Das unerschrockene Wort Preis der Lutherstädte für Dmitrij Muratow und die Redaktion der russischen Tageszeitung Nowaja Gaseta

2011 | 35 Die Redaktion der Nowaja Gaseta Preis der Lutherstädte »Das unerschrockene Wort« 2011 Inhalt für Dmitrij Muratow und die Redaktion der Nowaja Gaseta

Der mit 10.000 Euro dotierte Preis der Luther- seine Überzeugung mutig und standhaft Einleitung 1 städte »Das unerschrockene Wort« wurde von gegenüber den Autoritäten seiner Zeit vertei- Geleitwort 2 der im Heidelberger Rathaus am 16. Oktober digt hat. Mit dem Preis sollen Frauen und 2010 tagenden Jury dem russischen Journa- Männer geehrt werden, heißt es in den Die Stifterstädte 3 listen Dmitrij Muratow und dem Redaktions- Grundsätzen für die Preisvergabe, »die in einer team der russischen Tageszeitung Nowaja besonderen Situation oder bei einem kon- Die Preisträger 2011 4 Gaseta zugesprochen. kreten Anlass, aber auch beispielhaft über Der Laudator 2011 5 einen größeren Zeitraum hinweg, in Wort und Die Jury begründete ihre Entscheidung damit, Tat für die Gesellschaft, die Gemeinde, den Die Mitglieder der Jury 6

»dass Dmitrij Muratow und die Redaktion Staat bedeutsame Aussagen gemacht und Die bisherigen der Nowaja Gaseta unter schwierigen Bedin- gegenüber Widerständen vertreten haben.« Preisträger 7 gungen in unerschrockener Weise auftreten Der Preis wird seit 1996 alle zwei Jahre gegen Korruption, Einschränkung der Presse- alternierend in den inzwischen 16 beteiligten Porträts der Lutherstädte 8 und Meinungsfreiheit und Verletzung der Lutherstädten verliehen. Menschenrechte.« Das Reformations- Der Preis wird am 14. Mai 2011 in Heidelberg jubiläum 2017 30 Der Preis »Das unerschrockene Wort« überreicht. Die Laudatio auf die Preisträger 450 Jahre Heidelberger wurde von einigen Lutherstädten anlässlich Dmitrij Muratow und die Redaktion der Katechismus 31 des Lutherjahres 1996 im Gedenken an Nowaja Gaseta hält Friedrich Schorlemmer. den Reformator gestiftet, der Impressum

| 1 Geleitwort der Oberbürgermeister der Städte Worms und Heidelberg

Die Stadt Worms war 1996 Ideengeberin des 2011 wird der Preis »Das unerschrockene Preises »Das unerschrockene Wort« und in Wort« nun an Dmitrij Muratow und die Re- Worms wurde der erste Preis überreicht. 2011 daktion der russischen Tageszeitung Nowaja ist nun Heidelberg Ort der achten Verleihung Gaseta verliehen. Die Nowaja Gaseta ist des Preises, gestiftet von inzwischen 16 international bekannt für ihre Veröffentli- Lutherstädten in Erinnerung an die standhafte chungen über Korruption und organisierte Haltung Martin Luthers, der den Widerruf Kriminalität sowie für ihr Engagement für seiner Schriften verweigerte und trotz der die Einhaltung der Menschenrechte. Deren gegen ihn verhängten Reichsacht seine Chefredakteur Dmitrij Muratow zählt zu je- Dr. Eckart Würzner Überzeugung gegenüber den Autoritäten nen russischen Intellektuellen, die für Demo- seiner Zeit unerschrocken vertreten hat. In kratie und Menschenrechte eintreten und diesem Sinne werden von den beteiligten steht stellvertretend für kritische, unabhän- Lutherstädten seit 1996 Frauen und Männer gige Journalisten in Russland, die ihr eigenes mit dem Preis »Das unerschrockene Wort« Leben für die Pressefreiheit riskieren. In den ausgezeichnet, die beispielhaft für ihre Über- vergangenen Jahren wurden auf russische zeugung, für Menschenrechte und Meinungs- Journalistinnen und Journalisten Anschläge freiheit eintreten. zum Teil mit tödlichem Ausgang verübt. Auch aus den eigenen Reihen der Nowaja Gaseta »Ob die Obrigkeit getadelt werden darf? Ganz sind Opfer zu beklagen. In einer solchen Michael Kissel gewiss!«, schreibt Luther 1540. Atmosphäre von Unterdrückung und Ein-

2 | Die Stifterstädte

schränkung der Freiheit zu arbeiten, bedarf In diesem Sinne wünschen wir den diesjäh- Augsburg es besonderen Mutes. Diesen Mut und das rigen Preisträgern Dmitrij Muratow und seinen Coburg weiterhin unerschrockene Auftreten in der Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion Eisenach aktuell schwierigen Situation zu fördern und der Nowaja Gaseta weiterhin viel Erfolg und zu unterstützen, war Intention der Jury, als Anerkennung ihrer Arbeit sowie das notwen- Eisleben sie den Preis Dmitrij Muratow und der Redak- dige Durchhaltevermögen! Erfurt tion der Nowaja Gaseta zugesprochen hat, die von der Lutherstadt Halle (Saale) der Jury Dr. Eckart Würzner als Preisträger vorgeschlagen wurden. Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg Heidelberg Magdeburg

Wir freuen uns sehr, dass Herr Pfarrer Friedrich Marburg Schorlemmer die Laudatio bei der Preisverlei- Nordhausen hung am 14. Mai 2011 in Heidelberg halten wird. Auch er hat sich in bemerkenswerter und Michael Kissel Schmalkalden unerschrockener Weise durch seinen Aufruf Oberbürgermeister der Stadt Worms Speyer zur Gewaltlosigkeit bei der Massendemonstra- Torgau tion am 4. November 1989 auf dem Berliner engagiert. Worms

Zeitz

| 3 Die Preisträger Dmitrij Muratow und die Redaktion der Nowaja Gaseta

Dmitrij Andreevitsch Muratow wurde am 30. Okto- Jahr 2000 wurden drei Mitarbeiter – Oleg Lurje, ber 1961 in Kujbyshev dem heutigen Samara (Süd- Sergej Solovkin, Michail Komarov – angegriffen und westrussland) geboren. 1983 machte er seinen Ab- zum Teil schwer verletzt. Vier weitere Mitarbeiter schluss an der philologischen Fakultät der staatlichen wurden ermordet, darunter Anna Politkovskaja und Universität Samara. Danach war er Arbeiter in ei- Natalja Estimirova, deren Schicksal auch außerhalb ner Fabrik sowie Mitarbeiter der Zeitung Volzhskij der russischen Föderation großes Aufsehen erregte. Komsomolec, bis er 1984 in die sowjetische Armee Der Tod des stellvertretenden Chefredakteurs Jurij einberufen wurde, um bis 1986 seinen Militärdienst Schtschekotschichin wirft Fragen auf, es wird ein zu leisten. 1987 wurde er für die Moskauer Jugend- Giftanschlag vermutet. Darüber hinaus musste die zeitung Komsomolskaja Pravda als Redakteur so- Redaktion verschiedene Ermittlungen und Kontrol- Dmitrij Muratow wie Mitglied der Redaktionsleitung tätig, verließ len seitens russischer Behörden erdulden, die die diese jedoch 1993 mit einigen Gleichgesinnten, Redaktionsarbeit beeinträchtigen und Veröffentli- mit denen er im gleichen Jahr die Tageszeitung chungen verzögern. Ein Beispiel dafür war die Be- Nowaja Gaseta (dt. Neue Zeitung) gründete. schlagnahmung der gesamten Bürotechnik der Mit der Nowaja Gaseta entstand eine der weni- Redaktion in Samara 2007, angeblich wegen illega- gen russischen Tageszeitungen, die frei von staatli- ler Softwarenutzung, die jedoch nicht nachgewie- cher Zensur über brisante Themen wie Korruption, sen werden konnte. Ebenso werden die Anwälte organisierte Kriminalität oder Machtmissbrauch in der Redaktion regelmäßig mit Klagen seitens Unter- der russischen Föderation berichten. In einem Land, nehmen oder der Administration konfrontiert, das als eines der gefährlichsten Länder der Welt für allerdings ist bisher keiner dieser Klagen stattge- Journalisten eingestuft wird, blieb diese unabhän- geben worden. gige Berichterstattung nicht ohne Folgen. Seit dem

4 | Der Laudator Friedrich Schorlemmer

Seit 1995 ist Dmitrij Muratow Chefredakteur der Friedrich Schorlemmer (*1944) studierte an der Nowaja Gaseta. Sein Beruf führte ihn in viele Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg evan- Krisengebiete wie zum Beispiel Afghanistan, Berg- gelische Theologie, ist Pfarrer und Publizist. 1968 Karabach und Tschetschenien. beteiligte er sich an Aktionen gegen die neue Ver- Er ist Träger mehrerer Auszeichnungen und fassung der DDR und den militärischen Einmarsch Preise, unter anderem des französischen Verdienst- in die Tschechoslowakei. In der DDR war er einer ordens der Ehrenlegion. Dmitrij Muratow und der wichtigsten und prominenten Protagonisten der die Redaktion der Nowaja Gaseta ermitteln und Opposition. Anlässlich der Großdemonstration am veröffentlichen allen beruflichen und persönli- 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz chen Rückschlägen und Hindernissen zum Trotz rief er zur Gewaltlosigkeit auf. auch weiterhin. Für ihren unbeirrbaren und un- Friedrich Schorlemmer ist Mitglied der Deutschen Friedrich Schorlemmer erschrockenen Journalismus wurde die Redaktion UNESCO-Kommission und des PEN-Zentrums der der Nowaja Gaseta mit zahlreichen russischen Bundesrepublik Deutschland. Er wurde mit zahlrei- und auch internationalen Auszeichnungen geehrt, chen Preisen und Auszeichnungen geehrt, u.a. unter anderem dem Henri-Nannen-Preis. 1993 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buch- handels und 2009 mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland.

| 5 Die Mitglieder der Jury

Aus den 16 stiftenden Lutherstädten: Persönliche Mitglieder der Jury und Gäste: Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl – Augsburg Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm Oberbürgermeister Norbert Kastner – Coburg Oberkirchenrat Dr. Klaus Bümlein Oberbürgermeister Matthias Doht – Eisenach Staatsminister a.D. Florian Gerster Bürgermeisterin Jutta Fischer – Eisleben Altbischof Roland Hoffmann Oberbürgermeister Andreas Bausewein – Erfurt Dr. Stefan Rhein Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados – Halle (Saale) Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner – Heidelberg Oberbürgermeister Dr. Lutz Trümper – Magdeburg Oberbürgermeister Egon Vaupel – Marburg Oberbürgermeisterin Barbara Rinke – Nordhausen Bürgermeister Thomas Kaminski – Schmalkalden Oberbürgermeister Werner Schineller (2010) – Speyer Oberbürgermeister Hansjörg Eger (2011) – Speyer Oberbürgermeisterin Andrea Staude – Torgau Oberbürgermeister Eckhard Naumann – Wittenberg Die »Nowaja Gaseta« finden Sie im Internet unter: Oberbürgermeister Michael Kissel – Worms www.novayagazeta.ru Oberbürgermeister Dr. Volkmar Kunze – Zeitz

