Plenarprotokoll 19/89

Deutscher

Stenografischer Bericht

89. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Inhalt:

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble . . . . . 10477 A (DIE LINKE)...... 10502 C Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- (CDU/CSU) ...... 10502 D nung...... 10477 D (CDU/CSU) ...... 10503 D Absetzung der Tagesordnungspunkte 5, 9 b Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 10504 B und 22...... 10478 C Begrüßung der französischen Vorsitzenden der deutsch-französischen Arbeitsgruppe Tagesordnungspunkt 25: zum Élysée-Vertrag, Frau Sabine Thillaye und Herrn Christophe Arend, sowie mehrerer a) Antrag der Abgeordneten , französischer Mitglieder...... 10478 D , , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Abschaffung der Grundsteuer Drucksache 19/8556...... 10505 B Tagesordnungspunkt 4: b) Antrag der Abgeordneten Markus Herbrand,­ Abgabe einer Regierungserklärung durch die Christian Dürr, Dr. , weiterer Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am Abgeordneter und der Fraktion der FDP: 21. und 22. März 2019 in Brüssel Keine bürokratischen Belastungen bei Dr. , Bundeskanzlerin. . . . 10479 B der Grundsteuerreform zulassen Drucksache 19/8544...... 10505 C Dr. (AfD)...... 10484 C Kay Gottschalk (AfD)...... 10505 C (SPD)...... 10485 D (CDU/CSU)...... 10506 D (FDP)...... 10488 B Kay Gottschalk (AfD)...... 10507 B (CDU/CSU)...... 10489 D Markus Herbrand (FDP)...... 10508 C Dr. (DIE LINKE). . . . 10492 B (SPD)...... 10509 D Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10494 A Jörg Cezanne (DIE LINKE)...... 10511 B (SPD)...... 10495 A Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10512 C Dr. (AfD)...... 10496 C Fritz Güntzler (CDU/CSU)...... 10514 A (CDU/CSU)...... 10497 D Udo Theodor Hemmelgarn (AfD)...... 10516 A Alexander Graf Lambsdorff (FDP). . . . . 10499 B (SPD)...... 10516 D Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10500 A Dr. h. c. (CDU/CSU). . . 10517 D Paul Ziemiak (CDU/CSU) ...... 10500 D (SPD)...... 10519 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Tagesordnungspunkt 6: Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU)...... 10532 D a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ wurfs eines Gesetzes zur zielgenauen DIE GRÜNEN)...... 10534 A Stärkung von Familien und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Bettina Margarethe Wiesmann Kinderzuschlags und die Verbesse- (CDU/CSU)...... 10534 B rung der Leistungen für Bildung und Sönke Rix (SPD)...... 10535 A Teilhabe (Starke-Familien-Gesetz – StaFamG) Norbert Müller (Potsdam) Drucksachen 19/7504, 19/8036, (DIE LINKE) ...... 10536 A 19/8435 Nr. 4, 19/8613...... 10520 B (CDU/CSU)...... 10537 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 19/8614 ...... 10520 B Tagesordnungspunkt 7: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Antrag der Abgeordneten Matthias W. Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen Birkwald, , , und Jugend weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE – zu dem Antrag der Abgeordneten LINKE: Solidarische Mindestrente einfüh- , Katja Dörner, ren – Altersarmut wirksam bekämpfen und Sven Lehmann, weiterer Abgeordneter das Rentenniveau anheben und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Drucksache 19/8555...... 10538 B GRÜNEN: Kinderzuschlag automa- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE). . . . 10538 C tisch auszahlen – Verdeckte Armut überwinden Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU). . . 10539 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Sven Ulrike Schielke-Ziesing (AfD)...... 10541 A Lehmann, Annalena Baerbock, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und (SPD)...... 10542 C der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (FDP) ...... 10543 B NEN: Teilhabe für alle Kinder sicher- stellen, Bürokratie abbauen Matthias W. Birkwald (DIE LINKE). . . 10544 A Drucksachen 19/1854, 19/7451, 19/8613...... 10520 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10544 D c) Antrag der Abgeordneten , Mariana Iris Harder-Kühnel, Pascal Kober (FDP) ...... 10545 B Nicole Höchst, weiterer Abgeordneter und (CDU/CSU)...... 10546 C der Fraktion der AfD: Sieben Prozent Mehrwertsteuer auf Artikel und Dienst- (FDP)...... 10548 B leistungen des Kinderbedarfs – Steuern Dr. (SPD)...... 10549 B senken, Familien stärken Drucksache 19/8560...... 10520 C Pascal Kober (FDP) ...... 10549 D , Bundesminister BMAS. . . . 10520 D (CDU/CSU)...... 10551 A Martin Reichardt (AfD) ...... 10522 A (Wetzlar) (SPD) . . . . . 10552 B (Hamburg) (CDU/CSU). . . 10523 A (FDP)...... 10524 B Tagesordnungspunkt 27: Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE). . . 10525 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ zes zum Vorschlag für eine Empfehlung DIE GRÜNEN)...... 10526 C des Rates zum Zugang zum Sozialschutz (SPD)...... 10527 C für Arbeitnehmer und Selbständige Drucksache 19/8460...... 10553 C Stefan Keuter (AfD)...... 10528 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- (CDU/CSU)...... 10529 C rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Grigorios Aggelidis (FDP)...... 10529 D zu dem Protokoll vom 11. Juni 2014 zum Übereinkommen Nr. 29 der Internatio- Pascal Kober (FDP) ...... 10531 B nalen Arbeitsorganisation vom 28. Juni Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/ 1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit DIE GRÜNEN)...... 10532 A Drucksache 19/8461...... 10553 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 III

c) Antrag der Abgeordneten Dr. Marcel Klin- in Verbindung mit ge, , Roman Müller-Böhm,­ weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine weltoffene neue Ge- Zusatztagesordnungspunkt 2: neration – Chancen von „Working Holi- a) Antrag der Abgeordneten , day“-Programmen effektiver nutzen , Grigorios Aggelidis, wei- Drucksache 19/2690...... 10553 D terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Kulturpolitische Aufarbeitung des d) Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Sammlungsgutes aus kolonialen Kon- , Markus Kurth, weiterer Ab- texten geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Drucksache 19/8545...... 10554 C DIE GRÜNEN: 10 Jahre UN-Behinder- tenrechtskonvention in Deutschland – b) Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz- 10 Punkte für ein selbstbestimmtes Le- Asche, Maria Klein-Schmeink, Dr. Kirsten ben Kappert-Gonther, weiterer Abgeordneter Drucksache 19/8288...... 10553 D und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Pflege gerecht und stabil finan- e) Antrag der Abgeordneten Jörn König, zieren – Die Pflege-Bürgerversicherung , , weiterer vollenden Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Drucksache 19/8561...... 10554 D Freiheit für die Förderung von Sport- großveranstaltungen in Deutschland – Anpassung der Förderrichtlinien Ver- Zusatztagesordnungspunkt 2: bände Drucksache 19/8559...... 10554 A c) Antrag der Abgeordneten , Dr. Gesine Lötzsch, Dr. André Hahn, wei- f) Antrag der Abgeordneten Eva-Maria terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Schreiber, Heike Hänsel, , LINKE: Ende der Zeitumstellung weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/8469...... 10554 D DIE LINKE: Rechte von Landarbeite- rinnen und Landarbeitern im Rahmen deutscher Entwicklungszusammenarbeit Tagesordnungspunkt 28: stärken Drucksache 19/8554...... 10554 A a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs g) Antrag der Abgeordneten Dr. Manuela eines Gesetzes zur Änderung beförde- Rottmann, Tabea Rößner, Dr. Konstantin rungsrechtlicher Vorschriften im Eisen- von Notz, weiterer Abgeordneter und der bahnbereich Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksachen 19/7837, 19/7917, zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des 19/8468...... 10555 A Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kol- b) Beschlussempfehlung und Bericht des lektivinteressen der Verbraucher und zur Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG – trag der Abgeordneten , KOM(2018) 184 endg.; Ratsdok. 7877/18 – Dr. , , und – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Europäischen Parlaments und des Rates BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kamerun zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG stabilisieren – Bürgerkrieg verhindern des Rates vom 5. April 1993, der Richtli- Drucksachen 19/4555, 19/7745. . . . . 10555 B nie 98/6/EG des Europäischen Parlaments c)–n) und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG Beratung der Beschlussempfehlungen des des Europäischen Parlaments und des Ra- Petitionsausschusses: Sammelübersich- tes sowie der Richtlinie 2011/83/EU des ten 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, Europäischen Parlaments und des Rates zur 223, 224, 225 und 226 zu Petitionen besseren Durchsetzung und Modernisierung Drucksachen 19/8320, 19/8321, 19/8322, der EU-Verbraucherschutzvorschriften – 19/8323, 19/8324, 19/8325, 19/8326, KOM(2018) 185 endg.; Ratsdok. 7876/18 – 19/8327, 19/8328, 19/8329, 19/8330, hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes- 19/8331...... 10555 C regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes: Mehr Verbraucherschutz in der EU durchsetzen – Kollektiven Rechtsschutz stärken und Transparenz Tagesordnungspunkt 8: bei Internetplattformen schaffen a) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Drucksache 19/8563...... 10554 C Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

der „Stiftung Denkmal für die ermorde- und des deutschen und internationalen ten Juden Europas“ Engagements für den Wiederaufbau Af- Drucksache 19/8463...... 10556 D ghanistans seit 2001 Drucksachen 19/4553, 19/5168. . . . . 10558 B b) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ in Verbindung mit Drucksache 19/8464...... 10556 D c) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums Zusatztagesordnungspunkt 3: gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaus- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- haltsordnung wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- Drucksache 19/8465...... 10557 B geordneten Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland d) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Wahl Hartwig, , weiterer Abgeordneter von Mitgliedern des Gremiums gemäß und der Fraktion der AfD: Das deutsche En- § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes gagement in Afghanistan beenden Drucksachen 19/7937, 19/8582 ...... Drucksache 19/8466...... 10557 C 10558 C e) Wahlvorschlag der Fraktion der AfD: Aydan Özoğuz (SPD)...... 10558 C Wahl von Mitgliedern des Sondergremi- (AfD)...... 10559 C ums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie- rungsmechanismusgesetzes Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU) . . 10560 C Drucksache 19/8467...... 10557 D Bijan Djir-Sarai (FDP)...... 10561 D Tobias Pflüger (DIE LINKE)...... 10562 C Wahlen ...... 10557 B, 10557 C, 10558 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10563 C Ergebnisse...... 10575 D, 10575 D, 10576 A (CDU/CSU)...... 10564 C Dr. (SPD)...... 10565 A Tagesordnungspunkt 9: (CDU/CSU)...... 10566 A a) – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung Namentliche Abstimmungen. . . . 10566 D, 10567 A der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte am NATO-geführ- Ergebnisse...... 10576 A, 10579 D ten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unter- stützung der afghanischen nationa- Tagesordnungspunkt 11: len Verteidigungs- und Sicherheits- kräfte in Afghanistan – Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksachen 19/7726, 19/8424. . . . 10558 B Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung – Bericht des Haushaltsausschusses ge- der Beteiligung bewaffneter deutscher mäß § 96 der Geschäftsordnung Streitkräfte an der NATO-geführten Drucksache 19/8425 ...... 10558 B Maritimen Sicherheitsoperation SEA c) Beschlussempfehlung und Bericht des GUARDIAN im Mittelmeer Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Drucksachen 19/7727, 19/8426. . . . . 10567 D der Abgeordneten Heike Hänsel, Michel – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Brandt, , weiterer Ab- § 96 der Geschäftsordnung geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Drucksache 19/8427...... 10567 D Bundeswehr sofort aus Afghanistan ab- ziehen Dr. (SPD)...... 10568 A Drucksachen 19/7908, 19/8432. . . . . 10558 B Paul Viktor Podolay (AfD)...... 10568 D d) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU). . . . . 10569 C Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Omid Nouripour, (FDP)...... 10570 B Dr. Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, weite- Matthias Höhn (DIE LINKE)...... 10571 A rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Evaluierung der Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ deutschen Beteiligung an ISAF, RSM DIE GRÜNEN)...... 10572 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 V

Markus Koob (CDU/CSU)...... 10573 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . 10598 C Siemtje Möller (SPD)...... 10574 A (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU)...... 10574 D DIE GRÜNEN)...... 10599 A Thomas Erndl (CDU/CSU)...... 10599 D Namentliche Abstimmung ...... 10583 A Namentliche Abstimmung ...... 10600 C Ergebnis ...... 10588 C Ergebnis ...... 10602 D Tagesordnungspunkt 12: – Beschlussempfehlung und Bericht des Tagesordnungspunkt 10: Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung Antrag der Abgeordneten Alexander Graf der Beteiligung bewaffneter deutscher Lambsdorff, , Grigorios Aggelidis, Streitkräfte an der Mission der Verein- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der ten Nationen in der Republik Südsudan FDP: Digitalisierung trifft auf Diplomatie – (UNMISS) Innovationsbotschafter entsenden Drucksachen 19/7728, 19/8428. . . . . 10583 B Drucksache 19/8542...... 10600 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Renata Alt (FDP)...... 10600 D § 96 der Geschäftsordnung Dr. (CDU/CSU)...... 10601 C Drucksache 19/8429...... 10583 B Dr. (AfD) ...... 10605 D (SPD) ...... 10583 B Dr. (AfD)...... 10584 B , Staatsminister AA...... 10606 D Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 10584 D Dr. (DIE LINKE)...... 10608 A Till Mansmann (FDP)...... 10585 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10608 C Tobias Pflüger (DIE LINKE)...... 10586 A Maik Beermann (CDU/CSU)...... 10609 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10586 D (CDU/CSU)...... 10610 C Dr. (CDU/CSU)...... 10587 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Namentliche Abstimmung ...... 10591 B Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der AfD: Wirken der Bundesregierung im Ergebnis ...... 10594 C Fall Billy Six Petr Bystron (AfD)...... 10611 C Tagesordnungspunkt 13: Dr. Andreas Nick (CDU/CSU)...... 10612 C – Beschlussempfehlung und Bericht des (FDP)...... 10614 B Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung Niels Annen, Staatsminister AA...... 10616 A der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Hybriden Einsatz (DIE LINKE)...... 10618 A der Afrikanischen Union und der Ver- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ einten Nationen in Darfur (UNAMID) DIE GRÜNEN)...... 10619 C Drucksachen 19/7725, 19/8430. . . . . 10591 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU). . . 10620 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Armin-Paulus Hampel (AfD)...... 10622 A Drucksache 19/8431...... 10591 D Dr. Barbara Hendricks (SPD)...... 10623 B (SPD) ...... 10592 A (CDU/CSU) ...... 10624 B Petr Bystron (AfD)...... 10593 A (SPD)...... 10625 D (CDU/CSU)...... 10593 C (CDU/CSU)...... 10627 A Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP)...... 10597 B Dr. Daniela De Ridder (SPD)...... 10628 B VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Tagesordnungspunkt 14: (AfD)...... 10642 C Beratung der Antwort der Bundesregierung Dr. (FDP)...... 10643 D auf die Große Anfrage der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, , wei- Sonja Amalie Steffen (SPD)...... 10644 C terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (DIE LINKE). . . . 10649 A NIS 90/DIE GRÜNEN: Ökologische, soziale und menschenrechtliche Kriterien in der öf- (CDU/CSU)...... 10649 D fentlichen Beschaffung als Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung weltweit Drucksachen 19/3166, 19/7567 ...... 10629 B Tagesordnungspunkt 17: Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ a) Zweite und dritte Beratung des von der DIE GRÜNEN)...... 10629 C Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richt- (CDU/CSU)...... 10630 B linie (EU) 2016/943 zum Schutz von Ge- (AfD)...... 10631 B schäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung (SPD) ...... 10632 C und Offenlegung Dr. Christoph Hoffmann (FDP) ...... 10633 B Drucksachen 19/4724, 19/8300. . . . . 10650 B Michel Brandt (DIE LINKE)...... 10634 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- (CDU/CSU) ...... 10635 B schutz Dr. (SPD)...... 10635 D – zu dem Antrag der Abgeordneten , , Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU)...... 10636 D , weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Pres- se, Arbeitnehmervertretung und Tagesordnungspunkt 15: Whistleblower im Geschäftsgeheim- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- nisgesetz schützen desregierung eingebrachten Entwurfs eines – zu dem Antrag der Abgeordneten Fünften Gesetzes zur Änderung des Markt- Dr. , Beate Müller-­ organisationsgesetzes Gemmeke, Tabea Rößner, weite- Drucksachen 19/7836, 19/8350 ...... 10637 C rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ge- Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU)...... 10637 D schäftsgeheimnisgesetz – Schutz für (AfD)...... 10638 D Arbeitnehmerinnen, Journalisten, Hinweisgeberinnen und Wirtschaft (SPD)...... 10639 B nachbessern Dr. (FDP)...... 10639 D Drucksachen 19/7704, 19/7453, 19/8300...... 10650 C Dr. (DIE LINKE). . . . 10640 A (AfD)...... 10650 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10640 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/ CSU)...... 10651 D (CDU/CSU)...... 10641 C Roman Müller-Böhm (FDP)...... 10652 D (SPD) ...... 10641 D Niema Movassat (DIE LINKE) ...... 10653 C Namentliche Abstimmung ...... 10642 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 10654 C Ergebnis ...... 10645 D Dr. (SPD)...... 10655 C

Tagesordnungspunkt 16: Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten , Antrag der Abgeordneten , Andreas Bleck, , weiterer Ab- , Grigorios Aggelidis, weite- geordneter und der Fraktion der AfD: Ände- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: rung der Geschäftsordnung des Deutschen Vorsorgestrukturen ausbauen – Ehrenamt Bundestages – hier: Regelung des banken- in Bevölkerungsschutz und Katastrophen- unionalen Fragerechts hilfe stärken Drucksache 19/8558...... 10642 C Drucksache 19/8541...... 10657 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 VII

Benjamin Strasser (FDP) ...... 10657 B Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushalts- (CDU/CSU)...... 10658 A ordnung teilgenommen haben (AfD) ...... 10659 C (Tagesordnungspunkt 8 c)...... 10685 B (SPD)...... 10660 D Dr. André Hahn (DIE LINKE)...... 10661 D Anlage 3 Dr. (BÜNDNIS 90/ Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- DIE GRÜNEN)...... 10662 D der des Deutschen Bundestages, die an der (CDU/CSU) ...... 10663 D Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes teilge- nommen haben Tagesordnungspunkt 19: (Tagesordnungspunkt 8 d)...... 10689 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit Anlage 4 und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Helin , Niema Movassat, Ergebnisse und Namensverzeichnis der Mit- Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der glieder des Deutschen Bundestages, die an der Fraktion DIE LINKE: Versöhnung mit Na- Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums mibia – Entschuldigung und Verantwor- gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha- tung für den Völkermord in der ehemaligen nismusgesetzes teilgenommen haben Kolonie Deutsch-Südwestafrika (Tagesordnungspunkt 8 e)...... 10693 A Drucksachen 19/1256, 19/4951 ...... 10664 D (CDU/CSU). . . . . 10665 A Anlage 5 (AfD)...... 10666 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (FDP)...... 10667 A Omid Nouripour, , Dr. Danyal Helin Evrim Sommer (DIE LINKE). . . . . 10668 A Bayaz, Dr. Franziska Brantner, Dr. , Anja Hajduk, Dr. Bettina Ottmar von Holtz (BÜNDNIS 90/ Hoffmann, Ottmar von Holtz, , DIE GRÜNEN)...... 10668 C Dr. , Cem Özdemir, Friedrich Ostendorff, Tabea Rößner, Dr. Manuela ­Rottmann, , Stefan Schmidt, Tagesordnungspunkt 20: Kordula Schulz-Asche, und Antrag der Abgeordneten , Daniela Wagner (alle BÜNDNIS 90/DIE Christian Kühn (Tübingen), Britta Haßelmann, GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung weiterer Abgeordneter und der Fraktion über die Beschlussempfehlung des Auswär- tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bun- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortpro- desregierung: Fortsetzung der Beteiligung gramm Bauflächenoffensive – Hunderttau- bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-­ send Dächer und Häuser Programm Drucksache 19/6499...... 10669 D geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ afghanischen nationalen Verteidigungs- und DIE GRÜNEN)...... 10669 D Sicherheitskräfte in Afghanistan (AfD)...... 10670 D (Tagesordnungspunkt 9 a)...... 10696 B

Nächste Sitzung ...... 10672 D Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Berichtigung...... 10672 D Alexander Müller, Markus Herbrand, , , Manuel Höferlin, Dr. , , Wolfgang Anlage 1 Kubicki, Roman Müller-Böhm, , Entschuldigte Abgeordnete...... 10685 A Dr. , Christian Sauter, Frank Schäffler, Dr. , Bettina Stark-Watzinger, und (alle FDP) zu der namentlichen Ab- Anlage 2 stimmung über die Beschlussempfehlung des Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglie- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der der des Deutschen Bundestages, die an der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-­ scher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz geführten Einsatz Resolute Support für die Resolute Support für die Ausbildung, Beratung Ausbildung, Beratung und Unterstützung der und Unterstützung der afghanischen nationalen afghanischen nationalen Verteidigungs- und Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afgha- Sicherheitskräfte in Afghanistan nistan (Tagesordnungspunkt 9 a)...... 10697 C (Tagesordnungspunkt 9 a)...... 10701 A

Anlage 7 Anlage 10 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Katja Dörner, Erhard (DIE LINKE) zur Abstimmung über Grundl, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Uwe die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Kekeritz, , Sven-Christian Kindler, Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordne- Maria Klein-Schmeink, Christian Kühn, Sven ten Omid Nouripour, Dr. Frithjof Schmidt, Lehmann, Dr. Irene Mihalic, Beate Müller-­ Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Gemmeke, , (Augs- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eva- burg), Corinna Rüffer, und luierung der deutschen Beteiligung an ISAF, Jürgen Trittin (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- RSM und des deutschen und internationalen NEN) zu der namentlichen Abstimmung über Engagements für den Wiederaufbau Afghanis- die Beschlussempfehlung des Auswärtigen tans seit 2001 Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- (Tagesordnungspunkt 9 d)...... 10701 A rung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Anlage 11 Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräf- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung te in Afghanistan des Antrags der Abgeordneten Thomas Seitz, (Tagesordnungspunkt 9 a)...... 10698 A Andreas Bleck, Corinna Miazga, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Än- derung der Geschäftsordnung des Deutschen Anlage 8 Bundestages – hier: Regelung des bankenuni- onalen Fragerechts Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- (Tagesordnungspunkt 16)...... 10701 B chen Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem (CDU/CSU). 10701 B Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der (SPD) . 10702 A Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ für die Ausbildung, Beratung und Unterstüt- DIE GRÜNEN). 10702 D zung der afghanischen nationalen Verteidi- gungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan (Tagesordnungspunkt 9 a)...... 10699 A Anlage 12 (BÜNDNIS 90/ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung DIE GRÜNEN). 10699 A a) des von der Bundesregierung eingebrach- Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ ten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- DIE GRÜNEN). 10699 D zung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor (SPD). 10700 D rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidri- Dr. Rainer Kraft (AfD) . 10700 D ger Nutzung und Offenlegung b) der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbrau- cherschutz Anlage 9 – zu dem Antrag der Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Niema Movassat, Doris Achelwilm, (CDU/CSU) zu der namentli- Pascal Meiser, weiterer Abgeordneter chen Abstimmung über den Entschließungs- und der Fraktion DIE LINKE: Presse, antrag der Abgeordneten Alexander Graf Arbeitnehmervertretung und Whistle- Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Alt blower im Geschäftsgeheimnisgesetz und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der schützen FDP zu der Beratung des Antrags der Bundes- – zu dem Antrag der Abgeordneten regierung – Drucksachen 19/7726, 19/8424 – Dr. Manuela Rottmann, Beate Müller-­ Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- Gemmeke, Tabea Rößner, weite- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 IX

rer Abgeordneter und der Fraktion (SPD). 10712 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ge- (SPD) . 10712 D schäftsgeheimnisgesetz – Schutz für Arbeitnehmerinnen, Journalisten, Hin- Daniel Föst (FDP) . 10713 D weisgeberinnen und Wirtschaft nach- (DIE LINKE). 10714 B bessern (Tagesordnungspunkt 17)...... 10703 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU). 10703 C Anlage 16 (CDU/CSU). 10704 B Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. (SPD) . 10704 D Markus Herbrand (FDP) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung (fraktionslos) . 10705 C des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am Anlage 13 NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des der afghanischen nationalen Verteidigungs- Antrags der Abgeordneten Benjamin Strasser, und Sicherheitskräfte in Afghanistan Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weite- (Tagesordnungspunkt 9 a)...... 10715 A rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vorsorgestrukturen ausbauen – Ehrenamt in Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stärken Anlage 17 (Tagesordnungspunkt 18)...... 10705 D Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten (CDU/CSU). 10706 A Alois Karl (CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag (SPD) . 10706 C der Abgeordneten Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Alt und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu der Anlage 14 Beratung des Antrags der Bundesregierung – Drucksachen 19/7726, 19/8424 – Fortsetzung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- der Beschlussempfehlung und des Berichts kräfte am NATO-geführten Einsatz Reso­lute des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- Support für die Ausbildung, Beratung und menarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Unterstützung der afghanischen nationalen Abgeordneten Helin Evrim Sommer, Niema Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Af- Movassat, Heike Hänsel, weiterer Abgeordne- ghanistan ter und der Fraktion DIE LINKE: Versöhnung (Tagesordnungspunkt 9 a)...... 10715 A mit Namibia – Entschuldigung und Verantwor- tung für den Völkermord in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (Tagesordnungspunkt 19)...... 10707 B Anlage 18 Dr . (CDU/CSU). 10707 B Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (CDU/CSU) zu der nament- (SPD). 10708 B lichen Abstimmung über den Entschließungs- antrag der Abgeordneten Alexander Graf Gabi Weber (SPD) . 10709 A Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Alt und weiterer Abgeordneter und der Frakti- on der FDP zu der Beratung des Antrags der Anlage 15 Bundesregierung – Drucksachen 19/7726, Zu Protokoll gegebene Reden zur Bera- 19/8424 – Fortsetzung der Beteiligung be- tung des Antrags der Abgeordneten Daniela waffneter deutscher Streitkräfte am NATO-ge- Wagner, Christian Kühn (Tübingen), Britta führten Einsatz Resolute Support für die Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Ausbildung, Beratung und Unterstützung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So- afghanischen nationalen Verteidigungs- und fortprogramm Bauflächenoffensive – Hun- Sicherheitskräfte in Afghanistan derttausend Dächer und Häuser Programm (Tagesordnungspunkt 9 a)...... 10715 C (Tagesordnungspunkt 20)...... 10709 C Karsten Möring (CDU/CSU) . 10709 D Anlage 19 (CDU/CSU) . 10710 D Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten (CDU/CSU). 10711 B (CDU/CSU) zu der na- X Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 mentlichen Abstimmung über den Entschlie- waffneter deutscher Streitkräfte am NATO-ge- ßungsantrag der Abgeordneten Alexander führten Einsatz Resolute Support für die Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Ausbildung, Beratung und Unterstützung der Alt und weiterer Abgeordneter und der Frak- afghanischen nationalen Verteidigungs- und tion der FDP zu der Beratung des Antrags der Sicherheitskräfte in Afghanistan Bundesregierung – Drucksachen 19/7726, 19/8424 – Fortsetzung der Beteiligung be- (Tagesordnungspunkt 9 a)...... 10715 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10477

(A) (C)

89. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wir wissen heute nicht, ob die Tat in Utrecht in einem Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Zusammenhang mit dem Anschlag in Christchurch steht. nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Aber wir wissen eins: Gewalt gebiert regelmäßig Gewalt. Deshalb sind wir alle dazu aufgefordert, stärker zu diffe- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in den vergange- renzieren. Zwischen Menschen muslimischen Glaubens nen Tagen haben zwei Gewalttaten die Menschen auf und islamistischen Terroristen klarer zu unterscheiden, der ganzen Welt entsetzt. unsere Worte besser zu wägen. Denn Pauschalisierungen Bei einem Anschlag auf zwei Moscheen im neusee- düngen den Boden von Ressentiments und Feindschaft, ländischen Christchurch wurden am vergangenen Freitag auf dem Taten wie in Christchurch wachsen – egal ob sie mindestens 50 Menschen, darunter Frauen und Kinder, sich gegen Andersgläubige richten oder gegen Menschen brutal aus dem Leben gerissen – mitten im Gebet. Dut- mit anderer Herkunft, anderem Geschlecht, anderer Se- zende andere wurden schwer verletzt. Viele von ihnen xualität. (B) kämpfen noch immer ums Überleben. Ich habe meinem Der Angriff in Christchurch richtete sich gegen Mus- (D) Amtskollegen unsere Anteilnahme ausgesprochen und lime, aber er ging gegen alles, was menschlich ist. Er den Überlebenden unsere guten Wünsche übermittelt. war – nicht anders als der islamistische Terror – ein An- Am Montag wurden dann in Utrecht drei Menschen in schlag auf Toleranz, auf die Glaubensfreiheit, auf die einer Straßenbahn erschossen und drei weitere Personen Humanität. Er traf Muslime, aber er galt all den Werten, schwer verletzt. Die Motive zu dieser Tat sind noch nicht die uns gemeinsam wichtig sind und für die wir entschie- geklärt; ein terroristischer Hintergrund wird derzeit nicht dener eintreten müssen. ausgeschlossen. Wir trauern mit den Menschen in Neuseeland und In Christchurch stehen wir nicht zuletzt fassungslos den Niederlanden. Und wir sehen unsere Pflicht, einen vor der Brutalität eines Attentäters, der den Tatort via eigenen Beitrag dazu zu leisten, dass sich Vergleichbares Facebook in die ganze Welt verlegte. Sein Morden war in nicht wiederholt. Echtzeit überall zu verfolgen – und die Bilder sind heute Ich danke Ihnen. kaum mehr aus dem Netz zu verbannen, weil es in die- ser Welt mit ihrer Sensationsgier und Lust an der Gewalt (Beifall) bei zu vielen keinen Anstand und Respekt mehr gibt – nicht einmal vor der Würde der Opfer und dem Leid ihrer Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die ver- Angehörigen. Und wir müssen auch erkennen, dass das bundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste ebenso für die Versuchung gilt, das Attentat und die Bil- aufgeführten Punkte zu erweitern: der davon in den internationalen Beziehungen politisch ZP 1 Aktuelle Stunde zu instrumentalisieren. auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Die Tat hat offenbar ein Rechtsextremist begangen. Sein Angriff galt dem Fremden, den Muslimen. Er glaub- Fusion von Deutscher Bank und Commerz- te – daran lassen seine kruden Botschaften keine Zwei- bank – Konsequenzen für die Steuerzahlerin- fel –, damit den Terror von Islamisten zu rächen – und nen und Steuerzahler er tötete auf diese Weise Unschuldige. Seine Wahnsinns­ tat zeigt, wohin verblendete Ideologie und blinder Hass (siehe 88. Sitzung) führen. Wo er auftaucht, braucht es die entschiedene Ge- ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- genwehr des Rechtsstaats – so wie wir nicht nachlassen fahren dürfen in unserem Kampf gegen die Gefahren des Isla- mismus. (Ergänzung zu TOP 27) 10478 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ (C) Hartmut Ebbing, Katja Suding, Grigorios CSU und SPD Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Antiziganismus bekämpfen Fraktion der FDP Drucksache 19/8546 Kulturpolitische Aufarbeitung des Sammlungsgutes aus kolonialen Kontex- ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktionen FDP, DIE ten LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 19/8545 Antiziganismus bekämpfen Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/8562 Ausschuss für Kultur und Medien ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe b) Beratung des Antrags der Abgeordne- Witt, Marc Bernhard, , weiterer ten Kordula Schulz-Asche, Maria Klein- Abgeordneter und der Fraktion der AfD Schmeink, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bonus-System zur Schaffung von Arbeitsplät- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zen für schwerbehinderte Menschen Pflege gerecht und stabil finanzieren – Drucksache 19/8557 Die Pflege-Bürgerversicherung vollenden Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/8561 Ausschuss für Arbeit und Soziales Überweisungsvorschlag: Der Tagesordnungspunkt 5 soll abgesetzt, stattdessen Ausschuss für Gesundheit (f) der Tagesordnungspunkt 25 mit einer Debattenzeit von Ausschuss für Arbeit und Soziales nunmehr 60 Minuten aufgerufen werden. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Ebenso soll der Tagesordnungspunkt 9 b abgesetzt c) Beratung des Antrags der Abgeordne- werden. ten Ralph Lenkert, Dr. Gesine Lötzsch, Der Tagesordnungspunkt 10 soll nach dem Tagesord- Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und nungspunkt 13 debattiert werden. der Fraktion DIE LINKE Im Anschluss daran soll auf Verlangen der Fraktion Ende der Zeitumstellung der AfD eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Wirken der (B) Drucksache 19/8469 Bundesregierung im Fall Billy Six“ stattfinden. (D) ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Des Weiteren soll der Tagesordnungspunkt 22 abge- Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- setzt und an dieser Stelle der Antrag auf der Drucksa- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten che 19/8543 mit dem Titel „E‑Scooter und Hoverboards ­Armin-Paulus Hampel, Dr. Roland Hartwig, Petr jetzt bürgerfreundlich zulassen – Flexible Mobilität Bystron, weiterer Abgeordneter und der Fraktion schnell und innovativ ermöglichen“ mit einer Beratungs- der AfD zeit von 60 Minuten aufgesetzt werden. Das deutsche Engagement in Afghanistan be- Nach dem Tagesordnungspunkt 24 sollen die Anträge enden auf den Drucksachen 19/8546 und 19/8562 zum The- ma „Bekämpfung des Antiziganismus“ im Umfang von Drucksachen 19/7937, 19/8582 38 Minuten debattiert werden. ZP 4 Aktuelle Stunde Daran anschließend soll der Antrag auf der Drucksa- auf Verlangen der Fraktion der AfD che 19/8557 mit dem Titel „Bonus-System zur Schaffung von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen“ mit Wirken der Bundesregierung im Fall Billy Six einer Debattenzeit von 38 Minuten aufgerufen werden. ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- Kluckert, , Grigorios Aggelidis, wei- weit erforderlich, abgewichen werden. terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sind Sie mit all diesen Vereinbarungen einverstan- E‑Scooter und Hoverboards jetzt bürger- den? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. freundlich zulassen – Flexible Mobilität schnell und innovativ ermöglichen Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehren- tribüne haben die französischen Vorsitzenden der Drucksache 19/8543 deutsch-französischen Arbeitsgruppe zum Élysée-Ver- Überweisungsvorschlag: trag, Madame Sabine Thillaye und Monsieur Christophe Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Arend, zusammen mit den französischen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Mitgliedern Ausschuss für Wirtschaft und Energie der Arbeitsgruppe Sylvain Waserman, Antoine Herth, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Jean-Jacques Gaultier und Cécile Untermaier Platz ge- Ausschuss für Tourismus nommen. Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- munen (Beifall) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10479

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) Die Arbeitsgruppe hat die Verhandlungen der Regie- Die britische Premierministerin Theresa May hat ges- (C) rungen für den Aachener Vertrag vom 22. Januar 2019 tern in einem Brief an Donald Tusk um zwei Dinge ge- begleitet und das gestern vom Deutschen Bundestag be- beten: schlossene Deutsch-Französische Parlamentsabkommen Erstens. Eine positive Beschlussfassung des Europäi- erarbeitet. Die durch das Abkommen neugegründete schen Rates über das in Straßburg mit der Kommission Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung, vereinbarte Dokument, das sich mit dem sogenannten die aus 50 Abgeordneten des Bundestages und 50 Abge- Backstop und seiner Interpretation beschäftigt. Ich glau- ordneten der Assemblée nationale besteht, wird sich am be, dass ich heute hier sagen kann, dass wir als Europä- nächsten Montag in Paris konstituieren und ihre Arbeit ischer Rat dieser Bitte nachkommen können, jedenfalls aufnehmen. aus deutscher Sicht. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut- Zweitens. Die Bitte um eine Verschiebung des Aus- schen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich. Sie trittsdatums auf den 30. Juni 2019. Über diese Frage haben das durch ihren Beifall schon zum Ausdruck ge- werden wir heute unter uns, den 27 Staats- und Regie- bracht. Für Ihren Aufenthalt hier und für das weitere rungschefs, intensiv diskutieren. Diesem Wunsch können parlamentarische Wirken, insbesondere natürlich im Zu- wir im Grundsatz entsprechen, wenn wir in der nächsten sammenhang mit unserer gemeinsamen Deutsch-Fran- Woche ein positives Votum zu den Austrittsdokumenten zösischen Parlamentarischen Versammlung, alle besten im britischen Parlament bekommen würden. Allerdings Wünsche. müssen wir beim konkreten Datum – 30. Juni 2019 – da- Herzlichen Dank. rauf achten, dass wir Ende Mai die europäischen Wahlen haben. Das heißt, die Zukunft und die Rechtmäßigkeit (Beifall) der Europawahl muss berücksichtigt werden; aber über Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 4 auf: eine kurze Verlängerung kann man dann sicherlich po- sitiv reden. Abgabe einer Regierungserklärung durch die Tiefer gehende Diskussionen über unser Verhalten Bundeskanzlerin werden wir aber für den Fall führen, dass es in der nächs- zum Europäischen Rat am 21. und 22. März ten Woche zu keinem positiven Votum oder keinem Vo- 2019 in Brüssel tum des britischen Parlaments kommt. Dann werden wir uns offenhalten, ob es zu einem weiteren Treffen des Eu- Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Frakti- ropäischen Rates vor dem Austrittsdatum kommen muss. on Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir eine ge- (B) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ordnete Lösung des Austritts Großbritanniens brauchen. (D) die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä- Das ist nicht nur im Interesse Großbritanniens – das wird rung 90 Minuten vorgesehen. – Auch dazu höre ich kei- in Großbritannien selbst diskutiert –, sondern das ist vor nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. allem auch im deutschen Interesse und im Interesse der 27 Mitgliedstaaten. Ich bin überzeugt, dass das zentrale Damit hat das Wort zur Abgabe dieser Regierungser- Problem, das ja im Grunde im Raume steht, letztendlich klärung die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel. mit der Irland-Frage zu tun hat, mit dem Verhältnis der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Republik Irland zu Nordirland als Teil des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland, und dass es immer wieder um diese schwierige Thematik geht: Bundeskanzlerin: Dr. Angela Merkel, Wie kann man im Blick auf die zukünftigen Beziehungen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe zwischen der Europäischen Union und Großbritannien Kolleginnen und Kollegen! Auch ich grüße sehr herzlich einerseits die Integrität des Binnenmarktes sichern, wenn die Abgesandten des französischen Parlaments und sage es keine Zollunion geben soll – das hat ja das britische für die Bundesregierung zu, dass wir mit der neugegrün- Parlament so entschieden –, und gleichzeitig das soge- deten Parlamentarischen Versammlung, die wir gestern nannte Good Friday Agreement erfüllen, bei dem Grenz- auch im Bundestag beschlossen haben, eng, gerne und kontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen. ausgeschlossen sind? (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Dass das keine einfache Aufgabe ist, liegt auf der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Hand. Aber wenn man eine geordnete Lösung will, muss geordneten der AfD und der FDP) man auch in den verbleibenden Tagen alle Kraft darauf lenken, dies möglich zu machen. Ich glaube, durch die Meine Damen und Herren, heute und morgen findet Austrittsdokumente, insbesondere die Ergänzung von der letzte reguläre Europäische Rat vor den Europawah- Straßburg, sind hier wichtige und aus meiner Sicht auch len im Mai statt. Eine Frage – das verfolgen wir alle jeden ausreichende Schritte gemacht worden. Tag – hat uns in den letzten Tagen und Wochen besonders in Atem gehalten: Wie wird der Austritt des Vereinigten Unabhängig vom Ausgang des Austritts streben wir Königreichs aus der Europäischen Union vonstattenge- aber vor allem zukünftig gute und enge Beziehungen hen? Leider muss ich Ihnen heute sagen, dass wir auch zueinander an; ich habe das hier oft gesagt. Das gilt für acht Tage vor dem formalen Ausscheiden Großbritanni- die Außen- und Sicherheitspolitik, in der die Zusam- ens noch keine definitive Antwort auf diese Frage haben. menarbeit mit Großbritannien in der NATO und in den 10480 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Vereinten Nationen unverändert sehr intensiv fortgesetzt alles daransetzen, eine geordnete gemeinsame Lösung (C) werden soll. Und wenn wir als Europäer über die Ver- hinzubekommen. besserung unserer Handlungsfähigkeit in der Außen- und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Sicherheitspolitik im Rahmen von NATO und Vereinten bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Nationen nachdenken, dann muss das Vereinigte König- NISSES 90/DIE GRÜNEN) reich immer Teil unserer Überlegungen sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, so schmerzhaft der Das gilt aber auch für die Zusammenarbeit in der inne- Austritt Großbritanniens auch ist, so haben wir natürlich ren Sicherheit; der Bundesinnenminister hat darauf im- trotzdem sehr viel zu tun und müssen uns darauf konzen- mer wieder hingewiesen. Wir haben eine sehr enge und trieren – das haben wir in den vergangenen Jahren auch vertrauensvolle Zusammenarbeit. getan –, uns mit der Zukunft der Europäischen Union der 27 Mitgliedstaaten in einer Welt zu beschäftigen, die sich Das gilt auch für die Zusammenarbeit in den Berei- zehn Jahre nach dem Vertrag von Lissabon, zehn Jahre chen Wissenschaft und Forschung, in denen in den letz- nach der Finanzkrise und 30 Jahre nach dem Fall des Ei- ten Jahrzehnten enge und fruchtbare Beziehungen ent- sernen Vorhangs erkennbar global neu ordnet. standen sind. Internationale Forschungszentren wie das Genfer Kernforschungszentrum CERN oder die Interna- Neue Wirtschaftsmächte aus Asien, allen voran China, tionale Raumstation ISS zeigen uns Tag für Tag, was wir stellen unsere Art, zu wirtschaften und zu handeln, vor leisten können, wenn wir eng zusammenarbeiten. neue Herausforderungen; ich würde sagen: vor funda- mentale Herausforderungen. Wir erleben, dass der Mul- Es bleibt der Sachverhalt: Nach dem Austritt Groß- tilateralismus zunehmend unter Druck gerät. Das System britanniens werden die Beziehungen zu Großbritannien der multilateralen Zusammenarbeit hat uns in den ver- nicht so eng sein können, wie wenn Großbritannien Teil gangenen Jahrzehnten eine bisher nie dagewesene Epo- der Europäischen Union ist. Aber die Tür für eine enge che des Friedens und des Wohlstands gebracht, und das Zusammenarbeit in Freundschaft und zum gegenseitigen steht für uns nicht zur Disposition. Wir gründen unsere Nutzen steht von unserer Seite weit offen. Arbeit weiter auf die multilaterale Zusammenarbeit zum Gewinn aller. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei Abgeordneten der AfD) Europa hat als gestaltende Friedensmacht heute einen Sosehr wir auf eine geordnete Lösung hinarbeiten, so festen Platz in der internationalen Politik. Die Rolle Eu- (B) sehr bereiten wir uns allerdings seit Wochen und Mona- ropas wird in den nächsten Jahren allerdings zunehmen. (D) ten darauf vor, dass es auch einen ungeregelten Austritt Europa ist ein Hort der Demokratie und Menschenrech- Großbritanniens geben kann. Dazu wurden auf euro- te, trotz aller Anfechtungen, die wir auch innerhalb der päischer Ebene und auf nationaler Ebene, auch hier im Europäischen Union spüren. Europa ist ein Ort, an dem Parlament, eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen. Auf Minderheiten vor Verfolgung geschützt werden. Europa europäischer Ebene wurden Regelungen getroffen, die bedeutet Freiheit, zu sagen, und es bedeutet eben auch, auch nach einem ungeregelten Austritt Großbritanniens sagen zu können, schreiben zu können, glauben zu kön- den Flug- und Güterverkehr zwischen der Europäischen nen, was jeder für richtig hält – natürlich im Rahmen un- Union und Großbritannien zunächst einmal sicherstel- serer rechtlichen Ordnung. len. Erasmus-Studierende sollen ihre Studien ohne Ein- (Zuruf von der AfD) schränkungen fortführen können. Britische Staatsbürger sollen für Kurzaufenthalte in der EU‑27 von der Visums- Auf dieser Wertebasis hat Europa seinen Bürgerinnen pflicht befreit sein. und Bürgern in der Vergangenheit zwei große Verspre- chen gegeben, die es auch in der Zukunft gilt einzuhal- Auch hier in diesem Hohen Hause haben wir viele ten: auf der einen Seite das Wohlstandsversprechen und Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die größten Här- auf der anderen Seite das Sicherheitsversprechen. ten abzufedern. So sollen etwa britische Staatsbürger, die Angesichts der weltweiten Dynamik ist es nicht mehr bei uns eine neue Heimat gefunden haben, auch weiter selbstverständlich, dass wir diese Versprechen auch so hier rechtssicher leben und arbeiten können. Wir haben einfach einhalten können. Deshalb ist es folgerichtig, Fragen zur Krankenversicherung in beiden Ländern ge- dass die Debatte über unser Wohlstandsversprechen ein löst und unsere Personalkapazitäten beim Zoll deutlich wichtiges Thema des heutigen und morgigen Europäi- aufgestockt, um Engpässe bei der Warenabfertigung zu schen Rates ist. vermeiden. Wir können sagen, dass zehn Jahre nach dem Ende Ich darf heute für die Bundesregierung sagen: Auch der internationalen Finanzkrise Europa insgesamt wieder wenn wir die wichtigsten Notfallmaßnahmen bereits ge- mit einer besseren Bilanz dasteht. Die Arbeitslosigkeit troffen haben, werden wir uns, trotz dieser getroffenen befindet sich auf einem Tief, auch wenn immer noch viel Maßnahmen, bis zum letzten Tage – ich sage: bis zur zu viele Menschen, vor allen Dingen junge Menschen, letzten Stunde – dafür einsetzen, dass diese Notfallpla- ohne Arbeit sind. Die Staatsverschuldung ist insgesamt nung nicht zum Tragen kommt, sondern dass wir auch leicht zurückgegangen. Für Deutschland können wir im- in den verbleibenden, zugegebenermaßen wenigen Tagen merhin konstatieren, dass wir die 60‑Prozent-Marke der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10481

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Verschuldung in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt un- der Dinge. Viel zu viele Innovationen kommen aus den (C) terschritten haben. Vereinigten Staaten von Amerika und aus Asien. Da gilt es, in einem fairen Wettbewerb aufzuholen. In den vergangenen Jahren ist die Wirtschaft der Euro- päischen Union als Ganzes gewachsen. Wir verzeichnen Natürlich lebt unsere industrielle Basis vom Mittel- seit zwei Jahren in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Eu- stand. Aber die Wahrheit ist auch, dass mit Blick auf Platt- ropäischen Union Wachstum, auch wenn sich die Aus- formen, Wirtschaft und anderes große Player notwendig sichten zuletzt etwas eingetrübt haben. Wir sehen also, sind, um Marktmacht zu erreichen und dem Mittelstand dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht. Aber eine Entwicklungschance zu geben. Deshalb werden ich sage ganz deutlich: Das reicht nicht aus, um in vielen wir morgen auf dem Europäischen Rat über strategische Bereichen mit der Weltspitze mitzuhalten oder sie sogar Fragen der Industriepolitik sprechen. Deutschland und zu definieren. Frankreich haben hierfür einen Vorschlag gemacht. Vie- Zwei Bereiche ragen hier heraus. Das Erste ist, dass le andere Mitgliedstaaten haben auch ihre Vorstellungen wir alles tun müssen, um unsere gemeinsame Währung eingereicht. zu festigen. Hier ist vieles entstanden; hier ist auch sehr Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte uns, nicht viel gearbeitet worden. Ich möchte dem Bundesfinanz- immer reflexartig darauf zu reagieren, wenn es um In- minister dafür danken. Wir haben Fortschritte bei der dustriepolitik und um strategische Industriepolitik geht. Banken- und Kapitalmarktunion gemacht, aber es geht jetzt darum, sie schnell zu vollenden. Und dabei gilt für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) uns natürlich: Ohne Risikoabbau kann es auch keine Ri- sikoteilung geben. Das heißt mitnichten, dass der Staat an die Stelle der Wirtschaftsunternehmen tritt. Ich mache es an einem Aber das bewusste Einsetzen für einen starken Euro Beispiel deutlich: Wenn wir im Bereich der Automobilin- ist mehr als eine finanzpolitische Sache; denn das wird dustrie eine Vielzahl von ordnungsrechtlichen Regelun- außerhalb Europas als ein Signal verstanden, dass Euro- gen machen, insbesondere im Bereich des Klimaschut- pa bereit ist, zusammenzustehen, dass Europa bereit ist, zes, wenn wir vorgeben, dass bis 2030 die Pkw-Flotten den Binnenmarkt auch wirklich zu leben, dass Europa der einzelnen Hersteller die CO2-Emissionen gegenüber einheitlich auftreten will. 2020 um 37,5 Prozent mindern müssen, wenn wir fest- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) stellen, wie die Lkws sich entwickeln, wenn wir jahres- scheibengerecht im Nicht-ETS-Bereich, also im Nicht- Sie wissen, dass es den Finanzministern gelungen ist, versteigerungsbereich von Zertifikaten, festgelegt haben, beim Euro-Zonenbudget deutlich voranzukommen, um wie hoch die CO2-Emissionen jedes nationalen Staates (B) unsere Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz weiter zu in der Europäischen Union in den nächsten Jahren bis (D) stärken. Ausgangspunkt hierzu waren die deutsch-fran- 2030 sein werden, dann kann man doch nicht blind ein- zösischen Einigungen. fach sagen: Das machen wir alles ordnungsrechtlich als Wir arbeiten mit einer Reihe von Mitgliedstaaten wei- Leitplanken, aber um die Frage, wie sich die Mobilität in ter entschlossen an der Einführung einer gemeinsamen Europa entwickelt, wie dabei Arbeitsplätze erhalten blei- Finanztransaktionsteuer. Allerdings ist die Geschichte ben, machen wir uns keine Gedanken. Ich sage eindeu- der Schaffung dieser Steuer natürlich alles andere als tig: Ich stimme dem Bundeswirtschaftsminister zu, wenn eine einfache Sache. Und es zeigt sich: Wenn wir nicht er sagt: Wir können nicht einfach zusehen, wenn große globale Übereinstimmung über bestimmte Dinge haben, Teile der Wertschöpfungskette in Europa überhaupt nicht dann ist es auch sehr schwer, sie lokal in der Europä- mehr angesiedelt sind. ischen Union umzusetzen. Nichtsdestotrotz haben wir (Jürgen Braun [AfD]: Wer ist denn an der jetzt die Chance, einen ersten Schritt zu machen. Dafür Regierung?) noch einmal Dank an Olaf Scholz! Deshalb ist es doch natürlich wichtig, industrielle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Partner zu finden, wenn es um eine Batteriezellenpro- der CDU/CSU) duktion geht. Meine Damen und Herren, es geht neben der Festi- gung der Währung zweitens darum, im Zeitalter der Di- (Zurufe von der AfD) gitalisierung zukünftig Arbeitsplätze in Europa nicht nur Wir können doch nicht zuschauen, wenn uns Jahr für Jahr zu erhalten, sondern auch neue zu schaffen. Unstrittig ist erklärt wurde, das sei vielleicht nicht so wichtig – glück- dafür die europäische Industrie der Schlüssel. Sie steht licherweise hat sich diese Meinung jetzt verändert –, für 80 Prozent unserer Exporte, und sie steht für 30 Mil- lionen Arbeitsplätze in der Europäischen Union. Aber un- (Jürgen Braun [AfD]: Was haben Sie denn strittig ist auch, dass diese industrielle Basis vor großen gemacht in den 14 Jahren?) Herausforderungen steht. sondern wir müssen proaktiv und ausbrechend aus dem Vieles ist heute definiert über das Management von klassischen Beihilferahmen, der uns das nicht ermög- großen Datenmengen, Big Data, und über die künstliche licht, Projekte – – Intelligenz. Daran wird sich entscheiden, wie die Produk- te von morgen aussehen. Aber nur ein kleiner Teil der (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE europäischen Unternehmen bestimmt dabei den Gang GRÜNEN]: Natürlich ermöglicht er das!) 10482 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) – Nein, Frau Baerbock, der klassische Beihilferahmen haben, dann muss sich das auf die Frage „Wer hat von der (C) ermöglicht es uns nicht. amerikanischen Seite Zugang zu öffentlichen Ausschrei- bungen in Deutschland?“ in gewisser Weise auswirken. (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Die Frage der Reziprozität gilt noch mehr, wenn wir Deshalb hat die Europäische Union auch sinnvollerwei- über China sprechen. Am 9. April wird es einen EU-Chi- se strategische Projekte definiert, die wir schon in der na-Gipfel geben. Den werden wir auf dem Europäischen Chipproduktion anwenden Rat vorbereiten. Das passt auch sehr gut zu der Diskus- sion über die strategischen Industriefragen. Natürlich ( [Erfurt] [SPD]: Genau!) ist auf der einen Seite China strategischer Partner, auf der anderen Seite ist China strategischer Wettbewerber. und die wir jetzt auch in der Batteriezellenproduktion an- Ich bin der Europäischen Kommission sehr dankbar, wenden können. Nationale Fördermittel plus europäische dass sie ein Positionspapier ausgearbeitet und in vielen Fördermittel können so gebündelt werden, dass wir aus Teilen, in denen es um die Beziehungen zu China geht, dem Binnenmarkt auch wirklich Profit ziehen und trans- klar formuliert hat, dass wir in gewisser Weise in einem national, nämlich über unsere nationalen Grenzen hin- Systemwettbewerb stehen. Wir setzen auf die freiheitlich weg, große Innovationen begleiten. Das ist richtig, meine geprägte soziale Marktwirtschaft; China setzt auf eine Damen und Herren. Deshalb ist es wichtig, dass wir über gelenkte Staatswirtschaft. eine solche Industriestrategie sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Jürgen Braun [AfD]: Das hat doch mit Marktwirtschaft nichts mehr zu tun!) Anders werden wir im Übrigen das Potenzial des Bin- nenmarktes nicht heben können, weil ansonsten jeder für Diese Widersprüche zu benennen, heißt ja nicht, nicht sich allein arbeitet. Wir werden genauso eine Vernetzung gut zusammenarbeiten zu wollen. Man darf sich nur in den Fragen der disruptiven Innovationen brauchen. überhaupt keine Illusionen machen, dass wir in zwei un- Wir werden genauso eine Vernetzung brauchen bei den terschiedlichen Systemen arbeiten. Fragen der Chipproduktion – das haben wir schon ange- Deshalb kommt es darauf an – und daran hat es in der stoßen – und auch bei den Vernetzungen der künstlichen Vergangenheit sehr oft gemangelt –, dass wir als Europä- Intelligenz. Deutschland und Frankreich wollen hier vo- ische Union, als die 27 Mitgliedstaaten eine gemeinsame rangehen. Position gegenüber unseren Partnern auf der Welt ver- Meine Damen und Herren, natürlich muss das alles treten. Das gilt gegenüber China, das gilt gegenüber den mit den Herausforderungen zusammengedacht werden. Vereinigten Staaten und gegenüber jedem anderen Land, (B) Dazu gehört auch eine kohlenstofffreie Produktion im meine Damen und Herren. (D) Laufe dieses Jahrhunderts. Der industrielle Sektor wird einen Riesenbeitrag dazu leisten müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ( [AfD]: Was für ein Irr- Das zweite große Versprechen, das wir den Bürgerin- sinn!) nen und Bürgern Europas gemacht haben, ist das Sicher- heitsversprechen. Die Einsicht, dass wir in Europa mehr Aber zu glauben, Ordnungsrecht sozusagen in einzelnen Verantwortung für unsere eigene Sicherheit übernehmen Bereichen anzusetzen und sich ansonsten über die Ge- müssen, teilen wir, glaube ich, alle. samtentwicklung keine Meinung zu bilden, das wäre der falsche Weg. Deshalb halte ich diese Diskussion über In- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Weiß das dustriepolitik für ausgesprochen wichtig. auch der Finanzminister?) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Das zeigen uns auch die Geschehnisse vor unserer Haus- wie bei Abgeordneten der LINKEN – Jürgen tür: ob ich an die Ukraine erinnere, wo die widerrechtli- Braun [AfD]: Ludwig Erhard dreht sich im che Annexion der Krim gerade noch einmal im öffent- Grabe um!) lichen Fokus stand, oder ob ich an Syrien und andere Konfliktherde erinnere. Damit Europa zukünftig Ant- Ein weiterer großer Punkt ist: Wie definieren wir un- worten auf die neuen geopolitischen Herausforderungen sere Handelsbeziehungen? Hier haben wir eine Vielzahl geben kann, müssen wir natürlich nach innen und außen von Fortschritten gemacht. Ich erinnere nur an das Frei- die Voraussetzungen dafür schaffen. handelsabkommen mit Japan. Es stehen jetzt Gespräche mit den Vereinigten Staaten von Amerika auf der Tages- In den letzten Jahren und auch heute noch hat uns ordnung. Ich sage ganz offen: Wir haben in den Gesprä- das Thema Migration in besonderer Weise beschäftigt. chen alles Interesse daran, dass wir nicht neue Zölle ein- Wir sind an einigen Stellen der europäischen Asylpolitik führen, sondern dass wir Zölle abbauen. Dem fühlt sich durchaus vorangekommen. Ich will an eine Selbstver- die Bundesregierung verpflichtet. ständlichkeit – eigentlich – erinnern, die wir jetzt end- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lich in Angriff nehmen – ich bedanke mich beim Bun- desinnenminister, dass das auch vorangetrieben wird –, Allerdings stimme ich der französischen Position zu: nämlich an das EU-weite Ein- und Ausreiseregister, das Wir brauchen ein Maß an Reziprozität. – Wenn wir zum 2020 dann auch wirklich funktionsfähig sein kann. Ei- Beispiel zu amerikanischen Märkten bei öffentlichen gentlich – das sage ich mal im Rückblick – hätte man es Ausschreibungen in vielen Bundesstaaten keinen Zugang mit der Einführung des Schengen-Raums sofort verein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10483

