. Die SPD und der CDU/CSU – Lachen bei Abge- Absenkung der Neuverschuldung erfolgt in dieser Le- ordneten der FDP) gislatur zu 60 Prozent durch Ausgabenkürzungen, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, auch mit Blick auf eine – Arbeiten Sie sich lieber an Ihren eigenen Widersprü- höhere Effizienz der Arbeitsmarktpolitik, auch in einzel- chen ab! nen Bereichen wie vornehmlich der Landwirtschaft, so- Das heißt, wir haben die Pendlerpauschale abge- wie durch die Streichung von Steuersubventionen. schafft und dafür, wie in den Koalitionsverhandlungen 40 Prozent des Konsolidierungsvolumens wird über abgesprochen, eine Härtefallregelung für Fernpendler Steuererhöhungen erbracht. Die Kritiker werden es eingeführt, übrigens aufgrund des maßgeblichen Ein- selbstredend weiter verdrängen. Nicht verdrängt werden flusses von Unionspolitikern und SPD-Politikern, die allerdings verständlicherweise die schmerzhaften Folgen Flächenländer repräsentieren. Diese Maßnahme ist da- dieser Kürzung von Steuersubventionen. Das führt ja in mals getroffen worden. Schon der erste verfassungs- jüngster Zeit zu gewissen Beiträgen. Ich möchte in die- rechtliche Zweifel – der, wie ich finde, heute zunehmend sem Zusammenhang einen Begriff aufgreifen, der in reflexhaft und inflationär gegen fast alles vorgebracht dem lesenswerten Buch Nervöse Zone von Lutz wird, und zwar meistens unter Verbrämung von Grup- Hachmeister erwähnt wird; ich glaube, unter Bezug- peninteressen – führt unter Umständen dazu, dass sich nahme auf die Journalistin Tissy Bruns. Dieser Begriff der Konsens, der damals auch in Ihren Reihen bestand, lautet „strukturelle Doppelmoral“. Ich will Folgendes sa- verflüchtigt und die Lage unübersichtlich wird. Auf gen: Während weite Teile der Wirtschaft, wichtige Stim- diese Art und Weise untergräbt man leistungsfähige men der Politik und viele Kommentatoren immer wieder Politik. tiefgreifende Reformen, teilweise radikale Reformen an- mahnen, werden die Folgen selbst der zaghaftesten Re- (Widerspruch bei der FDP) form auf der politischen Bühne und in medialen Berich- ten mit einem ausgeprägten Sinn für Dramatik Ich füge in diesem Zusammenhang hinzu: Weder geschildert und problematisiert. Finanzgerichtshöfe noch der Bundesfinanzhof entschei- den darüber, was in Deutschland verfassungskonform ( [SPD]: Meist noch von ist. Das geschieht allein durch das Bundesverfassungs- denselben!) gericht. – Meist von denselben; dies ist eine gewisse Schizophre- (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie aber nie. auch nicht! – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Der Bundesfinanzminister aber (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (D) auch nicht!) Ich will ein aktuelles Beispiel aufgreifen: Es gab und gibt einen abstrakten Konsens – auch vor dem Hinter- – Auch der Bundesfinanzminister nicht. Aber das ent- grund der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung –, spricht der geltenden Rechtslage, die auch weiterhin gilt dass Steuersubventionen abgebaut werden sollen. und die im Übrigen parlamentarisch legitimiert ist. (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Die Große Koalition hat dazu im November 2005 ein Unbenommen notwendiger Prüfungen auch im Hin- Tableau vorgelegt, das wir übrigens weitgehend, wenn blick darauf, wie wir unbürokratisch mit einem mögli- auch mit vielen Schmerzen, realisiert haben. Dazu ge- chen Einspruchsverhalten umgehen – das werden wir hörte nicht die Kürzung der Pendlerpauschale, sondern mit den Ländern sicherlich auch zur Zufriedenheit der die Abschaffung der Pendlerpauschale; denn in Wirk- Steuerbürger lösen –, reden hier einige leichthin davon, lichkeit haben wir sie abgeschafft. dass man für den Bund 1,15 Milliarden Euro aufgeben solle. Auf der einen Seite fordert mich Herr Fricke von (Zuruf von der FDP: Dann machen Sie’s der FDP-Fraktion auf, Steuersubventionen weiter abzu- doch!) bauen. Wir haben das sogenannte Werktorprinzip eingeführt, (Otto Fricke [FDP]: Sind Sie dafür?) was bedeutet, dass der Arbeitstag der Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer, wenn Sie so wollen, nicht mehr Ich soll übrigens auch die Sozialleistungen weiter kürzen beim Verlassen des Wohnortes anfängt, sondern beim und die Neuverschuldung noch schneller senken. Passieren des Werktors. (Jürgen Koppelin [FDP]: Ja! Das ist richtig!) (Jürgen Koppelin [FDP], auf die SPD deutend: Erklären Sie denen das mal!) Auf der anderen Seite vertritt Herr Solms nur Positionen, die das derzeitige Transfersystem massiv zementieren. – Nein, nein, nein: Ich komme bei der Pendlerpauschale In einer sehr statischen Betrachtung listet er nur die Zu- lieber auf Ihren Fraktionskollegen Solms zu sprechen. mutungen im Einzelnen auf – auch bei der Pendlerpau- (Jürgen Koppelin [FDP]: Aber Ihre Sozis schale – und, wenn ich es richtig sehe, insinuiert, wir begreifen das doch alle nicht!) dürften an der Pendlerpauschale keine Änderungen zu- lasten des Haushaltes vornehmen. Vielleicht unterhalten – „Meine Sozis“ sind da völlig konform mit mir. Sie sich einmal mit Herrn Fricke darüber, wie ich mich 11382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bundesminister Peer Steinbrück (A) angesichts dieses Abgrunds bewegen soll, in den hof- Große Koalition hat den Anspruch, die Auswirkungen (C) fentlich nicht ich hineinfallen werde, sondern Sie. sich wandelnder Rahmenbedingungen nicht einfach nur zu erleiden und zu erdulden, sondern die Herausforde- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rungen der Globalisierung einer zukunftsbelastenden der CDU/CSU) Staatsverschuldung oder einer älter werdenden Gesell- Es entspricht der strukturellen Doppelmoral, dass schaft anzunehmen. Wir sind kein Opfer sich wandeln- mich der eine aus der Fraktion auffordert, Steuersubven- der Zeiten; vielmehr wollen wir notwendige Veränderun- tionen abzubauen, und mir vorwirft, ich sei bei der Ab- gen gestalten und dabei wirtschaftlich-technische senkung der Nettokreditaufnahme viel zu wenig ehrgei- Dynamik mit sozialer Teilhabe und Aufstiegsperspekti- zig, während sich der andere das Empörungspotenzial ven für die Menschen in dieser Republik zusammenbrin- der Menschen zu eigen macht, die verständlicherweise gen. am liebsten die alte Regelung beibehalten hätten. Er ze- Einen Gestaltungsanspruch erhebt auch die von mir mentiert aber damit genau das System staatlicher Trans- vertretene Haushalts- und Finanzpolitik. Das erstreckt ferzahlungen, gegen das Sie doch sonst immer ord- sich nicht nur auf die Bereitstellung von finanziellen nungspolitisch argumentiert haben, Herr Solms. Was Mitteln für Bereiche, die wichtig für die Zukunft dieses denn nun? Das ist nicht konzise. Eine solche Position Landes sind. Dabei geht es vielmehr auch um die Fra- kann sich der Finanzminister in seinem Verantwortungs- gen, wie wir mit eventuell unerwünschten Einflussnah- bereich nicht zu eigen machen. men staatlich gespeister großer Anlagefonds umgehen Mit den Reformen der Agenda 2010 hat die frühere und wie wir feststellen können, ob dabei nationale Inte- Bundesregierung unter Gerhard Schröder begonnen, das ressen in Mitleidenschaft gezogen werden. Oder nehmen Wirtschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft zu re- Sie als hochaktuelles Beispiel die Möglichkeit von Staa- formieren. ten, verbindliche Regelungen zur Sicherung der interna- tionalen Finanzstabilität zu verankern. Wir dürfen nicht (Jürgen Koppelin [FDP]: Das sieht Ottmar die Augen davor verschließen, dass die Liberalisierung Schreiner anders!) und die enorme Dynamik des globalen Finanzsystems Ich will an dieser Stelle mit Absicht daran erinnern, dass prinzipiell zu einer Machtverschiebung führen. Die die Agenda 2010 sehr viel mehr ist als Hartz IV. Sie för- Möglichkeiten einzelner Staaten werden tendenziell ge- dert Investitionen über Steuersenkungen; sie hat dazu ringer, Regeln zu setzen und zu überwachen, nach denen beigetragen, die Situation der Kommunen zu stabilisie- das globale Finanzsystem funktioniert. Gleichzeitig be- ren; sie hat den Mittelstand gefördert; sie setzt Schwer- kommen private Anlage- und Renditeinteressen mehr punkte bei Forschung und Entwicklung, und sie hat auch Durchsetzungsmacht. (B) (D) einen ersten Impuls bei dem Ausbau der Kinderbetreu- Diese Machtverschiebung an sich ist für mich kein ung gegeben. Das ist, wie ich finde, auch ein standort- Grund dafür, dass Staaten als Interessensachwalter des politisches Thema vor dem Hintergrund der Tatsache, Gemeinwohls der jeweiligen Gesellschaften die Segel dass wir in Deutschland durch eine bessere Vereinbarkeit streichen und das Schicksal des globalen Finanzsystems von Beruf und Familie zu einer höheren Erwerbstätigen- allein der Logik einer weltweit agierenden Finanzindus- quote der Frauen kommen müssen. Darauf ist diese Re- trie überlassen. Notwendig ist vielmehr, dass die Staa- publik angesichts der demografischen Entwicklung tengemeinschaft in den Stand versetzt wird, auf Augen- zwingend angewiesen. höhe mit der Finanzindustrie zu sein und internationale (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Regeln zu vereinbaren. Man kann sie Standardsetzun- der CDU/CSU) gen, Guidelines oder Verhaltenskodex nennen, wie auch immer. Das geht aber nur in entsprechenden internatio- Die Große Koalition hat auf diesen Reformen aufbau- nalen Gremien wie der Eurogruppe, im Ecofin-Rat oder end gleich zu Beginn der Legislaturperiode unter ande- im Rahmen der G 7 oder des Internationalen Währungs- rem mit einem 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm fonds. Es wird nicht durch Kraftmeierei auf den heimat- – das die Länder übrigens mit einem weiteren 12,5-Mil- lichen Marktplätzen gehen. liarden-Euro-Programm unterstützt haben, sodass es um einen Impuls von immerhin 37,5 Milliarden Euro geht – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weitere Impulse gesetzt. Wir haben eine Unternehmen- der CDU/CSU) steuerreform verabschiedet. Wir bleiben dabei, dass wir die Vererbung betrieblicher Vermögen durch Nachfolge- Die Chancen, hier voranzukommen – es ist diese regelungen im Mittelstand weiter fördern wollen. Wir Bundesregierung gewesen, die während ihres G-7-Vor- haben eine Gesundheitsreform verabschiedet, von der sitzes und ihrer EU-Ratspräsidentschaft zum ersten Mal ich den Eindruck habe, dass sich die Kritikpunkte zuneh- diesen Punkt auf die Tagesordnung gesetzt hat –, stehen mend verflüchtigen, weil einige merken, dass das Vorha- besser denn je. Das erhoffe und erwarte ich unter dem ben doch Hand und Fuß hat. Mit der Debatte um die Eindruck der jüngsten Turbulenzen und krisenhaften Zu- Föderalismusreform II werden wir auch weitere Beiträge spitzungen. Auch im angloamerikanischen Raum wird zur Reform des deutschen Föderalismus leisten. zunehmend wahrgenommen, dass die potenziellen syste- mischen Risiken auf die Finanzmärkte zurückschlagen Wir fahren jetzt die Ernte dieser teilweise auch könnten und dass man im Sinne von Prävention und Pro- schmerzhaften Anstrengungen ein, ich gebe zu: mit einer phylaxe Vereinbarungen mit der Finanzindustrie tref- für Strukturreformen üblichen Zeitverzögerung. Die fen muss. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11383

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Wir haben in diesem Land einen guten Zwischenstand auch, die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass sich (C) erreicht. Die guten Zahlen des Jahres 2007 dürfen aller- mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mehr Arbeitneh- dings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Problem- merinnen und Arbeitnehmer als bisher in Deutschland an druck im Kessel nach wie vor hoch ist. Die guten Nach- ihren Unternehmen beteiligen können. Beide Koalitions- richten vom Arbeitsmarkt oder aus der Wirtschaft dürfen fraktionen arbeiten an diesem Thema. nicht wie Valium wirken, sondern müssen Adrenalin für Die für mich entscheidende Frage lautet: Gelingt es weitere Anstrengungen sein. Dabei ist es leicht, aber für uns über die erreichten Zwischenerfolge hinaus dauer- das breite Verständnis der Bevölkerung für Reformen haft, mehr Menschen an den positiven wirtschaftlichen eine sehr schädliche Haltung, anderen viel abzuverlan- Entwicklungen teilhaben zu lassen? Das ist nichts weni- gen, zum Beispiel den Gürtel enger zu schnallen, wenn ger als die Frage nach der Verbindung von Förderung der man selber ziemlich beleibt ist. Die radikalsten Reform- Wirtschaftsdynamik auf der einen Seite und der Förde- rufer – weg mit der Erbschaftsteuer; runter mit dem Ein- rung einer gerechten Gesellschaft auf der anderen Seite. kommensteuerspitzensatz; weg mit dem Kündigungs- Beides zusammenzubringen, ist die entscheidende politi- schutz; Streichung von Sozialleistungen – sind in sche Herausforderung. meinen Augen die größten Reformblockierer, weil ihnen der Sinn für gesellschaftlichen Ausgleich, der Sinn für (Beifall bei der SPD) gesellschaftliche Balance – man kann auch sagen: der Sinn für soziale Gerechtigkeit – verloren gegangen ist. Steuersenkungen auf Pump gehört nicht zu meiner Definition einer gerechten Gesellschaft. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das gilt umso mehr, als wir wissen, dass der Auf- der CDU/CSU) schwung in den letzten zwei Jahren noch immer in erster Linie jenen zugute kommt, die einen qualifizierten Ar- Erstens ist die Staatsverschuldung generell die größte beitsplatz haben, und dass er noch nicht ausreichend je- Umverteilung von unten nach oben, und zweitens sind nen zugute kommt, die seit über einem Jahr erwerbslos Steuersenkungen auf Pump nicht generationengerecht. sind oder deren Niedriglöhne nicht ausreichen, ihren Le- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bensunterhalt ohne staatliche Unterstützung zu bestrei- der CDU/CSU) ten. Was wir jetzt brauchen, sind nicht Steuersenkungen auf Das Bundeskabinett hat bei seiner Klausur in Mese- Pump, sondern solide Haushaltspolitik verbunden mit berg das Programm für die kommenden zwei Jahre unter mehr Zukunftsinvestitionen vor allem in Bildung, For- das Motto „Aufschwung für alle“ gestellt. Das bedeutet schung, Infrastruktur, Energieeffizienz und Klimaschutz. (B) für mich zuallererst deutlich weniger Arbeitslosigkeit Unsere Verpflichtung gegenüber den ärmsten Ländern (D) und Chancengerechtigkeit vor allem für Kinder und Ju- dieser Welt und gegenüber der Bundeswehr im Rahmen gendliche bei der Bildung. ihrer internationalen Mandate will ich bei dieser Gele- genheit nicht unerwähnt lassen. (Beifall bei der SPD) Ich kann den Spannungsbogen nicht auflösen – ich Dafür ist eine gestaltende Finanzpolitik nach meinem habe den Eindruck, niemand kann ihn auflösen –, näm- Verständnis bereit, Geld zur Verfügung zu stellen. Einen lich auf der einen Seite möglichst rasch keine neuen wichtigen Schritt haben wir bereits geschafft. Ein Auf- Schulden zu machen und parallel dazu in die wichtigsten schwung für viele – nicht für alle – ist in greifbarer Rea- Zukunftsfelder dieser Republik mehr zu investieren. Die lität, zum Beispiel für die 800 000 Menschen, die seit in meinen Augen richtige, ausgewogene Balance macht Beginn dieser Legislaturperiode einen Arbeitsplatz ge- den Erfolg aus. Diese verlieren wir, wenn wir die Steu- funden haben, für die Millionen Arbeitnehmerinnen und ern weiter senken, bevor wir keine neuen Schulden ma- Arbeitnehmer, die sich heute erkennbar weniger Sorgen chen. Deshalb wird die Bundesregierung ihre bisherige um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes machen müssen, erfolgreiche wirtschafts- und finanzpolitische Strategie für alle, die mehr Lohn in der Lohntüte haben, weil es – Sanieren, Investieren, Reformieren – fortsetzen. zum ersten Mal seit langem reale Lohnsteigerungen gibt, sowie für alle Kinder und junge Menschen, die von den Dass dieser Kurs nicht zur Disposition steht, wurde Verbesserungen im Betreuungs- und Bildungsbereich auch bei der Kabinettsklausur in Meseberg durch zwei profitieren. Das reicht von dem 4-Milliarden-Euro-Pro- wichtige und klare Bestätigungen unterstrichen. Erstens gramm zum Ausbau der Tagesbetreuung in Grundschu- erhält die Haushaltskonsolidierung eine überragende Be- len über die Förderung von Betreuungsplätzen der unter deutung, und zweitens bilden der Haushaltsplan 2008 Dreijährigen bis hin zur Einrichtung zusätzlicher Stu- und die mittelfristige Finanzplanung bis 2011 den unver- dienplätze im Rahmen des Hochschulpaktes. Es gilt rückbaren Mindestrahmen für alle kostenwirksamen nicht zuletzt für die vielen Menschen in unserem Land, Vorschläge. In diesem Rahmen mag es aus Respekt ge- die durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit Gemeinsinn über genüber dem Souverän zu Veränderungen kommen. Eigennutz stellen. Finanzielle Spielräume für neue Maßnahmen ergeben sich nur dann, wenn es gegenüber den bisherigen Schät- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zungen zusätzliche Steuermehreinnahmen geben sollte. Deshalb haben wir mit unserem Programm „Hilfen für Von denen sollten wir allerdings, wie bisher erfolgreich Helfer“ zumindest ein Zeichen der Anerkennung gesetzt, in der Großen Koalition getan, den überwiegenden Teil auch materiell unterlegt. Aufschwung für alle bedeutet zur beschleunigten Rückführung der Nettokreditauf- 11384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bundesminister Peer Steinbrück (A) nahme verwenden, dann aber auch einen anderen Teil, Aber wir wollen mehr. Unser Ziel ist, dass bis zum (C) dem Gestaltungsanspruch der Koalition folgend, zur Jahre 2013 Betreuungsmöglichkeiten für 35 Prozent der Verfügung stellen. Das ist uns gemeinsam bisher recht Kinder unter drei Jahren bereitstehen. Damit bekommen gut gelungen. Darauf haben wir uns gemeinsam verstän- gerade die Kinder aus sozial schwachen Familien die digt. Chance auf eine frühkindliche Betreuung und damit auf bessere Bildungschancen und Lebensperspektiven. Deswegen war ich auch wenig von manchen Stimmen in der Sommerpause begeistert. Einzelne fordern von (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) mir noch mehr Tempo bei der Rückführung der Netto- Der Bund hat deshalb sehr früh angeboten, sich mit neuverschuldung, während andere zur selben Zeit für 4 Milliarden Euro an den Gesamtkosten des notwendi- Steuersenkungen oder für eine Aufstockung der Regel- gen Ausbaus dieser Betreuungsplätze für die Kinder un- sätze beim ALG II – da gibt es eine völlig ungeklärte ter drei Jahren zu beteiligen. Auch wenn die Verhandlun- Aufstockungsproblematik – plädieren oder auch die Ab- gen mit den Ländern zäh gewesen sind, freue ich mich schaffung des Soli fordern. Nur, um Ihnen einmal die zusammen mit der Kollegin Frau von der Leyen, dass Proportionen zu verdeutlichen: Der Soli steht aus- uns eine Lösung mit den Ländern gelungen ist. Sie ken- schließlich dem Bundeshaushalt zu. Er dürfte nächstes nen diese im Einzelnen, weshalb ich Sie nicht mit vielen Jahr 11 bis 12 Milliarden Euro betragen. Jemand, der für Zahlen belästigen muss. Uns ist sehr daran gelegen, die Abschaffung des Soli plädiert, aus welcher momen- diese 4 Milliarden Euro auf Investitionsförderung und tanen Regung heraus auch immer, stellt so eben einmal die notwendige Unterstützung bei der Finanzierung von 12 Milliarden Euro Einnahmen für den Bundeshaushalt Betriebskosten aufzuteilen und das Ganze an einen infrage. Rechtsanspruch ab 2013 zu koppeln. Ich freue mich für (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) die vielen Kinder und Eltern, die davon profitieren wer- den. Derjenige, der den Soli um 1 oder 2 Prozentpunkte sen- ken möchte, stellt 2 oder 4 Milliarden Euro zur Disposi- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tion. Wie soll ich bei solchen Vorschlägen mit Blick auf Für die Einrichtung eines Sondervermögens wird die Haushaltskonsolidierung Kurs halten? die Bundesregierung selbstverständlich einen Nachtrags- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haushalt vorlegen. der CDU/CSU) (Otto Fricke [FDP]: So selbstverständlich war Eine solche Einstellung ist nicht gut. Auch folgende Ar- das gar nicht!) (B) beitsteilung in der Koalition ist nicht möglich: Die einen – Das war immer so selbstverständlich. Sie, Herr Fricke, (D) fordern fröhlich Unvereinbares, aber Populäres. Die an- mussten das nur noch einmal fordern, damit Sie eine dere Seite muss sich auf der mühsamen Ebene der Erklä- Nachricht in den Zeitungen darüber finden. rungsarbeit bewegen und den Menschen sagen: Das geht nicht. (Widerspruch bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Dieser Nachtragshaushalt wird sich allerdings nach Kauder [CDU/CSU] – Zuruf des Abg. Jürgen Auffassung der Bundesregierung auf der Ausgabenseite Koppelin [FDP]) ausschließlich auf die Einrichtung dieses Sondervermö- gens konzentrieren. Ich werde ihn im Lichte der aktuel- Das politische Muster darf nicht dem amerikanischer len Steuerentwicklung – die nächste Steuerschätzung Gangsterfilme – „good cop and bad cop“ – entsprechen. wird Anfang November stattfinden – zum gegebenen Im Zweifelsfall soll dann nämlich der Bundesfinanz- Zeitpunkt über das Kabinett dem Bundestag vorlegen. minister der „bad cop“ sein, und alle fragen mich, wes- halb ich so unfreundlich aussehe. Im zentralen Zukunftsbereich der Bildung werden wir die Bedingungen der Studierenden durch eine deutliche (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU) Anhebung der BAföG-Sätze verbessern. Der vorlie- gende Haushaltsentwurf sieht diesbezüglich gegenüber Der Haushaltsentwurf 2008 und der Finanzplan bis 2007 schon deutliche Mehrausgaben vor. Diese Erhö- 2011 sind Ausdruck unserer finanzpolitischen Strategie, hung ist mir gerade vor dem Hintergrund der Einführung den Haushalt einerseits zu sanieren und andererseits Im- von Studiengebühren in vielen Ländern wichtig. Ich pulse für Wachstum und Beschäftigung zu geben. Damit hoffe nämlich, dass wir damit verhindern können, dass leistet die Bundesregierung bis zum Jahre 2010 ihren immer mehr Jugendliche aus einkommensschwächeren Beitrag, zum Beispiel das Drei-Prozent-Ziel bei der For- Familien nicht in der Lage sind, zu studieren. Wir brau- schung und Entwicklung zu erreichen. Hierzu stellen wir chen sie alle. pro Jahr zusätzlich 220 Millionen Euro zur Verfügung. Zum 1. Januar dieses Jahres haben wir das Elterngeld (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eingeführt. Das Elterngeld ist übrigens deutlich höher als der CDU/CSU) das Erziehungsgeld. Für das bisherige Erziehungsgeld Die Akademikerquote in Deutschland ist nicht zu hoch, waren, glaube ich, 2,6 Milliarden Euro veranschlagt, für die Akademikerquote in Deutschland ist im internationa- das Elterngeld 4 Milliarden Euro. Die Menschen bekom- len Vergleich zu niedrig. men auf diese Weise also mehr Geld, um die Vereinbar- keit von Beruf und Familie zu fördern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11385

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Die parlamentarischen Bestrebungen zu weiteren Erhö- lich zu machen; die meisten setzen „gesamtstaatlicher (C) hungen sind mir sehr geläufig. Wenn der gesamte Rah- Haushalt“ mit „Bundeshaushalt“ gleich –, wahrschein- men des Haushalts dadurch nicht gesprengt wird, Herr lich schon im nächsten Jahr ausgeglichen sein wird. Dies Vorsitzender, nehme ich diese Bemühungen respektvoll wird jedenfalls früher als erwartet sein. Ich freue mich, zur Kenntnis. dass nach Lage der Dinge 10 von 16 Ländern vor 2010 einen ausgeglichenen Haushalt haben können. Die Bundesregierung stellt sich ferner mit dem Energie- und Klimapaket den Herausforderungen des Festzuhalten ist allerdings, dass die Struktur des Bun- Klimawandels. Hierfür werden wir die Einnahmen aus deshaushalts ganz anders als die Struktur der Länder- der Versteigerung von Emissionszertifikaten verwenden. haushalte aussieht und dass unsere diesbezüglichen An- Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Einnahmen strengungen zur Erreichung dieses Ziels, insbesondere – ich suche jetzt den Kollegen Gabriel auf der Regie- vor dem Hintergrund, dass 55 Prozent des Bundeshaus- rungsbank – höher sind. halts Sozialausgaben sind, sehr viel schwieriger sind. (Dr. , Bundeskanzlerin: Er ist Im Übrigen füge ich hinzu, dass die Haushaltslage bei der Klimakonferenz! – Jürgen Koppelin von Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen sich [FDP]: Der ist doch mit der Flugbereitschaft deutlich günstiger als die Haushaltslage des Bundes ent- unterwegs!) wickelt. Die Länder konnten bereits 2006 ihr Finanzie- rungsdefizit im Vergleich zu 2005 um – halten Sie sich – Er ist auf der Klimakonferenz. Wenn die Einnahmen fest! – 57 Prozent abbauen, während der Bund seines nur aus dem Zertifikatehandel höher sein sollten, gibt es zu- um 10 Prozent abbauen konnte. sätzliche Spielräume, um das Energie- und Klimapaket zu finanzieren. Auch die Kommunen haben 2006 einen Haushalts- überschuss von nahezu 3 Milliarden Euro erzielt, und (Jürgen Koppelin [FDP]: Der Gabriel konnte das nach einem Finanzierungsdefizit von 2,2 Milliar- noch nicht mit der Flugbereitschaft aus Han- den Euro ein Jahr zuvor. Erstmals seit 1989 konnten die nover landen!) öffentlichen Haushalte im ersten Halbjahr 2007 in ge- Die Bundesregierung legt einen Finanzplan vor, mit samtstaatlicher Betrachtung, also bezüglich der vier von dem wir, die Bundesebene, realistischerweise spätestens mir genannten Komponenten, einen Überschuss erzie- im Jahre 2011 erstmals seit 40 Jahren einen ausge- len, was mich für die anderen Gebietskörperschaften glichenen Haushalt erreichen werden. Jemand, der dies freut. Dazu ist der Bund aber nach wie vor nicht in der schon für das Jahr 2008 oder 2009 verspricht, der begeht Lage. Deshalb füge ich an dieser Stelle sehr bewusst den alten Fehler des Zweckoptimismus. Wenn es denn hinzu: Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Haus- (B) 2010 so sein sollte, dass wir einen ausgeglichenen Haus- halte von Bund, Ländern und Kommunen ist meine Be- (D) halt haben, dann gebe ich einen aus: reitschaft, Kompromisse mit den Ländern immer häufi- ger dadurch zu erzielen, dass der Bund der Zahlmeister (Jürgen Koppelin [FDP]: Aber dann sind Sie ist, zunehmend unterentwickelt. doch gar nicht mehr im Amt!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie für die beiden Koalitionsfraktionen zwei Flaschen bei Abgeordneten der FDP – Anja Hajduk Saint-Émilion – – [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ha- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der ben Sie doch gerade gemacht!) CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Wenn ich Ihnen angesichts dessen spätestens für 2011 SES 90/DIE GRÜNEN) einen ausgeglichenen Bundeshaushalt in Aussicht stelle, – Okay, je. dann weiß ich, wie die Reflexe aussehen – Frau Hajduk deutet das gerade an –: Der Steinbrück ist nicht ambitio- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der niert genug; der müsste viel ehrgeiziger sein; der macht CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- es sich leicht; das ginge alles noch viel schneller. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Die Oppositionsfraktion bekommen je eine Flasche Kal- DIE GRÜNEN) terer See. Frau Hajduk, Sie brauchen mir gar nicht Ihr Manuskript (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und des zu geben. Diese Rede kann ich auch halten, nachts um BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Steffen drei auf Knopfdruck. Kampeter [CDU/CSU]: Wir wollen deutsche Weine!) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) – Es kann auch Lambrusco sein. Er ist vornehmlich deutscher Wein, wie ich vermute, große Lage. Das ist im parlamentarischen Schlagabtausch nun einmal so üblich. Rituelle Elemente sind gelegentlich nicht ganz Ich freue mich über die Tatsache, dass der gesamt- von der Hand zu weisen. staatliche Haushalt, also der Haushalt von Bund, Län- dern, Kommunen und Sozialversicherungen – es ist sehr Jeder Finanzminister ist sehr gut beraten, den Mund schwer, dem Publikum den Unterschied zwischen Bun- nicht zu voll zu nehmen. Die Erfahrung vieler Finanz- deshaushalt und gesamtstaatlichem Haushalt verständ- minister zeigt einem, dass die Bürger dies zu würdigen 11386 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bundesminister Peer Steinbrück (A) wissen, weil sie des Wortgeklingels in diesem Zusam- Andere Länder haben das geschafft. Die Finnen ha- (C) menhang gelegentlich ziemlich müde sind. ben es geschafft. Die Schweden haben es geschafft. Wa- rum soll die Bundesrepublik Deutschland dies nicht Ich bleibe dabei: Gerade die Finanzpolitik muss von schaffen? Mir ist sehr bewusst, dass es natürlich auch in realistischen, eher vorsichtigen Annahmen getragen diesem Hohen Haus einige gibt, die es sich leicht ma- sein, so wie wir das im Koalitionsvertrag verabredet ha- chen und den Menschen vormachen, sie bräuchten sich ben und so wie wir das als Große Koalition bisher immer nicht für eine Alternative zu entscheiden und bräuchten gehandhabt haben, und zwar mit einer wichtigen ver- sich nicht anzustrengen. Ich meine jene, die vielen alles trauensbildenden Auswirkung: Wir haben uns am Ende versprechen – das kann ich auch –: den Rentnern, den der vergangenen Jahre zugunsten und nicht mehr zulas- Facharbeitern, den Arbeitslosen, den Familien – ganz ten der Bundesrepublik Deutschland verschätzt, und dies wie in der Werbung: Ich will alles, und zwar gleich. – ist für die weiteren Debatten vertrauensbildend. Eine solche Rede zu halten, fällt nicht schwer. Aller- dings: Ohne dabei auf die Rechnung zu schauen, die ja (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) irgendjemand bezahlen muss, ist es eine nicht sehr auf- Haushaltsausgleich 2011 oder früher, fest steht: Mit richtige politische Rede. dem vorliegenden Finanzplan haben wir – auch wenn es (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) pathetisch klingt – eine historische Chance, nämlich die Chance, nach 40 Jahren Politik auf Pump aus dem Ich danke der SPD-Bundestagsfraktion dafür, dass sie Hamsterrad einer immer weiter steigenden Verschul- das einmal ausgerechnet hat. Allein die Forderungen dung mit einer entsprechenden Zinslast – wir zahlen von PDS oder Linken summieren sich auf eine statt- nach wie vor über 40 Milliarden Euro Zinsen – heraus- liche Mehrausgabensumme von 155 Milliarden Euro pro zukommen. Diese Verschuldung drückt uns aktuell mit Jahr. Wenn wir alle diese Forderungen berücksichtigen 1 500 Milliarden Euro. Das ist eine Zahl, die kein würden, müsste der Bundeshaushalt um 54 Prozent stei- Mensch mehr verstehen kann. 1 500 Milliarden Euro gen. Das würde die Belastbarkeit der Unternehmen, ins- Schulden, das bedeutet, dass jeder Bürger in Deutsch- besondere der mittelständischen Unternehmen, und der land – 80 Millionen Einwohner, vom Baby bis zum Mittelschicht zerstören. Diese Gruppen brauchen wir Greis – Schulden in der Größenordnung des Wertes ei- aber dringend, weil sie die Solidarität gewähren und be- nes Mittelklassewagens von 18 000 bis 20 000 Euro hat. zahlen müssen, die wir doch leisten wollen. Sie würden Das ist das, was auf uns gemeinsam lastet. davon als Erste betroffen werden. Dafür fallen immer mehr Zinsen an. Die Zinsen sind Mit Ihren Rezepten – hohe Lohnzusatzkosten, höhere inzwischen der zweitgrößte Ausgabenblock. Sie liegen Steuern, Einschränkung des Wettbewerbs – würden Sie Arbeitsplätze und damit Wohlstand in Deutschland ver- uns wie eine Schlinge um den Hals. Wenn wir von die- (B) nichten, weil Sie nicht nur die sogenannten Reichen, (D) sem Zinsblock herunterkämen, hätten wir mehr Geld für diese Schimäre, treffen, sondern ganz empfindlich den Bildung, mehr Geld für Familie, mehr Geld für Infra- gesamten Mittelstand in der Bundesrepublik Deutsch- struktur, mehr Geld für die Zukunftsinvestitionen, von land. denen unser zukünftiger Wohlstand und unsere zukünf- tige Wohlfahrt abhängen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich will nur zwei Beispiele für die wirtschaftlichen Widersprüche erwähnen, die sich dort auftun: Wir haben die historische Chance, damit aufzuhören, unseren Kindern und Enkelkindern immer mehr Wacker- Erstens. Ihr Vorschlag zur Änderung des Tarifverlaufs steine in den Rucksack für ihr Leben zu legen – will sa- bei der Einkommensteuer. Diese Änderung des Tarifver- gen: immer mehr Lasten aufzubürden –, übrigens zusätz- laufs hätte nicht nur Einnahmeverluste von 12 Milliar- lich zu den Lasten einer älter werdenden Gesellschaft. den Euro zur Folge – das wäre noch nicht einmal der Eines ist klar: In dem Umfang, in dem wir das nach wie entscheidende Punkt –; Sie würden damit auch die Mit- vor tun, führt das zu einer gigantischen Umverteilung telschichten massiv zur Kasse bitten; von unten nach oben. (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!) Wir sind deshalb in meinen Augen an einer entschei- denn nach Ihrem Tarif wäre die Grenzsteuerbelastung denden finanzpolitischen Wegmarke angelangt, die schon ab einem zu versteuernden Einkommen von eine klare politische Entscheidung von uns verlangt. Zu- 39 600 Euro deutlich ungünstiger als bei dem, was heute gespitzt – das gebe ich zu – lautet die Alternative für die gilt. Sie würden damit die Facharbeiterebene treffen. Finanzpolitik: kurzfristiger Rausch oder langfristige Rendite. Wir können uns entscheiden: Geben wir weiter (Beifall bei der SPD – Dr. Gesine Lötzsch Geld mit vollen Händen aus, solange der Aufschwung [DIE LINKE]: Genau andersrum!) trägt, und vergrößern wir den Schuldenberg immer noch, Zweitens. Ihr Vorschlag, die Rentenreformen von oder machen wir im Hinblick auf konjunkturell mal wie- 2001 und 2004 sowie die schrittweise Anhebung des der schlechtere Zeiten – hoffentlich später als früher – Renteneintrittsalters rückgängig zu machen. Natürlich jetzt Ernst mit dem Einstieg in den Schuldenabbau und weiß ich, dass niemand gern länger arbeitet. Natürlich vergrößern damit Schritt für Schritt und langfristig un- weiß ich, dass wir alle weniger Steuern zahlen wollen. sere finanzpolitischen Gestaltungsspielräume? Ihr alle zahlt aber ganz richtig und angemessen Steuern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Dr. Peter Struck [SPD]: Genau! Machen wir!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11387

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Ihr Vorschlag ist generationenungerecht. Die heutigen Zweitens. Sie muss eine ökonomisch plausible Be- (C) 40-Jährigen und die Jüngeren wissen ganz genau, dass grenzung der strukturellen Neuverschuldung sicherstel- sie länger arbeiten müssen, weil anders alles nicht zu be- len. zahlen ist. Darüber ist natürlich niemand begeistert, aber Drittens. Sie muss auch ein Atmen der öffentlichen es ist unverantwortlich, so zu tun, als ob man es ändern Haushalte bei konjunkturellen Veränderungen oder be- könnte. stimmten Notlagen, zum Beispiel nach einer Flutkata- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) strophe, ermöglichen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie mit einer solchen Viertens muss sie insbesondere gegenüber den Bürge- Voodoo-Ökonomie nicht sehr weit kommen. Die Men- rinnen und Bürgern glaubwürdig in dem Sinne sein, dass schen haben ein sehr feines Gespür dafür, was Mogel- ihre Einhaltung wirksam kontrolliert und sanktioniert packungen sind, nicht nur in der Werbung, sondern auch wird. in der Politik. Die Menschen wissen, dass es nichts um- Die Ausrufung der Abwehr des gesamtwirtschaftli- sonst gibt. Die Menschen wissen, dass man zwar heute chen Ungleichgewichtes alleine darf nicht mehr ausrei- über seine Verhältnisse leben kann, aber eines Tages da- chend sein, um die Ausnahmemöglichkeiten des für die Rechnung zu bezahlen hat. Art. 115 in Anspruch zu nehmen. Wie wir damit bisher umgegangen sind, war doch zu leichtfüßig. Meine Damen und Herren, eine robuste Konjunktur, gestützt von einer erfolgreichen Wirtschafts- und Fi- Wie Sie wissen, wird in der öffentlichen Diskussion nanzpolitik der Großen Koalition, ein ausgeglichener das Thema Schuldenregel mit der Frage der Haushalts- Haushalt – jedenfalls in greifbarer Nähe –: Man könnte notlagenproblematik diskutiert. In der Tat, wenn es uns glauben, all das müsste den Finanzminister sehr zufrie- gelingt, die gesamtstaatliche Nettoneuverschuldung denstellen. Aber es fehlt noch etwas. Auf dem Weg zu wirksam zu begrenzen und einzudämmen, werden wir dauerhaft tragfähigen öffentlichen Finanzen kann das damit natürlich auch automatisch Haushaltsnotlagen bei nur ein erster Schritt sein. Schon die erste Große Koali- uns und in den Ländern verhindern können. Wir haben in tion in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich unter der gegenwärtigen politischen Konstellation und mit maßgeblicher Mitwirkung von Karl Schiller und Franz dem günstigen konjunkturellen Rückenwind die, wie ich Josef Strauß an die Reform der Finanzverfassung ge- glaube, seltene, vielleicht sich über lange Jahre nicht macht. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz vom Juni wieder auftuende Chance, entscheidende Schritte in 1967 ist ziemlich genau 40 Jahre her. Zwei Jahre später Richtung dauerhaft tragfähiger öffentlicher Finanzen zu fand diese Reform mit der übrigens heute noch gültigen gehen. Schuldenregel in Art. 115 Grundgesetz ihren Abschluss. (B) (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr richtig!) (D) Der Unterschied zwischen damals und heute beträgt Wir dürfen diese in meinen Augen kostbare Chance für 900 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um den An- eine grundlegende Reform der Finanzverfassung der stieg der Verschuldung allein des Bundes, nämlich von Bundesrepublik Deutschland nicht verpassen, sondern 24 Milliarden Euro 1967 auf 930 Milliarden Euro heute. müssen sie entschieden und konsequent nutzen: Für un- An dieser Tatsache wird deutlich, dass wir als zweiten ser Land und seine Menschen hängt davon sehr viel ab. Schritt nach dem Erreichen eines strukturell ausgegli- chenen Haushalts eine neue Schuldenregelung in unserer Meine Damen und Herren, gute Handwerker wissen: Verfassung brauchen. Ein Dach deckt man am besten, solange die Sonne scheint. Wir haben jetzt während eines guten konjunktu- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) rellen Wetters die historische Chance, unsere Haushalte finanziell in Ordnung zu bringen. Ich stelle die Frage, Diese Schuldenregel muss verhindern, dass in dem Au- wer nachfolgenden Generationen erklären möchte, wa- genblick, wo das strukturelle Defizit endlich null beträgt, rum wir heute nicht konsequent genug waren, einen wir dieselben Fluchtbewegungen wie früher auch unter- nachhaltigen Weg zu beschreiten, obwohl wir mitten in nehmen und in die Spiralbewegung einer wieder zuneh- einer erfreulichen Wachstumsphase sind. Wer will dies menden Verschuldung hineingeraten. Sinn der neuen unseren Kindern und Enkelkindern erklären? Ich für Schuldenregelung ist, das zu verhindern. meinen Teil möchte das nicht. Es ist heute vielleicht noch zu früh, ein bestimmtes Wenn wir beim nächsten konjunkturellen Abschwung Modell für diese Schuldenregel vorzustellen. Ich freue nicht sofort wieder in die Schuldenfalle, in dieses Hams- mich jedoch, dass es in den Debattenbeiträgen hierzu zu- terrad, hineingeraten wollen, müssen wir heute vorsor- nehmend Annäherung auch zwischen den beiden Koali- gen und den Weg einer soliden Haushaltspolitik gehen. tionsfraktionen gibt. Aus meiner Sicht muss eine Neure- gelung des Art. 115, die in dieser Legislaturperiode mit Der Entwurf für den Haushalt 2008 und für die mittel- den uns zur Verfügung stehenden Mehrheiten im Bun- fristige Finanzplanung geht diesen Weg. Ich wäre Ihnen desrat und Bundestag erreicht werden muss, folgenden dankbar, wenn Sie diesen Weg gemeinsam mit der Bun- Kriterien genügen: desregierung gehen würden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Erstens sollte sie mit den Bestimmungen des europäi- schen Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Übereinstim- (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei mung zu bringen sein. der CDU/CSU) 11388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: im sozialen Bereich, die auch Folgekosten nach sich zie- (C) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- hen werden, und zwar fast in der Höhe, in der Sie jetzt nächst für die FDP-Fraktion dem Kollegen Jürgen Schulden aufnehmen? Insofern hat der Kollege Hermann Koppelin. Otto Solms recht: Sie machen immer wieder neue Haus- haltslöcher auf. Sie sind nicht in der Lage, einen ausge- (Beifall bei der FDP) glichenen Haushalt vorzulegen, obwohl der Haushalt 2008 nach unserer Auffassung ohne Neuverschuldung Jürgen Koppelin (FDP): möglich gewesen wäre. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der FDP) Herr Bundesfinanzminister, ich will gar nicht so sehr auf Ihre Rede eingehen. Man hatte den Eindruck, Sie hatten Nun kann man politisch zu Dingen stehen, die Sie als drei Redenschreiber: einen aus dem Finanzministerium, Koalition beschlossen haben. Wer wollte gegen Krippen- einen aus dem Willy-Brandt-Haus und einen aus der plätze sein? Aber solche Vorhaben müssen solide finan- Bundestagsfraktion der SPD; so war das anscheinend ziert sein und dürfen nicht durch neue Schulden gedeckt aufgeteilt. Dass Sie Ihrer SPD-Bundestagsfraktion die werden. Die Kollegin von der Leyen aus Ihrer Koalition Weltwirtschaft erklären müssen, ist Ihre Sache; vielleicht hat natürlich etwas Gutes im Sinn gehabt; aber eines hat haben die es nötig. sie nicht bedacht, was aber für eine Familienministerin ganz wichtig wäre: Diejenigen, die eines Tages einen (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe Krippenplatz bekommen und sich darüber wahrschein- von der SPD: Oh!) lich freuen, werden, wenn sie arbeiten, diesen Krippen- Ich will auf einen Punkt eingehen, weil Sie da die platz selber bezahlen müssen, weil Sie dann so viel Schulden aufgenommen haben. Da haben Sie als Fami- große Keule vor allem gegen die FDP und Kollegen mei- lienministerin eine große Verantwortung, auch gegen- ner Fraktion herausgeholt haben. Wissen Sie, Herr Bun- über den jungen Generationen, die die Schulden bezah- desfinanzminister: Sie sind der schlechteste Kronzeuge len müssen, die Ihr Finanzminister und diese Koalition für Glaubwürdigkeit. Sie, Ihre Fraktion und Ihre Partei auftürmen. haben vor der Bundestagswahl erklärt, die Merkel- Steuer, also eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, komme (Beifall bei der FDP) mit Ihnen auf keinen Fall infrage. Anschließend haben Man könnte weitere Beispiele nennen. Der Bundes- Sie die Mehrwertsteuer jedoch um drei Punkte angeho- finanzminister ist zum Beispiel überhaupt nicht darauf ben. Wenn Sie das den Wählern vorher gesagt hätten, sä- eingegangen, wie er zukünftig all das finanzieren will, ßen in Ihren Reihen 40 Abgeordnete weniger. was mit der Gesundheitsreform beschlossen wurde; ich (B) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Volker erinnere an die erheblichen Steigerungen. Hier muss der (D) Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]) Bund Milliarden in die Gesundheitskasse zahlen. Gleichzeitig wollen Sie einen ausgeglichenen Haushalt Eigentlich sind es gute Zeiten für einen Finanzminis- vorlegen. Wie wollen Sie das bezahlen? Das ist auch ter: Die Einnahmen des Bundes sprudeln, die Medien heute noch nicht geklärt; dazu sagen Sie kein Wort. Sie berichten sogar von Überschüssen. Außerdem haben wir gehen davon aus, dass die Konjunktur weiterhin so – in dem Punkt hat der Bundesfinanzminister recht – positiv verläuft, wie es heute der Fall ist. Über den heuti- eine gute Konjunktur; das schafft Steuereinnahmen. gen Zustand freuen wir uns natürlich. Aber Sie erkennen Aber für diese gute Konjunktur – das ist mit keinem nicht, dass am Horizont durchaus kritische Dinge zu be- Wort erwähnt worden; wenn man aber als Bundesregie- obachten sind. rung selbstkritisch ist, hätte man das eigentlich tun müs- sen – haben Sie selber keinen Handschlag getan. Dafür Wer sagt uns, dass die Konjunktur so bleibt, wie sie zurzeit ist? Es gibt Anmerkungen der Bundesbank und ist die Wirtschaft verantwortlich. Ich will ausdrücklich anderer Einrichtungen, die sehr kritisch darauf hinwei- auch die Gewerkschaften loben, die mit moderaten Ab- sen, dass die Konjunktur nicht so weiterlaufen wird. schlüssen bei den Gehältern dazu beigetragen haben. Herr Minister, Sie selbst haben auf bestimmte Schwä- Was wäre, wenn diese Bundesregierung etwas getan chen hingewiesen und die Probleme der IKB genannt. hätte? Dann hätten wir ja noch mehr Steuereinnahmen. Man hätte auch noch auf die Probleme der Sachsen-LB (Beifall bei der FDP) hinweisen können. Das sind Anzeichen, die man ernst nehmen muss. Sie aber tun so, als hätten wir weiterhin In diesem Zusammenhang muss man die Aktivitäten eine gute Konjunkturentwicklung. Wir alle hoffen dies, des Bundesfinanzministers und der Bundesregierung se- da sind wir mit Ihnen. Man hat aber darauf zu achten, hen: Sie haben die Mehrwertsteuer um drei Punkte an- dass es für die Konjunktur auch Risiken geben kann. Zu gehoben. Da haben Sie ordentlich abkassiert; das gilt den Schwächen der Konjunktur sage ich: Sie tun so, als auch für Sie, Herr Kauder. Und weil der Bundesfinanz- hätte die Mehrwertsteuererhöhung überhaupt nichts Ne- minister und die Bundesregierung beim Abkassieren gatives gebracht. Dabei lassen Sie aber völlig außer gerade in Übung waren, haben sie das auch bei der Bun- Acht, dass das Konsumklima in Deutschland und damit desagentur für Arbeit getan. So wollen Sie Ihren Haus- auch die Binnenkonjunktur nachgelassen haben. halt sanieren; so kommt es zu diesen Mehreinnahmen. Schauen Sie sich nur einmal an, was in der Bauwirt- schaft los ist. Die Probleme dort kommen von der Mehr- Aber man fragt sich – darauf sind Sie mit keinem wertsteuererhöhung. Das können Sie nicht leugnen. Wort eingegangen –: Wie kommt eine Bundesregierung dazu, jetzt weitere Ausgaben zu beschließen, vor allem (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11389

Jürgen Koppelin (A) Herr Bundesfinanzminister, Sie sind nicht mit einem steigerung von 5 Prozent. Man kann ganz offen sagen: (C) Wort auf die Ausgabenseite eingegangen. Warum haben Die Koalition war in allerbester Spendierlaune. Sie hat Sie sich nicht die Ausgabenseite angeschaut? Wir Freien Geld ausgegeben, weil sie die Steuerschätzung gesehen Demokraten haben Jahr für Jahr ein Sparbuch vorgelegt hat. Sie hat Geld ausgegeben, das sie noch nicht in der und Ihnen gesagt, wo man Einsparungen vornehmen Tasche hat. Ich wiederhole: Von der Kanzlerin gab es könnte. Nach unserer Auffassung könnte man in diesem kein Wort dazu. Auch unter dem Stichwort Glaubwür- Haushalt mindestens 5 Milliarden Euro einsparen. Von digkeit sage ich: Frau Bundeskanzlerin, hatten Sie nicht Ihrer Seite gibt es hier keinerlei Anstrengungen. Statt- im Wahlprogramm der Union vor der Bundestagswahl dessen gibt es eine Ausgabensteigerung. auch versprochen, die Menschen in unserem Land zu entlasten und ihnen Geld zurückzugeben? Nichts davon Da Sie unsere Vorschläge immer so schnell wegwi- ist geschehen. Sie haben die Menschen stärker belastet. schen, nenne ich einige Punkte: Warum mussten die Auch das ist ein Beispiel zum Thema Glaubwürdigkeit. Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregie- rung noch einmal gesteigert werden? Wieso muss es (Beifall bei der FDP) Entwicklungshilfe für China geben? Wieso bekommen Organisationen Geld, die sich für Fledermäuse einset- Für uns als Freie Demokraten ist es wichtig, dass wir zen? Das sind nur kleine Beispiele. Wieso muss die Bun- es bei den Haushaltsberatungen schaffen, einen ausgegli- deswehr weiter Munitionskästen instand setzen, die sie chenen Haushalt hinzubekommen. Wir sind bereit, dazu überhaupt nicht braucht? Wieso müssen Deutsche bera- unseren Beitrag zu leisten, auch wenn damit unange- ten werden, die ins Ausland abwandern wollen? All das nehme Entscheidungen und Anträge verbunden sind, zahlen wir aus dem Bundeshaushalt. Ich könnte auch in durch die es zu Streichungen kommt. Wir erwarten aber die Richtung der Frau Entwicklungshilfeministerin auch von der Koalition, dass sie Beiträge dazu leistet. schauen, die kürzlich in Syrien Entwicklungshilfe ver- Ich weiß, dass die Haushaltspolitiker der Koalition viel- sprochen hat. Ich dachte, das sei ein Schurkenstaat. Sie leicht dazu bereit wären. Ich achte dies. Wir wollen se- tätigt noch andere Ausgaben, aber darüber werden wir hen, was Sie im Haushaltsausschuss machen. Herr uns im Rahmen der Haushaltsberatungen noch unterhal- Bundesfinanzminister – – ten. (Bundesminister Peer Steinbrück bespricht sich Herr Bundesfinanzminister, ich komme zu einem mit Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick) Punkt, der gerade uns Freien Demokraten wichtig ist. Ich – Hallo! sage dies, damit Sie sehen, wo Sie Geld sparen könnten. Ihre sozialdemokratische Fraktion äußert sich jetzt in der (Zuruf von der FDP: Das könnten Sie eigent- (B) Öffentlichkeit zur Forderung nach Onlinedurchsuchun- lich im Kabinett machen!) (D) gen durch Innenminister Schäuble. Die dort vertretene Ansicht ist auch unsere Meinung. Wir begrüßen das. Die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, Endlich unterstützen Sie uns hier. dass die Koalition und die Regierung zu solchen Beiträ- gen nicht in der Lage waren. Hier setzen wir auch auf die (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sollten Herrn Abgeordneten der Koalitionsfraktionen im Haushalts- Schäuble danken!) ausschuss. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben Ihrer eigenen Partei kürzlich eine Heulsusenmentalität vorge- Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, Herrn worfen. Ich kann nur sagen: Sie hätten mit gutem Bei- Schäuble im Jahr 2007 und in diesem Bundeshaushalt spiel vorangehen können. Sie hätten Ihrer Fraktion Mut das Geld für die Onlinedurchsuchung zu geben? Die So- machen können. Sie hätten sagen können: Ich, der zialdemokraten haben im Haushaltsausschuss und hier Finanzminister, bin in der Politik hart. – Das wäre posi- im Plenum des Deutschen Bundestages zugestimmt. Tun tiv gewesen. Vielleicht hätten Sie die Heulsusenmentali- Sie doch nicht so, als seien Sie dagegen! tät in Ihrer Fraktion damit ein Stück weit abbauen kön- nen. Also: Kümmern Sie sich um die Ausgabenseite! Da- rauf haben Sie nicht einen Blick geworfen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Diether Die Ratschläge von Bundesbank und Finanzpla- Dehm (DIE LINKE) nungsrat sind in den Wind geschlagen worden. Die Bür- ger werden das teuer bezahlen müssen, wenn man nicht Man muss feststellen, dass die Ausgabenseite des Änderungen am Haushalt 2008 vornimmt. Bundeshaushalts um 5 Prozent wächst. Das hätten Sie als Finanzminister nicht zulassen dürfen. Das ist doch Herzlichen Dank für Ihre Geduld. unverantwortlich. Sie wären in der Lage gewesen, für 2008 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Das (Beifall bei der FDP) haben Sie nicht getan. Vielleicht hat ein Machtwort der Kanzlerin gefehlt, vielleicht konnten Sie sich auch nicht Präsident Dr. Norbert Lammert: wehren. Sie sind nach der Methode verfahren: Wenn der Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der schwarze Minister etwas bekommt, dann muss auch die Kollege Dr. Michael Meister. rote Ministerin etwas haben; wenn die schwarze Minis- terin etwas bekommt, dann muss auch der rote Minister (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. etwas bekommen. Am Ende hatten wir eine Ausgaben- [SPD]) 11390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

(A) Dr. Michael Meister (CDU/CSU): ein – nicht einmalig, sondern dauerhaft und nachhaltig. (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst Das muss unser Ziel sein. einmal fühle ich mich als Vertreter der Großen Koalition (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und der Unionsfraktion durch den Redebeitrag des Kol- legen Koppelin bestärkt. Wir haben gesehen: Die Große Wir werden den Staatshaushalt voraussichtlich im Koalition legt ein geschlossenes Konzept vor, um das nächsten Jahr ausgleichen. Wir werden es aber – auch Wachstum zu stärken, den Haushalt zu konsolidieren das haben wir schon gehört – für den Bundeshaushalt und die Rahmenbedingungen zu verbessern. nicht schaffen. Ich möchte ob der Diskussion der letzten Tage eine Bemerkung dazu machen. Wenn Sie die (Jürgen Koppelin [FDP]: Wo das denn?) Finanzplanung bis 2011 und den Haushalt 2008 mit dem Wir haben punktuelle Kritik, aber kein Alternativkon- vergleichen, was wir vor einem Jahr zum Bundeshalt zept gehört. Daraus schließe ich, dass wir grundsätzlich 2007 diskutiert haben, dann kommen Sie zu dem Ergeb- auf dem richtigen Weg sind und dass wir Kurs halten nis, dass in der jetzigen Vorlage eine Reduzierung der sollten. Schuldenaufnahme über den gesamten Finanzplanungs- zeitraum von 54 Milliarden Euro gegeben ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wer sagt, hier werde nichts Erhebliches geleistet in Ich möchte ausdrücklich, auch für meine Fraktion, sa- Richtung Konsolidierung, wer fordert, wir müssten kurz- gen, dass ich Dank und Anerkennung für die Akteure am fristig noch mehr tun, der erkennt nicht an, welche rie- Finanzmarkt teile. Wir haben in den vergangenen Ta- sige Leistung dahintersteht. Ich glaube, wir sollten im gen und Wochen einige Turbulenzen erlebt. Ich glaube, Sinne von Glaubwürdigkeit und Vertrauen darauf setzen, das besonnene und überlegte Verhalten der Akteure hat dass wir das, was wir ankündigen, auch einhalten kön- dazu geführt, dass der Schaden begrenzt werden konnte nen, und sollten nicht Versprechen machen, bei denen und wir in der Lage sind, mit Blick auf den Finanzplatz wir nicht die Gewähr dafür bieten können, dass sie ein- Deutschland gestärkt aus diesen Turbulenzen hervorzu- gehalten werden. Deswegen plädiere ich für einen wei- gehen. Ich möchte in diesem Zusammenhang das, was terhin seriösen und vernünftigen Kurs. Er schafft Ver- Herr Steinbrück gesagt hat, im Namen meiner Fraktion trauen und die Grundlage für neues Wachstum. Diesen ausdrücklich unterstreichen. Wir sind gut aufgestellt und Kurs wollen wir erfolgreich fortführen. befinden uns auf einem guten Weg. Wir sollten in Ruhe (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- überlegen, welche Konsequenzen notwendig sind, um neten der SPD) uns für die Zukunft weiter zu stärken. Wir müssen natürlich nicht nur das Delta bei der (B) Ich will eine zweite Feststellung treffen. Zum einen Finanzierung betrachten und es auf null zurückführen, (D) ist der Finanzmarkt, der auch Arbeitgeber ist, ein wichti- sondern wir müssen auch die Belastungen der Menschen ger Wirtschaftsfaktor. Zum anderen gibt es indirekte sehen. Hier wird gelegentlich suggeriert, als würde die Auswirkungen auf die Realwirtschaft bei der Finanzie- Belastung ansteigen. Natürlich haben wir einige Zumu- rung. Wir müssen sehr aufpassen und dafür sorgen, dass tungen auf den Weg gebracht. Diese waren aber ob der wir die angesprochenen Risiken weiter begrenzen. Wir Haushaltssituation, die wir vorgefunden haben, notwen- dürfen aber nicht verhindern, dass sich Unternehmen dig. Aber es ist auch richtig, dass die Belastung der weiterhin vernünftig – und zwar außerhalb der Fremdka- Menschen in dem Haushalt, den wir jetzt beraten, auf pitalschiene – finanzieren können. Die Möglichkeit, sich den Stand zurückgeführt wird, wie wir ihn 1989, vor der Zugang zu neuem Eigenkapital zu verschaffen, dürfen deutschen Wiedervereinigung, hatten. Das, was Gerhard wir nicht beschneiden, sondern diese müssen wir aus- Stoltenberg damals erreicht hat, erreichen wir jetzt wie- bauen. Darin liegt ein massiver Beitrag zu mehr Wachs- der. Dazu müssen wir den Menschen sagen: Auch damit tum, zu mehr Arbeitsplätzen und zu mehr Chancen für werden Rahmenbedingungen geschaffen, die es wieder unser Land. attraktiv machen, in Deutschland etwas zu leisten, etwas (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zu unternehmen, etwas zu tun. Betrachtet man die Ge- samtbilanz, heißt das: Wir belasten die Menschen nicht, Angesichts unserer Debatte über den Haushalt 2008 sondern entlasten sie. möchte ich Folgendes zitieren: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In der Politik gibt es einen unstillbaren Drang, sich Herr Koppelin, ich bin gerne bereit, darüber zu disku- zu verschulden, weil die Kosten von den Nachkom- tieren, dass wir nicht allein für die Verbesserung der Si- menden getragen werden, der Nutzen aber in der tuation verantwortlich sind; ich habe die Stichworte Gegenwart anfällt. „Vertrauen“ und „Glaubwürdigkeit“ genannt. Ich will So der Staatsrechtler Hans Meyer, ehemaliger Präsident daran erinnern: In Genshagen wurde das Gesetz zur För- der Humboldt-Universität. derung von Wachstum und Beschäftigung beschlossen. Es wurde übrigens von Ihnen nicht unterstützt. Es hat ei- Die Große Koalition tritt mit dem Haushaltsentwurf nen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass gerade im 2008 den Beweis des Gegenteils an. Wir wollen damit Mittelstand in Deutschland die Konjunktur angesprun- Schluss machen, dass der Nutzen von heute zulasten zu- gen ist, neue Bewegung hineinkam und Arbeitsplätze künftiger Generationen geht. Damit muss es ein Ende geschaffen worden sind. Deshalb ist es aus meiner Sicht haben. Deshalb setzen wir uns für Haushaltsausgleich nicht redlich, einerseits zu sagen: „Die Koalition hat Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11391

Dr. Michael Meister (A) kein Verdienst am jetzigen Aufschwung“, und anderer- winnen. Dies ist gut ausgegebenes Geld. Wir setzen es (C) seits die Maßnahmen, die dazu beigetragen haben, zu an dieser Stelle gerne ein. kritisieren. Sie sollten sich einmal für eine Linie und für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Wahrheit entscheiden. Es gibt einen weiteren Bereich. Wir werden nicht nur Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dass versuchen können, an der Spitze Arbeitsplätze zu schaf- wir diesen Kurs weiterführen sollten. Dies bedeutet zu- fen. Wir müssen auch versuchen, in anderen Bereichen, sätzlich dazu, dass wir die Konjunktur angeschoben ha- gerade bei den Dienstleistungen, mehr Arbeitsplätze zu ben, den Klimaschutz anzugehen. In diesem Zusammen- generieren. Deshalb werben wir dafür – wir hoffen, dass hang werden wir gerade im mittelständischen Bereich wir auch in der Koalition hierbei zu einem Ergebnis die Situation verbessern, indem wir die Förderpro- kommen –, den Bereich der Privathaushalte als Arbeit- gramme zur CO2-Einsparung mit Maßnahmen zum Bei- geber weiter zu stärken. Dies sollte einerseits im Sinne spiel des Gebäudesanierungsprogramms so verbinden, der Vereinfachung der Regelungen, die es dort gibt, ge- dass dies auch wirtschaftlich eine positive Auswirkung schehen und andererseits zur Erhöhung des Volumens, hat. Das Ganze ist deshalb kein Widerspruch, sondern das dort besteht. Denn wir glauben, dass an dieser Stelle ergänzt sich und trägt sich gegenseitig. ein Beitrag dazu geleistet werden kann, Schwarzarbeit abzubauen. Darüber hinaus liegt dort noch ein riesiger Wir sollten auch darüber reden, was das alles den Schatz zur Schaffung neuer Arbeitsplätze auf dem ersten Menschen bringt. Wenn wir die Ausbildungsplatzlage im Arbeitsmarkt. Lande anschauen, dann ist festzustellen: Sie ist besser als vor einem Jahr. Sie ist nicht zufriedenstellend; aber (Beifall bei der CDU/CSU) sie ist besser. Das heißt, junge Menschen haben größere Ich will einen weiteren Punkt nennen. Wir versuchen, Chancen, eine Ausbildung zu finden und damit ihre die Balance im Haushalt zwischen dem, was wir konsu- Existenz zu sichern. Die Chance, einen Arbeitsplatz zu mieren, und dem, was wir investieren, etwas zu ver- finden, ist besser als vor einem Jahr. Im Vergleich zu der schieben. Es ist doch eine Verschiebung von Lasten in Lage vor zwei Jahren sind 1 Million Menschen weniger die Zukunft, wenn wir mehr als 90 Prozent unserer Mit- arbeitslos. Das heißt, auch hier wurden die Chancen ge- tel nicht investieren, sondern, was die Infrastruktur be- steigert. trifft, von der Substanz leben. Deshalb müssen wir da- rauf hinwirken, dass die Investitionsquote im Haushalt Mittlerweile kommt bei denjenigen, die eine Beschäf- deutlich steigt. tigung haben, auch etwas im Geldbeutel an. Wir haben den Arbeitslosenversicherungsbeitrag gesenkt und wol- Ich bin deshalb dankbar, dass im Entwurf der Bundes- regierung an dieser Stelle eine entsprechende Akzentuie- (B) len dafür sorgen, dass er weiter sinkt. Frau Bundeskanz- (D) lerin, hierzu sage ich: Mir geht der Beschluss von Mese- rung gesetzt wird und die Investitionsmittel gestärkt berg nicht weit genug. Ich bin für einen niedrigeren werden. Wir sollten uns in den Haushaltsberatungen da- Beitragssatz als den geplanten von 3,9 Prozent, nämlich rum bemühen, dass diese Stärkung fortgeführt wird und für einen Beitragssatz von 3,5 Prozent. wir eine weitere Verschiebung vom Konsum in Richtung Investitionen hinbekommen. Das ist nämlich hilfreich, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wenn es um die Zukunftsvorsorge geht. Das ist aber neten der FDP) auch kurzfristig hilfreich; ich sage das mit Blick auf die Lage am Arbeitsmarkt. Dieser Satz sollte nachhaltig und dauerhaft gesenkt wer- den, um den Menschen etwas zugutekommen zu lassen (Beifall des Abg. Dr. und die Arbeitsplätze zu sichern. [CDU/CSU]) Ich will zum Abschluss auf einen Punkt zu sprechen Wir haben eine Unternehmensteuerreform zustande kommen, der mir sehr wichtig ist. Ich habe vorhin von gebracht, die die Wettbewerbsfähigkeit des Unterneh- nachhaltiger Haushaltskonsolidierung gesprochen. Wir mensstandortes Deutschland und des Arbeitsplatzstand- wollen hier nicht nur über kurzfristige Ziele diskutieren, ortes Deutschland wesentlich verbessert. Hierzu will ich wir wollen nicht nur über den Haushalt 2008 diskutieren, sagen: Auch das muss im Haushalt finanziert und abge- wir wollen nicht nur über die mittelfristige Finanzpla- bildet werden. Darüber besteht mittlerweile keine Dis- nung diskutieren, sondern wir wollen auch darüber dis- kussion mehr. Wir haben das mit eingebaut. kutieren, dass wir die aus meiner Sicht einmalige Chance haben, ein Regelwerk in die Verfassung aufzu- Ich will darauf hinweisen, dass wir jetzt natürlich nehmen, das dafür sorgt, dass dauerhaft keine strukturel- überlegen müssen: Wo können überhaupt neue Arbeits- len Defizite mehr geschaffen werden können. Wenn wir plätze entstehen? Da haben wir zum einen den Bereich diese Aufgabe nicht lösen, delegieren wir sie an die Forschung und Entwicklung. Trotz der Tatsache, dass nächste Generation; das ist ein Zeitraum von 25 bis wir ein Staatsdefizit haben, trotz der Tatsache, dass wir 30 Jahren. Wir stehen in der Verantwortung und müssen sparen müssen, versuchen wir, die Haushaltspositionen diese Chance nutzen. Ich möchte am Ende der Diskus- im Bereich Forschung, Innovation und Entwicklung zu sion ein Regelwerk haben, das vorgibt, dass das struktu- stärken und dort das 3-Prozent-Ziel von Lissabon zu er- relle Defizit bei null liegen muss, und das, abgesehen reichen. Wir, die Unionsfraktion, stehen ausdrücklich von Ausnahmefällen wie Katastrophen und Ähnlichem, dahinter. Denn wir sind der Meinung: An dieser Stelle keine Ausnahmen vorsieht. können wir im Hinblick auf Arbeitsplätze, Wettbewerbs- fähigkeit unseres Standorts und Zukunftschancen nur ge- (Beifall bei der CDU/CSU) 11392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Dr. Michael Meister (A) Wir müssen das vernünftig fassen. Ich bin kein Ver- lem die großen Konzerne um mindestens 10 Milliar- (C) fassungsjurist, sondern nur bescheidener Mathematiker; den Euro entlasten. daher hoffe ich auf die Hilfe der Rechtsgelehrten. Ich hoffe, dass Bund und Länder eine Verantwortungsge- In vielen Zeitungen kann man ausführliche Analysen meinschaft bilden; denn diese Aufgabe kann nur ge- lesen, warum die SPD in der Wählergunst so schlecht meinschaftlich von Bund und Ländern gelöst werden. dasteht. Doch das kann man sich eigentlich sparen, wenn Wir müssen das, was wir Konjunktur nennen, vernünftig man nur zwei Sachverhalte zur Kenntnis nimmt: fassen. Ich glaube, dass wir von dem einen oder anderen Erstens. Die Konzerne, die sich vor Profiten kaum Land in unserer Nachbarschaft lernen können, wie dort retten können, werden weiter finanziell entlastet. Wahr- konjunkturelle Entwicklungen aufgefasst werden. haft sozialdemokratische Politik, sage ich dazu nur. Über den konjunkturellen Anteil an der Staatsver- (Beifall bei der LINKEN) schuldung dürfen wir nicht nur dann diskutieren, wenn Schulden gemacht werden. Wir müssen auch dann da- Zweitens. Die Arbeitslosengeld-II-Empfänger sollen rüber sprechen, wenn die Konjunktur positiv verläuft; trotz der gestiegenen Lebensmittelpreise und der Explo- denn dann muss Vorsorge für den nächsten Abschwung sion der Energiepreise keinen Cent mehr bekommen. getroffen werden. In diesem Sinne müssen wir in „Kalt und streberhaft“ nennt der Politikwissenschaft- Art. 115 des Grundgesetzes ein neues Regelwerk schaf- ler Franz Walter die Politik der SPD, und immer mehr fen. Wenn uns das gelingt, dann werden wir gemein- SPD-Wähler teilen diese Ansicht. Die aktuelle Studie schaftlich unserer Verantwortung gerecht. Die Ängste der Deutschen 2007 kommt zu dem Ergeb- Ich möchte jeden einladen, mit Ideen und alternativen nis, dass die Deutschen am meisten Angst davor haben, Vorschlägen dazu beizutragen. Ich warne aber davor, dass alles teurer wird. Das ist natürlich nicht im Sinne eine solch wichtige Diskussion durch kleingeistige und von CDU und CSU. Besonders Herr Schäuble hat sich kleinkarierte Kritik zu zerreden. zum Ziel gesetzt, dass spätestens im nächsten Jahr die Angst vor dem Terror an erster Stelle in den Umfragen Vielen Dank. stehen soll. Denn die Bundesregierung weiß, dass sich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ein Land einfacher regieren lässt, wenn die Menschen Angst haben. Das ständige Schüren von Angst ist nötig, um die gigantischen Ausgaben im Kampf gegen den Ter- Präsident Dr. Norbert Lammert: ror zu rechtfertigen. Ich will Sie nur daran erinnern, dass Dr. Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin für die das 132-Millionen-Euro-Programm zur Stärkung der in- Fraktion Die Linke. neren Sicherheit, das der Innenminister in einer Nacht- (B) (Beifall bei der LINKEN) und-Nebel-Aktion durch den Bundestag geschleust hat, (D) hier schon fast totgeschwiegen werden soll. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Der weltweite Antiterrorkampf hat natürlich auch den Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Appetit des Verteidigungsministers angeregt. Für seinen Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Stellen Sie sich Haushalt sind 29 Milliarden Euro vorgesehen. Das ist vor, Sie beobachten in einem Einkaufszentrum einen Ta- mehr, als die Bundesregierung für zivile Investitionen schendieb, der gerade einen Passanten dreist um eine be- ausgibt, und damit eine wirkliche Schieflage. trächtliche Summe erleichtert. Doch dann rennt er nicht weg. Nein, er hält die Geldscheine in die Höhe und (Beifall bei der LINKEN) strahlt über das ganze Gesicht. Jeder würde doch den- Der ehemaliger CDU-Generalsekretär Geißler ant- ken: Dieser Mann ist verrückt. Nicht so in der Politik. wortete auf die Frage eines Journalisten, was Konserva- Die Bundesregierung hat mit der umfangreichsten tismus heute ausmacht, wie folgt – ich zitiere die Berli- Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik ner Zeitung vom 6. September 2007 –: den Bürgern kräftig in die Tasche gegriffen, und nun se- hen wir den Finanzminister aus allen Zeitungen strahlen. Es ist schon erstaunlich, welche Widersprüche sich Er freut sich über sein gelungenes Gesellenstück. Er- da so auftun: ein starker Staat für die innere Sicher- staunlich ist nur, dass keiner ruft: Haltet den Dieb! heit, ein schwacher Staat für die soziale Sicherheit – merkwürdige Vorstellungen der sogenannten Neo- (Beifall bei der LINKEN) konservativen. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat nicht nur Ich fordere Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen die Mehrwertsteuer erhöht, sondern auch die Versiche- von der CDU/CSU, nehmen Sie sich diese Worte Ihres rungsteuer. Sie hat die Entfernungspauschale und den ehemaligen Generalsekretärs zu Herzen, und denken Sie Sparerfreibetrag verringert, und auch der Beitragssatz darüber nach! für die Renten- und Krankenversicherungen stieg im Ja- nuar. Verwundert es da, dass sich keiner so richtig mit (Beifall bei der LINKEN) Herrn Steinbrück freuen kann? Wie wir heute in einer Wir Linke haben gute Vorschläge, wie man die Steu- Zeitung lesen können, genießt er das gesammelte Miss- ergelder der Bürgerinnen und Bürger besser und vor al- trauen der SPD. len Dingen gerechter ausgeben kann. Herr Struck hat Doch eine Ausnahme gibt es: Die Unternehmensteu- den untauglichen Versuch unternommen, uns nachzu- erreform tritt im nächsten Jahr in Kraft und wird vor al- weisen, dass unsere Finanzierungsvorschläge unseriös Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11393

