Plenarprotokoll 19/198

Deutscher

Stenografischer Bericht

198. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Inhalt:

Tagesordnungspunkt I (Fortsetzung): Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24951 C a) Zweite Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines (AfD) ...... 24952 A Gesetzes über die Feststellung des Bun- Bärbel Bas (SPD) ...... 24953 A deshaushaltsplans für das Haushalts- jahr 2021 (Haushaltsgesetz 2021) (FDP) ...... 24953 D Drucksachen 19/22600, 19/22602, Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE) ...... 24954 D 19/24535 Nr. 1 ...... 24919 B Dr. (BÜNDNIS 90/ b) Beratung der Beschlussempfehlung des DIE GRÜNEN) ...... 24955 C Haushaltsausschusses zu der Unterrich- Marco Bülow (fraktionslos) ...... 24956 A tung durch die Bundesregierung: Finanz- plan des Bundes 2020 bis 2024 (CDU/CSU) ...... 24956 D Drucksachen 19/22601, 19/23839 Nr. 1, Dr. (DIE LINKE) ...... 24957 D 19/22602, 19/24535 Nr. 1, 19/23327 ...... 24919 B Patricia Lips (CDU/CSU) ...... 24958 A I.9 Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzler- Martin Erwin Renner (AfD) ...... 24958 C amt Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 24959 B Drucksachen 19/23324, 19/23325 ...... 24919 B Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 24960 C Dr. (AfD) ...... 24919 C (AfD) ...... 24961 D Dr. , Bundeskanzlerin ...... 24922 A (SPD) ...... 24962 C (FDP) ...... 24928 B (CDU/CSU) ...... 24963 C Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 24933 A (SPD) ...... 24964 C (DIE LINKE) ...... 24936 A Dr. Jens Zimmermann (SPD) ...... 24965 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24938 D Namentliche Abstimmung ...... 24966 B (CDU/CSU) ...... 24942 B Ergebnis ...... 24973 D (DIE LINKE) ...... 24945 A I.10 Einzelplan 05 Sebastian Münzenmaier (AfD) ...... 24945 B Auswärtiges Amt () (SPD) ...... 24946 C Drucksachen 19/23305, 19/23324 ...... 24966 B (DIE LINKE) ...... 24948 A Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD) ...... 24966 C (BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 24967 C DIE GRÜNEN) ...... 24948 D Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 24969 A (CDU/CSU) ...... 24949 B (CDU/CSU) ...... 24970 B II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. , Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 24972 A (SPD) ...... 25004 B Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24973 A (CDU/CSU) ...... 25006 A , Bundesminister AA ...... 24976 B (CDU/CSU) ...... 25007 A Dr. (AfD) ...... 24978 C Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . . . . 24980 A I.12 Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaft- (FDP) ...... 24981 C liche Zusammenarbeit und Entwick- Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 24982 C lung Drucksachen 19/23320, 19/23324 ...... 25007 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24983 D Volker Münz (AfD) ...... 25008 A (CDU/CSU) ...... 24984 C Carsten Körber (CDU/CSU) ...... 25009 A (SPD) ...... 24985 C Dr. Christoph Hoffmann (FDP) ...... 25010 C Dr. (CDU/CSU) ...... 24986 C Dr. (SPD) ...... 25011 C Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU) ...... 24987 C (DIE LINKE) ...... 25013 A (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 25013 D I.11 Einzelplan 14 Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ ...... 25015 A Bundesministerium der Verteidigung Drucksachen 19/23313, 19/23324 ...... 24989 B (AfD) ...... 25016 C (AfD) ...... 24989 B Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 25017 B Dr. (CDU/CSU) ...... 24990 C Michael Georg Link (FDP) ...... 25018 C (FDP) ...... 24991 D Helin (DIE LINKE) ...... 25019 C (SPD) ...... 24992 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 25020 B Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 24994 A (CDU/CSU) ...... 25021 A Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24995 A (AfD) ...... 25022 A Annegret Kramp-Karrenbauer, (SPD) ...... 25022 C Bundesministerin BMVg ...... 24997 A Dr. (CDU/CSU) ...... 25023 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) ...... 24997 D (CDU/CSU) ...... 25024 D (AfD) ...... 24998 D Siemtje Möller (SPD) ...... 24999 C Nächste Sitzung ...... 25025 D Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) . 25000 C Tobias Pflüger (DIE LINKE) ...... 25001 D Anlage (CDU/CSU) ...... 25003 A Entschuldigte Abgeordnete ...... 25027 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24919

(A) (C)

198. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Dr. Alice Weidel (AfD): Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Herren! Vielleicht ist dieser Haushalt ja tatsächlich der letzte, den eine von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, geführ- Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs- te Bundesregierung vorlegt. Dem Land und seinen Bür- punkt I – fort: gern wäre das zu wünschen. Die Frage ist nur: Wie viel Unheil wollen Sie in Ihrer verbleibenden Amtszeit noch a) Zweite Beratung des von der Bundesregie- anrichten? rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushalt- (Beifall bei der AfD – Zuruf vom BÜND- splans für das Haushaltsjahr 2021 (Haus- NIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) haltsgesetz 2021) Die katastrophale Bilanz dieses Coronajahres, Ihr (B) planloser und grotesker Umgang mit der Herausforde- (D) Drucksachen 19/22600, 19/22602, rung durch das SARS-CoV-2-Virus, lässt nichts Gutes 19/24535 Nr. 1 ahnen. Eine verlogene Lockdown-Politik hat das kürzlich b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ihr Parteifreund, der Staatsrechtler und Verteidigungsmi- Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu der nister a. D. Professor genannt, einer jener Unterrichtung durch die Bundesregierung vernünftigen und qualifizierten Köpfe, die in der von Ihnen dominierten Partei keine Chance mehr haben. Finanzplan des Bundes 2020 bis 2024 (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zuruf des Drucksachen 19/22601, 19/23839 Nr. 1, Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) 19/22602, 19/24535 Nr. 1, 19/23327 Auch nach einem Dreivierteljahr stochern Sie immer noch im Nebel und klammern sich an die untaugliche Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.9 auf: Holzhammermethode Lockdown, die mehr Kollateral- hier: Einzelplan 04 schäden anrichtet, als Nutzen im Kampf gegen das Coro- Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt navirus zu bringen. (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE Drucksachen 19/23324, 19/23325 GRÜNEN]: Wir haben heute 590 Tote! Berichterstatter sind die Abgeordneten Otto Fricke, Schämen Sie sich für Ihre Rede! Das ist eine Patricia Lips, Dennis Rohde, Marcus Bühl, Dr. Gesine Verhöhnung der Toten!) Lötzsch und Anja Hajduk. Ihr bayerischer Adlatus, Markus Söder, greift noch tiefer in die Trickkiste autoritärer Herrschaft und wirft Über den Einzelplan werden wir später namentlich sogar mit Ausgangssperren um sich. Statt das Gebotene abstimmen. zu tun und gezielt die besonders gefährdeten Bevölke- Für die Aussprache wurde eine Dauer von 210 Minuten rungsgruppen zu schützen, sperren Sie die Bürger ein, beschlossen. vernichten Existenzen, treiben ganze Branchen in den Ruin und versuchen, bis an den Wohnzimmertisch in Die Aussprache ist hiermit eröffnet. Das Wort hat die das Privatleben der Bürger hineinzuregieren. Fraktionsvorsitzende der AfD, Dr. Alice Weidel. ( [SPD]: Was ist mit den Toten? Was (Beifall bei der AfD – [DIE LINKE]: sagen Sie zu den Toten?) Um die Uhrzeit!) So kann es nicht weitergehen. 24920 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Dr. Alice Weidel (A) (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Was der Währungsunion in eine Haftungs- und Schulden- (C) sagen Sie den Angehörigen der Toten?) union. Zweitens: die Industrialisierungs- und Wohl- standsvernichtung durch Energiewende, Autowende, Der Staat kann auch nicht unbegrenzt Betriebe, die Kohle- und Atomausstieg. Drittens: die unkontrollierte faktisch mit Berufsverbot belegt wurden, auf Kosten der Einwanderung unter Missbrauch des Asylrechts. Steuerzahler entschädigen. Das sagen Sie ja sogar selbst. Nach 15 Merkel-Jahren ist Deutschland ein Land, das (Zuruf des Abg. Michael Grosse-Brömer seine Grenzen nicht gegen illegale Einwanderung schüt- [CDU/CSU]) zen will, aber seine Bürger mit Ausgangssperren über- Dann ziehen Sie aber auch die Konsequenzen und been- zieht und Heerscharen von Polizisten zur Kontrolle der den die kontraproduktive Lockdown-Politik. Alles ande- Maskenpflicht im Zugverkehr abkommandiert. re ist – in den Worten von Rupert Scholz – verlogen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer Also bitte, in den 15 Jahren Ihrer Kanzlerschaft haben [CDU/CSU]: In Ihrer ersten Rede haben Sie Sie verspielt, was Ihnen Ihre Amtsvorgänger an Reform- noch das Gegenteil erzählt!) kapital hinterlassen haben. Die zur Untätigkeit verurteilten und vom Ruin bedroh- (Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜND- ten Gewerbetreibenden durften jetzt erst erfahren, dass NIS 90/DIE GRÜNEN]) die großartig versprochenen Novemberhilfen wohl erst irgendwann im Januar kommen, weil noch ein Software- Die Fehler der Vorgängerregierungen haben Sie nicht tool fehlt. So viel zur Digitalisierung, die Sie seit Jahr und korrigiert, sondern verschlimmert. Das Deutschland, das Tag im Munde führen, ohne dass sich etwas tut. Schnell Sie hinterlassen, ist tief gespalten, in seinen Grundlagen sind Sie mit Milliardenhilfen nur bei großen Konzernen, erschüttert und weit nach links abgedriftet. die Sie im Gegenzug sukzessive unter Staatskontrolle ( [SPD]: Sie spalten Deutsch- bringen. land! – Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, genau! Alle paar Wochen maßt sich Ihre von der Verfassung Das merkt man! Das ist die sozialistische Re- nicht vorgesehene Kungelrunde mit den Ministerpräsi- publik!) denten an, neue widersprüchliche und übergriffige Maß- Aus einem leidlich sicheren Land mit funktionierender nahmen zu verhängen. Obendrauf haben Sie sich noch Wirtschaft und stabiler Energieversorgung ist ein Land mit einem fragwürdigen, euphemistisch als Bevölke- des Misstrauens geworden, in dem die Straßen nicht rungsschutzgesetz ausgegebenen Konstrukt einen Blan- mehr sicher sind und importierte Kriminalität und isla- koscheck ausstellen lassen, um das Parlament zu umge- mistischer Terror (B) hen. Das haben Sie übrigens – anders als die Auszahlung (D) der Novemberhilfen – an nur einem Tag über die Bühne ( [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE und durch alle Instanzen gebracht. GRÜNEN]: Genau! – Gegenruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD]: Getroffene Hunde Bürger, die gegen Ihre Maßnahmenpolitik protestieren, bellen!) werden als Extremisten diffamiert, mit dem Verfassungs- schutz bedroht und mit Wasserwerfern und Polizeigewalt zu alltäglichen Bedrohungen geworden sind. Es ist ein auseinandergetrieben. Sie sind es, Frau Bundeskanzlerin, Land der Widersprüche geworden. die dieses Land und diese Gesellschaft spalten. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Lachen der Abg. Claudia Die Bundeswehr ist unter Ihrer Regierung zwar Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gendersensibel geworden, ist aber kaum noch einsatzfä- NEN]) hig. Dafür sehen Polizisten immer häufiger wie Soldaten Gelenkte Wirtschaft und Demokratie, ein verarmter aus. Wenn aber in Berlin oder Essen ein Clankrieg aus- Mittelstand aus hinters Licht geführten Selbstständigen bricht, sind die Beamten zum Zuschauen verdonnert, bis und Gewerbetreibenden, eingeschüchterte Bürger – das ein muslimischer Friedensrichter aus der migrantischen ist das Ergebnis Ihrer Politik. Am Horizont ziehen Mas- Paralleljustiz den Streit geschlichtet hat. senarbeitslosigkeit und bislang nicht gekannte Pleitewel- (Beifall bei der AfD – Claudia Roth [Augs- len auf. Dazu kommt ein abnorm hoher Schuldenberg. burg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt Für die vermeintlichen Geschenke, die Sie im kommen- reicht es langsam!) den Wahljahr verteilen wollen, werden künftige Genera- tionen noch lange zu zahlen haben. Diese Bilanz allein Unsere Nachbarländer ergreifen im Krieg gegen den dürfte schon reichen, um Ihre Kanzlerschaft als katastro- islamistischen Terror die Initiative. In Deutschland wird phal in die Geschichte eingehen zu lassen; aber das ist nur mit Phrasen beschwichtigt und lieber noch eine Milliarde der Gipfel. für den Kampf gegen rechts ausgegeben. Frauen trauen sich nachts nicht mehr auf die Straße, (Beifall bei der AfD) (Dr. [FDP]: Apropos Phra- Die schwersten Grundrechtseingriffe seit Bestehen der sen!) deutschen Nachkriegsdemokratie, die Sie zu verantwor- aber die Regierung regelt akribisch, wer wen zu Weih- ten haben, reihen sich nahtlos an die drei fundamentalen nachten besuchen darf und wer nicht. Rechtsbrüche, die auf immer mit Ihren Regierungsjahren verbunden bleiben werden: Erstens: die Transformation (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24921

Dr. Alice Weidel (A) Die industrielle Basis bröckelt. Hunderttausende – Da höre ich schon: „Richtig!“ – Radikal linke Ideolo- (C) Arbeitsplätze sind schon weggefallen oder ins Ausland gien wie Gendermainstreaming oder der kommunistische verlagert. Kampfbegriff „Antifaschismus“ sind in den Mainstream gerückt, (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und Industriefeindliche Politik ist die Ursache. Die Corona- der LINKEN) krise hat diese Entwicklung beschleunigt und verschärft. während Konformismus und Gesinnungsdruck, sozialis- (Beifall bei der AfD) tischer Irrglaube und planwirtschaftlicher Wahn eine Tatenlos nimmt diese Regierung hin, dass absurde EU- absurde Wiederauferstehung erleben. Auch das gehört Grenzwerte der deutschen Automobilindustrie den Gar- zur fatalen Bilanz Ihrer Regierungszeit. aus machen. Ergebnis jahrelanger Autohasserpolitik: Die (Beifall bei der AfD) Premiumhersteller BMW und Daimler verlegen den Bau In der Tat: Frau Merkel, Sie sind die beste Kanzlerin, die von Verbrennungsmotoren wohin? Ins Ausland. Hoch- Grüne und Linke je hatten. Die Begeisterung, die man technologie, in Deutschland erfunden und perfektioniert, Ihnen von dort entgegenbringt, ist der beste Beleg. wandert ab. Zulieferer und gut bezahlte Jobs werden fol- gen. Elektromobilität, die auch durch noch so horrende (Jan Korte [DIE LINKE]: Das kommunistische Subventionen auf absehbare Zeit nicht wettbewerbsfähig Merkel-Regime, genau!) wird, ist dafür kein Ersatz und wird es auch nie sein. Es schmerzt mich, was aus diesem Land geworden ist, (Beifall bei der AfD) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Im Namen der Klimaschutzhysterie schließen in NEN]: Sie wohnen doch in der Schweiz!) Deutschland modernste Kohlekraftwerke und sichere und wir sind angetreten, um diese Schieflage zu korrigie- Atommeiler. Dafür wird dann Kohle- und Atomstrom ren. Wir wollen erreichen, dass Recht, Gesetz und Ver- aus dem Ausland importiert, wenn in den Windradwäl- fassung überall und unbedingt gelten und nicht nach dern, die unsere Landschaft verschandeln und Raubvögel Belieben zurechtgebogen und ignoriert werden, erschlagen, wieder mal Flaute herrscht. (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Ist das eine (Beifall bei der AfD) Rede, wie sie Herr Meuthen gemeint hat?) Die bislang absurdeste Idee kommt von Rot-Grün in dass Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger im Mit- : Buschholz aus Namibia importieren, um es telpunkt der Politik stehen und nicht Bevormundung in (B) in Deutschland zu verfeuern. Das ist ’ immer weitere Lebensbereiche. Unser Ziel ist, dass Staat (D) Home Turf. Was haben wir anderes zu erwarten? und Verwaltung sich auf ihre Kernaufgaben konzentrie- ren, das heißt die Gewährleistung des rechtlichen und Bürger und Unternehmen zahlen für diese wirtschafts- ordnungspolitischen Rahmens und die Aufrechterhaltung politische Kakofonie mit den höchsten Energiepreisen, der inneren und äußeren Sicherheit und nicht die ständige Steuer- und Abgabenlasten aller Industrieländer. Obwohl und übergriffige Einmischung in das Privatleben und die die Deutschen beim Privatvermögen und Rentenniveau wirtschaftlichen Entscheidungen der Bürger. weit hinter den meisten Euro-Ländern zurückliegen, dür- fen sie demnächst für weitere Milliardentransfers in die Frau Merkel, kommen Sie heraus aus Ihrem geistigen südlichen Krisenstaaten zahlen. Hinter dem Vorhang der Wandlitz! Blicken Sie über den Tellerrand Ihres Kanzler- Coronakrise haben Sie nämlich auch das Verbot der Ver- amts, das Sie in schwersten Krisenzeiten für 600 Millio- gemeinschaftung von Staatsschulden weiter aufgebro- nen Euro vergrößern wollen, und schauen Sie sich an, wie chen. Die Eurobonds heißen jetzt Coronawiederaufbau- es wirklich aussieht in diesem Land! fonds. (Beifall bei der AfD – Jan Korte [DIE LINKE]: In diesen Tagen entscheidet sich, ob Großbritannien Darunter geht es nicht!) die EU mit oder ohne Brexit-Vertrag verlässt. Den Aus- Hören Sie damit auf, sich in Ihrer Filterblase aus politi- schlag für den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs schen Jasagern und medialen Schmeichlern das eigene gab der Kontrollverlust in der bis heute ungelösten Versagen schönzureden und sich für Ihre Irrtümer auch Migrationskrise, mit dem Sie einen tiefen Keil zwischen noch feiern zu lassen! „Die Wahrheit ist dem Menschen die Europäer getrieben haben. Die Briten haben das nicht zumutbar“, hat Ingeborg Bachmann einmal treffend ge- vergessen. sagt. (Beifall bei der AfD) (Jan Korte [DIE LINKE]: Abartig!) Während diese Regierung die Grundlagen unseres Zur Wahrheit gehört aber auch: Dieses Land kann Sie und Wohlstands unterminiert, brummt in schon wieder Ihre Politik nicht mehr lange aushalten. die Wirtschaft, gehen chinesische Staatsfonds auf Ein- Ich bedanke mich. kaufstour im gebeutelten deutschen Mittelstand, schafft Peking die größte Freihandelszone der Welt. In Deutsch- (Beifall bei der AfD – Dr. Götz Frömming land beschäftigen wir uns derweil lieber mit der Frauen- [AfD]: Ingeborg Bachmann würde AfD wäh- quote in Unternehmensvorständen. len! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Pult gut saubermachen! Die (Zuruf von der SPD: Richtig!) AfD hat es mit der Hygiene nicht so! – Gegen- 24922 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Dr. Alice Weidel (A) ruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD]: Regen Sie Diese Pandemie ist ja etwas, was die Kräfteverhältnisse (C) sich nicht so auf!) auf der Welt durchaus erst einmal ökonomisch, aber viel- leicht auch gesellschaftspolitisch neu ordnet. Das heißt, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wir müssen schauen, wie wir eingebettet sind in die glo- balen Zusammenhänge. Das Wort hat die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Wenn wir uns die Wirtschaftsprognosen des Interna- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tionalen Währungsfonds anschauen, dann sehen wir, dass viele Länder sehr, sehr starke Wirtschaftseinbrüche Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: haben, schon nach den heutigen Prognosen, die sich ja Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast immer wieder ändern können. Darunter sind auch viele 500 Milliarden Euro umfasst der Bundeshaushalt 2021, europäische Länder – Italien, Frankreich, Großbritan- über den wir ja seit gestern sprechen. Nach einer Neuver- nien –, die alle einen Wirtschaftseinbruch von circa schuldung im Jahre 2020 von 218 Milliarden Euro haben minus 10 Prozent für dieses Jahr verzeichnen. Dann wir 2021 neue Schulden in Höhe von fast 180 Milliarden gibt es eine Mittelgruppe – USA, Deutschland gehört Euro veranschlagt. im Augenblick laut Prognosen dazu, Australien –, die (Beatrix von Storch [AfD]: Hallelujah!) bei einem Wirtschaftseinbruch von minus 4 bis minus 6 Prozent liegt. Und dann gibt es Länder wie zum Bei- Eine Entscheidung über die Aufnahme von Schulden in spiel China, die aus diesen Jahren mit einem Plus von dieser Größenordnung ist alles andere als leicht. Das fühlt 1,9 Prozent herauskommen werden, und spürt jeder hier. ( [AfD]: Hört, hört!) Wir hatten viele Jahre, in denen wir nicht mehr über neue Schulden sprechen mussten, sondern einen ausge- und zwar im Kampf gegen das gleiche Virus. glichenen Haushalt hatten. Wir müssen uns auch immer Das heißt: Wir müssen also alles tun, damit der Weg wieder vergegenwärtigen, was öffentliche Schulden der Erholung, auf den wir im dritten Quartal nach einem bedeuten. Es bedeutet natürlich die Belastung künftiger massiven Einbruch im zweiten Quartal gekommen sind, Haushalte, es bedeutet die Notwendigkeit, das zurück- auch fortgesetzt werden kann, und wir müssen alles dafür zuzahlen, und es bedeutet Einschränkungen für künftige tun, dass die Prognosen, die besagen, dass wir 2022 wie- Ausgaben und für künftige Generationen. der das Vorkrisenniveau erreichen können, auch wirklich (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Generationen! Realität werden. Ja, das ist wohl wahr!) Was wir immer wieder beachten müssen, ist, dass sich (B) Aber – das ist das, was für uns wichtig ist, und ich bin weltweit zeigt: Die Wirtschaft ist genau dort vor allem (D) sehr dankbar, dass die Mehrheit dieses Hauses das genau- widerstandsfähig, wo die Pandemie unter Kontrolle ist. so sieht –: Wir leben in einer Pandemie. Wir leben damit Es geht eben nicht um Kampf für die Gesundheit gegen in einer Ausnahmesituation. Wir leben mit einer Heraus- Kampf für Wirtschaft und Bildung und Kultur und ande- forderung, wie sie die Bundesrepublik Deutschland noch res, sondern beides miteinander in Einklang zu bringen, nicht in dieser Art gekannt hat. Wir müssen etwas dafür das ist die komplizierte Aufgabe, die wir täglich neu aus- tun, dass wir in dieser besonderen Situation auch beson- tarieren müssen. Wir wissen zwar immer mehr über das ders handeln, und das drückt dieser Haushalt aus. Virus; aber wir wissen nicht alles, zum Beispiel natürlich auch nicht, wie wir jetzt im Winter reagieren müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Christian Lindner [FDP]: Plötzlich war Win- Was leitet uns dabei? Uns leitet dabei, dass Deutsch- ter!) land ein starkes Land ist, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, ein wichtiger Partner in der Europäischen Das heißt also: Wir müssen sehen, dass Deutschland zu Union, der NATO, bei den Vereinten Nationen, ein welt- denjenigen Ländern zählt, die diese Zeit erfolgreich weit anerkanntes, freies, offenes, demokratisches Land bewältigen, und ich bin der Meinung, der Bundeshaushalt und ein Land mit gesellschaftlichem Zusammenhalt und schafft damit die richtigen Voraussetzungen. einer starken Zivilgesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie machen Danke auch an die Haushälter, die ja diesmal irgend- genau das Gegenteil!) wie etwas mehr zu tun hatten, um die Regierungsvorlage Diese Stärke – das ist das, was uns leitet in diesem Haus- in ein Gesetzeswerk zu bringen, als das in normalen Zei- halt – wollen wir auch in dieser Ausnahmesituation erhal- ten der Fall ist. Deshalb ein ganz besonderer Dank! ten und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir Wir haben die Aufgabe, die Folgen der Pandemie nach Überwindung der Pandemie da wieder anknüpfen abzufedern und damit den gesellschaftlichen Zusammen- und diese Rolle auch weiterspielen können. Das ist das, halt so gut wie möglich zu sichern. Und wir müssen was uns leitet. belastbare Grundlagen schaffen für nachhaltiges Wirt- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) schaftswachstum in der Zukunft. Es macht ja niemand für uns. Dass wir das früher (Zuruf von der AfD: Wie denn?) waren und heute sind, das reicht ja nicht aus, sondern Deshalb haben wir auch Rekordinvestitionen in den wir müssen dafür arbeiten, dass das auch für die Zukunft Haushalten 2020 und 2021. Ich habe sehr wohl gestern gesichert ist. Ich habe es schon mehrfach hier gesagt: in der Debatte gehört, dass man sagt: Regierung, jetzt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24923

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) habt ihr Geld; nun gebt es aber bitte auch aus. – Das längert haben, aber sie waren absolut notwendig. Wir (C) nehmen wir sehr ernst. Ich sage ganz offen: An manchen müssen jetzt alles daransetzen, dass wir die deutsche Stellen müssen wir sicherlich auch etwas schneller han- Stärke nicht nur im wirtschaftlichen Bereich erhalten. deln, Es geht nicht nur um ökonomische Daten, sondern es geht eben auch um einen weltweiten Systemwettbewerb, (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) den wir ja spüren, um unterschiedliche politische und auch manchmal in den Absprachen mit den Ländern gesellschaftliche Systeme. Unser Handeln ist anders als schneller handeln. Das Geld ist da, und jetzt muss es das Handeln in Ländern, die stärker einer Diktatur glei- eingesetzt werden. Denn von der Planung im Haushalt chen; das ist vollkommen klar. allein entsteht noch kein Wirtschaftswachstum, sondern (Lachen bei Abgeordneten der AfD) nur, wenn das Geld auch fließt. Deshalb wird die Wahrnehmung von uns natürlich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auch durch die Frage bestimmt: Wie seid ihr denn durch Aber wir investieren klug in die Zukunft. So ist es zum diese schwierigen Monate gekommen? – Wir werden Beispiel richtig, dass wir 750 Millionen Euro für Impfs- anerkannt als freiheitliche Demokratie mit offener und toffforschung und -entwicklung ausgeben. Wir können ja stark individualisierter Gesellschaft; darauf sind wir auch alle miteinander stolz sein, dass wir zwei Firmen in stolz. Deutschland haben, und zwar BioNTech, die jetzt schon (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mit Pfizer zusammen in der Zulassungsphase sind, und neten der SPD und der Abg. Annalena CureVac, die auf der gleichen Basis einen Impfstoff ent- Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wickeln. Wir geben 9 Milliarden Euro in den nächsten Jahren für eine Nationale Wasserstoffstrategie aus, 2 Mil- Der wichtigste Schlüssel, den wir haben, sind nicht die liarden Euro für künstliche Intelligenz, 2 Milliarden Euro Verbote und Schließungen und Kontrollen; diese müssen für Quantentechnologie, 2 Milliarden Euro für die an vielen Stellen sein. Der wichtigste Schlüssel zur zukünftigen Kommunikationstechnologien 5 G und 6 G. erfolgreichen Bekämpfung des Virus bei uns ist das ver- antwortliche Verhalten jedes Einzelnen und die Bereit- Aber das Geld muss eingesetzt werden und dahin kom- schaft zum Mitmachen. men, wo es gebraucht wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Deutsche Unternehmen sollen im internationalen Wett- neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- bewerb mithalten können. Aber mir ist natürlich bewusst, NISSES 90/DIE GRÜNEN) dass viele Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer in der Coronasituation tiefe Einschnitte hinneh- Wir wissen, dass wir verbindliche Regeln brauchen. (B) men müssen. Da denke ich natürlich wie viele andere hier Wir wissen auch, dass sich nicht alle daran halten. (D) auch als Allererstes daran, wie viele Menschen das in Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die große Mehr- ihrer persönlichen Lebensgestaltung betrifft. heit der Bevölkerung hat gezeigt, dass sie bereit ist, Rück- sicht zu nehmen, eigene Interessen zurückzustellen, mit- Wir hatten im November 2020 2,7 Millionen Arbeits- zuziehen. Ich bin davon überzeugt, dass die große lose. Das sind 519 000 mehr als im November 2019: Das Mehrheit der Bevölkerung dazu auch weiter bereit ist, sind 519 000 Familien, die heute Sorge haben, riesige weil sie die Dinge so sieht, dass wir hier mit einer außer- Sorge haben. Andere haben Sorge um ihren Arbeitsplatz. gewöhnlichen Situation konfrontiert werden. Dafür bin Deshalb war es natürlich als Erstes richtig, das Kurzarbei- ich von Herzen dankbar, und das sollten wir alle mit- tergeld einzusetzen. einander sein. Dieses Kurzarbeitergeld ist für sehr viele eine Brücke. Gerade nach den Einschränkungen, die wir jetzt im (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- November und Dezember vornehmen müssen, haben neten der SPD, der FDP, der LINKEN und des wir wieder 537 000 neue Anmeldungen allein im Novem- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ber gehabt. Das zeigt: Diese Brücke funktioniert, und sie Aber dieser Dank darf natürlich keine Sonntagsrede muss deshalb auch fortgesetzt werden. Dafür haben wir ja sein; im Gegenzug erwarten die Bürgerinnen und Bürger, die richtigen Rahmenentscheidungen getroffen. dass wir ihre Sorgen und ihre Bedürfnisse in der Gemein- schaft auch ernst nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Das können Es geht darum, den Betroffenen schnell zu helfen; auch Sie ja so gut!) darüber ist gesprochen worden. Das ist natürlich eine Das heißt ganz konkret: Wir müssen jetzt bei der Verab- gigantische Summe von Anträgen, die behandelt werden schiedung dieses Bundeshaushalts an möglichst viele müssen. Vielen geht es zu langsam, aber ich weiß, dass Gruppen in der Gesellschaft denken, die alle Einschnitte hier die Regierung sehr hart arbeitet. Ich bin sehr froh, und Rückschritte im Zusammenhang mit dieser Pande- dass die Abschlagszahlungen jetzt auf 50 000 Euro erhöht mie hinnehmen müssen. werden konnten, sodass die Hilfe da besser ankommt. Lassen Sie mich mit den Älteren beginnen. Meine Meine Damen und Herren, es waren schwere und Damen und Herren, wir alle haben den Älteren und den schmerzhafte Entscheidungen, die wir bis hierher mit ganz Alten in unserem Land viel zu verdanken. Die Pan- den Einschränkungen im November schon treffen muss- demie macht das Leben in Heimen und Einrichtungen ten und die wir dann am 2. Dezember noch einmal ver- einsamer – wir haben oft darüber gesprochen –, und die 24924 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte sind noch belas- dass zum Beispiel jeder Lehrer einen Laptop bekommt, (C) tender, als man sich das eigentlich wünschen würde. bis zu der Umsetzung, dass jeder Lehrer einen Laptop in Wir haben 800 000 Menschen in Deutschland, die in der Hand hält, dauert es in Deutschland immer Monate. Pflegeeinrichtungen leben. Aber wir haben auch Millio- Wir können an allen Stellen schneller werden, aber genü- nen Menschen, die ambulante Pflege in Anspruch neh- gend Geld ist da. men oder durch Familienangehörige gepflegt werden; auch an die sollten wir denken. Wir werden das nächste Jahr zu einer Bildungsoffen- sive im digitalen Bereich nutzen. Wir werden mit den Ich habe vor drei Wochen Gespräche mit Pflegebedürf- Ländern Kompetenzzentren für digitale Bildung entwi- tigen und Pflegekräften geführt. Und ich habe gespürt, ckeln. Wir werden eine digitale Bildungsplattform schaf- unter welch unglaublichem Druck gerade die Pflegekräf- fen, und zwar nicht nur für Schulen, sondern auch für te, aber auch die zu Pflegenden stehen. Die Zahl der Berufsschulen und für andere Bildungsbereiche. Infektionen in den Alters- und Pflegeheimen nimmt besorgniserregend zu. Deshalb müssen wir alles tun: Meine Damen und Herren, wir müssen auf die Fami- Wir haben dafür auch Vorsorge mit Schnelltests getrof- lien achten. Die Familien stehen unter einem besonderen fen, die leider oft nicht so schnell zur Verfügung stehen, Stress und einer besonderen Herausforderung in diesen wie wir uns das wünschen würden, und mit besserer Aus- Zeiten. Da war es absolut richtig, dass wir den Anspruch stattung der Pflegeheime. auf jeweils 15 Kinderkrankentage pro Kind pro Jahr für jedes Elternteil beschlossen haben und für Alleinerzie- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: hende 30 Tage. Jeder ahnt, was jetzt in den Familien los Das hätten Sie schon vor Monaten machen ist, wenn man morgens nicht weiß: Hat das Kind können!) Schnupfen? Kann es in die Schule gehen? Was ist in Aber wir haben hier eine noch wirklich große Aufgabe der Schule los? Was wartet auf uns? vor uns. Diesen Stress, der jetzt gerade in der kalten Jahreszeit Der Hoffnungsschimmer, den wir alle haben, ist, dass da ist, müssen wir uns wirklich immer wieder vor Augen die zügige Impfung von Risikogruppen jetzt Anfang des halten. Aber ich glaube, wir haben für Familien vieles Jahres auch beginnen wird. Ich will an der Stelle aller- getan, was sich in diesem Haushalt auch widerspiegelt: dings sagen: Wir sollten hier an die Dinge sehr realistisch Wir werden das Kindergeld erhöhen. Wir werden den herangehen. Wir werden im ersten Quartal 2021 – das ist Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende verdoppeln. das Winterquartal – noch nicht so viele Impfungen durch- Der Solidaritätszuschlag fällt ab 1. Januar weg. Das führen können, dass wir sozusagen eine signifikante Ver- sind Spielräume für Familien, die absolut wichtig sind. änderung in der Bevölkerung sehen werden. Und deshalb ist dieser Schwerpunkt im Haushalt von (B) (D) (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) großer Bedeutung. Aber wir haben die Chance, gerade Hochbetagte zu imp- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- fen, Pflegekräfte zu impfen und damit da, wo im Augen- ordneten der SPD) blick die meisten Todesfälle auftreten, wirklich schon einen Effekt zu erreichen. Damit wäre schon mal viel Meine Damen und Herren, die Pandemie ist ja nichts, gewonnen. Ich bin den Ländern für die Vorbereitung was sich auf Deutschland beschränkt, sondern wir sind der Impfzentren und die vorbereitenden Arbeiten sehr als Mitglied in der Europäischen Union in die Gesamt- dankbar und natürlich auch dem Bundesgesundheitsmi- herausforderung eingebettet. Deutschlands Stärke ist ja nister. gerade auch die Verankerung in starken europäischen und internationalen Partnerschaften. Deshalb hat uns Meine Damen und Herren, neben den Älteren müssen das natürlich auch in unserer EU-Ratspräsidentschaft be- wir natürlich auch auf die Jüngeren achten. Wir haben als schäftigt. Wir alle hatten uns diese Ratspräsidentschaft Lehre aus dem Frühjahr gesagt: Wir werden alles tun, was wirklich anders vorgestellt. Vieles konnte dabei nicht in unserer Macht steht, um Kitas und Schulen offen zu umgesetzt werden; das ist schade. halten. Das bestimmende Thema war natürlich die Pandemie. (Beatrix von Storch [AfD]: Kniebeugen und Deshalb kann ich sagen, dass wir hier in den letzten Hände klatschen: Bravo!) Monaten besser geworden sind, was die Koordinierung Wir werden alles tun, um Kitas und Schulen offen zu anbelangt: Wir haben jetzt mehrere Videoschalten mit halten. Allerdings gehört in den Wintermonaten auch allen Staats- und Regierungschefs gehabt, wo wir uns das Lüften dazu. immer wieder koordiniert haben. (Zuruf von der AfD: Auch Kniebeugen gehö- Ich will nur daran erinnern, dass unsere Betrachtung ren dazu!) der Zahl der Inzidenzen, zum Beispiel mit 50 als Ziel- Das ist einfach so, weil wir besondere Bedingungen marke, inzwischen in Europa weitestgehend akzeptiert haben. wird, auch von der ECDC, der Europäischen Gesund- heitsbehörde, dass wir mehr Harmonisierung, wenn (Zuruf von der AfD: Kniebeugen und Hände- auch noch keine vollständige, bei Quarantäneregelungen klatschen!) haben, dass es uns jetzt in der zweiten Welle weitestge- Die Pandemie hat manche Defizite offengelegt, an hend gelungen ist, den freien Warenverkehr doch auf- deren Überwindung wir jetzt arbeiten; ich denke an die rechtzuerhalten. Das hat uns ja in der ersten Welle der Digitalisierung. Auch da ist es so: Von der Entscheidung, Epidemie sehr geschadet. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24925

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Es ist eine gute Sache, dass zusammen mit den Mit- schaft sehr intensiv gemacht haben, mit der Türkei in (C) gliedstaaten die Europäische Kommission auch die Impf- einen intensiven Dialog zu kommen, nicht in dem Maße stoffe beschafft hat. Für uns ist manchmal gar nicht so aufgegriffen worden, wie ich mir das gewünscht hätte. ersichtlich, dass das so wichtig ist. Aber für die vielen Die Aktivitäten im südlichen Mittelmeer sind nach wie kleineren europäischen Länder ist es ganz, ganz wichtig, vor da. Zypern hat darunter besonders zu leiden. So wer- dass wir nicht 27-mal die Vertragsverhandlungen mit den wir darüber entscheiden müssen, wie wir weiter vor- jedem Impfstoffhersteller führen, sondern dass wir hier gehen. zu einer fairen Verteilung kommen, dass wir bereits mit sechs Partnern, mit sechs Unternehmen solche Verträge Und da liegt natürlich die Aufgabe des europäischen abgeschlossen haben und dass auch keine Neiddiskussion Finanzrahmens und Aufbaufonds vor uns. Sie wissen, zumindest innerhalb der Europäischen Union aufkom- dass es hier schon im Juli schwierige Verhandlungen men wird bezüglich der Verfügbarkeit dieser Impfstoffe. gab. Es war schon damals absehbar, dass die Geldsum- men alleine nicht das Problem sind, sondern auch die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Frage der Rechtsstaatlichkeit, der Konditionalität eine BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) große Rolle spielt; sie hat uns schon im Juli sehr beschäf- Meine Damen und Herren, morgen wird der Europä- tigt. Das Ganze musste jetzt in einem Rechtsakt umge- ische Rat stattfinden. Ich würde Ihnen gerne mehr erzäh- setzt werden. Ungarn und Polen haben daraufhin gesagt, len, was wir auf diesem Europäischen Rat am Ende, am dass sie dem so nicht zustimmen können. Wir suchen jetzt Freitag, herausbekommen werden. Aber fast alles ist unter Beibehaltung des Rechtsstaatsmechanismus nach noch im Fluss. Wir werden natürlich über die Frage des Lösungen, um diese Blockade aufzuheben. Auch da Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union kann ich Ihnen leider noch nicht sagen, ob das gelingen und die vertraglichen Grundlagen sprechen. Der britische wird oder nicht. Die deutsche Präsidentschaft arbeitet Premierminister wird heute Abend bei der Kommissions- sehr eng zusammen mit dem Rat daran. präsidentin sein. Die Kommission führt für uns die Ver- Das wiederum liegt als Problem vor einer anderen, handlungen. Wir haben da volles Vertrauen. Es gibt nach eigentlich bestimmenden Frage für den morgigen Euro- wie vor die Chance eines Abkommens. Ich glaube nicht, päischen Rat, nämlich der Frage: Wie verpflichtet sich dass wir schon morgen wissen, ob das gelingt oder nicht; die Europäische Union zu ambitionierteren Klimazielen? das kann ich jedenfalls nicht versprechen. Wir arbeiten Am Sonnabend findet eine außerordentliche UN-Konfe- jedenfalls weiter daran. Aber wir sind auch vorbereitet renz statt. Eigentlich haben wir alle gesagt: „Wir wollen auf Bedingungen, die wir nicht akzeptieren können, im Jahre 2020 unsere Ziele erhöhen“, und die Europä- also wenn es Bedingungen von britischer Seite, die wir ische Union steht hier unter Druck. Ich will nur daran nicht akzeptieren können, gibt, einen Weg ohne Austritts- erinnern: China hat gesagt, es werde 2060 CO2-frei sein (B) abkommen zu gehen. Eines ist klar: Die Integrität des (D) und vor 2030 den Peak bei den CO2-Emissionen errei- Binnenmarktes muss gewahrt werden können. chen. Das sind sehr ambitionierte Vorhaben. Wir wissen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie dass die Vereinigten Staaten von Amerika nach dem bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Wechsel der Administration wahrscheinlich wieder GRÜNEN) zurückkehren werden zum Pariser Abkommen. Das heißt, es lasten große Erwartungen auf Europa. Unser Da gibt es eine Reihe komplizierter Fragen, die vor Ziel ist, hier mindestens 55 Prozent für alle Mitgliedstaa- allen Dingen darin bestehen, wie man die Dynamik ten zu vereinbaren. Die jeweiligen rechtlichen Regelun- behandelt. Wir starten jetzt von einem mehr oder weniger gen werden ja dann erst 2021 erarbeitet. Ob uns das gleichen, harmonisierten Rechtssystem. Aber über die gelingt, hängt sehr stark auch davon ab, wie weit wir Jahre werden sich die Rechtssysteme natürlich überall – kommen bei den finanziellen Fragen. im Umweltrecht, im Arbeitsrecht, im Gesundheitsrecht – auseinanderentwickeln. Wie reagiert die jeweils andere Wir wissen leider schon jetzt mit Blick auf die Finan- Seite darauf, wenn sich die Rechtssituation – entweder zen für den Haushalt 2021, dass wir nicht pünktlich star- in der Europäischen Union oder in Großbritannien – ten können mit der mittelfristigen finanziellen Voraus- ändert? Wir können nicht einfach sagen: „Darüber spre- schau und dass die Ausgangssituation, wenn wir keinen chen wir nicht“, sondern wir müssen ein Level Playing Haushalt haben, dann monatlich ein Zwölftel des vergan- Field nicht nur für heute haben, sondern auch für morgen genen Haushaltes bedeutet, der aber geringer wird, weil und übermorgen. Dafür muss man Absprachen treffen, Großbritannien ausgetreten ist. Das bedeutet für viele die festlegen, wie wer reagieren kann, wenn der andere Programme, die auch hier in Deutschland eine große seine Rechtssituation verändert. Ansonsten kommt es Rolle spielen, die Sozialprogramme, die Kohäsionspro- zu unfairen Wettbewerbsbedingungen, die wir unseren gramme, dass erst einmal sehr große Unsicherheit sein Unternehmen nicht zumuten können. Das ist die große, wird. Deshalb müssen wir uns da auf eine schwierige schwierige Frage, die noch im Raum steht neben Fragen Zeit einstellen. der Fischquoten und Ähnlichem. Aber die Frage des fai- Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit, inter- ren Wettbewerbs in sich auseinanderentwickelnden national zusammenzuarbeiten, hat sich während der Pan- Rechtssystemen ist die eigentlich große Frage, auf die demie ja noch einmal verstärkt; wir sehen das. Ein Bei- wir befriedigende Antworten brauchen. spiel, wo uns der Wert globaler Partnerschaften noch mal Wir werden beim Europäischen Rat über die Bezie- richtig vor Augen geführt wurde, sind sicherlich die Ent- hung der Europäischen Union zur Türkei sprechen. Lei- wicklung wirksamer Impfstoffe und ihrer fairen Vertei- der ist das Angebot, das wir zu Beginn unserer Präsident- lung. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir in den G-20- 24926 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Staaten schon im März vereinbaren konnten, dass wir (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (C) eine globale Initiative für die faire Verteilung von Impf- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- stoffen starten werden, den sogenannten ACT-Acceler- ordneten der FDP und der LINKEN) ator mit der Plattform Covax. Wir werden jetzt darauf Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben achten, dass hier auch wirklich genügend Geld ist. Es von einem Wechselbad der Gefühle gesprochen. Das ist noch nicht genügend Geld da. Deutschland hat sich heißt, dass zu dem gesamten Bild auf der anderen Seite allerdings stark beteiligt, damit eben Impfstoffe beschafft eben leider auch gehört, dass die seit dem 2. November werden können, nicht nur für Europa, nicht nur für Groß- geltenden Kontaktbeschränkungen zwar das dramatische, britannien, nicht nur für die Vereinigten Staaten von exponentielle Wachstum der Neuinfektionen in den letz- Amerika, sondern genauso für die Entwicklungsländer. ten Wochen stoppen konnten, dass aber die Trendumkehr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ausgeblieben ist. Die Fallzahlen liegen auf einem viel zu hohen Niveau, und ganz alarmierend ist, wie stark die Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Zahl der Menschen, die intensivmedizinisch behandelt erleben – das spüren wir alle – ganz besondere Wochen. werden müssen, und die Zahl der Menschen wachsen, Wir sind in einer entscheidenden, vielleicht in der ent- die an dem Virus sterben. Ich will es uns noch mal vor scheidenden Phase der Pandemiebekämpfung, und alle Augen führen: Die erste Lesung dieses Haushalts begann historischen Erfahrungen lehren, dass gerade die zweite am Dienstag – da wurde er eingebracht –, dem 29. Sep- Welle einer Pandemie weitaus anspruchsvoller ist als die tember. Da hatten wir 1 827 Fälle an einem Tag, 352 erste. Sie lehren auch, dass eine solche zweite Welle sehr belegte Intensivbetten und 12 Tote. Heute haben wir schmerzhaft sein kann. Deshalb denken wir auch an die 20 815 Fälle – 3 500 mehr als vor einer Woche –, 4 257 Menschen, die Tag für Tag an oder mit dem Virus sterben. belegte Intensivbetten – das ist die Zahl von gestern; die Wir denken an die, die zu dieser Stunde in den Kranken- von heute ist noch nicht da – und 590 Tote. Die Kon- häusern um ihr Leben kämpfen, an die, die alles für sie klusion heißt einfach: Die Zahl der Kontakte ist zu geben, die Ärzte und Pfleger. Und ich sage Ihnen ganz hoch. Die Reduktion der Kontakte ist nicht ausreichend. offen: Das kommt mir in diesen Tagen manchmal etwas zu kurz. Was sich da abspielt, was da geleistet wird, dafür (Beatrix von Storch [AfD]: Das ist nicht erwie- ein herzliches Dankeschön! sen, dass das irgendetwas bringt! – Gegenrufe von der CDU/CSU, der SPD und dem BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, NIS 90/DIE GRÜNEN) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE – Wissen Sie, das ist der Unterschied; das ist ja auch nicht GRÜNEN) so schlimm. Es ist schade, aber es ist nicht so schlimm. (B) Daran sehen wir, dass die zweite Welle dieser Pande- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- (D) mie es in sich hat; das zeigen auch die historischen Erfah- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rungen, und es ist jetzt nicht anders, als es früher war. Wir sowie des Abg. [FDP]) erleben dabei ja so etwas wie ein Wechselbad der Gefüh- le. Auf der einen Seite, finde ich, können wir durchaus Ich glaube an die Kraft der Aufklärung. Dass Europa stolz darauf sein, wozu wir in den letzten zehn Monaten heute dort steht, wo es steht, hat es der Aufklärung zu seit Beginn der Pandemie in der Lage waren, jeder und verdanken und dem Glauben daran, dass es wissenschaft- jede Einzelne von uns, aber auch wir als Gemeinschaft. liche Erkenntnisse gibt, die real sind und an die man sich Wir haben schon ein sehr großes Stück des Weges besser halten sollte. zurückgelegt. Wir hatten es am Anfang des Jahres mit (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- einem ganz unbekannten Virus zu tun. Wir wissen heute KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr viel mehr über die Wege der Infektion, über die sowie bei Abgeordneten der FDP) Möglichkeiten, sich zu schützen, über Symptome und Behandlungswege. Wir konnten zu Beginn des Jahres Und da bin ich ganz sicher. Ich habe mich in der DDR für niemandem sagen, wie schnell es gelingen würde, einen das Physikstudium entschieden – das hätte ich in der alten Impfstoff zu entwickeln. Dass heute in Deutschland an Bundesrepublik wahrscheinlich nicht getan –, weil ich vielen Orten Impfzentren errichtet werden – und zwar mit ganz sicher war, dass man vieles außer Kraft setzen der begründeten Hoffnung, dass dafür auch ein Impfstoff kann, aber die Schwerkraft nicht, die Lichtgeschwindig- da ist –, das ist etwas, was es in einer so kurzen Zeit in der keit nicht und andere Fakten auch nicht. Und das wird Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben hat. Das auch weiter gelten, meine Damen und Herren. Da brau- müssen wir uns vor Augen führen. chen wir uns gar keine Sorgen zu machen. Also: Wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Warum ist (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- das so? Das ist so, weil wir Menschen kreativ sind und weil wir einen unglaublichen Forschergeist haben, weil NIS 90/DIE GRÜNEN) weltweit die besten Wissenschaftlerinnen und Wissen- Weil die Zahlen so sind, wie sie sind, müssen wir etwas schaftler uns gezeigt haben, was im Menschen steckt. tun, und zwar Bund und Länder gemeinsam. Ich kenne Ich bin überzeugt: Wenn diese Pandemie überhaupt die Zuständigkeiten der Länder beim Infektionsschutzge- irgendetwas Gutes hat, dann zeigt sie uns, wozu wir Men- setz – wir haben hier viel darüber gesprochen –, und ich schen imstande sind, wenn wir unser Herz in die Hand achte diese Zuständigkeiten auch. Ich weiß aus den vielen nehmen, wenn wir mit Ausdauer und Kreativität handeln Runden, die wir miteinander hatten: Wir können es nur und wenn wir über Grenzen hinweg zusammenarbeiten. gemeinsam machen. Aber ich kenne natürlich auch meine Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24927

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) besondere Verantwortung, auch die Verantwortung der Aber das ist jetzt etwas, was wir nicht mehr überwinden (C) Bundesregierung, und deshalb halte ich es schon für werden. geboten, dass Sie wissen, was mich leitet. Da will ich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – sagen, dass ich glaube, dass wir gut daran tun, das, was Zuruf von der AfD: Welche Anreize schafft es uns die Wissenschaft sagt, nämlich gestern die Leopoldi- denn, wenn man seine Verwandten Weihnach- na, wirklich ernst zu nehmen. ten treffen will?) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Ich halte es auch für richtig, die Schulen in dieser Zeit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- entweder durch Verlängerung der Ferien bis zum ordneten der LINKEN) 10. Januar zu schließen oder aber Digitalunterricht zu Wir freuen uns, wenn die Wissenschaft einen Impfstoff machen, was auch immer – das ist egal. Wir brauchen entwickelt. Wir freuen uns, wenn wir Menschen haben, aber Kontaktreduzierungen. die bei uns den PCR-Test entwickelt haben. Wenn uns die Ich sage Ihnen, was mir jetzt Sorge macht – darüber Wissenschaftler aber etwas sagen, dann fangen wir an, zu müssen wir sehr schnell in den nächsten Tagen spre- überlegen: Na ja, könnte sein, kann aber auch nicht sein. – chen –, und das ist die Entwicklung im Augenblick: Ich kann nur sagen: Nehmen wir das ernst! 3 500 Fälle mehr als vor einer Woche. Ich weiß, dass (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, wir Bundesländer haben – Sachsen, Thüringen, Branden- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE burg, Sachsen-Anhalt –, in denen wir einen ziemlich GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Götz freien Anstieg der Fälle sehen. Aber selbst wenn wir Frömming [AfD]) die herausrechnen, haben wir immer noch Anstiege. Und bis Weihnachten sind es von heute an noch genau Die Leopoldina hat uns gestern in drei Stufen genannt, 14 Tage – 14 Tage! Wir müssen alles tun, dass wir nicht was jetzt notwendig ist. wieder in ein exponentielles Wachstum kommen. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Sie müssen ent- (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) scheiden, nicht die!) Nun hat uns die Leopoldina gesagt, für diese Zeit soll- Da gibt es eine Entwicklung, über die ich mich sehr freue, ten wir wirklich alle Kontakte, die nicht absolut notwen- und die betrifft die Stufe 2: Was tun wir ab dem dig sind, reduzieren und meiden. 24. Dezember? – Es scheint doch weitgehend unstrittiger zu werden, dass wir danach eine Phase brauchen, viel- (Dr. Götz Frömming [AfD]: Woher wissen Sie, leicht bis zum 10. Januar. dass das was bringen wird?) (B) (Dr. Götz Frömming [AfD]: Die Wissenschaft So hart das ist – und ich weiß, wie viel Liebe dahinter- (D) hat uns doch auch falsch beraten! Warum bringt steckt, wenn Glühweinstände oder Waffelbäckereien auf- die Maßnahme nichts?) gebaut werden –: Wir dürfen nicht vergessen, dass das Ziel heißt: Runter (Zuruf von der AfD: Was wissen Sie denn auf 50 Fälle pro 100 000 in sieben Tagen! schon davon?) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Das verträgt sich nicht mit der Vereinbarung, dass wir der SPD) zum Beispiel Essen nur zum Mitnehmen für den Verzehr zu Hause einkaufen. Es tut mir leid, es tut mir wirklich im Das Ziel heißt nicht, nach Tagen zu rechnen. Das Ziel Herzen leid, heißt, nach Resultat zu rechnen; sonst entgleitet uns die Pandemie wieder und wieder. Wir können den Menschen (Zuruf von der AfD: Ja, klar!) nicht zumuten, sie immer wieder darüber im Unklaren zu aber wenn wir als Preis dafür Todeszahlen von 590 Men- lassen. Das ist ganz, ganz wichtig. schen am Tag in Kauf nehmen sollen, dann ist das nicht (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem akzeptabel aus meiner Sicht. Und deshalb müssen wir da BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- ran! ordneten der LINKEN – Peter Boehringer (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- [AfD]: Das ist rein theoretisch, was Sie hier KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) faseln!) Wenn die Wissenschaft uns geradezu anfleht, vor Deshalb sind die Empfehlungen meiner Meinung nach Weihnachten, also bevor man Oma und Opa und andere richtig, dann die Geschäfte zu schließen und die Zahl ältere Menschen sieht, eine Woche der Kontaktreduzie- der Menschen, die sich treffen, so klein wie möglich zu rung zu ermöglichen, dann sollten wir vielleicht doch halten. Wir haben Regelungen getroffen, dass zu Weih- noch mal nachdenken, ob wir nicht irgendeinen Weg fin- nachten Familienfeste möglich sein sollen; aber ich den, die Ferien nicht erst am 19. Dezember beginnen zu appelliere an jeden, hier wirklich vorsichtig zu sein. lassen, sondern vielleicht schon am 16. Dezember. Was Und ich sage es noch einmal – ich habe es schon öffent- wird man denn im Rückblick auf ein Jahrhundertereignis lich gesagt, aber ich sage es auch hier noch mal –: Ich einmal sagen, wenn wir nicht in der Lage waren, für diese halte die Öffnung von Hotels für die Übernachtung von drei Tage noch irgendeine Lösung zu finden? Verwandten für falsch, weil sie wieder Anreize schafft, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem die vielleicht nicht notwendig sind. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Wahnsinn!) [DIE LINKE]) 24928 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Es mag ja sein, dass die Aufhebung der Schulpflicht das dert, auch Rücksicht zu nehmen auf unsere älteren Fami- (C) Falsche ist; dann muss es eben der Digitalunterricht oder lienangehörigen. Wir müssen weiter gemeinsam auf Ver- sonst etwas sein. Ich weiß es nicht; das ist auch nicht antwortungsgefühl, auf Vernunft und auf Vorsicht setzen. meine Kompetenz, da will ich mich nicht einmischen. Der Umgang mit Corona ist auch Ausdruck der sittlichen Ich will nur sagen: Wenn wir vor Weihnachten zu viele Reife eines jeden Einzelnen. Kontakte haben und es anschließend die letzten Weih- nachten mit den Großeltern waren, dann werden wir (Beifall bei der FDP) etwas versäumt haben. Das letzte Mal haben wir eine Debatte kurz nach einer (Lachen der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD]) Bund-Länder-Runde geführt; nun führen wir eine Debat- te vermutlich kurz davor. Die ursprünglich für den Das sollten wir nicht tun, meine Damen und Herren! November geplanten Freiheitseinschränkungen wurden (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- zwischenzeitlich schon bis in den Januar ausgedehnt. KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Verschiedene Länder haben die für den Dezember Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) beschlossenen Maßnahmen inzwischen zum Teil ver- bindlich verschärft, und die Frau Bundeskanzlerin hat Die Leopoldina hat auch recht, wenn sie uns mahnt, sich hier heute die Empfehlungen der Leopoldina zu nach der Zeit des Zurückfahrens die möglichst höchste eigen gemacht, einen tiefgreifenden und länger andauern- Berechenbarkeit für die weiteren Maßnahmen aufzuzei- den Lockdown in unserem Land zu beschließen. Unab- gen. Wenn wir ganz realistisch sind, dann sehen wir: Die hängig von der Bewertung – dazu später im Einzelnen – Winterzeit geht bis Mitte März. Das ist eine überschau- zeigt sich: Die Halbwertszeit der Ankündigungen, Erklä- bare Zeit von Anfang Januar bis Mitte März, und das rungen und Verhaltensregeln wird immer kürzer. Damit kriegen wir hin. Wir werden dann nach menschlichem wird auch die wichtigste Ressource in dieser Krise immer Ermessen einen Impfstoff haben, und dann wird sich knapper, nämlich die Berechenbarkeit staatlichen Han- die Lage von Monat zu Monat verbessern. delns. Wir müssen uns jetzt noch ein Mal anstrengen. Wir (Beifall bei der FDP) haben jetzt schon so viele Monate mit diesem Virus ver- bracht, und wir haben doch gelernt: Wir können etwas Herbst und Winter kamen offenbar so überraschend, dagegen tun! Es ist ein bisschen unmenschlich, dass ich dass wir nun wieder genau dort sind, wo wir im Frühjahr immer auf Distanz gehen muss, dass ich niemanden tref- schon einmal waren. fen soll, und wenn, dann nur mit Schutzvorrichtung – das (Saskia Esken [SPD]: Oh! Oh! Oh!) ist richtig –, mit dem Mund-Nase-Schutz. Aber das ist ja (B) auch nichts, was unser Leben total zerstört. Deshalb soll- Man kann, man darf einer Regierung nicht zum Vorwurf (D) ten wir schauen, dass wir nicht zu viele Menschenleben machen, dass wir in einer Pandemie leben. Das kann und zerstören und gleichzeitig – das wissen wir ja – auch die darf man ihr nicht zum Vorwurf machen. Aber man muss Wirtschaft am Laufen halten. In diesem Sinne bitte ich kritisieren, dass der Sommer und viele Monate und die Sie, auch die nächsten, nicht einfachen Tage mit uns Möglichkeiten des Gesamtstaates nicht genutzt wurden, gemeinsam durchzustehen. um genau diese Situation, vor der wir jetzt stehen, abzu- wenden. Herzlichen Dank. (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU (Beifall bei der FDP – Ralph Brinkhaus [CDU/ und der SPD – Beifall bei Abgeordneten des CSU]: Gott sei Dank haben wir damals nicht BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auf die FDP gehört!) – Ja, in der Tat, Herr Brinkhaus, wir haben bereits im Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Frühjahr dringend dazu aufgerufen, flächendeckend die Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden Versorgung mit FFP2-Masken sicherzustellen. der FDP, Christian Lindner. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sie wollten die (Beifall bei der FDP) Pandemie für beendet erklären!) Wir haben schon im Frühjahr angeregt, auch die Kapazi- Christian Lindner (FDP): täten der Veterinär- und Zahnmedizin zu nutzen, um die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Testkapazitäten auszuweiten. Coronapandemie beschäftigt uns nun bald ein Jahr. Wir (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja! Ja!) haben viel gelernt. Eine anfängliche Hoffnung hat sich nicht bestätigt, nämlich dass es eine harmlose Erkran- Insofern sollten Sie nicht den Eindruck erwecken, es habe kung sei. Im Gegenteil ist Covid-19 nicht nur, aber insbe- keine Hinweise und unterstützenden Stimmen gegeben. sondere für Menschen mit einer Vorerkrankung oder (Beifall bei der FDP – Annalena Baerbock höherem Lebensalter eine ernstzunehmende oder auch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jede Woche tödliche Gefahr. Die Reduzierung von Kontakten, Frau die Meinung ändern!) Bundeskanzlerin, ist deshalb notwendig. Es ist notwen- dig, Abstand zu halten, Maske zu tragen, auf die Hygiene Der bayerische Ministerpräsident hat sogar schon mit zu achten, die Warn-App zu nutzen und zu lüften, wo großer Geste neue Maßnahmen beschlossen. Der Kollege immer das möglich ist. Gerade vor Weihnachten als Mützenich hat das Auftreten als theatralisch bezeichnet; dem Familienfest sind wir alle in besonderer Weise gefor- das möge jeder für sich beurteilen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24929

Christian Lindner (A) (Dr. [DIE LINKE]: Da hat er Bei besonders extremen Infektionslagen mit einer (C) recht!) Inzidenz von über 200 Neuinfektionen … und diffu- sem Infektionsgeschehen sollen die umfassenden Aber welche Wirkung soll beispielsweise eine Ausgangs- allgemeinen Maßnahmen nochmals erweitert wer- sperre von 21 Uhr bis 5 Uhr morgens haben? Vom Gass- den, um kurzfristig eine deutliche Absenkung des igehen mit dem Hund um den Block geht jedenfalls keine Infektionsgeschehens zu erreichen. Infektionsdynamik aus. Damit liegt eine Regelung für ein regional differenziertes (Beifall bei der FDP) Handeln gegen steigendes Infektionsgeschehen doch auf Das sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Not- dem Tisch. Warum setzen Sie nicht einfach das um, was wendigkeit der Kontaktbeschränkungen und der Pande- Sie bereits in der Bund-Länder-Runde beschlossen hat- miebekämpfung, rein symbolische Einschränkungen, ten? (Ulli Nissen [SPD]: Unfug!) (Beifall bei der FDP) die erstens unwirksam sind, zweitens unverhältnismäßig Aus unserer Sicht sind nicht pauschale und flächen- in die Freiheit der Menschen eingreifen und die drittens deckende Maßnahmen nötig, sondern regionales und dem Publikum ein planvolles Vorgehen nur simulieren vor allem berechenbares Handeln. Wir hatten mit unseren sollen. Das braucht niemand. Anträgen zum § 28a des Infektionsschutzgesetzes Vor- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schläge gemacht, wie wir Bevölkerung und Behörden der AfD – Ulli Nissen [SPD]: So ein Unfug!) mit einer klaren Wenn-dann-Zuordnung Handlungssi- cherheit geben könnten. Genau diese Berechenbarkeit Vom Bundesgesundheitsminister hat neulich ein Zitat fehlt nun. Liebend gern würden wir darauf verzichten, Karriere gemacht. binnen nur drei Wochen die praktische Bestätigung für Man würde mit dem Wissen heute, das kann ich unsere Befürchtung erhalten zu haben. Ihnen sagen, … keinen Einzelhandel mehr schlie- (Beifall bei der FDP) ßen. Das wird nicht noch mal passieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Werbespot der Das sagte Anfang September im Rückblick Bundesregierung zu besonderen Helden der Pandemie auf das Frühjahr. Wie lautet wenige Wochen später die war gewiss amüsant gemeint. aktuelle Fassung davon? Etwa so: Mit dem Wissen von heute würde man gestern nicht mehr gesagt haben, dass (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Eine Frech- die Entscheidung vorgestern unnötig war. heit war er!) (B) (D) (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) In diesem Haus denken die allermeisten, wenn nicht wir Niemand wirft der Regierung vor, Entscheidungen alle, bei Coronahelden vermutlich zuerst an die Beschäf- unter Unsicherheit zu treffen und sich zu korrigieren. tigten in Heilberufen, an diejenigen, die in unserem Land den Alltag aufrechterhalten; wir denken bei Coronahel- ( [CDU/CSU]: Machen Sie doch den auch an diejenigen, die sich trotz der Gefährdung der gerade!) eigenen wirtschaftlichen Existenz den Mut nicht nehmen – Nein, das mache ich nicht. – Ich werfe etwas anderes lassen. Das sind die Helden! Im Spot bestand das Helden- vor: Die fortwährende Korrektur der Korrektur wirft Fra- tum des Studenten darin, faul wie ein Waschbär auf der gen nach der wissenschaftlichen Evidenz aller Maßnah- Couch zu liegen. Viele Studierende bemühen sich müh- men auf – nach wenigen Wochen. sam um Kontakt zu Dozenten und vermissen digitale Lernangebote schmerzlich. Wer den Verlust von Lebens- (Beifall bei der FDP und der AfD – Ralph zeit fürchten muss, der wird über die Einladung zum Brinkhaus [CDU/CSU]: Um Gottes willen!) Gammeln auf der Couch nicht unbefangen lachen kön- Dabei hat Jens Spahn ja recht: Unverändert fehlt der nen. Beleg für pauschale Gefahren, die von der Kultur, von (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Museen, von der Speisegastronomie mit Hygienekonzep- der AfD) ten, von Kosmetikstudios oder Schulen ausgehen sollen. Aber darum geht es nicht. Das ist geschenkt! Aber – das ( [CDU/CSU]: Das sieht Ihr ist eben noch einmal zum Ausdruck gekommen – dieser Minister in Rheinland-Pfalz aber ganz anders!) Clip bringt die Krisenstrategie der Bundesregierung auf Und nun geht es an den Handel; für den gilt dasselbe. den Punkt: der Stillstand als nationale Kraftanstrengung. (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE Frau Bundeskanzlerin, nun steht uns ja ein weiteres GRÜNEN]: Sie haben die ganze Dynamik Kapitel bevor, wie Sie hier eben dargelegt haben. Manche nicht verstanden!) haben schon vor dem Ratschlag der Leopoldina mit Frankreich argumentiert. Dort gab es einen mehrwöchi- Unverändert fehlt eine dauerhaft durchhaltbare Strategie, gen harten Lockdown, um die Fallzahlen zu reduzieren. die auf wissenschaftlich begründete Maßnahmen setzt. Jetzt wird bei uns der Eindruck erweckt, es würde aus- Kein Zweifel: Bei hohem Infektionsgeschehen sind reichen, einmalig bis zum 10. Januar zu schließen, um regional weitere Reduzierungen der Kontakte nötig. So danach wieder eine Form der Normalität zu erreichen. hatten wir den Beschluss der Bund-Länder-Runde indes- sen auch verstanden. Zitat: (Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch Unfug!) 24930 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Christian Lindner (A) Daran habe ich in der Tat Zweifel; denn ausgerechnet und indem wir Menschen im Alltag, Frau Bundeskanzle- (C) gestern kamen die aktuellen Zahlen aus Frankreich, und rin, nicht zumuten, jetzt draußen im Kalten vor dem Han- leider steigt dort die Zahl der Neuinfektionen wieder. Das del in einer Schlange zu stehen – möglicherweise achtet wird man beobachten müssen. auch nicht jeder auf den Abstand –, um danach nahezu allein einkaufen zu gehen, nachdem man zuvor auch eng (Ulli Nissen [SPD]: Was ist denn Ihr Plan?) sitzend im Bus angereist war. Da haben wir im Alltag – Dazu gleich. bessere Möglichkeiten, um den Menschen zu helfen. (Ulli Nissen [SPD]: Da bin ich aber gespannt! – Aktuell setzen wir jeden Monat rund 20 Milliarden Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: So viel Euro ein, um die Einnahmeverluste für die pauschalen Redezeit haben Sie gar nicht!) Schließungen zu kompensieren. Was hätten wir mit die- sem Geld alles tun können? Wir hätten Taxigutscheine Damit ist doch klar: Ohne einen umfassenden Einsatz finanzieren können, Schulen und Altenheime mit Luft- des Impfstoffs, der noch lange auf sich warten lassen filtern ausstatten können, Testkapazitäten ausweiten kön- wird, gibt es keine Garantie, dass aus kurzer Härte nach- nen. Da ist der Unterschied: Sie setzen Milliarden ein, um haltiger Erfolg wird. die Schäden des Stillstands zu dämpfen. Wir wollen Mit- (Peter Boehringer [AfD]: Hört! Hört!) tel einsetzen, um öffentliches Leben zu erhalten – dort, wo es möglich ist. Im Gegenteil: Es ist unsicher, ob nicht die kurze Härte zu einer langen Härte werden muss. (Beifall bei der FDP) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was ist Das wäre im Übrigen auch für den Steuerzahler langfris- denn Ihr Vorschlag?) tig der bessere Weg. Danach ist dann nur eines sicher, nämlich der hohe sozia- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE le und wirtschaftliche Schaden durch den Stillstand des GRÜNEN]: Was für eine misslungene Rede!) Landes. Wir haben konkrete Maßnahmen ganz konkret in den (Beifall bei der FDP – Ulli Nissen [SPD]: Und Haushaltsberatungen beantragt. wenn Menschen sterben, was ist das? Was sagen Sie zu den Toten?) (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede ist nicht mehr zu retten!) Deshalb sollten wir vor einer Bund-Länder-Runde mit- einander besprechen, ob es strategische Alternativen gibt. Das RKI hat 68 zusätzliche Stellen für die Informations- (B) technik beantragt; denn ein großes Problem der Nachver- (D) (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Jetzt sind wir folgung von Infektionsketten ist doch, dass noch mit Fax gespannt!) und unzureichender IT gearbeitet wird. Was hat die Groß- Ja, wir brauchen Distanz im Alltag. Aber wir bleiben e Koalition gemacht? Trotz Milliarden Mehrausgaben: dabei angesichts der Zahl der Toten und wer betroffen ist, Von den 68 vom RKI beantragten Stellen haben CDU/ angesichts der Zahl der Hospitalisierung und wer hospi- CSU und SPD gerade einmal vier Stellen genehmigt, und talisiert ist, angesichts des besonderen Risikos, das ältere das ist eine krass falsche Schwerpunktsetzung. Da ist von Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen tragen: Ihnen an der falschen Stelle gespart worden. Der Kernpunkt der Krisenbewältigung, wenn sie dauer- haft durchhaltbar sein soll, muss der Schutz der besonde- (Beifall bei der FDP) ren Risikogruppen sein. Sie gehören in das Zentrum Wir haben konkret beantragt, 1 Milliarde Euro zur Ver- staatlichen Handelns. sorgung der vulnerablen Gruppen mit FFP2-Masken bereitzustellen, nachdem Sie, Frau Bundeskanzlerin, in (Beifall bei der FDP und der AfD) der letzten Debatte gesagt haben, die normalen Alltags- Jetzt ist hier gesagt und oft genug vorgetragen worden, masken böten zum Beispiel beim Einkauf keinen hin- dabei handele es sich nach der Zahl des Gemeinsamen reichenden Schutz. Das haben wir ernst genommen, und Bundesausschusses um 27,35 Millionen Menschen, die wir haben daraus die Konsequenz gezogen, dass wir die könne man ja gar nicht alle schützen. Dabei weiß die staatlichen Mittel dort einsetzen müssen, damit den Men- Regierung selber es besser. Frau Bundeskanzlerin, mit schen mit höherem Schutzniveau ein Alltagsleben Ihrer Rechtsverordnung zum Impfen, mit Ihrem Impfplan ermöglicht wird. haben Sie ja bereits eine Clusterung nach unterschied- lichem Risikoprofil vorgelegt. Da sind zum einen die (Beifall bei der FDP) Menschen mit Vorerkrankungen und die Hochbetagten; Die Folgen Ihrer Strategie, meine Damen und Herren, die haben ein anderes Risikoprofil als noch sportive Mitt- sind sechziger. Das entnehme ich Ihrer Impfstrategie. Aus diesem Grund kann und muss sich der Schutz vulnerabler (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Jetzt knallt Gruppen auch praktisch bewähren, indem wir dafür sor- es!) gen, dass zum Beispiel in Altenpflegeheimen die von Herrn Brinkhaus in der letzten Debatte angesprochenen am Haushalt ablesbar: 180 Milliarden Euro neue Defizite beseitigt werden, Schulden. Die wirklichen Folgen für den Arbeitsmarkt und die deutsche Wirtschaft werden wir erst langfristig (Beifall bei der FDP) im nächsten Jahr und in den nächsten Jahren sehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24931

