ISSN 0945-0327 Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] RUNDBRIEF FOTOGRAFIE undbrief Fotografie, Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 2 [N.F. (2017), No. 24 Vol. undbrief Fotografie, R

Analoge und digitale Bildmedien in Archiven und Sammlungen EIN BILD EIN BILD

Michael Diers Gegenteil, jeder wird – und sei er noch so unscheinbar – ernst und Tische, Stühle und Schränke nicht als Requisiten fungie- genommen und in seiner Eigenart gewürdigt. Aus diesem ren, sondern vielmehr gemeinsam als Akteure in einem Stück wechselseitigen Vertrauen erwächst die über Jahre errungene auftreten, dessen Titelhelden das Licht und die Farbe sind und Sicherheit, immer den richtigen Standpunkt zu wählen und in welchem die (Belichtungs-)Zeit Regie führt. ZEIT/RÄUME den adäquaten atmosphärischen Ton zu treffen. Dass sich in In vielen Fällen kann man von einem zweifachen Selbst- Über die Schönheit als kritische Kategorie bei Candida Höfer den Bildern gelegentlich auch ein ironisches Augenzwinkern porträt sprechen: So wie sich die Räume häufig selbst bereits niedergelegt findet, ist Teil der Verabredung. Denn welche in den blitzblanken Terrazzo-, Marmor- oder Holzfußböden Räume, zumal wenn sie eine abwechslungsreiche Geschichte reflektieren, stellen sie sich geziemend auch vor der Kamera haben, sind ohne Fehl und Tadel, demnach ohne nachträgli- zur Schau; auf der Gegenseite künden die Bilder von der Auto- che Einbauten oder kuriose Zutaten, die sie in einem Detail rin, die durch ihre fotografische Arbeit kaum weniger augen- decouvrieren und ein wenig aus ihrem gravitätischen Gleich- fällig, wenn auch in der Regel persönlich unsichtbar, als stille gewicht bringen. Doch solch vorsichtige Kritik zielt nie auf Beobachterin und Gestalterin im Bild zugegen ist [1]. den Raum, sondern auf diejenigen ab, die sorglos mit ihm Dem Betrachter ist es anheimgestellt, auf welcher der bei- umgehen – Spuren des Gebrauchs und der Nutzung, die im den maßgeblichen Ebenen er seine Auseinandersetzung be- ginnt, sei es auf der Seite des Raumes oder jener des Bildes, auf der Seite des Dargestellten oder der Darstellung. In der „[...] die meisten der von Regel setzt man beim Interieur selber an, indem man sich zu- nächst des gezeigten Ortes vergewissert. Der Blick schweift Höfer abgelichteten Interieurs durchs Bild, identifiziert die Architektur und ihre Ausgestal- sind in der Realität weniger tung und erkundet erste Details. Aufgrund des Großformates ist eine solche Betrachtung nicht ganz ohne eine leichte Be- oder doch zumindest wegung vor dem Bild zu haben: Man dreht und wendet sich auf andere Weise hierhin und dorthin, beugt sich vor und hinunter, blickt auf und zu den Seiten, tritt zurück und wieder vor. Die Augen schön als im Bild.“ haben reichlich zu tun, die Fülle an Informationen zu regis- trieren, zu identifizieren und zu sondieren. Anschließend wen- det man sich dem Bild, seiner Logik und Konstruktion zu und Bild jeweils gesteigerte Prägnanz gewinnen. Als Indizien ver- versucht, die ästhetische Struktur zu ergründen, um hinter weisen sie deutlich auf den Menschen als Hüter des Hauses das Geheimnis des Bildes, seine Idee und Faktur und insbe- und das mehr oder weniger gelungene Arrangement, das er sondere das Konzept der ebenso bezwingenden wie beunru- mit seiner Umgebung getroffen hat. higenden Schönheit zu kommen. Denn die meisten der von Es ist eine Binsenweisheit anzumerken, dass selbst ein Höfer abgelichteten Interieurs sind in der Realität weniger im Alltag bestens bekannter Raum im gelungenen fotografi- oder doch zumindest auf andere Weise schön als im Bild. Die- schen Bild zu einer völlig neuen Kenntlichkeit entstellt wird. ser ästhetischen und phänomenologischen Differenz nachzu- Wie verwandelt oder verfremdet, ist er auf den ersten Blick spüren, ist verlockend und stellt sich als Aufgabe für jedes Bild oft nicht wiederzuerkennen. Das fotografische Auge sieht auf- neu. All diese Zusammenhänge erschließen sich jedoch nicht grund seiner technischen Natur zwar der Sache nach nichts im Vorübergehen, sondern nur durch eingehende Betrachtung. Anderes, aber doch optisch in vieler Hinsicht anders als das Abb. 1 – Candida Höfer: Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar XIII, 2004, C-Print, 120 x 122 cm (© Candida Höfer, Köln / VG Bild-Kunst, Bonn). menschliche Organ und kann folglich immer wieder mit ab- 2. weichenden, staunenerregenden Ansichten überraschen; ent- scheidend ist die Wahl des Objektivs, des Blickpunktes und Die Aufnahme Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar XIII „Jede Fotografie ein Gemälde. Sehr schön!“ Objektiv der Kamera selbst zu bespiegeln, nicht eitel, aber der Belichtungszeit. Im Fall von Candida Höfer lässt sich re- (2004) liefert einen Blick in einen eher weniger repräsenta- (Eintrag im Besucherbuch einer Berliner Galerie doch in Positur gerückt, ein wenig stolz, aber kaum je hage- sümieren, dass sie ihr Raum-Gegenüber auf den je eigenen tiven Abschnitt der renommierten Bibliothek der deutschen anlässlich einer Höfer-Ausstellung, 2008) stolz. Die scheinbar paradoxe Tatsache, dass die Fotografin visuellen Begriff bringt. Und dieser Begriff meint nicht aus- Klassik. Statt des prunkvollen Rokokosaals steht eine Abseite während der Belichtung jeweils für eine mehr oder weniger schließlich und nüchtern das architektonische Erscheinungs- auf der Empore vor Augen. Im Vordergrund ist, direkt auf dem 1. lange Weile im Raum zugegen ist, wiewohl dieser sich später bild, sondern zugleich die Geschichte des Ortes und einen Fußboden abgestellt, das hölzerne Modell eines Gebäudes zu im Bild als völlig leer erweist, wäre eigentlich nicht der Rede Teil der darin gespeicherten Geschichten. Künstlerische Sub- sehen, das von fern her an einen Palladio-Bau erinnert. Über Es ist vielleicht nicht ganz abwegig zu vermuten, dass Candida wert, wenn sich nicht gerade aus diesem Umstand jene eigen- jektivität und fotografisch-technische Objektivität gehen mit- einem mehrfach gestuften Sockel erheben sich zwei in ihrem Höfer öffentliche Räume exakt so fotografiert, wie diese sich tümliche, von Präsenz tingierte Intensität und Spannung der einander einher, um einen Innenraum im Bild in Form einer Bauschmuck unterschiedlich gestaltete Geschosse. Während am liebsten selber dargeboten sähen – im besten Licht und Höferschen Aufnahmen herleiteten. dichten Beschreibung eindringlich zur Anschauung zu brin- im Erdgeschoss eine kräftige Bossenstruktur nebst kleinen vollem Glanz, in aller Ruhe und völlig bei sich; nicht in einen Es scheint zumindest in jedem einzelnen Fall eine stum- gen. So entstehen physiognomisch scharf konturierte, narra- Fenstern dominiert, tritt im Piano nobile, gegliedert durch ei- Dornröschenschlaf gefallen, sondern gespannt aufmerksam me Übereinkunft zwischen dem Ort und der Fotografin zu tiv kondensierte Raumporträts, die sich auch als kleine und ne korinthische Pilasterordnung, eine Folge von acht großen wie kurz vor dem Eintritt des Publikums. Die Räume schei- geben, sich zu akzeptieren und zu respektieren. Kein Raum geheime Historienbilder auffassen lassen, in denen Wände, Rundbogenfenstern prominent in Erscheinung, die zu beiden nen sich, gefiltert durch ein künstlerisches Temperament, im wird bloßgestellt oder der Lächerlichkeit preisgegeben, im Decken, Böden, Türen und Fenster einmal nicht als Kulissen Seiten von einem Risalit mit Statuennische gerahmt werden.