Dr. Gesine Lötzsch (A) seien. Zum Ausdruck und Beweis seiner eigenen Serio- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ (C) sität meinte Herr Steinbrück, unsere Vorschläge als Voo- CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- doo-Ökonomie bezeichnen zu müssen. Ich glaube, eine NEN) billigere Propaganda kann man sich gar nicht vorstellen. Ich will gar nicht auf einzelne Stichworte eingehen. (Beifall bei der LINKEN) Aber zur Unternehmensteuerreform möchte ich et- In ihrer Rechnung hat die SPD-Führung nämlich völ- was sagen: Ja, wir beseitigen eine Gerechtigkeitslücke. lig außer Acht gelassen, dass wir Gegenvorschläge und Es kann doch nicht sein, dass 100 Milliarden Euro an auch sehr viele schöne Kürzungsvorschläge – insbeson- Gewinnen in Deutschland erzielt und im Ausland ver- dere hinsichtlich des aufgeblähten Verteidigungshaus- steuert werden. Das ändern wir; das ist richtig so. Wir haltes – haben. Aber auch hinsichtlich der Einnahmen beseitigen Gerechtigkeitslücken und schaffen keine haben wir viele Vorschläge für eine gerechtere Steuerpo- neuen. litik. Unsere Vorschläge zur Abschaffung des Mittel- (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der standsbauches haben Sie, Herr Steinbrück, genau umge- LINKEN) kehrt dargestellt. Sie haben behauptet, wir wollten den Mittelstand belasten. Die Wirklichkeit ist anders: Der Deswegen: Die Auseinandersetzung mit Ihnen darf man Mittelstand und die Facharbeiter würden durch unsere nicht übertreiben. Aber wir werden Sie Zug um Zug ent- Vorschläge entlastet. larven. Die von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte Zusammenstellung zu den finanziellen Auswirkungen (Beifall bei der LINKEN) Ihrer Anträge und Initiativen war ein erster Schritt dazu. Ich fordere Sie hier noch einmal auf: Nehmen Sie die (Zurufe von der LINKEN) Unternehmensteuerreform zurück, werfen Sie den Un- ternehmen das Geld nicht hinterher! Wir werden unsere Wer vor eineinhalb Jahren vorhergesagt hätte, wie gut Vorschläge in den Haushaltsberatungen und in der Öf- sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere im fentlichkeit vortragen. Ich bin mir sicher: Auch wenn die Mittelstand, und die Situation der öffentlichen Haus- Vorschläge hier in diesem Haus nicht die Mehrheit fin- halte, insbesondere in den Kommunen, entwickeln wür- den sollten, ihre Wirkung in der Öffentlichkeit werden den, der wäre doch als Fantast bezeichnet und verspottet sie nicht verfehlen. Das können Sie nicht zuletzt an un- worden. Jeder von uns, der vorhergesagt hätte, dass wir seren Umfragewerten ablesen. im September dieses Jahres auf der Grundlage der vor- liegenden Zahlen würden beraten können, wäre verspot- Vielen Dank. tet worden. Deswegen sage ich Ihnen: Eine Rede wie (B) die, die Bundesfinanzminister Peer Steinbrück heute ge- (D) (Beifall bei der LINKEN) halten hat, konnte seit fast 20 Jahren kein Finanzminister in Deutschland mehr halten. Eigentlich sollte von allen Präsident Dr. Norbert Lammert: Seiten dieses Hauses begrüßt werden, dass es ihm mög- Das Wort erhält nun der Kollege Joachim Poß für die lich war, eine solche Rede zu halten. SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Mit dem von Peer Steinbrück eingebrachten Haus- Joachim Poß (SPD): haltsentwurf bleibt die Koalition sich selbst und ihrer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Doppelstrategie treu, die erforderliche Haushaltskonso- Lötzsch, zunächst ein Satz zu Ihnen. Sie haben den Ver- lidierung und die notwendige politische Gestaltung gleich mit dem Taschendieb angestellt. In der Tat: Sie Hand in Hand zu betreiben. bewegen sich wie eine Taschendiebin: unterhalb der Gürtellinie, und zwar moralisch wie gedanklich. Das erfolgreiche 25-Milliarden-Euro-Impulspro- gramm fortzusetzen, die Mittel für Forschung und Ent- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wicklung zu erhöhen, die BAföG-Erhöhung und den Hochschulpakt zu finanzieren, die Mittel für Klima- Was Sie hier sagen und die Bilder, die Sie hier bringen, schutzprogramme hochzufahren und das Programm zum sind eine Zumutung. Ausbau der Krippenplätze zu starten, all das bringt un- sere Wirtschaft und unsere Gesellschaft Schritt für (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wider- Schritt voran. Diese Maßnahmen werden sich auch in spruch bei der LINKEN) fiskalischer Hinsicht auszahlen; das gilt übrigens auch Ich sage Ihnen: Mit dieser Art von Politik, mit der Sie für die Unternehmensteuerreform. Arbeitnehmern, Rentnern und Arbeitslosen alles ver- Konsolidieren und Gestalten, das ist die richtige Stra- sprechen und in der Realität nichts halten können, täu- tegie, die auch in Zukunft verfolgt werden muss. Das schen Sie die Menschen. heißt aber auch, dass die fiskalischen Spielräume, die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sich ergeben, konsequent und glaubwürdig zur Rückfüh- rung der Verschuldung genutzt werden müssen. Wir Sie verlieren jeden ernsthaften Anspruch auf Gestaltung. müssen unsere Defizitziele im nächsten Jahr und in den Das wird noch deutlicher werden als in der Vergangen- folgenden Jahren erreichen. Wir haben die Chance, das heit. gesamtstaatliche Defizit im nächsten Jahr auf null zu 11394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Joachim Poß (A) fahren. Ich finde, dass das Tempo des stattfindenden De- gelöst sind. Meine Damen und Herren, müssten wir nicht (C) fizitabbaus bemerkenswert ist. angesichts der verbesserten Haushaltslage endlich auch in die Tilgung der Altschulden einsteigen? Die Haushaltspolitik muss ökonomische und gesell- schaftliche Erfordernisse im Blick behalten; ansonsten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ist sie letztlich zum Scheitern verurteilt. In diesem Sinne der CDU/CSU) werden wir die anstehenden parlamentarischen Haus- haltsberatungen führen. Das scheint für diejenigen, die solche Steuersen- kungsvorschläge machen, offenbar nicht im Vordergrund Die Haushaltspolitiker der Koalition haben sich das zu stehen. Erst wird die Verschuldung über Jahre hinweg Ziel gesetzt, die von der Bundesregierung beschlossene als große Staatskrise dargestellt – wir haben das erlebt –, und im Etatentwurf für 2008 aufgeführte maximale aber dann hat man es mit der Tilgung der Altschulden Höhe der Neuverschuldung des Bundes in Höhe von plötzlich nicht mehr so eilig. Das ist widersprüchlich. 12,9 Milliarden Euro zu verringern. Wir streben an, die- Ich habe an alle, die derartige Vorschläge in ihren Köp- ses Ziel zu erreichen. Allerdings ist bereits der Betrag fen haben, die herzliche Bitte, darüber nachdenken, ob von 12,9 Milliarden Euro die niedrigste jährliche Ver- es nicht zu widersprüchlich ist, davon zu sprechen, dass schuldung des Bundes seit fast 20 Jahren. Wer uns in die Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder der Erb- dieser Situation vorwirft, wir seien bei der Haushalts- schaftsteuer möglich wäre, wenn die politische Konstel- konsolidierung nicht ehrgeizig genug, der muss schon lation eine andere wäre. Nein, vor dem Hintergrund von sehr konkrete und umsetzbare Konsolidierungsvor- gesamtstaatlichen Schulden in Höhe von immer noch schläge vorlegen. 1,5 Billionen Euro geht dies nicht. (Beifall des Abg. Steffen Kampeter [CDU/ Auch was die Reform der Finanzbeziehungen von CSU]) Bund und Ländern angeht, dürfen keine unbedachten Bisher konnte ich nicht erkennen, dass solche Vor- Entscheidungen gefällt werden. Ich begrüße ausdrück- schläge gemacht wurden, weder von der FDP noch – das lich die Kriterien, die Peer Steinbrück in diesem Zusam- kann Frau Hajduk gleich ändern – von den Grünen. menhang genannt hat, will aber auch auf folgenden Wenn wir hier streiten, dann sollten wir das bitte auf der Punkt hinweisen: Meines Erachtens krankt die Diskus- Grundlage realitätstüchtiger Vorschläge und nicht im sion bisher daran, dass grundlegende Fakten und Zusam- Wolkenkuckucksheim tun. menhänge nicht beachtet werden. Viele Teilnehmer der Diskussion sind davon überzeugt, dass die unbestreitbar (Beifall bei der SPD) zu hohe öffentliche Verschuldung eine Folge vor allem Wenn die derzeit günstige wirtschaftliche Entwick- unzureichender Verfassungsregeln sei. Diese Auffassung (B) (D) lung anhält – es gibt durchaus Anzeichen der Unsicher- übersieht, dass es für die öffentliche Kreditaufnahme heit, über die heute schon gesprochen wurde –, dann und die Finanzpolitik sowohl des Bundes als auch der werden wir voraussichtlich spätestens im Jahre 2011 ei- Länder beachtliche andere Gründe gab und gibt: vor al- nen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen können. lem die Bewältigung der deutschen Einheit, aber auch die Vermeidung prozyklischer Finanzpolitik. Wenn wir all diese Ziele – gute Entwicklung von Wirtschaft, Beschäftigung und Haushaltskonsolidierung – Auch ist bisher weitgehend unklar, was die einzelnen erreichen wollen, ist es allerdings notwendig, dass über Vorschläge zur Modifikation des Art. 115 Grundgesetz Jahre hinweg die richtigen Entscheidungen getroffen konkret an Politik erfordern und konkret bewirken. Des- und die richtigen Weichenstellungen vorgenommen wer- halb halte ich es für dringend erforderlich, dass fundierte den. Ich will zwei Beispiele nennen. Berechnungen vorgelegt werden, mit denen die Verände- rungsabsichten gestützt werden müssen und die die öko- Erstens. Bereits jetzt wird immer wieder gefordert nomischen Auswirkungen der einzelnen Vorschläge ge- bzw. sogar angekündigt, dass in der nächsten Legislatur- nau aufzeigen. Es darf nicht dazu kommen, dass mit periode die Einkommensteuer oder andere Steuern ge- einer Modifikation der Verfassung das gerade gefundene senkt werden. Herr Kollege Kampeter, die Medien be- Gleichgewicht von wirtschaftlicher Impulsgebung, Zu- richten, dass auch in Strategiezirkeln von CDU und kunftsgestaltung und Haushaltskonsolidierung, das wir CSU, und zwar weit über das Ministerium des Bundes- in den letzten beiden Jahren so erfolgreich erprobt ha- wirtschaftsministers hinaus, Konzepte für massive ben, möglicherweise wieder infrage gestellt wird. Das Steuersenkungen erarbeitet werden. Offensichtlich heißt, neue Regeln, für die wir alle eintreten, müssen wird hier gezielt versucht, sich eine populäre Ausgangs- realitätstüchtig sein; sie müssen sich in der Realität unse- position für die Auseinandersetzung mit dem Koalitions- rer Ökonomie auch bewähren können. partner in anstehenden Wahlkämpfen aufzubauen. Da wir heute eine haushaltspolitische Debatte führen, Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ist zu fragen: Wie ernst meinen es diejenigen, die schon (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heute für einen nicht sehr weit in der Zukunft liegenden der CDU/CSU) Zeitpunkt Steuersenkungen in Aussicht stellen, eigent- lich mit der Haushaltskonsolidierung, die in dieser Le- gislaturperiode noch nicht abgeschlossen werden kann? Präsident Dr. Norbert Lammert: Wenn in einem Jahr keine neuen Schulden gemacht wer- Das Wort hat nun die Kollegin Anja Hajduk, den müssen, heißt das nicht, dass alle Probleme bereits Bündnis 90/Die Grünen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11395

(A) Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haltvoll und erhaben vortragen. Die Konsequenzen tra- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- gen die Bürgerinnen und Bürger. ren! Sehr geehrter Herr Steinbrück, Sie haben angenom- (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Was soll men, schon zu wissen, was die Opposition heute zu sa- gestrichen werden?) gen hat. Da Sie es wissen, weiß ich nicht, ob Sie schon wild entschlossen sind, sich unsere Ausführungen nicht Deswegen werben wir für eine Veränderung dieser Stra- ernsthaft anzuhören. Aber ich werbe doch noch einmal tegie. um Ihr Gehör. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Worum geht es, wenn wir sagen, die gute Situation, sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim die wir jetzt haben – die gute konjunkturelle Entwick- Poß [SPD]: Welche Vorschläge? Elterngeld?) lung, die gute Situation auf dem Arbeitsmarkt –, sollte – Sie müssen nicht aufgeregt rufen, Herr Poß. Ich genutzt werden, um unsere Schulden abzubauen? Wo- komme noch zu den Vorschlägen. Im Übrigen haben wir rum geht es, wenn wir darum werben, die historische das in den letzten Jahren immer so gehalten. Chance wahrzunehmen und vier gute Jahre zu nutzen, um 2009 einen ausgeglichenen Haushalt zu haben? Ich möchte beispielhaft auf das Jahr 2007 eingehen. Was macht Sie so gewiss, dass Sie ein Abonnement auf Damit komme ich auch zu einem konkreten Vorschlag, eine positive Dauerkonjunktur bis 2011 haben? Herr Poß. Für das Jahr 2007 ist geplant, 19 Milliarden Euro Schulden aufzunehmen. Der Steuerschätzung nach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden wir 10 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen. Aus der Erfahrung, die Rot-Grün in den Jahren 1999 Mittlerweile zeichnet sich ab, dass es bis zu 15 Milliar- und 2000 gemacht hat, erinnere ich Sie an Folgendes: den Euro sein werden, und das ist noch nicht die Spitze Damals haben wir vielleicht zu einem falschen Zeitpunkt der Prognosen. Dann muss man doch erwarten, dass Sie im Boom Ausgabensteigerungen im Haushalt und Steu- dieses Jahr statt 19 Milliarden Euro nur 6 Milliarden, ersenkungen beschlossen, die konjunkturell nicht die 7 Milliarden oder 8 Milliarden Euro neue Schulden ma- richtige Strategie darstellten. chen. Doch nein, es ist angekündigt: Wir brauchen einen Teil dieser Steuermehreinnahmen für den Fonds zum (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) Ausbau der Kinderbetreuung. Deswegen geht es mir jetzt nicht um ein bisschen schnel- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sind Sie ler, ein bisschen höher und ein bisschen weiter, sondern gegen Kinder?) um die Verantwortung, die auch Sie für sich in Anspruch nehmen: Packen wir doch der nächsten Generation nicht – Nein! Jetzt wird es wieder billig bei Ihnen! – Wenn es (B) den Rucksack mit Wackersteinen von Schulden voll, um eine gute Sache und Ausgabe geht, nehmen Sie dafür (D) sondern nutzen wir einen Konjunkturboom, der sage und die konjunkturellen Steuermehreinnahmen. schreibe vier Jahre lang ein reales Wachstum von im (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eine Einmal- Schnitt knapp 2 Prozent verspricht! Angesichts der Steu- ausgabe, liebe Kollegin!) ermehreinnahmen in Höhe von 45 Milliarden Euro – das sind die Steuermehreinnahmen Ihrer Finanzplanung; ich So hat Frau Merkel schon im letzten Jahr konjunkturelle habe den im Moment absehbaren Konjunkturbonus von Steuermehreinnahmen für die Gesundheitsversicherung zusätzlichen 8 bis 10 Milliarden Euro noch gar nicht auf- verwendet. geschlagen, wahrscheinlich sind es in dieser Legislatur- (Zuruf von der FDP: Ja!) periode also Steuermehreinnahmen von mehr als 50 Mil- liarden Euro – frage ich Sie, warum die Einnahmen nicht Wir, Bündnis 90/Die Grünen, haben Ihnen ein sehr ausreichen sollen. Erklären Sie einmal der deutschen Be- vernünftiges Konzept vorgelegt, wie man aus dem Ehe- völkerung, warum Ihnen 50 Milliarden Euro nicht aus- gattensplitting ein Familiensplitting macht. reichen sollen, um ein Defizit von 30 Milliarden Euro (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aha! Sie wol- auszugleichen! len es den Familien wegnehmen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hören Sie einmal zu! – Dann kann man die Kinderbe- und bei der FDP) treuung sehr gut finanzieren. Dann kann der Bund seinen Ich nenn Ihnen den Grund: Die Große Koalition hat Anteil an den Investitionen tragen. erfolgreich am Steuerrad gedreht. In einigen Punkten un- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- terstützen wir das auch; wir schlagen uns nicht in die SES 90/DIE GRÜNEN) Büsche, wenn es um Subventionsabbau geht, der die Bürgerinnen und Bürger auch einmal belastet. Sie haben Dann können die Länder statt dieser Fehlsubvention – ich sich aber auch verdammt viele Ausgabenwünsche ge- sehe schon, Sie stimmen mir zu, Herr Kampeter; das er- nehmigt. kenne ich an Ihrem Lachen – (Jörg-Otto Spiller [SPD]: Welche denn?) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein, nein, nein!) Die passen nicht in eine Zeit guter Konjunktur; so etwas muss man sich für schlechtere Zeiten reservieren. Eben- mit den Steuermehreinnahmen, die sie haben werden, darin liegt die strategische Panne, die Schwäche Ihrer die Betriebskosten finanzieren, und Herr Steinbrück Politik, Herr Steinbrück; da können Sie sie noch so ge- müsste nichts zwischen Bund und Ländern aushandeln 11396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Anja Hajduk (A) und den Bund bei den Mehrwertsteuereinnahmen nicht nehme diesen Anspruch als Maßstab für die Vereinba- (C) strukturell schlechter stellen, ihn zusätzlich belasten. rungen, zu denen wir in der Föderalismuskommission II Kurz gesagt: Wir haben ein Konzept für die Kinder- kommen werden. Es kann nicht sein, dass es bei diesen betreuung. Wir werben für den Rechtsanspruch auf Kin- Ankündigungen bleibt. Der Bund muss hier vorangehen. derbetreuung, und zwar nicht erst ab irgendwann, son- Insofern verstehe ich Ihren Beitrag an dieser Stelle als dern ab dem nächsten Jahr. Wir können das umsetzen, positive Aufforderung und hoffe, dass Sie auch dem von wir haben eine Gegenfinanzierung. Sie bedienen sich da- uns vorgelegten Vorschlag nähertreten können. gegen, wie immer, schlicht bei der guten Konjunktur; Ich möchte noch zu zwei weiteren Punkten kommen, das ist langfristig nicht tragfähig. die mir wichtig sind. Herr Steinbrück, als Finanzminister (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erwarte ich von Ihnen, dass Sie sehr sorgfältig abwägen, wenn es um Privatisierungen geht. Was Sie zur Bahn- Ich komme zu einem weiteren Punkt, der belegt, dass privatisierung vorgelegt und im Kabinett beschlossen nicht so leicht gesagt werden kann: Es macht nichts, haben, hält nicht dem stand, was ich von einem verant- wenn man sich mit der Konsolidierung des Haushalts wortungsbewussten Finanzminister erwarte. und dem Haushaltsausgleich bis 2011 Zeit lässt, statt ihn in dieser Legislaturperiode, für die Sie Verantwortung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übernommen haben, zu erreichen. Ich nenne das, was Dass Sie die Schienennetze 15 Jahre an die DB übertra- Sie machen, eine künstliche Streckung des Haushalts- gen wollen, hat einen großen Haken. Wenn wir die Netze ausgleichs. Man kann das an den Zinszahlungen sehen: 15 Jahre übertragen und eine Mitgift in Höhe von Wir machen einen Sprung um 2,8 Milliarden Euro von 37,5 Milliarden Euro finanzieren, dann bedeutet das eine knapp über 40 Milliarden Euro auf über 43 Milliarden Teilprivatisierung, die eine Subventionsgarantie aus dem Euro. Ich glaube, auch das ist Rekord. Das ist Folge Ih- öffentlichen Haushalt für die privaten Betreiber vorsieht. rer Politik, weil Sie bei der Verschuldung nicht die nö- Ich finde es nicht in Ordnung, dass man bei einer Teilpri- tige Strenge walten lassen. Deswegen sage ich Ihnen: vatisierung solch einen risikolosen Profit auf Kosten des Ihre Strategie sieht im Lichte der gegenwärtig guten Bundes zulässt. Die Kritik Ihres Parteifreundes Thilo Konjunktur gut aus, aber sie ist nicht konsequent und Sarrazin ist mehr als berechtigt. Wenn wir aus den Priva- auch nicht verantwortungsvoll. tisierungserlösen heute vielleicht 6 Milliarden bis 8 Mil- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) liarden Euro erzielen und 3 Milliarden bis 4 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt gewinnen, dann aber Ich komme zu einem anderen Thema. Herr 10 Milliarden Euro jährlich an die Bahn zurückfließen Steinbrück, ich bin froh – das sind auch die Kollegen, lassen und das Schienennetz nach 15 Jahren vielleicht zu (B) die zuvor gesprochen haben –, dass die Große Koalition einem doppelten oder dreifachen Preis zurückkaufen (D) wenigstens in einem Punkt bereit ist, Verantwortung zu müssen, dann wäre das ein verantwortungsloser Umgang übernehmen, nämlich dass Sie die Zweidrittelmehrheit, mit öffentlichem Vermögen. die Sie im Bundesrat und im Bundestag organisieren können, nutzen wollen, um unsere gesetzlichen Regeln (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: für die Schuldenaufnahme zu überarbeiten. Das ist noch nett gesagt!) Ich fordere Sie auf, an dieser Stelle neu zu überlegen. Wir Grünen haben aus der Verschuldungsspirale, in der wir in den letzten Jahren gefangen waren, Konse- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN quenzen gezogen. Wir haben einen Gesetzentwurf vor- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gelegt, in dem wir nach dem Beispiel der Schweiz, aber Insbesondere fordere ich die Fraktionen der CDU/CSU an deutsche Verhältnisse angepasst, in Deutschland eine und der SPD auf, diesem Vorhaben aus ordnungspoliti- Schuldenbremse vorsehen, die uns vorschreibt, in guten schen Gründen und vielleicht auch aus anderen grund- Zeiten Überschüsse zu erwirtschaften, um für schlechte sätzlichen Erwägungen, was Privatisierungen angeht, Zeiten vorzubeugen. Ich wiederhole mich, Herr Meister nicht zuzustimmen. Auch das gehört in eine Haushalts- – man kann es nicht oft genug sagen –: Wir müssen uns debatte des Bundestages. in konjunkturell guten Zeiten darum bemühen, die Ver- schuldung zu begrenzen. Ich habe Sie gerade dazu ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geladen, das schon im Haushalt 2008 endlich wahrzuma- chen. Wir wollen, dass eine entsprechende Regelung ins Ich komme zu meinem letzten Punkt. Bei einem Grundgesetz aufgenommen wird. Unser Regelwerk er- Thema hätte ich mir von Ihnen mehr Ehrlichkeit ge- füllt folgende Anforderungen: Es ist Maastricht-konform wünscht, Frau Merkel. – das halte ich für notwendig – und „atmet“ mit der Kon- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie hat junktur. Es lässt auch Ausnahmen zu, wenn es im Kata- doch noch nichts gesagt!) strophenfall erforderlich ist. Dafür haben wir aber strikte verbindliche Regelungen vorgesehen, bei denen eine Es ist mittlerweile klar geworden, dass die Bundesagentur Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig wäre, um für Arbeit wegen der guten Entwicklung auf dem Ar- ausnahmsweise den Kreditrahmen zu erweitern. beitsmarkt Geld im Überfluss hat. Es ist mehr als klar, dass die Bundesagentur die zusätzlichen Mehrwertsteu- Ich bin froh, dass Sie Ihren Willen deutlich gemacht ereinnahmen in Höhe von über 6 Milliarden bzw. knapp haben, in dieser Legislaturperiode zu neuen Schuldenre- 7 Milliarden Euro nicht benötigt hätte, um ihre Arbeit zu geln zu kommen, und halte das auch für notwendig. Ich leisten und die Beiträge zu senken. Deswegen hätte ich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11397

Anja Hajduk (A) mir gewünscht, dass Sie dem Vorschlag des Kollegen (Jürgen Koppelin [FDP]: Trotz der (C) Steinbrück gefolgt wären, die Mehrwertsteuereinnahmen Bundesregierung!) aus dem Haushalt der Bundesagentur für Arbeit heraus- und erheblich dazu beigetragen haben, dass wir eine große zunehmen und den Haushalt der Bundesagentur und den finanzpolitische Erfolgsgeschichte bei der Sanierung der Bundeshaushalt zu trennen. Aber nein: Um zu vertu- öffentlichen Staatsfinanzen vorweisen können. schen, dass Sie die Mehrwertsteuereinnahmen nicht für die Beitragssenkung gebraucht haben – die Beitragssen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei kung um 2,3 Prozentpunkte ist durch die BA selber fi- Abgeordneten der SPD) nanzierbar –, konstruieren Sie jetzt einen künstlichen und seltsamen Finanzierungskreislauf zwischen BA und Natürlich sind die Bundesregierung, insbesondere der Bundeshaushalt. Ich finde, das ist maßlos intransparent. Bundesfinanzminister, sowie die Koalition hier ebenfalls Eigentlich hätten Sie sich einen Ruck geben müssen und aktiv. Aber der Einsatz der Menschen wird nun damit das der Öffentlichkeit gegenüber zugeben können. belohnt, dass wir wieder ausschütten können, nachdem wir abverlangt haben. Wir können zwar nicht mehr aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geben, wohl aber zurückgeben. sowie bei Abgeordneten der FDP) (Jürgen Koppelin [FDP]: Wo denn?)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich will belegen, warum ich glaube, dass diese Sanie- Frau Kollegin! rung mit Perspektive eine kluge Form der Bewirtschaf- tung öffentlicher Finanzen ist. Wir sind 2006 mit einem strukturellen Defizit gestartet, das ausweislich öffentli- Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): cher Erklärungen vor der Bundestagswahl bei Ich habe leider etwas überzogen. – Letzter Satz. 30 Milliarden Euro und nach der Bundestagswahl bei Haushaltspolitik ist eigentlich ganz einfach. Spare in der 55 Milliarden Euro lag. Der von uns aufgestellte Haus- Zeit, dann hast du in der Not! Oder: Wenn du eine Ge- halt 2007 weist die niedrigste Nettokreditaufnahme seit haltserhöhung von 8 Prozent bekommst, wie es bei den der Wiedervereinigung auf. Wir haben in der Koalition Steuereinnahmen der Fall ist, dann überziehe nicht wei- und im Haushaltsausschuss für eine weitere massive ter deinen Dispo, sondern löse ihn ab, statt einen neuen Senkung gesorgt. Es ist kein Geheimnis, dass wir die Leasingvertrag zu unterschreiben. Das versteht doch je- Nettokreditaufnahme in diesem Jahr nicht in vollem der Mensch. Umfang in Anspruch nehmen müssen, weil die Entwick- Danke schön. lung wahrscheinlich sowohl auf der Ausgabenseite als auch auf der Einnahmeseite besser ist. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) Wir haben den vom Bundesfinanzminister mit einer guten Rede vorgestellten und eingebrachten Haushalts- Präsident Dr. Norbert Lammert: entwurf 2008 unter das Motto „Sanieren mit Perspek- Das gerade zitierte schöne Sprichwort „Spare in der tive“ gestellt. Dieser Haushalt weist wieder die nied- Zeit, dann hast du in der Not“ ließe sich übrigens auch rigste Nettokreditaufnahme seit der Wiedervereinigung bei der Bewirtschaftung von Redezeiten sinnvoll zur An- auf. Carsten Schneider und ich haben gemeinsam mit wendung bringen. den Kolleginnen und Kollegen aus der Haushaltsgruppe (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der der Koalition den Ehrgeiz, hier noch einmal nachzuar- SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE beiten und noch weniger Schulden aufzunehmen. GRÜNEN]: Ich wusste gleich, dass Sie das (Otto Fricke [FDP]: Bei den Ausgaben oder nutzen!) bei den Einnahmen?) Das war sozusagen eine generelle Empfehlung, weil wir Ich will in aller Klarheit sagen: Die erzielten Sanie- uns noch eine ganze Woche mit diesem Thema werden rungserfolge sind nicht selbstverständlich. Die Verwer- auseinander setzen dürfen. fungen auf den Finanzmärkten haben deutlich gemacht, dass die Sanierung jede Woche und jeden Monat erneut Nun hat das Wort der Kollege Steffen Kampeter für erkämpft werden muss. Aber unsere Haushaltspolitik die CDU/CSU-Fraktion. nutzt den Menschen in Deutschland, weil sie etwas da- (Beifall bei der CDU/CSU) von haben. Ich will darauf hinweisen, dass kein Land, in dem es wirtschaftlich aufwärts geht, ruinierte Staatsfi- Steffen Kampeter (CDU/CSU): nanzen hat. Solide Staatsfinanzen, die Vertrauen bei In- vestoren und Konsumenten schaffen, flankieren unseren Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Aufschwung und schaffen Möglichkeiten, den Men- Herren! Die Debatte über den Haushaltsentwurf 2008 schen wieder etwas zurückzugeben. gibt die Möglichkeit, einmal auf das zurückzuschauen, was bisher erreicht wurde. Ich möchte mit einem Dank Wir wollten den Beitrag zur Arbeitslosenversiche- an die Menschen in Deutschland beginnen, die es in den rung ein Stück weit senken. Wir senken ihn nun noch letzten zwei, drei Jahren – gemeinsam mit der Politik – weiter. Der Kollege Meister hat gesagt, dass die Ziel- durch ihre Arbeit, ihren Einsatz und ihr Engagement ge- größe 3,5 Prozent sei. Das entspräche einer Senkung des schafft haben, dieses Land wirtschaftlich nach vorne zu Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um insgesamt bringen, 3 Prozentpunkte, wenn ich richtig gerechnet habe. Das 11398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Steffen Kampeter (A) ist die größte Senkung in einem sozialen Sicherungssys- ich halte das unter einem bestimmten Gesichtspunkt für (C) tem, die es jemals in so kurzer Zeit gegeben hat. Wo wir nicht mehr sozial gerecht, ja für unsozial. Sozial ist das, das Geld nicht benötigen, geben wir es den Menschen was in diesem Land Beschäftigung schafft. Nelson zurück. Auch das ist eine Dividende, ein Ergebnis dieser Rockefeller hat einmal festgehalten: Wohltätigkeit ist Sanierungsschritte. nur dann unschädlich, wenn sie den Empfänger dazu an- leitet, von ihr unabhängig zu werden. – Deswegen wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den wir von der Union diesen Forderungen nicht nachge- Schulden von heute – diese Erkenntnis vermittelt je- ben. Wir erkennen die schwierige Situation derjenigen des wirtschaftliche Seminar – sind die Steuererhöhungen an, die in diesem Regelkreis sind, aber wir konzentrieren von morgen. Wenn wir Schulden senken und die Null- uns nicht darauf, dass die Regelleistungen kontinuierlich Neuverschuldung anstreben, dann verhindern wir nicht ansteigen. Wir konzentrieren uns vielmehr durch eine Re- nur Steuererhöhungen, sondern schaffen auch Spiel- form unserer Arbeitsmarktpolitik darauf, wieder Brücken räume für Steuersenkungen. in reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bauen. Darin müssen wir Geld investieren. Ich glaube, (Otto Fricke [FDP]: Aha!) das ist soziale und beschäftigungsfreundliche Politik. Herr Kollege Poß, je früher wir die Null-Neuverschul- dung haben, umso eher können wir uns Gedanken da- (Beifall bei der CDU/CSU) rüber machen, in welchem Maße wir Schulden abbauen Ich warne in diesem Hause auch vor Populisten, die und in welchem Maße wir den Menschen die gezahlten unterwegs sind. Die sind auf der linken Seite dieses Hau- Steuern zurückgeben. Wir haben das Projekt Stoltenberg ses unterwegs. Kollege Struck hat den Taschenrechner im Sinn, wonach den Menschen nicht das Geld aus der angeworfen und festgestellt, dass 174 Milliarden Euro Tasche gezogen werden soll, um es ihnen in komplizier- jedes Jahr fehlen würden. ten Verfahren wieder zurückzugeben; wir wollen ihnen vielmehr das lassen, was sie für ihr Leben brauchen, und (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: ihnen nur das wegnehmen, was wir ihnen gut begründet 154!) wegnehmen müssen, um wichtige Aufgaben zu finanzie- ren. Das ist legitim und vermittelbar. Unsere Perspektive – 154, Entschuldigung. – Ich will aber auch auf die von für die nächste Legislaturperiode ist es, nach der Null- mir aus gesehen rechte Seite des Hauses hinweisen: Neuverschuldung auch über Steuersenkungen weiter Morgens fordert der Kollege Fricke Subventionsabbau nachzudenken. Das ist unser fester Wille. und Null-Neuverschuldung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Otto Fricke [FDP]: Richtig oder falsch?) (B) (D) Ich will noch eines sagen: In dem Umfeld von solide- – Ich finde, das ist eine solide Forderung. ren Staatsfinanzen, das wir jetzt haben, fangen auch an- dere an, wieder Vertrauen zu gewinnen. Es ist kein Zu- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) fall, dass gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Dann kommt der Kollege Solms und beklagt, dass wir die Aufschwungs und eines sinkenden Schuldenstands die Mehrwertsteuer erhöht haben, dass die Familienleistun- Tarifvertragsparteien zum ersten Mal seit langem wie- gen geändert wurden und das Erziehungsgeld eingeführt der Lohnsteigerungen in einer vernünftigen Größenord- worden ist, und er erwähnt die Kürzung der Pendlerpau- nung vereinbaren. Das kommt bei den Menschen an. Die schale. Das sind Leistungen von zusammengenommen Stabilität der Rahmenbedingungen schlägt sich auch in etwa 30 Milliarden Euro pro Jahr. Ich weiß ehrlich ge- Mut und Zuversicht bei den Tarifvertragsparteien nieder. sagt nicht, was das soll. Bisher dachte ich, Liberalismus Das ist eine ganz konkrete Dividende, das ist ein ganz sei das Eintreten für die Freiheit. Wenn man aber unter konkreter Erfolg von Stabilisierungs- und Konsolidie- Liberalismus die Freiheit versteht, jeden finanzpoliti- rungspolitik. schen Unsinn erzählen zu können, dann habe ich Libera- (Beifall bei der CDU/CSU) lismus bisher falsch verstanden. Entweder man fordert wie der Kollege Fricke die Null-Neuverschuldung, oder An dieser Stelle will ich aus Anlass des bösen Be- man äußert Kritik wie der Kollege Solms, die, würde griffs des Kaputtsparens bzw. des Ins-Koma-Sparens man die Kritik aufgreifen, zur Folge hätte, dass sich die festhalten: Ich halte es mit der Kollegin Hajduk, die ge- Kreditaufnahme jedes Jahr um 30 Milliarden Euro erhö- rade der Debatte nicht zuhört, sondern telefoniert: Spare hen würde. Es ist unseriös, was Sie in diesem Bereich in der Zeit, dann hast du in der Not! – Ich finde, man machen. Populismus auf der linken und auf der rechten muss etwas zurücklegen können. Der Grundgedanke der Seite ist schädlich. Dem werden wir keinesfalls folgen Schuldenregel, die der Kollege Meister, aber auch der können. Kollege Poß im Kopf haben, ist, dass wir demnächst für schlechte Zeiten Geld aus Haushaltsüberschüssen – das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – heißt technisch: Ausgleichskonto – zurücklegen. Da Joachim Poß [SPD]: Das ist eine gute Einstel- kommen wir zueinander. lung für die Gespräche heute Abend!) Trotzdem ist zu diesem Zeitpunkt nicht alles finan- Die Perspektive bei der Sanierung besteht darin, dass zierbar. So wünschenswert es für die Betroffenen sein wir, obwohl wir die Spendierhosen im Schrank lassen mag, Regelleistungen in bestimmten Sozialversiche- und die Sparstrümpfe heraushängen, in bestimmten Be- rungssystemen, zum Beispiel Hartz IV, auszuweiten; reichen Schwerpunkte setzen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11399

Steffen Kampeter (A) Ich will zwei erwähnen: Ein Schwerpunkt sind für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) uns die Familien, wobei es dabei nur vordergründig um neten der SPD) Geld geht. Im Kern geht es uns um einen Wandel des ge- sellschaftlichen Klimas gegenüber den Menschen, die Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sich in diesem Land für eine Familie und Kinder ent- Als Nächster spricht der Kollege Dr. Hermann Otto scheiden. Dieser Klimawandel drückt sich im Haushalt Solms für die FDP-Fraktion. konkret aus – im Elterngeld und in der Betreuungsinfra- struktur –, vor allen Dingen aber in der veränderten ge- (Beifall bei der FDP) sellschaftlichen Wahrnehmung der Familienpolitik, wie sie von dieser Großen Koalition, wie sie von Ursula von Dr. Hermann Otto Solms (FDP): der Leyen betrieben wird. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP freut sich über die begonnene Haus- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haltskonsolidierung und über den Abbau der Arbeitslo- NEN]: Als ob die Gesellschaft Sie dafür ge- sigkeit genauso wie die Regierungsfraktionen. Da gibt es braucht hätte, Herr Kollege!) keinen Zweifel. Wir haben nur den Verdacht – der durch Das ist ein großer perspektivischer Gewinn, der trotz die Reden heute bestätigt worden ist –, dass Sie sich hin- Haushaltskonsolidierung möglich wird. Das setzt ein ter dieser entstandenen Konsolidierung, für die Sie über- Zeichen und gibt eine Perspektive. haupt nichts können, verbergen und Ihre Hausaufgaben nicht machen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Das rohstoffarme Land Deutschland muss in die Köpfe seiner Menschen investieren. Deswegen ist un- Ihre Aufgabe wäre es, den Haushalt durch Einsparun- sere Investition in Bildung und Forschung als eine gen zu konsolidieren. Das wäre eine mutige Politik, die Partnerschaftsaufgabe zwischen öffentlicher und priva- einer Großen Koalition würdig wäre. Aber Sie erweisen ter Hand schon auf einem guten Weg. 2,5 Prozent unse- sich als schwache und kleinmütige Koalition. Das be- res Bruttoinlandsprodukts fließen in diesen Bereich. weisen die Zahlen: 2006 beliefen sich die Ausgaben auf und sind die beiden 261 Milliarden Euro, 2007 auf 270 Milliarden Euro und Minister, die dafür stehen. Dies ist eine Zukunftsinvesti- 2008 auf 283 Milliarden Euro. Sie legen jedes Jahr etwas tion, die auch während der Konsolidierung möglich ist. darauf. Würden Sie das nicht tun, könnten wir im nächs- Man kann beides miteinander verbinden: sparsam sein ten Jahr natürlich leicht einen ausgeglichenen Haushalt und trotzdem an die Zukunft denken. Das ist der Kern haben. (B) der Haushaltspolitik der Großen Koalition. (Beifall bei der FDP) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wehren uns dagegen, dass Sie diese Konsolidie- Ich will eine letzte Perspektive dieser Haushaltspoli- rung – immer mit schönen Worten verbrämt – einseitig tik ansprechen: die Null-Neuverschuldung. Es ist mehr- zu Lasten der Bürger in diesem Lande durchführen. fach schon gesagt worden, dass man sich diesbezüglich (Beifall bei der FDP) nicht festlegen soll. Aber sie ist greifbar und es wird kei- ner in diesem Hause ausgelacht, der behauptet, sie käme Die Bürger zahlen die Zeche, obwohl sie am Erfolg be- jetzt bald. Wir würden damit rund 40 Jahre Verschul- teiligt werden müssten. dungspolitik in Deutschland erstmals – hoffentlich auch Im Gegensatz zu dem, was Sie, Herr Finanzminister, dauerhaft – beenden. Ich will mit einem Zitat schließen, gesagt haben, blüht die Konjunktur nicht. Die Export- das ungefähr so alt wie unsere Verschuldungspolitik ist. konjunktur läuft, aber die Binnenkonjunktur lahmt. Dieses Zitat stammt von Ludwig Erhard, dem Bundes- Das ist kein Wunder, weil die Bürger in diesem Lande kanzler und langjährigen Wirtschaftsminister einer durch gewaltige Erhöhungen bei der Mehrwertsteuer, bei unionsgeführten Regierung: der Einkommensteuer, bei der Versicherungsteuer, bei Die Menschen haben es zwar zuwege gebracht, das Steuern auf biogene Kraftstoffe und durch den Abbau Atom zu spalten, aber nimmermehr wird es ihnen von Steuervergünstigungen insgesamt in Höhe von gelingen, jenes eherne wirtschaftliche Gesetz auf- 40 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich belastet werden. zusprengen, das uns mit unseren Mitteln haushalten Dann haben sie natürlich nicht mehr das Geld, um ihren heißt, d. h., das uns verbietet, mehr zu verbrauchen Konsum, ihre Altersvorsorge oder sonstige Investitionen als wir erzeugen können … zu finanzieren. Das ist die eigentliche Verheißung. Dieses konservative, (Beifall bei der FDP) nachhaltige Prinzip der Haushaltspolitik, Das ist eben so. Wenn Sie einen dauerhaften konjunktu- (Otto Fricke [FDP]: Das ist nichts rellen Aufschwung möglich machen wollten, müssten Konservatives!) Sie die Konsolidierung auf der Ausgabenseite fortführen und die Bürger von den zusätzlichen Belastungen nach das Ludwig Erhard formuliert hat, als wir angefangen und nach befreien. Das ist unsere Strategie. Herr Finanz- haben, Schulden zu machen, ist die Mission der Haus- minister, wir haben den Menschen vor der Bundestags- haltspolitik der Großen Koalition. Das ist die Mission, wahl tatsächlich gesagt: Wir wollen die steuerlichen Ver- die die Union kräftig unterstützen wird. günstigungen kategorisch abbauen, allerdings gegen 11400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Dr. Hermann Otto Solms (A) Entlastungen im Tarif und nicht als reine Zusatzbelas- Ehegattensplitting für das Jahr der Eheschließung noch (C) tung. in Anspruch nehmen könnte. Negativ betroffen sind na- türlich noch viel mehr die Investitionsprozesse von Un- (Beifall bei der FDP) ternehmen. Eine so hohe Mehrbelastung können viele Bürger gar (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Gut, dass nicht verkraften. Sie wissen, dass das nicht stimmt!) Wir haben einige Beispiele rechnerisch dargelegt. Diejenigen, die sich dafür interessieren, weise ich auf – Doch, das steht darin. Sie haben es nicht gelesen. Das meine Homepage hin: Hermann minus Otto minus kann ich mir gut vorstellen; schließlich liest man einen Solms.de. solchen Unsinn nicht gern. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Minus, die (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) sind schlecht!) Letzte Bemerkung. Mit der zentralen Lohnsteuerkar- Wenn man diese Beispiele nachvollzieht, kommt man zu tei, die eingerichtet werden soll, schafft man den gläser- dem Ergebnis, dass der normale Arbeitnehmerhaushalt nen Bürger, und zwar von der Wiege bis 20 Jahre nach in Deutschland durch die Maßnahmen dieser Regierung dem Tod. Öffentliche Stellen haben Zugriff auf diese pro Jahr in einem Bereich zwischen 1 000 und 2 000 Euro Kartei. Es gibt keine Kontrolle und keine Information mehr belastet ist; manche Haushalte sind noch höher be- für den Bürger. Auch Private, wie Arbeitgeber, können troffen. Das verfügbare Einkommen dieses Haushalts ist darauf Zugriff nehmen. also entsprechend geringer. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das passt sehr gut zur gesamten Steuerpolitik dieser Herr Kollege! Bundesregierung. Die Unternehmensteuerreform war eine absolute Katastrophe, und das wird sich noch aus- wirken. Mittlerweile haben die Unternehmen nämlich Dr. Hermann Otto Solms (FDP): angefangen, zu rechnen. Mir liegen beispielsweise Rech- All das zeigt, dass die verfassungsrechtlich geschützte nungen aus dem Handel vor, die zu dem Ergebnis kom- Privatheit von dieser Koalition ausgehöhlt wird. Das ma- men, dass die Einbeziehung der Mieten in die steuerliche chen wir nicht mit. Bemessungsgrundlage bei der Gewerbesteuer dazu (Joachim Poß [SPD]: Sie wollten die Steuer- führt, dass die Steuerbelastung von Handelsunterneh- hinterziehung schon immer schützen!) men, die in Mietobjekten ansässig sind, steigt – von heute etwas über 40 Prozent auf nahezu 70 Prozent –, – Es geht nicht um Steuerhinterziehung. (B) (D) und Sie haben ihnen Steuerentlastungen versprochen. Wenn die Gewinne dieser Unternehmen sinken, dann Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: steigt die Steuerbelastung auf 80, 90 und sogar auf über Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege. 100 Prozent. Was ist denn das für eine Steuerpolitik?! Herr Meister, aus Ihrem Land – aus unserem gemein- Dr. Hermann Otto Solms (FDP): samen Land –, aus Hessen, kommen die dämlichsten Ihnen geht es darum, den Bürger von der Wiege bis Vorschläge: die Einführung der Zinsschranke, die Ein- zur Bahre zu kontrollieren und zu überwachen. Das ist beziehung von Mieten und Pachten in die Gewerbesteu- mit unserer Vorstellung von einem liberalen Rechtsstaat ergrundlage, zur Funktionsverlagerung und zum Mantel- nicht in Einklang zu bringen, und das lehnen wir grund- kauf. All diese Vorschläge kommen von Herrn Koch und sätzlich ab. Herrn Weimar. Das ist steuerpolitisch völlig widersinnig, unsystematisch, kompliziert, und es macht den Standort Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. schwächer und nicht stärker. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Das wussten Sie genauso gut wie ich. Sie hätten das in Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ihrem Landesverband einmal sagen sollen, anstatt das Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Schneider für alles hier zu vertreten. die SPD-Fraktion.

Erbschaftsteuer: bis heute keine Antwort. Seit zwei Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Jahren diskutieren Sie darüber. Die Menschen sind total Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! verunsichert. Sie wissen nicht mehr, wie sie ihren Nach- Der Bundeshaushalt, den der Finanzminister heute ein- lass regeln sollen, weil Sie sich nicht einigen können. gebracht hat, und die mittelfristige Finanzplanung bis Jahressteuergesetz. Ich erinnere nur an das, was darin 2011 sind nicht nur der Marken-Kern der Großen Koali- wieder geregelt ist: § 42 der Abgabenordnung soll so ge- tion, sondern sie bieten auch Anlass, eine Bilanz der ver- ändert werden, dass die Bürger einen Nachweis erbrin- gangenen zwei Jahre – ich erinnere an die negativen Vor- gen und sich ihre privaten Entscheidungen quasi vom hersagen der FDP, die der Finanzminister heute zitiert Finanzamt genehmigen lassen müssen. Wenn ein Paar hat – zu ziehen. Sie sind vor allen Dingen ein Ausblick also im Dezember heiraten möchte, dann muss es zum auf das, was wir in den nächsten zwei Jahren in diesem Finanzamt gehen und fragen, ob es das darf, weil es das Land noch zu tun gedenken. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11401

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Ich finde, dass der Haushalt 2008 insgesamt eine sehr hat, was die Frage von Steuersenkungen angeht; Kollege (C) gute Vorlage ist. Ich möchte dem Finanzminister dazu Kampeter hat das schon angesprochen. Das ist ein biss- gratulieren, dass es ihm gelungen ist, gegen die wider- chen irreal. Wir sind im Jahr 2008. Wir nehmen noch strebenden Einzelinteressen, die es im Kabinett natürlich neue Schulden auf. Ich habe den Eindruck, dass sich die und berechtigterweise gibt, durchzusetzen, dass wir spä- Union schon auf die Wahlauseinandersetzung vorberei- testens 2011 im Bundeshaushalt bei der Neuverschul- tet. Das ist noch zwei Jahre hin, Kolleginnen und Kolle- dung eine Null stehen haben, gen. Wir haben noch tüchtig zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) eine Null, was zusätzliche Kredite betrifft. Im Interview heißt es: Den Zeitungen und manchen Reden hier zufolge Immer lauter wird der Ruf nach Steuersenkungen. müssten wir im Geld schwimmen. Im Unterschied dazu Selbst die Bundesbank spricht sich dafür aus. Sie muss man das sehen, was real hereinkommt. Es ist rich- auch? tig: Wir haben eine sehr gute Konjunktur, gestützt vor allen Dingen auf die Reformen der Jahre 2002 bis 2005, Ganz offen: verstärkt durch die vergangenen zwei Jahre, insbeson- dere durch die Impulse, die wir gegeben haben, durch Nein. Wir haben keine Luft, jetzt schon wieder die das Vertrauen, das die Bevölkerung in die Bundesregie- Steuern zu senken. Sollten wir wirklich irgendwann rung gesetzt hat, und durch eine Finanzpolitik, die sich einen Bundeshaushalt mit Überschüssen bekom- nicht nur dadurch auszeichnet, Nein zu sagen. Das klas- men, müssten wir doch endlich damit anfangen, un- sische Haushälter-Nein ist zu einem Gestaltungs-Ja ge- sere Schulden zurückzuzahlen. worden. Dieses Gestaltungs-Ja heißt, dass man nicht nur – Jeder Normalbürger würde dies auch tun. spart und kürzt, so wie das von den Kollegen der FDP gefordert wurde, sondern auch wichtige Zukunftsberei- Warum ist es besser, das Defizit statt die Steuern zu che stärkt. senken? Ich glaube, dass dem Kabinett damit insgesamt ein Erstens muss der Bund seine drückende Zinslast Entwurf gelungen ist, der sehr ausgewogen ist. Ich nenne mindern. Zweitens … muss Schluss sein mit der Bereiche wie Forschung und Entwicklung, aber auch In- Haltung: Wir machen den Gürtel weiter, aber be- frastruktur. Ich denke an unsere internationalen Ver- zahlen muss es die künftige Generation. pflichtungen im Rahmen der ODA-Quote. Diese Ausga- ben sind maßvoll und tragen zur Zukunftsfähigkeit Die Verschuldensregel hat im Laufe der Debatte heute (B) (D) unseres Landes bei. schon eine Rolle gespielt. Ich stimme mit den Kriterien, die der Bundesfinanzminister hier genannt hat, eins zu Wir planen im Jahr 2008 eine Nettokreditaufnahme eins überein. Ich bin mir auch sicher, dass wir zu einem von 12,9 Milliarden Euro. Unser Ziel als Haushälter ist es guten Ergebnis kommen, das es uns künftig ermöglicht, – der Kollege Kampeter hat schon darauf hingewiesen –, auch in schlechten Zeiten noch politisch tätig zu sein und diese möglichst noch zu senken; denn jeder Euro Kredit, in guten Zeiten mit dem Geld nicht nur auszukommen, den wir in einem Jahr mehr aufnehmen, heißt mehr Zin- sondern letztlich auch von der bedrückenden Schulden- sen im nächsten Jahr und weniger Spielraum. Wir wollen und Zinslast herunterzukommen. aber wieder Spielraum zurückgewinnen. Spielraum wurde uns ja auch genommen, nämlich durch Entschei- Hier nur ganz kurz die Zahlen: Wir haben im Jahr dungen der vergangenen 30 Jahre, die von allen Fraktio- 2007 Ausgaben für Zinsen in Höhe von knapp nen hier – da sind wir nicht schuldlos – mitgetragen wur- 40 Milliarden Euro und am Ende des Zeitraums der den. Finanzplanung in Höhe von fast 46 Milliarden Euro. Was könnte man mit diesem Geld alles anfangen, und Es ist richtig, dass wir mit der Finanzplanung und mit wo könnte man nicht überall zusätzliche Investitionen dem Kurs, den der Finanzminister vorgegeben hat, aus vornehmen? Ich denke an den Ausbau der Kinderbetreu- der Schuldenfalle herauskommen. „Raus aus der Schul- ung oder die Erhöhung des BAföG-Satzes, was für uns denfalle“ heißt nicht, dass wir dann, wenn wir einen aus- als SPD-Fraktion ein wichtiger Punkt ist. Von daher geglichenen Bundeshaushalt erreicht haben, stehenblei- finde ich, springt man zu kurz, wenn man, wie Herr Glos ben können. Wenn ich an das Grundsatzpapier von es vorgeschlagen hat, dabei stehen bleiben würde, statt Wirtschaftsminister Glos denke, sehe ich da einen Dis- in guten Zeiten Vorsorge zu treffen. sens; den muss man klar benennen. Mein Ziel und das Ziel der SPD ist es, dass wir dazu kommen, Schulden zu Diese widersprüchliche Auffassung wird auch noch tilgen, nachdem wir in guten Zeiten den Ausgleich er- an einem anderen Punkt deutlich: Herr Kampeter und reicht haben werden, das heißt 2011, hoffentlich schon Herr Meister haben die Frage der Höhe des Arbeitslo- früher, mit den Mitteln, die wir einnehmen, auch aus- senversicherungsbeitrages angesprochen und eine Sen- kommen. Jede Verschuldung von heute ist die Steuer- kung von 3,5 Prozent anheimgestellt. erhöhung von morgen. (Otto Fricke [FDP]: „Auf“! – Steffen Ich möchte an dieser Stelle den Präsidenten des Bun- Kampeter [CDU/CSU]: Wenn er um 3,5 Pro- desrechnungshofs zitieren, der heute in der Frankfurter zent gesenkt würde, wären wir auch nicht da- Rundschau ein sehr bedenkenswertes Interview gegeben gegen!) 11402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Carsten Schneider (Erfurt) (A) – „Auf“ 3,5 Prozent, ich korrigiere mich. – Nun sind wir den Bund geklagt hat, aber vom Bundesverfassungsge- (C) in einer sehr guten konjunkturellen Situation. Der Über- richt nicht Recht bekommen hat, plant, im Jahre 2009 schuss bei der Bundesagentur hat maßgeblich auch mit ohne neue Schulden auszukommen? Dies alles sollte uns den Reformen bei der Arbeitsverwaltung zu tun. Ich nachdenklich stimmen. finde, gerade in guten Zeiten müssen wir Vorsorge für Wir als Haushälter werden uns bemühen, diesen gu- schlechte Zeiten treffen. So haben wir in den vergange- ten Entwurf der Regierung noch ein bisschen besser zu nen zehn Jahren etwa 40 Milliarden Euro aus Steuermit- machen, auch die Intentionen des Parlaments einzubrin- teln an die Bundesagentur für Arbeit überwiesen. Wenn gen wir den Beitragssatz jetzt senken, müssten wir ihn in schlechten Zeiten sofort wieder erhöhen. Ist es nicht (Otto Fricke [FDP]: Auf der Ausgabenseite? – sinnvoller, logischer, plausibler und auch gerechter, in Ulrike Flach [FDP]: Wie viel denn?) guten Zeiten Vorsorge für kommende schlechte Zeiten zu treffen? und möglichst das Defizit des Bundes zu senken. Ich denke, wir sind dabei auf einem guten Weg. (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wie viel?) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich bin der Auffassung, das sollten wir tun. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Im Übrigen muss die Bundesagentur ja auch ihre Ar- Dr. Dietmar Bartsch spricht jetzt für die Linke. beit machen können. Das ist wichtig gerade für struktur- schwache Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit. So bin Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): ich froh, dass im nächsten Jahr für aktive Arbeitsmarkt- Gerade jetzt geht die Bundeskanzlerin, wo jemand politik 6,4 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Diese aus ihrem Bundesland spricht. sollten wir auch möglichst gezielt zum Nutzen der Men- schen einsetzen. (Zuruf von der FDP: Die hat Angst vor Ihnen!) Ich möchte zum Abschluss noch auf ein Missverhält- – Ja, wahrscheinlich hat sie Angst; das wird es sein. nis zu sprechen kommen, das in diesen Tagen immer Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wieder unter dem Stichwort „gesamtstaatlicher Haus- Im Koalitionsvertrag steht so schön: „Deutschland haltsausgleich“ debattiert wird. Ja, wir werden spätes- braucht einen Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und tens 2008 einen gesamtstaatlichen Haushaltsausgleich Investieren.“ Frau Merkel betont das immer wieder, und haben. Das heißt, alle staatlichen Ebenen und die Sozial- auch Herr Steinbrück hat das heute in seiner Rede ange- (B) versicherungen zusammengenommen werden genauso sprochen. Das klingt sehr schön und ist auch richtig. (D) viel einnehmen wie sie ausgeben. Hier gibt es aber Un- Aber das Stück, das Sie den Menschen seit 2005 vor- terschiede: Der Bund zum Beispiel wird noch weiterhin spielen, ist nicht so harmonisch. Es ist für viele Men- ein Defizit haben. Das ist manchmal schwer zu erklären, schen in diesem Land schlecht. ist aber Folge der Verhandlungen im Bundesrat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, die im Hinblick Zunächst zwei Klarstellungen zu Ihrer Rede. Die auf die Aufgaben immer zulasten des Bundes ausgingen. erste: Nicht Sie, Herr Bundesfinanzminister, nicht die So kommt es zustande, dass die Kommunen insbeson- Bundesregierung, sondern die Arbeitnehmerinnen und dere aufgrund der Stärkung der Gewerbesteuer, die wir Arbeitnehmer, die Rentnerinnen und Rentner, die Hartz- im Rahmen der Unternehmensteuerreform vorgenom- IV-Empfänger und diejenigen, die kein Hartz IV bekom- men haben – das ist in Richtung der Linken gesagt –, ei- men, obwohl sie arbeitslos sind, sowie der Mittelstand, nen Überschuss aufweisen und somit die Möglichkeit das sind diejenigen, die zu den besseren Ergebnissen des haben, vor Ort Sozial- und Wirtschaftspolitik zu betrei- Bundeshaushalts beigetragen haben. ben, und ebenso auch die Länder in diesem Jahr einen (Beifall bei der LINKEN) Überschuss erzielen, wahrscheinlich in Höhe von etwa 7 Milliarden Euro, während der Bund ein Defizit auf- Die zweite Klarstellung bezieht sich auf Ihre Refor- weist. men. Ich will nur auf eine in Kürze eingehen, die Ge- sundheitsreform, über die Sie gar nicht mehr reden. Ich Ich will einmal fragen – heute ist kein Vertreter des finde, allein das sagt sehr viel. Die Gesundheitsreform Bundesrates anwesend; sie scheinen alles bekommen zu macht Kranke und Pflegebedürftige nicht schneller ge- haben –, ob im Zusammenhang mit den Deckungsquoten sund; aber sie führt dazu, dass die medizinische Versor- jede staatliche Ebene auch den Ausgleich auf der Ein- gung für die Menschen teurer und die Zweiklassenmedi- nahmeseite bekommt, der ihr für ihre Ausgaben zusteht. zin weiter verfestigt wird. Die Finanzierung ist unklar, Denn es steht uns als Bund ein Mehrwertsteuerpunkt in und die Krankenkassenbeiträge sind gestiegen. Das ist Höhe von 7 bis 8 Milliarden Euro zu. Auch möchte ich das einzige Ergebnis dieser Reform. den Bundesfinanzminister nachhaltig in seiner Auffas- sung unterstützen, dass weitere Zusagen in Richtung der Warum ist die Haushaltslage besser? Wir alle wissen, Länder oder der Kommunen seitens des Bundes nicht dass die Steuergesetze der Bundesregierung das Kern- möglich sind, da wir insgesamt die schlechteste Finan- stück sind. Ich will auf das zurückkommen, was auch zierungsstruktur und das höchste Defizit haben. Wer von der FDP schon erwähnt worden ist: Die Mehrwert- hätte denn gedacht, dass ein Land wie Berlin, das vor steuererhöhung entzieht den Konsumenten 20 Milliar- nicht allzu langer Zeit wegen Haushaltsnotlage gegen den Euro. Wissen Sie, was Voodoo-Ökonomie ist, Herr Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11403