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) baren müssen. Das ist klar, wenn wir uns heute die Dinge Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und (C) anschauen. Kollegen, hier sind wir in einem Gebiet, das uns alle be- schäftigt und in dem es niemandem ganz leicht fällt, die (Beifall bei der CDU/CSU) Aufgaben der Zukunft auch wirklich zu akzeptieren und Es ist eigentlich eine Trivialität, dass man, wenn man ei- vollumfänglich unseren Beitrag zu leisten. nen gemeinsamen Raum hat, auch weiß, wer drin ist und Da geht es auf der einen Seite um die finanzielle Aus- wer ausreist. stattung; darüber ist ja ausführlich diskutiert worden. Ich (Zurufe von der AfD) bitte, dass wir nicht nur das, was wir noch nicht geschafft haben, in den Mittelpunkt stellen, sondern vielleicht Aber lieber spät als nie, sage ich mal. Jetzt geht es darum, auch mal das, was wir seit den Beschlüssen von Wales das schnell zu schaffen. schon auf den Weg gebracht haben. Wir sind gestartet Wir haben einen besseren Schutz der Außengrenzen, bei 1,18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der gestern wir haben auch eine neue Partnerschaft mit Afrika de- vorgestellte Haushaltsentwurf sagt 1,37 Prozent voraus – finiert, an deren Umsetzung wir allerdings noch viel zu das in Zeiten des Wachstums. Das ist ein Schritt. Man arbeiten haben. kann sagen: „Das reicht noch nicht“, aber wir sollten uns nicht selbst demotivieren. Deshalb sage ich: Das sind Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir längst nicht wichtige Schritte, die wir gemacht haben im Hinblick auf alles erreicht haben. Es geht jetzt um die Frage: Kann die Bundeswehr, aber auch im Hinblick auf das Vertrauen man unter den 27 Mitgliedstaaten unterschiedliche For- in unsere Arbeit. men der Solidarität bei dem Thema „Bekämpfung der illegalen Migration“ und bei der Einführung einer regu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lären, legalen Migration haben? Können Mitgliedstaaten ordneten der SPD) unterschiedliche Verantwortungen übernehmen? Ich sage Ich sage aber auch: Wir haben für 2024 mit 1,5 Pro- eindeutig: Ja. Aber ich sage auch deutlich: Es kann nicht zent eine Verpflichtung bei der NATO abgegeben. Das sein, dass einzelne Mitgliedstaaten erklären, dass sie wirkt sich natürlich auch auf die Strukturierte Zusam- sich an einer solidarischen Verteilung von Flüchtlingen menarbeit in der Europäischen Union aus, die noch nicht nicht – gar nicht und überhaupt nicht – beteiligen. die Erwartungen aller im Bündnis erfüllt. Aber dass wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – diese abgegebene Verpflichtung nun wirklich auch ein- Beatrix von Storch [AfD]: Doch! Genau das halten, dafür stehe ich, und dafür steht auch die Bundes- kann sein! – Jürgen Braun [AfD]: Sie haben regierung, meine Damen und Herren. Europa gespalten! Sie spalten Europa, Frau (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Merkel!) (B) ordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten (D) Es geht also um Prinzipien; aber es kann natürlich an- der AfD) sonsten unterschiedliche Gewichte geben. Das wird uns Kraft abverlangen. Dann, meine Damen und Herrn, geht es um unsere Dann haben wir einen zweiten Punkt. Wir alle spre- Handlungsfähigkeit nach außen – ich sage ausdrücklich: in chen sehr schnell von europäischen Streitkräften. Wir Zusammenarbeit mit der NATO und nicht anderweitig –, sprechen davon, dass wir natürlich europäische Waffen- (Zuruf von der AfD: Viel Spaß mit Europa!) systeme entwickeln müssen. Und das wird natürlich nur in Kooperation gehen. Meine Damen und Herren – ich und da ist die Schaffung der Ständigen Strukturierten Zu- will jetzt hier gar keinen sozusagen ins Visier nehmen –: sammenarbeit, PESCO, von großer Bedeutung. Es ist vollkommen unstrittig, dass vernetzte Kooperation (Zuruf von der AfD: Schnickschnack!) bei der Schaffung zukünftiger Waffensysteme – zum Bei- spiel eines zukünftigen Panzers unter deutscher Führung – Von großer Bedeutung! – Sie wird dazu führen, dass oder eines zukünftigen Flugzeugsystems unter französi- wir eine militärische Kohärenz unter den Mitgliedstaaten scher Führung – der Europäischen Union erreichen, gerade auch, was die Fähigkeit im Einsatz anbelangt. (Norbert Kleinwächter [AfD]: Reparieren Sie mal das, was wir haben! Meine Güte!) (Zuruf von der AfD: Nein!) Verlässlichkeit zwischen den Partnern bedeutet und es Sie wird auch dazu führen, dass wir eine Rüstungsindus- nicht etwa durch Nichtlieferung von wenigen Teilen dazu trie haben und Waffensysteme haben, die nicht so vielfäl- kommen darf, dass andere überhaupt nicht mehr aktions- tig sind, wie das heute der Fall ist. fähig sind. (Lachen bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU) Vielmehr werden wir gemeinsame Waffensysteme für Jetzt kommen wir an einen Punkt, den ich heute hier die Zukunft entwickeln. Das ist allemal effizienter und nur ganz abstrakt benennen will – ich könnte konkret besser hinsichtlich des Mitteleinsatzes. das Urheberrecht nehmen, bei dem wir uns in diesen Ta- (Christian Lindner [FDP]: Gemeinsame Waf- gen über den Artikel 13 sehr auseinandersetzen –: Wir fensysteme, die Franzosen exportieren und machen hier zu Hause eine Koalitionsvereinbarung; wir wir nicht, wird es nicht geben! Die wird es schreiben etwas hinein, finden das auch alle richtig und nicht geben!) stehen dazu. Jetzt sind wir Partner innerhalb der Europä- 10484 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) ischen Union, und jetzt kommt ein anderer Partner mit beim Datenschutz, weil die Marktwirtschaft den Men- (C) aus seiner Perspektive genauso guten Gründen und sagt: schen Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Entfaltung Ich sehe das aber anders. – Beim Urheberrecht hat Frank- und gleichzeitig sozialen Schutz bietet. Lohnt es sich, reich gesagt: Ihr könnt nicht alle Start-ups beim Leis- für dieses Europa weiter zu kämpfen? Ich sage: Ja. Es tungsschutz ausnehmen; das geht nicht; das würde dazu gibt aus meiner Sicht keine Möglichkeit, anderweitig un- führen, dass es nur noch Start-ups gibt und überhaupt seren deutschen Wohlstand, unsere Art, zu leben, besser keinen Leistungsschutz für die Kreativen mehr. – Wir zu schützen als in einem gemeinsamen Europa. Das be- haben gesagt: Wir sehen das ein bisschen anders. – Das stimmt das Handeln der Bundesregierung. Europäische Parlament, Europa, hat fast eine Dekade dis- kutiert, um zu einem Leistungsschutzrecht zu kommen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Müssen wir am Ende bereit sein, ein Stück von unseren (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Positionen abzugeben, damit auch andere Kompromisse Beifall bei der SPD) eingehen, oder sagen wir: „Nein, einmal niedergeschrie- ben, Koalitionsvereinbarung 2018, null Veränderung“? Ich glaube, dann können wir keine guten Partner sein. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Das ist natürlich hart, das ist schwierig, und wir werden Jetzt eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem ja nun auch versuchen, ohne die in der Richtlinie gar Redner das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der AfD, nicht genannten Uploadfilter auszukommen. Dr. Alexander Gauland. Ich sage das genauso für unsere Rüstungsexporte: (Beifall bei der AfD) Wenn Großbritannien oder Frankreich eine andere Hal- tung zu der Frage haben, wie man Einfluss auf arabische (AfD): Partner nimmt, um den Jemen-Krieg zu beenden, als wir, Dr. Alexander Gauland die wir eine andere Methode für richtiger halten, kann es Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss da sein, dass wir dann sagen: „Von uns gibt es kein Teil nicht jede Wendung im Brexit-Drama für einen Ausweis mehr für irgendein Produkt, das in Großbritannien oder jahrhundertealter Staatsklugheit in London halten, um Frankreich gefertigt wird“? dennoch hohen Respekt vor dem Ringen einer Nation um eine Grundfrage zu empfinden. England war immer Das sind die Fragen, vor denen wir stehen, und zwar zugleich drinnen und draußen, halb Europa, halb Indien, nicht nur heute. Vor denen werden wir immer und immer zugleich europäische Macht und Weltmacht. Wie hat es wieder stehen. Churchill einmal so unnachahmlich literarisch gegenüber (Martin Schulz [SPD]: Das ist richtig!) de Gaulle ausgedrückt? Wenn ich mich zwischen Ihnen (B) und Amerika, zwischen Ihnen und dem offenen Meer (D) Deshalb wünsche ich mir in diesem Hohen Hause darü- entscheiden muss, entscheide ich immer für das offene ber eine sehr grundsätzliche Debatte. Ansonsten gelten Meer. – Und es wäre wirklich eine ironische Volte, sollte wir nämlich als moralisch überheblich – das kommt mir eine Parlamentsregel, die auf das Jahr 1604 zurückgeht, entgegen –, eine dritte, diesmal vielleicht erfolgreiche Abstimmung (Lachen bei der AfD) über den Deal verhindern. oder wir gelten als zu prinzipientreu, oder wir gelten als Darf ich dieses Haus daran erinnern, dass die Entschei- kompromissunfähig. dung zum Brexit auf demokratischem Wege gefallen ist? (Christian Lindner [FDP]: Aber die Alleingän- (Beifall bei der AfD) ge kommen doch von Ihnen! Bei Energie und Migration!) Die Mehrheit der Briten hat beschlossen, die EU zu ver- lassen. Ja, das war eine knappe Mehrheit; doch diese Wir können noch so viele Lippenbekenntnisse für ein Konstellation ist heute normal und historisch. Bedeu- tolles Europa abgeben und dazu, wie wir alle zusammen- tende Entscheidungen sind oft durch knappe Mehrheiten arbeiten wollen, die Wahrheit ist konkret, meine Damen herbeigeführt worden. Es war eine demokratische Ent- und Herren. Das ist leider in vielen Fragen der Fall. scheidung, also etwas, was in der EU eher selten vor- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kommt. ordneten der SPD) (Beifall bei der AfD) Sind wir also bereit, dieses Europa zu stärken? Ich Was wir derzeit erleben, ist der Versuch, das uner- finde, alles spricht dafür, dass wir das tun sollten, weil wünschte Ergebnis einer demokratischen Entscheidung 60 Jahre Freiheit, 60 Jahre Frieden, 60 Jahre Wohlstand vielleicht doch noch rückgängig zu machen. damit verbunden sind, weil Europa bei allen Problemen, die wir haben, im Verhältnis zu vielen anderen Regionen Meine Damen und Herren, Spott ist kaum angebracht, in der Welt saubere Luft wenn einer unserer ältesten und wertvollsten Verbünde- ten sich in politischen Krämpfen windet. Es sind eben (Beatrix von Storch [AfD]: Ah, saubere Luft nicht die Fehlinformationen der Brexit-Befürworter, die haben wir also!) zu dieser Situation geführt haben; es sind die zwei See- und gute Bildung für unsere Kinder bedeutet, weil Euro- len in der Brust jedes Engländers, die dieses Dilemma pa die beste medizinische Versorgung auf der Welt bie- herbeigeführt haben. Deshalb wäre es auch die Aufga- tet, die höchsten Standards beim Verbraucherschutz und be der Bundesregierung, nicht beiseitezustehen und dem Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10485

Dr. Alexander Gauland (A) shakespearehaften Drama seinen Lauf zu lassen, sondern Willen festhält. Es ist unsouverän und ein Zeichen von (C) beherzt einzugreifen, Frau Bundeskanzlerin, fehlendem Vertrauen in die eigene Attraktivität, wenn man sich bei einer Trennung so aufführt wie die EU mo- (Beifall bei der AfD – Carsten Schneider mentan gegenüber den Briten. [Erfurt] [SPD]: In England?) (Beifall bei der AfD) das Paket wieder aufzuschnüren oder zumindest mit zu- sätzlichen Erklärungen zu versehen. Die Europäische Union, so ihre eifrigen Befürworter, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: sei kein Zwangsverband, sondern eine freiwillige Über- Das war schon mal ein Widerspruch im An- einkunft, die jedes Volk, jeder Staat jederzeit auflösen satz!) können, wenn sie es für nötig halten. Es kann doch nicht so schwer sein, den Briten den ein- (Martin Schulz [SPD]: Ja, dann sollen sie es seitigen Ausstieg aus dem Backstop zu ermöglichen, und doch tun!) es fällt den 27 bei Gott kein Zacken aus der Krone, für Es ist an der Zeit, dass die europäischen Regierungen das eine kurze Übergangszeit die Niederlassungsfreiheit aus- beweisen und Großbritannien eine ebenso faire wie kluge zusetzen. Chance geben, Frau Merkel. Ich appelliere an Sie: Ma- (Beifall bei der AfD) chen Sie damit den Anfang! „Rosinenpickerei“ ist dafür das falsche Wort – ange- (Beifall bei der AfD) sichts eines Dramas, das die Zukunft unseres Kontinents Man wird nämlich den Eindruck nicht los, dass es bestimmt und darüber entscheiden wird, ob Großbritan- der EU um anderes als um den Frieden in Irland geht, nien, das uns jahrelang in Berlin verteidigt hat, uns auch nämlich darum, zu verhindern, dass Großbritannien zu künftig freundschaftlich verbunden bleibt. Denn Verlet- einem deregulierten, von niedrigen Löhnen und niedri- zungen, meine Damen und Herren, an den Seelen der gen Steuern geprägten Wettbewerber der EU wird. Ihr Völker sind schwerer zu heilen als materielle Schäden. Quidproquo: Wenn Großbritannien weiter den vollen Gerade wir Deutschen können davon ein Lied singen. Zugang zum EU-Markt will, muss es sich weiter an die (Beifall bei der AfD) EU-Standards zu Besteuerung, Beschäftigung, zu Wett- bewerb und Umwelt halten – also praktisch ein Mitglied Regelbasierte Multilateralität – das kam bei Ihnen ohne Mitspracherecht. Zartere Gemüter würden das Er- auch wieder vor, Frau Bundeskanzlerin – ist ein wohl- pressung nennen. klingendes Abstraktum, (Lachen des Abg. Martin Schulz [SPD]) (B) (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (D) GRÜNEN]: Das ist die Lehre aus unserer Ge- Wenn wir die Zeitungen aufschlagen, lesen wir immer schichte!) von dem wirtschaftlichen Schaden, der den Briten durch den Brexit entstehen wird. Wir lesen aber nichts über den das niemanden zu seelischen Anstrengungen verführt Schaden für die EU. Denn auch wir verlieren, meine Da- und, von Herrn Barnier repräsentiert, eher abschreckt men und Herren: Deutschland zuvörderst. und spaltet als zusammenführt. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Geben wir den Briten etwas mehr Zeit, aber nicht das Ein Appell der Bundeskanzlerin an die Verhandelnden, Gefühl, aus einem Gefängnis ausbrechen zu müssen. einen kleinen Schritt aufeinander zuzugehen, könnte da Dazu müsste man freilich von all den Affekten, die zu vielleicht Wunder wirken. einer schmutzigen Scheidung führen, zur Vernunft zu- (Beifall bei der AfD) rückkehren. Ich kann nur noch mal wiederholen, Frau Merkel: Machen Sie damit den Anfang! Denn das ist Po- Allerdings müsste man dafür von dem Gedanken Ab- litik im deutschen Interesse. stand nehmen, der in Brüssel immer mitgedacht wird: die Briten dafür zu bestrafen, dass sie einen Weg gehen Ich bedanke mich. wollen, der in manchen Hauptstädten des Kontinents für (Beifall bei der AfD) politisch inkorrekt gehalten wird

(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das stimmt Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: doch nicht! – [SPD]: Dum- Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende der mes Zeug! – Dr. Franziska Brantner [BÜND- SPD, Andrea Nahles. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war überhaupt nie der Fall! – Annalena Baerbock [BÜND- (Beifall bei der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!) und der niemals auf eine Weise ins Freie führen darf, die Andrea Nahles (SPD): Nachahmer anspornen könnte. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Premierministerin May hat gestern um einen (Beifall bei der AfD) Aufschub für die Brexit-Frist gebeten. Wir schließen eine Doch gerade darin müsste sich die Stärke der Europäi- solche Verschiebung nicht aus. Klar ist aber auch: Eine schen Union erweisen: dass sie niemanden gegen seinen Verschiebung beantwortet die Frage nach einem geord- 10486 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Andrea Nahles (A) neten Brexit natürlich nicht. Diese Antwort muss endlich Es muss von dieser Europawahl ein Signal ausgehen für (C) von den Briten kommen. Und was wir hier in den letzten den Zusammenhalt in Europa, für Demokratie. Das ist Monaten erleben mussten, kann man nicht anders als ein das Entscheidende. akutes Versagen der britischen Politik bezeichnen. Einer der Gründerväter der Europäischen Union, Jean (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ursula Monnet, hat einmal gesagt: Jenseits aller Differenzen Groden-Kranich [CDU/CSU]) und geografischen Grenzen gibt es ein gemeinsames In- teresse. – Auf dieses gemeinsame europäische Interesse Die britische Regierung ist zum wiederholten Mal nicht hat auch Präsident Macron erneut hingewiesen, und er in der Lage gewesen, den ausgehandelten Deal durch das hat etwas Neues gemacht, mit dem er auf Deutschland Parlament zu bringen, und jetzt will Frau May zum drit- zugekommen ist: Er hat das Thema „soziales Europa“ ten Mal genau denselben Antrag vorlegen. Das ist eine endlich auch mal ausbuchstabiert, und deckungsgleich Hochrisikostrategie. mit dem deutschen Koalitionsvertrag zwischen CDU, Ich sage angesichts der Bedeutung, die das für Briten CSU und SPD fordert Macron jetzt europäische Mindest- und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Groß- löhne, eine europäische Grundsicherung in jedem euro- britannien, aber auch für ganz Europa hat: Frau May, päischen Land und den Kampf gegen Lohndumping. Ja, gehen Sie endlich auf die Opposition zu! Suchen Sie meine Damen und Herren, da sollten wir doch einschla- eine überparteiliche Lösung! Sie haben es in der Hand, gen, wenn Präsident Macron so etwas vorschlägt. Das ist auf dieser Schussfahrt nach unten noch zu wenden. Frau doch genau auf der Linie unserer deutschen Politik. May, Sie haben es in der Hand. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Denn ein soziales Europa ist im ureigensten deutschen DIE GRÜNEN) Interesse. Es ist im Interesse der deutschen Arbeitneh- Enttäuscht bin ich als langjährige deutsche Parlamen- merinnen und Arbeitnehmer, wenn wir sie mit der Ent- tarierin allerdings auch von meinen britischen Kollegin- senderichtlinie vor Lohndumping schützen. Es ist aber nen und Kollegen. Wenn man sieht, dass es eine Regie- auch im Interesse der deutschen Unternehmen, wenn wir rung über Monate in einer so entscheidenden Frage für für faire Wettbewerbsbedingungen sorgen. Es ist schlicht ein Land nicht hinkriegt, dann muss man doch als Par- und ergreifend ein gemeinsames deutsches und europäi- lament irgendwann selbst das Heft des Handelns in die sches Interesse. Deswegen ist es auch wichtig. Denn wir Hand nehmen, dann muss man doch selber nach überpar- haben ein Riesenwohlstandsgefälle in Europa. Wenn Eu- teilichen Lösungen suchen. Ich appelliere deshalb auch ropa nur noch als Wirtschaftsraum wahrgenommen wird, (B) an die Kolleginnen und Kollegen, die Abgeordneten in wenn es eben nicht als ein Ort für alle Menschen, in dem (D) Westminster, von Parlament zu Parlament: Suchen Sie es auch Wohlstand für alle gibt, wahrgenommen wird, jetzt endlich eine überparteiliche Lösung! Haben Sie werden wir den Populismus in Europa nicht besiegen. den Mut zu einer verantwortlichen Entscheidung für Ihr Deswegen ist ein soziales Europa im deutschen Interesse; Land! deswegen müssen wir ein soziales Europa voranbringen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir dürfen aus dieser Brexit-Geschichte eines ler- nen – es ist doch ganz klar –: Wenn auf der europäischen Anders wird es doch am Ende gar nicht gehen. Ebene immer nur gefragt wird: „Wo ist denn der nächste Jetzt, so kurz vor dem Ende der Frist, muss man doch Rabatt? Wer kann am meisten aus der EU rausholen?“, auch mal sagen: Wenn es die Regierung nicht schafft, dann wird das nicht funktionieren. Was für die Demokra- wenn es das Parlament nicht schafft, dann muss man das tie gilt – dass wir Demokraten brauchen, die sie aktiv tra- Volk fragen, und dann brauchen wir ein zweites Referen- gen –, das gilt genauso für Europa. Wir brauchen in Euro- dum. Das ist die logische Konsequenz, die sich daraus pa Europäerinnen und Europäer mit nationalen Wurzeln, ergibt. aber auch einem kräftig schlagenden europäischen Herz. Auch darum muss es bei dieser Europawahl gehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der SPD) Ich kann wirklich nur hoffen – und ich glaube, das tun Es geht nicht darum – um es sehr deutlich zu sagen, alle in Europa –, dass wir an dieser Stelle Bewegung se- weil das ja immer wieder unterstellt wird –, nationale hen. Die Zeit ist knapp. Differenzen und Interessengegensätze zu negieren. Die gibt es nämlich. Aber die Antwort auf die Frage, wie wir Der Brexit, egal wie er jetzt kommt, ist eine Zäsur. Da- die Auseinandersetzungen darüber austragen, ist doch ran gibt es keinen Zweifel. Aber es ist auch festzuhalten: der große Fortschritt in Europa: nicht mehr in den Schüt- Der Brexit entscheidet nicht über das Schicksal Europas. zengräben, sondern in Redeschlachten. So hat es einmal Wir entscheiden über das Schicksal Europas, und zwar Heidemarie Wieczorek-Zeul gesagt. Das ist genau der bei der Europawahl am 26. Mai. Ich halte das für die Punkt. wichtigste Europawahl seit Jahrzehnten. Ich sage an dieser Stelle: Es geht darum, unsere Kon- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten flikte zum Wohle aller aufzulösen. Deshalb braucht der CDU/CSU) Deutschland Frankreich. Deshalb braucht Frankreich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10487

Andrea Nahles (A) Deutschland. Und deshalb braucht Europa Frankreich Aber es ist nun einmal so: Wir brauchen die Koopera- (C) und Deutschland. Und deswegen ist es so toll, dass wir tionsbereitschaft anderer Europäer, um hier zum Erfolg wichtige Fragen immer im Duett beantworten, wie in Aa- zu gelangen. chen und mit der Deutsch-Französischen Parlamentari- schen Versammlung, und so ist es auch in vielen Punkten. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Danke auch an die französischen Kolleginnen und Kolle- Es ist ein Paradebeispiel dafür, dass nationale Lösungen gen an dieser Stelle! überhaupt nicht mehr ausreichen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN]: Wir müssen es europäisch ma- chen!) Vor diesem Hintergrund muss ich mich wundern, dass auch hier in Deutschland die innenpolitische Brille bei Wir müssen es gemeinsam schaffen, müssen es europä- einigen den Blick aufs Wesentliche verstellt. Wir haben isch schaffen. Und wenn es am Ende nicht alle sind, dann in Europa weiß Gott Wichtigeres zu tun, als unsere fran- machen wir es trotzdem europäisch – mit denen, die es zösischen Freunde mit europapolitischen Symboldebat- wollen, genau wie bei der Finanztransaktionsteuer. Das ten zu provozieren und den EU-Sitz in Straßburg infrage ist der Weg, und deswegen brauchen wir Europa: um ge- zu stellen. Ich glaube tatsächlich, dass wir weitaus Wich- meinsam handlungsfähig zu sein. tigeres in Europa zu bereden haben. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich sage an dieser Stelle auch sehr klar, dass ich der Meinung bin, dass an dieser deutschen Bundesregierung Und ich sage an dieser Stelle auch Folgendes sehr eine gemeinsame erfolgreiche Industriestrategie – das ist klar: An der deutschen Regierung – an dieser Bundesre- ja auch Thema des Europäischen Rates – in keinster Wei- gierung – scheitert in Europa derzeit nichts, se scheitern darf und auch nicht scheitern wird. Denn ich glaube, dass auch die deutschen Unternehmen sehr wohl (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ein Interesse haben – um es sehr klar zu sagen: ein ge- Was?!) meinsames Interesse daran haben –, dass beispielsweise weder die Urheberrechtsrichtlinie deutsche Unternehmen und Bürger sichere europäische Server haben, wo sie ihre sensiblen Daten ablegen kön- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE nen, und nicht auf andere angewiesen sind. GRÜNEN]: Das stimmt!) Auch gemeinsame Strategien in der KI- und For- (B) noch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. schungspolitik, die wesentlich ambitionierter sein müs- (D) sen, als sie es derzeit sind, liegen im Interesse der deut- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE schen Unternehmen und Bürger. Ich kann an dieser Stelle GRÜNEN]: Das stimmt!) nur sagen: Auch da – ja – schlagen wir ein. Dafür brau- chen wir Europa. Wir wollen gemeinsam Politik machen. An dieser deutschen Regierung scheitert auch nicht das Wir wollen gemeinsam zu Stärke gelangen. Wir wollen Euro-Zonenbudget – da bin ich Frau Merkel für ihre kla- nicht nationale Interessen in den Vordergrund rücken, ren Worte dankbar – noch eine, wie ich finde, wichtige sondern gemeinsame europäische Strategien weiterent- Frage, nämlich, dass wir endlich zu einer gerechten, ge- wickeln. Das ist unsere Politik. meinsamen Besteuerung auch von Amazon, Google und Facebook kommen. Auch da sind wir Vorreiter, auch das (Beifall bei der SPD) treibt diese deutsche Bundesregierung voran. Der Europäische Rat wird sich auch mit der Klimapo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten litik befassen. Und ich sage auch an dieser Stelle sehr klar der CDU/CSU) denjenigen, die in diesem Parlament auch zur Fraktion der Klimawandelleugner gehören: Es wird keine Diskus- Ich sage an dieser Stelle sehr klar: Ich bin Bruno Le sion darum geben, ob wir unsere Klimaziele einhalten, Maire und Olaf Scholz sehr dankbar, dass sie diesen Vor- sondern nur darum, wie wir diese Klimaziele erreichen. schlag gemacht haben. Vier europäische Länder waren (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) dagegen. Das entmutigt uns nicht. Es ist nicht untypisch, dass man im ersten Anlauf auf europäischer Ebene nicht Allerdings müssen wir da auch ganz genau gucken, dass immer alle sofort einsammelt. Das haben wir bei der Fi- wir die richtigen Schritte gehen. Ich bin der Bundere- nanztransaktionsteuer leidvoll erfahren. Aber diesmal gierung deswegen dankbar, dass sie gestern beschlossen wollen wir, dass der Vorschlag schneller zum Erfolg hat, ein Klimakabinett zu bilden, wo die Vertreter unter- führt. Gemeinsam haben sich jetzt alle darauf verstän- schiedlicher Interessen an einem Tisch zusammenkom- digt, eine gemeinsame Mindestbesteuerung in der OECD men herbeizuführen. Das ist doch hervorragend. Wenn das (Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜND- gelänge, wäre das sogar die beste Lösung. Wenn es nicht NIS 90/DIE GRÜNEN]) gelingt, dann werden wir das zum Schwerpunktthema der deutschen Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr ma- und alle wesentlichen Fragen – sowohl die Interessen des chen. Wir werden es ganz klar zum zentralen Punkt der Klimaschutzes, die Interessen der deutschen Industrie im Auseinandersetzung machen. Zuge der Transformationsnotwendigkeiten als auch die 10488 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Andrea Nahles (A) Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – langer Zeit für ein zweites Referendum. Sollte es diese (C) gleichrangig verhandeln und zu einem erfolgreichen Chance geben, müsste die Europäische Union sie durch Ende führen werden. Verhandlungen darüber beantworten, unter welchen Be- dingungen die Briten in der Europäischen Union bleiben (Beifall bei der SPD) wollen, statt nur zu gestalten, wie der Austritt erfolgen Es ist eine gute Idee, eine hervorragende Lösung, dieses soll. Klimakabinett ins Leben zu rufen. (Beifall bei der FDP) Ich freue mich, dass viele junge Menschen für diese Frage jeden Freitag auf die Straße gehen. Und ich muss Der Brexit – so oder so – bietet allerdings auch eine an dieser Stelle auch sagen: Wir sollten sie ernst nehmen. Chance für uns Europäerinnen und Europäer, nämlich Wir sollten nicht versuchen, mit Fehlstundendebatten ab- eine Chance auf Erneuerung europäischer Politik und zulenken, denn es geht hier nicht um Fehlstunden. ihrer Institutionen. Es ist ein Appell an uns, uns auch neu unserer gemeinsamen europäischen Werte zu verge- (Zurufe von der AfD) wissern. Nehmen wir unsere europäischen Werte ernst – Es geht darum, dass sich eine ganze Generation von jun- auch in unseren eigenen Parteienfamilien! Und wenn wir gen Menschen politisiert, und das ist doch verdammt europäische Werte ernst nehmen, dann kann eine Partei noch mal eine gute Nachricht für unser Land und für wie die von Viktor Orban nicht Partner einer Partei sein, ganz Europa! die sich in der Nachfolge von Konrad Adenauer und Helmut Kohl sieht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten GRÜNEN – Zurufe von der AfD) der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Die Europawahlen im Mai sind deswegen wichtiger denn je. Ich möchte deswegen alle Bürgerinnen und Bür- Volkswagen baut Arbeitsplätze ab. Bayer baut Ar- ger bitten: Machen Sie von Ihrem Wahlrecht Gebrauch! beitsplätze ab. Wir erleben möglicherweise eine Banken- Stimmen Sie für sozialen Zusammenhalt in Europa und fusion in Deutschland, die massiv zulasten von Arbeits- für Demokratie! plätzen geht. Die Konjunktur in Deutschland trübt sich ein. Und da stellt sich eine Bundeskanzlerin bei der Re- (Beatrix von Storch [AfD]: Wählen Sie AfD!) gierungserklärung hierhin und sagt, wirtschaftspolitisch Vielen Dank. seien wir eigentlich auf dem richtigen Weg? Da stim- men wir nicht zu, Frau Bundeskanzler. Wir sehen uns (Beifall bei der SPD) (B) nicht auf dem richtigen Weg, weder in Europa noch in (D) Deutschland. Ganz im Gegenteil: Wir müssten jetzt das Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ölzeug anziehen und uns wetterfest machen, weil stürmi- Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der FDP, sche Zeiten auf uns zukommen. Christian Lindner. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Was gibt es da an Angeboten, mit denen wir in Europa werben könnten? In Deutschland wird nach Ihrem Haus- Christian Lindner (FDP): haltsentwurf ausgerechnet im Ministerium für Bildung Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! und Forschung gekürzt, statt zusätzlich investiert. Das ist Was wir seit Jahren, Monaten, Wochen, Tagen in London doch kein Signal nach Europa vor einem europäischen erleben, hat shakespearehafte Züge. Es ist die Selbstschä- Gipfel, bei dem es um Wettbewerbsfähigkeit und die Si- digung der europäischen Gesellschaft, und es legt auch cherung von Arbeitsplätzen geht. die Axt an Vertrauen und Glaubwürdigkeit einer ganzen politischen Klasse. Es kann einen nicht kaltlassen, wenn (Beifall bei der FDP) sich ein Partnerland selbst in eine so schwierige Lage Wo sind die Initiativen für Freihandel, für einen digi- manövriert. talen Binnenmarkt, für Technologien, ja, auch für Entlas- Herr Gauland, Sie haben hier das Referendum der tungen und für Investitionen? Was wir von Frau Nahles Briten über den Brexit sozusagen als eine Sternstunde und von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, gehört haben, ist der Demokratie dargestellt. Wir haben auch Respekt vor ausgerechnet das Hohelied auf eine Steuererhöhung. Sie dem souveränen Willen anderer Völker, aber der Brexit nennen es Finanztransaktionsteuer. In Wahrheit werden wird nicht als Sternstunde der Demokratie in Erinnerung aber nach dem Plan von Herrn Scholz und anderen gar bleiben, sondern als Scherbenhaufen, den Populisten mit nicht Finanztransaktionen ins Zentrum gestellt, sondern falschen Argumenten hinterlassen haben! die Aktienkäufe von privaten Kleinaktionären. Das ist kein Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit, sondern ein Bei- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie trag zur Verschärfung von Verteilungskonflikten. bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun (Beifall bei der FDP) [AfD]: Das sagt der Populist Lindner!) Also, wir wünschen uns in Deutschland und in Europa Die Hoffnung stirbt zuletzt. Unsere liberal-demokra- eine Politik, die tatsächlich Wettbewerbsfähigkeit, wirt- tischen Partner in Großbritannien plädieren bereits seit schaftliche Stärke und Arbeitsplätze sichert. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10489

Christian Lindner (A) Das steht auch im Zusammenhang mit einer gestalte- ders leidenschaftlich. Das war ausgerechnet die Stelle, an (C) rischen Klimapolitik. Ja, das Weltklima macht Menschen der Sie begründen, warum wir versuchen sollten, ohne Angst. Aber der Klimawandel und die darauf antworten- Uploadfilter auszukommen, also die europäische Frage, de Politik verursachen auch Verteilungskonflikte. Das die gegenwärtig die meisten Menschen gegen die Euro- ist die Spannbreite, in der wir uns bewegen: zwischen päische Union auf die Palme bringt. Greta und Schülerprotesten einerseits und den Protesten der Gelbwesten in Frankreich andererseits, hinter denen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten harte Verteilungskonflikte stehen. Das beantwortet man der AfD) dadurch, dass wir Klimaschutz mit einer Politik verbin- Ausgerechnet da zeigen Sie einmal Leidenschaft. Ich den, die Freiheit und Wohlstand sichert. halte Ihre Leidenschaft an diesem Punkt für nicht glaub- (Beifall bei der FDP) würdig, Frau Merkel. Es war doch Deutschland, das in den vergangenen Jahren in der Energie- und Klimapolitik Sie, Frau Merkel – ich kann das gar nicht höflicher und insbesondere in der Migrationspolitik fortwährend sagen –, haben hier mit der kurzen Szene, in der Sie be- Alleingänge gegen unsere europäischen Partner gemacht schrieben haben, wie in Jahresscheiben sektorübergrei- hat. Selbst Frau Kramp-Karrenbauer hat das inzwischen fend Klimaziele in Europa dargestellt werden, geradezu eingeräumt. Da ist das Hohelied auf Multilateralismus eine Karikatur der Planwirtschaft vorgetragen. nicht angezeigt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) der AfD) Sie haben dann im Anschluss begründet, warum man Man fragt sich – Herr Präsident, mein letzter Gedan- jetzt Industriepolitik machen müsste, zum Beispiel durch ke –, wenn wir schon in Europa angesichts der Ereignisse staatlich arrangierte Batteriekonglomerate. Frau Merkel, in der Welt und auf unserem Kontinent auf Sicht fahren: Sie bieten schlechte Lösungen für Probleme an, die Sie Wer sitzt am Steuer? Auf die Vorschläge von Emmanuel selbst geschaffen haben. Macron antwortet nicht die Bundeskanzlerin, sondern die neue CDU-Vorsitzende. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD) (Michael Theurer [FDP]: Sehr richtig!) Was wir bräuchten, wäre Technologieoffenheit. Ja, Das mag ja in Ordnung sein. Aber ob jetzt das europäi- selbstverständlich, Batteriefertigung in Europa muss ge- sche Leitprojekt wirklich ein Flugzeugträger sein muss, sichert werden, ebenso die Forschung. Aber ich würde während unser Segelschulschiff kein Wasser unter dem (B) erwarten, dass die deutsche Bundesregierung mit Blick Kiel hat, halte ich für eine Frage, mit der man das eu- (D) auf unsere Schlüsselindustrie Automobilbranche in Brüs- ropäische Einigungsprojekt schnell der Lächerlichkeit sel vorstellig würde und erklären würde: Wir wollen die preisgibt. Klimaziele auch im Verkehrsbereich erreichen. Wir wol- (Beifall bei der FDP) len auch die ambitionierten Flottenziele beim CO2-Aus- stoß erreichen. Aber wir setzen uns für Technologieof- fenheit ein. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Ralph Brinkhaus. Deshalb werden zukünftig auch synthetische Kraftstoffe und negative Emissionen auf die Flottenziele angerech- (Beifall bei der CDU/CSU) net. Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Red- Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]) ner haben mit dem Brexit begonnen. Ich glaube, das ist Das wäre Marktwirtschaft, Technologieoffenheit, und es angesichts der Dinge, die wir momentan erleben, auch wäre im deutschen Standortinteresse. Nichts dergleichen notwendig. hören wir. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf zwei Übrigens: Wer den Menschen Flugreisen rationieren Dinge hinweisen. Erstens. Egal was momentan in Groß- will, der wird nicht auf dauerhafte Zustimmung treffen. britannien passiert, egal wie und ob wir uns ärgern: Die Dagegen werden sich die Menschen wehren. Die Ant- Briten bleiben unsere Freunde. Die Tür für Großbritanni- wort ist nicht, den Menschen die Fernreisen zu verbieten, en, meine Damen und Herren, bleibt offen. sondern die Antwort wäre, dass Europa der weltweit füh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rende Spitzenstandort für Flugmobilität auf Wasserstoff- ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- basis wird; denn diese ist CO -neutral und erlaubt es den 2 NISSES 90/DIE GRÜNEN) Menschen, die Welt zu sehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die zweite Bemerkung ist: Eigentlich wollen wir uns der AfD) ja jetzt dem Europawahlkampf widmen. Wir wollen da- rum ringen: Was sind die besten Konzepte für die nächs- Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ten fünf, für die nächsten zehn Jahre in Europa? Ein Frau Merkel, an einer Stelle Ihrer Rede waren Sie beson- bisschen tragisch aber ist: Wir sprechen über den Bre- 10490 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Ralph Brinkhaus (A) xit. Deswegen sollten wir vielleicht trotz aller Mühen, keine Kriege mehr gegeneinander führen, meine Damen (C) die wir momentan in Brüssel haben, den Akzent unserer und Herren. Diskussionen in den nächsten Wochen verschieben. Wir sollten darum ringen, welche Definition wir von diesem Dieses Europa hat die Bankenkrise überstanden und Europa haben. ist daraus stärker hervorgegangen. Dieses Europa – die Bundeskanzlerin hat die Wirtschaftszahlen gerade ge- Wer darum gerungen hat, ist unser Spitzenkandi- nannt – ist aus der Staatsschuldenkrise stärker hervorge- dat Manfred Weber. Er hat nämlich ein Bewerbungsvi- gangen. Wir haben die Arbeitslosenzahlen gesenkt. Wir deo gemacht. Wer Bewerbungsvideos dieser Art kennt, haben auch die Staatsverschuldung gesenkt. Man mag der könnte sich vorstellen, dass er in seinem Video als sich nur anschauen, wie hoch die Verschuldung in Euro- Spitzenpolitiker zu sehen ist, der in Brüssel mit anderen pa ist und wie hoch sie in den Vereinigten Staaten ist. Wir wichtigen Menschen spricht. sind aus solchen Krisen immer stärker hervorgegangen. (Christian Lindner [FDP]: Wo man protzt!) Wir haben das Leben der Menschen, meine Damen und Herren, besser gemacht. Wir leben hier seit 74 Jah- Manfred Weber hat es genau anders gemacht. In dem Vi- ren in Frieden. Das hat ganz viel mit der Europäischen deo, mit dem er sich um das das europäische Spitzenamt Union zu tun. Es leben Völker in Freiheit, die vor 30 Jah- bewirbt, zeigt er sein niederbayerisches Heimatdorf. Er ren nicht darüber nachgedacht haben, je in Freiheit leben zeigt, wie er dort in den Laden geht. Er zeigt, wie er mit zu können. Es haben Menschen in Teilen von Europa Freunden im Gasthaus sitzt. Er zeigt, wie er dort in die Wohlstand erlangt, die noch vor 20 Jahren bitterarm wa- Kirche geht. ren. Meine Damen und Herren, es ist in diesem Europa so (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der AfD viel richtig gemacht worden. Darüber sollten wir einfach und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mal reden, auch in diesem Europawahlkampf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich glaube, das ist die Botschaft von diesem Europa: ordneten der SPD) Wir haben ein Europa der verschiedenen Heimaten. Eu- ropa ist halt nicht nur Brüssel, sondern Europa ist Nie- Natürlich ist niemand so naiv und sagt: Es ist alles derbayern, Europa ist Piemont, Europa ist Normandie, gut. – Um Gottes willen, nein, das ist es nicht. Wir kön- Europa ist Siebenbürgen, Europa ist Kreta. Europa sind nen die Geschichten erzählen – diese sind Legion –, von die Regionen, mit denen wir stark werden. Wenn wir mit der Gurke bis hin zu missglückten Verhandlungen zu diesem Europa in den nächsten Wochen argumentieren, Rettungspaketen. Das ist doch wahr, das ist doch richtig. dann haben wir auch gute Chancen, erfolgreich zu sein, meine Damen und Herren. Daraus können wir aber zwei Schlüsse ziehen. Der (B) eine Schluss ist: Wir reißen dieses Europa mit all den (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Sachen, die ich gerade beschrieben habe, wieder ein, weil wir denken, dass es national besser geht. Der zweite Ich glaube, wir werden den Menschen klarmachen Schluss – das ist unsere Antwort – ist: Nein, wir wollen können, dass Europa diesen Heimaten nichts wegnimmt, dieses Europa besser machen. Wir wollen es weiterent- sondern dass Europa etwas dazugibt, wenn wir es richtig wickeln. machen. Ich möchte Ihnen einige Beispiele dafür geben, wie (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) wir dieses Europa weiterentwickeln können. Es ist in der vergangenen Zeit in diesem Europa sehr viel Nehmen wir den wirtschaftlichen Bereich. Der ist richtig gemacht worden. Wir gefallen uns gerne darin, wichtig, weil durch Wirtschaft Einkommen, Arbeit und immer anzuführen, was falsch gelaufen ist. Es ist aber Wohlstand generiert werden. Wir müssen die Wirtschafts- viel richtig gemacht worden. plattform Europa weiterentwickeln. Die entsprechenden Begriffe sind alle gefallen; sie sind zutreffend. Wir brau- Wir haben mit der Europäischen Union eine Plattform chen eine Kapitalmarktunion, damit das Geld überall in entwickelt, mit der wir gemeinsam Probleme lösen. Wir Europa dahin kommen kann, wo es gebraucht wird. Wir haben gemeinsame Märkte geschaffen. Wir haben auch brauchen eine Digitalmarktunion. Es ist ganz einfach so: gemeinsame Umweltstandards gesetzt. Wir haben Me- Wir haben tausend Jahre lang unterschiedliche Entwick- chanismen entwickelt, die dann zum Einsatz kommen, lungen im Güter- und Dienstleistungsmarkt gehabt. Wir wenn es in dem einen oder anderen Land nicht so gut versuchen mühsam, das im Rahmen der Europäischen läuft. Wir haben viele andere Dinge in diesem Europa Union zusammenzuführen. Jetzt haben wir eine neue zusammen auf den Weg gebracht. Welt, die digitale Welt; wir können sie von Anfang an Ich möchte noch an eine andere Sache erinnern. Die- gemeinsam aufbauen. Das ist doch eine großartige Ge- ses Europa hat viele Krisen überstanden und ist daraus staltungschance für uns alle. stets stärker hervorgegangen. Diese Europäische Union Wir haben gerade über Energie geredet. Ja, wir brau- hat den Kalten Krieg nicht nur überstanden, sondern ist chen eine Energiemarktunion. Stromerzeugung überwie- daraus stärker hervorgegangen. Diese Europäische Uni- gend aus erneuerbarer Energie ist unser Ziel. Aber dafür on hat die Balkanauseinandersetzungen nicht nur über- brauchen wir unsere Partner. Das geht europäisch viel standen, sondern ist daraus stärker hervorgegangen. Die besser als national. Balkanländer sind heute zum Teil Mitglied unserer Eu- ropäischen Union bzw. Kandidatenländer und werden (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10491

Ralph Brinkhaus (A) Wir brauchen einen gemeinsamen Ausbildungsmarkt. das ist doch eine gute Gelegenheit, um die Bande zu (C) Der gemeinsame Arbeitsmarkt funktioniert gut. Aber es Großbritannien weiter zu stärken. ist doch nicht akzeptabel, dass junge Menschen in Spa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nien und Griechenland arbeitslos sind, während hier in Deutschland die Lehrstellen nicht besetzt werden kön- Natürlich müssen wir unsere Armeen europäisieren nen. und gemeinsame Rüstungsprojekte in Angriff nehmen, Frau Bundeskanzlerin. (Beifall der Abg. Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nehmen wir den europäi- Meine Damen und Herren, wir brauchen auch ge- schen Standard!) meinsame, harmonisierte Steuersysteme. Lieber Olaf Wenn wir gemeinsame Rüstungsprojekte in Angriff neh- Scholz, ich würde mir wünschen, dass wir bei unseren men, was wir alle wollen – nicht nur, weil es billiger ist, Anstrengungen für eine gemeinsame Unternehmensteu- sondern weil es uns auch zusammenbindet –, brauchen erbemessungsgrundlage mit Frankreich etwas schneller wir gemeinsame Rüstungsexportregeln, meine Damen vorankommen, als das in der Vergangenheit der Fall war. und Herren. Es wurde schon angesprochen – Herr Lindner, Sie ha- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska ben recht; ich glaube, Sie haben es gesagt –: Freihandel, Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die von dem unser Standort lebt, funktioniert nur europäisch. gibt es doch schon!) Wir haben ein Freihandelsabkommen abgeschlossen mit Japan, eines mit Singapur. Ich will jetzt nicht darüber reden – ich glaube, das ist uns allen klar –, dass wir auch im Bereich Migration zu- (Christian Lindner [FDP]: CETA!) sammenkommen müssen und dass wir das nur gemein- sam hinkriegen. Wir als Deutsche können uns nicht vom Hätten wir doch bloß auch eines mit den Vereinigten Acker machen, wenn es darum geht, Außengrenzen zu Staaten, das TTIP-Abkommen, abgeschlossen. schützen, und können das nicht andere für uns machen lassen. Wir brauchen einen gemeinsamen Asylraum. Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- brauchen gemeinsame Institutionen, die das Ganze vo- ordneten der FDP) ranbringen. Aber Europa ist doch nicht nur eine Wirtschaftsplatt- Und es gibt noch viele andere Sachen, die wir nur ge- form. Europa ist auch eine Innovationsplattform. Die meinsam europäisch regeln können. Dazu gehört natür- (B) Strategie in Bezug auf künstliche Intelligenz beruht da- lich auch der große Bereich des Klimaschutzes. (D) rauf, dass wir sehr viel Geld in die Hand nehmen. Das Aber Europa ist nicht nur eine Wirtschaftsplattform. werden wir nicht alleine schaffen. Das werden wir doch Europa ist nicht nur eine Innovationsplattform. Europa nur im europäischen Kontext schaffen. ist nicht nur eine Problemlösungsplattform. Der große Wir brauchen gemeinsame europäische Universitäten, Gedanke von Europa ist vielmehr, dass es Menschen zu- damit die Forschung gemeinsam organisiert wird und die sammenbringt und Menschen nicht trennt. Menschen entsprechend zusammenkommen. Wir brau- Hier sitzen viele im Saal, die am Erasmus-Programm chen gemeinsame europäische Gesundheitsinitiativen. teilgenommen haben. Wir müssten in dem Bereich noch Der Kampf gegen Krebs, gegen Infektionskrankheiten, viel mehr machen. Wir müssten Erasmus auf die Berufs- gegen Demenz wird doch nur europäisch funktionieren, ausbildung ausweiten. Wir müssten vielleicht sogar dafür meine Damen und Herren. sorgen, dass es für gewisse Studiengänge verpflichtend ist. Ich denke, das ist großartig. Wir müssen dafür sorgen, Europa ist darüber hinaus eine Problemlösungsplatt- dass wir unsere Sprachen lernen. Eigentlich sollte es so form für Probleme, die wir nicht alleine lösen können. sein, dass jeder europäische Schüler mindestens eine, am Sie sind alle angesprochen worden. Es glaubt doch kei- besten zwei europäische Fremdsprachen beherrscht. ner – ich komme aus Nordrhein-Westfalen –, dass die Kriminalität an der belgischen und niederländischen Und wir müssen, meine Damen und Herren, dafür sor- Grenze haltmacht. Wir brauchen eine wirkliche europäi- gen, dass dieses Europa eine offene Gesellschaft bleibt – sche Polizei. Wir brauchen eine gemeinsame Ausbildung fest in ihren Werten, aber neugierig und offen für neue der Polizeikräfte. Wir brauchen gemeinsame Datenver- Entwicklungen. Das ist die Kultur von Europa in den arbeitungssysteme. Es ist noch so unendlich viel zu tun, letzten zweitausend Jahren gewesen. In dieser Hinsicht womit wir dieses Europa bessermachen können. Wir haben wir der Welt einige Botschaften zu übermitteln. brauchen einen gemeinsamen europäischen Zivilschutz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Wir müssen auch im Bereich der äußeren Sicherheit zusammenarbeiten; das ist doch ganz klar. Wir brauchen Meine Damen und Herren, wenn ich „wir“ sage, dann meines Erachtens einen gemeinsamen europäischen Sitz meint das nicht alleine die EVP, unsere europäische Par- im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, um gemeinsam teienfamilie, dann meint das nicht nur die CDU, sondern für unsere 450 Millionen Menschen mit einer starken dann meint das auch unsere Fraktion im Deutschen Bun- Stimme zu sprechen. Wir brauchen einen europäischen destag. Denn: Wir haben eine Rolle in diesem Europa, Sicherheitsrat. Da kann man auch die Briten mitnehmen; definiert durch das Grundgesetz und durch die europäi- 10492 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Ralph Brinkhaus (A) schen Verträge. Diese Rolle bedeutet, dass wir der Bun- der Gleichheit trat die Rechtfertigung wachsender Un- (C) desregierung nach Artikel 23 Grundgesetz Leitplanken gleichheit, und das solidarische Miteinander wurde er- für die Verhandlung mit auf den Weg geben können, dass setzt durch die politische Legitimierung von Egoismus, wir die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips überprüfen Rücksichtslosigkeit und Gier. können, dass wir haushaltsrechtlich überprüfen müssen, was passiert, dass wir Dinge, die europäisch beschlos- Und da wundern Sie sich, dass sich die EU heute in sen werden, in nationales Recht umsetzen. Wir als CDU/ dem Zustand befindet, in dem sie sich befindet? Dafür CSU-Bundestagsfraktion wollen diese Rolle annehmen – sind tatsächlich nicht die Salvinis, Orbans und auch nicht nicht, indem wir bremsen, sondern indem wir dieses Eu- die britischen Brexiters verantwortlich. Die ernten nur, ropa gestalten. was die Politik der letzten Jahre und was ganz besonders die deutsche Regierung gesät hat. Wenn Sie sich all das angehört haben, was ich eben gesagt habe, dann werden Sie die wesentlichen Ele- (Beifall bei der LINKEN) mente in der Sorbonne-Rede von Präsident Macron, in Die EU ist nicht deshalb krank, weil immer mehr Men- vielen Namensartikeln, nicht nur von Annegret Kramp-­ schen antieuropäische Parteien wählen, sondern die Anti- Karrenbauer, sondern auch von Kolleginnen und Kolle- europäer werden gewählt, weil die EU krank ist, gen aller Parteien in der Mitte des Hauses, wiederfinden. Denn eines ist bei all den Unterschieden, über die wir uns (Beifall bei der LINKEN) streiten, richtig: Wir haben wesentlich mehr gemeinsam. weil sie von Regierungen gestaltet wurde und wird, die Das ist doch das Große an Europa. sich nicht mehr als Anwalt und Schutzmacht ihrer Wäh- Ich komme noch mal zurück auf das Video von ler verstehen, sondern vor allem als Interessenvertreter Manfred Weber – Stichwort: das Europa der Regionen. großer Wirtschaftsunternehmen und Banken. (Zurufe von der LINKEN – Lachen des Abg. Dass die Bundesregierung jetzt daran mitwirkt, aus Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE zwei Zockerbanken, die den Steuerzahler in der Vergan- GRÜNEN]) genheit schon kräftig gemolken haben, eine noch größe- re Bank zu machen, die den Staat in der nächsten Krise Es ist natürlich so, dass der Ostwestfale anders ist als der noch besser erpressen kann, ist doch nur das jüngste Bei- Sizilianer. Das sieht man irgendwie auch; und es ist auch spiel genau dieser absurden Politik. gut so, dass das so ist, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) (Jan Korte [DIE LINKE]: Das Video der Wo- che!) Woran sind eine echte Finanztransaktionsteuer, die (B) natürlich Derivate einschließen müsste, Regeln zur Of- (D) Aber die Botschaft von Europa ist: Das, was wir gemein- fenlegung konzerninterner Gewinnverschiebungen oder sam haben, ist wesentlich mehr als das, was uns unter- auch die Digitalsteuer letztlich gescheitert? Es war nicht scheidet. der Bodyguard der superreichen Steuerhinterzieher an (Jan Korte [DIE LINKE]: Ein Fernsehabend! der Spitze der EU-Kommission, und es waren auch nicht Alle gucken Weber!) primär Malta und Irland, die das verhindert haben. Nein, es war die traurige Figur des deutschen Finanzminis- Mit dieser Botschaft gehen wir in die nächsten Wochen, ters, der mit voller Rückendeckung der Kanzlerin jeden und damit werden wir versuchen, die Menschen von die- Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit in Europa blo- sem Europa zu begeistern. ckiert hat. Das ist doch ein Armutszeugnis! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- ordneten der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN) Dass Frankreich jetzt die Digitalsteuer im Alleingang Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: einführt, zeigt übrigens auch, wie faul die Ausrede ist, Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende der man könne auf nationaler Ebene nichts gegen das Steu- Linken, Dr. Sahra Wagenknecht. erdumping der Konzerne machen. Man kann sehr viel (Beifall bei der LINKEN) machen, auch ohne den Segen der EU. Man muss nur das Rückgrat haben, solche Schritte gegen einflussreiche Wirtschaftslobbys durchzusetzen. Das ist doch das Kern- Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): problem. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eu- ropa – das waren einmal die großen Ideen der Aufklärung (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- und der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, NIS 90/DIE GRÜNEN) solidarisches Miteinander. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben vorhin auf das Wohlstandsversprechen verwiesen. Sehen Sie denn nicht, wie sich das Gesicht Europas in den letzten Jahren verändert hat? Die früher breite Mit- Aber was ist davon geblieben? Seit gut 30 Jahren telschicht, ohne die es keine stabile Demokratie geben wird die Politik in Europa von einer Agenda bestimmt, kann, steht in allen EU-Ländern unter Druck. Fast ein die das exakte Gegenprogramm zu den einstigen Wer- Viertel aller EU-Bürger lebt heute in Armut, während die ten darstellt: Aus der Freiheit wurde die bloße Freiheit Zahl der Milliardäre sich seit der Finanzkrise mehr als des Marktes und der großen Unternehmen, an die Stelle verdoppelt hat. Also, wer das für eine gute Bilanz hält, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10493

Dr. Sahra Wagenknecht (A) der hat wirklich die falschen politischen Prioritäten. Ich ten Unternehmen noch größer zu machen. Noch mehr (C) finde das erschreckend. Marktmacht bedeutet ganz sicher nicht mehr Innovation. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Diese soziale Spaltung ist zunehmend auch eine räum- Bei der neuen CDU-Chefin ist es ja ohnehin nicht so liche: Immer mehr Menschen werden abgehängt, weil sehr die digitale oder auch solare Zukunft, die sie um- sie an Orten leben, für die sich in Brüssel und Berlin treibt. Frau Kramp-Karrenbauer zieht es eher dahin, wo schlicht niemand interessiert. An Orten, in denen die öf- schon weiland Kaiser Wilhelm Deutschlands Platz an fentliche Infrastruktur verwahrlost ist, wo kein Zug mehr der Sonne vermutet hat: auf einen Flugzeugträger. Herr hält und oft genug nicht mal mehr ein Bus, wo es keine Lindner hat ja schon etwas dazu gesagt. Ich muss sagen: guten Schulen gibt und auch keinen Arzt und wo junge Wenn man bedenkt, dass der deutsche Staat heute kaum Menschen, die etwas aus ihrem Leben machen wollen, noch in der Lage ist, zivile Flughäfen zu bauen oder die eigentlich nur noch eine Chance haben, nämlich abzu- Flugbereitschaft in Schuss zu halten, wandern. Es waren vor allem solche Orte, an denen viele (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Vorsicht an Menschen in Großbritannien für den Brexit gestimmt ha- dieser Stelle!) ben. Und es waren solche Orte, aus denen in Frankreich die Hunderttausenden kamen, die in gelben Westen auf dann hat man doch wirklich das Gefühl, Frau Kramp-­ die Straße gegangen sind. Karrenbauer habe sich einen ihrer berüchtigten Karne- valsscherze erlaubt. Sie, Frau Merkel, und Ihre Koalition wollen uns weis- machen, Sie seien proeuropäisch. Also, ich finde, es gibt (Beifall bei der LINKEN) kaum ein Feld, in dem Anspruch und Realität weiter auseinanderklaffen. Jeder weiß doch, dass das deutsche Aber spätestens seit die Bundeskanzlerin sich dahinter- Modell, durch einen großen Niedriglohnsektor immer gestellt hat, war klar: Das war wirklich ernst gemeint: höhere Exportüberschüsse aufzutürmen, Europa spaltet ein deutsch-französischer Flugzeugträger, ein Milliar- und unsere Nachbarn gegen uns aufbringt. dengrab, das auf den Weltmeeren schippert, um künftige Interventionskriege vorzubereiten. Meint irgendjemand (Beifall bei der LINKEN) hier in diesem Hohen Haus, dass es das ist, worauf die Europäerinnen und Europäer gewartet haben? Also wir Der deutsche Mindestlohn von kläglichen 9,19 Euro ist glauben das auf jeden Fall nicht. einer der niedrigsten in ganz Westeuropa. Magere Ren- ten und Hartz IV drücken auf den privaten Konsum. Und (Beifall bei der LINKEN) nicht nur der Staat verweigert die nötigen Investitionen, (B) Frau Merkel, Sie haben auch das europäische Sicher- (D) auch die deutschen Unternehmen legen immer mehr heitsversprechen erwähnt. Aber das Leben in Europa wird Geld auf die hohe Kante. Ganze 4 Euro von 100 Euro garantiert nicht dadurch sicherer, dass wir Trumps Wün- Gewinn werden heute noch investiert. Dass die Union in sche nach neuer Hochrüstung pflichtschuldig erfüllen, einer solchen Situation schon wieder Unternehmensteu- und es wird schon gar nicht dadurch sicherer, dass wir die ersenkungen ins Gespräch bringt, zeigt leider nur, dass Rüstungsexportrichtlinien noch weiter aufweichen, wie Sie wirtschaftliche Zusammenhänge nicht verstehen. Sie es gerade empfohlen haben; Herr Brinkhaus hat auch (Beifall bei der LINKEN – Ursula Groden-­ noch einmal dafür geworben. Kranich [CDU/CSU]: Sie verstehen sie Im Jemen sterben Kinder. Frau Bundeskanzlerin, wol- nicht!) len Sie wirklich den Saudis weiterhin die Mordwerk- Denn es liegt doch nicht am fehlenden Geld in den Un- zeuge dafür liefern, und das noch unter dem Vorwand ternehmenskassen, dass die Konjunktur gerade einbricht. europäischer Kompromissbereitschaft? Ich finde, eine schlimmere Pervertierung des europäischen Gedankens (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wie kann man sich kaum vorstellen. die Sozialisten erklären, wie Unternehmen funktionieren: Das ist schon eine Karnevals- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. rede!) Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es liegt an der hoffnungslosen Abhängigkeit vom Ex- port, der in einer Zeit weltwirtschaftlicher Unsicherheit „Stirbt der Euro, dann stirbt Europa“, haben Sie, Frau und neuer Handelskriege eben nicht mehr als Wachs- Bundeskanzlerin, einmal gesagt. Inzwischen erleben wir: tumsmotor taugt. Es ist erfreulich, dass sich inzwischen Wenn die vielen immer weniger Euros haben und die we- bis in die deutsche Regierung herumgesprochen hat, dass nigen immer mehr, wenn die großen Ideen der Aufklä- der Markt nicht alles richtet. Frau Bundeskanzlerin – sie rung – Freiheit, Gleichheit, solidarisches Miteinander – ist gerade nicht anwesend –, nicht mehr die Politik bestimmen, dann stirbt Europa. Wir als Linke wollen nicht, dass Europa stirbt. Deswegen (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein! Man sind wir überzeugt: Wir brauchen eine andere Politik in muss auch mal hochgucken beim Reden! Europa, und dafür brauchen wir allerdings wirklich eine Nicht nur ablesen!) andere Bundesregierung; denn dass Sie das nicht hinkrie- gen, merkt man sehr deutlich. Industriepolitik heißt doch nicht, das zahnlose europäi- sche Kartellrecht noch weiter auszuhöhlen und die größ- (Beifall bei der LINKEN) 10494 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Wir hören, dass Frau Merkel davon schwärmt, dass es (C) Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende von endlich eine Batteriefabrik in Deutschland und in Euro- Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter. pa geben sollte, damit die Elektromobilität durchgesetzt werden kann. Wir hören das zwar, fragen uns aber: Frau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Merkel, wissen Sie, dass Herr Scheuer Ihr Verkehrsmi- nister ist? Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und SES 90/DIE GRÜNEN) Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie wer- den auf dem jetzt anstehenden Gipfel wieder mit den Herr Scheuer ist eines der Haupthindernisse für die Um- Folgen des Chaos in der britischen Politik konfrontiert setzung der emissionsfreien Mobilität in Deutschland sein. Wenn man sich anschaut, wie die Europäische Uni- und in Europa. on bisher mit den Folgen des Brexit-Chaos umgegangen ist, dann sieht man: Es war geprägt von Entschlossen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) heit und Solidarität. Das ist vielleicht das einzig Positive Sie müssen endlich für eine andere Verkehrspolitik sor- in dieser Tragödie. Selbstverständlich bleibt uns Groß- gen. Sie müssen endlich dafür sorgen, dass die Infra- britannien weiter und dauerhaft willkommen. Aber was struktur in Deutschland ausgebaut und benutzbar wird. wir nicht zulassen dürfen, was Sie nicht zulassen dürfen, Dann würden wir anfangen, daran zu glauben, dass Ihren ist, dass das Chaos der britischen Politik auf die Euro- Worten auch Taten folgen. päische Union und die Europawahl übergreift. Deshalb muss man ganz klar sagen: Fristverlängerung nur dann, Besonders problematisch ist, wie Sie mit unserem wenn es eine Idee davon gibt, wofür die zusätzliche Zeit wichtigsten Partner Frankreich umgehen. Von einem genutzt werden soll. einzigen Beispiel, den Rüstungsexporten, abgesehen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hören wir seit vielen Jahren nur dröhnendes Schweigen aus dem Kanzleramt auf all die Appelle, die Macron an Und mit Entschlossenheit und Solidarität geht man uns gerichtet hat. Ausgerechnet bei den Rüstungsexpor- auch am besten die großen Herausforderungen an, vor ten wollen Sie nun die europäische Fahne hochhalten und denen Deutschland und die Europäische Union stehen. sprechen davon, dass am Ende die Wahrheit konkret ist. Das ist ein konsequenter Klimaschutz, das ist beispiels- weise der Erhalt unseres Wohlstands bei verstärktem Die Wahrheit ist konkret: Wir haben europäische Rüs- Wettbewerb mit anderen Systemen wie zum Beispiel tungsexportrichtlinien, und zwar seit 2008. Diese sind (B) dem diktatorischen, aber erfolgreichen China, das ist die an klaren menschenrechtlichen Standards ausgerichtet. (D) Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit – all dies wird kein Deshalb sage ich Ihnen an diesem Beispiel: Wenn Sie Nationalstaat alleine schaffen. Eine selbstbewusste und hier wirklich Europa verteidigen wollen würden, dann solidarische Europäische Union ist das beste Mittel, um würden Sie nicht gemeinsam mit Frankreich gegen Euro- diese politischen Ziele zu erreichen. pa und gegen europäische Regelungen agieren, sondern würden versuchen, die europäischen Regelungen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) jetzt seit über zehn Jahren in Kraft sind, zur Geltung zu bringen. Das Problematische ist nur: Von Entschlossenheit und Solidarität kann in Ihrer Europapolitik leider keine Rede (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sein. Bei zentralen Projekten stehen Sie auf der Bremse. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nehmen wir die Steuer für Digitalkonzerne. Frau Nahles spricht davon, dass Herr Scholz da nicht im Wege stand. Problematisch ist auch, dass man den Eindruck hat, Herr Scholz hat mit dazu beigetragen, dass die Digital- dass die Zuständigkeit für diesen gesamten Bereich vom steuer so kleingehäckselt worden ist, dass man sie fast Kanzleramt ins Konrad-Adenauer-Haus gewandert ist; nicht mehr erkennen konnte. denn von dort kam nach vielen Jahren des Schweigens eine Antwort auf die Fragen des französischen Präsiden- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten. Dazu kann man nur sagen: Wenn die CDU-Vorsit- Ich frage mich ehrlich gesagt schon, warum ein sozial- zende geschwiegen hätte, dann wäre sie eine Europäerin demokratischer Finanzminister auf der Seite von Apple, geblieben. Die Antwort Ihrer Vorsitzenden, liebe Kolle- Google, Facebook steht. Wo sind denn Ihre Wurzeln? ginnen und Kollegen von der CDU, provoziert nämlich Kämpfen Sie doch dafür, dass diese Konzerne auch in mit Absurditäten wie der Straßburg-Debatte und der be- Europa endlich Steuern zahlen! reits erwähnten Idee eines gemeinsamen Flugzeugträgers mit Frankreich, der in keiner einzigen seriösen Verteidi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gungsdebatte wirklich eine Rolle spielt. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zu all dem könnte man noch sagen: Mein Gott, das Und wenn Herr Brinkhaus von dem Video von Herrn ist eben ein bisschen lächerlich. – Doch Frau Kramp-­ Weber schwärmt, dann kann man nur sagen: Die Upload- Karrenbauer legt damit die Axt an die Wurzel der Ge- filter schaden Urhebern, und damit verlieren Sie die jun- meinschaftsmethode. Und das ist hochproblematisch. ge Generation. Aber vielleicht hätten die Uploadfilter dazu beigetragen, uns mit diesem Video zu verschonen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dann hätten sie wenigstens einen Zweck erfüllt. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10495