4 Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 5 MEDIENGESCHICHTE MEDIENGESCHICHTE

Kristina Lemke „[D]er Mann, [...] ohne den die Zeitungen in ganz bildvertrieb OHG angegliedert, der sich allein auf die Dis- Deutschland nicht leben können“ tribution der Fotografien konzentrierte[8]. Die Entscheidung Atelier und Vertrieb als zwei getrennte Bereiche zu führen, er- „[D]er Mann, der scheinbar alles kann und der überall ist, folgte unter vermarktungsstrategischen Gesichtspunkten. Für DR. PAUL WOLFF ohne den die Zeitungen in ganz Deutschland nicht leben kön- jeden Themenbereich legte er Bilder auf Vorrat an, mit denen Eine Fotografenkarriere im Nationalsozialismus nen, Dr. Paul Wolff […]“, schreibt Wolf H. Döring in einem er bei entsprechender Nachfrage Verlage oder Bildagenturen Sonderbericht zur „große[n] Photo-Ausstellung in Leipzig“ bedienen konnte. Vor allem mit der Agentur Schostal und 1932, in der die Arbeiten der Mitglieder der Gesellschaft dem Ullstein Bildverlag muss sich eine intensive Zusammen- Deutscher Lichtbildner (GDL) präsentiert wurden [1]. Das arbeit ergeben haben, wofür die große Anzahl der in den dor- Zitat belegt die herausragende Bedeutung und Bekanntheit tigen Bildarchiven erhaltenen Fotografien spricht. Weitere des Fotografen, Verlegers und Unternehmers Dr. Paul Wolff Agenturverbindungen bestanden mit Mauritius Berlin, Black (1887–1951) zu Beginn der 1930er Jahre. Star Picture Agency, New York und London, und dem Linden- Das historische Quellenmaterial zur Rekonstruktion Verlag in München, wie an vielen frühen Fotografien anhand von Leben und Werk dieses einst so bekannten Fotografen der Agenturstempel nachgewiesen werden kann. Pressever- ist jedoch denkbar gering. Es ist anzunehmen, dass viel zer- stört wurde, als das Atelier des Fotografen 1944 bei einem Bombenangriff auf die Stadt Frankfurt am Main in Flam- „Solche Involviertheit men aufging. Erhalten geblieben sind die zum Schutz vor Kriegszerstörungen ausgelagerten Schwarz-Weiß-Kleinbild- in die politische Propaganda negative [2]. Heute werden sie im Dr. Paul Wolff & Tritsch- muss jedoch keineswegs ler – Historisches Bildarchiv in Offenburg verwahrt [3]. Das umfangreiche, nach Nummern geordnete Bildmaterial um- mit einer minderen Qualität fasst rund 500 000 Negative. Schriftmaterial findet sich in Abb. 1 bis 12 – der gestalterischen Leistung Dr. Paul Wolff: diesem Archiv jedoch kaum. Einzig eine Art Firmenbuch „nicht was man hilft bei der Rekonstruktion der zwischen 1928 bis 1948 ge- einhergehen.“ sieht[,] sondern tätigten Aufnahmen und liefert wichtige Erkenntnisse zu wie man sieht“, Datierungen und Auftraggebern. Portfolio, Frank- Paul Wolff hatte zunächst Medizin studiert und 1914 mit treter bediente er zudem in England, der Schweiz, Österreich, furt am Main: einer Promotion über „Experimentelle Beiträge zur Aetiologie Italien, Frankreich, Skandinavien, Holland und Amerika [9]. Bronner’s Druckerei, ca. 1933/34, der accidentellen Syphilis“ in Straßburg abgeschlossen. Nach Was der heute etablierten ‚stock photography‘ gleicht, stellte 26,3 x 19,3 cm dem Ersten Weltkrieg konnte er im nunmehr französischen damals eine neuartige und moderne Form des Bildervertriebs (Privatsammlung). Elsass seinen Beruf nicht mehr ausüben und zog 1919 nach dar. In den 1930er Jahren waren Wolffs Fotografien in Zeitun- Frankfurt am Main [4]. Für die Eröffnung einer eigenen Praxis gen, Zeitschriften und Buchpublikationen geradezu omniprä- fehlten ihm die Mittel und so begann er zum Broterwerb als sent [10]. Die Verfolgung zahlreicher seiner jüdischen Foto- Am 19. Februar 2017 jährte sich der 130. Geburtstag von Dr. Paul Wolff: A Photographer’s Career under Fotograf zu arbeiten, nachdem er bereits in der Straßburger grafen-Kollegen durch die Nationalsozialisten hat sicherlich Dr. Paul Wolff. Der Fotograf wurde vor allem durch seine National Socialism Zeit einen Fotoband zur Stadt herausgegeben hatte [5]. 1924 ebenfalls zu Wolffs Monopolstellung beigetragen. Bilder und Bücher der 1930er und 1940er Jahre weltbe- On February 19, 2017, Dr. Paul Wolff would have turned gründete er den Paul Wolff Verlag, 1926 die Firma Wolff-Film, Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte Wolff zuneh- kannt. Wolffs Stellung als einer der erfolgreichsten Foto- 130 years old. Wolff was known worldwide especially for Film- und Photoaufnahmen [6], die rasch expandierte [7]: Ab mend Schwierigkeiten, seine Leistungen und seinen Erfolg grafen des sogenannten Dritten Reichs wurde durch die his pictures and books from the 1930s and 1940s. His posi- 1932 beschäftigte Wolff fünf Mitarbeiter, er selbst verdiente aufrechtzuerhalten. Erschwerend kam eine Medikamenten- allgemeine Politisierung der Zeit immer wieder kontrovers tion as one of the most successful photographers of the so 18.000 Reichsmark. Den Höhepunkt erreichte das Unterneh- abhängigkeit hinzu, die ihn zu mehrwöchigen Aufenthalten diskutiert. Ein kürzlich entdecktes Portfolio aus der Zeit called Third Reich has repeatedly been the subject of heat- men 1938 mit einer Beschäftigungszahl von 18 Mitarbeitern, im Sanatorium zwang. Geldveruntreuungen seines ehemali- um 1933/34 stellt eine bedeutende neue Quelle dar, die so- ed debate due to the general politicization of that period. Wolffs Einkommen betrug zu diesem Zeitpunkt 50.000 RM. gen Buchhalters Adam Eberle in Höhe von 80.000 RM brach- wohl das facettenreiche Bildrepertoire als auch die strate- A recently discovered portfolio from around 1933/34 repre- Das jährliche Durchschnittsgehalt eines Arbeiters lag 1938 ten seine Firma in Schieflage[11]. Mehrere Buchprojekte, da- gische Eigenwerbung des Fotografen bezeugt. Es soll ge- sents a significant new source, which testifies not only to vergleichsweise bei nur 1.920 RM. Mit Kriegsbeginn hatte runter auch seine bis heute unveröffentlichte Autobiografie zeigt werden, dass Wolff gezielt stilistische Ambivalenzen the photographer’s multifaceted pictorial repertoire but also Wolff 1939 nur noch acht Mitarbeiter, aber sein Jahresein- Ein Leben in Licht und Schatten, konnte er bis zu seinem Tod nutzte, um einen möglichst breiten Markt zu bedienen; zu- to his strategic self-promotion. It will be shown that Wolff kommen lag immer noch bei 45.000 RM. 1945 machten sich 1951 nicht mehr realisieren [12]. In der Nachkriegszeit geriet gleich warb er mit eindeutiger politischer Zugehörigkeit. selectively used stylistic ambivalences to reach as broad a die Folgen des Krieges bemerkbar und er verdiente bei fünf Paul Wolff zunehmend in Vergessenheit. Das Portfolio veranschaulicht die Vermarktungsstrategien market as possible, while at the same time demonstrating Angestellten nur noch 1.000 RM pro Jahr. Wolffs, die auch allgemein im Spannungsfeld moderner a clear political affinity. The portfolio exemplifies Wolff’s Obgleich Wolff mehrere andere Fotografen beschäftigte, Ein Fotograf zur Zeit des Nationalsozialismus Gestaltungsweisen stehen. Das Beispiel Dr. Paul Wolff marketing strategies, which also generally reflect the wurden alle Aufnahmen unter seinem Namen veröffentlicht. zeigt, dass die Fotografie einen wichtigen und in der For- aspects of modern design. The example of Dr. Paul Wolff Eine Unterscheidung der Autorschaft ist heute nahezu un- Wolffs Stellung als einer der erfolgreichsten Fotografen des schung noch immer unterschätzten Bestandteil der natio- shows that photography was an important component of möglich. 1927 stellte Wolff den Fotografen Alfred Tritschler sogenannten Dritten Reichs wirft Fragen zur Person, zu sei- nalsozialistischen Kulturpolitik darstellte. National Socialist cultural politics, but also that this topic (1905–1970) ein, der ab 1937 auch Teilhaber der Firma wur- nem Werk sowie seiner geschäftlichen Tätigkeit auf. Die bis- is still underestimated by researchers. de. Dem Unternehmen war der Dr. Paul Wolff & Co. Licht- herige Forschung kennt Paul Wolff einerseits als Pionier der

