4) Musikstunde
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__________________________________________________________________________ 2 SWR 2 Musikstunde Donnerstag, den 12. Januar 2012 Mit Susanne Herzog Il prete rosso Vivaldi, der Unternehmer Ein kleiner, geigender Engel mit Priesterhut am Steuer einer Gondel. Der ist auf dem Titelbild der anonymen Satire „Il Teatro alla moda“ auf den Opernbetrieb Venedigs zu sehen. 1720 erschienen und bald als eine Schrift des Adeligen und Komponisten Benedetto Marcello enttarnt. Gemünzt auf das Teatro Sant’ Angelo und einen gewissen Aldiviva, jenen geigenden Engel. Niemand anders als Antonio Vivaldi natürlich. Ob’s nun eine Ehre war, als Zielscheibe von Marcellos Gespött ausgewählt worden zu sein, weil Vivaldi zu dieser Zeit so erfolgreich war oder doch eher ein ernst gemeinter Angriff, weil Marcellos Familie das Grundstück gehörte, auf dem das Teatro Sant’ Angelo erbaut worden war und es da schon einige Zeit Streitigkeiten gab. Fest steht: Vivaldi war lange Zeit ein sehr erfolgreicher Unternehmer und Vermarkter seiner Kompositionen: und darum geht es heute in der SWR 2 Musikstunde: wie hat Vivaldi sein Geld verdient? 0’57 Musik 1 Antonio Vivaldi Ausschnitt aus La Verità in cimento, RV 739 <3> Solo quella guancia bella 2’48 Magdalena Kožená, Mezzosopran Venice Baroque Orchestra Andrea Marcon. Ltg. Titel: Magdalena Kožená Vivaldi Archiv Produktion, DG, 00289 477 8096, LC 0113 WDR 5175 628 2 3 Eine Arie aus der Vivaldi Oper La verità in cimento: Magdalena Kožená sang, Andrea Marcon leitete das Venice Baroque Orchestra. „Ich bin … ein freier Unternehmer, und ich begleiche aus meiner Tasche und nicht mit geliehenem Geld“ schrieb Vivaldi selbstbewusst in einem Brief und machte damit deutlich, was es hieß, nicht nur als Komponist von Opern, sondern auch als Impresario in Erscheinung zu treten: man brauchte Geld, viel Geld. Denn der Impresario streckte Ausgaben aus seinem privaten Vermögen vor. Und die Kosten einer Opernproduktion überstiegen das Vielfache des Jahresgehaltes von Vivaldi an der Pietà. Das mag einer der Gründe gewesen sein, warum Vivaldi mit seinem Vater gemeinsam wirtschaftete. Konkret hatte Vivaldi als Impresario folgendes zu leisten: er musste zunächst einmal die Miete für das Opernhaus zahlen. Nachdem der Spielplan erstellt war, die Verträge mit allen Beteiligten abschließen: vom Kassierer über den Bühnenbildner bis zur Sängerin. Vivaldi hatte als Impresario den Druck des Librettos zur Oper zu finanzieren. Er hatte sich darum zu kümmern, das die Karten verkauft wurden und für entsprechende Werbung zu sorgen. Und möglicherweise musste er auch die ein oder andere Intrige einfädeln, um die zahlreichen konkurrierenden Opernhäuser in Venedig auszustechen. 1’30 Musik 2 Antonio Vivaldi Oper Ercole sul Termodonte 1. <29> Onde chiare che sussurrate 5’23 Joyce Didonato, Mezzosopran Europa Galante Fabio Biondi, Ltg. Titel CD: Vivaldi Ercole Virgin Classics, 50999 6945450 9, LC 7873 WDR 5183 461 Joyce Didonato begleitet von Europa Galante und Fabio Biondi mit einer Arie aus Vivaldis Oper Ercole sul Termodonte. 