Dr. Anton Hofreiter (A) Sie hatten in Ihrem Koalitionsvertrag noch davon ge- ohne den Schutz der europäischen Stärke ausgeliefert (C) sprochen, dass Sie „einen Rahmen für Mindestlohnrege- wären. lungen sowie für nationale Grundsicherungssysteme in (Jürgen Braun [AfD]: Schon mal was von der den EU-Staaten entwickeln“ wollen. Sie hatten davon Schweiz oder Norwegen gehört?) gesprochen, dass Sie einen „Aufbruch für Europa“ or- ganisieren wollen. Nach dieser Antwort der CDU-Vor- Das bedeutet die Renationalisierung. sitzenden und dem lauten Schweigen der SPD bei den entscheidenden Punkten muss man leider sagen: Nach Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft, die einem Jahr des Nichtstuns ist von dieser Koalition auch mehrheitlich aus kleinen Staaten besteht, und ich habe nichts mehr zu erwarten. Wir haben die große Sorge, dass den Eindruck, dass einige dieser Staaten noch nicht be- diese Koalition europapolitisch fertig hat. Und das wäre griffen haben, dass sie kleine Staaten sein werden, wenn mehr als bitter für die Europäische Union. es keine europäische gemeinschaftliche Stärke gibt. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. Die Renationalisierer verspielen die Chancen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nächsten Generation, mit anderen Regionen dieser Welt Christian Petry [SPD]: Die Sorge ist unbe- auf Augenhöhe und unter Wahrung unseres Demokratie- gründet!) und Gesellschaftsmodells reden zu können. Deshalb ist dieser Renationalisierungskurs gefährlich. Er ist nicht für diejenigen gefährlich, die ihn propagieren, sondern für

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: die nächste Generation. Martin Schulz, SPD, ist der nächste Redner. (Jürgen Braun [AfD]: Macron ist gefährlich!) (Beifall bei der SPD) Macron hat Vorschläge unterbreitet, meine Damen und Herren, und in einem Artikel, der in Zeitungen aller Martin Schulz (SPD): 28 Länder der Europäischen Union erschienen ist, eine gemeinsame Debatte vorgeschlagen. Das finde ich toll. Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns diese Debatte doch führen! Das gelingt Wer die Tagesordnung dieses Rates genau betrachtet, aber nicht mit einem Artikel in einem deutschen Sonn- wird feststellen, dass die Themen dieses Rates zeigen, tagsblatt als Antwort, bei dem man den Eindruck hat, dass das 21. Jahrhundert mit dem vergangenen Jahrhun- dass die wesentlichen Botschaften dieses Artikels das dert nicht mehr vergleichbar sein wird. Wir gehen in eine Gegenteil dessen sind, was große Christdemokraten im (B) neue Ordnung der Welt. Und das ist kein G‑7-Prozess Rahmen der multilateralen Denke, die die CDU immer (D) und kein G‑20-Prozess mehr. Es droht ein G‑2-Prozess. ausgezeichnet hat, und große Europäer wie zum Beispiel Die Entscheidungen werden im 21. Jahrhunderts in Pe- Helmut Kohl bisher vorgeschlagen und vorgetragen ha- king und in Washington getroffen werden und nicht mehr ben. in Budapest oder in Warschau, in Berlin oder in Paris. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Einfach mal Es muss uns gelingen, die Europäische Union so zu- durchlesen!) sammenzuschließen, dass ihre wertebasierte Wirtschaft Ich finde, dass dieser Artikel auf keinen Fall eine Ant- und die damit verbundene Wirtschaftskraft gegenüber wort sein kann. einem expansiven Staatskapitalismus Chinas einerseits und einem brutal egozentrischen Kurs der USA ande- Es bedarf einer Antwort der Bundesregierung. Ja, wir rerseits als Machtmittel eingesetzt werden, und zwar haben einen Koalitionsvertrag. Dieser trägt die Über- nach dem Motto: Wir werden auf Augenhöhe, aber als schrift „Ein neuer Aufbruch für Europa“. Das Kapitel, das Wertegemeinschaft mit denen konkurrieren, weil wir wir dazu in diesen Koalitionsvertrag geschrieben haben, uns zusammenschließen gegen diejenigen, die glauben, könnte die deutsche Gegenposition bzw. die deutsche Europa mit dem Ignorieren des Klimawandels, mit der Komplementärposition zu Macron sein. Das, worum es Negierung von Menschenrechten und der Negierung von dabei geht, ist: Macron hat etwas erkannt, was auch wir ökologischen, ökonomischen und individuellen Grund- erkennen müssen. Frankreich ist eine Atommacht. rechten aushebeln zu können. – Dafür müssen wir uns in der Europäischen Union zusammenschließen. (Jürgen Braun [AfD]: Ja!) Frankreich ist ein vetoberechtigtes Mitglied des Sicher- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heitsrates der Vereinten Nationen. Frankreich ist ein G‑7- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Staat, und Frankreich hat einen Präsidenten, der ange- sichts dieser Ausgangslage – G‑7-Staat, atomar gerüstete In einer Zeit, in der Weltregionen miteinander konkur- Vetomacht des Sicherheitsrats – sagt: Unsere nationale rieren – darum geht es nämlich – und in der der öko- Souveränität reicht nicht mehr; sie muss durch eine euro- nomische Wettbewerb auch ein Konkurrenzkampf von päische Souveränität ergänzt werden. politischen Systemen ist, gibt es natürlich Leute, die die Renationalisierung propagieren. Renationalisierung Macrons Botschaft an uns lautet im Wesentlichen: würde bedeuten, dass Länder wie Belgien, Luxemburg, Wenn wir uns nicht zusammenschließen, wenn wir nicht Österreich oder die Tschechische Republik den Disposi- als deutsch-französisches Duo die Europäische Union so tionen, die in Washington oder Peking getroffen werden, anführen, dass sie im Wettbewerb der Weltregionen auf 10496 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Martin Schulz (A) Augenhöhe mitspielen kann, werden wir zu Spielbällen wird, kann sein. Sie haben eben angedeutet, dass das (C) der Machtinteressen anderer werden. möglich ist. Aber eine Sache ist völlig klar: Wenn nach dem Brexit die 27 verbleibenden Staaten nicht den Mut (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das aufbringen, zu sagen: „Wir wollen den Renationalisie- sagt Kramp-Karrenbauer auch!) rern nicht die Straße und die Lufthoheit an den Stamm- Deshalb sage ich: Machen wir doch einen Anfang! tischen überlassen“, wenn wir nicht begreifen, dass im Diskutieren wir doch mit Macron! Man kann im Detail 21. Jahrhundert der Verzicht auf nationale Souveränität anderer Meinung sein als er, aber nichts zu sagen oder in Teilbereichen und ihre Übertragung auf Europa der seine Vorschläge a priori und pauschal abzulehnen, Rückgewinn dieser nationalen Souveränität sein wird, wenn wir keine Veränderungen innerhalb der Europäi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen Union hinbekommen, wenn wir diese Kraft nicht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ralph aufbringen, dann gehen wir in Europa schweren Zeiten Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist überhaupt entgegen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, ich wünsche nicht wahr! So ein Unsinn! – Michael Grosse- Ihnen viel Mut, und ich wünsche Ihnen, ehrlich gesagt, Brömer [CDU/CSU]: Wovon reden Sie da?) auch massive Energie, damit wir endlich mal sagen kön- ist der völlig falsche Weg. nen: Die deutsche Bundeskanzlerin ist an der Spitze die- ser Bewegung. Die Europäische Union – das ist völlig klar – wird sich auf die großen Fragen dieses 21. Jahrhunderts konzen- Vielen Dank. trieren müssen. Dazu gehören der Klimawandel und die (Beifall bei der SPD) dramatischen Folgen des Klimawandels, die übrigens für uns Europäerinnen und Europäer und auch für die Bür- gerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten von Ame- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: rika weniger dramatisch sind als zum Beispiel für die Nächste Rednerin ist die Fraktionsvorsitzende der Menschen in Afrika oder in Lateinamerika. Und wenn AfD, Dr. Alice Weidel. wir diesen Klimawandel nicht endlich stoppen, wenn wir (Beifall bei der AfD) nicht umdrehen, (Jürgen Braun [AfD]: Wir schaffen das! Wir Dr. Alice Weidel (AfD): stoppen den!) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen dann werden Sie erleben, dass in vielen Regionen dieser und Herren! Werte Kollegen! Frau Bundeskanzlerin, Sie Erde zum Beispiel der Zugang zu Wasser immer mehr haben über die Unsicherheit gesprochen, die der Brexit (B) zum Überlebensproblem und zum Gegenstand von Kon- bringen wird. Nicht, dass wir dabei viel Neues erfah- (D) flikten und irgendwann auch zum Ausgangspunkt für ren hätten: Es war nämlich Ihre erprobte Mischung aus kriegerische Auseinandersetzungen wird, dass dann an Phrasen und Baldrian. Eines ist klar: Dieser Brexit wird uns Europäerinnen und Europäer wieder die Frage ge- teuer – teuer für die EU und deshalb per Definition teuer richtet wird: Welche Position habt ihr dazu? Schickt ihr für die deutschen Steuerzahler: teuer wie die Bankenret- da Soldaten hin? Schickt ihr da Waffen hin? Das zeigt: tung, die Griechenland-Rettung, die Energiewende, die Die Tagesordnung dieses Rates ist davon geprägt, dass in Grenzöffnung, die Zerstörung der deutschen Automobil- dieser Welt alles mit allem zusammenhängt. Viele Leute industrie, der Schlüsselindustrien und die gigantische In- kapieren im Detail natürlich nicht, wie die Dinge zusam- flationierung unserer Gemeinschaftswährung. Zukunfts- menhängen, aber sie spüren es im Bauch. Und die jungen weisende Politik sieht anders aus, sehr geehrte Damen Menschen, die nicht zur Schule gehen, weil sie demons- und Herren. trieren, (Beifall bei der AfD) (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) Nun also der Brexit und Ihr Anteil daran; denn den spüren in ihrem Bauch, dass die Beantwortung dieser hatten Sie, im besten Fall aus Fahrlässigkeit. Aber es war Fragen über ihr Schicksal und das ihrer Kinder entschei- eher unterlassene Hilfeleistung. Die historisch guten Be- det und darüber, ob sie noch eine lebenswerte Welt ha- ziehungen zum Vereinigten Königreich werden auf die- ben. Deshalb, finde ich, sollte man nicht darüber disku- se Weise gefährdet. Was hatte David Cameron denn so tieren, ob sie die Schule schwänzen dürfen oder nicht. Fürchterliches verlangt? Keine Sozialhilfe sofort und für Vielmehr müssten wir eigentlich gemeinsam mit ihnen alle, stärkere nationale Parlamente, weniger EU-Büro- auf die Straße gehen und sagen: Wir werden alles tun, da- kratie. Doch in Brüssel hat er damit auf Granit gebissen. mit über die Europäische Union und ihre Kraft das Pari- Dabei wäre eine schlankere Gemeinschaft, die sich auf ser Klimaabkommen endlich durch- und umgesetzt wird. ihre Kernaufgabe besinnt, einen gemeinsamen Markt zu schaffen und zu erhalten, eine große Chance gewesen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Aber nein, das ging auf keinen Fall. Da setzten Sie lieber Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Zusammenhalt der EU-Mitgliedstaaten aufs Spiel. NEN] – Zurufe von der AfD) Jetzt kriegen wir die Rechnung: 15 Milliarden Euro Frau Merkel, ich wünsche Ihnen viel Erfolg auf die- an britischen Beiträgen werden künftig im Budget feh- sem Rat, weil ich glaube, dass dieser Rat eine Weichen- len. Zwar weiß jede Familie, dass man den Gürtel en- stellung vornehmen muss, die von epochaler Bedeutung ger schnallt, wenn die Einnahmen schrumpfen, aber ist – vielleicht auch der Sonderrat, der noch kommen nicht die EU. Muss sie auch nicht, solange der deutsche Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10497

Dr. Alice Weidel (A) Steuerzahler der Zahlmeister ist. Größer als das Loch Das ist ja wohl der blanke Hohn. Verwundert es da noch, (C) im EU-Etat sind die Kosten für die deutsche Wirtschaft. wenn die Briten hinter jedem Manöver aus Brüssel bösen Das Vereinigte Königreich ist die zweitgrößte Volkswirt- Willen vermuten? Brexit-Unterhändler Barnier soll sei- schaft der EU, so groß wie die 19 kleinsten zusammen. nerzeit Freunden anvertraut haben – ich zitiere –: Ökonomisch gesehen schrumpft die EU also nicht auf Meine Mission wird ein Erfolg sein, wenn … die 27, sondern auf 9 Staaten zusammen. Die Sorglosigkeit, Bedingungen … für die Briten so brutal sind, dass ja Gleichgültigkeit, die Brüssel und Berlin angesichts sie es vorziehen …, in der Europäischen Union zu dieser Größenordnung an den Tag legen, grenzt an pa- verbleiben. thologische Realitätsverweigerung, sehr geehrte Damen und Herren. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Unsinn!) (Beifall bei der AfD) Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr, sehr geehrte Damen und Herren. Für Deutschland ist das Vereinigte Königreich der größte Handelspartner in der EU. Die wirtschaftlichen (Beifall bei der AfD – Alexander Graf Verflechtungen sind so eng wie mit keinem zweiten Lambsdorff [FDP]: Unbewiesener Unsinn!) Land. Es liegt eindeutig im deutschen Interesse, Handel und Investitionen weiter ungehindert zu tätigen. Hier Von Selbstkritik ist auf dem Kontinent nichts zu hö- stehen deutscher Wohlstand, deutsche Arbeitsplätze auf ren, nicht in Brüssel, nicht in Berlin, schon gar nicht in dem Spiel. Sie aber stellen sich in Nibelungentreue hinter Paris. Der Brexit hat die Brüsseler Abgehobenheit deut- Frankreich, das den Briten sogar den Zugang zum ge- lich gemacht. Er zeigt auch, wo Europas wahre Gegner meinsamen Binnenmarkt verweigern will. Sie erwägen sitzen: unter anderem hier auf der Regierungsbank, sehr ja sogar die Möglichkeit, den Briten keinen Zugang zum geehrte Damen und Herren. Europa ist zu wichtig, um europäischen Wirtschaftsraum einzuräumen, weil Paris es ihnen zu überlassen. Wegsehen gilt nicht, weglaufen das ablehnt. Das wäre ja auch alles viel zu viel: viel zu auch nicht. Die EU muss von innen reformiert werden. viel Freihandel, zu viel frische Luft auf den Märkten, zu Dazu gehört ein Vetorecht der Nationalstaaten gegen viel Wettbewerb und zu viel Konkurrenz um die besten Brüsseler Vorgaben genauso wie eine Reform des Aus- Wirtschaftsstandorte. Von Eigenständigkeit ist nichts zu tritts-Artikels 50 zur Erhaltung des Binnenmarktes, auch sehen in dem von Ihnen unterzeichneten Aachener Ver- für austretende Länder, und die Sicherung der EU-Au- trag, der als Krönung des Élysée-Vertrages gepriesen ßengrenzen, die wir seit Jahren fordern. Und zu Europa wird. Welch ein Dünkel! Der Aachener Vertrag trägt eine gehören unsere britischen Freunde, sehr geehrte Damen französische Handschrift, von vorne bis hinten. Dieses und Herren. Europa, für das das zentralistisch organisierte Frankreich Vielen Dank. (B) mit einer gescheiterten Industrie- und Wirtschaftspolitik (D) als Blaupause dient, kommt schneller, als man denkt. (Beifall bei der AfD – Martin Schulz [SPD]: Europäische Parteispendenregelung! Inklusi- (Beifall bei der AfD) ve der Schweiz!) Spätestens dann, wenn im Europäischen Rat das nächste Mal abgestimmt wird, sehen wir nämlich ganz Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: genau: Die teuerste Konsequenz des Brexits ist, dass Nächster Redner ist Alexander Dobrindt, CDU/CSU. Deutschland keine Sperrminorität mehr im Rat zustande bringt. In der aktuellen EU der 28 vertritt Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU) 16 Prozent der Bevölkerung, Großbritannien 13 Prozent. Macht zusammen fast 30 Prozent. Mit einigen kleineren Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Ländern – Dänemark, Niederlande, Österreich – war die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Sperrminorität von 35 Prozent immer gesichert. Damit der Brexit ist in der Tat ein Warnschuss, aber nicht nur konnte man sich gegen den Griff in die Gemeinschafts- für die Nationalstaaten, sondern auch für die Europäische kasse krisengeschüttelter „Club Med“-Staaten sowie Union selbst. Die Briten verlassen die EU doch nicht we- Frankreichs wehren. Das ist durch den Austritt Groß- gen zu wenig Institutionen, zu wenig Umverteilung, zu britanniens nun bald Geschichte. Und es wird deutlich: wenig Regulierung oder zu wenig Kompetenzen. Nein, Ohne Reformen kann es in der Europäischen Union doch sie verlassen die EU, weil sie das Gefühl haben, dass gar nicht weitergehen. Wo ist Ihre Strategie? Sie haben Brüssel ihnen mehr nimmt, als es ihnen gibt. Dieses Ge- überhaupt gar keine. fühl ist aber falsch, meine lieben Kolleginnen und Kol- legen. Fangen wir bei Artikel 50, der den Austritt regelt, an. Er ist vollkommen schwammig formuliert. Konkret ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nur der Hinweis darauf, wie mit Abtrünnigen, mit Verrä- des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) tern umzugehen sei: nach Artikel 218, also wie bei jedem Ich stehe dabei auf der Seite der jungen Generation x-beliebigen Drittstaat. Kann man eigentlich für einen in Großbritannien, die bei den demokratischen Wahlen Partner, mit dem man 40 Jahre in guten wie in schlechten anders entschieden hat als die Mehrheit. Es war gerade Zeiten zusammengelebt hat, nicht einen anderen Modus die junge Generation, die für einen Verbleib und eine Zu- finden als für Paraguay oder Papua-Neuguinea, sehr ge- kunft in der Europäischen Union gestimmt hat. Unsere ehrte Damen und Herren? Aufgabe ist es, genau an diese junge Generation die Bot- (Beifall bei der AfD) schaft zu schicken: Wir wollen euch weiter haben. Wir 10498 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Alexander Dobrindt (A) wollen engste Zusammenarbeit. Wir wollen die Zukunft arbeiten und nicht gegeneinander arbeiten, meine Damen (C) mit euch gemeinsam gestalten. und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ordneten der FDP) Martin Schulz [SPD]) Es geht auch gar nicht so sehr um die Frage, die der Viele Stellungnahmen in den letzten Tagen und Wo- eine oder andere aufwirft: Wollen wir ein Europa, ja oder chen machen einen schon etwas betrübt, man hört teil- nein? – Diese Frage haben wir schon lange für uns ent- weise Freude am Chaos in Großbritannien. Der Frakti- schieden. Wir wollen natürlich eine Europäische Union, onsvorsitzende der Liberalen im Europaparlament hat ja. Die Frage ist aber, wie wir die Europäische Union den Brexit und seine Folgen für Großbritannien sogar als gestalten und wie wir sie fitmachen für die aktuellen Glück für die EU bezeichnet, weil er andere Länder vom Herausforderungen, die, anders als in der Vergangen- Austritt abhalte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese heit, gar nicht so sehr von innen heraus als Auftrag an Art der Häme ist kein europäischer Gedanke, weil dies sie herangetragen werden, sondern die heute wesentlich nicht den Zusammenhalt fördert. Wir müssen den Zu- mehr von außen kommen: durch die Handelskonflikte, sammenhalt und die Vorteile eines Verbleibs in der Eu- durch den verschärften Wettbewerb, durch den Migrati- ropäischen Union in den Vordergrund stellen und nicht onsdruck. Dies hängt weniger von der Frage ab, wie wir die Nachteile des Austritts aus der Europäischen Union. jetzt innerhalb der EU Frieden und Wohlstand schaffen Die Lust an Europa muss doch größer sein als die Angst können, sondern wesentlich mehr von der Frage: Wie vor einem Austritt aus der EU, meine Damen und Herren. können wir Frieden und Wohlstand für die Zukunft ver- (Beifall bei der CDU/CSU) teidigen? – Das heißt, wir stehen international vor einem Druck wie niemals zuvor, und zwar ökonomisch, geopo- Klar ist auch: Wenn wir ein Austrittsabkommen mit litisch und auch kulturell. den Briten bekommen sollten, dann endet nicht unsere Deswegen ist es wichtig, dass wir uns mit Reform- Arbeit, sondern dann beginnt erst unsere Arbeit. Diese vorschlägen auseinandersetzen, auch gerade mit den Arbeit hängt maßgeblich damit zusammen, dass wir für Reformvorschlägen von unserem engsten Verbündeten die Zukunft ein Modell finden müssen, das Großbritanni- Frankreich. Frankreich ist unser natürlicher Verbündeter en möglichst nah an die Europäische Union bindet. Eine innerhalb der Europäischen Union. Aber nicht automa- „Partnerschaft Doppelplus“ haben wir das genannt. Wir tisch jeder Vorschlag des französischen Präsidenten ist wollen eine engste Partnerschaft deswegen, weil natür- im Sinne des gemeinsamen Bündnisses, sondern wir lich der Umgang mit dem Brexit über das Schicksal Eu- müssen schon auch selbst noch in der Lage sein, zu un- ropas entscheidet. Der Umgang mit dem Brexit, genauso terscheiden: Was an Vorschlägen, auch aus Frankreich, (B) wie der Ausgang der Europawahl im Jahr 2019 entschei- (D) ist für die Zukunft in Europa zielführend, und was könn- den über das Schicksal Europas. te vielleicht anderen Zielen dienen? Deswegen: Ein ge- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und meinsames Budget innerhalb der Euro-Zone, wie es von- Kollegen, man muss aufpassen, dass man nicht denje- seiten der Franzosen vorgeschlagen worden ist – ja, das nigen auf den Leim geht, die sich vermeintlich als die wollen wir. Das vereinbaren wir gemeinsam. Es liegt in guten Europäer bezeichnen, aber ganz offensichtlich nur unserem strategischen Interesse, gerade Investitionen für ein Interesse daran haben, Europa zu spalten. Zukunftstechnologien auch gemeinsam zu organisieren. Wenn es aber darum geht, dass wir gerade im Bereich Herr Gauland, wenn Sie sich als guten Europäer be- der Sozialversicherungen und der Arbeitslosenversiche- zeichnen, dann erinnere ich nur an die Entscheidungen rungen zu einer Vergemeinschaftung kommen sollen und auf Ihrem Parteitag. Sie wollen das Europäische Par- zukünftig Beiträge der deutschen Arbeitnehmer in die lament auflösen. Sie fordern den deutschen Brexit. Sie Arbeitslosenversicherung zur Finanzierung der Arbeits- wollen den Euro abschaffen. Meine Damen und Herren, losigkeit in anderen europäischen Staaten beitragen sol- wer den Brexit in Deutschland will, wer das Europapar- len, dann ist das ein falscher Weg. Der ist nicht europä- lament und den Euro abschaffen will, der ist kein guter isch, und wir unterstützen ihn deswegen nicht. Europäer; der ist nicht einmal ein guter Patriot. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Diese enge Partnerschaft kann dazu dienen, dass wir NISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. den wirtschaftspolitischen Reformbedarf Europas ge- Beatrix von Storch [AfD]) meinsam vorantreiben. Dazu gehört aber auch, zu erken- nen – das zeigt die Analyse –, dass wir gerade bei den Wenn wir über nationale Souveränität reden – selbst- uns alle sehr stark elektrisierenden Technologien, der verständlich muss man in einem gemeinsamen Europa Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz, in der weiterhin über seine nationale Souveränität reden –, dann Vergangenheit in Europa offensichtlich nicht so erfolg- muss man aber auch akzeptieren, dass man vor dem Hin- reich waren. Vieles haben wir vielleicht auch versäumt. tergrund der Auseinandersetzungen in der Welt – wirt- Die größten Unternehmen in diesem Bereich sind nicht schaftlicher, militärischer und kultureller Art –, die an in Europa angesiedelt. Wenn man das ändern will, dann Schärfe ständig weiter zunehmen, die nationale Souve- muss man auch bereit sein, über die Fragen des Wettbe- ränität Deutschlands nur dann erhalten kann, wenn wir in werbsrechts in Europa zu reden, weil die Unternehmen einem gemeinsamen Interesse in Europa eng zusammen- heute weniger innerhalb Europas in Konkurrenz stehen, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10499

Alexander Dobrindt (A) sondern eher mit den Märkten außerhalb Europas, den Aufgüsse der Brügge-Rede der Bundeskanzlerin aus (C) amerikanischen und den chinesischen Märkten. dem Jahr 2010. Es wird gegenüber Paris mit der Frage des Sicherheitsratssitzes in den Vereinten Nationen pro- Deswegen ist es geradezu ein falsches Signal, wenn voziert. Das Erste, was man sich in diesem Dialog ein- die Wettbewerbsfähigmachung von Unternehmen in Eu- fängt, den Macron anbietet, ist eine klare Absage von ropa, der Zusammenschluss von Unternehmen in Euro- Nathalie ­Loiseau zu entscheidenden Punkten, die Frau pa und der Versuch, die Augenhöhe mit internationalen Kramp-Karrenbauer aufgeschrieben hat. Meine Damen Konzernen aus Amerika und den asiatischen Märkten zu und Herren, Sie sind zu still und lassen die falschen Leu- erreichen, mit Blick auf ein altes Wettbewerbsrecht im- te reden. Das ist nicht gut. mer wieder verhindert werden. Einzelne Unternehmen – egal ob das Siemens oder Alstom im Bereich der Zug- (Beifall bei der FDP) verkehre ist – sind alleine nicht mehr wettbewerbsfähig Sie sind zu spät bei der Migration. Wir haben es gera- in der Welt, sondern müssen zusammenarbeiten, wenn de von der Bundeskanzlerin gehört. Wir brauchen einen sie erfolgreich sein wollen und Arbeitsplätze in Europa Verteilungsschlüssel in Europa, hat sie gesagt. Meine Da- sichern sollen. Aber wer das verbietet, der hat noch nicht men und Herren, wer war es denn, der über Jahre eine erkannt, wie die neue Aufstellung in der Welt und die Reform des Dublin-Systems angemahnt hat? Es waren Wettbewerbssituation sind. die Italiener, es waren die Griechen, es waren fairerwei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- se die Grünen, und es waren wir Liberale. Wir wussten, ordneten der SPD) wenn es einmal zu einer großen Krise kommt, dann wird Dublin nicht halten. Wer hat es verhindert? Wer hat 2013, Ein Hinweis: Europa ist eine Wertegemeinschaft. als bei Lampedusa Hunderte Menschen ertrunken sind, Dennoch argumentieren immer sehr viele der Befürwor- gesagt, das sei ein italienisches Problem? Es war der ter der EU mit rationalen Argumenten: mit dem freien Innenminister der Union, Hans-Peter Friedrich. CDU/ Warenverkehr, dem gemeinsamen Wirtschaftsraum und CSU, aber auch Otto Schily haben es immer verhindert, vielen anderen Dingen mehr. Die Gegner, auch die Bre- dass wir bei Dublin die Reformschritte gehen konnten, xiteers in Großbritannien, argumentieren emotional mit die in der Vergangenheit zwingend notwendig gewesen falsch verstandenem Patriotismus und erzählen von wären. Im Frühjahr 2015 war Thomas de Maizière immer Ängsten und vielem mehr. noch gegen einen Verteilungsschlüssel, und – oh Wun- Ich glaube, wir dürfen die emotionale Seite Europas der, oh Wunder – im Herbst 2015 hat derselbe Thomas schlichtweg nicht den Radikalen überlassen. Wir haben de Maizière alle zu schlechten Europäern erklärt, die im allen Grund, stolz auf dieses Europa zu sein. Wir haben Rat in Luxemburg dem Verteilungsschlüssel nicht zuge- einen Kontinent des Krieges zu einem Kontinent des stimmt haben. Das ist keine vorausschauende Europapo- (B) (D) Friedens und der Freiheit entwickelt, auf Basis gemein- litik. Das ist schlechte Europapolitik, mit der wir unseren samer christlich-abendländischer Werte. Es ist der Auf- Kontinent spalten, meine Damen und Herren. trag für die Zukunft, diese Wertegemeinschaft nicht als (Beifall bei der FDP) Zweckbündnis zu verstehen, sondern als gemeinsamen Kulturraum, der sich weiterentwickeln will. Diejenigen, Und dann stören Sie den Multilateralismus, den Sie zu die das so verstehen, sind überzeugte Europäer, meine Recht im Munde führen. Die Begeisterung in München Damen und Herren. kannte keine Grenzen, Frau Merkel. Für die Flüchtlings- politik habe ich das gerade dargelegt, aber in der Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- heitspolitik ist es auch so. Es gibt einen Streit; ja. Die ordneten der SPD und des Abg. Dr. Stefan SPD bestreitet, dass das 2‑Prozent-Ziel für die NATO Ruppert [FDP]) verbindlich sei. Aber was Sie bisher nicht bestritten ha- ben, ist, dass Wales ganz klar eine Verpflichtung bein- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: haltet, sich Richtung 2 Prozent zu bewegen. Der aktuelle Alexander Graf Lambsdorff, FDP, ist der nächste Red- Bundeshaushalt bewegt sich jedoch vom 2‑Prozent-Ziel ner. weg. Ich zitiere einmal eine amerikanische Stimme: Deutschlands Weigerung, seinen Verpflichtungen nach- (Beifall bei der FDP) zukommen, gefährdet nicht nur die eigene, also die deutsche Beziehung zu den USA, sondern die Europas Alexander Graf Lambsdorff (FDP): insgesamt. – Das, meine Damen und Herren, sagt nicht Vielen Dank, Herr Präsident. – Was für schwere Zei- Donald Trump, auch nicht sein Botschafter, sondern das ten für Europa, was für schwere Zeiten für die Europapo- sagt die „New York Times“. Das sind die Demokraten in litik. Es ist wirklich bedauerlich, dass in dieser Zeit die den USA, die wir als Freunde betrachten. Die sehen das Bundesregierung als Motor Europas ausfällt: Sie ist still genauso. Unsere Politik der Austrocknung der NATO, bei Macron, sie ist zu spät bei der Migration, und sie stört der Nichterfüllung unserer Verpflichtungen gefährdet den Multilateralismus. Auf Macron antwortet nicht etwa, den Multilateralismus. wie sich das gehören würde, die Frau Bundeskanzlerin, (Beifall bei der FDP) sondern Annegret Kramp-Karrenbauer, die neue Vorsit- zende der Christlich Demokratischen Union, aber mit Meine Damen und Herren, die Regierung ist zu still. einem Text, meine Damen und Herren, der nicht in der Sie kommt zu spät. Sie stört den Multilateralismus. Ich Tradition der CDU steht. Da wird Abwegiges präsen- habe nur eine Hoffnung im Hinblick auf diesen Rat: tiert, beispielsweise ein Flugzeugträger und altbackene Wenn Theresa May in diesen schweren Zeiten für Eu- 10500 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Alexander Graf Lambsdorff (A) ropa um eine Verlängerung bittet, dann geben Sie ihr die und es Ihnen nicht nur um die Macht und Herrn Weber (C) Verlängerung nur dann, wenn sie klar sagt, wohin das als nächsten Kommissionspräsidenten geht. Von seinem Vereinigte Königreich will. Einen Blankoscheck auszu- schönen Filmchen haben wir heute schon gehört. stellen, die Europäische Union noch über Jahre zu be- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr lasten mit einer offenen, ungelösten Frage, die im House gute Entscheidung!) of Commons nicht gelöst werden kann, wäre der falsche Weg für unseren Kontinent. Seien Sie an der Stelle bitte Für Europa ist auch auf die Konservativen in Groß- konsequent. britannien kein Verlass. Ich finde es mittlerweile einfach tragisch, dass die Regierungschefin May immer noch Herzlichen Dank. nicht bereit ist, ihr Land über ihre Partei zu stellen. (Beifall bei der FDP) (Andrea Nahles [SPD]: Ja, das ist richtig! Das stimme ich Ihnen absolut zu!) Vizepräsident : Ich kann es überhaupt nicht nachvollziehen, dass eine Vielen Dank. – Nächste Rednerin für die Fraktion konservative Regierungschefin bis zur letzten Sekunde Bündnis 90/Die Grünen ist Dr. Franziska Brantner. sagt: Meine Partei ist aber wichtiger als dieses Land, als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Europa, als alles, was wir zusammen aufgebaut haben. (Andrea Nahles [SPD]: Ja, richtig!) Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist verantwortungslos. Das dürfen Sie ihr nicht NEN): durchgehen lassen. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch nach dieser Debatte und nach dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regierungserklärung ist wieder einmal klar: Aufbruch sowie bei Abgeordneten der SPD – Andrea für Europa ist und bleibt die Fata Morgana dieser Bun- Nahles [SPD]: Richtig!) desregierung. Der Brexit darf nicht dazu führen, dass wir selber kei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ne Zukunftsdebatten führen. Wir müssen in Europa hand- lungsfähiger werden. Wir wissen alle, ein Weg dahin ist Frau Merkel, Herr Scholz, man kann Europa auch die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip bei der Außen- durch Nichtstun kaputtmachen. Ich nenne Ihnen ein kon- und Sicherheitspolitik, aber auch bei Steuerfragen. Herr kretes Beispiel. Sie werden auf dem Gipfel auch über Scholz könnte dann vielleicht noch schneller vorankom- den nächsten EU-Haushalt reden. Hier gibt es eine Fra- men. Deswegen beantragen wir heute: Abkehr vom Ein- (B) (D) ge: Wie viel Geld aus diesem Haushalt soll dem Klima- stimmigkeitsprinzip hin zu qualifizierter Mehrheit bei schutz dienen? Frankreich fordert 40 Prozent, die Bun- der Außen- und Sicherheitspolitik sowie bei Steuerfra- desregierung sagt: 25 Prozent. Das ist das Ausbremsen gen. Alle haben sich dazu bis jetzt positiv geäußert. Des- des Klimaschutzes durch diese Bundesregierung. Das wegen sind wir sicher, dass wir gleich eine große Mehr- bringt Europa nicht voran, sondern gefährdet die nächs- heit in diesem Haus erfahren werden. Wir wollen Europa ten Generationen. handlungsfähig machen. Das haben Sie immer gesagt. Jetzt können Sie auch beweisen, dass Sie dafür sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke Ihnen. Bei dieser Verweigerung wundere ich mich, dass die Schülerinnen und Schüler nur einen Tag streiken und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht die ganze Woche. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vizepräsident Thomas Oppermann: [CDU/CSU]: Das ganze Jahr!) Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Paul Ziemiak für die Fraktion der CDU/CSU. Jetzt geht es um Orban, Europa und Demokratie. Die EVP hat die Suspendierung von Fidesz beschlossen. Das (Beifall bei der CDU/CSU) ist ein politischer Trick. Aber das eigentlich Krasse sind die drei Kriterien: Du sollst dich bei deinen Parteifreun- Paul Ziemiak (CDU/CSU): den entschuldigen. Du sollst aufhören, Herrn Juncker Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- auf Plakaten böse zu machen. Du sollst eine bayerische ren! Alex Dobrindt hat gerade genau richtig gesagt: Es Rettung deiner Uni zulassen. – Hören Sie sich einmal in geht in Europa in Zukunft nicht nur um die Frage des Ungarn um: Was wollen die Menschenrechtsaktivisten? Ob, sondern auch um die des Wie. Die übergroße Mehr- Sie wollen Pressefreiheit, Pressefreiheit, Pressefreiheit. heit in diesem Haus sagt Ja zu Europa. Wir sollten daher Sie wollen Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, diskutieren, wie wir in Zukunft dieses Europa gestalten. Wissenschaftsfreiheit. Und sie wollen eine freie Zivil- Wie wir es nicht gestalten wollen, sehen wir am Beispiel gesellschaft. Das müssten die Kriterien Ihrer Partei sein, Großbritanniens und am Chaos, das dort durch Men- wenn Sie es mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schen, die vor dem letzten Referendum falsche Verspre- ernst meinen chen machten, hinterlassen wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann bei sowie bei Abgeordneten der LINKEN) allen Fraktionen die Aufregung über die Vorschläge von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10501

Paul Ziemiak (A) Annegret Kramp-Karrenbauer verstehen. Es ist für jeden Paul Ziemiak (CDU/CSU): (C) Generalsekretär einer anderen Partei ärgerlich, dass die Herr Präsident, ich muss fortfahren, damit auch die Union schon wieder die erste Partei ist, die mit inhaltli- Abgeordneten der Linken die Möglichkeit haben, das al- chen Vorschlägen für die Zukunft der Europäischen Uni- les in einen geordneten Zusammenhang zu bringen. on kommt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS- SPD und der FDP – Christian Petry [SPD]: SES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-­ Das ist doch gar nicht wahr!) Brömer [CDU/CSU]: Damit sie das verstehen können!) – Ja, das ist doch so. Es ist doch selbstverständlich. Was haben Sie denn gemacht? Was war denn die Debatte der Sonst werden sie von den einzelnen Zwischenfragen ab- letzten Tage nach diesen Vorschlägen? Das geht nicht, gelenkt, die uns bei der Europapolitik aus dem Konzept das passt uns nicht, das könnte noch besser sein. Aber bringen. Es ist so! von Ihnen – von der SPD, von den Linken, von den Grü- Jetzt kommen wir zum zweiten Punkt, zum Freihan- nen, auch von der FDP; von der AfD brauche ich gar del. Wir haben eine klare Position zum Thema Freihan- nicht zu sprechen – habe ich keinen einzigen Vorschlag del. Herr Hofreiter, Sie bedauern jetzt die Politik von gehört. Donald Trump. Sie sind, als wir mit Barack Obama ein (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Doch!) Freihandelsabkommen schließen wollten, bei den De- monstrationen gegen TTIP mitgelaufen. Meine Damen und Herren, wir erleben die ganze Zeit eine Debatte, in der gesagt wird: Frau Bundeskanzlerin, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) machen Sie dieses oder jenes. Ich gebe Ihnen recht, dass Und jetzt bedauern Sie das, was Sie selbst mit Ihrer Po- Europa auch nach Berlin, nach Deutschland schaut, weil litik, mit dem Schüren von Vorurteilen und der Drohung, wir ein Hort von Stabilität in der Europäischen Union dass Chlorhühnchen nach Deutschland einwandern und sind. Das hat mit der Arbeit dieser und auch der letzten alles bevölkern, verhindert haben. Bundesregierung zu tun, und vor allem ist es das Ver- dienst – das will ich ganz deutlich sagen – von Bundes- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE kanzlerin Angela Merkel, die in manchen Stunden diese GRÜNEN]: Herr Ziemiak ist inzwischen Büt- Europäische Union mit kluger, weiser und weitsichtiger tenredner geworden!) Politik zusammengehalten hat. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns auch über (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sicherheitspolitik sprechen. Wir sagen: Ja, wir brauchen (B) einen europäischen Sicherheitsrat, mehr gemeinsame Si- (D) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage cherheitspolitik, zu den Vorschlägen von Annegret Kramp-Karrenbauer: Lassen Sie uns, wenn wir über Klimaschutz sprechen, (Zuruf des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜND- darüber nachdenken, einen europäischen Klimapakt zu NIS 90/DIE GRÜNEN]) machen und nicht ideologische Politik. Schutz der EU-Außengrenzen und natürlich auch ge- Ich habe übrigens einmal geguckt, was Sie von der meinsame Rüstungsexporte. Die SPD begeht einen AfD für Vorschläge haben. Im Grundsatzprogramm der schweren Fehler, indem sie das Sicherheitsbedürfnis der AfD steht auf Seite 156: Menschen in Europa gegen die Frage der sozialen Si- cherheit ausspielt. Kohlendioxid (CO ) ist kein Schadstoff, sondern ein 2 (Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch Unsinn, was unverzichtbarer Bestandteil allen Lebens … Sie da reden!) Je mehr es davon … gibt, umso kräftiger fällt das Das ist nicht redlich, das wird nicht helfen; denn die Pflanzenwachstum aus. Menschen wollen beides: Sicherheit im Sozialen, aber So viel zu Ihrer Einstellung zum Thema Klimaschutz und auch Sicherheit in der Zusammenarbeit der Sicherheits- behörden bei der Bekämpfung von Terror und organisier- CO2. ter Kriminalität in Europa. Ich bin kein Freund von Schulschwänzen und Demons­ trationen. Trotzdem hätte es Ihnen vor dem Schreiben des (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Grundsatzprogramms nicht geschadet, dort mitzugehen Zurufe von der SPD) und ein bisschen frische Luft zu schnappen. Bevor Sie – Ja, das wissen Sie. Ich habe den wunden Punkt getrof- so einen Quatsch in Ihr Grundsatzprogramm schreiben, fen. Danke für die Bestätigung! müssen Sie die Dinge auch mal im größeren Zusammen- hang sehen. (Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt komme ich natürlich auch noch zu Christian Lindner. Christian Lindner sagt: Die Konjunktur trübt sich ein, wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit stär- Vizepräsident Thomas Oppermann: ken, die Wirtschaft – ich glaube, so haben Sie es gesagt – Herr Ziemiak, gestatten Sie eine Zwischenfrage des wetterfest machen. – Sie haben jetzt ganz tolle Forderun- Kollegen Liebich? gen nach – unterm Strich – mehr sozialer Marktwirtschaft 10502 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Paul Ziemiak (A) aufgestellt. Das unterstütze ich. Aber Sie treten mit Ihrer Ich sage Ihnen eines: Ich hätte mir gewünscht, dass die (C) Partei mit den Vorschlägen von Macron bei der Wahl Spitzenkandidatin der SPD etwas zu den Vorkommnissen zum Europäischen Parlament an, Sie machen mit ihm in Rumänien sagt, gemeinsame Sache. (Beifall des Abg. [CDU/ (Christian Lindner [FDP]: Stimmt gar nicht!) CSU]) Sie wollen einen einheitlichen europäischen Mindest- zu der Regierung dort, zur Korruption, zur Aufweichung lohn, des Rechtsstaats. (Christian Lindner [FDP]: Stimmt gar nicht! – Christian Dürr [FDP]: So einen Quatsch er- Vizepräsident Thomas Oppermann: zählt er!) Sie müssen jetzt Ihren Schlusssatz sagen, Herr die Aufweichung des europäischen Wettbewerbsrechts, Ziemiak. Sie haben schon eine Minute überzogen.

(Christian Lindner [FDP]: Stimmt gar nicht!) Paul Ziemiak (CDU/CSU): eine einheitliche europäische Grundsicherung, Ja, Herr Präsident. – Ich hätte mir gewünscht, dass sich die SPD mal von den Leuten distanziert, mit denen (Christian Lindner [FDP]: Stimmt gar nicht!) sie gemeinsam Europawahlkampf macht und im Euro- ein milliardenschweres, von einigen Ländern nicht zu fi- päischen Parlament zusammenarbeiten will, die korrupt nanzierendes Euro-Zonenbudget sind und den Rechtsstaat aufweichen. (Christian Lindner [FDP]: Stimmt gar nicht! – Vielen Dank, Herr Präsident. Christian Dürr [FDP]: Das Euro-Zonenbud- get haben Sie mit ihm vereinbart! Das ist ja (Beifall bei der CDU/CSU) lächerlich!) Vizepräsident Thomas Oppermann: und die Aufweichung der Maastricht-Kriterien, um die Gelbwesten in Schach zu halten. Lieber Christian Stefan Liebich hat eine Kurzintervention angemeldet. Lindner, wenn Sie das wollen, was Sie heute hier gesagt Ich erteile ihm das Wort. haben – das können Sie machen –, dann müssen Sie bei der Europawahl nicht FDP wählen, sondern die Union; Stefan Liebich (DIE LINKE): denn sie steht für Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit. Lieber Paul Ziemiak, ich wollte Sie jetzt nicht mit (B) (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Petry meiner Zwischenfrage aus dem Konzept bringen. Das ist (D) [SPD]: Das ist ja Kreisparteitag der CDU! – ein ganz normales parlamentarisches Mittel. Aber wenn Christian Lindner [FDP]: Absurder Quatsch! – Sie sie nicht zulassen wollen, dann mache ich das jetzt Christian Dürr [FDP], an die CDU/CSU ge- eben auf dem Wege der Kurzintervention. wandt: Ihr Generalsekretär ist wirr!) Sie unterliegen einem Irrtum, wenn Sie glauben, dass Meine sehr verehrten Damen und Herren, Werte sind die massive Kritik an Annegret Kramp-Karrenbauers hier angesprochen worden. Werte sind das, was uns in Antwort auf Herrn Macron dem Neid der anderen Par- der Europäischen Union zusammenhält, auch mit Blick teien geschuldet ist. Die Kritik basiert tatsächlich auf in- auf den Populismus und die Leute, die nicht für Euro- haltlichem Widerspruch. Über den Flugzeugträger ist ja pa sind. Ich hätte mir aber gewünscht, dass Katarina schon eine Weile geredet worden. Ich will hier aber etwas Barley – leider ist sie nicht mehr da – als Spitzenkandi- anderes ansprechen. datin der SPD bei der Europawahl die Debatte über den Wir üben natürlich auch massive Kritik an der Euro- nächsten Europäischen Rat verfolgt. päischen Union, wie sie jetzt ist; aber es gibt eine Sache, (Katja Mast [SPD]: Unverschämtheit! – die wirklich alle gut finden: Das sind die offenen Gren- Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Das müssen ge- zen in der Europäischen Union. Und dann lesen wir, dass rade Sie erwähnen! Das ist ja peinlich! Wo ist Annegret Kramp-Karrenbauer sagt, dass die Einzigen, denn die Kanzlerin?) denen sie nutzen würden, Kriminelle sind. – Sie ist ja beim Europäischen Rat, und sie ist nicht die (Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das ist Spitzenkandidatin. doch Unsinn! Das hat sie nie gesagt!) Da würde ich schon gerne wissen, was Sie davon halten. Vizepräsident Thomas Oppermann: Das ist eine massive Absage an das Beste, was die EU Herr Ziemiak, Sie müssen langsam zum Schluss kom- bietet, und da bin ich an Ihrer Position interessiert. men. (Beifall bei der LINKEN)

Paul Ziemiak (CDU/CSU): Paul Ziemiak (CDU/CSU): Ist Frau Barley wieder auf einer Demo gegen die Bun- Herr Kollege, vielen Dank für Ihren Hinweis. Er gibt desregierung, oder was? mir die Möglichkeit, Folgendes auszuführen: Natürlich (Beifall bei Abgeordneten der AfD) ärgern Sie sich anders als die anderen. Die anderen Par- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10503

Paul Ziemiak (A) teien ärgern sich, dass Annegret Kramp-Karrenbauer in- Wenn wir offene Grenzen wollen, dann müssen wir (C) haltliche Vorschläge gemacht hat, die gut sind, doch unsere Sicherheitsbehörden unterstützen, dann müssen wir doch die Sicherheitsbehörden in Europa ver- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN netzen, um mehr Sicherheit zu schaffen; denn am Ende sowie bei Abgeordneten der SPD) wird doch Freiheit nur mit Sicherheit funktionieren. und das auf unser Konto einzahlt. Dazu müssen wir die Außengrenzen der Europäischen Union und innerhalb – – (Ulli Nissen [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!) Vizepräsident Thomas Oppermann: Das verstehe ich ja. Bei Ihnen ist ja eine noch größere – – Herr Ziemiak, Sie haben großzügigen Gebrauch von (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ihrer Redezeit gemacht und haben jetzt auch die Rede- Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE zeit bei Ihrer Kurzintervention schon um fast eine Minute GRÜNEN]: Da müssen Sie ja selber lachen!) überschritten. Ich bitte Sie jetzt, Ihren Schlusssatz zu sa- – Kommen Sie! Diese Nervosität ist schon irre. gen. Sonst muss ich Ihnen das Mikro abdrehen. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (CDU/CSU): Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Die ist Paul Ziemiak einseitig! – Zurufe von der SPD) Sie wissen, dass es richtig ist, dass wir mehr Sicher- heitszusammenarbeit brauchen. Trotzdem stehen wir für – Soll ich Sie mal ins Konrad-Adenauer-Haus einladen? Schengen. Das ist das, was wir wollen: ein starkes Schen- (Zurufe von der SPD: Nee, danke!) gen, Freiheit im Innern, aber eben keine naive Politik. Dann können wir gemeinsam weiterdebattieren. Ich bin (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Lindner zwar jung und neu im Amt und habe noch nicht so viel [FDP]: Ausgerechnet der sagt was von Polen! Erfahrung als Generalsekretär; aber zu einer guten Kam- Ausgerechnet der!) pagne kann ich Ihnen den einen oder anderen guten Rat- schlag geben, und Sie werden uns vielleicht auch dabei Vizepräsident Thomas Oppermann: helfen, dass sie für uns erfolgreich ist. Nun hat Herr Detlef Seif für die Fraktion der CDU/ Jetzt zu Ihrer Frage. Ich glaube, bei Ihnen ist das Är- CSU das Wort. gernis noch viel größer. Schauen Sie sich Ihren letzten Parteitag an: Die Linke hat ein grundsätzliches Problem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) mit der EU. Sie schreiben ja selber: Wir wollen diese Eu- (D) ropäische Union nicht. – Ich schätze Sie ja persönlich; Detlef Seif (CDU/CSU): aber Ihre Partei gehört nicht zur Gruppe derer, die ein Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! starkes Europa wollen, Meine Damen und Herren! Auch wenn Großbritannien (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Doch! Aber die Europäische Union verlassen wird, so bleibt es doch jetzt die Antwort!) auf der Landkarte in Europa ein wichtiges Land, ein wichtiger Partner. Wir als Deutschland haben genauso sondern zu denen, die die Europäische Union schwächen wie die Europäische Union ein ureigenes Interesse daran, wollen. Deswegen unterhalten wir uns auf ganz unter- dass auch zukünftig das Verhältnis freundschaftlich, eng schiedlichen Ebenen. und konstruktiv ist. Es kann doch niemand ein Interes- Jetzt sage ich Ihnen etwas zu den offenen Grenzen und se daran haben, dass dieses Land die Europäische Union zu Schengen. Sie müssen mal rausfahren, Sie müssen ohne ein Austrittsabkommen verlässt. Das würde zu Ver- mal nach Brandenburg fahren. werfungen und zu Unsicherheiten führen. (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem Der wichtigste Punkt – das ist wirklich der Knack- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) punkt – ist die Entwicklung in Nordirland, der Friedens- prozess. Es ist kaum vorstellbar, aber falls es zu einem – Na ja! Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob harten Brexit kommt, falls es zu Auseinandersetzungen das für die Menschen so lustig ist, die an der deutsch-pol- kommt, könnte in den nächsten Jahren der bewaffnete nischen Grenze wohnen und Opfer von Diebstählen wer- Konflikt dort wiederaufleben. Wir alle haben ein höchs- den und das Gefühl haben, dass es nicht genug Landes- tes Interesse daran, eine derartige Entwicklung zu ver- polizei in Brandenburg gibt, wo übrigens ein Teil von meiden. Ihnen regiert. Was bei einigen Redebeiträgen nicht klar wird: Die (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie sind EU ist bei den Verhandlungen bis an die Grenze des jetzt gegen Schengen, oder was? – Christian Machbaren gegangen. Ich würde sogar teilweise von Lindner [FDP]: Unglaublich! Ausgerechnet Rosinenpickerei reden, wenn es um die Notfalllösung Sie!) für Nordirland geht. Man ist sogar bereit, den Zugang Darum geht es doch: Die Menschen wollen offene Gren- zum Binnenmarkt für Nordirland teilweise zu öffnen. Es zen – gar keine Frage! –; aber wir erleben doch, dass Kri- ist unverständlich und sehr enttäuschend, dass gerade minalität über Grenzen hinweg auftritt, dass organisierte Theresa May, die maßgeblich Einfluss auf dieses Aus- Kriminalität grenzübergreifend ist. trittsabkommen hat – viele Punkte entsprechen genau 10504 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Detlef Seif (A) ihrem Willen –, es nicht geschafft hat, hierfür eine Mehr- Blick auf den liberalen Partner in Rumänien, der an die- (C) heit im britischen Unterhaus zu organisieren. ser unsäglichen sozialdemokratisch – – Jetzt der Antrag: kurze Verlängerung bis Juni 2019. (Christian Lindner [FDP]: Die FDP hat den Aber wofür? Im Brief an Donald Tusk führt sie aus: Wir Ausschluss schon beantragt!) haben noch nationalen Umsetzungs- und Anpassungsbe- – Auf der ALDE-Homepage finden Sie dazu keinen Hin- darf für den Fall, dass das Austrittsabkommen angenom- weis und die ALDE Rumänien ist bei Ihnen als Mitglied men werden sollte. – Grundsätzlich ist der Vorschlag von geführt. Tusk, einer kurzen Verlängerung zuzustimmen, wenn das britische Parlament das Abkommen in der nächsten (Christian Lindner [FDP]: Wir haben den Aus- Woche annimmt, richtig und, ich denke, auch zielfüh- schluss bereits beantragt! Es läuft! Hört doch rend. Aber warum geben wir den Briten an der Stelle mal zu! Wir haben den Ausschluss beantragt nicht noch ein paar Tage mehr Zeit, und zwar bis zum und haben unsere Katalanen ausgeschlossen!) 11. April? Ich sage auch, wie ich darauf komme. Die Frist Auch die europäische SPD wäre gut beraten, das, was sollte in einem ersten Schritt bis zum 11. April verlängert wir gestern in einer schweren und auch für viele sehr an- werden und nur unter der Bedingung, dass dann ein Aus- strengenden, auch emotional sehr anstrengenden Debatte trittsabkommen vorliegt, bis einschließlich zum 22. Mai im EVP-Vorstand beschlossen haben, auch in der SPE 2019, dem Tag vor dem Beginn der Europawahl. nachzuvollziehen. Gleiches gilt für die ALDE. Wenn Eine Verschiebung des Austrittsdatums bis Ende 2019 man mit dem Finger auf jemanden zeigt, weisen immer oder darüber hinaus kommt nur in Betracht, wenn sich mindestens drei auf einen zurück. Großbritannien an den Europawahlen, also an den Wah- (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Lindner len zum Europäischen Parlament, beteiligt. Nach Infor- [FDP]: Wir haben unsere Katalanen ausge- mationen, die ich aus Großbritannien habe, ist es so: Der schlossen!) Wahlleiter muss spätestens zum 12. April 2019 die öf- fentliche Wahlbekanntmachung umgesetzt haben. Das ist Ich möchte an dieser Stelle auf einen Aspekt des eu- eine absolut rote Linie. Wir müssen vermeiden, dass der ropäischen Gipfels eingehen, der meines Erachtens von politische Stillstand, die Unruhe und die innenpolitische großer Wichtigkeit ist. Der Europäische Rat wird auch Krise des Landes in die EU getragen werden. Beteiligt den EU-China-Gipfel vorbereiten, der am 9. April be- sich Großbritannien nicht an den Wahlen, ist das Parla- vorsteht. Ich glaube, dass die Europäische Union bisher ment unvollständig und damit zunächst falsch besetzt. nicht ausreichend auf die Herausforderung „China“ vor- Die Konsequenz wäre rechtliche Unsicherheit. Eventuell bereitet ist. Ich glaube, dass die Europäische Union rasch eine eigene und geschlossene Strategie im Umgang mit (B) wären sogar Neuwahlen erforderlich. Jedenfalls würde (D) sich die Wahl der EU-Kommission deutlich verzögern. China braucht, um mit den Chancen aus den wachsenden Die EU-Institutionen wären vorübergehend handlungs- Beziehungen zu China, aber natürlich auch mit den He- unfähig. Das Ergebnis wäre letztlich eine deutliche Zu- rausforderungen geschickt umzugehen. Ich begrüße, dass nahme der Politikverdrossenheit und Wahlverdrossenheit die Europäische Kommission in der vergangenen Woche in ganz Europa. ein Strategiepapier vorgelegt hat, das einige Punkte ganz zentral benennt, die in China sicherlich nicht unbedingt Es ist sehr bedauerlich, dass Populisten es geschafft völlige Begeisterung auslösen, die wir aber klar benen- haben, das schädliche und völlig überflüssige Brexit-Ver- nen müssen. fahren auf den Weg zu bringen. Wir dürfen aber keines- falls zulassen, dass diese politische Idiotie auf die Euro- China betreibt etwas, das ich als smarten Imperia- päische Union überschwappt und zu einem europäischen lismus bezeichnen möchte. China hat enorme finan- Populismusförderprogramm wird. zielle Ressourcen, und China setzt diese finanziellen Ressourcen ein, um auf dem Weg eines ein Stück weit Vielen Dank. unfairen Wettbewerbs in Europa wirtschaftlichen Bo- den zu gewinnen und in Schlüsseltechnologien zu ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und langen. 950 Milliarden Dollar werden in die sogenannte der SPD – Zuruf von der AfD: Begeisterung!) Seidenstraße investiert. Die Staaten, die Partner Chinas sind und sich darauf einlassen, bekommen Verträge als Vizepräsident Thomas Oppermann: PDF zugeschickt. Sie können dann nur noch das Datum Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der einsetzen und unterschreiben. In vielen dieser Verträge Kollege Jürgen Hardt für die CDU/CSU. verpflichten sich die Partner Chinas beispielsweise dazu, dass Menschenrechtsfragen zwischen dem starken China (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und dem jeweiligen Partnerstaat zukünftig nicht mehr an- gesprochen werden. Jürgen Hardt (CDU/CSU): Ich glaube, wir müssen offen darüber diskutieren, dass Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich China mit seiner Wirtschaftsstrategie auch ganz klar po- möchte zunächst an die Adresse von Christian Lindner litische Ziele verfolgt und dass China ein Problem mit sagen, dass wir gestern in der EVP eine vollständige der Achtung internationalen Rechts hat, was wir beim Suspendierung aller Mitgliedsrechte von Fidesz in der Zugang zu den Weltmeeren sehen. Als China mit einem EVP beschlossen haben und dass diese Entscheidung für Kriegsschiff durch den Englischen Kanal Richtung Ost- die ALDE-Fraktion und die ALDE-Partei in Europa mit see fuhr, hat die britische Regierung gesagt: Das ist ja in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10505