8 Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 9 MEDIENGESCHICHTE MEDIENGESCHICHTE

Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9

Das Programm: „nicht was man sieht[,] sondern Kreisform wiedergegeben wird. Mit leicht seitlich aufgenom- stellt (Abb. 3). Auffällig ist der enge Bildausschnitt, der nicht das zoologischen Gärten, erschienen 1929 in der Reihe der Blauen wie man sieht“ menem, am äußeren Rand angeschnittenem Motiv betont die gesamte Denkmal zeigt, sondern sowohl den Sockel als auch Bücher im Verlag K. R. Langewiesche. Ausgewählt wurden Fotografie die Dynamik und Kraft der Maschine. Erstmals 1929 die rechte, einen Feldherrenstab haltende Hand abschneidet. zwei kompositorisch höchst unterschiedliche Bilder: auf der Aufgrund der nur spärlich vorhandenen Quellen zu Leben wurde das Flugzeug auf einer Fahrt des Passagierschiffes Bre- Zudem ist das Reiterstandbild nicht frontal, sondern von der einen Seite eine geradezu klassische Aufnahme, die die bei- und Werk Paul Wolffs kommt einem erst kürzlich aufgetauch- men zum Posttransport nach Amerika versuchsweise einge- Seite und in starker Untersicht aufgenommen, wodurch das den „Schnäbelnde[n] Kraniche“ in voller Größe und Schärfe ten Dokument, das der Forschung bislang nicht bekannt ist, setzt. Mit einer Zeitersparnis von 36 Stunden sollte damit in Aufsteigen des Pferdes und damit verbunden die Kühnheit des zeigt (Abb. 4); auf der anderen Seite die Nahaufnahme eines besondere Bedeutung zu: Es handelt sich um ein sogenanntes den darauffolgenden Jahren nicht nur das Postwesen, sondern Herrschers betont wird. Das Bild ist mit einem links und un- durch ein Gitter fauchenden Schneeleoparden, die durch den Portfolio. Das in einer Privatsammlung befindliche Dokument auch der Nachrichtenverkehr revolutioniert werden. Passen- differenzierten Einsatz von Schärfe und Unschärfe besticht ist um 1933/34 zu datieren und bietet die Möglichkeit, Wolffs derweise platzierte Wolff diese Aufnahme als Inbegriff des (Abb. 5). Unter den Abbildungen werden auch hier jeweils die strategische Selbstvermarktung in diesen Jahren auch in Ver- technischen Fortschritts auf dem Titel seines Portfolios und Motive benannt, und es wird auf ihre Publikationsorte ver- bindung mit seiner politischen Positionierung zu erläutern. demonstrierte damit die Modernität seiner eigenen Arbeit. „Im Fall des Portfolios wiesen. Den eigentlichen Text des Portfolios bilden aber Zi- Unter einem Portfolio versteht man eine Art Bewerbungs- Der in der Titelzeile begonnene Satz wird auf der nächs- von Paul Wolff handelt es tate aus lobenden Besprechungen dieser Arbeiten in diversen mappe mit einer Auswahl repräsentativer Arbeitsproben. Die- ten Seite in großen, schwarz gedruckten Lettern mit „darauf Zeitungen: „Die eigentliche Überraschung ist des Photogra- ses kann mitgeführt oder versandt werden, um einem Interes- kommt es an!“ weitergeführt (Abb. 2). In einem kurzen Intro er- sich um eine professionell phen Gefühl für das Tier ... über die ‚Gang und Gäbe‘-Vorstel- senten oder potenziellen Kunden die Qualität und das jewei- gänzt er sein schmissiges, titelgebendes Credo durch eine an gedruckte Werbebroschüre, lungen von den einzelnen Tieren geht dieser liebende und lige Spezialgebiet aufzuzeigen. Im Fall des Portfolios von Paul die Adressaten des Portfolios gerichtete Erläuterung, dass er begreifende Beobachter weit hinaus. Er lehrt sehen!“, wird Wolff handelt es sich um eine professionell gedruckte Wer- im Folgenden Stimmen aus der internationalen Presse zur Be- die in authentischer Weise beispielsweise der Hannoversche Kurier zitiert. bebroschüre, die in authentischer Weise sein Programm in schreibung seines Leistungsprofils anführen will: „Dieses Heft sein Programm in Wort Die gestalterische Konzeption folgt einer schlichten Wort und Bild vorstellt. In dem ähnlich einem Fotobuch wendet sich an alle, die die Unersetzlichkeit und die Überzeu- Grundstruktur, die sich im Layout teils an zeitgenössischen aufgebauten Portfolio präsentiert sich Wolff als moderner gungskraft des photographischen Bildes erkannt haben und und Bild vorstellt.“ Buchpublikationen, teils an der illustrierten Presse orientiert, Fotograf, der einen experimentellen, abwechslungsreichen denen wir mit unserer Arbeit, unserem Können und unserer wo das Bild und die Bildserie streckenweise den Text nicht Umgang mit der Kamera pflegte. „Nicht was man sieht[,] son- Erfahrung dienen wollen! Da es uns weniger wichtig zu sein selten buchstäblich an den Rand drängen. Eine meist groß- dern wie man sieht“, heißt es auf dem Titelblatt, das von scheint, Ihnen zu sagen, wie wir zu unserer Arbeit stehen, las- ten laufenden Rand in die obere rechte Seitenecke gesetzt. formatige Abbildung wird von kurzen Texten begleitet. Auf einer ganzseitigen Abbildung des Propellers eines Katapult- sen wir andere über unsere Arbeit sprechen.“ Darunter findet sich der Hinweis auf den Standort Neapel verschachtelte Rahmungen, Ornamente oder Experimente mit flugzeugs geschmückt wird (Abb. 1). Die kreisenden Flügel um Den Auftakt im Inneren bildet eine nach rechts gewandte sowie die Angabe „Die Gebrauchsgraphik 1932 Nr. 8“, die auf Schriftgrößen und Zeilenabständen wird verzichtet. Gegen- die Welle sind kaum noch zu erkennen, scheinen sich aufzulö- Reiterstatue auf der Piazza del Plebiscito in Neapel von Anto- eine entsprechende Publikation des Bildes verweist. überliegende, auf den ersten Blick stilistisch konträre Abbil- sen.Wolff fängt die ultraschnelle Bewegung durch eine lange nio Canova und Antonio Calì, die Ferdinand I. zeigt und somit Es folgt eine Doppelseite mit Tieraufnahmen aus Wolffs dungen ergänzen sich zumindest ästhetisch. Die reduzierte Belichtungszeit ein, wodurch der Propeller als verschwommene ein repräsentatives ‚Herrschaftsbildnis‘ im weiteren Sinne dar- bis dato erfolgreichsten Buchpublikation mit dem Titel Aus Formensprache im Layout ermöglicht eine ganz auf das Bild

12 Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 13 MEDIENGESCHICHTE MEDIENGESCHICHTE