Dr. Dietmar Bartsch (A) Steinbrück? Wenn die SPD vor der Wahl von 0 Prozent Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. (C) Mehrwertsteuererhöhung spricht, die CDU von 2 Pro- 2006 stieg die Zahl der Vermögensmillionäre in zent Mehrwertsteuererhöhung und das Ergebnis dann bei Deutschland um über 4 Prozent auf 798 000. Zur glei- 3 Prozent liegt. Das ist Voodoo-Ökonomie, und nicht chen Zeit stieg das Bruttoinlandsprodukt nur um das, was Sie den Linken vorwerfen. 2,3 Prozent. Das ist Ausdruck Ihrer Politik: mehr Ver- mögensmillionäre, deren Zahl immer deutlicher steigt. (Beifall bei der LINKEN) Das ist nicht nur sozial ungerecht, sondern viel schlim- Bei der Entfernungspauschale, die die Betroffenen im mer. Übrigen auch 2,5 Milliarden Euro kostet, ist es ähnlich. Sie sagen immer, wir würden keine Vorschläge ma- Nicht Sie oder ich oder das Haus entscheiden, ob das chen. Aus Zeitgründen will ich nur einen einzigen ma- verfassungskonform ist; das wird das Verfassungsgericht chen, und zwar, weil der auch in der Diskussion ist, die feststellen. Mir ist nur wichtig, dass Sie das haushalte- Erbschaftsteuer. Manche sagen, man müsse sie ab- risch berücksichtigen. Das wäre sinnvoll und notwendig. schaffen. In den nächsten Jahren werden nach Berech- Ich will noch auf zwei Punkte zu sprechen kommen. nungen der Dresdner Bank in Deutschland 1,3 Billionen Wer musste beim Sparerfreibetrag die Kosten in Höhe Euro vererbt. Es ist die Pflicht der Politik, die haushalts- von 750 Millionen Euro tragen? Diejenigen, die etwas und verteilungspolitische Funktion der Erbschaftsteuer für ihre Altersvorsorge getan haben, denn die trifft diese für das Gemeinwesen zu nutzen. Reduzierung. Es geht also wieder gegen die sozial (Beifall bei der LINKEN) Schwächeren. Das gilt auch für die Kindergeldzahlun- gen. Den Eltern werden in diesem Jahr 700 Millio- Deswegen muss es darauf ankommen, hier Mehreinnah- nen Euro genommen. Wenn das jemanden wie mich men zu erzielen, bei hohen Freibeträgen und so, dass trifft – zweimal im Übrigen –, dann ist das nicht so keine Arbeitsplätze gefährdet werden. Das ist völlig schlimm. Aber viele Kinder von sozial Schwächeren richtig. können deshalb nicht mehr studieren. Das ist das Pro- Ich kann Ihnen nur empfehlen, einmal die Erbschaft- blem Ihrer Politik. steuer in den USA anzuschauen. Hätten wir eine ver- (Beifall bei der LINKEN) gleichbare Regelung, dann würden wir in den nächsten Jahren 50 Milliarden Euro mehr in den Kassen haben. Ich will ein weiteres Missverständnis, das man zur Das wäre eine richtige Politik. Wir brauchen eine sozial Halbzeit der Legislaturperiode auch in der Öffentlichkeit verantwortliche Reform der Erbschaftsteuer mit – dies häufig hört, ausräumen. Die Große Koalition hat in den betone ich ausdrücklich – angemessenen Freibeträgen. Jahren 2006 und 2007 neue Schulden in Höhe von über Herr Steinbrück, Sie sanieren zu wenig, Sie reformieren (B) (D) 40 Milliarden Euro aufgenommen. Mit dem Haushalt zulasten der Mehrheit, und Sie investieren zu wenig. Das 2008 wollen Sie weitere 12,9 Milliarden Euro Schulden bringt Ihr Haushalt zum Ausdruck. aufnehmen. Damit plant die Bundesregierung, die Zins- zahlung von 37,5 Milliarden Euro auf 42,1 Milliarden Euro (Beifall bei der LINKEN) zu schrauben. Wir leben zulasten unserer Kinder und Enkel. Das ist keine Generationsgerechtigkeit. Da ha- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ben Sie ausnahmsweise recht. Das ist eine gigantische Jetzt hat der Kollege Georg Fahrenschon das Wort für Umverteilung von unten nach oben, weil die Banken da- die CDU/CSU-Fraktion. von profitieren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Es ist ein Riesenfehler, dass Sie nur so geringe Inves- Georg Fahrenschon (CDU/CSU): titionen planen. Jährliche Steigerungsraten von Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und 300 Millionen Euro sind viel zu wenig. Da hat Herr Herren! Diese Woche ist dadurch gekennzeichnet, dass Kampeter ausnahmsweise recht. Wenn Sie die Investitio- wir den Bundeshaushalt 2008 einbringen. Das bedeutet, nen bis 2011 sogar um 600 Millionen Euro senken wol- dass in den kommenden Wochen jeder Einzelplan durch- len, dann ist das unverantwortlich. Die Linke fordert ein gearbeitet wird und dass wir noch einmal versuchen, den Zukunftsprogramm für Jugend und Innovation. Wir for- Regierungsvorschlag in jedem einzelnen Punkt zu opti- dern Investitionssteigerungen, um Arbeitsplätze zu mieren. Warum gehen wir guten Mutes daran? Wir tun schaffen und weitere zu initiieren. Ihr politisches Credo dies, weil wir nach zwei Jahren zur Halbzeit der laufen- ist dafür verantwortlich, dass immer mehr Arme trotz den Periode durchaus erfolgreich und zufrieden auf die Konjunktur ärmer werden, dass es die erschreckende Zusammenarbeit der Großen Koalition zurückblicken Kinderarmut gibt und dass die Reichen immer zahlrei- können. cher in diesem Land werden. Die Bundesregierung strebt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) offensichtlich danach, beim Wachstum der Zahl der Su- perreichen Spitze zu sein. Das ist unsozial und unsolida- Lieber Kollege Bartsch, ich will versuchen, dies in risch. Das muss nicht sein, es geht anders. vier Punkten unter der Überschrift „Was haben die Men- schen im Land von der Politik der Großen Koalition?“ Es ist falsch, wenn Sie behaupten, in Deutschland sei noch einmal darzustellen. Als Erstes ist hier die Ent- nicht mehr Geld für eine soziale Politik vorhanden. wicklung des Bruttoinlandsprodukts im Jahresschnitt zu (Beifall bei der LINKEN) nennen. Im Jahresdurchschnitt 2005 lag dieser Wert bei 11404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Georg Fahrenschon (A) mageren 0,9 Prozent. Im Jahresdurchschnitt 2006 lag er gen: Ich habe eine Leistung vollbracht. Der wesentliche (C) bei 2,8 Prozent. Im laufenden Jahr schaffen wir viel- Punkt aber ist die Vorbereitung. Was macht die Ei- leicht sogar einen Wert mit einer 3 vor dem Komma. Die gernordwand so schwierig? Was macht sie einerseits so Prognose ist weiterhin gut. Wir haben in diesem Land herausfordernd, andererseits aber auch so gefährlich? Es weiterhin Wachstum. Das heißt, wir haben einen Zu- sind nicht nur einzelne Kletterpassagen, sondern es ist wachs an Arbeitsplätzen und an Beschäftigung. Wir ge- die Tatsache, dass man in der Eigernordwand mit plötzli- ben den Menschen in diesem Land eine Zukunft. chen Wetterumschwüngen rechnen muss. Außerdem muss man sich mit der Länge der Route auseinanderset- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zen. Deshalb passt das Bild von der Besteigung der Ei- Zweitens nenne ich die Arbeitslosenzahlen. Im gernordwand, einer der interessantesten Berge, die wir in Durchschnitt des Jahres 2005 gab es 4,86 Millionen Europa haben, auch zu den Arbeiten am Bundeshaushalt Menschen, die ohne Lohn und Brot und damit ohne 2008. Perspektive waren und ohne Zukunft in unserem Land gelebt haben. Wir haben diese Zahlen auf nur noch Ja, die Entwicklung der öffentlichen Finanzen ist 3,7 Millionen – das ist der Wert für August – reduzieren positiv. Der Weg der Haushaltskonsolidierung einerseits können. Die Prognose lautet, dass wir die Arbeitslosig- und die gezielte Wachstumsförderung andererseits haben keit in Deutschland weiter senken. Wir geben den Men- sich als richtige Instrumente erwiesen, das zu Beginn der schen eine Perspektive. Wir geben den Menschen eine Legislaturperiode stagnierende Wirtschaftswachstum Zukunft. Das ist eine weitere gute Nachricht. wieder in Schwung zu bringen und vor allen Dingen auf hohem Niveau zu stabilisieren. Das hat auch der aktuelle (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stresstest gezeigt, den wir gerade durchleben. Die Tatsa- che, dass die dramatische Krise am US-Subprime-Markt Drittens nenne ich das Defizit. Im Jahr 2005 erfolgte uns in Deutschland zwar in Mitleidenschaft zieht, aber mit einem Defizit von über 3 Prozent der wiederholte es zu keinem Flächenbrand gekommen ist, zeigt, wie Bruch des Europäischen Stabilitätspaktes. Der genaue stark der Finanzplatz Deutschland ist. Wert lag bei 3,2 Prozent. In diesem Jahr lautet die Pro- gnose, dass dieser Wert bei 0,5 Prozent liegen wird. Ge- Von dieser Stelle aus gilt mein besonderer Dank nicht samtstaatlich gesehen, könnten wir sogar schon in die- nur dem Bundesfinanzminister, sondern insbesondere sem Jahr einen Ausgleich schaffen. Das heißt, wir haben auch dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank, weil in diesem Jahr ein Defizit abgebaut. Endlich halten wir er im Rahmen des Krisenmanagements an zentraler in Europa wieder Verträge ein. Wir kommen wieder un- Stelle dafür gesorgt hat, dass keine Bank zusammen- serer Vorbildfunktion nach. Das ist ein gutes Zeichen für bricht und dass der deutsche Finanzmarkt aus dieser (B) die Menschen. Die Prognose lautet auch hier, dass wir wirklich schwierigen Situation gut herausgekommen ist. (D) auf dem besten Weg sind. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Viertens komme ich zur Nettokreditaufnahme. Diese positive Stimmung darf uns jedoch nicht darü- Noch im Jahr 2005 waren wir in einer Situation, in der ber hinwegtäuschen, dass weiterhin erheblicher Konso- wir gezwungen waren, neue Schulden in Höhe von lidierungsbedarf besteht. Denn auch im kommenden 31,2 Milliarden Euro aufzunehmen. Die Große Koalition Jahr besteht nach wie vor ein strukturelles Defizit in hat diesen Bedarf an Haushaltsunterdeckung in den letz- Höhe von immerhin 23,5 Milliarden Euro. Deshalb ist es ten zwei Jahren halbieren können. Diesen Weg gehen gerade in konjunkturell guten Zeiten, also sozusagen bei wir weiter. Das erklärte Ziel der CDU/CSU-Fraktion ist einer guten Wetterlage, von großer Wichtigkeit, die wei- es, noch in dieser Periode ohne die Aufnahme von neuen terhin bestehenden Haushaltsungleichgewichte rasch zu Schulden auszukommen. Dies erst 2011 zu erreichen, ist beseitigen und, der Intention der europäischen Haus- uns zu spät. Wir wollen das früher erreichen. Das ist in haltsregeln folgend, eine ausgeglichene Haushaltsposi- den nächsten Wochen das wesentliche Ziel unserer tion zu erreichen und zu sichern. Haushaltsarbeit. Die Grundregel gilt: Nur eine Überschussposition bei (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) günstiger Konjunkturlage ermöglicht auch bei schlech- tem Wirtschaftsklima, die nationalen und europäischen Dafür haben wir gute Gründe, denn wir sind der fes- Vorgaben einzuhalten. In diesem Sinne, Herr Bundes- ten Überzeugung, dass wir uns in der jetzigen guten finanzminister, sagen wir: Wir brauchen eine Regel, die wirtschaftlichen Situation anstrengen müssen, um uns atmende Haushalte ermöglicht. Dazu gehört aber, dass auf schlechtere Zeiten, die wieder drohen, vorzubereiten. wir in guten Zeiten Überschüsse erwirtschaften, dass wir Um dies zu erläutern, habe ich nach einem passenden in normalen Zeiten einen ausgeglichenen Haushalt ha- Bild gesucht. Wir alle sind aus dem Sommerurlaub zu- ben und dass wir nur in speziellen Ausnahmefällen ins rück; die einen waren am Meer, die anderen waren in Defizit gehen. den Bergen. Ich glaube, der Bergsport liefert ein gutes Bild. Warum ist die Eigernordwand so eine große berg- Ich komme zum Schluss. sportliche Herausforderung? Warum gibt es viele Men- schen, die versuchen, diesen Berg zu bezwingen? Natür- lich ist ein Grund das Gefühl, es geschafft zu haben, auf Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dem Gipfel zu stehen, nach unten zu schauen und zu sa- Das wäre gut. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11405

(A) Georg Fahrenschon (CDU/CSU): Alles spricht dafür, dass im zweiten Halbjahr 2007 (C) Solide Staatsfinanzen sind kein Selbstzweck. Sie sind und im Jahre 2008 die Belebung des privaten Verbrau- die unumgängliche Voraussetzung zur Wiedergewin- ches hinzukommt, sodass wir schon jetzt sagen können: nung der haushaltspolitischen Spielräume, die wir zur Wir haben eine solide Basis des Wachstums, die sich Finanzierung von zentralen Zukunftsinvestitionen und nicht ausschließlich auf unsere erhöhte Wettbewerbsfä- zur weiteren Rückführung der Steuerbelastung brauchen. higkeit und die starke Auslandsnachfrage stützt, sondern Nur mit Wachstum schaffen wir den Verschuldungsab- breit gestreut ist. Die Basis ist solide. Das ist meiner An- bau. Wer glaubt, wir könnten uns die unendlich große sicht nach ein großer Vorteil. Summe von 1 500 Milliarden Euro an gesamtstaatlicher Es besteht die Situation – das ist neu –, dass es bei ei- Verschuldung aus den Haushalten schwitzen, der irrt. nem Wachstum von gut 2 Prozent eine deutliche Bele- Wir müssen auf Wachstum setzen, weil wir nur durch bung der Beschäftigung gibt. Wir haben heute rund Wachstumsimpulse in die Lage versetzt werden, die Ver- 500 000 mehr sozialversicherungspflichtige Beschäfti- schuldung abzubauen. gungsverhältnisse als vor einem Jahr. Bei der Arbeitslo- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sigkeit ist ein Rückgang von fast 700 000 im Vergleich zum August 2006 zu verzeichnen. Das darf man nicht beiseiteschieben. Ich behaupte ja nicht, dass es aus- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schließlich Verdienst der Politik gewesen ist, dass wir Herr Kollege, das muss jetzt Ihr letzter Satz gewesen diese Entwicklung erreicht haben. Viele haben dazu bei- sein. getragen; einige Kolleginnen und Kollegen haben es vorhin schon angesprochen. Zur Wiedererlangung der Georg Fahrenschon (CDU/CSU): preislichen Wettbewerbsfähigkeit weltweit beispiels- Wir haben meines Erachtens schon schwierige Passa- weise haben Arbeitnehmer und Unternehmen erheblich beigetragen. gen hinter uns gebracht und den richtigen Weg einge- schlagen. Zum Ausruhen ist es jedoch zu früh. Wir müs- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Tarifver- sen jetzt bei gutem Wetter Vorkehrungen gegen tragsparteien!) kommende schwierige Passagen und auch gegen schlechtes Wetter treffen. Denn es liegt noch ein langes Zur Verbesserung der Situation hat aber auch beige- Stück Weg vor uns. tragen, dass wir in der vorigen Wahlperiode den Mut ge- habt haben, Reformen am Arbeitsmarkt durchzusetzen, Herzlichen Dank. die überhaupt nicht bequem waren und die uns viel Streit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – und Auseinandersetzungen eingebracht haben, die sich (B) Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wetter und jetzt aber auszahlen und die greifen. Es ist eine Zunahme (D) der Beschäftigung zu verzeichnen. Bei einer erhöhten Haushalt gut!) Zahl von offenen Stellen ist es leichter geworden, einen neuen Job zu bekommen. Besonders erfreulich finde ich: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Rückgang bei der Langzeitarbeitslosigkeit ist über- Ich gebe jetzt dem Kollegen Jörg-Otto Spiller für die proportional hoch. Dies hat zwei Gründe: Zum einen SPD-Fraktion das Wort. dauert es nicht mehr sehr lange, bis jemand aus der Ar- beitslosigkeit heraus eine neue Anstellung findet. Zum anderen hat inzwischen – das ist aber noch steigerungs- Jörg-Otto Spiller (SPD): fähig – im Bereich des Arbeitslosengeldes II ein Rück- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und gang von gut 11 Prozent stattgefunden. Herren! Herr Kollege Fahrenschon, das Bild von der Ei- gernordwand ist etwas heikel. Mir würde es im Zusam- Das ist überhaupt nicht selbstverständlich. Darauf menhang mit dem Schuldenberg reichen, wenn wir uns können wir, so finde ich, stolz sein. Das sage ich als So- in Richtung Brocken bewegen würden. Das wäre mir lie- zialdemokrat mit besonderem Bewusstsein; dazu haben ber; die Eigernordwand ist mir ein bisschen zu steil und ja mehrere beigetragen. Es ist ein Erfolg der vorange- zu massiv. gangenen Regierung, dass wir diese Entwicklung am Ar- beitsmarkt haben. Deutschland befindet sich in einem soliden wirt- schaftlichen Aufschwung, wie wir ihn seit geraumer Zeit Angesichts der Situation beim Wachstum und der Zu- nicht mehr gehabt haben. Das reale Wirtschaftswachs- nahme der Beschäftigung ist es kein Wunder, dass die tum betrug im vorigen Jahr rund 2,8 Prozent. In diesem Steuerquellen relativ kräftig sprudeln. Es ist nicht in ers- Jahr erwarten Bundesbank und die Wirtschaftsfor- ter Linie der notwendigen Erhöhung der Mehrwertsteuer schungsinstitute ähnlich wie für 2008 ein reales Wachs- und dem Abbau von Steuervergünstigungen an verschie- tum in der Größenordnung von 2,5 Prozent. denen Stellen zu verdanken, dass es heute eine kräftigere Zunahme der Steuereinnahmen bei Bund, Ländern und Herr Kollege Dr. Solms, erfreulicherweise hat sich Gemeinden gibt. Dies ist vielmehr ein Spiegelbild der auch bei den Komponenten des Wachstums, also bei der besseren wirtschaftlichen Entwicklung. Ich schließe Nachfrage, ein Wandel ergeben. Wir haben nicht mehr mich dem an, was Kollege Fahrenschon gesagt hat: ausschließlich eine starke Auslandsnachfrage. Hauptträ- Wirtschaftliches Wachstum ist eine Grundvoraussetzung ger des Wachstums in diesem Jahr ist vielmehr die hoch- für die Haushaltskonsolidierung. erfreuliche Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen der deutschen Wirtschaft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 11406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Jörg-Otto Spiller (A) Ich drehe das allerdings auch um: Ohne solide Staats- entscheidenden Komponenten stärken; es ist richtig, (C) finanzen wird es schwierig werden, auf Dauer ein nach- dass wir für Forschung und Entwicklung sowie für Bil- haltiges Wachstum in Deutschland zu erreichen. dung mehr Geld ausgeben als in der Vergangenheit. Es ist notwendig, dass wir die Handlungsfähigkeit des Staa- Zum Stichwort „Verschuldung“. Kollege Koppelin tes in den Bereichen innere und äußere Sicherheit ge- hat so getan – er ist leider nicht mehr anwesend –, als sei währleisten; ich sage das bewusst am 11. September. die FDP, die in Deutschland eine Weile mitregiert hat Dass wir es geschafft haben, hinsichtlich der Bereitstel- – es war nicht viel mehr als drei Viertel der Zeit, seit es lung von Betreuungsplätzen für Kinder zwischen einem diese Bundesrepublik gibt –, für die heutigen Schulden und drei Jahren eine Verständigung zu erzielen im Bundeshaushalt nicht verantwortlich. – 35 Prozent eines jeden Jahrgangs sollen einen solchen (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Das war Betreuungsplatz erhalten –, und dass ein Rechtsanspruch aber im letzten Jahrhundert! – Iris Gleicke auf einen Kindergartenplatz besteht, sind große Leistun- [SPD]: Jahrtausend!) gen, die der Zukunftssicherung dienen. – Herr Kollege Dr. Solms, von den heutigen Schulden (Beifall bei Abgeordneten der SPD) des Bundes stammen 80 Prozent aus Zeiten, in denen die Wenn ich mir den Einfluss der sozialdemokratischen FDP im Bund mitregiert hat. Sozialpolitik auf die Reformen in den Bereichen Wirt- (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Mit euch!) schafts- und Arbeitsmarktpolitik in der vergangenen Wahlperiode und in diesem Jahr ansehe und wenn ich Ich werfe Ihnen das gar nicht vor. Der Ehrlichkeit halber die von der Koalition insgesamt getragene Entwicklung sollte man aber nicht so tun, als hätte Herr Koppelin gar hinsichtlich Vereinbarkeit von Beruf und Familie be- nichts damit zu tun, bloß weil er erst 1990 in den Bun- trachte, muss ich ganz freimütig sagen: Ich bin froh, dass destag gewählt wurde. Das stimmt nicht. so viel sozialdemokratische Handschrift in der Politik (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dieser Regierung zu erkennen ist.

Noch eine kleine Erwiderung bzw. Korrektur: Sie, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Dr. Solms, haben gefragt, wann die Große Koali- Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege. tion endlich einen Entwurf zur Reform der Erbschaft- steuer vorlegt. Wir müssen ihn schon solide erarbeiten. Jörg-Otto Spiller (SPD): (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Seit zwei Herr Kollege Dr. Solms, möglicherweise hängt die Jahren!) Zukunft von den heutigen Friedensgesprächen zwischen (B) – Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat Ende Januar FDP und Union ab. Es könnte ja sein, dass Herr (D) dieses Jahres seine Entscheidung vorgelegt. Sie müssen Westerwelle der Kanzlerin morgen wieder vorwirft, sie auch die Begründung lesen; es reicht nicht, nur die zwei bzw. ihre Politik sei zu sozialdemokratisch. Wir können Leitsätze zu lesen. Man muss sich die Entscheidung damit leben. Unsere Handschrift lässt sich erkennen. schon genau anschauen. Der Bund bzw. die Große Ko- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten alition und die Länder haben eine solide Vorarbeit ge- der CDU/CSU) leistet. Daher werden wir eine vernünftige Regelung fin- den. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Habt ihr es Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. jetzt gelesen?) Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bun- – Das haben wir schon vor geraumer Zeit getan. Wenn desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Sie darauf hoffen, dass die Erbschaftsteuer abgeschafft Verbraucherschutz, Einzelplan 10. wird, muss ich Sie enttäuschen. Dazu wird es nicht kom- Als Erster hat das Wort der Kollege Bundesminister men. Horst Seehofer für die Bundesregierung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Das haben wir nicht gefordert!) Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, – Das ist schön. Dann haben wir ja Ihre Unterstützung. Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Das freut mich. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe bei aufgehender Sonne zum Einzelplan 10 auch frohe Ich möchte das, was die Kollegen Schneider, Poß und Botschaften. Nach dem Weggang unseres bisherigen der Bundesfinanzminister gesagt haben, unterstreichen: Parlamentarischen Staatssekretärs Peter Paziorek, der ja Wenn der Haushalt in einem Jahr ausgeglichen ist, haben bekanntlich Regierungspräsident geworden ist, haben wir die Schulden trotzdem noch lange nicht abgebaut. wir jetzt bei uns im Hause, also im Agrar- und Verbrau- Es ist schon ein Problem, wenn man einen solchen cherschutzministerium, eine neue Staatssekretärin: un- Brocken vor sich hertragen muss. Die Verpflichtung, je- sere Kollegin Ursula Heinen, der ich auch hier vor dem des Jahr Zinsen zu zahlen, engt natürlich den Hand- Parlament noch einmal gratulieren möchte. lungsspielraum der künftigen Generationen ein. Gleich- wohl sage ich: Wir müssen auch die für das Wachstum (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11407

Bundesminister Horst Seehofer (A) Ich bitte um gute Zusammenarbeit. möglichkeiten für die Bauern und wiederum eine (C) Stärkung des ländlichen Raumes. (Heiterkeit des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) Ich darf Sie unterrichten, dass wir vor wenigen Wo- Der Einzelplan, den ich zu verantworten habe, steht chen gemeinsam mit dem Kollegen Tiefensee in Leipzig unter guten Vorzeichen. Wir haben jetzt knapp zur Halb- den Startschuss für das Deutsche Biomasse-Forschungs- zeit dieser Legislaturperiode alles, was diese Koalition zentrum gegeben haben. Das war ein wichtiger Punkt in vereinbart hat, entweder längst erledigt, verabschiedet unserer Koalitionsvereinbarung. Es hat etwas gedauert; oder es steht kurz vor der Verabschiedung. aber ich bin immer dafür, dass man so etwas erst dann auf den Weg bringt, wenn Personal, Finanzierung und Das gilt zum Beispiel – das freut mich am meisten – Organisation nicht nur für den Augenblick des Presseter- dafür, dass der Haushaltsplan 2008 nach über zehn Jah- mins, sondern auch nachhaltig für die nächsten Jahre ge- ren Kürzungen im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe währleistet sind. Das ist mittlerweile ein großes Gemein- „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten- schaftswerk: Der Bund, der Freistaat Sachsen, schutzes“ zum ersten Mal wieder einen Aufwuchs der Thüringen, Sachsen-Anhalt, die Wirtschaft und die Wis- Mittel für die Agrarstruktur vorsieht. Das bedeutet im senschaft engagieren sich hier. Es ist schön, dass das Grunde nichts anderes, als dass wir mit unserer politi- Deutsche Biomasse-Forschungszentrum in Leipzig am schen Aussage Ernst machen, nämlich dass wir die länd- 1. Januar des nächsten Jahres endgültig seinen Betrieb lichen Räume wieder stärker fördern und nicht nur gut aufnehmen wird. über die ländlichen Räume sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei des Abg. Roland Claus [DIE LINKE]) Abgeordneten der SPD) Wenn ich gleichzeitig sehe, dass im Bundeshaushalt Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Mittel werden in 2008 erneut 50 Millionen Euro für den Bereich „Nach- diesem Bereich von 615 auf 660 Millionen Euro auf- wachsende Rohstoffe“ bereitgestellt werden, dann wachsen. Das ist eine Komplementärfinanzierung mit glaube ich, ist das ein guter Beweis dafür, dass wir die- den Bundesländern. Es ist nach Beginn der Kürzungen sen Sektor ernst nehmen. Die Biomasse – das wissen in diesem Bereich unter der Regierung und viele nicht – deckt mittlerweile rund 70 Prozent der rege- in Fortsetzung unter der Regierung Schröder zum ersten nerativen Energien in Deutschland ab. Man hat ja immer Mal seit über zehn Jahren wieder so, dass die Mittel nur die Windräder, die Sonnenkollektoren oder die Was- nicht gekürzt werden oder stagnieren, sondern dass zu- serkraft im Auge. Aber mittlerweile ist es die Biomasse, sätzliches Geld verwandt wird. die rund 70 Prozent des Bedarfs deckt. (B) (D) Wir werden diese Mittel sehr stark in einem Bereich konzentrieren – dort sind sie auch gebunden –, und zwar Der dritte Punkt, der mir wichtig ist, ist die agrarsoziale auf die Breitbandversorgung, auf den Anschluss von Sicherung. Ich bitte unseren Koalitionspartner um strukturschwachen Räumen an das Internet. Ich glaube, Nachsicht, dass ich sage: Wir sind jetzt zum ersten Mal es ist für die Entwicklung des ländlichen Raumes einer seit sehr vielen Jahren in der Lage, die Höhe der Zu- der zentralen Punkte, dass wir ihn ans Internet anschlie- schüsse des Bundes zur agrarsozialen Sicherung beizu- ßen. behalten. Wir müssen sie also nicht kürzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Das ist gegenüber den Bäuerinnen und Bauern ge- der SPD) rechtfertigt. Sie haben nämlich einen sehr großen Struk- turwandel erlebt, mit der Folge, dass es auf der einen Der andere Teil der Mittel wird verstärkt in der Ener- Seite viele Leistungsempfänger aus der Vergangenheit gieversorgung eingesetzt werden. Wir diskutieren sehr gibt – die Fachleute nennen sie: die Altlasten – und dass viel über CO2. Ich persönlich bin ein großer Anhänger auf der anderen Seite die Zahl der Beitragszahler auf- einer stärkeren dezentralen Energieversorgung in der grund des Produktivitätsfortschritts immer geringer ge- Bundesrepublik Deutschland. Diese Mittelverwendung worden ist. Insofern ist es für die bäuerlichen Familien hätte zur Folge, dass wir nicht nur viel für den Klima- sehr wichtig, dass der Bund seine Zusage einhält. Wir schutz tun und viele Zukunftsperspektiven für die Land- lassen die Höhe der Zuschüsse unverändert; darauf kön- wirte eröffnen, sondern dass wir auch dafür sorgen, die nen sich die Bauern verlassen. Wertschöpfung im ländlichen Raum zu verbessern. Würden wir beispielsweise unseren Zuschuss zur Un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei fallversicherung streichen, würde das für die meisten bäu- Abgeordneten der SPD) erlichen Familien bedeuten, dass ihre Beiträge zu dieser Das ist der erste große Punkt, der mich freut. Sozialversicherung um 50 Prozent erhöht werden müss- ten; das sind bei Jahresbeiträgen von 4 000 bis 5 000 Euro Der zweite Punkt, der mich freut, sind die nachwach- keine zu vernachlässigenden Größen. senden Rohstoffe. Das ist mittlerweile eine feste Größe in der deutschen Agrarkultur. Wir bebauen etwa 13 Pro- Ich bin froh, dass der Staat seine Verlässlichkeit an zent der Ackerflächen mit nachwachsenden Rohstoffen. dieser Stelle vorexerziert. Wir werden die Zuschüsse Unsere Vorstellung ist, dass wir diesen Anteil verdop- aufrechterhalten. Wir sind uns in der Koalition einig, peln. Auch hier haben wir einen Mehrfacheffekt, näm- dass auch die landwirtschaftliche Krankenversicherung lich den Beitrag zum Umweltschutz, die Einkommens- teilhaben soll, wenn die allgemeine Krankenversiche- 11408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bundesminister Horst Seehofer (A) rung höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt be- alle anderen Institute und Einrichtungen entschieden (C) kommt. worden. (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin froh, dass das Verbraucherinformationsgesetz Darauf warten wir ja noch!) in der nächsten Woche im Bundesrat zur Abstimmung steht. Das war eine sechsjährige Odyssee. Wäre sie frü- Eine Behauptung, die immer wieder aufgestellt wird, her beendet worden, hätte uns das in den aktuellen Pro- möchte ich korrigieren: Es bleibt bei der beitragsfreien blemfällen, was die öffentliche Nennung von Namen be- Versicherung der Kinder in der landwirtschaftlichen trifft, sehr gedient. Dann hätte auch diese sechsjährige Krankenversicherung; auch das ist pausenlos infrage ge- Odyssee, zu der ich nur eineinhalb Jahre beitragen stellt worden. konnte, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abgeordneten der SPD) Vorher haben Sie ja noch dagegengestimmt!) Wir gehen jetzt eine Reform der landwirtschaftlichen ein Ende. Ich glaube, dass ein ohnehin verfassungsgemä- Unfallversicherung an; sie ist bereits vom Kabinett be- ßes Gesetz jetzt noch verfassungskonformer geworden schlossen worden. Nach allem, was ich höre, wird diese ist, und hoffe, dass der Bundespräsident seine Unter- Reform im Parlament noch zu intensiven Diskussionen schrift unter dieses Gesetz setzen wird. führen, insbesondere was den Verwaltungsaufwand und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- die Organisation der landwirtschaftlichen Unfallversi- ten der SPD – Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/ cherung betrifft; auch dieses Thema haben wir auf den DIE GRÜNEN]: Das wird noch schwer!) Weg gebracht. Ich darf darauf hinweisen, meine Damen und Herren, Drei Bereiche, die unmittelbar mit dem Haushalt bzw. dass wir auch das ungeheuer sensible Thema Gentechnik mit Finanzen zusammenhängen – die GAK, also die Ge- nach sehr langen Beratungen in der Koalition vor dem meinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur Auftakt der parlamentarischen Beratungen zu einem vor- und des Küstenschutzes“, die nachwachsenden Roh- läufigen Abschluss gebracht haben. stoffe und die Verlässlichkeit in der agrarsozialen Siche- rung –, wurden im vorliegenden Haushaltsentwurf für Ich glaube, wir können drei Dinge festhalten: das Jahr 2008 sehr gut gelöst. Erstens. Im Haftungsrecht bleibt es bei der verschul- Ich darf darauf hinweisen, dass wir außerdem eine densunabhängigen Haftung. umfassende Reform der Ressortforschung auf den Weg (B) Zweitens. Wir haben in der Koalition vernünftige Re- (D) gebracht haben, mit dem Ziel, dass wir nicht nur auf na- geln zum Abstand zwischen GVO-Anbau, Bioanbau und tionaler, sondern auch auf internationaler Ebene Reputa- konventionellem Anbau festgelegt; der Abstand beträgt tion erwerben, und zwar auf allen Feldern: von der in dem einen Fall 150 Meter, in dem anderen Fall Pflanzenzucht bis hin zur Tiergesundheit. 300 Meter. Dadurch wird gewährleistet, dass die Koexis- Ich bin sehr froh, dass das in meinem Hause die Zu- tenz ihren Namen verdient. Koexistenz bedeutet nach stimmung des Personalrats gefunden hat, obwohl es mit dem Brockhaus nämlich das „gute Nebeneinander von personellen Veränderungen, mit Personalabbau und zwei Dingen“; politisch könnte man auch sagen: das Ähnlichem verbunden ist. Bemerkenswert ist, dass mir friedliche Nebeneinander von zwei Dingen. Da wir Ab- der Personalrat, die Personalvertretung der Beschäftig- standsregelungen getroffen haben, durch die gewährleis- ten, immer wieder gesagt hat: Uns sind die Nachhaltig- tet wird, dass es im Regelfall nicht zur Auskreuzung keit und die Verlässlichkeit, dass es in den nächsten Jah- kommt, glaube ich, dass wir hier im Sinne der Verläss- ren in die richtige Richtung geht und wir unser Tun stolz lichkeit einen ganz gewaltigen Schritt vorangekommen nach außen vertreten können, wichtiger als das Festhal- sind. ten und Festklammern an einigen Planstellen. Ich halte Ich sage ein Drittes: Wir wollen auch die Forschung eine solche Einstellung eines Personalrats in unserer Zeit in Deutschland voranbringen. Wir wären gut beraten, die für sehr bemerkenswert; denn gelegentlich wird das Ge- sich in den Bereichen Entwicklung und Sicherheit stel- genteil gesagt. lenden Fragen durch Forschung in Deutschland zu be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei antworten, anstatt uns sozusagen künstlich unwissend zu Abgeordneten der SPD) halten. Letzteres wäre nicht in Ordnung. Da es meine Nachredner wahrscheinlich dazu verlei- Den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Res- ten wird, etwas zu Gammelfleisch und Vogelgrippe zu sortforschung werden wir in den nächsten Wochen hier sagen, noch wenige Sätze dazu. im Parlament beraten, allerdings – das habe ich beiden Koalitionsfraktionen zugesagt – mit einer Ausnahme, Wir haben es bei der Vogelgrippe mit einer sehr erns- mit der wir uns noch beschäftigen müssen; dieses Thema ten Situation zu tun; dies verschweige ich nicht. Ich lassen wir gerade vom Bundesrechnungshof überprüfen. wünsche mir mehr Aufmerksamkeit für diese H5N1- Es geht um die Frage, ob die Bundesforschungsanstalt Problematik, da sie für die Gesundheit der Menschen für Fischerei ihren Sitz in Hamburg oder Bremerhaven von ungleich größerer Bedeutung – hier lasse ich nie- haben wird. Bis auf diese eine Ausnahme ist mittlerweile manden in Zweifel – als manches ist, was sonst im Le- einvernehmlich mit den betroffenen Bundesländern über bensmittelbereich diskutiert wird. Wir sind mit Hoch- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11409

Bundesminister Horst Seehofer (A) druck dabei, zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen. 150 Tonnen, 180 Tonnen Fleisch verfrachtet werden, (C) Dieses gigantische Naturgeschehen hat mittlerweile aber der Eingang und möglicherweise auch das Geld für große Nutzgeflügelbereiche in Bayern erreicht. Vom dieses Fleisch in den Büchern nicht zu finden ist? Um so Impfstoff bis zur Ursachenforschung müssen wir alles etwas nachzuvollziehen, muss man sich einige Tage hin- tun, um die Gefahr für die Lebensmittelkette zu bannen. setzen. Dafür haben die Bayern die interdisziplinäre Ich erwähne dies nicht, weil wir hier etwa neue gesetz- Gruppe. Nur, wenn die örtliche Behörde – das hat jetzt geberische Maßnahmen brauchen, sondern weil ich den nichts mit der Bayerischen Staatsregierung zu tun – Blick darauf lenken will, dass die Herausforderung diese Taskforce nicht anfordert, weil man glaubt, man durch das H5N1-Virus um ein gewaltiges Stück größer könne das Feuer aus eigener Kraft löschen, obwohl man ist als das, was wir gelegentlich unter dem Stichwort Hilfe von außen braucht, dann hilft der schönste Para- „Ekel-“ oder „Gammelfleisch“ diskutieren. Hier geht es graf nichts. Das ist in diesem Fall der zentrale Punkt. wirklich um eine potenzielle Gesundheitsgefährdung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- auch von Menschen durch Nutztierhaltung. neten der SPD) Meine Damen und Herren, zum Thema Gammel- Deshalb bin ich froh, dass die Sonne, die aufgegangen fleisch werden wir in der nächsten Woche im Ausschuss ist, als ich an das Rednerpult getreten bin, bis zum Ende vorstellen, was wir von unseren 13 Punkten wie umge- meiner Rede geschienen hat. setzt haben und was möglicherweise auf europäischer Ebene noch zu leisten ist. Aber eines mache ich bereits Herzlichen Dank. heute deutlich: Wir müssen mit der Übung aufräumen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dass bei jedem Vorkommnis – es gibt nicht an jedem Tag ein Vorkommnis; das ist eher selten – reflexartig nach neuen Paragrafen gerufen wird. Denken Sie bitte daran, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dass jeder neue Paragraf die Anständigen in dieser Szene Hans-Michael Goldmann spricht jetzt für die FDP- bestraft. Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (Beifall bei der FDP) FDP) Es ist übrigens in allen Bereichen des Strafrechts Hans-Michael Goldmann (FDP): selbstverständlich, dass man Rechtsumgehungen oft nur Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Mi- mithilfe der Bevölkerung aufklärt. Daher habe ich gro- nister Seehofer! Liebe Kollegen Parlamentarische ßen Respekt vor dem Lkw-Fahrer, der trotz einer gewis- Staatssekretäre! Herzlichen Glückwunsch, Ulla Heinen! (B) sen arbeitsrechtlichen Gefährdung für sich selbst die Zi- Ich habe dir sogar einen Brief geschrieben, weil ich die- (D) vilcourage aufgebracht hat, zu erklären, er mache da sen Glückwunsch fristgerecht zum Ausdruck bringen nicht mehr mit. wollte. Denn wir werden sicherlich noch Diskussionen haben, bei denen wir in der Sache unterschiedlicher Auf- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP fassung sind. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Schlagen Sie ihn doch Herr Minister Seehofer, Sie haben eben zum Schluss für das Bundesverdienstkreuz vor!) so flapsig zwei, drei Sätze zu Gammelfleisch und Vogel- grippe gesagt. Wissen Sie, das ist der Kardinalunter- – Ja, Herr Kollege, mein Staatssekretär ist beauftragt, zu schied zwischen meiner Arbeitshaltung und Ihrer: Ich schauen, für welche öffentliche Auszeichnung wir den beschäftige mich zunächst mit den wichtigen Dingen, Lkw-Fahrer vorschlagen können. Das hat er auch ver- die die Menschen beschäftigen, mit den Dingen, die dient. Auswirkungen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber damit beherrscht man natürlich Der erneute Gammelfleischskandal – interessanterweise nicht die Situation!) wieder in Bayern – hat Auswirkungen auf die gesamte Branche, hat Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in die- Ein zweiter Grund, warum ich dagegen bin, dass man sem Bereich. Das Problem der Vogelgrippe berührt eine in diesem Bereich schon wieder reflexartig nach Para- große Anzahl von Menschen. Wenn ein paar Hunderttau- grafen und Richtlinien ruft, ist, dass es in diesem Fall send Tiere getötet werden müssen, geht das an den Men- Hinweise der Nachbarschaft gegeben hat. Für solche schen Gott sei Dank nicht spurlos vorüber. Deswegen ist Fälle einer komplexen Gesetzesumgehung haben die es Ihre Kernaufgabe, sich in besonderer Weise diesen Bayern eine interdisziplinär besetzte Taskforce einge- Aufgabenfeldern zu widmen. Ich will Ihnen in diesem richtet, die sich nicht darauf beschränkt, Fleisch optisch Zusammenhang im Rahmen einer sogenannten Halbzeit- zu begutachten oder Laboruntersuchungen auszulösen, bilanz einmal sagen, was bei Ihnen herumgekommen ist. sondern die das tun kann, was hier notwendig gewesen Denn das ist erschreckend wenig, es ist enttäuschend. wäre. Wenn 100 Tonnen und mehr Fleisch innerhalb (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Deutschlands verfrachtet werden, diese Verfrachtung aber in den Büchern nicht festgehalten wird, dann bedarf Nehmen wir das Beispiel Gammelfleisch. Sie waren es einer sehr intelligenten, bei den Finanzämtern übli- es doch, Herr Minister Seehofer, der das Aktionsprogramm chen Durchforschung der Bücher. Wie kann es sein, dass erfunden und die Sofortzusammenkunft organisiert hat, und 11410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Hans-Michael Goldmann (A) Sie sind es doch, der mit einem bescheidenen – um es vor- Ich will noch einen anderen Bereich ansprechen. Das (C) sichtig zu formulieren – Verbraucherinformationsgesetz ist, um ganz ehrlich zu sein, eine Geschichte wie aus keine Schranke eingeschoben hat, die uns hilft, den – weni- dem Tollhaus. Dass Sie in einer Situation, in der ganz gen – kriminellen Elementen in diesem Bereich zu begeg- Deutschland über die Milchquote diskutiert, kein Wort nen. Herr Minister Seehofer, Sie hätten doch die Möglich- zu Ihrer Position zur Milchquote sagen, ist ein Witz. keit gehabt, das Fleisch einfärben zu lassen. Es ist doch falsch, wenn Sie sagen, dass Sie das nicht hätten tun dür- (Beifall bei der FDP – Peter Bleser [CDU/CSU]: fen. Es ist schlicht falsch, wenn Sie erklären, dass es den Doch!) kriminellen Elementen nicht entgegengestanden hätte, Wie soll denn ein deutscher Landwirt Vertrauen in Ihre wenn Sie das Fleisch hätten einfärben lassen. Veterinäre Arbeit und in die Rentabilität seiner Investitionen be- haben dieses Fleisch wieder freigegeben. Wenn es einge- kommen, wenn Sie zu diesem Komplex nicht klipp und färbt gewesen wäre, hätte man es nicht freigeben kön- klar sagen, dass die Quote nichts gebracht hat und abge- nen, und es wäre eben nicht dort gelandet, wo es den schafft werden muss, damit unternehmerische Landwirte Menschen Schaden zufügt. Wenn Sie jetzt erklären: „Su- den Segen der globalen Entwicklung in diesem Bereich per, klasse, diese Taskforce vor Ort!“, dann sage ich Ih- für sich in Anspruch nehmen können? nen: Sie waren es doch, der die Bundestaskforce wollte. Ich habe Ihnen gesagt, dass das dummes Zeug ist, weil (Beifall bei der FDP) sich die Situation vor Ort durch Leute, die einreisen, nicht kontrollieren lässt. Sie muss vor Ort im Auge be- Wir haben es nicht mehr mit dem alten Problem der halten werden. Überproduktion von Milch und Butter zu tun. Heute gibt es zu wenig Milch für gute Milchprodukte wie Butter. Beim Thema Gammelfleisch haben Sie also bis jetzt Wenn wir in unserem alten Quotensystem verharren, versagt. dann werden wir die Chance zur Weichenstellung für die Stärkung des ländlichen Raumes verspielen. Ich kann (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Sie aus meiner Sicht nur entschieden davor warnen, in DIE GRÜNEN) dieser Frage Ihren Weg der Zögerlichkeit weiterzugehen. Ich kann Sie nur dringend bitten, deutliche Verbesserun- (Beifall bei der FDP) gen herbeizuführen. Ich verstehe das auch nicht richtig. Dass Sie CSU- Nehmen wir das nächste Thema, die Vogelgrippe. Ich Vorsitzender in Bayern werden wollen, ist zwar Ihr gutes habe Sie gestern Abend auf Phoenix gesehen. Es ist Recht, aber Sie können nicht Ihre fachliche Position an nicht so, wie Sie es darstellen: dass man sich gegen Imp- dieser persönlichen Interessenlage ausrichten. Sie kön- fungen sperren müsse. Wir müssen uns auf den Weg ma- (B) nen von mir aus der Meinung sein, der beste CSU-Vor- (D) chen, zu impfen. Das hat man zur Bekämpfung der sitzende zu sein. Aber Sie können nicht auf dem Deut- Schweinepest gemacht, das muss man zur Bekämpfung schen Bauerntag in Bamberg den Ausstieg aus der Quote der Maul- und Klauenseuche machen, und das muss man ankündigen und feststellen, dass Sie die Position des auch bei der Vogelgrippe machen. Es ist eben nicht mehr Deutschen Bauernverbandes in Begleitung dieses Aus- so, dass das Virus irgendwann vorbeikommt; das Virus stiegs akzeptieren, um dann kurze Zeit später Ihre eigene ist permanent unter uns. Deswegen müssen wir die hoch- Position grundsätzlich infrage zu stellen und zu signali- unternehmerischen Bereiche, aber auch die anders orien- sieren, dass Sie noch nicht wissen, ob Sie am Ausstieg tierten Bereiche – die Freilandhaltung zum Beispiel, die aus der Quote festhalten wollen. Das führt zu dem, was Vogelzüchtung, die Hobbyhaltung, die Zootierhaltung – in der Landwirtschaft gegenwärtig festzustellen ist. Der durch Impfen schützen. Da müssen wir einmal über den Tellerrand hinausschauen. Wir können doch nicht so tun, Landwirtschaft geht es trotz Ihrer Politik zurzeit sehr als ob die Niederländer mit ihrem Impfen ein bisschen gut, weil die globale Entwicklung hervorragend ist. blöd wären. (Beifall bei der FDP – Peter Bleser [CDU/CSU]: Jetzt hast du überdreht!) Die Niederländer gehen intelligente Wege. Diesen in- telligenten Wegen müssen wir gemeinsam den Weg eb- Ja, das ist so. Du kommst doch viel herum, Peter, und nen und dafür sorgen, dass dies auf europäischer Ebene weißt selber, wie die Landwirte über die Politik von und international Anerkennung findet. Wir müssen ver- Herrn Seehofer denken. Das wissen wir alle. Wir brau- hindern, dass ein Land aus Eigeninteresse nicht geimpf- chen uns doch nichts vorzumachen. Sie sind maßlos ent- tes Material nicht mehr von uns abnehmen will – nicht täuscht. aus Angst davor, dass die Vogelgrippe eingeschleppt wird, sondern um einen Marktvorteil missbräuchlich zu (Beifall bei der FDP) nutzen. Dafür müssen Sie sich auf europäischer Ebene Das wird auch in den Fachkreisen transportiert. einsetzen. Dann brauchen Sie auch nicht mehr die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe zur Entwicklung der länd- Sie sind deshalb enttäuscht, weil in Deutschland nicht lichen Räume einzusetzen. Der ländliche Raum kann konsequent die Weichen für gutes, praktisches Handeln sich dann nämlich aus eigener Kraft stärken. Unser poli- mit der Chance zur Teilhabe an der globalen Expansion tischer Ansatz sollte darin bestehen, unternehmerischen im Lebensmittelbereich im Hinblick auf Qualität und Si- Landwirten Rückenwind zu geben und sie bei den anste- cherheit gestellt werden. henden Herausforderungen zu unterstützen. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das müsste aber (Beifall bei der FDP) jetzt gelingen!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11411

Hans-Michael Goldmann (A) Diese Weichenstellung ist erforderlich. Die Weichen Wir haben im parlamentarischen Verfahren bis zur zwei- (C) werden aber nicht über den Haushalt, sondern über eine ten und dritten Lesung des Haushalts die Möglichkeit, gute, zukunftsorientierte Politik gestellt. Dabei sind Sie Korrekturen vorzunehmen. aber aus meiner Sicht und aus der Sicht der FDP fast al- les schuldig geblieben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich hoffe, dass wir uns in den Fraktionen über einen zu- kunftsweisenden Weg im Ökolandbau verständigen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit komme ich zum nächsten Punkt, zu den nach- Jetzt spricht die Kollegin Waltraud Wolff für die wachsenden Rohstoffen. Wir alle wissen, dass es eine SPD-Fraktion. Konkurrenz zwischen Lebensmitteln und Tierfutter ei- nerseits sowie nachwachsenden Rohstoffen für Biotreib- (Beifall bei der SPD) stoffe und Biogasgewinnung andererseits gibt. Wir kön- nen dem entgegentreten, indem wir sagen: Orientiert Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): euch doch an Bio; wir helfen euch seitens des Bundes Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zumindest auf gleichem Niveau weiter. Ich denke, das ist Kollegen! Ich hatte schon den Eindruck, wir diskutieren eine Möglichkeit, noch eine Marke zu setzen. über den Agrarbericht. Aber soweit mir bekannt ist, bera- (Beifall bei der SPD) ten wir heute den Haushalt. Insofern danke ich Ihnen, Herr Minister Seehofer, dass Sie den Haushalt kurz umris- Ein weiterer wichtiger Punkt ist ein breitbandiger sen haben, und möchte nach der Rede von Herrn Internetzugang. Das ist etwas ganz Neues. Die SPD hat Goldmann auch wieder auf den Haushalt zurückkommen. schon seit Jahren gesagt: Ländliche Entwicklung ist mehr als Landwirtschaft. Genau aus diesem Grund be- Wir haben einen Aufwuchs von 108 Millionen Euro. danke ich mich sehr herzlich, Herr Seehofer, dass Sie Das sichert – darauf hat Herr Minister auch hingewiesen – hier einen neuen Weg über die GAK gehen. Ich hoffe, auf jeden Fall die Beiträge für die landwirtschaftliche dass wir die Möglichkeit bekommen, Mittel aus dem Unfallversicherung. Damit bin ich schon beim ersten Strukturfonds und dem Etat des Bundeswirtschaftsmi- Punkt im Haushalt angelangt. Wir haben darin etwas un- nisteriums zu akquirieren und so die weißen Flecken in terschiedliche Auffassungen. Das haben Sie auch schon Deutschland beim Internetzugang zu beseitigen. Die jun- deutlich gemacht. gen Leute, die auf der Zuschauertribüne sitzen und viel- Wir haben – das haben wir im Koalitionsvertrag fest- leicht irgendwo in der Pampa wohnen, – – (B) (D) gelegt – eine große Reform der landwirtschaftlichen (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Unfallversicherung vor uns. Das hatten wir uns in die Hans-Michael Goldmann [FDP]: Oje! In der Hand versprochen. Was wurde uns in diesem Sommer Pampa! Ländlicher Raum gleich Pampa!) präsentiert? Wir haben eine Einigung bekommen, die mithilfe der Bundesländer möglich war. Das heißt, wir – Okay, der Lacher ist auf Ihrer Seite. Aber nun habe ich bekommen keine große, fortschrittliche Reform der Ihre volle Aufmerksamkeit. Auch ich komme aus dem landwirtschaftlichen Unfallversicherung. Wir hatten ländlichen Raum. Ich revidiere mich. schon in den vergangenen Legislaturperioden an dieser Wenn man sich mit Studenten unterhält, stellt man Stelle zu kämpfen. Mein Appell geht nicht an das Minis- manchmal fest, dass viele in die nächstgrößere Stadt zie- terium. Die Verantwortung dafür, dass der landwirt- hen müssen, weil sie ohne Internetzugang keinen Ar- schaftlichen Unfallversicherung nach 2009 Beitragssatz- beitsplatz zu Hause einrichten können. Das ist ein wich- steigerungen ins Haus stehen, haben vielmehr die tiger Punkt. Bundesländer. So geht es nicht weiter. Es kann nicht sein, dass der Bund ständig die Mittel in voller Höhe be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) reitstellt. Schließlich haben die Bundesländer die Hoheit über die Aufgabenverteilung. Aber sie tun nichts. Sie Der letzte Punkt, den ich aus dem Haushaltsentwurf wollen sogar noch einen Lastenausgleich bei der Bei- aufgreifen will, ist der Klausurtagung des Kabinetts ge- tragsgestaltung. Nicht mit diesem Parlament! schuldet. Frau Bundeskanzlerin Merkel hat für die Re- gierung die Klimaschutzziele ziemlich hoch gehängt. Ich (Beifall bei der SPD) glaube, dass wir der Landwirtschaft Antworten für die Ich glaube, dass die Bundesländer hier in Zukunft noch Zukunft geben können. Ich erwähne das Biomassefor- etwas zu tun haben. schungszentrum. Wir haben den Weg für Forschung und Entwicklung frei gemacht. Ich glaube, dass es wichtig Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der und richtig ist, hier ganz entschieden vorzugehen und Ökolandbau. Biologische Produkte erleben einen rie- auf der einen Seite Monokulturen in Deutschland zu ver- sengroßen Boom in Deutschland. Sicherlich hätten die hindern – das ist eine Aufgabe –; auf der anderen Seite Bauern in den letzten Jahren hier viel stärker ins Feld müssen wir aber darauf achten, den Raubbau in den ziehen können. Wir importieren nun viele Biolebensmit- ärmsten Ländern der Welt zu verhindern. Daher ist die tel. Das finde ich sehr schade. Dennoch ist es nicht der Zertifizierung ein wichtiger Punkt. Wir müssen im Zu- richtige Weg, hier die Mittel zu kürzen, sodass nur noch sammenhang mit der künftigen EEG-Novelle über alle 10 Millionen Euro für den Ökolandbau vorgesehen sind. biologischen Restprodukte nachdenken, angefangen von 11412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) Rübenhackschnitzeln über Getreideschlempe bis hin zu Ich will deshalb eines der, wie ich finde, Grund- (C) tierischen Fetten, und wir müssen sehen, was wir für die probleme dieser Regierungspolitik benennen. Ich Treibstoffgewinnung und die Energiegewinnung festle- glaube, dass bei Ihnen die Entwicklungslogik für die gen können. Metropolen mit der Entwicklungslogik für die ländli- chen Räume nicht zusammenpasst. In der Äußerung des Der Einzelplan 10 ist kein spektakulärer Haushalts- Ministers, dass man die ländlichen Räume jetzt wieder titel in diesem Jahr, aber wir können unsere Arbeit ganz stärker beachten wolle, empfinde ich ein gewisses Ver- solide fortsetzen. Deshalb lade ich Sie ein, bei den Bera- ständnis für meine Kritik. Aber, Herr Minister, ich will tungen mitzumachen und in der zweiten und dritten Be- auch so fair sein und Sie in Ihrem innerparteilichen ratung unserem Haushaltsplan zuzustimmen. Wahlkampf nicht mit meiner Zustimmung belasten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit im ganzen Hause) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das, womit wir es zu tun haben und womit wir fertig Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: werden müssen, sind ein Wettbewerbsdruck und ein Preiskrieg bei Nahrungsgütern und Futtermitteln, die zu Der Kollege Roland Claus hat jetzt das Wort für die einer Selbstausbeutung der Landwirte bei uns und zu er- Linke. heblichen Naturzerstörungen in der sogenannten Dritten (Beifall bei der LINKEN) Welt führen. Deshalb muss immer wieder deutlich ge- sagt werden: Eine Globalisierung ohne soziale und öko- logische Verantwortung gefährdet die Welt. Wir brau- Roland Claus (DIE LINKE): chen eine soziale Gestaltung der Globalisierung. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Ein Beispiel: Biomasse als Energiequelle und nach- Herren! Herr Bundesminister, ich finde es völlig in Ord- wachsende Rohstoffe – 50 Millionen Euro Förderung; nung, dass wir die Haushaltsberatungen für das volle Unterstützung – sind aus dem belächelten Nischen- Jahr 2008 mit dem Etat für Landwirtschaft, Ernährung dasein zu einem dynamischen Wirtschaftsfaktor gewor- und Verbraucherschutz beginnen, hat doch schließlich den. schon Karl Marx festgestellt, dass sich der Mensch erst ernähren und kleiden muss, ehe er sich mit Politik, Reli- Wir sehen jetzt aber auch die Grenzen. Fast 20 Pro- gion und Philosophie beschäftigen kann. zent der Ackerflächen werden bereits für die Erzeugung dieser nachwachsenden Rohstoffe genutzt, bei einem (Beifall bei der LINKEN – Hans-Michael (B) Anteil von 3 Prozent an der Gesamtenergieerzeugung. (D) Goldmann [FDP]: Das hättet ihr mal politisch Selbst wenn man jeden Quadratmeter Acker dafür beachten sollen!) nutzte, käme man nur auf einen sehr überschaubaren Nun erklärt uns der Minister, der Aufschwung sei Prozentsatz des Gesamtaufkommens. Deshalb ist in der überall, auch auf dem Lande. Ich habe es täglich mit ei- Tat die einzige Stellschraube, die uns zur Verfügung ner Uns-geht-es-gut-Berichterstattung zu tun. Wenn man steht, die Effizienzsteigerung beim Einsatz von Bio- sich heute einmal die Mühe macht, eine Tageszeitung masse. von vor 18 Monaten zu lesen, dann hat man den Ein- Deshalb ist es völlig richtig, dieses Forschungs- druck, man lebe in einer ganz anderen Republik. Die zentrum zu installieren. Ich finde es gut, dass es zum Menschen im ländlichen Raum allerdings – ich werde Standort Leipzig gefunden hat, nicht nur wegen der nicht über Einzelheiten reden; das werden auch Sie wis- schlichten geografischen Verortung und unserer Zustän- sen – fragen sich: Wann kommt dieser Aufschwung zu digkeit für die neuen Bundesländer, sondern auch des- uns, wann gelingt es uns, den Abwanderungstrend zu halb, weil inzwischen ein riesiges Erfahrungspotenzial stoppen, wann kommt das, was die Regierung als Erfolg im Umgang mit gesellschaftlichen Transformationspro- und Fortschritt verkündet, tatsächlich bei mir an? Sie er- zessen im Osten vorliegt, aber nicht abgerufen wird. leben es nicht in dem Maße. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: „Unsere Zu- (Beifall bei der LINKEN) ständigkeit für die neuen Bundesländer“!) Man muss nach wie vor ausdrücklich darauf hinwei- Wir sind der Meinung, dass, wenn man sich einmal sen, dass Beschäftigte in der Landwirtschaft benachtei- die Herausforderung und ihre Größenordnung anschaut, ligt sind. Wir haben es mit einem durchschnittlichen Mo- diese 5 Millionen Euro zu wenig sind. Wir werden uns natsverdienst von 1 550 Euro zu tun. Das ist gerade weiterhin dafür einsetzen – das wird Sie nicht wundern –, einmal ein bisschen über dem, was meine Fraktion als dass – Mindestlohn fordert. Der Verdienst liegt durchschnittlich 1 000 Euro unter den Verdiensten im verarbeitenden Ge- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: werbe. Deshalb sage ich Ihnen: Ein Aufschwung – auch Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege. wenn sie ihn noch tausendmal predigen –, der bei den Leuten auf dem Lande nicht ankommt, hat diesen Na- men nicht verdient. Roland Claus (DIE LINKE): – die Agrargenossenschaften auch im Osten nicht be- (Beifall bei der LINKEN) nachteiligt, sondern weiter gefördert werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11413

Roland Claus (A) Ich möchte, da nicht nur in meinem Wahlkreis die deckende Anbindung der ländlichen Räume in Deutsch- (C) fünfte Jahreszeit, also die Weinlese, angebrochen ist, land an das Breitbandnetz am Herzen. eine letzte Bitte an den Herrn Minister richten: (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: An die Rad- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist nicht die wege!) fünfte Jahreszeit!) Das betrifft im Übrigen auch die von Ihnen erwähnte Lassen Sie uns gemeinsam noch einmal etwas dafür tun, Energieversorgung, also die Versorgung durch Nah- dass die europäische Weinmarktordnung nicht so wird, wärmenetze. Aber, Herr Minister, der ländliche Raum ist wie es der Entwurf noch vorsieht. eine Querschnittsaufgabe. Da frage ich mich schon, wa- rum Sie nicht Ihren Kollegen Tiefensee in die Verant- Vielen Dank. wortung nehmen und stattdessen das Geld aus der GAK (Beifall bei der LINKEN – Julia Klöckner herausziehen. [CDU/CSU]: Die Weinlese ist nicht die fünfte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jahreszeit! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das weiß er nicht, er kommt nicht aus dem Schon jetzt reichen die Mittel für das vorhandene För- Rheinland!) derangebot nicht aus. Ich möchte nur kurz die stark ge- sunkenen Förderprämien für den Ökolandbau erwähnen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dadurch haben unsere Landwirte wichtige Marktanteile Jetzt spricht Cornelia Behm für Bündnis 90/Die Grü- in Deutschland verloren. Das Ergebnis Ihrer Politik ist nen. Jahr für Jahr gleich: Die zweite Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik wird konsequent abgewickelt. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zur Unfallversicherung der Landwirte. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Da wenden Sie das Prinzip an, das Sie auch schon bei Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie der GAK anwenden: Intransparenz und Verscherbelung mir bitte, dass ich zuerst Frau Heinen ganz herzlich zu von Vermögen. Sie wollen die Hälfte des Ansatzes, ihrem neuen Amt gratuliere. 100 Millionen Euro, durch Veräußerungserlöse finanzie- ren. Wer die Sozialversicherungssysteme über den er- Jetzt komme ich aber zum Haushalt. Herr Minister, hofften Verkauf von Vermögenswerten des Bundes Sie versuchen auch bei Ihrem dritten Agrarhaushalt, finanziert, handelt aber nicht seriös. Zumal Sie bis 2009 durch Buchungstricks und Intransparenz von den Unzu- weitere 400 Millionen Euro für die Abfindung von länglichkeiten Ihrer Finanzpolitik abzulenken. Kleinrenten brauchen. Es ist wohl nicht ganz zufällig, (B) (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Welche dass Sie dieses Geld im Haushalt nicht ausweisen. Liebe (D) Vorlage haben Sie gehabt?) Kollegen, schauen Sie in den Haushalt einmal hinein! – Ich werde Ihnen dazu einiges erzählen. – Die vollmun- Von Haushaltswahrheit und -klarheit halten Sie, Herr dig verkündete Aufstockung der Mittel für die Förde- Minister, offensichtlich gar nichts. Wenn Sie Ihr Haus rung des ländlichen Raumes um 45 Millionen Euro spätestens 2009 verlassen müssen, werden Sie sein Ver- entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein ungedeckter mögen durchgebracht haben. Mit verantwortungsvoller Scheck. Denn der Haushaltsentwurf für das Jahr 2008 Politik hat das nichts zu tun. weist den gleichen Ausgabenposten aus wie der für das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) laufende Jahr, nämlich 615 Millionen Euro. Er wird lediglich durch die Bemerkung ergänzt, dass eine Erhö- Man sollte sich in diesem Zusammenhang einmal den hung der Mittel um 45 Millionen Euro durch Vermö- 21. Subventionsbericht der Bundesregierung anschauen. gensverkäufe möglich ist. Versprechungen auf der Die Bundesregierung verkündet stolz eine Senkung der Grundlage ungedeckter Schecks sind jedoch keine Auf- Subventionen im Agrarbereich von 1,3 Milliarden Euro stockung. auf 0,9 Milliarden Euro zwischen 2005 und 2008. Das hat den Deutschen Bauernverband sofort veranlasst, da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rauf hinzuweisen, dass die Landwirtschaft überpropor- sowie bei Abgeordneten der FDP) tional zum Subventionsabbau beiträgt. Doch schaut Es ist auch kein Ausdruck von Ehrlichkeit, wenn Sie man in die Haushaltsvermerke, dann stellt man fest, dass sich mit dem Argument zu schmücken versuchen, dass die – vermeintlich gestrichenen – Subventionen für die das die erste Aufstockung der GAK seit vielen Jahren landwirtschaftliche Unfallversicherung nicht nur nicht wäre. korrekt bilanziert werden, sondern auch in einer Fußnote wieder auftauchen. Diese Verschleierungstaktik fruchtet. Herr Minister, ich darf Sie daran erinnern, dass seit Zumindest den Verfassern des Subventionsberichts ist Ihrer Regierungsübernahme für die zweite Säule jähr- nicht aufgefallen, dass sie die Agrarsubventionen in lich 400 Millionen Euro weniger zur Verfügung stehen Wirklichkeit gar nicht verringern. als zu rot-grünen Zeiten. Damit entziehen Sie vielen arbeitenden Menschen auf dem Lande ihre Lebens- Kommen wir noch einmal zum ökologischen Land- grundlage. Herr Minister, mit einem Placebo ändern Sie bau. Dieser scheint Ihnen außerhalb von Fototerminen überhaupt nichts. Aber gleichzeitig binden Sie Mittel der wirklich ein Dorn im Auge zu sein. Nach den Kürzungen Gemeinschaftsaufgabe für neue Infrastrukturprogramme. um 4 Millionen Euro im Bundesprogramm Ökologischer Das fasse ich nicht. Auch uns Grünen liegt die flächen- Landbau im letzten Jahr setzen Sie nun noch eins drauf 11414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Cornelia Behm (A) und streichen weitere 6 Millionen Euro. Damit haben Sie Deutschland geboren. Da boomt die Landwirtschaft. Da (C) die Mittel dieses Haushaltstitels innerhalb von zwei Jah- boomt die Landtechnik. Da boomt alles, was wir bei die- ren halbiert. Sie strafen damit Ihre eigenen Ankündigun- sem Einzelplan zu bereden haben. Ich sage Ihnen: Viel- gen, alle Landwirtschaftsbereiche gleich zu behandeln, leicht hat das doch eine Verbindung, nämlich dass da, wo Lügen. Sie tun das Gegenteil dessen, was Sie angekün- ethisch-moralisch-religiös die Dinge voreinander sind, digt haben: Sie stellen weniger Geld für die Forschung auch gesellschaftlich alles voreinander ist. Ländlicher im boomenden Ökolandbau und mehr Geld für die von Raum ist nicht Pampa, sondern eigentlich der Bereich, der Bevölkerung abgelehnte Agrogentechnik zur Verfü- wo neue Entwicklungen, neue Ideen entstehen, wo Zu- gung. Herr Minister, ich frage Sie: Ganz ehrlich, wessen kunft gestaltet wird. Interessen vertreten Sie eigentlich? (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hans-Michael Goldmann [FDP] – Dr. Edmund Peter Geisen [FDP]: Nenn mal den Um- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kehrschluss!) Georg Schirmbeck hat jetzt das Wort für die CDU/ Lieber Michael Goldmann, ich war gestern beim Lan- CSU-Fraktion. desbauerntag. Ich kenne da viele Leute oder sogar die al- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lermeisten. Da war beste Stimmung. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja!) Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Es wird Geld verdient, unternehmerisch Geld verdient. Herren! Auch ich war als Parlamentsabgeordneter schon Das ist eine tolle Sache. Die einzelnen Aspekte müssen einmal Mitglied einer Oppositionsfraktion. Daher kann wir unterstützen. Das heißt überhaupt nicht, dass überall ich mich in die Situation der Opposition ein bisschen heile Welt ist. Natürlich haben die Ferkelzüchter Pro- hineindenken. Es gehört zum demokratischen Kräfte- bleme. spiel: Für eine Opposition ist nichts schlimmer, als dass (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber hallo!) der Regierung etwas gelingt. Wir haben einen Bundes- minister, dem etwas gelingt. Da muss man sich im Detail anschauen, was man an der (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Was denn?) einen oder anderen Stelle tun kann. Es gibt in diesem Bereich aber auch Unternehmer, die sagen: Tut uns ei- Alles, was er anfasst, gelingt ihm. nen Gefallen: Fangt nicht an, irgendetwas zu reglemen- tieren! Der unternehmerische Landwirt will in Ruhe ge- (B) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (D) CDU/CSU und der SPD – Lachen bei der lassen werden, will sich seine Märkte suchen können, FDP) will etwas gestalten können. Herr Goldmann, ich finde es toll, dass Sie in so einer (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!) Situation als Liberaler sagen: Es gibt da immer noch ei- Er will nicht jeden Tag irgendein neues Gesetz oder eine nen Kriminellen, der mit Gammelfleisch handelt. Wenn neue Verordnung von uns. es doch noch solch einen Kriminellen gibt, will ein Libe- raler dann jeden Tag ein neues Gesetz oder eine neue (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Verordnung erlassen? Ein Liberaler vertraut doch erst Hans-Michael Goldmann [FDP]: Du bist also einmal den Menschen! Auch wenn man noch so spe- gegen die Quote?) zielle Gesetze verabschiedet, wird man immer wieder feststellen, dass es einige gibt, die ausbüxen und das ma- Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Ernährungswirt- chen, was sie eigentlich nicht machen sollen. schaft boomen. Wir waren mit einer Delegation des Haushaltsausschusses in Kiew. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo?) Herr Claus, ich wollte eigentlich einen ganz anderen Wir haben uns auch in Russland angesehen, wie sich Schwerpunkt setzen; aber Sie haben mich dazu animiert, Landwirtschaft dort entwickelt. Wir können feststellen, auf etwas anderes einzugehen. Sie haben gesagt – ich dass die deutschen Berater, die wir über diesen Einzel- sage es mit meinen Worten –: Erst kommt das Fressen, plan finanzieren, da nicht nur gute Arbeit leisten, son- und dann kommen Ethik, Moral und Religion. Darauf dern sogar die beste Investitionsförderung betreiben, die möchte ich Ihnen entgegnen: Da, wo ethisch, moralisch überhaupt denkbar ist. Sie sorgen dafür, dass deutsche und religiös alles am Boden liegt, hilft auch das beste Landmaschinen, deutsche Forsttechnik, deutsches Saat- Fressen nicht mehr; da geht es in die Pampa, da geht es gut, deutsche Pflanzen, deutsche Produktionsverfahren den Berg runter. und -anlagen sowie deutsche Tiere dort begehrt sind und nach dorthin verkauft oder exportiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Voraussetzung dafür, dass diese Geschäfte weiter boo- Ich bringe Ihnen einmal ein Beispiel. Ich habe einen men, sich weiterentwickeln, ist, dass wir eine liberale Freund. Er heißt Albert Focke. Er ist Landrat in einem Handelspolitik betreiben. Landkreis in Norddeutschland, im Landkreis Vechta. Da sind die Kirchen voll. Da werden die meisten Kinder in (Dr. Edmund Peter Geisen [FDP]: Sehr gut!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11415