Christian Lindner (A) Wir würden milder über die Schulden urteilen, Frau Das habe ich noch gar nicht gewusst, Herr (C) Bundeskanzlerin, wenn die Hilfsprogramme wenigstens Lindner!) ankämen. Es wurden aber großzügige Hilfen in Aussicht Wenn Sie also die Grenzen der fiskalischen Leistungs- gestellt. Ich sage weiter: Damit wurde auch ein gewisses fähigkeit unseres Staates zu Recht betonen, dann müssen Stillhalten von Ländern und Branchen erreicht. Doch was Sie auch die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen. ist daraus geworden? (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Gut, dass Sie (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie wollen es mir erklärt haben!) sie kürzen!) 180 Milliarden Euro Neuverschuldung, die höchste Von den Hilfen ist nichts ausgezahlt worden. Neuverschuldung! Diese Zahl ist noch unvollkommen; (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie wollen denn hinzu kommen noch unsere Haftungsverpflichtun- Milliarden kürzen!) gen, beispielsweise für „Next Generation EU“, das 750- Milliarden-Euro-Programm der Europäischen Union. – Wir wollen keine Hilfen kürzen, Herr Schneider. Nun, vor diesem Hintergrund, angesichts dieser enormen (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Natürlich!) Dimension, sagt der Bundesfinanzminister: Die Grenze der Verschuldung ist nicht erreicht. – Für mich ist das Wir wollen, dass die Hilfen tatsächlich ankommen. keine Entwarnung, sondern ganz im Gegenteil: Das Deshalb ist unser konkreter Vorschlag: Folgen Sie dem klingt für mich geradezu wie die Rechtfertigung zusätzli- Rat der Länderwirtschaftsministerinnen und -wirtschafts- cher Schulden. Herr Scholz, die Grenze der Verschuldung minister! Erhöhen Sie die Abschlagszahlungen auf darf in Deutschland niemals überhaupt in Sicht geraten. 500 000 Euro! Und fassen Sie die November- und Das heißt nämlich nicht nur etwas für unsere eigene Dezemberhilfe in einer Hilfe zusammen, die unbürokra- Schuldentragfähigkeit. tisch ausgezahlt werden kann, damit aus der Infektions- welle nicht eine Pleitewelle wird! Wir wirtschaften hier doch nicht allein nur für uns. Die Bonität und die fiskalische Stabilität der Bundesrepublik (Beifall bei der FDP) Deutschland haben doch eine enorme Bedeutung für die Wirtschafts- und Währungsunion insgesamt. Wo steht Der Finanzminister könnte und sollte sich öffnen, denn die Wirtschafts- und Währungsunion in Europa wenn auch der Wirtschaftsminister sich inzwischen dafür ohne „AAA+“-Bonität Deutschlands? Wir haben eine ausspricht, den steuerlichen Verlustrücktrag auszudeh- fiskalische Vorbildfunktion für andere in Europa. Des- nen. Herr Scholz, ich weiß nicht, warum sich Ihr Haus halb müssen wir weiter der Stabilitätsanker der Europä- dagegen sperrt. Es ist ein reiner Liquiditätseffekt für den ischen Union, der Wirtschafts- und Währungsunion blei- Staat; denn ob die Verluste dieses Jahres in der Zukunft (B) ben. Deshalb dürfen wir nicht mehr Schulden machen als (D) genutzt werden oder ob die Verluste dieses Jahres gegen überhaupt nur notwendig. die vergangene Steuerschuld angerechnet werden, ist für die Liquidität des Staates ein Unterschied, aber nicht für (Beifall bei der FDP) das Steueraufkommen insgesamt. Es gibt nur einen ein- Schon jetzt wird in Italien darüber gesprochen, zu zigen Unterschied: Zukünftig Steuern zahlen können nur einem Schuldenerlass zu kommen. Unsere französischen Betriebe, die es dann überhaupt noch gibt. Partner und Freunde sprechen offen darüber – wie in (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Deutschland übrigens die Grünen –, dass man doch der AfD) nach der Coronapandemie nicht mehr zu den Stabilitäts- regeln des Vertrages von Maastricht zurück kann. Des- Deshalb sollten Sie einen Beitrag dafür leisten, dass diese halb geht es nicht nur um die aktuellen Hilfen jetzt, nicht Betriebe über diese schwierige Zeit kommen. nur um die deutsche Schuldentragfähigkeit, nicht nur um Das Dilemma Ihrer Krisenpolitik ist, dass das Schlie- Fairness gegenüber unseren Steuerzahlenden, nicht nur ßen und Kompensieren des Einnahmeausfalls selbst in um Fairness gegenüber der nächsten Generation. Es der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt irgendwann geht um die Integrität und Zukunftsfähigkeit der europä- an Grenzen stößt. In bemerkenswerter Offenheit hat das ischen Wirtschafts- und Währungsunion insgesamt. Die der Kollege Brinkhaus in der Debatte in der letzten Sit- Coronakrise darf nicht der Ausgangspunkt der nächsten zungswoche auch gesagt. Er hat gesagt: Ab dem nächsten Euro-Schuldenkrise werden. Jahr könnten sich die Länder nicht mehr darauf verlassen, (Beifall bei der FDP) dass aus dem Bundeshaushalt allein die Hilfen geleistet werden. – Herr Brinkhaus, da haben Sie in der Tat die Aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, Grenzen dessen, was fiskalisch möglich ist, angespro- hat unsere Fraktion konkret in über 527 Änderungsan- chen. Nur, ob es aus dem Bundeshalt oder aus den Län- trägen zum Entwurf des Bundeshaushaltes 2021 darge- derhaushalten geleistet wird, ist am Ende einerlei; denn legt, dass es möglich ist, die Schuldenaufnahme zu hal- für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist es die glei- bieren, che Steuerlast, die sie tragen müssen. Die Steuerzahler- (Peter Boehringer [AfD]: Ja, auf 100 Milliar- innen und Steuerzahler stehen nämlich dem Gesamtstaat den!) gegenüber und nicht den Länderhaushalten oder dem Bundeshaushalt. und zwar ohne Voodoo und Zaubertricks. 20 Milliarden Euro alleine sind die Ausgabenreste des Jahres 2020. Gut (Beifall bei der FDP – Ralph Brinkhaus [CDU/ 50 Milliarden Euro ist die Asylrücklage, die wir natürlich CSU]: Mensch, vielen Dank für die Belehrung! zur Reduzierung der Neuverschuldung in diesem Jahr 24932 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Christian Lindner (A) auflösen wollen. Sie wollen sie bis ins Jahr 2022 mit- – Ach, wissen Sie, ich bin da total entspannt. Ich würde (C) tragen, als Rücklage. Ja, da ahnt man doch, um was es nur gerne einmal einen praktischen Vorschlag für eine geht: dass nach der nächsten Bundestagswahl noch Mil- Vermögensteuer sehen, der nicht einen bürokratischen liardensummen als Wahlkampfkonto zur Verfügung ste- Tsunami auslöst, der mehr Kosten verursacht, als Ein- hen. Notkredite, wie wir sie jetzt aufnehmen, dürfen aber nahmen erzielt werden. nur aufgenommen werden, wenn danach auch alle Rück- (Beifall bei der FDP) lagen im Haushalt aufgelöst sind. Wir könnten über einen solchen konkreten Vorschlag (Beifall bei der FDP und der AfD) sprechen, den gibt es aber nicht. Das ist auch ein Gebot der Haushaltswahrheit und -klar- Bündnis 90/Die Grünen sagen, sie wollen die Steuern heit. Das sagen nicht nur wir, sondern das schreiben erhöhen, unter anderem vielleicht auch, um die neue Leit- Ihnen auch führende Verfassungsrechtler – gestern noch idee des bedingungslosen Grundeinkommens zu finan- in einem bemerkenswerten Interview in der „Frankfurter zieren. Allgemeinen Zeitung“ – ins Stammbuch. Also: Eine Hal- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bierung der Schulden ist möglich. NEN]: Ach, Herr Lindner! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Davon haben Sie Dann wird es darum gehen: Wie gelingt die dauerhafte überhaupt keine Vorstellung, was das ist!) Sanierung der öffentlichen Finanzen nach der Pandemie? Der Bundesfinanzminister hat völlig zu Recht gesagt: Gestern sagte ein Haushaltspolitiker der Grünen, nach der Wir müssten aus unseren Schulden herauswachsen, also Krise dürfe man doch um Gottes willen nicht zur Politik eine wachstumsorientierte Politik machen bei zugleich der schwarzen Null zurückkehren, wegen der Investitio- wieder neuer finanzieller Solidität. – Das war eine Strate- nen. gie, wie sie nach 2010 unter der Ägide des Bundesfinanz- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ministers Wolfgang Schäuble erfolgreich umgesetzt wor- Richtig so!) den ist – aber unter ganz anderen Voraussetzungen. Damals haben wir Haushalte sanieren können, weil auf- Ich bin auch für Investitionen. grund der Euro-Krise die Zinsen nach unten gegangen (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE sind, wir die Zinsgewinne nutzen konnten. Das steht nicht GRÜNEN]: Seit wann denn das?) mehr zur Verfügung. Ich glaube auch, dass wir in den öffentlichen Haushalten einen Schwerpunkt im investiven Bereich setzen müssen, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Die Wehr- nachdem wir fast ein Jahrzehnt konsumtive Ausgaben pflicht habt ihr abgeschafft! Die Wehrpflicht!) (B) gesehen haben, insbesondere im Bereich der Rentenpoli- (D) Die Zinsen werden nicht sinken, sondern es bestehen tik, die nun wie eine Hypothek im nächsten Jahrzehnt die Risiken, dass sie vielleicht dereinst wieder steigen könn- öffentlichen Haushalte belasten werden. ten. (Peter Boehringer [AfD]: Also wollen Sie die Wir hatten die breiten Schultern der Babyboomer mit Renten streichen?) ihrer gesamten finanziellen Feuerkraft ein Jahrzehnt zur Dennoch gibt es einen Bewertungsunterschied. Sie set- Verfügung. Die wechseln jetzt aber auf die Seite der zen bei Investitionen – das ist Ihre DNA, und das sei Bezieher von Ruhestandseinkommen; die gehen in den Ihnen zugestanden – auf den Bereich der öffentlichen Ruhestand. Wir hatten noch die Reformdividende der Investitionen, inklusive der Investitionslenkung durch Agenda 2010. Die ist reichlich genutzt und verbraucht den Staat, worden, steht jetzt aber nicht mehr zur Verfügung. Des- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE halb wird uns allen gemeinsam in diesem Haus mit dem GRÜNEN]: Ja!) nächsten Haushalt, dem Haushalt für 2022 – jeder hat seine Meinung dazu –, ein vollkommen neuer Aushand- der Planung der Transformation am wortwörtlichen grü- lungsprozess bevorstehen, wie wir öffentliche Finanzen nen Tisch. Das kann man auch so wollen. Wir setzen aber neu aufstellen, wie wir die Investitionsbedürfnisse von auf ein anderes Konzept. Wir setzen auf die soziale Staat und Privat neu ausbalancieren. Marktwirtschaft, in der der Staat gute Rahmenbedingun- gen dafür setzt, dass private Investitionen Zukunft schaf- Inzwischen sehen wir auch schon, in welche Richtung fen. das geht: Die Sozialdemokratie und der Finanzminister (Beifall bei der FDP) sprechen darüber, eine Vermögensteuer einführen zu wol- len. Dann haben wir im Übrigen auch die Möglichkeit, öffent- liche Verschuldung entbehrlich zu machen, weil Deutsch- (Ulli Nissen [SPD]: Gute Idee!) land endlich wieder attraktiv für ausländische Direktin- vestitionen werden könnte, die in unser Land fließen. – Ja, aber stellen Sie sicher, dass es überhaupt noch Ver- Davon haben wir gegenwärtig zu wenig. mögen gibt, die man besteuern kann! Immerhin die CDU sagt, sie schließt Steuererhöhun- (Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD und gen aus. Wir erinnern uns allerdings auch an das der LINKEN: Oh! – Matthias W. Birkwald Jahr 2005, als trotz des Ausschlusses von Steuererhöhun- [DIE LINKE]: Heul doch! – Ulli Nissen gen danach die Mehrwertsteuer erhöht worden war. Also: [SPD]: Peinlich! Peinlich!) Wir werden sehen, in welche Richtung es geht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24933

Christian Lindner (A) Für uns ist klar: Wir werden die wirtschaftliche Erho- die Demokratie zu stärken? Und: Welche Impulse sollen (C) lung nicht erreichen, indem wir den Bürgerinnen und wir der internationalen Politik geben, wenn die USA bald Bürgern und Betrieben zusätzliche Belastungen in Aus- wieder einen glaubwürdigen Präsidenten haben? sicht stellen. Dafür kann jeder werben. Wer das will, möge in diesem Land für diese Position werben. Unsere Deswegen sage ich direkt zu Beginn: Vor dem Hinter- ist eine andere. Unsere Position ist, dass die Bürgerinnen grund der Zahlen und der Belastungen unseres Gesund- und Bürger Vertrauen verdient haben; das haben sie wäh- heitswesens sind weitere Beschränkungen geboten und rend der Pandemie gezeigt. Unsere Position ist, dass verantwortbar. Meine Fraktion unterstützt entsprechende Erfindergeist à la BioNTech Zukunft schafft. Deshalb Überlegungen und Beschlüsse. Ich bin mir sicher: Die braucht unser Land eine Offensive für die Entfesselung rechtlichen Grundlagen dafür sind vorhanden. genau dieser Kreativität und wirtschaftlichen Dynamik: Eine weitere Antwort auf die Herausforderung durch durch weniger Bürokratie, die Pandemie ist in der Tat ein starker Haushalt, aber (Beifall bei der FDP) gleichzeitig auch ein anspruchsvoller Sozialstaat. Ohne diese beiden Komponenten können Sozialdemokratinnen durch die Senkung von Steuern und Abgaben, durch eine und Sozialdemokraten nicht verantworten, dass wir einen Initiative für Forschungsfreiheit und für weltweiten Han- Haushalt beschließen. Ich bin fest davon überzeugt: Es ist del. Vielleicht bietet ein Jahrzehnt „Politik ohne Geld“ gelungen, diese Komponenten zusammenzubringen. auch die Möglichkeit der Rückbesinnung auf die freiheit- liche Wirtschaftsordnung. Auf der einen Seite investieren wir in eine Gesund- (Anhaltender Beifall bei der FDP – Saskia heitsversorgung, die wir weiterhin stärken müssen. Wir Esken [SPD]: Genau!) kämpfen aber auch dafür – Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es erwähnt –, dass Menschen in Beschäftigung gehalten werden und sich gleichzeitig qualifizieren kön- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: nen. Frau Bundeskanzlerin, ich war dabei und kann Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der SPD, sagen, dass es nicht so einfach gewesen ist, mit dem Dr. Rolf Mützenich. Koalitionspartner die damalige Befristung der Kurzarbeit (Beifall bei der SPD) so einfach langfristig zu verlängern. Im Koalitionsaus- schuss haben wir darum gerungen, und ich bin stolz, dass es uns beiden am Ende gelungen ist. Dr. Rolf Mützenich (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der SPD) Kollegen! Das ist der letzte ordentliche Haushalt, den (B) dieser Bundestag beschließen wird. Die Einzelpläne ste- Auf der anderen Seite steht auch wirtschaftliche Sub- (D) hen einerseits im Zeichen der existenziellen Herausfor- stanz hinter den Überlegungen und den Beschlüssen zu derung durch die Pandemie und andererseits für den diesem Haushalt. Wir wollen wirtschaftliche Substanz Beginn eines Jahrzehnts, in dem wir die Weichen für sichern, weil wir, wenn die Krise beendet ist, dieses wirt- eine sich wandelnde Arbeitswelt und klimaschonendes schaftlich leistungsfähige Land auch schnell wieder Wirtschaften stellen müssen. Dies spiegelt dieser Haus- hochfahren wollen. Gleichzeitig dürfen wir dabei nicht halt wider. Deswegen möchte ich mich insbesondere an vergessen – auch dafür steht dieser Haushalt –: Wir sind die Haushälterinnen und Haushälter wenden und danke in einem Jahrzehnt der Veränderungen, und deswegen für konzentriertes, verantwortliches Handeln. Dieser investieren wir in Mobilität, klimaschonendes Wirtschaf- Haushalt zeigt die Stärke und auf der anderen Seite ten, neue Arbeitsplätze und eine Digitalisierung, die die auch die Verantwortung des Deutschen Bundestages. Voraussetzung für neue Arbeit in unserem Land ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Deswegen, meine Damen und Herren: Vor diesem Hin- Wenn ich für meine Fraktion eine persönliche Bemer- tergrund sollten wir die staatlichen Ebenen nicht gegen- kung machen darf: Kurz vor seinem plötzlichen Tod, einander ausspielen. Bund, Länder und Kommunen und wenige Tage zuvor, hatte uns gebe- deren Beschäftigte leisten Außerordentliches, und dafür ten, in seiner Heimatstadt eine institutionelle Brücke zwi- möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken. schen der Kultur auf der einen Seite und der Wissenschaft an seiner Universität auf der anderen zu schlagen. Alle (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Britta Fraktionen haben dem zugestimmt. Dafür danke ich. Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich sage auch sehr deutlich: Einige haben die Länder in Insbesondere danke ich der Universität dafür, dass das der Krisenbekämpfung als „Leerstelle“ bezeichnet. Ich Forum den Namen von Thomas Oppermann tragen empfinde das als ungerecht und ohne Grundlage. Die wird. Vielen Dank dafür! Neuverschuldung und die Kreditermächtigungen, die die Länder in den vergangenen Monaten – zum Teil in (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- Nachtragshaushalten und Sondervermögen – aufgenom- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) men haben, betragen 105 Milliarden Euro. Ich glaube, wir Im Kern, meine Damen und Herren, stellen sich in sollten alles dafür tun, deutlich zu machen: Die Bewälti- dieser Debatte drei Fragen: Können wir die Pandemie gung der Krise bleibt eine gemeinsame Aufgabe. Wir und ihre Folgen beherrschen? Was müssen wir tun, um sind ein starkes Land, sind gut darauf vorbereitet und 24934 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Dr. Rolf Mützenich (A) können einen entscheidenden Anteil leisten – aber eben Zuruf von der FDP: Nein! – Weitere Zurufe (C) alle staatlichen Ebenen zusammen und nicht gegeneinan- von der FDP) der, meine Damen und Herren. Mit einer rechtsextremistischen Partei gemeinsame (Beifall bei der SPD) Sache zu machen, ist eine Grenzüberschreitung. Deswegen: Wenn wir die Krise gemeistert haben, wer- den wir klären, wie wir die finanziellen Lasten abtragen (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem können. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph kraten ist klar: Breite Schultern müssen in Zukunft einen Brinkhaus [CDU/CSU]: Infam ist das! Ent- außerordentlichen Beitrag leisten. Das ist nur gerecht. schuldigen Sie sich, Herr Mützenich! Unglaub- Herr Kollege Lindner, wenn Sie Sorge haben, dass es in lich!) diesem Land nicht mehr genügend Vermögende gibt, muss ich sagen: Das war der Witz des Tages. Dazu haben wir in den letzten Tagen bundespolitische Stimmen aus der Union vermisst. Deswegen, meine (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Damen und Herren: Wer sich auf die AfD einlässt, geht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) daran zugrunde, und mit ihr die Demokratie. Doch die Pandemie berührt ein weiteres Thema unse- rer Demokratie, um die wir tagtäglich so hart ringen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Freedom House hat vor einigen Monaten festgestellt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ralph dass sich in 80 von 192 Ländern auf der Welt die Bedin- Brinkhaus [CDU/CSU]: Eine unglaubliche gungen für die Demokratie und die Menschenrechte Entgleisung, Herr Mützenich! Eine Frechheit! verschlechtert haben. Das ist ein bedrückender Befund, Unglaublich! – Dr. Götz Frömming [AfD]: Das gerade für ein Land wie Deutschland, wo wir aus der ist nicht Ihr Privatgesetz, Demokratie! – historischen Verantwortung heraus immer wieder um die- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: se Demokratie kämpfen müssen. Schämen Sie sich! – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Demokratiespalter! – Michael Grosse- Wir stehen vor einer doppelten Bewährungsprobe: In Brömer [CDU/CSU]: Unglaublich!) Demokratien stehen auf der einen Seite das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger und der Schutz menschli- Wenn ich sage: „Wir kämpfen um diese Demokratie“, chen Lebens im Vordergrund. Beides bildet die Grund- muss ich auch sagen: Es gibt eine weitere Lehre aus lage für individuelle Freiheit und Entfaltungsmöglich- dieser Situation. Ohne ein demokratisches Europa ist keit. Auf der anderen Seite muss die Demokratie unter eine nationalstaatlich verfasste Demokratie nicht sicher. (B) den Bedingungen der Pandemie Reaktionen zeigen, die Deswegen sage ich, Frau Bundeskanzlerin: Wir teilen (D) dem Wesen liberaler Demokratien fremd sind, insbeson- das, was Sie über die Aufgaben für den Europäischen dere wenn es um die zeitliche Einschränkung von Grund- Rat in den nächsten Tagen gesagt haben. Aber was ich rechten geht. Aber darum müssen wir ringen. Deswegen in Ihrer Rede vermisst habe, ist, dass Sie sich für das sage ich sehr deutlich: Unsere Repräsentantinnen und Rechtsstaatsprinzip in der Europäischen Union einsetzen Repräsentanten müssen über dieses Dilemma reden, müs- werden. Ich sage sehr deutlich: Die Durchsetzung des sen Glaubwürdigkeit schaffen, so wie Sie es, Frau Bun- Rechtsstaatsprinzips ist in unserer Demokratie auch deskanzlerin, aber auch der Bundespräsident tagtäglich eine Voraussetzung dafür, dass wir in Europa darum unter diesen Bedingungen versuchen zu tun. Das spricht kämpfen. für die demokratische Verfasstheit. Der Bundestag hat vor einigen Wochen gezeigt: (Beifall bei der SPD – Norbert Kleinwächter Voraussetzung ist, Rechtssicherheit herzustellen und [AfD]: Sie haben vom Rechtsstaatsprinzip gleichzeitig Kritik zuzulassen. Ich kenne viele Kollegin- nicht die geringste Ahnung, Herr Mützenich!) nen und Kollegen in diesem Haus, die sich tagtäglich Meine Damen und Herren, wer über Demokratie dieser Kritik stellen und versuchen, zu argumentieren spricht, muss auch über die soziale Demokratie reden. und letztlich auch Antworten zu geben. Der Protest ist Der Sozialstaat ist für diese Demokratie kein lästiges Bei- zulässig, aber der Protest ist nicht zulässig, wenn Ver- werk, sondern Bedingung dafür, dass gleiche Freiheit fassungsorgane genötigt werden, und die AfD hat in gesichert wird. Ich treffe Menschen in den Wahlkreisen, den vergangenen Wochen Beihilfe dazu geleistet. Meine die früher gedacht haben, der Sozialstaat sei doch nur für Damen und Herren, das muss geahndet werden. andere da. Sie merken jetzt: Der Sozialstaat hilft allen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der und nutzt allen. Das beste Beispiel in diesen Tagen ist, LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- dass wir dafür gekämpft haben, ein Arbeitsschutzkon- NISSES 90/DIE GRÜNEN) trollgesetz in der Fleischindustrie auf den Weg zu brin- gen. Das bringt auf der einen Seite Sicherheit für die Demokratie kommt nicht von allein und bleibt verletz- Beschäftigen. Auf der anderen Seite macht das deutlich: lich. Deshalb dürfen wir niemals mit Demokratieveräch- Tarifverfasstheit ist eine Stütze des Sozialstaats. Dadurch tern paktieren, weder, wie es die FDP in Thüringen getan können wir Ausnahmen ermöglichen. Das war nur durch hat, noch jetzt, wie es große Teile der CDU in Sachsen- Beharrlichkeit und nicht, weil es so selbstverständlich Anhalt ausdrücklich wollen. gewesen ist, möglich. Wir sind stolz auf diesen Erfolg. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Peinlicher Unsinn, Herr Mützenich! Unverschämtheit! – (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24935

Dr. Rolf Mützenich (A) Ja, das Jahr 2020 ist eine Zeit der Extreme; zuletzt gilt risch. Vielmehr wird dort – wir haben es vor wenigen (C) das auch für die Umgestaltung der Weltpolitik. Es ist eine Wochen gesehen – die größte Freihandelszone ohne die Chance, dass wir einen zukünftigen US-Präsidenten USA und ohne Europa gegründet. haben, auf den wahrscheinlich Verlass ist, (Norbert Kleinwächter [AfD]: Ja, und wäh- (Zuruf von der AfD: Wer denn?) renddessen baut Ihr Außenminister nur Mist!) der sich insbesondere im Ton ändert und sich für ein Ich glaube, darüber sollten wir uns Sorgen machen und multilaterales Arbeiten mit seinen Partnern einsetzt. nicht über die anderen Fragen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/ Aber, meine Damen und Herren, machen wir uns keine CSU]: Wer verhindert denn Freihandelsabkom- Illusionen: Die Abwendung der USA von Europa schrei- men? Das sind Sozialdemokraten, Herr tet fort. Der Fokus liegt längst woanders. Das war nicht Mützenich! Das ist doch verlogen, was Sie nur unter Trump so. Das hat bereits unter Obama und hier bringen!) Bush begonnen, und unter Biden wird es wahrscheinlich nicht anders sein. Deswegen sage ich sehr deutlich: Sie sollten nicht immer wieder das 2-Prozent-Ziel bedienen, sondern Sie Dies hat viel damit zu tun, dass in den USA die Pola- sollten sich darum kümmern, dass die Bundeswehr aus risierung der Gesellschaft und die Polarisierung des Par- ihren Beschaffungsproblemen kommt. teiensystems fortschreiten. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sie gefährden (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: deutsche Soldaten, weil Sie keine bewaffneten Ja, da wissen Sie ja, wovon Sie reden!) Drohnen wollen! Schierer Pazifismus, was Sie Die Selbstbezogenheit dieses Landes ist offensichtlich. da bringen!) Deswegen sage ich: Ja, wir wollen die Zusammenarbeit Das ist die Verantwortung, die Sie in dieser Bundesregie- mit einem neuen Präsidenten suchen. Wir sollten es mit rung haben. Es geht nicht darum, immer wieder über neue aller Klarheit und mit allem Selbstbewusstsein tun, aber Ausgaben zu fabulieren. wir sollten uns auch auf harte Konfrontationen einstellen. Es besteht, glaube ich, gar kein Zweifel, auch vor dem (Beifall bei der SPD) Hintergrund der Situation im Kongress, dass wir zum Beispiel wegen Nord Stream 2 weiter mit nachhaltigen Sie befördern die anhaltenden Forderungen nach immer Sanktionen rechnen müssen. Deswegen möchte ich beto- neuen Verteidigungsausgaben. (B) (D) nen, dass die Überlegungen, die es in der der Landes- ( [CDU/CSU]: Steinmeier hat das regierung in Mecklenburg-Vorpommern gibt, nicht nur damals unterschrieben, Herr Mützenich!) beachtlich, sondern auch richtig sind, Das schafft ein neues Sicherheitsdilemma in Europa. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Der bessere Weg bleibt der Ausgleich gegensätzlicher mit einer Stiftung in diesem Land für Souveränität, für Ziele und Interessen. Die Entspannungspolitik kann nie- unsere Interessen gemeinsam einzutreten. Wir sollten das mals den Gegensatz politischer Ordnungen gänzlich auf- nicht sofort beiseite wischen. heben und bleibt immer eine Gratwanderung. Gleichwohl ist die friedliche Koexistenz immer neuen Aufrüstungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten runden vorzuziehen. Darum müssen wir uns kümmern, der LINKEN) und das wird eine starke Sozialdemokratie weiterhin tun. Dies sage ich, meine Damen und Herren, in einer (Beifall bei der SPD) Situation, in der ich es manchmal sehr bedauerlich finde, dass zwischen uns als Koalitionspartnern eine Differenz Meine Damen und Herren, Sozialdemokratinnen und in Bezug auf die weiteren Herausforderungen besteht, die Sozialdemokraten haben am Anfang dieser Legislaturpe- sich durch die internationale Politik ergeben. Ich finde riode aus Verpflichtung Verantwortung für das politisch bedauerlich, dass Sie allein auf militärische Stärke und Notwendige übernommen, worauf ich stolz bin. Die letz- Abschreckung setzen wollen, bis hinein in das Südchine- ten Monate haben gezeigt, dass es gerade auf Sozialde- sische Meer, wie die Verteidigungsministerin vor Kurzem mokratinnen und Sozialdemokraten in der Bundesregie- wieder in einer Rede gesagt hat. rung angekommen ist, dass auf der einen Seite der Sozialstaat erhalten bleibt, dass wir auf der anderen Seite (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Unglaublich!) die finanziellen Grundlagen für die Zukunft dieses Sie meinen, das sei die richtige Antwort, Frau Kramp- Landes und insbesondere für die sozialstaatliche und Karrenbauer, wirtschaftliche Substanz geschaffen haben. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist plum- per Antiamerikanismus, Herr Mützenich!) Vielen Dank. aber das Gegenteil ist der Fall. Nach meinem Dafürhalten (Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/ ist das eine vollkommen falsche Herangehensweise. CSU]: Peinliche Parteitagsrede! Mann, Mann, Dort, in Asien, ordnet sich die Welt neu, aber nicht militä- Mann!) 24936 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: wahren Helden dieser Krise applaudiert haben, da hatte (C) Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der Fraktion Die ich tatsächlich Hoffnung, und zwar die Hoffnung darauf, Linke, Amira Mohamed Ali. dass jetzt endlich in Ihnen die richtige Erkenntnis gereift sein könnte, nämlich dass die Pflegerinnen und Pfleger, (Beifall bei der LINKEN) die Beschäftigten im Einzelhandel, die Lkw-Fahrer in der Logistik, die Paketzustellerinnen und Paketzusteller – Amira Mohamed Ali (DIE LINKE): also alle, die, wie Sie ja selber sagen, den Laden am Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle- Laufen halten – endlich das bekommen, was ihnen wirk- gen! Als ich letzte Woche von einem erneuten Corona- lich zusteht, nämlich anständige Löhne, anständige ausbruch in einem Schlachthof der Firma Tönnies gehört Arbeitsbedingungen. habe, da habe ich, ehrlich gesagt, gedacht, ich höre nicht richtig. Das passiert ernsthaft schon wieder, nachdem wir (Beifall bei der LINKEN) über den Sommer so viele Ausbrüche in Schlachthöfen Aber das ist noch nicht gekommen. Im Einzelhandel sind hatten? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wie kann die Einkommen während der Krise sogar gesunken. Das das sein? ist doch wirklich unglaublich! Jetzt werden Sie sagen – Sie haben es gerade ange- (Zuruf von der LINKEN: Wahnsinn!) sprochen, Herr Mützenich –, Sie haben ja was getan; Sie haben ja jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Was meinen Sie, Kolleginnen und Kollegen von Union ab Januar Werkverträge in den Schlachthöfen verbieten und SPD, wie sich diese Coronahelden, die hier von soll. -Okay, gut. Ihnen vor einem halben Jahr noch beklatscht worden sind, heute von Ihnen behandelt fühlen? Es ist wirklich (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ein fatales Signal, nicht nur für die Betroffenen, sondern Aber wo ist in diesem Haushalt das Geld für die Länder, auch für die gesamte Gesellschaft, dass Sie ernsthaft kei- damit das geschehen kann, was wirklich notwendig ist, ne Mittel und Wege gefunden haben, für echte Anerken- nämlich mehr Personal in den Kontrollbehörden einzu- nung zu sorgen: für höhere Löhne, für bessere Arbeits- stellen? Das müsste doch geschehen. bedingungen. Das wäre dringend nötig gewesen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Aber das passiert nicht. Aber nicht einmal die spärlichen Coronaprämien für die Pflegekräfte sind bei allen angekommen. Insbesonde- Dieses Beispiel ist leider typisch für das Handeln die- re Beschäftigte in privatisierten Krankenhäusern und ser Bundesregierung. Die Probleme sind vollkommen Pflegeeinrichtungen haben oft keinen Cent gesehen. Ist (B) offensichtlich, sie werden angeblich erkannt, aber sie das Ihre Initiative für mehr Pflegekräfte, die wir dringend (D) werden dann trotzdem nicht gebannt. Der Grund ist folg- brauchen? Das ist doch wirklich ein Hohn. ender: Diese Bundesregierung knickt weiterhin konse- quent vor den Interessen der starken und mächtigen Lob- (Beifall bei der LINKEN) bys ein, selbst in diesen dramatischen Zeiten. Das ist Wir wissen, dass sich viele Pflegerinnen und Pfleger in vollkommen unverantwortlich. den letzten Jahren ausgebrannt und frustriert aus diesem (Beifall bei der LINKEN) Beruf verabschiedet haben. Natürlich könnte man jetzt kurzfristig durch deutlich höhere Löhne und bessere Ich frage ernsthaft: Für wen regieren Sie eigentlich? Arbeitsbedingungen diese Menschen für die Pflege Für die Menschen in unserem Land, die jeden Tag den zurückgewinnen. Wir brauchen flächendeckende Tarif- Laden am Laufen halten, oder für die, die einzig und verträge, wir brauchen auch Bonuszahlungen, die wirk- allein ihren Profit im Blick haben, und zwar Profit um lich ankommen. Das wäre jetzt richtig. jeden Preis, Leute wie Clemens Tönnies? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Was sagen Sie denn den wahren Leistungsträgern unserer Richtig wäre auch, endlich zu erkennen, dass Ihr Pri- Gesellschaft, zum Beispiel den Krankenpflegerinnen und vatisierungskurs im Gesundheitswesen ein Irrweg ist. -pflegern, die schon in der ersten Pandemiewelle mit zig (Beifall bei der LINKEN) Überstunden an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit Es geht nicht, dass in Krankenhäusern, in Pflegeeinrich- gegangen sind und die jetzt weiter jeden Tag darum tungen gespart wird, damit private Investoren ihren kämpfen, Menschenleben zu retten? Was sagen Sie Schnitt machen können. Schluss damit! Das Gesund- ihnen? Was haben Sie für sie getan? heitswesen gehört konsequent in öffentliche Hand. Frau Bundeskanzlerin, wir erinnern uns alle noch gut an Ihren Auftritt damals in der Wahlarena 2017, als Ihnen (Beifall bei der LINKEN) der Pfleger Alexander Jorde in aller Deutlichkeit gesagt Seit über einem Monat sterben täglich zwischen 300 hat, wie dramatisch die Lage in den Krankenhäusern und und 500 Menschen an den Folgen von Covid-19, teil- Pflegeeinrichtungen damals schon war. Sie haben das so weise nach einem langen und qualvollen Überlebens- zur Kenntnis genommen; geschehen ist nichts. Offen ge- kampf. Hinter jedem dieser Toten steht ein persönliches sagt hat mich das damals nicht überrascht; ich hatte von Schicksal, stehen trauernde Familien und Angehörige. dieser Bundesregierung nichts anderes erwartet. Aber – Die Situation ist bereits jetzt dramatisch. Deshalb muss das muss ich Ihnen ehrlich sagen – als wir im Frühjahr doch endlich alles darangesetzt werden, die Situation in hier in diesem Hause alle aufgestanden sind und für die den Krankenhäusern zu verbessern. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24937

Amira Mohamed Ali (A) Das gilt auch für die Pflegeeinrichtungen. Politik schuld. Während Altersarmut wächst, während (C) (Beifall bei der LINKEN) immer mehr Menschen in unsicheren Arbeitsverhältnis- sen stecken, während die Angst vor dem sozialen Abstieg Bereits jetzt mussten einige Pflegeheime wieder einen immer weitere Teile der Bevölkerung erfasst, haben Sie totalen Besuchsstopp verhängen. Zum Teil ist nicht ein- vor allem ein offenes Ohr für die Interessen der mächti- mal Sterbebegleitung möglich. Das ist für die Betroffe- gen Lobbyisten. Das ist Ihre gesamte Amtszeit hindurch nen und für die Angehörigen schier unerträglich. Und es schon so, Frau Bundeskanzlerin. Egal ob die Automobil- ist eine Tatsache, die von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, industrie beim Dieselabgasskandal oder die Banken im und von den Kolleginnen und Kollegen der Regierung Cum/Ex-Skandal: Immer konnten sich die mächtigen immer verschwiegen wird, wenn Sie sich hierhinstellen Konzerne und ihre Manager auf die Rückendeckung die- und über die furchtbare Lage in den Pflegeeinrichtungen ser Regierung verlassen. Und diejenigen, die eigentlich reden: Selbstverständlich hat die Notwendigkeit von Ihre Unterstützung bräuchten, zum Beispiel die vielen Besuchsverboten und anderen einschneidenden Maßnah- Millionen Menschen, die zum Mindestlohn arbeiten müs- men auch etwas mit dem Personalmangel und der sen, die speisen Sie bestenfalls mit Brotkrumen ab, schlechten Ausstattung der Pflegeeinrichtungen zu tun. aktuell zum Beispiel mit einer mickrigen Mindestlohner- (Beifall bei der LINKEN) höhung um gerade mal 15 Cent pro Stunde ab Januar nächsten Jahres. Das lässt wirklich tief blicken. Vieles müsste nicht so sein, wenn Sie bereit wären, das Geld auch unverzüglich an die richtigen Stellen zu geben. Ihre Politik treibt seit Jahren den Keil der sozialen Es ist fatal, dass Sie das nicht tun. Spaltung immer tiefer in unsere Gesellschaft. So machen Sie auch in dieser Pandemie weiter, und das ist wirklich Und, Herr Finanzminister, es ist auch fatal, dass Sie brandgefährlich. zwar riesige Summen zur Verfügung stellen, aber dass diese nicht zielgerichtet und effektiv eingesetzt werden, (Beifall bei der LINKEN) und vor allem, dass sie nicht da ankommen, wo sie drin- Wir haben momentan 2,5 Millionen Menschen in gend gebraucht werden. Viele, denen jetzt Einkünfte und Kurzarbeit, die Tendenz ist steigend. Für viele reicht Umsätze wegen der notwendigen Infektionsschutzmaß- das Kurzarbeitergeld eben nicht zum Leben aus oder nahmen weggebrochen sind, brauchen sofort Hilfe. um den Lebensstandard zu sichern. Eine halbe Million Aber Ihre Soforthilfen, Herr Scholz und Herr Altmaier, Menschen sind bereits jetzt durch die Coronakrise sind leider viel zu oft Zu-spät-Hilfen. Die Betroffenen arbeitslos. Auch hier ist die Tendenz leider steigend. können gerade einmal darauf hoffen, dass die für Novem- Fast 1 Million Minijobs sind in dieser Krise bereits weg- ber zugesagten Hilfen im Januar endlich ausgezahlt wer- gefallen. Davon betroffen sind oft Studierende, Rentner- (B) den; vielleicht gibt es jetzt einen kleinen Abschlag. So innen und Rentner und Menschen, die auf Hartz IV ange- (D) sichert man keine Existenzen, so schafft man keine wiesen sind. Sie haben jetzt keine Möglichkeit mehr, ihr Sicherheit. spärliches Einkommen aufzubessern. Das ist ein unhalt- Wie müssen sich die vielen Hoteliers, die Restaurant- barer Zustand. Hat die Bundesregierung dafür gesorgt, besitzer, die Veranstalter, die Künstlerinnen und Künstler, dass auch Minijobber Kurzarbeitergeld erhalten? – die Soloselbstständigen fühlen, die jetzt Angst vor der Nein. So kann man mit Menschen wirklich nicht umge- Pleite haben müssen, weil Ihre Hilfen nicht ankommen? hen. Wochenlang konnten nicht mal Anträge gestellt werden, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) weil Sie die entsprechende Homepage nicht programmie- Wir brauchen eine viel bessere Unterstützung einkom- ren konnten. Das ist doch wirklich ein Armutszeugnis. mensschwacher Familien, wir brauchen einen Pandemie- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zuschlag auf niedrige Renten und auf Hartz IV. Nichts neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) davon steht in Ihrem Haushalt. Das ist unverantwortlich. An anderer Stelle können Sie schnell sein, das haben (Beifall bei der LINKEN) Sie ja gezeigt, zum Beispiel bei den Soforthilfen für die Mit den sinkenden Einkommen wächst auch die Ge- Lufthansa. Das Milliardenpaket war schnell geschnürt, fahr der Überschuldung. Bereits vor der Pandemie betraf aber natürlich ohne diese Hilfen daran zu koppeln, dass das fast jeden zehnten Bürger. Wir brauchen dringend auch die Arbeitsplätze gesichert werden. Dabei hätten Sie eine flächendeckende, kostenlose Schuldnerberatung. genau das tun können und auch müssen. Das bisschen, was Sie jetzt für die Schuldnerberatung in (Beifall bei der LINKEN) Ihrem Haushalt zur Verfügung stellen, sind wieder allen- falls Brotkrumen. Es reicht bei Weitem nicht aus. Jetzt sollen bei Lufthansa weltweit 29 000 Stellen bis Jahresende abgebaut werden, 9 000 davon in Deutsch- Aber damit nicht genug. Das Nächste, was ich jetzt land. Ihre Hilfen sollen offensichtlich vor allem die sage, habe ich hier in den letzten Wochen schon einige Eigentümer und Aktionäre von Lufthansa schützen, Male gesagt, aber ich sage es immer wieder, weil es aber nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. wirklich ein Skandal ist: Seit Mitte dieses Jahres ist es Das ist doch wirklich unglaublich. wieder möglich, dass Menschen, die ihre Miete aufgrund von coronabedingten Einkommensverlusten nicht zahlen (Beifall bei der LINKEN) können, die Wohnung gekündigt wird. Außerdem erlau- Aber leider ist das nichts Neues. Kolleginnen und Kol- ben Sie allen Ernstes, dass milliardenschwere Energie- legen von der Regierung, seit Jahren schon driftet unsere konzerne wieder Stromsperren verhängen können. Das Gesellschaft immer weiter auseinander, und daran ist Ihre heißt konkret, dass Menschen, die ihre Stromrechnung 24938 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Amira Mohamed Ali (A) nicht zahlen können – und da reicht ein Rückstand von Sie wollen ja die gigantischen Schulden von aktuell fast (C) gerade einmal 100 Euro –, der Strom in ihrer Wohnung 300 Milliarden Euro zurückzahlen; Sie legen auch einen abgeschaltet werden darf. Tilgungsplan vor. Aber woher das Geld kommen soll, Sie schwadronieren hier lang und breit darüber, dass sagen Sie nicht. Und das hat einen Grund: Im nächsten allen schöne Feiertage ermöglicht werden sollen. Und Jahr ist Bundestagswahl. Die Bundesregierung will nicht dann lassen Sie so etwas zu? Ich finde das unglaublich. zugeben, dass das Geld nach der Wahl durch Steuererhö- hungen für die Bezieher niedriger und mittlerer Einkom- (Beifall bei der LINKEN) men, Nullrunden bei der Rente und Sozialkürzungen wie- Kollegen von der Union, Sie können das „C“ in Ihren der hereingeholt werden soll. Aber genau das darf nicht Parteinamen wirklich streichen, wenn Sie so etwas zulas- geschehen. sen, und dass Sie von der SPD da mitmachen: Da fehlen (Beifall bei der LINKEN) mir wirklich die Worte. Deshalb fordert Die Linke eine einmalige Vermögens- Genauso fassungslos macht mich, dass Sie in dieser abgabe für superreiche Multimillionäre und Milliardäre historischen Krise, in dieser Not, die viele Menschen nach dem Vorbild des Lastenausgleichs nach dem Zwei- trifft, allen Ernstes den Rüstungsetat um 1,16 Milliarden ten Weltkrieg. Euro auf gigantische 46,8 Milliarden Euro anheben. Das ist mehr als das Doppelte dessen, was für Bildung und (Beifall bei der LINKEN) Forschung vorgesehen ist. Das ist doch wirklich unglaub- lich. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat für die Linksfraktion errechnet, dass eine solche Abgabe (Beifall bei der LINKEN) machbar ist. Schon eine sehr moderate Form, die gerade Sie halten sogar weiterhin an dem Irrsinn fest, das einmal die reichsten 0,7 Prozent der Bevölkerung über- NATO-Rüstungsziel von 2 Prozent des Bruttoinlandspro- haupt belasten würde, würde dreistellige Milliardenbe- duktes zu erfüllen, und das bedeutet, dass in den komm- träge einbringen, und das wäre wirklich nur fair; denn enden Jahren sogar noch deutlich mehr Geld unnötig ver- viele Superreiche sind in dieser Krise noch reicher pulvert werden soll; denn es ist unnötig. geworden, weil sie zum Beispiel Aktienpakete von Kri- sengewinnern wie Amazon und Co halten. Außerdem ist (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es geht es wirklich nur recht und billig, wenn diesmal endlich um die deutsche Sicherheit!) diejenigen zur Kasse gebeten werden, die jahrelang ins- Oder kann mir hier irgendjemand erklären, wie uns besondere durch Ihre Steuergesetzgebung privilegiert Kriegsgerät bei der Bewältigung der Coronakrise helfen worden sind. soll? (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir gut durch diese Krise kommen und gestärkt Und das möchte ich jetzt einmal in Richtung der Grü- aus ihr hervorgehen wollen, dann brauchen wir endlich nen sagen: Wenn Sie als ehemalige Friedenspartei jetzt in eine vernünftige Politik, die sich nicht von den Interessen diesen Chor der Aufrüstung mit einstimmen, dann habe der mächtigsten Lobbyisten instrumentalisieren lässt. ich das Gefühl, dass Sie Ihre Sonnenblume entwurzeln, Wir als Linke kämpfen weiter für einen echten Politik- um sie besser in den Wind hängen zu können. wechsel, damit die Folgen der Pandemie unsere Gesell- (Beifall bei der LINKEN – Claudia Roth schaft nicht weiter spalten. [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke schön. Ach, Frau Mohamed Ali! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, ist doch so!) (Anhaltender Beifall bei der LINKEN) Wir als Linke sagen klar und deutlich Ja zur Abrüs- tung. Dieses Geld sollte in Krankenhäuser fließen, und es Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: sollte für ein besseres Bildungssystem eingesetzt werden; Nächste Rednerin ist die Kollegin Annalena Baerbock, denn hier wird es viel dringender benötigt. Die Situation Bündnis 90/Die Grünen. an den Schulen ist dramatisch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Investieren Sie das Geld besser in eine gute Zukunft als Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in den nächsten Krieg! Und für eine gute Zukunft brau- NEN): chen wir allgemein mehr Investitionen in die soziale Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- Sicherung, in Infrastruktur und in Forschung. Denn wie gen! Frau Bundeskanzlerin! Ja, dieses Jahr hat uns alle wollen Sie sonst die notwendige Energie- und Verkehrs- verändert. Wir – insbesondere meine Generation, Jünge- wende bewerkstelligen? Wie wollen Sie sonst die Digita- re – lebten bisher ziemlich behütet. lisierung schnell genug voranbringen? Im Moment ist für viele Menschen auf dem Land an Homeoffice oder (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Homeschooling überhaupt nicht zu denken. Spießig, würde ich eher sagen!) Aber davon sieht Ihr Haushalt nichts vor. Kein Wun- Jetzt nicht arbeiten zu können, nicht zur Berufsschule der, Sie haben ja noch nicht mal gesagt, wie Sie die gehen zu können, zu erleben, wie die eigene Mutter, die gigantischen Kosten der Coronakrise finanzieren wollen. eigene Tochter, die eigene Freundin nicht verstehen kön- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24939

Annalena Baerbock (A) nen, dass man nicht ins Altersheim kommt, aufgrund von aber Pragmatismus auch dort walten zu lassen, wäre (C) Demenz nicht erkennen zu können, dass das keine genau in diesen Zeiten die Aufgabe der Familienministe- Abkoppelung ist, zehrt an unser aller Nerven. rin und der Bildungsministerin. Zugleich hat uns dies als Gesellschaft stärker gemacht. Wenn wir über die Verlängerung von Ferien sprechen, Statt sich ständig an Egoisten abzuarbeiten, sollten wir dann können wir, bei allem großen Respekt, nicht sagen: den Millionen Menschen in diesem Land, die solidarisch Das müssen die Schulen dann mal irgendwie lösen. – Wir sind, Respekt zollen, gehen jetzt zum vierten Mal in dieser Pandemie in eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ferienzeit, und noch immer heißt es: Irgendwie muss sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und dann die Digitalisierung und irgendwie müssen dann der SPD) die Filter kommen. Diese Krise zeigt doch: Wir müssen das pragmatisch anpacken, genau wie Sie gesagt haben. Menschen, die rund um die Uhr für uns alle arbeiten: Gelder im Haushalt allein verändern doch nicht die Rea- Pflegekräfte, Paketzusteller, Erzieher, Ärztinnen und, ja, lität. auch Künstlerinnen, Soloselbstständige, die gerade nicht auftreten, die gerade nicht musizieren. Um diese neue (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Solidarität zu erhalten, braucht eine aufgeklärte Gesell- Es geht um Pragmatismus, so wie bei den Gesundheits- schaft Ehrlichkeit, Transparenz und vor allen Dingen, ämtern. Und ja, zum Beispiel da hat die Bundeswehr eine liebe Bundesregierung, eine Perspektive, gute Rolle gespielt und die Gesundheitsämter unterstützt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) obwohl es eigentlich eine regionale Aufgabe ist. nicht nur eine Perspektive auf einen Impfstoff oder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) darauf, dass wir gut – auch wirtschaftlich – durch diese Das braucht es jetzt auch bei den Schulen. Mein Gott, Zeit kommen, sondern auch eine Perspektive, dass die in einem Industrieland können doch wohl diese Filter Politik lernfähig ist. eingebaut werden, und im Zweifel, indem das die Bun- Ich fand es wirklich wichtig, Frau Bundeskanzlerin, desebene unterstützt, in den Weihnachtsferien. Das Max- dass Sie hier so eindringlich appelliert haben, dass das Planck-Institut hat dafür beste Vorschläge gemacht. in den nächsten Wochen so nicht weitergehen kann. Das Warum braucht es das? Weil man Unternehmen mit heißt dann aber auch, politisch zu handeln, Fehler zu Geld retten kann, aber Kinder nicht. Wenn Sie einmal korrigieren. Wir können nicht weiter mit einem Zweiwo- erleben, was es mit Kindern macht, deren Alltagsstruktur chenrhythmus-Bekämpfungssystem durch diese Pande- komplett wegbricht, wenn Sie einmal erleben, was es mit mie kommen. Jugendlichen macht, die ohnehin viel an mobilen End- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geräten sind, die ihren Alltag nicht mehr strukturiert (D) Wir werden mit diesen Einschränkungen – so ehrlich haben, wenn Sie einmal erleben, was es mit Kinderseelen müssen wir sein – noch weit bis ins Frühjahr leben; denn macht, wo es zu Hause richtig, richtig hart ist und jeder die Impfdosen, selbst wenn sie hoffentlich bald zugelas- Tag in der Schule eine Erholung, dann heißt das: Packen sen werden, reichen erst mal nur für einen Bruchteil die- Sie endlich an! Gute Politik heißt, zu handeln, und zwar ser Gesellschaft. Es braucht jetzt einen klaren Stufenplan: im realen Leben. „Wann kommt was?“, klare gesellschaftliche Prioritäten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Uns von einer Ministerpräsidentenrunde zur nächsten zu hangeln, kann so nicht weitergehen. Lernfähige Politik bedeutet, Dinge wirklich besser zu machen, insbesondere wenn man erkennt, dass sie sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Krisenzeiten wie unter einem Brennglas verschärfen. sowie des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]) Ja, wir müssen jetzt retten. Deswegen haben wir auch Deswegen: Einfach nur zu sagen, was alles nicht läuft, vielem zugestimmt. Aber wir dürfen nicht einfach den ist doch nicht die Aufgabe von kritischer Opposition, Status quo zementieren. Mit den Milliardenpaketen sondern sie muss mitdenken: Wie kann es besser gehen muss jetzt auch der Grundstein dafür gelegt werden, in dieser schwierigen Situation, in der wir alle als Gesell- dass es in Zukunft besser wird. Ich habe da sehr genau schaft, alle als Politik stecken? – Deswegen hat unsere hingehört, bei Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, bei Ihnen, Fraktion jetzt noch mal einen Fünfstufenplan vorgelegt, Herr Finanzminister, in Talkshows und anderen Runden. wie wir gemeinsam besser durch die nächsten Monate Es gibt einen großen Unterschied zwischen Ihnen und kommen und wie wir die Voraussetzungen dafür schaf- uns. Wenn wir einfach nur sagen: „Wir nehmen Geld in fen, dass wir die von Ihnen angesprochenen schwächsten die Hand und knüpfen dann da an, wo wir vor der Krise Menschen der Gesellschaft – die Jüngsten und Ältesten – waren“, dann haben wir nichts gelernt. Das ist keine wirklich am besten schützen können. vorausschauende Politik; denn es ist eben nicht alles gut (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gewesen vor dieser Krise. Ich halte Ihren Appell für richtig. Ich halte es für rich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tig, auf die Jüngsten und auch auf die Schulen zu schauen. Dass Pflegekräfte und Krankenhäuser nun zum zwei- Aber auch die Bundesregierung, die jetzt hier sitzt, ist in ten Mal in einem Dreivierteljahr vor dem Kollaps stehen, der Verantwortung – auch für die Schulen, auch für die das liegt doch auch daran, Herr Lindner, dass Sie vor Kitas in diesem Land. Ja, wir haben ein föderales System, etlicher Zeit neoliberal alles an diesen Orten durchkapi- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja!) talisiert haben. 24940 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Annalena Baerbock (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ministerin durchgesetzt, dass bei der Rettung von Aus- (C) sowie bei Abgeordneten der SPD – trian Airlines – eine Tochter von Lufthansa im Übrigen – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: ganz konkrete Klimaschutzmaßnahmen festgeschrieben So ein Unsinn! – Dr. Marco Buschmann [FDP]: werden: Flottenmodernisierung, Ticketpreise, Einstel- Die Staatsquote ist bei 56 Prozent, Frau lung von Kurzstrecken Baerbock! Hören Sie auf die Wirtschaftswis- (Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD]) senschaft!) – nein, bei uns leider nicht; das war unser Vorschlag – Dass 120 000 Pflegekräfte in Altenheimen und plus Investitionen in die Bahn. 50 000 Pflegekräfte in Krankenhäusern fehlen, das war schon vor der Coronakrise so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Christian Lindner [FDP]: Das waren wir! Das Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Bisschen waren alles wir alleine!) kleiner als Deutschland!) Deswegen darf der Leitspruch der Vereinten Nationen – Diese Bundesregierung mit ihrem 9-Milliarden-Euro- Sie können da noch was lernen – „Build back better“ Paket für die Lufthansa: Frau Merkel und Herr nicht nur deren Leitspruch sein, das darf nicht nur der Mützenich, nennen Sie doch mal Beispiele, wo Sie die Leitspruch des neuen US-Präsidenten sein, sondern das Lufthansa jetzt an konkrete Klimaschutzmaßnahmen muss zukünftig Leitspruch der deutschen Politik sein, gebunden haben! Sie haben sich noch nicht mal getraut, meine sehr verehrten Damen und Herren. das anzusprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Christian Lindner [FDP]: CO2-Zertifikate! – Zuruf des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] Das heißt ganz konkret, Pflegekräfte in den Mittelpunkt [SPD]) zu stellen. Das heißt ganz konkret – auch nach dieser Pandemie, Herr Spahn –, nicht nur auf die jetzige Situa- – Ja, wir müssen Arbeitsplätze schützen. Aber Ihre tion in den Krankenhäusern zu schauen, sondern ein Vor- Logik, allein den Status quo zu stabilisieren – auch bei sorgeelement in Krankenhäusern zu schaffen, damit Kli- der Lufthansa, auch beim Kurzarbeitergeld –, aber Wei- niken nicht nur erbrachte Leistungen, sondern endlich terqualifizierung, wonach die Wirtschaft ruft, nicht zur auch die Vorsorge finanziert bekommen, damit wir aus Bedingung zu machen, wird mittelfristig die Transforma- dem Maskenfiasko in den letzten Monaten auch Lehren tion in diesem Land blockieren, zulasten des Industrie- für die nächsten Jahrzehnte ziehen. standorts und auch zulasten zukünftiger Arbeitsplätze, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (D) Vorsorge treffen für zukünftige Krisen bedeutet auch, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: dass wir uns in Zukunft nicht weiter von Nachtragshaus- Wissen Sie, wie viele Leute die Lufthansa ent- halt zu Nachtragshaushalt hangeln können, sondern dass lassen muss? – Norbert Kleinwächter [AfD]: wir die nächste Krise wahrnehmen, dass wir sie sehen Sie können nicht die Wirtschaft kaputtmachen und heute handeln und nicht erst dann, wenn es zu spät und dann Arbeitsplätze erwarten!) ist. Wie tief Sie sich da hineinmanövrieren, das können Sie (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ganz konkret – wir reden hier ja über den Haushalt, Frau SES 90/DIE GRÜNEN) Weidel, und nicht über das, was man alles hasst in der Da ist die Klimakrise. Das Dürrejahr 2018 war mit Welt – 4,5 Milliarden Euro Schäden durch Wetterextreme eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN teure Warnung an den Bundeshaushalt und nicht an uns sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE LIN- Grüne. KE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) im Einzelplan 12 dieses Bundeshaushalts nachlesen. Damit wir nicht von Dauerreparaturmodus zu Dauer- reparaturmodus kommen, gilt es jetzt, eben nicht alles im (Dr. Alice Weidel [AfD]: Typisch!) Status quo zu zementieren, sondern wir müssen die Mil- Sie wollen 2021 fast eine halbe Milliarde Euro für Regio- liarden nutzen, um gleichzeitig auf Klimaneutralität nalflughäfen, umzustellen. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Kindergarten!) Und ja, da haben wir Dissens in etlichen Teilen dieses etwa so zeitgemäß wie Telefonzellen und Taxisäulen, Haushaltes. 21,6 Milliarden Euro sind in den letzten weiter ausgeben. Aktuell wächst das Straßennetz um Monaten in fossile Energien geflossen. Auf europäischer mehrere Tausend Kilometer, das Schienennetz 2020 um Ebene streiten wir – Sie hoffentlich auch – für den Green sage und schreibe drei neue Kilometer. Deal. Aber hier manifestieren Sie mit diesen Geldern den Grey Deal, weil Sie nicht bereit sind, neben der Bereit- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Windräder!) stellung von Geld auch wirklich gute Ordnungspolitik zu Und das Dienstwagenprivileg: Sie wollen ja über machen. Steuereinsparungen an dieser Stelle sprechen. Ein Por- Das ist kein Widerspruch; das gehört Hand in Hand sche Cayenne Turbo – das musste ich googeln, ehrlich zusammen. Das zeigen uns doch andere europäische Län- gesagt – kostet 145 000 Euro und hat einen CO2-Ausstoß der. In Österreich zum Beispiel hat die grüne Umwelt- von 245 Gramm pro Kilometer. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24941

Annalena Baerbock (A) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wo wird der Europäische Integration, deutsche Einheit, der Euro, Ost- (C) denn als Dienstwagen anerkannt? Das wird erweiterung – es ist immer eine politische Wegscheide, an der Bundesrechnungshof aber nicht als Dienst- der man steht. wagen anerkennen!) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das haben wir Wenn den ein gutverdienender Freiberufler bei der gut gemacht, oder?) Steuererklärung geltend macht, bekommt er Da muss man sich aktiv entscheiden. Da darf man nicht 79 000 Euro zurückerstattet. einfach darauf vertrauen und gucken, was die Amerika- (Zuruf von der LINKEN: Wahnsinn! – ner vier Jahre machen. Die Amerikaner sind jetzt wieder Christian Lindner [FDP]: Herr Untersteller in mit an Bord. Wo ist unser Aufschlag für einen transatlan- Baden-Württemberg! 57 km/h zu viel! Führer- tischen Deal? Wo ist unser Aufschlag für ein neues trans- schein weg!) atlantisches sozialökologisches Handelsabkommen? Es Kauft sich eine Hebamme, ledig, mit zu versteuerndem ist nicht da, weil Sie einfach nur abwarten, und das ist Einkommen von 40 000 Euro für ein Zehntel des Kauf- fatal für den Wirtschaftsstandort Deutschland. preises einen Opel Corsa – dass Sie, Herr Lindner, einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Opel Corsa nicht kennen, ist ja klar – Dr. Alice Weidel [AfD]: Kindergarten!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „Build back better“ heißt, dass wir nicht weiter von der Coronakrise in eine Wirtschaftskrise schlittern. mit einem CO2-Ausstoß von 93 Gramm pro Kilometer – er hält also die EU-Flottengrenzwerte ein –, so wird das (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Ist schon längst steuerlich mit 5 000 Euro berücksichtigt. da!) (Christian Lindner [FDP]: Was sagen Sie zu Wir brauchen jetzt die Investitionen in den Industrie- Herrn Untersteller, Frau Baerbock? Muss der standort Deutschland. Das sind eben Investitionen, Herr zurücktreten?) Scholz, die höher sind als die, die wir auch vorher schon für Wasserstoff und künstliche Intelligenz bereitgestellt Das 15-Fache an Steuererstattung ist nicht nur ökologisch haben. Diese Investitionen müssen wir jetzt vorlegen. Ja, falsch, sondern es manifestiert auch die sozialpolitische Herr Lindner, wir sind da ehrlich; ja, liebe Union, wir Spaltung in diesem Land, meine sehr verehrten Damen sind da ehrlich: und Herren. (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wir etwa nicht? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sind auch ehrlich! Was ist das denn für ein Daher ist es kein Zufall, dass andere Länder damit blöder Satz?) (B) Schluss gemacht haben. (D) Das heißt, wir werden bei diesen Tilgungsfristen nicht Wir feiern dieser Tage – Sie waren da zum Glück noch vorankommen. Wenn Sie weiter festschreiben, dass wir nicht im Parlament – fünf Jahre Pariser Klimaabkommen. ab 2026 all die Kredite aus 2020 und 2021 tilgen müssen, Ich hätte mir, ehrlich gesagt, eine solche Leidenschaft wie dann müssen wir sparen. Entweder Sie kürzen die Sozial- die, mit der Sie in dieser Pandemie gerade an die Wissen- leistungen, oder Sie sparen an den Investitionen, und das schaft erinnern, auch für den Klimaschutz gewünscht. ist das Gegenteil von zukunftsgerecht, meine sehr ver- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ehrten Damen und Herren. SES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wirtschafts- Ich weiß, Sie sind mit dem Herzen dabei, aber Sie wachstum! Wirtschaftswachstum, Frau müssen sich mal fragen, was Sie die letzten fünf Jahre Baerbock! Das böse Wort!) als Union so getrieben haben, nicht als Klimaschutzpar- Ich komme zum Schluss. Wenn wir nicht in die Digita- tei – das waren Sie noch nie –, aber als Wirtschaftsakteur lisierung investieren, wenn Sie nach der Devise „Der in dieser globalisierten Welt. Dass jetzt andere Länder um Markt regelt alles“ weitermachen, dann sind Sie irgend- uns herum flächendeckend den Ausstieg aus dem fossilen wann bei der 148. Ausschreibung, bis wir Glasfaser Verbrennungsmotor beschließen, dass ausgerechnet haben; denn der Markt funktioniert eben nicht in allen Boris Johnson – das muss man sich mal vorstellen; Sie Bereichen. Es braucht schon eine Politik, die wirklich haben den Brexit angesprochen –, während über den Bre- lenkt und steuert. xit verhandelt wird, sich jetzt hinstellt, fünf Jahre nach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Paris, und 68 Prozent CO2-Klimareduktion bis 2030 Dr. Marco Buschmann [FDP]: Ja, aber Ihr ankündigt und die deutsche Bundesregierung verdutzt Staatssozialismus bringt auch nichts! Wir sind sagt: „Okay, wir stützen das EU-Kommissionsziel von ein Land mit 56 Prozent Staatsquote! Worüber 55 Prozent“, das schmerzt mich nicht nur als Klimapoliti- reden wir eigentlich? Ein Land mit 56 Prozent kerin, nein, das schmerzt mich als Europäerin. Staatsquote!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Jetzt halten Sie doch mal Ihren Mund. Wir hätten die Chance gehabt, zum führenden Binnen- Wenn Sie das nicht tun, dann tun es andere. Wir haben markt der Welt in diesem Bereich zu werden. das außenpolitisch daran gesehen, dass andere agieren. Der Wohlstand in diesen Zeiten basiert darauf, dass Die Türkei und Russland sind in Bergkarabach massiv man die richtigen Weichenstellungen schafft, so wie unterwegs, weil Europa sich weggeduckt hat. China 1945, nach dem schlimmsten Kapitel unserer Geschichte. investiert in die Europäische Union 300 Milliarden Euro – 24942 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

(A) Vizepräsidentin : Wir haben als Deutscher Bundestag darauf reagiert, ja. (C) Bitte kommen Sie zum Ende. Wir haben den Ländern sehr, sehr viel Spielraum gege- ben. Wir haben diesen Spielraum im Bevölkerungs- schutzgesetz auch noch mal erweitert. Aber ich habe an Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Stelle – andere Redner haben das auch gemacht – NEN): vor zwei Wochen schon gesagt: Es hat nicht gereicht, was – ich komme zum Schluss –, doch nicht, weil die an Maßnahmen auf den Weg gebracht worden ist. Des- Chinesen Wohltäter sind, sondern hinter dieser neuen wegen ist es gut und richtig, dass jetzt einzelne Minister- Investitionsoffensive Chinas präsidenten anfangen, darüber nachzudenken, mehr zu (Dr. Alice Weidel [AfD]: Investitionsoffensive! machen, insbesondere für die kritische Zeit zwischen Was ist denn das für eine Rede! Mann, Mann, Weihnachten und Neujahr, insbesondere auch für den Mann!) Bereich Schule. Das ist in der Tat wichtig; in der Schule ist es nicht gut gelaufen. Ich hoffe mal, dass dazu jetzt in Europa und in der Welt steckt geostrategisches Kalkül. auch eine Einigkeit zustande kommt. Sich einfach nicht mehr vor Weihnachten zu treffen und es laufen zu lassen, (Dr. Alice Weidel [AfD]: Kalkül? Kobold!) das geht nicht. Wir haben eine klare Erwartungshaltung, Das, was dort investiert wird, wird nicht im Sinne einer dass die Maßnahmen jetzt nicht nur nachgebessert wer- humanitären Geste investiert, sondern um strategische den, sondern auch auf eine so solide Grundlage gestellt Abhängigkeiten zu schaffen. Da muss Europa reingehen. werden, dass wir damit auch langfristig arbeiten können. Ich wiederhole das, was ich in der letzten Plenarsitzung Mein letzter Gedanke. Die Kürzungen in diesem Haus- gesagt habe: Dieses scheibchenweise Vorgehen macht halt bei den Ausgaben für multilaterale Programme betra- uns alle mürbe, meine Damen und Herren. gen ab 2022 25 Prozent: Kürzungen bei den Mitteln für UNICEF, das UNDP-Entwicklungsprogramm, die Welt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gesundheitsorganisation. Das gefährdet die Sicherheit Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht des deutschen Haushaltes, sondern unserer strategi- NEN]) schen Rolle in der Welt, meine sehr verehrten Damen und Wir sehen aber auch, dass das ein ganz besonderer Herren. Haushalt ist, dass es ein Coronahaushalt ist: 179 Milliar- Herzlichen Dank. den Euro Neuverschuldung. Das ist nicht das, was die Union sich gewünscht hat, weil es für uns auch eine Frage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – der Generationengerechtigkeit ist. Um das aufzugreifen, Alice Weidel [AfD]: Das ist eine Kindergarten- was eben in der Debatte und auch gestern in der Finanz- (B) (D) rede gewesen! Kindergarten! Mann, Mann, debatte gesagt worden ist: Es ist eine Frage der Genera- Mann! Wahnsinn! Was für ein Kindergarten! tionengerechtigkeit, dass die Belastung, die in unserer Unglaublich! – Dr. Marie-Agnes Strack- Generation entstanden ist, auch möglichst von unserer Zimmermann [FDP]: Das war eine schlechte Generation getragen wird. Bewerbungsrede!) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, verbietet Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU- es sich, das auf ewig weiter zu strecken. Andere Genera- Fraktion Ralph Brinkhaus. tionen, andere Politiker, die hier in 20, 30, 40 Jahren sitzen werden – diese Ahnung haben wir doch alle –, (Beifall bei der CDU/CSU) werden ihre eigenen Probleme haben, deren Lösung sie auch finanzieren müssen. Deswegen ist es richtig, was die Haushälter gemacht haben, als sie eine kurze Tilgungs- Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): frist gesetzt haben, und dass wir 2026 damit anfangen, Frau Präsidentin! Ich glaube, es ist das erste Mal, dass liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie jetzt an diesem Platz sitzen. Herzlichen Glückwunsch noch mal im Namen des ganzen Hauses, und auf gute (Beifall bei der CDU/CSU) Zusammenarbeit! Aber wir haben die Entscheidung für diesen Haushalt (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, ganz bewusst getroffen, weil es für uns keine Option war, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE diejenigen, die unter der Coronakrise leiden, hängen zu GRÜNEN) lassen, auch wenn man ganz klar sagen muss – und das muss betont werden –: Es ist nicht so, dass wir jedem Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehr als alles ersetzen können. Das wird nicht funktionieren; das 500 Tote: Hinter diesen Zahlen stehen Gesichter, dahinter muss man auch klar sagen. stehen Familien, dahinter stehen Schicksale – gar nicht zu reden von den Menschen, die langfristige gesundheitliche Es war für uns übrigens auch keine Option, in einer Schäden haben. Insofern war die eine oder andere Zeit, wo der Zusammenhalt der Gesellschaft ganz beson- Bezirksparteitagsrede oder auch andere Rede hier echt ders wichtig ist, im sozialen Bereich zu sparen. Es war unangemessen, muss ich sagen; denn das wird der Sache erst recht keine Option, bei den Zukunftsausgaben zu nicht gerecht, meine Damen und Herren. sparen. Deswegen ist es richtig, dass wir diesmal mit 179 Milliarden Euro Neuverschuldung reingehen. Das (Beifall bei der CDU/CSU) Stichwort „Zukunft“ sollte uns auch leiten. Wir haben Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24943

Ralph Brinkhaus (A) heute zu Recht sehr viel über Corona und die Bewälti- Der nächste Bereich, der wichtig ist, ist der Bereich (C) gung der Pandemie geredet. Aber, liebe Kolleginnen und Investitionen. Im Bereich Investitionen geht es wirklich Kollegen, die Welt dreht sich weiter. Wir müssen uns auf nicht nur darum – das ist hier mehrfach gesagt worden –, die Welt in der Nachcoronazeit vorbereiten. Deswegen ist das Geld bereitzustellen – denn das hat der Deutsche diese Generaldebatte auch der Ort, wo wir über die The- Bundestag in den vergangenen Jahren gemacht –, son- men reden müssen, die uns nach Corona in den nächsten dern es geht hier in erster Linie darum, dieses Geld Jahrzehnten bewegen. auch auszugeben. Da sind insbesondere die Ministerin- nen und Minister der Bundesregierung gefordert. Da sind Da ist meines Erachtens zunächst einmal das Thema wir aber auch gefordert, die Hürden im Planungsrecht Wirtschaftspolitik. Ich fordere – ja, noch mal – eine wegzuräumen. Da ist uns viel gelungen. Es war nicht Renaissance der Wirtschaftspolitik, und zwar aus zwei immer einfach mit der SPD; aber wir haben das Planungs- Gründen: beschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht. Erstens. Die anderen schlafen nicht. Es ist so, dass (Beifall bei der CDU/CSU) China, aber auch, Frau Bundeskanzlerin, asiatische Demokratien durch entschlosseneres Handeln schneller Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht auch – Frau aus dieser Pandemie rauskommen als wir und dass die Baerbock, da haben Sie recht – um den Bereich Bildung. diesen Wettbewerbsvorteil auch nutzen. Dieser Wettbe- Wirtschaftspolitik ist auch immer Bildungspolitik. Ich werbsvorteil richtet sich gegen uns, und deswegen müs- soll ja die Bundesländer nicht mehr kritisieren; das tue sen wir Wirtschaftspolitik machen. ich auch nicht. Aber trotzdem: Es geht besser im Bereich Bildung. Deswegen müssen wir uns da noch mehr Der zweite Grund. Es wird ja immer gefragt: Wie kom- anstrengen. Es ist nicht nur Bundesgeld, was da fehlt, men wir aus dieser Krise raus? Wie werden wir diese sondern da geht es um viel mehr. Wenn wir die Pandemie finanziellen Belastungen tragen? Es gibt die einen, die jetzt nicht nutzen, das Bildungssystem neu aufzustellen sagen: Wir müssen uns da raussparen. – Das wird nicht und neu zu organisieren, dann haben wir viel verpasst, funktionieren. Es gibt die anderen, die sagen: „Wir müs- liebe Kolleginnen und Kollegen. sen uns da rausbesteuern“, Herr Scholz. Auch das wird (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. nicht funktionieren. Es wird wirtschaftliche Entwicklung Saskia Esken [SPD]) abwürgen, wenn wir die Steuern erhöhen, liebe Kollegin- nen und Kollegen. Es geht aber nicht nur um Wirtschaftspolitik, über die wir uns Gedanken machen müssen. Es geht auch um (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Außenpolitik. Ich glaube, da waren wir in den letzten ordneten der FDP) drei Jahren ein bisschen wenig sichtbar; da können wir (B) (D) Deswegen müssen wir die Voraussetzungen dafür mehr tun. Und ich möchte noch mal eins sagen: Wir schaffen, dass wir aus dieser Krise rauswachsen, und haben eine riesige Chance. Wir haben eine riesige Chan- zwar durch gute Wirtschaftspolitik. Dafür brauchen wir ce, weil wir einen neuen amerikanischen Präsidenten ein vernünftiges Unternehmensteuerrecht. Das wird von haben. Da wird sich nicht alles um 180 Grad drehen; unserem Koalitionspartner immer wieder blockiert, aber das ist überhaupt keine Frage. Aber wir sollten diese wir kämpfen trotzdem weiter. Wir brauchen verlässliche Chance nutzen, und wir sollten uns hier als Deutscher Energiepreise. Wir brauchen auch einen Abbau der Büro- Bundestag auch klar verorten. kratie. Ich habe ja mal ein Belastungsmoratorium vorge- Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Wir sind Trans- schlagen. Das hat bei unserem Koalitionspartner, Herr atlantiker. Mützenich, keine Begeisterung hervorgerufen. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- als „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ und „Schleifung ordneten der FDP) von Arbeitnehmerrechten“ denunziert worden. Das ist nicht unser Ansatz. Wir wissen, dass die Vereinigten Staaten eine Demokratie sind. Wir wissen, dass China keine Demokratie ist. Und (Beifall bei der CDU/CSU) an die Adresse ganz links und rechts: Russland ist auch Mittelständische Unternehmen wollen keine Arbeitneh- keine Demokratie, meine Damen und Herren. merrechte schleifen, mittelständische Unternehmen wol- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie len keine Steuern hinterziehen. Das ist ein komisches bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Verständnis von Wirtschaft, liebe Kolleginnen und Kol- GRÜNEN) legen. Deswegen wissen wir, wo wir hingehören, liebe Kolle- Es geht aber auch darum, dass wir im Rahmen der ginnen und Kollegen. Wirtschaftspolitik noch mehr für Forschung tun. Geld Es geht aber auch um Europapolitik, und da ist viel schießt Tore, das ist auch im Bereich Forschung so. erreicht worden in der deutschen Ratspräsidentschaft, (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Leistung auch im finanziellen Bereich. Das muss jetzt aber morgen schießt Tore!) und übermorgen auch umgesetzt werden. Wir als Unions- fraktion stehen zu dem mehrjährigen Finanzrahmen. Wir Wir haben den Ansatz für den Forschungshaushalt in den stehen auch zu dem Aufbaupaket, wobei wir da über letzten Jahren nicht nur hochgefahren, sondern wir haben einen ganz, ganz langen Schatten springen mussten. ihn auch für die nächsten Jahrzehnte verstetigt; das ist Aber da müssten jetzt die europäischen Kolleginnen wichtig. und Kollegen auch so verantwortlich mit umgehen, dass 24944 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Ralph Brinkhaus (A) das Geld auch abfließt, und zwar schnell abfließt. Des- Ich bin sehr stolz darauf, dass wir gemeinsam ganz, (C) wegen erwarten wir von den Verhandlern, dass wir am ganz viel aus dem Klimapaket aus dem Herbst 2019 be- Donnerstag und Freitag eine Lösung kriegen. reits umgesetzt haben. Ich bin froh und glücklich, dass es Wir sagen aber auch eins ganz klar: Rechtsstaatlichkeit uns gelungen ist, in dem Coronakonjunkturpaket sehr, ist der Ausfluss unseres gemeinsamen europäischen Wer- sehr viele Ausgaben für Klimaschutz zu verankern. Es tesystems, und dieses europäische Wertesystem ist nicht ist richtig, dass wir als Ergebnis des Autogipfels Elektro- verhandelbar – mit niemandem und niemals, liebe Kolle- mobilität und emissionsärmere Nutzfahrzeuge fördern. ginnen und Kollegen. Insofern ist da viel gemacht worden und auch viel Geld (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bereitgestellt worden, gerade in der Coronakrise, und da ordneten der SPD) rede ich noch gar nicht über Technologie und Innovation wie beispielsweise Wasserstoff und viele, viele andere vielversprechende Sachen, weil wir glauben, dass Tech- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: nologie und Innovation im Kampf gegen den Klimawan- Herr Brinkhaus, erlauben Sie eine Zwischenfrage des del mehr bringt als Verbote, liebe Kolleginnen und Kol- Abgeordneten Ernst? legen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): ordneten der FDP) Nein, ich führe erst zu Ende. Aber wir müssen weitermachen. Und wir würden uns wirklich wünschen, dass es uns auf europäischer Ebene Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: gelingt – ich weiß, die Grünen finden das gar nicht so gut, Okay. Frau Baerbock –, dass wir den Emissionshandel, der sehr, sehr erfolgreich war – übrigens auch in der Luftfahrt- Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): industrie; die Lufthansa unterliegt dem Emissionshandel, Nach der Europapolitik und der Außenpolitik geht es liebe Kolleginnen und Kollegen –, natürlich auch um Sicherheitspolitik, und es geht auch (Christian Lindner [FDP]: So ist es!) um die äußere Sicherheit. Dafür brauchen wir eine starke Bundeswehr, und eine starke Bundeswehr kostet Geld. auch auf die Bereiche Mobilität und auf die Bereiche Wir stehen zu den NATO-Zielen, wir stehen auch zu Wohnen und Wärme ausdehnen; denn der Markt wird unseren Bündnisverpflichtungen, und wir werden dieses dort bessere Lösungen haben. Geld auch bereitstellen. Das ist in diesem Haushalt gelun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (B) gen, in der Finanzplanung noch nicht; da müssen wir der FDP) (D) nacharbeiten. Jetzt den Klimawandel zum Anlass zu nehmen, den Es geht nicht nur um Geld, wenn wir zum Beispiel über Markt zu diskreditieren, halte ich für falsch. Der Markt bewaffnete Drohnen sprechen, sondern es geht auch um ist die Lösung, und Technologie und Innovation sind die den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten, die im Ein- Lösung im Kampf gegen den Klimawandel und nicht das satz ihr Leben für unsere Freiheit riskieren. Hindernis, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zurufe von der AfD) Wenn wir das alles zusammen machen, dann haben wir Deswegen werbe ich nur dafür, dass unsere Kolleginnen im Übrigen auch die Grundlage dafür gelegt, dass wir und Kollegen eine Entscheidung treffen, damit wir dieses einen vernünftigen Sozialstaat finanzieren können. Projekt möglichst schnell zu einem guten Ende bringen. Denn das wird auch hin und wieder einfach mal verges- Es geht beim Bereich Sicherheitspolitik aber auch um sen: Das Geld, das ausgegeben wird, muss auch finanziert innere Sicherheit. Es geht um den Kampf gegen den Ter- werden können. Aber um es den Leuten zu sagen, die uns rorismus, und zwar nicht nur gegen den rechten Terroris- als Große Koalition sagen: „Ihr habt zu viel für den mus, sondern auch gegen den linken und den islamischen Sozialstaat gemacht“: Terrorismus. Wir haben dafür Mittel bereitgestellt; das ist (Jan Korte [DIE LINKE]: Wer sagt das denn? – gut. Wir brauchen dafür aber auch noch weitere gesetz- Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Wer sagt liche Grundlagen. Da liegt einiges vor; das muss jetzt das?) umgesetzt werden, damit wir diesen Kampf entsprechend auch konsequent weiterführen können, liebe Kolleginnen Das Wichtigste ist der Zusammenhalt der Gesellschaft, und Kollegen. und dieser Zusammenhalt der Gesellschaft wird durch Wenn wir über diese ganzen Zukunftsthemen reden, diesen Sozialstaat auch entsprechend gesichert. Vor die- dann reden wir natürlich auch über das Thema Nachhal- sem Hintergrund brauchen wir da an der Stelle nichts tigkeit – was übrigens mehr ist als Umweltpolitik; das zurücknehmen. wird leicht vergessen. Und wenn wir über das Thema Um noch mal zum Anfang meiner Rede zu kommen: Nachhaltigkeit reden, dann muss ich sagen: Wir haben Zusammenhalt der Gesellschaft, das ist eigentlich das da gerade im letzten Jahr während der Coronakrise sehr, Stichwort, an dem sich die Coronamaßnahmen messen sehr viel gemacht, weil der Umweltverbrauch, weil der müssen. Zusammenhalt der Gesellschaft bedeutet eben Klimawandel natürlich keine Pause in der Coronakrise nicht nur, den Starken und Jungen alles zu ermöglichen, macht; das ist richtig. jegliche Freiheiten zu geben, sondern Zusammenhalt der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24945