Nanni Baltzer

REPRODUZIERTE FOTOGRAFIE Gotthard Schuh als NZZ-Bildredakteur

Die Bedeutung des Fotografen Gotthard Schuh (1897–1969) Reproduced Photography: Gotthard Schuh as in der Schweizer Fotoszene der 1950er und 1960er Jahre NZZ Picture Editor und seine Beziehung zu einzelnen Fotografen war gerade in The significance of the photographer Gotthard Schuh (1897– den letzten Jahren Gegenstand wachsenden Interesses. So 1969) in the Swiss photography scene of the 1950s and 1960s wurden seine frühen Fotoreportagen und Fotobücher, seine and his relationship with individual photographers has been Beziehung zu anderen Fotografen wie etwa Robert Frank, the subject of growing interest especially in recent years. His aber auch die Rolle des Kollegiums Schweizerischer Foto- early photography reportages and photo books, his relation- grafie untersucht, dessen Mitbegründer Schuh war [1]. Der ships with other photographers such as Robert Frank, as vorliegende Beitrag nun richtet den Fokus auf Schuhs Tätig- well as the role of the Kollegium Schweizerischer Fotografie keit bei der „Neuen Zürcher Zeitung“, einer Tageszeitung (Council of Swiss Photography), of which Schuh was co- mit bis vor wenigen Jahren wöchentlicher Bildbeilage, die founder [1], were investigated. This article focuses on Schuh’s Schuh seit 1941 als Bildredakteur verantwortete, und wirft activities at the ‘Neue Zürcher Zeitung’, a daily newspaper parallel dazu einen Blick auf die Schweizer Fotozeitschrift with a weekly pictorial supplement (which was discontinued „Camera“, die gerade in den 1940er und 1950er Jahren ein a few years ago), for which Schuh had been the picture edi- wichtiges Forum auch für Schweizer Fotografen war. tor since 1941. It also looks at the Swiss photo magazine ‘Camera’, which, especially in the 1940s and 1950s, was an important forum for Swiss photographers.

Umbruch 1941 in ihre Texte integriert, sogar auf der Frontseite gewisser Ausgaben, doch sollte die Bebilderung des Blattes ausgebaut Gotthard Schuh wurde 1897 in Berlin geboren, zog aber be- werden. Dazu gehörte ab 1941 die Entwicklung der NZZ- reits als Kind mit seiner Familie in die Schweiz. 1927, nach Beilage Das Wochenende durch Gotthard Schuh und Edwin Abb. 1 – „Lob des Karussells“, Aufnahmen ersten Versuchen als Maler, entstanden seine ersten Foto- Arnet, später kam auch eine „Bildseite der Woche“ dazu. Als von Delius, Groebli, Wyss, NZZ, 11. Septem- ber 1949, o. P. (© René Groebli, Zürich). grafien; in der Folge wurde er neben Paul Senn (1901–1953) Schuh an das Blatt geholt wurde, besaß er bereits, wie die und Hans Staub (1894–1990) einer der wichtigen Schweizer NZZ Jahre später anlässlich seiner Pensionierung formulierte, Fotoreporter. Bereits in den Kriegsjahren ergaben sich jedoch „in der Welt der photographierenden Reporter und Künstler Nebst Schuhs Inseln der Götter (1941) erschienen mitten neue Generation von Schweizer Fotografen hervorging [7]. Veränderungen, die für Gotthard Schuhs Wirken als Fotograf Rang und Vertrauen“, womit, so die NZZ, „einer Zeitung, die in den Kriegsjahren zwei weitere wichtige Publikationen von (1916–1954), Emil Schulthess (1913–1996), nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmend waren: Im Februar ganz vom Text her gestaltet ist, der Zugang zu jener andern Schweizer Fotoreportern: Fabrik (1943) von Jürg Klages (1924–1995), Ernst Scheidegger (1923–2016) und 1941 erschien die letzte Nummer der Zürcher Illustrierten (ZI), Welt wesentlich erleichtert wurde.“ [3] (1904–1988) sowie Bauer und Arbeiter, ebenfalls 1943, mit René Groebli (*1927) waren unter den zahlreichen Schülern, für die Schuh seit 1931 als einer der zentralen Fotoreporter ge- Mit dem Wechsel der Seite vom Fotografen zum Zeitungs- Fotografien von Paul Senn und einem Text von Arnold Kübler die bei ihm lernten, Objekte scharf, detailreich und material- arbeitet hatte. Gleichzeitig wurde vom Chefredakteur der ZI, gestalter oder, wie Peter Pfrunder schreibt, vom Berichterstat- (1890–1983). Beide Publikationen thematisieren auf ihre gerecht abzubilden; Reportagen waren nur am Rand Unter- Arnold Kübler, im Auftrag des Verlags Conzett & Huber die ter zum Bildermacher [4], wechselte Schuh auch vermehrt Weise das Zeitgeschehen: Tuggener nicht zuletzt mit einer richtsthema [8]. Kulturzeitschrift Du gegründet [2]. Kübler übernahm von der von der kleinen Serie (dem Artikel) zur langen Geschichte Aufnahme reihenweise aufgestellter Munition, dazwischen Und doch war es der Finslerschüler Bischof, der nach dem ZI die Fotoreporter, sodass bereits in der zweiten Nummer (dem Buch). Nach Zürich (1935) und Inseln der Götter (1941) ein kleines Spielzeugmännchen; Senn und Kübler, indem sie Krieg als einer der ersten Fotoreporter ins Ausland reiste, und des Du, im April 1941, Paul Senn, Hans Staub und Gotthard erschienen in lockerer Folge 50 Photographien (1950), Italien in ihrem Buch die sich in der Wirklichkeit der Schweizer Ar- es war Groeblis Magie der Schiene (1949), welche Martin Gas- Schuh im Impressum als „ständige photographische Mitarbei- (1953), Begegnungen (1956), Tessin und Tiermütter im Zoo beitswelt kaum nahestehenden Stände zusammenbringen, ser als eine der ersten Reaktionen auf ein gewisses Unbehagen ter“ figurierten. Die Position, die Ausrichtung und der Stel- (beide 1961), Tage in Venedig (1965) und Frühe Photographien um die Einigkeit und Wehrhaftigkeit des Landes zu betonen. nennt, das sich breitmachte angesichts der Schweizer Foto- lenwert der Arbeit des Fotoreporters veränderte sich jedoch 1929–1939 (1967) [5]. Dank populärer Verlage wie Bücher- Parallel zur Arbeit der Reportagejournalisten, die abgesehen grafie in der Nachkriegszeit [9]. Dieses Unbehagen über die langsam aber sicher gegenüber den 1930er Jahren, in denen gilde Gutenberg, Ex Libris oder Rentsch erlangten Schuhs von den Buchpublikationen vor allem in illustrierten Zeit- Schweizer Fotografie, die sich, während „die Welt draussen in sich der Beruf etablierte und so wichtige Bildmedien wie die Publikationen eine weite Verbreitung: „Diese Bildbände fan- schriften wie der Zürcher Illustrierten, der Schweizer Illustrierten Ruinen lag“, unbeirrt bemühte, „mittels ‚reiner‘ Fotografie ZI charakterisierte. Im Jahr 1941 folgte Schuh denn auch der den sich in den guten Stuben der Schweizer in den fünfziger Zeitung, dem Du, aber auch internationalen Medien wie der eine ‚keimfreie‘ Zone zu erhalten“ [10], wurde im Besonderen Einladung von Edwin Arnet, Leiter der Lokalredaktion der und sechziger Jahren, und einige der in ihnen enthaltenen Auf- Berliner Illustrirten Zeitung, Paris Match oder Life ein großes Pu- anlässlich der Ausstellung Photographie in der Schweiz – heute Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), die Bildredaktion der Zeitung nahmen gehören, bewusst oder unbewusst, zum festen Bild- blikum erreichten, unterrichtete an der Kunstgewerbeschule diskutiert, die 1949 im Gewerbemuseum in stattfand. zu übernehmen. Zwar hatte die NZZ bereits einzelne Bilder bestand ganzer Generationen [...].“ [6] Zürich Hans Finsler (1891–1972) die Fotoklasse, aus der eine Werner Schmalenbach, Assistent am Gewerbemuseum, stell-

20 Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 21 MEDIENGESCHICHTE MEDIENGESCHICHTE