Jürgen Hardt (A) Ordnung. Aber wie ist das eigentlich, wenn wir bei euch Keine bürokratischen Belastungen bei der (C) in China mit einem Kriegsschiff fahren? Darauf haben Grundsteuerreform zulassen die Chinesen geantwortet: britische Hoheitsgewässer, britisches Recht, chinesische Hoheitsgewässer, chinesi- Drucksache 19/8544 sches Recht. Das ist eine klare Missachtung des interna- Überweisungsvorschlag: tionalen Rechts, und dies geschieht auch bei vielen ande- Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie ren Dingen. Das muss uns klar sein. Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- Ich glaube auch, dass die Industriestrategie der Euro- munen päischen Union darauf ausgelegt sein sollte, dass wir in Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für bestimmten Schlüsselbereichen sicherstellen, dass sich die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich diejenigen, die die Technologie herstellen und anbieten, keinen Widerspruch. Deshalb ist so beschlossen. an die europäische Rechtsordnung halten müssen. Ich würde mir wünschen, dass wir etwa im Bereich von 5G Wenn die Bewegungen im Plenum beendet sind, wür- bei Hard- und Software auf europäische Partner zurück- de ich gerne mit der Aussprache beginnen. Wer das Ple- greifen können. Dies alles sollte innerhalb der EU und num verlassen möchte, der möge auch bitte gehen und vor allem in Vorbereitung auf diesen Gipfel der EU und hier keine Gespräche fortsetzen. China, der am 9. April stattfindet, diskutiert werden. Wir Ich rufe den ersten Redner in der Debatte auf. Das sollten mit einer klaren gemeinsamen Linie in diesen Wort hat der Kollege Kay Gottschalk von der AfD. Gipfel gehen. In diesem Sinne möchte ich die Bundesre- gierung ermutigen, das zu tun. (Beifall bei der AfD) Herzlichen Dank. Kay Gottschalk (AfD): (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Lie- be Grundsteuerzahler, liebe Mieter, liebe Eigentümer – Vizepräsident Thomas Oppermann: das sind Sie alle, die Sie hier auf den Tribünen sitzen! Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht Die Grundsteuer bezahlt so gut wie jeder Bundesbürger vor. Deshalb beende ich die Aussprache über die Regie- entweder als Mieter über eine Umlage oder als Eigen- rungserklärung zum Europäischen Rat. nutzer einer Immobilie. Diese Steuer ist also von hoher Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger unseres Lan- Wir haben noch Abstimmungen über Entschlie- des. Darum frage ich mich, ob dieser Grundsteuerreform- ßungsanträge, und zwar über den Entschließungsantrag marathon, der in der politischen deutschen Nachkriegs- (B) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa- geschichte wohl einmalig ist, jemals ein Ende gefunden (D) che 19/8605. Ich frage: Wer stimmt für diesen Entschlie- hätte, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht völlig zu ßungsantrag? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Recht die aktuellen Regelungen zu den Einheitswerten nen. Wer stimmt dagegen? – Das ist der Rest des Hauses. für verfassungswidrig erklärt hätte. Wie so häufig muss- Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. te das Bundesverfassungsgericht Politik machen, weil Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Sie alle, die Sie schon länger hier sitzen, reformunwillig Grünen auf Drucksache 19/8606. Wer stimmt für diesen sind, meine Damen und Herren. Entschließungsantrag? – Diesmal Bündnis 90/Die Grü- (Beifall bei der AfD) nen und die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der FDP gegen die Bei der kalten Progression war es ebenso, genauso wie Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion bei der Gewerbeertragsteuer. Die Linke ist damit der Antrag von der Mehrheit des Meine Damen und Herren Minister, ich frage Sie ganz Hauses abgelehnt. direkt: Wie reformunfähig ist diese Regierung eigent- Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b lich? Reformunfähigkeit lässt sich gerade am Beispiel auf: der Grundsteuer hervorragend untermauern. Seit über 25 Jahren, liebe Bürgerinnen und Bürger, wird nun über a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kay eine Reform der Grundsteuer diskutiert. Es wurde über Gottschalk, Stefan Keuter, Franziska Gminder, die Zeit eine ganze Palette von unterschiedlichen Model- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD len diskutiert. Doch letztlich scheiterten sie alle, da es am Abschaffung der Grundsteuer Ende für viele Länder zu unakzeptablen Verschiebungen im Länderfinanzausgleich gekommen wäre. Drucksache 19/8556 Überweisungsvorschlag: Auch beim neuesten Versuch, eine Reform der Grund- Finanzausschuss (f) steuer herbeizuführen – wobei Herr Scholz keine gute Ausschuss für Wirtschaft und Energie Figur abgibt, ähnlich wie bei der Fusion von Commerz- Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- bank und Deutsche Bank –, wird ein Argument sein, dass munen sich ein Bundesland – in diesem Fall Bayern – gegen Haushaltsausschuss die Reform sperrt. 600 Millionen Euro mehr müssten b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus die Bayern als größter Nettozahler im Länderfinanzaus- Herbrand, Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, gleich berappen. Ihre Kritik ist für mich völlig nachvoll- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP ziehbar, meine Kollegen von der CSU: Zeigen Sie sich 10506 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Kay Gottschalk (A) hier standhaft! Es ist nämlich das Geld der bayerischen Selbstverständlich wissen wir, dass die Grundsteuer mit (C) Bürger. – Die CSU bringt jetzt in Person von Markus etwa 14 Milliarden Euro Einnahmen eine wichtige Fi- Söder die Möglichkeit von länderspezifischen Regelun- nanzquelle für die Kommunen in Deutschland ist. Aus gen ins Spiel. Er hätte gerne Öffnungsklauseln für die diesem Grund sehen wir die Notwendigkeit einer alterna- Länder, damit jedes Land seine länderspezifischen Be- tiven Steuerquelle mit Hebesatzrecht. Diese Möglichkeit dürfnisse einbauen kann. für Kommunen lässt Artikel 28 Absatz 2 des Grundgeset- zes zu. Einen entsprechenden Antrag dazu reichen wir in Selbst wenn man davon ausgeht, dass die CSU am den kommenden Wochen hier im Plenum ein. Ende wieder mal einknickt, wie das in der politischen Vergangenheit unter Herrn Seehofer viel zu oft passiert Aber, liebe Kollegen: Folgen Sie zuerst unserem ist, ist nicht gesagt, ob die von Olaf Scholz vorgebrach- Antrag! Setzen Sie endlich ein Zeichen gegen die Re- ten Regelungen verfassungsgemäß sind. So schrieb bei- formruine Deutschland! Zeigen Sie, dass endlich wieder spielsweise „Die Welt“ am 1. Februar 2019 – ich zitiere grundsätzliche Reformen im Sinne der Bürger und ihnen mit Erlaubnis des Präsidenten –: dienende Veränderungen möglich sind, mit einer Regie- rung, die sich bisher in allen wesentlichen Punkten, die Das künftige Erhebungsverfahren wird allerdings sie zu bewältigen hat, als reformunwillig gezeigt hat. kompliziert. Dem Eckpunktepapier zufolge müssen etliche Bewertungseigenschaften von Grundstücken (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das und Gebäuden neu ermittelt werden. Vieles davon stimmt doch gar nicht!) ist streitanfällig, und manche Experten zweifeln so- gar an der Verfassungsmäßigkeit. Schaffen Sie mit uns diese unsägliche, unreformierbare Grundsteuer ab, bevor Sie wieder vor dem Verfassungs- Recht haben „Die Welt“ und die vielen Kritiker. Wir hät- gericht landen! ten also mit der möglichen Reform, die gar keine ist, wie- der den Fuß in der Tür des Bundesverfassungsgerichtes. Ich bedanke mich, meine Damen und Herren. Wir als AfD sehen in der Verfassungsmäßigkeit der Re- (Beifall bei der AfD) form die erste Sollbruchstelle. Darüber hinaus sehen wir aber noch zwei weitere große Themenkomplexe. Vizepräsident Thomas Oppermann: Zweitens. Hier im Hohen Haus, gerade von links, wird Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der so oft das Wort „Gerechtigkeit“ in den Mund genommen. Kollege Andreas Jung für die Fraktion CDU/CSU. Ja, „Gerechtigkeit“ ist ein wichtiges Wort in der Politik und auch eine große Währung. Aber leider stellen Sie (Beifall bei der CDU/CSU) (B) sich, liebe Kollegen von der SPD oder von den Linken, (D) leider etwas komplett anderes unter Gerechtigkeit vor, (CDU/CSU): wenn Sie darüber sprechen, als die vielen Menschen da Andreas Jung draußen, die jeden Tag zur Arbeit gehen. Erstens: Wäre Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! es gerecht, dass Mieter oder Eigentümer mehr Steuern Herr Gottschalk, Sie haben in Ihrer Rede eines verges- zahlen, wenn der Wert der Immobilie, in der sie woh- sen zu erwähnen, was Ihr Antrag mit sich bringt: Wenn nen, steigt? Nein. Denn was können sie dafür? Zweitens: dieser Antrag so beschlossen würde, dann würde er den Wäre es gerecht, wenn die Steuer ganz auf den Vermieter Bundeshaushalt 14 Milliarden Euro kosten. abgewälzt wird? Nein. Er hat hart gearbeitet, Einkom- (Corinna Miazga [AfD]: Hat er gesagt! – Udo mensteuer und Grunderwerbsteuer gezahlt. Drittens: Theodor Hemmelgarn [AfD]: Sie müssen zu- Wäre es gerecht, kommunale und genossenschaftliche hören!) Bauträger zu bevorzugen? Nein. Denn damit wären alle Bewohner anderer Immobilien benachteiligt. Es gäbe Der Bundeshaushalt wird vom Steuerzahler finanziert. also „gute Mieter“ und „schlechte Mieter“. Und wie ge- recht ist es eigentlich, dass man im Landkreis Börde null (Stefan Keuter [AfD]: Zuhören! Dann hätten Prozent Grundsteuer zahlt, während man in Nauheim, im Sie es verstanden!) Kreis Groß-Gerau, 960 Prozent bezahlt? Ihr Vorschlag würde den Bundeshaushalt 14 Milliarden Kommen wir zum dritten Problem der ganzen Mise- Euro kosten. Das haben Sie hier mit keinem Wort er- re, zum Verwaltungsaufwand. Mir konnte bis heute noch wähnt. niemand den ganzen Verwaltungsaufwand verlässlich er- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Doch, hat er! Natür- klären. Immerhin müssen 35 Millionen Grundstücke neu lich hat er das!) bewertet werden, und das alle sieben Jahre. Hier muss ein ganz neuer Apparat geschaffen werden. Die FDP – Deshalb ist das, was Sie gemacht haben, nicht billiger hier muss ich ihr mal zustimmen – spricht zu Recht von Populismus, sondern teurer Populismus. einem „Bürokratiemonster“, das geschaffen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Meine Damen und Herren, aus all diesen Gründen der SPD) kommt für uns als AfD nur die Abschaffung der Grund- steuer infrage. Es ist in Ordnung, dass von der Grundsteuer kein Euro in den Bundeshaushalt fließt. Aber genauso ist es richtig, (Beifall bei der AfD – Sebastian Brehm dass der Bundeshaushalt nicht dafür aufkommen muss. [CDU/CSU]: Gegenfinanzierung?) Schon deshalb ist Ihr Vorschlag abzulehnen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10507

Andreas Jung (A) Sie haben jetzt gesagt, Sie wollten vielleicht irgend- Ich habe es eben gesagt: Wir werden ein sehr gut kal- (C) wann noch einen anderen Vorschlag machen. Aber Sie kuliertes Hebesatzrecht, ähnlich wie es das schon in Dä- müssen uns schon nachsehen, dass wir uns mit dem be- nemark gibt, einbringen. Das würde sogar aufkommens- schäftigen, was Sie hier vorgelegt haben. Sie haben ein neutral und gerecht ablaufen. Deswegen haben wir eine Modell vorgelegt, das besagt: Der Bund schafft die Steu- Spanne von 0 bis 200 Prozent eingeräumt. Wollen Sie das er ab und gibt dem Land das Geld. Das Land verteilt es bitte zur Kenntnis nehmen, Herr Kollege! an die Kommunen. – Damit ist das ein Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung. Bisher haben die Kom- Andreas Jung (CDU/CSU): munen ein Hebesatzrecht. Damit haben sie Gestaltungs- spielraum. Herr Gottschalk, wenn Sie zur Kenntnis genommen haben, was ich vorhin gesagt habe, wissen Sie, dass ich (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist darauf hingewiesen hatte, dass Sie damit leben müssen, das! Genau!) dass wir uns hier mit dem zu beschäftigen haben, was Sie Wir bekennen uns zur kommunalen Selbstverwaltung uns als Antrag vorgelegt haben, in dem all das – wie Sie und zu den Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen. ja selber sagten – gar nicht drinsteht. Schon deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der SPD) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Sie haben hier Ihre persönliche Meinung zum Besten ge- GRÜNEN) geben. Ihre Fraktion hat aber etwas anderes beschlossen. Das, was Ihre Fraktion beschlossen hat, würde heißen: Vizepräsident Thomas Oppermann: Die Kommunen wären in diesem Prozess nur noch Zu- Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Jung? wendungsempfänger und nicht mehr aktiver Akteur. Das wollen wir nicht. Wir setzen auf die Kommunen; wir set- zen auf Selbstverwaltung. Stellen Sie doch einfach Ihr Andreas Jung (CDU/CSU): Gerede von „Basisdemokratie“ ein, wenn Sie in dieser Bitte. Weise mit unseren Kommunen umgehen!

Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Herr Gottschalk. ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) (B) Kay Gottschalk (AfD): (D) Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, „Aufkommensneutral“ ist mein Stichwort; denn da- Herr Kollege. – Ich habe in meiner Rede ganz klar ge- rum geht es uns bei dieser Reform. Wir haben in der Tat sagt, dass wir an die Gegenfinanzierung denken durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts die Aufgabe bekommen, eine Reform der Grund- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- steuer zu erarbeiten. Wir wissen, dass die Grundsteuer NEN]: In der Fußnote!) eine wichtige Finanzierungsquelle der Kommunen ist, und einen sehr ausgewogenen Vorschlag – den erarbeiten die in manchen Kommunen bis zu 30 Prozent ausmacht. wir gewissenhaft – einbringen werden, der da lautet: Wir Das muss in Zukunft so bleiben. Deshalb muss es in die- werden ein 1‑prozentiges Hebesatzrecht auf das Substrat,­ sem Jahr eine Lösung geben, die die Finanzierung der nämlich die Einkommensteuer, den Kommunen zur Ver- Kommunen sicherstellt. Dazu bekennen wir uns ganz fügung stellen, damit sie ihre kommunale Selbstverwal- ausdrücklich. tung behalten. Ich will nun auf den Antrag der FDP zu sprechen kom- (Bernhard Daldrup [SPD]: Was ist das denn men und sagen, dass wir das Anliegen, dass eine Reform für ein Hebesatzrecht?) den bürokratischen Aufwand für Bürger und Verwaltun- gen minimieren muss, ganz ausdrücklich teilen. Hier ist dann auch erstmalig in der Geschichte Gerechtig- keit gegeben – ich hoffe, dem stimmen Sie zu –, (Beifall bei der FDP – Bernhard Daldrup [SPD]: Das machen wir doch! – Markus (Bernhard Daldrup [SPD]: Nein! Auf keinen Herbrand [FDP]: Da kommt sicher noch ein Fall stimmen wir zu! Das ist ja Unsinn!) Aber!) weil dann darauf abgestellt wird, wie leistungsfähig ein Deshalb haben wir es begrüßt, dass auf den ursprüng- Steuerzahler ist, und nicht darauf, ob er irgendein Objekt lichen Vorschlag verzichtet wurde, die Nettokaltmiete besitzt, völlig unabhängig davon, welches Einkommen er jeder Wohneinheit für die Bemessung der Grundsteuer erzielt und wie sich die Immobilie entwickelt. Ich bitte, zugrunde zu legen; denn damit hätte jeder einzelne Miet- das zur Kenntnis zu nehmen. vertrag angefasst werden müssen. Das ist vom Tisch. Das (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wo haben wir für richtig gehalten, genauso wie wir es für ist denn die Gegenfinanzierung? Verstehe ich richtig halten, dass der Vorschlag, man könnte bei der nicht! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/ Pauschalisierung, wenn die tatsächliche Miete geringer CSU]: Wie sieht denn die Gegenfinanzierung ist, nach unten abweichen – auch da haben die Länder aus?) gesagt, das sei für sie nicht handhabbar, das würde vie- 10508 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Andreas Jung (A) le bürokratische Erfordernisse mit sich bringen –, vom gemacht. Sie sind für uns der Maßstab. Für uns ist es (C) Tisch ist. Das begrüßen wir ganz ausdrücklich. wichtig, dass wir zeitnah zu einem Ergebnis kommen; denn alle Beteiligten brauchen Verlässlichkeit. Das gilt (Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Aber zulas- für die politischen Akteure, das gilt aber insbesondere für ten der Privaten!) Kommunen und Bürger, die erwarten, dass hier eine gute Es ist auch nicht in unserem Sinne – das wird im An- Lösung erarbeitet wird. trag der FDP angesprochen –, dass die Bürger jedes Jahr Herzlichen Dank. quasi eine Grundsteuererklärung vorlegen müssen. Wir wollen eine Reform, die für Bürger und Behörden an- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hand objektiv nachvollziehbarer, leicht zu erfassender ordneten der SPD) Kriterien umgesetzt werden kann. Das ist für uns die Richtschnur bei der Umsetzung der Reform und in der Vizepräsident Thomas Oppermann: Debatte, die wir darüber zu führen haben. Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Ich möchte ausdrücklich sagen, dass die Reform für Kollege Markus Herbrand für die Fraktion der FDP. uns in das einzuordnen ist, was wir im Koalitionsvertrag (Beifall bei der FDP) gemeinsam verabredet haben. Wir haben im Koalitions- vertrag verabredet, dass für uns bezahlbares Wohnen und Anreize für Neubauten zwei prioritäre Ziele sind. Diesen Markus Herbrand (FDP): Zielen muss sich die Grundsteuerreform unterordnen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Deshalb will ich aus unserer Sicht deutlich sagen: Es ist ren! Herr Kollege Jung, wir werden Sie nicht daran hin- wichtig, dass man sich den Erhebungsgrund anschaut. dern, unserem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank für die Der Erhebungsgrund ist die Teilnahme an kommunaler vielen lobenden Worte, die Sie gerade gefunden haben. Infrastruktur: Bibliotheken, Schwimmbäder, kommuna- Sie dürfen dem auch Taten folgen lassen. len Einrichtungen. Es ist aber keine Vermögensteuer, und es darf auch keine Vermögensteuer durch die Hintertür (Beifall bei der FDP – Lachen des Abg. werden. Dafür werden wir sorgen. Bernhard Daldrup [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Drei Punkte bringen uns Liberale immer um den Ver- ordneten der FDP – Cansel Kiziltepe [SPD]: stand: handwerklich schlechte Gesetze, nervige Büro- Schauen wir mal!) kratie und ständig steigende Steuern. Deshalb ist es al- lerhöchste Zeit, dass sich der Bundestag in die Reform Über eine Frage werden wir noch diskutieren müssen. der Grundsteuer einbringt; die Vorstellungen des Bun- (B) Von einigen kommt der Vorschlag, dass man die Umlage desfinanzministeriums müssen dringend ins Lot gebracht (D) der Grundsteuer auf den Mieter abschaffen sollte. werden. (Bernhard Daldrup [SPD]: Von Herrn Söder (Beifall bei der FDP) kommt das!) Ich finde, ehrlich gesagt, dass der sehr unkonkrete Antrag Das werden wir auf gar keinen Fall mitmachen. Wir wer- der AfD in der Sache eher unterstreicht, dass diese Partei den vor allen Dingen dafür sorgen, dass die Situation, auf den Gestaltungsanspruch an sich selbst und an uns an der die das die Antwort sein soll, nämlich eine Reform, die Pforte dieses Hohen Hauses abgegeben hat. So kann man das Wohnen verteuert, erst gar nicht eintritt. das Problem nun einmal nicht lösen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Stefan Keuter [AfD]: Ganz Das wäre die Lösung für ein Problem, das wir erst schaf- schwach, Herr Herbrand!) fen würden, das wir aber nicht schaffen dürfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass das Grundsteu- (Beifall des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP]) erchaos überhaupt aufgekommen ist, ist schlimm genug. Deshalb werden wir dafür sorgen, dass wir eine Reform Das Steuerrecht ist seit langem nur noch ein dauerhaf- machen, die Wohnen nicht verteuert, die also insgesamt ter Reparaturbetrieb. Regelmäßig verpasst es die Bun- aufkommensneutral ist. Auch sollen Vermietern und desregierung, unser viel zu kompliziertes Steuersystem Mietern durch die Reform der Grundsteuer keine zusätz- zu reformieren und an die veränderten Verhältnisse in lichen Lasten entstehen. Wir halten es für ganz falsch, Deutschland und der Welt anzupassen. Sie reagiert im- beide gegeneinander auszuspielen. Wer Wohnungen mer nur, wenn das Bundesverfassungsgericht sie dazu belastet, belastet Wohnen. Das werden wir nicht mitma- auffordert. chen. Das ist unsere Richtschnur in dieser Debatte. (Kay Gottschalk [AfD]: Das habe ich eben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – gesagt! Ganz schwach!) Michael Schrodi [SPD]: Das sagen Sie mal Herrn Söder!) Das war bei der Erbschaftsteuer der Fall. Das wird – das garantiere ich Ihnen – bei der Regelung zu allen Verzin­ Uns geht es jetzt darum, die Diskussion fortzuführen. sungen im Steuerrecht der Fall sein. Das wird auch beim Es gibt Gespräche des Bundesfinanzministers mit den Solidaritätszuschlag der Fall sein, wenn Sie das umset- Ländern, und es gibt Gespräche innerhalb der Koalition. zen, was Sie vorhaben. Die Diskussion über die Gestal- Ich habe unsere Richtlinien für die Diskussion deutlich tung der Grundsteuer ist schon jetzt eine Blamage, weil Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10509

Markus Herbrand (A) wir seit Jahren wissen, dass dieses Problem in der Welt Unser Reformvorschlag sieht deshalb vor, nur die Flä- (C) ist. che von Grundstück und Gebäude heranzuziehen, keine komplizierten Bewertungsverfahren anzuwenden – Bau- (Christian Dürr [FDP]: So ist es!) kosten und Mieten sollen keine Rolle spielen –, unter- Die Grundsteuer ist deshalb in aller Munde, weil sie schiedliche Nutzungen zu berücksichtigen – zwischen alle Leute betrifft. Durch die Grundsteuer tragen alle ih- Wohn- und Gewerbenutzung kann differenziert werden – ren Anteil an dem, was die Kommunen an Leistungen und – für uns sehr wichtig – die Umlagefähigkeit unange- erbringen, und das wollen wir auch so belassen. Steuer- tastet zu lassen. Zur Ehrlichkeit gehört aber, dass wir als systematisch eignet sich die Grundsteuer aber nicht für Bundesgesetzgeber eine Aufkommensneutralität nicht Umverteilungskämpfe, auch wenn das möglicherweise gewährleisten können. Hier haben die Kommunen das nicht jedem hier im Hause gefällt. letzte Wort, die ihre Hebesätze in eigener Verantwortung festsetzen. Kommunen dürfen aber auch nicht an der Re- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten form verdienen. Deswegen haben wir eine bundesweite der CDU/CSU) Initiative in den Kommunalparlamenten angestoßen, die Viele andere Steuern in unserem Aufteilungssystem zwi- eine Erhöhung der Grundsteuer, begründet allein auf der schen Bund und Ländern können dazu benutzt werden, Reform, verhindern soll. sozialpolitische Umverteilungsfantasien zu befriedigen. (Beifall bei der FDP) Die Grundsteuer ist dafür die falsche Steuer. Deshalb ist es wichtig, dass die Menschen hören, was auf sie zu- Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wehren kommt, wenn die Bundesregierung macht, was sie an- uns mit unserem Vorschlag auch dagegen, dass durch die gekündigt hat, und deshalb geben wir als Serviceoppo- Reform der Grundsteuer eine Vermögensteuer durch die sition – Sie kennen das ja schon – eigene Impulse in die Hintertür eingeführt wird. Beratung ein. (Jörg Cezanne [DIE LINKE]: Die gibt es Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterschiedli- noch!) chen Positionen innerhalb Ihrer Koalition dürfen nicht Das bezieht sich auf alle Überlegungen, weitere Werte in zulasten von 36 Millionen Steuererklärungspflichtigen die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Schenken Sie gehen und auch nicht zulasten der Beschäftigten in den den Menschen doch reinen Wein ein! Ständig steigende Länderfinanzverwaltungen. Die FDP-Fraktion macht Bodenrichtwerte wären ein Steuererhöhungsautomatis- deshalb heute einen Vorschlag, wie wir die Bemessungs- mus. grundlage zur Grundsteuer neu ausgestalten können, ohne dass wir dabei das ganze Land, seine Betriebe und (Michael Schrodi [SPD]: Noch nie was von (B) seine Finanzverwaltung geradezu lahmlegen. Uns droht Hebesätzen gehört? So ein Unsinn!) (D) ein bürokratischer Wahnsinn zu überrollen, unter dem Das Gleiche gilt für die Einbeziehung von Mieten. Das wir alle leiden werden. 36 Millionen Steuererklärungen wäre ein Kostentreiber für die Großstädte. Dagegen wird müssen angefordert werden. 36 Millionen Steuererklä- die FDP Sturm laufen. Durch die Umlagen wären im Üb- rungen müssen von den Bürgern und von den Betrieben rigen alle, aber auch wirklich alle, Mieter und Eigentü- ausgefüllt werden. 36 Millionen Einheitswertbescheide mer, betroffen. müssen festgesetzt und verschickt werden, auch noch mit der Post. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da- Ich appelliere eindringlich an Sie: Lassen Sie uns die her kann des Rätsels Lösung nur sein, es so einfach wie Chance nicht verpassen, die Grundsteuer auf stabile Füße möglich zu halten. zu stellen, einfach, sodass die Menschen es verstehen, unbürokratisch und verfassungsfest. (Beifall bei der FDP) Herzlichen Dank. Wir müssen endlich dafür Sorge tragen, dass die Men- schen wieder verstehen, wonach sich eine Steuer bemisst. (Beifall bei der FDP) Das ist derzeit nicht der Fall. Ich vermute, nur wenige von Ihnen sind in der Lage, mir den derzeit geltenden Vizepräsident Thomas Oppermann: Einheitswert zu erklären. Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns bitte der SPD der Kollege Bernhard Daldrup. einmal – einmal! – die Gelegenheit nutzen, eine Steuer- (Beifall bei der SPD) reform für eine Vereinfachung zu nutzen. (Beifall bei der FDP – Zuruf von der AfD: Bernhard Daldrup (SPD): Abschaffen!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- Und „einfach“ bedeutet, den Aufwand auf ein erträgli- leginnen und Kollegen! Herr Herbrand, herzlichen Dank ches Maß zu reduzieren und auf unnötige Daten zu ver- für Ihren Beitrag. Ich habe keine Sorge: Die Grundsteu- zichten, die erst aufwendig erhoben werden müssten, erreform wird Sie nicht um den Verstand bringen. Da bin schlimmstenfalls – Sie sagten es – alle sieben Jahre. ich mir ziemlich sicher. Wir sind nämlich auf der Ziel- geraden. Wir können es schaffen, bis zum 31. Dezember (Kay Gottschalk [AfD]: Herr Herbrand, geben 2019 ein neues Grundsteuerrecht zu verabschieden, das Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie unserem dann ab 2025 in ganz Deutschland zur Anwendung kom- Antrag zu! Er ist besser!) men wird. Meines Erachtens jedenfalls gibt es deutliche 10510 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Bernhard Daldrup (A) Annäherungen auf der Grundlage des wertabhängigen Ein paar Fakten: Bisher wurden für die Grundsteuer- (C) Modells des Bundesfinanzministers, wenn man mal von erklärung bei Wohngrundstücken ungefähr 18 Parameter den heute vorliegenden Anträgen und gewissen bayeri- erfasst; künftig sind es noch zwischen 5 und 7. Bei den schen Querschlägern – Herr Jung hat das ja angespro- Geschäftsgrundstücken brauchen wir bisher 40 Parame- chen – aus den Reihen des Koalitionspartners absieht. ter, demnächst nur noch 8. Die Fortschreibung soll nicht jährlich passieren, sondern alle sieben Jahre. – Mit ande- Ich will es noch einmal sagen: Es geht um die Siche- ren Worten: Mit dem Bürokratiemonster der FDP ist es rung der zweitwichtigsten Steuer für die Gemeinden genauso wie mit dem Monster in der Geisterbahn: Bei mit einem Volumen von 14 Milliarden Euro für ganz Tage und aus der Nähe betrachtet, löst es sich relativ Deutschland, nicht nur für Bayern. Es geht um eine un- schnell auf und verliert jeden Schrecken. verzichtbare Einnahmequelle der Gemeinden, die gleich- zeitig eine ausgesprochen hohe Akzeptanz bei den Steu- (Beifall bei der SPD – Markus Herbrand erpflichtigen hat, weil sie mit 19 Cent pro Quadratmeter [FDP]: Das sehen Sie aber alleine so!) im Bundesdurchschnitt eine vertretbare individuelle Be- lastung darstellt. Es geht um eine Steuer, deren Wegfall Das gilt übrigens auch für den Hinweis auf die 35 Mil- durch Bund und Länder ohne zusätzliche Steuererhöhun- lionen Grundstücke, die bewertet werden müssen. gen nicht kompensiert werden kann. Die Grundsteuer (Zuruf des Abg. Markus Herbrand [FDP]: finanziert die kommunale Infrastruktur, Schwimmbäder, 36!) Spielplätze, Parks und Ähnliches. Übrigens müssten auch nach Ihrem Modell 35 Millionen Diese Grundsteuer will die AfD abschaffen. Das steht Grundstücke bewertet werden. Die Steuerverwaltung in im Antrag. Die AfD will natürlich auch die Gewerbesteu- Deutschland bearbeitet jährlich Steuererklärungen von er abschaffen. 40 Millionen Steuerpflichtigen. (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Die Umsatz- (Markus Herbrand [FDP]: Ja!) steuer!) Jährlich! Die können das. Wir haben eine hochleistungs- Die AfD will auch die Erbschaftsteuer abschaffen. Die fähige Steuerverwaltung. AfD will auch die Grunderwerbsteuer abschaffen. Das alles soll abgeschafft werden. Diese Milliardenverluste Zum Schluss machen sich die Freunde des Privatei- bei den Einnahmen würden natürlich dazu führen, dass gentums auch noch stark für die Mieterinnen und Mieter. die arbeitende Bevölkerung eine höhere Lohn- und Ein- Ich sage dazu nur: Überlegt mal, ob eure Einstellung zu kommensteuer zahlen müsste. Das will die AfD. Das Mietenturbo und Grundsteuer wirklich eure Glaubwür- wollen wir aber nicht. digkeit stärkt. Ich jedenfalls glaube das nicht. (B) (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der LINKEN) DIE GRÜNEN) Überdies soll es ein Zuschlagsrecht zur Lohn- und Ein- Das Ganze soll auch noch einfach sein. Das auch noch! kommensteuer geben; das hat Herr Gottschalk eben er- Wir wollen aber nicht, dass für das Luxusappartement in wähnt. Steuerschwache Kommunen beispielweise in den der Innenstadt genauso wenig Grundsteuer bezahlt wird neuen Ländern müssten hohe Zuschläge auf die Einkom- wie für die Doppelhaushälfte am Stadtrand. Das wollen mensteuer erheben, steuerstarke Kommunen müssten wir nicht. das nicht. Die AfD will die Kommunen zu Bittstellern der Länder machen; denn die originäre Grundsteuer fiele (Beifall bei der SPD) weg. Das ist eine groteske Vorstellung von kommunaler Das ist für Sie einfach, aber es ist einfach ungerecht, Selbstverwaltung. Das macht kein Bürgermeister, keine Bürgermeisterin mit. (Markus Herbrand [FDP]: Und was gerecht ist, sagen Sie?) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- und das wollen wir nicht. geordneten der CDU/CSU – Stefan Schmidt Lassen Sie mich noch zwei andere Aspekte anspre- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig zu chen. Erstens, Stichwort „Personal“. Ja, man braucht Recht machen die nicht mit!) zusätzliches Personal, nach den Kalkulationen etwa Die Folge der AfD-Vorschläge wäre eine weitere Spal- 2 000 neue Stellen bundesweit, nicht nur in Bayern. Wie tung unseres Landes in steuerstarke und steuerschwache kommt das? Weil die Länder jahrelang nichts gemacht Kommunen, aber nicht die Schaffung von gleichwertigen haben. Deswegen ist das so. Lebensverhältnissen, was wir wollen. (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der [SPD]) CDU/CSU) Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass unterlassenes Han- Die FDP möchte die Grundsteuer eigentlich auch ganz deln eben auch Geld kostet. Das ist die Wirklichkeit. gerne abschaffen; aber sie traut sich nicht so richtig. Doch (Beifall bei der SPD) das ist nicht weiter tragisch. In solchen Fällen holt die FDP immer das unsterbliche Bürokratiemonster heraus, Zweitens. Das BMF-Modell findet meiner Meinung das der blau-gelbe Don Quichotte mal eben bekämpft. nach die klare Unterstützung aller drei kommunalen Spit- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10511

Bernhard Daldrup (A) zenverbände. Warum findet das bei den Kritikern eigent- rinnen und Mieter zu zahlen haben, abzuschaffen. Das (C) lich überhaupt keine Resonanz? schlagen wir vor.

(Markus Herbrand [FDP]: Das stimmt doch (Beifall bei der LINKEN – Kay Gottschalk nicht!) [AfD]: Dann wird das Bauen noch „attrakti- ver“! – Markus Herbrand [FDP]: Was für ein Ich wünschte mir, ehrlich gesagt, etwas mehr Respekt Quatsch!) vor der kommunalen Selbstverwaltung, auch in diesem deutschen Parlament. Zweitens. Die Grundsteuer ist neben der Gewerbe- (Beifall bei der SPD) steuer die einzige bundeseinheitlich geregelte, originäre Kommunalsteuer; die Einnahmen betragen rund 14 Mil- Schließlich muss berücksichtigt werden, dass das Modell liarden Euro im Jahr. Sie ist eine der Hauptfinanzierungs- des BMF am ehesten die Anforderungen des Bundesver- quellen der Kommunen in Deutschland. Diese Einnah- fassungsgerichts erfüllt. mequelle muss erhalten bleiben.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Von (Beifall bei der LINKEN) wegen!) Die Städte und Gemeinden können diese Steuersätze Jedes andere Modell stellt zum gegenwärtigen Zeitpunkt eigenständig festlegen. Der technische Terminus lautet: die Grundsteuer zur Disposition. Hebesatzrecht. Sie haben direkten Einfluss auf ihre Ein- (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Stimmt nahmen, und dieser Einfluss ist durch die Einwohnerin- nicht!) nen und Einwohner auch demokratisch kontrollierbar. Da könnte man noch mehr machen; aber prinzipiell ist dieses Und zuletzt: Mir ist gänzlich unbegreiflich, woher die Recht vorhanden. Dieses Recht wollen wir erhalten. Es Sympathie einiger Fraktionskolleginnen und -kollegen stärkt die kommunale Selbstverwaltung und damit auch für diese bayerischen Muskelspielchen kommt; die Möglichkeit der politischen Einflussnahme für die Bewohnerinnen und Bewohner. Eine politische Entmün- (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Achtung!) digung der Gemeinden, wie die AfD es vorschlägt, leh- denn auch den bayerischen Kommunen gefällt das nicht. nen wir ab. Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Den kommunalen Spit- zenverbänden in Bayern gefällt das nicht. Wer durch eine (Beifall bei der LINKEN) Öffnungsklausel eine Steuerpolitik mit 16 verschiedenen Drittens zu dem umstrittenen Thema der Bemessungs- (B) Grundsteuermodellen erreichen will, der ist meines Er- (D) grundlage. Auch wenn es hier wahrscheinlich nicht auf achtens nicht so ganz bei Trost. Wir jedenfalls wollen das nicht. Begeisterung stößt, halten wir den Verkehrs- oder Markt- wert für die gerechteste Bemessungsgrundlage für die (Beifall bei der SPD) Grundsteuer, also den Preis der Immobilie, der im Ge- schäftsverkehr, bei einem Verkauf zum Beispiel, erzielt wird. Dieser Verkehrswert spiegelt Wert und Nutzung des Vizepräsident Thomas Oppermann: Grundstücks und des darauf bestehenden Gebäudes um- Sie müssen zum Schluss kommen. fassend wider. Bereits 2012 empfahl die OECD Deutsch- land, Immobilien stärker anhand dieses Verkehrswertes Bernhard Daldrup (SPD): zu besteuern. Sie hat recht. Herzlichen Dank, Herr Präsident. (Beifall bei der LINKEN)

(Beifall bei der SPD) Liebe FDP, ich kann mich nur dem Kollegen Daldrup anschließen: Entgegen anderslautenden Befürchtungen Vizepräsident Thomas Oppermann: lässt sich dieser Verkehrswert mit vertretbarem Auf- Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion wand ermitteln. Dazu kann zum Beispiel auf die von den Die Linke der Kollege Jörg Cezanne. Gutachterausschüssen bereitgestellten Bodenrichtwerte zurückgegriffen werden. Sie sind pauschal für ähnliche (Beifall bei der LINKEN) Wohnbezirke und Stadtteile berechnet. Es muss also nicht jedes einzelne Gebäude bewertet werden. Das geht auch einfacher. Jörg Cezanne (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fangen (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das ist wir mal mit dem Wichtigsten an: Durch die Reform der falsch!) Grundsteuer sollten vor allen Dingen die schwächsten Marktteilnehmer entlastet werden; denn ausreichender Vor allen Dingen kommt eine am Verkehrswert orien- und bezahlbarer Wohnraum ist zur zentralen sozialen tierte Reform der Grundsteuer der ursprünglichen Art der Frage in den Ballungsgebieten geworden. Der einfachste Wertbemessung nach dem Grundsteuergesetz, wie wir es Weg, das zu erreichen, wäre, das Abwälzen der Grund- jetzt mit den Einheitswerten haben, sehr nahe. Sie bietet steuer auf die Nebenkostenabrechnung, die die Miete- damit die beste Chance, als bundesgesetzliche Regelung 10512 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Jörg Cezanne (A) mit dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bun- und zwingt unsinnigerweise an manchen Stellen zu zu- (C) desverfassungsgerichts vereinbar zu sein. sätzlichem Flächenverbrauch. (Beifall bei der LINKEN – Sebastian Brehm Wir schlagen vor – das ist auch in unserem Antrag ent- [CDU/CSU]: Das ist eine Objektsteuer!) halten –, über eine neue Grundsteuer C mit eigenständi- gem Hebesatzrecht für die Kommunen solche baureifen Das flächenbasierte Modell, das die FDP und auch die Grundstücke zu belasten. Man kann auch noch ein biss- CSU anstreben, ist da sehr viel fraglicher. chen an der Steuermesszahl schrauben. (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Richtiger!) (Markus Herbrand [FDP]: Man kann an allem Und ein letzter Punkt, liebe FDP. Eine schlechte Rege- schrauben!) lung deshalb zu machen, weil sie weniger Arbeit macht, Dann kommt man da auch dran. So würden wir uns eine ist, finde ich, auch kein überzeugendes Argument. Grundsteuerreform vorstellen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD – Markus Herbrand [FDP]: Das Ich danke Ihnen. ist ja auch eine gute Regelung! Das ist ja keine (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans schlechte Regelung!) Michelbach [CDU/CSU]: Enteignung!) Die Miete in die Berechnung der Grundsteuer einzu- beziehen, wirkt in beide Richtungen. Hohe Mieten füh- Vizepräsident Thomas Oppermann: ren zu einer höheren Grundsteuer. Dagegen bewirken Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete niedrige Mieten eine niedrigere Grundsteuer. Wir halten Stefan Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. es für richtig, dass da, wo Vermieterinnen und Vermieter bei einer Neuvermietung Mieten deutlich unterhalb der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) örtlichen Vergleichsmiete erheben, ein entsprechender Nachlass bei der Grundsteuer gewährt wird. Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast ein Da wird aber vor allen Dingen dann ein Schuh draus, Jahr ist es nun her, dass die Grundsteuer für verfassungs- wenn wir die Umlagefähigkeit der Grundsteuer auf die widrig erklärt wurde. Eine Plenardebatte zur Reform ist Wohnnebenkosten abschaffen. Denn das hätte unmittel- mehr als überfällig. bar Auswirkungen auf die Grundsteuer der Eigentümer (B) bzw. der Vermieterinnen und Vermieter. Wer die höchst- Ich hätte erwartet, dass wir heute einen konkreten Ge- (D) mögliche Miete aus dem Markt herauspresst, wird dann setzentwurf diskutieren können. Aber leider wurde ich eben auch mit einer höheren Grundsteuer belastet. da enttäuscht. Jetzt bleiben nur noch neun Monate Zeit, um eine Reform der Grundsteuer auf den Weg zu brin- (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das gen. Sonst waren alle Bemühungen umsonst; sonst ist die ist nichts als eine blanke Enteignung!) Grundsteuer passé. Wer faire Mieten verlangt oder für langjährige Mieter die Nun rächt sich, dass Herr Finanzminister Scholz so Miete seit Jahren unverändert belässt, zahlt entsprechend lange keinen eigenen Vorschlag auf den Tisch gelegt weniger. hat. Ein paar DIN-A4-Seiten Eckpunkte: Das ist alles, (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans was wir momentan haben, was das intensive Ringen von Michelbach [CDU/CSU]: Blanke Enteig- Bund und Ländern hervorgebracht hat. Herrn Daldrups nung!) Optimismus teile ich an diesem Punkt nicht ganz. Ich fürchte, die Zeit läuft uns davon. Auch der Deutsche Mieterbund fordert sinnvollerwei- se die Abschaffung der Umlegbarkeit der Grundsteuer (Bernhard Daldrup [SPD]: Die Sozis sind auf die Nebenkosten, weil es sich bei der Grundsteuer um Optimisten!) eine – diese Bezeichnung finde ich richtig – „Eigentums- Die Eckpunkte sind noch nicht einmal verbindlich. steuer auf den Wertzuwachs einer Immobilie“ handelt, Während 15 Länder sich treffen und wieder und wieder (Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Einwohnersteu- um eine Lösung streiten, kann der bayerische Minister- er! Das ist eine Einwohnersteuer!) präsident Markus Söder jedes Mal nicht schnell genug erklären, für wie unzureichend er das Verhandlungser- und das sollten nicht die Mieterinnen und Mieter bezah- gebnis hält. Mein Eindruck ist: Da geht es längst nicht len. mehr um unterschiedliche Betrachtungsweisen einer (Beifall bei der LINKEN) Steuer. Zum Abschluss noch ein weiteres Problem. Es gibt (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Doch!) eine große Zahl von baureifen Grundstücken, die von Nein, die CSU setzt um des Blockierens willen auf den Eigentümern aber nicht bebaut werden. Das hat nicht Blockade. nur, aber zum Teil auch mit der Spekulation auf steigen- de Grundstückspreise zu tun. Es erschwert aber auch die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – optimale Nutzung von Bauland da, wo es das schon gibt, Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Nein! – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10513

Stefan Schmidt (A) Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Un- Wir sagen: Jeder und jede, der oder die zur Miete (C) sinn!) wohnt, muss von der Grundsteuer entlastet werden. Nur so wird es gerecht. Es ist doch für jedermann offensichtlich, dass Ihre Vorschläge nicht mehrheitsfähig sind. Daher hat es die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CSU auch sicherheitshalber bei der Ankündigung eines sowie bei Abgeordneten der LINKEN – eigenen Vorschlages belassen. Gesehen haben wir bis- Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Dann gehen lang nichts. doch die Mieten rauf! Grüner Sozialismus!) Die FDP ist da bereits einen Schritt weiter. Zugege- Noch ein paar Sätze zur FDP. So ganz sicher sind Sie ben, es ist ein sehr kleiner und ein falscher noch dazu. sich mit Ihrem Modell der Flächensteuer offensichtlich In ihrem Antrag fordert sie ein reines Flächenmodell, doch nicht. Sonst hätte Ihr Bundesvorstand 2016 kaum wie auch von der CSU gefordert. Damit würde der Ei- den Beschluss „Grundsteuer zukunftsfähig reformieren“ gentümer einer 50 Quadratmeter großen Gartenlaube am gefasst. Stadtrand oder auf dem Dorf genauso viel Grundsteuer (Markus Herbrand [FDP]: Das war vor dem zahlen wie die Besitzerin eines gleich großen Penthouse Urteil!) in der City. Darin fordern Sie eine Besteuerung nach Bodenrichtwert. (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das ist doch Man kann sicherlich diskutieren, ob auch die Gebäude in falsch! Dafür gibt es doch den Hebesatz!) die Grundstücksbewertung einfließen sollen. So oder so Das ist ziemlich genau das ungerechteste Modell, das ist der Beschluss von damals hundertmal besser als das, man sich ausmalen kann. Das können Sie doch nieman- was Sie heute vorgelegt haben. dem ernsthaft erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Herbrand [FDP]: Damals! Ja!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das Vorhin habe ich gesagt, die Flächensteuer sei so ziem- ist doch absoluter Quatsch! – Dr. h. c. Hans lich das ungerechteste Modell auf dem Markt. Michelbach [CDU/CSU]: Völlig falsch!) (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Was ist denn Die Grundsteuerreform soll aufkommensneutral ge- Gerechtigkeit für Sie?) staltet sein, fordert die FDP. Das ist nicht so wahnsinnig innovativ; denn das wollen die Städte und Gemeinden Da hatte ich verschwiegen, dass es noch ein bisschen ohnehin. Aber das können wir hier nicht per Handzei- schlimmer geht. Schlimm ist nämlich die Überschrift, (B) chen beschließen. Das haben Sie auch zu Recht gesagt, mit der man den AfD-Antrag betiteln muss, der heute zur (D) Herr Herbrand. Das wird vor Ort bestimmt. Es gilt das Debatte steht. Die AfD will die Grundsteuer gleich ganz kommunale Hebesatzrecht, und das ist gut so. abschaffen, und irgendwo in der Begründung erläutern Sie dann, dass Sie die fehlenden Einnahmen über die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einkommensteuer ausgleichen wollen. Weiter schreibt die FDP, das Verfassungsgericht habe Haben Sie sich eigentlich ausgemalt, was das ange- „gravierende und umfassende Ungleichbehandlungen sichts der sehr unterschiedlichen Einkommensniveaus bei der Bewertung“ kritisiert. Ja, die bisherige Grund- in Deutschland bedeuten würde? Ist das Ihre Auffassung steuer ist ungerecht. Und was sagen sich FDP und CSU? von Gerechtigkeit? Machen wir es noch ein bisschen ungerechter, sagen sie Abgesehen davon ist die Grundsteuer gesellschaftlich sich. Aber nicht mit uns, meine Damen und Herren. breit getragen und akzeptiert. Dafür gibt es auch gute (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gründe. Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Schmarrn! Ab- (Markus Herbrand [FDP]: Noch!) soluter Schmarrn! – Markus Herbrand [FDP]: Sagen Sie uns, was gerecht ist!) Mit den Grundsteuereinnahmen finanzieren die Städte und Gemeinden Spielplätze. Sie unterhalten Kitas. Sie Außerdem möchte die FDP, dass es weiterhin die Mie- bauen Schulen. Sie sorgen für einen funktionierenden terinnen und Mieter sind, die die Grundsteuer bezahlen öffentlichen Nahverkehr. Sie bessern Straßen aus, orga- müssen. Dabei sind es doch die Vermieterinnen und Ver- nisieren Freizeitangebote, fördern Begegnungsstätten für mieter, die von den Wertsteigerungen ihres Eigentums Jung und Alt und, und, und. Es gibt der Beispiele nicht profitieren. Durch diese Entwicklung können sie über- genug. haupt erst höhere Mieten verlangen. Das darf nicht so bleiben. Das alles will die AfD mit ihrem Antrag gefährden. Das ist doch irrwitzig, das ist kommunalfeindlich, und (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das ist doch darüber sind wir uns in großen Teilen dieses Parlaments Klassenkampf, was Sie hier machen!) auch einig. Hier muss die Betriebskostenverordnung oder noch bes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ser das Bürgerliche Gesetzbuch geändert werden. Dazu sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und gibt es entsprechende Vorschläge von den Linken, von der SPD – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: uns, aber auch in der Diskussion der SPD. Aber das ist der einzige Punkt!) 10514 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Stefan Schmidt (A) Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Grundsteuer muss sagt, wir haben als Gesetzgeber einen großen Spielraum. (C) jetzt reformiert werden. Jetzt muss ein Gesetzentwurf Wir können eigentlich tun und lassen, was wir wollen, vorgelegt werden. Hier ist die Bundesregierung an der wenn wir denn in der Lage sind, den Belastungsgrund, Reihe. Sie muss endlich einen konkreten Vorschlag für den Rechtfertigungsgrund der Steuer exakt zu benennen. eine gerechte, administrierbare und verfassungsfeste Meine Damen und Herren, die Diskussion krankt mei- Grundsteuerreform machen. Vor allem aber wollen wir, nes Erachtens derzeit daran, dass wir uns zu wenig damit dass die Grundsteuer erhalten bleibt. Das ist gut für die beschäftigen: Warum gibt es die Grundsteuer? Hier höre Städte und Gemeinden und gut für Deutschland. ich immer: Leistungsfähigkeit, Gerechtigkeit. All das sind wichtige Fragen, auch im Steuerrecht, die wir über Vielen Dank. die Einkommensteuer beantworten, die aber nicht in die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grundsteuer gehören. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Doch! – [BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Thomas Oppermann: GRÜNEN]: Wieso denn nicht?) Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Fritz Güntzler. Die Grundsteuer hat einen ganz anderen Ansatz. Wenn Sie sich damit beschäftigen, stellen Sie fest, dass es da- (Beifall bei der CDU/CSU) rum geht, dass die Einwohnerinnen und Einwohner der Kommunen einen zusätzlichen Beitrag zu den Beiträgen Fritz Güntzler (CDU/CSU): und Gebühren für die Inanspruchnahme kommunaler In- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und frastruktur leisten. Das ist auch gut so, das ist auch iden- Kollegen! Meine Damen und Herren auf der Besuchertri- titätsstiftend für die Bürgerinnen und Bürger. Es ist auch büne – vielleicht sind Sie auch vor dem Fernsehgerät da- von daher eine wichtige Steuer für die Kommunen. bei! Die Grundsteuer ist ein Thema, das Sie alle angeht. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind irgendwie mit Die Grundlage wäre die Gewerbesteuer!) der Grundsteuer belastet. Von daher ist es auch richtig, dass wir in diesem Hohen Hause über dieses Thema dis- Aber das heißt nicht, dass es vom Einkommen oder vom kutieren. Seit dem 10. April letzten Jahres liegt ein ent- Wert einer Immobilie, die jemand bewohnt, abhängt, sprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vor. wie hoch die Grundsteuer ist. Wir haben eine nutzen- Bis jetzt haben sich im Wesentlichen die Länder mit orientierte Äquivalenz, und von daher sind wir für ein Einfach-Grundsteuermodell, auch Flächenmodell – teil- (B) diesem Thema beschäftigt, aber der Bundestag wird ja (D) irgendwann einmal auch gefragt werden. Von daher bin weise unrichtigerweise auch wertunabhängiges Modell – ich den Fraktionen von AfD und FDP dankbar, dass sie genannt. das auf die Tagesordnung gerufen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lisa (Zuruf von der AfD: Gerne!) Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es darf nicht nur nach der Fläche gehen!) Enttäuscht bin ich – habe aber auch nichts anderes er- wartet – von der AfD, die für komplexe Fragestellungen Ich mag den Begriff „wertunabhängiges Modell“ nicht; immer die einfachen Lösungen hat: Abschaffen! Kolle- denn jedes Modell braucht einen Wert. Er ist nur anders ge Daldrup hat es schon ausgeführt: Gewerbesteuer ab- ermittelt und hat nichts mit dem Verkehrswert zu tun. schaffen! Erbschaftsteuer abschaffen! Einkommensteuer Von unserer Seite wäre das das Richtige. Das würde auch senken! Die Umsatzsteuer wollen Sie ebenfalls senken. dem Aspekt der Objektsteuer, der Grundsteuer, gerecht. Die Antwort darauf, wie Sie den Haushalt dann noch fi- nanzieren wollen, sind Sie schuldig geblieben. Sie sollten Wir wissen aber, dass unser Koalitionspartner dazu sich vielleicht einmal mit dem Kontext befassen; dann eine andere Auffassung hat, dass auch einige Länder – würde etwas glaubhafter, was Sie hier vortragen. vielleicht auch die Mehrheit der Länder – eine andere Auffassung haben. Von daher haben wir uns auf den (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Weg gemacht, eine konstruktive Diskussion zu führen. FDP) Wir sind bei einem wertabhängigen Modell gestartet – So jedenfalls schaden Sie den Kommunen vor Ort. Sie das Minister Scholz vorgelegt hat – und begleiten die wissen ja – auch das ist mehrfach erwähnt worden –: Diskussion mit den Ländern und sehen, dass wir von ei- 14 Milliarden Euro sind eine wichtige kommunale Ein- nem Problem ins nächste geraten. Kollege Jung hat da- nahmequelle; das sind etwa 15 Prozent der Steuereinnah- rauf hingewiesen. Zunächst sollten es die tatsächlichen men einer Kommune. Daher wollen wir – so haben wir Mieten sein. Dann hatte man erkannt, dass das viel zu es auch im Koalitionsvertrag vereinbart – diese wichtige komplex ist. Dann haben wir typisierende Mieten ange- Steuer auch erhalten. nommen. Darauf hat man festgestellt: Es könnte ja sein, dass es Menschen gibt, die weniger als die typisierende Die Diskussion rankt sich nun darum: Wie gestalten Miete zahlen; also können sie eine Miete nachweisen, wir ein System, das nachhaltig ist, das verfassungsfest ist, die niedriger ist. Dann hat man festgestellt: Das ist zu das einfach ist und die Menschen möglichst nicht stärker komplex. Jetzt versucht man, das über eine Steuermess- belastet? Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Das Bun- zahl zu regeln, wobei man dann wieder Privatinvestoren desverfassungsgericht hat im Leitsatz seines Urteils ge- völlig ausschließt und nur kommunale Wohnungsgesell- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10515

Fritz Güntzler (A) schaften darin haben will, die aber nachweisen müssen, den. – Und: Er spricht sich auch für ein Flächenmodell (C) dass sie ortsübliche Mieten nehmen. aus. Sie sehen, wir kommen von einem Problem zum Minister Hilbers aus Niedersachsen hat gesagt: Man nächsten, wenn wir uns diesem Modell weiter nähern. kann gar nicht von einer Einigung sprechen. Die einzige Von daher sind wir schon der Auffassung, dass wir ein- Einigung, die es tatsächlich gegeben hat, besteht darin, mal Bilanz ziehen sollten, ob diese Diskussionen wirk- dass der Bundesfinanzminister seine Hausaufgaben jetzt lich zum Ergebnis führen. Diese Notwendigkeit wird macht und endlich einen konkreten Gesetzentwurf vor- auch deutlich, wenn ich dann noch erwähne, dass wir legt, über den wir diskutieren können, damit wir endlich derzeit kein Ergebnis für die Nichtwohngrundstücke und einmal aus der Diskussion der Eckpunkte herauskom- Gewerbegrundstücke haben, sondern nur Eckpunkte. Wir men. haben derzeit auch keine Lösung für gemischt genutzte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Grundstücke. ordneten der FDP) (Zuruf von der AfD: Sie argumentieren für Was geschieht aber, wenn uns nicht gelingen sollte, unseren Antrag!) liebe Kolleginnen und Kollegen, alles zusammenzu- – Nein, ich argumentiere konstruktiv, Sie aber sind im- binden? Der FDP möchte ich nur – sie ist ja auch Teil mer destruktiv, indem Sie einfach nur abschaffen wollen. dreier Landesregierungen – den Hinweis geben: In Nord- Wir wollen eine vernünftige Lösung für das Land und die rhein-Westfalen seid ihr mit der Landesregierung ja auf Kommunen. dem Weg eures Antrags, aber was ich in den Diskussio- nen mit Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz erleben (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der muss, hat mit eurem Antrag recht wenig zu tun. FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus gutem Grunde!) Wir sind konstruktiv in der Debatte. Und ich glaube, der Punkt ist erreicht, dass wir einfach einmal innehal- Von daher bitte ich, nicht nur hier Überzeugungsarbeit ten und uns gemeinsam mit den Ländern fragen sollten: zu leisten, sondern auch bei einigen Landesregierungen, Führt das wirklich zum Ziel – auch zu dem Ziel, das in damit das vielleicht bald etwas anders aussieht. fünf Jahren vernünftig zu administrieren? Diese Frist hat (Beifall bei der CDU/CSU) uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt. Wenn aber all das nicht zum Ergebnis führt – und Von daher wäre es ein guter Zeitpunkt – da bin ich auch wir werden nur über die Länder gehen können, und die (B) bei Herrn Ministerpräsident Söder –, zu sagen: Vielleicht Länder müssen einen Kompromiss finden – und kein (D) ist es doch klüger, über ein Einfach-Grundsteuermodell Kompromiss gefunden wird, sind wir gut beraten, noch nachzudenken und dem Ansinnen anderer Rechnung zu einmal darüber nachzudenken, hier ein Freigabegesetz zu tragen, indem man Sozialkomponenten über Steuermess­ machen und den Ländern die Möglichkeit zu geben, eige- zahlen einbringt. Die Modelle liegen vor. Lassen Sie uns ne Grundsteuergesetze zu erlassen, weil die Anforderun- noch einmal darüber streiten oder diskutieren, ob das gen in Nordrhein-Westfalen und Bayern vielleicht andere nicht der vernünftigere Weg ist. sind als in Hamburg, Berlin oder Bremen. Das wäre ein (Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Brehm Beweis von Föderalismus, den wir hier antreten könnten, [CDU/CSU]: So ist es richtig, absolut richtig!) und von daher wäre ich sehr für eine Regionalisierung, auch wenn mir der Kollege Daldrup dann unterstellt, ich Ich möchte auch Folgendes klarstellen, weil mich das sei nicht mehr ganz bei Trost. Ich hoffe, du weißt, es ist wirklich stört: Ich wohne in Niedersachsen und komme anders. nicht aus Bayern, (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) ( [SPD]: Das ist ein Fehler, ein schwerer Fehler!) Trotzdem mache ich den Vorschlag: Wir sollten über die Regionalisierung konkret nachdenken. Dann gelan- obwohl ich ein Freund Bayerns in verschiedenen Dingen gen wir vielleicht über die Länder zu einem guten Ergeb- bin, auch beim Fußball. nis. Die Länder sind ja in der Lage, sich zusammenzutun, (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: um gemeinsam etwas zu machen, und dann kommen die Ich bin ein Bayern-München-Fan!) Steuern dahin, wo sie hingehören. Im Grundgesetz steht schon jetzt, dass die Kompetenz hierfür bei den Ländern Aber den Bayern zu unterstellen, sie seien gegen das, liegt. was derzeit vorgelegt wird, ist absurd und ungerecht. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: Wie lesen Sie denn die Schlagzeile?)

Gucken Sie sich den Finanzsenator Hamburgs an, der Vizepräsident Thomas Oppermann: unverdächtig ist, der CDU oder der CSU anzugehören. Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Er hat gesagt: Wir sind noch nicht auf der Zielgeraden! – Udo Theodor Hemmelgarn für die AfD. Herr Daldrup, er hat gesagt: Wir haben noch einen ganz schönen Weg zu machen, und da sind noch einige Hür- (Beifall bei der AfD) 10516 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Udo Theodor Hemmelgarn (AfD): Das gefährdet nicht nur die Investitionsbereitschaft, son- (C) dern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den wir Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- heute in diesem Land so dringend brauchen. nen und Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Be- sucher auf der Tribüne! Die Forderung nach Abschaffung (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Grundsteuer erschien bis vor wenigen Monaten noch NEN]: Dann stellen Sie doch nicht so dämli- als radikaler Schritt, der von vielen als unrealistisch zu- che Anträge!) rückgewiesen wurde. Mittlerweile wird diese Forderung auch in der „Welt“ und in der „Wirtschaftswoche“ erho- Anstatt die Gelegenheit zu ergreifen, Millionen von Mie- ben. Man hat auch hier erkannt, dass es in dieser Frage tern bei den Mietnebenkosten sofort zu entlasten, wählt keine gute und gerechte Lösung geben wird. diese Bundesregierung mit bekannter und beängstigender Sicherheit wieder einmal den falschen Weg. Sie erschafft Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom damit ein teures bürokratisches Monstrum, das niemand 10. April 2018 ist die Grundsteuer in ihrer jetzigen Form versteht und das niemandem etwas bringt. verfassungswidrig Die Umsetzung der geplanten Reform wird zu einer (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mehrbelastung der Finanzverwaltungen und damit auch NEN]: In ihrer jetzigen Form! Genau!) zu höheren Verwaltungskosten führen. Ein Mehr an Ge- rechtigkeit werden Sie damit nicht erreichen. und darf so nicht mehr erhoben werden. Allerdings weiß (Beifall bei der AfD) niemand ganz genau, wie eine Reform aussehen soll. Derzeit gibt es fünf Modelle: das Verkehrswertmodell, Reformfähigkeit und Zukunftsfähigkeit sehen anders das Kostenwertmodell, aus.

(Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir wissen natürlich ganz genau, dass die Kommu- NEN]: Das ist doch längst aus der Diskussion nen in besonderer Weise an der Grundsteuer hängen. Da- raus! – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das bei geht es sowohl um die Einnahmen von bundesweit Abschaffungsmodell!) 14 Milliarden Euro jährlich als auch um eine der letzten Steuern, die komplett von den Kommunen erhoben wird. das Bodenwertmodell, das Äquivalenzmodell und die Den Kommunen muss hier eine alternative Steuerquelle jüngste Eigenkreation des Bundesfinanzministers. Alle eingeräumt werden, die die Grundsteuer in voller Höhe Modelle haben drei Punkte gemeinsam: Sie sind kaum kompensiert und ihnen gleichzeitig ein eigenes Hebe- (B) verständlich, satzrecht einräumt. (D)

(Zuruf von der SPD: Für Sie vielleicht!) Mit der Abschaffung einer Steuer würden die allmeis- ten hier in diesem Hohen Hause politisches Neuland be- schwierig umzusetzen, und niemand weiß wirklich ge- treten. Das kennen Sie nicht. Wir fordern Sie auf: Nutzen nau, wie die Grundsteuer danach in Deutschland ausse- Sie die Gelegenheit, Millionen von Mietern und Eigentü- hen würde. mern in diesem Land zu entlasten. Hören Sie auf, Partei- politik zu machen, und stimmen Sie für unseren Antrag. (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt Vielen Dank. nicht!) (Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Bravo!) Eines weiß man allerdings ganz genau: All diese Modelle würden dazu führen, dass die Grundsteuer in den Bal- lungsräumen massiv steigt und sich die Mietnebenkosten Vizepräsident Thomas Oppermann: dort weiter erhöhen. Vielen Dank. – Als Nächstes spricht für die Fraktion der SPD die Kollegin Cansel Kiziltepe. (Michael Schrodi [SPD]: Nein! Völlig falsch! Keine Ahnung von der Systematik der Grund- (Beifall bei der SPD) steuer!)

