Infragestellen Als Kreativer Akt Hugo Loetscher Über Robert Frank
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NeuöZürcörZäitung ZEITBILDER Samstag/Sonntag, 3./4.September 2005 Nr.20577 Robert Frank, courtesy Pace/MacGill Gallery, New York Memory for the Children, 2001–2002. Infragestellen als kreativer Akt Hugo Loetscher über Robert Frank Man kann nicht über die Moderne der Fotografie reden, ohne von Atelier steht für das, was sich in der Schweiz der dreissiger Jahre Der Erfolg seines Buches «Les Americains», ´ 1958 auf Franzö- Robert Frank zu sprechen, wenn mit Moderne die Jahrzehnte ge- als fotografischer Qualitätsanspruch herausgebildet hat: Sachauf- sisch und ein Jahr später auf Englisch («The Americans») erschie- meint sind, in denen die Fotografie zu ihrer eigenen Sprache ge- nahme, Dokumentarfotografie und Werbung. Wie stark diese Aus- nen, war so enorm, dass Früheres in den Hintergrund trat. Voran- funden hat – oder genauer zu ihren eigenen Sprachen. bildung das Schaffen Franks bestimmt hat, wird oft nicht zur gegangen war der Fotoband «Indios» (1956); in ihm waren neben Nun war der Eintritt von Frank in diese Modernität so eklatant, Kenntnis genommen – das gilt für den Reporter wie für den Mode- Bildern von Pierre Verger Fotos von Werner Bischof und Robert dass man darob seine Anfänge übersehen hat. Daher ist es ver- fotografen. Frank zu sehen, von den beiden Schweizern, die es als Erste zu dienstvoll, dass das Fotomuseum Winterthur und die Fotostiftung Nun kam hinzu, dass sich sein fotografisches Bewusstsein nicht internationalem Renommee brachten. Es lohnt sich, diesen Band Schweiz die Robert-Frank-Ausstellung «Storylines» um eine seiner nur im Umgang mit der eigenen Kamera schulte, sondern auch in zum Vergleich in die Hand zu nehmen, um festzustellen, welchen ersten Reportagen erweitert haben. Franks Bericht über die Appen- der Auseinandersetzung mit den Werken anderer Fotografen. Er Weg Franks Bildsprache zurückgelegt hat: zu einer Fotografie sub- zeller Landsgemeinde nimmt denn auch in unserer Präsentation als arbeitete 1953 mit Edward Steichen zusammen für die Ausstellung jektiver Gestimmtheit, die nicht auf Kosten des Gegenübers geht «historische Novität» einen besonderen Platz ein, nicht nur wegen «Post War European Photography» und 1955 für die weltweit ge- und die auch nicht dem technisch perfekten Bild geopfert wird. der bei Frank seltenen schweizerischen Thematik. Die Reportage zeigte Wanderausstellung «The Family of Man». Dieser Wandel erschreckte Gotthard Schuh, den Fotografen und aus dem Jahr 1949 zeigt bereits die Kraft des Reporters, der man Die Frank-Rezeption beginnt üblicherweise mit seiner Über- Bildredaktor, der 1952 als Erster Bilder von Frank in der NZZ ver- in einem Bericht wie dem über den Minenarbeiter Ben James im siedlung nach New York, wo er ab 1947 unter dem Art Director öffentlicht hatte: «Wie wenig ist da von dem, was uns vertraut war walisischen Caerau wiederbegegnen wird. Alexey Brodovitch für «Harper's Bazaar» zu arbeiten begann. Wie und was wir an deinen Bildern liebten.» Für seine Reportagen brachte Frank beste Voraussetzungen mit. sehr er als «amerikanischer» Fotograf betrachtet wurde, mag man Dass ein Fotograf die USA, «America», zum Thema wählte, 1924 in Zürich geboren, verdankte er seine Ausbildung Lehrern daraus ersehen, dass er 1950 in der Ausstellung des Museum of war kein Novum. Neu war, wenn schon, dass Frank der erste Euro- wie Hermann Segesser oder Michael Wolgensinger. Wolgensingers Modern Art, «51 American Photographers», vertreten war. päer war, der ein Guggenheim-Stipendium gewann. Dieses er- Robert Frank, courtesy Pace/MacGill Gallery, New York Mabou, 1977. 