Ernst Brunner, Walter Dräyer (1911–2000), Theo Frey, René Gardi (1909–2000), Robert Gnant (*1932), Hans Peter Klau- ser, Candid Lang (1930–2006), Jack Metzger (1918–1999), Bernhard Moosbrugger (1925–2004), Anita Niesz (1925–2013), Ernst Scheidegger (Abb. 8/9), Jakob Tuggener (Abb. 10). Einige Na- men tauchen über bestimmte Perioden vermehrt auf, so Gnant, der ansonsten hauptsächlich für die Woche tätig war [46]. 1958 etwa ist Gnant immer wieder präsent mit Reiseberichten wie „Les Routiers“ (Abb. 11/12), in welchem Gnant die Fahrt mit Lastwagen durch Frankreich schildert. Durch die Nacht be- gibt sich der Leser auf die Straße. Gnant zeigt Aufnahmen aus einer peripheren Welt, die an Franks Amerikaner denken lässt, welche im gleichen Jahr in ihrer ersten französischen Fas- sung erscheinen. Und als Gotthard Schuh, ebenfalls 1958, mit einer Reportage zu „Zigeunern“ am Stadtrand von Zü- rich eine eigene Seite gestaltet (Abb. 13), denkt man unwei- gerlich an die Arbeit von Anita Niesz, an ihre Bilder von Zigeunern in Frankreich und ihre drei Jahre zuvor in der NZZ abgebildeten Fotos aus Trastevere (Abb. 14), damals noch ein Armenviertel in Rom. So setzt Schuh eigene Fotografien immer wieder in Beziehung zu Aufnahmen von Kolleginnen und Kollegen, denen er einmal wöchentlich Raum für ihre Arbeiten bieten kann. Innerhalb der weit ausgreifenden Themenvielfalt des Wochenende, mit so unterschiedlichen Berichten wie zu chi- nesischen Neujahrsbildern, Meisen am Futterplatz oder flie- genden Radarstationen, fällt insbesondere innerhalb des Jahrs 1955 ein Bereich auf, der wiederholt zum Zug kommt: das Theater im weiteren Sinne, inklusive Zirkus, Tanz und Bal- Abb. 14 – „Trastevere“, Aufnahmen von Anita lett. Dabei liefert mehrmals Jack Metzger Bilder, zum Teil in Niesz, NZZ, 26. Februar 1955, Morgenausgabe Ergänzung zu solchen von Schuh. Vertreten ist auch Chris- Nr. 503, Blatt 4 (© Anita Niesz / Fotostiftung tian Staub, indem Edwin Arnet mit zwei großformatigen Schweiz). Fotos und einem kurzem Text in einem großzügigen Layout auf Staubs Buch Circus (1955) hinweist [47]. Gotthard Schuh selbst liefert in diesem Jahr zahlreiche Berichte zum Thema einen Abfallkorb lehnenden Cowboy zeigt. Als die Ausstellung [48]. Einer erscheint im Juni 1955 mit Aufnahmen des New im Helmhaus eröffnet wird, bröckelt das Kollegium aber be- York City Ballett (Abb. 15). Drei der vier darin abgedruckten Auf- reits. Nicht nur hat es mit dem Tod von Paul Senn (1953) und nahmen zeigen klassische Ballett-Bilder, die vierte hingegen Werner Bischof (1954) wichtige Mitglieder verloren, die Kol- erhält durch die Unschärfe der weißen, halbdurchsichtigen legen sind sich offenbar auch nicht in allem so einig, wie man Gazekleider der Balletttänzerinnen eine grafisch-abstrakte 1951 aufgrund der gemeinsamen Erklärung sowohl in der Komponente. Es ist bezeichnenderweise dieses Bild und in NZZ auch in der Camera gedacht hatte: „Fünf schweizerische ihrer Erscheinung ähnliche Bilder, die Gotthard Schuh in Photographen bilden eine Gruppe und nennen sie – es ist künftigen Publikationen wieder verwendet [49]. Damit stellt bezeichnend für ihre Haltung – ein Kollegium.“ [45] Noch im Schuh sein Bild in den Kontext internationaler Ballettbilder Jahr der zweiten Ausstellung löst sich das Kollegium wieder und -publikationen, speziell Alexej Brodovitchs Ballet (1945), auf. in welchem die zum Teil nur noch schemenhaft erkennbaren Tänzerinnen die Bewegung in Zeit und Raum spürbar werden Schuhs letzte Jahre bei der NZZ lassen.

In den Wochenende-Beilagen der NZZ finden sich neben Tod 1969 den Aufnahmen der Kollegiums-Fotografen zahlreiche Bilder von anderen, mehr oder weniger prominenten Zeitgenossen 1958 kommt die Ausstellung Family of Man,1955 im MoMA Schuhs, unter anderen Peter Ammon (*1924), Hans Baum- in New York eröffnet, in die Schweiz; die NZZ widmet dem Abb. 15– „Triumph des klassischen Tanzes“, Aufnahmen von Gotthard Schuh, gartner (1911–1996), Walter Binder (*1931), Emil Brunner, Ereignis eine Doppelseite. Edwin Arnet schreibt den Kom- NZZ, 25. Juni 1955, o. P. (© Gotthard Schuh / Fotostiftung Schweiz).

30 Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 31 MEDIENGESCHICHTE BESTÄNDE

[30] Zu Schuhs Retuschen und Beschneidungen siehe Pfrunder [46] Peter Pfrunder und Martin Gasser (Hg.): Fokus 50er Jahre. Johanna Gummlich 2009 (wie Anm. 4), S. 32, und Streiff 1982 (wie Anm. 6), o. P. Yvan Dalain, Rob Gnant und „Die Woche“, Zürich: Limmat Verlag 2003. [31] „D er Krieg in Afrika“, Aufnahmen von Gotthard Schuh, Asso- ciated Press, Wiss Press, Presse Diffusion, in: NZZ, 06. April [47] „Ein Zirkusbuch“, Aufnahmen von Christian Staub, in: NZZ, 1941. Eine andere Fassung eines Kohlentrimmers aus Port Said 29. Oktober 1955; Christian Staub: Circus, Zürich: Stauffacher VOM GLÜCK EINER UMFASSENDEN taucht in einer zweiten Reportage auf: „Kriegszone Rotes 1955. Meer“, ÜBERLIEFERUNG Aufnahmen von ATP, Atlantic, Schuh, in: NZZ, 18. Mai 1941. [48] Man vgl. zum Beispiel „Theater am Mittag“, Aufnahmen von Gotthard Schuh, in: NZZ, 29. Januar 1955; „Aus der Werkstatt Peter H. Fürst und seine „konventionellen“ Porträts [32] Gotthard Schuh: „Vorwort“, in: Gotthard Schuh. Frühe Photo- des Theatertänzers“, Aufnahmen von Schuh, in: NZZ, 21. Mai graphien 1929–1939, Ausst.-Kat. Helmhaus Zürich, 2. Sep- 1955; „Neger als Darsteller. Zu Gershwins Oper ‚Porgy and tember – 1. Oktober 1967, Zürich: Arche 1967, S. 10. Bess‘ im Zürcher Hallenstadion“, Aufnahmen von Metzger und Schuh, in: NZZ, 11. Juni 1955; „Theatergäste aus dem [33] Pfrunder 2009 (wie Anm. 4), S. 32. Fernen Osten“, Aufnahmen von Schuh, in: NZZ, 18. Juni 1955; „Triumph des klassischen Tanzes“, Aufnahmen von Schuh, [34] Si ehe A.P.: „Irgendwo“, in: Camera, No. 3 (1968), S. 3, und in: NZZ, 25. Juni 1955. Streiff 1982 (wie Anm. 6), o. P. [49] Schweizer Künstler Fotografie, Zürich: Fabag, Fachschriften- [35] Schuh 1966 in einem Brief an seine Tochter Claudia: „Ich bin Verlag & Buchdruckerei AG 1963, o. P., resp. Gotthard Schuh. und bleibe auch im Ungegenständlichen Romantiker.“ Zitiert Begegnungen, Zürich: Büchergilde Gutenberg 1956, S. 86/87. nach Pfrunder 2009 (wie Anm. 4), S. 32. [50] Edwin Arnet: „‚‘. Die Ausstellung des Mu- [36] V gl. Martin Gasser: „Swiss Photography of the 1950s. Gott- seum of Modern Art, New York, im Kunstgewerbemuseum hard Schuh and the ‚Kollegium‘ “, in: Pfrunder 2011 (wie Zürich“, in: NZZ, 25. Januar 1958. Kurz darauf, im Februar Anm. 1), S. 31–39. 1958, erscheint in Camera ein längerer Artikel von Elisabeth Brock-Sulzer zu Gotthard Schuh, illustriert mit zahlreichen [37] E dwin Arnet: „Kollegium Schweizerischer Photographen“, Fotografien; dies ist ein Nachhall auf Schuhs Publikation in: Camera, No. 3 (1951), S. 75. Begegnungen, Vorwort von Elisabeth Brock-Sulzer, Zürich: Büchergilde Gutenberg 1956. [38]  Ebd. [51] Max A. Wyss: „Gotthard Schuh“, in: Camera, No. 3 (1968), [39] H ans Kasser: „Das Kollegium Schweizerischer Photographen“, S. 4–17. in: NZZ, 25. Februar 1951. [52] Ebd., S. 4. [40] E dwin Arnet: „Kollegium Schweizerischer Photographen. Werner Bischof, Walter Läubli, Gotthard Schuh, Paul Senn, [53] Gemäß Walter Binder, Mitbegründer der Schweizerischen Jakob Tuggener“, in: Camera, No. 3 (1951), S. 75–95. Stiftung für die Photographie (heute Fotostiftung Schweiz), hatte er mit Gotthard Schuh zwar mehrfach über die Stiftung [41] Di ese und die folgenden Angaben zu Schuh und Frank siehe gesprochen, aber keine konkreten Ideen oder Vorstellungen Abb. 1 – Übersicht über die Schenkung Peter H. Fürst Martin Gasser: „Fotografie als Ausdruck“, in: Pfrunder 2009 diskutiert – sicher auch, da deren Gründung noch nicht un- am Beispiel L. Fritz Gruber, 2016 (Foto: Juliane Giersch, (wie Anm. 4), S. 247/248. mittelbar bevorstand –, doch war Schuh an der Gründung RBA, rba_d040672). einer solchen Institution sehr interessiert. Email von Walter [42] „Robert Frank“, in: Camera, No. 12 (1949), S. 358–371. Zur Binder an die Autorin, 12. Januar 2013. Beziehung zwischen Schuh und Frank vgl. Gasser 2009 (wie Anm. 41), S. 244–259, insbes. S. 246. Der Kölner Mode- und Beautyfotograf Peter H. Fürst On the Pure Luck of a Comprehensive Estate: Autorin schenkte 2002 und 2014 dem Rheinischen Bildarchiv der Peter H. Fürst and his ‘Conventional’ Portraits