Praktisch dürfte es unmöglich sein, eine angemessene Cansel Kiziltepe (SPD): und gerechte Ausgestaltung der Grundsteuer zu errei- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie- chen. Die Grundsteuer ist eine Art Lebenssteuer; sie wird be Kolleginnen und Kollegen! Sie können nahezu jede von allen Bürgern in diesem Land gezahlt – von den Ökonomin und jeden Ökonomen fragen: Die Grundsteu- Eigentümern direkt und von den Mietern indirekt über er ist eine der gerechtesten und effizientesten Steuern, die die Mietnebenkostenabrechnung. Es wäre ein gefährli- wir haben. cher Fehler, die Frage der Grundsteuer zur ideologischen Kampflinie zwischen Arm und Reich zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wider- spruch bei der CDU/CSU – Jürgen Braun (Zuruf von der AfD: Richtig!) [AfD]: Was soll denn daran gerecht sein?) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10517

Cansel Kiziltepe (A) Das gilt jedoch nur dann, wenn sie eine echte Grund- Zeigen Sie, dass Sie für die Kommunen in diesem Land (C) steuer ist. Eine echte Grundsteuer muss an den Wert von Verantwortung übernehmen können. Grund und Boden anknüpfen. Oder wollen Sie so verantwortungslos sein wie die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten AfD? Die AfD fordert die Abschaffung einer der ältesten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Steuern, die es in Nationalstaaten gibt. Da können Sie doch gleich die Abschaffung von Staaten fordern. Dann Alles andere ist Murks und Pfuscherei. Genau das finden verschwinden aber auch die Grenzen, die Sie sonst so wir in den beiden Anträgen der FDP und der AfD. hochhalten. (Bernhard Daldrup [SPD]: Steht doch auch so Der Antrag der AfD zeugt nur von einem Punkt: Es im Gesetz!) fehlt dieser Partei auch an steuerpolitischen Ideen. Die FDP versucht das Ganze wieder einmal mit der (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das stimmt Entbürokratisierungsmasche. Unter dem Vorwand des wohl!) angeblich so komplizierten Modells von Olaf Scholz for- dern Sie die Einführung des Flächenmodells. Das ist ganz einfach zu sehen. Immer wenn Sie nicht wis- sen, was Sie im Finanzausschuss sagen sollen, fordern (Markus Herbrand [FDP]: Genau!) Sie die Abschaffung der Gewerbesteuer, der Grundsteu- Doch weder ist das Modell von Olaf Scholz sonderlich er, der Erbschaftsteuer. Dass Sie damit aber auch Schu- bürokratisch, noch lässt sich das Flächenmodell verfas- len, Straßen und die Sicherheit in diesem Land gefähr- sungsrechtlich umsetzen. den, ist Ihnen egal. (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NEN]: Noch liegt es vor!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kay Gottschalk [AfD]: Die Sicherheit dieses Lan- Da erwarte ich auch einfach mehr Ehrlichkeit, liebe des gefährden Sie!) Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Sagen Sie doch einfach, Sie wollen keine nervige Steuer, die auch nur Aber Sie erhalten ja Ihre Spenden von Millionären und irgendetwas mit Vermögen zu tun hat. Milliardären, die sich diese Dinge selbst leisten können. Also, wenn Sie unserem Land eine Freude machen wol- (Markus Herbrand [FDP]: Haben Sie den len, dann schaffen Sie sich doch einfach selbst ab. Antrag nicht gelesen?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie nennen das Entbürokratisierung, aber in Wirklichkeit der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE geht es Ihnen doch nur um den Schutz von Villen und (B) GRÜNEN) (D) Lofts.

(Markus Herbrand [FDP]: Klassenkampfrhe- Vizepräsident Thomas Oppermann: torik! – Gegenruf des Abg. Sebastian Brehm Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege [CDU/CSU]: Nicht nur Rhetorik! Purer Klas- Dr. Hans Michelbach für die Fraktion der CDU/CSU. senkampf!) (Beifall bei der CDU/CSU) Oder wie begründen Sie sonst, dass sie diese genauso besteuern wollen wie Wohnungen von Menschen mit geringem Einkommen? Wie würde eigentlich Ihr Gesetz Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): heißen? Das Billige-Villa-für-Reiche-Gesetz? Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Grundsteuer ist ein wichtiges kommunales Finanzie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Fragen sollten rungsinstitut mit einem eigenen Hebesatzrecht. Das Bun- sich aber nicht nur Sie stellen, sondern auch unsere Kol- desverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 10. April legen aus Bayern. 2018 nicht die Grundsteuer verworfen, wohl aber die der- (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Bei Ihnen zeitige Berechnungsmethode. heißt es Vermögensteuer-Einführungsgesetz!) (Markus Herbrand [FDP]: Genau!) Sie würden zwar gerne Politik für Bayern machen, aber Im Koalitionsvertrag haben wir deshalb vereinbart, wer die Einnahmequelle von Kommunen gefährdet, der eine einfache, transparente und aufkommensneutrale Be- gefährdet auch bayerische Schulen, bayerische Straßen messungsgrundlage zu schaffen. und bayerische Feste. (Marianne Schieder [SPD]: Sehr gut!) (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sa- gen Sie mal, was wir aus Bayern für Berlin Das wollen wir von der CDU/CSU zügig und korrekt zahlen!) umsetzen, meine Damen und Herren. Gut ein Jahr nach Liebe CSU, das kann doch keine Bayernpolitik sein. Hö- dem Karlsruher Urteil liegt noch immer kein abgestimm- ren Sie auf, die Bundesrepublik mit Ihrer Politik in Gei- ter Gesetzentwurf vor. Wir müssen aber bis zum Jahres- selhaft zu nehmen. ende ein neues Gesetz verabschiedet haben. Es geht jetzt darum: Bleibt es bei einer Objektsteuer nach einer einfa- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chen Flächenbemessung, oder gibt es eine neue, bürokra- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tische und teure Mietersteuer nach Mieten, Bodenricht- 10518 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. h. c. Hans Michelbach (A) wert und Baujahren? Diesen Weg halten wir für falsch, gig, was dort geschieht, ohne darauf Einfluss zu haben. (C) für einen Irrweg. Das wollen wir nicht. Der Nutzwert wird dadurch überhaupt nicht verbessert; auch das muss man klar sagen. Dies ist eben nicht vom (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Einkommen der Mieter oder von der Höhe der Mietein- Grundsätzlich ist die Grundsteuer ja eine Objektsteu- nahmen abhängig. Deshalb sollte der Einfachheit bei der er, die zur Kompensation von Infrastrukturleistungen Grundsteuer der Vorrang eingeräumt werden. (Bernhard Daldrup [SPD]: Auf das Eigen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tum!) ordneten der FDP) und zu nichts anderem in den Kommunen erhoben wird. Meine Damen und Herren, wichtig ist aus meiner (Bernhard Daldrup [SPD]: Auf das Eigentum! Sicht, dass die Reform im Einzelfall nicht zu regelmä- Steht im Gesetz! – Stefan Schmidt [BÜND- ßigen, automatischen Steuererhöhungen, nicht zu einer NIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb muss sie explosionsartigen Mieterhöhung, zu Mietaufschlägen, nicht ungerecht sein!) nicht zu kostenintensiver Bürokratie und zu neuen Un- gerechtigkeiten führt. Deshalb treten wir nachdrücklich über ein Einfach-Flä- chenmodell ein. Warum diesem Modell jetzt Eckpunk- Wir müssen darauf achten, dass wir insbesondere auch te des Bundesfinanzministers mit einer komplizierten, den mittelständischen Betrieben keine zusätzlichen Las- bürokratieintensiven und wertabhängigen Mietersteuer ten aufbürden. Gewerblich genutzte Grundstücke und gegenübergestellt werden, erschließt sich mir nicht. Das Gebäude oder Mischobjekte mit fiktiven Mieten nach ei- war so auch nicht vereinbart, meine Damen und Herren. nem Ertragswertverfahren zu besteuern, ist gewiss keine (Bernhard Daldrup [SPD]: Sicher!) Förderung unseres Wirtschaftsstandortes. Richtig: Die Eckpunkte sind inzwischen vom Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU) finanzministerium immer wieder verändert worden und durchaus auch mit Pauschalen versehen worden. Aber Das ist eine Fehlallokation, eine Besteuerung, die wir die Eckpunkte sind dadurch nicht wirklich besser ge- gar nicht benötigen. Wir brauchen Wachstum und keine worden. Das Ministerium kommt nach wie vor nicht mit Überforderung von Gewerbebetrieben. einer Objektsteuer daher, sondern mit einer verkappten Einkommen- und Vermögensteuer, wie eine Steuererhö- Jede Wertkomponente bei dem Modell, das Herr hung, die leistungsgerechter sein soll. Sie wollen eine Scholz vorgeschlagen hat, führt zwangsläufig, vor allem (B) Gewinnbesteuerung. in den jetzt schon teuren Ballungsgebieten, zu permanen- (D) ten automatischen Steuererhöhungen, ohne dass sich der Die Frau Kollegin Kiziltepe ist eine ehrliche Haut. Sie Wohnwert für die Mieter oder der Nutzungswert eines hat in ihrer Rede gerade gesagt: Ja, wir wollen an die Betriebes erhöht. Das, meine Damen und Herren, ist für Vermögen ran. – Es ist also klar: Sie haben hier die Ein- mich nicht leistungsgerecht. Das ist sozial unverträglich. führung der Vermögensteuer im Blick. Dabei kann es na- Das ist den Steuerzahlern letzten Endes nicht vermittel- türlich mit der Grundsteuer keine Einzelfallgerechtigkeit bar, weil es auch nicht transparent ist. nach dem Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit geben. Wir sollten letzten Endes die Überlegung, die Gesetz- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gebung zur Grundsteuer auf Länderebene auszuweiten, NEN]: Was ist denn mit der Vermögensteuer?) nicht verteufeln. Das ist kein Querschlag, kein Spiel- chen, sondern das geschieht im Rahmen des Grundge- Zum einen, weil in einem Gebäude zumeist Mieter mit setzes. Das Abrücken von einem Bundesgesetz ist nach höchst unterschiedlichen Einkommen leben, die aber Artikel 125a Grundgesetz möglich und wegen völlig gleich hoch belastet würden. Es gibt in einem Gebäude unterschiedlicher Strukturen und Verhältnisse in den ein- ärmere und reichere Mieter. zelnen Ländern bei der Grundsteuer sinnvoll. Die Einheit (Marianne Schieder [SPD]: Es gibt einen, der des Bundes ist dadurch nicht gefährdet, meine Damen die Miete einkassiert!) und Herren. Bei der Föderalismusreform war es gerade der Wunsch aller Länder, eigene Steuerhoheit zu erhal- Da können Sie doch nicht hergehen und sagen: Wir wol- ten. Bei der Grundsteuer können wir diesen Wunsch aus len alles über einen Kamm scheren, um Leistungsgerech- der Föderalismuskommission erfüllen. tigkeit zu erreichen. Letzten Endes muss man, glaube ich, das Grundge- (Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- setz sowieso ändern, weil die Fortgeltung der Gesetzge- NEN]: Der Vermieter soll zahlen!) bungshoheit des Bundes bei der Grundsteuer nicht auto- Zum anderen, weil die einzige Leistung, an die die matisch vorhanden ist. Leistungsgerechtigkeit anknüpfen könnte, die Bereit- stellung und der Unterhalt der Infrastruktur in den Kom- (Beifall bei der CDU/CSU) munen ist, nicht die Bodenrichtwerte. Diese sind nach Verkäufen und nach Kaufverträgen zufällig zusammen-

gestellt, die in diesem Bereich zufällig getätigt wurden. Vizepräsident Thomas Oppermann: Das ist doch nicht gerecht. Die Mieter sind davon abhän- Herr Michelbach, Sie müssen zum Schluss kommen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10519

(A) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): wenn nur der schwarze Geist, der stets verneint und (C) Vielen Dank, Herr Präsident. – Sie müssen in jedem Söder heißt, nicht wieder dazwischenschießen würde, Fall eine Grundgesetzänderung machen. Daher ist es (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Fünfmal Un- sinnvoll, sich auch mit dem Grundgesetz im Hinblick auf wahrheit sprechen ist auch nicht die Wahrheit! die Länder zu befassen. Lieber Kollege Daldrup, es sind Das ist einfach nicht wahr!) keine Querschläge und Spielchen. Ich übergebe Ihnen ein Grundgesetz. Sie werden sehen, was darin steht. Schauen übrigens ohne einen substanziellen Vorschlag dazu zu Sie sich Artikel 125a Grundgesetz an, Herr Daldrup. machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sebastian Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU] über- Brehm [CDU/CSU]: Sie reden die Unwahr- reicht Abg. Bernhard Daldrup [SPD] ein heit! Bewusst!) Grundgesetz – Bernhard Daldrup [SPD]: Da Sie beziehen sich auf ein reines Flächenmodell ohne steht drin, dass das Eigentum besteuert wird!) Wertbezug und behaupten, das sei besser. Liebe Kolle- ginnen und Kollegen, wir haben beide Modelle durch- Vizepräsident Thomas Oppermann: gerechnet; Ihnen liegen die Zahlen doch auch vor. Die Vielen Dank. – Wenn Sie beide an der weiteren Debat- Effekte des Flächenmodells will ich Ihnen noch mal te teilnehmen wollen, dann lauschen Sie jetzt dem letzten deutlich machen. Redner in dieser Debatte. Das ist der Kollege Michael Erstens. Ein Flächenmodell bedeutet, dass ein Grund- Schrodi für die Fraktion der SPD. stück oder ein Haus eines Fußballprofis in München – (Beifall bei der SPD) manche essen ihr Steak ja vergoldet – ebenso bewertet würde wie ein gleich großes Grundstück am Stadtrand oder eines im Coburger Land oder in Thüringen. Michael Schrodi (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Sie machen men und Herren! Bei der Grundsteuerreform geht es um Klassenkampf! Das ist doch Sozialismus, was die Frage, ob und vor allen Dingen wie die zweitwich- Sie machen! Erklären Sie doch mal die Ob- tigste Einnahmequelle der Kommunen – und damit die jektsteuer!) Finanzierung von Schulen, Kindergärten, Seniorenein- Das ist vielleicht einfach, aber nicht gerecht und übrigens richtungen und vielem mehr – erhalten bleibt. Wenn AfD auch nicht verfassungskonform. Deswegen machen wir und FDP das Wort „Steuern“ hören, tritt der Pawlow’sche das nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren. (B) Reflex ein. Die FDP sagt: „Oh Gott, bürokratischer Auf- (D) wand!“, die AfD sagt: Sofort abschaffen! – Das ist un- (Beifall bei der SPD – Sebastian Brehm [CDU/ seriös. Wenn wir hören, wie die AfD das kompensieren CSU]: Erklären Sie doch mal das Prinzip der will – Frau Weidel sagt nämlich: „Wir wollen dann Mittel Objektsteuer! Sie haben doch keine Ahnung!) für Arbeit und Soziales streichen“, also Mittel für Renten und das Kindergeld streichen –, dann sagen wir: Das ist Zweitens. Die Belastung verändert sich. Das muss man auch unsozial und mit uns nicht zu machen, meine sehr den Menschen draußen sagen. Unser Modell spiegelt die geehrten Damen und Herren. tatsächliche Wertentwicklung wider, was eine geringere Belastung für Wohngrundstücke und eine Wertsteigerung (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf bei Geschäftsgrundstücken und bebauten Grundstücken des Abg. Martin Reichardt [AfD]) bedeuten würde. Die FDP und die AfD sind zumindest offen und ehr- (Zuruf von der CDU/CSU: Ach so!) lich. Sie sagen: Es ist eine Besteuerung des Grundver- mögens. – Ja, es ist die letzte wertbezogene Steuer. Das Ihr Modell der Flächensteuer würde Folgendes für die Bundesverfassungsgericht hat uns diesen Wertbezug üb- Menschen bedeuten: höhere Belastung von Wohngrund- rigens aufgetragen; das hören manche hier nicht gerne. stücken und eine Entlastung von Geschäftsgrundstü- Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen die Steuer ge- cken. – Für München bedeutet das: Google oder Siemens recht ausgestalten, kommen günstiger weg, während sich Wohngrundstücke verteuern. ( [FDP]: Das stimmt ja auch nicht! Das ist falsch!) (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!) wir wollen sie einkommensneutral ausgestalten, und wir wollen, dass sie den Kommunen weiterhin zugutekommt. Auch das ist nicht mit uns zu machen, meine sehr geehr- ten Damen und Herren. Das wollen wir nicht! Wir wollen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des eine wertbezogene, gerechte Besteuerung. Abg. Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) Wir sind doch auf einem guten Weg. Wir haben eine Zur Versachlichung sage ich in Richtung FDP, AfD Einigung auf Eckpunkte mit 15 Bundesländern, und CDU/CSU: Die Höhe der Grundsteuer legen die Kommunen aufgrund ihres Hebesatzrechtes fest. Wir (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das ist ein- wollen es aufkommensneutral machen. Die Grundsteuer- fach falsch! Es ist einfach nicht wahr!) belastung hat also etwas mit dem Hebesatz zu tun. Derzeit 10520 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Michael Schrodi (A) liegt sie bei 19 Cent pro Quadratmeter. Die Grundsteuer b) Beratung der Beschlussempfehlung und des (C) ist und wird nicht der Mietpreistreiber sein. Stattdessen Berichts des Ausschusses für Familie, Senio- müssen wir mehr für den öffentlichen Wohnungsbau tun. ren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Da sind wir auf einem guten Weg. Das ist unser Weg, um für mehr bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Da Herr – zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Söder aber behauptet, etwas für Mieterinnen und Mie- Baerbock, Katja Dörner, Sven Lehmann, ter tun zu wollen, soll er sich dem Vorschlag der SPD weiterer Abgeordneter und der Fraktion anschließen, die Umlagefähigkeit der Grundsteuer bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mieterinnen und Mieter aus der Betriebskostenverord- Kinderzuschlag automatisch auszah- nung zu streichen. Dann können wir auch hier etwas tun, len – Verdeckte Armut überwinden meine sehr geehrten Damen und Herren. – zu dem Antrag der Abgeordneten Sven (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Lehmann, Annalena Baerbock, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Bis zum Ende des Jahres brauchen wir einen verfas- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sungskonformen Gesetzentwurf. Das Modell der Flä- chensteuer ist es nicht. Wir wollen starke Kommunen; Teilhabe für alle Kinder sicherstellen, ich gehe davon aus, dass wir alle das wollen. Deswegen Bürokratie abbauen lautet meine Aufforderung: Gehen Sie gemeinsam mit uns den Weg, den das BMF und die 15 Landesregierun- Drucksachen 19/1854, 19/7451, 19/8613 gen beschritten haben. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Reichardt, Mariana Iris Harder-Kühnel, (Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Fragen Sie Nicole Höchst, weiterer Abgeordneter und der mal in Hamburg!) Fraktion der AfD Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und da- Sieben Prozent Mehrwertsteuer auf Artikel rauf, dass wir die Grundsteuer für die Kommunen er- und Dienstleistungen des Kinderbedarfs – halten können. Das ist nämlich unser wichtiges Ziel an Steuern senken, Familien stärken dieser Stelle. Drucksache 19/8560 Danke schön. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Finanzausschuss (f) Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (B) Haushaltsausschuss (D) Vizepräsident Thomas Oppermann: Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen je Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der vor. Damit schließe ich die Aussprache. Fraktion Die Linke vor. Nach interfraktioneller Vereinbarung sind für die Aus- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf sprache 60 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen den Drucksachen 19/8556 und 19/8544 an die in der Ta- Widerspruch. Dann ist so beschlossen. gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlos- Wenn Sie alle Ihren Platz gefunden haben, würde ich sen. gerne die Aussprache eröffnen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf: Ich eröffne die Debatte. Als Erster hat das Wort der Bundesminister Hubertus Heil. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zes zur zielgenauen Stärkung von Familien der CDU/CSU) und ihren Kindern durch die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbesserung Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Sozi- der Leistungen für Bildung und Teilhabe ales: (Starke-Familien-Gesetz – StaFamG) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen Drucksachen 19/7504, 19/8036, 19/8435 und Kollegen! Der Deutsche Bundestag berät und be- Nr. 4 schließt heute das Starke-Familien-Gesetz. Unser Ziel ist es, Familien mit kleinen und mittleren Einkommen Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wirksam vor Armut zu schützen und dafür zu sorgen, schusses für Familie, Senioren, Frauen und dass sich Erwerbstätigkeit auch bei kleinen Einkommen Jugend (13. Ausschuss) in Deutschland mehr lohnt. Besonders – das ist mir sehr Drucksache 19/8613 wichtig – Alleinerziehende und ihre Kinder werden da- von profitieren. – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Meine Damen und Herren, viele von Ihnen kennen mich seit vielen Jahren als Kollege hier im Parlament Drucksache 19/8614 und seit einem Jahr auch als Bundesminister für Arbeit Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10521

Bundesminister Hubertus Heil (A) und Soziales. Ich komme aus Norddeutschland. Da ist Die Möglichkeiten, die wir geschaffen haben, sum- (C) man manchmal ein bisschen nüchterner und neigt nicht mieren sich für Familien – wenn dazu auch die Befreiung dazu, viel Persönliches zu erzählen. Aber ich will Ihnen von Kitagebühren durch das Gute-Kita-Gesetz zählt – an dieser Stelle – da bitte ich um Verständnis – etwas Per- leicht auf mehrere Hundert Euro. Wir verbessern übri- sönliches sagen. Ich bin Sohn einer alleinerziehenden, gens auch die Situation von Familien mit höheren Bedar- voll berufstätigen Mutter. Meine Mutter hat in den 70er- fen, zum Beispiel bei den Wohnkosten. und 80er-Jahren zwei Kinder großgezogen – ohne Unter- halt, mit hohen Schulden, die mein Vater hinterlassen hat. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz führt dazu, Es gab nicht die Möglichkeiten der Kinderbetreuung, die dass künftig 1,2 Millionen mehr Kinder Anspruch auf wir heute haben. Es gab auch keinen Kinderzuschlag, es den Kinderzuschlag haben. Insgesamt sind es dann gab kein Bildungs- und Teilhabepaket. Ich weiß deshalb 2 Millionen. Wir bauen unnötige Bürokratie ab, und wir aus eigener familiärer Erfahrung, wie schwer es alleiner- helfen mit dem Kinderzuschlag Familien, die bisher als ziehende Männer und Frauen in Deutschland trotz aller Aufstocker im Jobcenter waren, aus der Grundsicherung Verbesserung haben. Deshalb ist heute für mich ein be- herauszukommen. Das ist konkrete Politik für Familien rührender Tag. Es ist höchste Zeit, dass wir mehr tun für in Deutschland. alleinerziehende Mütter und Väter in Deutschland. Das Starke-Familien-Gesetz ist ein großer Schritt in diese (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Richtung. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Bildungs- und Teilhabepaket unterstützt Familien mit Sozialleistungen oder kleinen Einkommen. Darauf Vor allem aber geht es um die Kinder. Es geht darum, haben alle Familien ein Recht, die in der Grundsicherung ihnen unabhängig von ihrer Herkunft eine Chance auf ein sind, den Kinderzuschlag, der jetzt ausgeweitet wird, selbstbestimmtes Leben zu eröffnen. Wir wollen, mei- erhalten oder Wohngeld beziehen. Das sind zukünftig ne Damen und Herren – das verbindet meine Kollegin insgesamt 4 Millionen Kinder in Deutschland. Ja, es Franziska Giffey und mich sowie die gesamte Koaliti- stimmt ohne Zweifel, dass es nach wie vor eine Antrags- on –, dass es jedes Kind in Deutschland packt. Nicht Her- leistung ist und dass bisher der Kinderzuschlag und das kunft, sondern Talent und Leistung sollen sich in diesem Bildungs- und Teilhabepaket zu bürokratisch waren und Land entfalten. Auch das ist ein Beitrag zur Gleichstel- zu viele Menschen, die ein Recht darauf hätten, es nicht lung von Kindern in Deutschland. in Anspruch genommen haben. Ich habe mir den entspre- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chenden Antrag noch einmal angeschaut – wir werden (B) der CDU/CSU) ihn digitalisieren –, er umfasst vier Seiten; das ist nicht (D) unüberwindbar. Meine Bitte an alle hier im Parlament Mit diesem Gesetz wird der Alltag für Familien mit und in der Opposition, die das auch noch für viel zu viel kleinen und mittleren Einkommen leichter, weil sie zu- halten: Helfen Sie zumindest mit, dass das Gesetz in der sätzlich zum Kindergeld den Kinderzuschlag bekommen. Praxis mehr wirkt, indem Sie in Ihren Wahlkreisen darü- Durch die Neuregelung werden Unterhalt und Unter- ber aufklären, was das Starke-Familien-Gesetz für 4 Mil- haltsvorschuss künftig nicht mehr voll auf den Kinder- lionen Kinder in Deutschland bedeutet. zuschlag angerechnet. Dadurch haben vor allen Dingen Alleinerziehende mehr Spielraum im Portemonnaie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mit der Verbesserung im Bildungs- und Teilhabepaket der CDU/CSU) sorgen wir für ein kostenloses Mittagessen in den Schu- len, Kitas und Kindertagespflegeeinrichtungen, und wir Helfen Sie, dass diejenigen, die ein Recht darauf haben, schaffen auch die Möglichkeit zur kostenfreien Schüler- auch zu ihrem Recht kommen. beförderung. Ganz wichtig ist mir, dass wir in diesem Zusammenhang endlich auch das Schulstarterpaket kräf- Wir stärken Familien und sorgen für mehr Chancen- tig erhöhen, nämlich auf 150 Euro. gleichheit in Deutschland. Dem großen liberalen Arzt und Politiker Rudolf Virchow wird ein Zitat zugeschrie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben, ich weiß nicht genau, ob es stimmt; aber es ist ein der CDU/CSU) schönes Zitat. Er hat gesagt: Freiheit hat zwei Töchter: Bildung und Gesundheit. – Ich finde, das ist die richti- Es ist wichtig, dass Kinder unabhängig von ihrer Her- kunft Chancen auf gleiche Bildung haben. Deshalb ist es ge Idee für die Zukunft aller Kinder in unserem Land. auch richtig, dass wir den Zugang zur Lernförderung – Mit dem Starke-Familien-Gesetz gehen wir einen gro- zur Nachhilfe, um es deutlicher zu sagen – dann ermög- ßen Schritt nach vorn. Ich danke für die Unterstützung lichen, wenn er gebraucht wird, und nicht erst, wenn das im parlamentarischen Verfahren, für die Verbesserungen Kind akut versetzungsgefährdet ist; dann ist es ja meis- vonseiten der Koalitionsfraktionen. Das ist ein wichtiger tens zu spät. Wir verhelfen Kindern unabhängig von ihrer Tag für Familien in Deutschland. Herkunft zu besseren Bildungschancen. Das ist gut für das ganze Land und nutzt vor allen Dingen den Kindern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) 10522 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: machen. Familienministerin Giffey findet immer starke (C) Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Worte für ihre Gesetze, aber leider keine starken Maß- Martin Reichardt für die Fraktion der AfD. nahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut. Wir werden uns diesem Gesetz – da es ja in geringem Maße doch et- (Beifall bei der AfD) was für Kinder und Familien tut – nicht entgegenstellen. Wir können uns aufgrund seiner eklatanten Mängel aber Martin Reichardt (AfD): leider nur enthalten. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute nicht in erster Linie über Ge- (Marianne Schieder [SPD]: Das ist aber mu- setzentwürfe, Anträge oder Drucksachen. Wir reden über tig!) Kinder und Familien. Wir reden über das Mädchen, das sich mit kaltem Wasser waschen muss, weil die Warm- Hinzu kommt, dass der Staat das, was er den Kindern wasserversorgung abgestellt wurde. Wir reden über den und Familien auf der einen Seite gibt, auf der anderen Jungen, der an keiner Geburtstagsfeier teilnimmt, weil Seite wieder nimmt, unter anderem über die Mehrwert- das Geld für Geschenke nicht da ist. Wir reden über die steuer. Daher fordern wir als AfD in unserem Antrag alleinerziehende Mutter, die sich einen milden Winter 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Produkte und Dienstleis- wünscht, weil Winterstiefel teuer sind. Wir reden von tungen für Kinder. ausgegrenzten Kindern und oft verzweifelten Eltern. Wir reden von Mut- und Hoffnungslosigkeit. Wir reden (Beifall bei der AfD) über Kinder, die keine Zukunft haben; denn aus armen Kindern werden oft chancenlose Erwachsene. Mit jedem Mit der Senkung der Mehrwertsteuer werden alle Famili- Gesetzentwurf, mit jeder Drucksache, über die wir hier en direkt entlastet. Der hohe Mehrwertsteuersatz belastet entscheiden, entscheiden wir über die Zukunft von Milli- Familien überproportional. Denn gerade Familien mit onen von Kindern. Wir entscheiden darüber, ob sich die geringem Einkommen decken fast ausschließlich ihre Zukunft von Familien mit mehr als drei Kindern, die jetzt Grundbedürfnisse ab: Windeln, Schuhe, Bastelmaterial, schon zu über 27 Prozent von Armut bedroht sind, ver- Kleidung. Jeder, der selbst Kinder hat – vielleicht auch bessert. Wir haben hier kein Recht, diesen Kindern schon mehrere –, kennt diese Kosten und kann sie ermessen. heute ihre Zukunft zu verbauen. Allein bei der Erstausstattung für Neugeborene und bei Kinderkleidung würde eine Umsatzsteuersenkung (Beifall bei der AfD) 400 Euro mehr im Jahr für Familien bedeuten. Außerdem Für diese Kinder und Familien mag es auch ein biss- entlastet die Senkung der Mehrwertsteuer die besonders chen wie Hohn klingen, dass die Regierung ein Klima- von Armut bedrohten Geringverdiener und Familien mit (B) kabinett einberufen hat, das die Fragen des angeblich mehr als drei Kindern. (D) menschengemachten Klimawandels besprechen soll. Die Mehrwertsteuer in Deutschland ist leider famili- Warum, meine Damen und Herren, gibt es kein Kinder- enblind. Familienblind waren auch die Regierungen der kabinett, das Kinderarmut in Deutschland mit Nachdruck letzten Jahrzehnte. Steuerbegünstigt sind in Deutschland bekämpft? mit einer Mehrwertsteuer von 7 Prozent Kunstgegen- (Beifall bei der AfD) stände, Rennpferde, Trüffel und Hotelübernachtungen. Die Forderung ist nicht neu, aber wir greifen sie freudig Ein Kinderkabinett, in dem alle Ministerien und insbe- und optimistisch auf. 2011 wurde die Kampagne „7 % sondere auch unsere Kanzlerin gegen Kinderarmut und für Kinder“ gestartet. 2017 forderte Wirtschaftsministe- für Kinder und Familien in Deutschland eintreten! Kin- rin Zypries die Senkung der Mehrwertsteuer für Kinder- der und Familien brauchen keine ideologisch gefärbten produkte. Und im Sommer 2018 wurde auch in Thürin- Debatten. Sie brauchen eine Allianz aller Fraktionen gen darüber diskutiert. Vertreter der dortigen Koalition, im Bundestag, die den Mut und den Willen haben, über Linke, SPD und Grüne, sprachen sich dafür aus, dass der Fraktionsgrenzen hinweg Kinderarmut in Deutschland niedrige Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für alle Pro- zu bekämpfen. dukte und Dienstleistungen für Kinder gelten sollte. (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie haben keinen einzigen Vorschlag Über die Höhe der Mehrwertsteuer in Deutschland vorgelegt!) kann aber nur der Bundestag entscheiden. Lassen Sie uns für eine bessere Zukunft unserer Kinder entscheiden; Es gibt über 150 Familienleistungen in Deutschland. Sie sind verbunden mit Anträgen, Formularen und War- (Beifall bei der AfD) tezeiten. (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- denn Kinder sind nicht links oder rechts, sie sind nicht rot NEN]: Kein einziger AfD-Antrag dazu!) oder grün oder blau. Sie sind einfach unsere Kinder. Ich bitte Sie daher in aller Form und abseits von jeglichem Ein herausragendes Beispiel für diese Wartezeiten ist der parteipolitischen Kalkül um Zustimmung für unseren Kinderzuschlag, den Frau Familienministerin Giffey im Antrag. Starke-Familien-Gesetz reformieren wollte. Der Kinder- zuschlag ist und bleibt ein Bürokratiemonster. Er hat in Vielen Dank. der Vergangenheit nicht dazu beigetragen – er wird das auch in Zukunft nicht tun –, Familien wirklich starkzu- (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10523

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: dazu führen darf, dass Kinder in Armut leben müssen. (C) Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Deswegen ist die Erhöhung des Kinderzuschlags auf der CDU/CSU der Kollege Marcus Weinberg. 185 Euro für uns wesentlich. Das heißt, Kindergeld und Kinderzuschlag machen das sächliche Existenzminimum (Beifall bei der CDU/CSU) aus. Das wird dynamisiert, sodass wir nicht alle paar Jah- re bei der Frage, wie hoch die Summe sein sollte, hin- Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): terherhecheln müssen. Die Abbruchkante – das ist ein Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Antagonismus: man verdient 10 Euro mehr und verliert Kollegen! Ich will gern an das anknüpfen, was der Herr dann den kompletten Anspruch auf den Kinderzuschlag – Minister berichtet hat. Viele von uns kennen diese Le- wird endlich abgeschafft. Das ist richtig so. Die Verein- benssituation aus eigener Anschauung oder von Kindern, fachung durch einen einheitlichen Bewilligungszeitraum mit denen sie mal gearbeitet haben, die sie unterrichtet von sechs Monaten – die FDP fordert zwölf Monate – haben. Wir machen Gesetze ja nicht abstrakt und theore- und durch feste Bemessungszeiträume ist auch richtig. tisch. Dieser Gesetzentwurf ist sehr konkret. Sie können Ich finde es vernünftig, dass wir den Zeitraum anpassen. anhand vieler Beispiele ausrechnen, welche Vorteile die Eines ist beim Thema Kinderzuschlag wichtig: Es gibt vorgesehenen Veränderungen für Alleinerziehende, für Familien, die heute keinen Anspruch auf diese Leistun- Menschen, die es schwer haben, für Menschen, die für gen haben, weil ihr Erwerbseinkommen 30, 40, 50 Euro ihre Kinder Bildung und Teilhabe erleben wollen, brin- zu niedrig ist. Sie hätten eigentlich einen Anspruch auf gen. Wir können ganz konkret sagen: Die Vorteile, die SGB‑II- oder SGB‑XII-Leistungen. Sie sagen sich aber: das Gesetz bringt, kann man sehen. Deshalb ist das ein Nein, ich mache das nicht, weil ich es nicht will, weil guter Gesetzentwurf, den wir, also Regierung und Parla- ein Gang zum Amt für mich persönlich nicht zu ertra- ment gemeinsam, im parlamentarischen Prozess gegen- gen ist. – Wenn sie dann aber zehn Monate lang 30, 40, über dem Entwurf von vor fünf Wochen noch etwas bes- 50 Euro weniger in der Tasche haben, kommt für diese ser gemacht haben. Darauf können wir auch ein wenig Familien eine ganze Menge zusammen. Ich finde es klug stolz sein. und wichtig, hier einen erweiterten Zugang zu schaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir sagen: Diese verdeckte Armut – so muss man sie be- der SPD) zeichnen – bekämpfen wir, indem wir diesen Familien zugestehen, den Kinderzuschlag zu erhalten, wenn ihnen Herr Reichardt, Sie reden ja sehr überzeugend von mit ihrem Erwerbseinkommen, dem Kinderzuschlag und Kindern. Ich wünschte, Sie würden auch mal über Kin- dem Wohngeld höchstens 100 Euro fehlen, um Hilfebe- der sprechen, die in Syrien Krieg erleben und Verfolgung dürftigkeit nach SGB II zu vermeiden. Das ist eine gute (B) erleiden mussten, und sagen, wie Sie mit diesen Kindern Maßnahme, mit der wir diesen Menschen Sicherheit ge- (D) umgehen wollen; denn auch diese Kinder haben Rechte. ben, ihr Leben zu organisieren. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Das Thema Alleinerziehende wurde angesprochen. KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will das ausdrücklich unterstreichen; denn gerade Ich bitte Sie, nicht zu unterscheiden. Das ist uns wichtig. Alleinerziehende arbeiten hart und müssen trotzdem zu- Wir reden über die Kinder in diesem Land, die eine Zu- sehen, wie sie Armut für ihre Kinder abwenden können. kunft haben sollen. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir die Reglung zur Anrechnung des Unterhaltsvorschusses, also des Kindes- (Martin Reichardt [AfD]: Was ist das für ein einkommens, ändern, und es nur noch zu einem Teil, zu billiger Populismus, den Sie hier betreiben! 45 Prozent, anrechnen. Es kann ja nicht sein, dass man Sie haben keine Argumente! Nichts anderes!) auf der einen Seite einen Anspruch hat und auf der ande- – Lautstärke hilft Ihnen da auch nicht. – Ich fand es span- ren Seite eine andere Leistung, in diesem Fall der Unter- nend, dass wir das, was wir im Koalitionsvertrag veran- haltsvorschuss, komplett angerechnet werden muss. Ich kert haben, auch bei den Änderungsanträgen umgesetzt finde es gut und klug, dass man hier eine neue Lösung haben. Dass den Änderungsanträgen zugestimmt wurde schafft und nur noch einen Teil anrechnet. Die Menschen oder man sich zumindest enthalten hat, war auch ein Zei- sehen daran: Aha, es lohnt sich für uns. chen der Opposition. BuT, Bildung und Teilhabe – darauf werden die Kol- Das Gesetz hat zwei Ebenen, nämlich den Bereich legen noch näher eingehen –, sind wichtige Leistungen; „Bildung und Teilhabe“ und den Bereich „Kinderzu- denn das Zweite, was uns bei der Bekämpfung der Kin- schlag“. Das ist für uns in der Familienpolitik ein wich- derarmut im finanziellen Bereich wichtig ist, ist der Zu- tiges Thema. Warum ist das so? Weil der Kinderzuschlag gang zu Bildung und Teilhabe für diese Kinder. Bildung eine der besten familienpolitischen Leistungen ist, die es ist das Brot der modernen Gesellschaft. Das heißt, wir gibt. Das sagen alle Studien, und auch diejenigen, die ihn haben mit den Änderungen, die wir im parlamentarischen bekommen, wissen das. Der Kinderzuschlag stärkt die- Verfahren ergänzt haben, jetzt noch einmal deutlich ge- jenigen, die sagen: Ich arbeite, ich arbeite hart; aber ich macht, dass wir die Schwerpunkte hier richtig legen. Sie habe Kinder. – Es darf nicht sein, dass Menschen, die liegen auf den Themen „Schülerbeförderung“, „Mittag- arbeiten und Kinder haben, in Armut leben müssen. Der essen“ und „Nachhilfe bzw. Lernförderung“. Uns war im Kinderzuschlag ist ein Anreiz, weiterhin zu arbeiten. Das parlamentarischen Verfahren wichtig, dass wir den Satz trägt zum Selbstwertgefühl der Menschen bei. Wenn das beim Teilhabebetrag von 10 auf 15 Euro erhöhen. Der Geld dann nicht ganz reicht, sagen wir, dass das nicht alte Satz war nicht mehr ganz tauglich. Ich komme aus 10524 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) Hamburg. Das ist bekanntermaßen eine sporteuphorische Weinberg, auch einige der Hinweise, die Ihnen die Sach- (C) Stadt mit zwei fast erfolgreichen Bundesligavereinen. verständigen, aber auch wir von der Opposition gegeben Bei uns kostet eine Vereinsmitgliedschaft im Durch- haben – Stichwort „Alleinerziehende“ –, aufgenommen. schnitt 11,98 Euro. Wenn Sie im Verein Handball spie- Aber Sie sind insgesamt mal wieder zu kurz gesprungen len, ist es mit 15,86 Euro im Monat schon teurer, wenn und haben eine große Chance verpasst. Sie Mitglied im Schwimmverein sind, ist es mit 24 Euro noch teurer. Ich finde es gut und klug, dass man den Satz Das größte Problem – das wissen wir doch – ist die noch mal erhöht und sagt: Für gewisse Dinge muss kein mangelnde Inanspruchnahme des Kinderzuschlags von gesonderter Antrag mehr gestellt werden. Das gilt zum nur etwa 30 Prozent. Deutlich niedriger ist die Quote Beispiel für Klassenfahrten. Bei anderen Dingen legen beim Bildungs- und Teilhabepaket. Das bedeutet: Zwei wir aber noch Wert darauf, dass ein gesonderter Antrag Drittel der Familien bekommen diese Leistungen nicht, gestellt werden muss. Das schafft für die Familien Si- und sie werden sie auch mit diesen Maßnahmen nach wie cherheit. vor nicht bekommen. Neben dem mangelhaften Zugang zu Bildung und Teilhabe sind genau das die Probleme, Insgesamt kann ich sagen: Es waren kluge und gute die dazu führen, dass die Kinder eben nach wie vor in Beratungen. Wir haben umgesetzt, was wir uns im Ko- Armut leben bzw. nicht die Chancen haben, die sie ver- alitionsvertrag vorgenommen haben. Ein Thema ist der dienen. Zum BuT und zum Schulstarterpaket haben Sie, Kinderschutz; ein anderes Thema ist der Kampf gegen Herr Weinberg, selber gesagt, wie unzureichend beides Kinderarmut. Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf mit immer noch ist. Darauf wird mein Kollege Pascal Kober den erwähnten Korrekturen und Änderungen nun ein eingehen. Ich werde auf die Dinge eingehen, die wir richtig guter Gesetzentwurf ist. Ich bitte die Oppositi- beim Kinderzuschlag nach wie vor als große Probleme on, zuzustimmen. Das wäre ein wichtiges Signal für die sehen und die wir mit unserem Antrag angehen wollen. Menschen in diesem Land, die dann erkennen, dass diese Daher bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Koalition viel für Kinder und Familien in diesem Land gemacht hat. Deswegen bitte ich um Zustimmung. Wir wissen, dass bei der Beantragung sowohl die Herzlichen Dank. Komplexität des Antrags als auch der Irrsinn der Neube- antragung – alle sechs Monate – eine große Hürde sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Deshalb bitte ich Sie: Verlängern Sie doch auf zwölf ordneten der SPD) Monate! Bei einer Verlängerung müsste man dann nicht erneut beantragen. Vielmehr müssten nur die Dinge, die Vizepräsident Thomas Oppermann: sich geändert haben, genannt werden. Machen Sie es den Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Familien und vor allem den Alleinerziehenden doch ein- (B) der FDP der Kollege Grigorios Aggelidis. fach. (D) (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP)

Folgendes liegt mir ganz besonders am Herzen – ich (FDP): Grigorios Aggelidis verstehe nicht ansatzweise, warum Sie immer noch nicht Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Mi- in der Lage sind, eine so einfache, aber wichtige Rege- nister Heil! Meine sehr geehrten Damen und Herren! lung endlich umzusetzen –: Sie haben sich dazu durch- Herr Heil, ich möchte mal direkt auf Ihren Einstieg ein- gerungen oder herabgelassen, bei der Anrechenbarkeit gehen und auch ein bisschen von meiner Historie berich- von eigenem Einkommen der Kinder und Jugendlichen ten. Wie viele wissen, bin ich ja das klassische Gastar- diese völlig bekloppte 180-Euro-Grenze abzuschaffen. beiterkind mit Migrationshintergrund, aus bildungsferner Das heißt: Wenn ein Kind, ein Jugendlicher mit einem Schicht. Ich habe 30 Jahre Berufsleben hinter mir und Taschengeldjob mehr als 180 Euro dazuverdient – für habe 30 Jahre in die Sozialversicherungssysteme hier ein- den Führerschein oder für was auch immer –, werden gezahlt. Ich kann Ihnen sagen: Wenn jemand so spricht, von jedem Euro über dieser Grenze 100 Prozent abgezo- wie Sie es getan haben, und ich mir angucke, welche gen. Sie haben sich aber nicht dazu durchgerungen, die Rentenpakete und andere Dinge Sie in den letzten Jahren 45 Prozent Abzug vom ersten Euro an abzuschaffen. Wa- beschlossen haben, dann kann ich Ihnen als Vater von rum nicht? zwei Kindern und als familienpolitischer Sprecher, der die nächste Generation im Blick haben muss, nur sagen: Machen Sie es für Kinder und Jugendliche doch ganz Dass Sie angesichts der ungedeckten Schecks, mit denen einfach. Bestrafen Sie doch nicht Kinder und Jugend- Sie die Zukunft genau dieser Kinder belasten, eine solche liche, die aus schwierigen Einkommensverhältnissen Rede hier halten, empfinde ich persönlich als Heuchelei. kommen und die sagen: Jawohl, wir sind eigenständig. (Beifall bei der FDP – Katja Mast [SPD]: Wir machen was. – Belohnen Sie sie. Ich bitte Sie auch Das ist schäbig! – Zuruf von der SPD: Herr bei diesem Punkt: Stimmen Sie unserem Entschließungs- Aggelidis, eigentlich sind Sie doch besser!) antrag zu. Schaffen Sie eine Freigrenze von 200 Euro im Monat für genau diese Kinder und Jugendlichen. Beloh- Nun zu den Starke-Namen-Gesetzen, die ja Ihre Be- nen Sie sie. Motivieren Sie sie, auf eigenen Beinen zu sonderheit sind: Ja, es waren dringend Verbesserungen stehen und ins Leben zu gehen. Schaffen Sie zusätzlich nötig. Ja, Sie haben eine Reihe von sinnvollen und be- für einen Ferienjob einen entsprechenden Freibetrag. reits seit langem notwendigen Verbesserungen hinge- kriegt. Sie haben im parlamentarischen Verfahren, Herr (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10525

Grigorios Aggelidis (A) Wir sind der Überzeugung: Das sind zwei wichtige Weihnachtsgeld sozusagen ganz aus der Förderung fal- (C) Bausteine, die wirklich helfen. Insofern bitten wir auch len, hinterher weniger haben als vorher. da um Zustimmung. Trauen Sie sich. Springen Sie mal (Zuruf des Abg. [SPD]) richtig weit, und bleiben Sie nicht auf der Stelle stehen. Sie ziehen das Einkommen der Kinder weniger he- Vielen Dank. ran, und Sie erhöhen den Kinderzuschlag um 15 Euro. (Beifall bei der FDP) All das finden wir überhaupt nicht schlecht. Aber: Nur 30 Prozent nehmen den Kinderzuschlag überhaupt in Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Anspruch. Die Bundesregierung sagt – Sie haben gerade dazwischengerufen –, dass es mehr werden sollen. Das Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner ist finden wir ja gut. Aber warum sagen Sie dann, dass es der Kollege Norbert Müller für die Fraktion Die Linke. 35 Prozent werden sollen? Das ist doch ein Witz. Man (Beifall bei der LINKEN) kann doch nicht ein Gesetz machen, es „Starke-Famili- en-Gesetz“ nennen und sagen: Wir reformieren den Kin- Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): derzuschlag. Wenn nur 30 Prozent dieses zentrale Inst- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- rument zur Bekämpfung von Kinderarmut in Anspruch ren! Liebe Zuschauer! Je nach Statistik sind zwischen 2,5 nehmen, setzen wir uns jetzt das ambitionierte Ziel, dass und 4 Millionen Kinder in diesem Land arm. 2 Millionen es 35 Prozent werden sollen. – Ich finde, das ist völlig Kinder leben in Bedarfsgemeinschaften, das heißt, sie unterambitioniert. Das ist ein schlechter Scherz, und da- beziehen Hartz IV. Was heißt das? Diese Kinder haben mit bekämpft man keine Kinderarmut. einen schlechteren Start ins Leben. Sie haben schlech- (Beifall bei der LINKEN) tere Bildungschancen. Wenige von ihnen werden höhere Schul- oder Hochschulabschlüsse erreichen. Sie haben Ich denke, auch der Vorschlag der Grünen, der jetzt häufig eine schlechtere Gesundheit. Sie sind schlech- heute abgelehnt werden wird, nämlich darüber nachzu- ter ernährt, und sie leben kürzer. Deswegen finden wir denken, dass man den Kinderzuschlag automatisch aus- als Linke es richtig, dass diese Koalition anders als ihre zahlt, sollte durchaus weiter in der Diskussion bleiben. Vorgängerkoalition, die ungefähr die gleiche war, im Ko- Ich glaube, das geht ungefähr in die richtige Richtung. An alitionsvertrag erklärt hat, man wolle sich nun auf den dieser Stelle, finde ich, ist das ein sinnvoller Vorschlag. Weg begeben, Kinderarmut zu bekämpfen. Ich finde, das (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- sollte man ernst nehmen. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Die zweite Säule ist das Bildungs- und Teilhabe- (B) (D) Dafür nehmen Sie laut Ihrem Koalitionsvertrag die paket. Dieser Punkt ärgert mich, ehrlich gesagt, noch wahnsinnige Summe von 1 Milliarde Euro in die Hand, mehr; denn man muss zur Geschichte des Bildungs- und mit der Sie Kinderarmut nachhaltig bekämpfen wollen. Teilhabepaketes Folgendes sagen: 2011 hat das Bundes- Das mag der geneigte Zuschauer viel Geld finden. Ich verfassungsgericht geurteilt: Die Regelbedarfssätze im glaube, man muss es ins Verhältnis setzen. Laut dem Hartz-IV-System für Kinder sind verfassungswidrig. Sie gleichen Koalitionsvertrag nehmen Sie 10 Milliarden verstoßen gegen die Menschenwürde, gegen Artikel 1 Euro in die Hand, mit denen Sie den Soli abschmelzen des Grundgesetzes, weil diese Sätze ein Mindestmaß an wollen, und inzwischen fast 3 Milliarden Euro für das gesellschaftlicher Teilhabe nicht gewährleisten. Vor die- Baukindergeld. Das heißt: Die Förderung von Mittel- sem Hintergrund wäre es doch das Normalste und auch standsfamilien ist der Koalition 13 Milliarden Euro wert, das Anständigste der Welt gewesen – wir wurden leider die Beseitigung von Kinderarmut 1 Milliarde Euro – ein nicht beteiligt –, zu sagen: Wir berechnen diese Regel- Dreizehntel davon. Ich finde, ehrlich gesagt, das ist völ- bedarfssätze so, dass sie bedarfsdeckend und existenzsi- lig inakzeptabel. chernd sind, und geben das an die Kinder weiter. – Nein, das haben Sie nicht getan. Sie haben ein bürokratisches (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Monster, das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket, neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) erschaffen, um sicherzustellen, dass diese Familien ihren Anspruch eben ganz überwiegend möglichst nicht wahr- Damit dieser Widerspruch nicht auffällt, nennen Sie nehmen, und genau das passiert auch. Die Evaluation des das Gesetz „Starke-Familien-Gesetz“. „Starke-Famili- Bildungs- und Teilhabepaketes durch die Bundesregie- en-Gesetz“ klingt nämlich nach viel mehr als nur einem rung selbst hat ergeben: Dreizehntel von dem, was Sie für Mittelstandsfamilien und Besserverdienende tun. Das Starke-Familien-Gesetz Erstens. Ein Drittel der Kosten fürs BuT fließen in die hat zwei Säulen. Die erste Säule ist der Kinderzuschlag, Verwaltung. Das ist ja aberwitzig. Sie wollen Kinderar- die zweite Säule ist die Reform des Bildungs- und Teil- mut bekämpfen und geben ein Drittel des Geldes für die habepaketes. Verwaltung aus. Bei der Reform des Kinderzuschlages gibt es, finde Zweitens. Es findet eine systematische Unterdeckung ich, eine ganze Reihe von guten Punkten, die man loben des Existenzminimums statt. Das Bildungs- und Teilha- kann. Sie koppeln den Kinderzuschlag an das Existenz- bepaket ist nicht „nice to have“. Es ist Teil der Existenzsi- minimum. Sie schaffen die harte Abbruchkante ab, das cherung von Kindern, es ist Teil des Existenzminimums. heißt diesen unsäglichen Zustand, dass Familien, wenn Sie haben einen Anspruch darauf. Aber die Schülerbe- sie durch eine leichte Tarifanpassung oder durch das förderung nehmen nur 21 Prozent in Anspruch. Am Mit- 10526 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Norbert Müller (Potsdam) (A) tagessen nehmen nur 30 Prozent teil. Die Lernförderung Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) wird nur von 8 Prozent in Anspruch genommen. Das ist Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Für Bündnis 90/ die Realität. Bis zu 90 Prozent der Kinder werden durch Die Grünen hat jetzt das Wort die Kollegin Annalena das BuT überhaupt nicht erreicht. Baerbock. In der Anhörung hat die Sachverständige Frau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Schöningh deutlich gemacht, warum das so ist. Sie hat abgezielt auf die klassische Kinderzuschlagsfamilie: Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zwei Eltern gehen arbeiten und haben Einkommen, drei NEN): Kinder, zwei davon gehen zur Schule. Diese Familie Herr Präsident! Frau Ministerin! Herr Minister! Der muss jetzt nach dem Starke-Familien-Gesetz alle sechs Staat – und damit dieser Deutsche Bundestag – ist dazu Monate 17 Anträge – 17 Anträge! – stellen, damit die verpflichtet, allen Kindern in unserem Land Lebenschan- Existenz ihrer Kinder gesichert ist, und die Eltern gehen cen zu eröffnen, und nicht nur dazu, das Existenzmini- obendrein noch arbeiten. Ich finde, ehrlich gesagt, das ist mum von Kindern zu sichern. völlig unangemessen. Dafür brauchen Sie starke Eltern; aber damit stärken Sie Eltern nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN – Grigorios Das ist die Messlatte dieser heutigen Diskussion. Das Aggelidis [FDP]: Stimmen Sie doch unserem ist die Messlatte Ihres Gesetzes, weil das Bundesverfas- Antrag zu!) sungsgericht uns als Parlamentariern, als gesetzgeben- dem Organ, 2010 das nämlich so ins Stammbuch ge- Was bringt die BuT-Reform nun wirklich am Ende schrieben hat. Dieses Urteil ist unsere Messlatte und, mit des Monats im Portemonnaie? Der Eigenanteil fürs Mit- Verlaub, nicht Ihr Koalitionsvertrag. tagessen von 1 Euro wird gestrichen. Das sind je nach Schultagen ungefähr 180 bis 200 Euro im Jahr mehr. Der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eigenanteil für die Schülerbeförderung wird erlassen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das sind maximal 60 Euro mehr im Jahr. Das Schul- Wenn wir uns diese Messlatte anschauen, dann muss starterpaket wächst von 100 auf 150 Euro. Eine Studie man ganz klar sagen: Trotz der guten Änderungsanträge des Landtages Schleswig-Holstein, bei der flächende- ckend Lehrer und Eltern befragt wurden: „Was gebt ihr (Zuruf des Abg. Sönke Rix [SPD]) eigentlich für Kinder aus?“, kommt zu dem Ergebnis, – ich wollte Sie gerade loben –, die Sie ja in letzter Mi- dass je nach Schulform, je nach sozialer Lage der Eltern nute noch eingebracht haben, wird beim Kinderzuschlag (B) Familien, die über eigenes Einkommen verfügen, das und beim BuT diese Messlatte leider nicht erreicht. Und (D) über Hartz-IV-Niveau liegt, ungefähr 400 Euro für den wenn Sie ehrlich sind und den Koalitionsvertrag noch Schulbedarf ausgeben – mehr also als Familien, deren mal lesen, dann stellen Sie fest: Auch die Messlatte Ihres Bedarf aus dem BuT gedeckt wird. Sie loben sich jetzt Koalitionsvertrages wird nicht erreicht; denn dort haben ernsthaft dafür, dass Sie das Schulstarterpaket von 100 Sie gesagt, Sie wollen dem Kampf gegen Kinderarmut auf 150 Euro erhöhen. Das heißt: Familien mit ärmeren die höchste Priorität geben. Kindern steht für den Schulbesuch und den Schulbedarf der Kinder nach wie vor weniger als die Hälfte von dem Schauen wir das Ganze jetzt mal genau an. Kollege zur Verfügung, was in Familien, die über ein ausreichen- Müller hat schon darauf hingewiesen: Sie stellen für die des Einkommen verfügen, ausgegeben wird. Das ist, fin- nächsten drei Jahre knapp 1,3 Milliarden Euro für die de ich, völlig unzureichend und auch kein gutes Signal. Reform des Kinderzuschlags und des BuT in den Haus- halt ein, während für die Kindergelderhöhung und für das (Beifall bei der LINKEN) Baukindergeld 6 Milliarden eingestellt werden. Damit stärken Sie nicht die ärmsten Familien in unserem Land. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir haben selber einen Entschließungsantrag vorgelegt. Er ist ganz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kurz. Ehrlich gesagt: Ich glaube, zumindest Sozialdemo- Wenn Sie beim Kinderzuschlag eine Steigerung der kraten und Grüne könnten ihm zustimmen. Wir fordern Inanspruchnahme von 5 Prozent planen, Herr Kolle- erstens, das Existenzminimum neu zu berechnen, um ge Heil, dann packt es eben nicht jedes Kind, wie Frau sicherzustellen, dass die Hartz-IV-Regelbedarfssätze für Giffey es eigentlich angekündigt hatte. Kinder verfassungskonform sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie sich 14 Jahre nach der Einführung des Wir fordern zweitens, die entsprechende Unterdeckung Kinderzuschlags damit zufriedengeben, dass er bei nur durch das Bildungs- und Teilhabepaket, wie ich sie hier 35 Prozent ankommt, das heißt bei zwei von drei Fa- skizziert habe, zu beenden, damit kein Kind in diesem milien und Kindern nicht ankommt, dann ist es beschö- Land, wenigstens innerhalb dieses bestehenden Systems, nigend, zu sagen: Wir sprechen hier von einer Orien- mehr arm sein muss. tierungsgröße. – Das ist einfach nur falsch, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10527