Ralph Brinkhaus (A) Gesellschaft bemisst sich daran, inwieweit wir in der (Beifall des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD]) (C) Lage sind, die Alten, Verletzlichen und Schwachen zu schützen. Doch leider trägt auch er wieder ganz deutlich ihre Hand- schrift. Die fleißigen Bürger dieses Landes finanzieren Danke schön. jetzt seit Jahren ihren ideologischen Quatsch, werden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ausgepresst und sollen von Jahr zu Jahr am liebsten ordneten der SPD und der FDP) noch mehr Steuern bezahlen; wir haben es heute mehr- fach gehört. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Mit diesem Geld wird dann verschwenderisch die gan- Das Wort geht an Herrn Klaus Ernst von der Links- ze Welt bedacht. Von LED-Leuchten in Marokkos fraktion zu einer Kurzintervention. Moscheen bis hin zu Genderprojekten in Tunesien (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Frauenrechte Klaus Ernst (DIE LINKE): sind Menschenrechte!) Herr Brinkhaus, ich möchte kurz auf Sie eingehen; Sie haben ja leider meine Frage nicht zugelassen. Sie spre- kümmern Sie sich wieder um alles auf der Welt, außer um chen vom Zusammenhalt der Gesellschaft, lehnen aber Ihre wichtigste Aufgabe: Politik für unser Land und Poli- gleichzeitig Steuererhöhungen – und ich sage es ganz tik für unsere Leute, meine Damen und Herren. bewusst – für die Reichen, für die Krisengewinnler ab (Beifall bei der AfD – Christian Lindner und fordern ein anderes Konzept für die Unternehmen- [FDP]: So ein Quatsch!) steuern, die gesenkt werden sollen; ähnlich heute früh Herr Merz im Rundfunk. Wie wollen Sie das eigentlich Frau Merkel, Sie haben unsere nationale Souveränität mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft in Einklang in den letzten 15 Jahren geschleift, das Bürokratiemons- bringen? ter EU ausgebaut, unsere Gesellschaft tief gespalten und ein Klima der Angst und der Unfreiheit geschürt. Hoch- Sie wollen letztendlich ein Konzept, wenn Sie sagen: qualifizierte Deutsche flüchten mittlerweile vor Ihrer Auch in dieser Generation muss das, was wir jetzt aus- Politik und sehen sich im Ausland nach Alternativen um. geben, womit wir jetzt retten, ausgeglichen werden – richtigerweise. Ja, dann muss das bitte schön von anderen Und bis vor wenigen Monaten dachte ich persönlich erbracht werden. Dann muss das Geld von woandersher noch, dass diese Minderleistung von Ihnen, die sowieso kommen als von denen, die jetzt gewinnen, und von de- schon einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik nen, die vorher gewonnen haben, nämlich die Unterneh- ist, eigentlich gar nicht mehr zu toppen sei. Aber dann (B) men. Bitte! Mit so einem Konzept werden wir den kam Corona. Und mit dem Virus kamen Allmachtsfant- (D) Zusammenhalt der Gesellschaft nicht fördern. Mit so asien, die weitgehendsten Einschränkungen von Grund- einem Konzept bereiten Sie eigentlich den Klassenkampf und Freiheitsrechten, die es in dieser Republik je gab, De- in den nächsten Jahren vor. Da geht es um Sozialleistun- facto-Berufsverbote für ganze Wirtschaftszweige, Aus- gen, da geht es um Steuererhöhungen für die Kleinen, und gangsbeschränkungen und in Teilen Deutschlands der da geht es darum, dass die Kleinen den Reichen helfen Katastrophenfall. sollen, weil es denen dann angeblich schlecht geht, wenn Alle 14 Tage werden von Ihnen, Frau Merkel, und von man ihnen nicht hilft. Ihrem Ministerpräsidentenstammtisch dann neue Hiobs- Das ist eine Politik, die hat mit Zusammenhalt der botschaften verordnet und ohne Parlamentsbeteiligung in Gesellschaft, Herr Brinkhaus, überhaupt nichts zu tun. die Welt posaunt. Um dieses Schauspiel dem Wähler ver- Wenn wir gemeinsam aus dieser Krise rauskommen sol- kaufen zu können, sollen dann mitten in der Krise auch len, dann müssen die starken Schultern jetzt auch zur noch die Rundfunkbeiträge erhöht werden – Hauptsache, Verantwortung gezogen werden. Wir brauchen jetzt die eigene Propagandamaschine läuft. Steuererhöhungen für die, die beteiligt werden müssen an der Finanzierung der Mittel zur Bewältigung dieser (Beifall bei der AfD) Krise. Wenn Sie das ablehnen, spalten Sie die Gesell- Aber zumindest in diesem Punkt haben wir Ihnen ja schaft, Herr Brinkhaus. schon mal einen Strich durch die Rechnung gemacht. (Beifall bei der LINKEN – Christian Lindner Sie sehen: AfD wirkt, meine Damen und Herren. [FDP]: So ein Quatsch!) Frau Kanzlerin, mit Ihrer Coronapolitik richten Sie ein ganzes Land zugrunde und zerstören Millionen von Exis- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: tenzen. Vielen Dank. – Das Wort geht an Sebastian Münzenmaier von der AfD-Fraktion. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man ja nicht anhören!) (Beifall bei der AfD) Sprechen Sie doch mal mit den fleißigen Gastronomen. – Das würde Ihnen auch nicht schaden, Frau Roth, wenn Sebastian Münzenmaier (AfD): Sie mal zuhören und mit den Menschen da draußen spre- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ein- chen würden. zig Positive an diesem Haushalt ist die Tatsache, dass es wahrscheinlich der letzte Haushalt unter dieser Kanzlerin (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE ist. GRÜNEN]: Ich höre zu!) 24946 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Sebastian Münzenmaier (A) Sprechen Sie doch mal mit denen, die auf die November- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Da gibt es (C) hilfe warten, die jetzt vielleicht mal im Januar irgend- viele!) wann kommt. hat mal gesagt: „Abschied ist die Tür zur Zukunft.“ Frau Was ist denn mit den Inhabern von Fitnessstudios, die Kanzlerin, ich muss Ihnen sagen: Ihr Abschied ist die Tür ihre Miete nicht mehr bezahlen können, weil die Mit- zur Zukunft unserer Landes. Wir als AfD-Fraktion wer- gliedsbeiträge fehlen? den alles dafür tun, dass Deutschland in eine bessere Zukunft schaut als in den letzten 15 Jahren. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sagen Sie doch mal, was Sie machen wollen!) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Oder fragen Sie mal einen Taxifahrer, wie es so läuft in (Beifall bei der AfD – Jan Korte [DIE LINKE]: Ihrer schönen bunten Welt, wenn alles außer Arbeiten in Trümmerlandschaften wären das! – Gegenruf diesem Land eigentlich verboten ist. Aber zu normalen des Abg. Sebastian Münzenmaier [AfD]: Das Menschen haben Sie, Frau Roth, oder auch Sie, Frau werden wir sehen! Sie können sich ja daran Kanzlerin, ja überhaupt keinen Kontakt mehr. beteiligen! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]: Ganz genau! Das ist die Tradi- Frau Merkel, Sie fordern, dass frierende Kinder Knie- tion, in der Sie stehen!) beugen machen oder in die Hände klatschen sollen, wenn es in der Schule eiskalt ist. Wenn ich so etwas höre, glaube ich, dass wir dringend einmal das Kanzleramt Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: durchlüften sollten, sodass der eine oder andere wieder Vielen Dank. – Das Wort geht an Carsten Schneider, klar im Kopf wird. SPD-Bundestagsfraktion. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Frau Merkel, Sie haben leider den Bezug zur Realität Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): verloren. In Ihrer Welt werden einfach immer wieder Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! neue Schulden gemacht. Sie haben es heute Morgen Herr Münzenmaier, Sie sind ja ein wegen Beihilfe zu mehrfach gesagt: Geld ist ja da. Körperverletzung rechtskräftig verurteilter Hooligan. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das merkt man, auch wenn Sie einen Anzug tragen. NEN]: Was ist denn Ihre Welt?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe Die Kapelle auf dem untergehenden Schiff spielt munter von der AfD) (B) weiter, Frau Haßelmann. Aber im realen Leben da drau- Dass Ihre Partei Sie hier als ihren zweiten Redner in der (D) ßen, welches Sie nicht mehr mitkriegen, platzen Kredite, Generaldebatte reden lässt, in der es um die Zukunft da verlieren Menschen ihre Jobs und müssen aus ihren unseres Landes geht, zeigt, wo Ihre Partei steckt: mitten Häusern ausziehen, und hier sitzt eine Kanzlerin, die im Rechtsextremismus. währenddessen in diesem Haushalt eine Erweiterung des Kanzleramts samt Wohnung zum Schnäppchenpreis (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von ungefähr 600 Millionen Euro plant. Das sind mehr der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) als 18 000 Euro pro Quadratmeter. Frau Merkel, das sind Wir beraten den Bundeshaushalt, die generelle Linie. Preise, da wäre selbst der Bonzenbischof Tebartz-van Kollegin Bas wird noch was zu der Frage der Pandemie Elst noch neidisch auf Sie geworden. und der Gesundheitslage sagen. Ich will mich auf die (Beifall bei der AfD) ökonomischen Fragen konzentrieren. Also sitzen Sie weiterhin in Ihrem überteuerten Elfen- Ich finde, es ist heute gut zutage getreten, wo die beinturm und senden Durchhalteparolen ans eigene Volk: Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien liegen Man müsse jetzt brav sein, damit man irgendwann wieder und welche unterschiedlichen Denkschulen dem zugrun- in die Stammkneipe darf. Man müsse diszipliniert sein, de liegen; dies wird wahrscheinlich bei der Bundestags- weil ansonsten Oma und Opa sterben. Wer was anderes wahl eine Rolle spielen. behauptet oder sachliche Kritik äußert, wird zum Coro- Ich bin sehr froh – Rolf Mützenich hat es gesagt –, dass naleugner und wird abgewertet. Das ist keine seriöse wir Sozialdemokraten uns entschieden haben, auch unter Politik; das ist billige Polemik. schwierigen Umständen in diese Bundesregierung zu gehen. Es hat sich gezeigt, dass es gerade in der Krise (Beifall bei der AfD – Bettina Stark-Watzinger extrem wichtig ist, dass im Finanzministerium jemand [FDP]: Das machen Sie gerade!) wie Olaf Scholz als Finanzminister sitzt, der nicht klein- Frau Merkel, Sie gehen ja Gott sei Dank nächstes Jahr teilig denkt, sondern groß. Das ist notwendig, um die in den politischen Ruhestand. Aber haben Sie sich eigent- Belastungen der extremen wirtschaftlichen Krise, die lich mal Gedanken darüber gemacht, welche Schulden- wir hatten und haben, zu schultern. Wir können sie berge Sie meiner Generation hinterlassen? Wer soll denn schultern durch die Intervention des Staates und durch diese immensen Summen jemals zurückzahlen können? eine hohe Kreditaufnahme, weil wir im vergangenen Sie opfern die Zukunft unserer Kinder auf dem Altar Ihrer Jahrzehnt gespart haben Coronaschuldenpolitik. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sparen nicht! Ein klügerer Mann als ich Weniger Schulden! Einnahmen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24947

Carsten Schneider (Erfurt) (A) bzw. die Einnahmen stärker gewachsen sind als die Aus- (Dr. [FDP]: Vor dem Reden erst (C) gaben. Von diesem Polster können wir zehren. Genau das lesen!) ist der Wesenskern sozialdemokratischer Finanzpolitik: Ich sage Ihnen: Wir sind auch bereit, dem Finanzminister Wenn es sehr, sehr gut läuft, dann sorgen wir dafür, im Zweifel die Möglichkeit zu geben, diese Mittel zu dass die Schulden sinken. Wenn der Staat intervenieren erhöhen. muss, hat er die Kraft und kann es auch. Das bringt Sicherheit. Was machen Sie? Sie setzen die Hilfen um 20 Milliar- den Euro niedriger an. Das heißt, der kleine Kneipier (Beifall bei der SPD) bekommt von Ihnen im Zweifel die Hälfte. Das machen wir zum einen, indem wir den Sozialstaat (Christian Lindner [FDP]: Das stimmt nicht! Es stabilisieren. Wir kürzen ihn nicht, wie von Teilen der geht um Ausgaben, Herr Schneider!) Union gefordert; bei Herrn Merz habe ich das gehört. Das sind ja die Rezepte aus den 80ern. Das ist sozusagen Wem geben Sie aber Geld? Was ist noch Teil Ihrer Poli- die Videokassette der deutschen Politik: . tik? Wir machen hier auch wirklich Steuerpolitik, falls Sie es nicht mitbekommen haben. Zum 1. Januar wird (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Jan der Soli für 95 Prozent der Beschäftigten in Deutschland Korte [DIE LINKE]: Der war nicht schlecht!) abgeschafft. Das ist sozialdemokratische Politik; das Nein, wir kürzen nicht, sondern wir erhalten den Sozial- steht in unserem Programm. staat, und wir bauen ihn im Zweifel aus. Im Zusammen- (Beifall bei der SPD) hang mit dem Kurzarbeitergeld haben wir – ich weiß gar nicht, wer es war; ich glaube, Frau Baerbock hat es ange- Das gibt einen Wachstumsimpuls für mehr Binnennach- sprochen – für eine Verpflichtung zur Weiterbildung frage. Sie beantragen hier, dass für die letzten 5 Prozent, gesorgt. Also, wenn die Unternehmen es wollen, können die Superreichen, die Jetset-Generation, die Steuern um sie es jetzt tun. Diese Möglichkeit hat im 10 Milliarden Euro gesenkt werden. Zusammenhang mit der Verlängerung des Kurzarbeiter- (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: So ein geldes – Stichwort: Qualifizierungschance – ermöglicht; Quatsch!) denn wir glauben an die Zukunft in Deutschland, und wir bleiben eben nicht stehen, sondern entwickeln uns nach Sie nehmen es beim Kneipier um die Ecke und geben es vorn. dem Jetset-Publikum in Nizza. Herzlichen Glückwunsch! (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Christian Lindner [FDP]: Das ist Demagogie!) Die internationale Politik – nehmen Sie den IWF, neh- (B) men Sie die EU-Kommission – gibt uns recht. Wir haben – Das ist nicht Demagogie, das ist einfach faktenbasierte (D) einen ökonomischen Impuls aus der Kreditaufnahme Politik, Herr Lindner. umgesetzt. Wir setzen aber auch auf Transformation, Jetzt gucke ich mal nach NRW – Sie tun ja so, als Wasserstoff, neue Technologien, Digitalisierung etc. All würden Sie hier nirgendwo Verantwortung tragen –; das das ist entscheidend; denn wir können nicht stehen blei- ist ja das größte Bundesland. Soweit ich weiß, sind Sie ben. dort in der Koalition. Haben Sie doch mitgemacht, oder? Ich schaue mir auch Alternativen dazu an; dazu dient (Christian Lindner [FDP]: Habe ich verhan- solch eine Debatte heute hier ja auch. Ich greife das auf, delt!) was Herr Lindner gesagt hat. Ich habe mir Ihre Anträge genau angesehen, sowohl die in Nordrhein-Westfalen, wo – Haben Sie verhandelt. Genau. – Das ist nicht ohne. Sie in der Landesregierung sind, als auch hier im Bundes- Also, gegen den Bundesvorsitzenden der FDP wird tag. Fangen wir mal bei denen im Bundestag an. Im doch sicherlich nicht entschieden, dass die höchste Kre- Bundestag haben Sie bei den Wirtschaftshilfen beantragt, ditaufnahme, die alle Bundesländer haben – nicht pro dass sie um 20 Milliarden Euro niedriger liegen als das, Kopf, sondern bezogen auf den Haushalt 2019 –, wo was die Koalition aus CDU/CSU und SPD zur Verfügung ist? In NRW, bei der FDP. Und: Wie lang ist der Zeitraum, stellt, bis die Schulden in NRW getilgt werden? 50 Jahre! 50 Jahre nehmen Sie sich Zeit. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Wir entlasten aber auch doppelt!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe also die direkten Wirtschaftshilfen für November, von der FDP) Dezember und eventuell länger, die noch gezahlt werden, als auch die Überbrückungshilfen. Man kann darüber reden, ob das richtig oder falsch ist; aber es ist komplett was anderes als das, was Sie hier die (Christian Lindner [FDP]: Nee! Nee! Nee!) ganze Zeit im Bundestag erzählt haben. Betroffen sind also der Kneipier, die Gaststätte, die der- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zeit die Umsätze erstattet bekommen, weil sie per Auf- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE lage für uns alle geschlossen sind. GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Wir (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Das sind haben keine Rücklagen!) Ausgaben!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung Diese Mittel in Höhe von über 40 Milliarden Euro stehen hat es jetzt in der Hand, die Investitionen, die wir zur zur Verfügung. Verfügung gestellt haben, zur Transformation unserer 24948 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Wirtschaft zu nutzen und sie voranzubringen. Sie hat es in Die wesentlichen Ursachen dafür, dass die Kultur- und (C) der Hand – ich vertraue der Kanzlerin und dem Finanz- Kreativbranche so existenziell getroffen ist, entstanden minister –, die Unternehmen, die jetzt in Schwierigkeiten nicht durch die Coronapandemie; sie waren schon vorher sind, zu stabilisieren. Ich füge aber auch hinzu, dass die da. Dass zum Beispiel die Vergabe von Fördergeldern Umsatzerstattung für Handelsunternehmen, falls sie ge- nicht an soziale Standards gekoppelt ist, ist ein Skandal. schlossen werden sollten, aus meiner Sicht nicht darstell- (Beifall bei der LINKEN) bar ist. Vielmehr müssen wir da wirklich auf die Fixkos- ten schauen; denn wir müssen auch aufpassen, dass wir Die soziale Lage von zahllosen Künstlerinnen und aus dieser Krise gestärkt hervorgehen und nicht mit zu Künstlern war schon vor Corona bescheiden, und wer viel Schulden. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine vorher kaum was hatte, der geht jetzt unter. Der Verweis starke Wirtschaft und solide Finanzen. auf Hartz IV ist ein Hohn und wird auch als solcher empfunden – es sei denn, Sie stimmen dem Entschlie- Vielen Dank. ßungsantrag meiner Fraktion zu, in dem wir eine sankt- (Beifall bei der SPD) ionsfreie Grundsicherung mit höheren Regelsätzen für alle darauf Angewiesenen fordern. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (Beifall bei der LINKEN) Das Wort geht an die Abgeordnete Simone Barrientos Wann kommt endlich die wirklich unbürokratische von der Fraktion Die Linke. Hilfe für Soloselbstständige? Wann kommt endlich der (Beifall bei der LINKEN) von uns seit Monaten geforderte fiktive Unternehmer- lohn? Der vorliegende Kulturhaushalt ist gut gemeint; Simone Barrientos (DIE LINKE): aber er gibt keine Antworten auf die Fragen zur sozialen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Absicherung, zu Diversität, zu Geschlechtergerechtig- Kollegen! Kommen wir zum Kulturhaushalt. Die Bun- keit, und er wird der dramatischen Situation nicht destagsdebatten zur Kultur gleichen inzwischen einem gerecht. Theaterstück: zigmal geprobt, der Text sitzt, die Einsätze Stimmen Sie am Freitag unserem Entschließungsan- klappen, auf dem Papier ein Festspiel, in der Realität aber trag zu, damit nicht am Ende aus dem Drama eine Tragö- ein Gesellschaftsdrama. die wird! Der zu befürchtende Kulturverlust wäre ein Eine Kleine Anfrage von mir zu „Neustart Kultur“ hat sehr, sehr schwer wiedergutzumachender Schaden für ergeben – ich konnte die Antwort nur überfliegen; sie die Menschen und vor allen Dingen für die Demokratie. sollte gestern kommen, kam aber erst heute rein oder Vielen Dank. (B) erreichte mich erst heute –, dass allein der Mehrbedarf (D) in diesem Bereich bei über 1 Milliarde Euro liegt. Wäh- (Beifall bei der LINKEN) rend die Bundesregierung die Coronaüberbrückungshil- fen als Erfolg feiert, werden Tausende Soloselbstständige Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: wegen Subventionsbetrugs angezeigt. In etwa 8 200 Fäl- Vielen Dank. – Das Wort geht an die Abgeordnete len ermittelt der Zoll. Das ergab mein Gespräch mit Margit Stumpp von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Lutz, dem Vorsitzenden des Verbandes der Gründer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Selbstständigen Deutschland.

Die Betroffenen haben zum Teil unwissentlich fehler- Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hafte Angaben gemacht, weil das Bürokratiemonster Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen überhaupt nicht zu bewältigen ist. Das Geld kommt nicht und Herren! Das unausgegorene Konzept zur Presseför- an, und wenn doch, dann reicht es hinten und vorne nicht, derung, das die Koalition in der Haushaltsbereinigungs- oder es wird der Lebens- und Arbeitswirklichkeit der sitzung kürzlich abgenickt hat, steht symptomatisch für Kultur- und Kreativbranche nicht gerecht, oder es wird die verfehlte Medienpolitik dieser Regierung. 180 Millio- zurückgefordert. Viele Soloselbstständige trauen sich nen Euro sollen an Zeitungs-, Zeitschriften- und Anzei- überhaupt nicht mehr, Hilfen zu beantragen. Sie fordern genblattverlage ausgeschüttet werden, nach dem Prinzip: und brauchen klare, nachvollziehbare, verlässliche Die höchste Auflage bekommt das meiste Geld. Wer hat, monatliche Hilfen, die sich eben nicht jeden Monat än- dem wird gegeben. – Weder die Förderung von Qualität dern. Sonst wird nämlich die Novemberhilfe zum April- noch die des lokalen und regionalen Journalismus wird scherz; berücksichtigt. Wie das zur Medienvielfalt beitragen soll, (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: ist uns und den Fachleuten ein Rätsel. Das bleibt das Wie lustig!) Geheimnis der Koalition. so lange kann es uns ja noch beschäftigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Vorgehen der Finanzbehörden ist völlig unverhält- Der Bundesregierung fehlt zudem immer noch eine nismäßig. Einem jungen Paar wurde die Wohnung gekün- kohärente Strategie für eine altersübergreifende Stärkung digt, weil ihr Bankkonto infolge des Betrugsverdachts der Medienkompetenz. Dabei sind Desinformation, gesperrt wurde. Selbst das Sparkonto eines dreijährigen Hassreden und Verschwörungstheorien nicht erst seit Kindes wurde gesperrt. Dramen spielen sich ab, die Ver- Corona eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Demo- zweiflung wächst, und die Veranstaltungsbranche pfeift kratie. Die Verfolgung strafrechtlich relevanter Inhalte ist buchstäblich auf dem letzten Loch. das eine. Das andere ist der Umgang mit Inhalten, die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24949

Margit Stumpp (A) nicht gegen Strafrecht verstoßen, zum Beispiel Ver- wenn es darum geht, die Chance zu nutzen, in den (C) schwörungstheorien. Antisemitismus und Demokratie- Weihnachtsferien in ganz Deutschland weiter Kontakte verachtung sind inzwischen salonfähig. Wo bleiben die zu reduzieren. Wenn es keine Schule gibt, wenn viele Maßnahmen zur digitalen Aufklärung? Unternehmen geschlossen haben, dann müssen wir die Möglichkeit nutzen, weiter Kontakte zu reduzieren, um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) uns gegen den Virus zu stemmen. Die Tatsache, dass es inzwischen auch in der CDU Mandatsträger gibt, die das Systemmedien-Bashing sys- Aber es entsteht auch genau in dieser Zeit ein neues tematisch und strategisch betreiben, zeigt die Brisanz. Risiko, und das Risiko heißt: Die Familien kommen zusammen, und es entsteht eine Nähe zwischen den (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wer?) Generationen. – Es ist auch möglich und notwendig und Getrieben von der Hoffnung, den rechten Rand zu bedie- gewünscht, dass sie Weihnachten entsteht; aber darin nen, riskiert die CDU in Sachsen-Anhalt einen Regie- besteht das Risiko, dass der Virus in die nächste, in die rungsbruch. Das ist unfassbar. ältere Generation eingetragen wird, (Beifall der Abg. Katharina Dröge [BÜND- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Familien sind NIS 90/DIE GRÜNEN] – Ralph Brinkhaus also Risiko! Genau!) [CDU/CSU]: Haben Sie keine anderen The- men?) die um ein Vielfaches gefährdeter ist als die junge Gene- ration. Deswegen müssen wir die Entscheidung treffen, Es stellt sich an die CDU nicht nur die Frage: Wie hältst dass die Kontakte vor Weihnachten reduziert werden, du es mit den Öffentlich-Rechtlichen? Es stellt sich auch damit das Risiko, dass der Virus von der jungen in die die Frage: Wie hältst du es mit der AfD? ältere Generation überspringt, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Mann, Mann, (Otto Fricke [FDP]: Er ist doch längst in der Mann! – Gegenruf der Abg. Saskia Esken älteren Generation!) [SPD]) reduziert wird. Das ist jetzt eine politische Aufgabe, mei- Es ist doch bei aller berechtigter Kritik höchst alarmie- ne Damen und Herren. rend, wie weite Teile der Presse die heutige Berichter- stattung dazu nutzen, auf die Öffentlich-Rechtlichen ein- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. zuprügeln, die gerade jetzt ihre Leistungsfähigkeit Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) beweisen. Es geht natürlich auch darum, über die Frage der (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schulen zu sprechen, und es geht natürlich auch darum, (D) sowie bei Abgeordneten der SPD) dass wir dafür sorgen, dass zwischen den Schülerinnen Noch kurz zur Kulturpolitik – Frau Barrientos hat viel und Schülern die Infektionsrate sich nicht weiter erhöht. gesagt –: Die Meldungen, der Bund habe über Ich weiß sehr wohl, dass diese Aufgabe keine Aufgabe 8 000 Selbstständige wegen versuchten Subventionsbet- ist, die dem Bund zusteht, sondern dass es Entscheidun- rugs angezeigt, sind verstörend. Hat die verantwortliche gen sind, die in den Ländern getroffen werden müssen. Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, dem Ich fand die Debatte von gestern und auch heute in Teilen Finanzministerium unterstellt, nichts Besseres zu tun? sehr befremdlich, wenn es darum geht, dass sich diejeni- Cum/Ex vielleicht oder Wirecard? War da was? Wo gen, die Verantwortung tragen, in Bund-Länder-Konfe- sind eigentlich die Prioritäten dieser Regierung? Warme renzen darüber streiten, ob man sich überhaupt vor Weih- Worte, Frau Grütters, auch endlos gespielt, retten Kultur- nachten treffen sollte oder ob man sich nicht treffen und Medienschaffende nicht. sollte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich weiß, dass es hier um Belange der Länder geht. Ich sowie bei Abgeordneten der LINKEN) weiß, dass die Länder sich nicht scheuen, sich immer wieder mit Aufforderungen an den Bund zu wenden Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: und ihn zu kritisieren. Das ist in Ordnung. Das ist auch Teil des Föderalismus. Aber deswegen müssen die Län- Manchmal geht es schneller, als man denkt. – Das Wort der jetzt auch akzeptieren, dass wir ihnen Ratschläge geht als Nächstes an Alexander Dobrindt von der CDU/ geben, und einer davon heißt: Setzen Sie sich mit dem CSU-Fraktion. Bund zusammen und finden Sie vor Weihnachten Lösun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen, wie wir die Kontakte reduzieren können! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Alexander Dobrindt (CDU/CSU): ordneten der SPD) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin! Sie haben Wir haben in diesem Bundeshaushalt auch alle finanz- einen eindrucksvollen Appell an Bürger und Politik iellen Vorgaben geregelt, die im Zusammenhang mit den gerichtet, um die Kontakte weiter zu reduzieren. Wir Kosten der Pandemie stehen. Es gibt eine Grund- stehen an Ihrer Seite, wenn es darum geht, diesen Appell philosophie in diesem Bundeshaushalt, die heißt, dass auch in die Realität umzusetzen. Wir stehen auch an Ihrer wir uns gegen Corona stemmen und dass wir im Jahr 2021 Seite, wenn es darum geht, die Empfehlungen der Leo- mit allen wirtschaftlichen und finanziellen Maßnahmen poldina jetzt umzusetzen. Wir stehen auch an Ihrer Seite, Corona hinter uns lassen wollen. 24950 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Alexander Dobrindt (A) Wir nehmen 180 Milliarden Euro neue Schulden auf. Wir wollen nicht in die Lage kommen, dass wir zukünftig (C) Das ist eine Zahl, Herr Bundesfinanzminister, an die will diejenigen sind, die diese Unterstützung und Hilfe brau- ich mich nicht gewöhnen, und wir dürfen uns auch nicht chen. Wir wollen einen anderen Weg. Aber der andere an diese Zahl gewöhnen. Die Frau Bundeskanzler hat Weg darf auch nicht heißen, dass man jetzt einfach die 2008 nach der Finanzkrise den Spruch getätigt: Man Steuern erhöht. kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum ( [AfD]: Ja! Genau!) denn nicht? – Karsten Hilse [AfD]: Das werden Sie aber machen! Sie werden die Steuern erhö- Dieser Spruch hat nach wie vor seine Gültigkeit. hen! Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen!) (Karsten Hilse [AfD]: Aber nicht für die CDU/ CSU!) Der Vorschlag der SPD-Ministerpräsidenten, einen Coronasoli einzuführen, ist grundfalsch, ein Fehlschluss. Wir leben jetzt begründet über diese Verhältnisse. Wir Der Soli ist von den Bürgerinnen und Bürgern in den müssen aber genauso begründet wieder zu soliden Haus- vergangenen Jahren durch ihre vielen Steuern, die sie halten zurückkommen und die Schuldenbremse wieder erbracht haben und von denen wir jetzt leben, längst einhalten. Ich erwarte auch das klare Bekenntnis der Bun- bezahlt worden, meine Damen und Herren. desregierung dazu. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir brauchen ein Wachstumsprogramm. Herr Bundes- finanzminister, ich bin da bei Ihnen: Der Vergleich mit Ich weiß, dass das hier nicht jeder so sieht. Es ist ja sehr der Finanzkrise, dass wir aus den Schulden herausge- deutlich gemacht worden, dass die Schuldenmacher und wachsen sind, ist richtig. Wir müssen diesen Weg jetzt die Schuldenerhöher gerne Corona als Vehikel zur wieder gehen; deswegen auch Überbrückungshilfen für Durchsetzung ihrer falschen Vorstellungen verwenden die Unternehmen, die genau dieses Wachstum in der Zu- wollen. Deswegen brauchen wir jetzt auch eine klare kunft generieren müssen. Aber zur Wahrheit gehört auch, Richtungsentscheidung bei der Finanzpolitik. Da gibt es dass es nicht das Wachstum alleine war, sondern es war einige mögliche Wege, die hier diskutiert und aufgezeigt vor allem die Haushaltssolidität, die die Grundlage dafür worden sind. Einige sagen: Wunderbar, der Damm ist war, dass Wachstum möglich war und wir aus den gebrochen. Lasst uns endlich die Schuldenbremse Schulden herausgekommen sind. Deswegen brauchen abschaffen. wir dieses klare Bekenntnis zur Schuldenbremse, meine Damen und Herren. (B) Frau Baerbock, Sie haben ja Ehrlichkeit in dieser (D) Debatte eingefordert und darauf hingewiesen, Sie könn- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten sich nicht vorstellen, dass wir ab 2026 die Schulden Wir haben in diesem Haushalt weiter für Entlastungen wieder zurückführen wollen. gesorgt. Ich rate dazu, dass wir keine Debatte darüber (Widerspruch der Abg. Margit Stumpp führen, die Abschaffung des Soli ab Januar rückabwi- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ckeln zu wollen, wie sie in Teilen schon wieder aufge- kommen ist. Ich rate dringend dazu, dass wir die Inves- Seien Sie doch so ehrlich und sagen Sie einfach, Sie titionen, die wir jetzt noch mal erhöhen, auch schnell wollen die Schuldenbremse im Grundgesetz abschaffen. umsetzen. Das ist nicht nur die Digitalisierung. Das sind natürlich auch die Klimainvestitionen. Das sind die (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schlüsseltechnologien, die künstliche Intelligenz, die NEN]: Das stimmt überhaupt nicht! Das wissen Therapeutikaentwicklung, die wir alle auch in diesem Sie selber!) Haushalt adressiert haben. Sie wollen für die Zukunft weiter Schulden in dieser Es ist vor allem auch das klare Bekenntnis, am Export- Höhe machen. Wir lehnen genau das ab. Die Schulden- markt in der Welt weiterhin führend zu sein. Wir sind bremse ist wegen Politikern wie Ihnen eingeführt wor- Exportweltmeister. Wir wollen Exportweltmeister blei- den, damit wir nicht ohne Bremse und ohne Not weiter ben. Das ist notwendig, wenn man Wachstum generieren Schulden in dieser Höhe aufnehmen können. will. Deswegen ist es grundfalsch, wenn die Grünen darauf hinweisen, dass Exportleistungen bestraft werden (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Christian Jung sollen, dass Exportüberschüsse begrenzt werden sollen. [FDP]: Sie sollen die EU reformieren!) (Widerspruch der Abg. Katharina Dröge Der Hinweis auf Europa war ja ganz wichtig: Es sind [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) übrigens genau diejenigen in Europa, die dem Schulden- Wir können den Export nicht aufgeben, wenn wir erfolg- fetisch in der Vergangenheit gefolgt sind, die jetzt vom reich bleiben wollen. Wir müssen Exportweltmeister Wiederaufbaufonds am allermeisten profitieren und die bleiben und in die Welt exportieren. Das ist die Aufgabe. ihn am allerdringendsten brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der (Norbert Kleinwächter [AfD]: Subvention der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE überschuldeten Staaten durch den deutschen GRÜNEN] – Jan Korte [DIE LINKE]: Das war Steuerzahler und die nachfolgenden Generatio- von den Grünen jetzt echt eine gute Sache, nen! Genau das ist es!) glaube ich!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24951

Alexander Dobrindt (A) – Sie müssen einfach mal in Ihrem Parteitagsbeschluss Herzlichen Dank. (C) nachlesen, in dem steht: Defizit- und Überschussländern (Beifall bei der CDU/CSU) sollen Verpflichtungen zum Abbau auferlegt werden. – Vielleicht wissen Sie nicht genau, was Sie da eigentlich beschlossen haben. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Vielen Dank, Herr Dobrindt. – Ich mische mich ja in (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Debatten nicht ein, aber es heißt: Bundeskanzlerin. GRÜNEN]: Das ist EU-Recht! EU-Recht ist das! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN – Lachen des Abg. Karsten Wir wollen auch in Europa weiter exportieren. Wir wol- Hilse [AfD]) len in Europa auch der Exportweltmeister bleiben. Das ist zwingend notwendig. Wir haben eine Kurzintervention des Kollegen Kindler. Die Gegenposition, die da aufgemacht wird und die man jetzt auch von verschiedenen Seiten europäischer Länder lesen kann, zum Beispiel auch von Teilen der Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- italienischen Regierung, ist, dass man auf Rückzahlung NEN): der Staatsschuldscheine, die in der Pandemie gekauft und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kol- bei der EZB geparkt worden sind, jetzt endlich verzichten lege Dobrindt! Leider haben Sie die Zwischenfrage nicht soll. Das ist grundgefährlich, was da diskutiert wird. zugelassen. – Ich bitte Sie erstens, keine Falschbehaup- tung hier im Plenum über unsere grüne Beschlusslage (Karsten Hilse [AfD]: Dann kümmern Sie sich aufzustellen. Wenn Sie das mitgekriegt hätten, hätten doch mal um die Target2-Salden!) Sie gemerkt, dass wir konkret gesagt haben: Wir wollen Das gefährdet die finanzielle Stabilität Europas an dieser die Schuldenbremse nicht abschaffen, sondern sie refor- Stelle. mieren und weiterentwickeln, (Norbert Kleinwächter [AfD]: Deswegen fängt (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Abschaffen!) man mit so was gar nicht erst an, Herr um Nettoinvestitionen zukünftig über Kredite zu finan- Dobrindt! Wir haben von Anfang an davor zieren. In Zeiten von negativen Zinsen macht das bei der gewarnt!) großen Transformation in Bezug auf die Klimakrise und Deswegen: Es darf keine Staatsfinanzierung durch die Digitalisierung Sinn. Hintertür geben. Ich respektiere die Unabhängigkeit der (B) Zweitens haben Sie gesagt, dass Deutschland Export- (D) EZB. Ich fordere sie geradezu ein. Aber „Unabhängig- weltmeister sein sollte, und haben kritisiert, dass Über- keit“ heißt, dass man sich von Forderungen und Ratschlä- schüsse und Defizite bei der Leistungsbilanz in Europa gen der Schuldenländer in Europa nicht abhängig macht, ausgeglichen werden sollten. Das ist heute schon europä- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Machen Sie isches Recht. doch! Macht die Kanzlerin doch!) (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE sondern auf Stabilität setzt, meine Damen und Herren. GRÜNEN]: Genau!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich weise Sie darauf hin: Es mag ja Fälle geben, in denen Ihnen das europäische Recht egal ist, so wie bei der Pkw- Maut. – Uns ist das europäische Recht eben nicht egal. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Wir wollen, dass wir aus der Finanzkrise lernen. Wir Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? wollen eben konkret, dass man die Finanzsysteme und die Wirtschaft in Europa stabilisiert. Alexander Dobrindt (CDU/CSU): (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist aber ein Nein. Ich mache jetzt meine Rede fertig. sehr langer Beitrag! – Gegenruf der Abg. (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Trauen Sie sich nicht? – Weitere Zurufe NEN]: Drei Minuten!) vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dazu gehört auch, dass man guckt, dass die Wirtschafts- und Währungsunion im Gleichgewicht ist – sowohl bei Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Staatshaushalten als auch bei der Frage von Leistungs- Es wird Zeit, Herr Dobrindt. bilanzen. Deswegen gibt es das europäische Recht, und wir wollen, dass Deutschland dieses europäische Recht Alexander Dobrindt (CDU/CSU): auch einhält. Ich freue mich darauf, dass wir diese Debatte heute (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch zu Ende führen, weil ich weiß: Es kommt mit dem Haushalt 2021 eine große Herausforderung auf uns zu. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Ich glaube daran, dass wir die Grundlagen für Wachstum, für Stabilität, für Innovation in diesem Haushalt gelegt Keine Antwort vorgesehen. haben. Deswegen lassen Sie uns diesen Haushalt gemein- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, sam mit Leben erfüllen. weil man nicht zum Europarecht steht! – 24952 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (A) Karsten Hilse [AfD]: Wollen Sie nicht antwor- „Bummelletzter“, sagt die Kanzlerin. – Das klingt nied- (C) ten, Herr Dobrindt? – Abg. Alexander Dobrindt lich, aber es ist nicht niedlich. Das ist eine Katastrophe [CDU/CSU] schüttelt den Kopf) für unsere Zukunft. Frau Beatrix von Storch von der AfD-Fraktion hat das (Beifall bei der AfD) Wort. Und die Merkel-Bilanz für Deutschland: Wir sind eine (Beifall bei der AfD) kunterbunte Republik geworden: mit über 600 islami- schen Gefährdern, mit über 75 000 Gewaltdelikten und Sexualverbrechen durch Merkels illegale Asylzuwande- Beatrix von Storch (AfD): rer, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir spre- chen über den Etat von Kanzlerin Merkel und dem Kanz- (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- leramt. NEN]: Immer mehr Rechtsextreme!) Ein Blick zurück: Das Kanzleramt hatte unter Konrad mit 250 000 ausreisepflichtigen Personen, die nicht abge- Adenauer 120 Mitarbeiter. Adenauers Bilanz: Wiederauf- schoben werden. Der Magnet bleibt scharfgestellt. Coro- bau und Wirtschaftswunder, soziale Marktwirtschaft und nagefährder dürfen weiter unkontrolliert rein, aber Vollbeschäftigung, Westbindung und die Aufnahme Gesunde sollen nicht mehr aus dem Haus. Das Wort Deutschlands in die NATO, die Gründung der EWG, „Ausreisesperren“ zirkuliert. Erst waren Masken Viren- die Rückkehr der Kriegsgefangenen, der Aufbau der schleudern; jetzt sollen die Bürger Masken selbst im Bundeswehr, die Versorgung von Millionen deutscher Freien tragen. Vertriebenen aus dem Osten. Deutschland, ein reiches Land? Die Deutschen sind (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider weniger vermögend als Italiener, Franzosen, Spanier, [Erfurt] [SPD]: Sie wollen in die 50er! Man Malteser oder Zyprioten. merkt das!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Falsch Bei Merkels Amtsantritt hatte das Kanzleramt bereits gerechnet!) knapp viermal so viele Mitarbeiter wie unter Adenauer; das hat Merkel dann noch um 60 Prozent auf 750 Mit- Und wir haben die niedrigste Eigenheimquote in der EU. arbeiter aufgestockt. Spitzenreiter sind wir nur bei Steuern und Sozialabgaben. 3,8 Millionen Hartz-IV-Empfänger – und die Hälfte hat (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das war doch gut Migrationshintergrund! 270 000 Deutsche wanderten (B) so! – Jan Korte [DIE LINKE]: Und Hans Glob- 2019 aus, hochqualifizierte. Attraktiv sind wir nur noch (D) ke auch weg! Alles scheiße heute!) für die Geringqualifizierten aus aller Welt. Stattdessen hat Merkel eingeführt den Doppelpass für alle, die Ehe Die Bilanz: Verheerend! für alle, das dritte Geschlecht, Genderlehrstühle, Frauen- Erstens. Euro-Zone: Maastricht-Verträge außer Kraft. quote, NetzDG und Internetzensur, ein Antidiskriminie- Deutschland haftet für die Schulden der Euro-Zone. Ver- rungsgesetz und eine Islam Konferenz mit Fundamenta- schuldungsverbot der EU: mit Zustimmung von Merkel listen. aufgehoben. Niedrigzinspolitik vernichtet deutsche Spar- guthaben. Verlust für die Sparer allein zwischen 2010 und (Zurufe von der FDP) 2019: 649 Milliarden Euro. Adenauer hat Westdeutschland aus einem Trümmer- Zweitens. Europa: Die Briten haben die EU fluchtartig feld wiederaufgebaut und an die Weltspitze geführt. verlassen. Ausschlag gab Merkels Flüchtlingspolitik. Merkel hat Deutschland wieder in ein Trümmerfeld ver- Rest-EU gespalten wie noch nie über Merkels Flücht- wandelt und führt uns in den Niedergang. lingspolitik. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) Drittens. Energiewende: keine Kernkraft, keine Kohle, Aber Deutschland wird Merkel überleben. Es wird neue dafür deutsche Landschaft zugespargelt. Stromkosten seit politische Mehrheiten geben, so wie jetzt gerade in Sach- 2000 um 120 Prozent gestiegen, Stromkosten für Privat- sen-Anhalt. haushalte ein Drittel höher als in Frankreich. Fazit des „Wall Street Journal“: die dümmste Energiepolitik der (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Welt. Wir werden Merkels politisches Erbe abwickeln und (Beifall bei der AfD) Deutschland wiederaufbauen. Dafür steht die AfD. Viertens. Sicherheit: Die Bundeswehr nicht mehr ein- Vielen Dank. satzbereit, Deutschland das Gespött der ganzen NATO, deutsche Grenzen offen wie Scheunentore. Folge: (Beifall bei der AfD – Karsten Hilse [AfD]: Deutschland ist abhängig von der Türkei, Erdogan Bravo! – Zuruf: Schämen Sie sich! – Ulli erpresst uns, die totale Unterwerfung. Nissen [SPD]: Sie hat keine Maske getragen! Nur für das Protokoll! – Simone Barrientos Fünftens. Digitalisierung: komplett verschlafen. Lang- [DIE LINKE]: Was ist denn mit der Maske samstes Internet in Europa und nicht nur das: Selbst passiert? – Gegenruf des Abg. Karsten Hilse Kolumbien hat mehr Glasfaser als wir. Wir sind [AfD]: Bleiben Sie ruhig!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24953

(A) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Das ist bitter, und das müssen wir konstatieren. Das ist (C) Das Wort geht an Bärbel Bas von der SPD-Bundes- uns nicht gelungen. Dennoch müssen wir jetzt den Men- tagsfraktion. schen helfen, die trotzdem an der Bekämpfung der Pande- mie arbeiten. (Beifall bei der SPD) Ich möchte in diesem Zusammenhang das ansprechen, was Herr Lindner vorhin zum RKI gesagt hat. Man kann Bärbel Bas (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es den Zeitungen einfach entnehmen: Es wurden 68 IT-Stel- ist schon erstaunlich, dass bei manchen Redebeiträgen len gefordert, aber nur vier genehmigt. – Die Wahrheit ist ignoriert wird, dass heute erneut 590 Menschen verstor- aber: Der Personalhaushalt des RKI ist um 50 Prozent ben sind an einem Virus oder mit einem Virus; man kann aufgestockt worden. es definieren, wie man möchte. Aber es sind zwischen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli zeitlich fast jeden Tag über eine Woche über 400 Men- Nissen [SPD]: Hört! Hört!) schen. Diese Fakten zu ignorieren und Wortbeiträge hier Wenn das RKI selber seinen Schwerpunkt auf 101 Stellen zu haben, die von Kungelrunden und verlogener Politik bei der künstlichen Intelligenz legt, dann ist das die Sache sprechen, ist für mich mittlerweile unfassbar. dieses Instituts; das kann es so machen. Dass jede Behör- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ de zig Stellen fordert – das muss ich keinem Haushalt- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der spolitiker sagen – und nicht alle genehmigt bekommt, ist CDU/CSU und der LINKEN – Ulli Nissen auch klar. [SPD]: Widerlich ist das! – Und jetzt grinsen (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Aber doch die auch noch!) dort, wo sie erforderlich sind!) Der Punkt ist einfach. Herr Münzenmaier hat vorhin Aber zu verschweigen, dass 133 Stellen beim RKI im gesagt: Kriegen Sie eigentlich noch was mit? – Die Frage Laufe der Zeit aufgebaut worden sind, ist nicht in Ord- würde ich Ihnen gerne stellen: Kriegen Sie eigentlich nung. Das ist eine Realität, die man auch wahrnehmen noch was mit? muss. Natürlich unterstützen wir das Robert-Koch-Insti- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tut. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie haben mit Gastronomen und Taxifahrern geredet; das der CDU/CSU) tun wir auch. Aber vielleicht reden Sie auch mal mit Intensivmedizinern. (B) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (D) (Zuruf von der SPD: Genau!) Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage Vielleicht reden Sie mal mit Pflegefachkräften darüber, aus der FDP-Fraktion? wie die sich gerade fühlen, was die gerade leisten. Ich möchte nicht prognostizieren, welche Zahlen wir jetzt Bärbel Bas (SPD): hätten, wenn wir diesen Lockdown light nicht gehabt Gerne. hätten, den übrigens die FDP so, wie er jetzt ist, auch nicht wollte. Dann wären die Krankenhäuser schon weit (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Der Fricke über ihrem Limit. Wenn jemand sagt, wir hätten redet diese Woche viermal! Jetzt redet er noch nicht genutzt, um zu investieren: Ich glaube, dass dieser mal!) Haushalt deutlich zeigt, dass wir sehr wohl investiert haben und die Zeit genutzt haben. Otto Fricke (FDP): Nein, ich kann dich beruhigen: Ich rede diese Woche – Ich will nur erinnern, weil das viele vergessen: Wir anders als du – nicht viermal, lieber Fraktionsvorsitzen- haben im Frühjahr Kapazitäten an Beatmungsgeräten der. und Intensivbetten aufgebaut. Frau Kollegin Bas, gerade weil dieses Thema so viele (Karsten Hilse [AfD]: Und dann abgebaut!) Leute beunruhigt hat, sollten wir einfach für Klarheit Nicht dass ich mir gewünscht hätte, dass wir sie brau- sorgen, ohne dass es da um Schuldige geht. Sie hatten chen, auf keinen Fall; das will ich noch mal ganz deutlich auf die Haushälter verwiesen. Dem Haushaltsausschuss sagen. Aber hätten wir das nicht gemacht, hätten wir lag ein entsprechender Antrag des RKI ja überhaupt nicht schon jetzt nicht mehr die Kapazitäten, um diese zweite vor. Welle zu überstehen. Wir Sozialdemokraten haben aber (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja eben!) schon damals gesagt: Das Bett und das Gerät sind das eine. Wir kommen aber beim Personal ans Limit. – Das Deswegen weise ich darauf hin, dass das nicht eine war auch abzusehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Frage war, die an das Parlament herangetragen worden darüber reden. Das haben wir immer wieder in die Debat- ist, sondern doch wohl eine Frage war innerhalb der ten eingebracht. Regierung. Es ist bitter, dass es ein solches Gezänk und Gezerre Zweitens. Frau Bas, ich bitte Sie, mir zu sagen, ob aus um den Coronabonus gab und dass es so lange gedauert Sicht der SPD-Fraktion die Stellen, die das RKI jetzt hat – hat, bis überhaupt die ersten Boni gezahlt wurden. Und es ich gebe Ihnen vollkommen recht, es sind die Stellen, die stimmt: Noch nicht alle haben diese Prämie bekommen. Sie genannt haben, auch dabei –, ausreichen oder nicht. 24954 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

(A) Bärbel Bas (SPD): Feiertagen. Wir haben jetzt die Chance, weil um Weih- (C) Das beantworte ich gerne. Aber, wie gesagt, die Ent- nachten herum sowieso viel geschlossen ist, weil viele scheidung, wie das Personal eingesetzt wird, fällt im Betriebe in die Ferien gehen. Wir haben jetzt die Chance, Innern der Behörde. Wenn sie 101 Stellen für die künst- diese Feiertage zu nutzen, unser öffentliches Leben ein liche Intelligenz nutzt – die müssen erst besetzt werden –, bisschen herunterzufahren. Diese Chance sollten wir jetzt dann nutzt sie diesen Bereich auch für die moderne Auf- nutzen. stellung des RKI. Ob die in Rede stehenden vier IT-Stel- Die Kanzlerin hat das in ihrer Rede angesprochen: Wir len reichen? Da würde ich von mir aus sagen: Es mag haben jetzt schon wieder einen Anstieg der Infektions- sein, dass sie nicht reichen. Aber das RKI kann auch zahlen von 3 000. – Diese infizierten Menschen werden sagen: Wir können bestimmte Programmierungen zukau- in 14 Tagen – wir müssen bis Weihnachten weiter- fen. So etwas im eigenen Haus aufzubauen, würde zwei- denken – in den Krankenhäusern landen; nicht alle, felsfrei Jahre dauern. – Sie sind doch die digitale Partei, Gott sei Dank, weil der Krankheitsverlauf nicht bei allen die immer wieder sagt: Man kann sich Expertise einkau- schwer ist. Deshalb ist es mir fast zu spät, dass die Länder fen erst nach Weihnachten mit ihren Maßnahmen beginnen. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Ich bin sehr stark bei denen, die sagen: Wir müssen Antworten Sie!) eigentlich schon heute damit beginnen. – das ist meine Antwort; die müssen Sie mir schon zuge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des stehen –, Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]) (Otto Fricke [FDP]: Aber aus dem Haushalt!) Ich bin auch bei den 80, 90 Prozent der Menschen, die gerade wenn es um Digitalisierung und Programmierung quasi darum bitten, klare, strukturierte Maßnahmen zu geht. Ich glaube, das tut dem RKI keinen Abbruch. generieren. (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Davon steht Ich will auch deutlich sagen: Ich betrachte die bei den nichts im Haushalt!) Länderzusammenkünften getroffenen Maßnahmen nicht als Hinterzimmermaßnahmen. Vielmehr müssen wir ler- Wir stärken jedenfalls das RKI. Man kann sicherlich auch nen, dass in erster Linie die Länder für den Infektions- im nächsten Jahr noch mal schauen, ob das ausreichend schutz in ihren eigenen Ländern zuständig sind und dort ist. die Verantwortung tragen. Aber die Länder müssen auch (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Im nächsten anerkennen, dass die Menschen draußen sich bundesein- Jahr? Da freuen sich aber die Gesundheitsäm- heitliche Maßnahmen wünschen, ob uns das gefällt oder ter!) nicht. (B) (D) Aber noch mal: Die Gesundheitsämter – weil Sie das (Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Das Stichwort gerade liefern – sind ein anderer Punkt. Da glaube ich nicht!) haben wir jetzt 4 Milliarden Euro investiert; auch das Und daran haben wir alle zu arbeiten. Da müssen wir alle sagen Sie nicht. 4 Milliarden Euro für die Gesundheits- die Verantwortung tragen und vor allen Dingen alle dazu ämter, die wir jetzt aufwenden! beitragen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta Herzlichen Dank. Connemann [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auch das wird verschwiegen; auch hier haben wir inves- der CDU/CSU) tiert. Aber das alles wird ignoriert. Das Gleiche gilt für die Testkapazitäten. Es wurde hier Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: gerade unterstellt, wir hätten da nicht viel gearbeitet. Die Schnelltests, die nun zur Verfügung stehen, sind aber Das Wort geht an Frau Anke Domscheit-Berg von der auch erst im Laufe der Zeit entwickelt worden. Fraktion Die Linke. Frau Baerbock hat gesagt: Wir haben nicht genug Mas- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Alice Weidel ken. – Wir haben jetzt dafür gesorgt, dass wir eine natio- [AfD]: Bitte nicht zu schnell!) nale Reserve aufbauen. Auch das haben wir jetzt geleis- tet. Das alles kann man ignorieren. Aber das ist auch ein Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): Element in diesem Haushalt. Dafür haben wir uns sehr Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- stark eingesetzt. legen! Im Laufe von 20 Jahren Beschäftigung mit der Was ich auch kritisiere und wo ich bei denen bin, die Digitalisierung habe ich mir schon das eine oder andere das kritisieren: Ja, wir brauchen weitere Präventionskon- Mal Gedanken darüber gemacht, wie sehr Deutschland zepte. Die Menschen erwarten von uns klare Maßnah- durch unseren Rückstand in der Digitalisierung im Nach- men; das stimmt. Deswegen will ich auf meinen Beginn teil ist. Aber besonders Sorge hatte ich vor einem Stress- noch mal zurückkommen. Wenn die Zahlen nach wie vor test, wie wir ihn gerade erleben, und das offensichtlich steigen, kann ich den Appell der Kanzlerin nur unterstüt- berechtigterweise. zen. Eigentlich sind mir Maßnahmen nach Weihnachten Der Rückstand der Digitalisierung im Gesundheitswe- zu spät; das will ich auch ganz deutlich sagen. Wir müss- sen tut wirklich weh: 10 000 Soldaten hängen im Moment ten schon heute damit beginnen, stärkere Maßnahmen zu in den Gesundheitsämtern an den Telefonen. 50 Prozent ergreifen, um die Kontakte zu beschränken, auch an den der Brandenburger Landkreise konnten von Samstag bis Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24955

Anke Domscheit-Berg (A) Dienstag keine Daten an das RKI melden, weil wahr- Ziehen Sie endlich die Notbremse! Besetzen Sie diesen (C) scheinlich die Faxe verstopft waren. – Das alles ist kein kritischen Job mit irgendjemandem, der davon Ahnung Ersatz für funktionierende elektronische Meldewege, die hat! im Übrigen bei der Umsetzung des Projektes „IT-Konso- Und im Übrigen bin ich der Auffassung, dass Informa- lidierung Bund“ – das wahrscheinlich unbekannteste 2,5- tionen zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Straf- Milliarden-Euro-Projekt des Bundes – verschleppt wur- recht verloren haben. § 219a gehört abgeschafft. den. Das Controlling liegt seit einem Jahr im Bundes- kanzleramt. Für die Pandemie kommt diese Chefsache Vielen Dank. allerdings zu spät. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Danke sehr. – Das Wort geht an die Abgeordnete Auch bei der digitalen Bildung ist der Bund nach wie Dr. Anna Christmann von Bündnis 90/Die Grünen. vor zu langsam, zu bürokratisch und auch zu kurzsichtig. Ein Beispiel dafür ist der spezielle Bildungstarif der Tele- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kommunikationsanbieter, der auch armen Kindern einen mobilen Zugang zum Internet ermöglichen soll. Aber was Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nutzt uns das, wenn wir im Funkloch sitzen und wenn wir NEN): innerhalb der OECD beim 4-G-Ausbau im ländlichen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Raum immer noch auf dem vorletzten Platz stehen? Kollegen! Digitale Gesundheitsämter – Fehlanzeige! Und dann ist das Programm noch nicht einmal verknüpft Digitaler Unterricht – dank des völlig unzureichenden mit Bedürftigkeit, sondern damit, ob die Kinder einen DigitalPakts Schule ist niemand darauf vorbereitet. durch ein Coronaprogramm finanzierten Laptop erhalten Selbst an der Software für die Auszahlung der Novem- haben. Was ist denn, wenn sie von woandersher ein Gerät berhilfen hakt es, und die positiven Coronaschnelltests bekommen haben – dann bleiben sie offline, oder was? gehen noch nicht mal in die Corona-Warn-App ein. Das Die Verteilung dieser Coronalaptop-Budgets nach dem alles kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein! Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer bedeutet am (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ende, dass für ein armes Kind in Baden-Württemberg Auf das digitale Deutschland müssen wir weiter war- dreimal so viel Budget für ein Gerät zur Verfügung steht ten, und das in einer Situation, in der wir es so dringend wie für ein armes Kind aus . Das ist doch voll- bräuchten wie nie zuvor. Wir müssen dringend raus aus (B) ständiger Schwachsinn! der analogen Warteschleife. Wir haben dazu auch Vor- (D) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- schläge unterbreitet, und zwar schon zum zweiten Mal. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein Digitalbudget mit 500 Millionen Euro würde alles viel flexibler machen; denn digitale Technologien orien- Da können wir als Linksfraktion nur feststellen: Diese tieren sich selten an Haushaltsplänen. Wir müssen hier Bundesregierung kann soziale Gerechtigkeit einfach flexibler in der Umsetzung werden. nicht! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Dazu gehört auch eine Technologie-Taskforce, die wir für das Kanzleramt vorschlagen, in der gute Ideen aus Frau Bundeskanzlerin – auch wenn Sie offensichtlich Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft aufgegriffen gerade das Weite gesucht haben –, Ihre Appelle an die werden können. Im Hackathon zum Beispiel sind ja viele Bevölkerung schätze ich sehr. Aber wie soll man Home- gute Ideen entstanden, auch für die Digitalisierung der office machen ohne Breitband? Auf dem IT-Gipfel haben Gesundheitsämter, aber niemand hat sie an die Gesund- Sie, Frau Merkel, dazu aufgerufen, die Bevölkerung auf heitsämter herangetragen. Das geht so nicht! Wir brau- dem Weg in die Gigabitgesellschaft nicht zu vergessen – chen das Digitalbudget plus die Technologie-Taskforce. im Jahre 2012! Das ist jetzt acht Jahre her; aber immer Das sind konkrete Schritte, die man jetzt umsetzen könn- noch haben nur 22 Prozent der Brandenburger/-innen te, statt einer ewigen Debatte über ein Digitalministerium wirklich schnelles Internet. im Wolkenkuckucksheim. Das, was erfolgreich funktioniert, nämlich der kommu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nale Ausbau, wird durch Ihren Verkehrs- und Digitale- Infrastruktur-Minister aktiv behindert. Kommunen wer- Ich möchte auch noch eine positive Entwicklung nen- den nach den Förderkriterien des Bundes dazu gezwun- nen. Wir hatten kürzlich den Digitalgipfel, und da ist mir gen, mit Fördergeldern ausgebaute Glasfasernetze nach aufgefallen, dass dort wirklich mehr Frauen präsent zehn Jahren zu verkaufen. Das ist aktive Verhinderung waren. Wir haben hier im Haus ja auch eine gemeinsame eines gemeinwohlorientierten Glasfaserausbaus! Sie, Initiative ergriffen. Ich möchte mich bei allen Frauen aus Frau Merkel, tragen die Verantwortung dafür, dass dieser den fünf Fraktionen bedanken, die sich dafür einsetzen, Versagerminister Andi Scheuer immer noch im Amt ist. dass wir mehr Frauen für die Digitalisierung gewinnen; denn das ist bitter nötig. Wir sehen es: Wir brauchen alle (Beifall bei der LINKEN – Dr. Alice Weidel Kräfte für die Digitalisierung. Deswegen werden wir jetzt [AfD]: Jawohl! Das stimmt allerdings! Das ist mit unserer Initiative „She transforms IT“ voranschreiten wirklich der größte Versager!) und alle Kräfte bündeln. Ich freue mich da schon auf die 24956 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Dr. Anna Christmann (A) nächsten Schritte; denn wir brauchen offensichtlich eine Um die Gelder mal ins Verhältnis zu setzen: 30 Milliar- (C) neue Herangehensweise für die Umsetzung all der wich- den Euro, was bedeutet das denn eigentlich? Für 30 Mil- tigen digitalen Projekte. liarden Euro kann man in Deutschland 1 Million Pflege- rinnen und Pfleger mit Normalgehalt einstellen. Man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN könnte sie besser bezahlen, und man könnte die Kranken- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und häuser besser ausstatten. Genau das bräuchten wir in der LINKEN) diesem Jahr und eben nicht Steuerraub und das nicht besonders effektive Vorgehen dagegen. Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Punkt vier der Blacklist. Die ganzen Milliarden, die Das Wort geht an den fraktionslosen Abgeordneten während Corona aufgrund von Lobbyinteressen verteilt Marco Bülow. worden sind, gerade an solche Firmen wie zum Beispiel (Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE Lufthansa oder andere, die erstens das Klima schädigen, LINKE]) zweitens eh keinen Zukunftsentwurf haben und drittens vor der Krise schon gestrauchelt sind und dann auch noch ihre Steuern beispielsweise in Malta zahlen, bräuchten Marco Bülow (fraktionslos): wir an anderer Stelle. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In dieser Debatte wird viel über wissenschaftliche Erkennt- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – nisse geredet. Das ist gut so. Zu wenig wird über die Zuruf des Abg. Dr. Jens Zimmermann [SPD]) Zahlen und Fakten der Auswirkungen der Coronakrise Und der fünfte Punkt der Blacklist. Wir zahlen jährlich geredet, vor allen Dingen, was sie mit Vermögen und 50 Milliarden Euro an klima- und gesundheitsschädli- Ungleichheit zu tun hat. Wir stellen fest, dass in diesem chen Subventionen. Ich will nur einen Punkt rausnehmen, Coronajahr die Zahl der Milliardäre in Deutschland ange- der noch mal zeigt, wie absurd die Politik ist, diese Gel- wachsen ist. Wir stellen fest, dass die Vermögen dieser der noch zu bezahlen: Das ist das Dienstwagenprivileg. Milliardäre in diesem Krisenjahr angewachsen sind. Wir 3,2 bis 5, 6 Milliarden Euro geben wir dafür aus. Und stellen auch fest, dass die Lasten vor allen Dingen von wofür geben wir das aus? Je größer der Wagen ist, je denen getragen werden, die weniger Vermögen haben, zerstörerischer dieser Wagen ist, desto mehr Steuergelder und je weniger Vermögen sie haben, desto mehr müssen pumpen wir rein, um Menschen zu entlasten, die sich sie die Zeche für die Coronakrise zahlen. Genau das müs- einen Porsche Cayenne oder sonst was als Dienstwagen sen wir angehen, und genau deshalb ist die Forderung, die anschaffen. Das kann es doch nicht sein! Das müsste man Vermögenden stärker zu belasten, richtig. Wir müssen beschränken! Das heißt, die Krankenschwester, die Bus- (B) nicht nur über ein Existenzminimum sprechen, sondern fahrerin zahlen Steuern und arbeiten sozusagen dafür, (D) mittlerweile auch über ein Existenzmaximum reden. dass sich einer einen Porsche Cayenne als Dienstwagen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) anschafft. Das kann nicht wahr sein! Das müssen wir unterbinden! Und das gehört eben zur Wahrheit und zu Wir müssen aber auch – und das will ich jetzt tun – dieser Diskussion auch dazu. über die Verschwendung und die Vergeudung reden, die wir in diesem Haushalt und auch an anderer Stelle haben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es geht um Geld, das wir eigentlich dringend bräuchten. Die Blacklist ist viel länger als meine Redezeit. Des- Da gibt es eine Blacklist, über die viel zu wenig geredet wegen schließe ich hier und sage: Wir leben in einer wird. Ich nenne mal ein paar Punkte aus dieser Blacklist. Lobbyrepublik, auch im Coronajahr. Das müssten wir dringend verändern! Wir haben eine Umverteilung von Erster Punkt: Es gibt eine EU-Richtlinie, nach der unten nach oben und nicht andersrum, wie wir sie eigent- Steuertricksereien zu unterbinden sind, die aber immer lich bräuchten. Wenn da jemand noch sagt: „Das ist seriö- noch nicht von dieser Bundesregierung bzw. von dieser se Politik“, dann sage ich: Die Spaßparteien sitzen in der GroKo umgesetzt wurde. Damit könnte man 235 Millio- GroKo. nen Euro pro Jahr sparen – Geld, das wir bräuchten. Das wäre der erste Punkt. Vielen Dank und Mahlzeit! Zweiter Punkt. Es gibt immer noch – die Paradise (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Papers haben das offenbart – Steueroasen, wo Geld geparkt wird. Das belastet Deutschland ganz besonders; Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: da fehlen uns ungefähr 20 Milliarden Euro bis 28 Milliar- Das Wort hat Patricia Lips von der CDU/CSU-Frak- den Euro jährlich. Dazu gibt es keine Haltung und auch tion. kein Vorgehen seitens dieser Bundesregierung, auch in diesem von Corona geprägten Jahr nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Dritter Punkt: Cum/Ex, der größte Steuerraub der deut- schen Geschichte. 31,8 Milliarden Euro sind uns da min- Patricia Lips (CDU/CSU): destens verloren gegangen. Viel zu spät wurde gehandelt, Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Haus- viele Schlupflöcher sind offen geblieben. Man wartet so haltsberatungen sind oft von Leidenschaft und Tempera- lange, bis die Steuersünder frei ausgehen, oder man stun- ment begleitet, in diesem ganz besonderen Jahr auch det ihnen das Geld. Auch das kann nicht wahr sein! ergänzt um den Begriff der Sorge: auf der einen Seite die Sorge um die Spielräume künftiger Generationen in (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) unserem Land aufgrund der hohen Summen, mit denen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24957

Patricia Lips (A) wir uns derzeit verschulden. Umso wichtiger ist es, am ßischer Kulturbesitz hier in Berlin bis zum Ledermuseum (C) Ende den Schuldenpfad auch wieder zu verlassen. Auf in Offenbach, vom Marinedenkmal in Schleswig-Hol- der anderen Seite ist die Verschuldung begründet in der stein zum Herrenhaus in Kummerow, von der Sorge um die Gesundheit der Menschen in diesem Land Schlosskapelle in Dresden bis zum Museumsdorf in und der Menschen, die sich um das Aufrechterhalten Cloppenburg – um nur ganz wenige bauliche Projekte unserer Wirtschaft als Basis für vieles andere bemühen, zu nennen, die der Bund künftig anteilig in ihrer Substanz und mittendrin auch begründet in der Sorge um die miterhalten will. Bewahrung unseres kulturellen Miteinanders; ich betone Die Maßnahmen sind zuvörderst investiv, das stimmt. ausdrücklich: mittendrin. Doch dürfen wir auch hier die vielen engagierten Men- Kolleginnen und Kollegen, es wird zurzeit und zu schen nicht vergessen, die mit ihrer Arbeit und zumeist Recht viel von Zusammenhalt in der Gesellschaft gespro- viel Herzblut Einrichtungen wie diese erst mit Leben chen. Dies gilt in diesen Zeiten umso mehr, aber natürlich erfüllen. auch davor und danach – ohne Corona. Kultur ist dabei (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ein elementarer Baustein und weit mehr als eine reine Dennis Rohde [SPD]) Freizeitgestaltung. Gleiches gilt natürlich für die Musik und Kreativwirt- (Beifall bei der CDU/CSU) schaft. Musik, Theater, Film, Kino, Literatur, unsere Museen, Aber auch kritische Auseinandersetzungen mit The- große wie kleine Erinnerungsorte und Gedenkstätten men wie Kolonialismus erhalten zusätzliche Projektmit- und nicht zuletzt unser großes bauliches Erbe: Kultur tel. Die Förderung von Einrichtungen rund um den The- zeigt sich in vielen Facetten. Und wann immer wir den menbereich „Flucht und Vertreibung“ waren uns schon Begriff „Infrastruktur“ verwenden: Sie gehört elementar immer ein besonderes Anliegen; hinzu kommen weitere dazu. wichtige Orte der Erinnerung und des Gedenkens. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kolleginnen und Kollegen, noch nie gab es so viel ordneten der FDP) Kulturförderung des Bundes wie heute. Sie unterstützt Aber sie lebt natürlich mehr als viele andere Bereiche Projekte auch ganz unmittelbar vor Ort. Die eigentliche unseres Lebens gerade davon, dass Menschen zusam- Kulturhoheit liegt jedoch in der Verantwortung der Län- menkommen, um sie gemeinsam zu gestalten oder ge- der; das gehört zur Wahrheit dazu. Am Ende muss damit meinsam zu erleben. Das meiste ist bereits seit März stark jeder seiner eigenen Verantwortung gerecht werden; denn eingeschränkt, in Teilen ganz. Viele Einrichtungen haben nur so – gemeinsam – kann es gelingen, einen echten (B) dennoch investiert; sie haben die Zeit genutzt. Manche Mehrwert für unser Land zu schaffen. (D) innovative Idee ist entstanden, die oft auch für die Zu- (Beifall bei der CDU/CSU) kunft ganz neue Wege aufzeigt. Natürlich braucht es eine Kolleginnen und Kollegen, ich bin der festen Über- Basis, damit auch diese Menschen und diese Einrichtun- zeugung, dass wir einmal mehr ein gutes Paket auf den gen über die Zeit hinaus unser Leben bereichern. Weg gebracht haben. Große nationale Leuchttürme gehen Hierfür wurde Mitte des Jahres mit dem Programm Hand in Hand mit unzähligen Maßnahmen, die weit in „Neustart Kultur“ eine milliardenschwere Basis gelegt. den ländlichen Raum hineinstrahlen, und auch die Ehren- Über 600 Millionen Euro sind aus diesem Programm amtlichkeit ist ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit. bereits für kulturelle Hilfsprojekte belegt. Über die außer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ordentliche Wirtschaftshilfe und weitere Angebote kom- Dennis Rohde [SPD]) men aktuell Hilfen hinzu, die wesentlich passgenauer als bisher auch den persönlichen Situationen entgegenkom- Danken möchte ich zum Schluss den Mitberichterstat- men. Kolleginnen und Kollegen, die vor uns liegende tern zu diesem Einzelplan und natürlich Staatsministerin Zeit wird natürlich zeigen, inwieweit und wo weitere Monika Grütters und ihrem ganzen Team für die vergan- Maßnahmen erforderlich werden. genen Wochen. (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Das ist ja Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. schon bekannt!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dennis Rohde [SPD]) Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: des Kollegen Dehm? Ich gebe das Wort an den Abgeordneten Diether Dehm zu einer Kurzintervention. Patricia Lips (CDU/CSU): Nein, ich möchte gerne weitermachen. – Mit zahlrei- Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): chen Projekten für den Kulturetat 2021 haben wir im Kollegin Lips, haben Sie Verständnis für Menschen, Rahmen der Beratungen weiteren Schub vorgesehen: die das als reines Lippenbekenntnis sehen, wenn ihre von der Sanierung des Festspielhauses in Bayreuth über Kultureinrichtungen trotz vorbildlicher Umsetzung aller die Ausgestaltung des Literaturarchivs in Marbach, vom Hygienemaßnahmen, trotz vorbildlicher Anschaffung Wormser Dom bis zu den Schlossberghöhlen in Hom- von virustötenden mobilen Belüftungsanlagen stillgelegt burg, von dringenden Sanierungen bei der Stiftung Preu- werden, nachdem sie all das getan haben, und sie und ihr 24958 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Dr. Diether Dehm (A) Personal, das Sie gerade mit viel Timbre in der Stimme Also bitte! Es gibt außer der Kulturbranche noch wei- (C) und warmen Worten gelobt haben, möglicherweise das tere Branchen, die mit Sicherheit in ähnlicher Weise Ende dieses Jahres oder zumindest ihres Geschäftsjahres betroffen sind. Ich lasse es uns aber nicht absprechen, gar nicht mehr in dieser Existenz erleben können? Hätten dass wir sie im Blick haben und sie für uns im Zentrum Sie nicht über Jahre und Jahrzehnte die Gesundheitsämter unserer Aufmerksamkeit stehen. um Zigtausende von Stellen kaputtgekürzt, hätten die Gesundheitsämter in den einzelnen Kultureinrichtungen – (Zurufe von der LINKEN) Theater, Konzerthallen – prüfen können, Vielen Dank. ( [CDU/CSU]: Das machen (Beifall bei der CDU/CSU) die Länder, Herr Dehm! Sie wissen wirklich nicht, über was Sie sprechen! – Zuruf des Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Abg. Otto Fricke [FDP]) Vielen Dank. – Das Wort geht an aus wer die Auflagen erfüllt – die können geöffnet bleiben – der AfD-Fraktion. und wer die Auflagen nicht erfüllt. Das wäre ein diffe- (Beifall bei der AfD) renzierter Umgang gewesen. Sie haben dogmatisch und flächendeckend die Kultur stillgelegt. Das Bündnis „Alarmstufe Rot“ wird das, was Sie hier gesagt haben, Martin Erwin Renner (AfD): nur als warme Sonntagsrede und Verhöhnung seiner Hochverehrtes Präsidium! Great Reset – schönes Arbeit empfinden. Wort –: Wenn wir so etwas bräuchten, dann bestimmt hier im Etat der Bundesbeauftragten für Kultur und (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Medien. Diese häufig unfähig und irrational handelnde Karsten Hilse [AfD]) Bundesregierung wird seit Jahren maßgeblich dadurch gestützt, dass sie sich den gesamten Kultur- und Medien- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: bereich politisch dienstbar gemacht hat. Frau Lips, möchten Sie antworten? (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ach!) Patricia Lips (CDU/CSU): Die demokratisch notwendige Staatsferne der Medien – Ja. – Sehr geehrter Kollege, lassen Sie mich zunächst ganz großes Fragezeichen! einmal eines sagen: So weit wie Kultur heute in dieses (B) Land hineinstrahlt, so groß – und das habe ich auch aus- Diese Regierung gibt sich alle Mühe, die Medien poli- (D) geführt – ist die Verantwortung der unterschiedlichen tisch gewogen zu halten und zu instrumentalisieren, auch Ebenen für Kultur vor Ort. Der Bund erfüllt seine Auf- durch umfängliche Alimentierung derselben – natürlich gaben, die Länder müssen ihre Aufgaben erfüllen, aber mit Steuermitteln. Ich erinnere hier nur an die 220 Millio- die anderen Ebenen genauso. Bitte laden Sie nicht alles, nen Euro Förderung für Printmedien zur sogenannten auch in der Sichtbarkeit, immer wieder bei uns ab. Ich bin digitalen Ertüchtigung. Aber das gehört ja eigentlich gar auch dankbar, dass die Verantwortungsverteilung in die- nicht in dieses Ressort, sondern in das Wirtschaftsressort. sem Land so geschieht. Wie gesagt: Man scheut ja keine Mühe und auch nicht die Mühe der Vernebelung und der Verdeckung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Ulli Nissen [SPD]: Da sind Sie gut!) Das Zweite ist: Wir wissen natürlich um die Situation Zur Rechtfertigung und zur Verschleierung dieses Vor- der Betroffenen. Entschuldigung, ich bin selber Leiterin gangs benutzt man dann konstant das Märchen von der eines kleinen Museums, das ehrenamtlich betrieben wird. angeblichen Qualität und der scheinbaren Kompetenz der Ich bin selber Vereinsvorsitzende. Auch ich bin in einer sich selbst so nennenden Haltungsjournalisten. Sie gewissen Art unmittelbar betroffen, wenn auch nicht stilisieren diese Haltungsjournalisten des medialen Kom- existenziell; das gestehe ich Ihnen gerne zu. Genau des- plexes dann auch noch zu Garanten unserer freiheitlich- halb, um denjenigen, die existenziell betroffen sind, zu demokratischen Ordnung hoch. helfen, haben wir – auch das habe ich gesagt – sehr viel Geld in die Hand genommen, gerade im Kulturbereich. Ihr jetzt erfolgreich installiertes Sonderrechtsregime Der Kulturbereich hat einen Gesamtetat von 2,1 Milliar- im Covid-19-Chaos und die unverhältnismäßigen Maß- den Euro. Dieses Projekt, das von Monika Grütters im nahmen und die Berichterstattung darüber sind der Sommer auf den Weg gebracht wurde, umfasst 1 Milliar- Beweis. de Euro. Setzen Sie das mal miteinander in Relation! (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU) Die alternativen Medien, also die nicht zu dienstbeflisse- nen Lobhudlern der politischen Macht gemachten Hinzu kommen die wirtschaftlichen Hilfen für die Solo- Medien, werden regierungsseitig ignoriert – ich könnte selbstständigen, die wir jetzt über die November- und Ihnen jetzt eine Reihe von alternativen Medien nennen – Dezemberhilfen mit auf den Weg gebracht haben. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass es an dieser (Ulli Nissen [SPD]: Das können Sie gerne sein Stelle auch noch weitergeht. lassen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24959