[43] „R obert Frank“, in: Camera, No. 8 (1957), S. 340. Stadt Köln die drei Serien „Porträts Kölner Persönlichkeiten. The Cologne-based fashion and beauty photographer Peter Dr. Nanni Baltzer, Lehr- und Forschungsstelle für 70 Fotografien“ (1987), „berufen und gewählt“ (1992) und H. Fürst donated the three portrait series ‘Cologne Person- [44] „ ‚Photographie als Ausdruck‘ “, in: NZZ, 12. März 1955. Theorie und Geschichte der Fotografie (TGF), Univer- sität Zürich, Kunsthistorisches Institut, Rämistr. 73, „Fotografien aus der Kultur Welt Köln“ (1995). Die Schen- alities. 70 Photographs’ (1987), ‘Appointed and Elected’ [45] Hans Kasser: „Das Kollegium schweizerischer Photographen“, 8006 Zürich, , Tel. +41-44-634-5895, kungen dieser unabhängig von seinen Auftragsarbeiten (1992), and ‘Photographs from the Cultural World of Co- in: NZZ, 25. Februar 1951. [email protected] entstandenen fotografischen Porträtwerke umfassen neben logne’ (1995) to the Rheinisches Bildarchiv of the City of Vergrößerungen, Filmen und Kontaktbögen weitere Zeug- Cologne in 2002 and 2014. The donations of these photo- nisse, die in ihrer Vollständigkeit einen fotohistorisch sehr graphic portraits, which were made independently of his dichten Zugang zum Schaffensprozess und den Werken er- commissioned work, include enlargements, films, and con- möglichen. Konzepte, Briefwechsel, Pressemitteilungen und tact sheets as well as further materials, which, in their com- -artikel sowie Protokolle der Porträtsitzungen dokumentie- pleteness, allow for immediate access to Fürst’s creative ren nicht nur die fotografischen Prozesse, sondern auch die process as well as to the works themselves. Concepts, cor- Beschäftigung mit aktuellen fototheoretischen Werken. respondence, press releases and articles, as well as minutes of the portrait sessions document not only the photographic processes but also Fürst’s occupation with current photo theoretical works.

34 Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 35 BESTÄNDE BESTÄNDE

Abb. 10 – Peter H. Fürst: Der Intendant: Friedrich Nowottny, Köln, 1986, Silber- gelatineabzug auf Barytpapier, Maße 49 x 35,5 cm (RBA, rba_c017372).

„Mittwoch, am 12.11.1986 – Herr Friedrich Nowotny geben und blickt dem Betrachter entgegen. Durch die Hand- 12.00 Uhr haltung und den dunklen Block seines schwarzen Anzugs ent- Herr Nowotny kam zu Fuss und hatte sich verspätet, weil, wie steht auch bei ihm eine gewisse Distanz zum Betrachter. Seine er entschuldigend sagte, er sich verlaufen habe. aufrechte Sitzposition ohne Lehne erforderte allerdings eine Wie das auf der geradeauslaufenden Hohen Strasse möglich höhere Körperspannung und Bewusstheit des Porträtierten ist, erscheint uns ein Rätsel. als bei Gruber und wird genau dadurch der professionellen Abb. 9– Kontaktbogen L-2197 von der Fotositzung mit Friedrich Dann setzte er sich sofort auf die vor der Hohlkehle stehenden Selbstdarstellung Nowottnys vor der Kamera gerecht (Abb. 10). Nowottny am 12. November 1986 (RBA, rba_d045106). Klötze (auf der anderen Seite waren auch Vorkehrungen mit Wie Fürst und Baumgarten die Wirkung der Kamera auf dunklem Hintergrund und einem Stuhl getroffen worden) und den Porträtierten reflektierten, geht besonders eindrücklich tet, konnte Gruber daher nur den Kontaktbogen einer ein- aufmerksam blickender, stattlicher älterer Herr in gelassen- fragt provozierend: aus dem Protokoll des Fototermins mit dem ehemaligen Ober- zigen Filmrolle zukommen lassen, was er ihm offen gesteht. entspannter Sitzhaltung, schräg von vorne gesehen, allerdings Und was machen wir jetzt? stadtdirektor (a. D.) Max Adenauer (1910–2004), dem zwei- Noch interessanter ist Fürsts Selbsteinschätzung seiner Port- ohne Blickkontakt mit dem Fotografen beziehungsweise Nach zwei Rollen, während denen von ihm kaum gesprochen ten Kind des Kölner Oberbürgermeisters und späteren Bundes- räts in demselben Schreiben: „Nun sind meine Porträts gerade dem Betrachter (Abb. 8). Letzterem verriet das Bild nicht, dass wurde, sondern er war ganz Konzentration auf sein Gesicht, kanzlers Konrad Adenauer (1876–1967), hervor [22]. Zum Zeit- dies: konventionell!“ [19] Gruber in einer Dialogsituation aufgenommen worden war. das er genau kennt und von dem er genau zu wissen schien, punkt des Porträt-Projekts konnte Max Adenauer auf eine gut Der Kontaktbogen der Porträtsitzung mit L. Fritz Gruber Dies kann nur der Blick auf die Kontaktbögen und Negativ- wie er es ins Objektiv zu halten hat, stand er auf und sagte: zwanzigjährige Karriere im Dienst der Stadt Köln als Ober- zeigt drei Serien (Abb. 7). Grubers Favorit ist mit L-1961/12 streifen enthüllen. Die veröffentlichte Aufnahme des „Photo- Danke. stadtdirektor (1953–1965), als Ratsmitglied (1969–1975) und eine streng, fast mürrisch wirkende Version aus der ersten papstes“ wirkt würdevoll, der Porträtierte erscheint durch den Ging zum Ausgang, quälte sich betont allein in seinen Mantel als bedeutender Kommunalpolitiker der nordrhein-westfäli- Serie, die auf dem Kontaktbogen mit einem weißen Klebe- fehlenden Blickkontakt distanziert. und verschwand. schen Nachkriegsgeschichte zurückblicken. All dies änderte punkt markiert und darauf mit einem X gekennzeichnet ist Ganz anders verlief der Termin mit Friedrich Nowottny Er ist die aalglatte Freundlichkeit und lässt keinen an sich nichts daran, dass er offensichtlich von der auf ihn gerichteten (2. Spalte von links, unterstes Bild). Sein selbstkritisch als (*1929) am 12. November 1986. In Baumgartens Protokoll herankommen. Man scheut sich auch davor, ihn etwas zu Kamera tief verunsichert war. Seine Körpersprache – Baum- „Grielächerei“ [20] bezeichneter Gesichtsausdruck in der Auf- wirkt der WDR-Intendant völlig anders als auf den Kontakt- fragen, ihn zu provozieren, er gleitet einem wie ein nasser, garten protokolliert ein „stocksteifes“ Stehen – veranlasste nahme L-1961/68 (5. Spalte von links, zweites Bild von oben, bögen der beiden belichteten Filme (Abb. 9). Baumgarten fand glatter Fisch aus den Händen.“ [21] Fürst und Baumgarten zu Positionswechseln und überdurch- markiert mit einem angekreuzten weißen Klebepunkt) könn- anscheinend keinen persönlichen Zugang zu dem Medien- schnittlich vielen Aufnahmen (Abb. 11 und 12). Später wird Baum- te als freundlich-gutmütiges Lächeln eines älteren Herren be- profi, der konsequent in die Kamera blickte, von Fürst auf Für Ausstellung und Katalog verwendete Fürst mit der Auf- garten im Vorwort des Ausstellungskatalogs die Aufnahme- schrieben werden. Der strenge Gesichtsausdruck entsprach zahlreichen Aufnahmen sprechend, lächelnd und auf einigen nahme L-2196/11 wiederum ein klassisches Porträt. Der Inten- situation – er nennt sie „die erste Realität, die des Entstehens offensichtlich eher seiner Vorstellung eines ‚guten‘ Porträts. wenigen sogar gestikulierend abgelichtet werden konnte. Das dant ist halbfigurig zu sehen. Der Abzug gibt einen Ausschnitt des Porträts“ – so charakterisieren, dass viele Porträtierte gro- Fürst wählte für Ausstellung und Katalog jedoch mit L-1961/38 mit „Der Intendant“ betitelte Protokoll fällt entsprechend kür- des Negativs bis zu den auf dem Schoß überkreuzten Händen ße Abneigung empfinden, wenn „eine Kamera wie eine Waffe eine Aufnahme aus der zweiten Serie: Gruber als ernsthafter, zer aus: wieder. Nowottny ist frontal und aufrecht sitzend wiederge- auf sie gerichtet ist“ [23].