6 | Die bisherigen Preisträger 1996 – 2009

2009 in Zeitz rufsverbots, das ihm in der damaligen DDR 1999 in Eisenach Andrea Röpke wurde als Journalistin und wegen seiner kritischen Texte erteilt wurde, Prof. Dr. Hans Küng ist katholischer Politologin für ihre fundierte Recherche auftrat und damit zu einer der bedeutend- Theologe und stammt aus der Schweiz. über rechtsextreme Gruppierungen und das sten Personen der Opposition wurde. Er wurde als Erneuerer im Dienste der Anmahnen einer konsequenten Bekämp- Einheit der Kirche ausgezeichnet. Er war fung rechtsextremer Gewalt ausgezeichnet. 2003 in Magdeburg bis zu seiner Emeritierung Professor für Mag. theol. Gertraud Knoll war als Pasto- Ökumenische Theologie an der Universität 2007 in Speyer rin und Politikerin in Österreich u.a. Abge- Tübingen, obwohl ihm 1979 wegen seiner Emel Abidin-Algan (seit 2008 Emel ordnete zum österreichischen Nationalrat, kritischen Veröffentlichungen die kirchliche Zeynelabidin) wurde für ihre Entscheidung Mitglied des österreichischen Bundesrats Lehrbefugnis entzogen wurde. ausgezeichnet, als Muslimin trotz Wider- sowie des Deutschen Evangelischen Kirchen- ständen kein Kopftuch mehr zu tragen, da tags und wurde für ihr Engagement gegen 1996 in Worms für sie der Glaube keiner demonstrativen Rassismus ausgezeichnet. Prof. Dr. Richard Schröder ist Philosoph Äußerlichkeiten bedarf. Sie bezeichnet das und evangelischer Theologe in Berlin. Er hierarchische Gottesbild als zweckdienliche 2001 in Erfurt war Abgeordneter und Fraktionsvorsitzen- Erfindung, um patriarchale Vorstellungen Uta Leichsenring wurde als Polizeipräsi- der in der Volkskammer der DDR sowie durchzusetzen. 2006 übergab sie ihre Kopf- dentin von Eberswalde für ihr couragiertes Abgeordneter im Deutschen Bundestag tücher an das Haus der Geschichte in Bonn. Vorgehen und Engagement gegen rechts- nach der Wiedervereinigung und wurde extreme und ausländerfeindliche Übergriffe für seine standhafte Haltung in der DDR 2005 in Halle ausgezeichnet. ausgezeichnet. ist Sänger und Autor und wurde ausgezeichnet, weil er trotz Be-

| 7 Luther in den Lutherstädten Kurzporträts der Stifterstädte des Preises »Das unerschrockene Wort«

Augsburg Augsburgs Bedeutung wuchs mit dem staatlicher Feiertag und wird heute in öku- Fortschreiten der Reformation: 1530 wurde menischer Gemeinschaft gefeiert. Augsburg ist eine der ältesten Städte hier das Augsburger Bekenntnis (»Confes- Informationen: www.augsburg.de Deutschlands und neben München und sio Augustana«) vor Kaiser und Reichsstän- Nürnberg die drittgrößte Stadt Bayerns. den öffentlich vorgetragen. Es ist bis heute Coburg Ihre Blüte erlebte die Stadt in der Refor- die Lehrgrundlage von 59 evangelisch- mations- und der Renaissancezeit. In lutherischen Kirchen in der ganzen Welt Am 15. April 1530 zog der Reisezug des Augsburg wurden Gedanken formuliert, mit ca. 70 Millionen Mitgliedern. Der Name sächsischen Kurfürsten Johann des Bestän- Dokumente vorgelegt und Reichstagsbe- Augsburgs ist über dieses Bekenntnis in der digen in Coburg ein. Der Kurfürst war auf schlüsse gefasst, die bis heute weit über weltweiten Christenheit sehr präsent. dem Weg nach Augsburg, wohin Kaiser den religiösen Rahmen hinaus kulturge- 1555 kommt es zum Augsburger Reli- Karl V. am 21. Januar von Bologna aus den schichtliche Bedeutung haben. gionsfrieden. Es ist der erste Versuch, Reichstag einberufen hatte. Auf ihn sollten Martin Luther war zweimal in Augsburg. das Verhältnis der beiden Konfessionen neben der drohenden Türkengefahr vor 1511 während seiner Rückkehr nach Witten- im Reichsgebiet so zu regeln, dass eine allem die durch die Reformation Martin berg von einer Pilgerreise nach Rom. Und – wenn auch eingeschränkte – Gleichbe- Luthers entstandenen Gegensätze im 1518, als er von Kardinal Cajetan wegen rechtigung gilt. Volle Parität wurde den Glauben und kirchlichem Leben verhandelt seiner neuartigen Glaubenslehre verhört beiden großen Konfessionen erst durch und überwunden werden. wurde. Luther blieb standhaft und forderte den Westfälischen Frieden 1648 zugestan- In der Begleitung des Kurfürsten be- zum ersten Mal eindeutig: Alle kirchliche den. An Beginn und Ende konfessioneller fanden sich neben anderen Fürsten und Autorität muss sich der Bibel unterordnen. Unterdrückung erinnert das »Augsburger seinen Räten auch die Theologen Philipp Nur das Wort Gottes ist die Quelle echter Hohe Friedensfest«, das jedes Jahr am Melanchthon, Justus Jonas, Georg Spalatin Wahrheit und Freiheit. 8. August begangen wird. Es ist seit 1950 und Johann Agricola. Diese reisten nach

8 | neun Tagen im Gefolge des Kurfürsten wei- Luthers zahlreiche Briefe an seine Freunde »Warnung an seine lieben Deutschen«, ter nach Augsburg. Nur Martin Luther, der in Augsburg zeigen, wie er sie mit seinem die allerdings erst 1531 gedruckt wurde. in diesen Tagen siebenmal in der St. Mo- Rat unterstützte. Sie sind vor allem ein Luther wird nicht müde, auf die Missstän- rizkirche gepredigt hatte, blieb in Coburg Zeugnis für den Glaubensmut des Reforma- de und Irrlehren der damaligen katho- zurück. Am frühen Morgen des 24. April tors, mit dem er besonders Melanchthon lischen Kirche hinzuweisen und seine im stieg er hinauf zur Veste, wo er mit Veit in seinen Ängsten und Befürchtungen stär- Evangelium gegründete Stellung darzu- Dietrich, seinem Schüler und Sekretär, und ken wollte. Diese Briefe sind kostbarstes legen. seinem Neffen Cyriakus Kaufmann bis zum Vermächtnis Luthers aus seiner Coburger Viel Zeit wendet Luther auch der Bibel 5. Oktober blieb. Luther konnte nicht mit Zeit. zu. Auf der Veste führt er sein Überset- nach Augsburg, weil er seit dem Reichstag Luther wurde in den Monaten auf der zungswerk weiter und verdeutscht den in Worms 1521 in der Reichsacht war und Veste oft von Krankheit geplagt. Am Propheten Jeremia, die Kleinen Propheten weder Nürnberg noch Augsburg ihm freies 5. Juni erreicht ihn die Nachricht vom Tode und den Propheten Hesekiel. Ausführliche Geleit zusichern konnten. Darüber schie- seines Vaters. Trotzdem liegt aus dieser Auslegungen verfasst er zu Psalm 117 und nen die sächsischen Diplomanten nicht Zeit eine Fülle von Schriften vor. Vor allem 118. Letztere erscheint unter dem Titel unglücklich zu sein. Sie sahen wohl in die Verhandlungen auf dem Reichstag »Das schöne Cobfi temini« und ist eine Luthers Temperament und Geradheit eine forderten ihn heraus. Zunächst beschäftigt der schönsten Schriften Luthers. In diesem Gefahr für erfolgreiche Verhandlungen. er sich in einer Auslegung zum »38. und Psalm findet sich auch der Vers, den er sich So blieb Luther in der Sicherheit der Veste 39. Kapitel Hesekiel vom Gog« mit der an die Wand seiner Stube auf der Veste zurück und in erreichbarer Nähe – ein Bote Türkengefahr. Dann greift er mit mehre- schrieb: »Ich werde nicht sterben sondern brauchte zwei bis vier Tage von Augsburg ren Streitschriften in die Reichtagsverhand- leben und des Herrn Werke verkündigen noch Coburg – und verfolgte von hier aus lungen ein. Höhepunkt und Abschluss (Non moriar sed vivam et narrabo opera die Verhandlungen auf dem Reichstag. dieser Reihe von Streitschriften ist die Domini)«.

| 9 Als Luther am 5. Oktober seinen Zufluchts- Automobilindustrie, darf sich mit Recht Schalbe, des Heranwachsenden an. Den ort in Coburg verlässt, endet ein Abschnitt auch »Lutherstadt« nennen, ist doch der Cottas gehörten seinerzeit mehrere Häuser seines Lebens, dessen Zeugnisse bis heute Name des großen Reformators untrennbar in der Stadt, u. a. das heutige Lutherhaus, in der evangelischen Christenheit weiter- mit ihr verbunden. ein eindrucksvoller Renaissance-Fachwerk- wirken. Erstmals im Jahr 1498 betrat der jun- bau, bis heute Haupterinnerungsstätte an Noch heute kann auf der Veste Coburg ge Martin Luther Eisenacher Boden. Ver- den großen Reformator in Eisenach. Auch die Lutherstube besichtigt werden. wandtschaftliche Beziehungen waren wenn es diese Funktion erst seit 1956 (»450 Jahre Luther auf der Veste Coburg«, die Grundlage dafür, dass sich Hans Lu- wahrnimmt, gehört das Lutherhaus zu Hrsg. Fremdenverkehrsamt Coburg, Text ther, Martins Vater, entschloss, den Sohn den wichtigsten Anziehungspunkten für Pfr. Klaus Zimmermann, 1980) zur weiteren Bildung an die Eisenacher Stadtbesucher aus nah und fern. Informationen: www.coburg.de Lateinschule zu schicken, die seinerzeit zur Im April 1501 schrieb sich der junge hiesigen Hauptkirche St. Georgen gehörte. Martin an der Universität Erfurt ein und Eisenach Während die Kirche heute noch steht, verließ damit Eisenach – doch nicht für im- wurde die Schule wohl um 1507 abge- mer. Noch einmal kehrte er hierher zurück: »Und in keiner Stadt bin ich so bekannt rissen. Im April 1521 passierte er die Stadt auf wie dort.« (Martin Luther an Georg Luthers Eisenacher Verwandtschaft, seiner Reise zum Reichstag nach Worms, Spalatin am 14. Januar 1520 über seine Margarete Hutter, eine Tante von Martins und als er von dort zurückkehrte, predigte Schulzeit in Eisenach) Mutter Margarete, geb. Lindemann, und er – trotz Verbotes – am 2. Mai 1521 in Das im 12. Jahrhundert entstandene, ihr Mann, vermochten den Jungen jedoch der überfüllten Kirche St. Georgen. Inko- 1189 erstmals urkundlich erwähnte Eisen- nicht zu beherbergen. Deshalb nahm gnito – nicht ganz freiwillig – kehrt er noch ach, nahezu zwei Jahrhunderte landgräf- sich der reiche Eisenacher Bürger Heinrich einmal zurück. In der Nacht zum 4. Mai liche Metropole, Stadt der Musik und der Schalbe und später Ursula Cotta, geb. 1521 war der ungestüme Reformator zu