Martin Erwin Renner (A) wie auch Journalisten, die kritisch hinterfragen und zwei- richtigen Stellen Geld in die Hand genommen, um dafür (C) felnde Stimmen zu Wort kommen lassen und das regie- zu sorgen, dass wir hier in Deutschland schnell wieder rungsgenehme Framing der etablierten Medien durchbre- auf die Beine kommen. chen. Ein Punkt allerdings ist bislang in dieser Debatte noch (Lachen der Abg. Margit Stumpp [BÜND- so gut wie gar nicht angesprochen worden; dabei ist er NIS 90/DIE GRÜNEN]) auch und vor allem in der Krise so wichtig: Das ist die Dass sich die etablierten Medien mehrheitlich längst internationale Solidarität. im grün-rot-linken ökosozialistischen Spektrum heimisch (Zurufe von der AfD) fühlen, wissen wir nicht erst seit der jüngsten Umfrage unter ARD-Volontären. Sie verzeihen mir jetzt, dass ich Wir in Deutschland stehen in der Pandemie im Ver- „Volontäre“ nicht gegendert habe; gleich zu den wirklich allermeisten anderen Staaten rela- tiv gut da. Das ist uns allen bekannt. Ebenfalls bekannt ist (Ulli Nissen [SPD]: Nein, verzeihen wir nicht!) aber auch, dass der Vergleich allein das Ende des Glücks ich habe einfach Schwierigkeiten damit. ist. Verantwortung zeigen innerhalb von Europa und weltweit, das ist der nächste zwingend wichtige Schritt. (Beifall bei der AfD) Und genau das tun wir mit diesem Haushalt, Wirklichkeitsnahe Berichterstattung wird durch linke (Beifall bei der SPD) Haltung ersetzt. Wahr und objektiv kann nur sein und darf nur sein, was politisch erwünscht ist und damit der obwohl wir zum ersten Mal, seitdem ich im Haushalts- Regierung dienstfertig hilft, die Bürger zu lenken. ausschuss bin – und dann gleich in erheblichem (Zuruf der Abg. Margit Stumpp [BÜND- Umfang –, Schulden machen – eine Menge Geld, NIS 90/DIE GRÜNEN]) 180 Milliarden Euro –; das ist aber notwendig für unsere Gesundheit und notwendig für unsere Wirtschaft. Nicht nur die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Binnenpluralität der öffentlich-rechtlichen Medien und Statt nun kleingeistig nur vor der eigenen Haustür zu auch der anderen Medien geht hier immer mehr verloren. kehren, wissen wir aber um unsere globale Verantwor- Und genau das, meine Damen und Herren, geht an die tung. Ohne internationale Gesundheitsstärkung, ohne Substanz und an den Kern unserer freiheitlichen Demo- internationale Wirtschaftsstärkung ist alles nichts auf kratie. der Welt. (Beifall bei der AfD – Elisabeth Motschmann (Beifall bei Abgeordneten der SPD) [CDU/CSU]: Das sagt der Richtige!) (B) Über kurz oder lang kämen wir in eine extreme Schief- (D) Ich frage Sie: Sind diese Medien nun der Wegweiser in lage. Es würde alles den Bach runtergehen. Schon oft die neue Normalität, in die große Transformation, der genug gesagt, aber wahrscheinlich nicht oft genug: Ein manch einer begeistert entgegenlauert? Doch ich bin Virus wie das Coronavirus macht wie überhaupt alle sicher: Ihr herbeigewünschter Great Reset wird knallig anderen ansteckenden Krankheiten an Grenzen nicht in die Hose gehen. Und ich bin auch sicher: Ihr Ende ist halt. Deshalb darf unsere Verantwortung auch an der nahe. Wer Augen hat, zu sehen, der sehe! Grenze nicht haltmachen. Pax vobiscum! Friede sei mit euch! (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der AfD – Zurufe der Abg. Ulli Weil wir das wissen, übernehmen wir schon eine Menge Nissen [SPD] und [BÜNDNIS 90/ Verantwortung. DIE GRÜNEN]) (Zurufe von der AfD)

Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Ich habe es schon gesagt: Wir haben Masken und Beat- Das Wort hat die Abgeordnete Sonja Amalie Steffen mungsgeräte gespendet, wir haben die Impfstoffentwick- von der SPD-Fraktion. lung vorangetrieben, und wir haben in einem unserer schwersten Jahre die Mittel für die Entwicklungszusam- (Beifall bei der SPD) menarbeit noch einmal erhöht. – Darüber reden wir heute Nachmittag. Ich freue mich schon auf die Debatte, und Sonja Amalie Steffen (SPD): ich hoffe, dass wieder viele dabei sein werden. Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nen und Kollegen! Wir kommen zurück zur Sache. Die Renner’sche Märchenstunde ist vorbei. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir uns doch nichts vor: Unser Wohlstand basiert auch auf der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausbeutung von Menschen am anderen Ende der Welt. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Und das Schlimme dabei ist, dass wir alle es wissen und GRÜNEN – Karsten Hilse [AfD]: Ach, das ist es akzeptieren; und das muss aufhören. Wer – wenn nicht ja ein Kalauer, den Sie jetzt schon oft gebracht wir als Wirtschaftsgroßmacht – kann hier den ersten haben!) Schritt gehen und dafür sorgen, dass alle Produkte, die Wir haben in dieser Woche schon viel über Investitio- in Deutschland gekauft werden, auch den arbeitsrechtli- nen, viel über Neuverschuldung und viel über die Wege chen Standards entsprechen, die wir in unserem Land aus der Krise gesprochen. Ich finde, wir haben an den ansetzen? 24960 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Sonja Amalie Steffen (A) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) Lutze [DIE LINKE]) Herrn Hilse von der AfD-Fraktion. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an Hubertus Heil und an alle hier im Haus, die dafür gesorgt Sonja Amalie Steffen (SPD): haben, dass wir die Fleischindustrie in Deutschland regu- Nee, habe ich nicht mehr. liert, und zwar gut reguliert haben. Aber wir können da (Heiterkeit) nicht aufhören. Wie kann es sein, dass wir, nur um wenige Cent zu sparen, das Risiko in Kauf nehmen, dass Men- Tut mir leid, meine Redezeit ist vorbei. schen bei der Produktion unserer Schuhe und unserer Herzlichen Dank. Kleider ihr Leben verlieren können, weil die einfachsten (Beifall bei der SPD) Brandschutzstandards nicht eingehalten werden? Und, meine Damen und Herren, wie können wir es akzeptie- ren, dass Kinder in Nigeria und im Kongo in Eimern in Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Minen heruntergelassen werden und sich da unten ver- Dann nicht. – Das Wort hat die Abgeordnete Nadine giften, damit wir alle 24 Monate ein neues Handy in der Schön aus der CDU/CSU-Fraktion. Hand halten können? Das geht so nicht! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nadine Schön (CDU/CSU): Wir können es nicht rechtfertigen, dass die Regenwäl- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und der abgeholzt werden, damit wir am Ende der Nahrungs- Kollegen! Seit dreieinhalb Stunden diskutieren wir inten- kette ein Abendessen haben, das billig ist, aber eben auf siv darüber, wie wir als Land die Krise bewältigen. Das Kosten der Natur entstanden ist, weil Soja und billiges ist auch gut und richtig; denn das Parlament ist der Ort der Palmöl hierher nach Deutschland importiert werden und kontroversen Debatte. Wir sind ja die Seismografen in dafür die Regenwälder abgeholzt werden. Wir müssen unseren Wahlkreisen; wir bekommen mit, was funktio- endlich Verantwortung übernehmen für die Produkte, niert, was nicht funktioniert, was die Menschen denken, die hier in unseren Regalen stehen, und zwar hinsichtlich fühlen und erwarten. Und deshalb ist es gut, dass wir hier der kompletten Lieferkette. im Parlament die Grundlagen für die Maßnahmen der Wenn es jetzt heißt: „Wir brauchen eine europäische Regierungen in Bund und Ländern legen und diese auch Lösung“, dann ist das nur ein Feigenblatt; denn wir kön- kontrovers diskutieren. Ich finde, gerade in der Krise hat nen diese Entscheidung nicht auf die lange Bank sich unser parlamentarisches System, unsere parlamenta- (B) schieben. Leider sind nun die Minister nicht mehr hier. rische Demokratie, bewährt. (D) Ich weiß von Minister Heil und von Minister Müller, dass (Beifall bei der CDU/CSU) sie wirklich mit Verve daran arbeiten. Wir müssen aber bei Minister Altmaier wirklich noch nachhelfen. Krisenzeiten sind aber auch Zeiten der Veränderung, und wir müssen sie als solche begreifen und nutzen. Auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Churchill sagte schon: „Never let a good crisis go to der LINKEN) waste.“ In der Krise sehen wir wie unter einem Brenn- Ich habe vorhin den Kollegen Gröhe gesehen – jetzt ist er glas, wo es hakt, was nicht gut funktioniert, wo wir Ver- nicht mehr da –; der Kollege Dobrindt sitzt noch hier. Sie änderungsbedarf haben. Und wir sehen in der Krise auch haben sich doch auch schon dafür eingesetzt. Setzen Sie Neues, Überraschendes sich dafür ein, dass das Lieferkettengesetz noch in dieser (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Ach was?) Legislaturperiode kommt! und Dinge, die funktionieren, die vielleicht in normalen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zeiten gar keine Chance gehabt hätten. Das, liebe Kolle- der LINKEN und des Abg. Alexander Dobrindt ginnen und Kollegen, müssen wir für die Zukunft nutzen. [CDU/CSU]) Ich will ein paar Punkte herausgreifen, bei denen ich Das ist der große Wunsch der SPD-Bundestagsfraktion. finde, dass wir sie in den nächsten Jahren groß machen Wir haben nicht mehr viel Zeit. Das steht bei uns auf müssen. Da ist zum einen das Stichwort „Open Social Rang eins der Liste der noch zu erledigenden Dinge in Innovation“. In der Krise haben wir gelernt: Die besten dieser bislang und trotz der Krise sehr erfolgreichen Lösungen entstehen nicht unbedingt in den Behörden, in Legislaturperiode. den politischen Hinterzimmern. Die besten Lösungen entstehen an der Schnittstelle von Zivilgesellschaft, Wirt- schaft, Politik und Verwaltung. Und was die beste Lösung Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: ist, sieht man erst, wenn man mehrere Lösungen parallel Frau Abgeordnete, haben Sie noch die Zeit, Herrn entwickelt, wenn man sie testet, nachbessert, verwirft, Hilse zu einer Zwischenfrage zu Wort kommen zu las- optimiert. Diese neue Methode haben über 28 000 Men- sen? schen in 1 500 Projekten zu Beginn der Coronakrise im Rahmen des Hackathons WirVsVirus angewandt. Sonja Amalie Steffen (SPD): Herausgekommen sind etliche funktionierende Lösun- Wen? gen, sei es wir-bleiben-liqui.de, wo Unternehmen das richtige Hilfsprogramm finden können, oder Quarano, (Ulli Nissen [SPD]: Hilse von der AfD!) das Gesundheitsämter bei der Betreuung von Infizierten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24961

Nadine Schön (A) unterstützt, oder die Angebote der Corona School, die Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, wir kön- (C) individuelle Lernunterstützung bietet. Das sind pragma- nen ganz schön stolz sein. Wir können stolz darauf sein, tische Lösungen, die aus einer Vielzahl von Innovationen dass der erste Test in Deutschland entwickelt worden ist. und Ideen ganz schnell entwickelt worden sind und die Wir können stolz darauf sein, dass der erste Impfstoff in funktionieren. Deutschland entwickelt worden ist. Wir können stolz darauf sein, dass die am besten funktionierende Corona- Liebe Frau Christmann, wenn Sie sagen: „Es ist jetzt Warn-App der Welt in Deutschland entwickelt wurde und Aufgabe der Bundesregierung, das in die Fläche zu brin- hier zum Einsatz kommt. Das ist ein gutes Zeichen für gen“, dann sage ich: Nein, auch Sie sind in zahlreichen unseren Innovationsstandort Deutschland. der 16 Landesregierungen vertreten; auch Sie sitzen in etlichen Rathäusern dieses Landes. Gehen wir doch auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die kommunalen Vertreter zu, auf diejenigen, die vor Ort Auch für das, was wir tun müssen, um unsere Innova- sind! Alle können diese neu entwickelten Lösungen nut- tionskraft in nächster Zeit noch zu stärken, finden Sie in zen. Das löst Probleme, das macht die Prozesse schneller diesem Haushalt die richtigen Ansatzpunkte. Ich sage und besser. Es ist nicht immer nur die Bundesregierung, nur: 10 Milliarden Euro für den Zukunftsfonds. Wie die dafür verantwortlich ist. Diese neue Form des moder- lange beschweren wir uns schon darüber, dass wir zu nen Regierens kann überall zur Entfaltung kommen. Mit wenig Wachstumskapital in unserem Land haben? Wie unserem Hackathon haben wir die Grundlage dafür lange beschweren wir uns schon darüber, dass die institu- geschaffen, und ich wünsche mir, dass wir sie gemeinsam tionellen Anleger nicht in Risikokapital investieren, dass über alle föderalen Ebenen hinweg auch in Zukunft wir Deep Tech nicht finanzieren können, dass größere anwenden. Finanzierungsrunden für unsere innovativen Ideen, für die Start-ups in Deutschland nicht möglich sind? In die- (Beifall bei der CDU/CSU) sem Haushalt finden Sie endlich die Antwort: 10 Milliar- Ausgehend von diesem neuen, wunderbaren Ansatz den Euro, die wir zur Verfügung stellen, die mit privatem müssen wir weiterdenken: Wie bringen wir Innovation Kapital auf eine Summe von 20 bis 30 Milliarden Euro in Verwaltung? Das muss das Thema der nächsten Jahre gehebelt werden; das ist das Sechsfache dessen, was sein. Auch hier muss ich noch mal die Kollegin Frankreich in diesem Bereich einsetzt. Hier setzen wir Christmann ansprechen. Sie fordern eine Technologie- ein klares Zeichen in Richtung Zukunft: Wir geben guten Taskforce. Ich kann Ihnen sagen: Schauen Sie in den Ideen eine Chance. Wir wollen, dass Start-ups in Haushalt. In den Haushaltsberatungen haben wir genau Deutschland groß werden können, dass die nächsten das beschlossen. Im Haushalt des Innenministeriums fin- großen digitalen Unternehmen auch in unserem Land, in Deutschland, und in Europa entstehen. Und die 10 Mil- (B) den Sie einen neuen Ansatz von 6,5 Millionen Euro, mit (D) denen wir eine Innovations- und Transformationseinheit liarden Euro, die wir mit diesem Haushalt endlich auf den für die Verwaltung der Zukunft schaffen werden, wo neue Weg bringen – nach jahrzehntelanger Diskussion –, sind Methoden getestet und angewandt werden können, wo das richtige Zeichen in Richtung Zukunft. Innovationen aus der Zivilgesellschaft, aus Start-ups (Beifall bei der CDU/CSU) von innovativen Menschen in die Verwaltung hineinflie- ßen. Das ist wirklich der Game Changer für die Verwal- Deshalb kann ich nur sagen: Nutzen wir die Krise! tung der Zukunft. Das, was Sie fordern, haben wir schon Nutzen wir die Krise als Chance, um Strukturen aufzu- umgesetzt. Lassen Sie uns das in den nächsten Jahren mit brechen, Strukturen zu ändern, um nach vorne zu gehen, Leben füllen! unser Land zu modernisieren und den vielen innovativen Menschen in unserem Land mit den vielen Ideen – sei es (Beifall bei der CDU/CSU) in den Unternehmen, sei es in den Start-ups, sei es in der Zivilgesellschaft – eine Chance zu geben, groß zu wer- Auch in dem Haushalt, den wir gerade beraten, näm- den, zu wachsen, in den Einsatz zu kommen. So stelle ich lich im Haushalt des Bundeskanzleramts, findet man eine mir das Deutschland der Zukunft vor. Nutzen wir die Innovation. Ich danke ganz herzlich Patricia Lips, die uns Krise als Chance! unterstützt hat, das dort hineinzuformulieren. Wir werden uns im nächsten Jahr genau anschauen: Wie kann man (Beifall bei der CDU/CSU) Forecasting verbessern? Wie kann man es schaffen, inno- vative Entwicklungen, neue Geschäftsmodelle, neue Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: Technologien früher in unser politisches System, früher Das Wort hat der Abgeordnete der AfD-Fraktion Uwe in unsere Regulierung zu integrieren, damit wir innova- Schulz. tionsoffen regulieren, damit wir so regulieren, dass neue (Beifall bei der AfD) Entwicklungen eine Chance haben, dass sie groß werden in unserem Land und nicht behindert werden von Geset- zen und Vorschriften, die wir heute haben? Dafür zu Uwe Schulz (AfD): sorgen, ist die Aufgabe der – wie wir sie nennen – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Zukunftslobby; Sie können dem auch einen anderen Sachen Digitalisierung stehen Ministerien und Behörden Namen geben. Wir haben Geld dafür eingestellt, dass seit Jahren mit beiden Füßen auf der Bremse. Beispielhaft wir die Basis für dieses neue Regieren entwickeln kön- dafür sind auch die in unsere Büros gelieferten umwelt- nen. Auch das finden Sie in diesem Haushalt. feindlichen analogen Papierberge, bedruckt mit dem Haushaltsentwurf. Es fehlt insgesamt am Mut zur rein (Beifall bei der CDU/CSU) digitalen Lösung. Aber jeder weiß es ohnehin: Deutsch- 24962 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Uwe Schulz (A) land rangiert bei digitalen Themen eher auf dem Niveau Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) eines Entwicklungslandes, und die Verursacher sind Sie, Vielen Dank. – Das Wort geht an den Abgeordneten meine Herrschaften auf der nicht sehr reichlich, aber wie- Dennis Rohde von der SPD-Fraktion. der mit der Bundeskanzlerin besetzten Regierungsbank. (Beifall bei der SPD) Sie sind keine guten Vorbilder für die Digitalisierung.

(Beifall bei der AfD) Dennis Rohde (SPD): Dabei könnte es doch so viel besser sein: In den Aus- Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen schüssen wird derzeit das Registermodernisierungsgesetz und Kollegen! Zum Schluss dieser Generaldebatte disku- diskutiert. Ideal umgesetzt kämen damit die Bürger in den tieren wir über den Kanzleramtshaushalt im engeren Sin- Genuss einer modernen, effizienten und vor allem einer ne. Wir diskutieren auch über den Bereich Kultur. Ich bürgerfreundlichen Verwaltung. Aber nicht mit dieser glaube, dass die Debatte gerade über diesen Bereich in Bundesregierung! Dilettantisch legten Sie einen Gesetz- der jetzigen Zeit umso wichtiger ist. Denn wir alle wissen entwurf vor, der nach Ansicht aller Experten verfassungs- aus den Debatten auf allen politischen Ebenen: Wenn es widrig ist, weil er faktisch den gläsernen Bürger darum geht, zu gucken, wo man am ehesten einsparen erschafft. Und obwohl Ihnen bewusst ist, dass das Gesetz kann, kommen viele schnell auf diesen Bereich, den sie vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden wird, als freiwillige Aufgabe titulieren. Sie möchten daher hier peitschen Sie es durch und riskieren wieder jahrlange den Rotstift ansetzen. Ich will ausdrücklich sagen: Ich Verzögerungen. glaube, das wäre ein großer Fehler. Es würde einen Teil der Seele unseres Landes herausschneiden; denn Kultur Oder nehmen wir das IT-Sicherheitsgesetz. Eine Kern- und Kulturschaffende sind doch mehr für unser Land. frage darin ist: Dürfen Hersteller aus China unser 5-G- Kultur stärkt die Demokratie, sie stärkt die Zivilgesell- Netz ausstatten? Seit mehr als zwei Jahren drückt sich die schaft, und genau das brauchen wir derzeit, liebe Kolle- Bundesregierung hier um eine Antwort herum, obwohl ginnen und Kollegen. die deutschen Sicherheitsbehörden eindringlich warnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auch mit dem aktuellen Entwurf, der gerade durch das der CDU/CSU und des Abg. Otto Fricke Kabinett wandert, wird es wohl wieder keine Rechtssi- [FDP]) cherheit für die Netzbetreiber in Deutschland geben. In der Bereinigungssitzung sind wir diesem Narrativ Und wenn Sie dann mal so richtig digitalisieren wol- nicht verfallen. Wir fördern die Kultur in diesem Land len, versagen Sie. Ihre Corona-Warn-App ist ein Flop, ein wieder in ihrer vollen Bandbreite: vom Festspielhaus in unbrauchbares Werkzeug mit nicht nachvollziehbarer Bayreuth bis hin zum kleinen Museum in Bückeburg, (B) Datenverwendung, aber mit immensen Kosten. vom Fürst-Pückler-Park in Branitz über das Kino Inter- (D) (Beifall bei der AfD) national in Berlin bis hin zum Museumshafen Carolinen- siel, vom Zuschuss für die Ruhrfestspiele bis hin zu Den absoluten Offenbarungseid, den absolute Kracher, einem Projekt, wo in der Gedenkstätte Bergen-Belsen sehen wir derzeit. Sie haben den Mund wieder mal viel zu das Leid und der Genozid von Jesiden im letzten Jahr- voll genommen: „Schnell und unbürokratisch" sollten die zehnt aufgearbeitet werden. Wir decken die gesamte Coronahilfen für Gewerbetreibende fließen. Aber die Bandbreite der Kultur ab. Ich will ausdrücklich sagen, Wirklichkeit sieht anders aus. Das Geld kommt später; dass ich das richtig finde. denn die Software ist noch nicht einmal fertig. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, der finanzielle Ruin zahl- Wir tun das mit sehr großer Geschlossenheit; ich finde, loser Unternehmen ist nicht die Schuld des Virus, son- das kann man an dieser Stelle auch mal betonen. Ganz dern ist auf Ihr politisches Versagen zurückzuführen. viel von dem, was wir in der Bereinigungssitzung be- (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: schlossen haben, haben wir mit großer Mehrheit be- Schwachsinn!) schlossen. Ich möchte mich deswegen nicht nur bei Patricia Lips als Koalitionsmitberichterstatterin bedan- Finanz- und Politeliten und die um sie herumwabernden ken, sondern auch ausdrücklich bei den Berichterstattern NGOs reden derzeit vom „Great Reset"; was immer auch der Opposition: bei Otto Fricke, bei Anja Hajduk und bei damit gemeint ist. Für unzählige Gewebetreibende und Gesine Lötzsch. Wir haben ganz viel gemeinsam auf den Unternehmen hingegen wird es keinen Neuanfang geben, Weg gebracht. Ich finde, das ist auch ein Ausdruck weder einen kleinen noch einen großen oder gar einen davon, worum es in dieser Debatte geht, liebe Kollegin- großartigen; denn Sie sind gerade dabei, Hunderttausen- nen und Kollegen. de und Millionen Existenzen endgültig zu vernichten und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wirtschaft und Gesellschaft umzukrempeln. der LINKEN) Ja, meine Damen und Herren, Deutschland braucht Aber gerade weil wir in dieser Debatte über Fraktions- tatsächlich einen Neustart, einen Neustart mit einer neuen grenzen hinweg so eine Geschlossenheit gezeigt haben Regierung, mit einer Regierung, die sich unserem Hei- und gerade weil wir immer deutlich gemacht haben, wie matland verpflichtet fühlt. wichtig uns dieser Bereich ist, habe ich mich gestern Vielen Dank. umso mehr geärgert – geärgert darüber, dass ich einem dpa-Interview entnehmen musste, dass man zur ersten (Beifall bei der AfD) Kulturmilliarde, Frau Grütters, jetzt noch eine zweite Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24963

Dennis Rohde (A) Milliarde braucht. Wir haben viel und oft darüber disku- hast. Ich finde, das ist ein wichtiges Signal an diejenigen, (C) tiert, auch stundenlang im Ausschluss. Ich hätte es für die damals in diesem Flugzeug gefangen waren. Vielen einen guten Stil gehalten und als kollegial empfunden, Dank dafür. wenn Sie das in diesen Debatten angemerkt hätten und (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Florian wir Parlamentarier das nicht aus der Presse erfahren hät- Toncar [FDP]) ten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: der FDP und der LINKEN und der Abg. Vielen Dank. – Das Wort geht an die Abgeordnete Dr. [CDU/CSU] – Elisabeth Motschmann von der CDU/CSU-Fraktion. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das System Grütters!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich will aber, wenn wir hier über Kultur diskutieren, noch einen weiteren Punkt ansprechen. Wir diskutieren Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): über Kultur ja nicht nur im Rahmen des Einzelplans 04, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sondern auch des Einzelplans des Arbeitsministers, der Die Kultur leidet, sie leidet extrem. Ich lege einen breiten zwei sehr wichtige Botschaften an die Kulturschaffenden Kulturbegriff an und denke an die Kreativen und in die- enthält. sen Tagen auch an die Schausteller und an alle, die hinter der Bühne arbeiten, an diejenigen, die wir nicht sehen. Das Erste ist: Die Beitragsstabilität gilt auch für die Sie leiden nicht nur unter fehlendem Einkommen, sie Künstlersozialkasse. Wir haben in der Bereinigungssit- leiden, weil sie nicht arbeiten können. Sie wollen singen, zung den Steuerzuschuss noch mal deutlich erhöht, damit musizieren, ausstellen. Sie wollen auf die Bühne. Ich die Künstlerinnen und Künstler, damit die Kulturschaff- glaube, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage: Wir enden in diesem Land in dieser Krise, die sie ja ganz freuen uns alle, wenn das wieder möglich sein wird. massiv bedroht, nicht auch noch eine Beitragssatzerhö- hung hinnehmen müssen. Ich finde, das ist ein wichtiges (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Signal. neten der SPD – Karsten Hilse [AfD]: Sagen Sie uns, wann! Sagen Sie uns einfach, wann es (Beifall bei der SPD) wieder losgeht! Und sagen Sie vor allem den Kulturschaffenden, wann es wieder losgeht!) Das Zweite ist: Jeder, der sich intensiv mit der Kultur- szene auseinandersetzt, der Gespräche führt, zum Bei- Ganz besonders denke ich an die Soloselbstständigen, an die privatwirtschaftlich organisierte Kultur, die Veran- (B) spiel mit Schauspielerinnen und Schauspielern an Thea- (D) tern, weiß, wie unterschiedlich die Lebenswelten staltungswirtschaft, Kinos, freie Orchester oder Festivals. derjenigen sind, die dort arbeiten, wie unterschiedlich Von einem Tag auf den anderen mussten beim ersten aber auch die Arbeitsbedingungen sind, auf die sie tref- Lockdown über 80 000 Veranstaltungen abgesagt wer- fen. Leider müssen wir konstatieren, dass ganz oft gerade den. Umsatzverluste: 40 Milliarden Euro. Das sind keine diejenigen, die mit ganzer Leidenschaft ihren Beruf aus- Peanuts. Aber Künstlerinnen und Künstler in unserem üben, in prekärer Beschäftigung arbeiten. Jetzt gibt es Land haben sich nicht entmutigen lassen. Mit unglaublich nicht die eine Lösung, um denen ein vernünftiges soziales viel Engagement, Kreativität und Zeitaufwand haben sie Netz zu knüpfen, eben weil die Lebens- und Arbeitswir- Hygienekonzepte erarbeitet, sich digital präsentiert, klichkeiten so unterschiedlich sind. Deshalb haben wir im gestreamt. Was sie konnten, haben sie getan. Dafür sage Haushalt des Bundesarbeitsministers ein Projekt imple- ich an dieser Stelle: Herzlichen Dank! mentiert, um aufzuarbeiten: In was für Arbeitsverhältnis- sen befinden sich die Kulturschaffenden eigentlich, und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wie kann man ihnen – auch als Reaktion auf diese Krise, der SPD) die sie ganz besonders betroffen hat – ein vernünftiges, Wie haben wir reagiert? Was haben wir getan? 1 Mil- wirksames soziales Netz schaffen? Ich finde, das ist eine liarde Euro zusätzlich für den Kulturetat, Soforthilfepro- wichtige Botschaft. gramme, eine Gutscheinlösung, Ausfallhonorare, Über- (Beifall bei der SPD) brückungshilfen, erleichterter Zugang zu Hartz IV. (Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD] – Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Dank an Karsten Hilse [AfD]: Super! Große Klasse! den stellvertretenden Vorsitzenden des Haushaltsaus- „Erleichterter Zugang zu Hartz IV“, sehr schusses, , aussprechen; denn er hat ein schön! Da sind die Künstler sicher sehr, sehr Thema, das uns seit 2017 umtreibt, zu seinem Thema dankbar!) gemacht und endlich für eine Lösung gesorgt. Ich rede über die „Landshut“, die 1977 entführt wurde. Sie wurde Dafür danke ich ausdrücklich allen, die das möglich 2017 von zurück nach Deutschland gemacht haben. Die Regierung, die Bundeskanzlerin, geholt. Seitdem gibt es Streit über die Frage: Was machen die in ihren Reden und Podcasts immer wieder auch die wir mit diesem Flugzeug? Es gab keine vernünftige Kultur benannt und erwähnt hat, unsere Kulturstaatsmi- Lösung, und das war für die ehemaligen Geiseln eine nisterin, der Haushaltsausschuss, unsere Haushälterin sehr bedrückende Situation. Lieber Martin, ich bin dir Patricia Lips, aber auch alle Fraktionen – nein, nicht dankbar, dass du das Thema gemeinsam mit der Bundes- alle Fraktionen –, fast alle Fraktionen haben uns unter- zentrale für politische Bildung in die Hand genommen stützt. 24964 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Elisabeth Motschmann (A) (Beifall der Abg. [CDU/CSU] Katrin Budde (SPD): (C) und [Wetzlar] [SPD]) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 2,14 Mil- Am Anfang waren nicht alle Maßnahmen zielgenau, liarden Euro im Kulturetat – ohne Coronahilfen – sind sodass viele im Kulturbereich durch den Rost gefallen allein schon ein wichtiges und gutes Zeichen in einer sind. Künstlerinnen und Künstler haben in der Regel Zeit, in der nahezu die gesamte Kulturbranche am Boden keine Betriebskosten, die sie hätten geltend machen kön- liegt. Ich will einige wichtige Akzente nennen. nen. Ohne Bühne keine Künstler, ohne Künstler keine Die Mittel für die Bundeskulturfonds, die eine super Bühne. Wir müssen beides unterstützen, die kulturelle Arbeit leisten, haben wir im Rahmen des Programms Infrastruktur und die Menschen, die diese bespielen. „Neustart Kultur“ verstetigt. Wir brauchen sie dringend, Mit der Novemberhilfe gibt es nun zumindest eine Art sowohl inhaltlich als auch in der jetzt schwierigen Zeit. Einkommenserstattung. Im 31. Jahr der deutschen Einheit gibt es im Bundes- (Karsten Hilse [AfD]: Das kommt Ihnen ganz etat auch wieder einen Titel für das Einheits- und Frei- schwer über die Lippen!) heitsdenkmal in Leipzig. Das ist wichtig; denn für uns Ostdeutsche ist Leipzig, glaube ich, ein stärkeres Symbol Die Überbrückungshilfe III ist zugesagt; vielen Dank, für die Friedliche Revolution, als es Berlin war. Deshalb – er ist jetzt gerade nicht anwesend – ist es gut, dass es dort ein gutes Konzept gibt, das wir und Olaf Scholz. Auch das ist ein wichtiger Baustein. auch unterstützen werden. In den Haushaltsberatungen ist es uns darüber hinaus (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gelungen, zusätzlich 170 Millionen Euro für die Kultur der CDU/CSU) bereitzustellen. Damit liegt der Kulturhaushalt erstmals über der 2-Milliarden-Euro-Grenze. Ein Rekord! Das Es gibt einen neuen Titel „Aufarbeitung des Kolonia- zusätzliche Geld fließt – es ist hier schon erwähnt wor- lismus“ in Höhe von über 2 Millionen Euro; das ist gut so. den – in große und kleine Einrichtungen, auch in den Im Rahmen der Strukturstärkung Kohleregionen ste- ländlichen Raum. Ins Denkmalschutzprogramm fließen hen für die Förderung der Industriekultur 4,9 Millionen 70 Millionen Euro; auch ein enorm erfolgreiches Pro- Euro zur Verfügung. Auch das ist ein Beginn, ein Zei- gramm. chen, das wichtig ist in dieser Epoche. Noch eines will ich sagen. Am Anfang der Pandemie Wir haben die Mittel für das Zukunftsprogramm Kino habe ich eine sehr harte Ansage von einem Künstler um 10 Millionen Euro erhöht. Wir werden auch daran erhalten. Die ist mir durch Mark und Bein gegangen. arbeiten müssen, dass es die Kinos nach der Coronakrise Natürlich enthält sie irgendwo einen Funken Wahrheit. noch gibt, aber wenn sie wieder öffnen, brauchen sie (B) Er hat mir gesagt: Wenn wir auf den Bühnen stehen, dieses Programm. (D) dann werden wir von euch beklatscht und bejubelt, und wenn wir in Not sind, dann verweist ihr uns an Hartz IV. Die Förderung der Stiftung zur Aufarbeitung der SED- Diktatur wurde verstetigt, es wurden vier neue Stellen (Karsten Hilse [AfD]: Genau so!) bewilligt. Auch das ist gut. Diese Erhöhung war, anders Das hat mich total betroffen gemacht. als bei anderen Haushalten, schon im ursprünglichen Ge- setzentwurf vorgesehen. (Karsten Hilse [AfD]: Und was haben Sie daraus gelernt?) Das Denkmalschutz-Sonderprogramm wurde von den Haushältern mit 70 Millionen Euro gut befüllt. Das ist ein Deshalb freue ich mich, dass wir heute sagen können: Wir sehr wichtiges Programm, weil es in jede Ecke unserer haben unglaublich viel in den Kulturbereich an Geld, an Bundesrepublik geht. Alle haben dringend darauf gewar- Mitteln gegeben. Vorneweg hat Monika Grütters dafür tet. Vielen Dank, dass das in den Haushaltsberatungen gekämpft, wir Kulturpolitiker haben es ihr gleichgetan. möglich war. Deshalb richte ich am Ende einen Appell an die Kultur- schaffenden: Wir sind hier Ihre politischen Anwälte. (Beifall bei der SPD) (Lachen des Abg. Karsten Hilse [AfD] – Ich will aber auch persönlich Danke sagen für die Son- Karsten Hilse [AfD]: Mit solchen Anwälten derinvestitionsprogramme für Sachsen-Anhalt und Thü- hat man verloren!) ringen; denn es ist durchaus nicht selbstverständlich, dass zwei Bundesländer, reich an Kulturschlössern, Burgen Wir sehen die Not. Deshalb unterstützen wir die Kultur- und Gärten, vom Bund bezuschusst werden. Das ist szene, die Künstlerinnen und Künstler, wir tun alles, was sehr wichtig für uns. Diese Kultur ist uns eine Freude, helfen kann, damit sie, ja, über die Runden kommen. Das aber sie ist eben auch eine finanzielle Last. ist nicht nur ein kulturpolitischer Auftrag, das ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Dass es Thomas Müntzer und der Bauernkrieg zum 500. Todestag von Müntzer in den Bundeshaushalt Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. geschafft haben, ist eine wirklich gute Entscheidung (Beifall bei der CDU/CSU) gewesen; denn Müntzer und seine Ideen sind in der Ge- schichte oft missbraucht worden. Müntzer und Luther sind eben zwei Seiten einer geschichtlichen Medaille, Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: die zusammen betrachtet werden müssen. Dem Einzelnen Das Wort geht an die Abgeordnete Katrin Budde für damals, vor 500 Jahren, ein Widerspruchsrecht zuzuge- die SPD-Fraktion. stehen und das auszusprechen, das war schon mehr als (Beifall bei der SPD) mutig. Genauso mutig war es, mit dem Gesicht zum Volk Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24965

Katrin Budde (A) zu predigen. Das war im Grunde der Beginn der Demo- Vizepräsidentin Dagmar Ziegler: (C) kratie. Deshalb finde ich es wichtig. Kommen Sie also in Vielen Dank. – Der letzte Redner in der Debatte ist mein Bundesland, gucken Sie sich den Ort der Fürsten- Dr. Jens Zimmermann von der SPD-Fraktion. predigt an, Allstedt, wo Müntzer dem Fürsten, glaube ich, das Frühstück verdorben hat. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wichtig ist aber auch, dass das Thema „Gleichstellung Dr. Jens Zimmermann (SPD): von Frauen in Kultur und Medien“ erstmals mit 2 Millio- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- nen Euro im Haushalt verankert ist; auch das ist ein gutes ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mobile Kommuni- Zeichen. kation, mobiles Arbeiten, mobiles Lernen: Das alles hat unser Leben während Corona verändert. Wenn das eines Gegenwärtig merken wir ja, dass das fehlt, was in all deutlich gemacht hat, dann, dass die Digitalisierung in den Jahren vorher selbstverständlich war: eine wunder- unserer Gesellschaft eine immer größere Rolle spielt. bare, überquellende Kulturlandschaft, ein Kulturangebot, bei dem für jeden von uns etwas dabei ist. Corona hat uns Einigen kommt es so vor, als wären wir auch ein biss- gezeigt, dass Kultur eben kein Luxus ist, sondern ein Teil chen in die Zukunft gebeamt worden; manche nennen es von jedem und jeder von uns, etwas, das wir brauchen. „The Future is now“. In diesem Haushalt ziehen wir die Deshalb ist es wichtig, daraus zu lernen und zu sagen: entsprechenden Konsequenzen, auf der einen Seite mit Kulturförderung darf eben nicht mehr nur freiwillige massiven Investitionen und auf der anderen Seite – und Leistung sein. Auch grundsätzliche Dinge müssen das ist mindestens genauso wichtig im politischen Han- besprochen werden. Kulturförderung muss auf allen deln – mit einer konsequenten Regulierung der digitalen staatlichen Ebenen Pflicht sein, im Bund, in den Kommu- Welt. nen und in den Ländern. Um durch diese Krise zu kommen und gleichzeitig in (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Erhard die Zukunft investieren zu können, haben wir in diesem Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jahr das Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn man mal schaut, was wir alles an Innovationen NEN]: So ist es!) darin haben, dann kommt man locker auf 20 Milliarden Euro für den ganzen Bereich der Digitalisierung: für Wir befinden uns in einer neuen gesellschaftlichen künstliche Intelligenz, für Quantencomputer, für den Verteilungsdebatte, die durch diese pandemische Situa- 5-G-Ausbau. Es sind aber eben nicht nur diese Investitio- tion verschärft wird. Dennis Rohde hat es gesagt: Wir nen allein, sondern wir müssen auch – ich sagte es be- müssen aufgrund der Verschiedenheit der Erwerbsein- (B) reits – in die Regulierung einsteigen. (D) kommen, aufgrund dieser verrückten Situationen der Kultur- und Kunstschaffenden, die wirklich existenziell Wir haben in diesem Jahr eine ganz lange Diskussion bedroht sind, völlig neu darüber nachdenken, wie die darüber geführt, wie es mit der Sicherheit bei 5 G aus- sozialen Sicherungssysteme auf diese Art von Erwerb, sieht. Deswegen ist es gut, dass wir zum Beispiel auch so von Leben, aber auch kultureller Bereicherung ausgerich- ein Projekt wie die Förderung von Open RAN, das so tet werden können. Wir müssen das komplett neu denken. technisch anmutet, in Angriff genommen haben. Das ist (Beifall bei der SPD) wieder nur etwas, bei dem jetzt die Nerds zu Hause auf- horchen, aber es ist ein Projekt, mit dem wir dafür sorgen Zum Schluss will ich einen Dank loswerden an alle, die wollen, dass die Antenne von Hersteller A am Ende auch mitgearbeitet haben: an den Finanzminister, an die mit der Antenne von Hersteller B kommunizieren kann. Staatsministerin für Kultur und Medien, an meine Kolle- Heute ist das nicht der Fall, und dadurch entsteht eine ginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss und an die- große Abhängigkeit von einzelnen Herstellern. jenigen im Ausschuss, die, bei unterschiedlicher Rollen- verteilung zwischen Opposition und Regierung, doch alle All das zeigt, wie viele gute Ideen in diesem Konjunk- eins im Blick haben, nämlich die Kultur. turprogramm und im Haushalt stecken. Ich will die letzten Sekunden dafür verwenden, auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten noch die Auswärtige Kulturpolitik zu erwähnen. Die ist der CDU/CSU) hinten runtergefallen – in der Debatte, nicht in der Finan- zierung; das muss ich dazusagen –, aber sie ist extrem Zur Gestaltung dieses digitalen Wandels, der durch wichtig, gerade in der heutigen Zeit. Wir brauchen inter- Corona beschleunigt wurde, gehört aber zum Beispiel nationale Kulturpolitik. Eine gute Milliarde Euro für die eben auch ein Recht auf Homeoffice. Hubertus Heil hat Auswärtige Kulturpolitik ist erreicht worden. Danke an da eine große Arbeit geleistet. Mit Blick zur Union will die Staatsministerin Müntefering. ich sagen: Da geht vielleicht auch noch ein bisschen mehr. Hoffen wir, dass wir gut durch die Pandemie kommen, dass das viele Geld, das wir in die Hand nehmen, noch Auch das digitale ehrenamtliche Engagement gehört klarer beim Einzelnen, bei der Einzelnen ankommt und dazu. Deswegen freue ich mich sehr, dass wir heute Mor- dass wir danach gemeinsam neu durchstarten können. gen im Finanzausschuss des Bundestages beim Thema Gemeinnützigkeit auch über die Initiative „Freifunk“ Vielen Dank. gesprochen haben. Die haben schon während der Flücht- (Beifall bei der SPD) lingskrise einen tollen Job gemacht. Dass auch das digi- 24966 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Dr. Jens Zimmermann (A) tale Engagement in der kommenden Woche hier im Berichterstatterinnen und Berichterstatter sind die Ab- (C) Hohen Hause debattiert wird und dann gemeinnützig geordneten Dr. Birgit Malsack-Winkemann, Alois Karl, werden soll, ist ein ganz wichtiges Signal. Doris Barnett, Michael Georg Link, Michael Leutert und (Beifall bei der SPD) Ekin Deligöz. Wir haben es heute in den digitalpolitischen Teilen Zu dem Einzelplan 05 liegen zwei Änderungsanträge dieser Debatte, aber auch bei der Betrachtung der Coro- sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der AfD vor. napandemie insgesamt gehört: Irgendwie wird bei uns in Über den Entschließungsantrag werden wir am Freitag Deutschland alles ziemlich kritisch betrachtet. Es wird nach der Schlussabstimmung abstimmen. immer darüber geredet, wo Defizite sind. Das ehrt uns Für die Aussprache sind wieder 90 Minuten beschlos- in Deutschland; dafür sind wir auch international sen. – Bitte nehmen Sie alle zügig Platz. bekannt. Man muss aber doch mal eine Sache feststellen: Dieser erste Coronaimpfstoff wurde in Deutschland ent- Ich eröffne die Aussprache, und das Wort hat die Abge- wickelt – durch das Verschmelzen von digitaler Techno- ordnete Dr. Birgit Malsack-Winkemann, AfD-Fraktion. logie und Medizin. Das ist hochinnovativ; das ist made in (Beifall bei der AfD – Ulli Nissen [SPD]: Jetzt . Darauf können wir stolz sein. kommt wieder eine ganz Sympathische!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): Weil wir es geschafft haben, dass wir unsere industrielle Sehr verehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Basis immer noch in Deutschland haben, kann dieser Zur politischen Kunst des Auswärtigen Amtes – insbe- Impfstoff jetzt auch in Deutschland hergestellt werden. sondere des Herrn Maas – und vor allem der Bundes- Auch damit haben wir etwas, worum uns viele beneiden. kanzlerin, Frau Dr. Merkel, kann man nur eines sagen: „Lieber Vater im Himmel, vergib ihnen; denn sie wissen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nicht, was sie tun“; Wenn wir jetzt darüber diskutieren – und die Kanzlerin (Beifall bei der AfD) hat heute einen starken Aufschlag dazu gemacht –, wie wir die kommenden Wochen bis Weihnachten über die denn das Porzellan, das diese beiden am 7. November Bühne bringen, dann sollten wir nicht vergessen, welch 2020 mit ihrer Gratulation an Joe Biden und Kamala großartige Leistungen die Menschen und Institutionen in Harris zerschlagen haben, ist kaum wiederherzustellen. unserem Land in dieser Krise schon erbracht haben. Getrieben von scheinbar übermächtigen nationalen (B) Herzlichen Dank. und internationalen Medien sowie einer politischen Ins- (D) (Beifall bei der SPD) tinktlosigkeit, die ihresgleichen sucht, haben beide jeg- liche diplomatische Gepflogenheiten außer Acht gelas- sen, die national und international zu beachten sind; Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: denn sie haben zu einem Zeitpunkt Joe Biden als angeb- Vielen Dank, Kollege Jens Zimmermann. – Ich schlie- lich neugewähltem Präsidenten der Vereinten Staaten ße die Aussprache zu Einzelplan 04. gratuliert, zu dem ein offizielles Ergebnis seitens der Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 – amerikanischen Administration noch nicht feststand Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt – in der Aus- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) schussfassung. und zu dem erhebliche Anhaltspunkte darauf hindeute- Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Für die ten, dass eine gerichtliche Überprüfung der damals noch Stimmabgabe in der Westlobby haben Sie nach Eröff- nicht vollständig ausgezählten Wahl – möglicherweise nung der Abstimmung wieder 30 Minuten Zeit. Bitte sogar durch den Supreme Court – stattfindet. gehen Sie nicht alle gleichzeitig zur Abstimmung, halten Sie den Sicherheitsabstand ein, und bedenken Sie, dass (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Quatsch!) auch in der Westlobby die Pflicht zum Tragen einer Beiden musste dies spätestens aufgrund der Äußerungen Mund-Nase-Bedeckung gilt. Ich bitte die Schriftführerin- 1) des amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten, nen und Schriftführer, darauf zu achten. , in der Zeit bis zum 7. November 2020 Die Plätze an den Urnen sind besetzt. Ich eröffne die bekannt und bewusst sein. namentliche Abstimmung über den Einzelplan 04. Vor allem aber haben beide – und das ist unentschuld- Die Abstimmung wird um 13.35 Uhr geschlossen. bar – entgegen allem demokratischen, rechtsstaatlichen Bevor die Zeit abgelaufen ist, werde ich das auch noch und völkerrechtlichen Verständnis die nationalen und mal rechtzeitig bekannt geben. internationalen Medien zum Maß aller Dinge genommen, Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.10 auf: indem sie unbesonnen dasjenige wiederholten, was diese vorgegeben hatten. hier: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Verfügt unser Land über keinen zuverlässigen Nach- richtendienst? Muss sich unsere politische Führung in der Drucksachen 19/23305, 19/23324 Regenbogenpresse informieren? Damit haben Sie den Medien eine Macht eingeräumt, die diesen in einem 1) Ergebnis Seite 24973 D demokratischen Rechtsstaat nicht zusteht, und zudem Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24967

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (A) der deutschen Bevölkerung mit der Funktion und Würde Das muss sich endlich ändern. Selbstbedienung, ver- (C) Ihres Amtes etwas vorgespielt, was schlicht die Unwahr- bunden mit der Einmischung in die inneren Angelegen- heit war und ist, heiten anderer Staaten, muss der Vergangenheit angehö- ren, und genau dafür plädieren wir, die AfD. (Beifall bei der AfD) Danke schön. dass nämlich am 7. November 2020 feststand, dass Joe Biden zum 46. amerikanischen Präsidenten gewählt wor- (Beifall bei der AfD – Lachen des Abg. den ist. Christian Petry [SPD]) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Muss echt frustrierend sein!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Im Übrigen hat zwischenzeitlich der US-Bundesstaat Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Doris Barnett, Texas eine Klage beim Supreme Court mit dem Ziel ein- SPD-Fraktion. gereicht, das Wahlergebnis in Pennsylvania, Georgia, (Beifall bei der SPD) Michigan und Wisconsin für ungültig zu erklären. Der Supreme Court hat die Klage angenommen, und die US-Bundesstaaten Alabama und Louisiana haben sich Doris Barnett (SPD): Texas angeschlossen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich ( [CDU/CSU]: Was hat das mit möchte hier weniger über die US-Wahlen spekulieren, als dem Etat zu tun?) lieber zum Einzelplan 05 kommen. Für ihr Verhalten gehört die gesamte deutsche Regierung, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gehören insbesondere aber Frau Dr. Merkel und Herr SES 90/DIE GRÜNEN) Maas von ihren Amtspflichten entbunden. An dieser Stelle möchte ich zunächst einmal dem Die gleiche politische Instinktlosigkeit und Inkompe- Haus, allen voran Minister Maas, seiner Frau Staatssek- tenz, die Herr Maas im außenpolitischen Bereich ein- retärin Leendertse, Herrn Stender und den Kolleginnen drucksvoll unter Beweis gestellt hat, verfolgt er auch im und Kollegen des Ministeriums, aber auch dem Finanz- haushalterischen Bereich, sei es, dass für Afghanistan ministerium, dem Ausschusssekretariat, meinen Mitbe- wie alle Jahre wieder 170 Millionen Euro allein im zivi- richterstatterinnen und Mitberichterstattern und beson- len Bereich ausgegeben werden; Afghanistan – ein Land, ders unseren eigenen Mitarbeitern für die unermüdliche (B) das sein Ranking in der weltweiten Spitzengruppe betref- und tolle Zusammenarbeit danken. Und es freut mich – (D) fend Korruption, Drogenherstellung und -export während das sei auch an dieser Stelle gesagt –, dass zwischen Aus- der Zeit des deutschen Geldflusses dauerhaft gefestigt wärtigem Amt und dem BMF endlich die Personalreserve hat; ein Land, in dem unsere Helfer täglich mit Anschlä- angegangen wird. gen der Taliban rechnen müssen, nunmehr ohne den Schutz amerikanischer Soldaten. Was wollen wir da? (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]) Und natürlich vergessen sich die Regierungsparteien, aber auch die Oppositionsparteien von links über grün bis Es ist mein letzter Haushalt, den ich hier einbringe. Er zur FDP bei den milden Gaben auch nicht selbst. Allein hat ein Volumen von inzwischen über 6,3 Milliarden 61 Millionen Euro fließen 2021 an deren parteinahe Stif- Euro, die angesichts der Weltlage auch dringend tungen im Ausland. Haben wir denn mit 227 staatlichen gebraucht werden. Das Auswärtige Amt besteht nun seit Auslandsvertretungen, davon 153 Botschaften, nicht 150 Jahren und ist heute ein modernes Ministerium mit genug Repräsentanz, noch dazu eine politisch neutrale einem sehr umfangreichen Betätigungsfeld, auf dessen Repräsentanz, was bei den parteinahen Stiftungen defini- einzelne Aspekte ich nur punktuell eingehen werde. tiv nicht der Fall ist? Das Amt koordiniert sich mit und finanziert internatio- (Beifall bei der AfD) nale Organisationen in der Bekämpfung von humanitären Krisen, die auch 75 Jahre nach der Gründung der UNO Handelt es sich bei den Aktivitäten dieser Stiftungen nicht weniger geworden sind – im Gegenteil. Humanitäre nicht in Wahrheit um die Einmischung in die inneren Hilfen und auch Krisenvermeidung und Prävention haben Angelegenheiten anderer Staaten? nicht nur für diese Bundesregierung, sondern auch für die Nein, Sie alle haben aus unserer Geschichte nichts sie tragenden Fraktionen einen hohen Stellenwert. Wir gelernt. sind froh darüber und halten es für richtig, den Ansatz für 2021 von vornherein um 170 Millionen Euro anzu- ( [SPD]: Aber Sie!) heben und nicht unterjährig auf überplanmäßige Erhö- Nach wie vor handeln Sie nach dem Motto „Am deut- hungen zu setzen. Der Mittelansatz beträgt nun insgesamt schen Wesen soll die Welt genesen“, anstatt sich endlich 2,54 Milliarden Euro. Dass diese Gelder gut angelegt zurückzuhalten und eine vernünftige, sachorientierte und sind, begreift jeder, der das Elend in der Welt gesehen eine dem Wohl des Steuerzahlers angemessene Außen- hat und versteht, dass wir damit auch den Migrations- politik zu betreiben. druck abmildern. (Zuruf des Abg. Christian Petry [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 24968 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Doris Barnett (A) Kein Mensch gibt freiwillig seine Heimat auf, außer er Wie ich vorher schon sagte, steht bei unserem Politik- (C) oder sie wird – oft mit Gewalt – vertrieben oder die ansatz der Mensch im Mittelpunkt, auch in der Außen- Lebensgrundlagen sind umweltbedingt vernichtet. Steine politik. Aus diesem Grund ist sie interessengeleitet, was machen nicht satt. die Menschen angeht: Menschen, die frei, ohne Angst und mit der Gewissheit leben, dass sie in ihrem Land (Beifall bei der SPD) fair und gerecht behandelt werden, werden in ihrer Heimat bleiben, ihr Land voranbringen und werden fried- Aber wir helfen nicht nur den Bedrängten. Wir wollen liche Nachbarn werden. Dabei wollen wir sie unter- Krisen erst gar nicht entstehen lassen. Da unterstützt uns stützen. So helfen wir mit dem östlichen Partnerschafts- nicht nur das Zentrum für Friedenseinsätze, das wir mit programm den Demokratiebewegungen, helfen mit, zusätzlichen 6,5 Millionen Euro für Beobachter weiter Bürgerfernsehen aufzubauen, leisten Hilfe bei Seminaren stärken. Besonders wichtig war uns, auch die Phase III und vieles andere mehr. des Krisenvorhersageprogramms Preview mit 20 Millio- nen Euro weiter zu finanzieren. Mittlerweile sind nämlich (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) andere Länder an diesem Programm interessiert und wol- Zusätzlich zu den 20 Millionen Euro stellen wir jetzt len unsere Erfahrungen nutzen. Spannungen und Gefah- 2 Millionen Euro zur Verfügung, und zwar nur für die ren rechtzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken, vielen Privatpartner der Zivilgesellschaft in Belarus, kann nicht nur Geld sparen, sondern auch menschliches und wir unterstützen die Sanierung der Geschichtswerk- Elend verhindern. statt „Leonid Lewin“ in Minsk mit 1,5 Millionen Euro. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch unsere politischen Stiftungen helfen mit, Bürger- Dass bei uns der Mensch im Mittelpunkt steht, sieht initiativen, Nichtregierungsorganisationen arbeitsfähig man daran, dass wir den Titel „Menschenrechte“ auf jetzt zu halten, und stellen Studien und auch Stipendien zur 20 Millionen Euro verdoppelt haben und die Stellen für Verfügung. Weltweit wird das für unsere Stiftungen Menschenrechtsreferenten an Schwerpunktbotschaften zunehmend schwieriger und auch kostspieliger. Deshalb einrichten. stocken wir die Mittel dort um insgesamt 9 Millionen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Euro auf. Und ich darf doch davon ausgehen, dass die AfD, die Apropos Botschaften: Diesen stellen wir 6 Millionen diese Gelder für überflüssig hält und am liebsten ganz Euro mehr für Kleinstmaßnahmen zur Verfügung, weil gestrichen haben will, für den Fall, dass sie nach der wir gesehen haben, dass vor Ort oft genug mit sogenann- (B) nächsten Bundestagswahl wieder in den Bundestag (D) tem kleinem Geld viel Gutes bewirkt werden kann. Es kommt, ihrerseits dann keinen Gebrauch von diesen Mit- kann Schulmaterial gekauft, ein Brunnen für sauberes teln machen wird. Wasser gebohrt werden usw. (Beifall bei der SPD) Gerade in Afrika müssen wir uns stärker engagieren, Die schwere Geburt des Bundesamtes für Auswärtige nicht nur, weil es die Wiege der Menschheit ist, sondern Angelegenheiten haben wir jetzt geschafft. Allerdings weil es ein – in der Alterszusammensetzung – sehr junger bitte ich darum, dem Amt auch die Chance zu geben, Kontinent mit vielen jungen Menschen ist, die begierig seine Arbeit professionell und in voller Mannschaftsstär- sind, zu lernen. Dafür haben wir die Expertise unserer ke zu beginnen, bevor man es von allen Seiten kritisiert, hervorragenden Kultur- und Bildungsmittler zur Verfü- insbesondere bemängelt, was man alles besser machen gung. Der DAAD engagiert sich unter anderem verstärkt müsste. Bei den Vor- und Ratschlägen, die man gibt, hat in Westafrika, weshalb wir seinen Etat um 6,5 Millionen man nämlich nicht die Pandemie mitbedacht. Euro aufstocken. Die Regionalforschung wollen wir mit 250 000 Euro unterstützen, und auch das Goethe-Institut Weil es mein letzter Haushalt ist, für den ich Bericht leistet auf dem afrikanischen Kontinent hervorragende erstatte, habe ich für uns Abgeordnete noch zwei Anlie- Arbeit. gen. Wir stellen für die wichtigen außenpolitischen Auf- gaben unseres Landes viel Geld zur Verfügung; das ist Allerdings kam es pandemiebedingt zu erheblichen auch gut so. Aber ich habe mit Alois Karl dafür gesorgt, Einnahmeausfällen, die wir im zweiten Nachtragshaus- dass der Haushalt auch Mittel für die Arbeit von uns mit halt bereits mit eingeräumten 70 Millionen Euro auffan- den Parlamentarischen Versammlungen von OSZE, gen konnten, von denen – sparsam, wie Goethe ist – aber Europarat und NATO bereithält. Machen Sie bitte aktiv nur ein kleiner Teilbetrag gebraucht wurde. Den Rest Gebrauch davon! halten wir für die vorhersehbaren Ausfälle im nächsten Jahr zur Verfügung. Die Pandemie zwang nicht nur uns (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zu einem anderen Arbeiten; auch die Angebote vom Goe- Wir haben in den USA zwei Liegenschaften, die keine the-Institut wurden dauerhaft umgestellt, weswegen wir Botschaften sind: Das Haus in der Fifth Avenue in New für die institutionelle Förderung weitere 3,5 Millionen York ist noch eine Baustelle, aber auch das renovierte Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Auch unsere Aus- Thomas-Mann-Haus in Los Angeles steht zur Verfügung. landsschulen mussten wegen des Virus den Unterricht Unsere Beziehungen zu den USA können und sollten wir umstellen und hatten darüber hinaus auch Einnahmeaus- verbessern, erst recht unter der neuen Regierung. Deshalb fälle. Das kompensieren wir jetzt mit 26 Millionen Euro sollten auch wir Abgeordnete mit Kolleginnen und Kol- zusätzlich. legen aus dem Bundesstaat bzw. aus dem Bundeskon- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24969

Doris Barnett (A) gress dieses Haus für den Dialog nutzen. Wir sind auch haben die auch noch verteidigt. Das war falsch. Von (C) bereit, weitere Mittel in Höhe von 300 000 Euro zur Ver- einem Außenminister hätte ich erwartet, dass er den Bin- fügung zu stellen, weil sich die anfänglichen Spender nenmarkt verteidigt, die Europäische Union verteidigt, zurückziehen. den freien Warenverkehr in der Europäischen Union Parlamentarische Diplomatie braucht kein Schlagwort gerade in Krisenzeiten, wo andere auf Solidarität ange- zu bleiben. Wir können es mit Leben füllen. Sie alle wiesen sind, verteidigt und sich nicht vor die Herren haben es in der Hand. Stimmen Sie dem Einzelplan zu! Spahn und Seehofer stellt und sie für ihre Fehlentschei- dungen auch noch in Schutz nimmt. Glück auf und vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) Jetzt haben wir den Sieg Joe Bidens über Donald Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Trump, auch wenn manche das hier offenbar noch nicht Vielen Dank, Frau Kollegin Barnett. – Ich erteile das wahrhaben wollen, und wir sind wieder in einem Modus Wort dem nächsten Redner, nämlich Alexander Graf des Weiter-so. Wir sind ja nicht das einzige Parlament, Lambsdorff von der FDP-Fraktion. das zurzeit Haushaltsberatungen führt; auch im amerika- (Beifall bei der FDP) nischen Kongress werden gerade Haushaltsberatungen geführt. Dort ist die Entsprechung zum Einzelplan 14 Alexander Graf Lambsdorff (FDP): verabschiedet worden, der National Defense Authoriza- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist die tion Act. Er macht einmal mehr deutlich, was für ein letzte Haushaltsdebatte in dieser Legislaturperiode; es ist diplomatisches Debakel erster Güte Nord Stream 2 ist. das letzte Mal, dass wir in dieser Legislatur über den Unsere Botschaft in Washington wird nichts anderes zu Einzelplan 05 beraten. Es ist deswegen vielleicht nicht tun haben, als im Kongress dafür zu werben, dass die verkehrt, eine kurze Bilanz der Außenpolitik in dieser Bestimmungen dieses National Defense Authorization Legislaturperiode zu ziehen. Acts möglichst nicht zur Anwendung kommen. Sie wird Sanktionsdrohungen aus dem Kongress gegen uns Aus Sicht meiner Fraktion war sie überwiegend eine zurückweisen müssen; zu Recht, weil sie illegal sind. Außenpolitik des Weiter-so. Es war eine reaktive Außen- Aber auch die Polen, die Skandinavier, die Balten, alle politik. Es war eine Außenpolitik, die sich durch Passivi- sehen in diesem Projekt eine Verletzung ihrer nationalen tät und durch Orientierungslosigkeit auszeichnete. Die Interessen. Trotzdem tut die Bundesregierung nach wie „taz“, nicht gerade das Leib-und-Magen-Blatt der FDP, vor so, als ob es sich um ein privatwirtschaftliches Pro- schrieb: „In der deutschen Außenpolitik ist derzeit keine jekt handelte. Nichts könnte falscher sein. (B) Linie zu erkennen, nicht einmal eine falsche.“ (D) (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Das wird besonders deutlich, wenn man sich die Meine Damen und Herren, hier ist von Doris Barnett Außenpolitik vor dem Hintergrund unserer Beziehungen eben etwas Richtiges gesagt worden: Es gibt auch posi- zu den beiden wichtigsten Partnern anschaut, die wir tive Dinge. – Der Einstieg in den Aufbau einer Personal- haben, Frankreich und die USA. Nachdem Emmanuel reserve im Auswärtigen Dienst ist etwas Positives; das Macron es gelungen war, Marine Le Pen zu besiegen, begrüßen wir ausdrücklich. Wir wollen ja auch, dass die hat er 2017 nach der Bundestagswahl einen großen Auf- Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland im schlag gemacht. Er hat Vorschläge für die Handlungsfä- Bündnis wahrgenommen werden. Dazu brauchen wir higkeit Europas auf den Feldern Sicherheit und Migration eben nicht nur das, woran man immer so denkt, wenn gemacht, auf den Feldern der Politik gegenüber Afrika, man über Verpflichtungen im Bündnis redet: militärische der Entwicklungszusammenarbeit, der Innovation, der Mittel. Nein, wir brauchen auch diplomatische Ressour- Wirtschaft und Währung. Die Reaktion aus Berlin war cen. Deswegen finde ich es gut, was Wolfgang Ischinger gleich null. Es gab überhaupt keine Bereitschaft seitens von der Münchner Sicherheitskonferenz vorgeschlagen des Kanzleramtes, seitens des Auswärtigen Amtes, auf hat: Wir sollten 3 Prozent unserer Wirtschaftsleistung diese Vorschläge einzugehen und sie zu debattieren. für die internationale Politik in die Hand nehmen. Für Man muss ja nicht jedem einzelnen Vorschlag zustim- die Diplomatie geben wir weniger als 0,2 Prozent aus. men. Aber wenigstens eine Debatte darüber zu führen, Weniger als 0,2 Prozent, und die Planung fürs Jahr 2024 wie die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union sieht ein Absinken von jetzt 6,3 auf dann 4,9 Milliarden gestärkt werden kann, das wäre angezeigt gewesen, mei- Euro vor. Meine Damen und Herren, das ist der falsche ne Damen und Herren. Weg. Wenn Deutschland eine internationale Rolle spielen soll, brauchen wir einen starken Auswärtigen Dienst. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Ich fand bemerkenswert, was die Bundeskanzlerin heute Morgen gesagt hat: Immerhin sei es in der zweiten Wir brauchen auch – das will ich hier genauso deutlich Welle der Coronapandemie gelungen, die Freiheit des sagen – eine starke Bundeswehr. Ich kann mir deswegen Warenverkehrs im europäischen Binnenmarkt zu bewah- wirklich beim besten Willen nicht verkneifen, die unfass- ren. Sie spielte damit auf einen der Kardinalfehler in der baren Äußerungen von Norbert Walter-Borjans hier ein- Frühphase der Pandemie an, nämlich die Verhängung mal aufzugreifen, der die Lebensversicherung für unsere einer Ausfuhrsperre für medizinische Produkte durch Soldatinnen und Soldaten im Einsatz wieder auf die lange die Bundesregierung am 4. März. Lieber Herr Maas, Sie Bank schieben will, weil angeblich noch nicht genug über 24970 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Alexander Graf Lambsdorff (A) Drohnen debattiert worden sei. Meine Damen und Her- Die Dinge werden ihren Fortgang nehmen, so wie das (C) ren, das ist wahlkampfinduziertes, verlogenes Geschwur- Jahr bei uns hier seinen Fortgang nimmt. Es wird in der bel. Es tut mir leid: Seit zehn Jahren debattieren wir über Tat in die Annalen der Geschichte eingehen. Die Pande- die Beschaffung von Drohnen, über Einsatzregeln, die mie hat uns in allen Lebenslagen getroffen: in der Politik, gerade auch Sie von der Sozialdemokratie präzisiert im gesellschaftlichen Leben, in den mitmenschlichen haben. Ich kann das beim besten Willen nicht verstehen. Kontakten, im Wirtschaftsleben usw., auch in unseren Haushalten natürlich. Vor einem Jahr haben wir noch (Beifall bei der FDP) mit einer schwarzen Null den letzten Haushalt hier ver- Letzter Punkt. Ich bin froh, dass unsere Bundeswehr abschiedet: 362 Milliarden Euro. Dann haben wir einen im Baltikum steht und dort die Litauer, die Esten, die Nachtrag machen müssen: 122 Milliarden Euro, dann Letten schützt und beruhigt. Ich will hier zum Schluss einen zweiten Nachtrag: 24 Milliarden Euro. Dies alles eines sagen, lieber Alois Karl – es ist ja auch für Sie haben wir mit neuer Kreditaufnahme bezahlen müssen. der letzte Einzelplan 05 –: Als Vorsitzender der Jetzt sind wieder fast 500 Milliarden Euro innerhalb eines Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe – und ich Jahres vorgesehen. Rund 1 Billion Euro ist also über gucke auch Elisabeth Motschmann an, denn wir sind unsere Tische gegangen. Das macht einen natürlich schon die beiden Deutsch-Balten hier im Deutschen Bundes- ein wenig nervös und bereitet einem durchaus ungute tag – will ich mich ausdrücklich dafür bedanken, dass Gedanken. die Petrikirche und der Wagnersaal in Riga so gut bedacht Wir haben viele Konferenzen in diesem Jahr gesehen. worden sind. Vielen Dank, lieber Herr Karl, für Ihr 16 Ministerpräsidenten sind jeweils bei der Bundeskanz- segensreiches Wirken und alles Gute! lerin zusammengesessen und haben die Diversität des Herzlichen Dank. Föderalismus durchaus ausgeprägt zum Ausdruck gebracht. Jedes Bundesland will das Beste, 16-mal das (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Elisabeth Beste. Und auch wenn die Ministerpräsidenten manch- Motschmann [CDU/CSU]) mal sehr uneinig erschienen, in einem haben sie sich doch sehr einig gezeigt, nämlich wenn es darum ging, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wer die Beschlüsse zu bezahlen hat. Wie aus einem Vielen Dank, Graf Lambsdorff. – Bevor wir zu einem Mund sind die 16 Finger und Fingerinnen weiteren Höhepunkt der Debatte kommen, möchte ich (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Sie daran erinnern, dass in weniger als zehn Minuten und der FDP) die namentliche Abstimmung geschlossen wird. Wer noch nicht abgestimmt hat, möge das also bitte jetzt tun. hochgegangen, wenn es darum ging, die Bundeskasse, sozusagen den Bundestag, mit der Bezahlung zu beauf- (B) Das Wort hat der Abgeordnete Alois Karl, CDU/CSU- (D) tragen. Fraktion. Meine Damen und Herren, es ist dieser Tage schon (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gesagt worden: Es kann nicht so weitergehen, dass ohne Christian Petry [SPD] – Christian Petry Einschaltung des Deutschen Bundestages, ohne das [SPD]: Alois, gib alles!) Benehmen mit dem Haushaltsausschuss über Milliarden- und Abermilliardenbeträge Beschlüsse gefasst werden, Alois Karl (CDU/CSU): die wir dann abzusegnen und abzunicken hätten. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich nach den Vorschusslorbee- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der ren, Herr Graf Lambsdorff, zur eigentlichen Rede kom- SPD, der FDP und der LINKEN) me, möchte ich ganz kurz auf meine besondere Freundin Auf diese Art und Weise musste der Leerstand von Frau Malsack-Winkemann eingehen. Tausenden von Krankenhausbetten bezahlt werden – 12 Milliarden Euro für diese Pandemievorsorge. Im Sep- (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tember haben wir auf diese Art und Weise Hilfen ver- NEN]: „Freundin“ kann man sie echt nicht nen- geben, die über den Daumen gepeilt einmal 10 Milliarden nen!) Euro kosten sollten und jetzt 14 oder 15 Milliarden Euro Am besten an Ihrer Rede hat mir gefallen, dass Sie nach kosten sollen. Im Dezember sollen 17 Milliarden Euro fünf Minuten schon am Schluss waren. auf diese Art und Weise ausgegeben werden. Meine Damen und Herren, es kann nicht so gehen, dass unsere (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, Haushalte auf diese Art und Weise ramponiert werden. der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Wir sprechen von einer Katastrophe nationalen Aus- maßes. Ich bin daher schon der Meinung, dass wir zum Sie haben gleichsam eine Verteidigungsrede für Donald Beispiel die Gastwirte nicht alleine lassen können und Trump gehalten. Um es ehrlich zu sagen: Ich habe nicht mit einem Achselzucken sagen: Fatum! Ist halt so; du so viel übrig für Donald Trump. Aber solch eine Ver- gehst jetzt halt vor die Hunde und wirst in den Ruin teidigungsrede, wie Sie sie gehalten haben, hat nicht ein- getrieben. Hier müssen wir in einer gewissen Solidarität mal er verdient, glaube ich sagen zu dürfen. handeln. Es sind ja keine Bundeswirtshäuser und keine (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der Landeskaffeehäuser und keine kommunalen Restaurants, SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE sondern es ist eine nationale Aufgabe. Wenn wir sagen: GRÜNEN) „Sie müssen schließen“, dann muss das auch von uns Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24971