42 Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 43 BESTÄNDE AUSSTELLUNGEN

[11] Vgl. Archiv der Fotografen online bei der Deutschen Foto- [19] Undatiertes Schreiben von Peter H. Fürst an L. Fritz Gruber Sandra Socha thek SLUB Dresden: (zuletzt eingesehen am: Persönlichkeiten“ 1987, Reiter G, Blatt 23). 02.03.2017). [20] Schreiben von L. Fritz Gruber an Peter H. Fürst vom [12] Siehe Internetseite des Photoarchivs Fürst (zuletzt eingesehen am: 27.02.2017). Porträts Kölner Persönlichkeiten“ 1987, Reiter G, Blatt 22). Karl Schenkers glamouröse Porträts im Museum Ludwig, Köln [13] Siehe (zuletzt eingesehen am 02.03.2017). Max Adenauer vom 15.11.1985 (RBA, Konvolut Fürst, Ordner „Ausstellung Porträts Kölner Persönlichkeiten“ 1987, Reiter A, [14] RBA, Konvolut Fürst, Ordner „Ausstellung Porträts Kölner Blatt 1). Persönlichkeiten 1987“, 1. Dokument mit Konzept der Foto- serie, Zielsetzung, Realisationskonzept und Durchführung, [23] Fürst und Schäfke 1987 (wie Anm. 1), S. 4. Darstellung zum Autor und seiner Beziehung zu Köln sowie Anlagen, Blatt 2. [24]  Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photo- graphie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2014 (Erstausgabe: [15] Ebd. La chambre claire: note sur la photographie, 1980), S. 19.

[16] R oswitha Neu-Kock, in: Elke Purpus (Hg.): Die Kunst- und [25] Ebd. S. 17. Museumsbibliothek der Stadt Köln. Die Geschichte der Biblio- thek und des Fotoarchivs, Essen: Klartext 2007, S. 106. Autorin

[17] R alf Baumgarten, Gesprächsprotokoll der Fotositzung mit Dr. Gottfried Böhm vom 31.07.1986 (RBA, Konvolut Fürst, Dr. Johanna Gummlich, Leiterin, Rheinisches Bildarchiv, Ordner 1987, Reiter B, Blatt 2). Stadt Köln, Kattenbug 18–24, 50667 Köln, , Tel. +49-221-221-24188, Fax +49-221-221-22296, [18] N achträglich handschriftlich oben auf dem Gesprächsproto- [email protected] koll von Ralf Baumgarten vom 31.07.1986 vermerkt (Schrei- ben von L. Fritz Gruber an Peter H. Fürst vom 19.11.1985, RBA, Konvolut Fürst, Ordner „Ausstellung Porträts Kölner Abb. 1 – Installationsansicht Master of Beauty. Karl Schenkers mondäne Bildwelten, Museum Persönlichkeiten“ 1987, Reiter G, Blatt 22). Ludwig, Köln 2016; links: Karl Schenker mit einer seiner Wachsfiguren, 1925, ullstein bild collection, Berlin (Foto: Marion Mennicken). Alle Abbildungen: © Rheinisches Bildarchiv, Köln.

Mit der Ausstellung „Master of Beauty. Karl Schenkers Man as an ‘Optimizable Image’: Karl Schenkers’ mondäne Bildwelten“ widmete das Museum Ludwig in glamorous portraits at the Museum Ludwig, Köln erstmalig dem Fotografen Karl Schenker (1886–1954) Cologne eine umfassende Retrospektive. Anlass zur Beschäftigung With the exhibition ‘Master of Beauty. Karl Schenker’s mit Karl Schenkers Werk gab der Ankauf von etwa 100 Por- Glamorous Images’, the Museum Ludwig in Cologne de- träts aus einem Nachlass. Präsentiert wurden zahlreiche voted a first comprehensive retrospective to the photo- glamouröse Frauenporträts der 1910er und 1920er Jahre, grapher Karl Schenker (1886–1954). The occasion for the Werbeaufnahmen, sachliche Modefotografien der 1930er reinvolvement with Karl Schenker’s work was the acqui- Jahre, Aktstudien, aber auch Schenkers Fotos von Wachs- sition of some 100 portraits from an estate. The exhibition figuren. Ergänzt wurden die Abzüge durch Postkarten, Zeit- showed numerous glamorous women’s portraits of the 1910s schriften, Sammelalben und andere Objekte. Im Katalog- and 1920s, advertising shots, sober fashion photographs buch, der ersten umfassenden Monografie zum Fotografen, of the 1930s, studies from the nude, but also Schenker’s wird die Aufarbeitung von Karl Schenkers Biografie sowie photographs of wax figures. The photographic prints were die Betrachtung seines Schaffens aus unterschiedlichen supplemented by postcards, magazines, albums and other Forschungsperspektiven vorgenommen. materials. In the catalogue, the first comprehensive mo- nograph on this photographer, Karl Schenker’s biography as well as the study of his work is examined from different research perspectives.

