RUNDBRIEF FOTOGRAFIE Undbrief Fotografie, Vol
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ISSN 0945-0327 Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] RUNDBRIEF FOTOGRAFIE undbrief Fotografie, Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 2 [N.F. (2017), No. 24 Vol. undbrief Fotografie, R Analoge und digitale Bildmedien in Archiven und Sammlungen EIN BILD EIN BILD Michael Diers Gegenteil, jeder wird – und sei er noch so unscheinbar – ernst und Tische, Stühle und Schränke nicht als Requisiten fungie- genommen und in seiner Eigenart gewürdigt. Aus diesem ren, sondern vielmehr gemeinsam als Akteure in einem Stück wechselseitigen Vertrauen erwächst die über Jahre errungene auftreten, dessen Titelhelden das Licht und die Farbe sind und Sicherheit, immer den richtigen Standpunkt zu wählen und in welchem die (Belichtungs-)Zeit Regie führt. ZEIT/RÄUME den adäquaten atmosphärischen Ton zu treffen. Dass sich in In vielen Fällen kann man von einem zweifachen Selbst- Über die Schönheit als kritische Kategorie bei Candida Höfer den Bildern gelegentlich auch ein ironisches Augenzwinkern porträt sprechen: So wie sich die Räume häufig selbst bereits niedergelegt findet, ist Teil der Verabredung. Denn welche in den blitzblanken Terrazzo-, Marmor- oder Holzfußböden Räume, zumal wenn sie eine abwechslungsreiche Geschichte reflektieren, stellen sie sich geziemend auch vor der Kamera haben, sind ohne Fehl und Tadel, demnach ohne nachträgli- zur Schau; auf der Gegenseite künden die Bilder von der Auto- che Einbauten oder kuriose Zutaten, die sie in einem Detail rin, die durch ihre fotografische Arbeit kaum weniger augen- decouvrieren und ein wenig aus ihrem gravitätischen Gleich- fällig, wenn auch in der Regel persönlich unsichtbar, als stille gewicht bringen. Doch solch vorsichtige Kritik zielt nie auf Beobachterin und Gestalterin im Bild zugegen ist [1]. den Raum, sondern auf diejenigen ab, die sorglos mit ihm Dem Betrachter ist es anheimgestellt, auf welcher der bei- umgehen – Spuren des Gebrauchs und der Nutzung, die im den maßgeblichen Ebenen er seine Auseinandersetzung be- ginnt, sei es auf der Seite des Raumes oder jener des Bildes, auf der Seite des Dargestellten oder der Darstellung. In der „[...] die meisten der von Regel setzt man beim Interieur selber an, indem man sich zu- nächst des gezeigten Ortes vergewissert. Der Blick schweift Höfer abgelichteten Interieurs durchs Bild, identifiziert die Architektur und ihre Ausgestal- sind in der Realität weniger tung und erkundet erste Details. Aufgrund des Großformates ist eine solche Betrachtung nicht ganz ohne eine leichte Be- oder doch zumindest wegung vor dem Bild zu haben: Man dreht und wendet sich auf andere Weise hierhin und dorthin, beugt sich vor und hinunter, blickt auf und zu den Seiten, tritt zurück und wieder vor. Die Augen schön als im Bild.“ haben reichlich zu tun, die Fülle an Informationen zu regis- trieren, zu identifizieren und zu sondieren. Anschließend wen- det man sich dem Bild, seiner Logik und Konstruktion zu und Bild jeweils gesteigerte Prägnanz gewinnen. Als Indizien ver- versucht, die ästhetische Struktur zu ergründen, um hinter weisen sie deutlich auf den Menschen als Hüter des Hauses das Geheimnis des Bildes, seine Idee und Faktur und insbe- und das mehr oder weniger gelungene Arrangement, das er sondere das Konzept der ebenso bezwingenden wie beunru- mit seiner Umgebung getroffen hat. higenden Schönheit zu kommen. Denn die meisten der von Es ist eine Binsenweisheit anzumerken, dass selbst ein Höfer abgelichteten Interieurs sind in der Realität weniger im Alltag bestens bekannter Raum im gelungenen fotografi- oder doch zumindest auf andere Weise schön als im Bild. Die- schen Bild zu einer völlig neuen Kenntlichkeit entstellt wird. ser ästhetischen und phänomenologischen Differenz nachzu- Wie verwandelt oder verfremdet, ist er auf den ersten Blick spüren, ist verlockend und stellt sich als Aufgabe für jedes Bild oft nicht wiederzuerkennen. Das fotografische Auge sieht auf- neu. All diese Zusammenhänge erschließen sich jedoch nicht grund seiner technischen Natur zwar der Sache nach nichts im Vorübergehen, sondern nur durch eingehende Betrachtung. Anderes, aber doch optisch in vieler Hinsicht anders als das Abb. 1 – Candida Höfer: Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar XIII, 2004, C-Print, 120 x 122 cm (© Candida Höfer, Köln / VG Bild-Kunst, Bonn). menschliche Organ und kann folglich immer wieder mit ab- 2. weichenden, staunenerregenden Ansichten überraschen; ent- scheidend ist die Wahl des Objektivs, des Blickpunktes und Die Aufnahme Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar XIII „Jede Fotografie ein Gemälde. Sehr schön!