3 4 Als Impresario hatte Vivaldi das Publikum mit stets neuen Stücken zu überraschen. Diesem enormen Bedarf kam er – wie auch seine Kollegen - nach, indem er zum Beispiel alte Werke unter anderem Titel wieder aufführen ließ, einzelne Arien austauschte oder kleine Bearbeitungen vornahm. Ob das Publikum das überhaupt gemerkt hat? Vermutlich nicht, denn man war weit mehr an den prachtvollen Bühnenbildern, den ausgefallenen Kostümen der Primadonna und den virtuosen Überraschungen einzelner Arien interessiert als am Inhalt der Stücke oder gar der Qualität der Musik. In venezianischen Opernhäusern ging es nicht gerade gesittet zu, wie ein Zeitgenosse berichtete: „Viele Patrizier gingen verkleidet in’s Theater, um desto ungenirter ihre Maitressen mit in die übrigens enorm theure Loge nehmen zu können. Dort wurde gelacht und gelärmt; man warf Lichtstumpfen und andere Gegenstände auf das Volk im Parterre, ja, spuckte hinab, wenn man einen kahlen Schädel sah…“ Auch wenn Vivaldi seine Tätigkeit als Impresario an Sant’ Angelo immer wieder unterbrach oder sie unterbrochen wurde: dennoch war er in seiner Heimatstadt lange Zeit ein erfolgreicher Opernkomponist: insgesamt 22 seiner Opern sind dort heraus gekommen. Ein Anziehungspunkt für die Besucher der venezianischen Oper, die ja immerhin unter acht Häusern auswählen konnten – welche Konkurrenz! – war sicherlich Vivaldis Geigenspiel. Er hatte sich darauf spezialisiert, zwischen den Akten sein Können als Violinvirtuose zu präsentieren. Meist wohl auch die Aufführungen als Konzertmeister geleitet. In späteren Jahren dann nur noch die Premiere. 1’35 Musik 3 Antonio Vivaldi Ausschnitt aus der Oper Farnace RV 711 3. <5> Forse o caro in questi accent 5’59 Sara Mingardo, Contraalt Le Concert des Nations Jordi Savall, Ltg. Titel CD: Farnace Antonio Vivaldi AliaVox, AV 9822 A/C, kein LC WDR 5082 262 4 5 Jordi Savall und Le Concert des Nations begleiteten Sara Mingardo bei dieser Arie aus Vivaldis Oper Farnace. Als Opernimpresario hatte Vivaldi bis Mitte der dreißiger Jahre Erfolg, dann ging’s langsam bergab – dazu später mehr. Was hat er während dieser erfolgreichen Zeit verdient? Der Vivaldi Biograph Siegbert Rampe nennt folgende Zahlen: in besten Zeiten habe Vivaldi bis zu 50.000 Dukaten im Jahr eingenommen. Das wäre laut Rampe 800 Mal soviel wie sein damaliges Gehalt an der Pietà, 31 Mal so viel wie Bach in Leipzig im Jahr verdiente. Also enorme Summen, die Vivaldi angeblich durch „außerordentliche Verschwendung“ wieder ausgegeben hat. Nun, ob dem wirklich so war, ist schwer feststellbar: an anderer Stelle werden die besagten 50.000 Dukaten als das angesetzt, was Vivaldi im Laufe seines ganzen Lebens verdient hat. Wie dem auch sei: als Opernimpresario hat Vivaldi definitiv besser verdient, als am Ospedale della Pietà. Vermutlich seit 1718 kam eine weitere Einnahmequelle hinzu: Vivaldi wurde Maestro di Capella da Camera in Mantua, ein Amt, das rund hundert Jahre zuvor kein Geringerer als Claudio Monteverdi bekleidet hatte. In Mantua hatte er bei repräsentativen Anlässen die Hofmusik zu leiten, für die Kammermusik des dortigen Fürsten Philipp von Hessen- Darmstadt zu sorgen, wobei er sicherlich auch als Violinvirtuose in Erscheinung getreten ist. Außerdem gab es ein eigenes herzogliches Opernhaus, wo Vivaldi auch als Impresario tätig war, was gesondert