Georg Schirmbeck (A) Dazu gehört auch, dass wir uns einmal überlegen, ob die Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): (C) Visapolitik, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch Würde ich meine Rede aus dem letzten Jahr hier halten – [DIE LINKE]) niemand würde es merken. Immer noch stehen die glei- chen ungelösten Probleme auf der Agenda: Gammel- die wir in diesem Zusammenhang betreiben, so ist, wie fleisch, Vogelgrippe, LUV, also landwirtschaftliche Un- sie für diese Unternehmen sein müsste. Wenn wir in fallversicherung, Erntehelferregelung, Grüne Gentechnik Kiew und in Moskau neun Wochen brauchen, damit ein usw. ukrainischer Unternehmer bei Claas in Harsewinkel ei- nen Mähdrescher kaufen kann, dann ist irgendetwas Aus dem frischen Reformwind, der mit Horst falsch. Wenn unsere Botschaft in der Ukraine Claas in Seehofer in die Agrarpolitik Einzug halten sollte, ist eine Harsewinkel quasi auf eine Liste setzt, sodass die keine echte Reformflaute geworden, Handelsbeziehungen mehr pflegen können, dann ist et- (Beifall bei der FDP) was falsch. Das haben uns beide Botschafter dort vorge- tragen. Das sind Handelshemmnisse, die vom Auswärti- vielleicht auch deswegen, weil anscheinend hinter den gen Amt verursacht werden. Wenn ich nach einem Kulissen die schwarz-roten Auseinandersetzungen zum Vierteljahr vom Auswärtigen Amt dazu noch keine zu- Teil orkanartige Ausmaße angenommen haben. friedenstellende Stellungnahme habe, dann ist das etwas, (Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: was ich auch als Vertreter der Regierungskoalition hier Die FDP bringt es nur auf heiße Luft!) kritisieren muss. – Scherz beiseite. – Fakt ist, dass viele für die Landwirte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und existenziellen Themen entweder nur halbherzig ange- der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Das gangen wurden oder es sogar zu Verschlechterungen wollten Sie doch so haben!) kommt, so bei der Gesundheitsreform, bei der Biodiesel- besteuerung oder ganz aktuell bei den Plänen zur Erb- Wir haben im Zusammenhang mit diesem Einzelplan schaftsteuer. Wirksame Reformen sehen anders aus, zu reden über Projekte wie „Ernährung und Bewegung“, meine Damen und Herren! wirtschaftlichen Verbraucherschutz, Mittel für Küsten- schutz und Schutz vor Binnenhochwasser, mittelfristige (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Nicht so auf- Finanzplanung für die Fachagentur Nachwachsende regen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Rohstoffe, Breitbandversorgung im ländlichen Raum, Wart’s doch mal ab!) vor allen Dingen die Baumaßnahme des Friedrich- Nun zum Dauerbrenner „landwirtschaftliche Un- (B) Loeffler-Instituts auf der Insel Riems und die landwirt- fallversicherung“: Es ist meines Erachtens ein Trauer- (D) schaftliche Unfallversicherung. Seien wir doch mal ehr- spiel, mit ansehen zu müssen, wie diese schwarz-rote lich! Man kann natürlich über alles polemisch reden. Koalition mit groß angekündigten Reformvorhaben um- geht. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Man merkt es gar nicht!) (Beifall bei der FDP) Ich nehme aber einmal das Beispiel der landwirtschaft- Verehrter Herr Minister, Ihre Reformschwäche geht so- lichen Unfallversicherung. Wir alle wissen, dass wir wohl zulasten der Landwirte als auch zulasten des Haus- gerade bei diesem Punkt auch regionale Probleme ha- halts und damit zulasten aller Steuerzahler. Ihre Ab- ben, weil es regional sehr unterschiedliche Strukturen findungsaktion für Kleinrenten ist für mich reine Geldverschwendung. gibt. Deshalb ist es schwierig, hier einen gerechten Aus- gleich zu finden. Ich bin sicher, dass und ich, (Beifall bei der FDP) unterstützt durch die Fachleute, nach ausgiebigen Dis- Sie stecken in den nächsten beiden Jahren 800 Millionen kussionen einen guten Weg finden werden. Wir werden Euro in ein längst nicht mehr finanzierbares System und in der zweiten und dritten Beratung gute Vorschläge ma- werden sich wundern, wenn wir 2010 erneut vor leeren chen. Ich freue mich auf die Beratungen in den Fachaus- Kassen stehen werden. Die FDP setzt sich stattdessen schüssen. mit ihrem Vorschlag zur Kapitaldeckung Herzlichen Dank. (Zuruf von der SPD: Funktioniert doch nicht! Das wissen Sie doch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Aber das mit den Visa für einen nachhaltigen, zukunftsfesten Umgang mit müssen Sie noch einmal nachlesen! – Weiterer Steuermitteln ein. Zuruf von der SPD: Ja, da gab es eine Ge- (Beifall bei der FDP – Waltraud Wolff [Wol- schichte!) mirstedt] [SPD]: So viel Beratungsresistenz hätte ich Ihnen nicht zugetraut, Herr Geisen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sehr verehrte Damen und Herren, wir stehen wieder Der Kollege Dr. Edmund Geisen spricht jetzt für die vor der Obst- und Weinernte. Wieder müssen wir fest- FDP-Fraktion. stellen: Die Eckpunkteregelung ist ein Flop. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) 11416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Dr. Edmund Peter Geisen (A) Davon konnte ich mich bei der Kirschernte im Rhein- vor. Wir wissen, dass sich das Wirtschaftsleben auf glo- (C) land selbst überzeugen. Sie hilft nicht den Arbeitslosen, baler Ebene abspielt. Die Verbraucherinnen und Ver- nicht den Saisonarbeitskräften, nicht den Bauern. Nein, braucher müssen jetzt in vielen Bereichen zusätzlich sie verdirbt wieder die Ernte. Eigenverantwortung übernehmen, etwa im Bereich der Altersversorgung. Hierdurch ergeben sich neue Mög- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Da haben lichkeiten und Chancen für die Verbraucherinnen und Sie recht!) Verbraucher, aber auch große Aufgabenfelder für die Die FDP-Fraktion fordert erneut: erstens weg mit der Verbraucherpolitik. Eckpunkteregelung, zweitens volle Arbeitnehmerfreizü- gigkeit in der EU und drittens bilaterale Vereinbarungen Anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat mit Ländern wie Serbien, Weißrussland und der Ukraine. Minister Seehofer am 15. März die Charta Verbrau- chersouveränität in der digitalen Welt vorgelegt. Damit (Beifall bei der FDP) hat er wichtige Standards für ein verbraucherfreundli- Haushalterisch gesprochen: Geben Sie den Landwirten ches digitales Wirtschaftsleben benannt. Immer mehr endlich ihre unternehmerische Freiheit zurück, dann wird das Internet zum Handelsplatz: Waren werden er- brauchen Sie sich auch nicht ständig für Ihre Subven- steigert, Onlinebankgeschäfte getätigt. Deshalb ist das tionspolitik zu rechtfertigen. Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Informationstechnologie ein besonders wichtiger As- Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich pekt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen da- noch davor warnen, vor lauter Klimawandelstrategien rauf vertrauen können, dass die vertraulichen Daten ge- die Nahrungsmittelversorgung in Deutschland aufs schützt werden. Verbraucherschutz und Datenschutz sind Spiel zu setzen. in der digitalen Welt inzwischen Zwillinge geworden. (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD) Wir brauchen faire Nutzungsmöglichkeiten für digi- Die FDP-Fraktion wird sich dafür einsetzen, dass – bei tale Medien. Insoweit stehen wir vor einer Anpassung allen berechtigten Forderungen zum Klimaschutz – auch des Datenschutzes. Wir müssen die Verantwortlichkei- in Zukunft die Erzeugung gesunder Nahrungsmittel zu ten von Diensteanbietern neu definieren und europa- fairen Preisen möglich bleibt, faire Preise übrigens für weite Vertragsstandards ermöglichen. Mit diesem Vorha- beide Seiten: für die Landwirte ebenso wie für die Ver- ben hat die Bundesregierung insgesamt – denn hier sind braucher. verschiedene Ministerien beteiligt – deutlich gemacht, dass sie sich auf diesen Weg begeben will. (Beifall bei der FDP) Es ist – das wurde schon deutlich – sehr zu begrüßen, (B) wenn im Haushalt 10 Millionen Euro eingestellt werden, (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: um die Versorgung ländlicher Regionen mit Breit- Sie müssen zum Ende kommen. bandanschlüssen voranzutreiben. Viele Unternehmen sind auf diese Breitbandanschlüsse angewiesen. Es ist Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): nicht hinnehmbar, wenn Regionen in Deutschland abge- Mein letzter Satz: Die FDP hat im Bereich Ernährung, koppelt sind. Das stellt für die Wirtschaft eine Wachs- Landwirtschaft und Verbraucherschutz viele konkrete tumsbremse dar. Strukturförderung und ländliche Ent- Lösungen vorgelegt. Auf Ihre Vorschläge, Herr Minister, wicklung werden mit dieser Position im Haushalt in die warten wir noch, hoffentlich nur bis Ende September! richtige Richtung gedrängt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP) (Beifall bei der FDP) Der Telekommunikationssektor ist ein weiterer für uns ganz wichtiger Bereich. Erst Anfang dieses Monats Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ist das neue Telekommunikationsgesetz in Kraft getre- Jetzt spricht Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. ten, mit dem wir den Kundenschutz signifikant verbes- sert haben: Preisansageverpflichtung, Preistransparenz Manfred Zöllmer (SPD): usw. Dennoch macht uns die Branche weiterhin Sorgen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Ich nenne nur drei Punkte: belästigende und verbotene Herren! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Heinen, auch Telefonwerbeanrufe, das Problem ewiger Warteschleifen von dieser Stelle noch einmal ganz herzlichen Glück- bei Hotlines – der Minister hat es vor kurzem angespro- wunsch! Ich wünsche Ihnen Glück und Erfolg in der chen – und Callcenter, die aggressive Verkaufsstrategien neuen Aufgabe sowie uns eine gute Zusammenarbeit. verfolgen. Günter Wallraff hat in seinem neuesten Buch die Praktiken und Arbeitsbedingungen der schwarzen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Schafe in dieser Branche deutlich beschrieben. Ihnen Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine Welt muss das Handwerk gelegt werden. jenseits von Gammelfleisch und Vogelgrippe. Ich Deshalb wird diese Bundesregierung entschieden ge- möchte gerade im Zusammenhang mit diesem Haushalt gen die sogenannten Cold Calls vorgehen. Eine Rufnum- die Aufmerksamkeit ein bisschen auf diese Welt lenken. merunterdrückung darf es in Zukunft nicht mehr geben. Die Herausforderungen an eine aktive und gestaltende Verbraucherpolitik sind größer und wichtiger als je zu- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11417

Manfred Zöllmer (A) Wer gegen das bereits jetzt geltende Verbot im UWG freulichen Ereignissen überlagert. Mittlerweile liegen (C) verstößt, muss mit Bußgeld belegt werden. Wir müssen Meldungen über mehr als 220 Tonnen Gammelfleisch alle Verträge, die telefonisch geschlossen werden, aus- in Bayern, Berlin und Schleswig-Holstein vor. Wider- nahmslos einem Widerrufsvorbehalt unterziehen. Da- lich! Hatten wir vor einem Jahr nicht die gleiche Situa- rüber hinaus lassen sich weitere zivil- und vertragsrecht- tion? Auch damals war die Haushaltsdebatte von einem liche Möglichkeiten denken. Ekelfleischskandal geprägt. Herr Minister Seehofer hat uns auch während der letzten Debatte erläutert, dass sein Aber auch die Wirtschaft muss stärker Verantwortung Maßnahmenpaket bereits weitgehend realisiert sei. übernehmen. Werbestrategien einzelner Unternehmen müssen überdacht werden. Die Unternehmen müssen Ich frage nun: Wenn das damalige 10-Punkte-Pro- sich zu bestimmten Standards verpflichten. Es muss Zer- gramm des Ministers doch schon weitgehend realisiert tifizierungen für Callcenter geben. Wir dürfen die Wirt- war oder ist, wie kommt es dann, dass auch heute noch schaft hier nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Fleischabfälle in der Gastronomie landen? Im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher wird es Zeit, dass Das Gleiche gilt für die Warteschleifenproblematik; Schlachtabfälle auch als solche gekennzeichnet und ein- jeder kennt sie. Es ist unerträglich, wenn man, während gefärbt werden. der Gebührenzähler tickt, 95 Knöpfe drücken und zehn Minuten warten muss, bis man, wenn man Glück hat, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) endlich ein menschliches Wesen auf der anderen Seite Nur so werden sie mit einiger Sicherheit nicht mehr in am Apparat hat. Das kann auf Dauer so nicht funktionie- den Verkehr gelangen. ren. Diese Forderung kommt auch aus der internationalen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Peter Tagung der Lebensmittelkontrolleure, die zurzeit in Ber- Bleser [CDU/CSU]) lin tagt. Lebensmittelkontrollen müssen personell und Verbraucherpolitik ist und bleibt Querschnittsauf- materiell besser ausgestattet werden. Schulungen gabe. Daher will ich nicht versäumen, der Bundesminis- müssen für den aktuellen Kenntnisstand sorgen. Nur so terin Frau Zypries ausdrücklich dafür zu danken, dass sie können wir die Lebensmittelsicherheit langfristig ver- mit ihrem Entwurf einer Reform des Verbraucher- bessern. Wir brauchen dafür aber bundeseinheitliche insolvenzverfahrens und dem geplanten Pfändungs- Qualitätsstandards und endlich verbindliche, länderüber- schutzkonto eine Verbesserung für viele überschuldete greifende Qualitätssicherungssysteme. Menschen in unserem Land durchsetzen wird. Damit (Beifall bei der LINKEN) wird es in Zukunft auch sehr viel einfacher werden, das Dazu müssen die Verbraucherminister am kommenden (B) Recht auf ein Girokonto für jedermann gegenüber den (D) Banken durchzusetzen. Donnerstag verpflichtet werden. Von Ihnen, Herr Minis- ter Seehofer, erwarten wir, dass Sie Ihre verfassungsge- In der Energiepolitik sind wir mit einer Vielzahl von mäßen Kompetenzen ausschöpfen und auf Umsetzung gesetzlichen Initiativen und Maßnahmen auf einem gu- drängen. Die hier oft beschworene Eigenkontrolle und ten Weg zu einem funktionierenden Wettbewerb. Ener- Selbstregulierung der Lebensmittelindustrie funktioniert giewirtschaftsgesetz, Unbundling, Missbrauchsaufsicht eben nur dürftig. Dies war in diesem Fall erneut sichtbar. im GWB, Vorschriften zur Verbesserung im Bereich des Nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, auch Anbieterwechsels, zur Anreizregulierung und zur Kraft- die ehrlichen Firmen mit guten Produkten und hohen werks-Netzanschlussverordnung seien hier genannt. Qualitätsansprüchen würden von einer verbesserten Le- bensmittelkontrolle profitieren. Sie würden ebenso von Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: einem endlich umgesetzten Verbraucherinformations- Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege. gesetz profitieren. Die Behörden dürften dann bei Be- kanntwerden solcher Probleme endlich öffentlich die Manfred Zöllmer (SPD): Betrüger nennen. Leider aber parkt die schwarz-rote Verbraucherpolitik ist bei dieser Bundesregierung in Bonsai-Version des VIG noch im Bundesrat. Für mich guten Händen. Wir werden auch in Zukunft gemeinsam stellt sich dabei die Frage: Hat das Ministerium deshalb daran arbeiten, sie voranzubringen. noch keine Mittel im Haushalt eingestellt, um das Gesetz einer breiten Öffentlichkeit bekanntzumachen? Herzlichen Dank. Meine Damen und Herren, nur wer seine Rechte (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) kennt, der kann sie auch in Anspruch nehmen. Damit das Gesetz seinen Zweck erfüllen kann, Markttransparenz Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: herzustellen und die Rechte von Verbraucherinnen und Jetzt gebe ich Karin Binder für Die Linke das Wort. Verbrauchern zu stärken, muss es kommuniziert werden. Das ist die Aufgabe der Regierung, und dafür müssen (Beifall bei der LINKEN) Mittel eingeplant werden. (Beifall bei der LINKEN) Karin Binder (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Im vorliegenden Haushalt setzt das Ministerium ver- Unsere Debatte über den Haushalt des Verbraucher- braucherpolitisch fast ausschließlich auf Maßnahmen im schutzministeriums wird auch in diesem Jahr von uner- Ernährungsbereich. Verbraucherschutz in wirtschaftli- 11418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Karin Binder (A) chen und finanziellen Belangen oder bei den ständig (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Erzählen Sie (C) neuen Kommunikationstechniken spielt damit so gut wie doch etwas zu Coppenrath & Wiese!) keine Rolle. Angesichts der Unzahl geprellter Anlege- rinnen und Kreditnehmer, betrogener Telekommunika- Ich fand interessant, was Minister Seehofer zum tionsnutzerinnen, zugemüllter Mail-Accounts und abge- Gammelfleischskandal gesagt hat. Das Einzige, was fischter Kontodaten ist das nicht nur unzeitgemäß, ihm bei diesem Skandal einfiel – immerhin der dritte sondern in jedem Fall ungenügend. Auch deshalb während seiner Amtszeit –, war, dem mutigen Lkw-Fah- möchte ich am Ende meiner Rede auf die Verbraucher- rer herzlich zu danken. beratung eingehen. Wir alle sind uns darin einig, wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wichtig und unverzichtbar eine unabhängige Verbrau- Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wie viele cherberatung ist. Deshalb ist es dringend notwendig, Skandale hatten Sie eigentlich?) dass die bestehenden Strukturen finanziell abgesichert werden. Das ist zwar nur bedingt über den Bund mög- Es war zwar gut, dass er ihm gedankt hat. lich, aber nicht einmal das, was möglich wäre, wird ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist genau der macht. Die Stiftung Warentest soll künftig zum Beispiel richtige Ansatz!) mit einer halben Million Euro weniger auskommen, ob- wohl auch ihre Aufgaben eher wachsen. Den Verbrau- Aber ist es nicht ein Armutszeugnis, dass man auf mu- cherzentralen wiederum wurde noch vor Kurzem signa- tige Lkw-Fahrer und mutige Mitarbeiter angewiesen ist, lisiert, dass man sich um die Finanzierung ihrer Projekte weil die Kontrollen nicht funktionieren? zum wirtschaftlichen Verbraucherschutz bemühen würde. Davon ist im aktuellen Zahlenwerk aber nichts (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zu finden. De facto fehlen hier 2,5 Millionen Euro. Das Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Darauf ist heißt, Personal muss entlassen und Angebote müssen man immer angewiesen!) eingestellt werden. Mit der Frage, warum die Kontrollen nicht funktionie- (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Erst in- ren, muss sich die Politik beschäftigen. formieren, dann reden!) Herr Seehofer hat vor anderthalb Jahren selber ge- Wenn wir jetzt noch zwei Jahre warten müssen, bis sagt: Wenn wir feststellen, dass es zu wenig Kontrolleure eine Studie zur Finanzierung der Verbraucherberatung gibt, müssen wir selbstverständlich aufstocken. – Vor ei- erstellt wird, dann sind die Strukturen der Verbraucher- nigen Monaten hat auf meine Frage, wie es denn jetzt zentralen bis dahin zerbröselt. Viele Mitarbeiterinnen nun mit dem Personal sei, sein Ministerium zugeben und Mitarbeiter und wichtige Expertinnen und Experten müssen, dass der Bundesregierung keine konkreten In- (B) (D) sind dann abgewandert. formationen über die Aufstockung des Personals bei den für die Durchführung der Lebensmittelüberwachung zu- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Fürchten Sie ständigen Ländern vorliegen. Wer den Mund so voll das mal nicht!) nimmt, muss damit rechnen, dass seine Taten an dem ge- messen werden, was er vorher gesagt hat. Da sieht die Sehr geehrte Damen und Herren, dieser Haushalt Bilanz sehr mager aus. bleibt weit hinter den aktuellen Anforderungen eines ge- sundheitlichen, wirtschaftlichen und digitalen Verbrau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) cherschutzes zurück. Mit diesem Haushalt stärken Sie die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern Nächster Punkt: Fahrgastrechte. Minister Seehofer nicht. hat im Juli 2006 angekündigt, er wolle eine Verbesse- rung bei den Fahrgastrechten. Was lese ich jetzt? Die Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Kollegin Zypries hat letzte Woche versprochen, ein Ge- (Beifall bei der LINKEN – Julia Klöckner setz vorzulegen. Ankündigung, Ankündigung, Ankündi- [CDU/CSU]: Sehr abenteuerlich!) gung. Das nützt den Menschen in diesem Land nichts. Sie werden an Ihren Taten gemessen und nicht an Ihren Worten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Bärbel Höhn für Bündnis 90/Die Grünen. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie haben doch gar nichts gemacht!) (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Frau Kolle- gin, Coppenrath & Wiese hat gerade für Nächster Punkt: Bioprodukte. Die Verbraucherinnen 100 Millionen Euro bei uns gebaut! Dank Ih- und Verbraucher fragen immer mehr Bioprodukte nach. rer Unterstützung!) Was passiert? Immer mehr Bioprodukte werden aus dem Ausland eingeführt. Auch das ist eine schlechte Ten- denz. Wer Bioprodukte kauft, will, dass diese Produkte Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): in der Nähe produziert werden und dass unsere Bauern Meine Damen und Herren! Die Haushaltberatungen eine Chance haben, sie anzubauen. Auch das haben Sie 2008 finden zur Halbzeit der Legislaturperiode statt. verschlafen. Das ist nicht in Ordnung. Nach zwei Jahren kann man Bilanz ziehen. Die Bilanz nach zwei Jahren Seehofer sieht so aus: große Ankündi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gungen und kleine Taten. Die entscheidende Frage ist Zuruf von der SPD: Die grünen Entwicklungs- nämlich: Was kommt für die Menschen dabei herum? politiker sehen das aber völlig anders!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11419

Bärbel Höhn (A) Nächster Punkt: Tierseuchen. Wir haben in den letz- Dort wird wissenschaftlich an der Lösung des in diesem (C) ten Wochen erlebt, dass über 350 000 Tiere getötet wer- Zusammenhang bestehenden Problems gearbeitet. Wenn den mussten – die größte Tötungsaktion in der Bundes- es zurzeit keinen Markerimpfstoff gibt, dann kann man republik Deutschland. Das ist das Ergebnis eines einen solchen auch nicht herbeireden. Aber wir sind sehr fehlenden Tierseuchenkonzeptes. Immer nur auf Tötun- hoffnungsvoll, dass es demnächst gelingt, einen solchen gen zu setzen, ist nicht die Lösung. Schauen Sie auf die einsetzen zu können. Niederlande! Dieses Land hat die größte Erfahrung mit Tierseuchen in der EU. Dort wird es anders gemacht; (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- denn dort wird geimpft. Es wäre angemessen, auch in NEN]: Es gibt doch Impfstoffe!) Deutschland freiwillige Impfungen durchzuführen. Es ist schon merkwürdig, Herr Goldmann: Haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht auch Sie die Stimmung aufgenommen, die sich in der Landwirtschaft und der Bevölkerung nicht nur in Be- Am Ende werden Sie, Herr Minister Seehofer, in der zug auf unser Fachthema, sondern insgesamt wegen der Tat daran gemessen, wie Sie öffentlich dastehen. Sie guten Konjunkturentwicklung, der Arbeitsmarktzahlen werden aber nicht an selbstgefälligen Reden und Schön- und der positiven Entwicklung des Haushaltes, über den rederei gemessen. Schauen wir einmal, wie die Öffent- wir heute diskutieren, breitmacht? Haben Sie diese Stim- lichkeit mittlerweile über Sie urteilt. Sie, Herr Seehofer, mung nicht wahrgenommen? haben selber gesagt, es gebe zwei Sorten von Menschen: Handwerker und Mundwerker. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Doch, habe ich! Doch sie könnte noch viel besser sein!) (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wo würden Sie sich denn einordnen?) Ich kann Ihnen nur sagen: Das Agrarkonjunkturbaro- meter, das seit einigen Jahren erhoben wird, ist mittler- Was haben Sie nicht alles verkündet! In der Monatszeit- weile bei der Punktzahl 32 angekommen. Frau Höhn, zu schrift Capital wurden Sie kürzlich als „Untätigkeitsmi- Zeiten Ihrer Kollegin Künast lag es bei minus 18. Da ha- nister“ bezeichnet. Untätigkeitsminister heißt in der Tat: ben sich in der Zwischenzeit Welten verändert. viel ankündigen und wenig tun. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das sind Sie haben bewiesen, dass Sie mit dem Mund gut sind. Fakten!) Dass Sie aber Ihr Handwerk beherrschen, müssen Sie noch beweisen. Das zeigt am deutlichsten die Entwicklung, die in den letzten zwei Jahren stattgefunden hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Das Handwerk läuft bestens!) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das kommt (B) durch das EEG! Das weißt du!) (D) Es wäre für die Menschen gut, wenn es Ihnen gelingen würde. Bis jetzt fällt Ihre Bilanz sehr mager aus. Das ist Es ist nun einmal so: Neue Ideen, Verlässlichkeit und schade; denn es ist nicht gut für die Bevölkerung in Kontinuität sind die Markenzeichen dieser Bundesregie- Deutschland. rung und unseres Ministers Seehofer. Das zeigt sich wie- der bei der Vorlage dieses Haushaltes. Wir sind sehr Danke schön. stolz darauf und sehr zufrieden, dass dies auch draußen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) so gesehen wird. Ich will die Schwerpunkte zusammenfassen: Wir ha- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ben die Haushaltsansätze für die Durchsetzung der Ver- Jetzt spricht der Kollege Peter Bleser für die CDU/ braucherrechte und des Verbraucherschutzes erhöht. Wir CSU-Fraktion. haben zum Beispiel vorgesehen, dass die Verbraucher- zentralen in den Ländern – dies sollte eigentlich in die- (Beifall bei der CDU/CSU) sem Jahr auslaufen – auch im nächsten Jahr 2,5 Millionen Euro für projektbezogene Verbraucherbe- Peter Bleser (CDU/CSU): ratung aufwenden dürfen. Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- legen! Manchmal kommt man sich vor, als wenn man im neten der SPD) falschen Saal wäre. Frau Höhn, was Sie gerade vorgetra- gen haben, hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun. Das ist ein echter Fortschritt. Das haben wir jetzt einge- plant. Herr Kollege Bahr, ich weiß, dass Sie dabei mitge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – holfen haben. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sollten wir mal über die Realität reden!) Wir haben die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut- Ich nenne das Thema Seuchen gleich beim Namen: zes“ erstmals wieder aufgestockt; der Minister hat darauf Keine Bundesregierung zuvor hat so viel in das hingewiesen. In den nächsten drei Jahren dürfen bis zu Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems inves- 50 Millionen Euro für die Förderung von Breitbandan- tiert, wie diese es getan hat und noch zu tun vorhat. schlüssen in ländlichen Regionen, in unseren schönen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dörfern, liebe Waltraud Wolff, aufgewendet werden. neten der SPD) Genau das wollen wir. Wir wollen die Chancengleichheit 11420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Peter Bleser (A) zwischen städtischen und ländlichen Regionen sicher- Peter Bleser (CDU/CSU): (C) stellen. Das wird damit am ehesten erreicht. Dies führt Ich komme zum Schluss. – Offen die Verbraucher zu zu Investitionen im ländlichen Raum. informieren, dass man die erhöhten Rohstoffkosten wei- tergeben muss, und dann auch nur diese weiterzugeben, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) halte ich für vorbildlich. Damit ist eine Verbesserung der Einkommenslage der milchproduzierenden Landwirt- Ein weiterer Punkt – er ist genauso wichtig – ist die schaftsbetriebe erreicht worden. Auch das ist ein positi- Agrarsozialpolitik. Hier hat es in den letzten Jahren im- ves Zeichen. Die Politik der Bundesregierung wirkte un- mer wieder Einschnitte und Belastungen gegeben. Das terstützend. ist, wenn der Haushalt so beschlossen wird, im dritten Jahr in Folge nicht mehr der Fall. Wir haben auch hier Da der Staatssekretär Gerd Müller hier sitzt, möchte die Mittel aufgestockt; auch hier ist Planungssicherheit ich zum Abschluss sagen: Die Stabsstelle Exportförde- geschaffen worden. Ich sage an dieser Stelle aber auch rung, für die er rackert, hat tolle Erfolge hervorgebracht. – Frau Wolff, da bin ich mit Ihnen einig –: Dazu gehört Auch das dürfen wir uns auf die Fahne schreiben. eine Reform der landwirtschaftlichen Unfallver- Herzlichen Dank. sicherung, die über mehrere Jahre Bestand hat. Da müs- sen unsere Länder noch etwas nachlegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich stimme mit Ihnen völlig überein: Man kann es nicht Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: beim Status quo belassen. Das sehen wir genauso. Ich Jetzt spricht die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß für bin erfreut, dass wir in der Koalition darüber Einigkeit die SPD-Fraktion. haben. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Manchmal sind kleine Zeichen viel wichtiger für die Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bewertung einer Lage als umfangreiche Statistiken. Für Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des mich ist ein solches Zeichen die Tatsache, dass die Zahl Bundeshaushaltes 2008 liegt uns vor. Da sich die Wirt- der Auszubildenden in den 15 grünen Berufen – ich schaft weiterhin gut entwickelt, wollen wir an den gro- meine die richtigen grünen Berufe, Frau Höhn – auf ßen Zielen Konsolidierung und Wachstumsförderung 42 000, also um 1,3 Prozent, gestiegen ist. Das ist eine festhalten. Trendwende. Das sind die wahren Zeichen der Hoffnung und der Zuversicht, die wir in der Bevölkerung feststel- Wir wollen aber auch an dem Bemühen festhalten, die (B) len können. Position der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stär- (D) ken; denn eine gute wirtschaftliche Entwicklung und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) aufgeklärte, mündige Konsumenten gehören zusammen, vor allen Dingen, wenn diese Entwicklung nachhaltig Dazu gehört natürlich auch Verlässlichkeit. Ich will sein soll. Verbraucherpolitik ist schließlich – das wissen deswegen noch etwas ansprechen, was in den letzten wir alle – Wirtschaftspolitik von der Nachfrageseite. Monaten in der öffentlichen Diskussion häufig eine Deshalb ist es wichtig, dass im Verbraucherministerium Rolle gespielt hat: die Milchquote. Wir bleiben bei der auf der Ausgabenseite zukunftsorientierte Maßnahmen Verlässlichkeit unserer Aussage: 2015 endet sie. Wir und Programme gestärkt werden und gleichzeitig im wollen aber vorher wissen, wie das Ausstiegsszenario Verwaltungsbereich gespart wird. aussieht, bevor wir das endgültige Go geben. Aufklärung und Information der Verbraucher sind ein (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist es! – Schwerpunkt. Deshalb unterstütze ich den Ansatz, die Hans-Michael Goldmann [FDP]: Gestalte es Mittel für entsprechende Projekte nicht zu kürzen. Ich doch!) finde es richtig, dass Minister Seehofer an der Schlich- tungsstelle Mobilität festhalten will, auch wenn Frau Das ist völlig in Ordnung. Das muss draußen auch so Bundesministerin Zypries inzwischen erfreulicherweise vertreten werden. Eckpunkte für ein Gesetz zur Verbesserung der Fahr- gastrechte von Bahnfahrerinnen und Bahnfahrern Nun möchte ich noch etwas ansprechen, was mir auf vorgestellt hat. Solange die Einhaltung der Rechte von dem Herzen liegt. In den letzten Wochen hat ein großes Personen auf Flug-, Schiffs- und Busreisen nicht ausrei- Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel – ich nenne chend gewährleistet ist, darf diese Projektförderung den Namen: Aldi – in für mich vorbildlicher Weise nicht eingestellt werden. Es muss aber auch ein Weg ge- agiert, indem es den Molkereien aus der Not geholfen funden werden, die Projektförderung in den 16 Verbrau- hat, als die Kosten für die weiße Ware Frischmilch, cherzentralen der Länder für wenigstens zwei Jahre fort- Joghurt und ähnliche Produkte in Konkurrenz zu Mager- zuführen. Wir wissen, dass es leider einige Bundesländer milchpulver und Butter nicht mehr wettbewerbsfähig gibt, die sich zunehmend aus der Verantwortung gestoh- waren. len haben. Nicht nur das belastete Spielzeug aus China sollte Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: die Verantwortlichen in den Ländern aufhorchen lassen. Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Eine warenkundliche Verbraucheraufklärung wird in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11421

Elvira Drobinski-Weiß (A) allen Bereichen zunehmend nachgefragt und tut not. Die Ulrich Kelber (SPD): (C) Länder sind, so denke ich, dazu verpflichtet. Gift im Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Spielzeug unserer Jüngsten, bleibelastete Barbies aus Herren! Zum Abschluss der Debatte zu diesem Einzel- China, Wachsmalstifte mit einem Schwermetallgehalt, plan im Rahmen der Einbringung des Haushaltes möchte der den zulässigen Höchstwert um das 17-Fache über- ich noch ein paar Anmerkungen zu zwei Themen ma- steigt, Spieltelefone, die Hörschäden verursachen – vor chen. all diesen gefährlichen Produkten müssen wir unsere Kinder schützen und über sie müssen wir die Verbrau- Erstes Thema: die sogenannte Grüne Gentechnik. cher entsprechend aufklären. Ich glaube, man muss in der Mitte einer Legislatur- periode und im Anschluss an einen Sommer, in dem Sie Auch Kinder und Jugendliche sind Verbraucher. Ein alle gehört haben, dass die Große Koalition eine Eini- beträchtlicher Teil des Taschengeldes wird in Handys, gung über die Fortentwicklung des Gentechnikrechts er- Klingeltöne, Kleidung und Fast Food gesteckt. Kinder zielt hat, in der Tat ein paar Punkte dazu nennen. Es ist und Jugendliche werden mit einer speziell auf sie ausge- relativ normal, dass eine Opposition im Deutschen Bun- richteten Werbung umworben. Die Wirtschaft hat sie destag Kritik äußert, wenn die Regierungsfraktionen zu längst als Zielgruppe entdeckt. Es ist an der Zeit, dass einer Einigung gekommen sind. Manchmal kritisiert die Verbraucherpolitik das ebenfalls tut. Nicht nur un- man Details, manchmal sagt man – das ist fast schon sere Sicherheits- und Gesundheitsstandards müssen sich Usus –, dass die gesamte Regelung falsch sei. Aber hier- an den Kleinsten und Schwächsten unserer Gesellschaft bei sind wir auf eine übermäßig starke Kritik gestoßen. orientieren; auch die Verbraucheraufklärung muss stär- Deswegen möchte ich einen kurzen Augenblick dabei ker auf sie ausgerichtet werden, wenn sie zu kritischen, verweilen. selbstbestimmten Marktteilnehmern heranwachsen sol- len. Die FDP kritisierte – ich fasse dies kurz zusammen –, dies sei der Untergang der deutschen Forschungsland- Auch junge Verbraucherinnen und Verbraucher müs- schaft sen besser über das Angebot auf dem Markt informiert werden, zum Beispiel über die Zusammensetzung der (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Ist es Produkte, über ihre Wirkung, aber auch über die Um- auch!) stände, unter denen sie erzeugt werden, und zwar sowohl über die sozialen als auch über die umwelt- und gesund- und Deutschland nutze seine Chancen auf den Äckern heitsrelevanten Aspekte. Das gilt für beinahe alle Be- nicht. reiche; denn Verbraucherpolitik – wir haben es schon (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Trifft (B) mehrfach gehört – ist ein Querschnittsthema. Das gilt für zu!) (D) Ernährung, für Warenkunde, für Verträge, für Finanz- dienstleistungen sowie für den Umgang mit Medien und Den zweiten Punkt sollten Sie in der FDP unbedingt bei- Telekommunikation. behalten, weil ich es immer gut finde, wenn die FDP ge- gen den erklärten Willen der Mehrheit der Bevölkerung Ein zukunftsfähiges Angebot auf dem Markt setzt – in diesem Fall 80 Prozent – Politik betreibt; denn das eine nachhaltige Nachfrage voraus. Dafür müssen wir macht es dann leichter für die anderen Parteien. die Verbraucher von morgen fit machen. Wir müssen sie vor üblen Angeboten von heute schützen: vor Gift im Ich komme zur Forschungslandschaft zurück. Man Spielzeug, vor Gammelfleisch im Döner, vor Blei in der muss einfach die FDP-Pressemitteilung neben die Ein- Kleidung, vor nicht zugelassenem Gentech-Reis und vor schätzung der Forschungsinstitute legen. Dann sieht man Pestiziden im Obst. Neben verstärkten und effektiveren den Unterschied zwischen Parteiideologie und Realität Lebensmittel- und Produktkontrollen und harten Sank- in diesem Land. Denn die Forschungsinstitute haben ge- tionen bei Verstößen sind Aufklärung und Transparenz sagt, dass es gut war. Sie haben seltsamerweise in der die wichtigsten Instrumente gegen solche Skandale. letzten Woche feststellen müssen, dass es FDP-mitre- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gierte Bundesländer waren, die manche der Erleichte- rungen für die Forschung im Agrarausschuss des Bun- Wo die freien Kräfte des Marktes wirken, muss die desrates ablehnen wollen. Da, wo wir Anzeigepflichten Seite der Nachfragenden durch Schutzrechte, durch In- gefordert haben, sollen Genehmigungspflichten gelten. formation und Aufklärung gestärkt werden. Wir sollten Das ist völlig unverständlich und passt nicht zu dem, dabei verstärkt und zielgruppengerecht auch unsere was Sie behauptet haben. jüngsten Verbraucher im Auge haben und dies bei der Gestaltung des Haushaltes berücksichtigen. Die Kritik von Grünen und Linkspartei war in etwa gleichlautend. Auch da wurde behauptet, dies sei die Vielen Dank. völlige Öffnung gegenüber der Grünen Gentechnik, es gebe keinerlei Koexistenz mehr, die Verbraucherinnen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und Verbraucher würden im Stich gelassen. Das waren neten der SPD) die Stichworte. Auch das sollte man neben die Kritik von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden legen, Vizepräsidentin : deren erste Zusammenfassung – ich beziehe mich hier Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber für die SPD- auf die des Kampagnenzusammenschlusses – lautete: Fraktion. „Der angekündigte Durchmarsch der Gentechnik findet 11422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Ulrich Kelber (A) nicht statt.“ Das war der erste und entscheidende Satz Wir müssen – nicht nur mit Blick auf die Situation der (C) auf der Webseite von Campact. Das ist auch richtig. Landwirtinnen und Landwirte – sagen: Es war an der Zeit, dass die Erzeugerpreise ein faires Niveau erreicht Denn – jetzt müssen meine Koalitionspartner die Oh- haben, dass sie also etwas gestiegen sind. ren einmal kurz halb schließen – (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Heiterkeit des Abg. Peter Bleser [CDU/CSU]) bei Abgeordneten der FDP) wir haben beim Schutz der gentechnikfreien Landwirt- Wenn man sich ansieht, wo die Erzeugerpreise gelegen schaft und bei der Wahlfreiheit der Verbraucherinnen haben, muss man feststellen: Auf diesem Niveau waren und Verbraucher gegenüber der unter SPD und Grünen auf Dauer weder Qualität noch Lebensmittelsicherheit, erzielten Rechtslage noch etwas drauflegen können, ins- noch eine gesunde Entwicklung des ländlichen Raums besondere bei der Frage der Kennzeichnung. In Zukunft und der Kulturlandschaft möglich. Deswegen ist es gut, ist auch bei tierischen Produkten zu erkennen, ob sie von dass die Einnahmen aus den Preissteigerungen – zumin- Tieren stammen, die mit gentechnisch veränderten Orga- dest ein Teil von ihnen – bei den Landwirten in den ver- nismen gefüttert worden sind oder nicht. schiedenen Regionen Deutschlands angekommen sind. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau hinsehen muss man bei denjenigen, die so et- Setzt euch erst mal durch!) was zu nutzen versuchen, indem sie ihre Preise stärker anheben, als es aufgrund der Veränderung der Rohstoff- Das ist ein deutlicher Fortschritt, der gerade von den preise und der Erzeugerpreise eigentlich notwendig Verbraucher- und den Umweltschutzverbänden einstim- wäre. Um dem zu begegnen, gibt es im Kartellrecht und mig unterstützt wird. an anderen Stellen geeignete Mittel. Insbesondere die Wir haben im Bereich der Haftung für die gentechnik- Verbraucherinnen und Verbraucher müssen darauf ach- anwendende Landwirtschaft keine Veränderungen vor- ten, dass sie nicht in diese Falle gehen und überhöhte genommen. Der einzige Punkt, der angesprochen wurde, Preise zahlen. Vielmehr müssen sie den Wettbewerb nut- waren die sogenannten privatrechtlichen Vereinbarun- zen, um die Preise auf ein angemessenes Niveau zu drü- gen. Sie werden am Ende in einem sehr geringen Um- cken. Damit würden sie auch dazu beitragen, dass die fang angewandt werden und auch nichts anderes, als Einnahmen bei den Landwirten ankommen. man heute über Umgehungstatbestände schon tun Ich bitte diejenigen, die Landwirtschaftspolitik betrei- könnte, und zwar aus einem einfachen Grund: Jeder ben, eines nicht außer Acht zu lassen: Zu verzeichnen Landwirt, der eine privatrechtliche Absprache trifft, sind gestiegene Erzeugerpreise, aufgrund des EU-Kom- muss sofort vollständig kennzeichnen, weil er nicht alles (B) promisses nach wie vor ungekürzte Direktzahlungen und (D) Vermeidbare in Bezug auf die Abstände getan hat. deutliche Kürzungen der Mittel für die ländliche Ent- Es ist sehr leicht, mit dieser Kritik umzugehen. Denn wicklung und die ökologische Landwirtschaft. Wer diese diejenigen, die etwas von diesem Thema verstehen, die drei Aspekte miteinander verbindet, der stellt fest: Das Expertinnen und Experten, sagen: Alles, was ihr mit schreit danach, dass über diesen Zusammenhang noch eurem nationalem Recht zum Schutz der gentechnik- einmal diskutiert wird, allerdings aus dem Blickwinkel freien Landwirtschaft und zur Erhaltung der Wahlfrei- der deutschen Landwirtschaft, nicht aus europäischer heit der Verbraucherinnen und Verbraucher tun konntet, Perspektive über Deutschland. habt ihr getan. Man darf nicht erst aufgrund des Drucks von außen (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: etwas ändern. Wir sollten nicht zulassen, dass man sagt: Und was ist mit dem Abstand? 50 Meter! – Wir werden die Direktzahlungen – draußen werden sie Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- übrigens Subventionen genannt – in beliebiger, vorher NEN]: Das, was ihr da macht, ist Etiketten- festgelegter Höhe beibehalten, obwohl sich die Einnah- schwindel!) mesituation verbessert hat. – Wir müssen uns darüber unterhalten, wann wir Korrekturen vornehmen wollen, Weil das, was man mit nationalem Recht machen ob wirklich bis 2009 oder bis 2013, und wie wir es kann, Grenzen hat, wird die SPD nach der Verabschie- schaffen können, mehr Mittel für die Entwicklung der dung des Haushalts weitere Vorschläge vorlegen, wie ländlichen Räume und insbesondere für eine Beschleuni- das europäische Recht weiterentwickelt werden kann, gung der Umstellung auf ökologischen Landbau bereit- um das, womit wir auf nationaler Ebene begonnen ha- zustellen. Das ist eine gemeinsame Verantwortung. ben, im Rahmen einer Veränderung des europäischen Rechts fortzusetzen. Man muss dazusagen: Der geringe Zuwachs im Jahr 2007 ist auf diejenigen zurückzuführen, die schon Der zweite Aspekt sind die gestiegenen Lebensmit- im Jahr 2004 mit der Umstellung begonnen haben. Es telpreise; wenn Peter Bleser dieses Thema nicht ange- besteht schon seit mehreren Jahren die Situation, dass zu sprochen hätte, wäre es in dieser Debatte wahrscheinlich wenig umgestellt wird. Das ist eine geteilte Verantwor- gar nicht erwähnt worden. Das wäre schade gewesen, tung. Geteilte Verantwortung heißt, dass wir gemeinsam weil diejenigen, die Landwirtschaftspolitik, Ernährungs- die Aufgabe haben, diesen Prozess in den Ländern zu politik und Verbraucherschutz betreiben, hierzu Stellung beschleunigen, die dringend wieder Umstellungshilfen nehmen müssen; denn dieses Thema steht mindestens zahlen müssen. Außerdem sollte der Bund das Förder- einmal pro Woche auf der Tagesordnung. programm in ungekürzter Höhe fortführen. Das verlan- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11423

Ulrich Kelber (A) gen die Märkte. Wir verspielen im Augenblick einen nen Euro, die dem Bundesumweltministerium für seine (C) Milliardenmarkt. Das darf nicht die Politik der Bundes- Ausgaben zufließen. Insofern hat der Beschluss der Ko- republik Deutschland sein. alitionsfraktionen dazu beigetragen, dass im Jahre 2008 der Haushalt des Bundesumweltministeriums immerhin Vielen Dank. um knapp 50 Prozent steigen wird. Das ist eine gewal- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tige Steigerungsrate. Sinnvollerweise sollten diese Mittel der CDU/CSU) dort eingesetzt werden, wo sie sozusagen abgeschöpft werden, nämlich für den Bereich Klimaschutz. Sicher- Vizepräsidentin Petra Pau: lich werden wir in den Ausschussberatungen noch einige Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen Arbeit leisten müssen, um präzise zu definieren, in wel- nicht vor. chen Bereichen das Parlament gemeinsam mit der Re- gierung Schwerpunkte bei den nationalen und internatio- Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- nalen Klimaschutzmaßnahmen setzen will. ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit, Einzelplan 16. Als Bundesregierung schlagen wir bislang vor, von den 400 Millionen Euro, die an erwarteten Einnahmen Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Natur- im Haushalt des BMU veranschlagt sind, 120 Millionen schutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel. Euro in den internationalen Klimaschutz zu geben. Das ist, glaube ich, ein starkes Signal für die Debatte Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur- über Adaptation, Anpassung an den Klimawandel. Ein schutz und Reaktorsicherheit: Signal dieser Größenordnung werden Sie weltweit in Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die keinem anderen Staat finden. Umweltschutzausgaben im Entwurf der Bundesregie- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) rung für den Bundeshaushalt 2008 betragen insgesamt 4,7 Milliarden Euro, davon allein fast 1 Milliarde Euro Jedenfalls wird dies auch von anderen Ländern so gese- im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirt- hen. Ein weiterer Vorschlag besagt, 180 Millionen Euro schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – dies be- vor allen Dingen für den Ausbau der erneuerbaren trifft unsere Entwicklungszusammenarbeit mit vielen an- Wärme zu verwenden. Bei der Formulierung eines Er- deren Ländern im Bereich des Umweltschutzes –, über neuerbare-Wärme-Gesetzes gibt es insbesondere vonsei- 300 Millionen Euro im Bereich des Bundesfinanzminis- ten der CDU/CSU den Vorschlag, eine Mischung aus teriums, vor allen Dingen für die Altlastensanierung in Ordnungsrecht und Förderung aus Haushaltsmitteln zu der ehemaligen DDR, und über 700 Millionen Euro im beschließen. (B) Forschungsministerium zum einen für umweltbezogene (D) Weitere 100 Millionen Euro sollen nach Vorschlag Grundlagenforschung und zum anderen fast zur Hälfte der Bundesregierung für den nationalen Klimaschutz – über 330 Millionen Euro – für die Klimaforschung, eingesetzt werden. Hier werden wir sicherlich ein Stück ein, wie ich finde, außerordentlich wichtiger Beitrag im Arbeit in den Ausschussberatungen vor uns haben; denn Rahmen der internationalen Klima- und Energiedebatte. es macht ja wenig Sinn, diese Summen zu veranschla- Da im Haushalt des Bundesumweltministeriums von gen, ohne sicher sein zu können, dass sie auch im selben diesen 4,7 Milliarden Euro nur 845 Millionen Euro ver- Haushaltsjahr verausgabt werden können. Von daher ha- anschlagt sind, darf man, wenn man sich die umweltpoli- ben sowohl das Ministerium als auch die Politikerinnen tischen Leistungen des Bundeshaushalts anschauen will, und Politiker im Umweltausschuss großes Interesse da- nicht nur begrenzt auf das BMU schauen, sondern muss ran, die genannten Maßnahmen zu konkretisieren. Hier das BMZ, das BMWi, das Forschungsministerium, das geht es um eine neue Entwicklung, die wir bisher im BMF und das Verkehrsministerium hinzunehmen. Haushalt noch nicht hatten. Da es in den letzten Sitzungen immer wieder eine Sie sollten wissen, dass der Bundesfinanzminister mit Rolle gespielt hat – wenn ich mich richtig erinnere, ins- dem Bundesumweltministerium die Verabredung getrof- besondere aus der FDP heraus –, mache ich darauf auf- fen hat, dass das BMF seinen Haushaltsvorschlag für merksam, dass im Haushalt des BMU zum ersten Mal 2009 so gestalten wird, dass die realen Nettoeinnahmen knapp 28 Millionen Euro für die Einrichtung von der Auktionierung aus dem Jahre 2008 als Veranschla- Schacht Konrad ausgewiesen werden. Ich sage das nur, gung für den Haushalt 2009 aufgenommen werden. Da damit Sie in diesem Punkt keine Zweifel mehr an unse- wir derzeit sehr vorsichtig von einem Preis am CO - rem Willen hegen müssen, hier etwas zu tun. 2 Markt von 15 Euro pro Tonne ausgegangen sind und (Ulrike Flach [FDP]: Das ist gut, reicht aber etwa 30 Prozent wegen geringerer Steuereinnahmen ab- noch nicht!) gezogen haben, kommen wir netto auf die genannten 400 Millionen Euro im Haushaltsvoranschlag für 2008. Nun, da es rechtskräftig ist, gehen wir natürlich auch an Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Betrag angesichts die Umsetzung heran. der Preise am CO2-Markt überschritten werden wird, ist Die 845 Millionen Euro im Haushalt des Bundes- relativ hoch. Diese Vereinbarung mit dem BMF bedeutet umweltministeriums sind ein bisschen untertrieben; denn für das BMU eine ausgesprochen gute Ausgangslage für durch den Beschluss der Koalitionsfraktionen zur Auktio- das Haushaltsjahr 2009. Wir werden sicherlich darüber nierung von Emissionszertifikaten gibt es eine Einnah- zu beraten haben, wie steigende Einnahmen der Auktio- meberechtigung in der Größenordnung von 400 Millio- nierung dann sinnvoll für den Klimaschutz eingesetzt 11424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) werden sollen. Ich sage hier offen: Das ist zwar derzeit des Jahres mit dem Ziel beginnen, dass die Industrie- (C) im Haushalt des BMU veranschlagt. Aber es macht ja nationen ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis zum Sinn, Aufgaben, deren Umsetzung dringend notwendig Jahre 2020 um 30 Prozent reduzieren. Wir wissen – auch ist – beispielsweise im Bereich kleiner, mittelständischer aus dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom Unternehmen die Energieeffizienz zu fördern –, in Oktober 2006 und aus der Enquete-Kommission von kooperativer Weise auch über andere Haushalte zu för- Mitte der 90er-Jahre –, dass das für Deutschland bedeu- dern. Das ist eine Aufgabe, die noch vor uns liegt. Wir tet, dass wir unseren CO2-Ausstoß bis 2020 gegenüber haben einen richtig großen neuen Posten im Haushalt, dem Jahr 1990 um 40 Prozent senken müssen. Das ist bei dem wir miteinander Erfahrungen sammeln müssen. die Position, die wir eingenommen haben – wohlwis- Ich glaube, das ist eine gute Entwicklung. send, dass es nicht einfach ist, 2007 die Punktlandung für das Jahr 2020 zu beschreiben. Selbstverständlich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werden wir mindestens alle anderthalb bis zwei Jahre der CDU/CSU) immer wieder überprüfen müssen, wie weit wir mit der Natürlich ist der Klimaschutz der Bereich im Haus- Umsetzung gekommen sind. halt des Umweltministeriums, der von der Debatte und Aber man kann, glaube ich, ohne übertriebenes Pa- davon, dass die Große Koalition hier einen Schwerpunkt thos sagen: Die Bundesregierung hat in Meseberg das gesetzt hat, am meisten profitiert. Im Jahre 2005 waren größte Klima- und Energiepaket in der Geschichte der für den Klimaschutz im Gesamthaushalt ganze 875 Mil- Bundesrepublik Deutschland verabschiedet. lionen Euro vorgesehen. Jetzt sind es 2,6 Milliarden Euro. Das bedeutet eine Steigerung der Klimaschutzaus- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gaben um rund 200 Prozent. Ich glaube, auf diesen Be- Wir haben dort vereinbart, wie wir die Kraft-Wärme- leg, dass Klimaschutz ein Schwerpunkt ihrer Politik ist, Kopplung ausbauen und in welcher Weise das EEG kann die Große Koalition tatsächlich stolz sein. beim Strom ausgebaut wird. Ich erinnere: Bislang hatten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wir das Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis 2020 auf 20 Prozent zu erhöhen. Überhaupt ist es ganz interessant, zu sehen, wie sich Jetzt sind wir sicher, dass wir uns auf 30 Prozent zube- der Bereich des Umweltschutzes und insbesondere des wegen. Klimaschutzes unter der Großen Koalition entwickelt hat. Ich habe bereits gesagt: 875 Millionen Euro 2005 – Wir haben angekündigt, wie wir mit dem Erneuer- 2,6 Milliarden Euro 2008, Tendenz steigend. 2005 wa- bare-Energien-Wärmegesetz umgehen wollen, nämlich ren es 45 Millionen Euro für Forschung und Entwick- dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien am Wär- meverbrauch bis 2020 auf mindestens 14 Prozent erhö- (B) lung im Bereich der erneuerbaren Energien, jetzt lie- (D) gen wir bereits bei über 93 Millionen Euro. Wir sind hen wollen. dabei, diese Mittel mehr als zu verdoppeln: Wir werden (Zuruf von der LINKEN: Wollen, wollen, die Mittel für das Marktanreizprogramm im Rahmen des wollen!) geplanten Erneuerbare-Wärme-Gesetzes durch den Ein- satz der bei der Auktionierung erzielten Erlöse gegen- – Es wäre gut, wenn Sie einmal vortragen würden, wie über 2006 um immerhin 150 Millionen Euro erhöhen. Sie das, was Sie öffentlich fordern, finanzieren wollen. Ich sage das deshalb, weil in einer vorangegangenen De- Das wäre ein hilfreicher Beitrag der Linken zur Parla- batte ein Oppositionskollege gesagt hat, wir würden die mentsdebatte. Bisher haben Sie sich das aber nicht ge- Mittel für das Marktanreizprogramm kürzen. Im Haus- traut. Sie fordern uns zwar immer wieder auf, mehr zu halt für 2008 mag das so aussehen, weil für das Markt- tun, aber vor Ort verlangen Sie dann mehr Verschmut- anreizprogramm 44 Millionen Euro weniger als 2007 ver- zungsrechte für die Braunkohle. Das ist doch die Politik anschlagt sind. Da wir aber beabsichtigen, dies aus den der Linken zum Klimaschutz. Mitteln für die nationalen Klimaschutzprogramme – dafür (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gibt es 400 Millionen Euro – um 150 Millionen Euro auf- zustocken, reden wir in Wahrheit über eine Erhöhung der Des Weiteren wollen wir den Anteil der Biokraft- Mittel für das Marktanreizprogramm für erneuerbare stoffe auf immerhin 17 Prozent erhöhen. All das, was Wärme um mehr als 100 Millionen Euro. Ich glaube, wir in Meseberg beschlossen haben – die Umstellung der auch das ist ein Beweis, dass Klimaschutzpolitik und er- Kfz-Steuer, die Verschärfung der energetischen Anforde- neuerbare Energien eindeutig zur Habenseite der Großen rungen in der Energieeinsparverordnung um 30 Prozent, Koalition gehören. die Weiterentwicklung des Gebäudesanierungsprogramms und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz – wird die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Regierung im Herbst dieses Jahres als Gesetzespaket ins Kabinett einbringen. Hinter diesen Zahlen – Haushaltspolitik ist ja sozusa- gen in Zahlen gegossene Politik – steht natürlich ein Das heißt, die Regierungsbeschlüsse sollen in die ent- konkretes Programm zur Umsetzung der anspruchsvol- sprechenden Rechtsverordnungen und Gesetzgebungs- len Klimaschutzziele. Wir haben hier nicht nur mit der verfahren im Parlament münden, und zwar bevor wir uns Regierungserklärung vom April deutlich gemacht, wo zur internationalen Klimakonferenz nach Bali begeben. die Messlatte hängt, sondern auch mit den Ergebnissen Das ist von großer Bedeutung, weil wir dort zeigen wol- des Energiegipfels. Die Bundesregierung will die inter- len, dass wir nicht nur von anderen fordern, sich auf den nationalen Klimaschutzverhandlungen auf Bali Ende Weg zu machen, sondern dass wir auch bereit sind, das Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11425

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) bei uns umzusetzen, um zu zeigen, dass wirtschaftlicher nicht über das, was ich eben gesagt habe. Wenn ich euch (C) Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum, zusätzliche schon lobe, dann sollt ihr euch auch darüber freuen. Arbeitsplätze und Klimaschutz selbstverständlich mit- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. einander vereinbar und in Wahrheit zwei Seiten einer Medaille sind. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich glaube, dass man auf dieses Paket der Bundes- regierung mit Blick auf das, was andere bislang auf den Vizepräsidentin Petra Pau: Weg gebracht haben, sehr stolz sein kann. Wir wissen, Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Michael dass wir von den 40 Prozent bis 2020 mit dem Klima- Kauch das Wort. paket „nur“ 35 bis 36 Prozent abbilden können. Die (Beifall bei der FDP) übrigen 4 bis 5 Prozent werden wir in den Beratungen der kommenden Jahre über die Fragen, welche Förder- programme wir zusätzlich auf den Weg bringen können, Michael Kauch (FDP): was im Gebäude- und Energiebereich weiter zu tun ist Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Glos ge- und wie wir mit der dritten Handelsperiode im europäi- gen Gabriel, das war das Schauspiel, das uns die Regie- schen Emissionshandel vorankommen, angehen müssen. rung in der Sommerpause geboten hat. Dann kam der Aber 90 Prozent unseres Ziels bilden wir mit dem Mese- Showdown in Meseberg, und der scheinbare Durchbruch berger Klima- und Energiepaket ab. Es kommt jetzt da- erfolgte. Ein integriertes Klimaschutz- und Ener- rauf an, dieses Paket im Deutschen Bundestag zu be- gieprogramm wurde uns versprochen und aufgetischt. schließen. Die Finanzierung der 90 Prozent ist durch den Wenn man es sich aber genau anschaut, dann stellt man Haushaltsplanentwurf gesichert. Das belegt, dass wir fest, dass es sich leider um einen faulen Kompromiss nicht nur darüber reden, was wir wollen, sondern auch handelt. mit dem Haushaltsplanentwurf entsprechende Finanzie- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rungsvorschläge vorlegen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie werden feststellen – vielleicht kann das auch der Die Umweltverbände haben recht: Das Verfehlen der eine oder andere Beobachter des Gleneagles-Dialogs, ei- Klimaziele ist durch zahlreiche Hintertüren vorprogram- ner Tagung mit den 20 größten CO2-Emittenten, bestäti- miert. In der Welt mahnend vor den Gletschern in die gen, die soeben in Berlin zu Ende gegangen ist –, dass Kameras schauen, das ist das eine. Das andere ist, die das international große Aufmerksamkeit verursacht hat. Versprechen, die man den Bürgern gegeben hat, zu hal- Es gibt weltweit kein anderes Land, das seine klimapoli- ten. Ich habe meine Zweifel, ob das mit dem vorgelegten tischen Vorstellungen – selbst wenn sie ähnlich ambitio- (B) Programm gelingen wird. (D) niert sind wie die deutschen – in einen konkreten Instru- menten-, Methoden- und Maßnahmenkatalog umgesetzt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hat. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur im des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hinblick auf ihre Zielsetzungen weltweit führend, son- Noch etwas anderes ist kritikwürdig. Schwarz-Rot dern auch hinsichtlich ihrer Bereitschaft, diese mit finan- setzt bei diesem Programm vor allem auf Dirigismus und ziellen Mitteln und konkreten Maßnahmen zu unterle- Subventionen und nicht auf marktwirtschaftliche An- gen. reize. Minister Gabriel hat ein staatsorientiertes Pro- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gramm vorgelegt. Das Ergebnis ist, dass der Klima- schutz unnötig teuer und bürokratisch gemacht wird. Dafür, dass daran alle mitgewirkt haben, möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Das gilt insbesondere für (Beifall bei der FDP) die Koalitionsfraktionen, ohne deren finanzielles An die Adresse der Union muss man die Frage stellen, Backing auch in der Debatte um die Auktionierung wir was denn eigentlich der Wirtschaftsminister in diesem das nicht ermöglicht hätten. Ich richte den Dank aber Prozess gemacht hat. Statt klare Gegenmodelle zu lie- auch ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen im fern, hat er schrittweise vor allem für neue Ausnahmere- Kabinett, die Klimaschutz nicht allein als Aufgabe des gelungen im Regierungsprogramm gesorgt in der Hoff- Umweltministers begriffen haben, sodass wir mit dem nung, damit die Kosten zu senken. Das Ergebnis sind Kollegen Tiefensee, der Forschungsministerin und dem mehr Bürokratie und mehr Willkür. So endet ein Wirt- Kollegen Glos zusammengearbeitet haben, der mit mir schaftsminister der Union, dem ein klares ordnungspoli- um den richtigen Weg gerungen hat, weil er aus seiner tisches Konzept für den Klimaschutz völlig fehlt. Sicht nicht nur für Effizienz im Klimaschutz sorgen will, sondern auch – das ist völlig klar – für Effizienz in der (Beifall bei der FDP) Frage der Kosten. Nehmen wir als Beispiel die erneuerbare Wärme. Ich schließe aber auch ausdrücklich den Finanzminis- Hausbesitzer werden zur Nutzung der erneuerbaren ter in den Dank ein, der an dieser Stelle ebenfalls gese- Wärme verpflichtet, egal wie hoch die Kosten für das hen hat, dass neben dem Konsolidierungskurs dieses einzelne Gebäude sind. Es ist aber ein Unterschied, ob neue Politikfeld mit finanziellen Mitteln unterlegt wer- man eine Solaranlage in Flensburg oder in Freiburg be- den muss. Es war, glaube ich, eine gute Gesamtleistung treibt; der Output ist unterschiedlich hoch. Das müsste des Kabinetts. Herzlichen Dank an alle Kolleginnen und man berücksichtigen. Außerdem ist Ihr Programm an Kollegen dafür. Hoffentlich lästert der Staatssekretär dieser Stelle erneut bürokratisch; denn wenn man eine 11426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Michael Kauch (A) Nutzungspflicht für jeden Standort in Deutschland fest- sitätsstrategie fehlen nachprüfbare Indikatoren. Zu der (C) legt, dann braucht man auch eine umfangreiche Kon- Lärmbelastung der Anwohner von Schienenstrecken trollbürokratie, letztlich in jedem Haushalt. Vielleicht fällt Ihnen erneut nichts anderes als ein Subventionspro- kann der GEZ-Kontrolleur hier eine Vorbildfunktion ha- gramm ein. Sie lehnen lärmabhängige Trassenpreise ab. ben. Herr Gabriel, das sind die Stiefkinder des Umwelt- (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) schutzes. Ich würde mich freuen, wenn wir auch hierzu etwas hören würden; denn auch hierfür beantragen Sie Gleichzeitig wird das Konzept durch zahlreiche Härte- Geld im Bundeshaushalt 2008, das wir Ihnen genehmi- fall- und Ausweichklauseln zerlöchert. Beamte werden gen sollen. einmal so oder einmal so entscheiden. Das ist ein Schlag gegen die Rechtssicherheit. Damit erweisen Sie der Vielen Dank. Markteinführung erneuerbarer Energien einen Bären- (Beifall bei der FDP) dienst. (Ulrich Kelber [SPD]: Warum hat die FDP in Vizepräsidentin Petra Pau: Baden-Württemberg zugestimmt?) Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Katherina Reiche das Wort. Dass die Bundesregierung selbst nicht an den Erfolg ihres Konzeptes glaubt, zeigt die Tatsache – der Minister (Beifall bei der CDU/CSU) hat es angekündigt –, dass erneut 350 Millionen Euro mehr für Subventionen eingestellt werden sollen. Ich Katherina Reiche (Potsdam) (CDU/CSU): erinnere daran, welches der Ausgangspunkt war, an das, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! was wir alle gemeinsam beim Thema erneuerbare Seit gestern beraten in Berlin die Energie- und Umwelt- Wärme erreichen wollten, nämlich ein Förderinstrument minister aus den 20 wichtigsten Energieverbrauchslän- zu schaffen, unabhängig vom Bundeshaushalt. Das Ge- dern über Strategien für einen nachhaltigen Umbau ihrer genteil wird mit diesem Bundeshaushalt erreicht. Energiesysteme. Im Mittelpunkt steht ganz klar die Ver- besserung der Energieeffizienz. Es geht also darum, wie (Beifall bei der FDP) wir zukünftig Wachstum haben können und trotzdem Ein anderer Punkt. Die vom Umweltminister befür- weniger Energie verbrauchen. Bundeswirtschaftsminis- wortete Nebenkostenkürzung im Mietrecht ist in der Tat ter Glos hat hierzu treffende Worte gefunden. Ich zitiere ein gutes Programm für Anwälte und Prozesshanseln, ihn: die gerne zu den Gerichten laufen. Es ist aber kein Pro- Klimaschutz, Energieversorgungssicherheit und (B) gramm, das der Verbesserung der Energieeffizienz dient. Wirtschaftlichkeit können gleichzeitig erreicht wer- (D) Besser wäre es, Vermietern zu ermöglichen, Betriebs- den. Der Schlüssel dazu sind insbesondere effizi- kosteneinsparungen zu garantieren und im Gegenzug die ente Energietechnologien, mit denen wir den besten Investitionen bis zur Höhe der Einsparungen auf die Klimanutzen bei größtmöglicher Kosteneffizienz Miete umzulegen. Das nützte sowohl Vermietern als erreichen. auch Mietern und wahrte den Rechtsfrieden in Deutsch- land. Ich glaube, dass dieses Ministertreffen ein wichtiges Signal aussendet und eine wichtige Vorarbeit zu der (Beifall bei der FDP) schon vom Bundesumweltminister erwähnten UN-Kli- makonferenz im Dezember in Bali leistet. Dort wird sich Interessant ist, was in Meseberg nicht beschlossen entscheiden, ob die Weltgemeinschaft die Kraft findet, wurde. Zum Beispiel wurde keine klare Linie festgelegt, an einem Strang zu ziehen, damit wir die Weichen für die deutlich macht, wie die Bundesregierung im EU- ein Kioto-Nachfolgeabkommen für die Zeit nach 2012 Ministerrat verhandeln will, wenn es um die Weiterent- stellen. Das ist eine ganz große Herausforderung, weil wicklung des Emissionshandels in der EU nach 2012 die Interessen der Staaten divergieren. geht. Die EU-Kommission hat angekündigt, dass sie bald Vorschläge machen will. Die Bundesregierung Ich möchte deshalb der Bundeskanzlerin ganz herz- sollte eigentlich sagen, wie sie dazu steht. Wir als FDP lich für ihr Klimaschutzengagement danken. sagen ganz klar: Wir wollen eine Ausweitung des Emis- (Beifall bei der CDU/CSU) sionshandels auf die Bereiche Wärme und Verkehr, wir wollen eine weitgehende Versteigerung der Emissions- Ihr ist es wie keiner Politikerin vorher gelungen, den zertifikate, und vor allen Dingen wollen wir ein Ende der Klimaschutz ganz oben auf die internationale Agenda zu Kleinstaaterei in diesem Politikfeld. Wir brauchen ein- setzen. Sowohl während der deutschen EU-Ratspräsi- heitliche Regelungen und einheitliche Allokationspläne dentschaft und des Vorsitzes der G 8 als auch bei der auf europäischer Ebene. letzten Asienreise der Bundeskanzlerin hat der Klima- schutz eine große Rolle gespielt. Die Menschen haben (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ihr zugehört, das Thema steht ganz oben auf der Agenda, und das hilft auch uns hier in Deutschland bei der Um- Andere ökologische Probleme blendet der Umwelt- setzung dessen, was unter anderem in Meseberg verein- minister aus. Die Frage der nuklearen Endlagerung wird bart wurde. nur ansatzweise angegangen. Der Entwurf über Rege- lungen für die Feinstaubbelastung durch Holzheizungen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- liegt seit Monaten auf Eis. Bei der geplanten Biodiver- neten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11427