“ Objektiv der Kamera selbst zu bespiegeln, nicht eitel, aber der Belichtungszeit. Im Fall von Candida Höfer lässt sich re- (2004) liefert einen Blick in einen eher weniger repräsenta- (Eintrag im Besucherbuch einer Berliner Galerie doch in Positur gerückt, ein wenig stolz, aber kaum je hage- sümieren, dass sie ihr Raum-Gegenüber auf den je eigenen tiven Abschnitt der renommierten Bibliothek der deutschen anlässlich einer Höfer-Ausstellung, 2008) stolz. Die scheinbar paradoxe Tatsache, dass die Fotografin visuellen Begriff bringt. Und dieser Begriff meint nicht aus- Klassik. Statt des prunkvollen Rokokosaals steht eine Abseite während der Belichtung jeweils für eine mehr oder weniger schließlich und nüchtern das architektonische Erscheinungs- auf der Empore vor Augen. Im Vordergrund ist, direkt auf dem 1. lange Weile im Raum zugegen ist, wiewohl dieser sich später bild, sondern zugleich die Geschichte des Ortes und einen Fußboden abgestellt, das hölzerne Modell eines Gebäudes zu im Bild als völlig leer erweist, wäre eigentlich nicht der Rede Teil der darin gespeicherten Geschichten. Künstlerische Sub- sehen, das von fern her an einen Palladio-Bau erinnert. Über Es ist vielleicht nicht ganz abwegig zu vermuten, dass Candida wert, wenn sich nicht gerade aus diesem Umstand jene eigen- jektivität und fotografisch-technische Objektivität gehen mit- einem mehrfach gestuften Sockel erheben sich zwei in ihrem Höfer öffentliche Räume exakt so fotografiert, wie diese sich tümliche, von Präsenz tingierte Intensität und Spannung der einander einher, um einen Innenraum im Bild in Form einer Bauschmuck unterschiedlich gestaltete Geschosse. Während am liebsten selber dargeboten sähen – im besten Licht und Höferschen Aufnahmen herleiteten. dichten Beschreibung eindringlich zur Anschauung zu brin- im Erdgeschoss eine kräftige Bossenstruktur nebst kleinen vollem Glanz, in aller Ruhe und völlig bei sich; nicht in einen Es scheint zumindest in jedem einzelnen Fall eine stum- gen. So entstehen physiognomisch scharf konturierte, narra- Fenstern dominiert, tritt im Piano nobile, gegliedert durch ei- Dornröschenschlaf gefallen, sondern gespannt aufmerksam me Übereinkunft zwischen dem Ort und der Fotografin zu tiv kondensierte Raumporträts, die sich auch als kleine und ne korinthische Pilasterordnung, eine Folge von acht großen wie kurz vor dem Eintritt des Publikums. Die Räume schei- geben, sich zu akzeptieren und zu respektieren. Kein Raum geheime Historienbilder auffassen lassen, in denen Wände, Rundbogenfenstern prominent in Erscheinung, die zu beiden nen sich, gefiltert durch ein künstlerisches Temperament, im wird bloßgestellt oder der Lächerlichkeit preisgegeben, im Decken, Böden, Türen und Fenster einmal nicht als Kulissen Seiten von einem Risalit mit Statuennische gerahmt werden. 4 Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] Rundbrief Fotografie – Vol. 24 (2017), No. 2 [N.F. 94] 5 MEDIENGESCHICHTE MEDIENGESCHICHTE Kristina Lemke „[D]er Mann, [...] ohne den die Zeitungen in ganz bildvertrieb OHG angegliedert, der sich allein auf die Dis- Deutschland nicht leben können“ tribution der Fotografien konzentrierte[8]. Die Entscheidung Atelier und Vertrieb als zwei getrennte Bereiche zu führen, er- „[D]er Mann, der scheinbar alles kann und der überall ist, folgte unter vermarktungsstrategischen Gesichtspunkten. Für DR. PAUL WOLFF ohne den die Zeitungen in ganz Deutschland nicht leben kön- jeden Themenbereich legte er Bilder auf Vorrat an, mit denen Eine Fotografenkarriere im Nationalsozialismus nen, Dr. Paul Wolff […]“, schreibt Wolf H. Döring in einem er bei entsprechender Nachfrage Verlage oder Bildagenturen Sonderbericht zur „große[n] Photo-Ausstellung in Leipzig“ bedienen konnte. Vor allem mit der Agentur Schostal und 1932, in der die Arbeiten der Mitglieder der Gesellschaft dem Ullstein Bildverlag muss sich eine intensive Zusammen- Deutscher Lichtbildner (GDL) präsentiert wurden [1]. Das arbeit ergeben haben, wofür die große Anzahl der in den dor- Zitat belegt die herausragende Bedeutung und Bekanntheit tigen Bildarchiven erhaltenen Fotografien spricht. Weitere des Fotografen, Verlegers und Unternehmers Dr. Paul Wolff Agenturverbindungen bestanden mit Mauritius Berlin, Black (1887–1951) zu Beginn der 1930er Jahre. Star Picture Agency, New York und London, und dem Linden- Das historische Quellenmaterial zur Rekonstruktion Verlag in München, wie an vielen frühen Fotografien anhand von Leben und Werk dieses einst so bekannten Fotografen der Agenturstempel nachgewiesen werden kann. Pressever- ist jedoch denkbar gering. Es ist anzunehmen, dass viel zer- stört wurde, als das Atelier des Fotografen 1944 bei einem Bombenangriff auf die Stadt Frankfurt am Main in Flam- „Solche Involviertheit men aufging. Erhalten geblieben sind die zum Schutz vor Kriegszerstörungen ausgelagerten Schwarz-Weiß-Kleinbild- in die politische Propaganda negative [2]. Heute werden sie im Dr. Paul Wolff & Tritsch- muss jedoch keineswegs ler – Historisches Bildarchiv in Offenburg verwahrt [3]. Das umfangreiche,