78Samstag/Sonntag, 3./4.September 2005 Nr.205 ZEITBILDER NeuöZürcörZäitung Robert Frank, courtesy The Detroit Institute of Arts, Detroit Robert Frank, courtesy Pace/MacGill Gallery, New York Detroit, 1955. London, 1951–1952. laubte die ausgedehnten Reisen durch die Staaten, welche ihm zum festgehalten wurden, wie dies noch in einer Bildfolge über London zeigt an einem persönlichen Schicksal. Der Fotograf, der einen Bildmaterial seiner «Amerikaner» verhalfen. Die USA, das andere, der Fall gewesen war. Wie persönlich und wie fragmentarisch am Klassiker des Kollektivporträts schuf, ist zugleich ein Fotograf des das arme Amerika, waren in den dreissiger Jahren im Zeichen des Ende auch in «The Americans» die Auswahl ausfiel, vermittelt Privat-Persönlichen, das nie ins Exhibitionistische abgleitet, da es New Deal programmatisch zum Gegenstand der Fotografie gewor- wurde mit diesem Kollektivporträt, was optisch nicht von vorne- zum Element kreativer Fotografie wird, wie dies die jüngsten Bil- den. Und ebenso ist an das Team von Roy Striker zu erinnern, das herein fassbar ist, nämlich die Mentalität einer Gesellschaft und der, «Memory for the Children 2001–2003», zeigen. die USA systematisch von 1936 bis 1943 fotografisch zu erfassen somit die Entmystifizierung des «American way of life». Die Fotografie ist sich selber zum Thema geworden, und dies in suchte. – Was «The Americans» vorab auszeichnete, war die Erstaunlich, dass sich Frank von dem Medium abwandte, dem einem dialektischen Prozess von Infragestellung und Selbst- Selbstverständlichkeit, mit der Frank sich des Alltags annahm, un- er seinen Ruhm verdankte. Zwar fotografierte er nach wie vor bei behauptung. Zur Emanzipation gehörte auch die Befreiung vom dramatisch und ohne Sensationshascherei. Die Entdeckung des Gelegenheit, aber in den sechziger Jahren interessierte ihn zuneh- Fixiertwerden durch das Wort, indem die Legende ins Bild selber Banalen fand ihre Entsprechung im damaligen psycho-soziologi- mend die Filmarbeit. Als Thema nicht mehr die Amerikaner, son- einbezogen wurde: words, words. Aber das bedeutete zugleich eine schen Interesse an der Alltäglichkeit, das die Bedeutung nicht hin- dern ein bestimmtes Amerika, das der «beat generation». Jack Literarisierung der Fotografie, die durch ihre Selbstinterpretation ter den Dingen suchen wollte, sondern in ihnen. Eine Arbeits- Kerouac hatte die Einleitung zur englischen Ausgabe von «The in ein mehrdeutiges Spannungsverhältnis führt und diese Span- weise, die Frank mit seinem «On the road»-Fotografieren ebenfalls Americans» verfasst. Seinen ersten Film realisierte Frank mit ihm nung in sich selber austrägt. Zum Bild wird eine reflektierte Wirk- anwandte, wenn er von einem fahrenden New Yorker Bus aus Auf- und Allen Ginsberg zusammen. Es entstanden aber auch Filme, in lichkeit, die sich nicht mit dem unmittelbar Vorgegebenen zufrie- nahmen machte, eine Methode der Direktheit auch, welche