Annalena Baerbock (A) Um verdeckte Armut in unserem Land wirklich zu be- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) kämpfen und um Alleinerziehenden, von denen Sie alle Für die Fraktion der SPD hat das Wort die Kollegin jetzt sprechen, wirklich zu helfen, muss der Bezug des Katja Mast. Kinderzuschlags genauso einfach sein wie die Günstiger- prüfung bei der Steuererklärung. Wir alle legen die Hän- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Maik de in den Schoß und überlassen es dem Finanzamt, zu Beermann [CDU/CSU]) prüfen, ob es für uns nun besser ist, Kindergeld zu bezie- hen oder von Kinderfreibeträgen zu profitieren. Nur den Katja Mast (SPD): Alleinerziehenden, nur den Familien, die ohnehin schon Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und genug damit zu tun haben, um über die Runden zu kom- Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir men, geben Sie weiterhin als Auftrag, sich durch zig Do- diskutieren heute das Starke-Familien-Gesetz. Klar ist kumente zu wühlen, nicht wissend, wo die Informationen doch: Wer eine Kindergrundsicherung in dieser Republik sind. Und dann feiern Sie eine Website dafür ab, dass sich will – die SPD will eine sozialdemokratische Kinder- hier in Zukunft einiges verbessern wird. Das entspricht grundsicherung, bei der dem Staat jedes Kind gleich viel nicht unserem Anspruch von guter Politik. wert ist –, der braucht als ersten Schritt das Starke-Fami- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lien-Gesetz, das den Kinderzuschlag reformiert. Natürlich sagt die Opposition immer, wie es an- (Beifall bei der SPD) ders besser gehen würde. Aber, Frau Giffey, Sie haben Deshalb sind wir froh und stolz, dass wir das heute hier selbst – Sie wissen ja, wie es bei den Familien vor Ort diskutieren. ist – in der Ausschusssitzung am 16. Januar 2019 erklärt, dass die Messlatte bei der Reform des Kinderzuschlags Sich hierhinzustellen, wie es meine drei Vorrednerin- ist, sich daran messen zu lassen, ob der Kinderzuschlag nen und Vorredner gemacht haben – Sie, Frau Baerbock, wirklich bei allen Kindern ankommt. Bei zwei von drei gerade auch –, und zu sagen: „Kindergeld hilft den armen Familien kommt er nicht an. Deswegen muss man sagen: Familien nicht“, ist nur halb richtig, Ihre Messlatte hier ist nicht erreicht. (Maik Beermann [CDU/CSU]: Quatsch! Das Abschließend kann ich nur sagen: Ja, eine gute PR ist ist einfach falsch!) manchmal hilfreich. Aber eine gute PR allein holt Kinder weil alle Familien, die vom Kinderzuschlag profitieren, nicht aus der Armut. Dafür braucht es eine Kindergrund- auch von der Kindergelderhöhung profitieren. sicherung. Die bringen wir heute an dieser Stelle in den (B) Deutschen Bundestag ein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch das ist nicht trennscharf an dieser Stelle.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Natürlich steht in dem Gesetzentwurf eine Annahme der Bundesregierung, wie breit der Kinderzuschlag wirkt. Frau Kollegin. Aber wir alle müssen doch den Ehrgeiz haben, jeder und jede einzelne Abgeordnete hier im Haus – Minister Heil Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und auch Franziska Giffey haben es schon gesagt –: Wir NEN): müssen die Werbetrommel dafür rühren, dass es nicht nur eine Inanspruchnahme von 35 Prozent gibt, sondern von Ich komme zum Schluss. – Wenn Sie wirklich wollen, 100 Prozent. – Dafür stehen wir als SPD, und da wollen dass jedes Kind zum Kindergeburtstag gehen kann, wenn wir auch hin. Sie wirklich wollen, dass Alleinerziehende nicht noch ei- nen zweiten Job aufnehmen müssen, und wenn Sie wirk- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich wollen – das gehen Sie gar nicht an –, dass Kinder, der CDU/CSU) die im Hartz‑IV-Bezug sind, die 150 Euro, die sie sich für den Abiball erarbeiten, behalten können und dass das Unser Ziel in dieser Debatte ist: Es geht uns darum, Geld am Ende nicht noch bei ihren Müttern angerechnet in der Bundesrepublik Deutschland alle Familien – alle wird, – Familien! – zu stärken. Das ist das zentrale Ziel für uns von der SPD.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Mit dem Starke-Familien-Gesetz wenden wir uns den Familien zu, die einkommensschwach sind. Einkom- Frau Kollegin Baerbock, bitte. mensschwach heißt: Jeder Euro, jeder Cent wird zwei- mal umgedreht. Über diese Familien reden wir heute bei diesem Gesetzentwurf. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Hubertus Heil hat aus seiner Biografie klargemacht, – dann brauchen Sie eine Kindergrundsicherung. Das wie es ist, bei einer alleinerziehenden Mutter aufzuwach- erwarten die Familien in diesem Land von Ihnen. sen, wo jeder Euro zweimal umgedreht wird. Auch ich selbst teile dieses Schicksal, auch viele andere im Haus; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ich weiß das. Hier gibt es auch alleinerziehende Mütter. 10528 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Katja Mast (A) Was heißt es denn, 5 oder 10 Euro pro Kind – viel- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) leicht sind es auch 15 oder 20 Euro, je nachdem – im Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Monat mehr in der Tasche zu haben? Ich weiß, dass das für die Familien verdammt viel Geld ist. Katja Mast (SPD): (Martin Reichardt [AfD]: Das ist doch be- Ich komme zum Schluss. – Wir reduzieren den Büro- schämend!) kratieaufwand. Dieses Gesetz steht für uns auch für den Sozialstaat als Partner. Es ist ein Schritt dahin, dass Men- Genau das beschließen wir hier heute: dass die Familien schen die Leistungen, die ihnen zustehen, besser und ein- mehr Geld am Ende des Monats haben, um ihre Kinder facher bekommen. Da, wo mehr Leistungen notwendig zu fördern. sind, kommen auch mehr Leistungen hin, und zwar für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bildungschancen und Teilhabe. der CDU/CSU) (Martin Reichardt [AfD]: Willy Brandt würde Daran kann jedenfalls ich nichts Beschämendes finden. sich im Grabe umdrehen!) Ich will noch mal aufzählen, was die Verbesserungen beim Bildungs- und Teilhabepaket für die Familien und Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: die Kinder bedeuten: mehr Geld, weil die Zuzahlung zum Frau Kollegin, bitte. Mittagessen entfällt; mehr Geld, weil die Schülerfahrkar- te gebührenfrei wird; mehr Geld für die Schulsachen und Katja Mast (SPD): mehr Geld für den Sportverein und die Musikschule. Das Wir werden mit dieser Politik weitermachen: nach alles bleibt am Ende bei den Familien. dem Gute-Kita-Gesetz auch mit dem Rechtsanspruch auf (Beifall bei der SPD) Ganztagsbetreuung im Grundschulalter und mit Kinder- rechten im Grundgesetz, damit es jedes Kind packt. Bei den Vereinen ist klar: Wenn Kinder in Vereinen mitmachen, dann bleibt es nicht beim Training einmal (Beifall bei der SPD) die Woche. Sie fahren am Wochenende zu einem Turnier, oder es gibt ein Zeltlager des Vereins. Wir sagen: Dafür Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: reichen die 15 Euro am Ende des Monats vielleicht nicht Für die AfD hat das Wort der Kollege Stefan Keuter. aus. Aber die Familien können noch zusätzlich Leistun- gen dafür beantragen. Das halte ich für ganz wichtig für (Beifall bei der AfD) die Teilhabe von Kindern in dieser Gesellschaft. (B) (AfD): (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Stefan Keuter der CDU/CSU) Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- legen! Das deutsche Steuerrecht ist bekanntlich eines Und: Wir verbessern die Nachhilfeförderung. Ich der weltweit kompliziertesten. Böse Zungen sagen so- selbst habe es erlebt, wie es ist, wenn man keine Nachhil- gar, dass 80 Prozent der weltweiten Steuerliteratur aus fe in Anspruch nehmen kann, und was das für die Noten Deutschland kommen, obwohl hier nur 2 Prozent der in der Schule bedeutet. Deshalb ist es ganz wichtig, die weltweiten Steuerzahler beheimatet sind. Lernförderung hinzubekommen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Quelle!) Mit dem neuen und verbesserten Kinderzuschlag im Verantwortungsbereich von Franziska Giffey unterstüt- Die Umsatzsteuer mit ihren Ausnahmeregelungen mu- zen wir gezielt die Familien mit geringem Einkommen, tet hier bislang sehr skurril an. Schauen wir uns einmal wo das Geld knapp ist. Das heißt, niemand, der für sich ein jedes Jahr wiederkehrendes Beispiel an: Weihnachts- genug Geld verdient, soll wegen der Kinder auf Hartz IV bäume. Sie kaufen einen Weihnachtsbaum – dieser ist angewiesen sein. Das ist genau das Versprechen, das wir bereits geschmückt – oder einen Kunstweihnachtsbaum: da machen. Sie zahlen 19 Prozent Umsatzsteuer darauf. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Früher war der CDU/CSU) mehr Lametta!) Der Kinderzuschlag sorgt dafür, dass künftig 1,2 Millio- Wenn dieser Weihnachtsbaum artgerecht gehalten wurde nen mehr Kinder und vor allen Dingen Alleinerziehende und von einem Gewerbetreibenden kommt oder einem davon profitieren. nicht pauschalierenden Landwirt, zahlen Sie 7 Prozent Umsatzsteuer. Sobald dieser Landwirt pauschalierend Wir setzen mit dem Kinderzuschlag zusätzlich ein ist, zahlen Sie 5,5 Prozent Umsatzsteuer, wenn dieser Versprechen um: Wer mehr arbeitet, wer also mehr Ein- Baum in der freien Wildbahn gewachsen ist. Sie zahlen kommen bekommt, hat am Ende des Tages mehr in der 10,7 Prozent, wenn er aus einer Großkultur stammt. Tasche. Insofern ist auch ein Leistungsanreiz dabei. Auch das halten wir für diese Familien für wichtig. Andere Beispiele: Wir haben 7 Prozent Umsatzsteuer auf Kartoffeln, aber 19 Prozent auf Süßkartoffeln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Kerstin Tack [SPD]: Das hat doch der Kolle- der CDU/CSU) ge schon erzählt! Sie müssen doch nicht die- Wir beseitigen die Abbruchkante usw. selbe Rede halten!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10529

Stefan Keuter (A) 7 Prozent auf Obst, 19 Prozent auf Obstsaft. 7 Prozent während Mineralwasser, Obstsaft oder Babywindeln mit (C) auf Kuhmilch, 19 Prozent auf Sojamilch. 19 Prozent belegt werden? Lassen Sie uns diesen Irrsinn beenden (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben keine Steuerdebatte (Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: „Been- hier!) den“ ist ein gutes Stichwort!) 7 Prozent auf Schnittblumen, 19 Prozent auf Topfblumen. und an dieser Stelle einen mutigen Anfang machen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Baum Vielen Dank, meine Damen und Herren. nadelt!) (Beifall bei der AfD) 7 Prozent auf Hundekekse, 19 Prozent auf Kinderkekse und Babynahrung. 7 Prozent auf Zeitschriften, 19 Pro- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zent auf Kinderwindeln. – Sie sehen, worauf ich hinaus- Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Maik will. Beermann. Noch absurder wird es zum Beispiel beim Kauf von (Beifall bei der CDU/CSU) Reitpferden. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie zum Maik Beermann (CDU/CSU): Thema!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben ei- Hier haben wir 7 Prozent Mehrwertsteuer. Warum? Weil nen kleinen Exkurs in Sachen Steuerpolitik bekommen. man diese Pferde theoretisch auch essen kann. Sehr interessant. Vielen Dank, Herr Keuter. Ich fordere (Heiterkeit bei der AfD – Pascal Kober jetzt einfach mal pauschal 7 Prozent für die AfD. [FDP]: Keine Ahnung, um was es geht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ernsthafte Versuche, die Mehrwertsteuer zu reformie- Katja Mast [SPD]: Drei zu viel! – Zuruf von ren, hat es seitens der Bundesregierung nicht gegeben. der AfD: 19 Prozent!) Gut, wir sehen mal von dem erfolglosen Wurf bei den – Wir fangen damit erst mal an. Hotelübernachtungen – dies war eher Lobbypolitik – und der Trennung von Übernachtungs- und Verpflegungsleis- Lieber Herr Kollege Aggelidis, Sie haben dem Mi- tungen ab. nister, der sich jetzt aus den Reihen der Parlamentarier (B) verabschiedet hat, unterstellt, dass er in den nächsten (D) ( [SPD]: Kommen Sie mal zur Monaten ungedeckte Schecks ausstellt in Form seiner Sache, Herr Kollege!) politischen Gestaltung. Da es seit Jahren nicht möglich zu sein scheint, einen (Grigorios Aggelidis [FDP]: Ja! – Dr. Florian großen Wurf bei der Umsatzsteuer zu machen, lassen Sie Toncar [FDP]: Die CDU übrigens auch!) uns zunächst die Interessen der Familien stärken. Uns al- len ist das demografische Problem bekannt. Manche von Sie fordern eine Aufstockung des Bewilligungszeitraums Ihnen wollen es lösen, indem man alleinreisende junge für den KiZ von sechs auf zwölf Monate. Ja, da muss Männer mit schlechtem Bildungsstand aus kulturfrem- man sich auch mal mit der Gefahr auseinandersetzen, den Ländern illegal ins Land schleust. dass möglicherweise auch Familien – so hart es klingt – Gelder bekommen, die ihnen vielleicht gar nicht mehr (Zurufe von der SPD): Uh!) zustehen. Wir haben auch hier eine Verantwortung, mit Steuergeldern vernünftig umzugehen. Ich glaube, mit Wir wollen die hier lebenden Familien mit ihren Kindern dem Zeitraum von sechs Monaten, den wir jetzt vorse- unterstützen. hen, haben wir einen guten Schritt getan. Damit lassen (Beifall bei der AfD – Kerstin Tack [SPD]: Sie uns einfach erst mal beginnen. Aber dicht, ganz dicht am Thema! – Weitere Zurufe von der SPD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: – Ja, da können Sie sich ruhig beklagen und blöd schau- Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen en. Dem ist so. Aggelidis? Die Mehrwertsteuer auf Produkte und Dienstleistun- (CDU/CSU): gen mit direktem Bezug zur Erziehung, Betreuung und Maik Beermann Pflege von Kindern wollen wir auf 7 Prozent reduzie- Herr Aggelidis, ich lasse Ihre Frage zu. ren. Im Gegenzug sollen Produkte, die keinen erkenn- baren Bezug zur Grundsicherung haben, mit dem vollen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Umsatzsteuersatz belegt werden. Warum werden zum Herr Aggelidis. Beispiel Eis, Gummibärchen, Kartoffelchips, Riesengar- nelen oder Wachteleier mit einem geringeren Steuersatz Grigorios Aggelidis (FDP): belegt, Vielen Dank, Herr Beermann, dass Sie diese Zwi- (Kerstin Tack [SPD]: Das ist peinlich!) schenfrage gestatten. – Ich muss fragen, ob Sie das alles 10530 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Grigorios Aggelidis (A) im Detail gelesen haben. Genau der Punkt ist vorgese- auswirkt. Im Bereich des Bildungs- und Teilhabepa- (C) hen. Wenn es Änderungen gibt, dann sollen die innerhalb ketes – ich habe es gerade schon gesagt – begrüße ich von ein bzw. zwei Monaten angezeigt werden. Somit ausdrücklich – der Kollege Weinberg ist auch darauf wäre das eigentlich nicht das Problem. eingegangen –, dass die Teilhabeleistung für Vereinsbei- träge von 10 auf 15 Euro erhöht wird, und das auch pau- (Sönke Rix [SPD]: So viel zu „weniger Büro- schaliert, ohne dass jedes Mal ein Antrag beim Jobcenter kratie“!) gestellt wird oder eine Einzelfallprüfung beim Jobcenter – Moment mal, bitte! – Das ist die erste Frage. stattfindet. Diese Gelder werden pauschaliert ausgezahlt, fließen direkt an die Familien. Damit werden wichtige Meine zweite Frage habe ich jetzt vergessen. Gehen Verwaltungsvereinfachungen und auch eine Entbürokra- Sie mal auf die erste Frage ein. tisierung herbeigeführt. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zusätzlich erhöhen wir das Schulstarterpaket auf NEN]: Wir sind nicht in der Fragestunde!) 150 Euro, ermöglichen für mehr Schülerinnen und Schü- ler individuelle Lernförderung, auch wenn keine akute Maik Beermann (CDU/CSU): Versetzungsgefährdung besteht. Auch das ist eine Ver- Ich gehe dann ausschließlich auf die erste Frage ein, besserung. Wir streichen den Eigenanteil beim Mittag- weil die andere wahrscheinlich gar nicht so gut war. – essen und bei der Schülerbeförderung. Seien wir doch Wenn Sie auf der einen Seite von Entbürokratisierung mal ehrlich: Dieser 1 Euro, den die Familie bisher aus sprechen und hier fordern, dass alle ein bis zwei Monate der eigenen Tasche für das Mittagessen bezahlen muss- Veränderungen eingereicht werden müssen, dann schaf- te, summiert sich auf ungefähr 20 Euro im Monat. Ich fen Sie damit das nächste Bürokratiemonster. Von daher möchte nur mal erwähnen, dass das gar nicht so wenig bringt das gar nichts. ist. Es gehört an dieser Stelle einfach mal gesagt, dass wir hier einen großen Schritt vorankommen und Fami- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und lien entlasten. der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Herr Müller, Sie fordern Erleichterungen beim Bil- ordneten der SPD – Zuruf des Abg. Norbert dungs- und Teilhabepaket. Sie sagen, dass es viel zu bü- Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) rokratisch ist. Sie vergessen dabei immer, dass wir das Thema Digitalisierung auch hier in den Vordergrund – Herr Müller, Sie sagen: 1 Euro ist kein großer Schritt. – stellen und natürlich anstreben, Erleichterungen her- Sie sehen immer nur das Eine. Sehen Sie doch auch mal beizuführen. Es ist das klare Ziel der Koalition und der den Blumenstrauß, den wir in den letzten Jahren insge- (B) Bundesregierung, das so unkompliziert wie möglich zu samt auf den Weg gebracht haben. (D) machen. (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: (Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: 1 Milliarde für die Kinder und 3 Milliarden Klar, alles online, kein Problem!) für das Baukindergeld!) Klar, alles war kompliziert. Deshalb muss jetzt beispiels- – Ja, das sind doch ideologische Debatten, die Sie füh- weise auch nur noch ein Antrag auf Lernförderung ge- ren. – Wir haben in den letzten Jahren die Kinderbe- stellt werden. Auch hier haben wir deutlich pauschaliert. treuung ausgeweitet und unterstützt. Wir haben das Man darf die Pauschalierung bei der Teilhabeleistung in Kindergeld erhöht. Wir haben im Bereich des Unterhalts- Höhe von 15 Euro für Musik- und Sportvereine nicht ver- vorschusses einiges getan und Alleinerziehende nicht nur gessen. Auch hier ist es deutlich einfacher geworden. Sie mit diesem Gesetz unterstützt. Wir haben das Elterngeld tun immer so, als ob es ein riesiges Bürokratiemonster eingeführt und in der letzten Legislatur zum Elterngeld gewesen ist und immer noch bleibt. Das stimmt einfach Plus ausgebaut. Das trägt auch dazu bei, Kindern aus der nicht. Wir entbürokratisieren und erleichtern die Antrag- Armutsfalle zu helfen. Erkennen Sie das einfach mal an. stellung. Mit der Digitalisierung wird es zukünftig noch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- besser. ordneten der SPD) Wenn wir jetzt schauen, was wir in den letzten Wo- chen in der parlamentarischen Debatte und auch in den Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Verhandlungen gemeinsam mit dem Koalitionspartner Sie mir, zum Schluss noch zwei Punkte anzusprechen. erreicht haben, dann können wir feststellen, dass wir mit Wir hoffen sehr, dass wir die Abrufquote spürbar er- dem neuen Gesetz nicht nur mehr Familien und Allein- höhen können. Lassen Sie uns das nicht immer an den erziehenden mit kleinem Einkommen helfen, indem wir 30 Prozent festmachen. Natürlich wollen wir mehr als den Kinderzuschlag erhöhen, ausbauen und transparenter 35 Prozent erreichen. Das Ziel ist – das hat die Kolle- gestalten, sondern auch die Leistungen für Teilhabe und gin Mast auch gesagt –, dass wir natürlich auch noch die Bildung – ich habe es Ihnen schon gesagt – deutlich ver- anderen 70 Prozent der Familien erreichen, denen dieser bessern. Anspruch zusteht. Aber lassen Sie uns dafür werben, und lassen Sie uns nicht immer alles schlechtreden, sondern Ich freue mich insbesondere darüber, dass wir auch gehen Sie raus, tragen Sie es einfach in die Welt, und den Erwerbsanreiz stärken. Den Erwerbsanreiz stär- weisen Sie die Familien darauf hin, dass sie diese Leis- ken wir, indem wir dafür sorgen, dass sich zusätzliches tung bekommen können und einen Anspruch darauf ha- Einkommen mehr auszahlt und nicht mehr nachteilig ben. Wir müssen fairerweise auch sagen, dass es zum Teil Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10531

Maik Beermann (A) nur daran liegt, dass es vielerorts im Land bereits viele ber Herr Bundesminister Heil, haben Sie nicht den Weg (C) kostenlose Angebote gibt, wie zum Beispiel Sozialtickets zu Horst Seehofer genommen? Warum haben Sie sich oder kostenfreie Mitgliedschaften im Verein. Solche Fäl- nicht getraut, ins Bauministerium zu gehen und auch das le gibt es. Solche Fälle bestehen. Und deswegen gibt es Wohngeld in Ihren Vorschlag zu integrieren? auch keinen Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabe- (Hubertus Heil, Bundesminister: Das machen paket, weil eben ein zu deckender Bedarf gar nicht vor- wir noch!) handen ist. Das wäre richtig gewesen; das wäre der große Wurf ge- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE wesen. Sie sind da weit hinter den Möglichkeiten zurück- GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Natürlich geblieben. haben die Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket!) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das sollte man bei der Kritik an der Abrufquote auch im Kopf haben. Sie haben jetzt hier in Ihrer Rede ausdrücklich be- tont, dass Ihnen die Entwicklungschancen von Kindern Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Dieses am Herzen liegen. Das ist richtig. Ich habe Ihnen in der Gesetz ist nicht das Einzige, was wir tun, um Kinder- ersten Lesung dieses Gesetzes vorgeworfen – ich bin Sie armut zu bekämpfen. Deswegen noch mal: Vehementes hart angegangen –, dass Sie bei den Teilhabechancen – Schlechtreden oder das Spalten vonseiten der Opposition Besuch eines Sportvereins, Erlernen eines Instrumentes – finde ich ziemlich daneben. Wir sollten nicht durch stän- keinen Cent geben wollten. Jetzt haben Sie sich mühsam diges Schlechtreden Angst einflößen und die Sorge von durchgerungen, und herausgekommen sind 5 zusätzliche Familien verstärken, sondern wir sollten Mut in den Vor- Euro. Lieber Herr Heil, bei der Rente verteilen Sie mit dergrund stellen und vor Ort für dieses Gesetz werben. dem Gartenschlauch Milliarden, und bei den Kindern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sind Sie hartherzig und feilschen um jeden Cent. der SPD) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Udo Eines ist klar, liebe Kolleginnen und Kollegen: Kein Theodor Hemmelgarn [AfD] – Zurufe von der Kind wird in unserer Gesellschaft zurückgelassen. CDU/CSU und der LINKEN) (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Lieber Herr Heil, Rentner gegen Kinder auszuspielen, ist GRÜNEN]: Doch, 70 Prozent!) keine gute Sozialpolitik. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu diesem Gesetz. Schauen wir auf das Schulstarterpaket, das Sie auch (B) explizit angesprochen haben. Da sind Sie bereit, 50 Euro (D) Vielen Dank. mehr zu geben. Wir als FDP haben 70 Euro gefordert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Und bei den 20 zusätzlichen Euro setzen Sie den Rotstift ordneten der SPD) an, lieber Herr Heil. Das ist nicht fair; das ist ungerecht, und das schafft keine guten Bildungschancen für die Kin- der. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Pascal (Beifall bei der FDP) Kober. Ein Weiteres kann ich Ihnen leider auch nicht erspa- (Beifall bei der FDP) ren: Sie persönlich und Ihre Kollegin Schwesig waren es ja, die im Vermittlungsausschuss 2010 verhindert haben, Pascal Kober (FDP): dass wir das Bildungs- und Teilhabepaket digitalisiert auf den Weg gebracht haben. Das haben Sie damals verhin- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dert. Heute gibt es Kinder, die, weil das Antragsverfahren Sehr geehrte Frau Bundesministerin Giffey, sehr geehr- zu kompliziert ist oder weil das Bildungs- und Teilhabe- ter Herr Bundesminister Heil, unser Sozialstaat kennt paket überhaupt zu unbekannt ist, diese Leistungen nicht so manche Absurdität. Eine alleinerziehende Mutter, bekommen. Lieber Herr Heil, da wäre es jetzt an der Zeit zwei Kinder, halbtagsbeschäftigt, Bruttoeinkommen gewesen, Ihren historischen Irrtum von damals zu korri- 1 300 Euro, kommt zusammen mit Wohngeld, Kinderzu- gieren. Das haben Sie nicht gemacht. schlag und Kindergeld auf etwa 2 070 Euro netto. Würde sie ihre Arbeitszeit ausweiten und über 1 000 Euro mehr Ich kann Ihnen auch nicht ersparen – mit Erlaubnis verdienen, sagen wir 2 500 Euro, dann hätte sie am Ende des Präsidenten –, aus dem Protokoll der Bundestagssit- netto nicht mehr zur Verfügung als vorher. Das ist absurd. zung vom 3. Dezember 2010 zu zitieren. Da sagten Sie, Das ist leistungsfeindlich. Auf diesen Tatbestand weisen lieber Herr Heil: wir vonseiten der Freien Demokraten schon seit über Frau Ministerin, 20 Jahren hin. – gemeint war Frau von der Leyen – (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hansjörg Müller [AfD]) wir haben wieder einmal das typische Von-der-­ Leyen-Prinzip erlebt: warme Worte, kalte Taten. Jetzt haben Sie einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Sie haben einen kleinen Schritt gemacht, aber Lieber Herr Heil, ich kann Ihnen nur sagen: Wer so aus- der große Wurf ist ausgeblieben. Warum eigentlich, lie- teilt, der muss, zumindest wenn er in der Verantwortung 10532 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Pascal Kober (A) ist, seine Worte durch bessere Politik mit Glaubwürdig- Zum Zweiten. Dass Sie die Kinderregelsätze nicht (C) keit unterlegen. erhöhen, hinterlässt eine dermaßen klaffende Lücke in Ihrer gesamten Sozialpolitik. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU] – Sönke Rix [SPD]: Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nau das haben wir gemacht!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Selbst Malstifte werden heute im Kinderregelsatz nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: berücksichtigt, weil man die ja theoretisch in Kita und Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Schule hat. Das ist doch total absurd. Wir müssen endlich Sven Lehmann. mal aufhören, Kinder als kleine Hartz‑IV-Empfänger zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) betrachten, an denen gespart werden kann. Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten und haben eigene An- sprüche, liebe Kolleginnen und Kollegen, und die müs- Sven Lehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sen erfüllt werden. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben eingangs sehr treffend darge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt, was es für Kinder bedeutet, bei alleinerziehenden und bei der LINKEN) Eltern groß zu werden. Wir alle hier waren mal Kind, und Wir Grüne beantragen deswegen heute neben der au- wir wissen, was Kinder sich wünschen, um gut aufwach- tomatischen Auszahlung des Kinderzuschlags auch die sen zu können. Kinder wünschen sich, aufgehoben zu Erhöhung der Kinderregelsätze als Einstieg in eine Kin- sein, selbstverständlich dazuzugehören, unbelastet von dergrundsicherung, und wir beantragen mehr Investitio- großen Sorgen aufwachsen zu können. nen in gute, kostenfreie Angebote vor Ort. Das sollte uns Was passiert aber jetzt mit Kindern, die spüren, dass jedes Kind wert sein. die Kosten für die nächste Klassenfahrt zu Hause finan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zielle Sorgen bereiten, dass es eben nicht selbstverständ- lich ist, in der Schule mit anderen Kindern zusammen Ich bitte Sie also: Nehmen Sie endlich Abstand von Bü- zu essen, dass sie nicht einfach wie alle anderen Kinder rokratie und Anträgen und Formulardschungel, damit in den Sportverein gehen können, dass die Familie je- endlich alle Kinder selbstverständlich zu ihrem Recht den Cent zweimal umdrehen muss, wenn neue Schuhe kommen. gekauft werden müssen? Diese Kinder erleben sich und Vielen Dank. ihre Familien als bedürftig. Sie stellen ihre Wünsche (B) dann oft zurück oder verneinen ihre Bedürfnisse sogar, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) um den finanziellen Druck von ihren Eltern zu nehmen. Es sind aber keine Luxusdinge, über die wir hier spre- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: chen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es gibt grundle- Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort die Kollegin gende Ansprüche und Rechte, die wir endlich für jedes . Kind umsetzen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU): Deswegen finden wir Grüne es gut, dass es jetzt Verbes- Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- serungen beim Kinderzuschlag und beim Zugang zu Bil- gen! Lieber Kollege Lehmann, Kinder sind Gott sei Dank dung und Teilhabe geben wird. Jetzt sagen Sie: Ja, das immer Teil von Familien. steht doch alles in unserem Gesetz. – Aber mit dem heuti- (Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen Gesetz bleibt ein ganz großes Problem bestehen: Die NEN]: Bei Hartz IV wird das zum Nachteil!) Instrumente bleiben bürokratisch, es bleibt bei Anträgen, und es werden weiterhin nicht alle Kinder erreicht. Deshalb haben wir als Union einen Ansatz in der Famili- Erstens. Das Bildungs- und Teilhabepaket ist zum enpolitik, bei dem alles zusammen betrachtet wird. Inso- Beispiel nicht on top, es ist kein nettes Geschenk der Po- fern richtet sich unser Gesetz heute gezielt an eine Grup- litik. Der Zugang zu Bildung und Teilhabe gehört zum pe von Familien, die uns besonders wichtig ist, und zwar Existenzminimum, das jedem Kind verfassungsrechtlich an die, die zur arbeitenden Bevölkerung gehört, aber so garantiert zusteht. bescheidene Einkommen erwirtschaftet, dass es für die Versorgung von Kindern kaum reichen würde, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es dabei bliebe. Es ist deshalb eine wichtige Zielgrup- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) pe, weil – das ist schon angeklungen – Berufstätigkeit und eigenes Einkommen die wirtschaftliche Basis einer Genau deswegen wird bei jedem Kind, das künftig diese Familie stärken, aber eben auch das Selbstwertgefühl Leistungen nicht in Anspruch nimmt, das Existenzmini- von Kindern und Eltern. Das zusammen ist tatsächlich mum unterschritten; und das ist nicht akzeptabel, liebe die beste Grundlage für ein gutes Aufwachsen von Kin- Kolleginnen und Kollegen. dern; und darum geht es uns genauso wie Ihnen. Diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Familien zu stärken, ist nämlich der Grundgedanke des sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kindeszuschlags und auch des Bildungs- und Teilhabe- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10533

Bettina Margarethe Wiesmann (A) pakets. Kinder aus diesen Familien sollen vergleichbare es gut ist. Deshalb können wir zufrieden sein und das (C) Bildungs- und Teilhabechancen haben wie Kinder aus Gesetz heute alle miteinander verabschieden. bessergestellten Familien. Zugleich sollen ihre Eltern ermutigt und bestärkt werden, die Familie weiter aus ei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gener Kraft durchzubringen – ich formuliere es genau so. ordneten der SPD) Zweitens: Bildungs- und Teilhabepaket – leichterer Das Instrument ist aus unserer Sicht gut und wird Zugang für Eltern, bessere Leistungen für Kinder. Eltern, durch den vorliegenden Gesetzentwurf, der zumal über- die arbeiten wollen, profitieren enorm davon, dass sie arbeitet wurde, noch einmal deutlich besser. Meine Vor- nicht wegen jeder Einzelleistung des Bildungs- und Teil- redner haben es bereits beschrieben. Ich will zwei As- habepakets zum Jobcenter, zur Schule oder zu anderen pekte hervorheben, die noch nicht ganz so ausführlich Stellen laufen und dort oft auch noch warten müssen. angesprochen worden sind: Erstens: der höhere Kinderzuschlag – nur Brosamen? Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Im Ausschuss wurde der Gesetzentwurf in geänderter Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Form gestern als lächerlich – von den Grünen – (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU): NEN]: Nein, nein, nein!) Nein, im Anschluss. Ich möchte das erst zu Ende aus- führen. – Deshalb ist es auch aus Sicht der Union gut, und als eine Ansammlung von Brosamen – von der dass Leistungen künftig einfacher, pauschal und sogar AfD – beschrieben. digital beantragt werden können. Auch die Kinder pro- fitieren. Vieles ist dazu gesagt worden. Ich bin sehr zu- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- versichtlich, dass mit dem erleichterten Zugang und den NEN]: So habe ich es nicht gesagt!) verbesserten Leistungen weit mehr Familien als bisher erreicht werden. – Entschuldigung, dann müssen Sie es richtigstellen. Es ist bei mir eindeutig so angekommen. – Immer wieder Bleiben muss es allerdings – das ist mir wichtig – bei fällt das Wort vom kleinen Schritt, auf den die eigent- der Antragsleistung und auch bei der Bedürftigkeitsprü- lichen, umfassenden Maßnahmen folgen müssten – so fung. Denn Transferleistungen sind zweckbestimmt und auch eben bei Ihnen, Herr Lehmann. müssen und sollen von anderen erwirtschaftet werden und werden auch gerne von anderen erwirtschaftet. In Meine Damen und Herren, die Berechnungen des der sozialen Marktwirtschaft ist Solidarität selbstver- (B) Ministeriums selbst sagen etwas anderes: Eine Familie ständlich. Hilfe muss begründet sein, dann kann sie auch (D) mit zwei Kindern, die 1 200 Euro brutto verdient, hat am selbstbewusst angenommen werden. Sie ist weder ein Ende, nach Abzügen und mit den Transferleistungen, das Freifahrtschein noch ein Almosen. Das ist uns als Union Doppelte im Portemonnaie: 2 400 Euro verfügbares Ein- wichtig. Deshalb lehnen wir die Anträge der Grünen, die kommen durch Kindergeld, Kinderzuschlag, Wohngeld in eine komplett andere Richtung gehen, aus Überzeu- sowie Bildungs- und Teilhabepaket. Bei einem Brutto gung ab. von 3 000 Euro sorgen Transfers von über 500 Euro, darunter immer noch 100 Euro Kinderzuschlag, für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – 2 700 Euro im Portemonnaie. Zuruf des Abg. Sven Lehmann [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Bis in den oberen Bereich der unteren Mittelschicht Ich fasse zusammen – zwei Sätze –: Dieser optimierte hinein – Definition „untere Mittelschicht“: 60 bis 80 Pro- Gesetzentwurf entlastet und ermutigt geringverdienen- zent des mittleren Familieneinkommens – werden Fami- de Familien, und er verbessert Teilhabe und Bildungs- lien vom Kinderzuschlag künftig noch profitieren, weil chancen für ihre Kinder. Menschen, die sich anstrengen wir jetzt die Abbruchkante beseitigen. Bis zu einem Ein- und Verantwortung übernehmen, die in diesem doppel- kommen von 3 400 Euro erhält unsere Beispielfamilie ten Sinne also zur breiten Mitte der Gesellschaft zählen, durch den Kinderzuschlag immer noch eine Unterstüt- werden unterstützt, aber nicht blind, sondern so, dass sie zung. Ihr bleiben dann über 2 850 Euro verfügbares Ein- besser leben können, und zugleich so, dass sich ein Mehr kommen. Liebe Linke, Grüne und auch AfD, wir machen an Leistung für sie weiterhin lohnt. hier nicht einen kleinen Schritt in die richtige Richtung. Nein, hier wird ein starkes Sozialsystem im Hinblick auf Ein Letztes. Materielle Knappheit ist das eine, Anre- den Umfang der Leistungen noch erheblich verbessert. gungsarmut das andere. Auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes besteht die Aufgabe, Kindern und Jugendlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – jenseits der materiellen Voraussetzungen das emotionale Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und das geistige Umfeld zu bieten, in dem sie sich ent- NEN]: Aber nicht für alle Kinder!) falten können. Das obliegt als Hauptverantwortlichen den Eltern und einer Familienpolitik, die sie dabei ernst Die an diesem Pult oft thematisierten Kinder dieser nimmt, anerkennt und unterstützt. Familien wachsen nicht im materiellen Elend auf. Bei 100 Euro mehr verfügbarem Einkommen – das ist die Definition – beginnt die mittlere Mittelschicht. Ich mei- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ne, mit diesem Gesetz wird ein Punkt erreicht, an dem Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. 10534 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU): insgesamt sehr unzufrieden sind, ihn als einen minimalen (C) Das ist eine Politik, die wir als Union auf allen Ebenen Schritt empfinden und auch ein wenig deutlich gemacht vertreten. haben, wie Sie ihn insgesamt bewerten. Dass Sie nicht zustimmen, haben Sie hier ja auch angekündigt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Der zweite Punkt. Ich bin erstaunt, dass Sie die Pro- Sönke Rix [SPD]) gnosen der Bundesregierung plötzlich sozusagen als eine Vorwegnahme der Zukunft ansehen. Sie sind ja in der Opposition und haben auch sonst viel Gelegenheit, bes- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sere Ideen einzubringen. Ich für meinen Teil sehe einfach Ich erteile zu einer Kurzintervention das Wort der die Erleichterungen beim Zugang – meine Fraktion sieht Kollegin Katja Dörner. das auch so – als eine gute Chance, die Inanspruchnahme dieser aus unserer Sicht sehr wichtigen und klugen Leis- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tungen zu verbessern. Im Übrigen ist ja auch der Kreis Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Kollegin derer, die anspruchsberechtigt sind, viel größer. Wir ge- Wiesmann, zum einen möchte ich klarstellen – sie ha- hen in unserer Fraktion davon aus, dass es durchaus sein ben sich ja auf meine Aussage gestern im Ausschuss kann, dass es mehr werden. Wir freuen uns über jeden, bezogen –, dass ich gesagt habe, dass die Erhöhung der der auf die gute Idee kommt, Anspruch anzumelden und Inanspruchnahmequote beim Kinderzuschlag von 30 sich dem Antragsverfahren, das wir deutlich erleichtert auf 35 Prozent lächerlich ist. Ich habe nicht gesagt, der haben, zu unterziehen. Das ist für uns überhaupt kein gesamte Gesetzentwurf sei lächerlich. Das nur zur Klar- Streitpunkt. stellung. Der grundsätzliche Streitpunkt ist allerdings, ob wir Ich möchte Sie fragen, wie Sie es bewerten, dass zwei eine solche Leistung, auch in beiden Bestandteilen, auto- Drittel der Kinder bzw. der Familien, die eigentlich ei- matisch vergeben wollen oder nicht. Ich habe hier noch nen Anspruch auf Kinderzuschlag haben und ihn für ihre einmal zur Kenntnis gegeben – ich war nicht Teil dieser Existenzsicherung brauchen, diesen weiterhin nicht in Verhandlungskommission; übrigens können wir lange Anspruch nehmen. darüber philosophieren, wer mit welchen Positionen zu (Katja Mast [SPD]: Woher wissen Sie das dem Ergebnis beigetragen hat –, denn?) (Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜND- – Das ist die Prognose der Bundesregierung. Davon muss NIS 90/DIE GRÜNEN]) (B) man ja mal ausgehen. Im Gesetzentwurf der Bundesre- (D) gierung steht, dass sie davon ausgeht, dass es 35 Prozent dass es aus unserer Sicht richtig ist, dass Leistungen, sein werden. Ich glaube, auf dieser Grundlage müssen die nicht der Sicherung des Existenzminimums dienen – wir dann hier auch diskutieren. da gilt für das Kindergeld eine ganz andere rechtliche Ich möchte Sie noch etwas fragen. Sie haben eben ge- Grundlage –, sehr wohl eine Antragsleistung sein kön- sagt, dass unser heute vorliegender Antrag, in dem wir nen. Das gilt auch für Leistungen aus dem Bildungs- und fordern, den Kinderzuschlag automatisch auszuzahlen, Teilhabepaket. Es ist keine Schande, so etwas in An- in eine ganz andere, in eine falsche Richtung geht. Er- spruch zu nehmen. Man muss es begründen, damit dieje- gebnis der Sondierungen mit Ihrer Fraktion – übrigens nigen, die es erwirtschaften, dies auch gut und gerne tun. unter der Leitung dieses Bereiches durch Frau Kramp-­ Nichts anderes habe ich gesagt. Karrenbauer – war die Verständigung, dass wir den Kin- derzuschlag automatisch auszahlen. Ich gehe einmal (Zurufe der Abg. Annalena Baerbock [BÜND- davon aus, dass Ihre Verhandlungsgruppe nicht einer Lö- NIS 90/DIE GRÜNEN] und Norbert Müller sung zustimmt, die sie selbst für nicht möglich erachtet, [Potsdam] [DIE LINKE]) für den falschen Weg hält oder was auch immer. Deshalb frage ich Sie: Warum lehnen Sie heute unseren Antrag – Entschuldigung, dann müssen wir daran arbeiten, die- ab, und warum halten Sie es nicht für richtig, die Kinder se Leistungen besser zu kommunizieren. Dann reden wir zu ihrem Recht kommen zu lassen und den Kinderzu- auch weiter darüber, ob sozusagen die administrative schlag automatisch an alle auszuzahlen? Seite gut gelöst ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin davon überzeugt, dass wir einen großen Fort- schritt machen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Zurufe des Abg. Norbert Müller [Potsdam] Frau Kollegin Wiesmann, wollen Sie die Fragen be- [DIE LINKE]) antworten? – Ja. und dass Kinder, die einen Anspruch auf diese Leistung Bettina Margarethe Wiesmann (CDU/CSU): haben und in ihrer familiären Situation entsprechend be- Ich werde es versuchen. – Erstens. Wenn ich Sie in der dürftig sind – das ist keine Schande –, jetzt auch in den Sitzung falsch verstanden habe, dann tut mir das leid. Ich Genuss dieser Leistung kommen. Ich bitte Sie nochmals hatte den Eindruck, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf darum, auch immer die Familien mitzudenken. Wir brau- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10535

Bettina Margarethe Wiesmann (A) chen keine Politik, die einzelne Bestandteile, einzelne ket. All das sind Forderungen der Opposition und der So- (C) Personen von Familien isoliert betrachtet. zialverbände, die wir hier aufnehmen und zu denen wir sagen: Das ist richtig. Diese Einschätzung haben auch (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: wir. – Das sind gute Maßnahmen. Wir verbessern dieses Das ist für Kinder in Hartz‑IV-Bezug das Pro- Gesetz wirklich zum Vorteil von Familien und Kindern. blem!) Wir brauchen eine Politik, die den Zusammenhalt der Fa- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der milien stärkt. CDU/CSU – Zuruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber was machen wir hier in der Debatte? Wir versu- Das tun Sie in Ihrer Betrachtung sehr häufig nicht. Das chen, künstliche Differenzen aufzuzeigen, und wir reden tut mir sehr leid, weil ich ja weiß, dass wir oft in dieselbe uns ein, was wir alles noch besser machen könnten. Na- Richtung agieren, was das Wohl der Kinder angeht. türlich stimmt es: Es würde noch viel mehr gehen, hät- (Beifall bei der CDU/CSU) ten wir andere Mehrheiten im Parlament. Das wissen wir alle; dafür sind wir alle lange genug im Parlament. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Zuruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] Vielen Dank. – Jetzt hat das Wort als nächster Redner [DIE LINKE]) der Kollege Sönke Rix für die SPD-Fraktion. Wenn es um das Thema Kindergrundsicherung geht, gibt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten es eine gemeinsame Auffassung einiger Fraktionen hier der CDU/CSU) im Haus. Das könnten wir mit eigenen Mehrheiten auch umsetzen. Das hätten aber auch die Grünen in einem Ja- Sönke Rix (SPD): maika-Bündnis nicht durchsetzen können. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Meine Damen und Herren! Wir erhöhen den Kinderzu- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) schlag – übrigens eine Forderung der Opposition in ver- gangenen Debatten. Das nur mal so als Hinweis. Ich glaube, die meinen eine andere Kindergrundsicherung. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Norbert Müller [Potsdam] [DIE (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) LINKE]: Ja!) (B) – Eine automatische Auszahlung wäre noch keine Kin- (D) Wir verlängern den Bezug – übrigens auch eine Forde- dergrundsicherung. Wenn das bei den Grünen tatsächlich rung der Opposition in den vergangenen Debatten. als Kindergrundsicherung zählen würde, dann wäre das (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schön, viel zu wenig. dass ihr auf die Opposition mal hört!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir schaffen die Abbruchkante ab. Wir erweitern den der CDU/CSU) Bewilligungszeitraum beim Kinderzuschlag auf sechs Monate. Alles Forderungen aus der Opposition. Dann Apropos „zu wenig“: Es wird immer die Summe ge- wird gesagt: „Mensch, das ist zu wenig“, und sogar eine nannt, die wir im Koalitionsvertrag für dieses eine Gesetz Ablehnung des Gesetzentwurfes in Aussicht gestellt. festgeschrieben haben. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der NEN]: Wir haben begründet, warum das so SPD) ist!) Ich finde, man kann durchaus mal sagen: Fehler erkannt, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Fehler bearbeitet. Heute beschließen wir, diese Fehler Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? zurückzunehmen. Das ist eine richtig gute Maßnahme dieses Parlaments auf Grundlage der Vorlage der Regie- (SPD): rung. Sönke Rix Von wem? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vom Kollegen Müller von den Linken. Wir erhöhen die Leistungen im Schulstarterpaket. Wir schaffen die Bürokratie und den Eigenanteil von 1 Euro beim Mittagessen und bei der Schülerbeförderung ab. Sönke Rix (SPD): Wir erleichtern den Zugang zu Nachhilfe für Bezieher Ja, gestatte ich. von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, damit für die Nachhilfe nicht nur bei einer Gefährdung der Versetzung gezahlt wird. Wir erhöhen die Leistungen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: für die soziale Teilhabe beim Bildungs- und Teilhabepa- Sehr gut. – Herr Müller. 10536 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Sönke Rix (SPD): bedeutet auch weniger Antragsaufwand. Also: So zu tun, (C) Ich wollte nur sichergehen, dass es auch zur Debatte als ob hier gar kein Abbau stattfindet, ist nicht fair. beiträgt. Ich war dabei stehen geblieben, darüber zu sprechen, was stattdessen für Debatten aufgemacht werden. Ein- Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): mal wird gesagt, dass die Maßnahmen nicht ausreichend Das nehme ich als Kompliment. Herzlichen Dank. seien. Gut, darüber kann man streiten; mehr geht immer. Aber ich stelle mindestens an die Adresse der FDP die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Frage: Wo kommt das BuT eigentlich her? Es ist ja nicht Das weiß man erst hinterher. irgendwie unter einer bösen Großen Koalition entstan- den, sondern es ist entstanden unter Schwarz-Gelb.

Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): (Pascal Kober [FDP]: Ja, Sie haben es im Ich hatte ja in meiner Rede durchaus darauf hingewie- Vermittlungsausschuss zerschossen!) sen, was wir an der Reform des Kinderzuschlages gut – Ja, im Vermittlungsausschuss; aber es ist ja nicht so, finden. Aber ich habe auch in der Regierungsbefragung dass die FDP daran nicht beteiligt war. Das sollte man letzten Mittwoch die Ministerin sowohl zum Kinderzu- zumindest auch erwähnen. schlag als auch zum BuT gefragt: Was sind eigentlich die Maßnahmen der Bundesregierung, um die Inanspruch- (Pascal Kober [FDP]: Aber Sie haben es ka- nahme auszuweiten? Die Antwort war: Wir werden viel- puttgemacht!) fältige Maßnahmen ergreifen. – Da habe ich mich ein bisschen veräppelt gefühlt. Man sollte in Bezug auf dieses Gesetz nicht so tun, als ob das Ganze kompletter Blödsinn wäre, sondern auch Jetzt hat die Kollegin Mast in ihrer Rede gesagt, die Verantwortung tragen und sagen: Ja, das ist auch unsere Abgeordneten des Bundestages sollen sozusagen als Bo- Maßnahme gewesen. – Auch das wäre fair, liebe Kolle- ten der Bundesregierung durch die Republik reisen und ginnen und Kollegen. sagen, was für schöne Gesetze beschlossen worden sind und dass die Menschen jetzt die entsprechenden Anträge (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Maik stellen sollen. Das ist eigentlich nicht unser Job, sondern Beermann [CDU/CSU] – Pascal Kober [FDP]: Aufgabe der Bundesregierung. Sie haben es kaputtgemacht!) (Katja Mast [SPD]: Macht sie doch!) Stattdessen wird gesagt: Na ja, es gibt hier Milliarden an Geldern, die für Rente ausgegeben werden; aber viel Jetzt würde ich gerne von Ihnen, Kollege Rix, wissen: (B) zu wenig Geld wird gegen Kinderarmut ausgegeben. – (D) Welche Maßnahmen würden Sie als sozialdemokratische Ich will mal darauf hinweisen, wie viele Milliarden durch Bundestagsfraktion vorschlagen, um die teilweise ka- den Verlust entstehen würden, wenn Sie alle Ihre Steu- tastrophale Quote der Inanspruchnahme, die beim BuT ersenkungsprogramme durchsetzen würden. Das Geld zur Unterdeckung des garantierten Existenzminimums – wäre sinnvoller angebracht als Investition für Familien Herr Lehmann hat darauf hingewiesen – führt, zu erhö- anstatt als Steuersenkung für Besserverdienende, liebe hen, damit Kinder nicht mehr unter dem Existenzmini- Kolleginnen und Kollegen. mum leben, weil die Eltern möglicherweise überfordert sind mit der Antragsflut? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- der CDU/CSU – Pascal Kober [FDP]: Nach- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) haltiger!) Eine letzte Bemerkung will ich noch machen. Wenn Sönke Rix (SPD): ich in Kiel zum Tanken gefahren bin, Es entsteht zum Beispiel weniger Aufwand dadurch, (Grigorios Aggelidis [FDP]: Fahren Sie etwa dass wir einen Bewilligungszeitraum von sechs Monaten Auto? Geht ja gar nicht, Autofahren!) einführen; das ist ein Beitrag zum Bürokratieabbau. Es entsteht zum Beispiel weniger Aufwand dadurch, dass habe ich immer den Aufruf bekommen, ich solle bitte bei wir die Abbruchkanten abschaffen. Auch das bedeutet der Aktion „Mach MITTAG“ mitmachen, einer wohltä- weniger Bürokratie. Ein längerer Bezug bedeutet auch tigen Aktion von einem Verband unter der Schirmherr- weniger Bürokratie. Die ganz konkreten gesetzlichen schaft des derzeitigen Bürgermeisters und der ehema- Maßnahmen bedeuten weniger Bürokratie. Die Leistun- ligen Bürgermeisterin von Kiel, die gesagt haben: Wir gen werden leichter zugänglich, es gibt mehr Leute, die sammeln den 1 Euro, damit die 1-Euro-Zuzahlung fürs sie in Anspruch nehmen, und sie werden höher; das ist Mittagessen für denjenigen, die im Bezug von Leistun- auch ein Beitrag zum Abbau von Bürokratie. gen des Bildungs- und Teilhabepakets sind, nicht mehr notwendig ist. – Heute wurde verkündet, dass sich der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Verein auflöst, weil diese Maßnahme jetzt Gesetz ist. Das der CDU/CSU – Andreas Rimkus [SPD]: Ge- ist mal eine gute Auflösung eines wohltätigen Vereins, nauso ist das!) auch wenn es noch viel zu tun gibt. An dieser Stelle herz- Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Abschaffung lichen Dank an die Aktiven in diesem Verein und herzli- des Eigenanteils beim Mittagessen und bei der Schüler- chen Dank an alle Aktiven, die sich gegen Kinderarmut beförderung. Das ist auch ein Abbau von Bürokratie; das engagieren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10537

Sönke Rix (A) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Schließlich erleichtern wir den Eltern den Zugang zu (C) den Leistungen. Bisher mussten die einzelnen Leistungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gesondert beantragt werden. Das war für viele schwierig der CDU/CSU) und ein gravierendes Hemmnis für die Inanspruchnah- me. Künftig fällt bei fast allen Leistungen des Bildungs- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und Teilhabepakets die gesonderte Antragstellung weg; Der Kollege Stephan Stracke ist der letzte Redner zu das nennen wir Globalantrag. Das bedeutet im Ergebnis: diesem Tagesordnungspunkt. weniger Anträge, mehr Leistungen; weniger Bürokratie, (Beifall bei der CDU/CSU) mehr Teilhabe für Kinder und Jugendliche. Auch das ist ein Punkt, der uns als Union bei den parlamentarischen Beratungen besonders wichtig war. Stephan Stracke (CDU/CSU): Grüß Gott, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da- Unter dem Strich setzen wir das Bildungs- und Teilha- men und Herren! Gute Politik für Familien zeichnet sich bepaket mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen ganz dadurch aus, dass wir die Lebenssituation von Familien neu auf und nehmen dafür über 220 Millionen Euro pro ganz konkret und spürbar verbessern. Genau dies tun wir Jahr zusätzlich in die Hand. Das beweist: Das Starke-Fa- mit dem vorliegenden Gesetzentwurf. milien-Gesetz stärkt die Familien und ist zentraler Bau- stein zur Bekämpfung der Kinderarmut. Mit dem Starke-Familien-Gesetz nehmen wir Fami- lien mit kleinen Einkommen und Familien, die Grund- Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den ver- sicherung beziehen, in den Blick. Wir nehmen über gangenen Jahren haben wir viel getan, um die Lebens- 1 Milliarde Euro in die Hand, um deren Lebenssituation situation von Familien ganz konkret zu verbessern. Ich spürbar zu verbessern. Und wir wollen, dass Kinder und denke beispielsweise an das Baukindergeld – ein echter Jugendliche möglichst unabhängig von den finanziellen Renner. Es sorgt dafür, dass sich mehr Familien Wohnei- Mitteln des Elternhauses faire Chancen haben. Für uns gentum leisten können. gilt: Leistung und Talent sollen über die persönliche Zu- kunft entscheiden, nicht die soziale Herkunft. Deshalb (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller gestalten wir den Kinderzuschlag neu. Für mehr Chancen [Potsdam] [DIE LINKE]: Reine Mitnahmege- steht das Bildungs- und Teilhabepaket, im Übrigen eine schichte!) Idee der Union. Ich denke an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Wir verbessern die Leistungen im Vergleich zum Re- den massiven Ausbau der Plätze in Kindertagesstätten gierungsentwurf noch weiter und entlasten spürbar die und die Verbesserung bei der Kitaqualität. Ich denke da- (B) betroffenen Familien. Wir erhöhen die Zuwendungen aus ran, dass man mehr Zeit für die Familie hat durch den (D) dem Schulstarterpaket von 100 auf 150 Euro. Wir schaf- Ausbau des Elterngeldes oder die Einführung des Eltern- fen die Eigenbeteiligung beim Mittagessen und bei der gelds Plus. Schulbeförderung ab. Wir erleichtern den Zugang zu den Wer selbst Kinder hat, weiß: Jeder Euro zählt. Des- Leistungen der Lernförderung. Und uns als Union war wegen ist es gut, dass wir auch das Kindergeld erhöht besonders wichtig, dass wir den Zuschuss für den Besuch haben. Letztlich ist es das Gesamtpaket, das für Familien eines Sportvereins oder einer Musikschule anheben, und einzigartig ist. Darauf können wir berechtigt stolz sein. zwar von 10 Euro auf 15 Euro. Wir verzichten dabei aber Wir denken familienfreundlich, und wir handeln auch so. auf eine Spitzabrechnung; wir machen dies pauschal. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Das eröffnet mehr Spielräume und ist auch bürokratie- arm. Es bleibt dabei: Im Einzelfall werden weitere tat- Herzliches Dankeschön. sächliche Aufwendungen berücksichtigt, beispielsweise für Musikinstrumente oder anderes. Wir stellen damit un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ter dem Strich sicher, dass alle Kinder und Jugendlichen Andreas Rimkus [SPD]) mehr Chancen auf Bildung und Teilhabe haben. Das ist ein deutlicher sozialpolitischer Fortschritt. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vielen Dank, Kollege Stracke. – Ich schließe die Aus- ordneten der SPD) sprache. Meine sehr verehrten Damen und Herren, durch mehr Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Geldleistungen, pauschale Abrechnungen, durch Sammel- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur zielge- anträge entbürokratisieren wir das Verfahren für die Leis- nauen Stärkung von Familien und ihren Kindern durch tungsempfänger, aber auch für die Jobcenter. Das Verfah- die Neugestaltung des Kinderzuschlags und die Verbes- ren werden wir darüber hinaus auch digitalisieren; das ist serung der Leistungen für Bildung und Teilhabe. Der richtig und wichtig. Und wir wollen, dass das Geld auch Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend tatsächlich bei den Kindern ankommt und nicht ander- empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung weitig verwendet wird. Deshalb haben nun auch die Job- auf Drucksache 19/8613, den Gesetzentwurf der Bundes- center die Möglichkeit, im Einzelfall nachzuhaken und regierung auf Drucksachen 19/7504 und 19/8036 in der Stichproben zu ziehen, damit die Zuwendungen aus den Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Dingen, die wir tun, auch bei den Kindern ankommen. dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen Eine zweckwidrige Verwendung kann in Zukunft auch wollen, um das Handzeichen. – CDU/CSU und SPD. Ge- zurückgefordert werden; das war bislang nicht der Fall. genstimmen? – FDP und Linke. Enthaltungen? – Grüne 10538 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) und AfD. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- Interfraktionell ist vereinbart, darüber 60 Minuten zu (C) tung angenommen. sprechen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Dritte Beratung Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst für und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Die Linke der Kollege . Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das ist wieder die Koalition. Gegenprobe! – Dagegen sind (Beifall bei der LINKEN) Linke und FDP. Enthaltungen? – AfD und Grüne. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- ßungsanträge. ren! Altersarmut ist ein Riesenproblem. Was bedeutet Al- tersarmut? Altersarm sind nicht nur diejenigen, die heute Zunächst der Entschließungsantrag der Fraktion der trotz einer Rente den Gang zum Sozialamt antreten müs- FDP auf Drucksache 19/8615. Wer stimmt dafür? – Die sen und dann durchschnittlich 796 Euro Grundsicherung FDP. Wer stimmt dagegen? – CDU/CSU und SPD. Wer im Alter netto inklusive Miete erhalten, also das Exis- enthält sich? – AfD, Linke und Grüne. Der Entschlie- tenzminimum. Das sind aktuell 421 500 Menschen oder ßungsantrag ist damit abgelehnt. die berühmten 2,7 Prozent der Altersrentnerinnen und Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion ‑rentner. Es gibt viel mehr arme Alte. Die Linke auf Drucksache 19/8616. Wer stimmt für den Meine Damen und Herren, die Altersarmut nimmt Antrag? – Die Linke und die Grünen. Gegenprobe! – Die seit Jahren zu. Die Armutsgrenze der Europäischen Koalition und die FDP. Enthaltungen? – Die AfD. Der Kommission für Deutschland liegt 300 Euro über dem Entschließungsantrag ist abgelehnt. Existenzminimum und damit bei 1 096 Euro netto für Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfeh- Alleinlebende. Danach sind schon heute 2,8 Millionen lungen des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen Menschen, die älter als 65 sind, als arm zu bezeichnen. und Jugend auf Drucksache 19/8613 fort. Meine Damen und Herren, 2,8 Millionen Menschen le- ben schon heute in Altersarmut in einem der reichsten Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b die Ableh- Länder der Welt. Das ist absolut unerträglich, skandalös nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und durch nichts zu rechtfertigen. Das muss unbedingt auf Drucksache 19/1854 mit dem Titel „Kinderzuschlag ein Ende haben. automatisch auszahlen – Verdeckte Armut überwinden“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschus- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (B) ses? – CDU/CSU, SPD und FDP. Gegenprobe! – Die neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) Grünen. Enthaltungen? – Linke und AfD. Die Beschluss- Eine der wichtigsten Ursachen ist und bleibt die Ab- empfehlung ist damit angenommen. senkung des Rentenniveaus durch SPD und Grüne unter Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab- lautstarkem Beifall von Union und FDP. 2003 mussten lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Beschäftigte mit Durchschnittseinkommen 24 Jahre ar- nen auf Drucksache 19/7451 mit dem Titel „Teilhabe für beiten, um im Alter nicht auf Sozialhilfe angewiesen zu alle Kinder sicherstellen, Bürokratie abbauen“. Wer ist sein. Heute müssen Durchschnittsverdienende sage und für die Beschlussempfehlung? – CDU, SPD, FDP und schreibe 28 Jahre arbeiten, um über die Grundsiche- AfD. Gegenprobe! – Die Grünen. Enthaltungen? – Die rungsschwelle von 796 Euro zu kommen. Das sind vier Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist damit Jahre mehr. Darum brauchen wir dringend eine rentenpo- angenommen. litische Kehrtwende. Tagesordnungspunkt 6 c. Interfraktionell wird Über- (Beifall bei der LINKEN) weisung der Vorlage auf Drucksache 19/8560 an die in Wie sieht die aus? der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Erstens. Das Rentenniveau muss wieder in etwa den Dann ist die Überweisung so beschlossen. Lebensstandard im Alter sichern. Deshalb darf es nicht bei 48 Prozent eingefroren werden. Die Linke fordert, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: das Rentenniveau wieder dauerhaft auf 53 Prozent an- Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias zuheben. W. Birkwald, Susanne Ferschl, Katja Kipping, (Beifall bei der LINKEN) weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Damit stehen wir nicht allein. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband und der Sozialverband Deutschland Solidarische Mindestrente einführen – Alters- unterstützen beispielsweise diese Forderung nachdrück- armut wirksam bekämpfen und das Rentenni- lich. 53 Prozent hieße, dass alle Renten der heutigen veau anheben Rentnerinnen und Rentner und die künftigen Renten der Drucksache 19/8555 heute jungen und mittelalten Beschäftigten in mehreren Überweisungsvorschlag: Schritten um 10 Prozent stiegen. Die sogenannte Stan- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) dardrente nach 45 Jahren zum Durchschnittslohn betrüge Haushaltsausschuss dann zum 1. Juli beispielsweise nicht 1 323 Euro net- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10539

