1993 Friedrich Schorlemmer FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
1993 Friedrich Schorlemmer FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS Richard von Weizsäcker _________________________________ Laudatio Der Friedenspreis des Deutschen Buchhan- ist eine elementare Gefahr für den Frieden. So dels wird in diesem Jahr an einen im deutschen unendlich wichtig und schwer es ist, immer von Gemeindewesen verwurzelten Pfarrer verliehen. neuem Toleranz zu lernen und zu üben, so bleibt Das hat die Paulskirche bisher noch nicht erlebt. sie doch allzuoft passiv und gleichgültig gegen- Ich freue mich darüber und erlaube mir zunächst über Not und Leid und Ungerechtigkeit. einige allgemeine Worte der Begründung. Ein Wall zwischen Kultur und Politik? Was In der ruhmreichen Geschichte des Frieden- sollte er helfen? Kultur lebt ja nicht abgeschottet spreises war schon deutlich von dem »stark be- gegen die harten Tatsachen, Interessen und festigten Wall zwischen Kultur und Religion« Kämpfe des Lebens. Sie ist kein Vorbehaltsgut die Rede (Paul Tillich), von der Abgrenzung für ein paar Eingeweihte, sondern sie ist die zwischen Glauben, Politik und literarischer Fülle unserer menschlichen Lebensweise mit Kunst. Im Zeichen des Friedens, dem der Preis allen ihren Unterschieden. Sie ist damit die we- gilt, ist dies eher merkwürdig, auch wenn man sentliche Substanz, um die es in der Politik ge- Gründe dafür finden kann. - Unsere heutige sä- hen sollte. Wer die Bedeutung begreift, die der kularisierte Gesellschaft bekennt sich mit ihrer Nachbar seiner Kultur zumißt, lernt ihn und lernt politischen Verfassung zum Pluralismus und zur zugleich sich selbst besser verstehen. Er beginnt, weltanschaulichen Neutralität. Es geht um die ihn zu achten, und hört auf, in ihm einen Fremd- Regeln des Zusammenlebens, nicht um die Su- ling oder gar Feind zu sehen. che nach Wahrheit. Der Börsenverein des Deutschen Buchhan- Wer sich als Politiker programmatisch auf dels ist eine Einrichtung unseres kulturellen seinen Glauben beruft, darf damit nur die Maß- Lebens. Mit seinem Friedenspreis gewinnt er stäbe nennen, an denen er sich selbst orientieren gerade damit sein hohes Ansehen, daß er die will und auch von anderen streng gemessen wer- Kultur herausfordert, indem er ihr etwas Zentra- den sollte. Er gerät zu Recht ins Abseits, wenn er les abverlangt und zutraut, nämlich kraftvolle versucht, aus seiner Position eine Überlegenheit Schritte in Richtung auf den Frieden. gegenüber Andersdenkenden abzuleiten oder Könnte und dürfte er da aus rein prinzipiel- intolerant zu werden. Ein Pfarrer wird zunächst len Gründen haltmachen vor dem Bezirk des mißtrauisch beäugt, wenn er in der Politik auf- Glaubens? Doch gerade deshalb nicht, weil die taucht. Kann er dort ein frommer Bekenner sei- Mentalität von Kreuzzügen, Inquisitionen und nes Glaubens bleiben? Wird er der Versuchung kirchlicher Machtpolitik, von Fundamentalisten widerstehen, im Namen des von ihm bezeugten und radikalen Schwärmern die Glaubwürdigkeit Glaubens den Pluralismus in die Schranken zu der Religionen in Frage stellen und den Frieden rufen? Gibt es härtere Widerstände gegen Frie- unter den Menschen bedrohen kann. Die den als die kleinen und großen Kämpfe um letzte menschliche Zivilisation muß von jeder Religion Wahrheiten? Auskunft darüber verlangen, was aus ihrer Und dennoch ist die Abgrenzung der Berei- Wahrheit für das friedliche Zusammenleben der che gerade dann merkwürdig, wenn es um den Menschen und Völker folgt. Frieden geht. Keiner Friedenspolitik bleibt es Unter dem Eindruck schwerer Gefahren für erspart, einen tieferen Grund für die Verständi- den inneren und äußeren Frieden erleben wir gung untereinander zu suchen als das bloße zum Beispiel im Islam gegenwärtig eine geistige Vertrauen auf den Pluralismus. Auseinandersetzung über den tiefen Sinn des Heute leben wir innerhalb unserer liberalen soviel mißbrauchten Begriffs des Heiligen Krie- Demokratien wie auch zwischen den Völkern in ges. Dabei hören wir auch die Stimmen von einer Phase der moralischen Erschöpfung. Das starken, oft einsamen Rufern, die sich aus ihrem 2 FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS Glauben heraus dafür verzehren, der Gleichgül- ging er nie die leichteren Wege. Bereits im Alter tigkeit ebenso die Stirn zu bieten wie dem frie- von 14 Jahren wurde er zum erstenmal politisch densgefährdenden Fanatismus. überwacht. Als Jüngling verweigerte er den Die Geschichte des Christentums, das un- Wehrdienst - wissen die jungen Menschen im sere Kultur geprägt hat, gibt uns wahrlich keinen Westen, welcher Mut dazu in der damaligen Grund, uns über andere Religionen zu erheben. DDR gehörte? Aber seine Abirrungen sind unsere wichtigsten In der DDR lebten die meisten Menschen in Lehren, um seine zentrale Botschaft der Liebe einem Winkel. Doch nicht alle