Katherina Reiche (Potsdam) (A) Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer müs- her kommen. Das ist gerade nicht die von Ihnen, Herr (C) sen beim Klimaschutz an einem Strang ziehen. Nur dann Kauch, angesprochene Subventionierung, sondern es werden wir erfolgreich sein. Bundespräsident Köhler hat sind marktwirtschaftliche Instrumente. Darauf sind wir diese Länder bei einer Rede in Schanghai im Mai dieses stolz. Jahres als „Schicksalsgemeinschaft“ bezeichnet. Ich (Beifall bei der CDU/CSU) glaube, er hat recht. Nehmen wir zum Beispiel China: China ist weltweit der zweitgrößte Emittent von Treib- Für uns stehen folgende Leitlinien im Vordergrund: hausgasen und wird die USA weit überholen. Es ergibt Kosten und Nutzen müssen in einem vernünftigen Ver- sich aber ein differenziertes Bild, wenn man den Pro- hältnis stehen. Aufwand und Ertrag müssen stimmen. Kopf-Ausstoß betrachtet: 3,5 Tonnen CO2 pro Einwoh- Stellt sich heraus, dass eine Maßnahme keinen nennens- ner in China, 10 Tonnen in Europa und 20 Tonnen in den werten Fortschritt beim Klimaschutz erzielt, aber dazu USA. Dass man über diese unterschiedlichen Emissions- führt, dass die Bürger übermäßig belastet sind, dann niveaus nicht einfach hinweggehen kann, versteht sich müssen Alternativen auf den Tisch. Auch darüber muss eigentlich fast von selbst. Deshalb war es wichtig und man reden. Aber eine Kosten-Nutzen-Analyse berück- richtig, dass Angela Merkel auf ihrer Asienreise dieses sichtigt eben auch Arbeitsplatzeffekte, Exportchancen Thema auf die Agenda gesetzt und den Vorschlag ge- sowie Technologie- und Entwicklungspotenziale. macht hat, den Pro-Kopf-Ausstoß als Maßstab zu disku- tieren. Das ist ein wichtiges Signal an die Schwellenlän- Klimaschutz – das muss klar sein – wird es nicht zum der, dass wir ihre Bedenken ernst nehmen. Dieser Ansatz Nulltarif geben. Wir werden investieren müssen, und lässt sich nicht von heute auf morgen umsetzen, aber wir diese Investitionen werden sich auszahlen. Davon bin sollten ihn weiter verfolgen. ich überzeugt. Denn wenn es gelingt, weniger Energie zu verbrauchen, sinken unsere Energiekosten und unsere Die wichtigste Aufgabe der Europäer, auch von uns Abhängigkeit von Energieimporten. Deutschen, wird meines Erachtens sein, dass wir eine Es stehen noch in diesem Halbjahr einige große Vorbildfunktion und eine Vorreiterrolle zum Beispiel Gesetzesvorhaben an. Ich nenne nur das Erneuerbare- bei der Technologieentwicklung und bei dem Einsatz Energien-Gesetz, mit dem wir die Weichen für einen und Export erneuerbarer Energien einnehmen. Wir müs- weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien stellen, ins- sen zeigen, dass Energieversorgung und Klimaschutz so- besondere bei der Stromerzeugung. Herr Gabriel hat er- wie Wohlstand zwei Seiten einer Medaille sind. wähnt, dass wir uns einen Anteil von 30 Prozent bis zum Man muss sich – wie im Sport – Ziele setzen. Damit Jahr 2020 vorgenommen haben, was sehr ehrgeizig ist. wir vorankommen, brauchen wir ehrgeizige Ziele. Im Wir müssen zudem die Kosten für die Verbraucher be- Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der rücksichtigen. Die Grundstruktur des EEG wollen wir (B) (D) G 8 ist es unter dem Vorsitz von Angela Merkel gelun- erhalten, aber es muss auch marktwirtschaftliche und gen, wichtige Pflöcke einzuschlagen. Nun müssen die wettbewerbsorientierte Elemente im EEG geben. vereinbarten Ziele umgesetzt werden. Es gibt inzwischen überförderte Bereiche. Das hängt Auf der Klausurtagung in Meseberg – das ist schon sicherlich damit zusammen, dass einige Technologien angesprochen worden – hat die Bundesregierung ein ehr- sehr viel schneller wachsen, als wir alle das vermutet ha- geiziges Energie- und Klimaprogramm beschlossen. Ich ben. Das ist gut und zeigt, dass das EEG gewirkt hat. glaube, dass die recht hat, wenn sie das Aber aus diesem Grund bedarf es Anpassungen, über die als „Fitnessprogramm“ bezeichnet. Die Financial Times wir zu reden haben werden. schrieb am 28. August 2007: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) So viel Umbau war nie. Werden die Maßnahmen Es gilt der Grundsatz: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. verwirklicht, wird Deutschland im Jahr 2020 nur Dieser Grundsatz gilt für die gesamte Energiepolitik. noch rund 730 Millionen Tonnen Treibhausgase Deshalb empfinde ich die jüngsten Diskussionen zur ausstoßen, verglichen mit rund einer Milliarde Ton- Kernenergie als unglücklich. Die Sicherheit der deut- nen heute. Pro erwirtschaftetem Euro wird die deut- schen Kernkraftwerke steht nicht infrage. sche Wirtschaft deutlich weniger, vielleicht sogar nur halb so viel Energie verbrauchen und bezahlen (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Da müssen Sie müssen. einmal zu Ihrem Minister hinüberblicken! Das glaubt der Ihnen auch nicht so recht!) Wir als Unionsfraktion haben übrigens schon im April dieses Jahres ein sehr ehrgeiziges Papier verab- Wenn dem tatsächlich so wäre, hätten die Behörden schiedet. Viele Elemente, die wir im April aufgeschrie- längst handeln und Anlagen endgültig vom Netz nehmen ben haben, finden sich heute im Klimaprogramm der müssen. Alle Kernkraftwerke in Deutschland, egal wie Bundesregierung; darüber sind wir natürlich sehr froh. alt sie sind, müssen dieselben Sicherheitsanforderungen Ich nenne als Beispiele die Fortführung des CO2-Gebäu- erfüllen. Das Alter allein ist nicht der Sicherheitsmaß- desanierungsprogramms, die Aufstockung des Marktan- stab. reizprogramms und die Verbesserung der Energieeffizi- (Dr. [DIE LINKE]: Klop- enzstandards. Diese Punkte unterstützen wir unter fen Sie auf Holz!) anderem deshalb, weil ihnen eines gemeinsam ist: die Marktnähe. Wir vertrauen darauf, dass Verbraucher und Ich gebe sofort zu, dass die Kommunikation der Be- Wirtschaft durch staatliche Unterstützung einander nä- treiber im Sommer äußerst mangelhaft war. Aber wenn 11428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Katherina Reiche (Potsdam) (A) die Antwort der Politik Populismus ist, dann erreichen schaftsminister Glos hat eben wenige Ambitionen, sich (C) wir auch keine zukunftsweisende Energiepolitik. Auch mit Stromkonzernen, Hauseigentümern und Automobil- diesbezüglich brauchen wir wieder mehr Sachlichkeit. herstellern wirklich ernsthaft anzulegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) neten der FDP) Das zeigen auch zahlreiche Ausnahmeregelungen und Ich möchte noch einmal das Thema eines Endlagers unklare Fristen, die das Ganze aufweichen. Herr Kauch, ansprechen. Die Entscheidung für Schacht Konrad steht Sie haben das kritisiert: Das ist kein Bürokratismus, son- nun fest. Wir als Union werden bei den Haushaltsbera- dern das ist einfach eine Notwendigkeit. tungen darauf achten, dass im Haushalt die Vorausset- Zudem: Wer quasi sämtliche Maßnahmen ausdrück- zungen dafür geschaffen werden, dass dieses Endlager lich unter Finanzierungsvorbehalt stellt, muss sich nicht genutzt wird. Ich bin mir sicher, dass wir bei der Be- wundern, wenn das Ganze als reines Ankündigungsfeu- handlung dieser Fragen einen gewaltigen Schritt nach erwerk wahrgenommen wird. Ob es am Ende als solches vorn machen. weitgehend verpufft oder ob das Programm tatsächlich Ein letztes Thema. In dieser Woche beginnt in Frank- eine Kurskorrektur in der Klimapolitik der Bundes- furt die IAA. Sie steht in diesem Jahr unter dem Motto regierung bedeutet, wird nicht zuletzt der nächste Bun- „Sehen, was morgen bewegt“. Die Automobilbranche ist desetat zeigen. Im vorliegenden, vor der Sommerpause in den letzten Wochen und Monaten oft hart kritisiert erstellten Entwurf steht dazu noch nichts. Ich hoffe, da worden. Das Zeichen, das der neue Präsident des Ver- wird nachgebessert. Die neuen Zahlen werden auf den bandes der Automobilindustrie, , ge- Tisch kommen, und wir wünschen uns diesbezüglich ei- setzt hat, ist wichtig: Auch die Automobilindustrie in niges, ganz klar. Weil wir diese Zahlen eben noch nicht Deutschland will in der Klimadebatte in die Offensive detailliert diskutieren können, möchte ich noch einmal gehen. Dieses Signal ist deshalb wichtig, weil unsere auf das Klimaschutzprogramm zu sprechen kommen. Automobilindustrie eine Schlüsselindustrie ist. Wenn sie Ursprünglich war vorgesehen, einen Ersatz der strom- jetzt ansetzt, beim Klimaschutz zu überholen, dann wer- fressenden Nachtspeicheröfen vorzuschreiben. Das den wir sie dabei unterstützen. sollte mit klar festgelegten Fristen und finanzieller Un- Vielen Dank. terstützung geschehen. An dieser Stelle hätte ich gesagt: Bravo, sinnvoll, richtig. Doch das Glos-Ministerium hat (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- später leider Befreiungs- und Härtefallregelungen hi- neten der SPD) neinverhandelt und zudem die Fristen im Unklaren ge- lassen. (B) Vizepräsidentin Petra Pau: (D) Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Eva (Ulrich Kelber [SPD]: Das sind die Bayern Bulling-Schröter das Wort. halt!) (Beifall bei der LINKEN) Vor allem aber soll nun erst einmal eine Selbstver- pflichtung der Wirtschaft geprüft werden, Nachtspei- cheröfen gegen Wärmepumpen auszutauschen. Selbstver- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): pflichtungen werden in der Regel – darüber haben wir Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schon des Öfteren diskutiert – nicht eingehalten, auch Zuerst einmal möchte ich sagen, dass ich mich über das nicht von der vielgelobten Automobilindustrie, die hier Klimaschutzprogramm sehr gefreut habe. gerade gepriesen wurde. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Wir brauchen also klare Regelungen und klare Fris- Durch den zweiten Blick wurde meine Freude allerdings ten. Die Haushalte derjenigen, die die Umstellungen etwas getrübt, und zwar nachhaltig. Mit dem Energie- durchführen wollen und eben nicht das notwendige Geld und Klimaschutzprogramm will die Bundesregierung im haben, müssen finanzielle Unterstützung bekommen. Vergleich zu 1990 den Ausstoß von Kohlendioxid bis Wir wollen wissen, wie es mit dem Emissionshandel ab 2020 um 40 Prozent senken. 2012 weitergehen soll, Stichwort „100-prozentige Ver- steigerung“. Wir wollen noch einmal über die Sonderge- (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist ein Beitrag winne, über die Windfall-Profits, über CDM und über dazu!) anrechenbare Klimaschutzprojekte in Dritte-Welt-Län- Sie räumt aber selbst ein, dass damit nur rund 35 Prozent dern diskutieren. Wir haben dazu eine Anhörung durch- zu schaffen sind. Auch das wäre schon revolutionär, geführt, und es waren eben keine „Linksradikalinskis“, sondern gestandene Marktwirtschaftler, die sich für (Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD] diese Projekte eingesetzt haben. Ich bitte Sie, sich die entsprechenden Unterlagen anzuschauen; sie befinden und es würde weit über das hinausgehen, was Rot-Grün sich in meinem Büro. damals geschafft und bewegt hat. (Heiterkeit bei der LINKEN) Umweltverbände und Wissenschaftler sind allerdings weitaus skeptischer, was die Wirkung des aktuellen Minister Gabriel hat uns vorgeworfen, wir würden Pakets angeht; schließlich wurde an vielen wichtigen das Geld zweimal ausgeben, wir seien populistisch. Die Stellschrauben nicht oder nur wenig gedreht. Wirt- Vorgaben wurden in der Sommerpause schriftlich an alle Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11429

Eva Bulling-Schröter (A) Sozialdemokraten gegeben. Ich kann hier nur sagen: Wir (Ulrich Kelber [SPD]: Das ist vorsichtige (C) wissen schon, woher das Geld kommen könnte. Ich Haushaltsführung!) nenne die Windfall-Profits oder auch die Ökosteuerpri- vilegien, die 3,3 Milliarden Euro ausmachen. Da kann Wenn man das alles zusammenrechnet, kommt man ich mir sehr vieles vorstellen. Wir wollen das Geld nicht auf 1,6 Milliarden Euro Steuergelder, die im Haushalts- zweimal ausgeben, sondern an der richtigen Stelle. jahr 2008 von der Regierung ausgegeben werden sollen. Da gibt es aber noch drei Vorbehalte. Wenn Sie einmal Ganz zum Schluss noch: Holen Sie Soldaten aus Af- genau hinschauen, stellen Sie das fest. Der größte Teil ghanistan heim! Auch das wäre Klimaschutz. Am Sams- dieses Geldes wurde erstens schon in Programmen im tag ist die große Demo. Auch damit könnten wir Geld letzten Haushaltsjahr ausgegeben – das ist eigentlich ge- einsparen. nau das Gleiche –, oder die Gelder stehen zweitens unter einem Finanzierungsvorbehalt von Steinbrück, oder es (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) gibt drittens noch ein Kosten-Nutzen-Gutachten von Wir machen Vorschläge. Wir sind nicht populistisch, Minister Glos. auch wenn Sie es noch hundertmal sagen. (Ulrich Kelber [SPD]: Das letzte ist (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der irrelevant!) CDU/CSU: Populismus!) Da können wir alle uns vorstellen, wie das am Ende aus- sieht. Vizepräsidentin Petra Pau: Ernst gemeinter Klimaschutz, meine Damen und Her- Das Wort hat die Kollegin Anna Lührmann für die ren, sieht anders aus. Ihr Verständnis von Klimaschutz Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. an der Stelle ist: viel heiße Luft statt konkreter Taten. Ich möchte Ihnen sagen: Die globale Erderwärmung wartet Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht auf den schwerfälligen Tanker der Großen Koali- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und tion, darauf, dass sich Glos und Gabriel mal einigen; wir Kollegen! Hier wurde heute schon sehr viel vom Klima- müssen jetzt handeln. schutz geredet. Nur, was steckt wirklich dahinter? Was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) steht wirklich im Bundeshaushalt und nicht nur in den Redemanuskripten der Großen Koalition? Deswegen wollen wir grüne Haushälter der Regierung einmal konkret zeigen, wie substanzieller Klimaschutz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aussehen soll. Wir werden einen Klimaschutzhaushalt (B) sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP]) aufstellen, in dem mit konkreten Haushaltsanträgen be- (D) In Meseberg haben Sie stolz verkündet, jetzt ein Kli- legt wird, wie man die Ausgaben für Klimaschutz mehr maschutzprogramm im Umfang von 2,6 Milliarden Euro als verdoppeln kann. auflegen zu wollen. Das war das Ergebnis – Sie erinnern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sich vielleicht noch, meine Damen und Herren – eines Ulrich Kelber [SPD]: Wie man verdoppeln lang inszenierten Streits zwischen Herrn Gabriel und kann, wissen wir auch!) Herrn Glos. Ich habe einmal in den Bundeshaushaltsent- wurf vom Juni – das war deutlich vor Meseberg – ge- Wir wollen 2 Milliarden Euro zusätzlich für Klima- schaut. Darin standen auch 2,6 Milliarden Euro. Wo- schutz ausgeben. Dabei geht es um Stichworte wie einen rüber haben sich die beiden Herren also gestritten? Ich Stromsparfonds für energieeffiziente Geräte, Klima- würde sagen: Das Klimaschutzprogramm von Mese- forschung, Ökobeschaffung, Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge berg ist nichts anderes als alter Wein in neuen Schläu- und andere Projekte, auf die wir in den Haushaltsbera- chen. tungen ganz konkret eingehen werden. (Ulrich Kelber [SPD]: Alter Wein in neuen Das Beste an diesem Klimaschutzhaushalt ist aber Schläuchen schmeckt lecker!) – darauf bin ich als Haushaltspolitikerin besonders stolz –, dass die Ausgaben für Klimaschutz auch mehr als ge- Außerdem muss man bei diesen 2,6 Milliarden Euro genfinanziert sind. Wir machen konkrete Vorschläge für zwei Projekte eindeutig sozusagen in Klammern setzen. den Abbau von ökologisch schädlichen Subventionen in Das erste ist das Gebäudesanierungsprogramm. Wer sich der Finanzplanperiode von insgesamt mehr als 21 Mil- die Summen, die die Regierung angibt, genau anschaut, liarden Euro. Es sind drei konkrete Punkte: der Abbau stellt fest: Da werden Ausgaben, die in künftigen Haus- von Subventionen für die stark stromverbrauchende In- haltsjahren für das Gebäudesanierungsprogramm getä- dustrie – das sind 1,2 Milliarden Euro allein im nächsten tigt werden, zusammengerechnet. Es wird so getan, als Haushaltsjahr –, die Streichung der Subventionen für würde man das auf einmal ausgeben. Dabei geht es um Kerosin und für die Luftfahrtindustrie von 900 Millionen 600 Millionen Euro. Euro allein im nächsten Haushaltsjahr sowie eine Redu- zierung und ökologische Reform des Dienstwagenprivi- Das Zweite, was ich in Klammern setzen muss, sind legs; das heißt, dass dicke Chefdreckschleudern in die Einnahmen aus dem Emissionshandel. Da setzt die Zukunft nicht mehr vom Steuerzahler subventioniert Regierung nur die Hälfte des Betrages an, von dem die werden sollen. Experten momentan, gemessen an den aktuellen Future- Preisen, ausgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Anna Lührmann (A) Das sind drei konkrete Beispiele, mit denen wir klarma- deutig, klar und präzise dargelegt hat, wie viele Milliar- (C) chen wollen, dass die Regierung viel vom Klimaschutz den wir über die Ministerien hinweg jetzt schon für den redet, aber ganz konkret immer noch Geld für Klimaver- Bereich Klimaschutz, CO2-Minderung und alles, was schmutzung ausgibt. Dieser Zustand muss endlich been- damit zusammenhängt, ausgeben. Dass Sie das so det werden. penetrant ignorieren, finde ich schon bemerkenswert. Ich bin deshalb jetzt schon gespannt, wie Ihr Klimaschutz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – programm dann tatsächlich aussehen wird. Ulrich Kelber [SPD]: Die Bundesratsmehrheit dafür organisieren Sie auch?) Nun zu den Rahmendaten des uns hier jetzt vorlie- genden Entwurfs zum Haushalt 2008: Wir beraten über – Für eine Große Koalition sollte das Organisieren einer ein Haushaltsvolumen von 845,6 Millionen Euro. Hier Bundesratsmehrheit doch wirklich kein Problem sein, kann ich als Haushälterin sehr stolz sagen: Wieder ein- Kollege Kelber. mal wurde – das steht in Kontinuität zu den früheren Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Jahren – genau bei dem Ressort draufgesattelt, in dessen Koalition, Sie haben jetzt die große Chance, zum Bei- Zuständigkeitsbereich tatsächlich Innovationen stattfin- spiel indem Sie eine Bundesratsmehrheit organisieren, den und Arbeitsplätze geschaffen werden. Hierzu kann zu zeigen, dass Sie es wirklich ernst meinen mit dem ich nur sagen: Wir haben in den zurückliegenden Jahren Klimaschutz und Ihre Reden hier im Plenum nicht nur kontinuierlich die richtigen Prioritäten gesetzt, und an heiße Luft sind, sondern ihnen auch konkrete Taten fol- diesen orientiert sich die Koalition auch weiterhin. gen. Wir werden Ihnen dafür in den Haushaltsberatun- gen ganz konkrete Anregungen geben. Wie immer gilt: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das Kopieren unserer Anträge ist ausdrücklich er- der CDU/CSU) wünscht. Man könnte zum Haushalt auch Folgendes sagen: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) keine Überraschungen, eher konsequentes Handeln. So war es auch im zurückliegenden Halbjahr: Wir haben viele Themen und viele Projekte seit den ersten Beratun- Vizepräsidentin Petra Pau: gen des Haushalts bis zur heutigen ersten Lesung des Das Wort hat die Kollegin Petra Hinz für die SPD- Haushalts eingebracht, und zwar Projekte in den Berei- Fraktion. chen Umwelt, Energie und Naturschutz. Wir haben ganz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten neue Berufsfelder entwickelt bzw. zumindest dafür die der CDU/CSU) Rahmenbedingungen geschaffen. Ich selber habe mich am Montag in der Arbeitsagentur meines Wahlkreises (B) überzeugt. Dort hat man mir gesagt, dass es mit unseren (D) Petra Hinz (Essen) (SPD): Anreizprogrammen – es geht also nicht um Subven- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tionsprogramme! – gelungen ist, ganz neue Felder zu er- Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist eigentlich be- schließen. Die Industrie macht davon sehr intensiven schämend für die Opposition: Seit einem halben Jahr re- Gebrauch. Wenn auch Sie, Frau Flach, das Gespräch mit den wirklich alle, seien es Industrievertreter, Verbrau- der Agentur gesucht haben, dann wissen Sie, dass gerade cher, wir Parlamentarier, die Bundesregierung oder die in unserer Region Essen/Mülheim (Ruhr) in Form der Landesregierungen, vom Klimaschutz. Die Opposition Schaffung neuer Berufe zukunftsweisende Wege be- hat jetzt in der ersten Lesung des Haushalts nichts ande- schritten werden. res zu tun, als darüber zu sprechen, worüber man noch hätte reden können. Die EU-Ratspräsidentschaft und der G-8-Gipfel wa- ren erfolgreich. Es ist nicht so, wie die Opposition es (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hier darzustellen versucht, dass es einfach nur viele Ver- Wäre es nicht viel besser, Sie würden das anerkennen sprechungen gegeben hat und dass alles heiße Luft war. und das honorieren, was jetzt tatsächlich in diesem hal- Nein, die Konferenzen haben Erfolge mit sich gebracht, ben Jahr auf den Weg gebracht worden ist? die natürlich viele Mütter und Väter haben. Natürlich gibt es immer eine oder zwei Personen, die das nach (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) vorne tragen. Aber ich möchte auch das herausstreichen, Zu Ihnen, Frau Lührmann: Ich finde es schon interes- was unser Parlament im Vorfeld der EU-Ratspräsident- sant, dass Sie als Haushälterin ein Klimaschutzpro- schaft und des G-8-Gipfels auf den Weg gebracht hat. gramm in unsere Haushaltsberatung einbringen wollen. Denn nicht nur die Regierung hat ihren Beitrag geleistet, Ich frage mich da in der Tat, was Ihr Kollege oder Ihre wenn im Rahmen dieser Konferenzen gepunktet werden Kollegin im Umweltausschuss macht. Warum findet er kann, sondern auch wir, das Parlament. bzw. sie keine Möglichkeit, um sich dort konstruktiv ein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des zubringen, wo doch da derzeit die Themen beraten wer- Abg. Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]) den? Das finde ich schon sehr verwunderlich. Wir haben sowohl der Kanzlerin als auch dem Bun- (Michael Kauch [FDP]: Das können Sie doch desumweltminister im Rahmen der Haushaltsberatungen nicht wissen! Sie sind doch nie da!) 2007 einen ganz klaren Verhandlungsauftrag erteilt. Die Nach den bisherigen Beratungen zum Haushalt 2007 Ergebnisse haben wir in Heiligendamm und auch im wundert es mich noch mehr, zumal der Minister sehr ein- Rahmen der EU-Präsidentschaft deutlich gesehen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11431

Petra Hinz (Essen) (A) Einen Erfolg möchte ich besonders hervorheben, sprechen wir, fast inflationär, von Nachhaltigkeit. (C) nämlich dass wir einen weiteren Verbündeten im Klima- Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte schutz gewonnen haben, und zwar die USA, die den Pro- gleichberechtigt zu berücksichtigen. Zukunftsfähig wirt- zess als das zentrale Instrument anerkennen, um Klima- schaften bedeutet also: Wir müssen unseren Kindern und schutzmaßnahmen zu verabreden. Präzise gesagt ist das Enkeln ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomi- nicht die USA insgesamt – es gibt dort sehr viele Staa- sches Zusammenspiel hinterlassen. ten, die mit großem Know-how arbeiten und gerade in Der Rat für Nachhaltige Entwicklung wurde im April der Umwelttechnologie Fortschritte zu verzeichnen ha- 2001 von Gerhard Schröder berufen. Die Bundeskanzle- ben –, aber der Präsident hat sich in den zurückliegenden rin Frau Dr. Merkel hat die Strategie und die Arbeit des Jahren sehr zögerlich verhalten und in erster Linie seine Rates fortgesetzt. Eine gute Entscheidung; ich kann sie eigenen Interessen vertreten. dazu nur herzlich beglückwünschen. (Michael Kauch [FDP]: SPD-Verbot!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Staats- und Regierungschefs haben die Grundlage Denn dieser Rat schreibt uns für unsere Arbeit Verschie- für ein langfristiges Ziel geschaffen. Die Klimaerwär- denes ins Stammbuch. Er verfolgt weiterhin die Stand- mung ist Realität; ich glaube, darüber brauchen wir in punkte und Vereinbarungen von Rio und hat mit dazu dieser Debatte nicht mehr zu streiten. Auch in der inter- beitragen, dass das Thema Klimaschutz hier in dieser nationalen Klimaforschung besteht darüber keinerlei Form diskutiert wird. Zweifel. Selbst wenn wir sofort die Emissionen stoppen würden, würde der Meeresspiegel weiter ansteigen. Wir Unsere Leitidee ist eine nachhaltige Entwicklung. Sie haben in der Sommerpause viel darüber hören und lesen ist die Antwort auf die Herausforderung. Sie stellt nicht können. nur klare Reduktionsziele auf und konzentriert die tech- nologischen Stärken und das Know-how auf den Klima- Bei allen Herausforderungen sollte eines deutlich schutz, sondern eröffnet den Menschen auch die werden: dass wir in Deutschland Vorreiter in Sachen Perspektive von Sicherheit und Gerechtigkeit im Moder- Klimapolitik sind. Beim Blick nach vorn sollte man, ge- nisierungsprozess der Industriegesellschaften. rade in den Haushaltsberatungen, auch einmal zurück- schauen, um zu erkennen, wie lange manche Prozesse (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dauern. Jeder von Ihnen kann sich innerhalb seiner Frak- tion fragen, zu welchem Zeitpunkt er sich an welchem Dies möchte ich ganz besonders betonen. Ohne Kli- Ort hätte stärker einbringen können. Ich aus dem Ruhr- maschutz, ohne Rohstoffe und ohne gerechte Nahrungs- gebiet mittelverteilung gibt es auch keinen Frieden. Moderne Umweltpolitik und erfolgreiche Wirtschaftspolitik sind (B) (D) (Heiterkeit der Abg. Ulrike Flach [FDP]) keine Gegensätze. Viele Rednerinnen und Redner haben das vorhin schon deutlich gemacht. Ich sage es noch ein- – wir aus dem Ruhrgebiet, Frau Flach – kann sagen: Be- mal: Gerade in der Umweltpolitik stecken Innovationen reits im April 1961, also vor 46 Jahren, hat und neue Arbeitsplätze. Jeder Euro, den wir in den Be- gemahnt, der Himmel über der Ruhr müsse wieder blau reich des Klimaschutzes investieren, ist keine Subven- werden. Recht hat er gehabt! tion, sondern eine Anschubfinanzierung. Diejenigen, die (Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP] – Marie- die Programme abrufen, investieren ein Vielfaches. Dies Luise Dött [CDU/CSU]: Wir haben es ge- sollte man nicht schlecht- oder kleinreden. Vielmehr schafft!) brauchen wir dies in dieser Form. – Wir haben es gemeinsam geschafft. Dabei denke ich, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der dass Willy Brandt – ohne seine Bemühungen hintanstel- Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) len zu wollen – die Tragweite des Ganzen gar nicht so bewusst war. Kommen wir auf das 400-Millionen-Euro-Programm zu sprechen. Auch hier ist schon deutlich gemacht wor- Das galt natürlich für alle Ballungsräume weltweit, so den, in welchem Verhältnis die Mittel verausgabt werden zum Beispiel auch für London, in den 50er-Jahren der sollen: 280 Millionen Euro für nationale Maßnahmen, größte Smogverursacher. Zu dem Zeitpunkt gab es noch 120 Millionen Euro für internationale Maßnahmen. Wir keine CO2-Debatte; damals war noch nicht klar, wie sehr haben uns für die Koalition im Vorfeld darauf verstän- Industrie- bzw. Wohlstandsemissionen zu unserem digt, dass wir dem so, wie es hier diskutiert wird, zustim- Treibhausklima beitragen. men wollen. Wir erwarten aber eine Berichtspflicht. Wir erwarten, dass wir nachvollziehen können, wo die Gel- 1992 war die Rio-Konferenz, die eine weitere Phase der investiert werden. im Klimaschutz eröffnete. Ich komme noch einmal auf die internationale (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Frau Merkel!) Finanzierung zurück. Die globale Öffnung der Märkte Die Kommission hatte eindringlich auf den Handlungs- hat in einer Vielzahl von Schwellenländern für einen bedarf der internationalen Völkergemeinschaft hinge- fantastischen Aufschwung gesorgt. Wir wollen das; und wiesen. Dann folgten die Klimaschutzkonvention, die wir haben mit dafür gesorgt. China wird im Moment im- Artenschutzkonvention, die Walddeklaration und die mer wieder als Beispiel genannt, und auch ich möchte es Agenda 21; gerade dieses Programm wird in den Kom- nennen. Wenn sich deutsche Unternehmen aus der Was- munen sehr intensiv beraten und umgesetzt. Seit Rio serwirtschaft, aus der Autoindustrie oder egal welchem 11432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Petra Hinz (Essen) (A) Industriezweig in China niederlassen und dort nicht den auf 1,8 Milliarden Euro gekommen. Ich bin völlig Ihrer (C) Stand der Technik umsetzen, sondern den Stand des na- Meinung: Dieses Gutachten wird zeigen, was dabei he- tionalen Rechts, dann gibt das Anlass zu Fragen. Wir rauskommt. Es wäre interessant gewesen, wenn Sie uns könnten beim Klimaschutz schon viel weiter sein. Ich er- an dieser Stelle gesagt hätten, wann das Gutachten in warte, dass der Minister im Rahmen seiner Tätigkeiten Auftrag gegeben worden ist und wann wir mit einem Er- und im Rahmen von internationalen Konferenzen seinen gebnis rechnen können. Denn all dieses ergibt nur einen Einfluss entsprechend geltend macht. Sinn, wenn es zwischen den beiden Ministerien ver- nünftig abgestimmt worden ist und von der gesamten Es gibt darüber hinaus im Einzelplan noch andere Regierung getragen wird. Themen, etwa: die Bereiche Personal, Öffentlichkeits- arbeit, Endlager und Atomenergie, wobei die CDU nicht (Beifall bei der FDP) müde wird, dieses Thema immer wieder auf die Tages- ordnung zu setzen, obwohl es hier ganz klare Beschlüsse Zu den Emissionsrechten. Herr Minister, Sie haben gibt, an denen auch nicht gerüttelt wird. eben versucht, uns einen Marktpreis darzustellen. Jeder in diesem Haus weiß, wie volatil die Märkte sind. Wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wissen nicht, was dabei herauskommt. Das heißt, Sie hantieren hier im Zusammenhang mit einem Programm Wir werden unabhängig davon weiter versuchen, konti- mit Zahlen, wobei wir alle, gerade wir Haushälter, an nuierlich zu prüfen, zu optimieren und die Politiker in keiner Stelle wissen, mit welchen Risiken für den Haus- den Fachausschüssen inhaltlich zu begleiten. In diesem halt wir es zu tun haben. Sie haben einen Leertitel einge- Sinne wünsche ich uns bis zur zweiten und dritten Le- stellt. Frau Hinz, Sie haben das mitgetragen. Aber Sie sung gute Haushaltsberatungen. wissen nicht, was an anderer Stelle wirklich dabei he- Danke schön. rauskommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Sylvia der CDU/CSU) Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Für uns Liberale war es ganz interessant, in den Som- Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Ulrike mermonaten die Diskussion im Zusammenhang mit dem Flach das Wort. Kollegen Glos zu beobachten. Bis zum heutigen Tag ste- (Beifall bei der FDP) hen die 70 Milliarden Euro, die der Kollege Glos als Kosten für die deutsche Wirtschaft in der Folge des in (B) Meseberg verabredeten Programms beziffert hat, im (D) Ulrike Flach (FDP): Raum. Sie selbst haben von 2,8 Milliarden Euro gespro- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der chen. Die Regierung wird sich irgendwann einmal eini- Haushalt des Bundesumweltministers ist wie immer gen müssen. klein, aber fein. Irgendwie erinnert er mich doch an den Minister, der für diesen Haushalt zuständig ist. Er ist so- Wir haben den Eindruck, Sie leben in zwei verschie- zusagen ein verstecktes Schwergewicht, wartend auf den denen Welten. Wie verschieden diese Welten sind, haben großen Sprung. wir bei der Rede von Frau Reiche wieder gesehen. Jedes Jahr um diese Zeit erleben wir regelmäßig, dass Sie sich (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der bei den für ein Umweltministerium wichtigen Punkten FDP) – wie viel Geld gibt man aus? Wie geht man mit der Herr Gabriel, Sie haben eben darauf hingewiesen: Ihr Kernkraft um? – nach wie vor offensichtlich nicht einig Haushalt ist nur scheinbar bescheiden. Er steigt um le- sind. Angesichts der Tatsache, dass Sie in diesem Jahr diglich 1,6 Millionen Euro. Sie erwarten aber für den für den Schacht Konrad 28 Millionen Euro bereitgestellt Haushalt aus der Versteigerung von Emissionsrechten haben – das finden wir positiv –, fragen wir uns natür- 280 Millionen Euro für das Marktanreizprogramm und lich, Frau Reiche, wie Sie angesichts Ihres standhaften weitere 120 Millionen Euro für das neue Projekt Klima- Eintretens für die Kernkraft damit umgehen, dass für schutz und Biodiversität. Das heißt, auf den zweiten Gorleben nichts im Haushalt eingestellt wurde. Blick ergibt sich ein Gesamtetat von 1,24 Milliarden (Beifall bei der FDP) Euro. Das ist eine Steigerung von 50 Prozent. Herr Gabriel, Sie haben es erneut geschafft, sich um die glo- Wie steht die CDU/CSU dazu, dass der Umweltminister bale Minderausgabe herumzudrücken. Unter dem Strich nach wie vor nicht einmal im Traum daran denkt, die ist dies also ein Haushalt, der sich sehen lassen kann. Kernkraft so zu behandeln, wie Sie es vorhaben? Wenn ich aber genauer hinschaue, dann erinnert er (Dr. [CDU/CSU]: Träumen mich an vielen Stellen etwas an eine Blackbox; denn tut er schon davon!) das, was Sie in Meseberg beschlossen haben, ist etwas, – Das wäre sehr schön. was über alle Ressorts verteilt ist, was vom Finanzminis- ter allerdings zu Recht unter einen entsprechenden Was den Haushalt insgesamt angeht, Herr Gabriel, Finanzierungsvorbehalt gestellt worden und vom Wirt- muss ich sagen, dass Sie offensichtlich im Vertrauen auf schaftsminister ebenfalls zu Recht mit einer Kosten-Nut- zukünftige Einnahmen Ihren Personalbestand deutlich zen-Analyse belegt worden ist. Frau Lührmann, wir sind ausgeweitet haben. Frau Hinz, ich bin erstaunt, dass Sie Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11433

Ulrike Flach (A) dies alles so mitgetragen haben. Immerhin handelt es wurf im Vergleich zum Haushalt 2007, in dem Mittel in (C) sich um 180 neue Stellen, und das in einer Zeit, in der Höhe von 25 Millionen Euro bereitgestellt wurden, ei- wir eigentlich sparen wollen. Heute Morgen haben wir nen Ansatz von 53 Millionen Euro. Ich möchte deutlich von Herrn Steinbrück zu Recht gehört, wie wichtig Spa- sagen: Damit kann endlich der Ausbau des Endlagers für ren ist. Wenn ich an Herrn Kampeter denke, dann klin- schwach radioaktive Stoffe begonnen werden. Ich be- geln mir jetzt noch die Ohren. 180 neue Stellen, ein grüße das. Nettoaufwuchs von 83 Stellen – das ist schon beeindru- (Beifall bei der CDU/CSU) ckend. Ich denke, wir haben noch viel zu tun. Um es deutlich festzustellen: Unser haushaltspoliti- Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zum sches Ziel ist ein ausgeglichener Bundeshaushalt. Die Thema Marktanreizprogramm sagen. Wenn Sie, Frau Konsolidierung steht an erster Stelle. Ich meine, dass Hinz, als Gutmensch sagen – ich unterstelle einmal, dass auch dieser Haushalt einen Beitrag dazu leistet. Der Um- Sie einer sind –, dies sei keine Subvention, dann mag das fang des Bundeshaushaltes steigt allgemein um so sein. Aber Ihre eigene Regierung spricht im Subven- 4,7 Prozent. Wenn man die Einnahmen, die sich aus dem tionsbericht davon, dass es sich um eine Subvention han- Verkauf der Emissionsrechte ergeben, herausnimmt, so delt. Die FDP geht in diese Haushaltsberatung mit dem kommt man im Umweltbereich auf einen Zuwachs von erklärten Willen, 20 Prozent bei den Subventionen ein- 0,2 Prozent. Unser Ziel wird also auch in diesem Haus- zusparen. halt erreicht. (Beifall bei der FDP) (Ulrike Flach [FDP]: Aber das ist nicht das Ziel des Ministers!) Sie müssen irgendwann einmal an die Substanz dieses Not leidenden Haushalts herangehen. Das werden Sie Es wurde gerade gesagt: Klimaschutz ist eine Quer- aber mit dieser Art von Begrifflichkeit – wenn es gut für schnittsaufgabe. Vier weitere Ministerien sind daran die Umwelt ist, dann ist es keine Subvention – nicht er- beteiligt: das Bundesministerium für Bildung und For- reichen. schung, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung, das Bundesministerium Herr Minister, ich habe mit dem Bild vom Schwerge- der Finanzen und das Bundesministerium für Wirtschaft wicht angefangen und möchte mit einem anderen Bild und Technologie. Man kann es vielleicht als eine konzer- aufhören. Für die FDP ist der Haushalt eine Art Eisberg, tierte Aktion für den Klimaschutz bezeichnen, was diese bei dem nur ein Teil über der Wasseroberfläche sichtbar Regierung hier vorhat. Das ist eine sehr gute Sache. ist; ein großer Teil ist unter der Wasseroberfläche. Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wissen aus leidvoller Erfahrung mit dem Klimawandel, neten der SPD) (B) dass Eisberge abschmelzen. Ich kann Ihnen von der Gro- (D) ßen Koalition versichern, dass die FDP-Haushälter alles Ich möchte auf einen Punkt eingehen, den Sie, Frau tun werden, dass dieser Eisberg deutlich abschmilzt. Flach, vorhin angesprochen haben. Das Volumen des Haushaltes wird sich voraussichtlich durch den Verkauf (Beifall bei der FDP) von Emissionszertifikaten vergrößern. (Ulrike Flach [FDP]: Fragt sich nur, was Sie Vizepräsidentin Petra Pau: dafür kriegen!) Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Bernhard Schulte-Drüggelte das Wort. – Das kann man ja ruhig einmal sagen. – Dabei handelt es sich voraussichtlich um einen Betrag von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 400 Millionen Euro. Wenn man sieht, dass dieser Haus- neten der SPD) halt 845 Millionen Euro umfasst, dann erkennt man die Dimension dieser neuen Einnahmen. Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Als Parlamentarier möchte ich aber auch darauf hin- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und weisen, dass diese 400 Millionen Euro nur in einem Kollegen! Ich möchte zunächst einmal feststellen, dass Haushaltsvermerk dargestellt werden. die sachbezogene Zusammenarbeit der letzten Zeit auch (Ulrike Flach [FDP]: Gott sei Dank!) in den vorbereitenden Beratungen fortgesetzt wurde. Ich möchte einen Punkt herausgreifen. Wir haben in der letz- Es wurde eine Leerstellenstruktur gewählt. Ich möchte ten Debatte gefordert, dass der VN-Campus in Bonn aus deutlich fordern, dass das parlamentarische Budgetrecht dem Einzelplan 16 herausgenommen und dem Haushalt gewährleistet wird. Diese Forderung sollten wir als Par- des Außenministeriums zugeschlagen wird. Ich finde, lamentarier stellen. das war ein sehr vernünftiger Vorschlag. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD]) neten der FDP) Das ist inzwischen geschehen. Ich bedanke mich dafür. Klimaschutz ist eine zentrale Aufgabe dieser Regie- Ich bedanke mich auch bei meinem Kollegen Berti rung. Wir unterstützen das. Es ist richtig, dass voraus- Frankenhauser, der das unterstützt hat; wenn ich das an sichtlich zusätzlich 280 Millionen Euro im nationalen dieser Stelle einmal sagen darf. und 120 Millionen Euro im internationalen Bereich für den Klimaschutz eingesetzt werden. Es ist gut, dass die Gerade wurde der Schacht Konrad angesprochen; mediale Wirkung dieser Diskussion groß ist. Das fördert auch ich will das tun. Sie finden im vorliegenden Ent- natürlich die Durchsetzung solcher Beschlüsse. Es ist 11434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bernhard Schulte-Drüggelte (A) richtig, dass derjenige, der den Klimaschutz für wichtig Petra Hinz (Essen) (SPD): (C) hält, etwas tun möchte, zum Beispiel sein Haus dämmen, Danke. – Mit Ihrer Erlaubnis komme ich noch einmal und dafür Geld investiert, gefördert wird. Aber man darf auf den Punkt Personal zurück. Personal ist in der Tat bei all diesen Forderungen nicht vergessen, dass dies immer wieder ein großes Thema bei den Haushaltsbera- Geld kostet und sich dies auch langfristig für den Häus- tungen. lebauer rechnen muss. Daher sind die entsprechenden Förderungen anzupassen. (Anna Lührmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Frage!) Ich finde es richtig, dass der Minister vor ein paar Wochen die Fördersätze im Marktanreizprogramm, das – Meine Frage kommt. Man muss manchmal erst zuhö- im Augenblick ein bisschen schwächelt, angepasst hat. ren, um verstehen zu können. Das war die richtige Maßnahme, um auf diese Entwick- lung zu reagieren. Im Entwurf ist jetzt von Mehrstellen die Rede. Ist es richtig, dass die eine oder andere Mehrstelle möglicher- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) weise durch Gebühren refinanziert wird? Habe ich den Entwurf richtig interpretiert, oder habe ich das falsch Wir müssen darauf achten, dass sich dieses Programm verstanden? stetig weiterentwickelt, dass sich die Menschen darauf verlassen können und motiviert werden, in regenerative Energien zu investieren. Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Wie immer haben Sie das richtig verstanden, Frau Ein anderer Bereich, der vielleicht auch gefördert Hinz. In dem Entwurf steht auch, wie sich die Personal- werden sollte, ist die Steigerung der Energieeffizienz. situation in den letzten Jahren entwickelt hat. Ein- Ich spreche in diesem Zusammenhang nur energieeffi- schließlich aller Behörden verfügt das Umweltministe- ziente Haushaltsgeräte an. Auch hier ist in den letzten rium jetzt über 2 770 Stellen. Jahren eine Entwicklung zu verzeichnen, die nicht sehr positiv ist, die aber durch Anreize vielleicht wieder um- Sie haben die Stellen erwähnt, die refinanziert wer- gekehrt werden kann. den. Ich möchte in diesem Zusammenhang speziell das Bundesamt für Strahlenschutz ansprechen. 27,5 Stellen Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der am Rande sind für den Schacht Konrad ausgewiesen. Es ist von Be- angesprochen worden ist – Sie, Frau Flach, haben es er- deutung, ob diese Stellen wirklich notwendig sind; denn wähnt –: das Thema Personal. Sie haben es freundli- nur, wenn nachgewiesen wird, dass diese Stellen not- cherweise korrigiert: Es sind nicht real 180 Stellen, son- wendig sind, werden sie refinanziert. Das werden wir in dern natürlich weniger. Wir sind uns zwar darin einig den Beratungen überprüfen. gewesen, dass pauschale Stellenkürzungen nicht sehr (B) (D) effektiv sind. Wir haben aber trotzdem gesagt, dass wir (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ die Zahl der Stellen um 0,75 Prozent kürzen sollten. Im CSU] – Ulrike Flach [FDP]: Das war eine vorliegenden Entwurf sind jedoch neue Stellen vorgese- weise Antwort!) hen; das ist ganz klar. Wir müssen klären, wie dies zu den pauschalen Stellenkürzungen, die wir vorhaben, und – So ist es doch. Wir müssen das überprüfen, und wenn zu einem Bericht des Bundesministeriums der Finanzen es nötig ist, wird es refinanziert, und wenn nicht, müssen von April dieses Jahres darüber, wie sich die Stellen ent- wir uns darüber noch einmal unterhalten. wickelt haben, passt. Wir müssen überprüfen, ob es da Ich möchte noch die Verstärkung im Personalbereich nicht Widersprüche gibt. der Deutschen Emissionshandelsstelle ansprechen. Ich (Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP]) darf Ulli Petzold für seine Initiative danken, die zu mehr Planungssicherheit bei den Mitarbeitern geführt hat. Denn dort steht, dass es einen kontinuierlichen Anstieg der Zahl der Stellen gibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte noch einen Punkt im Personalbereich an- Ein anderes Thema, über das wir reden müssen, ist sprechen: Für das Forschungsbergwerk Asse sind zwei der Planfeststellungsbeschluss für das Endlager Morsle- Stellen vorgesehen. Dieses Forschungsbergwerk befin- ben. Der Planfeststellungsbeschluss wird immer weiter det sich im Zuständigkeitsbereich des Bundesministe- nach hinten verschoben. Vor einigen Jahren wurde ge- riums für Bildung und Forschung. Wie passt das zusam- sagt, er würde im Jahr 2008 gefasst werden. Im letzten men? Jahr war die Rede von 2010, in diesem Jahr von 2011. Diesbezüglich muss eine Entscheidung getroffen wer- Vizepräsidentin Petra Pau: den; denn das kostet uns 60 Millionen Euro pro Jahr, und das wird nicht refinanziert. Kollege Schulte-Drüggelte, gestatten Sie eine Zwi- schenfrage? (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU]) Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): Es gibt also reichlich Gesprächsstoff. Ich freue mich Frau Hinz, aber immer doch. auf die weiteren Beratungen. Danke schön. Vizepräsidentin Petra Pau: Bitte. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11435

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: allererster Linie Geld fehlt. Wenn Sie ehrliche Politik (C) Das Wort hat der Kollege Lutz Heilmann für die Frak- machen wollen, dann muss sich das im Bundeshaushalt tion Die Linke. endlich widerspiegeln. (Beifall bei der LINKEN) Noch einmal zum schon erwähnten Eckpunktepapier. Der Umfang ist beachtlich. Im Verkehrsbereich finden Lutz Heilmann (DIE LINKE): wir allerdings nichts Spektakuläres und erst recht nichts Neues. Das einzig wirklich wirksame Instrument ist die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! EU-Kraftfahrzeugstrategie, die Sie nun unterstützen Werte Gäste! Herr Minister, Sie nennen meinen Frak- wollen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn vorher tionsvorsitzenden einen Scheinriesen haben Sie sich so massiv für VW und Co. eingesetzt, der deutschen Politik, der umso kleiner werde, je näher dass die Ziele verwässert wurden. Die einfachste und man ihm komme. billigste Maßnahme hat die Große Koalition versenkt: (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des ein allgemeines Tempolimit. Da ist eindeutig Fehlan- Abg. Michael Kauch [FDP]) zeige. Herr Minister, wer sich so weit aus dem Fenster lehnt, (Ulrich Kelber [SPD]: Die Abschaffung der der muss damit rechnen, dass man sich genau anguckt, Entfernungspauschale!) wer sich da so weit aus dem Fenster lehnt. Ich möchte jetzt nicht in der Vergangenheit wühlen; denn dann Dienstwagen haben einen Anteil von über 50 Prozent müsste ich feststellen, dass Oskar Lafontaine im Gegen- an den verkauften Neuwagen. Hier wollen Sie mit der satz zu Ihnen als Spitzenkandidat unter anderem Land- Regelung zur Besteuerung abwarten, bis auf EU-Ebene tagswahlen gewonnen hat. die CO2-Strategie beschlossen ist. „Abwarten und Tee trinken“ würde der Engländer sagen. Dort gibt es übri- Da stellt sich mir die Frage nach Ihrer Erfolgsbilanz. gens eine steuerliche Regelung, mit der die Dienstwagen Bleiben wir bei Ihrer Arbeit als Umweltminister. An of- deutlich sparsamer geworden sind. Während die Firmen fensiver Rhetorik und flotten Ankündigungen mangelt es in unserem Land geschont werden, darf es wieder einmal Ihnen nicht; das gebe ich zu. Was folgte aber daraus? der kleine Mann berappen. Die Reform der Kfz-Steuer Lassen Sie mich das an zwei Beispielen verdeutlichen: für Neuwagen wollen auch wir. Schade ist nur, dass das, was Sie machen wollen, fast nichts bringt. In einigen Die nationale Strategie zum Schutz der Artenvielfalt Fällen kann es sogar so weit kommen, dass Spritfresser und die Eckpunkte für ein integriertes Energie- und Kli- nach Ihren Vorstellungen weniger und nicht mehr zahlen maprogramm sehen auf den ersten Blick beeindruckend müssen. Das kann nicht sein. Ich sage Ihnen: Spritfresser (B) aus. Je genauer man hinschaut, desto mehr verblasst die- (D) müssen zukünftig ordentlich zur Kasse gebeten werden. ser Eindruck aber. Ich könnte auch sagen: Je näher man ihnen kommt, desto kleiner werden sie. (Beifall bei der LINKEN) Die Biodiversitätsstrategie liest sich zwar schön, So viel zu Ihrer Arbeit in Sachen Naturschutz und fast wie ein Grimm’sches Märchen, sie wird aber weit- Verkehr. Ich frage mich angesichts dieser Bilanz: Wer ist gehend wirkungslos bleiben. Die tollen Ziele sind unver- hier eigentlich der Scheinriese? bindlich und nicht überprüfbar. (Beifall des Abg. Michael Kauch [FDP]) Zum Abschluss noch zwei Sätze zur IAA, die sich den Klimaschutz groß auf die Fahnen geschrieben hat. – Danke schön. – Diese Strategie wird zu keinem wirk- Die deutsche Autoindustrie hat mit Ihnen, Herr Minister, samen Schutz der Arten führen. Sicher kann man diese gemein, dass sie sich in Ankündigungen übertrifft. Fest Strategie auf der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Biodi- steht aber, dass die Autoindustrie die Selbstverpflichtung versitätskonvention im Mai 2008 in Bonn gut präsentie- zur CO2-Reduzierung nicht eingehalten hat. Ich bin ge- ren. Ich habe auch nichts dagegen, dass Sie für diese spannt, wie die neuerliche Vereinbarung der europäi- Konferenz über 8 Millionen Euro locker machen. Ich schen Autoindustrie aussehen wird, die heute verab- stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen: Wir sind reich genug, schiedet werden soll. um uns Naturschutz zu leisten. – Aber ich habe sehr wohl etwas dagegen, dass Sie die Konferenz überwie- Ich möchte noch etwas zu Frau Kollegin Reiche sa- gend mit Mitteln finanzieren wollen, die bislang dem gen. Ich empfehle Ihnen, eine Woche Bildungsurlaub in praktischen Naturschutz zur Verfügung standen. den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel zu ma- chen. Vielleicht haben Sie dort einen Erkenntnisgewinn (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- darüber, welche Sorgen und Nöte die Menschen vor Ort neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – haben, wenn ihnen so ein Meiler beinahe um die Ohren Ulrike Flach [FDP]: Das ist wohl wahr!) fliegt. Wenn Sie auf Konferenzen schöne Reden schwingen (Katherina Reiche [Potsdam] [CDU/CSU]: und schöne Hochglanzbroschüren präsentieren, im All- Nur, wenn Sie mitkommen!) tag aber den Naturschutz finanziell ausbluten lassen, dann sind Sie, Herr Minister, nicht glaubwürdig. Sie wa- Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. ren doch selbst in Naturschutzgebieten unterwegs, wenn ich es richtig gelesen habe. Sie wissen doch, dass dort in (Beifall bei der LINKEN) 11436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Herrn Glos zu einer gemeinsamen Sicht der Dinge zu (C) Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die kommen, ist sicherlich nicht ganz einfach. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Für den Klimaschutz gilt weiterhin: große Worte, kleine Taten und unter Finanzierungsvorbehalt stehende Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Taten. Die Aufgaben der Umweltpolitik und des Um- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! weltministers hören aber nicht beim Klimaschutz auf. Der Gesamthaushalt hat einen deutlich höheren Umfang Die Biodiversität hat derzeit gute Chancen, im Ranking als in den vergangenen Jahren. Wir haben eine Bundes- der Rhetorik des Ministers bald Platz zwei nach dem kanzlerin, die den Klimaschutz zur Chefinnensache Klimaschutz zu belegen. Das ist wohl nicht zuletzt der macht und alles daransetzt, den Ruf der obersten Klima- Tatsache geschuldet, dass Deutschland im Jahr 2008 schützerin zu erobern. Das sind beste Voraussetzungen Gastgeber der COP 9 ist. Das ist gut so. Aber was ist es für ambitionierte Umwelt- und Klimaschutzpolitik – für eine Absurdität, dass die Finanzierung der Durchfüh- sollte man zumindest meinen. rung dieser Vertragsstaatenkonferenz größtenteils zulas- Man glaubt erst einmal, man sei im falschen Film, ten des nationalen Natur- und Artenschutzes geht? wenn man dann nachrechnet, dass der Umweltetat im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gegensatz zum Gesamthaushalt, der um 4,7 Prozent und bei der FDP) steigt, nicht einmal um 0,2 Prozent steigt. Aber, Herr Minister, wir haben natürlich noch das Klimaschutzpa- Das ist eine gelungene Demonstration des Stellenwerts, ket von Meseberg, das großenteils unter dem Finanzie- den das Thema der Konferenz in unserem Land tatsäch- rungsvorbehalt des Finanzministers steht. Frau Merkel, lich hat. Reicht es uns, zu sagen: Gut, dass wir darüber Herr Gabriel, wie sollen wir das verstehen? Sind die geredet haben? Fazit: große Worte, keine Taten. Ziele doch nicht so ganz ernst gemeint, oder konnten Sie sich gegenüber Ihrem Finanzminister nicht durchsetzen? Am Einzelplan für Umwelt, Naturschutz und Reak- Denn bei Ihrer schönen Rechnung, Herr Minister torsicherheit fällt auf, dass die Mittel für die internatio- Gabriel, bei der Sie auf die 400 Millionen Euro kom- nale Zusammenarbeit bzw. die Mittel des Titels „Interna- men, möchte ich daran erinnern, dass Emissionszertifi- tionale Sicherheit“, zum Beispiel beim Strahlenschutz, kate auch schon einmal für 50 Cent an der Börse gehan- und die Beiträge an internationale Organisationen ge- delt wurden. kürzt werden. Wie kann das sein? Führen Sie, Herr Mi- nister, nicht zu Recht das Wort im Mund, dass Umwelt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN probleme keine Grenzen kennen? Haben Sie Forsmark sowie bei Abgeordneten der FDP) schon vergessen? Wie wollen wir Problemen wie der (B) Bringt der Emissionshandel ordentlich etwas ein? Vermüllung der Meere, die nicht in nationale Zuständig- (D) Darf das für den Klimaschutz ausgegeben werden? Da- keiten fallen, beikommen? Wird darüber nicht einmal rauf bezogen sich übrigens die einzigen drei Sätze, die mehr geredet? Keine Worte, keine Taten? dem Finanzminister in seiner einstündigen Rede der Ihr Ministerium lädt heute und morgen zu einem Komplex Umwelt und Klima wert war. Dieser Kongress zum Thema Bioraffinerie ein. Das ist in mei- Steinbrück’sche Kuhhandel ist letztlich nicht mehr und nen Augen im Hinblick auf den zukunftsfähigen Um- nicht weniger als Basargefeilsche. Wir brauchen aber zu- gang mit Ressourcen ein unverzichtbares Projekt. Wo verlässige Investitionspolitik, Herr Investitionsminister findet sich Entsprechendes im Haushaltsentwurf? Es Gabriel, als der Sie selber sich so gerne sehen. werden insgesamt 33 Millionen Euro für Pilotprojekte Ich will Sie noch einmal an Ihren Sündenfall erinnern, im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe bereitgestellt, allerdings im Einzelplan des Ministerium Ihres Kollegen (Jörg Tauss [SPD]: Na, na!) Seehofer. Wollten wir hier so viel tun wie die USA, Ihren unseligen Hang zur Kohle. Bei Ihrem Basargefeil- müssten wir auf Basis einer Pro-Kopf-Berechnung rund sche haben Sie akzeptiert, dass Ihre Geschenke an die 100 Millionen Euro in den Haushalt einstellen. Kohleindustrie im Rahmen des Emissionshandels di- Nein, Herr Minister, Ihr Umwelthaushalt ist ange- rekt den erneuerbaren Energien und damit dem Klima- sichts der zur Verfügung stehenden Mittel, angesichts schutz ein zweites Mal im Wege stehen werden. Anna der Ansprüche der Kanzlerin und Ihrer großen Worte Lührmann hat Ihnen vorgerechnet, wie es gehen kann. keine Glanzleistung. Er ist bescheiden, er akzeptiert die Ein ambitionierter, konsequenter Klimaschutz ohne Randrolle, die ihm der Finanzminister zugewiesen hat, Halbherzigkeiten und in guter Haushältermanier führt und er macht sich klein, obwohl die Umweltproblematik unterm Strich auch in finanzieller Hinsicht zu einem bes- im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und der zu seren Ergebnis. lösenden Aufgaben steht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehende In- Umweltschutz ist nichts, was man sich leisten können vestitionszuschuss für die Entwicklung von Erneuer- muss. Umweltschutz rechnet sich, wenn man das Wort bare-Energien-Technologien in Höhe von 40 Millionen „Nachhaltigkeit“ richtig versteht und anwendet und Euro ist angesichts der Aufgaben lächerlich gering. Geo- wenn die Regierung eine Politik macht, die in sich thermie, Meereswellentechnologie und die bestehenden schlüssig ist und sich nicht von Ressort zu Ressort wi- Möglichkeiten zur Speicherung von Windenergie müs- derspricht. Allerdings will ich gerne zugestehen: Mit sen marktreif gemacht werden, um dem Mantra der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11437

Sylvia Kotting-Uhl (A) Energiekonzerne von der Unverzichtbarkeit der Atom- zont. Danach haben wir uns wieder in Sicherheit ge- (C) kraft den letzten Wind aus den Segeln zu nehmen. wiegt. Jetzt ist die Knappheit der Rohstoffe und der Energiequellen so eklatant geworden, dass die Preise (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stetig steigen. Nun, da die Menschen es am eigenen Dass diese Segel aus Illusion und wissentlich falscher Geldbeutel spüren, ist dieses Thema Teil des allgemei- Argumentation zusammengeflickt sind, wissen auch die nen Volksbewusstseins geworden. Angesichts dessen hat Segler, spätestens dann, wenn sie auf die Homepage des die Politik einerseits bessere Voraussetzungen, um eine weltweit zweitgrößten Brennstofflieferanten NUKEM gute Umweltpolitik umzusetzen, aber andererseits auch schauen, der unter dem Schlagwort „Vergesst die Re- eine größere Verantwortung. naissance der Atomkraft“ darlegt, dass uns der Peak- Ich muss sagen: Wir Deutsche können froh sein – dies Uranium noch vor dem Peak-Oil erreicht. sage ich mit Freude und voller Überzeugung –, dass wir Umwelt- und Klimaschutz sind mit konsequenter Po- eine Kanzlerin haben, die in der Sache so sattelfest ist, litik möglich. Umweltpolitik ist notwendig. Sie braucht dass sie auf den internationalen Konferenzen die anderen das Wort, die Überzeugung, aber auch die Tat und das mitziehen kann, und die gleichzeitig ihre Umwelt- und entschlossene Handeln. Klimaschutzpolitik aus dem Zieldreieck der Nachhaltig- keit heraus betreibt: eine Politik, die mehr wirtschaftli- (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja! Aber che Chancen schafft und die Menschen auch sozial nicht keine Ideologie!) überfordert. Der Haushaltsplan für das Jahr 2008 lässt diese Ent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schlossenheit bisher nicht erkennen. neten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Bei dieser Gelegenheit beziehe ich unseren gemeinsa- men Umweltminister ein. Herr Kollege Gabriel, die Ab- Kollegin Kotting-Uhl, Sie müssten bitte zum Schluss sprache mit Michael Glos war gute Arbeit; das kann man kommen. gar nicht anders sagen. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Zuruf von der LINKEN) Ich komme gerne zum Schluss. – Es besteht die – Michel Glos ist natürlich ein harter Verhandlungspart- Chance, dass er sich nach den Ausschussberatungen an- ner, der die Interessen seines Amtes sorgfältig wahr- ders darstellt. Vielleicht gelingt es uns im Umweltaus- nimmt. Das gehört sich auch so. schuss, den Klimaschutz im Haushalt auf einen reellen (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Boden zu stellen, anstatt ihn an die Börse zu schicken. (D) Vielen Dank. Ich halte übrigens gar nichts davon, dass manche von SPD-Ministern und Unionsministern reden. Wir haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eine Bundesregierung, die, von uns gemeinsam getra- gen, bis 2009 einen Erfolg gegenüber den Wählern vor- Vizepräsidentin Petra Pau: weisen will. Für die Unionsfraktion hat der Kollege Josef Göppel (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) das Wort. Das Programm von Meseberg wird noch eine ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- waltige Schubkraft entfalten. Hier richte ich einen Ap- neten der SPD) pell an uns alle: Wir beobachten jetzt eine große Kaufzu- rückhaltung bei Anlagen für erneuerbare Energien und Josef Göppel (CDU/CSU): bei den Wärmedämmungen in den Häusern. Die Men- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schen warten darauf, was sich konkret in Gesetzen und Ich empfinde die Debatte heute als richtig erfreulich. Verordnungen niederschlagen wird. Sie sagen, wenn sie Alle Rednerinnen und Redner sind für mehr Umwelt- jetzt investierten, wüssten sie noch nicht, ob ihre Investi- und Klimaschutz, und die von der Opposition suchen tionen letztlich dem Standard entsprechen würden. Wir nach Möglichkeiten, wie man es noch besser machen müssen diese Unsicherheit noch in diesem Jahr beenden kann. und Nägel mit Köpfen machen. (Ulrike Flach [FDP]: So kann man das definie- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei ren!) Abgeordneten der FDP und der LINKEN) Zweifellos ist das Thema Umwelt wieder im Zentrum Ich spreche das Marktanreizprogramm an, das eine der politischen Debatte angelangt. Wenn man die Zeit tolle Geschichte ist. Nur dürfen wir dabei kein ständiges etwa von 1970, als das erste europäische Naturschutz- Herauf und Herunter zulassen. Wenn es einen Antrags- jahr ausgerufen wurde, bis heute überblickt, dann muss überhang gibt, dürfen nicht gleich die Sätze gesenkt wer- man sagen, dass die Probleme immer drängender gewor- den, um sie sofort wieder heraufzusetzen, wenn niemand den sind. Ich erinnere mich – etliche unter uns sicherlich mehr das Programm abrufen will, weil es zu wenig An- auch – noch an das Jahr 1973, an die erste Ölkrise und reize bietet. Damit schaffen wir Unzufriedenheit bei de- die autofreien Sonntage, die Willy Brandt damals ver- nen, die gerade ein paar Tage vorher einen Antrag einge- ordnet hat. Das war wie ein erstes Aufleuchten am Hori- reicht haben. In dieses Programm muss also, Herr 11438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Josef Göppel (A) Kollege Gabriel, unbedingt eine Verstetigung hineinge- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) bracht werden. Ich hoffe, dass dies mit den Verkaufserlö- Ein Minus steht davor. sen aus den Emissionszertifikaten auch gelingt. (Heiterkeit) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Josef Göppel (CDU/CSU): Ich komme nun auf das mehrfach erwähnte Thema Ich wünsche einen schönen Nachmittag und gemein- same Anstrengungen für die Umwelt. Automobilindustrie zu sprechen. Ich habe gelesen, dass VDA-Präsident Wissmann gesagt hat, die IAA werde (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) keine Grüne Woche. Ich muss sagen: Wenn sich die Au- tomobilindustrie gegen die Festlegungen unserer Kanz- Vizepräsidentin Petra Pau: lerin und unserer Bundesregierung wehrt und dagegen Wir sind, wie Sie richtig festgestellt haben, noch nicht angeht, dann werden wir von der Union das nicht unter- am Ende der Beratungen. Wir werden sicherlich alles stützen. austauschen können. (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Oh!) Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen uns nicht vor. Wenn die Automobilindustrie will, dass die Europäische Kommission und die Bundesregierung nicht in die tech- Damit kommen wir nun zum Geschäftsbereich des nische Entwicklung eingreifen, dann muss sie ihre Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06. Selbstverpflichtungen entschlossen umsetzen. Das ist Das Wort hat der Bundesminister des Innern, der Weg. Dr. Wolfgang Schäuble. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister des In- nern: Ein Letztes: die Biotreibstoffe. Es gibt jetzt die Dis- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Jah- kussion, angefacht vom Sachverständigenrat für Um- restag des 11. September ist es wichtig, in aller Klarheit weltfragen, dass Biotreibstoffe von der Energiebilanz zu sagen, dass wir mit der Geißel der terroristischen Be- her nicht so gut abschneiden wie Biogas oder der Einsatz drohung auf absehbare Zeit werden leben müssen. Wir von Biomasse zur Wärmegewinnung. Das ist prinzipiell wissen das seit Jahren. Wir haben in den letzten Jahren richtig. Aber ich frage diejenigen, die gegen Biotreib- zunehmend gesehen, dass wir auch in Europa bedroht stoffe sind, welche Alternativen sie anbieten können. Ich (B) sind, dass wir alle Teil dieses weltweiten Gefahrenraums (D) rate uns allen, die Festlegungen, die die Koalition getrof- sind. fen hat, einzulösen und die entsprechenden Anteile, wie beschlossen, zu realisieren. Dazu ist es nötig, dass wir Wir haben in der vergangenen Woche die Gefährlich- vor dem 1. Januar 2008 das Gesetz über die Besteuerung keit der Planungen, die mitten in unserem Land betrie- der Biokraftstoffe ändern. Denn es darf nicht sein, dass ben werden, auch von Menschen, die hier geboren sind, im Jahr 2008 die Biotreibstoffe an der Tankstelle teurer immer hier gelebt haben, gesehen. Wir haben zugleich sind als der aus Erdölgewonnene Treibstoff. gesehen, dass unsere Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern gut aufgestellt sind. Deswegen ist es wich- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der tig, mit großer Klarheit zu sagen: Die Bedrohung dauert LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- an; sie ist durch die Verhaftung nicht abgeschlossen. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen warne ich davor, zu erleichtert zu sein. Zu- gleich sage ich aber: Wir können darauf vertrauen, dass Das würde den Markt abwürgen. der Sicherheitsverbund von Bund und Ländern gut funk- Ich will bei dieser Gelegenheit sagen: Ich finde die tioniert. Vorschläge, die jetzt aus verschiedenen Arbeitsgruppen Wir werden alles daransetzen auch hinsichtlich der unseres Koalitionspartners, der Sozialdemokraten, kom- technologischen Entwicklung, um bei der Nutzung mo- men, gut, nämlich auch eine Unterkompensation einzu- derner Technologien – auch in der Informations- und führen und den öffentlichen Nahverkehr freizustellen. Kommunikationstechnologie – den Sicherheitsbehörden Ich denke, dass wir auf dieser Basis zu einem guten ge- die Möglichkeit zu verschaffen, auf eindeutiger rechtli- meinsamen Ergebnis kommen können. cher Grundlage mit klarer verfassungsrechtlicher Be- grenzung in diesem Wettlauf, den es in der Kriminal- Ein letzter Punkt, der mir sehr am Herzen liegt – – und Polizeigeschichte der Menschheit immer gegeben hat, Schritt zu halten. Das sind keine einfachen Fragen; Vizepräsidentin Petra Pau: wir führen intensive Beratungen darüber. Kollege Göppel, das müssen Sie dann bitte in Ihren Es geht nicht darum – das ist in der Debatte der letz- Beratungen in der Koalition fortführen. Sie sind über die ten Monate etwas schiefgelaufen –, dass irgendjemand Redezeit. in diesem Lande plant, die Freiheitsrechte abzuschaffen oder auch nur einzuschränken. Josef Göppel (CDU/CSU): (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Hier steht: noch 45 Sekunden. GRÜNEN]: Ach!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11439