Matthias W. Birkwald (A) to, sondern 1 456 Euro netto. Das wären 133 Euro mehr soll demnach in der Mitte liegen, bei heute 1 050 Euro (C) Rente netto jeden Monat. Das ist das Ziel. netto. Das heißt, wir müssen die gesetzliche Rente stär- ken. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Das hilft allen Generationen, den älteren und den noch jüngeren. Und eines ist klar: Wir brauchen gute Renten Wie funktioniert die solidarische Mindestrente? Sie für die heute 80‑Jährigen und für die heute 18‑Jährigen. ist keine Sockelrente, keine Grundrente und auch keine Wir dürfen Jung und Alt nicht gegeneinander ausspielen. Basisrente. Beispiel: Jemand hat einen gesetzlichen Ren- tenanspruch von 800 Euro, 100 Euro Betriebsrente und (Beifall bei der LINKEN) 50 Euro Riester-Rente. Das wären 950 Euro. Nach unse- Zweitens. Viele Menschen haben keine Chance, zum rem Vorschlag kämen dann aus Steuermitteln 100 Euro Durchschnittsgehalt zu arbeiten. Darum muss der gesetz- dazu. Das ist die solidarische Mindestrente. liche Mindestlohn umgehend auf mindestens 12 Euro pro (Beifall bei der LINKEN) Stunde angehoben und die Tarifbindung gestärkt werden. Meine Damen und Herren, unsere Forderungen sind (Beifall bei der LINKEN) solide finanzierbar, wenn man denn auf die Menschen Höhere Löhne und ein höheres Rentenniveau, das sind hören würde. Die OECD hat die Menschen gefragt, wo die wichtigsten Maßnahmen, um zukünftige Altersarmut ihnen der Schuh drückt: Sie haben alle Angst vor Alters- zu verhindern. armut. Es wird gesagt, die Menschen in Deutschland sei- en bereit, 2 Prozent ihres Einkommens mehr in die ge- Drittens. Wir müssen die Arbeitslosigkeit bekämp- setzliche Rente zu stecken, und 77 Prozent der Menschen fen und ihre Folgen für die Rente abmildern. Deshalb in Deutschland wollen gerne höhere Steuern zahlen, um sollen endlich wieder Rentenversicherungsbeiträge für eine bessere Rente zu kriegen. Hören wir auf die Men- Hartz‑IV-Betroffene gezahlt werden, und zwar auf Basis schen, und führen wir endlich ein gerechteres Rentensys- des halben Durchschnittsverdienstes, so wie es auch der tem ein! Deutsche Gewerkschaftsbund fordert. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Viertens fordert Die Linke seit langem, die Rente nach Mindestentgeltpunkten für Beschäftigte mit nied-

rigem Einkommen zu reformieren und weiterzuführen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das ist das gute Instrument, das Hubertus Heil leider Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege (B) fälschlicherweise als „Grundrente“ bezeichnet. Aber die Peter Weiß. (D) SPD-Grundrente oder die linke Rente nach Mindestent- (Beifall bei der CDU/CSU) geltpunkten sind keine Wundermittel. Im Idealfall kämen Menschen nach jahrelanger Arbeit im Niedriglohnsektor Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): ohne Bedürftigkeitsprüfung auf eine Rente in Höhe des Existenzminimums, und es gäbe deutlich weniger ver- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! deckte Altersarmut. Das ist schon sehr viel. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Vor allem auch: Lie- be Rentnerinnen und Rentner! Gestern war ein erfreu- Aber wir unterscheiden uns in einem Punkt. Viele licher Tag. Die Deutsche Rentenversicherung und das Frauen im Westen schaffen keine 35 Beitragsjahre. Da- Statistische Bundesamt konnten uns mitteilen, dass die rum sagt Die Linke: Wer mindestens 25 Jahre in der ge- gesetzlichen Renten am 1. Juli dieses Jahres im Westen setzlichen Rentenversicherung versichert war und dessen um 3,18 Prozent und im Osten um 3,91 Prozent steigen versicherungspflichtiges Einkommen zwischen 20 und werden. 80 Prozent des Durchschnittsentgelts lag, erhält einen Zuschlag auf die Rente. Die durchschnittliche Rente Was ist das Besondere an diesen Zahlen? Damit stei- dieser Menschen wird verdoppelt, maximal jedoch auf gen die Renten zum zweiten Mal in Folge stärker als die die Rentenhöhe, die sich aus einem Gehalt in Höhe von durchschnittlichen Löhne in Deutschland, und das Ren- 80 Prozent des Durchschnittsentgelts ergibt. Das ist übri- tenniveau sinkt nicht, sondern das Rentenniveau steigt gens ein Vorschlag der CDU aus dem Jahr 1971. erneut. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist früher von niemandem erwartet worden. Es ist deswegen (Beifall bei der LINKEN) sensationell, und es zeigt eines – und das ist das Wesent- liche, was Herr Birkwald in seiner Rede überhaupt nicht Fünftens wollen wir, dass wieder fünf Jahre an Schul-, erwähnt hat –: Die Renten und damit auch die Renten- Fachschul- und Hochschulausbildungszeiten rentenstei- steigerungen gernd anerkannt werden. Das wäre sehr gut beispielswei- se für alle Erzieherinnen und Erzieher. (Dr. [CDU/CSU]: Sind sicher!) Sechstens. Für alle, denen trotz dieser Maßnahmen im Alter immer noch Armut droht, wollen wir eine echte hängen wesentlich davon ab, wie gut sich die Wirtschaft einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Min- in unserem Land entwickelt und wie sich die Einkommen destrente einführen. Diese orientiert sich in der Höhe an der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit ihren den beiden aktuell verwendeten Armutsschwellen von Beiträgen die Renten finanzieren, entwickeln. Ich finde, 999 Euro, Mikrozensus, und 1 096 Euro, EU-SILC, und wir können zu Recht stolz darauf sein, dass wir es zum 10540 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Peter Weiß (Emmendingen) (A) zweiten Mal in Folge schaffen, dass die wirtschaftliche Dritter Punkt: die Frauen. Nach wie vor, vor allem im (C) Entwicklung und die Lohnentwicklung in Deutschland Westen Deutschlands, sind Frauen, weil sie wegen Kin- so gut sind, dass die Renten stärker steigen als die Löhne. dererziehung lange Zeit nicht, nur halbtags oder anders Ich finde, das ist eine gute Nachricht für alle Rentnerin- reduziert gearbeitet haben, armutsgefährdet. Verehrte nen und Rentner in unserem Land. Kolleginnen und Kollegen, deswegen war es richtig und notwendig, dass wir in der letzten Legislaturperiode, aber (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auch in dieser Legislaturperiode die Mütterrente kräftig Das ist übrigens die beste Vorkehrung gegen Armutsge- aufgestockt haben. Das ist eine echte Hilfe, um Altersar- fährdung und Altersarmut. mut bei Frauen zu verhindern. In der Tat ist es so, dass Armutsgefährdung und die (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Beantragung von Grundsicherung, also von staatlicher Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Stütze, in der älteren Generation prozentual weniger NEN]) stark zu Buche schlagen als in der jüngeren Generation. Dazu gehört auch Folgendes, was wenige wissen: Trotzdem haben viele Mitbürgerinnen und Mitbürger das Die Rente nach Mindestentgeltpunkten, von der Herr Gefühl: Altersarmut und Armutsgefährdung könnten für Birkwald gesprochen hat und die die meisten nicht ver- mich eines Tages zum Problem werden. Deswegen ist es stehen, gibt es für Frauen weiterhin. In den ersten zehn richtig, dass wir uns als Parlament damit befassen und als Lebensjahren eines Kindes stocken wir die Renten- Gesetzgeber darauf reagieren. ansprüche auf, und zwar nicht nur, wie Die Linke es for- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wer Altersarmut dert, auf 0,8 Entgeltpunkte, sondern für die Berechnung wirklich gezielt bekämpfen will, dem rate ich dringend, werden 100 Prozent des Durchschnittsverdienstes eines nicht die Gießkanne in die Hand zu nehmen – sonst ver- Arbeitnehmers zugrunde gelegt. Allein in den ersten teilt man Geld auch an viele, die es gar nicht dringend zehn Lebensjahren des Kindes ist also 1 Entgeltpunkt nötig haben –, sondern genau hinzuschauen und dort möglich allein durch die Berücksichtigung der Kinder- gezielt zu helfen, wo es notwendig ist. Das macht einen erziehungszeiten. Auch das ist eine wichtige Hilfe, um modernen und funktionalen Sozialstaat aus. Wir helfen die Renten von Frauen in Zukunft deutlich zu verbessern. zielgerichtet. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. (Beifall bei der CDU/CSU) Birkwald [DIE LINKE]: Das nehmen wir den Müttern nicht weg! Was soll denn das?) Dazu ist ein Fünf-Punkte-Programm notwendig, das ich kurz erklären will. Viertens. Auch und gerade Geringverdiener sind da- rauf angewiesen, dass sie neben der gesetzlichen Rente Erstens. Besonders schwierig haben es diejenigen, die (B) eine zusätzliche Altersversorgung haben. Deswegen war (D) wegen Krankheit oder Unfall vorzeitig aus dem Erwerbs- dies eine unserer wichtigsten Reformen: Wenn jemand leben aussteigen und Erwerbsminderungsrente beantra- zusätzlich etwas fürs Alter anspart, dann wird das nach- gen müssen. Deswegen haben wir mit dem Rentenpaket I her nicht mit der Grundsicherung verrechnet, sondern dieser Großen Koalition die Berechnung der Erwerbs- wir sehen einen Freibetrag von bis zu 212 Euro monat- minderungsrente auf neue Füße gestellt, damit derjenige, lich vor. Dieses Geld kann man behalten, zusätzlich zur der einen Unfall erleidet oder krank wird, in der Regel Grundsicherung. Das ist mehr als das, was Herr Birkwald damit rechnen kann, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragt hat. 212 Euro obendrauf, das ist heute möglich. erhalten, von der er auch leben kann. Das wird sich in Zukunft als heilsam erweisen hinsichtlich der Bekämp- (Beifall bei der CDU/CSU) fung von Altersarmut. Klar, der Geringverdiener kann sich kein Geld abzwa- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. cken. Bernd Rützel [SPD]) (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zweitens. Wenn wir uns anschauen, welche Mitbür- NEN]: Deshalb führt das ja auch ins Leere!) gerinnen und Mitbürger im Alter Grundsicherung, also Deswegen war die wichtigste Reform, die wir gemacht staatliche Stütze, beantragen müssen, dann stellen wir haben, dass wir für Geringverdiener eine eigene, rein fest, dass darunter rund 50 Prozent Personen sind, die gar arbeitgeberfinanzierte Förderung der betrieblichen Al- keinen Anspruch gegenüber der Rentenversicherung ha- tersvorsorge eingeführt haben, die der Arbeitgeber vom ben. Die würden also von dem, was Die Linke in ihrem Staat über die Steuer zu einem guten Teil refinanziert Antrag vorschlägt, überhaupt nicht profitieren. bekommt. Die Geringverdienerförderung im Bereich der (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch!) Altersvorsorge sollten jetzt alle Geringverdiener und alle Betriebe in Deutschland nutzen. Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist ein zentrales Vorhaben dieser Großen Koalition: Wir wol- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – len auch eine Alterssicherungspflicht für Selbstständige Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaffen, damit jeder in Deutschland rechtzeitig ausrei- NEN]: Macht aber keiner!) chend für das Alter anspart und nicht am Schluss ohne Fünfter Punkt. Trotzdem kann es sein, dass jemand, irgendetwas dasteht. Das ist wichtig, um Altersarmut in der lange gearbeitet hat, der lange Beiträge gezahlt hat – Deutschland im Kern zu bekämpfen. 35 Jahre lang –, am Ende Grundsicherung beantragen (Beifall bei der CDU/CSU) muss. Wir haben gesagt: Der darf nicht so schlecht da- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10541

Peter Weiß (Emmendingen) (A) stehen wie jemand, der nie in die Rentenversicherung sackt. Immer weniger gesellschaftlicher Reichtum landet (C) eingezahlt hat. Deswegen ist unser großes Vorhaben: bei den Rentnern. Obwohl die Zahl der Rentner Jahr für Wir wollen eine Grundrente schaffen, bei der derjenige, Jahr steigt, bekommen sie prozentual immer weniger der 35 Jahre Beiträge gezahlt hat, mehr bekommt als nur vom Sozialprodukt ab. Von 2003 bis 2015 sank der Anteil Grundsicherung. Wir streiten uns noch über die Modelle, der Rentenzahlungen am Bruttoinlandsprodukt um über die es gibt; aber wir sind entschlossen, zu handeln. Ja, 10 Prozent. Bereits heute sind laut Armutsbericht des Pa- wir versprechen: Wer 35 Jahre und mehr Beitragsjahre ritätischen Wohlfahrtsverbandes die Rentner stärker von hat, der wird in Zukunft mehr haben als die Grundsiche- Armut betroffen als der Durchschnitt der Bevölkerung. rung. Das ist unser Ziel. Man muss es immer wieder betonen: Das waren Re- Vielen Dank. formen der ehemaligen Volkspartei SPD, die sich auf die Fahne geschrieben hatte, sich um die einfachen, fleißigen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Menschen zu kümmern. ordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viel mehr? 2 Euro mehr?) (Beifall bei der AfD) Die SPD hat inzwischen erkannt, welch verheerende Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Auswirkungen ihr damaliges Regierungshandeln auf die Für die AfD hat das Wort die Kollegin Ulrike Schielke-­ Bevölkerung hat, und versucht nun, im Wahljahr 2019 Ziesing. dagegenzusteuern – leider sehr unkoordiniert und unge- recht und auf Kosten der Versichertengemeinschaft. Die (Beifall bei der AfD) neuen Maßnahmen des Rentenversicherungs-Leistungs- verbesserungs- und ‑Stabilisierungsgesetzes kosten jähr- Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): lich über 4 Milliarden Euro, die nicht vom Ministerium Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr ausgeglichen werden, sondern als versicherungsfremde Präsident! Verehrte Bürger! Heute besprechen wir den Leistungen innerhalb der Versichertengemeinschaft fi- Grund, warum Die Linke im Ausschuss für Arbeit und nanziert werden müssen. Soziales eine zügige Bearbeitung unseres sinnvollen An- Mit der neuen Idee der Einführung einer Respektrente trages zur Armutsbekämpfung bei Rentnern behindert will man Geld über einen Teil der Rentner ausschütten – hat. Wir haben uns neulich schon gewundert, warum der ohne Bedarfsprüfung, ohne Prüfung, ob in Vollzeit oder Anhörungstermin so stark nach hinten verschoben wur- Teilzeit gearbeitet wurde. Es wäre dem Arbeitsminister de. Nun wissen wir, warum: Der Linksfraktion ist ein- wirklich zu raten, erst einmal die Ergebnisse der Ren- gefallen, dass sie gar keinen eignen Antrag zu diesem (B) tenkommission abzuwarten und diese dann umzusetzen, (D) Thema hat, und es kommt für die Linksfraktion natürlich statt vorher das gesamte System der Rentenversicherung nicht infrage, sich mit einem sinnvollen Antrag der AfD heillos durcheinanderzubringen. Lassen Sie hier lieber auseinanderzusetzen. Dann also lieber unseren Antrag Experten ihre Arbeit machen und nicht das Wahlkampf- auf die lange Bank schieben und in der Zwischenzeit büro der SPD. schnell einen eigenen Antrag zusammenschreiben, damit man auch mitspielen darf. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald Die Linken versuchen mit ihrem Antrag, an einigen [DIE LINKE]: Wir haben überhaupt nichts auf kleinen und einigen größeren Schrauben zu drehen, sind die lange Bank geschoben!) sich aber selbst nicht so richtig sicher, ob diese Maßnah- men dann wirklich nutzen werden. Am Ende soll es dann – Nun ja. die solidarische Mindestrente richten, um dann doch alle Kollege Birkwald hat in seinem Antrag die Istsitua- Rentner gleichzumachen. Egal ob gearbeitet oder nicht, tion in der Rentenversicherung richtig beschrieben: Die egal wie viel verdient, egal wie viel in die gesetzliche Altersarmut weitet sich immer mehr aus. Spätestens seit Rentenversicherung eingezahlt wurde: eine Mindestrente der Schröder-Riester-Reform 2001 hat sich die Lage der für alle. Rentner in Deutschland dramatisch verschlechtert. Wur- (Zuruf von der LINKEN: Ja! Mindestens!) de bis dahin auf das Leistungsniveau der Rente geachtet, musste sich nun die Rentenhöhe an die gewollt niedrigen Unser Ziel muss doch aber sein, Menschen einen Anreiz Beiträge anpassen. Die Versicherten sollten die zwei an- zu geben, zu arbeiten, statt die hart arbeitenden Men- deren Säulen der Altersvorsorge nutzen, die Riester-Ren- schen mit denjenigen gleichzusetzen, die im Leben weni- te und die betriebliche Altersvorsorge, um überhaupt auf ger oder im schlimmsten Fall nie gearbeitet haben. eine angemessene Rente zu kommen. Von dieser Reform (Beifall bei der AfD) profitierten vor allem die Arbeitgeber, weil die Lohnne- benkosten gesenkt wurden, und die Versicherungswirt- Damit schaffen Sie, ähnlich wie Ihre Schwesterpartei schaft. Die Lebensversicherer nahmen übrigens 2016 SPD, weitere Ungerechtigkeiten. 18,3 Milliarden Euro mit Betriebsrenten ein. Schon über 20 Prozent ihrer Einnahmen kommen aus diesem Be- Es geht aber auch anders. Unser Antrag zur Armuts- reich. bekämpfung bei Rentnern, der kürzlich hier in erster Le- sung behandelt wurde, richtet sich gezielt an die Rentner Es sind schon verheerende Auswirkungen dieser Re- mit geringem Einkommen, die eine Grundsicherung be- form zu spüren: Das Rentenniveau ist dramatisch abge- antragen müssen, um ihren Bedarf zum Leben überhaupt 10542 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Ulrike Schielke-Ziesing (A) decken zu können. Genau diesen über 600 000 Alters- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) und Erwerbsminderungsrentnern möchten wir mit einer Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Kerstin Tack Anrechnungsfreistellung ihrer Rente bei der Grundsiche- das Wort. rung helfen, sodass sie mindestens 15 Prozent ihrer anre- chenbaren Rente behalten können. (Beifall bei der SPD)

Anrechnungsfreistellungen gibt es bereits für die Kerstin Tack (SPD): Riester-­Rente. Auch Hartz‑IV-Bezieher dürfen in be- stimmten engen Grenzen dazuverdienen. Einen Teil der Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Altersarmut ist ein Rente anrechnungsfrei zu stellen, wäre bedeutend ge- Thema, das in der Mitte des Parlaments angekommen ist, rechter, als alle Rentner mit verschiedenen Erwerbsbio- und das ist gut und richtig. Alle haben hier unterschiedli- grafien auf eine Stufe zu hieven. che Konzepte vorgelegt – auch das ist gut und richtig –, (Beifall bei der AfD) die nun einer Bewertung bedürfen. Auch wir als SPD haben uns im Februar mit unseren Spätestens mit der Einführung eines Freibetrages für Be- Vorstellungen für die Bekämpfung von Altersarmut ins triebsrenten im Rahmen des Betriebsrentenstärkungsge- Zeug gelegt, und ich glaube, wir haben mit unseren Vor- setzes hätte es eine modifizierte Regelung auch bei der stellungen für eine Grundrente, die in der Bevölkerung gesetzlichen Rentenversicherung geben müssen. auf massiven Zuspruch gestoßen ist, einen wichtigen und richtigen Schritt nach vorne gemacht. Ferner betrachtet unser Ansatz den Rentenzahlbetrag der Menschen, die die Grundsicherung beantragen müs- (Beifall bei der SPD) sen. Von diesem Rentenzahlbetrag sind die Kranken- Für uns ist klar, dass bei unserem Konzept diejenigen und Pflegeversicherungsbeiträge bereits abgezogen. Die im Vordergrund stehen müssen, die zwar lange Beiträge Miete wird ebenfalls von der Grundsicherung abgedeckt. eingezahlt haben, die aber in ihrer Erwerbsbiografie nied- Dann kommen unsere 15 Prozent der individuellen ge- rige Löhne hatten bzw. nur in Teilzeit arbeiten konnten, setzlichen Rente obendrauf, die jeder Rentner zur Ver- weil die gesellschaftlichen Bedingungen eben so waren. fügung hat und die nicht, wie im Heil’schen Modell, in Wenn es für die Erziehung der Kinder keine hinreichende Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen verpuffen. Betreuung gab, gab es gar nicht die Alternative: Arbeite ich in Teilzeit oder in Vollzeit? Deswegen kann es aus In einer Diskussionsrunde bei „Maybrit lllner“ im Fe- unserer Sicht in der Rente nicht zur Bestrafung kommen. bruar zum Thema „Die fetten Jahre sind vorbei – wofür (B) (D) ist noch Geld da?“ bestätigte der Präsident des ifo-Ins- (Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald tituts, Clemens Fuest, unseren Ansatz der Anrechnungs- [DIE LINKE]: Aus meiner auch!) freistellung. Das Werkzeug der Anrechnungsfreistellung bekämpft die Altersarmut zielgenau und kommt den Diejenigen sollen im Alter keine Fürsorgeleistungen, wirklich Bedürftigen zugute. sondern eine Rente bekommen. Mein lieber Peter Weiß, ich bin überrascht, dass jetzt (Pascal Kober [FDP]: Das haben Sie von uns auch aus deinem Munde die Mütterrente als ein Instru- abgeschrieben!) ment gegen die Altersarmut bezeichnet wurde. Wenn das so wäre, wenn sie denn ein Instrument gegen Altersar- Mit dem von uns eingebrachten Antrag verletzen wir mut ist, dann müsste aus eurer Logik heraus erst recht auch nicht das Leistungsprinzip. Rentner mit einer hö- die Bedürftigkeitsprüfung bei der Mütterrente eingeführt heren gesetzlichen Rente profitieren auch in höherem werden. Ausmaß von der Anrechnungsfreistellung bei der Grund- sicherung. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Wir hätten das Problem der Altersarmut bereits an- GRÜNEN] – Katja Mast [SPD]: Sehr logisch gehen können, würde Die Linke nicht mit ihrer Blocka- argumentiert!) dehaltung unseren Antrag im Ausschuss behindern. Den Rentnern von heute können wir mit unserem Vorschlag Weil wir uns aber bisher sehr einig waren, dass die sofort helfen und dann eine umfassende Reform unseres Mütterrente kein Instrument gegen Altersarmut ist, son- Rentensystems in Angriff nehmen. dern eine Anerkennung der Erziehungsleistung, gibt es dafür keine Bedürftigkeitsprüfung. Und weil es um die Wir benötigen ein zukunftsfestes Rentensystem, in Anerkennung von Leistungen geht, gibt es auch bei un- dem jegliche Privilegien von Politikern und Beamten serer Grundrente keine Bedürftigkeitsprüfung. aufgehoben werden. Es müssen endlich alle in das Ren- (Beifall bei der SPD) tensystem einzahlen. Denn erst dann hätten wir die Mög- lichkeit, zum Beispiel das Rentenniveau zu erhöhen. Denn wir erkennen die Leistungen der gearbeiteten, aber auch der erzieherischen oder pflegerischen Lebenszeit Vielen Dank. an. Deswegen ist es sehr folgerichtig, dass wir eine Be- dürftigkeitsprüfung ablehnen. Wir können sie auch nicht (Beifall bei der AfD) aus der Deutschen Rentenversicherung ableiten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10543

Kerstin Tack (A) Wir wissen auch – das belegen unterschiedliche Stu- chen behalten werden dürfen. Dann hätte diese Person (C) dien –, dass bis zu 70 Prozent derjenigen, die Ansprüche 100 Euro mehr als die Grundsicherung. Das wäre ziel- hätten, im Alter Sozialleistungen zu beziehen, diese aber führend und gerecht. Es wäre leistungsgerecht, genera- nicht in Anspruch nehmen. Aus Scham, alles offenlegen tionengerecht und finanzierbar, liebe Kolleginnen und zu müssen und im Alter auf Sozialhilfe angewiesen zu Kollegen. sein, nehmen sie ihre Leistungen nicht in Anspruch. (Beifall bei der FDP) Auch deshalb ist es richtig, in der Systematik und Lo- gik der Rentenversicherung zu bleiben und auch hier die Nun hat Die Linke auch einen Vorschlag eingebracht. Auszahlung ausschließlich über die Rentenversicherung Sie möchte den Beitragssatz zur Rentenversicherung auf zu regeln und das Sozialamt und seine Prüfkriterien kom- 20,9 Prozent erhöhen. Sie suggeriert im Text ihres An- plett außen vor zu lassen. Auch das ist für uns Respekt trags, es handele sich hier nur um eine kleine Maßnah- vor der Leistung derjenigen, die lange in Arbeit waren me: 39 Euro mehr im Monat für den Arbeitnehmer und und Kinder erzogen haben, die aber während ihrer Er- 39 Euro mehr für den Arbeitgeber. Nur, liebe Kollegin- werbsarbeit niedrige Einkünfte hatten. nen und Kollegen, lieber Matthias, ihr müsst das auch einmal in Summe rechnen! Dann geht es plötzlich um (Beifall bei der SPD) Milliardenbeträge. Wir halten es für zwingend und richtig, dass wir uns (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber an dieser Stelle in den weiteren Diskussionen in den selbstverständlich!) nächsten Monaten darüber verständigen, was aus unse- rer Sicht Respekt und Anerkennung ist und was das für Und ihr müsst eines immer bedenken: Wer ernten will, diejenigen bedeutet, die auch mit ihrer pflegerischen und muss säen und den Acker pflegen. Ihr müsst auch da- erzieherischen Leistung massiv dazu beigetragen haben, ran denken, die volkswirtschaftliche Grundlage unseres dass wir heute in einem wohlgesitteten und guten Land Landes zu erhalten. Darüber macht ihr euch leider nie leben können. Gedanken. Deshalb ist für uns klar: Eine Grundrente ist keine (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald Fürsorge-, sondern eine Rentenleistung. Deshalb gehört [DIE LINKE]: Immer! Dauernd!) sie in die Rentenversicherung und nicht ins Sozialamt. An dieser Stelle können wir in den nächsten Wochen Die Abgabenlast ist in Deutschland heute schon exor- und Monaten gerne miteinander kritisch diskutieren. Am bitant hoch. Unsere Arbeitsplätze drohen an Wettbe- Ende haben wir recht. werbsfähigkeit zu verlieren. Nur Belgien liegt in der Abgabenlast im OECD-Vergleich noch vor uns. Öster- (B) Herzlichen Dank. reich – Platz 3 – liegt 7 Prozentpunkte hinter uns. (D) (Beifall bei der SPD) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die haben eine super Rente! Wie machen die das Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: denn?) Nächster Redner für die FDP-Fraktion: der Kollege Und das in einer Zeit, wo sich unsere Volkswirtschaft auf Pascal Kober. enorme Veränderungen einstellen muss! (Beifall bei der FDP) Wir werden es in der Zukunft noch verschärfter mit der Globalisierung zu tun haben. Digitalisierung, Ener- Pascal Kober (FDP): giewende, Wirtschaft 4.0 – das sind große Herausforde- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rungen, die wir stemmen müssen. Und in der Situation Das Thema „Altersarmut“ treibt uns alle um, und es ist wollen Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern richtig, dass wir hier verschiedene Konzepte diskutieren. sowie den Arbeitgebern geradezu Fesseln anlegen? Sie Wir sind der Überzeugung, dass wir, wenn wir über Al- wollen ihnen wichtiges Kapital entziehen, das sie aber tersarmut und Rentenpolitik reden, immer drei Ziele im benötigen, um diesen Wandel zu überstehen, damit es Auge behalten müssen. Das eine ist natürlich, Armut zu auch in Zukunft noch Arbeitsplätze gibt. verhindern. Das andere ist, dass wir ebenfalls an die Fi- nanzierbarkeit denken müssen. Auch die Generationen- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, das gerechtigkeit ist ganz entscheidend. ist die wichtige Voraussetzung: dass wir an die Zukunft denken. Denn es wird auch noch in zehn, zwanzig, drei- Wir meinen, wir haben mit unserer Basisrente die ßig und fünfzig Jahren Rentnerinnen und Rentner geben, überzeugendste Lösung vorgeschlagen. Bisher ist es deren Rentenanspruch finanziert werden muss. so, dass die eigenen Rentenansprüche zu 100 Prozent auf die Grundsicherung angerechnet werden. Wer heute (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Wenn ihr so beispielsweise 500 Euro an eigenen Rentenansprüchen weitermacht, nicht!) erworben hat und in die Grundsicherung fällt, hat von Das muss die dann arbeitende Bevölkerung leisten. Wir seinen eigenen Rentenansprüchen nichts. Das ist leis- müssen darauf achten, dass die Arbeitsplätze auch in der tungsfeindlich und verhindert Altersarmut nicht. Was wir Zukunft hier erhalten bleiben und nicht in andere Länder machen müssen – das wäre die einfachste Lösung –, ist, abwandern. Freibeträge einzuführen. Deshalb fordert die FDP, dass in Zukunft 20 Prozent aus den eigenen Rentenansprü- (Beifall bei der FDP) 10544 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: tivste Lösung gefunden und die effektivste – wenn man (C) Herr Kollege Kober, der Kollege Birkwald würde gern so will – Rentensteigerung. eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das? (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Woher sollen die denn Wohneigentum Pascal Kober (FDP): kriegen?) Aber selbstverständlich. Das müssen wir schaffen. Viele können das nicht. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Eben!) Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, lieber Pascal Kober. Vorges- Aber wir können die Zahl der Menschen, die es kön- tern hat die OECD eine Studie vorgelegt – The OECD nen, mit der richtigen Politik erhöhen, und deshalb ist Risks That Matter Survey 2018 –: Die Deutschen sorgen die Antwort auf diese OECD-Studie: Ja, investieren wir sich um ihre Rente und erwarten mehr von ihrer Regie- diese 2 Prozent in Systeme, die dann auch tatsächlich rung. – Da wurde in allen 36 OECD-Staaten abgefragt, eine Rendite, einen Ertrag, ein höheres Alterseinkommen wo die Menschen der Schuh drückt. Und in allen Staa- bringen! ten wurde gesagt: Altersarmut und Rente sind für uns ein (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald Problem. [DIE LINKE]: Den höchsten bei der Renten- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und in versicherung! 3 Prozent kriegt man sonst nir- Österreich?) gends!) Ich will daher noch einmal auf zwei Punkte daraus Sie verschleiern, liebe Kollegen der Linken, auch hinweisen. Die Rente ist der Bereich mit der größten noch an anderer Stelle, indem Sie nämlich die Kosten Bereitschaft zu höheren Ausgaben. 45 Prozent der Deut- verbergen wollen. Sie schreiben, das würde ja alles nur schen wären dazu bereit, zusätzlich 2 Prozent ihres Ein- 6 Milliarden Euro mehr kosten als das, was die Große kommens – bei einem Durchschnittsverdienenden wären Koalition vorgelegt hat. das im kommenden Jahr rund 65 Euro im Monat – als (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Das stimmt Steuer- oder als Beitragszahlung zu leisten, um hierdurch ja nicht!) Zugang zu besseren Rentenleistungen zu erhalten. Im Länderdurchschnitt sind 38 Prozent zu höheren Leistun- Aber das, was die Große Koalition vorgelegt hat, ist gen bereit. In Deutschland sind es deutlich mehr. Deswe- schon nicht mehr finanzierbar. (B) gen sollten auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum (D) solidarisch mit ihren Beschäftigten sein und diese Bereit- ist das nicht finanzierbar?) schaft ebenfalls an den Tag legen. Allein damit hätten wir schon ganz viel von dem, was wir vorgeschlagen haben, Schon im Jahr 2025 – sagt der eigene Experte der Ren- finanziert. tenkommission – müssten zusätzlich 11 Milliarden Euro aus Steuermitteln in das System eingezahlt werden, um Und ich will hinzufügen: In derselben OECD-Un- die Vorschläge der Großen Koalition zu finanzieren. Im tersuchung heißt es: 77 Prozent der Deutschen sind der Jahr 2035 wären es zusätzlich 80 Milliarden Euro. Ansicht, dass die Regierung Reiche stärker als bisher besteuern sollte, um ärmere Bevölkerungsgruppen zu (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wo ist unterstützen. denn da das Problem?) Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, und wie Und im Jahr 2048 wären es zusätzlich 125 Milliarden bewerten Sie das? Euro. Nicht finanzierbar, absolut nicht finanzierbar! Das ist unseriöse Politik. So kann man nicht mit den Men- Vielen Dank. schen in unserem Land umgehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Pascal Kober (FDP): der AfD – Zurufe von der LINKEN) Lieber Matthias Birkwald, ich nehme das zur Kennt- nis. Das Entscheidende ist aber, wo diese 2 Prozent zu- sätzlich investiert werden – in ein System, das dann am Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Ende auch wirklich Ertrag bringt, Für Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Markus Kurth das Wort. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In die gesetzliche Rentenversicherung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) oder in ein Fass mit einem großen Loch, aus dem es ohne Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Effekt herausfließt. Deshalb sage ich beispielsweise: Wir müssen erreichen, dass die Menschen es in Zukunft in ih- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rem Erwerbsleben schaffen, mehr Eigentum aufzubauen. Meine Damen und Herren! Wir müssen uns bei Debatten wie diesen, wo es ja um Armutsrentnerinnen und ‑rentner Nehmen wir das Beispiel Wohneigentum: Wer es geht, schon in die Lage derjenigen versetzen, mit denen heute schafft, bis zum Renteneintritt Wohneigentum zu wir es hier zu tun haben. Pascal Kober, wenn dann von erwerben, um im Alter mietfrei zu wohnen, hat die effek- Wohneigentum als der richtigen privaten Vorsorgeform Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10545

Markus Kurth (A) die Rede ist, sollte man doch einmal überlegen, ausge- Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) hend von welchem Einkommen denn die Rentenansprü- Worauf ich mit meiner Eingangsbemerkung, wir müss- che, über die wir hier sprechen, erzielt werden. ten uns in die Situation derer versetzen, die altersarm (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind, hinweisen wollte, war nur, dass Empfehlungen – sowie bei Abgeordneten der SPD und der sicherlich gut gemeinte Empfehlungen – zur geeigneten LINKEN) Vorsorgeform auch zur Erwerbsbiografie passen müssen. Personen, die trotz jahrzehntelanger Versicherungs- und Für die meisten ist doch gar nicht an Wohneigentum zu Beitragszeiten niedrige Renten erzielen, verfügten in al- denken! ler Regel – ich würde fast sagen: in keinem Fall – nicht Man muss auch sehr sorgfältig und ernsthaft überle- über das Erwerbseinkommen, das es ihnen ermöglicht gen, welche Erwartungen man weckt. Denn wenn man hätte, Wohneigentum zu erwerben. Das wäre selbst mit Armutsrentnerin oder -rentner mit 750 oder 800 Euro dem komischen Baukindergeld – das sich ausgedacht Rente im Monat ist – die Hälfte geht für die Miete wurde –, nicht möglich gewesen. drauf –, dann ist das Versprechen, dass plötzlich viel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN leicht 100 Euro mehr im Monat da sein werden, schon sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE etwas ganz Großes für diese Menschen. Es handelt sich LINKE]) ja um Personen, die auch nicht mehr die Gelegenheit haben, durch eine Veränderung im Erwerbsleben mehr Diese Personen, die gar nicht die Chance darauf hatten, Einkommen zu erzielen. Da werden unglaubliche Hoff- die vielmehr auf bezahlbaren Wohnraum, auf neue Ge- nungen geweckt, und die darf man nicht enttäuschen. meinnützigkeit bei den Wohnungsgesellschaften und Das verlangt uns eine besondere Ernsthaftigkeit in den vieles andere angewiesen sind, müssen sich doch leicht Überlegungen dazu ab. Dazu gehört im Übrigen auch, verhohnepipelt vorkommen, wenn ihnen als Empfehlung liebe Sozialdemokraten, dass man die Finanzierung sei- von dieser Stelle aus angedient wird: Mietfreies Wohnen ner Vorschläge als Regierungspartei darlegt und im Bun- ist der beste Schutz vor Armut im Alter. – Das wollte ich deshaushalt berücksichtigt. zum Ausdruck bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katja sowie bei Abgeordneten der SPD) Mast [SPD]: Wenn wir es beschlossen haben, immer!) Zum Modell der FDP komme ich nachher noch. Wie gesagt: Ernsthaftigkeit und Wirksamkeit der vor- (B) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: geschlagenen Maßnahmen tun in der Debatte aus Respekt (D) Herr Kollege, der Kollege Kober würde gern eine vor denen, über die wir reden, not. Dazu, liebe Koalitio- Zwischenfrage stellen. näre – auch das kann ich Ihnen nicht ersparen –, gehört es, in der Debatte vielleicht auf bestimmte beliebte Stilmittel Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zu verzichten, zum Beispiel auf dieses Prinzip der kalku- Ja, bitte schön. lierten gegenseitigen Provokation. Dieses manchmal für das Publikum etwas unappetitliche Mittel kann man ja anwenden, aber vielleicht nicht gerade bei einem Thema, Pascal Kober (FDP): mit dem Menschen sehr große Hoffnungen in Bezug auf Lieber Herr Präsident! Lieber Markus Kurth, vielen ihr persönliches Leben verbinden. Kerstin Tack, Sprüche Dank, dass die Zwischenfrage möglich ist. – Vielleicht wie: „Am Ende haben wir recht“, helfen an dieser Stelle erinnern Sie sich an den Anfang meiner Rede, wo ich ge- keinem. sagt habe, was der Vorschlag der FDP zur Bekämpfung der Altersarmut ist, nämlich die Basisrente, die genau (Kerstin Tack [SPD]: Doch!) diese 100 Euro beispielweise ermöglichen würde, die Sie selbst völlig zu Recht nicht als vernachlässigbar, sondern So viel zum Grundsatz. als großen Schritt für viele Menschen in diesem Land be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zeichnet haben. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich möchte aber Ihre Logik hinterfragen, dass Sie mei- des Abg. [FDP] – Dr. Martin nen Vorschlag zum mietfreien Wohnen im Alter kritisier- Rosemann [SPD]: Sind Sie spaßbefreit? Ein ten und sagten, dass dies infrage gestellt werden müsste, bisschen Humor!) mit der Begründung: Weil es nicht allen möglich ist, soll Jetzt zur Wirksamkeit der Instrumente. Der entschei- es am besten keiner erreichen. dende Punkt muss doch sein, dass die Personen, die jahr- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zehntelang Versicherungsansprüche aufgebaut haben, aus Nein!) der Grundsicherung herauskommen. Das Versicherungs- system, also die Rentenversicherung, muss gestärkt und Sollten wir nicht eher sagen: „Gerade denen, die es der- ertüchtigt werden und muss Defizite aus dem Erwerbsle- zeit nicht schaffen, ermöglichen wir es“? Damit hätten ben ausgleichen. Das ist der entscheidende Punkt. wir in Zukunft mehr Menschen, die im Alter mietfrei wohnen können. Dann wäre doch zumindest diesen Men- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- schen deutlich geholfen. SES 90/DIE GRÜNEN) 10546 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Markus Kurth (A) Das schafft so richtig keines der hier vorliegenden Selbst wenn man das so betrachten wollte, dann wären (C) Modelle. Im Übrigen schafft das – ich habe mich da noch doch die Beträge, die hier in Rede stehen, ein bisschen einmal eingelesen – auch die Grundrente der SPD, deren wenig für eine Lebensleistung. Auch deswegen sollte Mechanismen wir durchaus gutheißen, man mit dem Begriff sehr vorsichtig sein und versuchen, etwas mehr Rationalität, Struktur und System in eine (Kerstin Tack [SPD]: Aha!) Sozialstaatsdebatte zu bringen, insbesondere mit Blick nicht. Nein! Es gibt eine Studie vom 20. Februar dieses auf die Menschen, die Ansprüche auf Würde und darauf Jahres vom ifo-Institut, wonach in den allermeisten Fäl- haben, dass ihre jahrzehntelange Zugehörigkeit als Bei- len der Höherwertungsmechanismus, den Sie einführen tragszahlerin und Beitragszahler einen entsprechenden wollen – ich erspare Ihnen jetzt die Zahlen im Detail –, Niederschlag findet. nicht dazu führt, dass man aus der Grundsicherung raus- Vielen Dank. kommt. Darum schlagen Sie auch ein Mischmodell mit einem Freibetrag in der Grundsicherung vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Freibetrag in der Grundsicherung scheint ja hier für viele das Allheilmittel zu sein. Die FDP will ihn, die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: AfD möchte ihn. Auch die CSU hat es jetzt vorgeschla- Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort die Kollegin gen. Meine Damen und Herren, ein Freibetrag in der Jana Schimke. Grundsicherung bedeutet: Man bleibt in der Grundsiche- rung – mit all den ganzen Regeln und Kautelen, mit der (Beifall bei der CDU/CSU) Bedürftigkeitsprüfung. Das ist keine Lösung innerhalb des Versicherungssystems. Genau das schlagen wir aber Jana Schimke (CDU/CSU): vor: eine Lösung innerhalb des Versicherungssystems. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heu- Wir nennen das Garantierente. tige Debatte hinkt. Sie hinkt deswegen, weil hier jeder (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – versucht, die anderen mit den eigenen Vorschlägen zu Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sind überbieten, und eigentlich keiner deutlich macht, wie ge- aber auch nur 855 Euro netto! 57 Euro über fährlich der Antrag der Linken ist. Der Antrag der Linken der Grundsicherung!) und die Vorschläge, die Sie heute machen, legen letztend- lich die Axt an das, was unseren Sozialstaat einmal stark Einfach und klar: Wer 30 Versicherungsjahre hat, gemacht hat: wozu im Übrigen dann auch Pflege- und Erziehungszei- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was (B) ten, auch Zeiten der Arbeitslosigkeit zählen, bekommt (D) 30 Rentenpunkte. Ab dem 1. Juli 2019 würden das fast haben Sie denn heute getrunken?) 1 000 Euro sein. Das ist eine klare, nachvollziehbare und vor allen Dingen im Versicherungssystem angesiedelte Maß und Mitte in der Sozialpolitik, den Fokus immer da- Lösung. Das sollte die Blaupause für Armutsbekämp- rauf gerichtet, den gesellschaftlichen Frieden zu wahren, fungsschritte sein. niemanden zu bevorzugen, niemanden zu benachteiligen, die Gesellschaft nicht zu spalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Gökay Akbulut [DIE LINKE]: Das glauben Rechtsansprüche statt Almosen oder Wohltaten oder Für- Sie doch selber nicht!) sorgeleistungen! Worum geht es ganz konkret? Die Linke möchte die Diese Art von Rationalität, die sich aus dem Versi- Rentensystematik so, wie wir sie kennen, aushebeln. cherungssystem ergibt, erspart es uns auch, wolkig solch lyrische Begriffe wie „Belohnung von Lebensleistung“ (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was?) zu verwenden. Ich finde, ein Sozialstaat sollte nach kla- Sie wirft damit die Prinzipien der Gerechtigkeit, die wir ren Regeln und Prinzipien funktionieren; gewährte Leis- in unserem Rentensystem sehr stark verankert haben, tungen werden nicht wieder weggenommen. Der Begriff über Bord. Mir wird es angst um unseren gesellschaftli- „Belohnung“ impliziert, dass man diese Belohnung auch chen Frieden, weil Sie mit den Vorschlägen, die Sie hier wieder wegnehmen kann. einbringen, den Neid in unserer Gesellschaft schüren. Ich finde auch: Wir als Gesetzgeber oder der Staat kön- (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. nen es sich überhaupt nicht herausnehmen, die Lebens- Birkwald [DIE LINKE]: Haben Sie eigentlich leistung oder irgendwelche Leistungen von Menschen zu den Antrag gelesen? – [DIE bewerten. Wer wollte das schon? Die Menschen sollen LINKE]: Das ist so unsensibel! – Lachen bei sich nach einer Versicherungszeit, nach jahrzehntelanger Abgeordneten der LINKEN) Zugehörigkeit zu einem Versicherungssystem, auf daraus erwachsene Ansprüche verlassen können, – Ich finde es erstaunlich, wie lustig Sie das finden. Das ist unglaublich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Widerspruch bei der LINKEN) nicht auf paternalistische Geschenke, nach dem Motto: Die bekommst du, weil du es in deinem Leben gut ge- Mir wird vor allem angst um jene, die all das einmal zu macht hast. finanzieren haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10547

Jana Schimke (A) Meine Damen und Herren, der Antrag der Linken Sie wollen die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze (C) dreht sich – ich will es einmal so sagen – im Wesentli- abschaffen. Warum haben wir in unserem gesetzlichen chen um drei Punkte. Rentensystem eine Beitragsbemessungsgrenze? Weil wir Punkt eins. Sie wollen das sogenannte Äquivalenz- ganz klar sagen: Gesetzliche Rente hat eben nicht den prinzip abschaffen. Anspruch, ohne Ende abzusichern, sondern nur in einem gewissen Mindestmaß. Man hat sich das irgendwann (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! Wollen einmal ausgedacht, um zu sagen, dass eben all jene, die wir nicht! – Kerstin Kassner [DIE LINKE]: mehr verdienen und über dieser Grenze liegen, selbst in Wie bitte? Falsch!) zusätzliche Anwartschaften, privat oder betrieblich, in- Was ist das Äquivalenzprinzip? Dabei geht es im We- vestieren müssen, können und auch dürfen. Das ist auch sentlichen darum, dass man in der gesetzlichen Rente eine Form von Freiheit, von Entscheidungsfreiheit. Das das herausbekommt, was man einmal eingezahlt hat. Sie möchten Sie abschaffen. möchten künftig aber auch Zeiten der Langzeitarbeitslo- sigkeit in der gesetzlichen Rente berücksichtigen. Die Rentenversicherung sagt auch: Wenn man diese Beitragsbemessungsgrenze abschafft und künftig jeder (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gab einzahlen muss, dann erwirbt er natürlich auch Renten- es schon mal! Das haben Sie mit der FDP ansprüche. 2010/2011 abgeschafft!) Sie möchten niedrige Löhne künstlich aufwerten. Sie (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!) möchten natürlich auch eine Mindestrente einführen, sozusagen ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Das wiederum, meine Damen und Herren, überfordert Rente, aber unser Rentenversicherungssystem; denn wer viel einzahlt, erhält am Ende auch mehr. Das darf nicht sein. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist nicht Ausdruck einer vernünftigen Rentenversi- Quatsch! Bedingungslos ist da gar nichts!) cherungspolitik. und damit mehr und mehr versicherungsfremde Leistun- gen in der gesetzlichen Rente einführen. Damit, meine (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Damen und Herren, wird die gesetzliche Rente mehr und Birkwald [DIE LINKE]: Das macht Öster- mehr zum Spielball der Politik. Das können wir nicht reich! Das macht die Schweiz!) wollen. Jetzt komme ich zu dem dritten Punkt, den ich für be- Ich sage Ihnen noch eines. Das Rentensystem, so wie sonders gefährlich halte. Sie wollen die Rentenanwart- (B) (D) wir es haben, ist solide. Es ist mir wichtig, das an die- schaften für höhere Löhne verringern. Das heißt, jemand, ser Stelle zu sagen. Natürlich: Nicht bei jedem reicht die der mehr einzahlt, bekommt weniger Rente, als ihm Rente immer aus, nicht jeder ist zufrieden mit dem, was zusteht. Leistung würde sich dadurch in unserem Land er am Ende rausbekommt. nicht mehr lohnen. Sie würde sogar bestraft. Meine Da- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach men und Herren, ich frage Sie: Was sind Ihnen eigentlich so!) die Menschen in diesem Lande wert? Aber das System als solches, so wie es funktioniert, so (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Das wie es die Mütter und Väter dieses Sozialstaates einmal müssen Sie nicht uns fragen!) aufgebaut haben, ist im tieferen Sinne auch gerecht. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ihr habt es Arbeiten Sie nur für jene, die weniger haben? Denken Sie doch ausgehöhlt!) nicht an jene, die vielleicht mehr leisten, mehr einzahlen und mehr bekommen? Ist Ihnen das egal? Punkt zwei. Sie gefährden mit Ihren Vorschlägen im Antrag den gesellschaftlichen Frieden. Sie schüren einen (Zurufe von der LINKEN) Neid in der Gesellschaft, das ist unglaublich. Unser Sozialsystem dient nicht der Umverteilung. Wir (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da haben in der Bundesrepublik Deutschland ein System klatscht noch nicht mal Ihre Fraktion!) der Umverteilung: Das ist das Steuersystem, aber nicht Sie wollen eine Erwerbstätigenversicherung für alle. Sie das Sozialversicherungssystem. Ihre Ideen der Umvertei- machen die Menschen glauben: Wenn jeder in die ge- lung, Ihre Ideen des Neids haben in der sozialen Siche- setzliche Rente einzahlt, dann wird sich die Situation des rung nichts verloren, meine Damen und Herren. Einzelnen verbessern. – Das tut es nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch) Birkwald [DIE LINKE]: Das wird nicht bes- – Nein, das tut es nicht. ser dadurch, dass Sie es immer wieder sagen!)

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch! Ich bin jemand, der in diesem Lande immer noch an Das haben die Österreicher gemacht!) Leistungsgerechtigkeit glaubt. Das, was Sie tun, ist, Leis- Das System bleibt als solches erhalten. Also, was soll tungsgerechtigkeit abzuschaffen und jene zu bestrafen, diese Diskussion? die in der Lage sind, mehr zu leisten. 10548 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Jana Schimke (A) Ein letzter Punkt. Ich möchte auf die Anliegen der Linksfraktion, in einem Punkt haben Sie in Ihrem Antrag (C) jungen Generation zu sprechen kommen. Diese scheinen durchaus recht: Ganz gleich, ob im Umlageverfahren offensichtlich jedem egal zu sein. oder durch Kapitalrücklage – wer im Berufsleben schon nicht viel verdient hat, gerät im Alter durchaus in die Ge- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Uns fahr von Armut. nicht!) Wir alle wünschen uns natürlich für unsere Bürger, – Gut zu hören. Vielleicht höre ich das ja heute von Ih- dass sie über alle ihre Lebensphasen hinweg auskömm- nen. lich versorgt sind. Aber auf dem Weg dahin machen Sie (Pascal Kober [FDP]: Dann haben Sie nicht nicht nur Denkfehler in der Analyse, sondern schlagen zugehört, Frau Schimke!) auch politisch einen völlig falschen Weg vor. In Ihrem Antrag haben Sie am Ende übersichtlich aufgelistet, was Sie fordern, dass der Beitragssatz in der gesetzlichen Sie ändern wollen. Rentenversicherung sofort auf 20,9 Prozent ansteigt und bis 2030 auf über 25 Prozent steigen kann, Im ersten Punkt fordern Sie, dass die Bundesregierung dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegt, um den ge- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann setzlichen Mindestlohn auf mindestens 12 Euro anzuhe- braucht man keinen Riester mehr und hat un- ben. term Strich mehr!) (Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Genau!) nach dem Motto „Das ist ja alles nicht so schlimm“. Da- mit, meine Damen und Herren, erhöhen Sie die Lohnkos- Das klingt bei Ihnen so leicht, wäre aber ein Paradig- ten und die Belastungen immer mehr, und Sie machen menwechsel in der Tarifpolitik. Uns allen ist doch klar – den Sozialstaat damit immer unattraktiver. deswegen haben die Gewerkschaften auch lange gegen den Mindestlohn gestanden –, dass der Mindestlohn ein Worum muss es gehen, meine Damen und Herren? gravierender Eingriff in die Tarifautonomie ist. Es gibt Wir brauchen die jungen Menschen. Die junge Gene- natürlich Gründe für diesen systemrelevanten Eingriff. ration in unserem Land braucht einfach mehr Luft zum Atmen. Sie braucht mehr Freiraum zur Vorsorge. Warum Dass eine Expertenkommission zum Schutz vor den nicht bei Steuern Entlastungen schaffen? Warum nicht politischen Nebenwirkungen dieser Maßnahme die Vor- bei den Sozialbeiträgen entlasten? Natürlich kann ein schläge macht, findet hier im Hause aber eine breite Staat sich engagieren – das soll er auch –, aber das kann Mehrheit; und das ist richtig so. Genau an diesen Kon- er doch auch in der zweiten und dritten Säule tun. Das sens legen Sie die Axt an. Allein dieser Punkt muss – da kann er tun, indem er die betriebliche Altersvorsorge un- bin ich ziemlich sicher – dazu führen, dass Sie mit die- (B) terstützt. Das kann er tun, indem er die private Altersvor- sem Ansinnen heute außerhalb Ihrer eigenen Fraktion (D) sorge unterstützt und damit positive Anreize zur eigenen nicht sehr viele Unterstützer finden. Vorsorge setzt, statt alles zu verbieten, vorzugeben und (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE vorzuschreiben. LINKE]) Meine Damen und Herren, liebe Kollegen der Linken, Der Fehler, den Sie machen, ist, die Frage der Höhe mit Ihrem Antrag nehmen Sie den jungen Menschen die des Mindestlohns ausschließlich aus politischer Sicht zu Luft zum Atmen. betrachten und die ökonomischen, die volkswirtschaftli- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was? chen, aber auch die rechtlichen Wirkungen – wir reden Wir geben ihnen mit diesem Antrag die Hoff- über Vertragsfreiheit – völlig auszublenden. nung, dass sie selbst noch mal Rente kriegen!) (Beifall bei der FDP) Irgendwann würde eine Gesellschaft an Ihren Vorschlä- Das ist, um es kurz auf den Punkt zu bringen, nicht kom- gen ersticken. Das haben wir schon einmal erlebt, und plex genug. deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen. In meiner knappen Redezeit möchte ich noch auf ei- Vielen Dank. nen weiteren grundsätzlichen Fehler in Ihrer Argumenta- tionskette eingehen. Sie sprechen von Altersarmut. Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- haben da in Deutschland ein Problem; jeder einzelne Fall ordneten der AfD – Matthias W. Birkwald bewegt uns alle. Die Situation zu dramatisieren, ist aller- [DIE LINKE]: Dagegen ist Peter Weiß links- dings auch nicht sachgemäß. radikal!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: macht niemand!) Der nächste Redner: der Kollege Till Mansmann, Lassen wir die Kirche im Dorf. Betroffen sind derzeit FDP-Fraktion. 2,7 Prozent der Rentenbezieher. (Beifall bei der FDP) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, 2,8 Millionen Menschen! Das habe ich Ihnen Till Mansmann (FDP): vorgerechnet!) Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kollegin- In absoluten Zahlen betrachtet, ist die Lage dramatisch nen und Kollegen! Liebe Kollegen insbesondere von der genug: Hunderttausende Rentner sind betroffen. Wenn Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10549

Till Mansmann (A) Sie das allerdings zum Massenphänomen erklären, ent- Die Zahlen zeigen: Von dieser Grundrente werden vor (C) fernen Sie sich leider von einer zielgerichteten Lösung. allem Frauen profitieren. Das ist auch kein Wunder; denn es sind vor allem Frauen, die in schlecht bezahlten Jobs (Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald arbeiten. Erst am Montag dieser Woche wurden wir mit [DIE LINKE]: Sie verwechseln Existenzmini- dem Equal Pay Day wieder daran erinnert. Ich finde es mum mit Armutsgrenze!) schon einen Hohn, dass die Kollegen von FDP und AfD Was ist an Ihren Plänen vor allem falsch? Sie sind un- in der Ausschusssitzung gestern den Eindruck erweckt glaublich teuer. So ist das, wenn man ein Problem, das haben, die Frauen wären an ihrer Situation selber schuld. groß ist, durch Aufbauschen noch größer macht und dann Das ist ein Hohn und sagt viel über Ihre Einstellung aus. einen entsprechend ausufernden Lösungsvorschlag vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des legt. Der Kollege Pascal Kober hat Ihnen vorgerechnet, Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) was es kostet, und der Kollege Peter Weiß von der CDU/ CSU-Fraktion hat es „Gießkanne“ genannt – und das Meine Damen und Herren, es geht nämlich um Kas- ganz zu Recht. siererinnen oder Friseurinnen, die 40 Jahre lang auf Min- Wenn Sie sehen wollen, wie man das Problem „Rente destlohnniveau gearbeitet haben. Und es geht um Frau- und Altersarmut“ zielgenau löst, dann schauen Sie sich en, die Kinder bekommen und erzogen haben, deshalb einmal unseren Rentenvorschlag, die Basisrente, an. aus dem Beruf ausgeschieden und später überwiegend in Teilzeit wieder eingestiegen sind. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der ist dünn!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Mein Kollege Kober hat ihn hier schon vorgestellt. Wir Herr Kollege, der Kollege Pascal Kober würde gerne sind der Auffassung, dass jeder, der Leistung erbringt, im eine Zwischenfrage stellen. Alter besser dastehen muss als nur mit der Grundsiche- rung, auf die jeder Anspruch hat. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Muss nicht sein!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Unser Vorschlag ist finanzierbar und setzt genau bei den Dr. Martin Rosemann (SPD): Leuten an, die schwierige Erwerbsbiografien haben, aber im Laufe ihres Lebens vielfach durchaus Leistung er- Bitte. bracht haben. Pascal Kober (FDP): (B) Wir finden es jedenfalls gut, dass wir wieder über die- (D) ses Thema hier sprechen und freuen uns auf die Ausei- Herr Präsident! Lieber Martin Rosemann, vielen nandersetzung im Ausschuss. Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Es ist ein bisschen unfair, wenn Sie aus Ausschusssitzungen, die nichtöf- Vielen Dank. fentlich sind, hier im öffentlichen Plenum zitieren und sich niemand ein Bild davon machen kann, ob Sie richtig Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zitiert haben. Vielen Dank. – Der nächste Redner ist der Kollege Vielleicht haben Sie dieselbe Erinnerung wie ich an Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion. die Diskussion gestern im Ausschuss: Wir haben ver- (Beifall bei der SPD) sucht, hinsichtlich des Zustandekommens der Gender Pay Gap von 21 Prozent zu differenzieren. Man ver- gleicht alle Berufsverhältnisse von Frauen mit allen Be- Dr. Martin Rosemann (SPD): rufsverhältnissen von Männern, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, (Kerstin Tack [SPD]: Es wird nicht besser!) dass Die Linke das Thema Altersarmut auf die Tagesord- nung gesetzt hat. Unsere Antwort – Kerstin Tack hat es man vergleicht die Summe von Berufsverhältnissen von gesagt – heißt Grundrente, und Hubertus Heil hat dazu Frauen, von denen viele in Pflegeberufen oder in gerin- ein gutes Konzept vorgelegt. ger bezahlten Beschäftigungsverhältnissen sind, mit der Summe von Berufsverhältnissen von Männern, von de- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Das niemals nen sehr viele im Hochlohnbereich arbeiten. funktionieren wird!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt dieses Konzept. eben! Warum sind Frauen nicht auch im Hoch- lohnbereich?) (Beifall bei der SPD) Es geht uns um zweierlei: darum, Altersarmut zu Das trägt nicht zur Problemlösung bei. Man muss sich bekämpfen, und darum, Lebensleistung anzuerkennen. vielmehr darauf konzentrieren, ob eine Frau und ein Meine Damen und Herren, Lebensleistung ist unabhän- Mann auf der gleichen beruflichen Ebene gleich viel oder gig davon, wo und mit wem ich zusammenlebe. unterschiedlich viel verdienen. Darüber hinaus stellt sich die Frage: Was muss passieren, damit auch Frauen in hö- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) her bezahlte Beschäftigungsverhältnisse wechseln? 10550 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Pascal Kober (A) Es ist eine sehr differenzierte und sachliche Diskussi- Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre, gab es den Kin- (C) on gewesen, dergarten erst für Kinder ab vier Jahren, und um 12 Uhr war Schluss. Das war in Westdeutschland Realität für die (Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD]) meisten Familien. Das zeigt: Wenn wir Altersarmut ver- die Sie und insbesondere die Kollegen der Grünen durch hindern wollen, dann müssen wir Frauen und Männern Nichtzuhören, durch Nichtzuhörenwollen mit Zwischen- gleichermaßen ermöglichen, eine eigene Altersvorsorge rufen konterkariert haben. Sie waren in keinster Weise aufzubauen. Dazu gehört gute und flexible Kinderbe- an einer sachlichen Diskussion interessiert. Erinnern Sie treuung; deswegen haben wir das Gute-Kita-Gesetz be- sich nicht auch, dass es so war? schlossen. (Beifall bei der SPD) Dr. Martin Rosemann (SPD): Lieber Kollege Pascal Kober, den Vorwurf, wir oder Dazu gehört mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten; ich persönlich hätte die Diskussion durch Zwischenru- deswegen haben wir die Brückenteilzeit beschlossen. fe gestört und wäre nicht an einer sachlichen Diskussion (Beifall bei Abgeordneten der SPD) interessiert, weise ich entschieden zurück. Das Gegen- teil ist richtig. Meine Kollegin Dagmar Schmidt hat sich Und dazu gehört auch mehr Flexibilität hinsichtlich des für unsere Fraktion in sehr sachlicher und differenzierter Arbeitsortes; deswegen werden wir einen Rechtsan- Weise an dieser Diskussion beteiligt. Natürlich müssen spruch auf mobiles Arbeiten in diesem Land durchsetzen. wir die Gender Pay Gap sehr differenziert betrachten. (Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer Die Gender Pay Gap hat unterschiedliche Ursachen und [CDU/CSU]: Das hat doch nichts mit Alters- mehr Ursachen als nur direkte Lohndiskriminierung. armut zu tun!) Aber der Punkt ist doch, dass für all die Dinge, die Sie Zentrale Voraussetzungen für gute Renten sind gute hier genannt haben – schlechtere Bezahlung in sozialen Bildung, gute Arbeit und gute Löhne. Wir Sozialdemo- Berufen, schlechtere Aufstiegschancen von Frauen, we- kratinnen und Sozialdemokraten wollen gute Arbeit für niger Frauen in Führungspositionen –, alle. Deshalb wollen wir die Spaltungen auf dem deut- (Marianne Schieder [SPD]: Die FDP ist ein schen Arbeitsmarkt überwinden: Beispiel dafür!) (Beifall bei der SPD) eben nicht die Frauen die Verantwortung tragen, sondern die Spaltung zwischen guten Löhnen und schlechten Löh- dass es auf gesellschaftliche Umstände zurückzuführen nen, zwischen guten Arbeitsbedingungen und schlechten ist, die wir verändern müssen. Arbeitsbedingungen, zwischen Betriebsrenten und kei- (B) nen Betriebsrenten, zwischen sicheren und befristeten (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Arbeitsplätzen – letztlich zwischen tarifgebundener und KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- nichttarifgebundener Arbeit. Deswegen stehen und arbei- NEN) ten wir für mehr Tarifbindung und mehr Sozialpartner- Wir, die Politik, müssen dafür sorgen, dass Beschäf- schaft durch mehr Allgemeinverbindlichkeit. Fangen wir tigte in sozialen Berufen besser bezahlt werden; denn in der Pflege damit an! diese werden überwiegend aus öffentlichen Mitteln be- (Beifall bei der SPD) zahlt. Und wir, die Politik, müssen dafür sorgen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Dazu gehört auch, dass wir befristete Arbeitsverhältnis- Männer besser wird, se einschränken und – ganz aktuell – dass wir bei den Paketzustellern durch die Durchgriffshaftung für bessere (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Arbeitsbedingungen sorgen. der LINKEN) (Beifall bei der SPD) dass Frauen und Männer in Vollzeit oder vollzeitnaher Teilzeit arbeiten können. Wir, die Politik, müssen dafür Meine Damen und Herren, schließlich geht es darum, sorgen, dass die Aufstiegschancen von Frauen besser dass wir alle gemeinsam die große Herausforderung der werden und die Frage von Aufstieg eben nicht davon Zukunft für unseren Arbeitsmarkt meistern: die Verände- abhängt, ob jemand in Vollzeit oder Teilzeit arbeitet. rung der Arbeitswelt durch Digitalisierung und techno- Das sind gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die logischen Wandel. Das heißt, dass wir den Beschäftigten wir gemeinsam mit den Sozialpartnern, gemeinsam mit im Wandel Schutz und Chancen bieten, dass wir dafür der Wirtschaft verändern müssen. Damit können wir die sorgen, dass die Beschäftigten von heute die Arbeit von Frauen nicht alleine lassen oder sie dafür verantwortlich morgen machen können. Der Schlüssel dafür heißt Qua- machen. lifizierung. Mit dem Qualifizierungschancengesetz un- terstützen wir Beschäftigte bei der Weiterbildung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Nun wird gesagt: Frauen sollten bei Teilzeitbeschäfti- Da wollen wir weitermachen und einen Rechtsanspruch gung keine Grundrente bekommen. Ich sage aber: Teil- auf Weiterbildung schaffen. Unser Leitbild ist der Sozi- zeitbeschäftigung ist eben nicht frei gewählt. Vielmehr alstaat als Partner, der die Beschäftigten im Arbeitsleben lag die Entscheidung an den Lebensumständen, häufig an berät und unterstützt, der schnell und unbürokratisch fehlender Kinderbetreuung. Als ich ein kleines Kind war, hilft, der Hilfe wie aus einer Hand gewährt, der Arbeit für Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10551