die denen die Subjektivität, die in seinen Fotos stets präsent war, wenn den gibt. Die Foto wird zerschnitten, neu zusammengeklebt, zu «street photographers» später zum Grundsatz erkoren. auch nur verhalten, nun direkt angesprochen wird: «Me and My Panoramen ausgeweitet, Bedeutung erst innerhalb einer Sequenz Das Buch verleitete zu erstaunlichen Interpretationen. Da war Brother» oder «About Me– A Musical». Wenn nun im Begleitpro- erlangend. Da dringt auch die Ironie durch, die Franks Schaffen ebenso von metaphysischer Fotografie die Rede wie von einer exis- gramm zur Frank-Ausstellung ein Film wie «Pull My Daisy» ge- von Anfang an durchzieht, nicht als Distanzierung, sondern als tenzialistischen Kamera. «Christ died for our sins», kann man bei zeigt wird, so ist das nicht blosse Ergänzung. Der filmische Um- melancholisches Bewusstwerden beim Sicheinlassen auf ein Thomas Honickel lesen, der über die «Echos auf Robert Franks gang mit der Kamera stellt eine entscheidende Weiterführung der Gegenüber, das gebrochene Bild als Antwort auf eine gebrochene ‹The Americans›» schreibt. Was Franks Werk an Assoziationen Auseinandersetzung mit der Möglichkeit optischer Ausdrucksweise Wahrheit. Das Infragestellen wird zum kreativen Akt: Dem Bild und Deutungen hervorruft, wird der Band «Essays über Robert dar: «bewegte Bilder». Man könnte auch sagen, Frank habe mit misstrauend, gelangt er zu einer neuen Bildsprache. Indem Frank Frank» zeigen, der parallel zur Winterthurer Ausstellung erscheint: «The Americans» ein Niveau der Perfektion erreicht, von wo aus Fotografieren als Reflektieren über die Fotografie versteht, bietet er «Sequenzen in Alben, Fotobüchern und Polaroids» oder «Von es nur noch die Wiederholung gegeben hätte. Als Weiterentwick- eine Entsprechung zu der Literatur, die Schreiben als Nachdenken Walker Evans zu Robert Frank, eine Linie, die sich verläuft» sind lung bot sich das Experiment Film an. Umso fulminanter war dann über das Schreiben auffasst. Insofern ist das Werk von Robert zwei Beispiele daraus. Aber auch «Those goddamned stories with die Rückkehr zur Fotografie. Frank ein Zeugnis von Zeitgenossenschaft, die über die Fotografie a beginning and an end», wie der Mitherausgeber, Martin Gasser, 1972 kam «The Lines of My Hand» heraus, eine fotografische hinausweist. seinen Aufsatz betitelt. Autobiografie, wie man sie bis anhin nie gesehen hatte. Nicht ein Die Ausstellung «Robert Frank – Storylines» im Zentrum für Fotografie in Winter- thur dauert vom 3.September bis zum 20.November 2005. Ausführliche Informatio- «The Americans» erlangten einen eigenen Rang nicht zuletzt Lebensweg, der mit Bildern illustriert wird, sondern die Autobio- nen über Begleitveranstaltungen, zum Beispiel Filmvorführungen im Zürcher Kino deswegen, weil nicht einfach Porträts, Situationen oder Momente grafie verstanden als Heranbildung visueller Welterfahrung, aufge- Xenix, im Internet unter www.fotostiftung.ch oder www.fotomuseum.ch. Robert Frank, «Neuf», Dezember 1952 Robert Frank, «Neuf», Dezember 1952 Peru, 1948. Peru, 1948. NeuöZürcörZäitung ZEITBILDER Samstag/Sonntag, 3./4.September 2005 Nr.20579 Robert Frank, Sammlung Fotostiftung Schweiz (Winterthur) Landsgemeinde Hundwil, 1949 Robert Frank Robert Frank Robert Frank, Sammlung Volkart Holding, Winterthur Robert Frank.