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) Es geht vielmehr darum, in der Verbürgung unserer frei- Das heißt: Wir sind insgesamt auf einem guten Weg. (C) heitlichen Verfassung das notwendige Maß an Schutz, Ich glaube, dass wir diesen Weg weiter beschreiten kön- das ein Rechtsstaat gewährleisten muss, zu gewährleis- nen und auch mit aller Entschiedenheit weiter beschrei- ten. ten müssen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gestatten Sie mir eine weitere Bemerkung zu den Fritz Rudolf Körper [SPD]) großen Entwicklungen. Liebe Kolleginnen und Kolle- gen, ich werbe dafür, dass wir alle auch dabei unserer Das bedeutet im Einzelfall schwierige Abwägungen, Verantwortung gerecht werden. Manche meinen, dass aber es wird möglich und auch notwendig sein, aber die Freiheit immer weiter eingeschränkt wird. Ich finde, nicht flächendeckend – das ist völlig verzerrt dargestellt die tatsächliche Entwicklung geht dahin, dass wir immer worden; es ist eine völlig falsche Wahrnehmung –, son- mehr Freiheit haben. Das drückt sich in vielem aus. Die dern in eng begrenzten Ausnahmefällen als Ultima Ra- europäische Entwicklung – die Tatsache, dass es keine tio, wie der Präsident des Bundeskriminalamtes gesagt Grenzkontrollen mehr gibt und dass wir zum Ende die- hat, in die Strukturen moderner und sich weiter entwi- ses Jahres die Kontrollen an allen unseren Landgrenzen ckelnder Kommunikation einzudringen. abschaffen werden – ist ein großer Fortschritt und auch Wie gesagt, die technischen wie die rechtlichen Fra- ein großer Freiheitsgewinn. gen sind nicht einfach. Wir arbeiten intensiv daran und Ich sage Ihnen voraus: Je näher das Datum der Erwei- haben auch unterschiedliche Meinungen. Auch das ist terung des Schengen-Raumes kommt, desto mehr wird wahr. Warum sollte man nicht darüber reden? es in der Bevölkerung, insbesondere in der betroffenen (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Region, Ängste vor einem Sicherheitsverlust geben. GRÜNEN]: Es wird seit einem Jahr nur da- Deswegen wird es wichtig sein, dass wir klarmachen, rüber geredet! Das kann ich jeden Montag im dass die Abschaffung der Grenzkontrollen keinen Ver- Spiegel lesen!) lust an Sicherheit für die Menschen bedeutet. Das gilt auch für die Grenzregionen. Wir werden durch ver- – Sie haben sich bisher nicht durch ein Übermaß an Ent- stärkte nachbarschaftliche Zusammenarbeit mit den pol- schlossenheit, diese Regelung einzuführen, hervorgetan. nischen und tschechischen Behörden, so wie wir es mit Lassen wir das so stehen. Ich finde, es tut der freiheitli- den französischen, belgischen und niederländischen Be- chen Demokratie keinen Abbruch, wenn man über hörden seit vielen Jahren halten, nicht zu weniger, son- schwierige Fragen notfalls auch streitig debattiert und dern zu mehr Sicherheit kommen. Die Öffnung der dann zu einem Ende kommt. Grenzen in Europa bedeutet keinen Verlust an Sicher- Wichtig ist nach den Erfahrungen der vergangenen heit, sondern einen Gewinn an Freiheit und Sicherheit (B) (D) Woche nicht nur, dass wir der Arbeit unserer Sicher- zugleich. Die europäische Entwicklung ist alternativlos. heitsbehörden vertrauen können, sondern, dass wir auch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie auf sie hören müssen, wenn sie unter bestimmten Um- bei Abgeordneten der SPD) ständen etwas als Ultima Ratio für nötig halten. Dafür werbe ich. Wir haben zu diesem Zweck eine schwierige – und für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Beifall bei der CDU/CSU) nicht nur einfache – Reform der Bundespolizei auf den Im Übrigen sind wir in den letzten Jahren auch im Si- Weg gebracht. Die muss sein. Die Bundespolizei muss cherheitsverbund von Bund und Ländern gut vorange- auf die neuen Aufgabenschwerpunkte vorbereitet sein. kommen. Wir haben nach jahrelangen Auseinanderset- Deswegen ist die Reform der Bundespolizei notwendig. zungen die Antiterrordatei zustande gebracht. Sie Sie hat im Übrigen auch das Ziel, dass wir bei gleichem funktioniert gut. Wir haben das Gemeinsame Terroris- Stellenbestand bei der Bundespolizei mehr Beamte für musabwehrzentrum aller Sicherheitsbehörden von den polizeilichen Vollzug gewinnen, indem wir die Füh- Bund und Ländern eingerichtet. Die Zusammenarbeit im rungsstrukturen schlanker und effizienter gestalten. GTAZ auch in diesen langen Monaten – sie war von An- Auch dafür bitte ich um entsprechende Unterstützung. fang an schwierig, und viele unserer ausländischen Part- Wir werden das im Haushalt 2008 im Rahmen der beste- ner haben besorgt gefragt, ob wir das in unseren födera- henden Ansätze leisten. Ich füge vorsichtig hinzu: 2009 len Strukturen leisten könnten; die Antwort lautet: wir und 2010 wird wahrscheinlich eine gewisse Erhöhung können es – trägt dazu bei, auch im Alltag mehr Ver- nicht zu vermeiden sein, wenn die Bundespolizei diese trauen zueinander zu finden. Reform bewältigen soll. (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Deshalb haben wir Ich will noch ein Wort – weil es mir wichtig erscheint – auch die gemeinsame Datei gemacht!) zum Themenbereich Katastrophenschutz sagen. Wir haben an der schrecklichen Erfahrung unseres europäi- – Auch die gemeinsame Antiterrordatei. Darauf habe ich schen Partnerlandes Griechenland mit der Waldbrandka- schon hingewiesen. tastrophe gesehen, wie dankbar wir für die breiten Struk- Wir kommen auch mit der Einführung des Digital- turen in unserem Katastrophen- und Bevölkerungsschutz funks für die Behörden für öffentliche Sicherheit voran. mit der Kombination von Hauptamt und Ehrenamt, mit Das war ebenfalls mit jahrelangen Auseinandersetzun- unserem hochleistungsfähigen Technischen Hilfswerk, gen verbunden, die wir jetzt zu einer Lösung gebracht aber auch mit unseren hervorragenden Berufs- und Frei- haben. Wir führen den Digitalfunk jetzt schrittweise ein. willigenfeuerwehren überall im Land sein können. 11440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble (A) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP unserer Sportler, die in einem härter werdenden interna- (C) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie tionalen Wettbewerb stehen – ich habe die Weltmeister- bei Abgeordneten der LINKEN) schaften der Kanuten und Ruderer sowie der Turner in den letzten Wochen gesehen; es war wirklich wunder- Auch hier bewähren sich föderale Grundstrukturen, schön; Stuttgart ist auch eine tolle Sportstadt, das ist bewährt sich das Subsidiaritätsprinzip, auch mit dem wahr –, Vorrang ehrenamtlicher Organisationen. Wir haben das Programm für den ergänzenden Katastrophenschutz. Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hat keine ganz einfache Geschichte, auch nicht im Hin- neten der SPD und der FDP) blick auf die verfassungsrechtliche Begründung. Es ist zu erhalten und ihnen faire Wettbewerbschancen zu ge- aber in mühevollen Verhandlungen mit den Innenminis- ben und zugleich den Kampf gegen den Missbrauch leis- tern der Bundesländer gelungen, die Vereinbarung zu er- tungsfördernder Mittel weiter zu verstärken. Deswegen zielen, dass dann, wenn der Bund seine Mittel für dieses erhöhen wir die Mittel für die Dopingbekämpfung. Ich Programm nur in begrenztem Umfang zurückführt, die füge allerdings hinzu: Wir werden weiterhin darauf an- Bundesländer ihre Mittel entsprechend aufstocken, so- gewiesen sein, dass die Sportorganisationen ihre Verant- dass wir den Gesamtbestand an ehrenamtlichen Helfern wortung wahrnehmen. Wir haben zwar einiges gesetzge- in den Freiwilligen Feuerwehren erhalten können. Wir berisch auf den Weg gebracht. Aber wir müssen von den erwiesen unserem Land einen schlechten Dienst, wenn Verantwortlichen – selbst im Radsport – die notwendige wir das ehrenamtliche Engagement in unserem Land Entschiedenheit und Klarheit einfordern. Ich sehe, dass schwächten. Deswegen werbe ich sehr dafür, dass wir noch nicht überall die Überzeugung vorherrscht, dass ein dieses Programm unterstützen. wirklicher Neuanfang notwendig ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Frank Schäffler [FDP]: Sie neten der SPD und der FDP) kürzen!) Letzte Bemerkung. Im Grunde geht es bei allem, was – Wir kürzen nicht. Im Gegenteil: Im Vergleich zur mit- in meinem Geschäftsbereich liegt, darum, im Alltag un- telfristigen Finanzplanung stocken wir erheblich auf. ter Beweis zu stellen, dass unser föderales System und Herr Kollege, schauen Sie es sich an! Unterstützen Sie das Subsidiaritätsprinzip eine Freiheitsordnung garantie- es! Dann machen wir gemeinsam einen wichtigen Schritt ren, die besser als jede andere den Menschen nicht nur und tun etwas Gutes für die Sicherheit in unserem Freiheit, sondern auch Sicherheit und Wettbewerbsfähig- Lande. keit gewährleisten kann. Dafür bitte ich um Ihre Unter- Wir haben vielfältige Debatten darüber geführt, was stützung. (B) (D) wir tun können, um die Tendenzen zu Extremismus, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) insbesondere zu Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextre- mismus, Gewalt bis hin zu Neonazismus zu bekämpfen. Wir haben viele Programme; diese müssen wir fortfüh- Vizepräsidentin Petra Pau: ren. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir den jungen Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDP- Männern in den Regionen Angebote machen, in denen Fraktion. es gelegentlich heißt, die Rechtsextremen hätten die at- (Beifall bei der FDP) traktivsten Freizeitangebote. Das kann nicht wahr sein. Zum Beispiel hat das Technische Hilfswerk in diesem Gisela Piltz (FDP): Sommer Ferienlager durchgeführt. Ich glaube, dass diese praktische Arbeit – zusammen mit den Sportverbänden – Verehrtes Präsidium! Verehrte Kolleginnen und Kol- mit der richtige Weg ist, diese Tendenzen zu bekämpfen. legen! Worum geht es eigentlich heute, am 6. Jahrestag Deswegen bitte ich um Unterstützung. von 9/11, beim Thema „innere Sicherheit“? Worum geht es dabei genau? Nach der öffentlichen Meinung geht es (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie offensichtlich darum, wer am meisten Sicherheit ver- bei Abgeordneten der FDP) spricht. Das war in der Vergangenheit der ehemalige In- nenminister, Herr Schily; das ist jetzt der amtierende In- Wir haben in aller Kürze die Konsequenzen aus der nenminister, Herr Schäuble. Herr Schäuble, zu den Evaluierung der Integrationskurse gezogen. Es geht um Zwischentönen, die Sie heute hier haben anklingen las- die Verbesserung der Integration. Mit unserem neuen sen, und dazu, dass Sie zurückgerudert sind und das zu- Zuwanderungsrecht, das nun dabei ist, sich in der Praxis rückgenommen haben, was Sie in dem einen oder ande- zu bewähren – all der Streit in vergangenen Monaten ist ren Interview angesprochen haben, kann ich nur sagen: längst vergessen –, sind wir auf dem richtigen Weg und Die Worte hör ich wohl, allein mein Glaube beschränkt fördern und fordern Integration. Wir ziehen auch in die- sich auf die Annahme, dass das heute ein Zugeständnis sem Haushalt die Konsequenzen aus der Evaluierung der an die SPD war, nicht aber an unseren Staat und unsere Integrationskurse, um entsprechende Verbesserungen Freiheit. Wir sind sehr gespannt, wie Sie damit weiter durchzusetzen. umgehen. Da das Innenministerium eine große Fülle von Zu- (Beifall bei der FDP) ständigkeiten hat, möchte ich nur noch ein paar Stich- worte nennen. Stichwort Sport: Wir stehen vor der dop- Im Versprechen von Sicherheit sind Sie groß, aber pelten Herausforderung, die Wettbewerbsfähigkeit – das muss man ganz klar sagen – absolute Sicherheit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11441

Gisela Piltz (A) wird es niemals geben. Das ist eine bittere, aber wahre (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht beim (C) Erkenntnis, zu der man stehen muss. Absolute Sicherheit Bund!) gibt es mit keinem neuen Gesetz, mit keiner neuen Vor- schrift, mit keiner neuen Technik und mit keinem neuen Das ist wirklich ein Wort in Sachen Sicherheit. Compu- Programm. ter, die heute im Zusammenhang mit organisierter Kri- minalität, Kinderpornografie oder auch islamistischem Apropos Programm, Herr Minister: Im letzten Herbst, Terrorismus beschlagnahmt werden, liegen teilweise etwa vor einem Jahr, haben Sie in letzter Minute im Zu- zwei Jahre in den Kellern der Behörden, weil dort kein sammenhang mit der Verabschiedung des Haushaltes das Personal ist. Macht das dieses Land sicherer? DNA-Spu- Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit vorge- ren warten teilweise Jahre auf die Auswertung, und das legt, das von der Großen Koalition verabschiedet wurde. alles, weil es an Ressourcen und Personal fehlt. Mit diesem Programm nahm das Schicksal der Online- Wo bleiben da bitte schön Ihre warnenden Worte, durchsuchung seinen Lauf. Ich kann mich noch gut da- Herr Minister? ran erinnern, als wir als FDP das ausgegraben haben. Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es gab (Zuruf von der CDU/CSU) niemanden von Ihnen, der das verurteilt hätte, – Ich wusste, dass Sie sich das leicht machen. (Jörg Tauss [SPD]: Na, na!) Wenn Sie sich jetzt auf die fehlenden Zuständigkeiten im Innenausschuss nicht und im Haushaltsausschuss berufen, dann frage ich Sie: Ist eine IMK wie die am nicht. Freitag dann eigentlich nur noch eine Show-Veranstal- tung? Es ist ja schön, wenn Sie sich mit den Landes- (Beifall bei der FDP) innenministern auf einen Straftatbestand für den Besuch Sie haben das toleriert, Sie waren dafür. Ob es eine von Terrorcamps einigen. Diesbezüglich möchte ich Sie Rechtsgrundlage dafür gibt oder nicht, war Ihnen ge- aber auf zwei Sachen hinweisen: Erstens sind die Landes- nauso wie damals dem Innenminister völlig egal. innenminister dafür gar nicht zuständig. Einzig und al- lein der Bundestag kann das beschließen, nicht die IMK; (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE das muss ganz klar sein. Sie können vieles beschließen, GRÜNEN]: Die wussten nicht, was das ist!) was der Bundestag dann umsetzen soll. Ich habe aber noch kein warnendes Wort von Ihnen an die Landes- Heimliche Durchsuchung – das ist eine Methode im innenminister gehört, dass diese bei der Polizei und den deutschen Rechtsstaat, die wir bisher nicht kennen, und entsprechenden Ressourcen dringend aufstocken müss- zwar in keinem einzigen Fall. Das in einem Handstreich ten. Wenn eine IMK Sinn ergeben soll, ist auch das ein und möglichst auch noch heimlich einführen zu wollen, (B) Thema, das auf die Tagesordnung gesetzt werden muss. (D) ist aus der Sicht der FDP eines Verfassungsministers Da habe ich Ihre Stimme wirklich vermisst. nicht würdig. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der SPD) Zurück zum Programm. Der Bericht des Bundesrech- Es ist uns klar, dass mehr Polizei und bessere Ausstat- nungshofes, der es untersucht hat, spricht eine sehr deut- tung viel Geld kosten. Aber innere Sicherheit darf aus liche Sprache. Er ist eigentlich eine schallende Ohrfeige unserer Sicht nicht am Geld scheitern. Das ist eine ganz für die Umsetzung des Programms. Kein Wunder, dass klare Haltung meiner Fraktion, und wir würden uns Sie lieber über heimliche Onlinedurchsuchungen als freuen, wenn die anderen das so umsetzen würden. In über das Programm sprechen; denn das ist schon durch- Nordrhein-Westfalen, wo ein liberaler Innenminister die gefallen. Der Bundesrechnungshof führt aus – wenn ich Verantwortung übernommen hat, werden mehr Polizis- kurz zitieren darf –: Bei der Mehrzahl der untersuchten ten eingestellt als in jedem anderen Bundesland. Maßnahmenpakete ist nicht erkennbar, dass die Bundes- polizei ihre Ziele in absehbarer Zeit erreichen kann. Es (Sebastian Edathy [SPD]: Was ist denn da mit sind Beschaffungen vorgesehen, die den parlamentarisch der Onlinedurchsuchung?) bewilligten Umfang deutlich übersteigen. Folgekosten Ich frage mich, ob Ihre sogenannte Große Koalition da bleiben unberücksichtigt, und Konzeptionen für spätere funktioniert. Evaluierungen gibt es erst gar nicht. – Nicht, dass uns das mit den Evaluierungen wundern würde, der Rest Zum Schluss noch eine Aufforderung an das ganze aber schon. Sie versprechen mit Ihren Maßnahmen Si- Parlament: Der Wettlauf um die besten Vorschläge nach cherheit und halten Ihre Versprechungen nicht einmal einem vereitelten Anschlag hat aus meiner Sicht wirk- mit dem, was der Bundestag Ihnen zur Verfügung ge- lich nichts mit seriöser Politik zu tun. stellt hat. Wie wollen Sie dann den Bürgern eigentlich noch klarmachen, wie Sie für Sicherheit sorgen wollen? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Das ist eine Missachtung derjenigen – im Fall der letzten Es geht noch weiter: Seit dem 11. September 2001 Woche waren es 300 Beamtinnen und Beamten –, die sind in Deutschland 10 000 Polizistenstellen und dazu Tag und Nacht gearbeitet und einen Erfolg vorzuweisen noch einmal 7 000 Tarifbeschäftigte bei den Polizeien haben. Das erste, was Sie machen, sind neue Vorschläge, eingespart worden. statt diesen Menschen ausführlich zu danken und in 11442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Gisela Piltz (A) Ruhe neue Vorschläge zu überdenken. Das hat aus mei- Liebe Frau Kollegin Piltz, Sie haben zu Recht festge- (C) ner Sicht mit ruhiger Politik nichts zu tun. stellt, dass die Länder bei der Polizei ihre Personalkon- tingente reduziert haben. Aus meiner Sicht wäre es aber ( [CDU/CSU]: Das haben ein Gebot der Fairness gewesen, hinzuzufügen, dass der wir gemacht!) Bund dies eben nicht getan hat, sondern seine Polizei in Zweitens frage ich mich, warum Sie diese Vorschläge, den zurückliegenden Jahren personell und materiell bes- wenn sie denn so toll sind, nicht schon längst gemacht ser ausgestattet hat. haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Machen wir der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE doch!) GRÜNEN) Das ist keine seriöse Politik. Frau Kollegin Piltz, es ist immer ein bisschen schwie- rig, mit Steinen zu werfen, wie Sie es getan haben. In (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Bezug auf das, was Sie zum Thema Onlinedurchsu- Uns geht es nicht darum, absolute Sicherheit zu ver- chungen gesagt haben, bedarf es folgenden Hinweises: sprechen, uns geht es darum, größtmögliche Sicherheit Warum liegt diese Sachfrage in Karlsruhe vor? Weil es für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zu errei- ein Landesverfassungsschutzgesetz gibt, das diese Rege- chen. Das ist die bessere Alternative. lung enthält. Dieses Gesetz wurde in Nordrhein-Westfa- len beschlossen, und zwar mit Zustimmung der FDP und Herzlichen Dank. des dortigen FDP-Innenministers. Sie sollten daher ganz (Beifall bei der FDP) vorsichtig sein, über diese Durchsuchungen zu richten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Vizepräsident Dr. h. c. : BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Hans- Ich erteile das Wort dem Kollegen Fritz Rudolf Peter Uhl [CDU/CSU]: Immerhin ein Gesetz Körper von der SPD-Fraktion. und keine Dienstvorschrift! – Dr. Max Stadler [FDP]: Der Staatssekretär weiß gar nicht, was Fritz Rudolf Körper (SPD): er unterschrieben hat! – Gisela Piltz [FDP]: Sie haben in Ihrer Zeit im Ministerium nicht Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen einmal eine Rechtsvorschrift geschaffen!) Sie mich – gerade in diesen Tagen – eine Bemerkung machen, die mir sehr wichtig ist: Deutschland kann stolz – Meine Bemerkung hat offensichtlich gesessen. – Wir, (B) sein, dass es im internationalen Vergleich eines der die rot-grüne Bundesregierung, haben dieses Instrument (D) sichersten Länder der Welt ist. übrigens nicht angewendet. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich halte es für einen beachtlichen Vorgang – auch das Ich bitte dies bei allen Debatten, die wir über die will ich deutlich machen –, dass in der Öffentlichkeit Sicherheitslage führen, nicht zu vergessen. Wir müssen keine Bemerkung gemacht worden ist, die die Ermittlun- alles daransetzen, dass Objektivität und Subjektivität gen gefährdet hätte, obwohl Hunderte von Beamten an – die objektive Ausgangsposition und das subjektive den Maßnahmen beteiligt waren, die zu den Verhaftun- Empfinden der Bürgerinnen und Bürger – zusammenge- gen geführt haben. Es ist festzustellen, dass sich das Ter- führt werden. rorabwehrzentrum – wir haben dafür gesorgt, dass sich die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern an einen (Jörg Tauss [SPD]: Statt Hysterie!) Tisch setzen – bewährt hat: Es war entscheidend, um den – Das kann man hinzufügen, Herr Kollege Tauss: statt Vollzug zu effektivieren und um zu diesen Ergebnissen Hysterie. – Ich finde es ganz wichtig, dass wir mit der zu kommen. Darauf können wir stolz sein. Sicherheitslage sorgfältig und objektiv umgehen und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass keine falschen Schlussfolgerungen gezogen wer- den. Es ist wichtig, dass wir nicht immer wieder nach neuen Instrumenten rufen. Manch ein Ruf überlebt Die jüngsten Tage haben deutlich gemacht, wie er- keine 24 Stunden. Wir sollten vielmehr mit den bewähr- folgreich unsere Sicherheitsbehörden mit dem vorhande- ten Instrumenten sehr sorgfältig umgehen, und wir soll- nen Instrumentarium arbeiten können. Dafür sei ihnen ten klären, was wir darüber hinaus noch tun müssen. Ich herzlich gedankt! finde es ganz richtig und wichtig, dass wir das Bundes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kriminalamt zukünftig mit einer sogenannten Präventiv- der CDU/CSU – Silke Stokar von Neuforn kompetenz im Kampf gegen den internationalen Terro- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dank Rot- rismus ausstatten. Das ist nämlich die richtige Antwort Grün!) auf die Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus. Diese Aktionen machen auch deutlich, wie wichtig unsere Fähigkeiten im Vollzug sind. Denn es kommt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht nur auf die Gesetze an, sondern darauf, wie gut wir der CDU/CSU – Clemens Binninger [CDU/ im polizeilichen Vollzug sind. CSU]: Mit Onlinedurchsuchungen!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11443

Fritz Rudolf Körper (A) Was die Frage der Onlinedurchsuchungen anbelangt: den Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen dort geleistet (C) Das ist nach meinem Dafürhalten zwar eine wichtige, wird, können wir stolz sein. letztlich aber nur eine Detailfrage, die wir nicht überhö- hen sollten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Silke Stokar von (Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) [SPD]) Wenn es eine solche Einrichtung nicht gäbe, müsste sie Ich finde es richtig und wichtig, dass wir an der Beant- eigentlich erfunden werden. wortung dieser Frage sorgfältig arbeiten. Ich halte es Das Technische Hilfswerk zeichnet sich dadurch aus, auch für notwendig, die Karlsruher Entscheidung einzu- dass es eine besondere Kombination von Ehrenamtlich- beziehen. Ich denke, das ist die richtige Vorgehensweise. keit auf der einen Seite und Hauptamtlichkeit auf der an- (Beifall bei der SPD) deren Seite gibt. Es ist dann gut, wenn es zwischen den Ehrenamtlichen und den Hauptamtlichen gut funktio- Unser ausdrückliches Angebot ist, über das BKA-Gesetz niert. Die Planungen des Bundesinnenministeriums, von möglichst zügig zu beraten und zu entscheiden. 800 Hauptamtlichen 100 Hauptamtliche einzusparen, (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE halte ich schlichtweg für falsch. GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch nächste (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hartfrid Woche! Das können Sie doch als Fraktion!) Wolff [Rems-Murr] [FDP]) Herr Kollege Schäuble, ich verstehe allerdings nicht, Es kommt hinzu, dass das Technische Hilfswerk eine dass dem Bundeskriminalamt nach der Haushaltsvorlage globale Minderausgabe in Höhe von 7 Millionen Euro 8 Millionen Euro genommen werden, um sie der Bun- erwirtschaften soll. Ich bitte insbesondere die Haushäl- despolizei zukommen zu lassen. Ich habe die Neuorgani- ter, da noch einmal genau hinzuschauen; denn das kön- sationsmaßnahmen im Bereich der Bundespolizei immer nen wir dem Technischen Hilfswerk weder materiell so verstanden, dass es nicht zu einer Vermehrung von noch personell zumuten. Meine herzliche Bitte wäre, Personalkosten kommen soll. Angesichts der Herausfor- eine verbesserte finanzielle Situation für das Technische derungen im Bereich des internationalen Terrorismus Hilfswerk zu erreichen. sind diese 8 Millionen Euro beim Bundeskriminalamt besser eingesetzt als bei der Bundespolizei. (Beifall bei der SPD – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich (Beifall bei der SPD) mache mit!) (B) Wir müssen noch einmal darüber reden, Kollege Uhl, Ob wir im Bereich des Katastrophenschutzes gegen- (D) wie wir das Thema der Neuorganisation der Bundes- über den Ländern ohne rechtliche Grundlage so großzü- polizei grundsätzlich angehen. Mir stellt sich die Frage: gig sein sollten, will ich zumindest mit einem Fragezei- Welche Synergieeffekte kann man bei Bundeskriminal- chen versehen. amt und Bundespolizei nutzen? Ich nenne beispielsweise den kriminaltechnischen Bereich oder den IT-Bereich. Der Innenhaushalt ist sehr facettenreich. Ich will eine Es geht darum, wie wir das bei einer Neuorganisation kurze Bemerkung zum Thema Sport machen. Sie haben forcieren können. Doppelstrukturen bei BKA und Bun- das Rudern angesprochen. Wir müssen feststellen: Im despolizei halte ich nicht für sonderlich sinnvoll. Rudern sind wir im Moment nicht so erfolgreich, wie wir waren. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gisela Piltz [FDP]) (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber im Frauenfußball!) Wir möchten noch einmal grundsätzlich über die Neuorganisation der Bundespolizei reden – das sage ich Warum sind wir im Rudern der Männer nicht so erfolg- ganz deutlich –; denn die Auswirkungen, wie sie sich reich? Weil wir ein Problem haben, was den beruflichen darstellen können, sind unserer Auffassung nach nicht Übergang der Athleten anbelangt. Sie haben gesagt: Wir geeignet, polizeiliche Arbeit zu effektivieren und zu for- können uns das quasi beruflich nicht leisten. – Da wäre cieren. Deswegen ausdrücklich noch einmal dieses Ge- es ganz wichtig, noch einmal den Hinweis an den Bun- sprächsangebot. Es ist notwendig, das Bundespolizeige- desverteidigungsminister zu geben, die Mittel, die er für setz zu ändern. den Leistungssport und die Sportlerinnen und Sportler zur Verfügung stellt, nicht unbedingt zu reduzieren. Das ( [SPD]: So ist es! – Silke wäre ein guter Beitrag für den Sport in Deutschland. Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nächste Koalitionskrise, oder was?) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Das bedarf der Zustimmung dieses Hauses. Das Inte- (Beifall bei der SPD) resse an einer Effektivität der Neuorganisation ist selbst- verständlich. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Herr Kollege Schäuble, Sie haben das Technische Die Linke. Hilfswerk und den Katastrophenschutz angesprochen. Auf das Technische Hilfswerk und die Arbeit, die von (Beifall bei der LINKEN) 11444 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

(A) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wer an die Beschwichtigung des Innenministers (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder glaubt, es gehe ja bloß um zehn Computer im Jahr, der Haushaltsentwurf gibt die Grundrichtung an, in die eine ist selbst schuld und meines Erachtens naiv. Regierung gehen will. Wir sagen an dieser Stelle ganz (Beifall bei der LINKEN) klar: Die Grundrichtung, die hier vorgegeben wird, Herr Innenminister, ist grundfalsch. Wenn erst die rechtliche Grundlage da ist, werden die technischen Mittel ausgebaut. Dann drohen immer mehr (Beifall bei der LINKEN) Computerschnüffeleien. Genauso war es im Übrigen Falsch ist der Galoppritt zum Überwachungsstaat. beim Großen Lauschangriff auf Wohnungen, Falsch ist die Weigerung, Einwanderern und Flüchtlin- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Gerade gen endlich ernsthafte Integrationsangebote zu machen. nicht!) Wir haben vor wenigen Wochen anlässlich des G-8- der ja, bevor er vom Bundesverfassungsgericht gestoppt Gipfels einen erschreckenden Anschauungsunterricht wurde, weidlich ausgeweitet wurde. darin erhalten, wie der Staat aussieht, den sich diese Re- gierung wünscht. An dieser Stelle möchte ich gerne Heribert Prantl zi- tieren, der vor wenigen Tagen im NZZ Folio die Logik (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Aber auch des Überwachungsstaats folgendermaßen beschrieben ein Staat, den Sie sich wünschen!) hat: Um den legitimen Protest gegen den Gipfel zu verhin- Jeder Einzelne gilt als potentiell verdächtig – so dern, sind der Protest und der Widerstand über Monate lange, bis sich durch die Kontroll- und Überwa- hinweg diffamiert worden, Sitzblockaden wurden als chungsmassnahmen seine Entlastung ergibt. Gewalttaten verunglimpft. Rund um den Gipfel herrschte ein pauschales Demonstrationsverbot, und wir (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Finde ich alle haben die Käfige gesehen. Die Bundeswehr hat sich auch!) mit Spähpanzern und Tornados an der Überwachung und Mit dem Rechtsstaatgedanken, an dem die Linksfraktion Einschüchterung von Demonstrantinnen und Demonst- nach wie vor festhält, hat das nichts mehr zu tun. Daran ranten beteiligt. muss man gerade auch heute, am 11. September, erin- Die G-8-Szenen zeigen aber auch, dass es Protest und nern. Widerstand gegen diese Entwicklung gibt, und das ist Meine Damen und Herren, wie falsch die Gelder an- gut so. Zehntausende von Demonstrantinnen und De- gelegt wurden – die Kollegin Piltz ist schon darauf ein- (B) monstranten haben trotz willkürlicher Verbote ihre gegangen –, die angeblich der Sicherheit dienen sollen, (D) Grundrechte wahrgenommen und demonstriert. hat der Bundesrechnungshof gerade gerügt. Von (Beifall bei der LINKEN) 17 Millionen Euro, die voriges Jahr für den Ausbau von Videoüberwachung bewilligt worden waren, sind erst Dieser Protest wird von unserer Fraktion ausdrücklich 600 000 Euro ausgegeben worden, unterstützt. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Meine Damen und Herren, zwei Drittel des gesamten GRÜNEN]: 570 000!) Etats für die Innenpolitik, insgesamt 3,3 Milliarden Euro, fließen in den Bereich Sicherheit. und zwar nicht, weil die Regierung so sparsam ist, son- dern weil sie niemals Vorstellungen für konkrete Pro- (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Das ist jekte entwickelt hatte. Erst wird mit Angstmache Alarm richtig!) geschlagen, dann wird dringender Handlungsbedarf be- hauptet, Gelder werden eingefordert, und am Ende stellt 2008 sollen es noch einmal 270 Millionen Euro mehr sich heraus, dass die Bundesregierung völlig konzep- werden. Schauen wir uns einmal genauer an, was hier ei- tionslos agiert, so zum Beispiel beim Feldversuch am gentlich finanziert wird: Die Trennung von Polizei und Hauptbahnhof in Mainz, wo mit Videokameras eine au- Geheimdiensten ist mit der Einrichtung des Antiterror- tomatische Gesichtserkennung erprobt wurde, die sich zentrums und der sogenannten Anti-Terror-Datei weitge- als großer Flop erwiesen hat und damit eine riesige hend aufgehoben worden. Passfotos werden schon ge- Geldverschwendung darstellt. speichert und ab 1. November auch die Fingerabdrücke von allen, die Reisepässe haben wollen. Die nächsten Die Linke hat andere Vorstellungen davon, wo Gelder Überwachungsmaßnahmen sind schon vorbereitet. Das eingesetzt werden müssten. Letztes Jahr hat die Bundesre- Bundeskriminalamt wird zur Geheimpolizei mit weitrei- gierung hier mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ein chenden Befugnissen spontanes Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit mit einem Volumen von 130 Millionen Euro beschlossen. (Sebastian Edathy [SPD]: Das ist aber ein pro- Die Linke fordert jetzt ein ähnliches Sofortprogramm, und blematischer Begriff, den Sie da anwenden, zwar zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Frau Kollegin!) (Beifall bei der LINKEN) zur Telefonüberwachung, zur Verwanzung von Wohnun- gen und zur heimlichen Onlinedurchsuchung, die ja Herr Schäuble, meine Damen und Herren, niemand schon Gegenstand dieser Debatte war. kann ernsthaft bestreiten, dass die größte Gefährdung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11445

Ulla Jelpke (A) der öffentlichen Sicherheit zurzeit von den Neofaschis- Flüchtlinge und Migranten gefahrenfrei und legal auf (C) ten und Rechtsextremisten ausgeht. dem Territorium der EU ankommen können. Das wäre meiner Meinung nach wirklich ein humanitärer Akt. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das sind aber nicht die Einzigen!) Im vorliegenden Haushaltsentwurf ist von all diesen Dingen nichts zu finden. Die Linksfraktion fordert vor Das hat vor einigen Tagen besonders die rassistische allem, die Zusammenlegung von Polizei und Geheim- Hetzjagd in Mügeln gezeigt. Das Beispiel Mügeln hat diensten ebenso wie die Inlandseinsätze der Bundeswehr auch gezeigt, dass es falsch war, die Verantwortung für sofort zu stoppen. Streichen Sie die Millionen für High- die Projekte gegen Rechts an die Kommunen zu dele- techüberwachungsanlagen, stoppen Sie den Aufbau des gieren. Die örtlichen Amtsträger wollen das Problem des Schnüffelstaates, und investieren Sie Gelder in den Rechtsextremismus oftmals nicht sehen. Basisinitiati- Kampf gegen Rechtsextremismus und für eine humani- ven und Beratungsteams gegen Rechtsextremismus müs- täre Flüchtlingspolitik! sen ständig um ihre weitere Finanzierung bangen. Etli- che Projekte wurden schon eingestellt, weil sie nicht Zuletzt weise ich darauf hin, dass am 22. September mehr finanziert werden. hier in Berlin eine Demonstration unter dem Motto „Stoppt den Überwachungswahn“ gegen Vorratsdaten- Da läuft doch wirklich etwas falsch. Während Linke speicherung und den Abbau von Bürgerrechten stattfin- stets mit dem § 129 a StGB bedroht sind und damit rech- det. Wir als Linke werden uns auf jeden Fall an diesen nen müssen, als terroristische Vereinigung zu gelten, Protesten beteiligen. verüben Rechtsextremisten Tausende von rechtsextre- Danke schön. mistischen Straftaten, ohne dass die Bundesregierung ernsthafte Gegenmaßnahmen anzubieten hätte. (Beifall bei der LINKEN – Ralf Göbel [CDU/ CSU]: Viel Vergnügen dabei!) Die Linke fordert deswegen: Wenn schon 270 Millio- nen Euro zusätzlich für sogenannte Sicherheitsausgaben Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: bereitstehen sollen, dann muss dieses Geld voll und ganz Ich erteile das Wort Kollegin Silke Stokar, Fraktion in den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus Bündnis 90/Die Grünen. fließen. (Beifall bei der LINKEN) Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE Die schon vor Jahren vom Bundestag beschlossene un- GRÜNEN): abhängige Beobachtungsstelle gegen Rechts muss end- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen. Zunächst gra- (B) lich geschaffen werden. Das könnte dazu beitragen, dass (D) auch Dunkelziffern rechter Gewalt offengelegt würden tulieren natürlich auch wir den Frauen der Fußballnatio- nalmannschaft, die gestern mit 11 zu 0 hervorragend ge- und tatsächlich mehr Sicherheit zu erreichen wäre, ins- gen Argentinien gewonnen haben. Das ist eine besondere was den Schutz der potenziellen Opfer an- hervorragende Leistung, die ganz ohne Doping erreicht geht. wurde und die hier im Hause auch gewürdigt sein soll. Noch ein paar Worte zur Integrationspolitik. Die (Beifall) Sprachkurse für Neuzuwanderer und Flüchtlinge sind eindeutig unterfinanziert. Notwendig wären eine höhere Meine zweite Bemerkung richtet sich an die parla- Stundenzahl, kleinere Kurse und eine bessere Entloh- mentarische Verantwortung in diesem Haus. Ich vertrete nung des Lehrpersonals. Wir wollen, dass auch soge- nicht die Auffassung, dass der BKA-Präsident Ziercke nannte Geduldete und Asylsuchende diese Kurse besu- dem Parlament über öffentliche Interviews sagen sollte, chen dürfen. Selbst das von der Bundesregierung in was die Polizei braucht. Ich glaube, es ist im demokrati- Auftrag gegebene Rambøll-Gutachten geht von einem schen Rechtsstaat gute Tradition, dass das Parlament Mehrbedarf von fast 60 Millionen Euro aus. Veran- der Polizei auch Grenzen setzt und dass wir bestimmen, schlagt sind aber nur 14 Millionen Euro. Wir sagen hier wo das Ende der Wunschliste der Polizei ist. ganz klar: Wer Integration zur nationalen Aufgabe er- (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke klärt, wie das vor allen Dingen die CDU/CSU tut, muss [DIE LINKE]) auch entsprechende Mittel bereitstellen, damit diese In- tegrationskurse optimal ausgestaltet werden können. Das sollten wir hier nicht durch einige laxe Bemerkun- gen des Innenministers in das Gegenteil umkehren las- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Während die Regierung weiterhin bei der Integration DIE GRÜNEN) spart, wird die sogenannte EU-Grenzschutzagentur Lassen Sie mich auch sagen: Gleiches gilt für die Frontex weiter aufgerüstet. Deren Schiffe und Hub- IMK. Selbstverständlich haben die Innenminister der schrauber sollen Flüchtlinge abschrecken, was in der Länder das Recht, sich zu versammeln. Selbstverständ- Praxis bedeutet, dass noch mehr Menschen gefährdete lich haben sie auch das Recht, den Herrn Bundesinnen- Fluchtrouten benutzen müssen. Die Flüchtlingsorganisa- minister als Gast dazu einzuladen. tion „Pro Asyl“ hat am Tag des Flüchtlings erklärt: Wer das Sterben vor den Toren Europas wirklich verhindern (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist möchte, muss sich Gedanken darüber machen, wie gnädig!) 11446 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Silke Stokar von Neuforn (A) Gesetzgeber zur Bundesinnenpolitik ist jedoch der das mache ich nicht. Herr Uhl oder Herr Edathy spielen (C) Deutsche Bundestag; Gesetzgeber ist das Parlament und das ganze Spiel ab und zu noch öffentlich mit. sonst niemand. Dieses Selbstverständnis sollten zumin- dest wir hier unten in den Reihen alle miteinander teilen. Ihre Bilanz nach zwei Jahren als Innenminister sieht so aus – ich verstehe das ein Stück weit; denn Sie woll- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ten diesen Job nie haben –: Zu Beginn dieser Legislatur- Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo ist der periode haben Sie zwei Gesetze, die noch von Rot-Grün Streit?) auf den Weg gebracht wurden, zu Ende geführt. Seitdem gibt es nichts: keinen Gesetzentwurf, kein Konzept, Weiterhin möchte ich eine Frage an Sie, Minister keine Pläne und keine Umsetzung von Sicherheitsmaß- Schäuble, richten. Wir sind in den Haushaltsberatungen. nahmen. Das Einzige, was es gibt, sind Hardlinersprüche Ich frage Sie: Was machen Sie eigentlich mit dem Geld, in der Presse und ein Riesengezänk in der Großen Koali- das Ihnen das Parlament zur Verfügung stellt? Es ist von- tion. seiten der Opposition von einigen Rednern angespro- chen worden: Zum Haushalt 2007 haben Sie ein zusätz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – liches Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Was wollen gefordert und es nach den zum Glück vereitelten Koffer- Sie denn haben?) bombenanschlägen von der Mehrheit des Hauses auch Lassen Sie mich zu zwei der umstrittenen Projekte et- erhalten. Von diesen 26 Millionen Euro haben Sie nach was sagen. Wir wollen keine Onlinedurchsuchungen. einem Bericht des Bundesrechnungshofs lediglich Herr Kollege Uhl, der Unsinn, den Sie dazu gesagt ha- 3,4 Prozent für die Terrorismusbekämpfung ausgegeben. ben, ist eigentlich nur Ausdruck Ihrer Desinformation. Für mich ist dieser Vorgang ein Skandal. Für mich ist Was ist denn schon heute alles möglich? Selbstverständ- dieser Vorgang eine Missachtung des Haushaltsrechts lich kann das BKA im Internet nach Bombenbau- des Parlaments. So geht das nicht! Der Begriff Terroris- anleitungen fahnden; selbstverständlich kann der BND musbekämpfung wird für Sie zum Sesam-öffne-dich der die E-Mail-Kontakte zwischen Deutschland und Pakis- Steuerkasse. Anschließend verschwindet das Geld in den tan überwachen; selbstverständlich hat das BKA auch schwarzen Kassen des BMI, und Sie sagen uns nicht, schon heute bei Terrorismusverdacht die Möglichkeit, was Sie mit diesem Geld konkret gemacht haben. versandte E-Mails zu überwachen. All dies sagen Sie der (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Frau Kolle- Bevölkerung nicht. gin, erzählen Sie doch nicht so ein dummes (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Reden Sie Zeug!) mal mit Ihrem Herrn Ströbele! Der weiß mehr darüber!) (B) Vor diesem Hintergrund wundert es mich überhaupt (D) nicht, dass mein Antrag auf Akteneinsicht zur Sicher- Herr Schäuble will das Eindringen in private Compu- heitszentrale der Bahn seit zwei Monaten im Übrigen ter mit einer staatlich entwickelten Spionagesoftware er- rechtswidrig vom BMI nicht beantwortet wird. Wir wol- möglichen. Ich lehne diese Maßnahme nicht nur aus ver- len wissen, wie es um die Videoüberwachung der Bahn- fassungsrechtlichen Gründen ab. Ich möchte, dass höfe steht. Wir wollen es nicht länger zulassen, dass der Bundeskanzlerin Merkel auf dem nächsten IT-Kongress Bundesinnenminister öffentlich überall mehr Videoüber- einmal der IT-Wirtschaft erklärt, wie Internetsicherheit wachung fordert. Wir sind nicht der Auffassung, dass in Deutschland hergestellt werden soll. Ich möchte, dass dies der richtige Weg ist, wenn der Minister dann in sei- die Bundeskanzlerin erläutert, zu welchem ökonomi- nem Zuständigkeitsbereich der Bahnsicherheit das zur schen Schaden die Umsetzung von Schäubles Plänen Verfügung gestellte Geld nicht ausgibt, wofür er eine – nach meiner Auffassung führen sie zu Internetgefahr Rechtsgrundlage hat. Dort, wo er Verantwortung trägt, made in – führen kann. handelt er nicht. Um es ganz deutlich zu sagen: Wir ha- ben die Schnauze voll von Denkanstößen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bundesinnen- minister Schäuble, Frau Kollegin!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Herr Präsi- dent, was passiert mit der Sprache? Da bin ich Wenn Sie mir an diesem Punkt nicht glauben, kann ja harmlos!) ich Ihnen nur sagen: Chip, eine der besten deutschen Computerzeitschriften, forderte auf ihrer Titelseite den Wir haben keine Lust mehr auf Ankündigungen im Be- „Schäuble-Blocker“. Die Computerzeitschrift Chip be- reich der Innenpolitik. Wir haben auch keine Lust mehr schreibt sehr genau die ökonomischen Schäden, die ent- auf das innenpolitische Theater, das wir seit zwei Jahren stehen, wenn der Staat Spionagesoftware entwickelt. Es hier verfolgen können. ist nur eine Frage der Zeit, dass diese Spionagesoftware auch in kriminellen Händen ist und dass damit zum Bei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) spiel Onlinebankkonten leergeräumt werden. Das ganze Vorhaben ist Unsinn und kein Beitrag zu mehr Sicher- Wir sagen: Sechs Jahre nach den verheerenden An- heit. schlägen des 11. Septembers ist die Lage viel zu ernst, als dass wir es uns hier in Deutschland leisten könnten, Meine Damen und Herren – ich wende mich insbe- dass der Bundesinnenminister im Wochentakt – man sondere an die SPD – ich kann Ihre Begeisterung für die könnte fast sagen: im Stundentakt – eine Forderung in Novelle des BKA-Gesetzes wahrlich nicht nachvollzie- den Raum stellt. Die Justizministerin sagt dann: Nein, hen. Die Novelle führt zu einer grundlegenden Ände- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11447

Silke Stokar von Neuforn (A) rung der Sicherheitsstruktur in Deutschland, hin zu mehr Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C) Zentralismus. Das BKA wird zukünftig, ohne in Koope- Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. ration und Kommunikation mit den Landeskriminaläm- tern treten zu müssen, in eigenem polizeilichen Ermessen, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das meint der befreit von der Kontrolle durch die Bundesanwaltschaft, Präsident ernst!) ermitteln können. Damit werden Wünsche erfüllt, die das BKA schon in den 70er-Jahren hatte. Um im ganzen Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE Land agieren zu können, bedarf es nur der Zauberformel GRÜNEN): „Terrorismusverdacht“. Vor dem G-8-Gipfel haben wir Herr Präsident, ich komme zum Schluss. gesehen, wie in Deutschland nach wie vor mit dem Ich möchte zum Schluss eine Bitte an alle Fraktionen Begriff „Terrorismusverdacht“ umgegangen wird. Wir richten. Wir haben erneut einen Brief von der liberal-jü- wollen nicht, dass das BKA sozusagen alleine, ohne dischen Gemeinde bekommen mit der Bitte, uns im Bun- Richterbeschluss, auch nachts, Häuser in Deutschland destag dafür einzusetzen, dass das Abraham-Geiger- durchsuchen kann. Kolleg – es bildet Rabbiner nach der liberal-jüdischen Irgendwer wird mir vielleicht einmal erläutern, was Tradition aus – endlich ausreichend aus Bundesmitteln man mit einem Platzverweis für Terrorverdächtige errei- finanziert wird. Ich bin der Meinung, dass wir fraktions- chen will. Ich habe erst überlegt, ob ich darüber lachen übergreifend mit einem Antrag zugunsten dieses Projek- soll; aber offensichtlich meinen Sie das ernst. tes in die Haushaltsberatungen eingreifen sollten und da- für sorgen sollten, dass dieses Rabbiner-Kolleg mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bundesmitteln anständig finanziert wird. Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Ihre Rede- Danke schön. zeit ist vorbei, Frau Stokar!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Nein. Zu den Themen Integration und Rechtsextremismus Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ist hier einiges gesagt worden, auch von der Bundesre- Das Wort hat nun Kollege Michael Luther, CDU/ gierung. Es gab ein großes öffentliches Tamtam, großes CSU-Fraktion. Theater. Es wurde ein nationaler Integrationsgipfel ins (Beifall bei der CDU/CSU) Leben gerufen. Die Ergebnisse der Evaluation der Inte- grationskurse – Sie haben die Evaluation selbst in Auf- trag gegeben – werden nicht ernst genommen. Sie setzen Dr. Michael Luther (CDU/CSU): (B) nicht die erforderlichen Mittel ein, um Ihre eigene For- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (D) derung – Zuwanderer sollen Deutsch lernen – in die Tat Kollegen! Es geht heute um die Einbringung des Haus- umzusetzen. Zum Deutschlernen braucht man Kurse. haltes des Bundesinnenministers; als Mitglied des Haus- Dazu benötigt man ausreichend bezahltes und qualifi- haltsauschusses will ich ein paar Dinge dazu sagen. Der ziertes Lehrpersonal und eine Kinderbetreuung. Was ma- Haushalt hat ein Volumen von 4,85 Milliarden Euro. Das chen Sie? Erst kürzen Sie die Haushaltsmittel erheblich; sind 360 Millionen Euro oder 8 Prozent mehr als 2007. dann legen Sie wieder etwas drauf. Aber Sie wissen ganz An dieser Stelle stelle ich fest: Unser Minister Schäuble genau, dass diese Haushaltsmittel nicht ausreichend hat gegenüber dem Finanzminister einen guten Job ge- sind, macht. Ich habe nicht den Eindruck, dass er seine Arbeit nicht gerne macht. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Mittel wach- Der Haushalt – das ist ein wichtiges Signal – weist sen doch auf! Sagen Sie das doch mal!) keine globale Minderausgabe mehr aus. Es ist für uns als um vernünftige Integrationskurse, die wir in Deutsch- Mitglieder des Haushaltsausschusses ausgesprochen land dringend brauchen, zu finanzieren. wichtig gewesen, dies zu erreichen. Denn das Damokles- schwert, das im Laufe des Jahres immer über den einzel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen Kapiteln hing – das THW wurde angesprochen –, wird es in Zukunft nicht mehr geben. Ein weiterer Bereich; das Stichwort „Mügeln“ ist schon gefallen. Sie haben es innerhalb von kürzester Zeit ge- Der überdurchschnittliche Zuwachs ist durch die schafft, die guten Programme gegen Rechtsextremismus, innere Sicherheit begründet. Es werden 230 Millionen mit denen eine Struktur der Gegenwehr gerade in den Euro mehr ausgegeben. Es ist nun einmal so: Das Innen- neuen Bundesländern aufgebaut worden ist, kaputtzuma- ministerium ist das Sicherheitsministerium unseres Lan- chen. Sie leiten die Gelder in die falschen Hände. des. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt muss die (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Zeit aber wirklich abgelaufen sein!) Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass dafür das meiste Geld ausgegeben wird. Ich denke, gerade in Zei- Sie haben den Begriff „Rechtsextremismus“ aus der ten der Haushaltskonsolidierung bleibt eine Aufgabe Überschrift dieser Programme gestrichen. Sie unter- ganz wichtig: dass das Ministerium seine Verantwortung scheiden sich nicht sehr von dem Bürgermeister in Mü- für die Sicherheit der Menschen wahrnimmt. geln; denn in der Realität meinen Sie es gar nicht ernst mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus. (Beifall bei der CDU/CSU) 11448 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Dr. Michael Luther (A) Dass das notwendig ist, hat gerade die letzte Woche ge- Fäden zusammenzuführen und das Projekt auf den Weg (C) zeigt, in der drei militante Islamisten festgenommen zu bringen. worden sind, die, wenn man das nicht gemacht hätte, ei- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war auch nen Anschlag mit ungeahnten Folgen für die Bürger un- sehr schwierig!) seres Landes hätten ausführen können. Im Haushaltsausschuss und im Plenum des Bundestages Heute ist ein denkwürdiger Tag: der sechste Jahrestag haben wir schon oft darüber geredet. Allerdings kann des sogenannten 9/11. Damals wurde der Welt gezeigt, erst jetzt gesagt werden – das muss man bedauerlicher- wie Terrorismus funktioniert. Daher ist heute der rich- weise feststellen –, welche finanziellen Mittel für die Er- tige Zeitpunkt, darüber zu reden. Ich will es ganz klar sa- füllung dieser Aufgabe notwendig sind. Die mittelfris- gen: Dass es bei uns bislang keine Anschläge wie in tige Finanzplanung sieht für die nächsten Jahre Madrid oder London gegeben hat, kann man vielleicht momentan 1,1 Milliarden Euro vor. Das ist zu wenig. unter dem Stichwort „Glück gehabt“ abhaken. Bis 2021 brauchen wir mehr Geld. In den Haushaltsbera- (Dr. Max Stadler [FDP]: Nicht nur!) tungen werden wir auch darüber reden müssen. Aber das liegt ganz wesentlich auch an unseren Sicher- Der Katastrophenschutz ist hier schon mehrfach an- heitsbehörden in Deutschland, gesprochen worden. Auch ich will etwas dazu sagen. Der Bund hat die erforderlichen Einsatzfahrzeuge für die (Dr. Max Stadler [FDP]: So ist es!) Feuerwehren vor Ort jahrelang finanziert. Im Rahmen die eine gute Arbeit leisten und bislang an der einen oder der Föderalismusreform wurde klar geregelt, welche anderen Stelle Schlimmeres verhindern konnten. Aufgaben Bund und Länder wahrzunehmen haben. Die Länder haben diesbezüglich jetzt eine größere Verant- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wortung. Der Bund hat in diesem Zusammenhang aber neten der SPD und der FDP) – das sage ich ganz klar, und diesbezüglich bin ich mit meiner Fraktion einer Meinung – eine Koordinierungs- Wenn man Sicherheit als wichtiges Thema erkennt, funktion wahrzunehmen, damit die Einheitlichkeit des dann weiß man, dass es der haushaltsmäßigen Unterset- Katastrophenschutzes gewährleistet werden kann. zung bedarf. Ich bin Haushälter, und jeder weiß, dass ich grundsätzlich eher für weniger bin. An dieser Stelle aber Das Ergebnis der Verhandlungen über ein angepasstes bin ich für die Zurverfügungstellung von Mitteln in aus- Katastrophenschutzkonzept von Bund und Ländern ist reichender Höhe, gegebenenfalls von mehr. Der Deut- meiner Ansicht nach interessant. Der Bund zahlt nun- sche Bundestag sollte nicht Gefahr laufen, sich eines Ta- mehr zwei Drittel und die Länder ein Drittel. Mit Ver- ges vorwerfen lassen zu müssen, wir hätten zu wenig für laub: Ich hätte mir das auch andersherum vorstellen kön- (B) die Sicherheit der Menschen getan und einen Anschlag, nen. Ich halte das aber für einen Erfolg; denn die Länder (D) den man hätte verhindern können, aus finanziellen Grün- beteiligen sich jetzt immerhin zu einem Drittel an dieser den nicht verhindert. Aufgabe. Auch das ist ein Erfolg der Verhandlungen von Herrn Schäuble. An dieser Stelle möchte ich ihm meinen An dieser Stelle will ich klar sagen: Man darf techno- herzlichen Dank dafür aussprechen. logisch nicht stehen bleiben. Die Erfolge, die heute mit den vorhandenen Mitteln erreicht werden können, kön- (Beifall bei der CDU/CSU) nen morgen nur dann erreicht werden, wenn den Sicher- In den letzten Haushaltsberatungen haben wir oft über heitsbehörden auch die Mittel von morgen zur Verfü- das Thema Integration geredet. gung stehen. Wir dürfen technologisch nicht stehen bleiben. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oh ja! Frau Kollegin Hagedorn!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben gesagt, dass wir die notwendigen Mittel zur Ich will noch ein anderes Thema ansprechen. Das Verfügung stellen müssen. Es gab den Integrationsgipfel, Bundesministerium des Inneren wird seine Immobilien der auch im Haushalt 2008 eingeplant ist. Gleichwohl bis Ende dieses Jahres an die Bundesanstalt für Immobi- muss ich sagen, dass mich das Ergebnis überrascht hat. lienaufgaben übergeben. Damit wird das Bundesinnen- Es gibt zwar ein Mehr, aber nur ein Mehr von ministerium das erste Ministerium sein, das das ge- 10 Prozent. Auf der anderen Seite zeigt das aber, dass schafft hat. Die Auswirkungen – das will ich an dieser wir die benötigten Mittel zur Verfügung gestellt haben. Stelle klar sagen – sind im Einzelplan noch nicht voll- ständig etatisiert; das werden wir im Laufe der Haus- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE haltsberatungen tun. Mit der Umstrukturierung wurde GRÜNEN]: Tolle Rechnung! Zwei Drittel ein wichtiges Signal gesetzt: Zukünftig wird das Minis- streichen, ein Drittel zurück, und das ist mehr!) terium sehr darauf achten, dass nur die Objekte angemie- tet bzw. genutzt werden, die tatsächlich benötigt werden. Gleichwohl sage ich, dass ich mich mit diesem Man wird darauf achten, nur so viel Miete zu zahlen wie Thema noch nicht ausreichend beschäftigt habe. Wir nötig; schließlich sollen alle Aufgaben des Ministeriums werden das im Rahmen der Haushaltsberatungen noch erfüllt werden können. tun. Wir müssen dieses Thema noch einmal anpacken; denn die Sprachförderung bleibt für die Union ein wich- Als Haushälter muss ich noch einen Satz zum BOS- tiges Thema. Digitalfunk sagen. Es ist ein großer Erfolg des Bundes- innenministers, dass es ihm letztendlich gelungen ist, die (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11449

Dr. Michael Luther (A) Lassen Sie mich einen letzten Satz zur Sportförderung Erinnern wir uns an den Onlinezugriff auf Bankdaten. (C) sagen: 17,3 Millionen Euro mehr sind ein gutes Signal Dieser Onlinezugriff war ursprünglich zur Bekämpfung an den Spitzensport. Gerade im Bereich der Sommer- der organisierten Kriminalität geplant. Er kann heute sportarten müssen wir mehr Mittel zur Verfügung stel- jede Bürgerin und jeden Bürger treffen. len. Ich denke, der Haushalt 2008 ist ein gutes Signal für (Zuruf von der FDP: Sehr richtig!) unsere Athleten, die Deutschland im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen in Peking vertreten werden. Das ist die Entwicklung. Wir haben in den Haushaltsberatungen viel vor uns. Herr Minister Schäuble, Sie persönlich waren es, der Packen wir es an! bei dem Thema Mautdaten in gleicher Weise agierte. Dieser Bundestag hat bei Einführung der Lkw-Maut ein- Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. stimmig beschlossen, dass die dabei erhobenen Daten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nur für Abrechnungszwecke verwendet werden sollen. neten der SPD) Die CDU/CSU hat übrigens besonderen Wert auf diesen Passus im Gesetz gelegt. Als ein schlimmes Verbrechen an einer Autobahnraststätte geschah, haben Sie, Herr Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Minister Schäuble, als einer der Ersten verlangt, dass die Ich erteile das Wort Kollegen Max Stadler, FDP-Frak- Daten selbstverständlich auch für polizeiliche Zwecke tion. zur Verfügung stehen. (Beifall bei der FDP) (Zuruf von der CDU/CSU: Welche denn?) Ich will gar nicht darüber diskutieren, ob es richtig oder Dr. Max Stadler (FDP): falsch ist. Mir geht es darum, dass hier von der Bundes- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- regierung, aber auch von der Mehrheit im Parlament im- ren! Ich möchte einen Gedanken von Minister Schäuble mer wieder versprochen wird, dass eine bestimmte Maß- aufgreifen. Herr Minister, Sie haben gesagt: Wir können nahme die Ausnahme bleibt. Am Ende wird diese auf die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden vertrauen. Ausnahme dann immer weiter ausgeweitet, und ganz am Der Meinung sind wir als FDP auch. Schluss ist es eine Standardmaßnahme. Das ist die Reali- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE tät, auf die wir uns einstellen müssen. GRÜNEN]: Wir kontrollieren sie auch!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Der Fahndungserfolg der letzten Woche war ein Beleg des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. [DIE LINKE]) (B) für die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden. (D) Wem das noch nicht genügt, der möge einen Blick in (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der § 100 a Strafprozessordnung werfen, der die Telefon- SPD) überwachung regelt. Damit hat man im Jahr 1968 begon- Aber die Sicherheitsbehörden brauchen dafür auch das nen; bezüglich vier schwerer Delikte war Telefonüber- Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Durch die Politik wachung zulässig. Ich habe jetzt einmal in diesem der letzten Monate mit einem unangebrachten Stakkato ellenlangen Paragrafen die möglichen Delikte gezählt. von unausgegorenen Verschärfungsvorschlägen wurde Bei 90 Delikten habe ich aufgehört, zu zählen. So ist das gerade dieses Vertrauen gestört. ausgeweitet worden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das sind der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE alles schwere Straftaten!) GRÜNEN) Herr Minister Schäuble, daher besteht unser Miss- Ich will versuchen, Ihnen an einem Beispiel deutlich trauen. Sie sagen: Regt euch nicht auf, ein Eingriff in die zu machen, welche Fehlentwicklung die Innenpolitik Privatsphäre ja, aber für wenige Fälle im Jahr. Später hier nimmt. Sie sagten heute in Ihrer Rede hier und auch werden immer mehr Fälle dazukommen; es wird immer zuvor im Morgenmagazin, die umstrittene Online- mehr ausgeweitet. Der hessische Datenschutzbeauf- durchsuchung sei eine Maßnahme, die in nur ganz we- tragte, ein angesehener Professor für öffentliches Recht, nigen Fällen im Jahr in Betracht komme. Das glaubt Michael Ronellenfitsch – installiert von der Regierung nach den Erfahrungen, die die Bürgerinnen und Bürger Koch –, hat davor gewarnt, indem er in einer Fachzeit- mit der Innenpolitik machen mussten, niemand. schrift schrieb: Ich nenne folgende Beispiele: Sind Zugriffsmöglichkeiten einmal geschaffen, ver- selbständigen sie sich leicht gegenüber ihrem ur- Dieser Bundestag hat einmütig beschlossen, dass wir sprünglichen Zweck. keine Speicherung der Telekommunikationsdaten, der Daten von Millionen unverdächtiger Bürgerinnen und Dagegen müssen wir als Opposition angehen. Bürger, auf Vorrat haben wollen. Die Bundesregierung Herr Minister, Sie haben heute – das sei zugestan- beschließt auf EU-Ebene genau das Gegenteil mit. den – eine relativ moderate Rede gehalten. (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Aber erst, nach- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE dem der Bundestag gefragt wurde!) GRÜNEN]: Das macht er immer!) 11450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Dr. Max Stadler (A) Aber es ist noch nicht sehr lange her – deswegen muss Ganz sicher kein Beitrag zur Stärkung der inneren (C) man hier im Hohen Haus nach der Sommerpause daran Sicherheit war der Vorschlag, das Alter für den Erwerb erinnern –, dass Sie Interviews gegeben haben, wie etwa großkalibriger Waffen von 21 auf 18 Jahre herabzuset- im Spiegel, die – ich sage das einmal vorsichtig – grenz- zen. Es ist gut, dass dieser Vorschlag schnell zurückge- wertig waren: mit der Relativierung der Unschuldsver- zogen wurde. mutung, mit dem Aufwerfen der Frage der gezielten Tötung von Terrorverdächtigen und anderem. Zum Haushalt. Das Volumen dieses Haushalts nimmt im kommenden Haushaltsjahr um gut 8,2 Prozent zu. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist falsch! Umso unverständlicher ist, warum es in einigen für uns Sie können nicht lesen!) wichtigen Bereichen zu Kürzungen oder Umschichtun- gen kommt; der Kollege Fritz Rudolf Körper hat dies im Minister Schäuble hat sich darauf berufen, er habe Fra- Hinblick auf BKA und Bundespolizei bereits angespro- gen aufgeworfen und das dürfe man doch wohl noch. chen, der Kollege Sebastian Edathy wird beim Thema Wir sagen: Das reicht uns nicht. Von einem Verfassungs- Integration darauf eingehen. minister erwarten wir Antworten, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich will noch etwas zum Katastrophenschutz sagen. NEN]: Richtig!) Im Haushaltsentwurf sind dafür ohne gesetzliche und konzeptionelle Grundlage weitere 30 Millionen Euro und zwar Antworten, die Freiheit und Sicherheit mit- eingeplant. Allerdings wird das THW, das in originärer einander verknüpfen. Diese Antworten von Ihnen ver- Zuständigkeit des Bundes ist, bei der Erwirtschaftung missen wir. der globalen Minderausgabe überproportional, nämlich in einem Umfang von 7,3 Millionen Euro, herangezo- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ gen. Ich darf daran erinnern, dass es die Länder in den DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Beratungen der Föderalismuskommission bislang abge- SPD) lehnt haben, dem Bund mehr Kompetenzen bei der Be- wältigung überregionaler Katastrophen zu übertragen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Warum also kommt es in diesem Bereich zu einer Auf- Ich erteile das Wort Kollegin Gabriele Fograscher, stockung, beim THW dagegen zu einer Kürzung? SPD-Fraktion. Ich unterstreiche ganz ausdrücklich das, was Sie, Herr (Beifall bei der SPD) Minister, zum THW sowie zu seiner Struktur des Ehren- amtes und des Hauptamtes gesagt haben. Hervorheben möchte ich die Jugendarbeit, die vom THW geleistet (B) Gabriele Fograscher (SPD): (D) wird. Die Sommercamps sind schon angesprochen wor- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! den. Das THW ist für Jugendliche aufgrund der Kombi- Heute ist der 11. September; das ist schon mehrfach er- nation von Engagement und Umgang mit Technik attrak- wähnt worden. Ich denke, dieses Datum hat in der heu- tiv. Es bietet sinnvolle Freizeitbeschäftigungen an. Dort tigen innenpolitischen Debatte eine besondere Bedeu- entwickeln sich Freundschaften, es wird gesellschaftli- tung. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hat nach ches Engagement betrieben, und die Zivilcourage wird dem 11. September 2001 reagiert. Sie hat umfassende gestärkt. Damit leistet das THW einen Beitrag gegen Sicherheitspakete beschlossen, die den Sicherheitsbe- Extremismus, insbesondere gegen Rechtsextremismus. hörden ein effektives Instrumentarium an die Hand ge- Deshalb ist die Kürzung in diesem Bereich wirklich un- geben haben. Dass die geplanten Anschläge in der letz- verständlich. ten Woche vereitelt werden konnten, hat gezeigt: Die Sicherheitspakete haben sich bewährt. (Beifall bei der SPD) Herr Minister Schäuble, Sie haben zu Recht hervorge- Ebenfalls einen Beitrag zur Bekämpfung von Extre- hoben, dass die gute Zusammenarbeit zwischen den mismus bzw. Rechtsextremismus leistet das im Jahr 2000 Länder- und Bundesbehörden für den Fahndungserfolg gegründete „Bündnis für Demokratie und Toleranz – ausschlaggebend war. Das kam nicht von selbst, sondern gegen Extremismus und Gewalt“. Mehr als 1 000 Or- es mussten zuerst Strukturen geschaffen werden. Dieser ganisationen und Initiativen haben sich unter dem Dach Erfolg ist das Ergebnis des Zusammenführens dieser Be- dieses Bündnisses zusammengeschlossen. Damit enga- hörden im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum. gieren sie sich für Demokratie und Toleranz. Mitglieder Maßstab war und ist für uns, dass es auch in Zukunft aller Bundestagsfraktionen sind in seinem Beirat vertre- eine Balance zwischen den Sicherheitsanforderungen ten. Im letzten Jahr konnten wir auch auf Drängen der und den individuellen Bürgerrechten, die unsere Demo- SPD-Haushälter erreichen, dass der Haushalt für das kratie ausmachen, geben muss. Dies gilt vor allen Din- Bündnis auf 1 Million Euro aufgestockt worden ist. Im gen dann, wenn neue Instrumente geschaffen werden Entwurf des Haushalts 2008 sind die Mittel für das sollen. Bündnis wieder auf 700 000 Euro gekürzt worden; dies entspricht einer Kürzung um 30 Prozent, was für uns Hinter dem Schlagwort „Onlinedurchsuchung“ ver- ebenfalls unverständlich ist. Für mich und meine Frak- bergen sich ganz erhebliche rechtliche und technische tion steht außer Frage, dass das Bündnis gute und not- Probleme, für deren Klärung wir uns die nötige Zeit neh- wendige Arbeit leistet und personell und finanziell ge- men müssen; wir werden sie uns auch nehmen. stärkt werden muss. Wir dürfen in unserer Beratungs- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11451