10 | seinem eigenen Schutz im Auftrag des auf dem Karlsplatz, die ein Jahr später Am 10. November 1483 gebar Margaretha hiesigen Landesvaters, Friedrichs des Wei- benannte Lutherstraße oder das nach dem Luder einen Sohn, und am Tag darauf wur- sen, »scheinverhaftet« und auf die Wart- Reformator benannte hiesige Gymnasium de er in der wenige Schritte vom Geburts- burg gebracht worden, wo er sich zur Tar- diese bedeutende Eisenacher Tradition. haus entfernten St. Petri- und Pauli-Kirche nung »Junker Jörg«, nach dem Eisenacher Informationen: www.eisenach.de auf den Namen des Tagesheiligen Martin Schutzpatron »St. Georg«, nannte. Hier von Tours getauft. übersetzte er in nur wenigen Wochen das Lutherstadt Eisleben Am 18. Februar 1546 sollte sich Luthers Neue Testament ins Deutsche. Am 1. März Lebenskreis durch eine seltsame Fügung 1522 schließlich verließ er die Wartburg Von daher bin ich… Martin Luther und Gottes wieder in der Stadt schließen, in und kehrte bis zu seinem Tod nicht mehr seine Heimatstadt Eisleben der er auch geboren wurde. Weit spannte in »seine liebe Stadt«, wie er Eisenach einst sich dieser Kreis: Die Vorfahren waren genannt hatte, zurück. Die wirtschaftliche Situation Eislebens Bauern im Thüringischen, der Vater Hüt- Das Luthersche und damit das reforma- wird im 15. Jahrhundert entscheidend tenmeister und Bergbauunternehmer in torische Erbe spielt bis heute eine wichtige durch den Kupferschieferbergbau ge- geachteter Stellung im Mansfeldischen, Rolle in der Stadt. Schon im 18. Jahr- prägt und vom »Berggeschrei« angelockt Schule, Universität, Kloster, Professur, hundert gab es, durch die Landesfürsten wurden auch Hans und Margaretha Luder Worms, Coburg und immer wieder Wit- initiiert, Lutherfeiern in Eisenach, und die aus dem Thüringischen Möhra. Die Eltern tenberg wurden Stationen eines Lebens, Deutschen Burschenschaften kamen nicht Luthers siedelten im Petri-Viertel »trans welches wie kaum ein anderes dieser zufällig im Oktober 1817, drei Jahrhun- aquam« – also jenseits des Flüsschens, Zeit europäische Dimensionen besitzt. derte nach Luthers Thesenanschlag, in damals Wilder Bach genannt – , dessen Geprägt wurde dieses Leben besonders die Wartburgstadt. Bis in die Gegenwart Wasserkraft von den Hütten um Eisleben durch die Einflüsse aus dem Mansfelder tragen das 1895 enthüllte Lutherdenkmal genutzt wurden. Land.

| 11 Den sozialen Hintergrund des großen in den gräflichen Angelegenheiten, die Geheiß des sächsischen Kurfürsten aus Refomators bildete in seiner Mansfelder er zusammen mit Justus Jonas zu einem der Stadt gebracht. Heimat die Beamtenschaft und das Berg- guten Abschluss führen konnte, in der An- So wird ein Gang durch die Stadt, die unternehmertum. dreaskirche noch gepredigt, zwei Prediger wie Wittenberg den Namen Lutherstadt In einem Brief an einen Mansfelder Rat ordiniert und in seinem letzten Brief an trägt, auch in unseren Tagen eine Begeg- nennt Luther zum ersten Mal den Namen seine Frau Katharina von Bora schreibt er: nung mit dem Reformator und seinem seiner zukünftigen Frau: Katharina von »Ich schicke Dir Forellen, so mir die Gräfin Wirken. Seit wenigen Monaten noch un- Bora und Mansfelder Räte begleiten Mar- Albrichts geschenkt hat; die ist von Herzen terstrichen durch den innerstädtischen tin Luther zur Hochzeit. froh der Einigkeit. Deine Sohnichen sind »Lutherweg«, der die Internationale Bau- Auch Luthers Sprachschaffen ist maß- noch zu Mansfeld. Jacob Luther will sie ausstellung 2010 begleitete und die geblich von seiner Bindung zur ostmittel- wohl versorgen. Wir haben hie zu essen authentischen Lutherorte mit künstlerisch deutschen Literatursprache geprägt, die und zu trinken als die Herrn, und man inszenierten Plätzen verbindet. ihre entscheidenden Impulse aus den Wer- wartet unser gar schön, und allzu schön, Informationen: www.eisleben.eu ken der Frauenmystikerinnen des Klosters daß man euer wohl vergessen möchten zu Helfta/Eisleben empfangen hat. Wittenberg.« Erfurt Luthers letztes Werk sollte in seiner Der Kreis von Luthers Leben schloss Heimat ein Versöhnungswerk werden. sich am 18. Februar 1546 in der Stadt, in Wie in vielen deutschen Städten besteht Die Mansfelder Grafen hatten ihn zur der er auch geboren wurde. Am 19. Fe- auch in Erfurt eine ausgeprägte Tradition Schlichtung ihrer Streitigkeiten nach Eis- bruar wurde der Leichnam Martin Luthers der Lutherehrung. Zu dieser Ehrung ge- leben gerufen. in der Andreaskirche aufgebahrt und nach hört – neben der Pflege der authentischen In seiner Geburtsstadt hat Martin Luther dem Trauergottesdienst unter dem Geleit Lutherstätten und dem ebenfalls vielerorts neben den misslichen Verhandlungen der Hohen Herren und des Volkes auf üblichen Brauch eines Laternenumzuges –

12 | auch das fast schon obligatorische Luther- sensentscheidungen so folgenschwere schwierige Frage zu klären hatte, »ob der Denkmal. Der dort dargestellte, kämpfe- Gewitter; hier wurde er Bettelmönch Konvent mehr ein Kloster als ein Wirtshaus rische und siegreiche Luther – tapfer, mit und auch Priester. In Erfurt entwickelte sei«. Große, von den Bürgern der Stadt der Bibel in der Hand – hat sich uns tief sich die Ausgangssituation, aus der, den beachtete und gefeierte Besuche aber eingeprägt. Dieses Lutherbild haftet so Strömungen der Zeit und den aus ihnen gab es erst mit der Reformation. Auf dem fest, dass man sich kaum vorstellen kann, gewonnenen Erkenntnissen Rechnung Weg zum Wormser Reichstag geriet seine dass auch diese schon zu Lebzeiten zur tragend, der spätere Luther agierte. Die Erfurter Station vom 6. zum 7. April 1521 Legende gewordene Persönlichkeit einmal Grundlagen seiner akademischen Bildung, zu einem regelrechten Triumphzug; ebenso als junger, bescheidener Schüler in die die Bindung an den Orden der Augustiner- seine Predigt in der Augustinerkirche. Auf damals schon beängstigend berühmte Eremiten, seine Bedeutung als Prediger – Einladung von Ältesten – nicht des noch Universitätsstadt zog, um hier zunächst die all das hat seinen Ursprung in Erfurt. Im von Acht und Bann verschreckten Rates – Sieben Freien Künste zu studieren. Wenn Jahr 1509 hielt er seine Antrittsvorlesung predigte er am 21. Oktober 1522 in der wir die ruhmreichen Tischreden des groß- im auditorium coelicum am Dom und Michaeliskirche und am folgenden Tage en Reformators bewundern, sollten wir brach dann im Spätherbst 1510 nach Rom zweimal in der Kaufmannskirche. 1529, auf nicht vergessen, dass er selbst, hier in einer auf, um unüberwindliche, innere Probleme der Rückreise vom Marburger Religions- Erfurter Burse, wohl zum ersten Mal am des Ordens vor den Papst zu bringen. gespräch predigte er in der Barfüßerkirche, Tisch eines Gelehrten saß und, sicherlich Dann ging er, kurz nach seiner Rückkehr, dann folgten noch zwei letzte Besuche noch mühsam, dem Gedankenflug eines für immer nach Wittenberg. Aber seine 1537 und 1540. Universitätsprofessors zu folgen versuchte. Kontakte nach Erfurt rissen auch später Die Stadt hat ihre Lutherstätten als Hier, auf dem öden Lande zwischen den nie ab. Als zuständigem Distriktvikar oblag einen kostbaren Schatz stets liebevoll Flecken Schwerborn und Stotternheim ihm die Visitation des Augustinerklo- gepflegt. Dabei steht das Augustinerklo- geriet er in das für seine späteren Gewis- sters, wobei er unter anderem auch die ster als authentische Lutherstätte und