honoriert wurde. Nicht nur finanziell war diese Stellung für Vivaldi vorteilhaft. Noch wichtiger vielleicht das Ansehen: denn nun durfte er den Titel des Kapellmeisters führen, hatte aber dennoch große Freiheiten, führte etwa weiterhin Opern in Florenz oder Rom auf. Auch schon als er längst wieder in Venedig war, durfte er sich trotzdem noch „Kapellmeister von Haus aus“ nennen und belieferte den Hof weiter mit Kompositionen. Da das Herzogtum Mantua von Kaiser Karl VI 5 6 annektiert worden war, stand Vivaldi damit indirekt auch in den Diensten des Kaisers. Eine zusätzliche Verbindung, die Vivaldi geschickt geknüpft hatte. 2’05 Musik 4 Antonio Vivaldi Ausschnitt aus der Kantate Cessate, omai cessate, RV 684 <4> rein bei 1’58 raus bei 6’09 [frei 4’11] Anne Sofie von Otter, Mezzosopran Musica Antiqua Köln Reinhard Goebel, Ltg. Titel CD: Lamenti Archiv Produktion, 457 617-2, LC 0113 WDR 5034 132 Ein Ausschnitt aus der Kantate Cessate, omai cessate, quasi Oper im Kleinformat, bestens geeignet für die fürstliche Kammer in Mantua. Anne Sofie von Otter sang und wurde begleitet von Musica Antiqua Köln unter der Leitung von Reinhard Goebel. Kapellmeister in Mantua, Impresario und Opernkomponist in Venedig und anderswo, Maestro di Violino am Ospedale della Pietà, europaweit durch Drucke seiner Concerti bekannt und geschätzt: für Vivaldi lief es gut. Bis 1737, da war sein Stern schon langsam im Sinken begriffen. Absagen für Opernaufführungen hatte er von verschiedenen Seiten erhalten. Endlich eine Zusage: aus Ferrara, einer kleinen Stadt, zum Kirchenstaat gehörig. Dort war ein Musikliebhaber für den Opernbetrieb zuständig, der Marchese Guido Bentivoglio d’Aragona, den Vivaldi bereits kannte. Alles war arrangiert, Vivaldi hatte Verträge über 6000 Dukaten für sein neues Opernprojekt abgeschlossen und wollte in zwei Tagen nach Ferrara abreisen, um dort auch als Impresario vor Ort die Dinge in die Hand zu nehmen. Dazu sollte es allerdings nicht kommen: der Erzbischof von Ferrara, Kardinal Tomaso Ruffo, machte Vivaldi einen Strich durch die Rechnung. Er verbot ihm, die Stadt zu betreten, weil “ich als Priester keine Messe lese, und wegen meiner Amicizia mit der Sängerin Girò“ schrieb Vivaldi entsetzt an seinen Gönner Bentivoglio d’Aragona. Daraus ergebe sich „ein Meer von Unglück“! 6 7 Der Marchese tat sein Bestes, Vivaldi aus diesem „Meer von Unglück“ zu erretten, indem er den Kardinal noch mal bearbeitete, sein Verbot aufzuheben. Der aber blieb eisenhart, schien an Vivaldi, dem Priester, der in den weltlichen und halbseidenen Gefilden der Oper unterwegs war, ein Exempel statuieren zu wollen. Denn Ruffo wollte generell dem Treiben der Geistlichkeit in Venedig Einhalt gebieten: nicht Maskieren sollten die Priester sich im Karneval, kein anstößiges Spazierengehen, sich auf Bällen und Festen nicht zeigen und vieles mehr. Vivaldi war verzweifelt. Letztlich blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu beugen und seine Oper in die Hände eines unerfahrenen, ortsansässigen Impresarios zu geben. Mit dem Ergebnis, dass das ganze Unternehmen ein Misserfolg wurde und eine zweite Oper für Ferrara erst gar nicht in Frage kam. 2’20 Musik 5 Antonio Vivaldi Ausschnitt aus der Oper L’Olimpiade