Gabriele Fograscher (A) und Aufklärungsarbeit nicht nachlassen. Im Gegenteil: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C) Wir müssen unsere Arbeit verstärken. Ich erteile Kollegen Hans-Peter Uhl, CDU/CSU- Hinsichtlich der Kritik an den Programmen, die im Fraktion, das Wort. Familienministerium angesiedelt sind, kann ich Ihre (Beifall bei der CDU/CSU) Auffassung in Teilen sicherlich bestätigen. Wir haben immer davor gewarnt, allein den Kommunen das An- tragsrecht zu überlassen. Aber die Programme jetzt in Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Bausch und Bogen zu verdammen, Frau Stokar, wird ih- Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und nen nicht gerecht. Wir haben erreicht, dass die Mittel für Kollegen! Als vor sechs Jahren die schrecklichen An- die mobile Krisenintervention um 5 Millionen Euro he- schläge in New York stattfanden, war das noch weit raufgesetzt wurden, und müssen diesen Teil des Pro- weg. Seit letzter Woche wissen wir, dass die Bedrohung gramms zum Laufen bringen. Dann wird es auch Wir- durch den internationalen Terrorismus in Deutschland kung zeigen. ganz konkret ist. (Beifall bei der SPD – Silke Stokar von (Dr. Max Stadler [FDP]: Seit einem Jahr! – Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Gisela Piltz [FDP]: Das wussten wir schon Programme sind gut, aber die Richtlinien sind vorher!) schlecht!) Der Unterschied zwischen den Kofferbomben-Atten- – Wir schauen durchaus auf die Umsetzung. tätern und den Tätern, die jetzt festgenommen worden sind, ist der, dass Letztere hochprofessionell und hoch- Auch die Bundeszentrale für politische Bildung steht konspirativ tätig waren. Wir wissen, dass sie in Pakistan wieder vor Mittelkürzungen. Laut Entwurf soll sie ausgebildet wurden und dass sie ihre Befehle aus Pakis- 133 000 Euro weniger erhalten. Auch dies werden wir tan erhielten. Sie haben ihre Anleitungen zum Bomben- nicht hinnehmen. bau aus dem Internet bezogen und sich daran lehrbuch- (Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD]) mäßig gehalten. Sie wurden angewiesen, zum heutigen Jahrestag ihr schreckliches Handwerk in Deutschland Wenn wir Jugendliche und junge Menschen nicht in die auszuüben. Aber wir wissen auch, dass nur drei festge- Fänge von Rechtsextremisten geraten lassen wollen, nommen wurden und es eine ganze Reihe von Gefähr- müssen wir die Werte unserer Demokratie besser vermit- dern gibt, die in Deutschland noch unter uns sind und die teln. Für diese Aufgabe ist die Bundeszentrale ganz si- natürlich den Auftrag haben, in allernächster Zeit den cher eine wichtige Institution. Allerdings sind politische verhinderten Anschlag in Deutschland nachzuholen. (B) Bildung und die Bekämpfung von Extremismus – vor al- (D) lem des Rechtsextremismus – nicht alleinige Aufgabe Wir werden uns im Innenausschuss noch in dieser des Bundes. Hier brauchen wir auch mehr Engagement Woche von den Fachleuten, Frau Stokar, genau erklären von Ländern und Kommunen; diesbezüglich vermisse lassen müssen, was technisch benötigt wird, um diese ich eine deutliche Aufforderung des Bundesinnenminis- Gefahren zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen ters. zu ergreifen. Wir werden – das ist unsere Aufgabe – die rechtlichen und die finanziellen Möglichkeiten schaffen, Zum Sport ist heute schon einiges gesagt worden. damit wir gewappnet sind. Es wird ein Wettlauf mit die- Wir unterstützen die Mittelaufstockung für den Sport. sen hoch konspirativen, technisch versierten Leuten, Wir müssen wettbewerbs- und konkurrenzfähig sein, um Herr Stadler. Wir dürfen nicht den Kürzeren ziehen. Das bei den Olympischen Spielen und bei der Leichtathletik- heißt, die FDP wird sich entscheiden müssen: Wird Ihre WM, die 2009 in Berlin stattfinden wird, mithalten zu Sorge davor, dass der Staat die Onlinedurchsuchung oder können. Ein besonderes Anliegen ist uns die Unterstüt- andere Fahndungsmaßnahmen missbräuchlich anwen- zung des Behindertensports. Leider führen wir zum det, größer sein? Werden Sie dafür sein, dass das Internet Thema Spitzensport und Doping erneut eine Diskussion. für Terroristen ein rechtsfreier Raum zur Vorbereitung Die Aufgabe der Nationalen Anti-Doping-Agentur ist es, ihrer Aktivitäten bleibt? Sie müssen sich entscheiden. Doping im Sport zu unterbinden. Der Bund kommt hier seinen Verpflichtungen nach; aber die zugesagten Mittel (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der Sponsoren, des organisierten Sports und der Länder der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE sind noch nicht in der Weise eingetroffen, wie wir es uns GRÜNEN – Silke Stokar von Neuforn wünschen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn! Dumme Propaganda!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Haushaltsrecht ist ein Parlamentsrecht. Deshalb bin ich mir sicher, dass Was ist Ihnen wichtiger? Wollen Sie Angst schüren vor wir einige Schieflagen, die im Entwurf des Haushalts übereifrigen Beamten und damit den Terroristen das enthalten sind, in den anstehenden Beratungen noch kor- Handwerk erleichtern? rigieren können. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Herzlichen Dank. GRÜNEN]: Das ist Propaganda, nichts ande- res!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordenten der CDU/CSU) – Rufen Sie nicht so laut dazwischen, Frau Stokar! 11452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Dr. Hans-Peter Uhl (A) (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE (C) GRÜNEN]: Kennen Sie das Artikel-10-Ge- GRÜNEN): setz?) – und dass Sie deshalb vorhin nicht verstanden haben, was die Kollegin Stokar auch Ihnen mitzuteilen versucht Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: hat: dass es selbstverständlich schon heute, wenn die ge- setzlichen Voraussetzungen vorliegen, möglich ist, die Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Internetverbindungen, die Sie eingehen – vielleicht, Kollegen Ströbele? wenn Ihnen jemand hilft – oder die ich eingehe, mitzu- bekommen? Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Auf den komme ich gerade zu sprechen; dann soll er GRÜNEN]: Zufällig habe ich das Artikel-10- die Zwischenfrage stellen. Gesetz mit behandelt!) Frau Kollegin Stokar, fragen Sie bitte einmal Herrn Haben Sie das nicht verstanden, oder wollen Sie das Ströbele, ob er, als er in dem zuständigen Gremium mit nicht verstehen? Oder warum behaupten Sie, dass der In- dem Gedanken und der politischen Absicht konfrontiert ternetverkehr für den Staat nicht tabu sein darf? wurde, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Hat er doch (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE nicht gesagt! – Gegenruf des Abg. Jerzy GRÜNEN]: Darüber redet er nicht! Das ist ge- Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es heim!) hieß: „rechtsfreier Raum“!)

die Onlinedurchsuchung in Kraft treten zu lassen, dazu Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): etwas gesagt hat oder ob er geschwiegen hat. Herr Kollege Ströbele, schon in dem einschlägigen (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Gremium, aus dem ich vorhin nicht berichtet habe, GRÜNEN]: Das ist geheim!) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sollte er antworten: „Ich habe geschwiegen“, dann fra- NEN]: Von dem Sie berichtet haben! – Fritz gen Sie sofort weiter: War dir, Kollege Ströbele, be- Rudolf Körper [SPD]: Sehr grenzwertig!) wusst, dass du durch Schweigen der Onlinedurchsu- aber auf das ich zu sprechen kam, habe ich verstanden, chung zustimmst? dass wir beide von der Technik der IT-Kommunikation ziemlich wenig verstehen. (B) (Lachen des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ (D) DIE GRÜNEN]) (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Sie verstehen we- nig davon!) Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in der rot-grünen Regierungszeit die Grünen durch Schweigen Aber wir beide haben so viel verstanden, dass es dabei der Onlinedurchsuchung zugestimmt haben? zweierlei Dinge zu trennen gilt: Es geht zum einen um Kommunikation per Internet und zum anderen um den (Beifall bei der CDU/CSU – Silke Stokar von Zugriff auf, wenn Sie so wollen, geronnene, auf der Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So Festplatte fixierte, stattgefunden habende Kommunika- ein Quatsch! – Klaus Uwe Benneter [SPD]: tion oder nicht einmal dies. Das habe ich verstanden und War das denn das Thema, oder wie?) Sie, glaube ich, auch. Jetzt kann Herr Ströbele seine Frage stellen. (Zuruf von der CDU/CSU: Hat er nicht!) Jetzt geht es darum, dass Sie damals möglicherweise Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: deswegen geschwiegen haben – ich weiß es ja nicht –, Kollege Ströbele, bitte. weil Sie nicht verstanden haben, dass man den Zugriff auf die Festplatte rechtlich möglich machen wollte, Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Das Problem ist, GRÜNEN): Sie verstehen es heute noch nicht!) Herr Kollege Uhl, kann es sein, dass Sie von PC- und und somit zugestimmt haben. Internetnutzung noch weniger verstehen als ich – (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ GRÜNEN]: Unsinn!) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Jerzy Montag [BÜND- – Die Grünen haben zugestimmt, Frau Stokar. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann sein, ist aber Ist das die ausreichende Antwort auf das Thema? auch schwer!) (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll er sich denn dazu äu- Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): ßern? Das ist doch geheim! – Klaus Uwe Ich weiß nicht, was Sie davon verstehen. Benneter [SPD]: Herr Präsident, so geht es Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11453

Dr. Hans-Peter Uhl (A) nicht: dass er aus einem geheimen Gremium dersprüchliche Aussagen des Staatssekretärs und zum (C) berichtet und hier Fragen stellt, die andere Beispiel der Geheimdienste. nicht beantworten können!) Sie haben als Abgeordneter und mit der Mehrheit der – Herr Präsident, läuft die Zeit weiter? Großen Koalition dreimal hintereinander verhindert, dass Herr Diwell die Fragen der Opposition beantwortet. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!) Sie können weiterreden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Frau Kollegin, Sie müssen zur Frage kommen. Bei mir läuft die Zeit weiter und Herr Ströbele sitzt, gut. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich frage Sie, ob Sie sich daran erinnern und das be- Nicht Herr Ströbele befindet über Ihre Redezeit. stätigen können. Stattdessen stellen Sie in der Öffent- lichkeit erneut die falsche Behauptung auf, die Grünen Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): hätten einer Onlinedurchsuchung zugestimmt. Stimmen Lassen Sie mich wieder ernst werden. Es ist schwer Sie mir zu, dass das Propaganda ist – zu ertragen, wenn hier von einer Hopplahopp-Gesetzge- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bung, neuen Erkenntnissen und neuen technischen und NEN]: Billige Propaganda!) rechtlichen Fragen die Rede ist. Ich möchte daran erin- nern, dass vor dreieinhalb Jahren die Anschläge auf die – billige Propaganda – Vorortzüge in Madrid stattgefunden haben. Unmittelbar danach hat der damalige Bundesinnenminister Schily Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: – übrigens zu Recht – gefordert, dass die Internetkom- Frau Kollegin, die Frage ist gestellt. munikation und alles, was damit zusammenhängt – bis hin zur Festplatte, Herr Ströbele – durchsucht werden Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE können. GRÜNEN): (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE – und dass Ihr Verhalten im Innenausschuss bzw. die GRÜNEN]: Unsinn!) Verhinderung, der Wahrheit näher zu kommen, ein (B) schlechter politischer Stil ist? (D) Daraufhin wurden alle rechtlichen und technischen Fra- gen in diesem Zusammenhang von Grund auf geprüft. In Danke. einem langen Gutachten wurde abschließend festgestellt, dass die Durchsuchung technisch möglich und rechtlich Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: zulässig ist. Herr Kollege, gestatten Sie gleich noch eine zweite Zwischenfrage der Kollegin Hagedorn? Dann können Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Sie zusammenhängend antworten. Das verlängert Ihre Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen- Redezeit ohnehin. – Bitte. frage der Kollegin Stokar? Bettina Hagedorn (SPD): Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Kollege Uhl, Sie haben es eingangs so darge- Wenn es sein muss, Frau Stokar. stellt, als sei es vor allen Dingen Aufgabe der politischen Parteien und der Fraktionen, beim Thema Onlinedurch- suchung in die Puschen zu kommen. Geben Sie mir Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): recht, dass in Wahrheit die Onlinedurchsuchungen und die notwendigen Ausgaben für Forschung und Entwick- Herr Kollege Uhl, Sie sind auch Mitglied im Innen- lung schon Bestandteile des Sicherheitspaketes für den ausschuss des Bundestages. Über den anderen Aus- Haushalt 2007 gewesen sind, über den hier schon mehr- schuss dürfen wir hier nicht reden – das wissen Sie sehr fach gesprochen worden ist? Geben Sie mir recht, dass genau –; denn er ist zur Geheimhaltung verpflichtet. bei den Beratungen über dieses Sicherheitspaket die Ver- Über den Innenausschuss des Bundestages dürfen wir fassungskonformität dieser Haushaltsansätze kritisch aber sicherlich reden. diskutiert und hinterfragt worden ist, Ich frage Sie: Können Sie sich daran erinnern, dass (Gisela Piltz [FDP]: Nein! Nicht von Ihnen! wir und auch andere Mitglieder der Opposition vor der Kein einziges Mal!) Sommerpause dreimal schriftlich beantragt haben, dass der damals zuständige Staatssekretär, Herr Diwell, im dass das Innenministerium Unterlagen dazu vorgelegt Innenausschuss erläutern möge, was es mit seinem omi- hat und wir als Koalitionsfraktion auf diese Angaben nösen Erlass bzw. seiner Richtlinie auf sich hat, die bis vertraut haben und dass die Tatsache, dass Gelder bisher heute keiner – wahrscheinlich auch Herr Staatssekretär nicht ausgegeben worden sind, nur mit dem Urteil des Diwell selber nicht – versteht. Auf jeden Fall gibt es wi- Bundesgerichtshofs vom Februar zu tun hat? Es hat 11454 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bettina Hagedorn (A) nichts mit den Parlamentariern und den Fraktionen zu dung, dazu habe ich aus gutem Grund nichts gesagt. Das (C) tun. Geben Sie mir auch recht, dass die Behebung nur ist die Antwort auf Ihre Frage. möglich ist, wenn ein mehrheitsfähiger Gesetzentwurf Ich möchte noch gerne auf andere Themen zu spre- vorgelegt wird, was Sache des Ministers ist? Stimmen chen kommen, obwohl es sehr wichtig war, dass einmal Sie mir darin zu? gesagt wurde, wie mit dem Thema Onlinedurchsuchung in den letzten dreieinhalb Jahren während der rot-grünen Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Regierungszeit umgegangen wurde. Frau Kollegin Hagedorn, Frau Kollegin Stokar, ich gebe Ihnen nur sehr begrenzt recht bei dem, was Sie ge- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: fragt haben. Zunächst komme ich zu Herrn Lutz Diwell, Herr Kollege, Sie provozieren viele Zwischenfragen. der mehrfach erwähnt wurde. Es ist richtig, dass Sie sich Jetzt will der Kollege Fritz Rudolf Körper Sie etwas fra- darum bemüht haben, dass er im Innenausschuss erläu- gen. Gestatten Sie diese Zwischenfrage? tern möge, was er damals gesagt und getan hat. Das ist ein legitimes Ansinnen. Auch ich habe mir diese Frage Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): bis heute schon öfter gestellt. Ja, bitte. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – GRÜNEN]: Die kollektive Solidarität wird ge- Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: fordert!) Das ist schon eine Gemeinsamkeit!) Frau Kollegin Stokar, es ist richtig, dass ich im Innen- Fritz Rudolf Körper (SPD): ausschuss in der Tat dreimal mitgestimmt habe, als es Herr Kollege Uhl, Sie machen es einem schwer, weil darum ging, dass Herr Kollege Lutz Diwell nicht kom- Sie aus einem Gremium berichten, – men wollte, und zwar mit wechselnden Begründungen. Aber es gibt in der Koalition eine Art kollektive Solida- Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): rität mit Menschen, die in Bedrängnis geraten sind. Eben nicht. (Lachen bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Silke Stokar von Neuforn Fritz Rudolf Körper (SPD): [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kollek- – aus dem Sie in dieser Form und Konkretion nicht tive Solidarität war die Vertuschung der Wahr- berichten dürften, insbesondere was den Kollegen (B) heit!) Ströbele anbelangt. (D) Allein dieses samariterhafte Verhalten hat mein Handeln (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ geprägt. Ich bleibe dabei, dass Sie den Antrag stellen DIE GRÜNEN) sollten, dass sich der Kollege äußern möge. Ich weiß Ich stelle Ihnen die Frage, ob Sie diese Verfahrensweise nicht, wie das Ganze enden wird. Aber irgendwann wird für kollegial und korrekt halten. Ich halte sie jedenfalls er sicherlich sagen, was er damals gedacht und getan hat für nicht kollegial und korrekt. und warum er heute möglicherweise andere Briefe schreibt. Ich weiß es jedenfalls nicht. Ich kann Ihnen Ich will Ihnen noch eine andere Frage stellen. Ist es nicht helfen. richtig, dass der von Ihnen erwähnte Erlass, basierend auf § 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, nur eine (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE einzige Anwendung gefunden hat, und zwar im Jahre GRÜNEN]: Lassen Sie ihn doch im Innenaus- 2006? Soviel ich weiß, hat die SPD damals nicht den In- schuss reden!) nenminister gestellt. Frau Kollegin Hagedorn, Sie haben die finanziellen (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Mittel für Forschung und Entwicklung im Zusammen- GRÜNEN]: Es gab auch kein Rot-Grün!) hang mit der Internetüberwachung und -kontrolle ange- sprochen. Das ist nicht Kern des Themas. Was Sie gesagt Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): haben, ist zwar alles richtig. Aber es geht um die bis zum Herr Kollege Körper, Sie müssen schon stehen blei- Überdruss gestellten Fragen, ob es technisch möglich ist, ben. Sonst läuft meine Uhr weiter. ob es rechtlich zulässig ist und was wir überhaupt ma- chen sollen. Diese Fragen hat Herr Bundesinnenminister Zu Ihrer ersten Frage: Ich habe nicht aus dem Gre- Schily vor dreieinhalb Jahren gestellt. Sie wurden durch mium berichtet, sondern Frau Stokar geraten, einmal sein Haus mit Ja beantwortet. Es ist technisch möglich Herrn Ströbele zu fragen, ob er in einem einschlägigen und rechtlich zulässig. Man schritt daraufhin zur Tat Gremium geschwiegen habe. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Außer Herrn Schily wusste das GRÜNEN]: Was?) keiner!) Ich habe ihr einen Rat gegeben, wen sie befragen soll. und hat die Onlinedurchsuchung eingeführt. Auf welche (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Weise, in welchem Gremium und mit welcher Begrün- GRÜNEN]: Das ist eine Aufforderung zum Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11455

Dr. Hans-Peter Uhl (A) Geheimnisverrat! – Fritz Rudolf Körper Jetzt haben wir mit den Zuwanderungsgesetzen und mit (C) [SPD]: Das ist nicht korrekt!) der Integrationspolitik ernst gemacht. Wir haben gesagt: Integration heißt nicht nur Fördern, sondern auch For- – Regen Sie sich doch nicht so auf! dern. Wer der Forderung nicht nachkommt, kann Sank- Ich habe des Weiteren gesagt: Wenn er sagt, er habe tionen zu spüren bekommen. Ich halte das für sehr wich- geschwiegen, solle sie ihn fragen, ob er sich bewusst ge- tig. Das wird uns weiterbringen. Nur, wir lernen dabei: wesen sei, dass er der Onlinedurchsuchung zugestimmt Ernst genommene Integration – das ist vielleicht auch habe. Das war meine Rede. Ich weiß, was ich sage. der Grund, warum jahrzehntelang nichts gemacht wur- de – ist mit all den Sprachkursen und Staatsbürgerkursen (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Entschuldigung, ein sündhaft teures Geschäft für den Staat. Dennoch Sie haben unterstellt, dass er in dieser Situa- müssen wir es machen. Hunderte von Millionen Euro tion geschwiegen hat!) werden wir ausgeben müssen, weil alles andere uns noch mehr Probleme schafft. Nun zu Ihrer zweiten Frage: Sie haben etwas gesagt, was ich weder bestätigen noch verneinen kann, nämlich Der Visamissbrauch ist allen noch in Erinnerung. dass von dem damals eingeführten Instrument der Wir haben im Koalitionsvertrag beschlossen, dass zu- Onlinedurchsuchung einmal Gebrauch gemacht worden sätzliche Berater der Bundespolizei für Sicherheitsfra- sei. Das haben Sie gesagt, nicht ich. gen im Visumverfahren zur Verfügung stehen sollen. Das zuständige Innenministerium und das Auswärtige Dies sei in einem Zusammenhang geschehen, als Herr Amt haben lange verhandelt, wer das bezahlen soll. Die Schily – das sagen Sie –, der die Onlinedurchsuchung Verhandlungen sind übrigens noch nicht abgeschlossen. eingeführt hat – das sage ich –, nicht mehr im Amt ge- Frau Hagedorn, ich bitte Sie, Ihr Augenmerk darauf zu wesen sei. Das stimmt doch? richten, dass nicht ein Buchhalterstreit zwischen zwei Ministerien fortgesetzt wird. Wir wollen gemeinsam die (Heiterkeit im ganzen Hause) zusätzlichen Kontrolleure in den Visastellen haben. Das Das konnte aber doch nur geschehen, nachdem Herr darf nicht daran scheitern, dass sich zwei Häuser bekrie- Schily die Onlinedurchsuchung mit Ihrer Unterstützung, gen und ein Haus dem anderen die Kosten aufbürden Herr Kollege Körper, eingeführt hat. Habe ich recht? – will. Ich bitte, das Thema im Auge zu behalten. Wir be- Danke. stehen darauf, dass die Haushaltsmittel dafür zur Verfü- gung gestellt werden. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war kollektive Solidarität! – Ich möchte zum Schluss noch ein wichtiges Projekt der Bundesregierung ansprechen, nämlich den Aktions- (B) Klaus Uwe Benneter [SPD]: Kommen Sie zum (D) Schluss!) plan Deutschland Online und E-Government. (Gisela Piltz [FDP]: Sie wissen doch gar nicht, Quod erat demonstrandum, was zu beweisen war, Herr wovon Sie reden!) Körper. Darum ging es mir in meiner Rede. Ziel der Bundesregierung ist die elektronische Kommu- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE nikation sowohl zwischen dem Bund, den Ländern und GRÜNEN]: Das war jetzt Politik in Deutsch- den Kommunen als auch mit den Bürgern. Die muss ver- land! Toll!) bessert werden. Jetzt komme ich noch auf etwas anderes zu sprechen: (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE home-grown terrorism. Der Umstand, dass der Terror für GRÜNEN]: Bei E-Government? Wer macht jeden erkennbar bei uns angekommen ist, zeigt auch, das denn noch bei Bundestrojanern?) dass es höchste Zeit war, das zu tun, was Innenminister Schäuble mit großer Energie und großem Erfolg begon- – Das wird gemacht. – Frau Stokar, ein wichtiger Be- nen hat, nämlich die Islamkonferenz einzuberufen. Die standteil dieses Programms ist, dass wir die IT-Systeme Islamkonferenz ist der Beginn eines dringend nötigen harmonisieren und verbessern. Dialogs mit dem Islam, um zu klären, welche Werte in (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE unserer Gesellschaft gelten und welche Position der Is- GRÜNEN]: Bundestrojaner mit der Steuerer- lam auch in Bezug auf Terror und Sicherheitsgefährdun- klärung!) gen einnehmen muss. Diese Islamkonferenz hat mehr- fach stattgefunden und muss fortgeführt werden. Das ist Das ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland wichtig. ein Erfolg dieser Koalition. Zum E-Government gehört auch die bereits beschlos- sene Einführung des elektronischen Reisepasses mit bio- Die Gewaltbereitschaft und die Radikalisierungsten- metrischen Merkmalen. Weiter wird die Einführung der denzen bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund neh- elektronischen Personalausweise mit digitaler Signatur men zu. Das wissen wir seit vielen Jahren. Wir müssen dazugehören. Dies alles ist ein Sicherheitsgewinn und heute zugeben – ich glaube, darin sind wir uns einig –, ein Effizienzgewinn, worauf wir großen Wert legen. dass das auch das Ergebnis einer jahrzehntelang ver- Dies werden wir in der nächsten Zeit einführen. säumten konsequenten Integrationspolitik ist. Wir sollten bei der Gelegenheit nicht versäumen, uns (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Fassen Sie sich an für all das zu bedanken, was die Sicherheitsbehörden die eigene Nase!) und das Innenministerium im Verbund mit uns im Innen- 11456 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Dr. Hans-Peter Uhl (A) ausschuss für die Sicherheit Deutschlands getan haben. einer deutlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen (C) Wir bedanken uns für die gute Zusammenarbeit. für die Menschen, die dort arbeiten, einhergehen. Es war der hessische Innenminister, der mit Blick auf den Flug- (Beifall bei der CDU/CSU) hafen Frankfurt gesagt hat, dass es aus seiner Sicht zu viele Kontrolllücken gebe, weil die Leute im privaten Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Sicherheitsgewerbe schlecht bezahlt würden, man des- Ich erteile das Wort dem Kollegen Sebastian Edathy halb nicht besonders gut qualifizierte Leute finde, weil von der SPD-Fraktion. sie nicht motiviert seien und viele Überstunden machten. Wir brauchen gerade an den Kontrollstellen der Flughä- (Beifall bei der SPD) fen höchstmögliche Sicherheit. Um das zu gewährleis- ten, müssen wir im Rahmen der bestehenden Rechts- Sebastian Edathy (SPD): ordnung noch verschiedene Gespräche führen. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist eine besondere Herausforderung, nach dem sehr ge- (Beifall bei der SPD) schätzten Kollegen Dr. Uhl sprechen zu dürfen. Ich Ich will in meinem Beitrag zwei Punkte vertieft an- komme nicht ganz umhin, noch ein Wort zur Online- sprechen. Innenpolitik heißt auch, die Stärkung gesell- durchsuchung zu sagen. Es ist eine Frage der politi- schaftlichen Zusammenhaltes zu verfolgen. Zusammen- schen Klugheit und des seriösen Umgangs mit einer tat- halt zu gewährleisten heißt, dass Teilhabe garantiert sächlich vorhandenen terroristischen Bedrohung, nicht werden muss. Teilhabe für die Menschen, die als neue überstürzt Gesetze zu machen, wenn zugleich noch tech- Mitbürger zu uns gekommen sind, bedeutet, dass wir nische und vor allen Dingen verfassungsrechtliche Fra- natürlich – wie Herr Uhl gesagt hat – darauf achten müs- gen völlig offen sind. Es ist ein Gebot der Klugheit, ge- sen, dass sie integrationswillig sind, dass wir ihnen aber rade in schwierigen Zeiten Gesetze mit Besonnenheit zu auch Angebote machen müssen, damit sie Integrations- machen. Gerade in Zeiten, in denen die Öffentlichkeit leistungen erbringen können. sehr bewegt ist von dieser Thematik, dürfen wir uns diese Hektik und Erregtheit nicht zu eigen machen, son- Einen Punkt finde ich korrekturbedürftig. Der Vorteil dern müssen mit Klugheit entscheiden. eines Haushaltsentwurfs ist ja, dass er das Parlament in der Regel nicht in der Form verlässt, in der er in dasselbe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eingebracht wurde. Ich finde es ein wenig merkwürdig, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass es in diesem Jahr eine große Debatte über den Inte- Die Gleichung, dass mehr Gesetze zwangsläufig mehr grationsgipfel gibt, wobei sich alle einig zu sein schei- (B) Sicherheit schaffen, stimmt nicht; und wir wissen nicht nen, dass man für die Integration mehr machen muss, (D) erst seit Friedrich Dürrenmatts Buch Die Physiker, dass insbesondere bei den Integrations- und Sprachkursen wir in einer demokratischen Gesellschaft nicht alles aufstocken und stärker differenzieren muss und Ange- machen dürfen, nur weil es technisch möglich ist. Das bote für Frauen mit Kindern braucht, zum Beispiel durch technisch Mögliche sollten wir dann tun, wenn es ver- Kinderbetreuung während dieser Kurse. hältnismäßig und zielführend ist und sich in unsere Rechtsordnung einfügen lässt, zu der es gehört, immer Es gibt ein Gutachten aus dem Bundesinnenministe- die Balance zwischen der Wahrnehmung von Sicher- rium, das besagt, dass 50 Prozent der Besucher der heitsbelangen und der Verteidigung von Bürgerrechten Sprach- und Integrationskurse besonders förderbedürftig im Auge zu behalten. Wir müssen sehr großen Wert da- seien. Wir müssten für diese 50 Prozent eigentlich das rauf legen, dass diese Balance nicht verloren geht in die- Stundenkontingent von bisher 630 Stunden auf 930 Stun- sem Land. den aufstocken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) der FDP) Dem trägt der Haushaltsentwurf nicht Rechnung. Wir haben noch viele Möglichkeiten, im Rahmen der Dort ist lediglich die Aufstockung von 140 Millionen bestehenden Rechtslage Sicherheitslücken zu schließen. Euro um 14 Millionen Euro auf 154 Millionen Euro vor- Wir werden noch einmal, wie Herr Körper das angedeu- gesehen. Wir brauchen im nächsten Jahr eher 40 Millio- tet hat, darüber reden müssen, ob es gerade vor dem Hin- nen Euro als 14 Millionen Euro mehr, um dieser großen tergrund der aktuellen Entwicklung vertretbar ist, für das Aufgabe Rechnung tragen zu können. Bundeskriminalamt im nächsten Haushaltsjahr 8 Millio- nen Euro weniger zu verausgaben als im laufenden (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Haushalt. Da klafft zwischen der öffentlichen Darstel- DIE GRÜNEN) lung und dem Haushaltsentwurf eine Lücke, die man schließen sollte. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) Herr Kollege Edathy, gestatten Sie eine Zwischen- frage des Kollegen Grindel? Ich finde es sehr gut, dass wir im nächsten Jahr für die Verbesserung und Finanzierung der Gepäck- und Per- sonenkontrollen an den deutschen Flughäfen 17 Mil- Sebastian Edathy (SPD): lionen Euro mehr ausgeben werden. Das muss aber mit Gerne. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11457

(A) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das Bundesinnenministerium geht bezüglich dieses (C) Herr Kollege Edathy, wenn man solche Aussagen Haushaltsansatzes davon aus, dass wir den Stundensatz macht, wäre es schon ganz schön, sich über die Sachver- der Lehrkräfte marginal anheben. Ich finde, man kann halte kundig zu machen. sich sehr wohl darüber unterhalten, ob 2,35 Euro pro Stunde und Teilnehmer ausreichen, um motiviertes und Ist Ihnen bekannt, dass bis zum Ende des Monats qualifiziertes Personal zu bekommen. Wenn man da ei- Juni 2007 von den 140 Millionen Euro, die wir im Bun- nen höheren Wert veranschlagt, wächst automatisch der deshaushalt 2007 für Integrationskurse vorgesehen ha- Bedarf. ben – aus bestimmten Gründen wollte ich diese Zahl ei- gentlich nicht nennen –, tatsächlich nur 52 Millionen Herr Kollege Grindel, dem Eckpunktepapier des Bun- Euro abgeflossen sind? Das hängt damit zusammen, dass desinnenministeriums ist zu entnehmen, dass die Aufsto- wir folgendes Problem bekommen werden: Die Anzahl ckung der Stundenzahl von 630 auf 930 lediglich für die derjenigen, die die Integrationskurse freiwillig besuchen, Alphabetisierungs- und Jugendkurse vorgesehen sei. wird immer geringer – es ist schlicht und ergreifend so, dass sie mit dem Absolvieren dieser Kurse langsam fer- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ich weiß!) tig sind –, ohne dass wir gleichzeitig in ausreichendem Ich bin der festen Überzeugung, dass der Bedarf weit Maße diejenigen, die es besonders nötig hätten, an Inte- größer ist. Wir, die Mitglieder des Innenausschusses – er grationskursen teilzunehmen, zur Teilnahme verpflich- ist mitberatend –, haben noch die Gelegenheit, uns die- ten. ser Frage vertieft zu widmen. Ich bezweifle jedenfalls, Wir wissen, dass in den Urlaubsmonaten Juli und dass diese marginale Aufstockung um 10 Prozent ausrei- August fast gar keine Integrationskurse stattfinden. chen wird, um den einen von uns allen gewollten quali- Stimmen Sie mir vor diesem Hintergrund zu, dass für tativen Sprung nach vorne zu machen. diese Kurse am Jahresende hochgerechnet etwa 100 Mil- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ lionen Euro abgeflossen sein werden? Das sollten wir DIE GRÜNEN) den Haushaltspolitikern übrigens nicht durch solche – ich muss das einmal so nennen – fahrlässigen Bemer- Abschließend möchte ich einen Punkt ansprechen, der kungen, wie Sie sie gemacht haben, noch auf die Nase mir besonders am Herzen liegt. Wir können seit Jahren binden. beobachten, dass jüdisches Leben in Deutschland wie- der erstarkt. Vor wenigen Wochen hat die größte deut- Es werden genau die 50 bis 60 Millionen Euro übrig sche Synagoge – sie befindet sich hier in Berlin, in der bleiben, die Sie hier eingefordert haben. Wenn man Rykestraße – wieder eröffnet. Im letzten Jahr haben erst- wirklich die Fakten kennt, weiß man, dass das, was wir mals Rabbiner eine Ausbildung an einer Bildungsein- (B) (D) im Haushalt 2008 vorsehen, ausreichend sein wird. Den richtung des liberalen Judentums abgeschlossen. Dafür gewaltigen Sprung, den wir trotz zurückgehender Inan- können wir dankbar sein. spruchnahme der Kursmittel machen werden, reden Sie hier schlecht, anstatt zu sagen, dass wir bei den Integra- Ich finde es ganz hervorragend, dass im Entwurf des tionskursen wirklich einen gewaltigen Qualitätssprung Haushalts des Bundesinnenministeriums vorgesehen ist, nach vorne machen können. Ich verstehe das nicht. die Mittel für die sehr gute Arbeit des Zentralrats der Ju- den von 3 Millionen Euro auf 5 Millionen Euro zu erhö- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hen. Durch den Bundeshaushalt wird diese Arbeit also unterstützt. Ich freue mich auch, dass es gelungen ist, Sebastian Edathy (SPD): das von mir eben angesprochene Abraham-Geiger-Kol- Lieber Herr Kollege Grindel, ich weise zunächst die leg, in dem die Rabbinerausbildung betrieben wird, ver- Unterstellung der Fahrlässigkeit oder des Äußerns der stetigt finanziell zu fördern und zudem zu gewährleisten, Unwahrheit ausdrücklich zurück. dass die dort jüngst begonnene Kantorenausbildung ebenfalls Unterstützung bekommt. Wir können über (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Schlecht in- diese Entwicklung froh und dankbar sein. formiert! – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Es geht um den Vorwurf des Schlechtredens!) Wenn es zu der fälligen Neuverhandlung zwischen der Bundesrepublik und dem Zentralrat der Juden über – Auch den Vorwurf des Schlechtredens weise ich zu- die Frage „Wer wird von den erhöhten Mittelansätzen rück. Ich rede das nicht schlecht, sondern, ganz im Ge- begünstigt?“ kommt, sollten wir aber auch sicherstellen, genteil, ich begrüße es ausdrücklich, dass wir – auch im dass jüdisches Leben in Deutschland gleich behandelt Innenausschuss – parteiübergreifend große Einigkeit er- und gleich gefördert wird, unabhängig von seiner Aus- zielt haben, im Bereich der Integrationskurse etwas vo- prägung. ranzubringen. Vielleicht ist es auch ganz gut, bei einer solchen De- Der Bedarf, den Sie prognostizieren, muss sich aller- batte, bei der es die eine oder andere Kontroverse gege- dings an den Parametern messen lassen, die wir bei der ben hat, noch einmal festzuhalten: Antisemitismus und qualitativen Verbesserung der Kurse zugrunde legen. Rechtsextremismus, das sind Themen, die sich nicht für (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: 30. Juni!) die parteipolitische Instrumentalisierung eignen; es sind Themen, bei denen wir als Demokratinnen und Demo- Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang einmal einige kraten in der gemeinsamen Verantwortung stehen, etwas Punkte nennen. sicherzustellen: Das Grundversprechen dieses Staates 11458 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Sebastian Edathy (A) ist, dass jeder in diesem Land ohne Angst sicher leben (Beifall des Abg. Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/ (C) können muss. Dazu gehört, dass organisierte Menschen- CSU] – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE feindlichkeit hier und da vielleicht Realität ist; sie ist GRÜNEN]: Das haben wir doch gemacht!) aber nichts, was wir als Demokraten jemals als Normali- tät betrachten werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich danke Ihnen. Kollege Edathy, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sebastian Edathy (SPD): DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Zum ersten Punkt, den Sprachkursen, brauche ich CDU/CSU) nicht viel zu sagen. Ich bin recht sicher, dass bei uns in der Koalition auch nach dem Integrationsgipfel gilt, dass Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wir nicht nur die Lippen spitzen, sondern auch zu pfeifen Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle- bereit sind. Wir müssen über die Frage der Honorarzah- gen Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion. lung für die Lehrkräfte und darüber sprechen, ob der Sprung von 2,05 Euro auf 2,35 Euro hinreichend groß Reinhard Grindel (CDU/CSU): ist, um zu einer wirklichen Verbesserung der Situation der Beschäftigten zu kommen. Im Gutachten wird von Herr Kollege Edathy, damit das nicht – meines Erach- bis zu 3 Euro gesprochen. Darüber können wir einmal in tens nicht ganz korrekt – stehen bleibt, will ich zwei Ruhe mit den Haushältern, aber auch im Innenausschuss Punkte ansprechen. Es ist nicht so, dass das Eckpunkte- sprechen. papier 930 Stunden nur für Jugend- und Alphabetisie- rungskurse vorsieht. Bei den Alphabetisierungskursen Dann will ich etwas zu dem zweiten Punkt sagen, den kann man sogar auf 1 200 Stunden kommen. Es ist viel- Sie angesprochen haben. Sie haben dargelegt, ich hätte mehr so, dass jeder, der den Kurs nach 630 Stunden ver- mich zu den Ereignissen von Mügeln geäußert, wo sich lässt und nicht das Sprachniveau B 1 erreicht hat, wei- Menschen in einem Haus verbarrikadieren mussten, um tere 300 Stunden bekommen soll. Das ist die Regelung. nicht noch schwerere Schadenseinwirkungen erdulden Wenn jemand nach 600 Stunden das Niveau B 1 ge- zu müssen; ich hätte mich nicht zu dem Attentat auf ei- schafft hat, ist das Ziel erreicht. Wenn jemand es da nicht nen Rabbiner in Frankfurt geäußert. Das trifft mich geschafft hat, soll er es nach 900 Stunden bzw. schon. Ich will Ihnen dazu zwei Punkte sagen. 930 Stunden erreichen. Das heißt, dass man bei den Al- Der erste ist: Was Sie mir unterstellen, nämlich ich phabetisierten sogar auf 1 200 Stunden kommen wird. würde mich nur äußern, wenn bestimmte Gruppen zu Was Sie da erwähnt haben, ist insofern also nicht in Ord- Opfern würden, weise ich zurück. Das ist falsch. Sie nung. Das ist die Zielsetzung, die wir verfolgen. (B) wissen, wie es in der Medienlandschaft ist. In der Regel (D) Zweiter Punkt. Die 2,35 Euro sind nach den Ergebnis- macht man nicht eine Pressemitteilung, sondern in der sen der Ramboll-Untersuchung ausreichend. Sie müssen Regel wird man von Journalisten gefragt. Da stellt sich zugestehen, dass wir eine noch bessere Bezahlung bei die Frage vielleicht eher in eine andere Richtung. den Kinder-, Jugend- und Frauenkursen, gerade wenn es Das Zweite, was ich Ihnen dazu sehr deutlich sagen um Betreuung von Kindern geht, vorsehen. will, weil das Relativieren ein bisschen mitschwang: Wir können im Übrigen – insofern sind die Papiere, Hans Magnus Enzensberger hat einmal sehr zutreffend die Ihnen jetzt dazu vorliegen, auch von relativer Bedeu- formuliert, dass man Unrecht nicht gegeneinander auf- tung – doch eines miteinander festhalten: Die Integra- rechnen darf, sondern dass sich Unrecht summiert. Ich tionskursverordnung ist noch nicht geändert. Wir können hoffe, dass dieser Konsens hier in diesem Hause von nie- dabei über alles reden. Ich hoffe, dass der Bundesinnen- mandem infrage gestellt wird. minister uns als Abgeordnete an diesen Diskussionen be- (Beifall bei der SPD, der FDP und der LIN- teiligt. Die Frage der Bezahlung der Lehrkräfte zum Bei- KEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- spiel entscheidet sich nicht danach, wie viel wir für den SES 90/DIE GRÜNEN) Kurs ausgeben, sondern unter anderem danach, ob wir so etwas wie Mindesthonorare vorsehen, wofür ich wäre. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Daher sollten wir der Öffentlichkeit durchaus sagen: Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen Die Integrationskursverordnung ist noch nicht geändert. nicht vor. Das ist offen. Wir können vernünftige Lösungen für alle Beteiligten finden. Damit kommen wir schließlich zu dem Geschäftsbe- reich des Bundesministeriums der Justiz, Einzel- Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen, plan 07. weil Sie die Frage der Rabbinerausbildung angesprochen Das Wort hat Bundesministerin Brigitte Zypries. haben. Sie haben nach Mügeln ein Stakkato von Inter- views gegeben. Das ist in Ordnung. Das, was dort vorge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie doch fallen ist, war ein schlimmes Verbrechen. Ich hätte mir bitte Platz oder setzen Sie Ihre Gespräche außerhalb des aber eigentlich gewünscht, dass Sie nach dem Messerat- Plenarsaals fort. Wir wollen doch die Beratungen fortset- tentat auf den Rabbiner in Frankfurt öffentlich auch ein- zen. mal ein Wort dazu gesagt hätten. So, ich glaube, jetzt ist es so weit. – Bitte, Frau Herzlichen Dank. Zypries. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11459

(A) Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: stand beim G-8-Treffen, auf europäischer Ebene haben (C) Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr geehrten wir es während unserer Präsidentschaft zum Gegenstand Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wir re- gemacht, aber auch auf nationaler Ebene ist es immer den jetzt über den Haushalt des Bundesministeriums der wieder Thema: So befindet sich das Gesetz zur Umset- Justiz und damit über den Haushalt, von dem jeder zung der sogenannten Enforcement-Richtlinie, bei der es Finanzminister träumt. Es ist ein Haushalt mit geringen auch um den Schutz des geistigen Eigentums geht, der- Ausgaben, aber hohen Einnahmen. Wer hätte das nicht zeit im Gesetzgebungsverfahren des Deutschen Bundes- gerne in seinem Bereich? tages. Ein anderes Gesetz zum Schutz des geistigen Ei- gentums, das die Novellierung des Urheberrechts zum Der Einzelplan 07 ist einerseits der kleinste Haushalt Thema hatte, hatten wir noch kurz vor der Sommerpause unter den Ministerien. Sie wissen wahrscheinlich, dass verabschieden können. Das gehört damit quasi zu den der Anteil schwankt. Bei diesem Haushalt beträgt unser schon erbrachten Leistungen in diesem Jahr. Anteil 0,16 Prozent. Für die Zukunft soll der Schutz des geistigen Eigen- (Jörg van Essen [FDP]: Und das bei einem der tums eine wichtige Aufgabe bleiben, auch das Themati- wichtigsten Häuser!) sieren dieser Problematik gegenüber anderen Ländern, – Das ist wahr. – Andererseits haben wir die höchste von denen wir wissen, dass die Gewährleistung dieses Deckungsquote. Ohne die Versorgungsausgaben können Schutzes dort nicht so stark verfolgt wird wie in wir 96 Prozent der Ausgaben durch eigene Einnahmen Deutschland. Das ist in der Regel keine Frage der Ge- decken. Das ist eine Bilanz, die wir schon seit mehreren setzgebung in den anderen Ländern, denn wenigstens die Jahren hier immer wieder gerne verkünden. Staaten, die der Welthandelsorganisation beigetreten sind, haben das schärfere Recht übernommen; in vielen Jetzt gibt es im nächsten Jahr einen Ausgabenzu- Fällen ist es eine Frage der Umsetzung. Ich habe mich wachs um 2,2 Prozent. Dem steht allerdings auch ein deshalb sehr gefreut, dass mein chinesischer Kollege in Einnahmenzuwachs gegenüber – wie sollte es auch an- Bezug auf den diesjährigen Rechtsstaatsdialog zwi- ders sein? – um voraussichtlich, so prognostizieren wir schen Deutschland und China gleich eingewilligt hat, wenigstens, 4,3 Prozent. Wir brauchen diese zusätzli- als wir das Thema „Schutz des geistigen Eigentums“ chen Mittel – das sind ja schon wenig genug – für den vorgeschlagen haben. Wir werden uns in 14 Tagen in Justizhaushalt aus drei Gründen: Der eine ist, wir müs- München, der deutschen Hauptstadt des geistigen Eigen- sen unseren Anteil zu den Versorgungslasten erbringen. tums, treffen und dort drei Tage miteinander diskutieren. Der zweite ist, wir müssen uns weiter um das Deutsche Ich freue mich, dass auch einige Abgeordnete des Deut- Patent- und Markenamt kümmern; das ist ein wichtiges schen Bundestages dabei sein werden. Thema. Der dritte ist, wir bekommen im Bereich des Ge- (B) (D) sellschaftsrechts neue Aufgaben, die durch zusätzliches Dies alles ist ein Grund, weshalb das Deutsche Pa- Personal abgedeckt werden müssen. tent- und Markenamt vernünftig ausgestattet sein muss. Sie wissen, dass die Behörden des nachgeordneten Be- Zu den Versorgungsausgaben: Sie wissen, dass es reichs mindestens ebenso sehr, wenn nicht noch mehr, künftig bei den einzelnen Ministerien jeweils einen so- unter der linearen Stelleneinsparung leiden, die wir in genannten Versorgungsfonds geben wird. Für einen den letzten Jahren ständig durchzuführen hatten. Ich Haushalt wie den Justizhaushalt, der besonders durch möchte mich deshalb beim Finanzministerium bedan- Personalausgaben geprägt ist, stellt das natürlich eine ken, dass allzu große Defizite vermieden werden konn- hohe Zusatzbelastung dar. Deswegen haben wir für die ten. Sicherung der späteren Versorgung von Menschen, die wir jetzt neu im Ministerium einstellen, 5,5 Millionen Die Tatsache, dass beim Deutschen Patent- und Mar- Euro veranschlagt. kenamt noch ungefähr 180 Stellen fehlen, die man bräuchte, um richtig gute Arbeit leisten zu können, Der zweite Bereich, für den wir mehr Geld brauchen, möchte ich gern nutzen, um kurz zu thematisieren, dass betrifft das Deutsche Patent- und Markenamt. Diesen die Modernisierung im Bereich des Haushaltsrechts, Punkt sprechen wir in jeder Haushaltsrede an. Er soll die in den vergangenen Jahren stattgefunden hat, immer auch dieses Mal nicht fehlen. Das Deutsche Patent- und noch nicht ausreicht. Das Silvesterfieber – oder wie im- Markenamt ist eine Behörde, die uns besonders am Her- mer man das nannte – besteht zum Glück nicht mehr; zen liegt, nicht nur, weil sie eine der wenigen nachgeord- jetzt können Ausgabenreste übertragen werden. Auch neten Behörden im Geschäftsbereich ist – da gibt es im andere Verbesserungen haben wir erzielt. Dass wir je- Justizbereich ja auch so gut wie keine –, sondern auch, doch immer noch nicht in der Lage sind, eine vernünf- weil dieses Amt in einem Bereich tätig ist, der ganz be- tige volkswirtschaftliche Berechnung zu einzelnen Res- sonders wichtig ist. Es kümmert sich nämlich um den sorts durchzuführen, finde ich schade. In den Jahren Schutz des geistigen Eigentums in Deutschland, indem 2001 bis 2006 haben wir den sogenannten Stauabbau es Patente erteilt und Markenrechte verleiht. Dabei ist durchgeführt, also das Konzept, das wir für das Deutsche die Zuständigkeit auf zwei Standorte aufgespalten: Pa- Patent- und Markenamt entwickelt hatten, um die tente in München, Markenrechte in Jena. enorme Menge der aufgelaufenen Arbeiten abzubauen. Der Umgang mit geistigem Eigentum ist ja ein In diesen fünf Jahren haben wir 64 Millionen Euro Thema, das die Bundesregierung in diesem Jahr schon Mehrausgaben für Personal im Zuge des Stellenausbaus bei vielen Gelegenheiten angesprochen hat und um das gehabt. Die Einnahmen für die Erteilung von Patenten, sie sich auch immer weiter kümmert. Dies war Gegen- an der diese Leute gearbeitet haben, lagen in diesem 11460 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Bundesministerin Brigitte Zypries (A) Zeitraum bei 187 Millionen Euro. Das ist deutlich mehr nichts zu tun. Die Aufgabe ist uns zugewachsen. Als das (C) als das Doppelte der Ausgaben. Bundesamt geplant wurde, wussten wir noch nichts von dieser Aufgabe, die auf Bundesebene, aber nicht not- Deswegen habe ich die herzliche Bitte, dass wir dafür wendigerweise auf ministerieller Ebene wahrgenommen sorgen – ich weiß nicht genau, wer sich darum wie küm- werden muss. Wahrscheinlich hätten wir jetzt das Bun- mern müsste –, dass solche gesamtwirtschaftlichen deszentralregister damit beauftragt, diese Aufgabe wahr- Betrachtungen endlich Eingang in die Betrachtung der zunehmen, wenn wir nicht das Bundesamt für Justiz ein- Einzelhaushalte finden. gerichtet hätten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Es geht hierbei um Stellen, die wieder abgebaut wer- CSU und der FDP) den. Ich habe es eben schon einmal gesagt: Es geht da- Ich glaube, das würde uns allen hier im Hause sehr nüt- rum, in den Köpfen der Geschäftsführer den Gedanken zen und könnte auch in anderen Bereichen zum Tragen zu implementieren, dass die Bilanzen offenzulegen sind. kommen. Es würde uns allen erleichtern, die anfallende Sobald diese Aufgabe erfüllt ist, braucht man nicht mehr Arbeit vernünftig zu leisten. Denn wir arbeiten ja nicht das Personal. Das heißt, dass schon jetzt Stellen mit ei- für das Bundesministerium der Justiz, ein anderes Minis- nem kw-Vermerk versehen werden, um dem beschriebe- terium oder irgendein Amt, sondern für eine funktionie- nen Dilemma Rechnung zu tragen. Ich denke, wir haben rende rechtsstaatliche Verwaltung in dieser Gesellschaft. insofern eine vernünftige Regelung gefunden. Sie machen die Vorgaben, aber wir müssen die Verwal- tung übernehmen. Dafür brauchen wir die entsprechen- Es gibt einen anderen Themenbereich, für den bisher den Mittel. kein Geld in den Haushalt eingestellt ist. Ich würde aber gerne dafür werben, dass wir – besser gesagt: Sie, der Der dritte Grund, warum wir mehr Geld brauchen, Haushaltsgesetzgeber – dafür in den kommenden drei sind die Mehraufgaben im Gesellschaftsrecht, die uns Jahren noch jeweils 250 000 Euro in den Haushalt ein- zugewachsen sind. Das hängt damit zusammen, dass wir stellen. Es geht um ein Projekt der Charité, das mit den die Unternehmen in Deutschland verpflichtet haben, Worten beworben wurde: „Lieben Sie Kinder mehr, als künftig ihre Bilanzen offenzulegen. Das gilt künftig Ihnen lieb ist?“ nicht nur für die großen DAX-Unternehmen, die ohne- hin schon dazu verpflichtet sind, sondern auch für die (Jörg van Essen [FDP]: Ein vernünftiger An- kleinen Aktiengesellschaften und die kleinen GmbHs. satz!) Das ist eine Verabredung auf europäischer Ebene, und Es geht um ein großes Projekt, das an der Charité dafür gibt es ein elektronisches Register, das in Bonn ge- durchgeführt wird und bei dem man versucht, mit mögli- (B) führt wird. Es geht um ungefähr 1 Million Firmen, die chen Tätern vorbeugend zu arbeiten, um Kindesmiss- (D) davon betroffen sind. Deswegen an dieser Stelle die brauch zu verhindern. Ich meine, um Kindesmissbrauch herzliche Bitte an Sie als Abgeordnete: Wenn Sie in Ih- zu verhindern, sollten uns dreimal 250 000 Euro nicht zu ren Wahlkreisen mit diesen Firmen reden, werben Sie viel sein. bitte dafür, dass sie dieser gesetzlichen Verpflichtung nachkommen. Denn je mehr Firmen in Deutschland die- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der ser gesetzlichen Verpflichtung nachkommen, desto we- FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- niger Personal brauchen wir, um sie dazu anzuhalten. SES 90/DIE GRÜNEN) Wir reden hier über Mittel im Haushalt für das Personal, das erforderlich ist, um diese Aufgabe zu erfüllen: säu- Das Projekt hat schon jetzt zu einem guten Erfolg ge- migen Offenlegern zu sagen, dass sie offenlegen müs- führt. Es hat eine Anschubfinanzierung von der Volks- sen. wagen-Stiftung erhalten; die Stiftung finanziert das Pro- jekt jetzt nicht weiter. Damit hängt das Projekt in der Wir werden im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit da- Luft. Ich habe die herzliche Bitte: Verankern Sie das für etwas tun. Wir können eine öffentliche Kampagne Projekt in unserem Haushalt! Sie können sicher sein, leider nicht so gestalten, wie wir es gerne machen wür- dass wir das Geld weiterleiten, dass wir das Projekt ent- den, weil wir in unserem Etat so gut wie kein Geld für sprechend begleiten. Bringen Sie das Projekt nicht in ei- Öffentlichkeitsarbeit haben. Wir können nicht – andere nem anderen Haushalt unter, in dem es sehr viele freie können das – große Anzeigen schalten. Wir werden aber Mittel gibt, sodass man nicht so richtig weiß, ob die Mit- natürlich auf unserer Ebene mithilfe von Presseartikeln tel vielleicht doch einmal den Sparmaßnahmen zum usw. dafür werben. Meine herzliche Bitte ist: Unterstüt- Opfer fallen. zen Sie uns dabei! Verstehen Sie bitte, dass es hierbei um die Umsetzung eines aufwendigen Verfahrens, eines Ich muss jetzt noch ein paar Worte zu dem Thema sa- Ordnungsgeldverfahrens, geht, das wir nach Beschluss gen, das vorhin schon im Bereich der Innenpolitik recht des Deutschen Bundestages eingeführt haben. Dieses kontrovers besprochen wurde: die Frage, wie wir die Verfahren ist aufwendiger als das von uns vorgeschla- innere Sicherheit schützen, wie wir in diesem Bereich gene Bußgeldverfahren und verursacht deshalb mehr weiter vorgehen. Sie erwarten sicherlich, dass ich zu die- Kosten. sem Thema etwas sage. Sie erwarten aber sicherlich auch, dass wir eine andere Tonlage verwenden, wenn wir Ich möchte sehr darum bitten, keine Debatte anzufan- im Bereich der Rechtspolitik darüber sprechen. gen, in der behauptet wird, wir führten bewusst eine Kampagne gegen den Osten; damit hat das überhaupt (Jörg van Essen [FDP]: Das ist richtig!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11461

Bundesministerin Brigitte Zypries (A) Die Tonlage ist im Bereich der Rechtspolitik generell Es ist auch erforderlich, dass man sich Gedanken über (C) etwas anders: Wir sprechen sachlich miteinander, nicht ganz praktische Veränderungen macht. Deshalb habe ich nur innerhalb der Regierung, sondern auch – so ist es vorgeschlagen: Lassen Sie uns einmal schauen, ob wir Tradition – mit der Opposition. Traditionell werden die nicht in der Frage, an wen solche Chemikalien verkauft Gesetze im Bereich der Rechtspolitik mit einer großen werden können, Regelungen treffen. Mehrheit des Hauses verabschiedet. Ich möchte mich an (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Sehr guter dieser Stelle bei allen recht herzlich dafür bedanken, Vorschlag!) dass diese sachlichen Diskussionen möglich sind, dass es immer sachliche Auseinandersetzungen gibt. Denn es macht doch wohl keinen Sinn, dass jeder, der möchte, hochgefährliche Chemikalien kaufen kann Im Bereich der Sicherheit nehmen wir Änderungen und sich aus dem Internet die Bauanleitung für Spreng- vor. Wir haben eine Neufassung der Regelungen zur stoff herunterlädt, aber gleichzeitig jeder Fluggast am Telekommunikationsüberwachung vorgelegt, mit de- Flughafen auf sein Eau de Toilette im Handgepäck un- nen wir – so meine ich zumindest – deutlich gemacht ha- tersucht wird. ben, dass man Sicherheit auf rechtsstaatlich hohem Niveau gewähren kann. Wir verbessern nämlich die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Rechte der Betroffenen. Wir verbessern die Rechte der- Das ist doch völlig widersinnig. Lassen Sie uns deswe- jenigen, die besondere Berufsgruppen aufsuchen. Wir gen ganz praktisch an dieser Stelle anfangen und überle- verbessern die Verfahrensregelungen, indem wir eine gen: Nützt eine Regelung hier etwas? Zuständigkeit für die Anordnung beim Ermittlungsrich- ter am Sitz der Staatsanwaltschaft schaffen. Wir schrei- Ich habe darüber mit Sigmar Gabriel gesprochen, der ben zum Beispiel ausdrücklich einen absoluten Schutz für die Chemikalienverordnung zuständig ist. Unsere für den Kontakt zwischen Verteidigern und Beschuldig- Mitarbeiter haben heute zusammengesessen und werden ten fest. Damit haben wir einen Weg gefunden, mit dem hoffentlich bald einen Vorschlag machen. Ich sage: Nach wir die Voraussetzungen für die erforderlichen Ermitt- dem, was ich heute in den Tickern von den Fachleuten in lungsmaßnahmen rechtsstaatlich schaffen können. diesem Bereich gelesen habe, gab es nur zustimmende Meinungen. Wir setzen mit diesem Gesetz auch die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung um, und zwar in dem (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Auch wir Mindestmaß, wie es die europäische Richtlinie erfordert. sind dafür!) Ich meine, dass es bei dem, was jetzt übrig bleibt, nicht Deswegen hoffe ich, dass wir hier etwas erreichen kön- angezeigt ist, allzu emotionale und aufgeregte Diskus- nen. Wenn sich herausstellen sollte, dass das aus irgend- sionen zu führen. Denn es geht im Grunde nur darum, (B) welchen Gründen nicht funktioniert, dann muss man es (D) dass man Daten, die heute freiwillig für drei Monate ge- lassen. Aber es muss zumindest möglich sein, solche speichert werden, künftig sechs Monate speichert, also Vorschläge einmal unaufgeregt zu prüfen. um eine Einschränkung, von der ich meine, dass wir da- mit leben können. (Jörg van Essen [FDP]: Das ist prüfenswert!) Dieses eher unaufgeregte Sachliche sollten wir auch Ich würde zwar gerne noch viele Dinge im Hinblick beibehalten, wenn es um die Frage geht, welche Konse- auf das Ministerium ansprechen, habe meine Redezeit quenzen aus den gerade verhinderten Anschlägen zu aber schon zwei Minuten überzogen. Wenn ich jetzt ziehen sind. Zunächst einmal auch von meiner Seite der nicht aufhöre, wird Herr Stünker böse. Dank an die Ermittlungsbehörden, vor allen Dingen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch für die erfolgreiche Präventionsarbeit. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Denn es ist ein bisschen untergegangen, dass die Fahn- Ich erteile das Wort Kollegin Mechthild Dyckmans, der schon lange vorher die mit Wasserstoffperoxid ge- FDP-Fraktion. füllten Fässer ausgetauscht hatten und eine reale Gefah- (Beifall bei der FDP) renlage für die Menschen deshalb schon lange nicht mehr bestand. Das sollte man einmal honorieren und sa- Mechthild Dyckmans (FDP): gen: Da hat jemand wirklich mit Weitsicht gehandelt. Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- Genauso unaufgeregt sollten wir die Dinge für die gen! Der Rechtsausschuss hat in den vergangenen bei- Zukunft prüfen. Das gilt beispielsweise für die Online- den Jahren einiges an Arbeit geleistet. Ich möchte daher durchsuchung, über die wir schon längere Zeit diskutie- die heutige Rede auch zum Anlass nehmen, den Mitar- ren. Das ist aber auch richtig, wie ich meine; denn es beiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusssekretariats handelt sich hierbei sowohl technisch als auch rechtlich sehr herzlich für ihre Arbeit zu danken. um ein sehr komplexes Thema und um völliges Neuland. (Beifall im ganzen Hause) Die Frage, welche Grundrechte davon betroffen sein könnten, ist verfassungsrechtlich völlig ungeklärt. Des- Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich im Rechtsaus- wegen ist es erforderlich, über dieses Thema unaufge- schuss stets konstruktiv beteiligt. Einige Initiativen aus regt zu diskutieren. Ihrem Haus, Frau Ministerin, konnten im Laufe des 11462 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Mechthild Dyckmans (A) Gesetzgebungsverfahrens wesentlich verbessert wer- (Beifall bei der FDP) (C) den, sodass die FDP-Fraktion am Ende zustimmen konnte. Ich nenne hier nur das Gesetz zur Änderung des Lassen Sie mich noch kurz auf die Bilanz der deut- Wohnungseigentumsgesetzes, das Gesetz zur Bekämp- schen Ratspräsidentschaft im Bereich der Justiz einge- fung der Computerkriminalität sowie das Gesetz zur Re- hen. Sie, Frau Ministerin, sind mit großen Plänen in gelung des Urheberrechts in der Informationsgesell- diese EU-Ratspräsidentschaft gestartet. Sie wissen, dass schaft. die FDP Sie dabei unterstützt hat. Es ist für uns daher enttäuschend, dass die Bilanz so mager ausgefallen ist. Es gab aber auch eine Reihe von Initiativen, die große Die Ergebnisse in den Bereichen Zivil- und Wirtschafts- Kritik herausgefordert haben. Ein besonders gutes Bei- recht sind eher zufällig in den Zeitraum Ihrer Präsident- spiel für eine handwerklich misslungene Gesetzgebungs- schaft gefallen. Die Vorarbeiten hatten schon vor Jahren arbeit war das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. begonnen. Bei den von Ihnen selbst angestoßenen und für Sie sehr wichtigen Initiativen, wie beispielsweise der (Beifall bei der FDP) Initiative zur Herstellung von europaweit einheitlichen Die FDP bleibt dabei: Dieses Gesetz ist handwerklich Mindeststandards in Strafverfahren, sind Sie leider ge- mangelhaft, in sich widersprüchlich und mit vielfältigen scheitert. bürokratischen und finanziellen Belastungen für die Un- Im Namen der FDP erkenne ich an, dass es Ihnen ein ternehmen verbunden. großes Anliegen war, diesbezüglich zu einer gemeinsa- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- men Regelung zu kommen. Wenn man aber nur mit ei- NEN]: Die Praxis spricht eine andere Spra- ner Minimalforderung in die Verhandlungen geht, darf che!) man sich meines Erachtens nicht darüber wundern, dass man keinen Verhandlungsspielraum hat und letztlich Bereits Ende letzten Jahres hat die FDP eine Große An- scheitert. frage zum AGG vorgelegt. Wir haben gerade in den letz- ten Tagen die Antwort der Bundesregierung darauf be- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist so nicht kommen. Lassen Sie mich nur eine Antwort zitieren, richtig!) nämlich die auf die Frage nach den finanziellen Auswir- Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, den Sie er- kungen des Gesetzes für die Wirtschaft. Ich zitiere: wähnt haben, nämlich die heimlichen Onlinedurchsu- … zeitaufwändige Erhebungen mussten unter- chungen. Auf die zahlreichen verfassungsrechtlichen bleiben, weil das Gesetzgebungsverfahren zur Probleme in diesem Zusammenhang möchte ich jetzt gar Vermeidung erheblicher Strafzahlungen an die Eu- nicht eingehen. Ich möchte den Bezug zur Internet- (B) ropäische Union wegen verspäteter Richtlinienum- sicherheit ansprechen. Frau Ministerin, Sie haben sich (D) setzung spätestens bis August 2006 abzuschließen immer, auch in Ihren früheren Funktionen, für eine Stär- war. kung und den Ausbau von E-Government eingesetzt. E-Government ist eine gute Möglichkeit, die Bürgerin- Ich halte dies für einen beispiellosen Vorgang. Dieser nen und Bürger stärker an den staatlichen Entscheidun- verantwortungslose Umgang mit den legitimen Interes- gen partizipieren zu lassen. Voraussetzung dafür ist sen der Wirtschaft ist ein Skandal. jedoch ein sicheres Internet. Wenn Sie Onlinedurchsu- (Beifall bei der FDP) chungen zulassen, müssen die Schutzprogramme Sicher- heitslücken lassen. Auch an anderer Stelle hat die Bundesregierung unse- rer Meinung nach in der Rechtspolitik versagt. Insbeson- Die FDP-Fraktion fordert Sie auf, alles zu tun, um die dere beim Zollfahndungsdienstleistungsgesetz werden Internetsicherheit zu verbessern. Tun Sie alles, um Com- wichtige Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts igno- puterkriminalität zu bekämpfen. Dabei haben Sie unsere riert. Im Vorwort zum Entwurf des Bundeshaus- Unterstützung. haltes 2008 zum Einzelplan 07 heißt es: (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Das Das Bundesministerium der Justiz ist außerdem haben wir gemacht!) „Verfassungsressort“. Gemeinsam mit dem Bundes- Mit Freude habe ich gelesen, dass Sie, Frau Ministe- ministerium des Innern hat es zu gewährleisten, rin, unseren Vorschlag aufgreifen, die Musterwiderrufs- dass gesetzliche Regelungen mit dem Grundgesetz belehrung für Internetgeschäfte gerichtsfest zu machen. vereinbar sind. Das bestätigt mich in der Hoffnung, dass die Bundesre- Frau Ministerin, ich fordere Sie auf: Nehmen Sie Ihre gierung wieder zu einer vernunft- und sachorientierten Funktion als Verfassungsministerin wieder ernst! Rechtspolitik zurückkehrt. In den kommenden zwei Jah- ren können Sie das unter Beweis stellen. Die Reform der Telekommunikationsüberwa- chung, über die wir in den kommenden Monaten inten- Vielen Dank. siv beraten werden, wird ein erneuter Test für die Bun- desregierung sein, der zeigen wird, inwieweit sie bereit (Beifall bei der FDP) ist, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und die Prinzipien des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Wir Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: glauben, dass da noch einige Änderungen notwendig Das Wort hat nun Kollege Jürgen Gehb, CDU/CSU- sind. Fraktion. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11463