| 13 2004 verliehenem Status eines »nationa- kennzeichnet hingegen seit Beginn des tigt neben den eines Vornehmen stellte. len Kulturdenkmales von besonderer vergangenen Jahrhunderts ein roher Geblieben ist eine starke evangelische kultureller Bedeutung« im Mittelpunkt. Granitstein, zwischenzeitlich landschafts- Tradition, die langsam, aber stetig, in einen Die im 2. Weltkrieg zerstörte Bibliothek gärtnerisch aufgewertet, den künftig der fruchtbringenden Dialog der großen Kon- des Klosters wurde als modernes Bibli- Lutherweg in Thüringen streifen wird. fessionen mündet. otheksgebäude im Jahre 2010 seiner Seine Zelle im Kloster, die Engelsburg als Informationen: www.erfurt.de Bestimmung übergeben. Ebenfalls 2010 Zentrum des Humanismus, das Gasthaus konnte die Georgenburse, die Luther mit »Hohe Lilie«, wo er inkognito disputierte, Halle (Saale) großer Wahrscheinlichkeit als Student die Michaeliskirche und die Kaufmän- bezog, dauerhaft als kleines Museum und nerkirche als Predigtkirchen – sie sind als Obwohl in Halle erst 1541, zu einem für künftige Pilgerstätte der Öffentlichkeit stumme Zeitzeugen geblieben. Geblieben den mitteldeutschen Raum späten Zeit- übergeben werden. Das Collegium maius ist aber vor allem das Vermächtnis Luthers, punkt die Reformation eingeführt wurde, der Artistenfakultät, erst nach Luthers als eines starken, geistreichen, werbenden bildete die Stadt doch über Jahrzehnte Fortgang als repräsentativer Renaissan- Predigers und Mahners, der auch hier in einen Brennpunkt der konfessionellen Aus- cebau fertig gestellt, wird derzeit saniert Erfurt die Lehre von der Gnade Gottes, die einandersetzung im 16. Jahrhundert. und dient künftig der Evangelischen Kirche allein den Menschen rechtfertigt, predigte, Dies wird schon insbesondere in der Mitteldeutschlands als Verwaltungssitz. auch wenn es ihn – wie er hier sagte – Kritik Luthers am Ablasshandel der katho- Auch die durch Bomben in weiten Teilen »20 Hälse kosten sollte«, der Christus nicht lischen Kirche deutlich. Der hierbei beson- zerstörte Barfüßerkirche wird mit Mitteln als Richter, sondern als Vermittler zwischen ders aktive Dominikanermönch Johannes des Bundes saniert und in ihrem Zustand Gott und den Menschen predigte und der Tetzel wurde auf der hallischen Moritzburg gesichert. Den Ort, an dem das berühmte den Glauben der Magd eines Müllers oder am 22. Januar 1517 auf sein Predigeramt Gewitter den Heimkehrenden überraschte, eines neunjährigen Kindes gleichberech- vereidigt. Er trat neben anderen Orten im

14 | Erzstift Magdeburg auch an der hallischen seine Residenz zu einer Trutzburg gegen die Christen zu Halle über Herrn Georgen Martinskapelle auf, wobei er großen die Reformation auszubauen. Hierzu ihres Predigers Tod« an die evangelischen Zulauf wegen seines marktschreierischen gehörte die Umwälzung des kirchlichen Gläubigen in der Saalestadt. Auftretens fand. Lebens der Stadt. Als sichtbarstes Zei- Die Erfolge des evangelischen Bekennt- Als Martin Luther mit seinen 95 The- chen ist die Zusammenlegung der Marien- nisses sowie die zunehmende finanzielle sen am 31. Oktober 1517 den Anstoß zur und Gertraudenparochie zur neuen Ma- Notlage Albrechts erzwangen 1541 in ei- reformatorischen Bewegung gab, geriet rien- bzw. Marktkirchengemeinde und die nem Vergleich mit den Ständen des Erz- Halle als Residenz von Kardinal Albrecht, 1520 erfolgte Gründung des Neuen Stifts bistums den Abzug des Kardinals aus Halle welcher als Erzbischof von Mainz und in der Dominikanerkirche, welche von nun und die Einführung der Reformation. Magdeburg Primas von Deutschland, also an den Rang eines Doms führte. Dieses Zum Prediger an der Marienkirche wur- erster Kirchenfürst des Reiches – und einer Stift diente als Kristallisationspunkt für die de Justus Jonas (1493 – 1555), seit 1521 der Hauptnutznießer des Ablasshandels von Kardinal Albrecht initiierte katholi- Mitstreiter Luthers und zuletzt Dekan der – war, rasch ins Zentrum des Konflikts. sche Universität in Halle als Gegenpol zu theologischen Fakultät der Universität Der Streit wurde von Luther gegen den Wittenberg. Das Eindringen lutherischen Wittenberg berufen. Er hielt am Karfrei- Ablasshandel wie auch gegen die Reliqui- Gedankenguts wurde etwas verlangsamt, tag, dem 15. April 1541, die erste evange- engläubigkeit des Kardinals geführt. Die- war aber nicht zu verhindern. lische Predigt in der Marktkirche. Mit einer ser hatte mit dem Hallischen Heiltum die Prägend für diese Frühphase der halli- Unterbrechung 1547/48 wirkte Jonas bis größte Sammlung solcher als Heil bringend schen Reformation war Georg Winkler, 1551 in Halle als Reformator der Saalestadt. geltenden Relikte zusammengetragen. der am Neuen Stift ab 1523 »lutherisch« Martin Luther selbst predigte am 5. Au- Während Luther mit der Feder gegen predigte. Als er 1527 auf einer Reise bei gust 1545 zum ersten Male in der noch den als »Abgott von Halle« bezeichneten Aschaffenburg ermordet wurde, wandte im Bau befindlichen Marienkirche. Danach Kardinal zu Felde zog, versuchte Albrecht sich Luther mit der Schrift »Trostunge an wurde er vom städtischen Rat gastlich

| 15 empfangen und mit einer Ehrengabe von gelangte. Die Maske sowie Abdrücke der rischer Theologie calvinistischer Prägung. 60 Talern ausgezeichnet, welche Luther Hände Luthers wurden 1663 durch den Der Auftakt zur pfälzischen Reformation für den Bau der Marienkirche stiftete. Sein hallischen Künstler Lucas Schöne für eine war aber 1518 eine Disputation Martin Quartier nahm er im Haus »Zum golde- lebensgroße Lutherfigur zusammengefügt. Luthers. nen Schlösschen« in der Schmeerstraße 2, Der Anthropologe Hans Hahne, Direktor Im April 1518 tagte in Heidelberg das in dem auch Jonas wohnte. Im Januar des Provinzialmuseums für Vorgeschichte Generalkapitel des deutschen Augustiner- 1546 besuchte Martin Luther erneut Halle Halle, stellte 1926 eine Rekonstruktion der eremitenordens. Dessen Generalvikar war und predigte am 25. Januar in der Marien- ursprünglichen Totenmaske her. seit 1503 Johann von Staupitz, einer der kirche. Auf Anregung des Direktors der medi- Mentoren des Augustinermönchs Luther. Nach seinem Tod am 18. Februar 1546 zinischen Universitätsklinik Prof. Theodor Das Generalkapitel, alle drei Jahre einberu- in Eisleben wurde der Trauerzug mit Lu- Brugsch (1878 – 1963) wurde zum 450. fen, stand 1518 im Spannungsfeld von Aus- thers Leichnam auf der Überführung nach Geburtstag Martin Luthers 1933 die dama- einandersetzungen innerhalb des Ordens. Wittenberg am Folgetag in Halle eingeholt lige Vereinigte Friedrichs-Universität Halle- Die im Begleitprogramm vorgesehene Dis- und unter reger Anteilnahme der Bevöl- Wittenberg in Martin-Luther-Universität putation unter Leitung des Wittenberger kerung zur Marienkirche geleitet. Luther umbenannt. Professors sollte einen besonderen Akzent wurde dort über Nacht in der Sakristei Informationen: www.halle.de zugunsten der Reformrichtung setzen. aufgebahrt. Die Theologen- und die Artistenfakultät Der im Dienste des hallischen Rates Heidelberg der Universität unterstützte die Zusam- stehende Maler Lukas Furttenagel hatte menkunft mit vier Gulden. Das Generalka- noch in Eisleben eine Totenmaske des Mit dem Heidelberger Katechismus wurde pitel fand nicht im Kloster selbst, sondern Verstorbenen abgenommen, welche durch die kurpfälzische Hauptstadt 1563 zum im Hörsaal der Artisten auf der Ostseite Justus Jonas in den Besitz der Marienkirche deutschen Genf, zum Vorort reformato- der Augustinergasse statt. Der Pedell war

16 | anwesend und trug das Universitätszepter. Der eigentliche Generalkonvent fand waren viele angehende Theologen, die Dieses offizielle Umfeld unterstrich die höchstwahrscheinlich am 25. April 1518 später zu Reformatoren südwestdeutscher Bedeutung der Disputation, an der viele statt. Staupitz wurde als Generalvikar Städte wurden: Theobald Billican (Nörd- Gelehrte und Studenten teilnahmen. Eine wiedergewählt. Am folgenden Tag, also lingen), Johannes Brenz (Schwäbisch Hall Steinplatte im Pflaster des Universitäts- am 26. April 1518, leitete Luther die Dispu- und Stuttgart), Martin Bucer (Straßburg), platzes markiert seit dem Lutherjahr 1983 tation, zu der er 28 theologische und 12 Martin Frecht (Ulm) und Wenzel Strauß die Örtlichkeit. philosophische Thesen vortrug. Soweit (Heidelberg, später Urach). Für Luther bedeutete die Fahrt nach Hei- durch Mitschriften belegt, fokussierte die Vier Jahrzehnte lang blieb die Kurpfalz delberg den ersten theologischen Auftritt Diskussion auf der lutherischen Rechtfer- reformatorisch unentschieden. Ludwig V., außerhalb Wittenbergs nach seinen The- tigungslehre, während für die Angriffe auf Kurfürst 1508 –1544, war konfessionell in- sen von 1517. Versehen mit Empfehlungs- die Vorherrschaft der aristotelischen Philo- different, sein Bruder und Nachfolger Fried- schreiben Kurfürst Friedrichs des Weisen sophie keine Zeit blieb. Ein Teil der Thesen rich II., Kurfürst 1544 –1556, neigte zur – die Reise war nicht ungefährlich – kam erschien bereits 1520 – unautorisiert – im lutherischen Konfession; beide duldeten er über Würzburg nach Heidelberg und Druck; vollständig wurden sie 1530 von halbherzig reformatorische Gottesdienste wohnte im Augustinerkloster. Da Pfalzgraf Luther selbst ediert. und Predigten. Erst Kurfürst Ottheinrich Wolfgang, ein jüngerer Bruder Kurfürst Die Disputation löste keinen Skandal (1556 – 1559) brach mit der Treue zu den Ludwigs V., 1515 in Wittenberg studiert aus. Zwar erhielt die Universität vom Hof kaiserlichen Habsburgern und erließ 1556 hatte, wurde Luther sehr freundschaftlich einen Tadel wegen der Unterstützung eine neue Kirchenordnung. Als Gutach- aufs Schloss zur Tafel geladen. Die Über- fremder Disputationen, ansonsten aber ter für die Reform der Universität wurde nachtung im Neuenheimer Mönchshof des blieb es ruhig. Die Bedeutung des Auf- Philipp Melanchthon herangezogen, der Klosters Schönau an der heutigen Luther- tritts Martin Luthers in Heidelberg liegt aus dem pfälzischen Bretten stammte und straße ist nur eine Legende. in der Initialwirkung: Unter den Zuhörern 1509 – 1512 in Heidelberg studiert hatte.