Alois Karl (A) allen gemeinschaftlich getragen werden, jedenfalls nicht In Anlehnung an einen der großen Vorsitzenden der (C) von der Bundeskasse alleine. Solidarität verstehe ich da Sozialdemokratischen Fraktion, Herbert Wehner, möchte ganz anders, meine sehr geehrten Damen und Herren. ich sinngemäß zitieren: Es gibt nicht nur Wölfe im Schafspelz; es gibt auch Schafe im Haushaltsausschuss (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. und unter diesen Berichterstatterinnen und Berichterstat- Michael Georg Link [FDP]) ter. Niemand darf uns überfordern. Auch der Heilige (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- Martin hat einen Mantel gehabt und hat ihn deshalb teilen wie bei Abgeordneten der SPD und des können. Wenn er keinen gehabt hätte, hätte er nichts BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) teilen können. Also muss man auch darauf schauen, dass wir unseren Mantel in der Tat noch gut beieinander Meine sehr geehrten Damen und Herren, Humanität halten und ihn nicht vorher verschleudern. Nur dann kön- bedeutet für uns Menschlichkeit. Wir wissen, dass wir nen wir auch künftig anderen gut helfen. damit vielen Menschen die ungewisse Flucht aus Schwarzafrika ersparen, die schon viele das Leben gekos- Wir haben heute einen Rekordhaushalt, auch in Ihrem tet hat. Ressort, lieber Herr Bundesaußenminister, mit 6,265 Mil- liarden Euro so hoch wie noch nie. Die Maßnahmen, die Wir haben, lieber Herr Außenminister, mit der Kultur- Sie zu bewältigen haben, wurden teilweise schon ange- milliarde gerade viel Geld auf den Weg gebracht, weil wir sprochen: in der Ukraine, in Belarus, in der Türkei, der wissen, dass das Goethe-Institut, der DAAD, die Hum- Zusammenhalt in der EU, die neue Basis mit den USA. boldt-Stiftung und unsere Auslandsschulen hervorragen- Das wird viel Geld kosten. Aber wir sind gut gerüstet, de Botschafter unserer Politik sind. Wir geben dieses und ich freue mich, dass wir dieses Geld mit auf den Weg Geld aus, weil wir wissen: Das ist nachhaltig angelegt, bringen konnten. und das ist gut angelegt. Das Glanzstück unseres Haushaltes ist das Kapitel (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- „Sicherung von Frieden und Stabilität“. Dass wir auch ordneten der SPD) für die humanitäre Hilfeleistung mehr als 2 Milliarden Ich komme – mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident – zum Euro ausgeben können, ist schon etwas Besonderes. Mei- Schluss. ne Damen und Herren, das ist hervorragend. Es ist unge- fähr das 20-Fache von dem, was wir 2012 – als wir, Frau Barnett und ich, damals angefangen haben – aufgewendet Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bitte. – Irgendwann geht die schönste Rede zu Ende. (B) haben, nämlich 105 Millionen Euro, heute sind es 2,1 Mil- (D) liarden Euro. Das ist das 30-Fache von dem, was wir im Jahre 2006 hier im Bundestag beschlossen haben. Das ist Alois Karl (CDU/CSU): auch Ausdruck unserer Mitmenschlichkeit, und dafür Ich komme zum Schluss und möchte Ihnen gerne noch schämen wir uns nicht. eines zurufen: Lieber Herr Bundesaußenminister, wir Meine Damen und Herren, wir geben auch Geld für die lesen in diesen Tagen häufig von Beiträgen von Land- UN-Flüchtlingshilfe in den palästinensischen Gebieten tagsabgeordneten der Linken und Grünen aus Bayern aus. Ich sage: Ja, wir tun das mit sehendem Auge, weil einen König betreffend, der sich am Starnberger See auf- wir wissen, dass es unserer Humanität entspricht, dass hält. Er ist länger am Starnberger See als in seinem eige- wir nicht 700 Schulen in palästinensischen Gebieten nen Land, und Geschmack hat er offensichtlich; denn schließen, die dort mehr als 500 000 Schüler betreuen. hätte er ihn nicht, dann würde er sich nicht so freuen, in Und ich sage: Ja, es ist richtig, dass wir dort 143 Kranken- der Nähe von König Ludwig II zu sein, der ja auch am häuser auch mit unserer Hilfe aufrechterhalten und Zehn- Starnberger See gewesen ist. tausenden von Patienten unsere Hilfe angedeihen lassen können. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Aloisius, das ist jetzt schon ein gewaltiger Zuschlag für Die humanitäre Hilfe ist ein Punkt, meine sehr geehr- deine Verdienste. ten Kollegen von der AfD, Frau Malsack-Winkemann, der uns abgrundtief trennt, in der Tat. Wir haben einen Ansatz von knapp 2 Milliarden Euro gehabt, und Sie Alois Karl (CDU/CSU): haben gesagt: Da sollte man um etwa 1,5 Milliarden kür- Ich bin beim letzten Satz. – Ich denke, dass Sie sich zen, also um etwa 75 Prozent kürzen. – Was ist denn das von diesem König Rama – so heißt er – nicht die Butter für eine Politik, die Sie da machen? Ich sage Ihnen ganz vom Brot nehmen lassen sollten. Wir sollten uns, meine frank und frei: Schämen sollten Sie sich dafür! Solch eine lieben Kollegen, lieber daran erinnern: In Bayern gibt es Einstellung, die Sie da an den Tag legen! immer noch einen Verein der Königstreuen. Der hat jedes Jahr eine Hauptversammlung, und die endet damit – das (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, läuft immer gleich ab –, dass gesagt wird – republika- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE nisch –: „Wir brauchen keinen König“, und der Nachsatz GRÜNEN) heißt: „… aber schöner wäre es schon“. Es ist einfach unglaublich, was hier in diesem Haushalts- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und ausschuss für Zeugs verzapft wird. der FDP) 24972 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Alois Karl (A) Ich danke für die freundliche Zusammenarbeit mit dir, denke ich zum Beispiel an die katastrophale Lage in (C) liebe Doris Barnett, und mit allen anderen Haushältern. den griechischen Flüchtlingslagern. Ich frage Sie: Wie Ich wünsche Ihnen alles Gute und ein gutes Jahr im Aus- wollen wir eigentlich – wir nehmen im Auswärtigen wärtigen Amt. Amt ja viel Geld in die Hand – nach Afrika gehen und Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. dort dafür werben, dass Zustände geändert werden, dass humanitäre Standards eingehalten werden? Wie wollen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der wir den Menschen in unserem Land erklären, dass wir FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- das tun, wenn wir es nicht einmal schaffen, unseren eige- SES 90/DIE GRÜNEN) nen Laden in Ordnung zu bringen? (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir können auch über die dramatische Situation in den Vielen Dank, Alois Karl. – Ich komme zurück zu Ein- Flüchtlingslagern in Libyen sprechen. Sie ist schon vor zelplan 04. Die Zeit für die namentliche Abstimmung ist vielen Jahren angesprochen worden. Wo sind Sie da? Was jetzt gleich vorbei, und ich darf fragen: Ist noch ein Mit- tun Sie da? Nichts. Seit Jahren berichten Diplomaten glied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abge- darüber, dass in diesen Lagern KZ-ähnliche Zustände geben hat? – Leute, zügig! – So. Jetzt darf ich noch ein- herrschen. Deshalb hat das UN-Flüchtlingshilfswerk, mal fragen: Haben alle ihre Stimme, die sie abgeben finanziert durch die EU, ein Flüchtlingslager in Libyen wollten, abgegeben? – Das ist der Fall. Ich schließe die aufgebaut. Dies wurde mittlerweile wieder geschlossen Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und aufgrund der unsicheren Situation in Libyen. Trotzdem Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das 1) werden Flüchtlinge, die im Mittelmeer aufgegriffen wer- Ergebnis gebe ich Ihnen später bekannt. den, nach Libyen zurückgeschickt, mithilfe von EU- Der nächste Redner ist für die Fraktion Die Linke der Behörden. Was tun Sie dort? Nichts. Kollege Michael Leutert. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Oder: Sprechen wir über die illegalen Pushbacks, die von griechischen Behörden zusammen mit Frontex in der Michael Leutert (DIE LINKE): letzten Zeit in den Medien diskutiert worden sind. Wo Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sind Sie da? Was machen Sie dagegen? Selbst Kinder möchte es gleich zu Anfang sagen: Wir haben ein funda- und Schwangere werden in Schlauchboote verfrachtet mentales Problem; denn die deutsche Außenpolitik ist und nachts auf das offene Meer hinausgeschleppt. Warum einfach nicht mehr sichtbar. Und Sie, Herr Minister, gibt es darüber keine Diskussion? Warum gibt es keine (B) haben es als Leiter des Auswärtigen Amtes in letzter Diskussion über Sanktionen gegen Griechenland? (D) Zeit versäumt, Deutschland strategisch so zu positionie- Warum gibt es keinen Sondergipfel, um diese Situation ren, dass die Bundesrepublik handlungsfähig bleibt. Wir zu besprechen? Im Übrigen ist das auch ein Verstoß wissen alle – ich will das jetzt hier alles nicht weiter gegen Rechtsstaatsprinzipien. Wir diskutieren gerade aufzählen; wir haben das oft genug gemacht –, dass auf EU-Ebene über die Rechtsstaatlichkeit. Herr Maas, sich die Welt seit Jahren in einem rasanten und dramati- ich kann Ihnen nur sagen, wenn ich Ihre Aktivitäten schen Wandel befindet, mit all den Auswirkungen, die anschaue: Wir brauchen von Ihnen nicht mehr Fotos auf bekannt sind: Machtverschiebungen, Wegbrechen von Instagram, wir brauchen Aktivität von Ihnen in den internationalen Gewissheiten. genannten Punkten. Das macht das Geschäft sicherlich nicht einfacher, und (Beifall bei der LINKEN) es wird auch nicht einfacher dadurch, dass aufgrund der Das Einzige, was derzeit passiert, kann man am Haus- Globalisierung mittlerweile viele andere Bundesminister halt, der vorliegt, ablesen. Der Haushalt des Jahres 2017, auf außenpolitischem Parkett gefragt sind, ob es der als die neue Koalition an den Start ging, betrug 5,2 Mil- Finanzminister ist, wenn es um die Finanzkrise geht, liarden Euro. Im nächsten Jahr soll er 6,3 Milliarden Euro der Bundesgesundheitsminister, wenn es um die Pande- betragen, ungefähr 1 Milliarde Euro mehr als in diesem mie geht, die Verteidigungsministerin, der Entwicklungs- Jahr. Diese Milliarde fließt fast eins zu eins in die huma- hilfeminister. nitäre Hilfe. Man kann sich natürlich darüber freuen, dass Aber umso wichtiger wäre es, dass Sie einen strategi- wir mehr Geld für humanitäre Hilfe ausgeben, aber besser schen Handlungsrahmen, der natürlich unsere Interessen wäre es doch, wir bräuchten die Gelder dafür überhaupt im Blick hat, definieren und dass dieser auf unseren Wer- nicht. Was wir nämlich machen, ist: Wir rennen den Ent- ten fußt, nämlich Menschenrechte, Demokratie und wicklungsländern hinterher, spielen Feuerwehr, und Rechtsstaatlichkeit, damit sich alle anderen in dem Rah- letztendlich kaufen wir uns nur von der Verantwortung men bewegen können und unsere Außenpolitik wieder frei. sichtbar und als aus einem Guss gefertigt betrachtet (Beifall bei der LINKEN) wird. Aber davon ist nichts sichtbar. Sehr geehrter Herr Minister, es tut mir leid, aber Ihre Es wäre im Übrigen auch wichtig, dass Sie sich um die Bilanz lässt sich nur so zusammenfassen: Sie sind als Themen kümmern, für die niemand anders zuständig ist Ziehsohn Oskar Lafontaines gestartet und enden nun als oder auch niemand anders zuständig sein möchte. Da Sorgenkind der deutschen Außenpolitik. Aber ich kann Ihnen auch sagen: Sie haben noch ein Jahr Zeit, dies zu 1) Ergebnis Seite 24973 D ändern. Tun Sie also etwas. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24973

Michael Leutert (A) (Beifall bei der LINKEN) Oder ein ganz konkretes Beispiel: die Situation in (C) Belarus. Heute ist der 123. Tag der Proteste. Es wurden Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: inzwischen fast 30 000 Oppositionelle verhaftet. Die OSZE redet von Hunderten von Fällen von Folter, Miss- Vielen Dank, Kollege Michael Leutert. – Die nächste handlungen, ja bis hin zu Vergewaltigungen, die doku- Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen ist die Abgeordnete mentiert sind. Es gibt einen Antrag aus der Mitte dieses Ekin Deligöz. Parlaments. CDU/CSU, SPD, Grüne und viele andere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hier im Parlament haben deutlich gesagt, wie sehr es unser Wille ist, dass wir uns dort mit der Zivilgesellschaft Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): solidarisieren wollen, dass wir uns für sie einsetzen wol- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr len. Wir haben mit diesem Antrag aus dem Parlament Außenminister, wenn man den Kollegen aus der Großen Hoffnungen geweckt. Und Sie haben dem Ganzen ja Koalition zuhört und die Zahlen hört, die der Kollege auch verbal zugestimmt, Sie haben Großes versprochen, Leutert zitiert hat, könnte man meinen: Was habt ihr rausgekommen sind 2 Millionen Euro. 2 Millionen Euro, denn? Ihr Berichterstatter habt doch im Verfahren richtig von denen wir noch nicht einmal wissen, wann und wo viel bewegt. – Das stimmt auch. Wir haben viel bewegt in und wie sie fließen sollen! Das ist eine große Enttäu- diesem Haushaltsverfahren. Mehr als 300 Millionen Euro schung, Herr Minister. sind dazugekommen, ein Großteil davon für die humani- täre Hilfe, 9,5 Millionen Euro für Menschenrechte. Es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gut, dass im Bereich der Personalreserve endlich etwas Ja, die Herausforderungen an Sie und Ihr Haus sind vorangeht, dass das Finanzministerium die Blockade auf- groß, aber ich glaube, dass Sie selber nichts anderes gegeben hat und wir vorankommen. erwarten; denn Sie selber reden davon, dass die Welt Das sind gute Nachrichten. Aber bei so großen Rissen immer komplexer wird, dass die Konflikte komplexer und Lücken in der Fassade bringt eben ein neuer Anstrich sind, dass die Zusammensetzungen komplexer werden. nichts. Und dann enttäuscht es, ehrlich gesagt, erst recht, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie sich für Ihren Etat nicht viel stärker engagieren. Wir reden hier nicht zum ersten Mal darüber, dass die mittel- Und das kommt in den Reden auch rüber. Sie, Herr fristige Finanzplanung nicht stimmt, dass sie zurückgeht. Minister, sind mit diesem Etat weder für die jetzigen Das haben wir in den letzten und vorletzten Debatten – noch für die künftigen internationalen Herausforderun- ehrlich gesagt: seit ich diesen Etat mache – immer wieder gen gut vorbereitet. Da fehlt es noch an vielem. Ich will betont, allein von Ihnen kam kein Engagement. Das ent- (B) zwei Beispiele herauspicken, um das zu verdeutlichen: täuscht deshalb, weil Ihre Berichterstatter für den Etat (D) Wir hatten in den letzten Wochen und Monaten zahl- kämpfen. Es hilft aber nicht, wenn die Berichterstatter reiche Vertreter und Vertreterinnen aus den verschie- kämpfen und der Minister, wenn wir uns dann umdrehen, denen humanitären Hilfsorganisationen hier in Deutsch- gar nicht mehr da ist. Es geht darum, dass wir eine starke land. UNOCHA – Mark Lowcock hat es am deutlichsten Diplomatie brauchen. Und diese starke Diplomatie gemacht –, aber auch das Internationale Komitee vom braucht einen starken Rückhalt vom Parlament, aber Roten Kreuz, UNICEF und viele andere humanitäre auch vom Minister, von Ihrem Haus und – ja – auch im Organisationen sagen uns, dass die Klimakrise inzwi- Etat. schen einer der größten Verursacher für humanitäre Kri- sen in der Welt ist. Und Ihre Antwort darauf ist eigentlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht wirklich vorhanden. Ja, wir geben Geld für huma- und bei der FDP) nitäre Hilfe aus, aber das, was Sie machen, geht an die Wir werden uns dafür einsetzen, aber wir verlangen Symptome des Ganzen, aber nicht an die Ursachen. Wenn noch viel mehr, nämlich dass die deutsche Außenpolitik Sie wirklich an die Ursachen der Probleme gehen wollen, auch eine Richtung bekommt. Beispiele dafür habe ich dann brauchen Sie eine grundlegende Veränderung Ihrer Ihnen genannt: klimagerechter, feministischer werden Politik, die zum Beispiel heißen könnte: Klimaaußenpo- und Menschenrechte in den Vordergrund stellen. Herr litik. Minister, das erwarten wir von Ihnen, und da wünschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir uns mehr. Das Gleiche könnte ich auch durchdeklinieren, wenn Danke schön. es zum Beispiel darum geht, Frauenrechte in der Welt voranzubringen. Wir haben hier eine Gruppe von Parla- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mentarierinnen, die sich massiv dafür einsetzen, feminis- tische Außenpolitik voranzubringen. Diese verbleibt aber allein im Parlament, weil wir Frauen, die sich in diesem Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Parlament dafür einsetzen, uns von unserem Außenmi- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe Ihnen das nister alleine gelassen fühlen, weil Sie hier zu wenig von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte machen Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Ein- zelplan 04 – Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) des Bundeskanzleramtes – bekannt: abgegebene Stim- und es leider nur bei warmen Worten zu unserem Bestre- menkarten 649. Mit Ja haben gestimmt 374, mit Nein ben bleibt. haben gestimmt 275. Der Einzelplan 04 ist angenommen. 24974 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

(A) Endgültiges Ergebnis Astrid Grotelüschen (C) Abgegebene Stimmen: 649; Markus Grübel Dr. davon Manfred Grund ja: 374 nein: 275 Monika Grütters Dr. Thomas de Maizière Fritz Güntzler Dr. Ja Dr. Bernd Siebert CDU/CSU Matern von Marschall Hans-Georg von der Björn Simon Dr. Jürgen Hardt Marwitz Jens Spahn Norbert Maria Altenkamp (Altötting) Peter Altmaier Dr. Dr. Dr. Dr. Angela Merkel (Chemnitz) Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans (Rostock) Dorothee Bär Mark Helfrich Michelbach Thomas Bareiß Dr. Christian Frhr. von Stetten Karsten Möring (Börde) Elisabeth Motschmann Axel Müller Dr. Sepp Müller Dr. André Berghegger Carsten Müller Dr. Dr. (Braunschweig) Dr. Hermann-Josef Tebroke Hans-Jürgen Irmer Stefan Müller (Erlangen) Hans-Jürgen Thies Peter Beyer Dr. Dr. Alois Karl Dr. Georg Nüßlein Dr. Volker Ullrich Michael Brand (Fulda) Torbjörn Kartes Florian Oßner (B) Dr. Reinhard Brandl Kerstin Vieregge (D) Dr. Dr. Stefan Kaufmann Henning Otte (Kleinsaara) Roderich Kiesewetter Michael Kießling Dr. Johann David Wadephul Heike Brehmer Dr. Ralph Brinkhaus Volkmar Klein Dr. Dr. Gitta Connemann Dr. Christoph Ploß (Hamburg) Alexander Dobrindt Carsten Körber Dr. Peter Weiß (Emmendingen) Alexander Krauß Sabine Weiss (Wesel I) Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Dr. Günter Krings Alois Rainer Rüdiger Kruse Dr. Peter Ramsauer Kai Whittaker Hermann Färber Annette Widmann-Mauz Dr. Roy Kühne Bettina Margarethe Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Wiesmann Johannes Röring Dr. Andreas G. Lämmel Klaus-Peter Willsch Dr. Norbert Röttgen Elisabeth Winkelmeier- Dr. Hans-Peter Friedrich Ulrich Lange Becker (Hof) Dr. Silke Launert Erwin Rüddel Jens Lehmann Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Katja Leikert Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Dr. Dr. Christian Schmidt (Fürth) Dr. Dr. SPD Ursula Groden-Kranich Patricia Lips Patrick Schnieder Hermann Gröhe Nikolas Löbel Nadine Schön Ingrid Arndt-Brauer Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Klaus-Peter Schulze Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24975

(A) Jan Ralf Nolte (C) Ulrich Oehme Doris Barnett Markus Töns Gerold Otten Dr. Carsten Träger Tobias Matthias Peterka Sören Bartol Marja-Liisa Völlers Paul Viktor Podolay Bärbel Bas Dr. Dirk Vöpel Jürgen Pohl Gabi Weber () Dr. Dagmar Ziegler Martin Erwin Renner Roman Johannes Reusch Dr. Karl-Heinz Brunner Siemtje Möller Dr. Jens Zimmermann Ulrike Schielke-Ziesing Katrin Budde Bettina Müller Dr. Dr. Detlef Müller (Chemnitz) Nein Jörg Schneider Michelle Müntefering Uwe Schulz Dr. Dr. Rolf Mützenich AfD Dr. Ulli Nissen Dr. Dr. René Springer Saskia Esken Mahmut Özdemir Peter Boehringer Beatrix von Storch (Duisburg) Dr. Alice Weidel Dr. Aydan Özoğuz Jürgen Braun Dr. Dr. Marcus Bühl Dr. Christian Petry Matthias Büttner Dr. Dr. Christian Wirth (Minden) Dr. FDP Martin Gerster Angelika Glöckner Dr. Sascha Raabe Berengar Elsner von Christine Aschenberg- Gronow Dugnus Michael Groß Dr. Sönke Rix (B) Rita Hagl-Kehl Dennis Rohde (D) Dr. Jens Dr. Dr. (Rhein-Neckar) René Röspel Markus Frohnmaier Hubertus Heil (Peine) Dr. (Südpfalz) Michael Roth (Heringen) Sandra Bubendorfer-Licht Susann Rüthrich Dr. Marco Buschmann Wolfgang Hellmich Bernd Rützel Dr. Roland Hartwig Gabriele Hiller-Ohm Carl-Julius Cronenberg Britta Katharina Dassler Axel Schäfer (Bochum) Bijan Djir-Sarai Dr. Karsten Hilse Christian Dürr Nicole Höchst Martin Hohmann Dr. Dr. Dr. Daniel Föst Leif-Erik Holm Otto Fricke Gabriele Katzmarek (Aachen) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Katrin Helling-Plahr Dr. Bärbel Kofler -Emre Norbert Kleinwächter Jörn König (Spandau) Steffen Kotré Dr. Christian Lange Manuel Höferlin (Backnang) Dr. Christoph Hoffmann Dr. Andreas Schwarz Dr. Dr. Birgit Malsack- Winkemann Martina Stamm-Fibich Kirsten Lühmann Sonja Amalie Steffen Volker Münz Dr. Christian Jung Heiko Maas Sebastian Münzenmaier Karsten Klein Isabel Mackensen Dr. 24976 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

(A) DIE LINKE Sylvia Kotting-Uhl (C) Tobias Pflüger Dr. Lukas Köhler Gökay Akbulut Christian Kühn (Tübingen) Eva-Maria Schreiber Simone Barrientos Renate Künast Wolfgang Kubicki Dr. Dr. Dietmar Bartsch Markus Kurth Helin Evrim Sommer Lorenz Gösta Beutin Matthias W. Birkwald Sven Lehmann Alexander Graf Dr. -Förster Lambsdorff Dr. Tobias Lindner Dr. Christian Lindner Dr. Birke Bull-Bischoff Claudia Müller Michael Georg Link Dr. () Jörg Cezanne Beate Müller-Gemmeke Andreas Wagner Sevim Dağdelen Dr. Dr. Sabine Zimmermann Dr. Jürgen Martens Dr. Diether Dehm (Zwickau) Anke Domscheit-Berg Alexander Müller Klaus Ernst Cem Özdemir Frank Müller-Rosentritt BÜNDNIS 90/ Lisa Paus DIE GRÜNEN Dr. (Lausitz) Dr. Tabea Rößner Matthias Nölke Dr. André Hahn Claudia Roth (Augsburg) Heike Hänsel Annalena Baerbock Dr. Matthias Höhn Margarete Bause Corinna Rüffer Dr. h. c. Thomas Sattelberger Dr. Christian Sauter Frank Schäffler Dr. Dr. Dr. Dr. Anna Christmann Stefan Schmidt Matthias Seestern-Pauly Kordula Schulz-Asche Jan Korte Ekin Deligöz Dr. Wolfgang Strengmann- Katharina Dröge Kuhn Dr. Margit Stumpp (B) (D) Bettina Stark-Watzinger Dr. Marie-Agnes Strack- Dr. Michael Leutert Zimmermann Stefan Liebich Erhard Grundl Beate Walter-Rosenheimer Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Britta Haßelmann Dr. Bettina Hoffmann Amira Mohamed Ali Dr. Anton Hofreiter Cornelia Möhring Ottmar von Holtz Fraktionslos Dr. Marco Bülow Dr. Norbert Müller (Potsdam) Dr. Kirsten Kappert- Zaklin Nastic Gonther Johannes Vogel (Olpe) Dr. Alexander S. Neu Sören Pellmann Sven-Christian Kindler Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Jetzt hat das Wort der Bundesaußenminister. – Herr gen in Bayern einzugehen, aber ich tue es lieber nicht. Ich Minister. gebe allenfalls den Hinweis, dass es mit Königen in Bayern auch schon einmal ein böses Ende nehmen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich will mich gar nicht weiter mit Königen befassen, der CDU/CSU) aber gerne was zu einem Grafen sagen, nämlich zu Ihnen, Herr Graf Lambsdorff. Denn Sie haben in Ihrer Rede noch einmal darauf hingewiesen, dass die deutsche Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Bundesregierung nicht in der Lage gewesen sei, eine Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr verehrte Kollegin- angemessene Antwort auf die Reformvorschläge von nen und Kollegen! Lieber Alois Karl, ich bin jetzt ver- Emmanuel Macron zu geben, die er kurz vor der Bundes- sucht, auf Ihre Bemerkungen zu der Situation von Köni- tagswahl 2017 gemacht hat. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24977

Bundesminister Heiko Maas (A) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Na! Kurz dass es für uns in Europa keinen Grund gibt, uns zurück- (C) nach der Bundestagswahl!) zulehnen. Wir werden drei Felder besonders im Blick haben müssen: Das war zeitlich gut getimt, bevor eine neue Bundes- regierung ins Amt kam. Ich kann Ihnen nur mal Wir brauchen einen neuen transatlantischen Deal. sagen: Wenn Sie und Ihre Partei nicht so lange Scheinkoalitionsverhandlungen geführt hätten, (Norbert Kleinwächter [AfD]: Schon wieder einen Deal?) (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist jetzt drei Jahre her!) Ein erster Schnelltest wird der Kampf gegen die Pande- mie sein. Da haben wir in der Vergangenheit auch andere wäre die neue Bundesregierung schneller ins Amt ge- Töne aus den USA gehört. Da geht es um die weltweit kommen und hätte die Antwort sogar noch schneller gerechte Verteilung von Impfstoffen. Joe Biden will die geben können. USA zurück in die WHO führen, und wir werden dort eng (Beifall bei der SPD) mit seiner Regierung zusammenarbeiten und mit dafür sorgen, dass der Impfstoff, den es jetzt geben wird, nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nur dahin kommt, wo man ihn bezahlen kann, sondern vor allen Dingen dahin, wo er auch gebraucht wird. Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: der CDU/CSU) Nein. – Es gibt auch eine Antwort. Die ist überschrie- Das Gleiche gilt für den Klimaschutz. Wenn die USA ben mit „Vertrag von Aachen“. Der Vertrag von Aachen zurückkehren in das Pariser Klimaschutzabkommen, beschreibt die deutsch-französische Zusammenarbeit und können wir auch dort wieder an einem Strang ziehen. die deutsch-französischen Ziele für Europa. Das ist so sehr in Europa zur Kenntnis genommen worden, dass Wir haben in der NATO vor Kurzem die Ergebnisse viele Kollegen mir ihre Sorgen ausgedrückt haben, weil der sogenannten Reflexionsgruppe, die wir initiiert sie befürchten, dass Deutschland und Frankreich zu eng haben, diskutiert. Wir haben diskutiert, wie wir das trans- zusammenarbeiten. atlantische Verhältnis und die Allianz stärken wollen, und zwar durch mehr Beiträge von Deutschland und von Dass diese deutsch-französische Achse funktioniert, Europa. hat sie im Übrigen auch bewiesen, und zwar im Juli dieses Jahres, als es eine heftige Debatte in der Europä- Auch in Bezug auf den Nahen Osten, Afghanistan, (B) ischen Union darüber gab, wie wir den Aufbaufonds Russland und China wollen wir uns in Zukunft enger (D) finanzieren. Da gab es einen deutsch-französischen Vor- mit den USA abstimmen. Das wird dazu führen, dass schlag, und das war der Gamechanger in der ganzen die Chance auf eine Lösung der Konflikte und Krisen Debatte. Der hat die Spaltung zwischen Nord und Süd auf der Welt, von denen es zu viele gibt, die nicht gelöst in Europa verhindert und gezeigt, dass die deutsch-fran- worden sind in den letzten Jahren, größer wird, wenn zösische Achse funktioniert, und zwar besser denn je, Europa und die Vereinigten Staaten wieder an einem sehr geehrter Herr Graf Lambsdorff. Strang ziehen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Stephan Brandner Ich bin noch darauf hingewiesen worden, dass ich [AfD]: Träumen Sie weiter! Wie der kleine eigentlich des Amtes enthoben werden müsste, weil ich Häwelmann!) dem zukünftigen amerikanischen Präsidenten gratuliert Meine Damen und Herren, wir werden auch voran- habe. kommen müssen beim Thema „Souveränes Europa“; (Norbert Kleinwächter [AfD]: Keine Sorge! das ist eines der Themen unserer Ratspräsidentschaft. Sie müssen aus ganz anderen Gründen zurück- Wir haben in den letzten Jahren nicht in unsere Sicherheit treten! Bei der schlechten Arbeit!) oder unsere digitalen Fähigkeiten investiert, weil Donald Trump es so wollte, sondern weil es in unserem ureigenen Damit es noch mal klar ist – auch in Richtung der europäischen Interesse ist. Und diesen Weg müssen wir Ansammlung frustrierter Deutscher –: Ich gratuliere Joe weitergehen, im Übrigen auch gar nicht als Antithese zur Biden und Kamala Harris noch einmal in aller Form zu transatlantischen Partnerschaft, sondern um überhaupt ihrem Wahlsieg. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, ein relevanter, eigenständiger und ernstgenommener und wir glauben, dass das ein Glücksfall für die ganze Partner der USA zu bleiben oder auch wieder zu werden. Welt ist. Deshalb übernimmt Europa schon jetzt außen- und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sicherheitspolitische Verantwortung in seiner Nachbar- der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Na, schaft, vom Sahel bis in den Nahen Osten. Mit dem dann glauben Sie mal schön weiter, Herr strategischen Kompass, der Europäischen Friedensfazili- Maas!) tät oder jetzt auch dem für Drittstaaten geöffneten PES- Meine Damen und Herren, natürlich wird das Ergebnis CO-Weg haben wir weitere Pflöcke eingeschlagen für der Wahl in den Vereinigten Staaten vieles auf der inter- eine größere europäische Handlungsfähigkeit, die wir nationalen Bühne verändern. Aber ich bin mir ziemlich mit Blick auf das transatlantische Verhältnis auch brau- sicher, dass vieles besser wird, aber nicht alles anders und chen. 24978 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Bundesminister Heiko Maas (A) Was kommt im nächsten Jahr auf uns zu, insbesondere handlungen zu begleiten und die nächsten Gespräche (C) etwa bei den humanitären Aufgaben? Die humanitären möglicherweise sogar auszurichten, ist auch ein Ausweis Organisationen prognostizieren für 2021 mehr Hilfsbe- dafür, wie leistungsfähig die deutsche Außenpolitik ist. dürftige als je zuvor. Deutschland ist bereits jetzt der Vielleicht ist die deutsche Außenpolitik nicht so laut, weltweit zweitgrößte Geber humanitärer Hilfen. Dafür, wie man es heute in der Politik von dem einen oder dass wir so viel Geld in den Haushaltsverhandlungen anderen gewöhnt ist. Aber sie ist effektiv, und sie ist in für die humanitäre Hilfe bekommen haben, sage ich der Welt außerordentlich angesehen. Ihnen einmal Danke, und zwar im Namen von Millionen Menschen, die davon im nächsten Jahr profitieren wer- Vielen Dank. den. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Stephan Brandner [AfD]: Das glaubt auch nur bei Abgeordneten der FDP) ein Einziger! Ein bisschen selbstverliebt, oder? Wir werden auch am Thema Rüstungskontrolle weiter- Selbstverliebt und verblendet!) arbeiten. Bis Februar müssen die USA und Russland den New-START-Vertrag verlängern. Und auf Deutschland Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und Europa wird es dabei auch ankommen, für die Zu- Der nächste Redner für die Fraktion der AfD ist der kunft des Atomabkommens mit dem , bei der Über- Abgeordnete Dr. Roland Hartwig. prüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im nächsten Jahr: Überall sind wir intensiv in die Vorarbei- (Beifall bei der AfD) ten eingebunden. Ich glaube, die Veränderungen in den USA werden vieles wieder möglich machen, was in den Dr. Roland Hartwig (AfD): letzten Jahren nicht mehr ging. Herr Präsident! Herr Minister! Meine Damen und Her- ren! Rund 6 Milliarden Euro möchten Sie, Herr Außen- (Dr. Anton Friesen [AfD]: Wer es glaubt, wird minister, im kommenden Jahr für die Arbeit Ihres Amtes selig!) ausgeben. Das ist viel Geld und weit mehr als in den Meine Damen und Herren, mit den Mitteln, die in vergangenen Legislaturperioden. Schauen wir uns doch diesem Haushalt zur Verfügung gestellt werden, werden deshalb erst einmal an, was Sie mit diesen Rekordausga- auch Investitionen in eine starke Außenpolitik möglich ben der vergangenen Jahre überhaupt erreicht haben. werden. Ich will dafür drei Beispiele nennen: Nun: Die Bilanz Ihrer Außenpolitik ist mager, um nicht Vor knapp einem Jahr haben wir hier in Berlin die zu sagen: verheerend. Die Beziehungen zu fast allen (B) Libyen-Konferenz ausgerichtet. Viele haben gesagt: wichtigen Partnern Deutschlands haben sich teils drama- (D) „Das wird nichts“, und es gab auch viele Rückschläge. tisch verschlechtert. Das betrifft allen voran Polen und Jetzt erleben wir in Libyen, dass es einen Waffenstillstand Ungarn, die Sie im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsi- gibt, der hält, dass es politische Vereinbarungen gibt, die dentschaft mit Sanktionen und Drohungen auf eine von halten, dass wirtschaftliche Probleme wie die Ölblockade Deutschland vorgegebene Linie zwingen möchten. Das aufgelöst sind und dass es einen Termin für Wahlen in betrifft weiter die Briten, die ganz entscheidend wegen Libyen gibt. Das deutsche Engagement in Libyen hat sich der von der deutschen Regierung vertretenen Politik gelohnt. Wir haben maßgeblich dazu beigetragen, dass es unkontrollierter Masseneinwanderung die EU verlassen in diesem Land endlich wieder eine Perspektive gibt. haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD – Alexander Graf der CDU/CSU) Lambsdorff [FDP]: Das ist falsch, und Sie wis- Das Gleiche gilt für die Ostukraine. In der Ostukraine sen das!) verhandeln wir seit Jahren im Normandie-Format, wie Aber auch die Beziehungen zu Amerikanern, Russen und die Minsker Vereinbarungen umgesetzt werden können – Chinesen haben unter Ihrer Regierung stark gelitten. lange ohne wesentliche Erfolge. (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Dafür haben Sie nicht wirklich bahnbrechende Initiati- Herr Minister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage? ven gestartet. Denn wer erinnert sich heute überhaupt noch an Ihre „Allianz der Multilateralisten“, an Ihr „Europe united“ oder den „Donnerstag für Demokratie“? Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: Ihre Ideen, Herr Minister, sind doch längst in den Papier- Ich würde das gerne zu Ende bringen. – Jetzt gibt es körben der Geschichte gelandet. Die Zeit beginnt, über einen Waffenstillstand, der länger hält als jeder zuvor. Es Sie und Ihre Politik hinwegzugehen. werden möglicherweise in den nächsten Wochen noch einmal Gefangene ausgetauscht. Wir werden in diesem Schauen wir uns zum Beispiel einmal die russische Format weiterhin keine Ruhe geben, bis es uns gelingt, Regierung an. Auch sie fängt an, nach Alternativen Aus- die Minsker Vereinbarung umzusetzen und dafür zu sor- schau zu halten. So wurde gestern eine Delegation unse- gen, dass es Frieden in der Ostukraine gibt. rer AfD-Bundestagsfraktion trotz massiver Widerstände – auch aus Ihrem Haus – vom russischen Außenminister Das Gleiche gilt für Afghanistan. Dass es dort Frie- Lawrow in Moskau freundschaftlich empfangen. densverhandlungen gibt und dass beide Seiten Deutsch- land und Norwegen gebeten haben, diese Friedensver- (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24979

Dr. Roland Hartwig (A) Meine Damen und Herren, die Welt ist im Umbruch (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht von (C) wie schon lange nicht mehr: China wird wieder zu einer Ihnen!) bedeutenden Weltmacht, um Menschen zu motivieren und Energien auf ein Ziel (Gabriele Katzmarek [SPD]: Mein Gott!) hin auszurichten. Wir brauchen als Land eine positive Russland wieder stärker. In Afrika erleben wir ein unge- Vorstellung davon, wohin wir uns im 21. Jahrhundert ent- heures Bevölkerungswachstum, wahrscheinlich das wickeln wollen, welchen Platz wir in dieser sich neu größte von Ihnen allen hier weitgehend ignorierte Pro- ordnenden Weltordnung einnehmen möchten. Warum blem dieses Jahrhunderts. Europa ist von Libyen über setzen wir uns nicht zum Beispiel ein Ziel für das den Irak und Syrien bis hin in die Ukraine von Konflikten Jahr 2040, wenn sich die Wiedervereinigung zum umgeben und durchschnitten. 50. Mal jährt? Einige Ideen dazu aus meiner Fraktion: 2040 möchten wir Deutschland als souveränen National- (Ulrich Lechte [FDP]: Dank eurer russischen staat des deutschen Volkes wiederhergestellt haben Freunde!) (Beifall bei der AfD – Alexander Graf Der atemberaubende technologische Fortschritt führt zu Lambsdorff [FDP]: Das haben die abgeschafft, geopolitischen Gewichtsverlagerungen nach Asien. Um die Reichsbürger!) unser Land erfolgreich durch das 21. Jahrhundert führen zu können, brauchen wir deshalb vor allem eine überge- und dabei in diesem Staat die deutsche Kultur, Sprache ordnete Zielsetzung und einen klaren Kurs, und Tradition erhalten. Bis 2040 möchten wir mit allen europäischen Nachbarn, also auch mit Russland, ein (Beifall bei der AfD) Europa der Vaterländer bilden der die großen historischen Strömungen für uns zu nutzen weiß. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Russland ist kein Nachbar! Polen liegt dazwischen! Da Welche Zukunftsvorstellungen haben Sie denn, Herr wollen Sie wahrscheinlich einmarschieren!) Außenminister, für unser Land? Ich fürchte, da ist nicht viel. und gemeinsam mit ihnen Asien und Nordamerika tech- nologisch und wirtschaftlich auf Augenhöhe begegnen. (Stephan Brandner [AfD]: Gar nichts ist da!) Sie reißen permanent Bestehendes ein, ohne Neues zu (Beifall bei der AfD) errichten. Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie erst einmal Nur die nationalen Demokratien vermögen ihren Bür- das Vermächtnis Ihrer Partei, eine erfolgreiche deutsche gern die nötigen und gewünschten Identifikations- und (B) Ostpolitik, beschädigt. Eine Alternative haben Sie nicht Schutzräume zu geben. Wir alle brauchen eine Heimat, (D) geboten. Sie definieren Ziele vorwiegend negativ. Der wir brauchen unsere Heimat. Nationalstaat sei tot, überholt, ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert, so heißt es seitens dieser Regierung. (Beifall bei der AfD) Konsequenterweise werden die Grenzen und die Sozial- Die künstliche Trennung des europäischen Kontinents in systeme für Menschen aus aller Welt geöffnet und im ein nach Ende des Kalten Krieges wieder entstandenes Inland hart erarbeitete Steuergelder großzügig in die gan- westliches und östliches Machtgebilde muss überwunden ze Welt verteilt. werden. (Christian Petry [SPD]: Au Backe! – Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Mannomann!) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede geht an den Verfassungsschutz!) Scheckbuchdiplomatie, Herr Außenminister, war aber noch nie Ersatz für eine Strategie. Herr Minister, Sie beanspruchen für sich, eine werte- gebundene Außenpolitik zu betreiben. Über Werte lässt (Beifall bei der AfD) sich trefflich streiten, und das haben Sie in den letzten Und der Nationalstaat ist alles andere als tot. Kaum ein Jahren mit vielen Ländern und besonderem Einsatz getan. Thema wird uns in den nächsten Jahren so nachhaltig Was wir aber wirklich brauchen, ist eine interessenge- beeinflussen wie der Wiederaufstieg Chinas. Wir leitete Realpolitik, eine Politik, die deutsche Interessen beschäftigen uns immer intensiver mit diesem Land, wieder in den Mittelpunkt stellt, so wie Sie es, Herr weil es als souveräner Nationalstaat in immer mehr Minister, einmal geschworen haben: zum Wohle des Bereichen sehr erfolgreich ist. Ich nenne hier nur Mobil- deutschen Volkes. funk, Raumfahrt und künstliche Intelligenz. China ist der Vielen Dank. machtvolle Gegenbeweis zu Ihrer These, dass der Natio- nalstaat ein Anachronismus des 19. Jahrhunderts sei. (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das Lob- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede geht an den lied des Marxismus-Leninismus chinesischer Verfassungsschutz! Herzlichen Glückwunsch!) Prägung aus der AfD! Damit hätte ich auch nicht gerechnet! Super!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Außenpolitik, Herr Maas, macht man nicht eben mal mit Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion der Kol- links. Das wird nichts ohne die rechte Einstellung. lege Dr. . Wir brauchen wieder Visionen, (Beifall bei der CDU/CSU) 24980 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

(A) Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): Und jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ist jetzt (C) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- alles gut? Ich sage: Nein! Jetzt kann vieles wieder gut ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der russische werden, wenn wir es wollen und wenn wir sofort anfan- Außenminister muss selber entscheiden, mit wem er gen. Wir haben dazu aus meiner Sicht vier Jahre Zeit, spricht. Wenn er mit deutschen Parlamentariern spricht, wahrscheinlich sogar weniger, wenn man unsere Bundes- dann ist das von uns nicht zu kritisieren. Ich nehme zur tagswahl mit Regierungsbildung in den Blick nimmt und Kenntnis, was der Leiter des Deutschland-Zentrums bei wenn man auch in den Blick nimmt, dass der nächste der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau amerikanische Präsident, der Joe Biden heißen wird, in laut einer dpa-Meldung vom heutigen Vormittag gesagt den letzten Wochen seiner Amtszeit – „Lame Duck“ ist hat – ich zitiere –: hier das geflügelte Wort – auch nicht mehr die volle politische Autorität hat. Russland habe sehr wohl im Blick, dass es in der AfD „Nazis“ gebe, die etwa den Wehrmachtssolda- Herr Außenminister, das ist mein Punkt. Ich glaube, an ten im Zweiten Weltkrieg huldigten, sagte Below. dieser Stelle müssen wir die Themen herausarbeiten und definieren, die für das transatlantische Bündnis von Das lassen wir mal so stehen. herausragender Bedeutung sind. Da können wir uns nicht Aber eines muss ich schon noch zu Ihrer Rede sagen, nur die aussuchen, die wir gut finden, zum Beispiel die Herr Kollege Hartwig: Wenn Sie denn den souveränen Bereitschaft Joe Bidens, mit uns gemeinsam Klimapolitik Nationalstaat hier betonen, dann gilt das auch für die zu machen, ins Pariser Klimaabkommen zurückzukom- Ukraine. men. Das ist gut, das ist richtig, das ist sinnvoll. Ich nenne auch die Bereitschaft, das JCPoA, das Abkommen mit (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP dem Iran, wieder zu beleben und in eine neue konstruk- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tive Phase hineinzukommen. Das ist gut, das ist richtig. Insofern ist das völlig wirr, was Sie hier vorgetragen Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch haben. Die Souveränität der Ukraine ist durch Russland die Themen aufgreifen, die die Amerikaner interessieren verletzt worden. und bei denen sie von uns erwarten, dass wir uns nicht zurücklehnen und darauf warten, dass die Amerikaner (Stephan Brandner [AfD]: Sie sind ja nur nei- etwas leisten, sondern bei denen wir als Deutsche, bei disch, Herr Wadephul!) denen wir als Europäer selber einen Beitrag zum Bestand des transatlantischen Verhältnisses leisten müssen. Das hat die Nachkriegsordnung zerstört bzw. empfindlich verletzt. Das ist ein absoluter Bruch in Ihrer Argumenta- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (B) tion. Michael Georg Link [FDP]) (D) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, aus meiner Das ist gar nicht so wenig, und das ist gar nicht so unmaß- Sicht ist das herausragende Ereignis dieser Tage und geblich. Das sind für manch einen hier im Hause unan- Wochen der Wechsel im Amt des Präsidenten der Verei- genehme Themen. Das sind auch Themen, die wir in nigten Staaten von Amerika. Das ist kein Wechsel wie dieser Koalition nicht in dem Maße haben umsetzen kön- jeder andere seit dem Zweiten Weltkrieg. Schon der nen, wie die CDU/CSU-Fraktion das für notwendig und Umstand, dass es ein Wechsel ist – es wird ein Wechsel richtig gehalten hätte. sein –, ist ein Glücksfall. Deswegen sage ich: Den US-Truppenabzug kritisieren (Stephan Brandner [AfD]: Aha! Sie reden in wir. Aber in der Sache kann ihn nur derjenige kritisieren die Zukunft!) und in Washington – sowohl beim neuen Präsidenten als Insofern bin ich mit dem Außenminister vollkommen auch bei Parlamentariern beider Parteien in beiden Häu- einer Meinung. Präsident Trump hat in den vergangenen sern – ernsthaft für einen Sinneswandel eintreten, der vier Jahren eigentlich alles infrage gestellt, was den Wes- bereit ist, die Lastenteilung im NATO-Bündnis wieder ten ausmacht, was unsere transatlantische Partnerschaft zu schultern. Die Zusagen von Wales müssen für uns ausmacht: gelten. Wir müssen sie umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Stephan Brandner [AfD]: Was denn?) (Beifall bei der CDU/CSU) die Unabhängigkeit der Presse, die Anerkennung natur- wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Wahrung der Unab- Nur wenn wir das machen, werden wir entsprechende hängigkeit der Justiz bis in die letzten Tage hinein, Unterstützung in den USA bekommen. Nur dann wird man akzeptieren und wissen, dass wir hier auch unange- (Stephan Brandner [AfD]: So wie Deutsch- nehme Themen anpacken. Dazu, glaube ich, müssen wir land! Ich sage nur Harbarth!) mehr leisten. den freien Warenhandel, das Sicherheitsbündnis der Dazu gehört, dass wir die NATO stärken. Dazu gehört, NATO, die Multilateralität, die Zusammenarbeit der dass wir die NATO reformieren. Die Reflexionsgruppe, Nationen im Bereich des Umweltschutzes, des Friedens die Sie, Herr Außenminister, initiiert haben, hat Großes und der wirtschaftlichen und sozialen Kooperation. All geleistet. Ich möchte Thomas de Maizière als einem unse- das wäre mit einer Fortsetzung der Präsidentschaft rer Kollegen ganz ausdrücklich dafür danken, dass er an Donald Trumps in den nächsten vier Jahren außerordent- der Spitze dieser Reflexionsgruppe Reformvorschläge lich gefährdet gewesen. für die Zukunft unterbreitet hat. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24981

Dr. Johann David Wadephul (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) ordneten der SPD) Vielen Dank, auch für die Einhaltung der Redezeit, Das ist eine große Leistung gewesen. Es ist nicht selbst- Kollege Wadephul. Vorbildlich! verständlich, dass ein Deutscher diese Rolle übernom- Nächster Redner für die FDP-Fraktion – mit Mund- men hat. Aber jetzt müssen wir, wenn wir uns des Wertes schutz – ist der Kollege Michael Link. der NATO bewusst geworden sind, die NATO dement- sprechend unterstützen und in die Lage versetzen, auch in (Beifall bei der FDP) Zukunft zu agieren. Dann muss man in der Tat auch bereit sein, über Strukturen in der NATO zu reden und Entschei- Michael Georg Link (FDP): dungsprozesse infrage zu stellen, und darf nicht von Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr vornherein bestimmte Themen wie zum Beispiel das Minister, als Sie gerade geredet und den Haushalt darge- Thema Mehrheitsentscheidung tabuisieren. legt haben, war mir ein bisschen zu viel Selbstzufrieden- heit dabei. Der Haushalt ist, vor allem wenn wir in die Wir Deutsche sind der entscheidende Partner der Ver- Zukunft schauen – das sage ich als Schwabe und als einigten Staaten von Amerika auf dem europäischen Liberaler ungern –, wirklich unterfinanziert. Wenn wir Kontinent. Wir Deutsche haben deshalb eine zentrale auf die Finanzplanung schauen – Kollegin Deligöz hat Funktion wahrzunehmen. Wir müssen den Anspruch darauf hingewiesen –, stellen wir fest: Da bricht vieles haben, das Rückgrat der konventionellen Abschreckung wieder ab. Viel Wichtiges konnte in diesem Jahr durch in Europa zu sein. Das verlangt von uns, dass wir als die Berichterstatter im Haushaltsverfahren erreicht wer- Deutsche 10 Prozent der NATO-Fähigkeiten – das ist den. Aber perspektivisch geht es nach unten. Perspekti- entscheidend; 2 Prozent sind nur eine Größe – beitragen. visch wird es nicht der internationalen Verantwortung Das müssen wir miteinander leisten innerhalb dieses Deutschlands gerecht; das muss man ganz klar sagen. Jahrzehnts, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das kann einen wirklich nicht ruhig schlafen lassen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Wir müssen die NATO zusammenhalten. Dazu gehört Deshalb kommt es uns schon massiv darauf an, dass wir auch der schwierige Partner Türkei, den wir in der NATO da nacharbeiten. halten wollen und der an den Grenzen zu Irak und Syrien eine schwierige Rolle einnimmt, die wir brauchen. Aber Es geht darum, so effizient wie möglich zu arbeiten. Es wir müssen der Türkei auch sagen: Sie kann kein Wandler geht nicht immer nur um mehr Geld, sondern um Effi- zwischen den Welten sein. Wir erwarten von dem NATO- zienz. Die Bundesregierung muss ihr internationales Handeln besser aufstellen. Über 15 Häuser stehen sich (B) Partner Türkei, dass er sich zu den Werten der NATO (D) bekennt, dass nicht dschihadistische Söldner angewor- mit internationalen Tätigkeiten teilweise gegenseitig auf ben, unterhalten und in Kriegen eingesetzt werden und den Füßen. Da braucht es – leider sind unsere Vorschläge dass nicht Waffensysteme aus Russland gekauft werden, von der Koalition nicht aufgegriffen worden – eine bes- die das Luftverteidigungssystem der NATO infrage stel- sere internationale Koordinierung. Aus unserer Sicht len. Die Türkei muss sich zu uns genauso bekennen, wie kann das nur durch das Auswärtige Amt geleistet werden. wir als Deutsche bereit sind, uns dafür einzusetzen, dass Es muss die internationalen Aktivitäten aller Häuser die Türkei eine wichtige und fortbestehende Rolle in der koordinieren und kann damit auch Mittelverschwendung NATO hat, liebe Freunde. vermeiden bzw. reduzieren. Wenn wir das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten (Beifall bei der FDP) von Amerika langfristig positiv gestalten wollen, dann Ein ganz wichtiger Punkt ist – wir wissen, Geld fällt müssen wir auf mehr Eigenständigkeit setzen. Dann müs- nicht vom Himmel –, dass bei der humanitären Hilfe sen wir als Europäer auch bereit sein, mehr zu leisten. nachgesteuert wurde. Aber es wäre besser gewesen, Das kann man einfordern, Graf Lambsdorff. Aber dann wenn es gelungen wäre, von Anfang an – zum Beispiel muss die FDP auch alle europapolitischen Diskussionen durch Umschichtung von Projektgeldern hin zu flexiblen in den eigenen Reihen führen. Grundbeiträgen – internationale Organisationen wirklich (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das tun zu stärken. Das Hohelied der UN zu singen, Herr Minis- wir!) ter, ist schön. Aber davon können sich UNHCR und viele andere nichts kaufen. Ohne mehr ungebundene Mittel Wie stehen Sie denn zu Macrons Vorschlägen zur Euro- müssen die betreffenden Organisationen bei jeder Krise Zone? Mehr Skeptizismus als in der FDP-Fraktion gibt es erst wieder Klinken putzen, und so verstreicht kostbare zu der Frage „Mehr Europa?“ nicht in diesem Haus. Zeit. Deswegen: Lassen Sie uns gemeinsam Europa stärker (Beifall bei der FDP) machen. Lassen Sie uns atlantisch bleiben. Lassen Sie uns europäischer werden. Dann werden wir auch in den Deshalb haben wir beantragt, den internationalen Bereich nächsten zehn Jahren eine gute Außenpolitik für unser des Roten Kreuzes, das Welternährungsprogramm, die Heimatland und für Europa gestalten. WHO, UNICEF, UNHCR und viele andere stärker und direkter zu fördern. Herzlichen Dank. Zentral wichtig ist uns Liberalen auch das Thema (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- „Stärkung von Freiheit und Menschenrechten weltweit“. ordneten der SPD) Deshalb begrüßen wir, dass beim Thema Menschenrechte 24982 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Michael Georg Link (A) in der Bereinigungssitzung nachgebessert wurde, auch schlechtgeredet werden. Wir können stolz auf sie sein. (C) hier ganz massiv auf Druck der Berichterstatter. Zum Sie sind die zivilgesellschaftlichen Botschafter der Bun- Beispiel soll es zehn Menschenrechtsreferenten an wich- desrepublik Deutschland. tigen, ausgewählten Botschaften geben. Ein gutes Signal! (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD (Beifall bei der FDP) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Da wir gerade über Menschenrechte sprechen und es Mein letzter Dank, Herr Präsident, gilt Doris Barnett gute Tradition ist, im Rahmen der Haushaltsdebatte zum und Alois Karl. Ihr habt es gesagt: Es ist die letzte Haus- AA auch einige wenige Worte zum EU-Haushalt zu haltsberatung, die wir mit euch machen durften. Es war sagen: Wir hoffen sehr, dass beim anstehenden Gipfel eine ganz hervorragende und mustergültige Zusammen- tatsächlich ein Durchbruch bei MFR und Rechtsstaatsme- arbeit, bei der die Opposition mit ihren Interessen bei der chanismus erfolgt. Da sich Viktor Orban heute Morgen Koalition immer ein offenes Ohr gefunden hat. Wir laut der ersten Nachrichten in den Medien orakelhaft und waren nicht immer einer Meinung – das muss man wahr- zufrieden geäußert hat, möchte ich im Namen meiner lich nicht sein –, aber es war eine sehr faire Zusammen- Fraktion der Bundesregierung und der deutschen Rats- arbeit. Als Schwabe darf ich sagen: Mit euch kann man präsidentschaft sehr deutlich sagen: Bitte knicken Sie schaffe! beim Rechtsstaatsmechanismus nicht ein! Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Was auf dem Tisch liegt, ist bereits ein Kompromiss, der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- im Trilog mit dem Europäischen Parlament gefunden SES 90/DIE GRÜNEN) wurde und der in vielen Bereichen vieles schon verwäs- sert. Aber nachdem die Kanzlerin heute Morgen dazu Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kein Wort gesagt hat, sind wir schon alarmiert. Deshalb Vielen Dank, Michael Link. – Die nächste Rednerin: noch einmal: Knicken Sie hier nicht ein! Das ist eine für die Fraktion Die Linke die Kollegin Heike Hänsel. entscheidende Frage. Wenn wir es verpassen, den Haus- halt mit dem Rechtsstaatsmechanismus zu verbinden, (Beifall bei der LINKEN) wird Europa großen Schaden nehmen. Heike Hänsel (DIE LINKE): (Beifall bei der FDP) Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Minister hat gen! Vor zwei Tagen jährte sich der Kniefall von Willy (B) (D) gerade die Beziehungen zwischen Deutschland und Brandt in Warschau zum 50. Mal, ein hoch politischer Frankreich angesprochen. Dazu könnte man viel sagen. und zutiefst menschlicher Akt, der auch heutige Genera- Seien wir als Parlament selbstbewusst! Ich erinnere an tionen noch bewegt. den Beitrag der Deutsch-Französischen Parlamentari- (Beifall bei der LINKEN) schen Versammlung. So schön der Vertrag von Aachen auch ist, Herr Minister, Sie haben ein bisschen so getan, Viele, vor allem Sozialdemokraten und Sozialdemokra- als ob dieser Vertrag allein auf eine Initiative der Regie- tinnen, haben in den sozialen Medien daran erinnert, auch rung zurückginge. Es war schon eine Initiative, die sehr der Außenminister. stark von Frankreich, hier aus diesem Parlament und aus Aber leider, Herr Maas, hat die deutsche Außenpolitik der Assemblée nationale kam. Wenn ich an die Leistun- nichts mehr mit der mutigen, visionären Friedens- und gen des Kollegen Jung, CDU/CSU, der Kollegin Entspannungspolitik von Willy Brandt zu tun. Brantner, des Kollegen Schmidt und vieler anderer – (Beifall bei der LINKEN) auch aus meiner Fraktion – denke, dann glaube ich, dass sich hier die Parlamente als selbstbewusste Akteure Im Gegenteil: Ihre Außenpolitik ist mehr vom Geiste der Außenpolitik nicht verstecken, sondern die Regie- eines Donald Trump geprägt, der auf Konfrontationskurs rung auch treiben müssen, wo nötig, Koalition und Oppo- mit Russland und China und auf massive Aufrüstung sition gemeinsam. Das werden wir weiter tun, gerade bei setzt. dem wichtigen Thema „Deutschland und Frankreich“. (Zuruf von der CDU/CSU: Mein Gott!) (Beifall bei der FDP) Statt europäische Sicherheitsinteressen mit einer Ent- spannungspolitik zu vertreten, setzen Sie US-Politik um. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich ganz herzlich im Namen meiner Fraktion bei all den (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist ja eine Angehörigen des Auswärtigen Dienstes – erfreulicher- AfD-Rede, die Sie da halten!) weise ist ja etwas bei der Personalreserve erreicht wor- Wenn man Ihre jüngsten Äußerungen zum Atomabkom- den –, bei Diplomaten wie Angestellten, bei Entsandten men mit dem Iran hört, dann stellt man fest: Das sind eins wie Ortskräften, bedanken, bei all denen, deren Arbeit für zu eins Forderungen, die von Donald Trump kommen. selbstverständlich gehalten wird. Wir haben bei dem schrecklichen Anschlag in Beirut gesehen, dass es auch (Beifall bei der LINKEN) eine lebensgefährliche Tätigkeit ist. Ich möchte in den Ihre laxe Haltung gegenüber der Türkei, Ihr brüskes Dank ausdrücklich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Zurückweisen eines russischen Vorschlags für ein frei- der politischen Stiftungen einschließen, die hier oft williges Rüstungsmoratorium oder auch das krampfhafte Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24983

Heike Hänsel (A) Festhalten an US-Atomwaffen in Deutschland und an der Auch die Friedensbewegung hat diese Hochrüstungs- (C) nuklearen Teilhabe der NATO, all das hat mit Friedens- politik am Wochenende mit ihrer Kampagne „Abrüsten politik nichts zu tun. statt Aufrüsten“ in über 90 Städten kritisiert. Viele Gewerkschafter waren dabei, zum Beispiel Verdi-Chef (Beifall bei der LINKEN) Frank Werneke, DGB-Chef Reiner Hoffmann, der Dementsprechend begrüßen Sie, Herr Maas, natürlich Sozialverband Deutschland und viele Friedensgruppen. auch die Reformvorschläge der NATO. Neben Russland Warum eigentlich ignorieren die Bundesregierung und wird nun auch China zum militärischen Gegner der die SPD, die mal Teil dieser Bewegung war, diese Forde- NATO erkoren. Deutschland will künftig auch im indo- rungen so konsequent? pazifischen Raum mitmischen und an antichinesischen (Beifall bei der LINKEN) Bündnissen mitbasteln. Die NATO fühlt sich sogar ein- gekreist von Russland und China. Das ist ja absurd! Ich Eine breite Mehrheit der Bevölkerung will einen verläss- empfehle mal einen Blick auf die Landkarte. lichen Sozialstaat, eine bessere Gesundheitsversorgung, mehr Klimaschutz, aber bestimmt keine immer neuen (Beifall bei der LINKEN) Rüstungsrekorde. Wo soll diese aggressive Politik denn hinführen? Die (Beifall bei der LINKEN) Linke sagt Nein zu dieser Kriegspolitik, die da skizziert Das sollten auch die Grünen zur Kenntnis nehmen, die wird. jetzt der Aufrüstung und den Militäreinsätzen das Wort reden. Wenn ich Annalena Baerbock und Katrin Göring- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Johann David Eckardt zuhöre, die stramm auf schwarz-grünem Regie- Wadephul [CDU/CSU]: Wo ist denn eigentlich rungskurs sind, kann ich nur sagen: Klimaschutz geht nur Ihr außenpolitischer Sprecher? Sieht der das mit Abrüstung, liebe Grüne, auch so?) (Beifall bei der LINKEN) Was hat uns denn diese Coronapandemie gelehrt? Wohl doch, dass wir internationale Zusammenarbeit und aus dem Desaster des Afghanistan-Krieges habt ihr benötigen und nicht immer neue Feindbilder und globale anscheinend auch nichts gelernt. Petra Kelly würde sich Konfrontationen, wie die NATO sie vorsieht. Genau des- im Grabe umdrehen, wenn sie sehen könnte, was ihr hier wegen muss dieses Kriegsbündnis endlich aufgelöst wer- treibt. den, Mut zu Abrüstung und Friedensdiplomatie – das ist das Gebot der Stunde, ganz im Sinne Willy Brandts. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Johann David (B) Wadephul [CDU/CSU]: Unfassbar!) (Beifall bei der LINKEN) (D) und wir müssen raus aus den militärischen Strukturen. Man kann das nicht oft genug sagen. Dann könnte die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bundesregierung auch den Atomwaffenverbotsvertrag Die Abgeordnete Margarete Bause hat das Wort für unterzeichnen; denn sowohl die US-Atomwaffen als Bündnis 90/Die Grünen. auch die US-Soldaten müssen aus Deutschland abgezo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen werden. (Beifall bei der LINKEN) Margarete Bause (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Man muss diese Außenpolitik auch im Lichte eines Außenminister! Morgen ist der Internationale Tag der Rüstungsrekordhaushaltes betrachten; denn die Bundes- Menschenrechte, und auch in dieser Debatte wurden die regierung will jetzt sage und schreibe 53 Milliarden Euro Menschenrechte immer wieder erwähnt, allerdings nicht für Rüstung und Militär nach NATO-Kriterien ausgeben – von Ihnen, Herr Maas. Anlässlich der Wahl Deutschlands mitten in einer Pandemie und Wirtschaftskrise. Das ist in den UN-Menschenrechtsrat haben Sie aber verkündet – unfassbar. Das ist schlicht Wahnsinn! Zitat –: „Menschenrechte bilden das Fundament deut- scher Außenpolitik.“ Es stellt sich die Frage, wie stabil (Beifall bei der LINKEN) und belastbar dieses Fundament an den entscheidenden Die Ausgaben sind seit 2014 um 44 Prozent gestiegen, Stellen ist, nämlich an den Stellen, wo es einer Belas- aber wir haben noch nicht mal das 2-Prozent-Ziel der tungsprobe ausgesetzt ist, an den Stellen, wo man in NATO erreicht, nämlich 2 Prozent des Bruttoinlandpro- den Konflikt gehen muss. Denn wer für Menschenrechte dukts für Rüstung auszugeben. Dann wären wir bei einsteht, muss mutig sein, und wer glaubwürdige Men- 85 Milliarden Euro, und damit läge Deutschland zwar schenrechtspolitik betreiben will, muss konfliktbereit hinter den USA und China, aber immer noch vor Russ- sein. Es braucht Haltung statt Wegducken. land, Frankreich und Großbritannien. Da frage ich insbe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sondere die SPD, ob diese Hochrüstungspolitik, Deutsch- land – noch vor Russland – zur ausgabenstärksten Was macht die Bundesregierung? Beispiel China. Militärmacht in Europa zu machen, die richtige Lehre Letzte Woche wurden Joshua Wong und seine Mitstrei- aus zwei Weltkriegen ist, die von Deutschland vom terinnen und Mitstreiter zu skandalös hohen Haftstrafen Zaun gebrochen wurden. verurteilt, weil sie sich an friedlichen Protesten in Hong- kong beteiligt hatten. Die Reaktion des Auswärtigen (Beifall bei der LINKEN) Amtes darauf? Ich zitiere: „Besorgniserregende Entwick- 24984 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Margarete Bause (A) lungen … zur Lösung der … Herausforderungen … nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) zuträglich.“ Nicht zuträglich? Da zerstört Peking die letz- Der nächste Redner ist der Kollege Roderich ten Reste von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in Hong- Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion. kong, statuiert Schlag auf Schlag abschreckende Exem- pel an Demokratieverteidigerinnen und -verteidigern, (Beifall bei der CDU/CSU) verschleppt Journalistinnen und Journalisten sowie Poli- tiker, kassiert Wahlen, schmeißt die Opposition aus dem Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Parlament, und dem Auswärtigen Amt fällt dazu nichts Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- anderes ein, als von „besorgniserregenden Entwicklun- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich der Rede gen“ zu sprechen. Und während die KP Chinas vor den der Kollegin Hänsel lauschte, dachte ich, wir sind im Augen der Welt Völkerrecht bricht und in Xinjiang falschen Haushalt. Es ging da wohl um den Haushalt monströse Menschenrechtsverbrechen exerziert, drängt Einzelplan 007, Verschwörung. die Kanzlerin in Brüssel darauf, dass jetzt endlich das (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Investitionsabkommen mit China abgeschlossen werden der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) muss. Was für ein fatales Signal! Aber wir diskutieren über den Haushalt des Auswärti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen Amtes, und da lädt die Debatte natürlich ein, über sowie bei Abgeordneten der FDP) aktuelle Aufgaben und auch künftige Herausforderungen Beispiel Ägypten. Das Land, das Sie gerne als Stabili- zu sprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möch- tätsanker im Nahen Osten bezeichnen, beteiligt sich am te das für unsere Fraktion an drei Punkten deutlich Krieg gegen den Jemen und hat eine verheerende Men- machen: zunächst zu den Auswirkungen der US-Wahl, schenrechtssituation. Watch schätzt, dass dann zu unseren europäischen und auch deutschen Auf- mindestens 60 000 politische Gefangene unter menschen- gaben und drittens mit ein paar Handlungsvorschlägen. unwürdigen Bedingungen inhaftiert sind. Sogar Kinder Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Rückkehr der werden gefoltert und mit Todesstrafe belegt. In den letz- USA – die absehbar ist – in die regelbasierte internatio- ten zwei Monaten gab es eine regelrechte Welle an Hin- nale Ordnung wird es für uns nicht einfacher. Aber eines richtungen. Die Bundesregierung unterstützt den Polizei- ist, glaube ich, klar geworden: Wir werden die nächsten und Folterstaat al-Sisis mit gewaltigen Finanzmitteln und vier Jahre nicht mit mehr Abgrenzung von den USA ver- Exportgarantien und beliefert das ägyptische Militär wie bringen können, sondern wir müssen deutlich stärker kein anderes Land weltweit mit Waffen. Der Hebel, den über europäische Handlungsfähigkeit und europäischen Deutschland gegenüber Ägypten zur Verbesserung der Handlungswillen sprechen, liebe Kolleginnen und Kol- (B) Menschenrechtslage hat, ist stark, aber er wird nicht legen. Das bedeutet eben auch, dass es nicht um strategi- (D) mal ansatzweise genutzt. Stattdessen wird dem ehemali- sche Autonomie Europas geht; denn dann – um den Ge- gen ägyptischen Botschafter in Berlin, der seine Bot- danken, der von Teilen der Opposition aufgegriffen schaft hier zur Spitzelzentrale ausgebaut hat, noch das wurde, fortzuspinnen – müssten wir auch über eine Been- Bundesverdienstkreuz verliehen. Was für ein Wahnwitz! digung der nuklearen Teilhabe und eine eigene europä- ische Nuklearfähigkeit sprechen. Und das wollen wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht, Beispiel Indien. In Indien verschlechtert sich die Men- (Beifall des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU]) schenrechtslage massiv. Gleichzeitig ist das Land der wichtigste Partner Deutschlands in der Allianz für Multi- wir stehen zur nuklearen Teilhabe, zu einem transatlanti- lateralismus, die Sie, Herr Maas, auch mal als Allianz für schen Raum gemeinsamer Sicherheit. die Menschenrechte bezeichnet haben. Aber wo, frage (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ich mich, bleibt Ihr Einsatz, wenn von der Regierung Modi Menschenrechtsorganisationen kriminalisiert wer- Dieser Raum bedeutet unteilbare Sicherheit und den, die Zivilgesellschaft drangsaliert wird und bis zu bedeutet auch Verantwortung, die wir Deutschen mit Bel- 2 Millionen muslimische Bürgerinnen und Bürger ausge- giern, mit Niederländern, Italienern und auch der Türkei grenzt, ausgebürgert und in Internierungslager gebracht übernehmen, dass nicht andere Staaten auf europäischem werden? Da hören wir nichts von Ihnen. Boden, die der NATO oder der EU angehören, auch US- Nuklearwaffen stationieren. Zu der Verantwortung gehört Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen- eben auch, dass wir keine Ausweitung französischer oder rechte spielen eine wichtige Rolle in der Politik des Aus- britischer Nuklearwaffen wollen, sondern unser Ziel ist, wärtigen Amtes, auch mit Blick auf den Haushalt an der wie es der Bundestag und auch das Außenministerium in einen oder anderen Stelle, allerdings nur, solange gerade vielen Legislaturperioden festgehalten haben, nukleare keine für Sie noch wichtigeren Interessen entgegenste- Abrüstung. Aber das erreichen wir nicht, indem wir hen, seien es wirtschaftspolitische, seien es migrations- eine nukleare europäische Autonomie anstreben. politische oder seien es geostrategische. Aber die Been- digung von Unrecht, Unterdrückung und Willkür kann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nur eingefordert und nicht erschmeichelt werden. der SPD) Ihrer Menschenrechtspolitik fehlt es vor allem an Wenn wir mehr europäische Handlungsfähigkeit wol- einem: an Mut. len, dann brauchen wir auch eine glaubhafte Lastentei- lung. Das führt mich zum zweiten Punkt, das sind kon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) krete Projekte, die wir mit den USA angehen müssen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24985

Roderich Kiesewetter (A) Unser Hauptziel muss doch die Stärkung der regelbasier- Herzlichen Dank. (C) ten internationalen Ordnung sein. Sie war doch die letz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten Jahre unter Druck: durch das Vorgehen Russlands ordneten der SPD und der FDP) bzw. Putins, durch das Vorgehen Erdogans und nicht zuletzt auch durch Trump. Diese regelbasierte internatio- nale Ordnung zeichnet sich durch Freihandel auf Basis Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sozialer und ökologischer Faktoren aus, und sie zeichnet Der nächste Redner: für die SPD-Fraktion der Kollege sich auch durch die Vorherrschaft des Rechts und der Christian Petry. Vereinten Nationen aus. (Beifall bei der SPD) Wenn wir das leisten wollen, gibt es zwei konkrete Projekte. Das eine ist der Indopazifik; darüber wurde Christian Petry (SPD): heute schon gesprochen, auch von unserem Außenminis- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ter. Ich kann hier nur unterstreichen: Die Indo-Pazifik- ren! Dem Dank an Doris Barnett und Alois Karl schließe Leitlinien der Bundesregierung sind sehr gut, weil sie ich mich gerne an; denn sie haben über Jahre dafür jetzt durch ein verstärktes US-Engagement statt ein kon- gesorgt, dass – ich ziehe einen zweiten Hut auf – die frontatives Engagement unterstützt werden. Europäische Bewegung Deutschland auch ausreichend Aber viel wichtiger für uns unmittelbar ist, dass wir in finanziert wird, über den Haushalt des Auswärtigen Europa die Interessen, die Sicherheitsbedürfnisse der ost- Amtes. Manuel Sarrazin – er ist, glaube ich, jetzt nicht europäischen Länder mit den Sicherheitserfordernissen mehr da – und ich dürfen dort Vizepräsident sein. Die der Südeuropäer bündeln. Wo können wir das besser Europäische Bewegung Deutschland ist die größte zivil- machen? Indem wir die Wettbewerbsfähigkeit Europas gesellschaftliche Organisation, die sich proeuropäisch stärken, indem wir alles daransetzen – transatlantisch immer wieder für die liberalen Demokratien einsetzt. gemeinsam –, dass Afrika ein Partner der regelbasierten Deswegen ist es gut, dass ihr beide euch Jahr für Jahr internationalen Ordnung wird und nicht ein Vasall oder dafür eingesetzt habt, dass die Haushaltsmittel entspre- ein Bergwerk oder eine verlängerte Werkbank Chinas. chend zur Verfügung stehen, auch noch erhöht werden. Wenn es uns gelingt, dass wir im Wettbewerb, im fairen Dafür an euch beide ein ganz herzliches Dankeschön! Wettbewerb mit China die Wettbewerbsfähigkeit, die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Ausbildungsfähigkeit Afrikas verbessern – mit allem, CDU/CSU) was wir im Blick haben: Fluchtursachen, Klimawandel, Demografie auf dem afrikanischen Kontinent –, dann ist Der Haushalt 2021 des Auswärtigen Amtes umfasst mir nicht bange. 3,6 Milliarden Euro. Es ist angesprochen worden: Neben (B) humanitärer Hilfe, Afrika, Krisenprävention, Auswärti- (D) Mein dritter und abschließender Punkt berührt unsere ger Kulturpolitik hat er als Schwerpunkt natürlich auch eigenen Aufgaben. Ich glaube, wir sollten uns bei aller das Thema Europa. Da möchte ich Michael Roth erwäh- Debatten über die Haushalte der Regierung als Parlament nen, der in den Medien „Mister Europa“ genannt wird. Er nicht verzwergen und regelmäßig über die außen-, sicher- kämpft über das Jahr hinaus immer wieder an vielen heits-, entwicklungspolitische Vernetzung sprechen, liebe Fronten. Ob das der Finanzrahmen ist, ob das der Brexit Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen diese jährliche ist, ob das die Erweiterung ist: Er ist immer da, im Auf- Debatte. Zweitens brauchen wir eine Aufwertung unseres trag von Heiko Maas und auch vielen anderen. Deswegen Bundessicherheitsrates – da bin ich ganz bei unserer Ver- auch ein Dankeschön an ihn. teidigungsministerin –; denn wenn wir ein Verfahren mit einer qualifizierten Mehrheit in Europa wollen, wenn wir Dies ist eine ganz wichtige Aufgabe; denn wir müssen einen europäischen Sicherheitsrat befürworten, müssen uns entscheiden, wo wir hinwollen mit Europa, wie wir wir uns doch erst einmal selber unserer strategischen die Entwicklung weiter gestalten wollen. Gunther Interessen bewusst sein, und das kann durchaus über die Krichbaum ist auch hier. Im Europaausschuss haben wir Aufwertung des Bundessicherheitsrates geschehen. das zum zentralen Thema. Es liegt uns am Herzen, dass der Konvent zur Zukunft Europas stattfindet und wir dort Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es über die Weiterentwicklung Europas reden können. Wol- geht auch um unsere Öffentlichkeit, um unsere Bürger- len wir – wie es einige vielleicht wollen – lediglich einen schaft. Äußere und innere Sicherheit sind auf der einen Binnenmarkt, der ein bisschen besser funktioniert, ist das Seite der Medaille, die soziale auf der anderen. Wir wer- alles gewesen? Oder wollen wir tatsächlich die Weiter- den uns gute soziale Sicherheit nur leisten können, wenn entwicklung Europas, die Weiterentwicklung eines Ortes wir auch stark in äußere Sicherheit investieren und eine der Freiheit, der Demokratie, der offenen Gesellschaft, gute innere haben. Auf der anderen Seite werden wir den der offensichtlich in der Welt höchst attraktiv ist, weil gesellschaftlichen Zusammenhalt für unser außen- und viele zu uns kommen wollen. Dafür müssen wir uns ent- entwicklungspolitisches Engagement nur haben, wenn scheiden, und dafür kämpfen wir; das findet ein wichtiges es unserer Bevölkerung gut geht. Spiegelbild im Haushalt des Auswärtigen Amtes. In diesem Sinne danke ich König Karl und Königin (Beifall bei der SPD) Doris für ihr Engagement Die deutsche Ratspräsidentschaft in Coronazeiten war (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU sicher nicht einfach. Die Themen sind schon genannt. und der FDP) Olaf Scholz hat im Frühjahr tatsächlich einen Paradig- und werbe um Zustimmung für den Einzelplan 05. menwechsel bei der Finanzierung hinbekommen. Wir 24986 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Christian Petry (A) werden es beim Recovery-Programm und beim Eigen- Hier müssen wir wirklich einmal genau hinschauen. Die (C) mittelbeschluss diskutieren müssen. Dort stehen tatsäch- Antwort ist da. lich solidarische Hilfen, das solidarische Europa im Mit- Ich wünsche mir, dass wir getragen von diesem Haus- telpunkt. Das ist eine gute Weiterentwicklung aus meiner halt zusammenarbeiten für ein Europa als Ort der Frei- Sicht, und hieran hat Heiko Maas einen großen Anteil. heit, der Freizügigkeit, der Demokratie, der sozialen Michael Leutert ist nicht mehr da. Gerechtigkeit in einer offenen Gesellschaft. (Michael Leutert [DIE LINKE]: Doch!) Herzlichen Dank. Glück auf! – Doch, er ist noch da. – Michael, Heiko Maas – ich war (Beifall bei der SPD) von Anfang an dabei – ist nicht der Ziehsohn von . Da geht es eher nach der griechischen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Weisheit, also, Oskar hat erkannt: Wenn du ihn nicht Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Dr. Katja besiegen kannst, umarme ihn. – Ein Ziehsohn ist etwas Leikert von der CDU/CSU-Fraktion. anderes. Insoweit soll man das an dieser Stelle einmal klarstellen. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei der Konferenz zur Zukunft Europas ist eine breite Beteiligung gewünscht. Die institutionelle Weiterent- Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): wicklung soll im Zentrum stehen. Es geht darum, Auf- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gaben neu zu ordnen, Blockaden, die möglicherweise Kollegen! Der kürzlich verstorbene große Europäer und vorhanden sind, zu überwinden. Im Verhältnis Europä- frühere französische Staatspräsident Valéry Giscard d'Es- isches Parlament/Europäische Kommission/Europä- taing hat einmal gesagt: „Den ersten Deutschen habe ich ischer Rat, im Trilog, hat der Europäische Rat durch das durch das Zielfernrohr eines Panzers gesehen.“ Die Einstimmigkeitsprinzip oft blockiert. Das müssen wir Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs haben d’Estaing weiterentwickeln, funktionsfähig machen, auch im Hin- zu einem unermüdlichen Kämpfer für die europäische blick auf eine mögliche Erweiterung, die in Zukunft noch Idee gemacht. Auch seine Forderung nach außenpoliti- kommen kann; ich denke da an die Länder des Balkans, scher Einheit Europas hat nichts von ihrer Bedeutung die in den 2030er-Jahren, vielleicht auch früher, eine verloren, im Gegenteil: Sie ist hochaktuell. Möglichkeit zum Beitritt haben, wenn sie nach einem An den Grenzen der Europäischen Union spielen sich langen Weg die demokratischen und die rechtsstaatlichen dramatische Entwicklungen ab, denen kein Staat alleine Voraussetzungen erfüllen. begegnen kann. In Belarus wollen die Menschen, dass ihr (B) Hier möchte ich auf eines hinweisen – Michael Link Land endlich im 21. Jahrhundert ankommt. Nur gemein- (D) hat es, glaube ich, gesagt –: Natürlich ist der Rechts- sam wird es gelingen, den Druck auf die unrechtmäßige staatsmechanismus ein wirklich wichtiges Pfund, und Regierung Lukaschenkas aufrechtzuerhalten. Nur ge- wir hoffen natürlich – ich bin mir sicher –, dass dies meinsam werden wir in der Lage sein, die demokratische zentraler Bestandteil der Verhandlungsposition für die Opposition um Swetlana Tichanowskaja zu stärken. Verabschiedung des mehrjährigen Finanzrahmens und An die Kolleginnen und Kollegen der AfD: Keine des Eigenmittelbeschlusses bleiben wird. Das muss er, Sorge, Sie meine ich jetzt nicht mit „gemeinsam“. All das ist eine unabdingbare Sache. Ihr Genörgel an der Europäischen Union wird uns nie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mals davon abhalten, die große europäische Idee für ech- ten Gemeinsinn voller Überzeugung weiterzutragen. Johannes Schraps hatte den Beschluss im Parlament vor- bereitet, und das haben wir hier mit großer, breiter Mehr- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- heit so beschlossen. ordneten der SPD und der FDP) Ich möchte nun zum Schluss kommen. Vielleicht noch Die europäische Idee, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine kleine Bemerkung über die Aussage, dass uns die steht vor großen Herausforderungen. Die Türkei betreibt Franzosen mit Herrn Macron in der Sorbonne-Rede eine ein gefährliches Säbelrasseln im Mittelmeerraum, Russ- Vorlage gegeben haben und wir daraufhin lange gewartet land schürt Konflikte im Nahen Osten. Es liegt an uns, an haben. Ich meine, die Regierungsbildung als Grund ist uns Europäerinnen und Europäern. Wir müssen der bra- genannt. Aber ich war nicht mit allem einverstanden, chialen Machtpolitik noch viel deutlicher Völkerrecht was in der Sorbonne-Rede gesagt wurde. und Multilateralismus entgegenstellen. Anständig sein muss sich international wieder lohnen. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ich auch Unsere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Kar- nicht!) renbauer hat dabei völlig recht: Diese Ziele können wir Ich bin nicht für die Renaissance der Atomkraft, was dort nur Arm in Arm mit der neuen US-Regierung durchset- Bestandteil war. Und ich bin nicht für die Ausrichtung zen. Und ja, wir freuen uns hier in Europa über die neue einer europäischen Armee als Interventionsarmee, was Biden/Harris-Administration. Und ja, wir wollen europä- Bestandteil war. ischer werden und auch wieder transatlantischer. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Rats- LINKEN – Alexander Graf Lambsdorff präsidentschaft endet in Kürze; wird unser [FDP]: Aber sie diskutieren es wenigstens! Nachfolger sein. Unsere portugiesischen Freunde über- Sie sagen wenigstens was dazu! Ist doch gut!) nehmen von Deutschland ein Schiff unter vollen Segeln. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24987