(A) Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): schadet durch einen Tunnel kriechen können. So kann es (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den nicht weitergehen. diesjährigen Haushaltsberatungen läuten wir nicht nur die zweite Jahreshälfte ein, sondern auch die zweite (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Halbzeit der Legislaturperiode. In der ersten Hälfte ha- Deswegen sage ich: Wir müssen aufpassen, dass wir bei ben wir jedenfalls auf dem Gebiet der Rechtspolitik der Umsetzung europäischen Rechts nicht das Kind mit große Vorhaben angepackt und zu Ende geführt. Das dem Bade ausschütten. werden wir auch in der zweiten Hälfte mit Kraft und Willen tun. Ich will auch ganz kurz erwähnen, ohne wie ein Lohnbuchhalter alles stakkatohaft abzuarbeiten, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und während der Sommerpause im Kabinett mehrere Vorha- der SPD) ben auf den Weg gebracht worden sind. Drei möchte ich Liebe Mechthild Dyckmans, bevor du gleich Kritik herausheben. Wir begrüßen es als Union ganz besonders, anmeldest: Es handelt sich übrigens um das Zollfahn- Frau Ministerin, dass jetzt die Vaterschaftsfeststellung dungsdienstgesetz und das Rechtsdienstleistungsgesetz. so auf die Füße gestellt wird, dass nicht nur ein Ehe- Du hattest dich ein bisschen verlesen und warst wohl mann, der nach zwölf Monaten Abwesenheit auf einer schon beim nächsten Absatz. Das nur einmal zur Rich- Bohrinsel von seiner Frau mit einem farbigen Kind ab- tigstellung, damit klar ist, worüber wir hier reden. geholt wird, endlich einen Anspruch hat, die Abstam- mung des Kindes zu klären. Ich will daran erinnern, dass wir vor der Sommer- pause Änderungen des Urheberrechts und des Versiche- Die Hürden waren extrem hoch. Jetzt haben wir eine rungsvertragsrechts verabschiedet haben. Das sind wahr- doppelgleisige Möglichkeit, nämlich einmal die Mög- lich keine Petitessen, sondern große Kaliber in der lichkeit, festzustellen, wer wirklich der Vater ist, und die Rechtspolitik. Auch damit werden wir fortfahren. spätere Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten. Das ist eine Vorgabe vom Bundesverfassungsgericht. Wenn ich Ich sage: Wir stehen nicht nur im Wettbewerb bei der mich recht erinnere, habe ich diesen Vorschlag schon Erbringung von Dienstleistungen und Erzeugung von einmal im Februar 2005 im Spiegel gemacht. Ich finde, Waren, sondern wir stehen auch im Wettbewerb mit den das ist eine vernünftige Regelung und wird den Kindern, Rechtsordnungen anderer Länder. Es ist eine große He- den Müttern, den tatsächlichen und auch den präsumti- rausforderung für den nationalen Gesetzgeber und insbe- ven Vätern endlich gerecht. sondere für uns Rechtspolitiker, im Konzert der Rechts- ordnungen mithalten zu können. Es wird internationaler, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zumindest europäischer. Wir waren vor einem Jahr in (B) Ebenso unterstützen wir, dass Sie jetzt sozusagen un- (D) Frankfurt bei einer Veranstaltung der IHK mit dem sere Idee aufgenommen haben, auch bei nach Jugend- schmissigen Titel European and German Law goes strafrecht verurteilten Straftätern die nachträgliche Hollywood. Dieser Titel hatte schon seinen Sinn. Wir Sicherungsverwahrung verhängen zu können. Die Dis- merken zum Beispiel, wie wir durch europäische Vorga- kussion wird ja ganz quer geführt. Hier geht es nicht da- ben immer mehr präjudiziert werden. rum, dass ein Jugendlicher im Alter von 16 Jahren Ich will die Antidiskriminierungsrichtlinien und gleichzeitig mit der Verurteilung zur Sicherungsverwah- unser AGG ansprechen. Ich habe immer gesagt – dazu rung geschickt wird, sondern hier geht es darum, ob je- stehe ich auch –: Diese Antidiskriminierungsrichtlinien mand, der zum Beispiel mit 16 Jahren jemanden ermor- aus Europa kommen mir vor wie ein stinkender Hand- det hat und dafür zehn Jahre Freiheitsstrafe bekommen käse. hat, mit 26 Jahren – dann ist er ein erwachsener Mann – daraufhin überprüft werden kann, ob er immer noch eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tickende Zeitbombe ist oder nicht. Darin unterscheidet er Man kann ihn entweder elegant in einen Parfümflakon sich überhaupt nicht von demjenigen Täter, der erwach- stecken oder in Zeitungspapier einwickeln. Das olfakto- sen ist. Ich finde es toll, dass die Bundesregierung das rische Grundunbehagen bleibt auf jeden Fall gleich. aufgenommen hat, wenngleich ich mir gewünscht hätte, dass eine Anlasstat ab einer Freiheitsstrafe von fünf Jah- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ren und nicht erst von sieben Jahren gereicht hätte. Aber So haben wir auch andere europäische Vorgaben. Ich das ist eher eine Kritik im Einzelnen. nenne einmal die FFH- und die Vogelschutzrichtlinie, Ich freue mich auch, dass vernachlässigten und ver- die uns in Deutschland an den Rande der Wettbewerbs- haltensauffälligen Kindern in Zukunft früher die Hilfe fähigkeit bringen. Wenn ich mir überlege, dass ich in durch die Familiengerichte angedeiht werden lassen Kassel an der A 44 im 20. Jahr nach der Wiedervereini- kann, als es bisher der Fall war. So denke ich, dass das gung immer noch darum kämpfen muss, drei Kilometer Kabinett in der Sommerpause durchaus die eine oder an- Straße zu bauen, dann muss ich Ihnen eines sagen: Wir dere Gesetzesvorlage auf den Weg gebracht hat, die wir lösen uns immer mehr von unserem anthropozentrischen demnächst parlamentarisch beraten werden. Grundverständnis, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, wenn die Lastwagen bei uns auf der B 7 entlang- Es gibt aber nicht nur Themen, bei denen wir gerade fahren und mit ihren Rückspiegeln die Hecken touchie- erst mit der Diskussion begonnen haben, oder Themen, ren, sodass die Tassen daheim im Schrank umfallen, nur mit denen wir uns demnächst befassen, sondern es gibt damit der Kammmolch und irgendein Hirschkäfer unbe- auch Gesetzesvorhaben, die kurz vor der Reife stehen, in 11464 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Dr. Jürgen Gehb (A) das Bundesgesetzblatt aufgenommen zu werden. Ich er- wenigen Tagen in der Welt gesagt, dass es schwierig ist, (C) innere nur an das Rechtsdienstleistungsgesetz. Ich einen Straftatbestand zu zimmern, der den Erfordernis- denke, dass wir auch das Gesetz zur Änderung des sen des Bestimmtheitsgebots genügt. Unterhaltsrechts irgendwann in das Bundesgesetzblatt aufnehmen können. (Jörg van Essen [FDP]: Ganz genau! Das Be- stimmtheitsgebot ist das Problem!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE An dieser Stelle möchte ich den Besserwisser GRÜNEN]: Ja! Aber nur, wenn Sie verheira- Heribert Prantl erwähnen. In der Süddeutschen Zeitung tete und nicht verheiratete Mütter gleichstel- schreibt er – das hat mich heute geärgert –, ein Blick ins len!) Gesetz erleichtere die Rechtsfindung und übrigens auch die Gesetzgebung. Dafür muss es erstens verfassungsfest sein, und zweitens müssen auch all diejenigen zufrieden sein, die ein biss- (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ chen Sorge haben, dass die Ehefrauen dabei schlechter DIE GRÜNEN]: Das ist typisch! Aber dieser wegkommen. Satz könnte auch von Ihnen sein!) Dieses Vorhaben ist schwierig; das gebe ich gerne zu. Ich kann Heribert Prantl nur mit auf den Weg geben: Ein Auch innerhalb meiner Fraktion gibt es hierzu unter- Blick in einen Strafrechtskommentar und die Lektüre der schiedliche Auffassungen. So ist das nun einmal: Die ei- einschlägigen Entscheidungen würden verhindern, dass nen haben eine hohe Streitkultur, und die anderen strei- man auf so überhebliche Art und Weise falsche Informa- ten sich nicht. Ich finde, dass man im Diskurs die besten tionen an die Bevölkerung weitergibt. Lösungen findet. Wir werden sie finden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der SPD) Meine Damen und Herren, ich will einen Schwenk Wenn er im Jahre 1959 – damals könnte er gerade sei- machen. Heute ist kein ganz gewöhnlicher Tag, sondern nen großen Schein im Strafrecht gemacht haben – im der Jahrestag von 9/11. Vor sechs Jahren sind nicht nur zwölften Band der Sammlung der Entscheidungen des die Twin-Towers angegriffen worden – das haben Sie Bundesgerichtshofes gelesen hätte, wäre ihm aufgefal- alle noch in Erinnerung –, sondern man konnte endgültig len, dass es für die Verabredung zu einer Straftat einer die Hoffnung aufgeben, dass mit dem Ende des Kalten gewissen Konkretisierung bedarf. Es würde nicht ausrei- Krieges, in dem sich Kombattanten gegenüberstanden, chen, wenn wir beide, Herr Danckert, vereinbaren wür- ein Zustand des Friedens auf der Welt erreicht worden den, gemeinsam eine Bank zu knacken. Wir müssten ge- (B) ist. Das ist nicht der Fall. nau sagen, dass wir uns am Donnerstag um 17 Uhr vor (D) der Berliner Sparkasse treffen, An dieser Stelle sage ich Ihnen, Frau Ministerin, im Namen meiner Fraktion, zumindest aber im Namen der (Dr. [SPD]: Da kann ich leider Arbeitsgruppe Recht, großen Dank: sowohl dafür, dass nicht! – Heiterkeit) Sie uns während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und müssten verabreden, wer das Brecheisen mitbringt. gut vertreten haben, als auch dafür, dass die Zusammen- Wenn diese Konkretisierung fehlt, handelt es sich um ein arbeit mit Ihnen und Ihrem Hause hervorragend funktio- abstraktes Gefährdungsdelikt, das nach der gegenwär- niert und menschlich in einer Superatmosphäre verläuft. tigen Rechtslage nicht bestraft werden kann. So viel Frau Dyckmans, zu Ihrem Dank an die Mitarbeiter dazu, wenn Besserwisser meinen, sie müssten den Leu- möchte ich sagen: Diese machen das nicht unentgeltlich, ten einen einschenken. denn sie sind nicht ehrenamtlich tätig. Ich sehe mit Schrecken, dass ich nur noch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 35 Sekunden Redezeit habe. Frau Präsidentin, können Sie nicht meine Redezeit verlängern? – Also nicht. Trotzdem kann man ihnen natürlich danken; dafür ist die Zeit immer günstig. Das tue auch ich. (Heiterkeit – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Reden Sie doch auf Kosten von Nešković! – Einen kleinen Wermutstropfen muss ich Ihnen trotz- Daniela Raab [CDU/CSU]: Oh ja! Auf Kosten dem mit auf den Weg geben. Es gibt in der Rechtspolitik von Nešković! Das würde ich befürworten!) eigentlich nur einen großen Streitpunkt, nämlich das kleine Scharnier Rechtspolitik/Innenpolitik. Noch ganz kurz: Wir Rechtspolitiker sollten uns über- legen, ob wir nur an der Vielzahl der Gesetzentwürfe, die (Otto Fricke [FDP]: Klein?) wir verabschieden, gemessen werden wollen, oder ob es nicht manchmal besser ist, etwas nicht zu regeln. Ich Zum Thema Onlinedurchsuchung ist in der Debatte habe das schon in meiner letzten Rede zum Haushalt vor zum vorherigen Einzelplan in den letzten 75 Minuten ei- einem Jahr gesagt, damals in Bezug auf die, wie ich gentlich alles Wichtige gesagt worden. Es gibt aber noch meine, hypertrophe Neigung, immer mehr Staatsziele in ein anderes Feld: die Strafbewehrung des Besuchs der das Grundgesetz aufnehmen zu wollen. sogenannten Terrorausbildungslager. Wir haben in un- serer Koalitionsvereinbarung festgehalten, dass wir uns (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – mit diesem Thema beschäftigen wollen. Mittlerweile Daniela Raab [CDU/CSU]: Ja! Sehr richtig! – sind knapp zwei Jahre vergangen. Ich selbst habe vor Dr. Peter Danckert [SPD]: Vorsichtig!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11465

Dr. Jürgen Gehb (A) Noch eine Bemerkung zum Nichtraucherschutz. Ich von gezielten Tötungen eine Welle der Kritik und Em- (C) möchte die Diskussion über die Raucher nicht schon pörung über den Kopf schlug, gab er weinerlich zum wieder führen. Aber eines möchte ich sagen: Sofern die- Besten, man habe ihn furchtbar missverstanden; ses Gesetz dem Schutz der Nichtraucher dient, findet es meine volle Unterstützung. Wenn damit aber, zumindest (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: So war es doch als Konnotation, auch beabsichtigt ist, den Raucher zu auch!) seinem Glück zu zwingen – wenn es also eine Art Be- es gehe doch nur darum, die rechtlichen Grundlagen für glückungsgesetz sein soll –, neue Handlungsinstrumente zu diskutieren und zu schaf- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU fen, und er sei ein glühender Anhänger des Rechtsstaats. und der SPD) Ich weiß nicht, wofür unser Innenminister glüht; aber der Rechtsstaat ist es gewiss nicht. dann fehlt nicht mehr viel, bis wir irgendwann auch noch regeln, was die Menschen essen sollten. Verfassungsbruch und rechtsstaatliche Unerträglich- keiten lassen sich nicht in rechtliche Grundlagen fassen. Neulich hat jemand verlangt – ich habe erst gedacht, das sei Spaß –, dass es in Diskotheken leiser sein müsse. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Es gibt einen alten römischen Rechtsgrundsatz: „volenti einzig Unerträgliche ist Ihre Rede!) non fit iniuria“, dem Freiwilligen geschieht kein Wer das Unerträgliche will, wird selbst untragbar. Die Unrecht. Wer also in eine laute Diskothek geht, der muss wichtigste Sicherheitsfrage unserer Tage ist doch die damit rechnen, dass es laut ist. Wer selber raucht, wird Frage, wie sicher der Innenminister im Umgang mit der vielleicht irgendwann krank sein. Wir müssen dem Rau- Verfassung ist oder – noch zutreffender – wie sicher die chen den Kampf ansagen, aber nicht als Gesetzgeber, Verfassung vor unserem Innenminister ist. sondern mit Aufklärungsbroschüren. Deswegen ist auch in der Rechtspolitik weniger manchmal mehr. Wie hat es (Joachim Stünker [SPD]: Sie sind im falschen schon Montesquieu gesagt? Film, glaube ich! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Einzelplan 07!) Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es nötig, keines zu erlassen. Der Kollege Struck drückte diese Kritik in seinem Sommerbrief an seine Fraktionskollegen etwas freundli- Herzlichen Dank, meine Damen und Herren, und ei- cher aus, als ich es tue. Er schrieb sinngemäß, die Vor- nen schönen Abend. schläge des Innenministers seien Angriffe auf den (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Rechtsstaat, dessen Schutz aber die eigentliche Aufgabe des Verfassungsministers sei. Man habe den Eindruck, (B) die Freiheit solle durch einen Überwachungsstaat abge- (D) Vizepräsidentin : schafft werden. – Das hat die SPD gesagt. Wir hoffen, Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Nešković für dass es sich bei dieser SPD-Kritik nicht nur um ein blo- die Fraktion Die Linke. ßes Taktieren handelt. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Auch ist es uns nicht entgangen, dass die SPD den ge- Wolfgang Nešković (DIE LINKE): wünschten Onlinedurchsuchungen nicht etwa ein ent- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten schiedenes Nein entgegensetzt, sondern lediglich Skep- Damen und Herren! Am 30. März des vergangenen Jah- sis formuliert und auf die Hilfe des Verfassungsgerichts res nannte ich Frau Justizministerin Zypries die Chefin hofft. des Rechtsstaatsministeriums. Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Wahrung rechtsstaatlicher (Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist doch der Errungenschaften und die Abwehr von Angriffen auf richtige Weg!) diese Errungenschaften auch im Zuständigkeitsbereich Wir werden deshalb genau beobachten, ob der Wider- des Justizministeriums liegen. Nachdem die Justizminis- stand der SPD und der Justizministerin anhält, ob sie terin dieser Aufgabe zunächst, wie ich meine, zaghaft – nicht zuletzt angesichts der Ereignisse der vergange- und verhalten nachging, ist sie insbesondere während nen Woche – standhaft bleiben oder am Ende doch wie- der Sommerpause dann doch noch in Fahrt gekommen. der einknicken. Ich wünsche Ihnen, Frau Ministerin, die Man gewinnt den Eindruck, Herr Schäuble und Frau Standfestigkeit einer Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Zypries proben in diesen Tagen die kabinettsinterne Va- die ihren Widerstand gegen den sogenannten großen riante eines neuen Jobsharing-Konzepts. Es agieren Lauschangriff so weit betrieb, dass sie bereit war, dafür Rechtsstaatsministerin und vermeintlicher Verfassungs- ihr Amt aufzugeben, was sie schließlich getan hat. Diese minister als „job sharing good girl and bad boy“, wenn Standfestigkeit wünsche ich Ihnen. es um die Werte unseres Grundgesetzes geht. (Beifall bei der LINKEN – Joachim Stünker (Jörg van Essen [FDP]: Once again, please!) [SPD]: Und gekommen ist er trotzdem!) Seit über einem halben Jahr reihen der Innenminister – Ja, gekommen ist er trotzdem, aber mit deutlichen Ein- und seine Hilfstruppen, rechtsstaatlich gesehen, eine un- schränkungen. geheuerliche Überlegung an die nächste. Als Herrn Schäuble im Sommer wegen der öffentlichen Erwägung (Lachen bei der SPD) 11466 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Wolfgang NeškoviNeškoviæć (A) Von Frau Zypries konnte man in der Onlineausgabe nügt es keinesfalls, sich vom Zweck einer Maßnahme (C) der Frankfurter Rundschau vom 28. Juli die folgende leiten zu lassen – ansonsten würde der Zweck die Mittel wichtige Feststellung lesen: heiligen. Vielmehr ist der Zweck der Maßnahme in Ab- wägung zu bringen zu dem Verlust der Freiheit, der mit Nicht die Verteidigung der Bürgerrechte bedarf der der Durchführung der beabsichtigten Maßnahme einher- Rechtfertigung, sondern deren Einschränkung. geht. Frau Zypries, dem schließen wir uns ausdrücklich an. Das übersieht Herr Schäuble – wie Herr Schäuble ins- (Zuruf des Abg. Siegfried Kauder [Villingen- gesamt die Funktion der Grundrechte im Verhältnis Schwenningen] [CDU/CSU]) zum Staat übersieht und verkennt. Die Grundrechte stel- len – als Abwehrrechte – institutionalisiertes Misstrauen Denn es ist dieser kleine Satz, der die aktuelle Debatte in gegen den Staat dar; das ist ihre Kernfunktion. Herr unserem Land vom Kopf zurück auf die Füße stellt. Der Schäuble hingegen geht von einem grundsätzlichen Rechtfertigungsbedarf liegt nicht bei den Kritikern unse- Misstrauen des Staates gegenüber seinen Bürgern aus. res Innenministers, sondern bei ihm und seinen Anhän- Hier liegt der Kerndissens zwischen ihm und uns und, gern. Es gilt: Nicht die Befürworter lang gewachsener noch entscheidender, zwischen ihm und der Verfassung. rechtsstaatlicher Grundsätze sind in Erklärungsnot, son- dern diejenigen, die diese Grundsätze aufweichen und (Beifall bei der LINKEN – Dr. Peter Danckert beseitigen wollen. [SPD]: Sehen Sie sich einmal Einzelplan 07 an!) Soweit diese Begründungen liefern, ist ihnen gemein- sam, dass immer nur der Zweck der angestrebten Maß- Es ist daher Ihre Aufgabe, Frau Zypries, Herrn nahme ins Auge gefasst wird. Sie gründen sich allesamt Schäuble dabei zu helfen, diese Trübung seiner verfas- auf die kreuzgefährliche Behauptung, im Grunde ge- sungsrechtlichen Sichtweise zu beheben, nommen könne man kaum zu viel tun, wenn es um den (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Schutz unseres Staatswesens geht. Jedem dieser Vor- GRÜNEN]: Dem ist nicht zu helfen!) schläge liegt die Behauptung zugrunde, es gebe eine neue, nie dagewesene Bedrohung für unser Gemeinwe- und dabei gleichzeitig deutlich zu machen, welche in- sen, auf die man folglich mit neuen, nie dagewesenen haltliche Position die SPD hierbei konkret einnimmt. Mitteln zu reagieren habe. Abschließend ist festzustellen: Die von Herrn Zur Frage der verbindlichen Grenze für solches Vor- Schäuble erklärte Strategie, einer Bedrohung des Rechts- gehen erklärte der Bundesinnenminister im Spiegel-In- staats mit dem Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien zu be- (B) terview vom 9. Juli, eine rote Linie gebe es: die Verfas- gegnen, ist widersinnig. Der Rechtsstaat wird nicht da- (D) sung – und die könne man ändern. Zum Glück irrt Herr durch geschützt, dass man ihn abschafft. Ebenso gut Schäuble, was seine Möglichkeiten und was die Mög- könnte einer sein eigenes Haus abbrennen, um seine lichkeiten dieses Parlaments angeht. Habe vor Einbrechern zu schützen. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wieso?) (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Das ist eine ganz üble Unterstel- Frau Ministerin Zypries, ich darf Sie bitten, Herrn lung! Dass Sie sich nicht schämen!) Schäuble einmal die Bedeutung des Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes zu erläutern. Dann müsste ihm aufgehen, Vor Diebstahl wäre der ehemalige Hausherr nunmehr ef- dass der dort gegen Veränderung geschützte Art. 1 eine fizient geschützt. verbindliche Demarkationslinie für seine Angriffe auf (Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Was ist das für die Verfassung darstellt. ein Vergleich?!) (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse- Allerdings entzieht er seine Habe nicht nur dem Dieb, Brömer [CDU/CSU]: Ist das schlecht!) sondern auch sich selbst. Er verliert, was er doch be- Der nicht veränderbare Art. 1 ist es, der verhindert, dass schützen wollte, und erweist sich als schlechter Beschüt- jemals zivile Luftfahrzeuge vom Himmel abgeschossen zer. werden können. Der nicht veränderbare Art. 1 ist es, der (Zuruf von der CDU/CSU: Scheinheilig!) den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung verläss- lich gegen jedwede Überwachungsmaßnahme schützt. Frau Zypries, ich darf Sie bitten: Stellen Sie diesem Technische Schwierigkeiten bei Überwachungsmaßnah- Unsinn Ihre Vernunft entgegen und bleiben Sie dabei men rechtfertigen es nicht, diesen Schutz außer Acht zu standhaft! lassen. Ich danke Ihnen. Insofern ist die eben zitierte These der Justizministe- rin dringend ergänzungsbedürftig. Denn wesentlich ist (Beifall bei der LINKEN – Daniela Raab nicht nur die Frage, wer sich zu rechtfertigen hat, son- [CDU/CSU]: Amen!) dern auch, welchen Inhalt diese Rechtfertigung aufweist. Das gilt im Übrigen auch für den Teil der Verfassung, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: der tatsächlich geändert werden kann. Denn bei der Nächster Redner ist nun der Kollege Jerzy Montag für Rechtfertigung freiheitsbeschränkender Maßnahmen ge- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11467

(A) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Man muss sich einmal zu Gemüte führen, wie wunder- (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der bar dieser Satz ist. Haushalt des Bundesjustizministeriums ist in der Tat ein Aber nun zu den Fakten: Wenn sich Herr Minister Haushalt, um den Sie jedes Ministerium beneiden kann, Schäuble in Interviews zu Wort meldet, lässt er in rechts- Frau Zypries. Sie haben erneut einen Deckungsgrad von staatlicher Hinsicht alle Hüllen fallen. Sie, Frau Zypries, etwa 70 Prozent bei einer Ausgabensteigerung von bemühen sich dann, mehr schlecht als recht die dadurch 2 Prozent und einer Einnahmensteigerung von 3 Pro- entstandenen Blößen zu bedecken, und werden dabei zent. Über die Zahlen Ihres Hauses lässt sich auch von- auch noch von Kollegen aus der Koalition bzw. der seiten der Opposition nicht meckern. Das will ich auch Union übel angegangen. nicht tun. Kollege Bosbach – er ist leider nicht mehr anwesend –, Ich will nur darauf hinweisen, dass wir uns in den den ich sonst als galanter eingeschätzt habe, hat über Sie Haushaltsberatungen intensiv mit der erheblichen Erhö- gesagt, Frau Zypries, Sie würden sich in diesen Fragen hung der Zahl der Stellen im Bundesamt für Justiz aus- mit der Geschwindigkeit einer Wanderdüne bewegen. einandersetzen werden müssen. Sie haben dazu Stellung Der Kollege Uhl, der für das Gröbere zuständig ist – er genommen und darauf hingewiesen, dass diese Erhö- ist ebenfalls nicht mehr im Saal –, hat hinsichtlich Ihrer hung mit neuen Aufgaben korrespondiert. Ich habe aber Person und des Koalitionspartners gesagt, Sie würden in Erinnerung, dass wir vor einem Jahr darüber gespro- sich schuldig machen. Gemeint hat er – dieser Eindruck chen haben, dass das Bundesamt für Justiz durch Über- sollte in der Öffentlichkeit erweckt werden –, dass Sie tragung von Stellen aus anderen Bundesbehörden, auch sich schuldig machen würden, sollte es doch zu einem aus Ihrem Haus, langfristig stellenneutral gehalten wer- Terroranschlag kommen und Opfer geben und sollte sich den kann. Dies ist so nicht eingetroffen, und wir werden die SPD und die Justizministerin nicht genügend bewegt uns intensiv über die Gründe unterhalten müssen. haben. In dieser Situation wäre es richtig, wenn Sie sich, Frau Zypries, gar nicht bewegten und wenn Sie Ihre Trotzdem muss man im Zusammenhang mit der Justiz Standpunkte zum Schutze der Rechtsstaatlichkeit und und dem Rechtsstaat auch immer über Geld reden. Der Ihre Aufgabe als Verfassungsschutzministerin tatsäch- Rechtsstaat kostet die Bürgerinnen und Bürger wahrlich lich ernst nähmen. nicht viel Geld, aber er ist nicht billig zu haben. Als ich (Dr. Peter Danckert [SPD]: Tut sie doch!) vor einem Jahr davon gesprochen habe, dass für die Aus- stattung der Gerichte die Länder zuständig sind, dass – Nein, das tut sie nur sehr verhalten, sehr eingeschränkt. aber – wenn man den Rechtsstaat nicht nur proklamiert, (B) sondern auch faktisch durchsetzen und stärken will – die Aus der Fülle der Fälle, über die diskutiert werden (D) Bundesjustizministerin in der Aufgabe steht, auf die muss, will ich an dieser Stelle einige wenige aufgreifen. Länderebene einzuwirken, damit dort endlich mehr Frau Zypries, Sie haben einen Vorschlag zur Neuauflage Geld, mehr Personal und eine bessere Ausstattung für der Kronzeugenregelung gemacht. Erstaunlicherweise die Justiz bereitgestellt werden, hat der Kollege Stünker hat der Bundesrat dazu in der Sommerpause in einer gerufen – den Zwischenruf kann man im Protokoll nach- Stellungnahme festgestellt, dass die von Ihnen vorge- lesen –: „Doch! Doch!“ schlagene Kronzeugenregelung dazu führen wird, dass es – erster Vorwurf – keine schuldangemessenen Strafen Tatsächlich ist aber nichts geschehen. Das größte mehr geben wird, dass es – zweiter Vorwurf – in Zukunft Amtsgerichts der Bundesrepublik Deutschland – das einen Handel mit der Gerechtigkeit geben wird und dass Amtsgericht München, meiner Heimatstadt – hätte vor die Gefahr des Missbrauchs dieser Vorschrift – dritter einigen Monaten eigentlich Konkurs anmelden müssen. Vorwurf – sehr groß ist. Diese Argumente könnten aus Die Situation, dass die Justiz mit den zur Verfügung ge- einem Papier der grünen Bundestagsfraktion abgeschrie- stellten Mitteln keine qualitativ angemessene rechts- ben sein. Insbesondere die Schlussfolgerung des Bun- staatliche Arbeit leisten kann, ist auch in der Fläche hoch desrates sollte man sich zu Gemüte führen. Ich darf zitie- ren: dramatisch. Deswegen glaube ich, dass wir auch an die- ser Stelle noch einmal darauf aufmerksam machen müs- … dass der Gesetzentwurf dem rechtsstaatsfeindli- sen, dass die Landesfinanzminister endlich die notwen- chen Denunziantentum Vorschub leisten wird, wes- digen Mittel zur Verfügung stellen müssen, um den halb die Aussagekraft und der Beweiswert derartig Rechtsstaat auch auf Landesebene mit Leben zu erfüllen. einseitig motivierter Offenbarungen besonders kri- tisch zu hinterfragen und auch in Gänze in Zweifel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu ziehen sein dürften. Bundesjustizministerin Zypries hat den Koalitions- Der Deutsche Richterbund hat sich ähnlich kritisch vertrag seinerzeit mit den Worten kommentiert, Rechts- geäußert. Wenn die Liste der sachlichen Kritiker von den staatlichkeit und Grundrechtsschutz seien der strikte Grünen über den Deutschen Richterbund bis hin zum Maßstab, an dem sich die Große Koalition messen lassen Bundesrat reicht, ist das ein Grund, zu sagen: Eine sol- müsse. che Kronzeugenregelung machen wir nicht. Stattdessen schlagen Sie sie dem Bundestag vor. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Der Satz ist doch richtig!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11468 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: geführt worden ist. Wir sagen Ihnen von dieser Stelle: (C) Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischen- Das ist das, was rechtsstaatlich richtig und hinnehmbar frage des Kollegen Kauder? ist, wohingegen der Besuch von irgendwelchen Terror- camps in Afghanistan, der von niemandem gewollt ist Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und unterstützt wird, nicht als Straftat ausgestaltet wer- Aber gerne. den kann, wenn Sie überhaupt noch einen Rest an Rechtsstaatlichkeit, an Bestimmtheit der Normen im deutschen Strafrecht haben wollen. Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ CSU): Herr Kollege Montag, bedeutete das nicht, dass man Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: in konsequenter Fortführung Ihrer Auffassung § 31 Herr Kollege, ich muss Sie jetzt an Ihre Redezeit erin- BtMG, mit dem wir gute Erfahrungen gemacht haben, nern. ersatzlos streichen müsste? Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da meine Redezeit zu Ende ist, will ich an dieser Herr Kollege Kauder, ich weiß nicht, wen Sie mit Stelle zum Schluss Folgendes sagen: Ich erkenne sehr „wir“ meinen, wenn Sie von guten Erfahrungen mit wohl – da bin ich weniger positiv gestimmt als mein § 31 BtMG sprechen. Die Erfahrungen, die ich, der ich Vorredner Herr Kollege Nešković –, dass Sie, Frau genauso ein Praktiker des Strafrechts bin wie Sie, kenne, Zypries, gegen die rechtsstaatswidrigen Anfeindungen gehen in die völlig entgegengesetzte Richtung. Wir brau- Ihres Kollegen aus dem Innenministerium ankämpfen, chen weder eine Kronzeugenregelung bei der Bekämp- aber ich erkenne auch sehr wohl, dass es in der Koalition fung der Geldwäsche noch eine Kronzeugenregelung mit der Union mit einer rechtsstaatlichen Rechtspolitik beim Antiterrorkampf noch eine Kronzeugenregelung nicht sehr weit her ist. beim Betäubungsmittelrecht. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Gemach, Herr Dem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland wäre Kollege!) gedient, wenn wir die gesamte Kronzeugenregelung aus- Deswegen wünsche ich mir und Ihnen, dass Sie von die- laufen ließen und sie aus dem Strafgesetzbuch streichen sem Koalitionspartner bald befreit werden können. würden. Diese Forderung erhebe ich für die Grünen an dieser Stelle ausdrücklich. Wir würden dadurch bei der Danke. Rechtssicherheit nichts einbüßen. Denjenigen Täterin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) nen und Tätern, die aus Reue über ihre Tat oder aus wel- (D) chen Gründen auch immer einen Beitrag zur Aufklärung Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: von anderen Straftaten leisten, kann man schon jetzt nach geltendem Recht bei der Strafzumessung entgegen- Nun hat das Wort der Kollege Joachim Stünker für die kommen. Dafür brauchen wir die rechtsstaatlich höchst SPD-Fraktion. problematische und höchst kontrovers diskutierte Kron- zeugenregelung nicht. Joachim Stünker (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es tut mir leid, seit einer guten halben Stunde habe ich und bei der LINKEN) das Gefühl, dass in diesem Hohen Hause eine Phantom- Angesichts der fortgeschrittenen Zeit will ich von den diskussion geführt und zum Einzelplan 7 nicht mehr ge- vielen Punkten, zu denen ich etwas sagen wollte, nur sprochen wird. noch einen Punkt herausgreifen. Frau Zypries, es wird (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) darüber diskutiert, ob §129a StGB durch weitere Rege- lungen angereichert werden soll. Vonseiten der Konser- Ich darf den Damen und Herren von den drei Opposi- vativen kommt der törichte Vorschlag, Einzeltäter als tionsparteien eines versichern: Die Sozialdemokraten in terroristische Vereinigungen zu behandeln. Was das au- diesem Hause sind jetzt im zehnten Jahr für die Rechts- ßer Meinungs- oder Gesinnungsterror oder Hate-Crime politik in diesem Land verantwortlich, und wir führen nach amerikanischem Muster bringen soll, weiß ich bzw. führten mit zwei Ministerinnen das Bundesministe- nicht. Aber es wird auch diskutiert – da haben Sie eben rium der Justiz. Wir brauchen uns von niemandem vor- nicht klar Nein gesagt, sondern lediglich die Prüfung in werfen zu lassen, dass wir in diesen neun Jahren bei ei- Ihrem Hause zugesagt –, den sogenannten Besuch von ner einzigen Sachfrage, die zu entscheiden war, auch nur Terrorcamps unter Strafe zu stellen. Herr Gehb, Sie ein einziges Mal die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land sind darauf auf Ihre Art und Weise eingegangen. Ich will aufs Spiel gesetzt hätten, auch nicht in schwierigen Zei- Ihnen sagen: Der belgische Kesselschmied Duchesne ist ten. im 19. Jahrhundert nicht nach Afghanistan gefahren – da (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gab es keine Terrorcamps –, sondern nach Paris zum ka- der CDU/CSU) tholischen Bischof und wollte Geld haben, um Bismarck zu töten. Er hat das Geld nicht bekommen. Aber dieser Sechs Jahre ist es seit 9/11 her. Auch damals sind wir in Vorfall war der Grund dafür, dass 1876 der § 30 – Ver- der Lage gewesen, in der Rechts- und in der Innenpolitik such der Beteiligung – ins deutsche Strafgesetzbuch ein- genau die Waage zu halten, die zwischen Sicherheit und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11469

Joachim Stünker (A) Freiheit zu halten ist. Wir haben die Sicherheit nicht Mit der Novellierung des Wohnungseigentumsgeset- (C) über die Freiheit gesetzt, was Sie uns in Ihren Reden je- zes haben wir die Eigentumsrechte der einzelnen Woh- des Mal vorzuwerfen versuchen. nungseigentümer nachhaltig gestärkt und Schutz vor Querulanten und Rechtsmissbrauch geschaffen. Beenden Sie die hypothetischen Debatten, die hier ge- führt werden, und lassen Sie uns doch in der Mitte der (Dr. Peter Danckert [SPD]: Sehr gutes Legislaturperiode ganz nüchtern anschauen, was wir in Gesetz!) der Rechtspolitik in diesen zwei Jahren geleistet haben! Lassen Sie uns anschauen, wie es mit den Freiheitsrech- Wir haben mit dem Gesetz zum Pfändungsschutz der ten des Einzelnen aussieht. Ich sage Ihnen: Diese Koali- Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insol- tion hat mit ihrer Rechtspolitik immer einen Ausgleich venzanfechtung vor allem die Altersvorsorge wirksamer zwischen dem Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit abgesichert, als es bisher der Fall gewesen ist. und ihrem Recht auf Freiheit geschaffen. Ich füge hinzu: Mit dem zweiten Korb zur Reform des Urheberrechts Auch in Zukunft werden wir den rechtlichen Rahmen haben wir das Recht des geistigen Eigentums erneut an garantieren, um Kriminalität in allen Erscheinungsfor- die Bedingungen des digitalen Zeitalters angepasst. men wirksam zu bekämpfen. Gleichzeitig muss aber der Hierdurch werden insbesondere die berechtigten An- Charakter unserer Rechtsordnung als Fundament unserer sprüche der Urheber im Medienzeitalter verbessert. freiheitlichen Demokratie gewahrt bleiben. Dazu gehö- Schlussendlich – es ist schon darauf hingewiesen wor- ren für uns unabdingbar die Freiheitsrechte des Einzel- den – haben wir mit dem neuen Versicherungsvertrags- nen, und die werden wir in dieser Koalition weiter wah- gesetz das 100 Jahre alte Versicherungsvertragsrecht ren. Da bin ich absolut sicher. nachhaltig und insbesondere verbraucherfreundlich in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) das 21. Jahrhundert befördert. Es hat den Schutz von Millionen von Verbraucherinnen und Verbrauchern vor Lassen Sie mich einige Beispiele dafür nennen, was dem übermächtigen Vertragspartner auf der anderen wir in den zwei Jahren dieser Koalition geleistet haben, Seite gestärkt. damit Sie, Herr Nešković, und Sie, Herr Montag, die Sie sich so ereifert haben, wieder auf den Boden der Tat- Das sind praktische Beispiele für Rechtspolitik in sachen kommen. Wir haben mit der Novellierung des zwei Jahren Großer Koalition. Ich glaube, Sie alle geben Zollfahndungsdienstgesetzes den Kernbereich der priva- mir darin recht, dass wir den Rechtsstaat dabei in jedem ten Lebensgestaltung bei der Überwachung von Post und Einzelfall gewahrt und die Rechte des Einzelnen in die- Telekommunikation wirksam geschützt. Darin waren ser Gesellschaft gestärkt haben. wir uns alle gemeinsam weitgehend in diesem Hause (B) einig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) der CDU/CSU) Wir haben mit dem Gesetz über die Regelung der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vor allem eine Das ist eine überzeugende Halbzeitbilanz der Gro- nachhaltige Stärkung des Opferschutzes in die Strafpro- ßen Koalition. Ich bedanke mich bei der Ministerin und zessordnung implementiert. Wir haben im Wege des ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gute Zu- Straftatbestandes des sogenannten Stalking erstmals die sammenarbeit mit dem Bundesministerium der Justiz. Es fortgesetzte Verfolgung oder Belästigung einer anderen ist eine Bilanz, die anschaulich zeigt und beweist, dass Person und damit auch den Opferschutz wirksam in das der individuelle Rechtsschutz des einzelnen Mitbürgers Strafgesetzbuch implementiert. Das bedeutet mehr Frei- im Mittelpunkt unserer Politik stand und nicht das Ge- heit für viele belästigte Opfer. genteil. Auch weiterhin werden wir dafür einstehen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Diese Bilanz zeigt, dass die von der Opposition auch heute wieder wortgewaltig vorgetragenen Kassandrarufe Auch die Novellierung der Führungsaufsicht bewirkt reiner Populismus und Stimmungsmache sind. Mit der verbesserten Schutz vieler Menschen vor allen Dingen rechtspolitischen Wirklichkeit haben sie hingegen wenig vor rückfälligen Sexualstraftätern. Das Gleiche gilt für zu tun. Dieser Linie werden wir auch in den vor uns lie- die Reform des Rechts der Unterbringung in psychiatri- genden zwei Jahren treu bleiben. Da können Sie, die schen Krankenhäusern und Entziehungsanstalten. Das Skeptiker, ganz sicher sein. Wir werden in den vor uns alles sind Reformen, die wir in den vergangenen zwei liegenden Entscheidungen, die teilweise sicherlich Jahren in diesem Hause umgesetzt haben. Auch wenn es schwierig sind, rechtsstaatliche Grundsätze nicht infrage einigen wehtun wird, das zu hören, bewirken wir mit stellen. dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz den Schutz vieler Menschen vor Diskriminierungen jeder Art in un- Lassen Sie mich beispielhaft nennen, was wir feder- serer Gesellschaft. führend zu erledigen haben: die Reform der Telefon- überwachung und die Vorratsdatenspeicherung, die (Beifall bei der SPD) FGG-Reform und die Reform des familiengerichtlichen Eine entsprechende Gleichbehandlungsstelle steht zur Verfahrens sowie die Kronzeugenregelung, die wir, Herr Information und Unterstützung der Betroffenen bereit. Kollege Montag, mit Sicherheit rechtsstaatskonform ge- stalten werden, übrigens auf der Grundlage eines Ent- (Jörg van Essen [FDP]: Wieder mehr wurfs, der vor einigen Jahren unter Rot-Grün erarbeitet Bürokratie!) worden ist. 11470 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Joachim Stünker (A) (Zuruf von der CDU/CSU: Da muss man aber Otto Fricke (FDP): (C) genau hinschauen! – Jerzy Montag [BÜND- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit enormen legen! Herr Kollege Stünker, Sie haben die SPD-Rechts- Änderungen!) politik hier hoch gelobt. – Das ist doch gar nicht wahr, Herr Montag. Dazu kom- (Joachim Stünker [SPD]: Zu Recht!) men wir später noch. Das ist damals nur am Kollegen Sie haben gesagt, die Opposition mache hier Kassandra- Ströbele gescheitert, der noch mehr wollte, sodass wir rufe. Nachdem Herr Körper Ihnen gerade wahrschein- nicht mehr mitmachen konnten. Das andere war schon lich erklärt hat, dass Kassandra nachher recht bekommen alles in trockenen Tüchern mit ihm. hat, hoffe ich nur, dass es der SPD-Rechtspolitik nicht so Das Vaterschaftsfeststellungsverfahren werden wir geht wie Troja. Das wäre jedenfalls ganz gut. regeln, ebenso die nachträgliche Sicherungsverwahrung (Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [FDP]) für Jugendliche, die Verständigung im Strafverfahren, die Reform des Kontopfändungsschutzes und die Ent- Außerdem haben Sie hier erzählt, wie fantastisch die schuldung mittelloser Personen durch Änderung des SPD die Bürgerrechte in den vergangenen Jahren ge- Verbraucherinsolvenzverfahrens. Wir werden eine wirt- schützt hat. schafts- und verbraucherfreundliche GmbH-Reform ma- (Christoph Strässer [SPD]: Sehr richtig!) chen und die Beratungen zum Entwurf eines Rechtsbera- tungsgesetzes in den nächsten Tagen abschließen. Wie viele Verfassungsgerichtsentscheidungen musste die SPD in den letzten Jahren eigentlich einstecken? Das ist eine riesige Menge an Reformen, die wir zur Hälfte schon hinter uns, zur Hälfte aber auch noch vor (Joachim Stünker [SPD]: Das war in Ihrer uns haben. Wir haben also viel Arbeit und ein anspruchs- Regierungszeit!) volles Programm für die nächsten zwei Jahre vor uns. – Ich bestreite nicht, dass das zu unserer Regierungszeit Ich bin sicher: Am Ende dieser Legislaturperiode wer- auch einmal so war; aber Sie sind seit zehn Jahren an der den wir die Freiheits- und Bürgerrechte der Menschen in Regierung, Herr Stünker. Sie hätten all die verfassungs- unserem Land weiter gestärkt, ausgebaut und nicht ein- widrigen Gesetze ändern können. Sie hatten dazu Zeit, geschränkt haben. als Sie mit den Grünen eine Koalition bildeten, und Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der haben jetzt, da Sie mit der CDU/CSU eine Koalition bil- CDU/CSU) den, dazu Zeit. Insofern würde ich bei der Beantwortung der Frage, wer hier der Hüter und Schützer ist, ganz vor- (B) Gleichzeitig werden wir das Notwendige für die innere sichtig sein. Es gibt an dieser Stelle keinen, der nicht (D) Sicherheit tun. Bei diesem leidigen Thema, das hier seit Fehler macht. – Sich selber herauszustellen und zu sa- bald zwei Stunden eine Rolle spielt, werden wir – das gen: „Wir sind diejenigen …“, halte ich angesichts der garantiere ich Ihnen – zu rechtsstaatskonformen Lösun- Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den gen kommen. vergangenen zehn Jahren für vollkommen unangebracht. Meine Überzeugung ist – nachdem einige hier ihre (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Redezeit überschritten haben, möchte ich von meiner Nešković [DIE LINKE]) Redezeit etwas abgeben –, dass es keine individuelle Frau Ministerin, wenn man als Oppositionspolitiker Freiheit ohne Sicherheit vor äußerer fremder Gewalt über den Haushalt redet, dann liegt es erst einmal nahe, gibt. auf Angriff zu setzen. Aber angesichts dessen, was Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der an der Rechtsstaatsfront im Moment auszuhalten CDU/CSU) haben – meistens von der linken Seite dieses Hauses –, möchte ich Ihnen ein wenig Schonung gewähren. Es ist Es gibt keine Freiheit ohne wirksamen staatlichen schade, dass der Kollege Schäuble nicht da ist. Sie haben Schutz vor Straftaten. Dabei müssen wir immer die Ba- zugehört, als der Haushalt seines Ministeriums beraten lance wahren, also auch die individuellen Freiheitsrechte wurde. Er kann nun leider nicht anwesend sein. im Blick behalten. Das werden wir mit Augenmaß tun. Für den Haushalt des Justizministeriums gilt natür- Von diesem Weg werden wir auch im zehnten Jahr, in lich, dass er die Rechtspolitik selber nicht allzu sehr ab- dem Sozialdemokraten die Rechtspolitik in diesem Land bildet. Was Kosten angeht, findet diese Abbildung – Sie bestimmen, nicht abweichen. haben es gesagt – an vielen Stellen in den Ländern statt. Schönen Dank. Herr Montag, ich will ausdrücklich sagen: Ich hoffe, dass mit Ihren berechtigten Forderungen bezüglich der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausstattung der Justiz in den Ländern nicht dasselbe der CDU/CSU) passiert, was mit dem passiert ist, was Frau von der Leyen durchzusetzen versucht hat: Der Bund soll einiges Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: bezahlen, was außerhalb seiner Zuständigkeit liegt. Das Nun hat das Wort der Kollege Otto Fricke für die ist nicht gut; denn wann immer der Bund etwas bezahlt, FDP-Fraktion. was außerhalb seiner Zuständigkeit liegt, hat er für andere Dinge kein Geld. Ich denke, das ist nicht Ihr (Beifall bei der FDP) Impetus gewesen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11471

Otto Fricke (A) Das Deutsche Patent- und Markenamt ist weiterhin angesprochen. Ich habe bisher noch keinen Bericht gese- (C) der Teil unseres Justizwesens, der einen hohen De- hen. Ich bin mir sicher, es gibt einen Zwischenbericht. ckungsgrad gewährleistet. Hier ist über Jahre gesagt Ich würde mich freuen, wenn die Haushälter diesen Zwi- worden, dass zu Zeiten der schwarz-gelben Regierung schenbericht bekommen würden. 160 000 Euro, das mag große Fehler gemacht worden sind, dass eine Bugwelle eine kleine Summe im Verhältnis zur Größe des Haus- entstanden sei und dass man sie nun beseitige. Dem ist halts sein, aber sie ist nicht unwichtig. Ich bitte darum, nicht so. Wir stellen fest: Es gibt weiterhin eine hohe dass uns das, was vorliegt, zugeht. Bugwelle. Wir stellen fest, Herr Stünker: Entscheidend ist nicht, ob das Justizministerium in Händen der SPD Zum Abschluss doch noch einmal ein kurzes liberales oder der FDP ist; vielmehr handelt es sich um ein syste- Mantra. Es fällt mir sehr stark auf, dass wir immer wie- matisches Problem. der darüber im Wettbewerb stehen, wer am meisten Sicherheit gibt, oder in umgekehrter Weise darüber, wer Die Unterdeckung von 200 Stellen, mit der wir es hier schuld ist, wenn die Sicherheit nicht absolut garantiert zu tun haben, bereitet wirkliche Sorgen. Frau Ministerin, werden konnte. Die Frage, wer absolute Sicherheit ga- Sie haben gefragt, wie man dieses Problem lösen kann. rantieren kann, können wir nicht beantworten. Wir als Ich glaube, dass man es nur lösen kann, indem man ganz Parlament hätten eigentlich die Verpflichtung, zu sagen: klar sagt, dass wir mit Einsparungen von Stellen in einer Wir alle bemühen uns, entsprechend unserer politischen Behörde mit einem hohen Einnahmeanteil – diese Be- Überzeugung ein vernünftiges Maß an Sicherheit zu er- hörde „finanziert sich selbst“ – anders umgehen müssen. reichen. Jeder, der mit seinen Maßnahmen absolute Ich bin der Meinung: Wenn wir einen klaren betriebs- Sicherheit verspricht, hat den Bürger in dem Moment wirtschaftlichen Plan haben, dann müssen wir diesen eigentlich schon belogen. Behörden mehr Möglichkeiten geben, ihre Stellen so zu Letzter Punkt, Frau Ministerin. Wenn es jetzt zu wei- besetzen, wie sie es selbst für angemessen halten. teren Haushaltsverhandlungen kommt, dann möchte ich Diesbezüglich müssen Sie mit Herrn Diller einmal ein Sie bitten, anders als im letzten Jahr auf etwas zu achten. bisschen reden; er ist dazu durchaus bereit. Die Unter- Wenn seitens des Innenministeriums wieder neue Haus- stützung des Haushaltsausschussvorsitzenden an dieser haltswünsche kommen, darf es nicht wieder heißen: Wir Stelle haben Sie. haben im Haushaltsausschuss nicht so genau gewusst, Das Bundesamt für Justiz ist zu Recht angesprochen dass das Geld für Maßnahmen ist, die wir rechtsstaatlich worden. Wie wir gehört haben, soll es eigentlich beim eigentlich nicht wollten. – Hier sind Sie als Wächterin Status quo bleiben. Wir müssen ehrlich sein: Wir haben über den Rechtsstaat noch weit mehr gefragt als in den eine neue Aufgabe bekommen, und man muss sich fra- letzten Jahren. (B) gen, warum die Europäische Union ein weiteres büro- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (D) kratisches Verfahren durchführt. Fest steht: Zu diesem Verfahren wird es kommen. Ob die Anzahl der Stellen (Beifall bei der FDP) richtig ist, das weiß ich noch nicht. 98 Stellen kommen hinzu. Nur ein Teil dieser Stellen ist mit einem Wegfall- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: vermerk versehen. Ich möchte ausdrücklich kritisieren, Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ole Schröder für dass diese Stellen am Standort Bonn angesiedelt sind. CDU/CSU-Fraktion. Auch das ist richtig. Es ist ebenfalls richtig, dass sie beim Bundesamt für Justiz sind, weil es keine originäre Aufgabe ist, die man in Berlin erfüllen muss. Dr. Ole Schröder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Nur, wo ist der Ausgleich? Wir bringen 98 neue Stel- Herren! Die beiden Einzelpläne, die wir jetzt beraten, len nach Bonn. Bekommen wir dafür auch einen Effi- haben sich im Vergleich zum Vorjahr, was die Größe und zienzgewinn an anderer Stelle, in Berlin? Wir haben im- die Struktur angeht, nicht wesentlich verändert. Nach mer gesagt: Bonn hat Probleme. Nur, wenn wir jetzt hier wie vor dominieren natürlich die Personalausgaben. neue Stellen aufbauen, dann bitte ich doch darum, effi- zientere Arbeit möglich zu machen. Ich weiß, dass ge- Trotz des geringen Haushaltsvolumens verdienen genwärtig noch über 30 Leute des BMJ in Bonn sind. diese Einzelpläne bei den Haushaltsberatungen beson- Man könnte auch daran denken, diese nach Berlin zu dere Beachtung. Zum einen bilden die Institutionen, die versetzen. aus diesen beiden Einzelplänen finanziert werden, Grundpfeiler unseres Rechtsstaats – ich denke hierbei Im Übrigen empfehle ich, bei den 98 Stellen durchaus natürlich an den Bundesgerichtshof und das Bundesver- zu schauen, ob wir wirklich alle brauchen und ob wir fassungsgericht –; zum anderen sind Behörden wie das hierbei nicht mit einer qualifizierten Sperre arbeiten soll- Deutsche Patent- und Markenamt ganz entscheidend für ten nach dem Motto: Lasst uns einmal sehen, wie die den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland. Entwicklung verläuft. – Der Haushaltsausschuss könnte dann nach einer entsprechenden Vorlage sagen: Den Das Deutsche Patent- und Markenamt ist in den Rest bekommt ihr, je nachdem, wie die Entwicklung ver- Haushaltsdebatten der letzten Jahre schon Thema im läuft und wie die Unternehmen reagieren. Plenum gewesen. Wir haben es jetzt geschafft, mit zu- sätzlichen Prüfern den Anmeldestau bei den Patenten zu Wir haben beim letzten Mal die Vereinfachung der beseitigen. Das ist wichtig für den Technologiestandort Rechtssprache thematisiert; Kollege Schröder hat das Deutschland. 11472 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Dr. Ole Schröder (A) Den Haushälter freut es natürlich, dass wir die Ausga- Wahrnehmung dieser Aufgabe letztendlich brauchen. Es (C) ben im Einzelplan des Bundesministeriums der Justiz zu ist natürlich auch sehr schwierig, abzuschätzen, inwie- einem so großen Teil, zu fast 75 Prozent, aus eigenen weit die angekündigte Informationskampagne bei den Einnahmen decken können. Wir sind gerade dabei, das Unternehmen auch wirklich Erfolge zeigen wird. Haushaltsrecht so zu reformieren, dass wir künftig auch abbilden können, was die einzelnen Einrichtungen kos- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu ei- ten und was sie erbringen, damit wir eine wirtschaftliche ner Institution kommen, die bisher bei uns hier in den Rechnung aufstellen können, um hier noch besser steu- Plenarberatungen, wenn überhaupt, relativ wenig Beach- ern zu können. tung gefunden hat, die aber für die Rechtspflege in Deutschland von immer größerer Bedeutung sein wird. Viel wichtiger für den Technologiestandort Deutsch- Ich meine die Europäische Rechtsakademie in Trier. land als die Einnahmen ist aber, dass die Anmeldung von Die Europäische Rechtsakademie bildet Richter, An- Patenten schnell und rechtssicher funktioniert. Wenn ein wälte und Justizbedienstete der Mitgliedstaaten auf dem Unternehmen eine wertvolle Erfindung gemacht hat oder Gebiet des europäischen Rechts aus. Der Bedarf an sol- eine wertvolle Marke entwickelt hat und sie gegen nicht chen Fortbildungsangeboten steigt aufgrund der Erwei- unerhebliche Gebühren schützen lässt, dann muss dies terung der EU und der immer umfangreicher und kom- zügig geschehen; ansonsten ist die Marke oder das Pa- plexer werdenden EU-Gesetzgebung immens. Es sollte tent nicht viel wert. unser gemeinsames Ziel sein, diese Akademie in Deutschland zu halten und zu stärken. Wir können nicht Im Bereich der Patente funktioniert das hervorragend. zuletzt damit auch für eine Verbesserung der europäi- Die Zahl der Patentanmeldungen beim DPMA war in schen Rechtsanwendung sorgen. den vergangenen Jahren mit 60 000 Anmeldungen weit- gehend stabil geblieben. Wir bewegen uns damit auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und höchstem Niveau. Wir haben die höchsten Anmeldezah- der SPD) len, die ein nationales Patentamt in Europa hat. Im Be- Im Rahmen der Haushaltsberatungen sollten wir nach reich der Marken müssen wir dagegen aufpassen, dass Wegen suchen, um mit der Beteiligung des Landes wir unseren Standard halten. In diesem Bereich sind die Rheinland-Pfalz der Rechtsakademie eine Erweiterung Anmeldungen nach einem Tiefstand im Jahr 2002 mit zu ermöglichen, ohne den sowieso sehr engen Haushalt 57 400 Anmeldungen auf mittlerweile über 72 000 An- des Bundesministeriums der Justiz übermäßig zu belas- meldungen gestiegen. Deshalb werden wir uns in den ten. Beratungen über einen erhöhten Personalbedarf unter- halten müssen. Ich hätte mir gewünscht, dass ein solcher Es freut mich, dass das Modellprojekt für eine ver- Personalbedarf – dass es den gibt, erkennen wir ja an – (B) ständliche Sprache in Gesetzen jetzt anläuft, wie ich (D) auch schon im Kabinettsentwurf abgebildet worden wäre höre, sehr erfolgversprechend. Zusammen mit der Ge- und das nicht erst in den Haushaltsberatungen nachge- sellschaft für deutsche Sprache werden im BMJ Gesetze holt würde. auf verständliche Sprache überprüft und wird mit dem Fachministerium im Gesetzgebungsverfahren an ver- Sehr geehrte Damen und Herren, im Zuge der Bera- ständlicher Sprache gearbeitet. Wir sollten dieses Mo- tungen für den Haushalt 2007 hat uns ja das Bundesamt dellprojekt im nächsten Jahr zum Abschluss bringen, da- für Justiz beschäftigt. Die Gründung dieses Amtes hat mit die Fachpolitiker die entsprechenden Ergebnisse sich positiv ausgewirkt: Das Ministerium kann sich jetzt evaluieren können und wir gemeinsam die notwendigen auf seine Kernaufgaben konzentrieren, während Aufga- Schlussfolgerungen daraus ziehen können. ben des nachgelagerten Bereichs im Bundesamt für Jus- tiz gebündelt werden können. Im Rahmen der Einfüh- Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam rung der Offenlegungspflichten von Unternehmen im an einer besseren Rechtsetzung und an einer guten Elektronischen Handelsregister aufgrund von EU-Recht Rechtspflege arbeiten. Ich freue mich auf die gemeinsa- zeigt sich, dass wir eine solche zentrale Stelle brauchen. men Haushaltsberatungen. Nur so können wir nämlich den international gestiege- nen Anforderungen gerecht werden. Es war richtig, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wir uns entschieden haben, Unternehmer nicht gleich zu kriminalisieren, wenn sie ihren Offenlegungspflichten Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nicht nachgekommen sind. Deshalb haben wir uns ja für Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin ein Ordnungsgeldverfahren entschieden. Es kommt nun Daniela Raab für die CDU/CSU-Fraktion. darauf an, dass wir in einem ersten Schritt die Unterneh- men aufklären und über die Regelungen informieren so- Daniela Raab (CDU/CSU): wie für deren Umsetzung werben. In einem zweiten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schritt müssen wir aber auch dafür sorgen, dass mögli- Ich denke, der Kollege Gehb und der Kollege Stünker che Ordnungsgeldverfahren auch zügig durchgeführt haben sehr eindrucksvoll dargelegt, dass die Rechtspoli- werden. Gemäß den früheren Strukturen wäre diese Auf- tik allen Unkenrufen zum Trotz in der Großen Koalition gabe beim Bundeszentralregister angesiedelt worden. erstaunlich gut aufgehoben ist. Das wäre, wie ich denke, nicht optimal gewesen. Jetzt haben wir eine Organisationseinheit, die das leisten (Iris Gleicke [SPD]: Wir sind da nicht er- kann. Wir werden uns sicherlich in den Beratungen noch staunt! – [SPD]: Selbstver- darüber unterhalten müssen, wie viele Stellen wir für die ständlich! Wieso erstaunlich?) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11473

Daniela Raab (A) – Ich gehe gern darauf ein, warum ich das für erstaunlich tig umgehen müssen; wir haben es erst in den letzten (C) halte. Ich gestehe, ich hatte am Anfang etwas Bedenken, Wochen wieder vor Augen geführt bekommen. aber inzwischen macht es mir sehr großen Spaß, mit Ih- Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die intensi- nen zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, Sie verstehen das ven Diskussionen in den Jahren 2002 und 2003 über den richtig. – Ich finde, dass wir in vielen großen Gesetzes- vorhaben ausgesprochen gut vorankommen. Das Versi- § 129 a StGB und die Frage, ob es strafbar sein muss, für cherungsvertragsgesetz ist schon erwähnt worden. Da- eine Terrorvereinigung zu werben oder zum Dschihad bei handelt es sich um einen großen Bereich, der für uns aufzurufen. Wir haben als Union damals, leider als ein- schwer zu regeln war, weil auch die Finanzmaterie sehr zige Fraktion in diesem Parlament, die Meinung vertre- stark davon betroffen ist. Ich möchte an dieser Stelle an- ten, dass diese Strafbarkeit im Gesetz verankert bleiben merken, dass es sicherlich auf die Union zurückgeht, dass muss. Sie ist zwingend erforderlich. In Bezug auf solche wir hier einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Straftatbestände darf es keine Bagatellisierung im deut- Verbraucherschutz einerseits, der dem BMJ bei dieser An- schen Strafrecht geben. Rot-Grün hat das anders gesehen gelegenheit über die Maßen wichtig war, und der Funk- und sehr bewusst die Werbung für solche terroristischen tionstüchtigkeit des Versicherungsstandortes Deutschland Vereinigungen als Straftatbestand aus dem Gesetz he- andererseits gefunden haben. Wir haben – die Ministerin rausgenommen. Die Konsequenz kennen Sie: Der BGH hat es angesprochen – in sehr sachorientierten, ver- hat im Mai dieses Jahres über die Fortsetzung einer Un- nünftigen und im Ton anständigen Verhandlungen mit tersuchungshaft eines Beschuldigten zu befinden gehabt, allen Beteiligten einen sehr guten Kompromiss gefun- der im Internet Werbung für al-Qaida gemacht hat, und den. Das ist nur ein Beispiel für die wirklich erfolgreiche zwar mehrfach und in deutlicher Art und Weise. Der Arbeit der letzten zwei Jahre. BGH hat in seinem Urteil deutlich zum Ausdruck ge- bracht, dass der Beschuldigte Gott sei Dank auch noch Aber es gibt natürlich noch immer nicht ganz erfüllte versucht hat, Mitglieder zu werben; denn wenn die Fort- Wünsche, die durchaus ein Mehr an Bewegung erfor- setzung der U-Haft nur darauf hätte gestützt werden dern würden. Der Kollege Gehb hat es schon angespro- müssen, dass er zum Heiligen Krieg aufgerufen hat, chen. Am 18. Juli wurde der Kabinettsentwurf bezüglich hätte er freigelassen werden müssen. der nachträglichen Sicherungsverwahrung für durch Ich meine, daraus sollten wir Konsequenzen ziehen. Jugendstrafrecht verurteilte Straftäter gebilligt. Wir ha- Wir sollten die Werbung für terroristische Vereinigungen ben als Union sehr lange gefordert, diese ganz klare Ge- und den Aufruf zu terroristischen Anschlägen wieder setzeslücke zu schließen. Ich weiß, dass es vielen aus der ganz bewusst unter Strafe stellen. Das wäre eine konse- Fraktion des Koalitionspartners nicht leicht gefallen ist, quente Reaktion auf das BGH-Urteil vom Mai dieses (B) sich auf dieses Thema einzulassen. Eine bayrische Initia- Jahres und auf das, was wir jetzt direkt vor unserer (D) tive gibt es seit mittlerweile über einem Jahr im Bundes- Haustür erleben. Ich möchte dringend darum bitten, dass rat, und es gab sie auch in den vergangenen Legislatur- wir uns sehr genau damit beschäftigen. perioden. Ich denke, wir haben hier die Pflicht, vorwärtszukommen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist (Beifall bei der CDU/CSU – Zustimmung des in weiten Teilen zustimmungsfähig. Ich kann mich aber Abg. Dr. Peter Danckert [SPD]) nur dem Kollegen Gehb anschließen: Wir hätten uns bei Ich weiß, dass das schwierig ist. der Anlasstat, die sozusagen Voraussetzung für die Überprüfung der Anordnung einer Sicherungsverwah- Ich habe mit großem Interesse verfolgt, was insbeson- rung ist, ein bisschen mehr Konsequenz und ein bisschen dere der Kollege Nešković hier von sich gegeben hat. mehr Mut gewünscht. Sieben Jahre Jugendstrafe ist eine Die Unterstellungen insbesondere gegenüber dem Bun- sehr hohe Strafe, die vermutlich in nicht sehr vielen Fäl- desinnenminister halte ich für politisch und menschlich len ausgesprochen wird. Wir hätten uns da durchaus fünf grob unanständig. Jahre vorstellen können. Denn auch die anderen Voraus- (Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Sie sind setzungen für die Anordnung einer nachträglichen juristisch begründet! Das müssen Sie zur Sicherungsverwahrung bei im Ursprung jugendlichen Kenntnis nehmen!) Straftätern sind sehr hoch. Von daher wären die fünf Jahre sicherlich vertretbar gewesen. Aber – ich sage das – Es kommt bei Ihnen immer im juristischen Deckman- noch einmal ganz ausdrücklich – wir erkennen an, dass tel daher, wenn Sie unanständig werden; dadurch klingt es hier eine deutliche Bewegung gegeben hat, und wir es ein bisschen besser, aber es wird nicht besser. – Sie re- unterstützen und begrüßen diese Bewegung. den immer von Schutzpflichten des Staates; ich würde mir – das sage ich Ihnen auch ganz klar – eine Schutz- Ich will jetzt nicht zum wiederholten Male das Thema pflicht vor solchen Reden wünschen. Onlinedurchsuchung oder Terrorcamps ansprechen. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Mich verwundert allerdings ein bisschen, dass der Auf- GRÜNEN]: Es gilt aber die Meinungsfreiheit! enthalt in einem Terrorcamp von Teilen dieses Parla- Das muss man doch aushalten können!) ments ganz offensichtlich bagatellisiert werden soll. Das verstehe ich nicht ganz. Herr Montag, Sie meinen, dass Die Regelungen müssen natürlich immer auf rechts- dieser Aufenthalt durch die Verabredung zu einer Straf- staatlicher Grundlage getroffen werden. Auf der Regie- tat abgedeckt sei. Ich teile Ihre Auffassung nicht. Ich rungsbank sitzen zwei Minister – Ministerin Zypries und glaube schon, dass wir mit solchen Dingen sehr vorsich- Minister Schäuble –, bei denen wir in sehr guten Händen 11474 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007

Daniela Raab (A) sind. Die Überprüfung dessen, was wir ins Strafgesetz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (C) buch aufnehmen wollen – sei es ein Verbot des Besuchs Dr. Peter Danckert [SPD]) von Terrorcamps oder ein Verbot von Werbung für terro- ristische Vereinigungen –, muss sorgfältig und mit Au- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: genmaß durchgeführt werden; sie muss sich aber auch an Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen orientieren. Schluss der heutigen Tagesordnung. Kollege Stünker hat so treffend aus dem CDU/CSU-Pro- gramm zitiert: Keine innere Sicherheit ohne äußere Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf morgen, Mittwoch, den 12. September, Sicherheit. – Diesem Grundsatz fühlen wir uns ver- 9 Uhr, ein. pflichtet. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend. Wir haben noch viel vor. Ich schließe die Sitzung. Herzlichen Dank. (Schluss: 19.01 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 110. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2007 11475

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Ahrendt, Christian FDP 11.09.2007 Leutheusser- FDP 11.09.2007 Schnarrenberger, von Bismarck, Carl- CDU/CSU 11.09.2007 Sabine Eduard Merkel (Berlin), Petra SPD 11.09.2007 Burkert, Martin SPD 11.09.2007 Nitzsche, Henry fraktionslos 11.09.2007 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 11.09.2007 Herta Röring, Johannes CDU/CSU 11.09.2007

Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 11.09.2007 Schily, Otto SPD 11.09.2007 DIE GRÜNEN Dr. Stinner, Rainer FDP 11.09.2007 Grasedieck, Dieter SPD 11.09.2007 Strothmann, Lena CDU/CSU 11.09.2007 Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ 11.09.2007 DIE GRÜNEN

Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ 11.09.2007 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- DIE GRÜNEN sammlung des Europarates

(B) (D)

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