| 17 1559 –1576 regierte Kurfürst Friedrich III. Landeshauptstadt Magdeburg Im Frühjahr 1516 besuchte Martin Luther der Fromme, der die Pfalz zum Calvinis- erneut Magdeburg. Anlass war seine In- mus führte. Sein Sohn Ludwig VI, Kur- Die Ottostadt Magdeburg gehört nicht zu spektionsreise zu den unter seiner Aufsicht fürst 1576 –1583, war wieder lutherisch den Städten, die Luther im Namen tragen. stehenden Augustinerklöstern in Sachsen eingestellt. Danach blieb das Herrscher- Und doch ist die Landeshauptstadt Sach- und Thüringen. Auch im Magdeburger haus – unterbrochen durch die Wechsel im sen-Anhalts eine Stadt der Reformation, Augustinerkloster überprüfte er die Einhal- 30-jährigen Krieg – ein weiteres Jahrhun- denn nirgendwo fand die Lehre Luthers so tung der Ordensregeln. dert lang reformiert. 1659 – 1661 durften glühende und zahlreiche Verfechter wie in »Mittlerweile schrieb man das Jahr 1524 die Lutheraner in der Vorstadt auf eigene der Elbestadt. Martin Luther weilte nach- und Martin Luther kam zum dritten Mal Kosten die Providenzkirche bauen. 1685 weislich dreimal in Magdeburg. in die Elbestadt. Als das Fuhrwerk über die wurden die katholischen Pfalz-Neuburger Erstmals war der Reformator 1497 in gewaltige Brücke holperte, war er aufs aus Düsseldorf Kurfürsten der Pfalz. der Elbestadt. Auf Wunsch seines Vaters Neue fasziniert von der Silhouette Magde- 1802/03 kam Heidelberg an die lutherisch besuchte er für ein Jahr die »berühmte burgs. Über dreißig Türme ragten auf...« regierte Markgrafschaft Baden. Die Kir- Schule«. Der junge Lateinschüler wohnte So steht es in den Büchern zur Geschichte chenunionen von 1818 in der bayerischen zu dieser Zeit beim Vorsitzenden des Magdeburgs. So oder ähnlich war das Sze- Pfalz und von 1821 in Baden beendeten Kirchengerichts, Paul Moßhauer. Mehr als nario. Sein erneuter Besuch Magdeburgs die Differenzen zwischen den reformato- 30 Jahre später sagte Martin Luther über hatte einen guten Grund: Am 26. Juni rischen Richtungen. die Magdeburger Bildungsstätten: »Sie 1524 stieg Martin Luther auf Bitten der Informationen: www.heidelberg.de waren die Blüte und Krone aller Schulen, Stadtväter die Stufen zur Kanzel der Rats- in welchen 600 Schüler aufs allerbeste kirche Sankt Johannis empor, um vor einer unterrichtet wurden.« dicht gedrängten Christengemeinde über die »wahre und falsche Gerechtigkeit«

18 | zu predigen. Tausende Magdeburger mussten die Menschen der Elbestadt teuer Marburg drängten sich Kopf an Kopf, um Luthers bezahlen: Magdeburg wurde 1631 von Til- Worte zu hören. Die Türen und Fenster lys Truppen eingenommen und durch den Landgraf Philipp von Hessen lud 1529 der Kirche mussten weit geöffnet werden, dabei entstehenden Brand fast vollständig zum Marburger Religionsgespräch, da auf weil nicht alle Gläubigen Einlass bekamen. zerstört. dem Reichstag zu Speyer 1529 erneut das Hunderte Magdeburger standen vor dem Seit 1886 erinnert ein Denkmal vor der Wormser Edikt bestätigt worden war. Es Gebäude, um Luthers Predigt zu hören. Johanniskirche an Martin Luther und seine war nun nötig, ein Verständnis über die Magdeburg war die erste Stadt, die da- Predigt in dem Gotteshaus. Diese Kirche ist Gemeinsamkeiten und Unterschiede der raufhin offiziell zur Reformation übertrat. für Magdeburg ein bedeutendes Sym- Reformatoren zu diskutieren und auf eine Die Buchdrucker Magdeburgs verbreiteten bol, weil sie gleichzeitig zu den ältesten mögliche Verständigung hinzuarbeiten. die Luther-Schriften in bis dahin unge- deutschen Kaufmanns- und Bürgerkirchen Teilnehmer an den Gesprächen waren kanntem Ausmaß, alle Altstadtgemeinden gehört. Mehrfach wurde die heute säkula- unter anderem neben Martin Luther traten der Reformation bei. »Eine feste risierte Johanniskirche zerstört, aber immer und Philipp Melanchthon Huldrych Zwingli Burg ist unser Gott«, sangen die Gemein- wieder mit der Kraft der Magdeburger und Martin Bucer. Es war dies das einzi- demitglieder das Lied der Reformation. aufgebaut. Heute ist sie ein Schmuckstück, ge Mal, dass die führenden Reformatoren Und die neue reformatorische Magdebur- das gemeinsam mit dem Denkmal von aus Sachsen, Oberdeutschland und der ger Stadtschule nannte Luther »Unseres Martin Luther Stadtgeschichte atmet und Schweiz persönlich zusammentrafen. Herrgotts Jungbrunn«. Ihren lutherischen bei einem Besuch immer wieder bleibende Hauptstreitpunkt waren die unterschied- Glauben verteidigten die Magdeburger Eindrücke hinterlässt. lichen Auffassungen Luthers und Zwinglis gegen viele Widerstände – bis hin zur Informationen: www.magdeburg.de von der Rolle des Abendmahls. Für Zwingli Belagerung. Dieses Selbstbewusstsein und war das Abendmahl eine Bekenntnis- das standhafte Bekenntnis zur Reformation handlung der Gemeinde, für Luther war

| 19 Christus beim Abendmahl real gegen- nachträglich noch zu großer geschicht- ansonsten im Dissens auseinander und wärtig. licher Nachwirkung gelangen sollte. Die reisten überstürzt ab, da das Herannahen Engagiert, aber ohne Erfolg, disputierte Reformation Württembergs im Jahre einer Seuche gemeldet wurde. man im Schloss am 2. und 3. Oktober über 1534 und die Wittenberger Konkordie Es bleibt daher festzuhalten, dass die die Handhabung des Abendmahls. Die von 1536 erfolgten auf dieser Grundlage. vertane Möglichkeit im Rahmen des Mar- Schweizer Reformatoren legten zuerst eine Am 3. Oktober vereinigt der Land- burger Religionsgesprächs die Spaltung rein geistliche Deutung des Abendmahls graf alle Gesprächsteilnehmer zu einem der protestantischen Bewegung auf lange dar. Im Rahmen der erregten Diskussion Gastmahl im Schloss und am nächsten Zeit festschrieb. zog Luther die Samtdecke vom Tisch zu- Tag arbeitet Luther die mitgebrachten Informationen: www.marburg.de rück und schrieb mit Kreide die Worte (in »Schwabacher Artikel« unter Zurückstel- Latein) darauf: »Dies ist mein Leib!« lung des Abendmahls an den Schluss und Nordhausen Luther wies nur auf dieses eine Wort unter Abglättung aller Schärfen zu einer »ist« hin: »Wenn die anderen, wie sie Feststellung aller Punkte, in denen man Die über tausendjährige Geschichte der selbst sagten, es weder begreifen noch sich einigen musste. Die entstandenen 927 vom ersten deutschen König Heinrich I. glauben können, dass der Leib Christi da »14 Marburger Artikel« sind in die Haupt- gegründeten Stadt ist spannend und wäre im Abendmahl, so wollen wir auch teile der Augsburgischen Konfession kontrastreich. Über 600 Jahre war sie freie euch fahren lassen und dem Gerechten hinein gearbeitet worden. Reichstadt und bedeutende Impulse für Gericht Gottes befehlen, der wird’s wohl Es konnten beim Marburger Religions- die Reformation gingen von ihr aus. finden, wer recht hat.« gespräch nur die Gemeinsamkeiten gegen »Ich weiß keine Stadt am Harze oder Auf Veranlassung von Landgraf Philipp die altgläubige Kirche festgestellt und auf sonst, welche sich dem Evangelio so bald verstanden sich jedoch Luther und seine Wunsch des Landgrafen schriftlich festge- unterworfen als die Stadt Nordhausen, Begleiter zu einer Einigungsformel, die halten werden. Die Reformatoren gingen dass wird sie vor Gott und allen anderen

20 | in jenem Leben Ehre haben.«Mit diesen möglich, dass Martin Luther in diesem abseits. Luthers Groll gegen die Stadt und Worten äußert sich Martin Luther lobend Jahr eine erste Predigt in dieser Stadt ge- seinen Jugendfreund Michael Meyenburg über den frühen Beginn der Reformation halten hat. dürfte sich weiter verstärkt haben. in Nordhausen. In der zweiten Aprilhälfte 1525 unter- Luther bleibt aber auch in dieser Zeit mit Seine erste Berührung mit der Stadt hat nimmt Luther eine »Agitationsreise« durch Nordhausen verbunden. Das zeigen Briefe, er am 30. Mai 1516. Eine Visitationsreise das mansfeldische und thüringische Land. die er u.a. an den Stadthauptmann Johan führt ihn über Gotha und Langensalza Am 22. April erreicht er Nordhausen, kehrt von Stockhausen und seine Gattin sendet. hierher. Er schreibt von Langensalza aus: bei dem Oberstadtschreiber Michael Meyen- Als Martin Luther am 18. Februar 1546 »Und morgen werden wir mit Gottes Gna- burg ein und predigt in einer der Kirchen in Eisleben stirbt, hat sich die Reformation de nach Nordhausen gehen.« der Stadt. Gewisse Leute aber verhöhnen in Nordhausen vollends durchgesetzt. Ein zweiter Berührungspunkt ergibt sich ihn, indem sie, wie es heißt, mit Schellen Informationen: www.nordhausen.de ein Jahr später. Der Nordhäuser Theologe rasselten. Franz Günther verteidigt die 95 Thesen In seinen »Tischreden« nennt Luther Schmalkalden Luthers gegen die scholastische Theologie. später Nordhausen und einige andere Damit steht ein Nordhäuser Bürger bereits Reichsstädte als im Begriff stehend, den Martin Luther und der Schmalkaldische in der Frühzeit der Reformation Luther zur Papst zu behandeln wie früher Gott, Bund. »VDMIE Verbum Domini manet in Seite. Das Jahr 1522 bildet durch die re- »auch wenn einige von ihnen« – das mag eternum – Gottes Wort währt in Ewigkeit« formatorischen Predigten des Nordhäuser sich auf Nordhausen beziehen – »den (Wahlspruch Landgraf Philipp v. Hessen Pfarrers Lorenz Süße und Thomas Münt- Lauf des Evangeliums nicht behindern«. und Losung des Schmalkaldischen Bundes) zers, durch Unruhen und Tumulte einen Als 1530 der Schmalkaldische Bund, ein ersten Höhepunkt der reformatorischen Defensivbündnis der evangelischen Reichs- Die ehemals hessische Stadt Schmalkalden Bewegung in Nordhausen. Es ist auch städte, gegründet wird, bleibt Nordhausen war ein Brennpunkt in der deutschen und