Dr. Katja Leikert (A) Trotz Pandemie haben wir im zurückliegenden halben Europäische Union den nächsten Schritt macht. Wir ste- (C) Jahr unserer Ratspräsidentschaft viele Fortschritte erzielt: hen bei vielen Themen an der Schwelle: Echte gemein- bei den neuen richtigen Vorhaben im Bereich Klima- same Außenpolitik, ja oder nein? Fiskalunion, ja oder schutz, den wir unseren Kindern schuldig sind – ja, wir nein? Und, und, und. wollen eine klimaneutrale Europäische Union bis 2050 –, Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bürger dieses bei der Gemeinsamen Agrarpolitik, die die Balance zwi- Kontinents wollen die Europäische Union weiterentwi- schen Lebensmittelsicherheit und Ökologie gefunden hat, ckeln, stärken und mitgestalten. Wir müssen sie nur las- und auch beim Wiederaufbaufonds und dem mehrjähri- sen. Dabei haben wir als Abgeordnete des Deutschen gen Finanzrahmen, die in Kürze wesentliche Impulse in Bundestags eine besondere Verantwortung. Gehen wir ganz Europa geben werden. mutig voran! Machen Sie mit! So wie es aussieht, wird es eine Einigung beim Thema Vielen Dank. Rechtsstaatlichkeit geben. Das war für uns nie eine Ver- handlungsmasse. Lieber Graf Lambsdorff, es ist klar, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dass Sie so etwas bisher immer nur von der Seitenlinie ordneten der SPD) kommentieren. Lieber Herr Link, Sie haben vorhin ge- sagt, wir würden hier einknicken; aber das ist nicht der Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Fall. Vielen Dank, Katja Leikert. – Der letzte Redner zu (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das wis- Einzelplan 05 ist der Abgeordnete Michael Brand, sen Sie genauso wenig wie wir im Moment!) CDU/CSU-Fraktion. Übrigens: An so mancher Stelle hätte ich mir von der (Beifall bei der CDU/CSU) Opposition in diesem Hause gewünscht, sie hätte die Bemühungen der Bundesregierung im letzten halben Michael Brand (Fulda) (CDU/CSU): Jahr konstruktiver begleitet. Sie sollen kontrollieren, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und Sie sollen Ideen einbringen. Wo war denn Die Linke Gerade in der Außenpolitik gilt für unser Land: Deutsch- bei der Stärkung der sozialen Säule der Europäischen land hat aus der Geschichte gelernt, und Deutschland Union? Und wann genau hat die AfD eigentlich Vorschlä- wird heute und in Zukunft in Europa und global guter ge zum gemeinsamen Asyl- und Migrationssystem Nachbar und Partner sein. – Kurz vor dem Internationalen gemacht? Und der FDP ist am Ende immer alles einfach Tag der Menschenrechte ist es gut, festzustellen: Für die nur zu teuer. Bundesrepublik Deutschland haben humanitäre Hilfe, Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, Krisenprävention und vor allem Freiheit und Menschen- (B) dass wir jetzt mit dem Wiederaufbaufonds vorangehen – rechte traditionell einen hohen Rang. Deutschland ist (D) Geld, das für die nächsten Generationen eingesetzt wird. herausragend engagiert in internationaler Zusammenar- Es gibt schon wieder einige, die unken, wir Deutschen beit in diesem wichtigen Feld. haften jetzt nur wieder für die Schulden der anderen. Ich Im zu Ende gehenden Jahr hat sich die Bundesregie- komme aus der Brüder-Grimm-Stadt und liebe rung – ich will ausdrücklich den Bundesaußenminister alles, was mit Märchen zu tun hat. Aber die ständige erwähnen – in einer ganzen Reihe wichtiger Fragen der Wiederholung der Geschichte, dass wir der Zahlmeister Menschenrechte auch ganz persönlich eingesetzt: von Europas wären, bleibt eben nur ein Märchen. Xinjiang und Hongkong bis hin zur direkten Ansprache (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mit seinem chinesischen Kollegen, bis hin zum Einsatz der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: für die Opfer sexueller Gewalt in Konflikten auf Ebene Genau wie Ihre ganze Rede, Frau Leikert! des UN-Sicherheitsrates. Nicht nur, weil Adventszeit ist, Nur Träumereien von Ihnen!) sondern aus voller Überzeugung möchte ich Heiko Maas in unser aller Namen für diesen besonderen Einsatz für Vielmehr stimmt: Es geht um die finanzpolitische Stabi- Menschenrechte hier einmal danken. lität der gesamten Europäischen Union. Es geht um eine sinnvolle Solidarität, um eine Investition in die Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) unseres Kontinents. Und es geht – um es ganz klar und Auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes findet deutlich zu sagen – um unsere Interessen. Daher gilt Deutschlands Engagement deutlichen Niederschlag: Mit unser Dank der Kanzlerin, die einmal mehr europäische über 3 Milliarden Euro für Krisenprävention, humanitäre Weitsicht bewiesen hat. Hilfe und die Arbeit der Vereinten Nationen dokumen- (Beifall bei der CDU/CSU) tiert Deutschland konkret seinen Beitrag für Frieden und Menschenrechte weltweit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Rats- präsidentschaft hat Großes bewältigt. Das ändert aber Im Übrigen: Auch die deutsche Entwicklungspolitik ist nichts daran, dass die Europäische Union natürlich Menschenrechtspolitik. Es sind Rekordinvestitionen in Reformbedarf hat. Wir müssen uns an den Mut von Gis- diesem Haushalt. Die sind gut investiert, und zwar in card d'Estaing erinnern, den Mut, in eine unbequeme Vorsorge. Die ODA-Quote wird sich fast verdoppeln. Zukunft zu schauen. Deshalb brauchen wir die Konferenz Deswegen an dieser Stelle auch einen Dank an einen zur Zukunft Europas. Ich danke dir, Gunther Krichbaum, engagierten und glaubhaften Einsatz von Entwicklungs- dass du dich dafür so einsetzt. Bei der Konferenz geht es minister Gerd Müller. nicht um das eine Rädchen dort oder die andere Schraube (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hier, die man verstellen kann. Es geht darum, dass die ordneten der SPD) 24988 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Michael Brand (Fulda) (A) Gerade in einer Zeit, in der es national und global so (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) viele verrückte Akteure und üble Propaganda gibt, bleibt neten der FDP und der Abg. Gabriele es wichtig, festzuhalten: Menschenrechte zählen zur Katzmarek [SPD]) Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, und dafür Die Europäische Union hat unter Führung der deut- wird Deutschland weltweit hoch anerkannt. schen Ratspräsidentschaft vor wenigen Tagen die soge- Weil das so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, und nannte Magnitski-Regelung in Kraft gesetzt und damit weil Demokratie und Menschenrechte von internationa- neue, zielgenaue Sanktionen gegen Verantwortliche für len Regimen in Russland und China, aber auch in Ägyp- schwerste Menschenrechtsverletzungen – von China ten, in Syrien und anderswo, wie leider in der Türkei oder über Russland bis hin zu Syrien oder anderen Diktaturen – auch in Serbien, systematisch bekämpft werden, müssen möglich gemacht. Liebe Freunde, das ist ein Meilenstein. wir uns zu Beginn des dritten Jahrzehnts dieses Jahrhun- (Zuruf des Abg. Tobias Pflüger [DIE LINKE]) derts darüber klar sein, woher die reale Bedrohung einer globalen Ordnung kommt, in der auch Deutschland einen – Dass Sie damit nicht einverstanden sind, ist mir klar; wichtigen Beitrag für Frieden und Menschenrechte leis- denn Sie machen Menschenrechtspolitik nach Ideologie: tet. Bei den einen werden Menschenrechtsverletzungen angesprochen, bei den anderen nicht. Nein, Menschen- Die größte Gefahr für Freiheit und Demokratie welt- rechte gelten universell, und da, wo sie verletzt werden, weit geht von der größten Diktatur der Welt aus: der müssen sie nicht nur thematisiert werden, sondern – ganz Volksrepublik China. Der amerikanische Historiker Ste- im Gegenteil – da muss man klare Haltung zeigen. phen Kotkin hat vor Monaten sehr zutreffend formuliert, dass es eine wirtschaftlich und politisch so mächtige Dik- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem tatur in der Menschheitsgeschichte noch nie gab. Aller- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- dings ebenso korrekt ist die Feststellung, dass es noch nie ordneten der SPD) in der Menschheitsgeschichte einen wirtschaftlich und Da treffen Sie sich im Übrigen mit der Truppe hier auf der politisch so mächtigen gemeinsamen Block von Demo- rechten Seite. kratien gegeben hat wie die Europäische Union, wie auch die Tatsache, dass es noch nie eine wirtschaftlich und (Der Redner zeigt auf Die LINKE und die politisch – im Übrigen auch militärisch – so starke Demo- AfD – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: So ein kratie gab wie die USA. Ähnliches gilt übrigens für die Blödsinn!) größte Demokratie der Welt, nämlich Indien. Ich sehe: Sie treffen sich da sehr gut beim Thema Men- Die akut größte Diktatur der Menschheitsgeschichte schenrechte; Sie sind da sehr selektiv. (B) steht damit einer vielfach überlegenen Allianz von Ich weiß nicht, wie viele Putin-Jünger von der AfD in (D) Demokratien gegenüber. Nicht erschlaffte Eliten, son- diesen Tagen nach Moskau gereist sind; denn es sitzen dern Kampfkraft für Demokratie und Menschenrechte gar nicht mehr so viele hier im Plenarsaal. Aber von der braucht es allerdings sehr. So ist es folgerichtig, dass fünften Kolonne Putins, die jetzt wieder gereist ist – mit der aktuelle Menschenrechtsbericht der Bundesregierung Chrupalla, mit Hampel –, kein Wort zum Thema Men- aus 2020 die brutale Repression und Aggression durch schenrechte, kein Wort über den Auftragsmord im Tier- das chinesische Regime klarer dokumentiert als früher; garten, kein Wort über Cyberangriffe gegen unser Land, auch das gehört zur Wahrheit dazu. gegen den Bundestag; Ich möchte mit Erlaubnis des Präsidenten aus einem (Stephan Brandner [AfD]: Woher wissen Sie Artikel dieser Tage im „Tagesspiegel“ zitieren: „Chinas das denn?) Wolfskrieger“. Denn er beschreibt, was auch hier im Deutschen Bundestag, im Parlament, zu erleben ist. Ich kein Wort darüber, wie Russland gezielt versucht, unser will das an dieser Stelle sehr klar sagen, auch an den Land zu destabilisieren; kein Wort darüber, wie Russland chinesischen Botschafter gerichtet, der diese Debatte Sie und andere Extremisten in Europa, also rechtsextreme sicherlich wieder verfolgt: Wir werden uns von Ihrer Netzwerke, finanziert! Sie sind Brüder im Geiste. Auto- Propaganda und von Ihren Einschüchterungsversuchen kratie statt Demokratie, das ist Ihr Ziel, und da gibt es ein gegenüber einzelnen Abgeordneten, dem ganzen Men- klares Stoppschild von uns. schenrechtsausschuss und diesem Parlament nicht ein- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP schüchtern lassen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Liebe Kolleginnen und Kollegen, Good News kom- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) men von unserem wichtigsten globalen Partner, den Ver- einigten Staaten. Ein Präsident Joe Biden wird die globa- Wir werden die Themen ansprechen, die anzusprechen le Allianz für Demokratie und Menschenrechte deutlich sind. Wir werden weiter mit denen sprechen, die Sie mit stärken. Das gilt nicht nur für unsere transatlantische Füßen treten: mit der Demokratiebewegung in Hong- Partnerschaft, sondern auch für Partner in Asien, Afrika kong, mit Taiwan, mit den christlichen Minderheiten, und Lateinamerika. den Uiguren, den Tibetern, die in China unterdrückt wer- den. Wir werden uns nicht nur nicht das Recht dazu Bleiben wir in diesem Sinne also einer guten deutschen nehmen lassen, sondern wir werden sehr engagiert und Tradition treu, die da lautet: Freiheit und Menschenrechte kampfbereit für Demokratie und Menschenrechte strei- überall sind und bleiben Staatsräson der Bundesrepublik ten. Deutschland. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24989

Michael Brand (Fulda) (A) Vielen Dank. Die Bundeswehr ist über Jahre unter dem Euphemis- (C) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mus „Friedensdividende“ geradezu kaputtgespart wor- ordneten der SPD) den. Es wird Jahrzehnte dauern, diese Entwicklung rück- gängig zu machen und die Bundeswehr so zu modernisieren, dass sie ihren verfassungsgemäßen Auf- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: trag, die Verteidigung Deutschlands, wieder gewährleis- Ich schließe die Aussprache zu Einzelplan 05. ten kann. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 – Das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr 2018 versuchte, Auswärtiges Amt – in der Ausschussfassung. Hierzu lie- dieser Diagnose Rechnung zu tragen und einen Heilplan gen zwei Änderungsanträge der Fraktion der AfD vor, für die Streitkräfte aufzustellen. Lassen Sie mich bei die- über die wir zuerst abstimmen. sem medizinischen Vergleich bleiben. Eineinhalb Deka- Der erste Änderungsantrag ist auf Drucksache den Herumdoktern – in diesem Fall eher ein „Herummer- 19/25016. Wer stimmt für den Änderungsantrag der keln“ – bedürfen mindestens eineinhalb Jahrzehnte der AfD? – Die AfD. Wer stimmt dagegen? – Alle übrigen Heilung. Es ist also auch nicht schwer, vorherzusagen, Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? – Keine. Der dass das Füllen der hohlen Strukturen wunschgemäß Änderungsantrag ist abgelehnt. nicht möglich sein wird. Was heute verschoben wird, das bleibt und wird umso stärker künftige Haushalte Der zweite Änderungsantrag befindet sich auf Druck- belasten. sache 19/25017. Wer stimmt für diesen Änderungsan- trag? – Die AfD. Wer ist dagegen? – Wieder alle anderen Dass aber keine Genesung des Patienten Bundeswehr Fraktionen des Hauses. absehbar ist, mag auch daran liegen, dass die Ärzte, die die Medizin verabreichen, die gleichen sind, die sie krank (Stephan Brandner [AfD]: Blockparteien!) gemacht haben. Enthaltungen? – Keine. Der Änderungsantrag ist abge- (Beifall bei der AfD) lehnt. Denn es ist so – vor dieser Verantwortung können Sie sich Wir stimmen über den Einzelplan 05 in der Ausschuss- nicht drücken –: CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne haben fassung ab. Wer stimmt dafür? – CDU/CSU und SPD. das jahrelange Siechtum der Bundeswehr zu verantwor- Wer stimmt dagegen? – Die gesamte Opposition: AfD, ten. FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Linke. Enthaltungen? – Fakt ist: Die Bundeswehr ist in dieser Verfassung nicht Keine. Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koa- in der Lage, unser Land zu verteidigen. Die von Ihnen litionsfraktionen angenommen. (B) materialmäßig heruntergewirtschaftete Truppe ist nicht (D) Ich rufe Tagesordnungspunkt I.11 auf: einmal in der Lage, Kriseneinsätze und Grundbetrieb in hier: Einzelplan 14 der Heimat gleichzeitig reibungslos zu organisieren – Bundesministerium der Verteidigung trotz des vorbildlichen und engagierten Einsatzes unserer Soldaten und zivilen Mitarbeiter, denen wir dafür aus- Drucksachen 19/23313, 19/23324 drücklich danken. Die Berichterstattung lag bei den Abgeordneten (Beifall bei der AfD) Dr. Reinhard Brandl, Andreas Schwarz, Martin Hohmann, Karsten Klein, Michael Leutert und Dr. Tobias Gegenwärtig ist an Grundbetrieb ohnehin nicht zu den- Lindner. ken. Die Truppe leistet derzeit im Einsatz gegen Covid- 19 durchaus Großartiges; aber sie ist zu einem Lücken- Zu dem Einzelplan 14 liegen zwei Entschließungsan- büßer geworden, der dort einspringen muss, wo andere träge der Fraktion der AfD, ein Entschließungsantrag der staatliche Stellen überfordert sind oder gar versagen. Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke vor. Über diese Entschließungsanträge Sinnbildhaft für das Siechtum der Bundeswehr stehen werden wir am Freitag nach der Schlussabstimmung auch die allseits auftretenden Probleme bei den großen abstimmen. Beschaffungsprojekten. Lässt man diese Revue passie- ren, zeigen sich fünf Kategorien. Da sind einerseits die Für die Aussprache sind 90 Minuten beschlossen. Toten – gescheiterte Projekte wie Pegasus –, dann die Ich eröffne die Aussprache, und es beginnt der Kollege Scheintoten, also die vor dem Aus Stehenden, wie das Gerold Otten, AfD-Fraktion. Taktische Luftverteidigungssystem TLVS. Nicht zu ver- gessen die dritte Kategorie: die Ladenhüter, wie zum Bei- (Beifall bei der AfD) spiel der A400M – eigentlich ein sehr leistungsfähiges militärisches Transportflugzeug, leider auf dem Welt- Gerold Otten (AfD): markt nicht zu vermarkten. Groß ist auch die Anzahl Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- der unausgereiften Projekte, wie zum Beispiel der Schüt- gen! Im Vergleich zu 2013 ist der Verteidigungshaushalt zenpanzer Puma, gerne auch „Bananenprodukte“ für 2021 um rund 9 Milliarden Euro auf knapp 47 Milliar- genannt; denn sie reifen erst beim Kunden. Und zu guter den Euro angestiegen. Die Verteidigungspolitiker der Letzt: die europäischen Prestigeprojekte wie FCAS und Großen Koalition werden sich sicher hier dafür loben. MGCS – beides überwiegend von Deutschland finanzier- Wie aber steht die Bundeswehr nach sieben Jahren Groß- te Projekte in überwiegend französischem Interesse. Poli- er Koalition da, und wer trägt für den heutigen Zustand tischer Wille steht dabei über finanziellem, volkswirt- der Truppe die Verantwortung? schaftlichem und militärischem Nutzen. 24990 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Gerold Otten (A) Meine Damen und Herren, nach wie vor herrscht in der kerungsanteile in unserem Land nachvollziehbar sein, (C) Bundeswehr ein gewaltiger Investitionsstau, ob nun bei staatspolitisch verantwortungsvoll ist das in keiner den Unterkünften, bei der Munitions- und Ersatzteilbe- Weise. vorratung, bei der persönlichen Ausrüstung, bei der Wie- (Beifall bei der AfD) dererlangung verlorener Fähigkeiten oder der Forschung in Zukunftstechnologien. All dem trägt der Haushalt 2021 Nach Carl von Clausewitz, dem großen preußischen keine Rechnung. Mit Blick auf die aktuell rasant steigen- Heeresreformer, benötigt ein Staat zwei Dinge, um nach de Staatsverschuldung stellt sich ohnehin die Frage, wie außen als Staatsindividuum handeln zu können: eine viel der künftigen Etaterhöhungen, wenn es sie denn handlungssichere Regierung und einen – ich zitiere – geben wird, für investive Ausgaben zur Verfügung steht. „Geist des Volkes, welcher diesem Ganzen Leben und Nervenkraft gibt“. Was die Bundesregierung betrifft, ist Der Erfolg bisheriger Rüstungsprojekte ist also über- in dieser Hinsicht nichts zu erwarten, und auch, was die schaubar. Parallel dazu jagt seit Jahren eine Reform des mentale und moralische Fähigkeit betrifft, sehe ich Beschaffungswesens die nächste. Wo aber bleibt die Effi- schwarz. Das eine ist die materielle und finanzielle Aus- zienzsteigerung im Beschaffungswesen? Das System ist stattung der Streitkräfte, das andere aber ist der Wehr- im Formalismus gefangen, steckt zwischen behindernder wille, der eben jenem Ganzen Leben und Nervenkraft Überregulierung, zeitraubender Bürokratie und chroni- gibt, wie Clausewitz es ausdrückte. schem Arbeitskräftemangel. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Den Einzel- (Beifall bei der AfD) plan 14 lehnen wir ab. Ein Eindruck aber bleibt hängen: Entweder das System (Beifall bei der AfD) kann sich nicht reformieren, oder es will es nicht. Die zentrale Frage ist aber: Wozu eigentlich Streitkräf- Vizepräsidentin Petra Pau: te? An der Antwort auf diese Frage scheiden sich die Das Wort hat Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU- Geister. Der zentrale Unterschied zwischen uns, der Fraktion. AfD-Fraktion, und Ihnen, den hier schon länger handel- nden Fraktionen, ist sehr deutlich: Die AfD folgt dabei (Beifall bei der CDU/CSU) einem realpolitischen Kurs. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): (Lachen bei der SPD – Tobias Pflüger [DIE Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen LINKE]: Der war gut!) und Kollegen! Herr Otten hat gerade über den Auftrag Ich kann dem Kollegen nur sagen: Auch die Reise nach der Bundeswehr gesprochen. Er ist im Grundgesetz for- (B) Moskau hat mit Realpolitik zu tun. muliert. In Artikel 87a Grundgesetz heißt es: „Der Bund (D) (Beifall bei der AfD) stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Das heißt für die Bundeswehr: Der Kernauftrag ist die (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Ja, genau!) Landesverteidigung sowie die Bündnisverteidigung. Um Dieser Kernauftrag der Bundeswehr ist seit 1956 unver- dies glaubhaft zu machen, bedarf es des Willens und der ändert, aber die Rahmenbedingungen dafür haben sich in Fähigkeit, letztendlich auch tödliche militärische Gewalt den letzten Jahren und Jahrzehnten fundamental verän- einzusetzen. Eine starke Bundeswehr dient gleichsam der dert. Technologischer Fortschritt, Digitalisierung und Verteidigung Deutschlands wie der unserer Verbündeten. globale Vernetzung führen dazu, dass unser Land wesent- Sie verdeutlicht Deutschlands Glaubwürdigkeit als lich angreifbarer und verwundbarer ist. Potenzielle Bündnispartner und untermauert die außenpolitische Angreifer zielen nicht mehr auf territorialen Raumge- Handlungsfähigkeit unseres Landes. winn wie früher, sondern es geht um die Destabilisierung unserer Gesellschaft und um unsere wirtschaftliche Auslandseinsätze sind aus unserer Sicht aber nur Schwächung. gerechtfertigt, wenn ein UN-Mandat vorliegt und ein nationales Interesse gegeben ist. Mit dem Cyberraum und dem Weltraum sind neue Gefechtsfelder hinzugekommen. Die Proliferation von (Beifall bei der AfD) Massenvernichtungswaffen und von Trägertechnologien Das ist das Leitmotiv jeder vernünftigen Nation auf die- wie zum Beispiel Raketen oder Drohnen verschieben das sem Planeten; nur in Deutschland ist die Betonung eines Verhältnis von Angriff und Verteidigung fundamental. nationalen Interesses bereits anrüchig und politisch Nachdem Herr Otten eben Clausewitz zitiert hat: Nicht höchst verdächtig. alles aus dem 19. Jahrhundert ist auf die heutige Zeit Das alles wissen Sie auch, aber aus Furcht vor der übertragbar. Clausewitz hat in seiner Abhandlung links-grün veröffentlichten Meinung schrecken Sie vor geschrieben, dass der Verteidiger im Vorteil gegenüber klaren Worten zurück und begründen die Existenz von dem Angreifer sei, weil man für die Verteidigung deutlich Streitkräften mit bedeutungslosen Phrasen und leeren weniger Mittel braucht. Das ist heute fundamental Worthülsen wie „internationale Verantwortung Deutsch- anders. Raketen, wie sie zum Beispiel in Bergkarabach lands“, „Krisenmanagement“, „humanitäre Hilfe“ oder – zum Einsatz kommen, oder Drohnen kosten Millionen, besonders beliebt – „vernetzter Ansatz“. Mit dem Kern- ein Raketenabwehrsystem kostet Milliarden. Mit dieser auftrag von Streitkräften und eines Verteidigungsbünd- Herausforderung müssen wir umgehen, wenn wir den nisses haben die Begriffe jedoch nichts zu tun. Das mag Auftrag unseres Grundgesetzes – „Der Bund stellt Streit- mit Blick auf bis zur Selbstaufgabe pazifistische Bevöl- kräfte zur Verteidigung auf“ – wirklich erfüllen wollen; Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24991

Dr. Reinhard Brandl (A) denn die Alternative – der Bund stellt Streitkräfte für das falsche Titel zum Sparen. Das BMVg hatte den Titel (C) Schaufenster auf – ist in dieser Sicherheitslage nicht ver- ursprünglich abgesenkt. Wir haben ihn wieder auf das antwortbar. alte Niveau angehoben. Ebenfalls nicht verantwortbar ist eine Strategie, die auf Drittens. Wir finanzieren das Bahnfahren in Uniform. der Annahme beruht: Na ja, im Ernstfall werden es die Das ist ein Projekt der CSU. Wir haben das damals in NATO und die USA schon richten. – Auch in den USA Seeon beschlossen und innerhalb eines Jahres umgesetzt. steigen die Verteidigungsausgaben. Auch in den USA Es wird besser genutzt, als alle gedacht haben. Die Solda- gibt es eine Coronakrise. Wir werden erleben, dass das ten nehmen es in Anspruch. Sie fahren länger, und sie Volk in den USA immer lauter fragen wird, warum sie fahren öfter. Deswegen fehlt Geld. Die 30 Millionen Geld für die Verteidigung Europas ausgeben, wenn Euro legen wir gerne drauf. Deutschland als Land, das davon profitiert, selbst nicht Meine Damen und Herren, mit dem Haushalt haben bereit ist, seine Zusagen – Stichwort 2-Prozent-Ziel – wir eine ganze Reihe von großen Rüstungsvorhaben mit- einzuhalten. finanziert, Stichwort „Mehrzweckkampfschiff“ – um (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Ob das die auch mal ein Schiff der Marine zu nennen, für meinen Frage ist?) Kollegen Gädechens –, aber auch viele gepanzerte Fahr- zeuge für das Heer, den Eurofighter, die Eurodrohne usw. Meine verehrten Damen und Herren, damit müssen wir uns befassen. Alles in allem ist das für 2021 ein guter Haushalt. Ich danke meinen Mitberichterstattern Michael Leutert, Ich mache mir, ehrlich gesagt, nicht Sorgen um die Andreas Schwarz, Tobias Lindner, Karsten Klein und Bundeswehr 2021. Ich mache mir Sorgen darüber, ob Martin Hohmann für die gute und kollegiale Zusammen- wir 2030 und in den fortfolgenden Jahren noch in der arbeit. Ich bitte Sie um Zustimmung zum Haushalt. Lage sind, unseren grundgesetzlichen Auftrag zu erfül- len; denn wenn wir das sein wollen, müssen wir heute in Herzlichen Dank. Technologien investieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die Bundeswehr ist für das Jahr 2021 mit dem vor- ordneten der SPD) liegenden Haushalt aus meiner Sicht solide finanziert. (Stephan Brandner [AfD]: Eine sehr komische Vizepräsidentin Petra Pau: Sicht!) Das Wort hat der Kollege Karsten Klein für die FDP- Das Problem ist, dass die Finanzlinie abknickt. Es gibt ein Fraktion. (B) paar Weichenstellungen, die unmittelbar bevorstehen. (Beifall bei der FDP) (D) Die erste Weichenstellung steht im Frühjahr an und betrifft das Projekt FCAS, das Future Combat Air Sys- Karsten Klein (FDP): tem. Es ist mit der jetzigen Finanzlinie nicht zu finanzie- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und ren. Dahinter steht die Frage, ob wir in Europa langfristig Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Ich will den militärischen Flugzeugbau erhalten wollen oder ob mich erst mal dem Dank des Kollegen Dr. Brandl an das wir in Zukunft unsere Flugzeuge nur noch aus den USA Ministerium, an die Mitberichterstatter, aber vor allem an kaufen. unseren Hauptberichterstatter für die sehr gute und kolle- Die zweite Weichenstellung betrifft das TLVS, das giale Zusammenarbeit anschließen. Taktische Luftverteidigungssystem. Auch hier ist die Fra- Frau Ministerin, Sie sind jetzt etwas über ein Jahr im ge, ob wir uns in Europa langfristig die Fähigkeit sichern Amt. Das ist der erste Haushalt, der Ihre Handschrift wollen, eigenständig, souverän gegen ballistische Rake- trägt. Deshalb ist dies, glaube ich, eine gute Gelegenheit, ten vorzugehen. Das ist teuer, aber wir müssen es aus eine Zwischenbilanz zu ziehen, ob Sie die Erwartungen, meiner Sicht machen; denn wenn wir diesen Weg nicht die die FDP-Fraktion in Sie gesetzt hat, die Sie aber auch gehen, werden wir bei der Entwicklung überlegener Ver- selber genährt haben, erfüllt haben. Ich will gleich vor- teidigungsfähigkeiten den Anschluss an China und die wegschicken: Für uns hat diese Bilanz Licht und USA deutlich verlieren. Das macht mir im Moment Sor- Schatten. gen. Ich will mit dem Positiven beginnen, mit dem Licht. Für 2021 sehe ich die Bundeswehr gut aufgestellt. Wir Ja, wir finden es positiv, wir unterstützen es auch, dass haben den Verteidigungshaushalt in wesentlichen Punk- Sie die Probleme der Bundeswehr klar benennen und ten noch verbessert. auch nicht den Versuch unternehmen, diese Probleme Erstens. Wir geben mehr Geld für Munition aus. Wir mit einer Kommunikationsstrategie aus der Welt zu haben in den Beratungen deutlich gesehen, dass wir weit schaffen, sondern die Probleme wirklich angehen. hinter unseren NATO-Zielen und den Vorgaben zurück- Ja, wir sehen durchaus, dass Sie einen Willen zu Ent- liegen, was die Bevorratung angeht. Wir setzen hier einen scheidungen haben, um Projekte voranzubringen. Das ist Schwerpunkt mit weit über 100 Millionen Euro. zwar erst auf den letzten Metern gelungen, Herr Kollege Zweitens. Wir geben mehr Geld für die persönliche Dr. Brandl, aber immerhin sind zwei große Projekte, der Bekleidung und die persönliche Ausstattung der Solda- Ersatz der ersten Tranche Eurofighter und die Eurodroh- tinnen und Soldaten aus. Das betrifft jeden Soldaten ne, in den Haushalt mit aufgenommen worden. Das unmittelbar; davon hat er selber was. Daher ist das der befürworten wir. Wir unterstützen auch ausdrücklich 24992 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Karsten Klein (A) Ihren vehementen Einsatz dafür, dass wir endlich eine Ich will an dieser Stelle offensiv und zugespitzt zusam- (C) Entscheidung bei der Bewaffnung unserer Drohne menfassen: Es gibt nach wie vor keine Lösung für die Heron TP erreichen. nachhaltige Finanzierung von längst überfälligen großen Investitionen. Wir sprechen von Ersatzbeschaffungen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir reden davon, dass die Bundeswehr bei Beschaffun- der CDU/CSU) gen wieder auf die Höhe der Zeit kommt. Es ist eigentlich unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von An der Stelle möchte ich noch mal einen Appell an die der Sozialdemokratie, in diesem Zusammenhang immer Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokratie richten: das Wort „Aufrüstung“ in den Mund zu nehmen. Davon Vor einem Jahr waren alle Fraktionen im Deutschen Bun- sind wir meilenweit entfernt. Es geht um Ausrüstung und destag in der Lage, über das Pro und Kontra der Bewaff- um Augenhöhe mit unseren Partnerinnen und Partnern in nung von Drohnen zu entscheiden, nur die SPD-Fraktion der NATO. nicht. Ein Jahr später und nach einer erneuten Anhörung im Verteidigungsausschuss wollen Sie uns immer noch (Beifall bei der FDP) weismachen, dass Sie nicht entscheidungsfähig sind. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Man hat Deshalb möchte ich den Bundesfinanzminister auffor- uns, dem Deutschen Bundestag, vor zwei Jahren die dern: Das Verteidigungsministerium hat die Entschei- Rücklage für Rüstungsinvestitionen als großes Lösungs- dungsgrundlage, die 25-Millionen-Euro-Vorlage, ans instrument vorgestellt. Jetzt steht die zwar formal noch Finanzministerium überstellt. Geben Sie Ihre Blockade- im Haushalt, aber hinter den Kulissen, Frau Ministerin, haltung auf! Ermöglichen Sie noch in diesem Jahr die ist uns gesagt worden, dass sie sang- und klanglos leise Zustimmung zu der Bewaffnung der Drohne, oder stim- neben diesem Haus hier, neben dem Bundestag, beerdigt men Sie diese Woche unserem Antrag zu! Wir sind es den werden soll. Deshalb erwarte ich heute von Ihnen oder Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die für uns im vom Bundesfinanzministerium eine Aussage dazu, wie Auslandseinsatz auch ihr Leben riskieren, schuldig, liebe die Zukunft der Rüstungsrücklage aussieht. Kolleginnen und Kollegen. (Otto Fricke [FDP]: Macht sie nicht!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir haben auf Ihre Zusagen vertraut. der AfD – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: FDP, die Drohnenpartei!) Zum Schluss würde ich gern für die Soldatinnen und Soldaten – – Aber, liebe Frau Ministerin, durch das Benennen der Probleme werden die Probleme natürlich noch nicht Vizepräsidentin Petra Pau: gelöst. Deshalb muss ich jetzt zum Schatten kommen. (B) Sie können gern weiterreden, tun das aber dann auf (D) Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die Bundesrepublik Kosten Ihrer Kollegin. nach wie vor ihre Versprechen an die Bündnispartner hinsichtlich der NATO-Quote nicht erfüllt. Weder nähern (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: wir uns in der mittelfristigen Finanzplanung der Quote Nein, das nicht! – Heiterkeit bei der FDP und von 1,5 Prozent an noch 2 Prozent. der CDU/CSU) Zur Wahrheit gehört auch dazu, dass wir nach wie Karsten Klein (FDP): vor – Dr. Brandl hat es selbst benannt – ein großes Pro- Dann möchte ich zum Schluss nur sagen: Wir bedan- blem bzw. einen Nachholbedarf bei Rüstungsinvestitio- ken uns noch mal bei den Soldatinnen und Soldaten für nen haben. Die Trendwende Rüstung ist in dieser Legis- ihren tollen Einsatz gerade auch in diesen Tagen, in der laturperiode gescheitert, liebe Kolleginnen und Kollegen. Coronazeit. Der Bundesrechnungshof hat just in diesen Tagen noch mal festgestellt, dass er die reibungslose Materialversor- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gung der VJTF gefährdet sieht. (Beifall bei der FDP) Zur Wahrheit gehört auch dazu, Frau Ministerin, dass große Rüstungsprojekte in diesem Haushalt nicht ab- Vizepräsidentin Petra Pau: gebildet sind. Der schwere Transporthubschrauber: Ich wiederhole mich: Die Ankündigung des letzten Entscheidung vertagt. Das Taktische Luftverteidigungs- Satzes ersetzt nicht den Schlusspunkt. Ich bitte darum, system: nicht im Haushalt abgebildet. Für den Fähigkeits- bei allen weiteren Beiträgen Danksagungen und anderes erhalt der Bundeswehr wichtige Rüstungsprojekte fehlen schon in die Redezeit entsprechend einzupreisen. – Das in diesem Haushalt. Und die Spitze des Eisbergs ist das Wort hat der Kollege Andreas Schwarz für die SPD-Frak- Projekt Pegasus. Da ist der Steuerzahler schon mit 75 Mil- tion. lionen Euro in der Pflicht, weil wir das Trägersystem, die drei Global 6000, ja praktisch schon beschafft haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aber die Mittel für das Aufklärungssystem stehen nicht der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: im Haushalt. Dafür gibt es keinen einzigen Euro. Damit Guter Mann! Er ist der Beste!) drohen schon verausgabte Mittel der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht ihrem Zweck zuzuwandern, liebe Andreas Schwarz (SPD): Kolleginnen und Kollegen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir (Beifall bei der FDP) stehen kurz vor Weihnachten, und es ist trotzdem nicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24993

Andreas Schwarz (A) alles Gold, was glänzt. Doch mit dem vorliegenden Ver- (Jan Ralf Nolte [AfD]: Die langsame Beschaf- (C) teidigungshaushalt wird es langsam etwas glänzender. fung von Drohnen!) Einige Schlagworte: Wir nehmen 47,5 Milliarden Euro in die Hand. Das ist eine Steigerung um 1,5 Milliarden dass Schiffe, U-Boote, Panzer, Flugzeuge herumstehen, Euro. Die 1,5-Prozent-Quote wird nahezu erreicht. Damit nicht repariert werden können und damit die Einsatzfä- geht ein ganz klares Signal an unsere Bündnispartner: higkeit der Truppe erheblich reduziert wird. Wenn ich Wir übernehmen Verantwortung. manchmal höre, dass lediglich 30 bis 50 Prozent des militärischen Materials einsatzbereit sind, dann empfinde 47,5 Milliarden Euro sind natürlich sehr viel Geld, und ich dies als einen unzumutbaren Zustand. dieses Geld, meine Damen und Herren und liebe Steuer- zahlerinnen und Steuerzahler, muss klug investiert wer- (Jan Ralf Nolte [AfD]: Sieben Jahre Große den. Wie in vielen Debatten in diesem Hause bereits Koalition, und nichts ist passiert!) diskutiert, warten aber immer noch Tausende von Solda- Wenn mir Kommandeure vor Ort berichten, dass selbst tinnen und Soldaten auf Grundausstattung, vom Stiefel kleine Baumaßnahmen an Bürokratie und Juristerei bis zur Schutzweste. scheitern und alles ewig lange dauert, dann müssen wir (Jan Ralf Nolte [AfD]: Auf bewaffnete Droh- uns doch alle fragen: Wo liegt der Fehler? Der liegt, nen warten sie auch!) meine Damen und Herren, wie immer im System. Der Haushaltsausschuss hat sich für 2021 vorgenommen, Wir brauchen da auch keine Gutachten mehr. Unzähli- die Beschaffungen im Grundausstattungsbereich jetzt ge Köpfe und Kommissionen haben hier schon Berichte intensiv zu fördern und auch nah zu begleiten. vorgelegt. Nicht mehr Reden, sondern Handeln ist jetzt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) angesagt. Das Kommando aus dem BMVg muss lauten: Feuer frei für Reformen! Und mehr Vertrauen in die Wir werden jedenfalls genau hinschauen, wie die Zuläufe Truppe, bitte! bei den Ausrüstungsgegenständen aussehen, und freuen uns gemeinsam mit dem Ministerium auf erfolgreiche Wir können schon mal mit dem Handgeld der Kom- Quartalsberichte. mandeure üben, die damit schnell dringend benötigte Dinge unbürokratisch vor Ort beschaffen sollen. Frau Sehr geehrte Damen und Herren, mit diesem Verteidi- Ministerin, wenn ich Ihre Worte hier richtig verstehe, gungshaushalt werden wir aber auch unserer industrie- sollten wir das gemeinsam hinbekommen. Die Unterstüt- politischen Verantwortung gerecht. Wir setzen hier klare zung der Sozialdemokratie haben Sie auf jeden Fall. Zeichen. Da ist zum Beispiel die Luftfahrtbranche, deren Zivilgeschäft ja völlig eingebrochen ist, und es wird auch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) noch Jahre dauern, bis sie wieder auf die Beine kommt. (D) Die Beschaffung der Eurofighter ist ein klares Signal an Liebe Kolleginnen und Kollegen, als letzten Punkt die Industrie. Damit wird nicht nur eine Fähigkeitslücke möchte ich auch etwas Enttäuschung darüber zum Aus- des Militärs geschlossen, es werden auch insgesamt druck bringen, dass einige durchaus wichtige Projekte im 25 000 Arbeitsplätze in unserem Land gesichert. nächsten Jahr gar nicht haushaltstechnisch berücksichtigt sind oder nur einen Platzhalter im Haushalt finden. (Beifall bei der SPD) Ich denke zum Beispiel an den schweren Transport- Ähnliche Projekte haben wir auch im Schiffsbau in der hubschrauber, bei dem die „Germanisierung“ kräftig in Pipeline. Ich erinnere zum Beispiel an das Flottendienst- die Hose ging. Dieser Hubschrauber soll Material und boot. Ich halte es für sehr wichtig, auch bei gemeinsamen Personen von A nach B transportieren. Er muss weder europäischen Rüstungsprojekten darauf zu achten, dass tauchen können, noch muss er ins Weltall fliegen. Schön Wertschöpfung und Technologiegewinn bei solchen Ko- wäre es, wenn er luftbetankt werden könnte, weil wir die operationen auch im eigenen Land ankommen. Es macht Tankflugzeuge hierfür ja schon im Zulauf haben. keinen Sinn und es ist sicherlich auch nicht gewollt, dass wir Millionen, ja sogar Milliarden Euro zur Verfügung Vor Weihnachten darf man sich ja auch etwas wün- stellen und am Ende im eigenen Land nur noch gelieferte schen: Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass das Teile zusammenschrauben. Dieser Tendenz müssen wir Flugüberwachungssystem Pegasus bereits 2021 anfinan- entgegenwirken. ziert wird. Die drei Global-6000-Flugzeuge aus Kanada – Wir müssen zudem deutsche Schlüsseltechnologien das wurde ja gerade schon erwähnt – haben wir schon weiter ausbauen und schützen. Das stärkt die militärische gekauft, die notwendige Technik, die eingebaut werden Fähigkeit unserer Truppe. KI, Cyberspace und IT sind die soll, leider erst mal nicht. Schlagworte der Zukunft. Da haben wir sicherlich noch Ich wünsche mir auch eine Entscheidung zum TLVS. Nachholbedarf bzw. sollten hier nicht den Anschluss ver- Keine Antworten sind auch Antworten. passen. Im Militärischen werden Daten zur wichtigen Munition, wenn es um Abwehr von Gefahren geht. Weitere Wünsche wären zum Beispiel Lösungen für die Themen Sturmgewehr, MANTIS-System, das Sor- Natürlich gibt es keine Rede von mir ohne die Erwäh- genkind Puma und MoGeFa. Aber daran werden wir ge- nung der drei Bs: Beschaffen, Bauen, Betreiben. In diesen meinsam in der Koalition arbeiten. Bereichen brauchen wir dringend mehr Menschenver- stand und weniger Juristerei. Wir ärgern uns auch darü- Trotz aller Kritik: Mit den deutlichen Erhöhungen der ber, dass seit Jahren die langsame Beschaffung von Ausgaben ist die Bundeswehr so solide und gut aufge- Ersatzteilen Ursache dafür ist, stellt wie schon lange nicht mehr. 24994 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Andreas Schwarz (A) Wie gesagt: Es ist noch nicht alles Gold, was glänzt. Die Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme ist (C) Aber es wird glänzender – und das nicht nur wegen des hier ebenfalls bekannt und lässt zu wünschen übrig. nahenden Festes. Es ist aber noch nicht Weihnachten – Zugleich – auch das ist hier schon angesprochen worden – auch nicht in der Truppe. werden Soldatinnen und Soldaten zur Pandemiebekämp- fung bei uns eingesetzt. Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen Beteiligten und beim Ministerium für die guten Verhandlungen. Sie Klar, dazu kann man Danke sagen. Auch ich bin dank- waren erfolgreich, und damit senden wir ein deutliches bar, dass sie in dieser Zeit bei der Pandemiebewältigung Signal an die Soldatinnen und Soldaten, dass wir für sie helfen. Aber die entscheidenden Fragen sind doch: Brau- da sind und alles tun. Ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen chen wir für diesen Dank einen 47-Milliarden-Euro- wollen wir gewährleisten. Apparat? Ist das die Kernaufgabe der Bundeswehr? – Wenn wir nur einen Bruchteil dieser Milliarden beim Dank und Weihnachtsgrüße an die Truppe, vor allen THW einsetzen würden, hätten wir den gleichen Effekt, Dingen an die, die Weihnachten nicht in unserem Land und der Dank würde jetzt eben ans THW gehen. feiern können! (Beifall bei der LINKEN) (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) Zusätzlich zu all diesen Problemen, Frau Ministerin, Denn letztendlich sind sie es, die im Ernstfall unser Land lässt Sie Ihr Koalitionspartner jetzt im Regen stehen; der und unsere Gesellschaft schützen – außen und innen, wie Wahlkampf hat begonnen. wir in Coronazeiten ja auch hautnah erleben dürfen. 2017 – ich erinnere mich noch – lehnte die SPD in der Danke schön. letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause im Wahl- kampf die Beschaffung der Drohne Heron TP ab. Mitt- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) lerweile ist die Drohne beschafft; jetzt geht es um die Bewaffnung. In der SPD wird diskutiert, ob man sie Vizepräsidentin Petra Pau: bewaffnen sollte oder nicht. Das Argument lautet „Töten Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die Frak- per Joystick“, also: Die Hemmschwelle sinkt. tion Die Linke. Ich finde, das ist ein sehr interessantes Argument, und ich kann Ihnen auch versichern, liebe Kolleginnen und (Beifall bei der LINKEN) Kollegen von der SPD: Da rennen Sie bei der Linken offene Türen ein. Michael Leutert (DIE LINKE): (B) Wenn das Argument aber stimmt, dann stellt sich die (D) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frage nach der Glaubwürdigkeit; denn dann müssten Sie Frau Ministerin, diese Bundesregierung hat zum Start existierende Waffensysteme wie zum Beispiel die Pan- dieser Koalition 2017 einen Verteidigungsetat in Höhe zerhaubitze mit einer Reichweite von 40 Kilometern von 37 Milliarden Euro übernommen, und – es ist ja oder den Raketenwerfer MARS mit einer Reichweite schon gesagt worden – nächstes Jahr stehen dafür circa von 80 Kilometern, wo man auch nicht mehr durchs Ziel- 47 Milliarden Euro zur Verfügung. Das heißt, im Laufe fernrohr schaut, sondern Zielkoordinaten hat und aufs dieser Legislaturperiode flossen knapp 10 Milliarden Knöpfchen drückt, genauso ablehnen. Euro zusätzlich in den Verteidigungsetat; das ist eine Steigerung um mehr als 26 Prozent. Es ist das alte Lied, (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: So ist es!) hier die Frage zu stellen: Was wurde mit dem Geld Mir ist auch noch nicht zu Ohren gekommen, dass Sie eigentlich gemacht? die Eurodrohne, die auf den Weg gebracht wird – und ich Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, so ist es sehr kann mir nicht vorstellen, dass die Eurodrohne unbewaff- ernüchternd. Einiges ist schon angesprochen worden: Der net sein wird –, ablehnen. Das müssten Sie jetzt ebenfalls schwere Transporthubschauer ist wegen Geldmangel tun. gestrichen, hinter dem Taktischen Luftverteidigungssys- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Da hat tem TLVS stehen drei Fragezeichen – wegen Geldman- Herr Leutert recht!) gel. Trotzdem werden neue Projekte auf den Weg gebracht, zum Beispiel das neue Kampfflugzeug FCAS. Im Übrigen: Das neue Kampfflugzeug FCAS wird zusammen mit der Atommacht Frankreich entwickelt, Der ehemalige Wehrbeauftragte – er ist uns allen ja und ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Flugzeug noch bekannt – Hans-Peter Bartels hat in einem Gast- nicht auch mit Atomwaffen bestückt werden kann. Auch kommentar in der „Neuen Zürcher Zeitung“ am das Waffensystem müssten Sie ablehnen. 18. November 2020 die Situation sehr schön zusammen- gefasst und noch mal explizit darauf hingewiesen, dass (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: selbst die Verpflichtungen, die an die NATO gemeldet Wofür sind Sie denn?) werden, derzeit schwer einzuhalten sind, nämlich „bis Wenn ihr also die Bewaffnung der Drohne ablehnt, 2023 eine voll ausgestattete Kampfbrigade“, „bis 2027 liebe SPD, dann müsst ihr auch diese Waffensysteme eine volle Division“ und „bis 2031 drei Divisionen“ auf- ablehnen. Ansonsten ist eure Ablehnung nämlich zustellen. Bartels führt weiter aus: Schon beim ersten unglaubwürdig. Schritt, bei der Ausstattung der ersten Brigade, gibt es Probleme. Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24995

Michael Leutert (A) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Die Wirkung und Impulse der Initiative Einsatzbe- (C) neten der FDP – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ reitschaft konnten den positiven Trend weiter ver- DIE GRÜNEN]: Was sollen sie denn jetzt stärken und nachhaltig ausbauen. machen? Sollen sie zustimmen?) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Bericht hat – Mit uns stimmen. aber wirklich überhaupt nichts mit dem zu tun, was ist. Er ist ein Sammelsurium von Schönfärberei, und damit Vizepräsidentin Petra Pau: ist niemandem geholfen, weder den Steuerzahlerinnen Das Wort hat Dr. Tobias Lindner für die Fraktion und Steuerzahlern noch den Soldatinnen und Soldaten, Bündnis 90/Die Grünen. liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will einfach, weil ich vorhin die 74 Prozent Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): erwähnt habe, hier noch ein weiteres Beispiel geben. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen 74 Prozent hört sich ja erst mal gut an. Da würde man und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! ja landläufig denken, wenn man es erklärt bekäme: Drei Gestern hat uns das Bundesverteidigungsministerium Viertel des Materials funktionieren. – Nun haben Sie die zumindest den offenen Teil des halbjährlichen „Berichts konkreten Zahlen, die wir jetzt bräuchten, um das zu zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensys- belegen, Geheim eingestuft; die können wir in der teme der Bundeswehr“ übersandt. Was sich hinter dem Geheimschutzstelle sehen. Deswegen will ich jetzt Zah- komplizierten Begriff „materielle Einsatzbereitschaft“ len verwenden, die öffentlich nachlesbar sind, und will es verbirgt, ist schlichtweg die Antwort auf die Frage, wie mal am Beispiel unserer Fregatten klarmachen. viele Hubschrauber fliegen, wie viele U-Boote tauchen, wie viele Schiffe fahren und wie viele Panzer am Ende Wir haben zehn Fregatten. Von diesen zehn Fregatten des Tages funktionieren. sind sechs Fregatten in einer längerfristigen Instandhal- Sie, Frau Ministerin, haben ja zu Beginn dieses Jahres tung und Reparatur; es bleiben also nach Adam Riese auf der Bundeswehrtagung in Ihrer Grundsatzrede die vier. Von diesen vier Fregatten funktionieren so drei bis Steigerung der materiellen Einsatzbereitschaft zu einem vier Fregatten. Eine normale Marinesoldatin oder ein der Kernanliegen Ihrer Amtsführung gemacht. Heute Marinesoldat käme jetzt auf die Idee: Okay, 30 bis 40 Pro- Morgen war in einem Interview mit dem Generalinspek- zent unserer Fregatten funktionieren. – Aber, meine teur der Bundeswehr zu lesen, die durchschnittliche Damen und Herren, wissen Sie, was das Verteidigungs- (B) materielle Einsatzbereitschaft liege bei 74 Prozent, und ministerium da für eine Einsatzbereitschaft meldet? 75 (D) diese Steigerung bedeute eine Verbesserung der Situation bis 100 Prozent, drei bis vier von vier. Das, meine Damen in der Bundeswehr. und Herren, hat mit Klarheit, hat mit Transparenz, aber auch mit Aufrichtigkeit gegenüber der Truppe wahrlich Lassen Sie mich, Frau Präsidentin, einen Tweet des nichts zu tun. Generalinspekteurs vom 24. September dieses Jahres zitieren, in dem er einen Teil seiner Ansprache an den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lehrgang „Generalstabs- und Admiralstabsdienst“ unse- sowie des Abg. Alexander Graf Lambsdorff rer Führungsakademie der Bundeswehr zur Verabschie- [FDP]) dung wiedergibt. Der Herr Generalinspekteur sagt darin – ich zitiere –: Am Ende des Tages, Frau Ministerin, kaschieren Sie doch mit diesem Bericht nur, was offensichtlich ist: die Schreiben Sie nicht, dass Dinge „beherrschbar“ zahlreichen Steigerungen im Verteidigungsetat. Ich bin sind, „auf der Zeitachse lösbar“ oder „alternativlos“. 2011 in dieses Hohe Haus gekommen; da waren wir Schreiben Sie auf, was ist – mit Schönfärberei hel- round about bei 30 Milliarden Euro. Seitdem ist der Ver- fen Sie niemandem weiter. Seien Sie wahrhaftig, mit teidigungsetat um mehr als 40 Prozent gestiegen. Die klarer Diktion und Sprache! zahlreichen Steigerungen dieses Etats, weitaus über Recht hat der Herr Generalinspekteur! dem Durchschnitt des Bundeshaushalts, haben die Situa- Schauen Sie jetzt in den offenen Teil des Berichts! Ich tion in der Bundeswehr bis heute lediglich teurer will Ihnen nur drei Sätze vorhalten, und Sie können sich gemacht, aber im Alltag der Soldatinnen und Soldaten alle fragen, ob diese Maßstäbe erfüllt sind. nicht verbessert. Erstes Zitat: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ziel bleibt es, konsequent den eingeschlagenen Weg Deshalb will ich auf einen zweiten Punkt eingehen, auch in 2021 weiter zu gehen und die Fülle der Maß- nämlich auf das, was vor uns liegt und was jetzt eigentlich nahmen für jeden Angehörigen der Bundeswehr Ihre Aufgabe wäre. Es ist hier ja viel über Covid-19 greifbar zu machen. gesprochen worden, verbunden mit dem berechtigten Oder – Zitat –: Dank an die Soldatinnen und Soldaten für die Amtshilfe, aber auch für den beschwerlichen Dienst in den Einsatz- Mit einer weiteren Wirkungsentfaltung des Vertra- gebieten unter Pandemiebedingungen. Aber natürlich hat ges wird im Laufe des Jahres 2021 gerechnet. diese Pandemie auch Auswirkungen auf die mittelfristig Oder – noch schöner –: verfügbaren finanziellen Mittel im Bundeshaushalt. 24996 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Dr. Tobias Lindner (A) Wer heute Morgen hier in der Elefantenrunde zugehört (Stephan Brandner [AfD]: Man kann den Euro (C) hat, hat vernommen, dass der Vorsitzende der CDU/CSU- öfter mal umdrehen, nicht nur einmal! Man Bundestagfraktion, Ralph Brinkhaus, kann ihn aber nur einmal ausgeben! Man kann jeden Euro beliebig oft umdrehen!) (Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Guter Mann!) Ich will zu einem letzten Thema kommen; das ist die Drohnendebatte. Ich war da gestern, ehrlich gesagt, über von diesem Pult aus gesagt hat: Die Union, die Große die Äußerungen von Herrn Walter-Borjans schon ver- Koalition ist für eine kurzfristige, absehbare Tilgung wundert. Ich kann die Union beruhigen: Es kommt jetzt der jetzt aufgenommenen Kredite. – Darüber kann man nicht wie bei Herrn Leutert irgendwie eine überraschen- ja unterschiedlicher Meinung sein; aber ich referiere es de, sondern eine für Sie erwartbare Rede. Wir haben eine nur. Alexander Dobrindt, der Vorsitzende der CSU-Lan- ausführliche Debatte geführt. Ich habe mir mal von mei- desgruppe hier im Deutschen Bundestag, hat sich dafür nem Büro aufschreiben lassen, welche Veranstaltungen ausgesprochen, zur Schuldenbremse des Grundgesetzes es zum Thema „Bewaffnung von Drohnen“ in diesem im Jahr 2022 zurückzukehren. Auch darüber kann man Jahr gab. Ich will da auch ausdrücklich Respekt zollen, unterschiedlicher Meinung sein und diskutieren. nicht nur dem Deutschen Bundestag, dem Verteidigungs- ausschuss, der eine öffentliche Anhörung durchgeführt Aber wenn man das mal hinnimmt und dann gleich- hat, sondern auch dem Verteidigungsministerium. zeitig sieht, dass das Verteidigungsministerium einfach nur mit dem Kopf durch die Wand will, einfach nur so Meine Damen und Herren, die Argumente in dieser tut, als würden diese Etatsteigerungen in hohem Maße Frage sind ausgetauscht. über dem Durchschnitt weitergehen, dann erkennt man: (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: So ist es!) Die komplette Planung, die Beantwortung der Frage „Was wird beschafft, was können wir beschaffen, was Man kann zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kom- ist wirklich prioritär?“ wird nach der nächsten Bundes- men. Man kann, wie ein Teil des Hauses, zu dem Ergeb- tagswahl, wer auch immer dann Verteidigungsministerin nis kommen, diese unbemannten Luftfahrzeuge bewaff- oder -minister ist, wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. nen zu müssen. Man kann, wie meine Fraktion, zu dem Das ist keine verantwortungsbewusste Sicherheitspolitik, Ergebnis kommen, das abzulehnen. Frau Kramp-Karrenbauer. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das wäre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenigstens ehrlich!) Es geht doch nicht darum, irgendwie hehre Wünsche Man kann sich gegenseitig dafür hart kritisieren und unterschiedlicher Meinung sein. Aber man kann nach (B) zu formulieren oder über Pläne im Indopazifik zu fabu- (D) lieren; es geht doch darum, gegenüber der Truppe zu dieser Debatte zu einem Ergebnis kommen. sagen, was ist, was man sich leisten kann. Dann geht es Ich finde, was nicht geht und was nicht aufrichtig ist, am Ende des Tages doch auch darum, die richtigen Prio- ist, dann wie Herr Walter-Borjans zu fordern, man ritäten zu setzen. Da bin ich, ehrlich gesagt, einer anderen bräuchte noch eine Debatte und noch eine Debatte und Auffassung als der Kollege Brandl, der hier wieder für noch eine Debatte. Meine Damen und Herren von der seinen Nachbarwahlkreis den TLVS-Werbeblock einge- Sozialdemokratie, es wäre der Zeitpunkt, sich zu beken- schoben hat. nen, ob Sie eine Bewaffnung von Drohnen unterstützen oder ob Sie sie ablehnen. Dann hätten Sie uns auf Ihrer (Zuruf von der CDU/CSU) Seite. – Ich habe nämlich dazugelernt; das letzte Mal habe ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „Wahlkreis“ gesagt. Ich bin dann aufgeklärt worden: Es ist der Nachbarwahlkreis. – Ich will ja keine Fake News Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten verbreiten. Damen und Herren, dieser Verteidigungshaushalt ist eines: Er ist groß und enthält eine Menge Geld. Aber er Ich akzeptiere: Wir brauchen eine bodengebundene enthält keine Antworten auf die Fragen, die sich die Sol- Luftverteidigung; wir haben im Moment eine, die datinnen und Soldaten in ihrem Dienst tagtäglich stellen. modernisierungsbedürftig ist. Aber wenn man dann sieht, Deswegen wird meine Fraktion diesem Haushaltsplan dass die Alternative, die hier auf dem Tisch liegt, 8 Mil- nicht zustimmen. liarden Euro kosten soll, und wir uns dann klarmachen, Ich danke. dass wir schwere Transporthubschrauber haben, die über 40 Jahre alt sind – es werden dringend neue benötigt –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dass wir Flottendienstboote haben, die wir zeitnah erset- Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Die Grünen wol- zen müssen, dass es eine Menge an Fähigkeiten gibt, bei len bloß die Drohnendebatte nicht nachher bei denen es gar nicht irgendwie um Aufrüstung, sondern sich in der schwarz-grünen Koalition haben! einfach darum geht, altes Material, das aus dem Leim Darum gehtʼs!) fliegt, durch neues, funktionierendes Material zu erset- zen, wenn man das alles sieht und die alte Wahrheit Vizepräsidentin Petra Pau: berücksichtigt, dass man den Euro nur einmal umdrehen Das Wort hat die Bundesministerin der Verteidigung, kann, dann muss man sich wirklich fragen, ob diese Koa- Annegret Kramp-Karrenbauer. lition und wo diese Koalition die richtigen Prioritäten setzt, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24997

(A) Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin (Beifall bei der CDU/CSU) (C) der Verteidigung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in Damen und Herren Abgeordnete! Wir stehen wenige diesem Haushalt für wichtige, gerade europäische Pro- Tage vor Weihnachten, und der Haushalt, der heute zur jekte die Weichen gestellt. Dazu gehören der Eurofighter, Verabschiedung ansteht, ist ein sichtbares Zeichen, unse- die Eurodrohne, der NH90. Dahinter verbergen sich für rer Truppe im Inland und im Ausland Danke schön zu viele Familien in Deutschland feste Arbeitsplätze und sagen, ihr aber nicht nur warme Worte zu geben, sondern damit auch sichere Einkommen. Es setzt ein starkes euro- auch als Haushaltsgesetzgeber deutlich zu machen: Die papolitisches Zeichen. Europa lebt eben nicht nur von der Bundeswehr ist uns wichtig, wir stehen zu ihr, wir neh- theoretischen Debatte, sondern auch davon, dass man die men auch das Geld, das wir für sie brauchen, in die Vorhaben wirklich konkret umsetzt, so wie wir das in Hand. – Dafür darf auch ich als Verteidigungsministerin unserer Ratspräsidentschaft bei der Lösung der Drittstaa- mich ganz herzlich bedanken. tenbeteiligung in der Ständigen Strukturierten Zusam- menarbeit getan haben, so wie wir es bei der Erstellung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- einer gemeinsamen Bedrohungsanalyse für den ent- ordneten der SPD) sprechenden strategischen Kompass getan haben, so wie wir kurz vor einer Lösung bei der Friedensfazilität sind Das ist gerade in Zeiten von Corona umso wichtiger, in und so wie wir, lernend aus Corona, insbesondere die Zeiten einer Pandemie, die uns alle im Griff hält und die Zusammenarbeit unserer Sanitätsdienste in ganz Europa natürlich auch die Arbeitsbedingungen bei der Bundes- verbessert haben. Das ist das Ergebnis unserer Ratspräsi- wehr selbst massiv verschärft. Das gilt für diejenigen, die dentschaft in den letzten Monaten, und darauf können wir in den Einsatz gehen – alleine zwei Wochen Quarantäne, alle gemeinsam – denn Sie haben diese Arbeit begleitet – bevor sie hineingehen, zwei Wochen Isolation und Qua- auch ein Stück stolz sein. rantäne, wenn sie zurückkommen –, das gilt für den Ein- satz im Inneren, und das gilt für die Amtshilfe. Es sind über 8 000 Kameradinnen und Kameraden, die zurzeit Vizepräsidentin Petra Pau: helfen. Weitere stehen bereit, um auch beim Impfen unter Frau Ministerin, gestatten Sie eine Frage des Abgeord- die Arme zu greifen, damit wir möglichst schnell wieder neten Neu? in einer Nach-Corona-Normalität ankommen. Auch dafür ein ganz herzliches Dankeschön an die Truppe! Sie hat Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin dieses Dankeschön wirklich verdient. der Verteidigung: Gerne. (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) Ja, dieser Bundeshaushalt ist ein starkes Signal für das nächste Jahr; er wächst. Er macht im Übrigen beim Kon- Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): junkturpaket deutlich, dass auch die Bundeswehr ihren Frau Ministerin, seit Längerem versuchen wir nun, an Teil dazu leistet, dass ebendiese Konjunktur gestützt diese sogenannte Bedrohungsanalyse, die von der EU ja wird und Arbeitsplätze erhalten bleiben. So bleiben zum beschlossen wurde, heranzukommen. Das wurde uns Beispiel auch die Arbeitsplätze im Zusammenhang mit Ihrerseits im Spätsommer auch zugesagt. Bislang haben dem Eurofighter erhalten. Das ist ein ganz wichtiger wir nichts bekommen. Könnten Sie in Ihrem Hause dafür Punkt. Aber es geht vor allen Dingen auch um die sorgen, dass wir als Parlamentarier an diese Bedrohungs- Zukunftsaufstellung. Ich bin dankbar, dass Kolleginnen analyse herankommen können, um diese zu bewerten? und Kollegen das hier angesprochen haben. Nur, sehr geehrter Herr Kollege Lindner, zur Wahrheit Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin gehört auch, dass, wenn Sie das beklagen und wenn Sie der Verteidigung: sagen: „Wir brauchen Prioritäten“, Sie dann auch so ehr- Die Bedrohungsanalyse ist zusammengefasst worden lich hätten sein müssen, zu sagen, was ich sowohl in der und jetzt auch auf europäischer Ebene abgestimmt wor- Sitzung des Verteidigungsausschusses als auch in der Sit- den. Wir werden sicherlich im nächsten Jahr Gelegenheit zung des Haushaltsausschusses angekündigt habe: dass haben, auch darüber zu reden. nämlich noch zu Beginn des Jahres, noch im nächsten (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Aber den Text Frühjahr, über all die großen Projekte genau die Debatte kriegen wir nicht! – Weitere Zurufe von der über die Priorisierung geführt wird, und zwar auf der LINKEN) Grundlage einer Matrix, die den militärischen Zweck, die die politischen Implikationen, die internationalen Meine sehr geehrten Damen und Herren – wenn ich Implikationen und auch die industriepolitischen Implika- fortfahren darf –, es ist trotzdem richtig, dass wir auch tionen deutlich macht. Dann muss entschieden werden, über die großen Fragen reden. Das haben wir in den und diese Entscheidung muss bald getroffen werden, letzten Tagen und Wochen ja auch getan, auch in Europa, weil, wie wir alle wissen, der finanzielle Spielraum in auch im Verhältnis zwischen Deutschland und Frank- der Zukunft eher eingeschränkt wird, als dass er wachsen reich. Ich darf hier vielleicht den kürzlich verstorbenen kann. Deswegen ist diese Debatte wichtig. Ich habe sie früheren französischen Staatspräsidenten Giscard d’Esta- angekündigt, ich werde sie führen, und Sie wissen genau, ing zitieren. Er hat einmal gesagt: „Mit Blick auf Ameri- dass das so ist. Es wäre eigentlich nett gewesen, wenn Sie ka herrscht zwischen Deutschland und Frankreich die das hier auch so gesagt hätten. Harmonie der Widersprüche.“ Wohl wahr. Wir sind uns 24998 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (A) aber einig: Wir brauchen beides, ein Europa, das mehr geehrten Damen und Herren, damit setzen wir fahrlässig (C) kann, und ein Amerika, das Europa verbunden ist und das Leben der Soldatinnen und Soldaten aufs Spiel, und verbunden bleibt. Dafür treten wir gemeinsam ein. ich möchte das ändern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, dazu gehört – Lassen Sie mich zum Schluss eines noch sagen: Ich lassen Sie mich das bitte sagen – eben auch, dass wir habe in den letzten Tagen viel gehört von strategischer nicht in den Fehler verfallen, zu glauben, man könnte Autonomie Europas. Ich habe gerade heute Morgen in der Ausrüstung und Abrüstung verhandeln und Diplomatie Generaldebatte gehört, man müsse den Amerikanern und militärische Stärke voneinander trennen. Beides ge- kraftvoll und selbstbewusst entgegentreten, mit ihnen hört zusammen. Das ist zumindest für mich, auch als auf Augenhöhe argumentieren und handeln. Ich kann Christdemokratin, schon immer so gewesen. Für mich Ihnen nur sagen: Die Bundeswehrsoldaten, die in Kunduz gehört es auch zur Räson deutscher Verteidigungs-, auf dem Boden gelegen haben und sehnsüchtig in den Sicherheits- und Außenpolitik dazu. Ich darf vielleicht Himmel geschaut haben, um zu schauen, wann endlich hier den ehemaligen Wehrbeauftragten zitieren, der über die Luftunterstützung der Amerikaner kommt, die haben die Kontinuität sozialdemokratischer Außenminister und nicht das Gefühl gehabt, dass wir auf Augenhöhe mit Bundeskanzler seit Willy Brandt Folgendes gesagt hat: Amerika agieren. Dafür ist noch ein weiter Weg zu gehen. Sozialdemokraten treten für wechselseitige Abrüs- tung, Vertrauensbildung und Verhandlungsdiploma- Vizepräsidentin Petra Pau: tie ein – aber doch immer aus einer Position der Frau Bundesministerin, lassen Sie eine weitere Frage Stärke heraus, nicht als Bittsteller. oder Bemerkung zu? Wer sich einmal ernsthaft mit dem Ausrüstungspro- gramm der russischen Seite befasst hat, der weiß, wovon Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin Herr Bartels redet. Deswegen müssen wir in der Tat in der Verteidigung: unsere Verteidigungsfähigkeit, insbesondere in die Zu- Diesen Weg wollen wir gehen, müssen wir gehen, und kunft investieren. dafür möchte ich gemeinsam mit Ihnen entsprechend kämpfen. Dieser Haushalt ist ein guter Schritt dazu, und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie weitere sollten folgen. bei Abgeordneten der SPD) Vielen Dank. Meine sehr geehrten Damen und Herren, dazu gehört (B) auch, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten mit dem (Beifall bei der CDU/CSU) (D) bestmöglichen Schutz versorgen. Es ist vollkommen richtig, dass gerade wir hier in Deutschland über die Vizepräsidentin Petra Pau: Bewaffnung von Drohnen, über autonome Systeme so Das Wort hat der Abgeordnete Martin Hohmann für ernsthaft debattieren, wie wir das getan haben. Es gibt die AfD-Fraktion. viele, auch ethisch begründete Argumente, die ich nicht (Beifall bei der AfD) teile und mir nicht zu eigen mache, mit denen man sich aber ernsthaft auseinandersetzen muss. Das können auch Argumente sein, die dafür sprechen, zu einem anderen Martin Hohmann (AfD): Ergebnis bei der Bewaffnung zu kommen. Aber ein Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Argument zählt nicht, und das ist das Argument, wir Kolleginnen und Kollegen! Mein Dank geht in erster hätten hier nicht ausreichend darüber debattiert. Seit Linie an den exzellenten Hauptberichterstatter Dr. Brandl, acht Jahren debattieren wir über die Bewaffnung von die Kollegen Mitberichterstatter und das Ministerium mit Drohnen. Das Bundesverteidigungsministerium hat bis seinen vorzüglichen Mitarbeitern. Nach hartem Ringen auf Punkt und Komma alles erfüllt, was die Koalitionäre liegt ein Einzelplan mit moderatem Anstieg von 45,6 von ihm in dieser Frage erwartet haben. auf 47,5 Milliarden Euro vor. Anstieg: „Ja, aber.“ Mittel- fristige Finanzplanung: Verteidigungsausgaben sinken, Ich will Ihnen und auch denen, die uns von außen Großprojekte lassen sich nicht durchhalten. Schlecht! zuschauen, ganz kurz schildern, warum wir die Bewaff- nung der Drohnen brauchen. Bei meinem Besuch in FCAS und MGCS, das neue Flugzeug und der neue Kunduz – Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus Kampfpanzer, müssen nicht nur politisch ventiliert, sie waren ja mit dabei – haben die Soldatinnen und Soldaten müssen auch bezahlt werden. Das Taktische Luftverteidi- sehr eindrücklich geschildert, wie es war, als sie einen gungssystem, anfinanziert mit 2 Millionen Euro: drin- Raketenangriff auf das Lager durchzustehen hatten, als gend notwendig. Verwirklichung: steht in den Sternen. – sie sozusagen in Deckung gegangen sind. Sie wussten Einsatzbereitschaft bei den Hauptwaffensystemen: weiter zwar, was kommt – Sie waren gewarnt, weil die Aufklä- mäßig. – Bewaffnung der Drohne? Denken wir an das rungsdrohne die Stellung gezeigt hat, von der die Rakete Karfreitagsgefecht: deutsche Soldaten im Hinterhalt, ein- abgeschossen wurde –, aber sie lagen unten und mussten gekesselt auf dem Präsentierteller. – Im 21. Jahrhundert über einen langen Zeitraum warten, bis die Unterstützung braucht es bewaffnete unbemannte Luftunterstützung. der Amerikaner aus der Luft kam, weil sie eben nicht in Aber will der Herr SPD-Chef darüber noch ein weiteres der Lage waren, diese Stellung auszuschalten, weil die Jahrzehnt palavern? Ganz schlecht. Aufklärungsdrohne nicht bewaffnet war. Meine sehr (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 24999