taten es zum ei- freizulegen, die ja kein anderes Ziel als den genen Schutz. Der Winkel, in dem Friedrich Frieden verfolgen kann. Und immer wieder be- Schorlemmer lebte, war der »Untergrund«, wie gegnen wir Menschen, die mit ihrem Leben die ihn die Staatssicherheit nannte, deren Abteilung Kraft dieses Glaubens bezeugen. »Politischer Untergrund« für ihn zuständig war. Viele von ihnen bleiben verborgen. Wir Sie führte ihn als gefährlichen operativen Vor- mögen ihre segensreiche Wirkung verspüren und gang, als OV »Johannes«. Wußte die Stasi, wie können ihnen doch nicht danken, da wir ihre treffsicher sie mit ihrer Namensgebung war? Namen nicht wissen. An sie alle wollen wir den- Konnte sie ahnen, wie ernst es diesem Johannes ken, da nun heute einer unter uns ist, den wir mit dem Auftrag des gleichnamigen Vierten kennen und dem wir danken wollen: Friedrich Evangeliums war, im Kampf zwischen Wahrheit Schorlemmer. und Lüge Zeugnis von Jesus von Nazareth ab- Er nimmt seinen Glauben ernst und hilft uns zulegen, auch auf die Gefahr hin, dafür verfolgt in unserer Zeit und unserem Land zu verstehen zu werden? und zu tun, worauf es um des Friedens willen Er ließ sich von keiner Überwachung ab- ankommt. In jeder Phase seines Lebens stellt er schrecken. Er nutzte die Abende, um an der sich gegen die wechselnden Gefahren. Die Volkshochschule das Abitur nachzumachen, das Machthaber der Diktatur forderte er heraus mit ihm auf der regulären Schule verweigert worden seinem Kampf gegen die anbefohlene Erziehung war. Er studierte Theologie, kam in eine Ge- der Jugend zur Feindschaft. Er klagte die Rü- meinde, wurde Jugendpfarrer und Dozent am stungsspirale in einem politischen System an, in Predigerseminar in der Lutherstadt Wittenberg. dem man für solchen Freimut verfolgt und nicht, So wuchs er in eine Kirche hinein, die wieder wie im Westen, zumeist nur verfilmt wurde. einmal, wie so oft in ihrer Geschichte, mit aller Als die Freiheit näherrückte, nahm er seine Schärfe einer Spannung zwischen den ewigen ganze Autorität zusammen, um der Revolution und den zeitlichen Fragen ausgesetzt war. ihren friedlichen Verlauf zu gewährleisten. Der Die großen Konflikte der Zeit wären lösbar, erregten Bevölkerung redete er mit aller Kraft wenn wir Menschen die Kraft fänden, persönlich ins Gewissen, aufrecht und gewaltlos für die und politisch gemäß der Bergpredigt zu handeln. Freiheit einzutreten. Und seitdem sich die Verei- Ihren absoluten sittlichen Forderungen zu ent- nigung vollzieht, ringt er um Versöhnung in der sprechen wäre vielleicht die einzige ausrei- Wahrheit und um solidarischen Ausgleich der chende Antwort, um Frieden und Gerechtigkeit Lasten. zu erlangen. Wir Menschen scheitern immer In der Altmark, im heutigen Bundesland wieder an diesen Forderungen. Sachsen-Anhalt, ist Friedrich Schorlemmer 1944 Doch dürfen wir daraus kurzerhand ableiten, nahe der Elbe geboren und aufgewachsen. Er sah mit der Bergpredigt lasse sich die Welt nicht die Dampfer nach Hamburg fahren, ohne daß sie regieren? Können wir uns auf so einfache Weise ihn mitnahmen. Aber auch von sich aus faßte er von ihren hohen Geboten dispensieren, nur weil den Entschluß, nicht in den Westen zu gehen. Er gefährliche Schwärmer Unheil mit ihnen ange- hat sich nie als DDR-Deutscher gefühlt, sondern richtet haben? Uralt und ohne Ende ist die Aus- als ein Deutscher, der nicht zulassen wollte, daß einandersetzung, ob Christus mit der Bergpre- die SED sich einbilden dürfe, die DDR gehöre digt das Reich Gottes verkündet, auf das wir ihr allein. hoffen, das wir aber nicht mit unserer kleinen Im elterlichen Pfarrhaus begegnete er schon menschlichen Kraft schaffen können, oder ob als Halbwüchsiger den politischen Konflikten. wir in der Bergpredigt die bleibenden Maßstäbe Seine Ausbildung wurde staatlich behindert. für unser Denken und Handeln finden, an denen Doch er ließ sich nicht beugen. Von Jugend an wir uns stets von neuem orientieren sollen, sooft 3 FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS wir sie auch verfehlen. Am Leben und Wirken zu leben, so gehörte er dazu. Er wollte keine von Friedrich Schorlemmer lernen wir ein- Märtyrerrolle. Er spannte den Bogen, soweit es drucksvoll, daß es sich niemand leichtmachen irgend ging, aber mit der Absicht, gerade noch sollte zu glauben, er könne dieser Spannung außerhalb der Gefängnisse zu bleiben oder nicht wirklich entgehen. Für Schorlemmer ist sie un- außer Landes verwiesen zu werden. Treu nach aufhebbar. Er hält ihr stand, so gut er es vermag, Martin Luther begegnete er den Mächtigen mit ohne in einen bindungslosen Aktionismus zu dem Wort, nicht mit Gewalt. Er wußte, daß sie verfallen, zum Glaubenstyrannen zu werden nichts mehr fürchteten als Gewalt, aber daß sie oder voller Frömmigkeit die Welt sich selbst zu auch auf nichts weniger gefaßt waren als auf überlassen. Gewaltlosigkeit. Die