| 21 europäischen Geschichte des 16. Jahrhun- Kaisers, des Papstes, des französischen Zu entdecken sind: romantische Winkel derts. Ihr Landesherr, Philipp von Hessen, und des dänischen Königs, Vertreter von und enge Gässchen, die sich zu kleinen war einer der ersten protestantischen 28 Reichs- und Hansestädten, sowie 42 Plätzen auftun, liebevoll restaurierte Fürsten und Widersacher Karls V., weil er evangelische Theologen, an deren Spitze Fachwerkbauten, Renaissance-Schloss die Reformation der Kirche und des Glau- Martin Luther und Philipp Melanchthon Wilhelmsburg und authentische Stätten bens durch Martin Luther nicht nur als waren anwesend. Gemäß dem Auftrag des aus der aufregenden Zeit der Reformation. Ereignis im Reich betrachtete, sondern die Kurfürsten von Sachsen, Johann Friedrich, (Höhepunkte: 2011 Eröffnung der Viba- Wirksamkeit dieser Veränderungen für legte Martin Luther Glaubenssätze vor, die Nougat-Welt, 2012 Jubiläum 475 Jahre ganz Europa sah. als Schmalkaldische Artikel Eingang in das Schmalkaldische Artikel, 2015 Thüringer Nach dem Augsburger Reichstag von Konkordienbuch der evangelischen Kirche Landesgartenschau) 1530 und der Erneuerung des Wormser fanden. Thesenhaft angelegt, mit seinem Informationen: www.schmalkalden.de Edikts gehörte Philipp zu den Fürsten, die Herzblut geschrieben, werden sie oft als vor Augen hatten, dass nur ein gemein- Luthers »Privatbekenntnis« bezeichnet. Speyer sames Bündnis aller Protestanten Schutz »… wir sind durch Gottes Gnaden wohl gegen den Kaiser bieten kann. auf und zechen auf dieser Tagung in Da die Durchführung des Wormser Reichs- In der letzten Dezemberwoche des Jah- Schmalkalden wacker und sind weise…« tagsbeschlusses von 1521, die zuneh- res 1530 kam es zur Gründung des Schmal- (Eobanus Hessus, Humanist und Dichter, mende Verbreitung des neuen Glaubens kaldischen Bundes. Sieben Bundestagun- Brief von der Bundestagung 1537) zu bremsen, an den evangelisch geson- gen wurden in der Stadt abgehalten. Schmalkalden, auf der Südseite des Thü- nenen Landesfürsten scheiterte, die in 1537 ist in die Geschichte als der »glanz- ringer Waldes gelegen, besitzt heute eine ihren Ländern die Reformation weiterfüh- vollste Fürstentag« eingegangen. Sech- Altstadt, die zu den wertvollsten Zeugnis- ren wollten, wurde zum 1. Mai 1526 ein zehn Fürsten, sechs Grafen, Gesandte des sen mitteleuropäischen Städtebaus zählt. Reichstag zu Speyer zur Lösung der religi-

22 | ösen Frage ausgeschrieben. Der Reichs- geächteten Luther in die Stadt zu bringen. Doktor Johann Faber, der im Gefolge Kö- tagsabschied vom 27. August 1526 über- Und so muss an dieser Stelle mit Bedauern nig Ferdinands nach Speyer kam, Domherr ließ jedem Reichsstand, sich in Fragen des vermerkt werden, dass Martin Luther, der zu Konstanz und Basel war, predigte im Glaubens bis zu einem allgemeinen Konzil dieser Stadt so viel verdankt, nie in ihren Dom leidenschaftlich gegen Luther und nach eigener Verantwortung vor Gott und Mauern gewesen ist. den neuen Glauben und verkündete zum dem Kaiser zu richten. Dennoch war das Die zweite wichtige protestantische Ärger von Melanchthon, dass die Türken Umsichgreifen der Reformation nicht zu Persönlichkeit war Landgraf Philipp von besser als die Lutheraner seien. verhindern. Hessen. Insgesamt nahmen 29 Fürsten an Nach der Abstimmung am 12. April voll- 1529 sollte die nächste Reichsversamm- dem Speyerer Reichstag teil, 12 Herzöge zog sich die Scheidung der Reichsstände. lung folgen, die sich mit Glaubensfragen und Pfalzgrafen, dazu kamen noch viele Die Evangelischen erhoben, Fürsten und beschäftigte. Einberufen hatte den Zweiten Prälaten, Reichsgrafen, Freiherren und Städte getrennt, Einspruch. »Protestatio« Reichstag zu Speyer Kaiser Karl V., der selbst Botschafter verhinderter Fürsten. Fast alle nannte man ihn. Der König verlangte nicht teilnahm, sondern sich durch seinen Reichsstädte hatten Gesandte geschickt. Unterwerfung und Gehorsam, was Bruder König Ferdinand vertreten ließ. Der Es herrschte eine gespannte Atmosphä- allerdings die Standhaften nicht von ihrer Reichstag im Jahre 1529 sollte ein Ereignis re. Jakob Sturm, der Vertreter der Stadt Haltung abschreckte. Die Geburtsurkunde von Weltgeschichtlicher Bedeutung werden. Straßburg, schrieb an seine Stadt: »Wie der Protestation wurde am 25. April in Nach Speyer reisten auch die Fürsten, ich die Personen ansehe, wird nicht viel zu einer Appellation zusammengefasst, in deren offenes Einstehen für die Reforma- erlangen sein.« Melanchthon äußerte sich, der die Protestierenden den Kaiser und ein tion bekannt war. An ihrer Spitze stand »dass er noch auf keinem Reichstag so freies Konzil gegen den Reichstag anriefen. Kurfürst Johann von Sachsen, der als theo- viele Bischöfe und Prälaten gesehen habe. Sechs Fürsten und 14 Reichsstädte haben logischen Berater Philipp Melanchthon Aus deren Mienen spreche nichts Gutes für die Protestation unterstützt: Kurfürst mitgebracht hatte. Er wagte es nicht, den die Evangelischen«, meinte Melanchthon. Johann von Sachsen, Markgraf Georg von

| 23 Brandenburg-Anspach, die Herzöge Ernst nicht nur evangelisch predigten, sondern Torgau und Franz von Braunschweig-Lüneburg, auch vom Magistrat als Prediger anerkannt Landgraf Philipp von Hessen, Fürst Wolf- wurden. 1540 stellte der Rat Diller als der »Torgaus Bauten übertreffen an Schönheit gang von Anhalt und die Reichsstädte »Stadt speyerischen evangelischen Predi- alle aus der Antike. Selbst Salomo hat Straßburg, Nürnberg, Ulm, Konstanz, Lin- ger« an und gab ihm Eberhard als weiteren nirgends einen so schönen Tempel gebaut, dau, Memmingen, Kempten, Nördlingen, Prädikanten für die gleiche Aufgabe bei. als Torgau hat.« (Martin Luther) Heilbronn, Reutlingen, Isny, Sankt Gallen, Vor diesem Hintergrund wird das Jahr Im Jahre 973 wird Torgau erstmals urkund- Weißenburg in Bayern und Winzheim. Die 1540 als das Jahr der Einführung der Refor- lich erwähnt und entwickelt sich im 16. Stadt Speyer schloss sich den protestie- mation in Speyer bezeichnet, auch wenn Jahrhundert zur Hauptresidenz der säch- renden Ständen nicht an, ebenso wenig reformatorisches Gedankengut bereits sischen Kurfürsten des Hauses Wettin. unterzeichnete sie 1530 das Augsbur- zuvor verbreitet und wirksam war. Mit Friedrich dem Weisen, Johann dem gische Bekenntnis, noch trat sie 1531 dem Zur Erinnerung an die 1529 auf dem Beständigen und Johann Friedrich dem Schmalkaldischen Bund zur Verteidigung Reichstag zu Speyer vollzogene Protesta- Großmütigen wird Torgau zum politischen der evangelischen Sache bei. tion wurde zwischen 1893 und 1904 die Zentrum der deutschen Reformation und Dessen ungeachtet waren Luthers Heili- Gedächtniskirche im neugotischen Stil Wiege der evangelischen Kirchenmusik. gen- und Religionslehre bereits in den 20er errichtet. Johann Walter, der Urkantor, gründet Jahren des 16. Jahrhunderts auch in Speyer Informationen: www.speyer.de hier die erste Kantorei. Wittenberg »die von Kanzel und Katheder zu hören. Im Mutter« und Torgau »die Amme der Refor- Reichstagsjahr 1529 fand die Speyerer Bür- mation« – dieser Spruch beschreibt die gerschaft in dem Pfarrer von St. Ägidien, Bedeutung der beiden Schwesternstädte. Anton Eberhard, und im Augustinerprior Torgau ist die bedeutendste Lutherstätte in Michael Diller zwei Persönlichkeiten, die Sachsen.