Martin Hohmann (A) Soldaten ohne Munition? Geht gar nicht. Im Kapi- (Beifall bei der AfD – Dr. Johann David (C) tel 1405 sind dafür 700 Millionen Euro vorgesehen: Wadephul [CDU/CSU]: Das gilt aber für alle Gut, aber nicht ausreichend. Von Munition bis zur Droh- Soldaten der Bundeswehr!) ne: Frau Ministerin, sind Sie Ihrer Verantwortung gerecht Frau Ministerin, lassen Sie sich von der Hysterie der geworden? allgemeinen Kampagne gegen rechts bitte nicht infizie- Bis jetzt habe ich vor allem nur über Zahlen gespro- ren! Verunsichern Sie diese Männer nicht! chen. Entscheidend sind aber Menschen, Soldaten; ich (Beifall bei der AfD) benutze das generische Maskulinum. Es hat sich über viele Jahrzehnte in der Haushaltsberatung – wir haben Stellen Sie nicht die politische Korrektheit über Men- es auch heute so erlebt – an dieser Stelle ein Dankesritual schenleben, über das Leben von Menschen, die von herausgebildet, dem ich mich durchaus anschließe. einem intakten KSK gerettet werden können. Bei einer Gruppe von Soldaten werden Ihre minister- Im Übrigen – frei nach Schiller –: Gewähren Sie auch iellen Dankesworte dieses Jahr wohl ein zwiespältiges diesen Staatsbürgern in Uniform Gedankenfreiheit! Echo hervorrufen: bei den Angehörigen des KSK, des Danke schön. Kommando Spezialkräfte, in Calw. In der Bundeswehr sind sie ein Leuchtturm an Kampfkraft, an universeller (Beifall bei der AfD – Tobias Pflüger [DIE Einsatzbereitschaft und an soldatischer Professionalität. LINKE]: Unglaublich! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sich mal ein bisschen schämen (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gehen!) NEN]: Jetzt sagen Sie doch mal was zu Herrn Günzel!) Vizepräsidentin Petra Pau: Die Vierertrupps des KSK können sich mit den besten Das Wort hat die Kollegin Siemtje Möller für die SPD- Soldaten der Welt messen. Natürlich gibt es in einem Fraktion. solchen Verband eine besondere Art von Kommunika- tion, von Ritualen und einen zuweilen rauen Humor. Da (Beifall bei der SPD) fliegen auch schon mal Schweineköpfe auf einer Party. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Siemtje Möller (SPD): Ach so! – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/ Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! DIE GRÜNEN]: Sind Prostituierte auch okay Für Menschen meiner Generation existiert Europa nur für Sie? Sagen Sie mal was dazu!) geeint, grenzenlos, freizügig und friedlich. Europa hat mir und mittlerweile auch meinen Kindern wie selbstver- (B) (D) Es ist eine besondere Truppe. In der muss sich jeder auf ständlich ein Aufwachsen, Arbeiten und Leben in Sicher- den anderen absolut verlassen können: heit garantiert. So viel Freiheit ist schützenswert. (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Wollen Sie das Bei all den zurzeit anscheinend verlorengehenden verharmlosen?) Gewissheiten ist doch immer noch klar: Wir wollen in Kameradschaft nicht nur emotional, sondern als Überle- Zukunft weiterhin in Frieden und Sicherheit leben, und bensvoraussetzung. dafür leistet die Bundeswehr in den Bündnissen und in den Einsätzen in und für Europa ihren Beitrag. (Beifall bei der AfD – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Eijeijei!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) Klar, wenn es strafrechtliche Verfehlungen gibt, Dieb- stahl von Waffen oder Munition, dann sind Staatsanwalt Insgesamt 3 198 Soldatinnen und Soldaten sind in den und Strafrichter gefragt. Die jetzt eingeleiteten Untersu- Einsätzen. Ich möchte als Marineberichterstatterin an chungen wegen Rechtsverdacht erweisen sich allerdings dieser Stelle meine besondere Anerkennung für unsere als völlig unverhältnismäßig. Seefahrerinnen und Seefahrer ausdrücken: sechs Monate im Einsatz, getrennt von der Familie, in Coronazeiten (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ohne Landgang. Sie haben trotz der veränderten Umstän- Die Rede geht dann auch mal an den Verfas- de und der politischen Widrigkeiten mit NATO-Bündnis- sungsschutz! – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: partnern gewissenhaft ihren Dienst getan. Und sie sind Unglaublich!) manches Mal über sich hinausgewachsen, beispielsweise Sie widersprechen in ihrer Rigorosität Ihrer ministeriel- wenn Instandsetzungspersonal eben nicht eingeschifft len Verpflichtung zur Fürsorge gegenüber diesen Unter- werden konnte und man kurzerhand, per Videokonferenz gebenen. angeleitet, den Schiffsantrieb selber instand gesetzt hat. An dieser Stelle meine ausgesprochene Wertschätzung (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Haben Sie nicht und Anerkennung dafür. mitbekommen, was da vorgegangen ist! Offen- sichtlich nicht!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Diese Kämpfer sind bereit, jederzeit für Deutschland und FDP) deutsche Interessen in den Einsatz zu gehen und ihr Mit dem Haushalt für 2021 bereiten wir uns vor auf ein Leben für andere einzusetzen. Solche Kämpfer kriegen Jahr, das hoffentlich ein besseres wird als das Jahr 2020. Sie nicht auf Knopfdruck, und die können Sie auch nicht Neben der Wiederbelebung der transatlantischen Freund- auf der Straße anwerben. schaft werden aus meiner Sicht drei Themen die sicher- 25000 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Siemtje Möller (A) heitspolitische Agenda bestimmen: die Souveränität der ckeln. Wir brauchen sie, um für die Interessen Europas (C) Europäischen Union – man kann es auch „Autonomie“, und die Sicherheit und den Frieden seiner Bürgerinnen „strategische Unabhängigkeit“ oder wie auch immer nen- und Bürger einzustehen. nen – in der Sicherheitspolitik, der mögliche, wahr- Klar: Deutschland wird, gemessen an seinem wirt- scheinliche oder etwaige Abzug aus Afghanistan und schaftlichen und internationalen Einfluss, in den komm- der Review-Prozess der NATO. enden Jahrzehnten mehr Verantwortung in der Welt über- Diese drei Themen haben gemeinsam, dass Deutsch- nehmen. Daraus folgt unmittelbar die Fragestellung, land sich über seine Rolle in der Sicherheitspolitik, über welchen Beitrag wir in der Zukunft leisten wollen, wel- seine Interessen und sein Engagement in Bündnissen und che Fähigkeiten wir nun ausbauen sollen. Ich bin über- gegenüber Partnerländern bewusst sein muss. Dann kann zeugt: Der deutsche Beitrag muss zur Stabilisierung der Deutschland sich aktiv einbringen, und dann macht unser NATO beitragen und gleichermaßen die EU starkma- Engagement einen Unterschied. chen. Nur so kann europäische Sicherheit gelingen. Klar: Das geht nur mit einem solide ausgestatteten Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns mit Haushalt, wie wir ihn vorlegen, und das geht dann auch diesem Haushalt dafür Sorge tragen, dass die Bundes- nur, wenn die Mittel zielführend eingesetzt werden: für wehr ordentlich ausgestattet ist, damit wir unseren Bei- besseres Material, für eine schnellere Instandsetzung und trag für die europäische Sicherheit leisten können. Stim- für zufriedenes und gut eingesetztes Personal. men Sie dem Verteidigungshaushalt zu! Die letzten Monate, egal ob es um den schweren Trans- Vielen Dank. porthubschrauber, die G36-Nachfolge oder die Vergabe (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) für den Tender „Donau“ ging, haben doch gezeigt, dass die Probleme im Beschaffungsprozess und in der Instand- haltung noch nicht behoben sind. Ja, bei vielen Projekten Vizepräsidentin Petra Pau: sind wir auf einem passablen Weg, oder wir sind zumin- Das Wort hat die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack- dest losgegangen. Es ist vollkommen klar, dass dieser Zimmermann für die FDP-Fraktion. Weg dennoch lang und beschwerlich sein wird und dass (Beifall bei der FDP) noch viele Verbesserungen und Veränderungen zu tätigen sind. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Aus meiner Sicht müssten wir dabei einige Dinge Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau berücksichtigen: keine neuen Trendwenden, keine voll- Ministerin! Als Sie im letzten Jahr mit Schwung Ihr (B) mundig angekündigten umfänglichen Reformprozesse, Amt angetreten haben, haben Sie Folgendes angekündigt: (D) weniger Zentralismus, mehr Nähe zur Truppe, mehr dass sich die Fürsorge gegenüber unseren Soldatinnen Nähe zum Material, weniger Prozesse nach Excel und und Soldaten auch in deren Ausrüstung widerspiegeln SASPF und mehr gesunder Menschenverstand. soll und dass Sie daher auch das Beschaffungswesen (Beifall bei der SPD – Henning Otte [CDU/ reformieren wollen. Sie haben angekündigt, dass wir CSU]: Noch mehr?) mehr internationale Verantwortung übernehmen müssen, und Sie haben angekündigt, dass die Bundeswehr in Das Desaster um den schweren Transporthubschrauber unserer Gesellschaft sichtbarer werden müsse. Bei allen zum Beispiel kann man zum Anlass nehmen, um über Punkten haben wir Ihnen unsere Zusage gegeben und pragmatische Lösungen nachzudenken, um die Truppe unsere Unterstützung zugesagt. mit essenziellen Fähigkeiten auszustatten. Warum nicht eine Kooperation mit den Niederlanden bei diesem 16 Monate später: Von einer ausreichenden materiellen Beschaffungsprojekt? Dabei hätten wir noch den wirklich Ausstattung trotz deutlich höherem Etat sind wir weit praktischen, konkreten Nebeneffekt, dass wir europä- entfernt. Nur drei Beispiele: Schwerer Transporthub- ische Sicherheit und Verteidigung gemeinschaftlich leben schrauber kommt nicht – nicht weil er zu teuer ist, son- und zeigen, dass sie möglich ist. dern weil er ständig unseren Wünschen angepasst wur- de –, die Entscheidung über den Schützenpanzer Puma Ein weiteres Projekt, das das kommende Jahrzehnt erst mal auf 2022 verschoben, und das Taktische Luftver- prägen wird, ist die Entwicklung und die Beschaffung teidigungssystem gehört eher in die Abteilung Luftetat der Eurodrohne. Seit vielen Jahren wird in Europa an als Verteidigungsetat. – Im offenen Teil des Berichts zur diversen Drohnenprojekten gearbeitet. Von Cassidians materiellen Einsatzbereitschaft lesbar und immer wieder noch unbewaffnetem Talarion über den gescheiterten von Soldatinnen und Soldaten zu hören, die sich in ihrem Euro Hawk: Nun wird das nächste Drohnenprojekt, die Frust an uns, das Parlament, wenden. Beispielhaft ein Eurodrohne, entwickelt, und sie soll 2025 zum ersten Mal Zitat eines Stabsfeldwebels: Es fehlt überall an funktion- fliegen. Mit diesem Projekt sichern wir nicht nur den ierender und moderner Ausrüstung. Ankündigungen sieht Hochtechnologiestandort Deutschland. Sie sehen, liebe und liest man dauernd. Faktisch kommt aber kaum was in Kolleginnen und Kollegen, wir bereiten uns auch vor der Truppe an. auf die Herausforderungen, die vor uns liegen. Meine Damen und Herren, das ist die militärische Rea- Um europäische Souveränität und Sicherheit zu lität im fünften Jahr der berühmten Trendwenden unter gewährleisten, brauchen wir Projekte wie FCAS, Eurod- ministerieller CDU-Verantwortung. Als ob es nicht für rohne oder auch die U-Boote der Klasse 212 CD. Wir die Truppe belastend genug wäre, springt gestern der brauchen diese Fähigkeiten, und wir müssen sie entwi- SPD-Vorsitzende Walter-Borjans aus der sozialdemokra- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25001

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) tischen Wohlfühltorte und begräbt die für den Schutz Eine Armee ist bewaffnet, in der Tat. Und diese Waf- (C) unserer Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten fensysteme müssen industriell hergestellt werden, damit dringend benötigte Anschaffung der Bewaffnung von sie im Ernstfall unsere Freiheit verteidigen kann. Drohnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE der CDU/CSU und der AfD) LINKE]) Und wenn Sie diesen Unternehmen den Zugang zu Frau Ministerin, für diesen Auftritt können Sie nichts. Finanzmitteln schier unmöglich machen, dann mögen Aber als Noch-CDU-Vorsitzende hätten wir von Ihnen Sie sich moralisch richtig gut fühlen. Aber das ist nicht persönlich darauf schon gestern eine deutliche Antwort der Gegensatz zu Nachhaltigkeit, sondern das bedingt erwartet; denn eine solche Geisteshaltung Ihres Koali- einander. tionspartners darf man nicht aussitzen; Frau Ministerin, abschließend. Sie haben der Bevölke- (Zuruf der Abg. Siemtje Möller [SPD]) rung unbequeme Wahrheiten sagen wollen, und das ge- hört eben dazu, heute, jetzt vor laufender Kamera: Sicher- denn wes Geistes Kinder in der SPD inzwischen offen- heit und Frieden, meine Damen und Herren – besonders sichtlich eine Mehrheit haben, zeigt der Tweet der SPD- Letzteres wird ja in der Weihnachtszeit oft genannt –, gibt Kollegin Hilde Mattheis. es nicht umsonst. Sicherheit und Frieden, die Menschen (Beifall bei Abgeordneten der FDP) zu schützen, kostet sehr viel Geld. Das Land zu schützen, Sie bedankt sich dafür in weihnachtlicher Vorfreude mit kostet sehr viel Geld. Diesen Kontinent zu schützen, kos- der Aussage – ich zitiere –: tet sehr viel Geld, weil Freiheit etwas nicht Selbstvers- tändliches ist. Sie muss geschützt werden, und es müssen Auch wenn #AKK sich das so vorstellt, ein schnel- der Wille und auch die Mittel da sein, diese Freiheit letzt- les Durchdrücken des automatisierten Tötens im endlich zu verteidigen. Das ist unsere Aufgabe. Und Ihre Bundestag kurz vor dem Fest der Liebe wird es Aufgabe, Frau Ministerin, ist es, dafür Sorge zu tragen, mit der #SPD nicht geben! Und danach auch nicht! dass diese Haushaltsmittel in Form von schneller Be- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und schaffung die Truppe auch erreichen. Das schulden wir, der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) das schulden Sie unseren Soldatinnen und Soldaten, übri- gens nicht nur zur Weihnachtszeit. Was für eine Tonalität: automatisiertes Töten. Ich weiß ja nicht, Frau Mattheis, was Sie nachts für Videos angu- Vielen Dank. cken – (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) (Heiterkeit bei der FDP) der AfD) (D) es ist respektlos der Bundeswehr gegenüber, die in Ver- antwortung handelt. Das ist die Bundeswehr, die Sie von Vizepräsidentin Petra Pau: morgens bis abends rufen, wenn bei Corona die Hütte Das Wort hat der Kollege Tobias Pflüger für die Frak- brennt. tion Die Linke. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU und der AfD – Zuruf von der LINKEN: Hören Sie doch auf!) Tobias Pflüger (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, das kostenlose Bahnfahren der Solda- Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich möchte zuerst tinnen und Soldaten in Uniform, um sie im wahrsten eine Vorbemerkung machen, weil mich das hier schon Sinne des Wortes sichtbar zu machen, haben Sie beim ziemlich geärgert hat. Es gibt offensichtlich neonazisti- Finanzminister durchgesetzt. Das ist sehr erfreulich – sche, rechtsextremistische Aktivitäten insbesondere beim und die Erhöhung des Ansatzes auch. Gleichzeitig aber Kommando Spezialkräfte. Es ist einfach geschichtsver- haben Sie zugelassen, dass die Bundesregierung in ihren gessen – das wundert mich bei Ihnen überhaupt nicht –, Richtlinien für sogenannte grüne Wertanleihen die Ver- so zu tun, als ob es nicht notwendig wäre, etwas dagegen teidigung auf eine Stufe mit Tabak, Alkohol und Glücks- zu tun. Es ist richtig, dass das Ministerium tatsächlich spiel setzt. Meine Damen und Herren, die Bundesregie- dagegen auch vorgegangen ist. Wir würden uns wün- rung lässt auf fatale Weise zu, dass alle mit Sicherheit und schen, dass mehr gegen diese rechtsextremistischen Akti- Verteidigung verbundenen Wirtschaftsbereiche als nicht vitäten vorgegangen wird. nachhaltige Investments gelten. (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Aber hier so zu tun, als ob das unnötig wäre, ist nichts – Wie absurd ist das? Alles Nachhaltige – schreiben Sie anderes als die Fortsetzung Ihrer geschichtsrevisionisti- es sich hinter Ihre linken Löffel – schen Politik, die Sie schon immer betrieben haben. (Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordne- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Da sind ten der SPD) Sie Experte für! Das ist gut!) ist ohne sicheres Umfeld eben nicht umsetzbar. Wir haben hier einen Militärhaushalt vorliegen, der (Zuruf von der LINKEN: Schauen Sie sich mal höchste Militärhaushalt, den diese Republik jemals hatte. Ihre Löffel an!) Er wird vorgelegt in Zeiten der Pandemie. Wir halten das 25002 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Tobias Pflüger (A) für eine völlig falsche Prioritätensetzung. Notwendiger (Stephan Brandner [AfD]: Die NVA!) (C) als dieser Aufrüstungshaushalt sind Abrüstung und eine Es ist richtig, hier die Militärausgaben deutlich zu redu- vernünftige Finanzierung zum Beispiel des Gesundheits- zieren. bereiches mit mehr Beschäftigten dort. Ja, es ist ein Auf- rüstungshaushalt, und den lehnen wir klipp und klar ab. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon interes- Lambsdorff [FDP]: Wie die Bundeswehr insge- sant, wer sich da jetzt alles zusammenfindet. samt!) (Stephan Brandner [AfD]: Erzählen Sie es Ich will Ihnen einmal beschreiben, warum es ein Auf- uns!) rüstungshaushalt ist. 46,8 Milliarden Euro werden einge- Jetzt ist es so, dass sich offensichtlich die Grünen ganz setzt, nach NATO-Kriterien 53,1 Milliarden Euro; im offiziell quasi an der ganz großen Koalition der Aufrüs- Übrigen ein Gesamthaushalt, der größer ist als der tung beteiligen. Gesundheits- und der Bildungsbereich zusammen – sehr bezeichnend. Es gibt dort eine ganze Reihe von Beschaf- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Aha!) fungsprojekten, die die Ministerin auch konkret benannt Es soll mehr Geld in Rüstung, es soll mehr Geld in die hat: 5,4 Milliarden Euro für den Eurofighter, für den Bundeswehr und in europäische Militärstrukturen NH90-Sea-Tiger-Hubschrauber 2,3 Milliarden Euro, gesteckt werden. und Sie haben im Haushalt die Eurodrohne eingepflegt. Für mich ganz interessant: Diese Eurodrohne ist von (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anfang an bewaffnet geplant, und offensichtlich ist sie NEN]: Womit belegen Sie denn das? Wer sagt in diesem Haushalt kein Problem. Sie haben die Gelder denn das?) dafür von 40 auf 232 Millionen Euro erhöht. Interessant Das bedauern wir ausdrücklich. Aber es ist nicht ganz ist auch, was Sie gekürzt haben, nämlich die Zulage für untypisch. Wir sagen: Genau diese Aufrüstung soll es Sozialleistungen für Soldaten in Höhe von 145 Millionen nicht weiter geben. Euro. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Wahl- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha!) kampf ist nächstes Jahr!) Das zeigt auch, wo die Prioritäten tatsächlich sind. Sie Und wir bedauern ausdrücklich, wenn die Grünen dage- sagen immer, man würde quasi etwas für die Soldatinnen gen nicht mehr weiter opponieren. Wir sagen: Das ist und Soldaten machen. Offensichtlich geht es Ihnen vor dringend notwendig. allem darum, Rüstungsprojekte zu finanzieren. Und das (B) lehnen wir klipp und klar ab. Ein Wort zu der Debatte um die Kampfdrohnen, weil (D) immer so getan wird, es würde hier ausschließlich um (Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf eine Bewaffnung und den Schutz der Soldaten gehen. Lambsdorff [FDP]: Wie die Bundeswehr insge- Es geht darum: Es sind Kampfdrohnen, und es sollen samt!) damit Gegnerinnen und Gegner ausgeschaltet werden – – Auch das ist eine gewisse Leier, die Sie da immer auch ein Grund, warum wir diese Kampfdrohnen klipp wieder bringen. und klar ablehnen. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Die auch (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Die Geg- immer wieder stimmt!) ner, die unsere Soldaten angreifen! Abstruser Ich glaube, das wird nicht besser, wenn Sie die immer Vortrag!) wiederholen. Und wenn das jetzt nicht entschieden wird, ist das gut. In den 16 Jahren, die es diese Koalition gibt, Wir begrüßen das ausdrücklich. Es ist nicht so, dass es Kritik daran geben sollte, dass das Ganze quasi nicht (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE entschieden wird. GRÜNEN]: Was?) Wir lehnen diesen Aufrüstungshaushalt ab. sind wir inzwischen bei fast 53 Milliarden Euro ange- kommen; 2005 gab es einen Haushalt von 23,03 Milliar- Ich bedanke mich. den Euro. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens (Stephan Brandner [AfD]: Welche Koalition [CDU/CSU]: Da hat er aber einen Zuschlag gibt es seit 16 Jahren?) gekriegt!) Ich kann nur klipp und klar sagen: Was wir hier haben, ist eine Aufrüstungskoalition. Vizepräsidentin Petra Pau: Um das zu erklären: Er hat keinen Zuschlag bekom- (Stephan Brandner [AfD]: Ich kenne keine men, sondern der Kollege Leutert hat schlicht eine Minu- Koalition seit 16 Jahren!) te weniger geredet, als angezeigt war. Und wir stehen gegen diese Aufrüstung. Wir wollen nicht, dass diese Gelder, insbesondere in einer Pandemie, (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist in diesen Militärbereich fließen. Wir sagen: Es ist Zeit sozialistische Solidarität!) abzurüsten, statt aufzurüsten, so wie es die Friedensbe- Die Aufgabe ist hier vorne dann, das entsprechend zu wegung bei ihrem Aktionstag jetzt formuliert hat. protokollieren. Das ist also auch nachprüfbar. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25003

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir fahren fort in der Debatte. Das Wort hat der Kolle- in klimatisch-politisch herausfordernder Lage stationiert. (C) ge Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion. Sie sind Teil eines Bündnisses in Westafrika, wo es darum geht, durch internationale Bemühungen Stabilität (Beifall bei der CDU/CSU) zu erreichen.

Henning Otte (CDU/CSU): In einsatzgleichen Verpflichtungen in den baltischen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Ländern unterstützen die Soldatinnen und Soldaten Frie- Damen und Herren! Da muss man ja mal die Kamerad- den und Freiheit, indem sie eine klare Botschaft entsen- schaft bei der Fraktion Die Linke loben, wenn der Herr den, nämlich: Niemand sollte sich mit einem NATO-Mit- Leutert Zeit abgibt, damit der Kollege Pflüger mehr reden glied anlegen; denn damit legt man sich mit vielen kann. NATO-Mitgliedern an. – Deutschland wird 2023 Füh- rungsverantwortung übernehmen bei der schnellen (Stephan Brandner [AfD]: Solidarität! – Stefan Speerspitze, der VJTF. Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist In diesen Tagen sehen wir alle, dass die Soldatinnen Umverteilung!) und Soldaten bereit sind, auch im Inland einen Dienst zu Aber was der Kollege Pflüger daraus gemacht hat, ist ja leisten, nämlich den hervorragenden Dienst im Kampf das Schwierige. gegen Corona. Die Bundeswehr stellt Transportflugzeuge (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Alles zur Verfügung mit Intensivbetten sowie Ärzte und Pfle- schon gehört!) gepersonal, stellt in den Landkreisen zusätzliche Kräfte für die Nachverfolgung von Infektionsketten, unterstützt Er hat ja kein neues Argument gebracht, sondern er hat Menschen, lagert und verteilt demnächst Impfstoffe. Auf sich am Ende immer nur wiederholt und „Aufrüstung, diese Bundeswehr, meine Damen und Herren, ist Verlass, Aufrüstung, Aufrüstung“ gesagt. und deswegen hat sie es nicht nur auch verdient, dass man (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: So ist es doch!) ihr dankt, sondern auch, dass wir bereit sind, dieses Geld für die Truppe auszugeben. Herzlichen Dank dafür! Das ist so wie mit der AfD. Die sprechen nur über Migra- tion. Sie haben nur ein einziges Thema, „one single (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- point“. Deswegen sitzen Sie ja auch hier an den Rändern. ordneten der SPD) Wir wollen in der Mitte dafür sorgen, dass es Deutschland Aber der Kampf gegen Corona ist nicht der Kernauf- und den Menschen gut geht, und das ist der Unterschied, trag; sondern der Kernauftrag ist, zu verteidigen, für meine Damen und Herren. unser Land einzustehen: für die Werte, für die Sicherheit und für die Freiheit. Russland und China dagegen sind (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) ordneten der FDP) permanent dabei, unsere freiheitliche Ordnung zu desta- bilisieren oder zumindest infrage zu stellen. Deswegen Dass es den Menschen gut geht, auch in der Bundes- stehen wir zu diesen systemischen Herausforderungen. wehr, also den zivilen und militärischen Mitarbeitern, Wir müssen die Resilienz erhöhen und auch den Zusam- liegt auch daran, dass wir für 2021 eben einen guten menhalt in der Gesellschaft. Haushalt aufgestellt haben, nämlich mit 46,9 Milliarden Euro. Wir sind dafür und bereit, dieses Geld zu investie- Als Nachbar und Partner muss man bereit sein, ver- ren in die Sicherheit unseres Landes und ganz bewusst lässlich zu sein. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass auch in die Ausrüstung. wir einen Beitrag leisten, substanziell auch für die Gemeinschaft. Die Bundeswehr muss weiter den erfolg- Wir haben in den letzten vier Jahren eine Steigerung reichen Weg der Digitalisierung gehen, moderner wer- um 10 Milliarden Euro, über 30 Prozent mehr. Das ist ein den, die Kampfkraft erhöhen, und zwar in allen Dimen- gutes Signal. Es gibt beispielsweise 1 000 neue militär- sionen. Hier ist viel über Marine, hier ist viel über Luft ische Planstellen und 1 600 neue zivile Stellen. Das ist gesprochen worden. Auch zu Land, für das Deutsche eine verantwortungsvolle Politik. Dafür gilt mein Dank Heer, müssen wir bereit sein, etwas zu geben, aber auch den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschus- im All und im Cyberraum – 7/24/365. ses, der Koalition und vor allem unserer Bundesministe- (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE rin der Verteidigung, die deutlich gemacht hat, dass wir dieses Geld brauchen. Dass wir dieses Geld haben, ist GRÜNEN]: Ist das Ihre Telefonnummer?) auch Ihnen zu verdanken. Herzlichen Dank, liebe Frau Dazu gehört aber auch, dass wir das notwendige Gerät Ministerin! zur Verfügung stellen, und deswegen danke ich der Ministerin für das klare Plädoyer für die bewaffnete (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drohne. Ich danke auch der Wehrbeauftragten sehr herz- 46,9 Milliarden Euro sind gut angelegt in die Garantie lich, die deutlich gemacht hat: Wir können diese Schutz- für Frieden und für Freiheit in einer Welt, die zunehmend komponente unseren Soldatinnen und Soldaten nicht ver- unsicherer wird. Deswegen hat die Bundeswehr auch den wehren. – Und auch Frau Möller hat gesagt: Die Truppe Auftrag, auf das Unvorhergesehene vorbereitet zu sein. muss ordentlich ausgestattet werden. – Damit meint sie Es wird mehr verlangt von der Truppe. sicherlich nicht nur die Finanzen, sondern auch die mater- In Afghanistan ist sie seit den Anschlägen des 11. Sep- ielle Ausstattung. tember 2001 und hat einen ganz wesentlichen Beitrag 3 Milliarden Euro bräuchten wir eigentlich stetig jedes dazu geleistet, dass eben von dort kein Terror mehr aus- Jahr mehr; denn allein 1 Milliarde Euro ginge schon drauf gehen kann. In Mali sind 1 200 Soldatinnen und Soldaten für Inflation und für notwendige Steigerungen im Perso- 25004 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Henning Otte (A) nalkörper. Diese Leier von „Aufrüstung, Aufrüstung, Spezialkräfte der norwegischen Armee. Vielleicht wird (C) Aufrüstung“, die von Herrn Pflüger hier immer kommt, dann Ihr archaisches Bild, das Sie gerade produziert habe ich ja bereits kommentiert. 10 Prozent der Fähigkei- haben, doch etwas sehr stark korrigiert und vielleicht in ten in der NATO müssen wir bereit sein zu stellen. Des- die richtige Richtung verschoben. wegen ist es richtig, die Debatte um die 2 Prozent wei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ terzuführen, um deutlich zu machen: Wir sind verlässlich, DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ingo meine Damen und Herren. Gädechens [CDU/CSU]) Aber der mittelfristige Finanzplan zeigt diese Richtung Herr Klein, Herr Lindner und Frau Strack- noch nicht auf. Da gibt es unsichere Faktoren. Es ist Zimmermann, ich gebe Ihnen dann mal die Telefonnum- beeindruckend – das ist bereits angesprochen worden –, mer – Ihnen von der AfD gebe ich sie nicht – der Zentrale in welcher Detailkenntnis Kollege Leutert hier vorgegan- des Willy-Brandt-Hauses. gen ist. Er sagte, dass das Geld eben nicht hinterlegt ist beim Taktischen Luftverteidigungssystem, beim schwe- (Stephan Brandner [AfD]: Ich will diese Tele- ren Transporthubschrauber oder bei FCAS. Nur die Kon- fonnummer überhaupt nicht! Was soll ich denn sequenz müsste dann sein, dass wir bereit sind, mehr Geld damit?) zu hinterlegen. Diesen Weg müssen wir erfolgreich wei- Da können Sie anrufen und noch mal sagen, was Sie hier tergehen, um zum Beispiel auch das zweite Los für den gesagt haben. Das würde vielleicht helfen. Puma unterzubringen. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Marie-Agnes Es war der scheidende US-Präsident Trump, der ange- Strack-Zimmermann [FDP]: Oh, das ist ja ein kündigt hat, 12 000 amerikanische Soldatinnen und Sol- Kompliment, lieber Kollege! Frohe Weihnach- daten aus Deutschland abzuziehen. Das war strategisch ten!) wohl nicht richtig überdacht. Es war zumindest nicht abgesprochen und auch nicht gerade diplomatisch. Aber – Ich meine Sie. Ihnen würde es helfen. es gibt ein Signal vom US-Kongress, zu sagen: Diese (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Entscheidung muss daran gemessen werden, ob sie den Nee! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, USA und eigentlich auch der NATO strategisch einen der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Vorteil bringt. – Dieses Signal müssen wir aufnehmen. SES 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen Verlässlichkeit zeigen; denn wir wollen ein besseres transatlantisches Verhältnis haben. Dazu müssen Herr Pflüger und Herr Leutert, es gibt einen Punkt, der wir deutlich machen: Wir begrüßen den Weg von Joe mir aufgefallen ist. Beim Thema Drohnen, Herr Leutert, Biden, wieder mehr multilaterales Miteinander in den sind Sie entweder dafür, dass die sofort bewaffnet wer- (B) (D) Vordergrund zu stellen. den, oder Sie sind dafür, dass die Bundeswehr weitge- hend entwaffnet wird; so habe ich den Herrn Pflüger Wir sehen diese Chance. Wir wollen die Verpflichtung auch verstanden. Ich vermute mal, Sie sind für die Ent- eingehen. Wir wollen investieren in gemeinsame Vertei- waffnung der Bundeswehr; denn sonst wäre Ihr Beitrag digung als Teil der NATO, für Frieden und Freiheit, für nicht richtig zu verstehen gewesen. Aber wir werden ein starkes Deutschland in einem vereinten und friedli- sehen. chen Europa. Dazu müssen wir bereit sein Geld zu inves- Der zweite Punkt: Es war mir bis jetzt nicht bewusst, tieren. Die CDU/CSU und auch die Koalition ist bereit, dass das THW eine eigene Sanitätsabteilung hat. Ich glau- dieses Geld zur Verfügung zu stellen. Herzlichen Dank be auch nicht, dass es eine bekommen wird. Das führt dafür! Es ist gut investiertes Geld. mich zu dem Punkt, den ich auch in den Mittelpunkt Danke schön. stellen möchte: Die Leistungen unserer Soldatinnen und (Beifall bei der CDU/CSU) Soldaten in dieser Coronapandemie, in dieser Krise sind vorbildlich.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Christian Sauter [FDP] und Dr. Tobias Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Wolfgang Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Hellmich das Wort. Mehr als 5 000 von ihnen helfen unserer ganzen Gesell- (Beifall bei der SPD – Ingo Gädechens [CDU/ schaft, diese Krise zu bewältigen. In den Gesundheits- CSU]: Der hat gerade mit Herrn Walter-Bor- ämtern vor Ort, auch in meinem eigenen Gesundheitsamt, jans telefoniert! – Heiterkeit) wäre die Arbeit schon vielfach zusammengebrochen, wenn sie nicht die Aufgabe der Nachverfolgung von Wolfgang Hellmich (SPD): Infektionsketten und viele andere Aufgaben übernom- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! men hätten. Und dafür möchte ich ihnen hier von ganzem Sehr geehrte Damen und Herren! Ich nutze mal die Herzen danken. 40 Sekunden, die die Kollegin Möller mir gerade Ich begrüße es sehr, dass die Bundeswehr im Zuge der geschenkt hat, wie ich gehört habe, um auf die eine Amtshilfe die Lagerung von Impfstoff vornehmen oder oder andere Frage einzugehen. unter der Führung durch die Sanität Impfzentren für Herr Hohmann, ich würde Ihnen vielleicht einen Tipp 18 000 Impfungen pro Tag aufbauen will – so habe ich geben: Statt nach Moskau zu Herrn Putin zu fahren, fah- es heute Morgen gelesen. Aber dies geschieht, wie ge- ren Sie nach Norwegen, und besuchen Sie die weiblichen sagt – und das ist richtig –, in Form der Amtshilfe; denn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25005

Wolfgang Hellmich (A) der Kernauftrag der Bundeswehr – das ist schon bemerkt technische Einrichtungen verfügt. Diese Fähigkeiten (C) worden –, das sind die Landes- und Bündnisverteidigung, können in einer Krisensituation wie jetzt mobilisiert wer- die Stabilisierungs- und Friedensmissionen. Und dafür den. Und in einer gesamtstaatlichen Sicherheitsarchitek- gilt es der Bundeswehr die nötige Ausstattung, eine tur wird die Bundeswehr auch in Zukunft eine zentrale 100-Prozent-Ausstattung, zur Verfügung zu stellen, die und wachsende Rolle innehaben. Es geht nicht nur um sie dringend nötig hat. Es ist auch über das Geld, das da eine Rückfallposition, sondern auch um einen aktiven ist, gesprochen worden. Bestandteil einer solchen Sicherheitsarchitektur. Dies Ich möchte der Sanität der Bundeswehr danken, die wird sich in zukünftigen Haushalten abbilden müssen. vielen erkrankten Menschen in ihren Einrichtungen das Ich will den Begriff der gesamtstaatlichen Sicherheits- Leben gerettet hat. Und die Sanität hat es auch geschafft, architektur noch in einem anderen Zusammenhang auf- die Ausbildung und Anleitung der Soldatinnen und Sol- nehmen. Das Thema des Cyber- und Informationsraums daten zur Erfüllung der Aufgaben in den Gesundheits- und des Agierens der Bundeswehr in diesem Raum ist ämtern von der Unterweisung in persönlicher Form auf hier auch schon genannt worden. Es wird eine Zukunfts- eine digitale Form im San-Netz umzustellen, und das in aufgabe sein, nicht nach der alten preußischen Heeres- kürzester Zeit. Das war sehr hilfreich und ist ein Beispiel ordnung alle Einheiten getrennt zu unterhalten und agie- dafür, wie die Digitalisierung insgesamt der Bundeswehr ren zu lassen. Wir werden dort wesentlich moderner beim praktischen Vollzug ihrer Aufgaben helfen kann. werden müssen; wir werden die Kräfte im Cyber- und Dass mit der „Berlin“ das erste Schiff weltweit Coro- Informationsraum zusammenführen müssen. Hybride natests an Bord ermöglicht hat, ist dem Zusammenwirken Formen des Austragens von Konflikten unterhalb der von Marine und Sanität zu verdanken. Die Bundeswehr Schwelle des Artikels 5 des NATO-Vertrages bestimmen macht praktisch vor, was die Menschen leisten können, schon jetzt die Auseinandersetzungen im Internet und im wenn sie über Grenzen hinweg zusammenarbeiten. Das Cyberspace. war ein Kernsatz, den ich heute Morgen auch schon mal Der Wettbewerb um die Technologierführerschaft ist gehört habe. ein Wettbewerb, an dem wir selber uns beteiligen müs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sen, für den wir entwickeln müssen, für den wir auch der CDU/CSU) Geld einsetzen müssen. China liegt da weit vorne. Es hat den ersten Satelliten mit der entsprechenden Quanten- Die Bundeswehr stand und steht vor der Herausforde- technologie in den Orbit gebracht. Davon sind wir weit rung, unter den Bedingungen der Pandemie ihre Einsatz- entfernt. fähigkeit, den inneren Betrieb, die Ausbildung zu sichern. Das ist unter großen Mühen auch gelungen. Dabei ist zum Forschung und Entwicklungen in der Kryptografie ver- (B) Beispiel den Soldatinnen und Soldaten, die wochenlang setzen uns nicht nur in die Lage, andere Kräfte zu ent- (D) ihre Schiffe nicht verlassen konnten, und gerade auch schlüsseln, sondern auch, uns selbst vor der Entschlüsse- ihren Familien sehr viel abverlangt worden. Hochachtung lung zu schützen. Die Stärkung eigener Resilienz und die vor dieser Leistung! Gewinnung von Souveränität, von der wir immer so viel sprechen, setzen eben voraus, immer ein Stück besser als (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) andere zu sein. Auch das ist eine Zukunftsaufgabe, die in Gelungen ist dies nur, weil alle in Erfüllung ihrer diesem Bundeshaushalt angelegt ist. Die Themen des Pflichten ihren Beitrag dazu geleistet haben, weil vor Cyberraumes und der Digitalisierung liegen eigentlich Ort in den Kasernen und auf den Schiffen pragmatische über allem drüber. Lösungen gefunden wurden. Es gilt der alte Satz, den wir Ich denke, um die zentralen Aufgaben, die sich in immer wieder hören: Wir schaffen das. – Hier müsste es diesem Bundeshaushalt abbilden und in die Zukunft ent- heißen: Wir organisieren das. – Die Fähigkeiten wurden wickelt werden, anzugehen, bedarf es unser aller kon- vor Ort unter Beweis gestellt. Aber es sind auch Probleme zentrierten Arbeit und zuallererst der Beschlussfassung daraus erwachsen, die in Kürze abgearbeitet werden müs- und der Unterstützung dieses Haushaltes, weil in ihm sen: ausgefallene Qualifizierungen und Auswahlkonfe- viele Elemente enthalten sind, mit denen die Bundeswehr renzen, die auch beförderungsrelevant sind, Verschiebun- Zukunft gewinnt. gen in der Grundausbildung. Dafür braucht es pragmatische Lösungen durch das BMVg, und das in kürzester Zeit. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Hellmich, nun müssen Sie trotzdem zum Liebe Kolleginnen und Kollegen, etliche Aufgaben für Schluss kommen. die Zukunft bleiben zu erledigen. Wir brauchen das Üben und Trainieren der staatlichen Institutionen über ihre Grenzen hinweg, um in Zukunft mit solchen Krisen fer- Wolfgang Hellmich (SPD): tigzuwerden. Abläufe müssen standardisiert werden, Danke, Frau Präsidentin. technische Geräte zum Beispiel für den reibungslosen (Beifall bei der SPD – Siemtje Möller [SPD]: und bruchlosen Transport von erkrankten Menschen Maske!) über Ländergrenzen hinweg müssen beschafft und unter- halten werden, auch die Bevorratung von Material ist nötig. Hier bietet sich die Bundeswehr an, da sie, wie Vizepräsidentin Petra Pau: gesagt, über die nötigen Fähigkeiten, über das bundes- Für die CDU/CSU hat jetzt die Kollegin Kerstin weite Netz der zivil-militärischen Zusammenarbeit wie Vieregge das Wort. 25006 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Vizepräsidentin Petra Pau (A) (Beifall bei der CDU/CSU) Selbstverständlich gehören administrative Aufgaben zu (C) jeder Armee und erst recht zu einer Friedensarmee. Kerstin Vieregge (CDU/CSU): Doch das, was wir gern „Berufszufriedenheit“ nennen, Frau Bundestagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und entsteht bei den Männern und Frauen unserer Streitkräfte Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem nun derzeitig nur bedingt. Und daran müssen wir weiter- zur Beschlussfassung vorliegenden Haushalt für das arbeiten. Jahr 2021 wird die Grundlage für die Verteidigungspoli- In den letzten Jahren wurde zu Recht viel für die tik unseres Landes in den 20er-Jahren gelegt. Dabei han- Attraktivität des Dienstes getan. delt es sich um keine einfache Aufgabe; denn natürlich steht der Bundeshaushalt 2021 ganz im Zeichen der Be- Positiv hervorheben möchte ich das kostenfreie Bahn- wältigung der Coronapandemie. Dem muss also auch der fahren für Soldatinnen und Soldaten in Uniform. Das war Einzelplan 14, dem muss die Bundeswehr, dem muss die ein exzellenter Vorschlag der CSU. Streitkräfteplanung Rechnung tragen, und zwar nicht nur im Jahr 2021, sondern vermutlich deutlich darüber (Beifall bei der CDU/CSU) hinaus. Ich halte dies für eine der besten Maßnahmen, um einer- Vor einigen Wochen sprach Generalinspekteur Zorn in seits den Soldatinnen und Soldaten etwas Gutes zu tun einem Tagesbefehl dankenswerterweise von einem und den Realitäten der Pendlerarmee Bundeswehr Rech- „Mindset Landes- und Bündnisverteidigung“. Ich plädie- nung zu tragen. Andererseits ist das aber auch eine große re sehr dafür, dieses Mindset spürbarer mit Leben zu Chance zur Imagepflege der Bundeswehr. füllen. Wir sind aufgerufen, den Soldatinnen und Solda- Ebenfalls ein Erfolgsmodell ist meiner Ansicht nach ten das Material zur Verfügung zu stellen, welches im der freiwillige Wehrdienst „Dein Jahr für Deutschland“. Jahr 2021 benötigt wird und technologisch auch auf der Wir sehen hier einen innovativen Ansatz, um jungen Höhe ist, insbesondere im Hinblick auf die Einsätze und Männern und Frauen einen vergleichsweise einfachen einsatzgleichen Verpflichtungen unserer Landstreitkräfte. Einstieg in den soldatischen Dienst, in eine Laufbahn Natürlich ist es gut, wenn nun die Ansätze für Munition der Bundeswehr, zu ermöglichen. Überdies wird der und Bekleidung aufgestockt werden. Doch es muss künf- Reservedienst gestärkt. Als ergänzendes Angebot zum tig alles getan werden, um die planerischen Zielvorgaben regulären freiwilligen Wehrdienst ist „Dein Jahr für für das Jahr 2027 und darüber hinaus erfüllen zu können. Deutschland“ ein großartiger Erfolg. Der positive Trend Betrachten möchte ich außerdem die personelle Ein- bei den freiwillig Wehrdienstleistenden bestätigt das. Die satzbereitschaftslage. Hinsichtlich der Coronalage wis- Personalentwicklung der Bundeswehr ist überdies grund- (B) sen wir, dass die Bundeswehr bislang ziemlich gut durch sätzlich positiv hervorzuheben. 183 528 ist die Personal- (D) die Pandemie gekommen ist. Die Schutzmaßnahmen stärke zum Stand 1. Oktober. haben von Anfang an gut gegriffen. Wir sehen jedoch auch, welche Probleme bei EUTM Mali entstanden Besonders freue ich mich über den im Haushalt vorge- sind. Ich wünsche all den Betroffenen eine baldige Gene- sehenen Planstellenaufwuchs; denn auch das ist eine Art sung und eine schnelle Bewältigung der Situation vor Trendwende. Diesen Weg sollten wir auf jeden Fall wei- Ort. Wir sollten darauf setzen, dass der hoffentlich bald tergehen. Doch in Zukunft sollten wir auch intensiver zur Verfügung stehende Impfstoff dazu beitragen wird, darüber sprechen, was zum Beispiel der schon zitierte die Bundeswehr im Rahmen der nationalen Sicherheits- „Mindset Landes- und Bündnisverteidigung“ für die per- vorsorge weiterhin einsatzbereit zu halten. sonelle Planung bedeuten muss, ob und wie materielle und personelle Einsatzbereitschaft miteinander in Ein- Ohne jeden Zweifel leistet das Personal der Bundes- klang zu bringen sind und auf welche Art und Weise wehr bei der Unterstützung zur Bewältigung der Pande- man den Ansprüchen der Soldatinnen und Soldaten an mie eine großartige Arbeit. Ich denke zum Beispiel an die modernes Material noch besser gerecht werden kann. in den Gesundheitsämtern eingesetzten Männer und Frauen oder aber auch an die Test- und Abstrichteams. Wir alle wissen: Die sicherheitspolitische Lage bleibt Ihnen allen danke ich wirklich für ihren wichtigen Dienst; angespannt. Die Weltenläufe verändern sich. Deutsch- er ist unverzichtbar. land hat es unter diesen Rahmenbedingungen verdient, eine leistungsfähige Bundeswehr auf der Höhe der Zeit (Beifall bei der CDU/CSU) zu haben. Der vorliegende Haushalt bietet eine gute Klar ist aber auch: Der Dienst in der Bundeswehr ist Grundlage dafür, und ich freue mich darauf, weiter ge- mehr als Pandemiehilfe, Amtshilfe oder Unterstützung meinsam mit Ihnen daran arbeiten zu dürfen. bei Naturkatastrophen. – Bei meinen Standortbesuchen Vielen Dank. suche ich, wie Sie natürlich auch, gezielt das Gespräch mit der Truppe vor Ort. Und dabei höre ich eines auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. vielfältige Art und Weise immer wieder: Ich bin Soldat Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) geworden, um mit dem Puma über die Senne zu fahren, um draußen zu sein, um für den Einsatz zu üben, gefor- dert zu werden. – Kein junger Mensch geht zur Bundes- Vizepräsidentin Petra Pau: wehr, um am Schreibtisch Akten zu wälzen oder Mate- Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jens riallisten zu führen. Lehmann für die CDU/CSU-Fraktion. (Zuruf von der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25007

(A) Jens Lehmann (CDU/CSU): kampf, um Erfolg und um Medaillen. Es geht vor allen (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor- Dingen um den Kampf zurück ins Leben. Und das ist liegende Haushaltsentwurf für das Bundesministerium neben den gewonnenen Medaillen der größte Erfolg für der Verteidigung beinhaltet den höchsten Etat seit Jahr- den versehrten Soldaten. zehnten für die Bundeswehr. Ich bin sehr zufrieden mit Die für den Sport bereitgestellten Mittel im Verteidi- dem Ergebnis und möchte mich an dieser Stelle bei den gungsetat sind gut investiert und eine sehr gute Basis, um Haushältern bedanken, die diesen Etat aufgestellt haben. sich auf sportliche Höchstleistungen zu konzentrieren. Die bisher geäußerte Kritik von Teilen der Opposition Der zweite Aspekt, den ich am vorliegenden Verteidi- zum Verteidigungsetat halte ich für substanzlos. Denn wir gungsetat sehr begrüße, ist die Stärkung der Reserve. müssen uns eines immer wieder vergegenwärtigen: Die Auch das ist eine gute Nachricht. Die Anzahl der Reser- Sicherheit Deutschlands ist die elementare Grundlage vedienstleistenden bleibt im kommenden Jahr mit unserer Gesellschaft, und unsere Sicherheit hat natürlich 4 500 Stellen auf einem sehr guten Niveau. Dazu steigt ihren Preis. Wir brauchen gutes Personal, wir brauchen der Zuschuss für den Verband der Reservisten der Deut- gutes Material, und wir brauchen eine gute Infrastruktur. schen Bundeswehr, der sich umfassend um die Belange Deswegen ist dieser Verteidigungsetat ein weiterer der Reservisten kümmert; denn gerade in diesem Jahr Schritt in die richtige Richtung, dem selbstverständlich sehen wir, dass wir eine verlässliche Reserve sehr gut in den nächsten Jahren deutliche Steigerungen folgen gebrauchen können, sei es im Amtshilfeeinsatz im Rah- müssen, um beispielsweise die wichtigen Großprojekte men der Bekämpfung der Coronapandemie oder bei der der kommenden Jahre finanzieren zu können. Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest, die im Jeder will in Sicherheit und Freiheit leben. Aber mir Herbst gerade die östlichen Bundesländer zusätzlich scheint, dass es einige gibt, welche die Sicherheit herausgefordert hat. Deutschlands gerne zum Nulltarif haben möchten. Das ist ein Irrtum. Sicherheit und Freiheit gibt es nicht zum Werte Kollegen, ich denke, mit dem vorliegenden Nulltarif. Sicherheit kostet Geld, und dessen müssen wir Haushalt stimmen wir über einen Etat ab, mit dem die uns bewusst sein. Bundeswehr den an sie gestellten Auftrag gut erfüllen kann. Ich weiß, dass wir noch mehr Mittel benötigen, Frau Ministerin Kramp-Karrenbauer und meine Unio- um gerade dringend notwendige Großprojekte zu finan- nskollegen haben viele wesentliche Punkte aus dem vor- zieren. Angesichts der eingeleiteten Trendwende Finan- liegenden Etat bereits überzeugend erläutert und um Ihre zen bin ich mit dem Etat für 2021 dennoch sehr zufrieden Zustimmung geworben. Ich möchte auf zwei weitere und appelliere an alle, diese Linie weiterzuverfolgen. Punkte aufmerksam machen, die mir persönlich sehr Daher bitte ich Sie um Zustimmung zum Einzelplan 14. (B) wichtig sind: Zum einen begrüße ich sehr, dass die För- (D) derung des Sports steigt; zum anderen wird die Reserve Vielen Dank. gestärkt. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, coronabedingt ist in diesem Jahr vieles ausgefallen, so auch die Olympischen Som- Vizepräsidentin Petra Pau: merspiele. Daher ist es gut, dass die Bundeswehr den Ich schließe die Aussprache. Sportsoldaten die Möglichkeit bietet, ihren Olympia- traum im kommenden Jahr zu verwirklichen, wenn die Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 – Olympischen Spiele in Tokio nachgeholt werden sollen. Bundesministerium der Verteidigung – in der Ausschuss- Die Erhöhung der Förderplätze für den Spitzensport auf fassung. Wer stimmt für den Einzelplan 14? – Die Koa- insgesamt 850 Sportsoldaten ist aus meiner Sicht ein litionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Opposi- gutes und wichtiges Signal. Das zeigt, dass die Bundes- tionsfraktionen. Wer enthält sich? – Niemand. Der wehr flexibel und schnell reagieren kann, und es zeigt, Einzelplan 14 ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak- dass die Bundeswehr den Sportlern, die in diesem Jahr tion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der AfD- nach Olympia ihre Karriere beendet hätten, nun die Mög- Fraktion, der FDP-Fraktion, der Linken und von Bünd- lichkeit eröffnet, im kommenden Jahr um Medaillen für nis 90/Die Grünen angenommen. Deutschland zu kämpfen. Und zugleich können durch Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.12 auf: flexible Regelungen junge Perspektivathleten mit Blick auf Olympia 2024 in die Sportförderstrukturen der Bun- hier: Einzelplan 23 deswehr aufgenommen werden. Dazu erhöht der Etat für Bundesministerium für wirtschaftliche das kommende Jahr den Mittelansatz für die sonstige Zusammenarbeit und Entwicklung Förderung des Sports bei der Bundeswehr, worunter Drucksachen 19/23320, 19/23324 auch die vorbereitenden Maßnahmen für die Ausrichtung Die Berichterstattung haben die Abgeordneten der Invictus Games 2023 in Düsseldorf gehören. Michael Leutert, Carsten Körber, , Volker Meine Damen und Herren, ich finde diesen Schwer- Münz, Michael Georg Link und Anja Hajduk inne. punkt sehr gut. Man kann es nicht oft genug erwähnen: Zu dem Einzelplan 23 liegt ein Entschließungsantrag Die Bundeswehr ist der größte Förderer des Sports. der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag nach Sportsoldaten holen regelmäßig Medaillen für Deutsch- der Schlussabstimmung abstimmen werden. land. Mit ihren Höchstleistungen vertreten sie unser Land bei internationalen Wettkämpfen. Bei den Invictus Für die Aussprache wurde eine Dauer von 90 Minuten Games jedoch geht es nicht nur um sportlichen Wett- beschlossen. 25008 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich bitte, zügig Platz zu nehmen. Uns geht es gut – noch gut –, weil unsere Vorfahren (C) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- unser Land aufgebaut haben in den vergangenen Jahrhun- ordnete Volker Münz für die AfD-Fraktion. derten und insbesondere nach dem Krieg. (Beifall bei der AfD) (Zurufe von der SPD und der LINKEN) Sie haben die Basis für unseren Wohlstand gelegt mit der Volker Münz (AfD): Kultur, der Rechtsordnung, den wissenschaftlichen Ent- Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Müller! deckungen, den Erfindungen, der Infrastruktur und den Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weihnachten ist das Bildungseinrichtungen. Fest des Schenkens und des Beschenktwerdens. Herr Minister Müller wird wohl seinen Wunsch erfüllt bekom- (Beifall bei der AfD) men: Sein Einzelplan darf um 3 Milliarden Euro gegen- Ja, es gibt untragbare Produktionsverhältnisse bei über dem Finanzplan 2021 auf 12,4 Milliarden Euro importierten Waren. Die müssen wir abstellen. ansteigen. Damit liegt das Budget auf dem Rekordniveau des laufenden Jahres, welches durch die Nachtragshaus- (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Aha! – Marianne halte schon deutlich um 2 Milliarden Euro über dem Schieder [SPD]: Sieh einer an!) ursprünglichen Plan liegt. Seit Amtsantritt des Ministers Aber dass es Afrika und anderen Regionen so schlecht vor sieben Jahren hat sich sein Etat verdoppelt. geht, hat in erster Linie hausgemachte Gründe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Zuruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]) Wenn es nach Ihnen ginge, Herr Minister, würden Sie noch viel mehr Mittel ausgeben wollen, stimmt’s? Es sind dies Despotismus, Korruption, Bürgerkriege und das starke Bevölkerungswachstum. (Dr. Gerd Müller, Bundesminister: Ja, genau!) Ja, sicher, die Rufe nach Hilfe sind zahlreich. Die Not (Beifall bei der AfD) in der Welt leugnet niemand. Aber wir könnten zehnmal Richtig ist: Deutschland ist keine Insel, die die Welt so viel und noch viel mehr ausgeben – es wäre nie genug. nichts anginge. (Zurufe von der SPD) (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Solange das Wohlstandsniveau von rund 7 Milliarden der LINKE]) insgesamt 8 Milliarden Menschen auf der Welt zum Teil (B) deutlich niedriger als bei uns ist und die Weltbevölkerung Auch die AfD ist für Entwicklungszusammenarbeit. Wir (D) weiterhin stark wächst, bleibt der Bedarf unendlich. Was haben vorgeschlagen, einen stärkeren Fokus auf die wirt- macht der Herr Minister Müller? Er droht ständig: Wenn schaftliche Zusammenarbeit in Kooperation mit der deut- wir nicht mehr für die Entwicklung in der Welt ausgeben, schen Wirtschaft zu legen. Außerdem würden wir das dann kommen die Menschen zu uns. Welternährungsprogramm besser ausstatten. Was wir aber brauchen, ist eine Konzentration auf gezielte Projek- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Stimmt te in wenigen Ländern, damit das Geld nicht mit der ja! – Zuruf von der SPD: Stimmt ja!) Gießkanne ausgegeben wird und nicht selten versickert, Und was passiert? Obwohl wir ständig mehr für Entwick- meine Damen und Herren. lung ausgeben und seit Jahren nach den USA zweitgröß- ter Geber sind, kommen die Menschen aus Afrika und aus (Beifall bei der AfD) anderen armen Gegenden dennoch zu uns. Man kann nur das ausgeben und verteilen, was man (Beifall bei der AfD) hat. Die Bundesregierung verteilt nicht nur, was sie hat, sondern sie nimmt auch das, was ihr nicht gehört. Diese Argumentation hinkt also, Herr Minister! Nun gibt es aber noch eine weitere Argumentation von (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Also, NGOs und Politikern und auch von Herrn Minister wenn ich für jede Phrase einen Euro kriegen Müller, und diese grenzt an moralische Erpressung. Sie würde, dann wäre ich jetzt schon reich nach heißt: Uns geht es so gut, weil es den Entwicklungslän- dieser Rede!) dern so schlecht geht. In diesem Fall verfügt sie über die Zukunft der Bürger, (Zuruf von der LINKEN: Das ist ja auch so!) insbesondere der Kinder, die die horrenden Schulden irgendwann bezahlen müssen. Herr Minister Müller, die Auch meine Mitberichterstatterin von der SPD, Frau geplante Erhöhung Ihres Einzelplans um 3 Milliarden Steffen, hat das auch heute hier in einer anderen Debatte Euro gegenüber dem Finanzplan ist durch Schulden wieder genau so gesagt. finanziert. Dies halten wir für unzulässig, da die Aufhe- (Zurufe von der SPD und der LINKEN) bung der Schuldenbremse nur zur Behebung einer natio- Das ist ein Schlag in das Gesicht eines jeden Bürgers in nalen Notlage gerechtfertigt sein kann. unserem Lande, erst recht in Krisenzeiten wie diesen. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. [SPD]: So ein Schmarrn! – Sonja Amalie Steffen [SPD]: Sie hören nicht zu!) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25009

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Es ist der Weisheit unseres Grundgesetzes zu verdan- (C) Das Wort hat der Kollege Carsten Körber für die CDU/ ken, dass es uns bereits in dem Moment, in dem wir neue CSU-Fraktion. Schulden aufnehmen, dazu verpflichtet, gleichzeitig einen Tilgungsplan zu beschließen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Zuruf von der AfD: Nein, das tut es nicht!) Denn das erinnert uns daran, dass das, was in dieser besonderen Situation angemessen und nötig ist, in einer Carsten Körber (CDU/CSU): normalen Situation nicht der richtige Weg sein kann. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! (Zuruf von der AfD: Wir sind in dieser Situa- Kürzlich hat die Gesellschaft für deutsche Sprache das tion schon seit Jahrzehnten!) Wort „Corona-Pandemie“ zum Wort des Jahres gekürt. Auf folgende Schwerpunkte der diesjährigen Haus- Das ist keine Überraschung. Wir alle wissen, womit haltsberatungen möchte ich hinweisen: Der IFAD, der sich die Menschen in diesem Jahr und folglich auch wir Internationale Fonds für Landwirtschaftliche Entwick- hier im Parlament maßgeblich beschäftigen mussten. In lung, setzt sich auch sehr stark für den weltweiten Klima- Österreich ist übrigens das Wort „Babyelefant“ das Wort schutz ein. Das haben wir mit einem deutlichen Mittel- des Jahres. Bei unseren österreichischen Freunden ist aufwuchs anerkannt. Auf unsere Initiative hin wird der „1 Babyelefant“ die Maßeinheit für den Abstand, den es IFAD, beginnend mit dem nächsten Jahr, ein großes Pro- in Coronazeiten einzuhalten gilt. Schließlich weiß ja jekt zum Schutz des Regenwaldes in Brasilien durchfüh- jedes Kind, wie groß ein Babyelefant ist. ren. (Sonja Amalie Steffen [SPD]: Finde ich auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) süß!) Auch die Wirtschaft ist im EZ-Kontext ein wichtiger Wegen Corona ist der in dieser Woche hier im Parla- Akteur. Wir stärken das hervorragende Engagement ment zu verabschiedende Haushalt bereits der dritte in unserer Wirtschaft. Lassen Sie mich hier vor allem die diesem Jahr. Der Etat des Bundesministeriums für wirt- Coalition for Health erwähnen. Sie hat sich die Verbes- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird im serung der Gesundheitssysteme in afrikanischen Ländern nächsten Jahr auf Rekordniveau durchgeschrieben: auf die Fahnen geschrieben: ein Ziel, das wir gerne un- Über 12,4 Milliarden Euro stehen für die Entwicklungs- terstützen. zusammenarbeit im nächsten Jahr bereit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (B) Worin unterscheiden sich jetzt die beiden Etats 2020 (D) und 2021, sind sie doch in ihren Volumina fast identisch? Ein weiteres Thema stand in den Beratungen oft im Wir verschieben die Schwerpunkte: von unmittelbarer Fokus: Wir müssen Vorsorge treffen, um unsere Partner Krisenhilfe, etwa im Gesundheitsbereich, hin zu langfris- im globalen Süden beim Kauf des Coronaimpfstoffs un- tigen Stabilisierungsmaßnahmen wie der Abfederung so- terstützen zu können; denn wenn wir Corona besiegen zialer und ökonomischer Folgen der Pandemie. In diesem wollen, dann reicht es nicht, wenn wir nur in den ent- Jahr musste es zunächst das Ziel sein, eine schnelle, kurz- wickelten Ländern impfen. Eine Pandemie lässt sich nur fristige Hilfe vor Ort zu leisten, und das geht am besten im globalen Maßstab bekämpfen oder gar nicht. multilateral. Im kommenden Jahr aber wird es zuneh- Vielfach wurde an uns Haushälter die Forderung mend darum gehen, in einen längerfristigen Hilfsansatz herangetragen, im Etat dafür Vorsorge zu treffen, indem zu kommen, und dafür eignet sich die bilaterale Zusam- wir ihn um 150 Millionen Euro erhöhen. Das ist eine menarbeit am besten. Diese haben wir im Vergleich zum enorme Summe Geld, keine Frage. Aber uns war immer Vorjahr deutlich gestärkt. klar: Wenn dann mal der Impfstoff wirklich da ist, dann (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: werden wir viel mehr als diese 150 Millionen Euro brau- Wie auch die letzten acht Jahre!) chen, wenn wir unsere Partner wirksam unterstützen wol- len; und das ist ja unsere feste Absicht. Deshalb haben wir Die Bedarfe in den Entwicklungsländern sind ohnehin uns im Haushaltsausschuss für einen anderen Weg ent- immens, und sie sind durch die Pandemie noch größer schieden: Im Einzelplan 60 – Allgemeine Finanzverwal- geworden. tung – wurde der Titel „… Bewältigung der COVID-19- Ja, wir machen in diesem und im nächsten Jahr in Pandemie“ geschaffen. Auf diesen Titel hat auch das gewaltigen Größenordnungen neue Schulden. Diese bei- BMZ Zugriff, wenn es gilt, Staaten in Afrika und anders- den Haushalte zusammengenommen, geben wir circa wo mit dem Impfstoff zu versorgen. Die Mittel für diesen 1 Billion Euro aus; das sind 1 000 Milliarden oder 1 Mil- Titel haben wir in der Bereinigungssitzung von 5 auf lion Millionen. Davon sind ungefähr 400 Milliarden Euro 35 Milliarden Euro erhöht, also insgesamt um den Fak- kreditfinanziert; das sind 40 Prozent. Als Haushälter tor 7. Hier besteht nun wirklich eine Vorsorge, die den macht man da natürlich keine Freudensprünge. Doch Erfordernissen der Lage gerecht wird. angesichts der immensen Herausforderungen ist dies an- Lassen Sie mich zum Schluss noch einige grund- gemessen und nötig. Nichts zu tun, wäre teurer. Dank sätzliche Bemerkungen machen. Der BMZ-Etat hat sich unserer soliden Politik der schwarzen Null in den vergan- in den vergangenen sieben Jahren fast verdoppelt. Diese genen Jahren sind wir in dieser Krisensituation in der Entwicklung ist ganz unbestritten auch das persönliche Lage, dies auch verantworten zu können. Verdienst von Minister Müller. 25010 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Carsten Körber (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Dr. Christoph Hoffmann (FDP): (C) ordneten der SPD) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Wir geben fast die gleiche Diese große Leistung hat er vollbracht mit seinem uner- Summe wie im letzten Jahr aus, nämlich 12,4 Milliarden müdlichen und überaus leidenschaftlichen Einsatz. Da- Euro für die Entwicklungszusammenarbeit, für diesen bei – das ist ja ein offenes Geheimnis – hat er es auch Haushalt; und das ist gut so. Wir erreichen damit die der eigenen Fraktion nicht immer ganz leicht gemacht. ODA-Quote von 0,7 Prozent. Die Freien Demokraten Aber Minister Müller ist unbestritten ein leidenschaftli- stehen zu diesen Zahlen. Ich glaube, die Größe stimmt. cher und großer Streiter, der sich mit Herzblut für die Sache einsetzt; und das gilt es an dieser Stelle ausdrück- (Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD]) lich anzuerkennen. Aber über Effizienz und Wirksamkeit müssen wir uns (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- noch unterhalten, da stimmt es nämlich nicht; deshalb ordneten der SPD) werden wir den Haushalt auch ablehnen. Sehr geehrter Herr Minister Müller, lieber Gerd, ich weiß, (Beifall bei der FDP) auch ich habe es dir nicht immer ganz leicht gemacht; aber das gehört zum Teil auch zur Verantwortung eines Ein gutes Beispiel hat Herr Körber gerade genannt: Haushälters. Schwerpunkte wurden verschoben, eben hin zum Bilate- ralen, weg vom Multilateralen, und das ist genau das, was (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – wir eigentlich nicht wollen, weil wir glauben, dass inter- Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN) nationale Organisationen einen sehr guten Überblick Wir haben nun den letzten regulären Haushalt der lau- darüber haben und sich sehr wirksam organisieren kön- fenden Wahlperiode zu beschließen. Ich bedanke mich nen, bei Ihnen, Herr Minister, und natürlich auch bei den vie- (Dr. Harald Weyel [AfD]: Ideale Verschleie- len Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses für rungsmöglichkeiten!) die sehr gute, intensive und stets professionelle Zusam- menarbeit. Es war eine spannende Zeit. wohingegen das Bilaterale manchmal zu wünschen übrig lässt. Wenn jeder Staat alles selbst macht, dann wird es Mein Dank geht zugleich an meine Mitberichterstatter- am Schluss relativ uneffektiv und teuer. innen und Mitberichterstatter für die gute und vertrauens- volle Zusammenarbeit. Von denen haben bereits drei (Beifall der Abg. Michael Georg Link [FDP] erklärt, dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören und Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) zu wollen. Liebe Anja Hajduk, lieber Michael Leutert, ich NEN]) (D) habe die Zusammenarbeit mit euch, auch wenn wir natur- Wir haben natürlich in dieser Covid-Krisenzeit alle gemäß nicht in allen Punkten immer einer Meinung Mühen. Wir haben eine große Rezession. Wir machen waren, menschlich als höchst anständig empfunden, und im Gesamthaushalt enorme Schulden, die unsere Enkel es war mir eine Freude, mit euch zusammenzuarbeiten. wahrscheinlich bezahlen werden. Deshalb ist es umso (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wichtiger, das Geld in der EZ wirksam, effizient und neten der SPD, der FDP, der LINKEN und des sparsam einzusetzen, und das sehen wir leider in diesem BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Haushalt noch nicht. Es gibt Verwaltungsstrukturen, die Sie überdenken sollten, Herr Minister: 14 Ministerien – Liebe Sonja Steffen, mein ganz spezieller Dank gilt dir 14 Ministerien! – beschäftigen sich hier in der Bundesre- als meiner Koalitionsmitberichterstatterin; unser gemein- gierung mit Entwicklungszusammenarbeit. Allein die sames Wirken war mir stets ein Fest. Zahl zeigt: Das kann nicht effizient sein; da gibt es Dop- Vielen Dank. pelstrukturen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Markus Frohnmaier [AfD]: Das höre ich zum ersten Mal von Ihnen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben weitergemacht mit Sonderinitiativen, Sie Kollege Körber, ich will ausdrücklich würdigen, dass haben weitergemacht mit vielen verschiedenen Program- Sie alle Danksagungen in der Redezeit untergebracht men, die man selbst kaum mehr versteht. Das sind alles haben. unnötige Doppelstrukturen; und das muss aufhören. Das sind wir dem Steuerzahler gerade in diesem engen Jahr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der wirklich schuldig. SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Carsten Körber (Beifall bei der FDP) [CDU/CSU]: Ich habe mir größte Mühe gege- ben!) Die Entwicklungshelfer von KfW, GIZ, den NGOs, die in unserem Auftrag in fernen Ländern ihren Dienst tun, – Ja, das muss man dann auch einmal anerkennen. zum Teil unter widrigen Umständen, aber auf jeden Fall Das Wort hat Dr. Christoph Hoffmann für die FDP- auch noch in der Covid-Krise weiterarbeiten, verdienen Fraktion. unser aller Dank. Die Freien Demokraten bedanken sich an dieser Stelle für den Einsatz der ausländischen Mit- (Beifall bei der FDP) arbeiter. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25011

Dr. Christoph Hoffmann (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dr. Sascha Raabe (SPD): (C) der CDU/CSU und der Abg. Sonja Amalie Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen Steffen [SPD]) und Kollegen! Ich hatte schon bei der Einbringung des Haushalts gesagt: Für mich persönlich ist es heute ein Aber umso ärgerlicher ist es eigentlich, dass unser besonderer, ein bewegender Moment; denn es ist mein Außenminister Heiko Maas wegen Covid eine pauschale, letzter Haushalt, den ich mitbeschließen darf. eine ungerechtfertigte und diskriminierende Reisewar- nung ausgesprochen hat für ganz Afrika und damit mal Als ich 2002 anfing, lag der Einzelplan 23 bei 3,7 Mil- eben für den ganzen Globalen Süden – so ein bisschen liarden Euro, die ODA-Quote bei 0,27 Prozent. Es erfüllt nach dem Motto von Trump: Africa is a „shithole“. Er hat mich schon mit Freude und Stolz, dass wir heute einen damit einen Riesenschaden angerichtet, der weit größer Haushalt beschließen – sozusagen mein Abschiedsge- ist als der BMZ-Etat 2020 und 2021 zusammen. Das schenk – mit einem Volumen von 12,4 Milliarden Euro – war – und ist immer noch – ein kapitaler Fehler. Allein über dreimal so viel wie damals – und dass wir in diesem im Tourismussektor sind durch die undifferenzierte deut- Jahr wahrscheinlich endlich eine ODA-Quote von sche Reisewarnung 2 Millionen Arbeitsplätze und 50 Mil- 0,7 Prozent erreichen. liarden an Einnahmen verloren gegangen. Viele Natur- Das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern die Ent- schutzgebiete sind dadurch in der Existenz bedroht. wicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker – alle bis auf die von rechts außen – haben hier in den Reisewarnungen schließen auch die diplomatischen ganzen Jahren oft sehr gut zusammengehalten. Reisen aus, die das Auge in der Landschaft für Men- schenrechte sind. Auch hier tun Sie der Menschheit kei- Der Entwicklungshaushalt hat einen Unterschied zu nen Gefallen mit dieser Reisewarnung. den Haushaltsplänen aus anderen Häusern; (Zuruf des Abg. Markus Frohnmaier [AfD]) Aber noch gewichtiger und noch brutaler ist, dass diese ungerechtfertigten Reisewarnungen Geschäfte und Inves- denn der Entwicklungshaushalt wird – anders als der Ver- titionen verhindern. Die unterlassene Reparatur einer in kehrshaushalt und andere Haushalte – in der Finanzpla- Deutschland gebauten Maschine führt zum Stillstand nung immer gesenkt. Das heißt, wir sind der einzige einer ganzen Fabrik. Und der Zusammenbruch dieser Haushalt, der jedes Jahr fast bei null anfängt, der neu globalen Lieferketten im Zuge der Covid-Krise ist das um seine Mittel kämpfen muss. zentrale Problem für die Wirtschaft im Globalen Süden. Ich erinnere daran – ich sehe hier zum Beispiel Gabi Deshalb ist diese Reisewarnung – eine Reisewarnung Weber –, dass wir im Jahr 2014 mal wieder eine Delle in aufgrund dieser unfairen, undifferenzierten Einschätzung der Planung hatten und ich aus Protest als entwicklungs- (B) von Risikogebieten – so brutal und so fatal. Die Bundes- politischer Sprecher zurückgetreten bin. Da haben Gabi (D) regierung muss das ändern! Weber und ich hier gesessen und gegen die Fraktion offen Um Investitionen zu ermöglichen, braucht es gute Rah- den Einzelplan 23 abgelehnt – nicht zur Freude unserer menbedingungen, Rechtssicherheit, Demokratie und eigenen Fraktionsspitze. Aber wir Entwicklungspolitiker Meinungsfreiheit. Um eine wirksame Entwicklungszu- haben nie resigniert – wir machen das ja nicht, um den sammenarbeit zu betreiben, ist deshalb eine klare Kondi- Kopf in den Sand zu stecken –, sondern wir haben wei- tionierung nötig und mehr schnelle Entscheidungen. tergekämpft. Wenn ein Staat, mit dem wir zusammenarbeiten, sich Wir haben es geschafft, dass sich von 2015 bis heute von gemeinsamen Zielen verabschiedet, muss das Kon- das Volumen des Haushalts verdoppelt hat. sequenzen haben und kein Weiter-so; sonst wird der (Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD]) Schaden nur größer – für die Menschen vor Ort und für unseren Etat. Sonja, unsere Haushälterin, hat kräftig mit dafür gesorgt. Unser Entwicklungsminister hat gekämpft. Wir können (Beifall bei der FDP) jetzt sagen, dass wir in diesem Jahr das sechste Mal in Folge über 1 Milliarde Euro mehr an ODA-Mitteln Das Ziel der EZ, der Entwicklungszusammenarbeit, ist beschließen werden. Ich glaube, wir alle gemeinsam kön- ein menschenwürdiges Leben für alle. Das geht nicht mit nen stolz darauf sein, dass uns das gelungen ist staatlichen Almosen, die nur allzu gern verteilt werden. Es geht mit Investitionen; denn nur Investitionen schaffen (Zurufe des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD]) die Jobs, die notwendig sind. Investitionen statt Almosen, und dass wir mit den 0,7 Prozent ein Ziel erreichen, das das ist unsere Forderung, und das sehen wir noch nicht in wir schon 1970 als Bundesrepublik Deutschland ausge- diesem Haushalt. geben haben. Jetzt, im Jahr 2020, erreichen wir es end- lich. Ich denke, das tut gut, liebe Kolleginnen und Kol- Herzlichen Dank. legen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich weiß, dass die Opposition wieder sagen wird: Die Das Wort hat Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion. Finanzplanung geht runter. – Ich kann dazu nur sagen: „Es ist so“, und kann Sie nur ermutigen, genauso weiter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zukämpfen; denn aus unserer Arbeitsgruppe hört bis auf der CDU/CSU) Florian Post fast jeder von der SPD auf. Wir liegen jetzt 25012 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Dr. Sascha Raabe (A) 4 Milliarden Euro über der Finanzplanung, die eigentlich das nämlich garantiert, dass Kinder nicht mehr unter (C) 8,6 Milliarden Euro vorgesehen hatte. Grüne, Linke und menschenunwürdigen Bedingungen schuften müssen, andere können gerne beweisen, dass sie es auch hinbe- Näherinnen nicht mehr in Fabriken verbrennen. Denn kommen, in den nächsten Jahren mindestens 4 Milliarden ich kann ja schlecht einem Kind sagen: Du, übrigens, Euro über der Finanzplanung zu liegen. tolle Nachrichten: Im nächsten Jahr wirst du gegen Coro- na geimpft. Dann stirbst du nicht an Corona, sondern weil (Zuruf des Abg. Johannes Selle [CDU/CSU]) du in einer Mine verschüttet wirst. – Das wäre doch Aber ich sage auch und habe hier immer gesagt: Geld zynisch. ist nicht alles. Wir brauchen Rahmenbedingungen, wir Gerade die Diskussion um Corona zeigt doch, dass brauchen fairen Handel, damit Menschen von ihrer eige- Gesundheit und Menschenwürde vor wirtschaftlichem nen Hände Arbeit leben können. Wir haben hier in einem Profit gehen sollen. Da, finde ich, muss es doch eine sehr kritischen Bereich etwas verbindlich hinbekommen, Selbstverständlichkeit sein, dass wir endlich dafür sor- nämlich bei den Konfliktmineralien. Dort müssen Men- gen, dass wir bei Produkten, die wir täglich kaufen – schen unter brutalsten Bedingungen – gerade im Kongo – vom T-Shirt bis zum Kaffee und Kakao; jetzt in der Mineralien abbauen. Zum Januar nächsten Jahres wird Weihnachtszeit verschenken wir wieder viel Schokolade, erstmals ein Gesetz in Kraft treten, das in diesem Teilbe- aber fast 2 Millionen Kinder müssen auf Kakao- und reich der Wirtschaft dafür sorgt, dass künftig die deut- Kaffeeplantagen schuften –, mit einem Lieferkettenge- schen und europäischen Unternehmen verpflichtet wer- setz menschenwürdige Arbeitsbedingungen schaffen den, nachzuweisen, dass die Mineralien aus sauberen und so Kinder aus Hunger, Armut und Elend erlösen, Minen kommen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. (Zuruf des Abg. Markus Frohnmaier [AfD]) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dass keine Zwangsarbeit vorliegt, dass keine Kinderar- neten der SPD, der CDU/CSU und des BÜND- beit vorhanden ist und dass die Einnahmen nicht zur NISSES 90/DIE GRÜNEN) Finanzierung von Kriegen dienen. Deswegen: Ja, der Haushalt ist ein starkes Signal. Aber ich bitte Sie alle, jetzt auch dafür zu sorgen, dass wir ernst (Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD]) machen mit fairem Handel. Dazu gehören auch die Han- Das ist ein erster guter Schritt. delsverträge der Europäischen Union. Auch das Merco- sur-Abkommen muss nachgeschärft werden. Die Minis- Auch da können gerade wir als SPD-Fraktion – ich ter Hubertus Heil und Gerd Müller sind bei dem Thema habe meinen Teil dazu beigetragen – mit Stolz sagen: eng beieinander und kämpfen sehr gut für fairen Handel. (B) Dieses Gesetz wäre ohne die Sozialdemokraten und Auch unsere SPD-Minister haben gesagt, dass sie einem (D) ohne dass wir das damals mit unserem Wirtschaftsminis- Abkommen wie Mercosur nur dann zustimmen werden, ter in Brüssel durchgesetzt haben, nicht gekommen. wenn noch substanzielle Verbesserungen erfolgen und (Zuruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE auch Verstöße gegen Menschen- und Arbeitnehmerrechte LINKE]) und gegen das Verbot der Rodung des Regenwaldes sank- tioniert werden können. Auch das, glaube ich, gilt es festzuhalten. Darum geht es jetzt. Wir dürfen uns nicht auf diesem (Beifall bei der SPD) tollen Entwicklungshaushalt ausruhen, sondern wir müs- sen jetzt dafür sorgen, dass wir fairen Handel bekommen, – Ja, da kann man ruhig mal klatschen. Ich denke, das ist damit wir es endlich schaffen, was wir uns in den Nach- berechtigt. haltigkeitszielen der Vereinten Nationen zum Ziel gesetzt Aber es ist nur ein Teilbereich. Wir haben natürlich haben, nämlich dass bis 2030 Hunger und extreme Armut immer noch Minen in anderen Ländern mit anderen endlich abgeschafft sind. Mineralien. Sonja Steffen hat in einer hervorragenden Dann, hoffe ich – das ist mein Abschiedsappell –, brau- Rede heute Vormittag Beispiele genannt – ich habe es chen wir irgendwann gar keinen Entwicklungsausschuss in Madagaskar gesehen –, wo Kinder in einen Eimer mehr im Deutschen Bundestag. Denn wir sind der Aus- gesetzt werden, in eine Mine runtergelassen werden und schuss, bei dem ich wirklich hoffe, dass er sich irgend- dann stundenlang Diamanten klopfen müssen; wenn sie wann einmal durch erfolgreiches Handeln erledigen wird Glück haben, sind sie noch am Leben, wenn sie wieder und wir keinen Hunger und keine Armut mehr auf der nach oben kommen. Welt haben werden. Herr Körber, Sie haben zu Recht gesagt, dass wir Impf- Vielen Dank für die Unterstützung in all den Jahren. stoffe gegen Corona auch für die Entwicklungsländer zur Danke. Verfügung stellen sollen. Bundeskanzlerin Merkel sagt auch, dass dafür Mittel bereitgestellt werden sollen, der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Entwicklungsminister sowieso. Dann fordere ich, dass bei Abgeordneten der LINKEN) die Bundeskanzlerin ihrem Wirtschaftsminister auch mal sagen muss, dass er endlich aufhören soll, ein Liefer- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kettengesetz zu blockieren, Der nächste Redner ist der Kollege Michael Leutert, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25013