46 Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 47 LITERATUR LITERATUR

Abb. 1 – Megan Connor und Daniel Burge: The Atlas REZENSIONEN of Water Damage on Inkjet-Printed Fine Art, Rochester, NY: Rochester Insti- Wasserschäden an Tintenstrahl- als unabhängige Instanz Museen und DP3 – Digital Print Preservation Portal tute of Technology / drucken Archiven wie auch großen Firmen und des IPI entstanden ist [3]. Dieses Pro- Image Permanence Eine Broschüre zur Identifikation, Berufsverbänden der Fotoindustrie Un- jekt befasst sich mit modernen fotogra- Institute 2016, Beschreibung und Definition von tersuchungen von fotografischen Mate- fischen Materialien, sogenannten Hard- Doppelseite 24/25. Schadensbildern rialien, Verfahren zur Bewertung und copy-Verfahren oder Digitaldrucken. Ty- Erhaltung sowie die Beratung zur Be- pischerweise sind dies die Elektrofoto- wahrung von Fotografie an. Die insti- grafie oder der Tintenstrahldruck. Dem- tutionelle Fachkompetenz umfasst alle gegenüber konzentriert sich der Atlas Bereiche der Fotografie, von Schwarz- Weiß-Verfahren über Silberhalogenid- Farbfotografien bis hin zu modernen, „Schadensbilder digital erzeugten fotografischen Bildern, insbesondere Tintenstrahldrucken. werden in Form von Finanziert wird das Institut größ- Abbildungen auf- tenteils aus öffentlichen oder gemein- nützigen privaten Mitteln, wie zum Bei- gezeigt, in ihren spiel von Stiftungen (National Endow- ment for the Humanities, Institute of Besonderheiten Museum and Library Services, Andrew beschrieben und so Megan Connor und Daniel Burge: The W. Mellon Foundation). Im Rahmen Atlas of Water Damage on Inkjet-Printed von Projekten, die von Museen und der Begriffe für der- Fine Art, Rochester, NY: Rochester Insti- öffentlichen Hand gefördert sind, führt blockung, Quellung, Welligkeit, Verfor- ist es daher, den in Konservierungsfra- zielt letztendlich darauf ab, dass diese tute of Technology / Image Permanence artige Schäden das IPI Studien zur fotografischen Halt- mung, Falten, Riss und Pilzwuchs be- gen Verantwortlichen bewusst zu ma- Materialien gegenüber Wasser beson- Institute 2016, 53 S., zahlr. Farb-Abb., definiert.“ ISBN 978-0-692-67996-8, USD 25,00. barkeit sowie zur Identifizierung von handelt [6]. Alle Begrifflichkeiten wer- chen, auf wie vielfältige Weise Tinten- ders geschützt werden. Diese Sensibi- Materialien durch, deren Ergebnisse es den jeweils auf einer Doppelseite an stahlmaterialien durch Wasserimmer- lisierung für Wasserschäden ist den Au- Der von Meghan Connor und Daniel auf seiner Webseite zur Verfügung einem entsprechenden ganzseitigen sion, Wasserspritzer oder sonstigen toren mit Hilfe des umfänglichen Bild- Burge erstellte Atlas of Water Damage stellt und zu denen es regelmäßig ausschließlich auf Tintenstrahldrucke Schadensbild kurz erläutert (Abb. 1). In Kontakt mit Wasser in Mitleidenschaft materials gut gelungen. on Inkjet-Printed Fine Art ist eine eng- Workshops anbietet. Hingegen werden für Anwendungen im Innenbereich. Er einem Glossar werden weitere Fach- Leider wird aus den Abbildungen lischsprachige Broschüre, die aus den die Resultate der privat finanzierten widmet sich exklusiv den durch Wasser vokabeln erklärt, die im Bereich der nicht immer ganz ersichtlich, ob es sich Forschungen des Image Permanence In- Dienstleistungen und Untersuchungen verursachten Schäden. Schadensbilder digitalen Druck- und Fotomaterialien „Es wird jedoch um eine Vergrößerung handelt oder stitute (IPI) zu Konservierung und Iden- nur dem jeweiligen Auftraggeber zur werden in Form von Abbildungen auf- gebräuchlich sind. nicht, da keine Maßstäbe mit angege- tifizierung digitaler fotografischer Ma- Verfügung gestellt. Das Institut unter- gezeigt, in ihren Besonderheiten be- Die Broschüre richtet sich gezielt bei den gezeigten ben sind. Zudem gibt es unterschiedli- terialien hervorgegangen ist. Sie um- hält zudem eine gut strukturierte Web- schrieben und so Begriffe für derartige nicht in erster Linie an Spezialisten Bildern sehr schnell che Schichttechnologien (unbeschich- fasst 47 Textseiten und ist als Online- seite, die viele wertvolle Informationen Schäden definiert. Dabei werden die oder Forscher, sondern an die Praktiker tet, matt beschichtet, nanoporös oder Version frei erhältlich [1]. bietet und vor allem praktische Emp- Schäden in drei Kategorien eingeteilt: in Archiven und Museen, die moderne deutlich, dass die polymer beschichtet). Hinzu kommen Das IPI wurde 1985 als gemeinnüt- fehlungen zum Umgang mit Fotogra- in Farbmittelschäden, Oberflächen-/ fotografische Objekte in ihren Bestän- meisten Schäden irre- die unterschiedlichen Farbmittel (Pig- zige Forschungseinrichtung vom Ro- fien gibt [2]. Das IPI richtet sich vor al- Schichtschäden und in Trägerschäden. den haben. Viele dieser Institutionen ment oder Tinte). Die verschiedenen chester Institute of Technology (RIT) lem an Anwender aus der Archiv- und Zu jeder dieser Kategorien gibt es eine verfügen bereits über langjährige Erfah- parabel sind und Materialtypen werden in der Broschüre und der Society of Imaging Science and Museumswelt sowie an Forschende auf Vielzahl an Unterbegriffen. Im Bereich rung hinsichtlich der Empfindlichkeit jedoch nur nebenbei erwähnt. Angaben Technology in Rochester, New York, ge- diesen Gebieten, doch auch engagierte der Farbmittelschäden sind dies Farb- traditioneller Farbfotografien gegen- insofern nur vor- zur Art oder zum zeitlichen Auftreten gründet. Es befasst sich ausschließlich Amateure können hier relevante Infor- bluten, Farbmigration, Farbtransfer, Farb- über Wasser. Klassisch entwickelte und beugender Schutz verschiedener Technologien fehlen mit Fragen der fotografischen Konser- mationen finden. verlaufen, Farbverschmieren, Farbwas- ausbelichtete Fotografien sind jedoch gänzlich. Der Fokus dieser Broschüre vierung und hat sich in diesem Bereich Bei der Broschüre Atlas of Water serrand und Fleckigkeit [4]; im Bereich sehr viel weniger empfindlich gegen- in Frage kommt.“ liegt allein auf den Schadensbildern. mit seinen Verfahren und Publikatio- Damage on Inkjet-Printed Fine Art han- der Oberflächen-/Schichtschäden Ver- über Wasser als die meisten Tinten- Zwar werden bei jedem Bild Angaben nen zur Konservierung und Archivie- delt es sich um das Ergebnis einer vom schmutzung, Delamination, Verschmut- strahldrucke. Andererseits ist vielen Ar- dazu gemacht, ob es sich beim Farb- rung von Fotografien, zur Prüfung der Institute of Museum and Library Ser- zungsränder, Blasenbildung, Ablösen, chiven diese Problematik gar nicht erst gezogen werden können. Ein weiteres mittel um Farbstoff oder Pigment, beim Haltbarkeit fotografischer Materialien vices finanzierten Studie, die im Rah- Risse, Abrieb, Abblättern, Kratzer und bekannt, was im Fall eines Wasserscha- Anliegen ist es, bei vorliegendem Scha- Substrat um ein beschichtetes oder un- sowie als Ausbildungsstätte weltweit ei- men des wesentlich von der Andrew W. Glanzstellen [5]; bei Trägerschäden wer- dens zum Totalverlust der Objekte füh- densbild auf die mögliche Schadens- beschichtetes Papier handelt; es fehlen nen Namen gemacht. Es bietet zudem Mellon Stiftung unterstützten Projekts den die Termini Aufhellerverlust, Ver- ren kann. Ein Anliegen der Broschüre ursache schließen zu können. Beides jedoch Hinweise dazu, ob die abgebil-

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