24 | Über 50 Mal weilt Martin Luther dienst- auf der ganzen Welt gibt.« (Dedikations- Lutherstadt Wittenberg lich oder privat in Torgau. Zusammen mit tafel zur Einweihung der Schlosskirche. Philipp Melanchthon, Justus Jonas und Johann Stigelius (1515 – 1562) Professor »Wittenberg als Lutherstadt«, das ist der Johannes Bugenhagen erarbeitet er 1530 für lateinische Sprache in Wittenberg) Titel eines inhaltsreichen und umfänglichen in der ersten Superintendentur die »Tor- Katharina von Bora stirbt am 20. Dezem- Buches. In der Tat, mit einigem Recht kann gauer Artikel«, die Grundlage der Aug- ber 1552 in Torgau. Sie wird durch Be- man sagen, Wittenberg existiert als Luther- sburger Konfession. Mit dem Torgauer schluss des Rates der Stadt unter großer stadt oder gar nicht. Bund von 1526 konstituiert sich erstmals öffentlicher Anteilnahme in der Stadtkirche Klar, so ein Satz gilt cum grano salis. eine protestantische Vereinigung von St. Marien beigesetzt. Ihr Grabstein, der Die Stadt hat eine vielhundertjährige Ge- Fürsten, die sich gegenseitigen Beistand noch heute besichtigt werden kann, wird schichte vor Martin Luther. Sie war Resi- bei der Durchsetzung der neuen Lehre von ihren Kindern gestiftet. denzstadt. Gar eine solche, die seit der versprechen. Schloss Hartenfels – das Wahrzeichen Goldenen Bulle von 1356 demjenigen, der Am 5. Oktober 1544 weiht Martin Luther der Stadt – ist das bedeutendste Schloss sie besaß, die Würde eines Kurfürsten im die Torgauer Schlosskirche als ersten prote- der deutschen Frührenaissance. Lucas Heiligen Römischen Reich Deutscher Na- stantischen Kirchenbau ein. Das geistliche Cranach ist verantwortlich für die ge- tion verlieh. Viele dieser Kurfürsten liegen Programm der Reformation findet in der samte Farbgestaltung und Einrichtung in der Kirche des Schlosses begraben, Schlosskirche seine Form. Sie wird Vorbild des Schlosses. Der Große Wendelstein Kaiser waren zu Gast. für den protestantischen Kirchenbau. »Zu- ist ein Architekturdenkmal von Weltrang. Dennoch, wenn heute die UNESCO allererst für Gott ist dieser Bau aus reiner Informationen: www.torgau.eu Lutherstadt Wittenberg unter die Welter- Liebe hier errichtet worden, der alle Kir- bestätten zählt, dann nicht wegen dieser chen an Bedeutung zu übertreffen vermag, Vorgeschichte, auch nicht wegen der be- und in der Tat bis heute sogar alle, die es zaubernden Elbauen, nicht wegen Fläming

| 25 oder Biber und Storch, sondern einzig und auch als Seelsorger seiner Wittenberger stürmen wollten, sehr schnell durch die allein deshalb, weil von hier aus Martin Mitbürger verstanden hat. Die Abfassung Invokativ-Predigten des Zurückgekehrten Luther die Welt verändert hat. Er allein hat der 95 Thesen hatte wesentlich einen zur Ordnung rufen lassen. dieser seiner Stadt einen Platz auf allen seelsorgerlichen Grund: Luther fürchtete Von Kämpfen Luthers mit der Bürger- Landkarten gesichert. um das ewige Heil der ihm anvertrauten schaft, wie sie etwa Zwingli in Zürich oder Hier wurde er 1512 zum Doktor der Theo- Beichtkinder, falls die sich (wie ihm einige Calvin in Genf auszufechten hatten, kann logie promoviert, hier hatte er sein »Turm- im Beichtstuhl erzählten) auf die Verspre- in Wittenberg keine Rede sein. Die Stadt erlebnis«, das ihm »den Himmel öffnete«, chungen des Ablasspredigers Tetzel ver- war von allem Anfang an die seine: eben hier hat er 1517 seine 95 Thesen an die Tür lassen sollten, man könne für Geld die Lutherstadt kat`exochen. der Schlosskirche geschlagen, hier geheira- himmlische Seeligkeit erkaufen. Es ist daher nur konsequent, dass die tet und Kinder großgezogen, gepredigt, Dass dies nicht so sei, das haben ihm Kommune im ersten Drittel des 20. Jahr- gelehrt, geschrieben und hier hat er schließ- die Wittenberger geglaubt. Sie haben ihm hunderts den Namen »Lutherstadt Witten- lich auch seine letzte Ruhestätte gefunden auch geglaubt, dass allein die Gnade Got- berg« auch ganz offiziell angenommen in jener Kirche, deren Namen auf immer tes durch Jesus Christus sie retten könne hat und jeder Einwohner, gleichgültig ob mit dem seinigen verknüpft bleiben wird: und eine kirchliche Hierarchie für sie nicht Lutheraner, Katholik oder Atheist, sich da- der Schlosskirche zu Wittenberg. heilsnotwendig sei, vielmehr einem jeden mit identifiziert und stolz darauf ist. Selbst Martin Luther war ohne Zweifel die alles der direkte und unmittelbare Zugang zu zu DDR-Zeiten hatten Bestrebungen von überragende Persönlichkeit im Europa des seinem Gott und Erlöser offen stehe. »oben« die Bezeichnung »Chemiestadt 16. Jahrhunderts. Um ihn drehte sich letzt- Sie haben sich aber auch andererseits, Wittenberg« einzuführen, keinen Erfolg. lich alles. Bei seiner Bedeutung im Großen, als einige Professoren und Prädikanten Die jährliche Feier des Stadtfestes bei seinen weltbewegenden Worten und während seiner »Internierung« auf der »Luthers Hochzeit« und des Reformations- Taten wird häufig vergessen, dass er sich Wartburg Revolution machen und Bilder tages unterstreicht die Verbundenheit der

26 | Wittenberger mit »ihrem« Reformator, von Schriftworte bezwungen. Und solange keit vom Bistum Worms. Die frühe evan- dem sie wohl wissen, dass er ein Geschenk mein Gewissen durch die Worte Gottes ge- gelische Bewegung in der Stadt mündete an die ganze Welt ist. fangen ist, kann und will ich nichts wider- schließlich in den Status einer lutherischen Informationen: www.wittenberg.de rufen. Gott helfe mir. Amen.« Reichsstadt, in der dennoch immer auch Dieser historische Augenblick hat Worms Menschen anderer Konfessionen und Worms zur Lutherstadt gemacht, obwohl es außer Religionen lebten. Nach dem Stadtbrand dem Dom keine baulichen Zeugnisse mehr im pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 wurde Luther in Worms und der Geist der Freiheit gibt, die Luther 1521 besucht hat. Sowohl die Dreifaltigkeitskirche von 1709 – 25 der Bischofshof, in dem der Reichstag als Gegenüber zum katholischen Dom und Im April 1521 war Martin Luther ganze stattfand, als auch der Johanniterhof, in als Reformationsgedächtniskirche errich- zehn Tage in Worms. Auf Betreiben Roms dem Luther wohnte, sind durch Kriegsein- tet. Man glaubte damals irrtümlich, sie sollte er seine Schriften wie »Von der wirkungen zerstört. Erhalten geblieben werde an der Stelle gebaut, »wo Luther Freiheit eines Christenmenschen« (1520) ist allerdings die Magnuskirche, in der die einst bekannt sein Wort.« Die Legende widerrufen. Die Fürsten und Stände Stiftsherren von St. Andreas bereits 1521 vom »Pfiffligheimer Lutherbaum« istseit hatten erreicht, dass der Kaiser ihm freies evangelisch predigten und Kontakt nach dem frühen 19. Jahrhundert überliefert. Geleit zugesichert hatte. Ein Relief auf der Wittenberg hielten. Sie ist somit die älteste Auch das »Lutherpförtchen« in der stau- Vorderseite des Wormser Lutherdenkmals evangelische Kirche im deutschen Südwe- fischen Stadtmauer am Torturmplatz hat zeigt die Szene auf dem Reichstag. Luther sten. 1540 fand in Worms das Religionsge- seinen Namen aus dieser Zeit. 1868 wur- widerrief nicht, sondern antwortete: spräch zwischen Melanchthon und Calvin de mit dem Denkmal Ernst Rietschels das »Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse statt. weltgrößte Reformationsdenkmal einge- oder einen klaren Grund widerlegt werde, Die Zeit des Luther-Reichstages ist auch weiht. Spenden aus der gesamten lutheri- so bin ich durch die von mir angeführten die Zeit größter städtischer Unabhängig- schen Welt hatten die Errichtung des

| 27 Monuments ermöglicht. Dargestellt ist die Stadt Worms am Netzwerk der Lutherde- in Zeitz und nahmen die Nachkommen gesamte Reformationsgeschichte, die auch kade mit jährlichen Veranstaltungen und u.a. als Bürgermeister und Senioren des Wyclif, Hus, Petrus Waldus und Savonarola ist in deren Lenkungskreis vertreten. Stiftskapitels wichtige Funktionen in Zeitz einbezieht. Dem Denkmalentwurf liegt das Informationen: www.worms.de ein. Seit 1998 bewahren die Lutheriden Lutherlied »Eine feste Burg« zugrunde. als Familienverband der Luthernachkom- 1883 stiftete Maximilian von Heyl mit Zeitz men in Zeitz ihre Bücherschätze auf. Platz der Lutherbibliothek« eine umfangreiche fanden sie 2007 im Torhaus von Schloss private Sammlung von Luther- und Re- Zeitz, gelegen an der Weißen Elster, ist die Moritzburg in unmittelbarer Nähe der formationsschriften sowie Luther-Briefe, Stadt der Luthernachkommen. Bis heute alten Zeitzer Stiftsbibliothek, deren älte- die heute in der Stadtbibliothek Worms leben hier Nachkommen des großen Refor- sten Handschriften bis in die Spätantike aufbewahrt wird. Das Städtische Museum mators. Die lange Reihe begann 1587 und das Frühmittelalter zurückreichen. im Andreasstift erhielt im gleichen Zug ein mit Martin Luthers Sohn Paul Luther und Ihr Entstehen verdankt die Stiftsbibliothek Lutherzimmer. Erst 1912 wurde die Luther- dessen Sohn Johann Ernst. Beide waren den Naumburger Bischöfen, die seitdem kirche als Jugendstilbau errichtet. die ersten Inhaber eines Kanonikates an ausgehenden 13. Jahrhundert wieder an Auf Anregung der Stadt Worms rief man der Zeitzer Stiftskirche St. Peter und Paul, dem Ort residierten, den Kaiser Otto der 1993 bei einem ersten Treffen der ost- und die der sächsische Landesherr den Nach- Große im 10. Jahrhundert zum Sitz eines westdeutschen Lutherstädte nach der kommen Luthers auf Lebenszeit verliehen Bistums erhoben hatte. Zeitz ist damit Wende anlässlich des 125. Jubiläums des hatte. Am Anfang der Zeitzer Lutherlinie nicht nur die Stadt der Naumburger Bi- Wormser Lutherdenkmals den gemein- standen Johann Ernst Luther und Martha schöfe. Als eine an historischen Zeug- samen Preis »Das unerschrockene Wort« Blumenstengel. Auch wenn die Familie seit nissen und Schätze reiche Stadt ist sie auch ins Leben. Die erste Verleihung erfolgte 1759 nicht mehr den Namen Luther führte, eine herausragende Stätte der Reformati- 1996 in Worms. Seit 2008 beteiligt sich die spielte sie auch weiter eine wichtige Rolle on. Hier hielt sich Martin Luther zwischen