(A) Michael Leutert (DIE LINKE): – Ja, das weiß er; aber man kann es ja hier noch mal (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr deutlich ansprechen. Minister – es wurde ja schon gesagt –, es ist für uns beide (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Genau!) der letzte Haushalt, den wir gemeinsam besprechen. Da kann man durchaus mal mit etwas Positivem anfangen. In Ich will jetzt nicht all die Argumente bemühen, die Ihrer Amtszeit ist es tatsächlich geglückt, dass sich der gegen dieses Lieferkettengesetz vorgebracht werden – Etat von 6,3 Milliarden Euro auf nun 12,4 Milliarden Bürokratiemonster; Haftungsfragen; es sei nicht umsetz- Euro fast verdoppelt hat. Das kann sich durchaus sehen bar –, sondern nur noch mal darauf hinweisen, dass es lassen. Es ist auch schon angesprochen worden, dass die hier nicht nur um Generationengerechtigkeit geht. Wir mittelfristige Finanzplanung in diese Linie nicht hinein- haben heute hier auch den Haushalt des Auswärtigen passt. Die letzte Aufgabe ist also, das Anfang nächsten Amtes und den Haushalt des Verteidigungsministeriums Jahres noch zu korrigieren. behandelt. Dabei ging es um Fragen der Sicherheit. Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes, also das Umdenken (Beifall bei der LINKEN) und Umlenken in unserem Verhalten, betrifft auch ganz Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, reicht das prinzipiell die Frage unserer Sicherheit in der Zukunft. nicht aus; auch das wurde schon angesprochen. Es würde (Beifall bei der LINKEN) auch nicht ausreichen, wenn wir noch mehr Geld mobi- lisieren und die ODA-Quote von 0,7 Prozent erreichen, Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich selbst wenn wir die Mittel in die besten und effektivsten will das mit einem Appell verbinden: Lassen Sie Ihren Projekte stecken. Was wir zusätzlich benötigen, ist ein Minister – nicht bloß bei diesem Gesetz – nicht so hän- Umdenken und Umlenken auch bei uns selber. In dem gen! Unterstützen Sie ihn! Sinne sind auch wir mittlerweile ein Entwicklungsland (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. geworden; denn wir müssen uns in unserer Produktion, Marianne Schieder [SPD]) in unserem Handel und in unserem Konsum weiterentwi- ckeln. Ansonsten nützen uns diese ganzen Milliarden Lieber Carsten, mir ist bei den Dankesworten ja richtig nichts. warm ums Herz geworden. Hier geht es ja kuscheliger zu als in der Bereinigungssitzung und manchmal auch in den (Beifall bei der LINKEN) eigenen Fraktionen. Wenn wir das nicht tun und damit den Klimawandel (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ach, weiter befördern, dadurch weiter Fluchtursachen ver- Michael!) schärfen und damit weiterhin Ausbeutung und Armut – In allen Fraktionen, habe ich gesagt. – Ich sage nur: billigend in Kauf nehmen, dann werden wir diese Ziele, (B) Wenn man sich die Bereinigungssitzung so anschaut, (D) die wir hier definieren, nicht erreichen. So wie wir uns kann man feststellen, dass wir zusätzliche 84 Milliarden heute hier verhalten, bestimmen wir letztendlich nicht Euro für den Gesamtetat bewegt haben. Für unseren lie- bloß über die Zukunft dieser fragilen und armen Staaten, ben Minister im BMZ gab es nichts obendrauf, sondern sondern wir bestimmen auch über unsere ganz eigene 10 Millionen Euro minus. Nicht einmal mehr die belegten Zukunft, über die Zukunft unserer Kinder. Welche Welt Brötchen kann er jetzt bezahlen, wenn er Gäste bewirten hinterlassen wir? Das ist eigentlich die grundsätzliche möchte. Deshalb kann ich mit Blick auf die nächsten Frage. Damit ist das auch eine Frage der Generationen- Aufgaben, insbesondere was das Lieferkettengesetz und gerechtigkeit. die mittelfristige Finanzplanung betrifft, nur sagen: Un- Die Frage der Generationengerechtigkeit wird von terstützen Sie den Minister! Lassen Sie ihn nicht im allen immer angesprochen, wenn es um die Schulden- Regen stehen! bremse geht. Dieses Argument ist bei der Schuldenbrem- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- se aus einem ganz einfachen Grund nicht mein Lieblings- neten der SPD) argument: Wenn ich in einem Haus lebe, keine Schulden aufnehme, um es in Schuss zu halten, und dann meinen Ihnen, Herr Minister, möchte ich für die Zukunft, für Kindern eine Bauruine hinterlasse, müssen die Kinder Ihre nächste Aufgabe, viel Glück und Erfolg wünschen. dann Schulden aufnehmen, um das Haus zu sanieren. Ich hoffe, wir sehen uns auch in Ihrer nächsten Verwen- Bei der Frage des Klimawandels ist das nicht so einfach. dung regelmäßig. Wenn wir ihn jetzt nicht stoppen, können zukünftige (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Generationen keinen Kredit aufnehmen, um das zu kor- neten der SPD) rigieren; das sollten wir nicht vergessen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Herr Minister, wir sind uns in diesen Punkten wahr- Nächste Rednerin ist für Bündnis 90/Die Grünen die scheinlich relativ schnell einig, und das ist ja auch der Kollegin Anja Hajduk. Grund, warum Sie das Lieferkettengesetz auf den Weg (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gebracht haben. Das Problem ist nur, dass Sie in Ihren eigenen Reihen dafür keine Mehrheit haben. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- NEN]: Das weiß er aber! – Dr. Gesine Lötzsch ren! Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche [DIE LINKE]: Das ist das Problem!) Zusammenarbeit und Entwicklung stagniert diesmal, 25014 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Anja Hajduk (A) zugegebenermaßen auf hohem Niveau. Das haben wir chen. Wir sollen insgesamt 100 Milliarden Dollar zur (C) schon zu Beginn, in der ersten Lesung, gesagt. Aber er Unterstützung der Länder des Globalen Südens bereit- wird bereits 2022 – daran hat sich auch nach der Bereini- stellen. Da müssen wir als Deutsche noch mehr drauf- gungssitzung leider gar nichts geändert – um 3 Milliarden legen. Deswegen fordern wir, im Rahmen dieses Haus- Euro absinken; das sind minus 25 Prozent. Ich möchte halts 400 Millionen Euro für den internationalen noch mal darauf hinweisen: So massiv war der Absturz Klimaschutz in Ihrem Haus draufzupacken, Herr Minis- zwischen zukünftigem Haushaltsplan und kommender ter Müller. Finanzplanung noch nie, Herr Raabe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Aber das ist doch eine Herausforderung für Sie!) Ich komme zum Schluss. Es ist so, dass sich der Etat in Ihrer Amtszeit verdoppelt hat. Diese Steigerung inner- Ich möchte darauf verweisen: Wir haben die Finanz- halb von acht Jahren in einer Welt, die sich heftig globali- planung nicht als Parlament beraten. Aber wir als Grüne siert hat, ist zum Teil, und zwar nicht zu einem geringen haben beantragt, wenigstens die massiven Sperren bei Teil, auch erfolgreich nachvollzogen worden. Das haben den Verpflichtungsermächtigungen von weit über 1 Mil- wir auch nicht geleugnet. Ich habe auf den Absturz in der liarde Euro aufzuheben. Zukunft verwiesen, und wir haben auch einiges erreicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber, Herr Müller, zu oft ist Ihre Haushaltsaufstellung eine Absage an den Multilateralismus gewesen. Der Das hätten wir tun können; aber dem haben Sie sich ver- Anteil der multilateralen Hilfen ist stetig gesunken in weigert. Insofern liegt da wirklich die Hoffnung auf Ihrer Amtszeit. Das passt gar nicht zu Ihren zukünftigen einem Regierungswechsel und auf nichts anderem. Ambitionen, wie ich gehört habe. Das ist keine gute Ansonsten ist nämlich die Planungssicherheit mit Blick Bilanz. Wir müssen die multilateralen Töpfe, unser Enga- auf Deutschlands Rolle als zuverlässiger Partner in der gement bei den Vereinten Nationen wieder viel stärker in Entwicklungszusammenarbeit aufs Spiel gesetzt. den Fokus rücken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber auch in qualitativer Hinsicht ist dies ein Haushalt, sowie bei Abgeordneten der FDP) der eine Kehrtwende vermissen lässt. Schauen wir auf Ihre Bilanz, Herr Minister Müller, insbesondere darauf, Wir haben doch mitbekommen, was in den USA in den wie fokussiert Ihre Maßnahmen auf die Gleichstellung letzten Jahren passiert ist, und da nimmt Deutschland von Frauen und Mädchen sind: Gerade mal 1,6 Prozent eine wichtige Rolle ein. Vor diesem Hintergrund ist diese der Maßnahmen Ihres Hauses haben diesen Fokus. Das Entwicklung bedauerlich. (B) (D) ist ein Skandal, und das wird der Rolle von Frauen und Allerletzter Punkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen Mädchen, gerade in den Ländern des Südens, überhaupt von der SPD und sowieso von der Union, ich habe das nicht gerecht. Lieferkettengesetz gestern bewusst bei der Beratung des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Etats des Ministers für Wirtschaft angesprochen. Das Markus Frohnmaier [AfD]: Mehr Genderpro- hätte ich auch von den Sozialdemokraten erwartet, näm- jekte!) lich dass Sie bei der Beratung des Wirtschaftsetats und mit Ihrem Vizekanzler durchsetzen, dass ein Lieferket- – Ja, Genderprojekte sind damit auch gemeint. Aber Sie tengesetz beschlossen wird, und zwar ein wirksames Lie- auf der ganz rechten Seite des Parlaments haben das ferkettengesetz. sowieso noch nicht verstanden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SES 90/DIE GRÜNEN – Markus Frohnmaier und bei der LINKEN) [AfD]: Will ich auch nicht!) Da sind Sie als Koalitionspartner in der Pflicht, da ist die Aber schauen wir uns auch einmal den wichtigen Be- Kanzlerin in der Pflicht, und da dürfen Sie den Herrn reich der Agrarökologie an. Der Klimawandel und die Müller nicht alleinlassen. Coronapandemie verschärfen das Hungerproblem in der (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Tun wir nicht! – Welt zusätzlich. Agrarökologische Ansätze könnten die- Marianne Schieder [SPD]: Wir kämpfen ser Entwicklung entgegenwirken. Aber, Herr Minister dafür!) Müller, es ist unverständlich: Nur 7,7 Prozent der land- wirtschaftlichen Vorhaben in Ihrem Hause haben einen Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. agrarökologischen Ansatz. Auch das ist viel zu wenig. Das muss sich qualitativ deutlich ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch beim internationalen Klimaschutz sind wir zu Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zaghaft unterwegs. Wir treten da auf der Stelle, auch Jetzt hat als Nächstes das Wort der Bundesminister wenn Deutschland insgesamt – das will ich durchaus Dr. Gerd Müller. – Herr Minister, mit Maske. – Jawohl, anerkennen – quantitativ als Geberland einen großen Bei- sehr gut. Steht Ihnen auch gut, Herr Minister. trag leistet. In der Entwicklungszusammenarbeit haben wir unseren fairen Anteil am internationalen Klimaschutz (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- selber vor Jahren in Dänemark, in Kopenhagen, verspro- ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25015

(A) Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Ich bleibe optimistisch, weil wir in dieser Woche noch (C) Zusammenarbeit und Entwicklung: entscheidende Gespräche führen werden. Aber klar ist: Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Her- Wir brauchen noch vor Weihnachten eine Entscheidung. ren! Gute Nachrichten in schwierigen Zeiten: Mit diesem Wir können das nicht länger hinauszögern. Seit sechs Haushalt erreichen wir, wie schon gesagt, erstmals das Monaten liegt der Entwurf auf dem Tisch. Wir brauchen 0,7-Prozent-Ziel. Deutschland erfüllt mit 4 Milliarden jetzt eine Entscheidung. Euro, Frau Hajduk, die internationalen Klimafinanzzu- sagen. Mit dem 3-Milliarden-Euro-Coronahilfspro- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der gramm sind wir in Europa das einzige Land, das dieses LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- internationale Zeichen der Solidarität setzt. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) Ich sage Ihnen klar: Wenn wir nicht entscheiden, dann Hierfür möchte ich mich besonders bei meinem Haus, bei setzt Brüssel Standards. Wir sollten vorausgehen und der GIZ, bei der KfW und bei vielen, die draußen tätig diese Standards selber setzen. sind, bedanken. Ich hatte heute eine Schalte mit unseren Referentinnen und Referenten in 85 Ländern in der Welt, (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Lieferfli- die erfolgreich dort draußen arbeiten. ckenteppich!) Der Friedensnobelpreis geht an das Welternährungs- Noch nie, meine Damen und Herren, Kolleginnen und programm. Mit 1 Milliarde Euro unterstützt Deutsch- Kollegen, war internationale Zusammenarbeit so wichtig land – nicht nur das BMZ – das Welternährungspro- wie heute; denn die Coronapandemie besiegen wir nur gramm. weltweit oder gar nicht. Diese Pandemie ist zwischen- zeitlich eine Polypandemie geworden, eine Vielfachkrise. Wir Entwicklungspolitiker sind eine starke Gemein- Das Virus trifft die Ärmsten der Armen am härtesten. Es schaft – Carsten Körber, vielen herzlichen Dank –, es sind die Entwicklungspolitiker, die darauf aufmerksam sind Politiker, Menschen mit Herz. Ich glaube, das kann machen. Deutschlands Bevölkerung stellt 1,5 Prozent man sagen. der Weltbevölkerung dar, Europas Bevölkerung 5 oder (Beifall bei der CDU/CSU) 6 Prozent. Zwei Drittel der Menschen weltweit leben in den ärmsten Ländern, in den Entwicklungs- und Schwel- Sascha Raabe, Anja Hajduk, Michael Leutert, Sonja lenländern, die ganz massiv und hart getroffen sind: Steffen und Gabi Weber – sie hören alle auf. Ich bedaure Krankheit und Not, Elend und Tod durch das Virus und das sehr, aber ich freue mich über eure Solidarität, dass den Lockdown, zum Beispiel in Asien. Ich habe heute ihr alle mit mir den Platz räumt. (B) Berichte aus Venezuela gelesen: Dort gibt es 5 Millionen (D) (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Flüchtlinge. Denken Sie an den Libanon. Oder denken und der SPD – Marianne Schieder [SPD]: Sie an Kutupalong, wo ich im Februar war. Dort sind Aber nur mit Lieferkettengesetz!) 800 000 Flüchtlinge angesiedelt auf einem Elefantenge- Das hätte es nicht gebraucht. Ich bedanke mich bei euch biet, 500 000 Kinder in Armut, Not und Kälte. Da können ganz besonders. Die Entwicklungspolitik hat ein ganz Sie sagen: Lasst die doch draußen! Wer sieht die denn in starkes soziales Profil, ein sozialdemokratisches Profil Europa und in Deutschland? – Wir sehen sie, wir sehen und ein christlich-soziales Profil. Das verbindet uns das Leid, und deshalb helfen wir vor Ort. sehr, auch in Zukunft. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, ich könnte vieles aufzählen: Ein großer Durchbruch im Zuge der EU-Ratspräsident- 800 Millionen Kinder können derzeit nicht zur Schule schaft ist der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen gehen. Sie bekommen kein Schulessen. Fehlende Medi- über ein neues EU-Afrika-Abkommen. Darüber wird hier kamente gegen Aids, Tuberkulose oder Malaria führen im Plenum noch diskutiert werden. dazu, dass durch den Lockdown 2 Millionen Menschen Es gibt ein anderes, ebenso wegweisendes politisches zusätzlich sterben, zusätzlich zum Virus. Signal: eine 27 : 0 -Entscheidung der europäischen So- Notwendig ist ein globales Krisenmanagement. UN- zial- und Arbeitsminister für ein europäisches Lieferket- Generalsekretär Guterres wird nächste Woche hier spre- tengesetz. Ich danke Hubertus Heil, dass er dies auf den chen. Ich möchte an der Stelle der UN, dem IWF, der Weg gebracht hat. Weltbank, UNICEF und vielen anderen danken, die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias sofort und entschieden gehandelt haben. Aber die bishe- W. Birkwald [DIE LINKE] – Anja Hajduk rige weltweite Krisenreaktion bleibt weit hinter den not- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kriegen wendigen Maßnahmen zurück. Bei der humanitären Hilfe wir das auch hier hin!) fehlen dieses Jahr 5 Milliarden Euro. Wir lassen verhun- Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen hier. Ein Lie- gern. 15 000 Kinder verhungern täglich, weil wir ferkettengesetz jetzt ist absolut notwendig. zuschauen. Wir, die Weltgemeinschaft, wissen es, und wir helfen nicht. Das ist ein Skandal größten Ausmaßes. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der CDU/CSU und der LINKEN -Marianne LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- Schieder [SPD]: Unbedingt!) NISSES 90/DIE GRÜNEN) 25016 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) Für den Zugang zu Impfstoffen und für die Vorberei- Erfolg einer starken Gemeinschaft der Haushälter – frak- (C) tung einer Impfkampagne fehlen in diesem Jahr 4,5 Mil- tionsübergreifend –, der Entwicklungspolitiker hier im liarden Euro weltweit. 2021 und 2022 sind 35 Milliarden Haus, vieler Kolleginnen und Kollegen mit Herz, die Euro notwendig. Der US-Verteidigungshaushalt wurde in die Not und das Elend draußen in der Welt und hier in diesem Jahr um 55 Milliarden erhöht. – Nur so viel zu der Europa nicht kaltlassen. Dafür herzlichen Dank. Frage, ob man sich das leisten kann. Ja, die Weltgemein- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der schaft muss sich das leisten, um 1 bis 2 Milliarden Men- LINKEN) schen, auch in den Entwicklungsländern, zu impfen. Wir sind uns mit Bundespräsident Steinmeier einig: Wir müs- sen weltweit einen fairen und bezahlbaren Zugang zu Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Impfstoffen, auch für die Entwicklungsländer, sicherstel- Der nächste Redner ist der Abgeordnete Markus len. Dieses politische Signal muss eindeutig sein, von uns Frohnmaier, AfD-Fraktion. und von der Europäischen Union. (Beifall bei der AfD – Heike Hänsel [DIE (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP LINKE]: Es bleibt einem auch nichts erspart!) und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Markus Frohnmaier (AfD): – Ich danke Ihnen. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Es ist mir schon fast unangenehm, die Kuschelrunde Wir tragen bereits dazu bei. Deutschland finanziert mit hier heute zu unterbrechen. Aber wir sind nicht hier, um insgesamt 685 Millionen Euro den Aufbau von Covax Freunde zu finden, wir sind hier, um Opposition zu und GAVI. Aber hier tun sich noch gewaltige Lücken machen für die Interessen unserer Bürger. auf. Alle Industriestaaten – die Golfstaaten, Amerika – (Beifall bei der AfD – Michael Leutert [DIE müssen sich beteiligen. Aber auch Amazon, Apple, Goo- LINKE]: Mit Ihnen will niemand befreundet gle und Facebook müssen sich in einen privaten Fonds sein!) zur Finanzierung der Impfkampagnen in den Entwick- lungsländern einbringen; denn das sind die großen Kri- Seit Ihrem Amtsantritt 2013 haben Sie den Entwick- sengewinner, die Milliardengewinne in der Coronakrise lungsetat auf 12,4 Milliarden Euro verdoppelt. machen. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Gut so!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Da ist die Frage: Für was wird dieses Geld eigentlich bei Abgeordneten der LINKEN und des ausgegeben? BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des (B) Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Gen- (D) dern!) Deutschland hat mit dem Coronasofortprogramm schnell und kompetent reagiert dank Ihrer Unterstützung, Ein Beispiel: Über zwei Jahrzehnte hat Deutschland allei- ne an Afghanistan 3,2 Milliarden Euro Entwicklungshilfe der Haushaltspolitiker hier im Haus. Wir sind hier fließen lassen. Aber die Großzügigkeit hat man uns Deut- vorausgegangen, nun müssen andere folgen. Ich halte es schen nicht gedankt. Die von deutscher Entwicklungs- für fatal, dass die Europäische Union – und ich sage das hilfe errichteten Neubauten funktionierten die Taliban immer wieder; denn wenige durchschauen den europä- kurzerhand zu Koranschulen und in einem Fall sogar zu ischen Haushalt – in dieser schwierigen Zeit für die einer Kaserne um. Sie hören richtig, meine Damen und nächsten sieben Jahre den Entwicklungsetat und die Mit- Herren: Von deutscher Entwicklungshilfe werden Kaser tel für Afrika, Graf Lambsdorff, absenkt. Absenkt! Das - nen für Gotteskrieger und Terroristen finanziert. ist ein fatal falsches Signal. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Von der Jeder vernünftige Minister hätte nach so einer Nachricht deutschen Ratspräsidentschaft verhandelt, die Entwicklungshilfe an Afghanistan beendet. Sie Herr Müller!) bezahlen weiterhin. Meine Damen und Herren, die Weltbank, der IWF, die Nächstes Beispiel – ich bringe das immer wieder –: G 20 und unser Finanzminister haben schnell reagiert. Neben 8,5 Millionen Euro für LED-Lampen in marokka- Wir brauchen ein Schuldenmoratorium. Staatsbankrotte nischen Moscheen bezahlt der deutsche Steuerzahler jetzt und der Zusammenbruch öffentlicher Ordnung müssen in Sierra-Leone fast 300 000 Euro für eine Kampagne verhindert werden. Wir werden in vielen Fällen in den gegen offenen Stuhlgang. – Sie hören richtig, meine nächsten Monaten nicht um einen Schuldenerlass herum- Damen und Herren, wir bezahlen dafür, dass in Afrika kommen. Menschen beigebracht wird, die Toilette zu benutzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Das ist doch LINKEN) gut so!) Ich möchte zum Schluss allen Fraktionen herzlich dan- Das ist Irrsinn! ken, besonders den Berichterstattern, dem Finanzminister Prägend für diese Politik ist auch Ihr Stil. Ich denke an und der Kanzlerin. Wir erreichen 2021 das 0,7-Prozent- die Abendveranstaltungen mit Supermodels, an Auftritte Ziel. Wir setzen viele internationale Maßnahmen um. Ich in Kochsendungen, bei denen Minister Müller erzählt, möchte Ihnen sagen: Dieser Erfolg ist Ihr Erfolg, der wie er den König von Marokko beeindruckt, oder Buch- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25017

Markus Frohnmaier (A) vorstellungen im Berliner Zoo vor dem Pandagehege. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (C) Was sich wie das Mittagsprogramm von RTL2 anhört, Abg. Carsten Körber [CDU/CSU]) ist die absurde Realität in dieser Regierung. Hand aufs Herz: Ich habe schon in der ersten Lesung (Beifall bei der AfD – Dr. Harald Weyel [AfD]: gesagt – und Sie haben das ja auch bestätigt –, dass vieles Leider wahr!) auch der SPD-Bundestagsfraktion zu verdanken ist, Da passt es gut ins Bild, wenn die „Bild“-Zeitung titelt – (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zitat –: „Nach Afrika ließ er sich Schwarzbrot einflie- vieles aber auch den wirklich fleißigen und sehr engagier- gen“. Zitat Ende. Im Ausschuss haben Sie die Anwürfe, ten Fachpolitikerinnen und -politikern, auch denen von dass für Sie Schwarzbrot nach Afrika eingeflogen wurde, der Opposition, den fleißigen Haushälterinnen und Haus- bestritten. Trotz Ihres Dementis haben Sie aber bis heute hältern selbstverständlich auch. Ich möchte den Dank an dagegen keine rechtlichen Schritte eingeleitet, Herr den Anfang meiner Rede stellen. Ich will mich bei mei- Müller. nen Mitberichterstattern, allen voran bei dem Hauptbe- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN richterstatter Michael Leutert, aber auch bei Anja Hajduk sowie bei Abgeordneten der SPD) und Michael Link für die gute Zusammenarbeit herzlich bedanken. Mein besonderer Dank gilt natürlich – Sie Da bekommt „Brot für die Welt“ eine völlig neue Bedeu- können es sich vorstellen – meinem Kollegen Carsten tung. Körber. Wir haben in den letzten drei Jahren wirklich (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Marianne viel zusammengehockt, gemeinsam mit unserem Team. Schieder [SPD]: Du lieber Himmel!) Ich glaube, wir haben etwas sehr Gutes erreicht, auch wir beide. Deshalb mein herzliches Dankeschön an dieser Ihr Kollege Maas hat heute die AfD und uns eine Stelle für die tolle Zusammenarbeit. Ansammlung unzufriedener Deutscher genannt. Wir sind unzufrieden, unzufrieden mit Ihrer Politik. Und an (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Adresse von Herrn Maas: Lieber eine Ansammlung der CDU/CSU) unzufriedener Deutscher als eine Ansammlung vater- Ich möchte ein paar Punkte des Haushalts besonders landsloser Gesellen. herausstellen. (Beifall bei der AfD – Uwe Feiler [CDU/CSU]: Wir stärken mit diesem Haushalt 2021 die Zivilgesell- Pfui! Ganz übel! – Marianne Schieder [SPD]: schaft, indem wir die Mittel zur Unterstützung der Pro- Ich dachte, es ginge nicht mehr schlimmer! – jekte der Kirchen, der Stiftungen, der Entwicklungspart- Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Man ist nerschaften mit der Wirtschaft und der privaten Träger (B) immer wieder überrascht! Man kann noch tie- erhöhen und die Förderung der Medien noch einmal mit (D) fer sinken!) 5 Millionen Euro mehr unterstützen. Es ist sehr wichtig, gerade in der heutigen Zeit, dass wir weltweit eine media- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: le Verbreitung haben, die für die Menschen vor Ort ver- Für die SPD hat das Wort die Kollegin Sonja Amalie ständlich ist. Das hilft an vielen Stellen. Steffen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich freue mich besonders über einen vielleicht unscheinbar daherkommenden, aber sehr wichtigen Maß- gabebeschluss des Haushaltsausschusses. Wir fordern in Sonja Amalie Steffen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und diesem Maßgabebeschluss eine Reform der Vergabekri- liebe Kollegen! Herr Minister Müller, Sie haben am Ran- terien. Was steckt dahinter? Die meisten von Ihnen wis- de der Bereinigungssitzung von Ihren Mitarbeiterinnen sen das: Viele NGOs kommen oft zu uns und sagen: Die und Mitarbeitern eine Grafik geschenkt bekommen, die Zivilgesellschaft muss unbürokratischer arbeiten kön- sogenannte Müller-Welle. Vielleicht erinnert sich der nen. – Jeder von uns, der vielleicht einmal versucht hat, eine oder andere von uns hier im Haus noch an eine als Mitglied eines Vereins an Gelder von Bengo/Engage- andere Grafik, die wir nicht so schön fanden. Das war ment Global zu kommen, der weiß, Herr Minister, dass die Niebel-Delle, liebe Kolleginnen und Kollegen von das unglaublich schwer ist, gerade wenn die Vereine kei- der FDP. ne großartige Verwaltung haben, die unterstützt. Deshalb haben wir gesagt: Wir wollen einen Maßgabebeschluss, (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der in dem festgelegt ist, dass wir die Vergabekriterien ent- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- bürokratisieren und vereinfachen. Wir haben uns wirklich NEN) ein sehr, sehr schwieriges, aber erreichbares Ziel gesetzt, das wir noch in dieser Legislaturperiode durchsetzen 2009 bis 2013 war eine schlimme Zeit für die Entwick- wollen. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden lungszusammenarbeit. Aber wir haben das Gott sei Dank dem Ministerium auf die Finger schauen, damit das überwunden, und das ist – wir haben es heute schon auch wirklich funktioniert und es wirklich zu einer Ver- mehrfach gesagt – wirklich auch Ihnen zuzuschreiben, einfachung kommt. Herr Minister Müller. Der Etat der Entwicklungszusam- menarbeit ist in der Tat seit 2013 verdoppelt worden, von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 6,3 Milliarden auf 12,4 Milliarden Euro, und das ist sehr der CDU/CSU – Zurufe der Abg. Petr Bystron schön. [AfD] und Dr. Harald Weyel [AfD]) 25018 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Sonja Amalie Steffen (A) Wir von der SPD-Bundestagsfraktion haben uns in den Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) vergangenen Jahren dafür kritisiert – Sascha Raabe hat es Der nächste Redner: für die FDP-Fraktion der Kollege immer wieder betont –, dass wir den ärmsten Ländern der Michael Link. Welt, den sogenannten LDC, zu wenig Beachtung schenken. Auch im Hinblick darauf haben wir in diesem (Beifall bei der FDP) Haushalt noch einmal richtig was erreicht. Wir haben nämlich im parlamentarischen Verfahren einen eigenen Michael Georg Link (FDP): Titel für die LDC über 50 Millionen Euro geschaffen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kol- Darüber freuen sich nicht nur die NGOs, sondern vor legin Steffen, Kollege Körber, Kollege Leutert, Kollegin allem die ärmsten Länder der Welt wie beispielsweise Hajduk, ich greife den Dank an unseren Hauptbericht- Kongo oder Südsudan. Wir erhöhen außerdem die deut- erstatter Michael Leutert auf: Es war wirklich eine Freu- schen Beiträge für den LDC-Fonds um 25 Millionen Euro de, mit dir zusammenzuarbeiten. Es hat sich gezeigt, dass auf 50 Millionen Euro jährlich. wir, auch wenn wir wirklich mal streiten wie die Kessel- flicker – und in dem Bereich gibt es inhaltlich viel zu (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Carsten streiten –, es dennoch fair hinbekommen haben, auch Körber [CDU/CSU]) im Hinblick auf die Zahlen. Das war wichtig, und dafür Ein weiterer wichtiger Punkt ist die multilaterale Danke. Zusammenarbeit. Ja, es stimmt: Der Fokus in diesem Haushalt liegt aus unserer Sicht vielleicht etwas mehr (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten auf der bilateralen Zusammenarbeit – das hat mein Kolle- der CDU/CSU und der LINKEN) ge Carsten Körber schon erklärt –, aber wir von der SPD- Wir haben in der Tat in der parlamentarischen Phase Bundestagsfraktion haben auch dafür gesorgt, dass die einiges erreicht. Kollegin Steffen, Sie haben die Least multilaterale Zusammenarbeit nicht zu kurz kommt. Developed Countries extra erwähnt. Unseren Fachpoliti- Wir haben im parlamentarischen Verfahren noch einmal kern ist es ganz wichtig, dass wir da mehr tun. Wir haben die Mittel für UN Woman und UNDC erhöht; dies viel- dem, was diesbezüglich im parlamentarischen Verfahren leicht als kleiner Hinweis an Frau Baerbock, die heute beschlossen wurde, bewusst zugestimmt. Das ist ein ganz Morgen gesagt hat, dass genau bei diesen beiden Titeln wichtiger Punkt. die Mittel verringert worden seien. Da muss sie sich Der Haushalt erreicht auch dieses Jahr wieder eine irgendwie mit den Vorzeichen vertan haben. Rekordmarke. Er ist in der Bereinigungssitzung nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mehr gestiegen; das musste durch Umschichtungen der CDU/CSU) erreicht werden. (B) Darüber hinaus haben wir in diesem Haushalt den Bei- Ich möchte aber noch einmal auf einen prinzipiellen (D) trag für die Globale Bildungspartnerschaft auf 75 Millio- Punkt eingehen, der mich da schon ein bisschen umtreibt. nen Euro erhöht. Der Minister hat vorhin eine Herleitung mit „sozial“ und (Beifall des Abg. Christoph Matschie [SPD]) „christlich“ versucht. Das alles ist etwas, was wir Libe- rale natürlich teilen, aber ich würde einen Schritt weiter- Ich sehe Christoph Matschie, der sich wirklich so sehr für gehen. Wir als Liberale gehen vom zentralen Wert der diese Bildungspartnerschaft einsetzt. Ich will Ihnen mal Menschenrechte und der Menschenwürde aus. Selbstver- sagen, warum das so toll ist: Wir sind bei 7 Millionen ständlich ist es wichtig – deshalb machen wir Entwick- Euro gestartet; das war, glaube ich, 2013. Jetzt sind wir lungspolitik –, zu helfen – zum Beispiel durch Nothilfe, bei 75 Millionen Euro. Was schaffen wir eigentlich mit auch wenn das gar nicht speziell durch das BMZ dem Geld, das wir zur Verfügung stellen? Ich habe GPE geschieht – und Leid zu lindern. Es geht aber um mehr. einmal gebeten, uns einen Impact auszurechnen: Wir finanzieren damit 40 000 Lehrkräfte, wir finanzieren da- Da Sie Herrn Niebel angesprochen haben: Er hat die- mit 7 Millionen Schulbücher, und wir können damit sen Aspekt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mehr 1 409 Klassenzimmer bauen. Letztendlich ist es so, dass berücksichtigt. Das Ministerium heißt eben Ministerium wir bis 2025 knapp 1 Million Schülerinnen und Schüler für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. zusätzlich unterrichten können. Lassen Sie es mich deutlich sagen; denn das muss man auch vor der Öffentlichkeit klar herausarbeiten: Bei die- Ich komme zum Schluss, letzter Punkt, ein Satz: Ich sem Punkt, wie wir Entwicklungspolitik und wirtschaft- freue mich über die Mittel für die Impfallianz, mit denen liche Zusammenarbeit im Vergleich zu anderen Teilen die weltweite Bereitstellung von Impfstoffen gefördert des Hauses sehen, gibt es teilweise fundamentale Unter- wird. Daran müssen wir denken. Das haben Sie, Herr schiede. Uns kommt es darauf an, den Menschen wirklich Müller, und das hat auch die Kanzlerin heute Morgen eigene Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, auf Augen- gesagt. Carsten Körber hat schon angesprochen, dass höhe – und nicht nur mit einem Hilfsreflex. der Einzelplan 60 dafür hoffentlich zur Verfügung steht. Wir kämpfen dafür. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) Allerletzter Satz: Wir brauchen noch in dieser Legisla- turperiode ein Lieferkettengesetz. Deshalb ist dieses neue Abkommen mit Afrika so wichtig. Afrika ist ein Chancenkontinent. Es geht nicht Herzlichen Dank. nur darum, den armen Afrikanern zu helfen, sondern es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geht darum, dass wir als Europäer uns wirklich für Afrika der CDU/CSU) öffnen, für das, was die dort können – vielleicht sogar Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25019

Michael Georg Link (A) innovativer und besser als wir. Es geht also um Augen- Insgesamt bleibt uns heute also, diesen Etat in der (C) höhe und den Respekt vor der Menschenwürde: nicht nur heutigen Form abzulehnen, auch wenn wir viele einzelne helfen, sondern den Partner so ernst nehmen, dass man Punkte sehen, wo es in die richtige Richtung gegangen ihm zum Beispiel auch einen Marktzugang bei uns ist – auch durch die parlamentarische Beratung. ermöglicht. Ich möchte mich, wie gesagt, noch einmal bei den Bei diesen Punkten würden wir gerne weiter gehen als Fachpolitikern – auch aus meiner eigenen Fraktion –, Sie. Wir sind multilateral unterwegs – deshalb sind wir die mit vielen wichtigen, guten Initiativen gekommen auch so stark; da sind wir vielleicht wieder näher beisam- sind, zum Beispiel dem Projekt „EU-Entwicklungs- men. Wir glauben eben an die Effizienz der internationa- bank“ – das kommt demnächst –, und natürlich bei den len Organisationen, die gewisse Dinge besser können als Haushältern bedanken. jeder einzelne Staat selbst. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Das gilt übrigens auch für das Lieferkettengesetz. Wie- so wir jetzt unbedingt selbst national eines machen müs- (Beifall bei der FDP) sen und dadurch vielleicht sogar einen EU-Verdrän- gungswettbewerb haben, anstatt uns in der EU auf Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: etwas zu einigen, hat sich mir noch nicht erschlossen. Als Nächstes hat das Wort die Abgeordnete Helin Deshalb: Darüber, wie so ein Lieferkettengesetz aussehen Evrim Sommer, Fraktion Die Linke. könnte, werden wir auch mit Sicherheit trefflich streiten, ganz intensiv. Das ist heute nicht die Hauptdebatte, aber (Beifall bei der LINKEN) eines ist für uns klar: Wir wollen das europäisch und nicht national, weil es dann zu Verdrängungseffekten kommt. Helin Evrim Sommer (DIE LINKE): (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Erst national, dann Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! europäisch! Die Kinder brauchen jetzt Lieber Minister Müller, es tut mir leid, aber ich muss Schutz! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Klappt Sie jetzt auch noch einmal loben. Unter Ihrer Regie – es nie!) ist tatsächlich so – stieg der Entwicklungsetat von knapp 9 Milliarden Euro im Jahre 2018 auf satte 12,4 Milliarden – Wenn wir immer sagen: „Europäisch klappt doch nie“, Euro für das kommende Jahr. dann hätten wir niemals so was wie den europäischen Binnenmarkt oder wie jetzt – ich hoffe, dass er durch- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) geht – den gemeinsamen europäischen Rechtsstaatsme- Bevor Sie jetzt aber vom Schulterklopfen blaue Flecken chanismus hinbekommen. (B) bekommen, riskieren wir einen Blick in die Zukunft; (D) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Haben wir bis denn aus der mittelfristigen Finanzplanung ist ablesbar, heute nicht!) dass der Entwicklungsetat ab 2022 um 3 Milliarden Euro dramatisch sinken wird. Wundern Sie sich also bitte Ja, der Haushalt hat zunächst mal einen Rekordwert, nicht, dass wir mit einem eigenen Entschließungsantrag aber ein Problem dieses Haushalts ist eben: Es geht nach gegensteuern wollen – aus gutem Grund. dem Motto „Abflussschnelligkeit vor nachhaltiger Wir- kung“. Deshalb kritisieren wir diesen Punkt ganz deut- (Beifall bei der LINKEN) lich. Wir wollen die Mittel lieber in Haushaltsmaßnah- Binnen eines Jahres stieg die Zahl der weltweit Hun- men stecken, die nachhaltiger sind, auch wenn es gernden von 690 Millionen auf 820 Millionen. Das ver- manchmal ein bisschen länger dauert, bis die Gelder aus- langt den Ländern des Südens Unmenschliches ab. Für gegeben werden können. uns als Linksfraktion ist das eine Aufforderung zum Han- Deshalb kritisieren wir zum Beispiel solche Projekte deln. Erhöhen wir den Sockelbetrag des deutschen Bei- wie die Sonderinitiativen oder auch ganz neue Projekte trags für das Welternährungsprogramm der Vereinten des Ministers, wie zum Beispiel die Gründung von pri- Nationen auf 450 Millionen Euro vatrechtlichen Stiftungen, die mit großzügigen Bundes- (Beifall bei der LINKEN) zuschüssen gefördert werden und – der Rechnungshof hat darauf hingewiesen – bei denen nicht klar ist, was später – auf 450 Millionen Euro dauerhaft –, daraus wird und wer die haushaltsrechtlichen Risiken für (Beifall bei der LINKEN) diese Stiftungen trägt. und kommen wir damit endlich unserem Versprechen Also: Viele Dinge sind sicherlich gut gemeint, aber näher, 0,2 Prozent des Bruttonationaleinkommens für man kann trefflich darüber streiten, ob sie auch gut die ärmsten Länder der Welt im Kampf gegen Hunger gemacht sind. und extreme Armut auszugeben! Das muss es uns wert Im Schneckentempo geht leider auch die Zusammen- sein. arbeit zwischen BMZ und AA voran. Da ist vieles noch (Beifall bei der LINKEN) verbesserungsfähig. Was bisher geschehen ist, ist auf Druck des Parlaments erfolgt. Auch die neue Länderliste Wir stehen auch noch vor weiteren Herausforderun- des BMZ, die erarbeitet wurde, ist nicht richtig gemein- gen. Das Covid-19-Virus hat sich ausgebreitet. Mehr als sam erarbeitet worden. Sie stellt viele – auch Durchfüh- 63 Millionen Menschen haben sich angesteckt, über rungsorganisationen, Kirchen und Stiftungen – vor große 1,5 Millionen coronainfizierte Menschen sind bereits Probleme. gestorben. Die ärmeren Länder des Südens haben am 25020 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Helin Evrim Sommer (A) wenigsten Widerstandskraft dagegen. Sie brauchen sich ihnen frühzeitig widmet. Ich konnte in diesem Jahr (C) Unterstützung; wir können ihnen diese Unterstützung noch vor Corona ein von der GIZ unterstütztes Projekt geben. der Friedensmediation in Kenia kennenlernen. Hochpro- Es besteht die Chance auf einen wirksamen Impfstoff. fessionell werden in der Region Mombasa kleine Brand- „Und das natürlich aus Deutschland“, mögen die Abge- herde gelöscht, bevor sie zu großen, gewaltsamen Krisen ordneten der AfD frohlocken. „Mal wieder nicht nachge- heranwachsen, die nicht mehr unter Kontrolle gebracht dacht“, sagen wir. Wir als Linksfraktion freuen uns näm- werden können. lich über Ugur Sahin und Özlem Türeci. Das Ehepaar, das Deutschlands Kapazitäten für Friedensarbeit sind rie- BioNTech gegründet hat, hat alles stehen und liegen las- sig. Hunderte Initiativen und Organisationen sind in der sen, um einen Impfstoff gegen das Covid-19-Virus zu Friedensarbeit aktiv. Jahr für Jahr bilden wir an deutschen entwickeln. Das haben sie jüngst vor der UN-Vollver- Hochschulen Menschen in Friedens- und Konfliktfor- sammlung erklärt. schung aus. Nutzen wir doch dieses Potenzial, um In der Vielfalt der unterschiedlichen Talente liegt die Deutschlands Ansehen als verlässlichem Mittler in vielen wahre Innovationskraft. Ländern Nachdruck zu verleihen und noch viel stärker als Friedensmediator wahrgenommen zu werden! (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN]) Die Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen hier- Unsere Änderungsanträge zugunsten der zivilen Krisen- hergekommen sind, tragen seit Langem dazu bei. prävention haben die Koalitionsfraktionen leider reflex- Deutschland ist eben ein Einwanderungsland und muss artig abgelehnt, vermutlich nur, weil sie aus der Opposi- es natürlich auch weiterhin bleiben. tion kamen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, einen Impfstoff- Herr Minister, im Frühjahr haben Sie uns im Aus- Nationalismus darf es bei der Pandemiebekämpfung schuss Ihre Pläne zu BMZ 2030 vorgestellt. Nach fast nicht geben; einem Dreivierteljahr der Beratungen im Ausschuss gibt (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. es immer noch viele offene Fragen. Ihre Pläne wurden im Dagmar Ziegler [SPD] und Katharina Dröge Vorfeld nicht mit dem Auswärtigen Amt abgestimmt, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Partnerländer wurden von Ihren Plänen nicht unterrichtet. In vielen Ländern Lateinamerikas ist Deutschland das denn wie Minister Müller auch hier noch einmal richtig anteilig größte Geberland, und doch streichen Sie diese gesagt hat: Corona besiegen wir weltweit oder eben gar (B) Länder wegen angeblicher Geringfügigkeit von der Liste. (D) nicht. – In dem Fall wäre ich natürlich lieber für weltweit. Herr Minister, das geht so nicht! „Global Solidarity“ statt „Germany first“! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie ziehen sich aus der Unterstützung vieler sogenann- ter LDC zurück, also der ärmsten Länder, aus den bilate- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ralen Bildungs- und Gesundheitsprojekten, ohne sicher- zustellen, dass dies von anderen übernommen wird. Ich Der nächste Redner: für Bündnis 90/Grüne der Abge- bin gespannt, wie der neue LDC-Topf, den Sie nun in den ordneter Ottmar von Holtz. Beratungen noch eingefügt haben, wirken wird. Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) begründen die Streichung von Ländern mit mangelnder Rechtsstaatlichkeit, halten aber an Ländern wie Ägypten, Ottmar von Holtz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Togo und Algerien fest. Das alles ist schwer nachvoll- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ziehbar und nicht konsistent, Herr Minister. die Gelegenheit nutzen, einen Punkt anzusprechen, der in der heutigen Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nämlich die Kohärenz in der Friedenspolitik. Tun wir sowie bei Abgeordneten der LINKEN) wirklich alles, um das ganze Potenzial der zivilen Krisen- Schließen möchte ich mit einem Appell an Sie, Herr prävention und des zivilen Konfliktmanagements auszu- Minister Dr. Müller: Setzen Sie endlich das Thema Inklu- schöpfen? Vor allem in finanzieller Hinsicht ist das BMZ sion in der Entwicklungszusammenarbeit auf die Tages- immerhin der größte Beitraggeber zur zivilen Krisenprä- ordnung! Leitgedanke der Nachhaltigkeitsagenda 2030 vention. Zuständig dafür, dass zivile Krisenprävention der Vereinten Nationen ist immerhin „Leave no one gelingt, sind aber viele weitere Ressorts. behind“: Das heißt, vor allem diskriminierte und vulne- Die besten Programme des BMZ zur Schaffung von rable Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Auf unsere Arbeitsplätzen und zur Armutsbeseitigung nutzen zum Anfragen im Zuge der Haushaltsberatungen haben Sie Beispiel niemandem etwas, wenn wir diese gleichzeitig uns berichtet, dass von 1 540 Vorhaben der staatlichen mit unfairen Handelsverträgen konterkarieren. Die Fol- Entwicklungszusammenarbeit gerade mal zwei Vorhaben gen des Klimawandels, der Kampf um Acker- und behindertenspezifisch sind. Das ist richtig, richtig wenig. Weideflächen, der Kampf ums Wasser, alles das schafft Private Träger setzen zwar mehr Maßnahmen um; in der Konflikte. Viele Konflikte können mit vergleichsweise Summe aber ist das eine klare Absage an Inklusion. Da kleinem Aufwand gewaltfrei gelöst werden, wenn man haben wir richtig Nachholbedarf. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25021

Ottmar von Holtz (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN klar: In so einer großen Organisation und bei so viel Geld (C) sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE darüber zu reden und darum zu ringen, wo denn noch LINKE]) etwas zu verbessern ist, dafür sind wir ja auch hier. Nur, Ja, der BMZ-Haushalt steht in der Summe gut da, aber unterm Strich kommt sehr viel dabei heraus. Gerade des- im Detail, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koali- halb ist Deutschland international sehr anerkannt. Ich will tionsfraktionen, gibt es leider noch sehr, sehr viel Nach- einfach wenige Punkte nennen, wo wir genau die Wirk- besserungsbedarf. samkeit im Blick haben: Vielen Dank. Der erste Punkt. Natürlich ist für einen Erfolg in einem Land der dortige Rechtsrahmen, die Verlässlichkeit, ganz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) entscheidend. Deswegen haben wir die Idee der Reform- partnerschaften, dass also das Geld dort am besten auf- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gehoben ist und am meisten wirkt, wo auch die entsprech- Der Nächste ist der Kollege Volkmar Klein, CDU/ enden Voraussetzungen vorhanden sind. Das bleibt ein CSU-Fraktion. Schwerpunkt unserer Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU) Der zweite Punkt. Relevante Meinungsführer mit ein- zubeziehen, damit gute Ideen dann auch wirklich Volkmar Klein (CDU/CSU): Schwung kriegen, ist eine vernünftige Idee. Und wenn Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- man dafür kämpfen will, dass Energieeffizienz eine größ- ren! Wenn man hier als 13. Redner steht, dann sind schon ere Bedeutung in den entsprechenden Ländern bekommt, ziemlich viele Zahlen genannt, ziemlich eindrucksvolle dann macht es in einem islamischen Land schon Sinn, und hohe Zahlen, die ja auch zu Recht bereits gelobt auch bei den Imamen anzupacken. Wenn die AfD das wurden. Aber ein bisschen stellt sich die Frage: Wann immer wieder hier benennt und belächelt, hier würden ist denn ein Haushalt gut? Ist ein Haushalt gut wegen LED-Lämpchen in Moscheen in Marokko unterstützt, der Zahlen oder vielleicht nur wegen der Ästhetik des dann ist das doch Unfug. Der Gedanke dahinter ist viel- Druckes? Ganz bestimmt nicht. Es ist doch die Frage, mehr: Wir nutzen die Meinungsführer in diesem Land, ob ein Haushalt dem dient, was wir wollen, ob er Ant- um die Idee der Energieeffizienz im ganzen Land auszu- worten auf aktuelle Fragen gibt. breiten. Ich finde, das ist eine vernünftige Sache. Das Erste ist: Wir wollen Menschen Perspektiven, (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Götz Chancen und Jobs geben. Das ist etwas, was ein ethisches Frömming [AfD]: Das ist doch albern!) Gebot ist. Das ist auch ein Stück christliche Verpflich- (B) tung. Das ist aber auch am Ende in unserem deutschen Ansonsten – man könnte noch eine ganze Reihe von (D) Interesse; denn wenn die Menschen dort, wo sie sind, Punkten nennen – will ich zum gesamten Haushalt viel- keine Perspektiven haben, dann machen sie sich auf den leicht noch zwei Dinge sagen. Erstens. Der Haushalt be- Weg und suchen sich diese Perspektiven woanders. Viel- schränkt sich nicht auf den Einzelplan 23 – das hat der leicht ist die AfD ja deswegen gegen einen Erfolg in der Kollege Carsten Körber ja eben deutlich gemacht –, son- Entwicklungszusammenarbeit. dern wir werden Chancen haben, für Gesundheit aus dem Einzelplan 60 weiteres Geld zu generieren, wenn es denn Und das Zweite ist: Wir wollen Schöpfung weltweit gebraucht wird. Dafür haben wir Haushälter Vorsorge schützen und deswegen für Umwelt und Klima eintreten; getroffen. denn wir wissen, dass Erfolg in Sachen Umwelt allein in Deutschland am Ende für unseren Lebensraum hier in Zweitens. Zu Recht wurde hier immer wieder die Deutschland oder in Europa nicht genug ist. Deswegen abknickende mittelfristige Finanzplanung beklagt, über ist es richtig, auch in diesem Bereich international viel zu die wir allerdings im Parlament ja gar nicht beschließen. machen. Das ist die Vorgabe, die der Finanzminister uns hier mit auf den Weg gibt. Insofern wäre meine dringende Bitte an Gemessen an diesen beiden Punkten, komme ich dann den Kollegen Raabe und auch an die Kollegin Steffen, aber auch zum Ergebnis: Der BMZ-Haushalt ist sehr gut, eventuell mal mit Ihrem Kollegen, dem SPD-Bundesfi- 12,4 Milliarden Euro sind gut angelegtes Geld, so viel, nanzminister, zu reden; denn die gesamte Verantwortung wie wir vernünftigerweise ausgeben können. Und wir für dieses Detail liegt nicht beim Parlament, sondern nur können glücklicherweise so viel ausgeben, weil wir uns bei diesem Finanzminister. in Deutschland in den letzten Jahren mit solider Haus- haltspolitik den finanziellen Spielraum dafür geschaffen Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die haben. Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU – Marianne ordneten der SPD) Schieder [SPD]: Das war jetzt ein überflüssiger Wir können im Übrigen einen Unterschied machen. Angriff!) Auch die Wirkung dieses Haushaltes liegt am Ende vor allen Dingen nicht an den Zahlen, sondern sie liegt natür- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: lich vor allen Dingen auch daran, was wir tun. Der Kolle- Jetzt kommt der Abgeordnete Ulrich Oehme für die ge Hoffmann hat eben gesagt: Ja, das muss doch alles AfD-Fraktion. optimiert werden. – Ich wäre der Letzte, der behaupten würde, dass man da nichts optimieren kann. Es ist doch (Beifall bei der AfD) 25022 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

(A) Ulrich Oehme (AfD): Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Minister Als Nächstes hat das Wort die Kollegin Gabi Weber, Müller! Werte Damen und Herren! Fast 12,5 Milliarden SPD-Fraktion. Euro wird der Haushalt für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im (Beifall bei der SPD) nächsten Jahr betragen. Wenn man diese Zahl hört, klingt sie im Vergleich zu den Zahlen der anderen Ministerien Gabi Weber (SPD): und des Gesamthaushaltes von fast 500 Milliarden Euro Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen und Kol- eher gering. Wenn man sie aber vor dem Hintergrund leginnen! Bereits mit den Nachtragshaushalten für 2020 sieht, dass damit erstens eine weitere geplante Ab- bzw. haben wir bewiesen, dass wir in dieser Krise solidarisch Aufgabe von staatlicher Kontrolle, Verantwortung und denken, sei es bei den Anpassungen des Kurzarbeitergel- Nachvollziehbarkeit einhergeht und zweitens in diesem des, bei den Hilfen für Unternehmen und Selbstständige, Land Unternehmer und Selbstständige – ich rede nicht sei es bei Hilfen innerhalb der EU oder bei der interna- von Großkonzernen – im nächsten Jahr in eine mehr als tionalen Unterstützung im humanitären und entwick- nur unsichere Zukunft blicken, erscheint diese Zahl als lungspolitischen Bereich. Die Koalition geht diesen ein Schlag ins Gesicht für alle Steuerzahler. – Und, Herr Weg auch mit dem Haushalt 2021 trotz großer fiskali- Klein, auch dieser Haushalt ist mit durch eine Neuver- scher Herausforderungen weiter, um die Krise nicht nur schuldung finanziert, nicht nur aus Eigenmitteln. in Deutschland und Europa, sondern auch in anderen Weltregionen zu überwinden. Bei der Feuerwehr gilt der Grundsatz: „Erst Eigensi- cherung und dann die Rettung anderer!“ Unser Land (Beifall bei der SPD) durchlebt schwere Zeiten. Mit einem leeren Tankwagen Diese wurden von der Pandemie und ihren mannigfal- können wir nicht löschen, Herr Minister. Anstatt jedoch tigen Folgen oft noch wesentlich härter getroffen – die Wasserknappheit im Hinterland zu beheben, wie menschlich, sozial und wirtschaftlich. Mit 12,4 Milliarden Löcher im Schlauch zu stopfen, Euro legen wir erneut einen Rekordetat für das Bundes- ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und (Marianne Schieder [SPD]: Das ist ein sehr Entwicklung vor; viele haben es schon gesagt. Das hinkender Vergleich! Das wissen Sie!) machen wir jetzt seit sechs Jahren so, und das ist gold- begrüßen Sie und jene, die Ihnen in diesem Hohen Haus richtig. nachlaufen, die Idee, die staatliche Entwicklungszusam- (Beifall bei der SPD) menarbeit an immer mehr, immer kleinere, immer schlechter kontrollier-, evaluier- und sanktionierbare An dieser Stelle möchte ich auch unserem Finanzmi- (B) (D) NGOs auszulagern. nister Olaf Scholz, obwohl er oft gescholten wurde, aus- drücklich danken; denn er hat bereits seit dem Frühjahr (Beifall bei der AfD) keinen Zweifel aufkommen lassen, dass wir die Pande- mie nicht allein vor unserer Tür bekämpfen können, und Wir brauchen nicht mehr Projekte, mehr zivile Partner. entsprechende Mittel für die Unterstützung des globalen Deutschland ist nicht verantwortlich für die Welt, son- Südens bereitgestellt. dern die Staaten sind verantwortlich für ihre Bürger. Erst wenn diese Eigenverantwortung übernehmen, kann (Beifall bei der SPD) Zusammenarbeit funktionieren und erfolgreich sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder besonders die ärmsten Länder, die LDCs, mit 75 Millio- [SPD]: Das ist schon sehr kleinkariert!) nen Euro zusätzlich. Davon sind 50 Millionen Euro jähr- lich für langfristige Projekte der Zivilgesellschaft in die- Wie bereits der Leiter des sen Staaten vorgesehen. Für diese Arbeit brauchen wir bestätigte, ist in vielen Entwicklungsländern derzeit nicht auch zwingend starke, multilaterale Organisationen, die das Virus das größte Problem, sondern die Folgen des Wissen und Geld bündeln können, um so vor Ort spürbare Lockdowns in diesen Ländern. In der Dritten Welt ster- Verbesserungen für die Menschen zu erzielen. Hier ben durch den Lockdown 20-mal mehr Menschen an möchte ich an erster Stelle das World Food Programme Hunger als an Covid. Was diesen Entwicklungsländern nennen, das morgen in Oslo für seine Arbeit zur Bekämp- mehr als alle Schuldenschnitte, Sofortprogramme und fung des Hungers, der viel zu oft auch als Waffe einge- sonstigen Einzelmaßnahmen helfen würde, sind die Wie- setzt wird, den Friedensnobelpreis erhält. derbelebung der deutschen und weltweiten Wirtschaft (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der und damit das Ingangkommen der Lieferketten sowie LINKEN) die Wiederbelebung des Tourismus. Mit einem solchen reparierten Schlauch, ordentlichen Wasserreserven und – Das ist einen Beifall wert. – Wir als Abgeordnete un- effizienten Strukturen können wir dann auch wieder terstützen diese wichtige Arbeit mit einem weiteren Auf- etwas zurückgeben und andere gezielt, zeitlich begrenzt wuchs der vorgesehenen Mittel um rund 22 Millionen und mit klaren Exit-Strategien unterstützen. Das wäre Euro gegenüber dem Regierungsentwurf. Ebenfalls stei- eine solide Art von Entwicklungszusammenarbeit. gern wir die Mittel – das ist eben auch schon angespro- chen worden – für das UN-Entwicklungsprogramm und – Vielen Dank. das freut mich ganz besonders – für UN Women. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25023

Gabi Weber (A) Die SPD-Fraktion macht sich für multilaterales Han- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber er (C) deln stark. Daher haben wir uns in den Haushaltsberatun- ist immer noch viel zu niedrig! Er muss min- gen dafür eingesetzt, die im Regierungsentwurf gekürz- destens auf 12, besser 13 Euro angehoben wer- ten Ansätze in diesem Bereich wieder zurückzunehmen den!) und das Geld nicht nur verstärkt in bilaterale Maßnahmen Das Gleiche gilt für das Lieferkettengesetz. fließen zu lassen. Das ist uns leider nicht überall gelun- gen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ihnen, Minister Müller, möchte ich in diesem Zusam- In vielen Ländern stehen gut ausgebildete Unterneh- menhang die Frage stellen, wie sich die Kürzung der Titel merinnen und Unternehmer bereit, um mit ihren Ideen für multilaterale Zusammenarbeit zugunsten der Titel für und ihrem Können ihre Investitionen und Ideen unter bilaterale Zusammenarbeit mit dem von Ihrem Haus vor- fairen Wettbewerbsbedingungen umzusetzen. Viele Fir- gelegten Konzept „BMZ 2030“ und dessen kürzerer Län- men bei uns wünschen sich, dass ihre Anstrengungen, fair derliste verträgt. Uns wurde immer wieder versichert, und nachhaltig zu produzieren, vor Dumpingwettbewerb dass wir kein Land im Regen stehen lassen und selbst und schwarzen Schafen geschützt werden. Genau dafür da, wo wir rausgehen, multilaterale Partner und NGOs brauchen wir das Lieferkettengesetz. Also: Blockade weiter vor Ort tätig sein werden. Das wird in der Praxis beenden und machen! so nicht funktionieren, wenn man gleichzeitig die Mittel im multilateralen Bereich an verschiedenen Stellen Vielen Dank. zurückfährt. Das passt nicht zusammen. (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Es macht sich auf den Weg der Vorsitzende des Aus- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bereiten uns in schusses, Dr. Peter Ramsauer. – Es ist angerichtet; bitte Europa gerade auf nationale Impfkampagnen vor. Wir schön. dürfen darüber aber nicht vergessen, dass Millionen Men- schen auf der Welt dasselbe Menschenrecht auf Zugang (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zu Medikamenten und Impfungen haben. Gesundheit ist ordneten der SPD) kein Vorrecht reicher Gesellschaften. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): der LINKEN) Hochverehrter und lieber Herr Präsident! Liebe Kolle- (B) ginnen und Kollegen! Lieber Herr Bundesminister Gerd (D) Es muss deshalb klar sein, dass im vorliegenden Etat die Müller! Es ist schon viel gedankt worden. Aber, wie Kosten für eine globale Impfkampagne noch nicht gerade vom Herrn Präsidenten erwähnt, als Vorsitzender abschließend abgebildet sein können. Der Einzelplan 60 des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und kann helfen; aber der Zugriff darauf muss sichergestellt Entwicklung ist es mir bei der Gelegenheit, im Rahmen werden, um auch globales Impfen möglich zu machen. der Haushaltsdebatte zu reden, schon ein Bedürfnis, ein (Beifall bei der SPD) herzliches Dankeschön zu sagen für die wirklich hervor- ragende überfraktionelle Zusammenarbeit in unserem Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss meiner Ausschuss. Das gilt für alle Fraktionen, die im Ausschuss Rede möchte ich auf ein Thema zu sprechen kommen, vertreten sind. das meiner Fraktion und mir persönlich sehr am Herzen liegt. – Es kann doch jetzt nur noch das Lieferkettenge- Natürlich merkt man bei den Beratungen, wer sich setz kommen. gegenseitig besonders gerne in den Haaren liegt; aber das Versöhnliche überwiegt doch immer wieder. Vor allen (Zuruf von der SPD: Jawohl!) Dingen eint uns das Große und Ganze, die großen Ziele, Breite Teile der Bevölkerung, viele Unternehmen und die wir verfolgen, und es ist etwas ganz Natürliches in Parlamentarierinnen und Parlamentarier setzen sich für einer parlamentarischen Demokratie, dass die Wege dort- dieses Gesetz ein. Es ist daher nicht länger hinnehmbar, hin unterschiedlich gesehen werden. wenn durch die Blockadehaltung des Bundeswirtschafts- Ich habe vor knapp 30 Jahren, im Januar 1991, als ganz ministeriums, gestützt durch einzelne Interessenverbän- junger Abgeordneter in diesem Ausschuss begonnen. Ich de, dieses nicht den Weg durch das Kabinett zu uns ins werde meine parlamentarische Karriere nicht in diesem Parlament findet. Das ist ein unerträglicher Zustand. Ausschuss beenden. In diesem Zusammenhang: Lieber Minister, lieber Gerd Müller, du hast ja angekündigt, (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie dass du dem deutschen Parlament in der nächsten der Abg. Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE Legislaturperiode den Rücken kehren wirst. Aber wir GRÜNEN]) wissen ja auch, wo dein Weg hinführt, nämlich nach Kolleginnen und Kollegen, ich kann mich erinnern, Wien zur UNIDO, wenn du als deutscher bzw. als EU- dass wir vor acht Jahren eine ähnliche Diskussion hatten; Kandidat gewählt wirst. Ich glaube, wir sind uns in die- damals ging es um den Mindestlohn: Ein Monster für die sem Hause alle miteinander, über alle Fraktionen hinweg, Betriebe, die Wettbewerbsfähigkeit wird beeinträchtigt. – einig, dass wir deine Kandidatur mit allen Kräften unter- Der Mindestlohn ist da, und er ist ein Segen für viele stützen. Denn wir sind stolz darauf und können nur Menschen. erwarten und erhoffen, dass damit das erste Mal ein Euro- 25024 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020

Dr. Peter Ramsauer (A) päer und noch dazu ein Deutscher dieses verantwortungs- Ich nutze traditionsgemäß jede Gelegenheit, wenn ich (C) volle Präsidentenamt bei der UNIDO übernimmt. Wir hier am Rednerpult stehe, meinen Wahlkreis zu erwäh- wünschen dir von Herzen auf diesem Weg alles Gute. nen. Hier fallen mir sofort zwei private Organisationen ein: der Pfarrverband Seeon im Chiemgau, der übrigens (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der in Malawi tätig ist, und die Ostafrikahilfe in Traunstein. LINKEN) Und damit es von Nord nach Süd ausgeglichen ist: der Mir tut es natürlich auch leid, dass so viele, wie du, Lions Club Hannover, der beispielsweise in Sri Lanka Gerd, ausgeführt hast, den Ausschuss verlassen werden. eine Geburtsstation betreibt. Die Kleinen dürfen wir Ich habe bereits gesagt: Ich werde bleiben. Und weil mich neben den ganz Großen nicht außer Acht lassen. der Florian Post gerade ansieht: Auch der hat mir das Aus meiner Tätigkeit in vorhergehenden Ämtern, zum zugesagt. Insofern blicke ich mit großer Freude auf die Beispiel als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, Zukunft unserer Arbeit. aber auch aus meiner Zeit als Bundesverkehrsminister, Weil ich gerade mit einem historischen Längsschnitt weiß ich, wie wichtig es ist, die Wirtschaft in internatio- durch die parlamentarische Arbeit angefangen habe: Lie- nale wirtschaftliche Zusammenarbeit einzubeziehen. ber Minister, lieber Gerd Müller, man kann dich in der Tat Dass von 3,6 Millionen deutschen Unternehmen nur gan- als Glückspilz bei Bundeshaushaltsfragen bezeichnen. ze 1 000 in Afrika engagiert sind, lieber Gerd Müller – – Wir haben in Haushaltsangelegenheiten und gerade beim Einzelplan 23 schon ganz andere Zeiten erlebt. Ich Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kann mich hervorragend an die Zeit erinnern, als die von Herr Kollege, es wird Zeit, die Stimme zu senken und mir hochgeschätzte Heidemarie Wieczorek-Zeul Minis- zum Ende zu kommen. terin war. Sie war es ab 1998. Aber in den Jahren 2005 bis 2009 durfte ich als Vorsitzender der CSU-Landesgruppe bei den Haushaltsklausuren des Kabinetts schon immer Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): dabei sein. Volker Kauder, du warst damals als Fraktions- Das dachte ich mir, lieber Herr Präsident. Ich sehe das vorsitzender der Unionsfraktion auch dabei. auch gelassen: keine Rede im Bundestag von mir in 30 Jahren, in der mich der jeweilige Präsident nicht In diesen Jahren hat Heidemarie Wieczorek-Zeul wie darauf aufmerksam gemacht hätte. eine Löwin gekämpft (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD) CDU/CSU) um Beträge in Höhe von 5 Millionen Euro, 10 Millionen Aber ich lerne es auch nicht mehr und will es auch gar (B) Euro, bei Haushalten immer in einer Größenordnung von nicht lernen. (D) 4 Milliarden bis dann im Jahr 2009 von 5,8 Milliarden Ich wollte nur sagen: Ohne den Einbezug der Wirt- Euro. Da habe ich mir immer gedacht: Respekt, wie diese schaft, der deutschen Wirtschaft, der Unternehmen in Frau sich hinstellt. Und du stehst da in wirklich guter Deutschland, werden wir unsere Ziele nicht erreichen. Tradition, lieber Gerd. Ich freue mich über die 12,4 Mil- Deswegen werbe ich sehr dafür, dass die Kammerorgani- liarden Euro, die wir da jetzt eingestellt haben. sationen, die AHKs, auch spiegelbildlich die Wirtschafts- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der kammern anderer Länder in Deutschland ordentlich ein- LINKEN) beziehen. Und weil der Kollege Münz eingangs gesagt hat, das In diesem Sinne wünsche ich unserer gemeinsamen sei ein Wahnsinnsaufwuchs gegenüber der ursprüngli- Arbeit weiterhin von Herzen alles Gute. chen mittelfristigen Finanzplanung von ungefähr 9 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der liarden Euro auf jetzt 12,4 Milliarden Euro: Eine der FDP) unzähligen Erfahrungen, die man in der Entwicklungs- zusammenarbeit macht, ist, dass wir die Mittel natürlich verstetigen müssen. Wir können nicht von einem Jahr Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zum anderen leben, und Projekte können natürlich insge- So. Jetzt der letzte Redner: der Kollege Matern von samt nur erfolgreich sein, wenn diejenigen, die diese Marschall, CDU/CSU-Fraktion. Projekte voranbringen und tragen, die sie planen, dann (Beifall bei der CDU/CSU) durchführen und erst nachhaltig machen und zum Erfolg bringen, in den weiteren Jahren auch fest mit Geld rech- nen können. Matern von Marschall (CDU/CSU): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Nach dem Aus- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- schussvorsitzenden ganz zum Schluss noch zu sprechen, KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lieber Kollege Ramsauer, ist natürlich eine besondere Ehre. Du hast darauf hingewiesen, wir hätten überwie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ein herz- gend gut interfraktionell zusammengearbeitet. Ich muss liches Dankeschön an die vielen Organisationen richten, zu Beginn leider doch noch mal an die Ausführungen des die unsere Entwicklungszusammenarbeit tragen. Dazu AfD-Abgeordneten Frohnmaier erinnern; das kann ich gehören die ganz großen Organisationen, die wir alle mir selber leider auch nicht ersparen. kennen. Dazu gehören aber auch viele kleine Organisa- tionen, deren Engagement wir nicht unterschätzen dürfen (Marianne Schieder [SPD]: Das ist es nicht und die unserer Hilfe bedürfen. wert!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25025

Matern von Marschall (A) Ich würde übrigens auch niemals irgendjemandem der natürlichen Lebensgrundlagen, der Artenvielfalt im (C) empfehlen, einen Beitrag der AfD in der Debatte anzu- Zentrum der Aufgaben dieses Hauses steht. Dafür, lieber hören; aber ausgerechnet dieser Beitrag ist nun wirklich Gerd, bin ich dir sehr dankbar. Das wollen wir von dir als besonders gut geeignet, um die verächtliche Kälte den Verpflichtung in die Zukunft übernehmen. Ärmsten gegenüber, die aus den Ausführungen deutlich spricht, um das wahre Gesicht der AfD zu zeigen. Also (Beifall bei der CDU/CSU) das sollten Sie sich ruhig noch mal anhören. Wir haben mit den Kollegen den ganzen Tag in den (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Debatten des Auswärtigen und der Verteidigung viel über der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Europa gesprochen; das war auch wichtig. Du hast zu GRÜNEN) Recht darauf hingewiesen, Minister Müller, dass wir im europäischen Etat zu wenig für dieses neu genannte Katzbuckeln Sie ruhig weiterhin im Kreml. Sie werden Außeninstrument haben. Die Kanzlerin wird die Etats die Unterstützung von dort dringend brauchen. Hoffen hoffentlich abschließend beraten können in diesen sehr Sie aber nicht, dass Sie mit Unterstützung des Kremls schweren Tagen, die vor ihr, vor dem Europäischen Rat unsere Gesellschaft spalten. mit der Blockade durch Ungarn und Polen liegen. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, sicher die größte Herausforderung unserer Ratspräsident- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE schaft. Wir müssen aber mehr tun, um europäisch besser GRÜNEN) koordiniert zusammenzuarbeiten. Jetzt komme ich zur Sache. Ich will den Bogen span- Ich bin ganz sicher, dass der Weg – BMZ 2030 –, dass nen, lieber Kollege Körber: 1 000 Milliarden Euro in die Fokussierung auf eine begrenzte Zahl von Ländern, zwei Jahren, davon 400 Milliarden Euro Schulden. Wir die auch zeigen, dass sie mit uns zusammenarbeiten wol- sind fest überzeugt: Wir wollen diese Schulden in abseh- len, richtig ist. Wir sollten diesen Willen gemeinsam barer Zeit zurückzahlen und nicht folgenden Generatio- haben. Dann können andere europäische Partner, die in nen überlassen. Und wir wollen die Schuldenbremse wie- anderen Ländern, in denen wir vielleicht nicht tätig sind, der einführen. Beide Dinge sehen die Fraktionen der mehr, länger und tiefer Erfahrung haben, dort tätig sein. Linken und der Grünen in Teilen nicht so. Wir wollen So stelle ich mir europäisch abgestimmtes Handeln vor. das aber, weil wir davon überzeugt sind, dass auch So stelle ich mir vor, dass wir in Zukunft, lieber Gerd, das – damit komme ich zum Thema des Haushaltes – eine gemeinsame europäische Entwicklungszusammen- zur Nachhaltigkeit gehört. arbeit auf den Weg bringen. (Beifall des Abg. Carsten Körber [CDU/CSU]) Dir für deine zukünftigen Aufgaben alles Gute und (B) Es ist nämlich das Prinzip der Nachhaltigkeit, künftigen uns, da, wo es gewünscht ist, weiter eine gute Zusammen- (D) Generationen die Möglichkeit zur eigenen Entwicklung arbeit. zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall des Abg. Norbert Barthle [CDU/CSU]) ordneten der SPD) Lieber Minister Müller, lieber Gerd, ich möchte noch einmal meine Wahrnehmung zum Ausdruck bringen, was Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dein Engagement motiviert. Ich bin der festen Überzeu- Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus- gung, dass es auch deine christlichen Grund- sprache. überzeugungen sind, die dein Engagement tragen, dass Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23 – es deine Überzeugung ist, dass wir in dieser einen Welt, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die uns verantwortlich übertragen worden ist, deren und Entwicklung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt Schöpfung uns verantwortlich übertragen worden ist, dafür? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt zusammenarbeiten müssen. Ich glaube, dass dich dieser dagegen? – Das ist geschlossen die Opposition. Enthal- Anspruch zur gerechten Globalisierung im Wesentlichen tungen? – Keine. Der Einzelplan 23 ist mit den Stimmen darin antreibt, mit den Ressourcen dieser Erde sorgsam der Koalitionsfraktionen angenommen. umzugehen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Liebe Frau Kollegin Hajduk, ich muss und darf Sie in diesem Sinne korrigieren. Allein im Jahr 2019 betrug der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Anteil der Klimaschutzfinanzierung aus dem BMZ tages auf morgen, Donnerstag, den 10. Dezember 2020, 4,3 Milliarden Euro. 500 Millionen Euro sind in diesem 9 Uhr, ein. Jahr noch einmal dazu gekommen. Gerd Müller hat hart Die Sitzung ist geschlossen. darum gekämpft. Insofern kann man sagen, dass der Schutz der Umwelt, der Natur, der Wälder, der Meere, (Schluss: 18.23 Uhr)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 198. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Dezember 2020 25027

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Brantner, Dr. Franziska BÜNDNIS 90/ Noll, Michaela CDU/CSU DIE GRÜNEN Pasemann, Frank AfD Chrupalla, Tino AfD Petry, Dr. Frauke fraktionslos De Ridder, Dr. Daniela SPD Pilger, Detlev SPD Freihold, Brigitte DIE LINKE Remmers, Ingrid DIE LINKE Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Rimkus, Andreas SPD Gauland, Dr. Alexander AfD Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Schimke, Jana CDU/CSU Grötsch, Uli SPD Schneidewind-Hartnagel, BÜNDNIS 90/ Charlotte DIE GRÜNEN Hakverdi, Metin SPD Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD Hampel, Armin-Paulus AfD Seitz, Thomas AfD Harder-Kühnel, Mariana AfD Iris Steinke, Kersten DIE LINKE Hartmann, Verena fraktionslos Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ (B) DIE GRÜNEN (D) Hebner, Martin AfD Vogt, Ute SPD Hemmelgarn, Udo Theodor AfD Vries, Kees de CDU/CSU Hendricks, Dr. Barbara SPD Wagner, Daniela BÜNDNIS 90/ Herzog, Gustav SPD DIE GRÜNEN Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Weeser, Sandra FDP Hoffmann, Alexander CDU/CSU Weiler, Albert H. CDU/CSU Irlstorfer, Erich CDU/CSU Weinberg, Harald DIE LINKE Kemmer, Ronja* CDU/CSU Weingarten, Dr. Joe SPD Kolbe, Daniela SPD Westphal, Bernd SPD Komning, Enrico AfD Witt, Uwe AfD Miazga, Corinna AfD Yüksel, Gülistan SPD Müller, Hansjörg AfD Zimmermann, Pia DIE LINKE Müller-Böhm, Roman FDP * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333