28 | 1542 und 1545 wiederholt auf. In Zeitz Themenjahr »Reformation und Politik« Porträts der Lutherstädte: führte er 1542 Nikolaus von Amsdorf der Lutherdekade 2017, wird dieses in Pressestellen/Kulturämter als ersten evangelischen Bischof in sein Zeitz Thema einer großen Ausstellung der Städte Amt ein. In Zeitz predigte der Reforma- sein, die den Bogen spannen will von der tor, der sich, unterstützt von seinen Wit- Verlesung der Confessio Augustana im tenberger Mitstreitern, aktiv am Aufbau Jahr 1530 bis zum Augsburger Religions- der protestantischen Kirchenorganisation frieden im Jahr 1555. Mittelpunkt wird im Naumburger Bistum beteiligte. In dabei die Privatbibliothek von Julius von Zeitz schrieb Luther 1545 seinen berühm- Pflug, die, als eine der weltweit bedeu- ten Brief an sein Frau Käthe, Wittenberg tendsten privaten Büchersammlungen des zu verlassen. Mit Zeitz als Stätte der Refor- Reformationszeitalters, seit 1564 Teil der mation wird auch der Name des letzten Zeitzer Stiftsbibliothek ist. Erste Eindrücke Naumburger Bischofs Julius von Pflug vermittelt die den Naumburgern Bischö- verbunden. Sein Wirken stellte er als ein fen und ihrer Zeitzer Residenz geltende Mann des Ausgleiches ganz in den Dienst Ausstellung »Das alte Kollegiatstift und der Versöhnung zwischen der protestan- die neue Stiftskirche«, die als Korrespon- tischen und der katholischen Lehre. Er denzausstellung zur Landesausstellung des gehörte zu den zentralen politischen und Landes Sachsen-Anhalt »Der Naumburger kirchenpolitischen Persönlichkeiten, als Meister. Architekt im Europa der Kathe- in den vierziger Jahren des 16. Jahrhun- dralen« vom 8. Juli bis zum 2. November derts die Sache der Reformation auf Mes- 2011 in Zeitz öffnet. sers Schneide stand. Im Sommer 2014, im Informationen: www.zeitz.de

| 29 Das Reformationsjubiläum 2017

Wann Luthers reformato- eines Vorlaufs, in dem neben der konzep- Wirkungen der Reformation in Kunst/ rische Entdeckung statt- tionellen Arbeit an den Inhalten auch die Kultur, Gesellschaft und Politik aufzeigen fand, ist in der Sache, Vorbereitung der nationalen und interna- internationale Ausrichtung (Deutschland aber nicht im Zeitpunkt tionalen Öffentlichkeit durch Werbung als ›Land der Reformation‹ kommuni- bezeugt, sie ist aber auf und touristisches Marketing erfolgen sollte. zieren) jeden Fall eine Erfahrung Als Zeit der Hinführung auf das welt- Erhalt und Vermittlung des kulturellen der Wittenberger Jahre weite Reformationsjubiläum 2017 wurde Erbes (von Baumaßnahmen in der refor- vor 1517, deren Konse- deshalb eine »Lutherdekade« ausgeru- mationshistorischen Infrastruktur bis hin quenzen Luther erst allmählich deutlich fen, die gemeinsam von kirchlichen und zu Initiativen kultureller Bildung, u. a. in wurden. Luthers Wittenberger Jahre begin- staatlichen Partnern geplant und durch- Schulen) nen mit dem Wintersemester 1508/9, also geführt wird. Die Dekade fächert sich in Wirtschaftszweig Tourismus steigern. im September 1508. Dieses Datum, um unterschiedliche Themenjahre auf, um die 500 Jahre auf September 2008 verscho- Vielfalt der reformatorischen Wirkungen Bereits heute wird deutlich, dass das ben, bildete demnach einen passenden erfahrbar zu machen (z. B. 2011: Reforma- Reformationsjubiläum ein herausragendes Startpunkt für eine Vorbereitungszeit, tion und Freiheit, 2012: Reformation und Ereignis im kirchlichen und kulturellen die zehn Jahre umfasst (zumindest in der Musik, 2013: Reformation und Toleranz Leben Deutschlands (und weit darüber Zählweise des 16. Jahrhunderts, die das etc.). hinaus) sein wird. Ausgangsjahr immer mitzählt), also den Staatlicherseits, d. h. aus der Perspek- Informationen: www.luther2017.de Zeitraum von September 2008 bis Okto- tive des Bundes, der Länder und der ber 2017. Denn ein solches Jubiläum, das Kommunen, lassen sich u. a. folgende thematisch und strukturell so komplex Erwartungen an die Lutherdekade und Dr. Stefan Rhein wie das Reformationsjubiläum ist, bedarf das Reformationsjubiläum formulieren: Leiter der Geschäftsstelle »Luther 2017«

30 | Macht des Glaubens – 450 Jahre Heidelberger Katechismus Ausstellung im Kurpfälzischen Museum Heidelberg vom 12. Mai bis 15. September 2013

Im September des Jahres 1608 besuchte pisterei« im Herrschaftsgebiet des Kurfür- Die Schrift fand nach ihrer Anerkennung der Engländer Thomas Coryate (1577– sten seit mehreren Jahrzehnten gründlich auf der Dordrechter Synode weltweit 1617) für einen Tag die Stadt Heidelberg. »ausgerottet« sei. Auch über die Theo- Verbreitung. Seitdem hat der Heidelberger Der Sohn eines südenglischen Pfarrers logen der Universität Heidelberg findet er Katechismus das geistliche und politische trat seine Reise von England aus am 14. überschwängliche, lobende Wort: »Einer Leben geprägt und wurde zum Symbol Mai 1608 an, sein Weg führte ihn über von ihnen, von dem frommen Ursinus des Aufbruchs und der Veränderung in Frankreich nach Italien und von dort durch spreche ich, schrieb neben vielen anderen Europa, Amerika und Asien. Noch heute die Schweiz bis an Rhein und Neckar. Von hochgelehrten theologischen Abhand- ist er die verbindliche Bekenntnisschrift Heidelberg aus begab er sich über die lungen einen so unvergleichlich gelehrten der Reformierten. Der Heidelberger Kate- Niederlande wieder zurück nach England. und der Kirche Gottes so dienlichen Kate- chismus steht für die Zeitepoche der Er- Die Erlebnisse und die Reiseroute sind chismus, dass sich, so meine ich, seit der neuerung und Orientierung im 16. und 17. überliefert in Coryates Reisebericht, den Zeit der Apostel kein Buch über diesen Jahrhundert. Der Heidelberger Hof und die er im Jahr 1611 unter dem Titel »Coryates Gegenstand mit diesem messen kann« Universität mit der berühmten Bibliotheca Crudities« veröffentlichte. Über den Auf- (Ein Engländer in Heidelberg 1608, Thomas Palatina bildeten neben Genf und Leyden enthalt in Heidelberg weiß der Engländer Coryates Betrachtungen. Aus dem Eng- ein geistiges Zentrum des europäischen seinen Lesern einiges zu berichten. lischen übersetzt und herausgegeben von Calvinismus. Die Ausstrahlung jenes neuen Neben bekannten Topoi des Städtelobs Andreas Gardt, Übersetzung der latei- reformatorischen Geistes durchdrang alle nennt er eine Reihe von Persönlichkeiten, nischen Passagen von Hermann Wiegand, gesellschaftlichen Ebenen und bestimmte denen er in Heidelberg begegnet ist. Der Heidelberg 1986, Zitat S. 54.). Damit das Lebensgefühl der Menschen am Be- Autor erwähnt ausdrücklich, dass sich die bezieht Coryate sich auf den Heidelber- ginn der Neuzeit. Kurpfalz zu derselben reformierten Religion ger Katechismus von 1563 und seinen Das Erscheinen dieser bedeutenden Be- bekannte wie England und dass die »Pa- Verfasser Zacharias Ursinus (1534–1583). kenntnisschrift jährt sich 2013 zum 450. Mal.

| 31 Zum Jubiläum ist ein gemeinsames Ausstel- Geschichte das zentrale Thema sein. lungsprojekt zum Heidelberger Katechis- Das Kurpfälzische Museum Heidelberg mus an drei Standorten geplant: im Heidel- wird sich dem wissenschaftlichen Aspekt berger Schloss, im Kurpfälzischen Museum widmen und den Heidelberger Katechis- der Stadt Heidelberg und im Paleis Het Loo mus in den Kontext seiner Entstehungszeit in Apeldoorn (NL). Kooperationspartner setzen. Für die Ausstellung, die mit dem sind die Staatlichen Schlösser und Gärten Titel »Macht des Glaubens« vom 12. Mai Baden-Württemberg (SSG), das Kurpfälzi- bis zum 15. September 2013 stattfinden sche Museum der Stadt Heidelberg (KHM), wird, dürfen eine Reihe hochkarätiger Leih- die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, gaben erwartet werden. Ein glanzvoller das Paleis Het Loo in Apeldoorn sowie die Höhepunkt wird der vergoldete Prunkpo- Johannes a Lasco Bibliothek in Emden und kal sein, den Friedrich V. 1619 als Geschenk das Projekt Refo500. erhielt und der sich heute im Iparmüvészeti An den drei Ausstellungsstandorten Múzeum in Budapest befindet. Begleitend Zacharias Ursinus werden unterschiedliche Themenbereiche zur Ausstellung werden eine Publikation (1534 –1583) behandelt. Im Heidelberger Schloss werden mit Aufsätzen zur Geschichte und Rezep- Mitverfasser des die Inhalte an der kurfürstlichen Historie tion des Heidelberger Katechismus sowie Heidelberger Katechismus ausgerichtet. So stehen hier vor allem ein Katalog erscheinen. Öl / Kupfer, 6 x 4,8 cm, die Kurfürsten und deren Politik, deren Kurpfälzisches Museum Lebensformen und Repräsentationsansprü- Dr. Karin Tebbe der Stadt Heidelberg, che im Mittelpunkt. In den Niederlanden Kurpfälzisches Museum Inv. Nr. G 1724, wird die Religiosität der Oranier und ihre der Stadt Heidelberg Foto: Knut Gattner

32 | Impressum

Herausgeber Stadt Heidelberg, Kulturamt

Layout und Satz Caroline Pöll

Redaktion Alexandra Eberhard

Übersetzungen André Gert

Mitarbeit Julia Münzer, André Gert

Druckerei City-Druck Heidelberg

Bildnachweis Umschlaggrafik: nach Lukas Cranach dem Älteren, Portrait Martin Luther, 1522 Umschlag innen + Seite 4: »Nowaja Gaseta« Seite 5: Friedrich Schorlemmer

Weitere Informationen www.heidelberg.de/kulturamt