Dr. Martin Rosemann (A) alle ermöglicht und die Beschäftigten dabei unterstützt, Umkehrschluss, dass 97, knapp 98 Prozent ausreichend (C) gesund vom Arbeitsleben in die Rente zu kommen, in versorgt sind. dem jedem und jeder die Unterstützung zukommt, die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Auch notwendig ist, ein Sozialstaat, der für uns alle das Leben falsch! Verdeckte Armut!) leichter macht. Und: Die Haushaltseinkommen der Rentnerinnen und Recht auf Arbeit statt bedingungsloses Grundeinkom- Rentner in Deutschland betragen durchschnittlich men – das ist unsere Antwort auf den vor uns stehen- 1 961 Euro. Das ist vom Rheinisch-Westfälischen In- den Wandel. Menschen für Menschen, keinen im Stich stitut für Wirtschaftsforschung festgestellt worden. Sie lassen – wir wollen die vor uns liegenden Herausforde- könnten auch auf diese Zahlen zurückgreifen. Vielleicht rungen gemeinsam und solidarisch anpacken, damit aus noch eine besondere Note: Von denjenigen, die im Alter technologischem Fortschritt sozialer Fortschritt für alle, auf Grundsicherung angewiesen sind, haben 40 Prozent für die gesamte Gesellschaft wird. nie Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung ein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gezahlt. Auch das gehört dazu. der CDU/CSU) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Des- halb müssen sie in Armut leben, oder was?)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das Entscheidende ist, eine besondere Vorsorge zu Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege treffen. Da empfiehlt Die Linke zum einen die Erhöhung Max Straubinger. des Mindestlohns. Das hilft den derzeitigen Rentnerin- (Beifall bei der CDU/CSU) nen und Rentnern in keinster Weise. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Max Straubinger (CDU/CSU): Falsch!) Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich Ihnen helfen Rentenerhöhungen. Der Kollege Weiß hat beschäftige mich jetzt wieder mit dem Antrag der Linken dargestellt, dass es dieses Jahr eine Rentenerhöhung von und nicht mit der allgemeinen Politik; denn wir müssen über 3 Prozent zum 1. Juli geben wird. Das bedeutet eine uns in der rentenpolitischen Debatte mit den Vorschlägen durchschnittlich höhere Anpassung als bei der allgemei- auseinandersetzen und sie entsprechend würdigen. Die nen Anpassung der Löhne. Das ist auch auf den Nachho- Kollegen der Linken haben einen Antrag formuliert, der leffekt der guten Lohnentwicklung hier in Deutschland in der Öffentlichkeit letztendlich ein Zerrbild der Alters- zurückzuführen. sicherung darstellen soll. (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Über- Das Tollste ist: Sie empfehlen in Ihrem Antrag, die haupt nicht! Nein!) Riester-Förderung abzuschaffen. Das ist der Versuch der – Natürlich, Herr Kollege Birkwald. Sie versuchen hier, Linken, die Alterssicherung allein auf die gesetzliche eine neue Armutsdefinition herbeizuführen. Da muss Rentenversicherung zu reduzieren. man feststellen: Die Grundsicherung bedeutet letztend- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) lich auch Teilhabe am Leben, und zwar an einem würdi- gen Leben. So ist die Grundsicherung bei uns in Deutsch- Das ist aber falsch und unverantwortlich gegenüber den land konzipiert, und darauf dürfen wir stolz sein. jungen Erwerbstätigen der Zukunft; denn sie müssten dann die Zeche (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, das ist viel zu (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die wenig Geld!) müssen auch Riester zahlen, und Riester ist teurer!) Dann muss man auch feststellen, dass es sich nur um eine sogenannte singuläre Darstellung handelt, die im- und die Leistungsversprechen – die Tendenz ist stei- mer auf Einzelpersonen abgestellt ist. Das ist sozusagen gend – zahlen. die Vergleichsbasis und Grundlage Ihres Antrags. Das ist (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist falsch, Herr Kollege Birkwald. Vor allen Dingen ist es doch Unsinn, was Sie erzählen!) falsch, alles nur auf die Rente aus der gesetzlichen Ren- tenversicherung zu reduzieren, Herr Kollege Birkwald. Das kann meines Erachtens keine gute, zukunftsorien- tierte Politik sein, verehrte Kolleginnen und Kollegen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ma- der Linken. chen wir nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Und wer falsche Grundlagen für ein zukünftiges Konzept legt, wird natürlich in Zukunft auch falsche Konzepte Die Kollegin Schimke hat darauf hingewiesen: Die schmieden. Forderung nach der Abschaffung der Beitragsbemes- sungsgrenze und der dynamisierten Absenkung der Spit- Die Rentensituation in Deutschland ist ganz anders; zenrenten zeigt sehr deutlich, dass Sie hier letztendlich das möchte ich hier darlegen. Sie haben wohlweislich einen großen Sozialausgleich in der Rentenversicherung darauf hingewiesen, dass nur 2,7 Prozent der Altersrent- tätigen wollen. Das widerspricht eklatant dem Versiche- ner auf Grundsicherung angewiesen sind. Das heißt im rungsprinzip. Das Versicherungsprinzip bedeutet: Jeder 10552 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Max Straubinger (A) Beitrag zählt gleich, und jeder Beitrag hat auch die glei- Ich erinnere daran, dass wir schon in der letzten Le- (C) che Wirkung. Ich will, dass wir weiterhin eine Renten- gislatur zahlreiche Verbesserungen bei der Rente umge- versicherung haben und keine Rentenfürsorgeanstalt aus setzt haben. Ich erinnere an das Flexirentengesetz, das der gesetzlichen Rentenversicherung machen, wie Sie es Betriebsrentenstärkungsgesetz, aber auch an die Verbes- wollen. serungen bei der Reha, um die Gesundheit der Menschen zu schützen, die arbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Auch im ersten Jahr der Großen Koalition II haben wir Deshalb tragen die Vorschläge, zukünftig auch Selbst- bereits mit dem Rentenpaket vieles erreicht. Wir haben ständige, Beamte und Abgeordnete einzubeziehen, nicht das Rentenniveau bis 2025 auf 48 Prozent festgeschrie- zur Rettung des gesetzlichen Rentenversicherungssys- ben. Somit folgen die Renten wieder stärker den Löhnen. tems bei. Wir sind dafür, die Selbstständigen zu einer Vorsorgeverpflichtung heranzuziehen, in freier Entschei- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein dung, ob in gesetzlicher Rentenversicherung oder kapi­ Schritt in die richtige Richtung!) talgedeckt. Aber wenn Sie sagen, dass bei Einbeziehung von Beamten oder Politikern das Rentenversicherungs- Wir haben dafür gesorgt, dass der Rentenbeitragssatz bis system gestärkt werden würde, dann muss ich Ihnen sa- 2025 nicht über 20 Prozent steigt. Zusammen mit der Er- gen: Wenn Sie bei den Beamten die Ansprüche kürzen höhung des Steuerzuschusses sorgt das für mehr Gerech- wollen, dann sagen Sie das auch. Wenn Sie das nicht tigkeit für die heutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeit- wollen, dann ist es ein Nullsummenspiel. Dann müssen nehmer und für diejenigen, die viel arbeiten und trotzdem Sie die Frage beantworten, was wir mit der betrieblichen nicht viel verdienen. Altersversorgung machen, die bei Beamten in der Pensi- Wir haben die geringen Einkommen von Versiche- on mit eingerechnet ist. Das müssen Sie erklären. Also, rungsbeiträgen entlastet, ohne dabei die Leistungen zu lieber Herr Kollege Birkwald, wollen Sie die Ansprüche senken. Auch das war ein wichtiger Beitrag zu mehr Ge- der Beamten kürzen oder nicht? Wenn Sie sie kürzen wol- rechtigkeit. len, dann sagen Sie es den Beamten, wenn nicht, dann ist es ein Nullsummenspiel und hilft in keiner Weise für die (Beifall bei der SPD) Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Wir haben noch einmal eine Verbesserung bei der Müt- ist entscheidend für die Zukunft. terrente, bei der Anerkennung von Erziehungszeiten (Beifall bei der CDU/CSU) umgesetzt, und wir haben die Zurechnungszeiten bei erwerbsgeminderten Rentnerinnen und Rentnern verbes- sert. Ich glaube, das alles kann sich schon sehen lassen. (B) Vizepräsident Thomas Oppermann: (D) Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Kollege. Wir haben also schon vieles gemacht, aber nicht nur der Linkspartei reicht das noch nicht. Auch uns reicht das noch nicht. Deswegen haben wir noch ein bisschen was Max Straubinger (CDU/CSU): vor. Wir haben die Grundrente auf der Tagesordnung. Ich wünsche uns eine schöne, gedeihliche Auseinan- Dazu ist schon vieles gesagt worden. Wir wollen – das dersetzung um das bessere Konzept, das den Menschen hat auch Max Straubinger schon gesagt – aber auch den eine besondere Alterssicherung gibt. Ich bin überzeugt: sozialen Schutz für Selbstständige verbessern; Der Dreiklang aus gesetzlicher Rentenversicherung, be- trieblicher Altersversorgung und staatlich geförderter (Beifall bei Abgeordneten der SPD) privater Vorsorge kann weiterhin die beste Grundlage für denn kleine Selbstständige und Solo-Selbstständige sind eine gute Alterssicherung der Menschen in Deutschland heute überdurchschnittlich von Altersarmut betroffen. sein. Wir werden die Selbstständigen, die nicht bereits anders Danke schön. abgesichert sind, mit in die gesetzliche Rentenversi- cherung einbeziehen. Das führt nicht nur dazu, dass am (Beifall bei der CDU/CSU) Ende niemand mehr ohne Absicherung dasteht, sondern wir schaffen damit auch für kleine Selbstständige den Zugang zu den Leistungen der Rentenversicherung, das Vizepräsident Thomas Oppermann: heißt zu den Erwerbsminderungsrenten und auch zu den Vielen Dank. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Rehaleistungen. Auch das ist ein wichtiger Schritt gegen für die Fraktion der SPD die Kollegin Dagmar Schmidt. Altersarmut. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Und weil auch wir der Ansicht sind, dass bei der Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Frage einer guten und sicheren Rente über 2025 hinaus Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Handlungsbedarf besteht, haben wir mit der Kommissi- Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist gut, on „Verlässlicher Generationenvertrag“ die Möglichkeit, dass das Thema „Altersarmut“ auf der Tagesordnung über den Tag hinaus zu diskutieren. Die Ergebnisse, die steht – danke an die Linkspartei –; denn das gibt uns die uns im nächsten Jahr erreichen werden, werden sicher Gelegenheit, über all das zu reden, was wir schon getan dafür sorgen, dass wir im Parlament noch viel zu disku- haben und was wir noch vorhaben. tieren haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10553

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) Bei allem renten- und arbeitsmarktpolitischen Han- ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- (C) deln gibt es, wenn es um ältere Menschen in Armut geht, den? – Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. nicht nur die Einkommensseite. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 g so- wie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 c auf. Es handelt sich um Vizepräsident Thomas Oppermann: Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne De- Moment mal, Frau Schmidt. – Ich bitte um etwas mehr batte. Aufmerksamkeit für die Rednerin und darum, die Ge- spräche zurückzustellen. Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- sungen, zu den Tagesordnungspunkten 27 a bis 27 g so- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wie zu den Zusatzpunkten 2 a und 2 b: der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ 27. a) Erste Beratung des von der Bundesregie- DIE GRÜNEN) rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum Vorschlag für eine Empfehlung Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): des Rates zum Zugang zum Sozialschutz Danke schön. – Die Leistungen im Alter, die Rente im für Arbeitnehmer und Selbständige Alter, das Einkommen im Alter müssen stimmen. Aber die Leistung ist dann mehr wert, wenn es auf der anderen Drucksache 19/8460 Seite auch die Angebote zur gesellschaftlichen Teilhabe Überweisungsvorschlag: gibt. Dabei geht es um Themen wie „Freizeit“, „Ehren- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz amt“, aber auch „Einsamkeit im Alter“ und „Mobilität im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Alter“. Deswegen machen wir in Wirklichkeit noch viel Union mehr gegen Altersarmut als das, was hier bereits disku- tiert worden ist. b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Wir tun vor allem viel gegen die Folgen von Alters- zu dem Protokoll vom 11. Juni 2014 zum armut. Wir sichern die Handlungsfähigkeit vor Ort. Wir Übereinkommen Nr. 29 der Internatio- brauchen die soziale Infrastruktur vor Ort und starke und nalen Arbeitsorganisation vom 28. Juni handlungsfähige Kommunen. Dafür haben wir die Kom- 1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit munen bereits in der vergangenen Legislatur um 25 Mil- liarden Euro entlastet. Wir gehen diesen Weg auch weiter. Drucksache 19/8461 Wir unterstützen weiterhin den Ausbau von Mehrgenera- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) (B) tionenhäusern und setzen das Programm „Soziale Stadt“ (D) fort. Mit dem Investitionspaket „Soziale Integration im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Quartier“ stärken wir den sozialen Zusammenhalt. Die Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Sanierung kommunaler Einrichtungen fördern wir eben- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten so wie den sozialen Wohnungsbau und den Städtebau. Dr. , Michael Theurer, Roman Müller-Böhm, weiterer Abgeordneter und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Fraktion der FDP der CDU/CSU) Für eine weltoffene neue Generation – All das ist auch ein Beitrag zum Kampf gegen Altersar- Chancen von „Working Holiday“-Pro- mut. grammen effektiver nutzen In Zeiten, in denen viele Menschen verunsichert sind Drucksache 19/2690 und sich oftmals schon mit dem Alltagsleben überfordert fühlen, ist es unsere Aufgabe, mehr Sicherheit zu geben Überweisungsvorschlag: und das Leben leichter zu machen – durch eine gute und Ausschuss für Tourismus (f) Auswärtiger Ausschuss sichere Rente, aber auch durch ein Recht auf gute und Ausschuss für Inneres und Heimat sichere Arbeit und Ausbildung, durch starke Kommunen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und durch einen Sozialstaat als Partner, der vor Ort leicht Ausschuss für Wirtschaft und Energie erreichbar ist und einfach hilft. Viel erreicht haben wir Ausschuss für Arbeit und Soziales schon; vieles haben wir noch vor. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend In diesem Sinne: Glück auf! d) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Corinna Rüffer, Anja Hajduk, Markus (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kurth, weiterer Abgeordneter und der Frak- der CDU/CSU) tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10 Jahre UN-Behindertenrechtskonven- Vizepräsident Thomas Oppermann: tion in Deutschland – 10 Punkte für ein Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht selbstbestimmtes Leben vor. Ich schließe die Aussprache. Drucksache 19/8288 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/8555 federführend an den Ausschuss für Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Arbeit und Soziales sowie mitberatend an den Haushalts- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz 10554 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Ausschuss für Wirtschaft und Energie KOM(2018) 185 endg.; Ratsdok. 7876/18 (C) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur desregierung gemäß Artikel 23 Ab- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe satz 3 des Grundgesetzes Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Mehr Verbraucherschutz in der EU e) Beratung des Antrags der Abgeordneten durchsetzen – Kollektiven Rechtsschutz Jörn König, Andreas Mrosek, Andreas stärken und Transparenz bei Internet- Bleck, weiterer Abgeordneter und der Frak- plattformen schaffen tion der AfD Drucksache 19/8563 Freiheit für die Förderung von Sport- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) großveranstaltungen in Deutschland – Ausschuss Digitale Agenda Anpassung der Förderrichtlinien Ver- bände ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartmut Ebbing, Katja Suding, Grigorios Drucksache 19/8559 Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Überweisungsvorschlag: Fraktion der FDP Sportausschuss (f) Ausschuss für Tourismus Kulturpolitische Aufarbeitung des Samm- lungsgutes aus kolonialen Kontexten f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/8545 Eva-Maria Schreiber, Heike Hänsel, Michel Brandt, weiterer Abgeordneter und der Überweisungsvorschlag: Fraktion DIE LINKE Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordne- Rechte von Landarbeiterinnen und ten Kordula Schulz-Asche, Maria Klein- Landarbeitern im Rahmen deutscher Schmeink, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Entwicklungszusammenarbeit stärken weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drucksache 19/8554 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Pflege gerecht und stabil finanzieren – Die (B) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Pflege-Bürgerversicherung vollenden (D) Entwicklung (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 19/8561 Ausschuss für Arbeit und Soziales Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dr. Manuela Rottmann, Tabea Rößner, Haushaltsausschuss Dr. , weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an GRÜNEN die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Europäischen Parlaments und des Rates Ich rufe den Zusatzpunkt 2 c auf: über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralph zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG Lenkert, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE KOM(2018) 184 endg.; Ratsdok. 7877/18 LINKE und Ende der Zeitumstellung zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Drucksache 19/8469 Europäischen Parlaments und des Rates Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wün- des Rates vom 5. April 1993, der Richtli- schen Überweisung, und zwar federführend an den Aus- nie 98/6/EG des Europäischen Parlaments schuss für Wirtschaft und Energie sowie mitberatend an und des Rates, der Richtlinie 2005/29/EG den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur, an des Europäischen Parlaments und des den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technologie- Rates sowie der Richtlinie 2011/83/EU folgenabschätzung sowie an den Ausschuss für die Ange- des Europäischen Parlaments und des legenheiten der Europäischen Union. Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucher- Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den schutzvorschriften Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10555

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Das sind sich? – Das sind die Fraktionen Die Linke und FDP. Da- (C) die Fraktionen der AfD, jedenfalls zum Teil, der FDP, mit ist die Beschlussempfehlung mehrheitlich angenom- der SPD und der CDU/CSU. Wer stimmt dagegen? – men. Das sind die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sowie drei Abgeordnete der AfD; die anderen ha- Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- ben anders abgestimmt. Enthaltungen? – Sehe ich nicht. titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 28 c bis 28 n. Dann ist die Überweisung mit der Mehrheit des Hauses Tagesordnungspunkt 28 c: so beschlossen, und wir stimmen heute über den Antrag auf Drucksache 19/8469 nicht in der Sache ab. Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 n auf. Es handelt sich um die Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu Sammelübersicht 215 zu Petitionen denen keine Aussprache vorgesehen ist. Drucksache 19/8320 Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 28 a auf: Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- gen? – Damit ist die Sammelübersicht einstimmig ange- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- nommen. regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung beförderungsrechtlicher Tagesordnungspunkt 28 d: Vorschriften im Eisenbahnbereich Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Drucksachen 19/7837, 19/7917 onsausschusses (2. Ausschuss) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Sammelübersicht 216 zu Petitionen schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 19/8321 (15. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Drucksache 19/8468 gen? – Damit ist die Sammelübersicht ebenfalls einstim- Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur mig angenommen. empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Tagesordnungspunkt 28 e: che 19/8468, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 19/7837 und 19/7917 anzunehmen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen onsausschusses (2. Ausschuss) (B) (D) wollen, um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen Sammelübersicht 217 zu Petitionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Da- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig Drucksache 19/8322 angenommen. Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Jetzt kommt die gen? – Damit ist die Sammelübersicht bei Enthaltung der Grünen und Gegenstimmen der Linken von der Mehrheit dritte Beratung des Hauses angenommen. und Schlussabstimmung. Dafür bitte ich diejenigen, die Tagesordnungspunkt 28 f: dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Nicht erkennbar. Da- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- mit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. onsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 28 b: Sammelübersicht 218 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung und des Drucksache 19/8323 Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe haltungen? – Damit ist die Sammelübersicht gegen die Kekeritz, Dr. Frithjof Schmidt, Ottmar von Holtz, Stimmen der AfD-Fraktion von der übrigen Mehrheit des weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Hauses angenommen. NIS 90/DIE GRÜNEN Tagesordnungspunkt 28 g: Kamerun stabilisieren – Bürgerkrieg verhin- dern Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) Drucksachen 19/4555, 19/7745 Sammelübersicht 219 zu Petitionen Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Drucksache 19/8324 lung auf Drucksache 19/7745, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/4555 abzu- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Das sind lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – die Fraktionen der AfD und Die Linke. Enthaltungen? – Das sind die Fraktionen der AfD, CDU/CSU und SPD. Das ist die Fraktion der Grünen. Damit ist die Sammel- Wer stimmt dagegen? – Das sind die Grünen. Wer enthält übersicht von der Mehrheit des Hauses angenommen. 10556 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Tagesordnungspunkt 28 h: Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- (C) gen? – Gegen die Stimmen von AfD, FDP und der Frak- Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- tion Die Linke von der übrigen Mehrheit des Hauses an- onsausschusses (2. Ausschuss) genommen. Sammelübersicht 220 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 28 n: Drucksache 19/8325 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- onsausschusses (2. Ausschuss) tungen? – Damit ist die Sammelübersicht einstimmig an- genommen. Sammelübersicht 226 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 28 i: Drucksache 19/8331 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- onsausschusses (2. Ausschuss) gen? – Gegen die Stimmen der Fraktionen AfD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke von der Mehrheit Sammelübersicht 221 zu Petitionen des Hauses angenommen. Drucksache 19/8326 Wir sind mit allen Sammelübersichten durch. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Das sind Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 e auf: die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Wahlen zu Gremien. Damit ist die Sammelübersicht von der übrigen Mehrheit des Hauses angenommen. Wir haben drei verschiedene Wahlformen: zwei Wah- len mittels Handzeichen, danach zwei offene Wahlen Tagesordnungspunkt 28 j: mit Stimmkarten und schließlich eine geheime Wahl mit Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Stimmkarte und Wahlausweis. onsausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 8 a: Sammelübersicht 222 zu Petitionen Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Drucksache 19/8327 Wahl eines Mitglieds des Kuratoriums der Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Das „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden sind die Fraktionen der FDP und Die Linke und auch die Europas“ (B) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Sammel- Drucksache 19/8463 (D) übersicht von der Mehrheit des Hauses angenommen. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Das ist die Tagesordnungspunkt 28 k: Fraktion der AfD. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- übrigen Fraktionen des Hauses. Wer enthält sich? – Da- onsausschusses (2. Ausschuss) mit ist der Wahlvorschlag bei wenigen Enthaltungen von der Mehrheit des Hauses gegen die Stimmen der AfD Sammelübersicht 223 zu Petitionen abgelehnt. Drucksache 19/8328 Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 8 b: Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Wahlvorschlag der Fraktion der AfD gen? – Gegen die Stimmen von AfD, Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke von der Mehrheit des Wahl von Mitgliedern des Kuratoriums der Hauses angenommen. „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ Tagesordnungspunkt 28 l: Drucksache 19/8464 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Das sind die onsausschusses (2. Ausschuss) Abgeordneten der Fraktion der AfD. Wer stimmt dage- gen? Sammelübersicht 224 zu Petitionen (Zuruf von der AfD: Die Altparteien!) Drucksache 19/8329 – Das sind, soweit erkennbar, nicht die Altparteien, Herr Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Kollege. Ich rüge diesen Ausdruck. Es gibt keine Altpar- gen? – Gegen die Stimmen von AfD und FDP von der teien in diesem Haus, sondern nur Fraktionen des Deut- Mehrheit des Hauses angenommen. schen Bundestages. Tagesordnungspunkt 28 m: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE onsausschusses (2. Ausschuss) GRÜNEN) Sammelübersicht 225 zu Petitionen Also noch einmal: Wer stimmt dagegen? Drucksache 19/8330 (Dr. [AfD]: Der Rest!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10557

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Das sind, soweit erkennbar, die übrigen Fraktionen des Sind jetzt alle Stimmkarten eingeworfen? – Das ist der (C) Hauses. Wer enthält sich? – Bei einigen wenigen Enthal- Fall. Dann schließe ich den Wahlgang.1) tungen in der Fraktion der CDU/CSU ist damit der Wahl- Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 8 d: vorschlag gegen die Stimmen der AfD abgelehnt. Wahlvorschlag der Fraktion der AfD Ich bitte nun um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hin- weise. Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes Sie benötigen jetzt drei Wahlausweise in den Far- Drucksache 19/8466 ben Grau, Grün und Gelb. Bevor Sie bei dem jeweili- gen Wahlgang Ihre Stimmkarte in eine der Wahlurnen Für die Wahl der Mitglieder benötigen Sie eine grüne werfen, übergeben Sie bitte Ihre Wahlausweise einer Stimmkarte und einen grünen Wahlausweis. der Schriftführerinnen oder einem der Schriftführer an Auf Drucksache 19/8466 schlägt die Fraktion der AfD der Wahlurne. Die Abgabe des Wahlausweises dient als die Abgeordneten und Volker Münz vor. Nachweis für die Beteiligung an der jeweiligen Wahl. Sie können bei beiden Kandidaten entweder „ja“, „nein“ Kontrollieren Sie daher bitte, ob die Wahlausweise Ihren oder „enthalte mich“ ankreuzen. Auch diese Wahl fin- Namen tragen. Die Stimmkarten in den Farben Grau und det offen statt. Das heißt, es kann wieder am Platz ge- Grün für die offenen Wahlen wurden bereits ausgegeben. wählt werden. Denken Sie an die Abgabe Ihres grünen Wer noch keine Stimmkarte hat, kann diese jetzt von den Wahlausweises, und schauen Sie, ob der grüne Wahlaus- Plenarassistentinnen und -assistenten erhalten. weis Ihren Namen trägt und nicht den Namen einer ande- ren Person, bevor Sie ihn abgeben und die grüne Stimm- Die Wahlen werden einzeln aufgerufen und durchge- karte einwerfen. führt. Gewählt ist jeweils, wer die Stimmen der Mehr- heit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt, Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die das heißt, wer mindestens 355 Stimmen erhält. Auf den vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Wahlurnen Stimmkarten sind die Namen der vorgeschlagenen Kan- mit Schriftführern besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröff- didatinnen und Kandidaten aufgeführt. Sie können zu ne ich den Wahlgang. jedem Kandidatenvorschlag entweder „ja“, „nein“ oder Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte „enthalte mich“ ankreuzen. Wenn Sie bei einem Namen abgegeben? – Ich sehe keine weiteren Kollegen und Kol- mehr als ein Kreuz oder gar kein Kreuz machen oder leginnen, die noch eine Stimmkarte in der Hand haben. andere Namen als die der vorgeschlagenen Kandidaten Deshalb schließe ich den Wahlgang.2) oder Kandidatinnen oder Zusätze eintragen, ist die Stim- (B) me ungültig. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 8 e: (D)

Wir kommen jetzt zur ersten offenen Wahl, Tagesord- Wahlvorschlag der Fraktion der AfD nungspunkt 8 c: Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha- Wahlvorschlag der Fraktion der AfD nismusgesetzes Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremi- Drucksache 19/8467 ums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaus- Wir wählen jetzt ein ordentliches Mitglied sowie ein haltsordnung stellvertretendes Mitglied. Auf Drucksache 19/8467 schlägt die Fraktion der AfD als Mitglied den Abgeord- Drucksache 19/8465 neten Peter Boehringer und als stellvertretendes Mitglied Für die nun folgende Wahl brauchen Sie die graue die Abgeordnete Dr. Birgit Malsack-Winkemann vor. Stimmkarte und Ihren grauen Wahlausweis. Für diese geheime Wahl benötigen Sie Ihren gelben Wahlausweis. Weiterhin benötigen Sie zwei Stimmkar- Auf Drucksache 19/8465 schlägt die Fraktion der AfD ten in Gelb und Blau sowie einen Wahlumschlag. Die den Abgeordneten Marcus Bühl vor. Diese Wahl findet gelbe Stimmkarte ist für die Wahl des ordentlichen Mit- offen statt. Die Stimmkarte können Sie also an Ihrem glieds, die blaue Stimmkarte ist für das stellvertretende Platz ankreuzen. Bitte geben Sie an der Urne zuerst Ihren Mitglied. Beide Stimmkarten müssen in einen Umschlag grauen Wahlausweis ab, bevor Sie Ihre graue Stimmkarte gelegt werden. Diese Unterlagen erhalten Sie von den einwerfen. Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabe- tischen vor den Wahlkabinen. Zeigen Sie dort bitte Ihren Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die gelben Wahlausweis vor. vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Dann eröffne ich die erste Gremi- Sie können zu jedem Kandidatenvorschlag entweder enwahl, Farbe Grau. „ja“, „nein“ oder „enthalte mich“ ankreuzen. Die Wahl ist geheim. Das heißt, Sie dürfen Ihre beiden Stimmkar- Haben alle Mitglieder des Hauses, auch die Schrift- ten nur in der Wahlkabine ankreuzen und müssen beide führerinnen und Schriftführer, ihre Stimmkarte abgege- ben? – Wenn nicht, dann bitte ich Sie, das unverzüglich 1) Ergebnis Seite 10575 D zu tun, bevor ich den Wahlgang schließe. 2) Ergebnis Seite 10575 D 10558 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) Stimmkarten ebenfalls noch in der Wahlkabine in den ei- ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des (C) nen Umschlag legen. Die Schriftführerinnen und Schrift- Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- führer sind verpflichtet, jeden, der seine Stimmkarte schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ar- außerhalb der Wahlkabine kennzeichnet oder in den Um- min-Paulus Hampel, Dr. Roland Hartwig, Petr schlag legt, zurückzuweisen. Die Stimmabgabe kann in Bystron, weiterer Abgeordneter und der Fraktion diesem Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. der AfD Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, Das deutsche Engagement in Afghanistan be- die vorgesehenen Plätze einzunehmen, und eröffne die enden dritte Wahl – Wahlausweis in der Farbe Gelb, Stichwort „Sondergremium“. Drucksachen 19/7937, 19/8582 Über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus- Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte schusses zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir abgegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich diesen später namentlich abstimmen. Wahlgang. Die Schriftführerinnen und Schriftführer wer- den gebeten, mit der Auszählung zu beginnen.1) Die Er- Zu dem Antrag der Bundesregierung liegt ein Ent- gebnisse werden Ihnen später bekannt gegeben. schließungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir ebenfalls namentlich abstimmen werden. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 9 a, 9 c und 9 d sowie den Zusatzpunkt 3 auf: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich 9. a) – Beratung der Beschlussempfehlung und keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- Ich bitte zunächst diejenigen, die an dieser Debatte gierung nicht teilnehmen wollen, den Saal zu verlassen. Alle an- deren bitte ich, einen Platz einzunehmen. Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-ge- Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat das Wort für führten Einsatz Resolute Support für die Fraktion der SPD die Kollegin Aydan Özoğuz. die Ausbildung, Beratung und Unter- (Beifall bei der SPD) stützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan Aydan Özoğuz (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (B) Drucksachen 19/7726, 19/8424 (D) Kollegen! Wir entscheiden heute Nachmittag über die – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Verlängerung mehrerer Einsätze deutscher Soldatinnen schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung und Soldaten, und es bleibt eine Besonderheit des Deut- schen Bundestages, über jeden Einsatz hier im Hause zu Drucksache 19/8425 beraten und zu entscheiden. Darin kommt unsere beson- c) Beratung der Beschlussempfehlung und dere Verantwortung zum Ausdruck, die wir mit diesen des Berichts des Auswärtigen Ausschusses Einsätzen verbinden. Niemand hier macht sich diese Ent- (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- scheidung leicht. neten Heike Hänsel, Michel Brandt, Christine (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Buchholz, weiterer Abgeordneter und der CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Fraktion DIE LINKE NEN) Bundeswehr sofort aus Afghanistan abzie- Das Mandat des NATO-geführten Einsatzes Reso- hen lute Support in Afghanistan ist nun einer der besonders schwierigen Einsätze. Wie der Titel deutlich macht, geht Drucksachen 19/7908, 19/8432 es um die Ausbildung und Beratung afghanischer Ver- d) Beratung der Beschlussempfehlung und teidigungs- und Sicherheitskräfte. Das ist eine besonde- des Berichts des Auswärtigen Ausschusses re Herausforderung in einem Land, das seit Jahrzehnten (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- nur den Zustand des Krieges kennt und nur den Zustand, neten Omid Nouripour, Dr. Frithjof Schmidt, zum Spielball unterschiedlicher Mächte geworden zu Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der sein. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist auch nach Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18 Jahren kritisch. Fast 4 000 getötete Zivilisten in 2018 sprechen eine erbarmungslose Sprache. Für uns beson- Evaluierung der deutschen Beteiligung an ders schmerzhaft: Auch wir haben seit Einsatzbeginn ISAF, RSM und des deutschen und inter- 58 Soldaten in Afghanistan verloren – schmerzhaft für nationalen Engagements für den Wieder- uns, eine Katastrophe für jede Familie. Sie dürfen in un- aufbau Afghanistans seit 2001 seren Debatten niemals vergessen werden. Drucksachen 19/4553, 19/5168 (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- 1) Ergebnis Seite 10558 A SES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10559

Aydan Özoğuz (A) Es gibt aber auch Entwicklungen, die Anlass zu etwas Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) Hoffnung geben: die wirtschaftlichen Fortschritte, die Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Jens Lebenserwartung, insbesondere die Kinder- und Säug- Kestner für die Fraktion der AfD. lingssterblichkeit, die abnimmt, Alphabetisierungsraten junger Frauen und Männer, ein vor 2001 nicht dagewese- (Beifall bei der AfD) nes Niveau an Schulbildung für Mädchen und Presseviel- falt und -freiheit. Ich durfte eine Gruppe von Frauen und Jens Kestner (AfD): Journalisten aus Afghanistan kennenlernen, die uns hier Herr Präsident! Anwesende Damen und Herren! Zu- in Berlin besucht haben. Sie haben ein riesengroßes Ver- schauer auf den Tribünen und vor den Fernsehgeräten! trauen gerade zu uns Deutschen und hoffen, dass wir ihre Kameraden in der Heimat und vor allen Dingen in der Bemühungen, in Afghanistan Frieden und ein geordnetes Ferne! Leben hinzubekommen, auch weiterhin begleiten und unterstützen, und das tun wir. Wir sind davon überzeugt, (Beifall bei der AfD) dass nicht durch Kampfeinsätze, sondern nur durch Frie- Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindu- densprozesse in Afghanistan tatsächlich weitergekom- kusch verteidigt. men und Frieden hergestellt werden kann. Diesen Satz hörten wir in der Vergangenheit recht häu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fig. Dieser Satz war damals falsch, und er ist es heute der CDU/CSU) umso mehr. Viele von Ihnen, die heute hier sitzen, haben In der internationalen Afghanistan-Kontaktgruppe hat mehrfach dem Aufenthalt unserer Truppen in Afghanis- Deutschland den Vorsitz. Über 50 Länder und interna- tan zugestimmt, mit allen Konsequenzen, die damals und tionale Organisationen kommen hier zusammen. Beim heute daraus erwachsen sind. letzten Treffen in London haben wir eine Unterrichtung Schon seit 18 Jahren Kriegszustand hört man immer durch den Sonderbotschafter aus den USA, Zalmay dieselben Floskeln: „Wir müssen Geduld haben“, „Die- K­halilzad,­ und den Verhandlungsführer der afghani- ses Land ist anders“, „Wir dürfen nicht unsere Maßstäbe schen Regierung, Umer Daudzai, organisieren können, anlegen“, „Wir müssen das Beste daraus machen“, „Wir was ganz offensichtlich zu einem spürbaren Abbau der dürfen nicht vorschnell handeln“, „Man muss seine Er- Unsicherheit im internationalen Rahmen beitragen konn- wartungen zurückschrauben“, „Wir dürfen unsere Erfol- te. Bundesminister besuchte vom 10. bis ge nicht gefährden“ usw. usw. Nur: Wo sind in 18 Jahren 12. März 2019 Afghanistan und Pakistan, um auf höchs- die Erfolge? Wo sind die selbstgesteckten Ziele? Wo ist ter Ebene die Beteiligten für einen Friedensprozess zu die kritische Selbstreflexion als legitimierter Volkssou- (B) ermutigen. Ohne die Einbindung Pakistans lässt sich in verän? (D) Afghanistan nichts erreichen. Was wollten Sie nicht alles in diesem Land erreichen: (Beifall bei der SPD – Jürgen Trittin [BÜND- legitime und stabile Staatlichkeit, nachhaltige wirtschaft- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie doch liche und soziale Entwicklung, die afghanischen Kon- schon seit 10, 15 Jahren!) fliktparteien in einen Friedens- und Versöhnungsprozess führen, Strukturen schaffen, die den unseren gleichen, Was unsere Rolle im Besonderen ausmacht, ist doch, und noch vieles, vieles mehr. dass wir einen aktiven Dialog mit mehreren Seiten ha- ben. Wir genießen das wichtigste Gut der Diplomatie, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Gender! Gen- nämlich Vertrauen auf nahezu allen Seiten. Daher setzen der!) wir uns auch im EU-Rahmen für die Formulierung ge- meinsamer Prinzipien für ein afghanisches Friedensab- Man hat die Augen davor verschlossen, dass zu viele kommen ein. Dazu gehört auch der Schutz fundamenta- verschiedene Interessen existieren, die für unsere Vor- ler Menschenrechte. Davon sind wir natürlich noch weit stellungen nicht greifbar waren und bis heute auch nicht entfernt; aber unser Ziel ist es, ein nachhaltiges Abkom- vorstellbar sind. Von Jahr zu Jahr hat man Durchhalte- men zu erreichen, um zukünftige zivile Kooperation mit parolen ausgegeben, wie wichtig und unabdingbar der der EU zu ermöglichen. deutsche Einsatz am Hindukusch ist – eben haben wir es auch wieder gehört. Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen: Alle an der Mission beteiligten Staaten müssen sich eingeste- Militärisch ist man damals in die Fläche gegangen, hen, dass es ohne die Einbindung der Taliban nicht gehen mit dem Irrglauben, man könnte das Land kontrollieren. wird. Wir sehen und begleiten diesen Prozess sehr kri- Man verschanzt sich auf den Höhen 431 und 432 – Ernst tisch; denn es darf eben nicht dazu kommen, dass das, Jünger hätte es in seinem Buch „In Stahlgewittern“ nicht was ich eben aufgezählt habe, das Erreichte für Frauen besser beschreiben können. und Mädchen insbesondere der letzten Jahre, für diese (Beifall bei der AfD) Verhandlungen geopfert wird. Es ist ein Hoffnungs- schimmer, den wir für diesen Prozess haben; aber den Mit Patrouillen will man den Einsatzraum beherrschen, müssen wir gerade in diesen Zeiten nutzen. Hinterhalte, Sprengfallen und infanteristische Gefechte. Vielen Dank. 2. April 2010, Isa Khel in der Provinz Kunduz: Deut- sche Fallschirmjäger geraten in einen Hinterhalt der Ta- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten liban und kämpfen tapfer, bis sie unter größten Mühen der CDU/CSU) entsetzt werden können. Hauptfeldwebel Nils Bruns, 10560 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Jens Kestner (A) Stabsgefreiter Robert Hartert und Hauptgefreiter Martin Ich möchte mit den Worten von Marc Lindemann aus (C) Augustyniak sind bei diesem Karfreitagsgefecht gefal- dem Buch „Unter Beschuss“ enden: Den tapferen Män- len. nern und Frauen im Einsatz wünsche ich allzeit viel Sol- datenglück, eine gute Führung und dass es ihnen stets Gefallene deutsche Soldaten, Verwundete an Körper gelingt, ihren Auftrag zu erfüllen, auch wenn ihre Ent- und Seele: Das sind die Ergebnisse von 18 Jahren Bun- behrungen und Opfer von der deutschen Öffentlichkeit deswehr am Hindukusch. Sie, die hier sitzen, Sie spre- noch nicht annähernd angemessen gewürdigt werden. – chen von Erfolgen? Ich spreche von erbrachten Opfern. Holen wir unsere Soldaten nach Hause! (Beifall bei der AfD) Danke schön. Sie verlangen, dass die Kinder unserer Nation für die selbige ihr Leben einsetzen, nehmen den Kameraden aber (Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: das soldatische Selbstverständnis, „Treue um Treue“ zu Bravo!) leben und es auch zu benennen. „Treue um Treue“ ist unabdingbar, wenn man solche Situationen überstehen, Vizepräsident Thomas Oppermann: ja, wenn man sie überleben will. Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der (Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: CDU/CSU ist der Kollege . Bravo!) (Beifall bei der CDU/CSU) Eine Generalität hat sich gebildet, für die Angst schon zur Morgenparole gehört, wo Karriere wichtiger ist, als sich schützend vor die eigenen Soldaten zu stellen. Wir Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): brauchen mehr aufrichtige Offiziere als willenlose Pala- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- dine, die jeden Auftrag einer unfähigen Ministerin ohne ren! Jeder hier im Hause weiß, dass dies ein schwieri- Murren ausführen. ger, ein blutiger und einer unserer am längsten geführten (Beifall bei der AfD – Zurufe von der AfD: Einsätze ist und – da knüpfe ich an die Ausführungen Bravo!) der Kollegin Özoğuz an – dass wir uns in der Tat jedes Mal wieder verantwortlich neu der Frage stellen müssen, Heute setzt der Außenminister Maas auf eine friedli- ob der Einsatz gerechtfertigt ist. Ich sage für die CDU/ che Koexistenz mit den Taliban, die man noch vor Jahren CSU-Fraktion – erstens –: Die Begründung dieses Ein- mit allen Mitteln bekämpft hat. Wirtschaftlich gibt es in satzes – auch wenn Sie versuchen, das zu diskreditie- diesem Land keine nennenswerten Erfolge. Afghanistan ren – besitzt Gültigkeit. Wir haben viel erreicht in diesem (B) ist der größte Drogenexporteur der Welt. Den Milliar- Land. (D) dengewinn heimsen die islamischen Taliban ein, und der IS ist mittlerweile auch schon beteiligt. Wer glaubt, die (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Was denn? – Taliban werden all unsere westlichen Werte und Errun- Dr. Bernd Baumann [AfD]: Gar nichts er- genschaften dulden, der hat nicht verstanden, was diese reicht!) Menschen antreibt, und vor allem, was ihre ureigene po- Wir haben dafür gesorgt, dass Kinder wieder unter- litische DNA ist. richtet werden, dass Frauen nicht weiter misshandelt und (Beifall bei der AfD) unterdrückt werden. Es gibt keinen klassischen Staat Afghanistan. Es gibt (Widerspruch bei der AfD) Ethnien, die über Jahrhunderte ihre jeweiligen Interessen vertreten haben, und das werden sie auch in Zukunft tun – Dass Ihnen möglicherweise eine Beendigung der Un- und nicht uns zuliebe ablegen. Wir müssen nicht darauf terdrückung der Frauen in Afghanistan nicht am Herzen warten, dass die USA ihre Truppen abziehen oder deut- liegt, nehmen wir zur Kenntnis. lich reduzieren. Dieser Einsatz ist gescheitert und war es (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie schon, als der erste deutsche Soldat dieses Land betreten bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE hat, was einer inkompetenten militärischen Führung ge- GRÜNEN) schuldet war und auch immer noch ist. (Beifall bei der AfD – Zurufe von der AfD: Für uns ist das wichtig; es ist ein Fortschritt im Sinne der Bravo!) Humanität, der erreicht worden ist, meine sehr verehrten Damen und Herren. Heute will man die sogenannten afghanischen Sicher- heitskräfte befähigen, alleine die Kontrolle in diesem (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Fantasierte Er- Land zu übernehmen. Ich will nicht in Abrede stellen, folge!) dass Soldaten und Kräfte der Polizeieinheiten kämpfen Wir unterstützen die afghanischen Streitkräfte. Und: und auch bei diesen Einsätzen fallen. Aber die militäri- Sie sollten die Staatlichkeit Afghanistans nicht so infrage sche und zivile Struktur ist noch Jahrzehnte davon ent- stellen, welches selber in den letzten Monaten zum Teil fernt, all das alleine zu bewältigen, wenn es ihnen denn Verluste von bis zu 600 Soldaten im Monat hatte. Das überhaupt gelingt. Wir haben jetzt die Option, auszustei- heißt: Das afghanische Volk kämpft für eine neue Ge- gen. Nutzen wir sie! meinschaft und einen neuen Staat, kämpft gegen Terro- (Beifall bei der AfD) rismus und für eine stabile Staatlichkeit. Wir sollten die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10561

Dr. Johann David Wadephul (A) Afghanen in dieser Situation nicht im Stich lassen, meine und gemeinsames Handeln. Zeitweise waren Soldatinnen (C) sehr verehrten Damen und Herren. und Soldaten aus rund 50 Nationen Schulter an Schulter im Einsatz. Es war der erste Artikel‑5-Einsatz des gegen- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und seitigen Beistandleistens der NATO. der SPD) Deutschland hat keine Sekunde gezögert, an der Seite Vizepräsident Thomas Oppermann: der Vereinigten Staaten von Amerika für mehr internati- Herr Wadephul, gestatten Sie eine Zwischenfrage? onale Sicherheit zu sorgen. Seit 2002 sind wir dort mit unterschiedlichen Koalitionsmehrheiten ununterbrochen im Einsatz. Wir sind der zweitgrößte Truppensteller und Dr. Johann David Wadephul (CDU/CSU): bleiben auch in dieser entscheidenden Situation, in der Nein. es Friedensverhandlungen gibt, kalkulierbar im Einsatz. Zweitens. Wir stehen jetzt vor der Möglichkeit – man Deswegen ist es anlässlich manch einer Diskussion, die kann darüber diskutieren, ob es frühere Möglichkeiten im Bündnis geführt wird, in der kritische Bemerkungen oder Notwendigkeiten gegeben hätte –, zu einer friedli- aus Washington kommen, vielleicht wichtig, zu sagen: chen Einigung zu kommen. Sowohl die Russen als auch Wir Deutsche sind verlässlich. Unsere Bundeswehr leis- die Amerikaner führen mit erheblicher Verspätung unter tet mit Selbstbewusstsein ihren Beitrag im Bündnis. Wir Einbeziehung der Taliban – das ist richtigerweise gesagt brauchen uns nicht vorhalten zu lassen, wir müssten mehr worden; auch das hätte man früher sagen können; ich tun. Nein, Deutschland ist sicherheitspolitisch präsent. meine, Kurt Beck hat das schon vor vielen Jahren gesagt, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) er ist damals zu Unrecht verlacht worden – Abschließend möchte ich sagen: Ich finde, wir sollten (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!) uns hier im Hause nicht teilen lassen. Wir sollten auch Friedensgespräche. Auch die afghanische Regierung nicht zwischen den Soldaten unterscheiden: zwischen muss in diesen Prozess eingeschlossen werden. Das ist Mannschaftsdienstgraden, Unteroffizieren und Offizie- die Linie der deutschen Außenpolitik. Das vertreten wir ren, die dort ihren Dienst leisten. Mein Dank gilt allen auch im europäischen Rahmen. Soldatinnen und Soldaten. Wir stehen hinter allen Sol- datinnen und Soldaten, die dort ihren Einsatz geleistet Gerade in dieser Situation – das möchte ich zur voran- haben. Wir betrauern den schrecklichen Verlust vieler gegangenen Rede sagen –, in der es die Chance auf eine Kameradinnen und Kameraden, die tapfer dort gekämpft friedliche Einigung gibt – es liegt im Interesse vieler, zu haben. Wir sollten zum Ausdruck bringen, dass der Deut- einer friedlichen Einigung zu kommen, an der auch Pa- sche Bundestag geschlossen hinter diesem Einsatz steht. (B) kistan beteiligt wird, das vielleicht auch seinen Teil der (D) Verantwortung besser erkennt als noch vor einiger Zeit –, Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. muss Deutschland standhaft bleiben und kalkulierbar (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sein. Gerade in dieser Situation dürfen wir unseren mili- tärischen Einsatz nicht infrage stellen, liebe Kolleginnen Vizepräsident Thomas Oppermann: und Kollegen. Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der FDP der Kollege Bijan Djir-Sarai. ordneten der SPD) (Beifall bei der FDP) Zum Entschließungsantrag der Freien Demokraten möchte ich sagen – darüber haben wir schon mehrfach, Bijan Djir-Sarai (FDP): auch im Auswärtigen Ausschuss, fruchtbare Diskussio- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- nen geführt –: Natürlich muss der Einsatz ressortüber- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es direkt am greifend evaluiert werden, Anfang ganz klar zu sagen: Die FDP-Fraktion wird der (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verlängerung des Einsatzes mehrheitlich zustimmen. NEN]: Das ist schon seit zehn Jahren nicht (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Mehrheit- mehr passiert!) lich?) um zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Insofern kön- Wir haben in den letzten Wochen bei uns in der Fraktion nen wir – Sie werden das verstehen – Ihrem Entschlie- eine sehr intensive und sachliche Diskussion darüber ge- ßungsantrag nachher nicht zustimmen, aber ich will führt, wie wir die Situation in Afghanistan bewerten. Wir darauf verweisen, dass es in unserer gemeinsamen Dis- sind der Meinung – und da unterscheiden wir uns von kussion bei den von Ihnen aufgeworfenen Fragen große AfD, Linken oder Teilen der Grünen –: Wir können nicht Übereinstimmung gibt. von heute auf morgen raus aus Afghanistan. Ein solcher Der letzte Punkt, der von Bedeutung ist – darüber Schritt wäre kopflos und vor allem verantwortungslos, wurde in den letzten Tagen diskutiert –: Wie verlässlich meine Damen und Herren. ist Deutschland im Bündnis? Angesichts mancher kri- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tischen amerikanischen Wortmeldung sollten wir noch der CDU/CSU und der SPD) einmal betonen: Der Einsatz der NATO und auch der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan waren von Be- Wir sind der Meinung, dass die Frage nach der Bünd- ginn an ein Musterbeispiel für internationale Solidarität nisfähigkeit und damit das Ansehen Deutschlands in der 10562 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Bijan Djir-Sarai (A) Welt eine große Rolle spielt. Gemeinsam rein, gemein- nächst um sieben Monate verlängern können. So hätte (C) sam raus, das war die Leitlinie des Einsatzes. Diese Leit- man auch den Wahlen und den möglichen Friedensge- linie war damals richtig, ist heute richtig und wird auch sprächen Raum gegeben. Es wäre klug gewesen, wenn morgen richtig sein. die Bundesregierung diese Bedenken im Mandatstext berücksichtigt hätte. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Wir ignorieren nicht, dass sich die Welt um uns herum ändert und sich damit auch bestimmte Rahmenbedingun- Meine Damen und Herren, wir von der FDP sind Op- gen ändern. Gehen die Amerikaner raus aus Afghanistan, position im Deutschen Bundestag. Wir hätten es uns ganz ändert sich für uns die gesamte Geschäftsgrundlage des leicht machen können. Wir hätten uns zurücklehnen und Einsatzes. „Gemeinsam rein, gemeinsam raus“ würde populistische Forderungen stellen können. Das haben wir dann bedeuten, dass wir mit unseren Verbündeten ge- bewusst nicht gemacht, sondern wir haben in den letzten meinsam eine Abzugsperspektive entwickeln müssen. drei Wochen eine intensive und sachliche Debatte in un- serer Fraktion geführt. Die Ergebnisse habe ich vorgetra- (Beifall bei der FDP – Jürgen Trittin [BÜND- gen. Ich glaube, gelegentlich kann man auch im Plenum NIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja, dann fangt mal des Deutschen Bundestages sagen, dass man sehr stolz an!) auf die Arbeit der eigenen Fraktion ist. Wir müssen uns alle zusammen mit der Frage beschäf- Vielen Dank. tigen, wie es in Afghanistan militärisch und vor allem politisch weitergehen wird, wenn die Amerikaner ihre (Beifall bei der FDP) Truppen abziehen oder auf die Hälfte reduzieren. Auf diese Frage hat die Bundesregierung noch keine Antwort. Vizepräsident Thomas Oppermann: Sie weist bis zum heutigen Tag darauf hin, dass bis jetzt Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion keine offizielle Meldung seitens der US-Administration Die Linke der Kollege Tobias Pflüger. vorliegt. Das ist definitiv zu wenig. Hier muss die Bun- desregierung aktiv werden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Tobias Pflüger (DIE LINKE): Wir sind der Meinung – wie im letzten Jahr übrigens Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir auch –, dass nach 18 Jahren Afghanistan-Engagement debattieren heute abschließend darüber, ob die Bundes- der Einsatz endlich politisch, militärisch und strategisch wehr im Rahmen der Mission Resolute Support für ein (B) evaluiert werden muss. ganzes weiteres Jahr nach Afghanistan geschickt werden (D) (Beifall bei der FDP) soll. Wir Linke sagen dazu: Nein, wir wollen kein neu- es Mandat, stattdessen muss die Bundeswehr abgezogen Hier muss die Bundesregierung einfach liefern. Sie darf werden. keine Angst vor den Ergebnissen der Bewertung haben. (Beifall bei der LINKEN) Die internationale Gemeinschaft ist 2001 nach Afgha- nistan gegangen, um die Terrororganisation al-Qaida zu Die Gründe. Sie als Bundesregierung legen uns heute bekämpfen. Dieses Ziel ist erfolgreich erreicht worden. ein Mandat vor, das fast das gleiche ist wie vor einem In einem zweiten Schritt hat die internationale Gemein- Jahr. Wo leben Sie denn? In Afghanistan gibt es Entwick- schaft versucht, einen demokratischen afghanischen lungen, die sich schon wesentlich von denen vor einem Staat aufzubauen. Jahr unterscheiden. Dazu ist fast nichts im Mandatsan- trag zu lesen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Damit ist sie gescheitert!) Der US-amerikanische Präsident Donald Trump hat angekündigt, dass die US-Truppen aus Afghanistan ab- Dieses Ziel ist krachend gescheitert. Dann gab es noch gezogen werden sollen. Ja, wir kennen Trump, aber bei das dritte Ziel, durch die afghanische Armee und die af- aller notwendigen Kritik an ihm: ghanische Polizei funktionierende Sicherheitsstrukturen (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu schaffen. Dieses Ziel ist bis heute nicht erreicht wor- NEN]: Er macht alles, was er sagt!) den. Hier hat die internationale Gemeinschaft noch viel Arbeit vor sich, und die Zeit drängt. Einfach so zu tun, als ob es diese Aussage nicht gegeben hätte, ist grob fahrlässig. Wir als FDP-Fraktion haben einen Entschließungsan- trag vorbereitet, der die kritischen Punkte aufgreift. Wir (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- hätten es gerne gehabt, dass diese Punkte im Mandatstext neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) berücksichtigt worden wären. Wir haben inzwischen die Situation, dass die afgha- Unsere Vorschläge sind konkret. Wir fordern zum nische Regierung – nach einem Bericht an den US-Kon- Beispiel eine unabhängige Evaluation für das gesamte gress – nur 53,8 Prozent aller Distrikte kontrolliert. Die deutsche Engagement bis zum 30. Juni. Wir fordern, dass anderen Teile Afghanistans sind umkämpft oder werden die Bundesregierung gemeinsam mit unseren internatio- von den Taliban kontrolliert. Gestern kam die Mitteilung, nalen Partnern die Kriterien und die Strategie für einen dass die Präsidentschaftswahl in Afghanistan erneut ver- Abzugsplan erarbeitet. Zuletzt hätte man den Einsatz zu- schoben wird. Schon die Parlamentswahl im Oktober Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10563

Tobias Pflüger (A) war hochgradig problematisch. Bis heute liegen keine Irrweg zu verlassen und dem Aufbau ziviler Strukturen (C) abschließenden Ergebnisse vor. Das kann man alles ge- eine Chance zu geben. sundreden; aber seriös ist das nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Inzwischen laufen Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban. Wir lesen, dass es Fortschritte gibt. Wir Vizepräsident Thomas Oppermann: finden es gut, dass verhandelt wird; doch wir kritisieren, Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion dass weder die afghanische Regierung noch die Zivilge- Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Omid Nouripour. sellschaft Afghanistans an diesen Verhandlungen betei- ligt sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Von diesen Verhandlungen im breiteren Rahmen, wie Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der immer beschrieben, ist in dem vorgelegten Mandatstext nichts tiefer werdende Riss zwischen der US-Politik auf der zu lesen. Manchmal hat man den Eindruck: Die Bun- einen Seite und Europa auf der anderen Seite ist beim desregierung beantragt hier einfach immer den gleichen Thema Afghanistan wie unter einem Brennglas zu sehen. Bundeswehreinsatz – im völlig luftleeren Raum –, ohne Wir wissen, dass die Amerikaner nicht Teil des Interna- neuere Entwicklungen zu berücksichtigen. Das ist hoch- tionalen Strafgerichtshofs, ICC, sind. Aber was gerade gradig unseriös. passiert, schlägt dem Fass den Boden aus. Wenn der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- US-Außenminister Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des ICC, die daran arbeiten, aufzuklären, welche Kriegs- verbrechen möglicherweise amerikanische Soldaten in Die Bundeswehr befindet sich seit über 17 Jahren Afghanistan verübt haben, mit einer Einreisesperre droht in Afghanistan. Das ist ein teilweise sehr blutiger Ein- oder wenn John Bolton sagt – ich zitiere –: „Wir werden satz, Stichwort „Kunduz-Massaker“. Derzeit sind die den ICC von selbst sterben lassen“ – Zitat Ende –, dann Kämpfe in Afghanistan die heftigsten seit langer Zeit. ist das schlicht unerhört, und es braucht Widerworte. Warum? Weil sowohl die afghanische Regierung bzw. die Sicherheitskräfte als auch die Taliban sich gute Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN handlungspositionen erkämpfen wollen. Begleitet wird sowie bei Abgeordneten der LINKEN) das von schrecklichen Anschlägen vom IS wie heute am Und wenn der Herr Außenminister die ganze Zeit „Mul- (B) Neujahrsfest oder vor wenigen Tagen mit 27 Toten. Die tilateralismus“ sagt, dann sollte er es nicht nur bei gutem (D) International Crisis Group stuft inzwischen den Afgha- Wetter machen, sondern auch mal pfeifen, wenn es darauf nistan-Konflikt als den tödlichsten Konflikt der Welt ein. ankommt, klare Worte zu finden. Es braucht auch klare Die Zahl der getöteten Zivilisten erreichte laut UN 2018 Worte, wenn Trump sagt: Wir sind nicht in Afghanistan, mit 3 804 den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeich- um Staatsaufbau zu betreiben, sondern um den Terror zu nungen, ein Anstieg um 5 Prozent gegenüber dem Vor- bekämpfen. – Das ist nicht nur eine Verhöhnung dessen, jahr. Ein Viertel dieser zivilen Opfer ist verursacht durch was bisher erreicht worden ist, das ist auch eine Verken- die afghanischen Sicherheitskräfte und ihre Verbündeten. nung der Tatsache, dass ebendieser fehlende Staatsaufbau Die Bundeswehr hilft beim Aufbau dieser afghanischen der wichtigste Motor für die Radikalisierung der jungen Sicherheitskräfte. Der Kommentar in der konservativen Leute in Afghanistan ist. Auch das braucht Widerworte, Zeitung „Die Welt“ bringt es auf den Punkt. Ich zitiere genauso wie es Widerworte braucht, wenn die Amerika- mit Genehmigung des Präsidenten. Die gesamte afgha- ner den Aufbau der Sicherheitskräfte an Erik Prince, den nische Bevölkerung sei einzubeziehen, wird die Ministe- Gründer von Blackwater, übergeben wollen und damit rin zitiert. „Die Welt“ schreibt: versuchen, die Sicherheit in Afghanistan komplett zu pri- Freundlich formuliert sind das diplomatische Worte. vatisieren. Das alles braucht Widerworte. Einsatzerfahrene Soldaten identifizieren diese Text- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bausteine freilich als Durchhalteparolen. Ich wünschte mir seitens der Bundesregierung auch Was ist zu tun? Die Bundesregierung muss anbieten, sehr viel klarere Worte zur Einbindung der afghanischen bei den Verhandlungen eine Rolle zu spielen – das ist ge- Regierung, der einzig legitimen Regierung der Afgha- schehen –, und die Bundesregierung muss anbieten, dass nen, in die Verhandlungen mit den Taliban. Ich fürchte die Bundeswehr endlich abgezogen wird. nur, dass die amerikanische Seite ihre Afghanistan-Po- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. litik überhaupt nicht mehr an der Lage in Afghanistan Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ausrichtet, sondern ausschließlich am US-Wahlkalender. Das ist umso tragischer, weil der Wunsch nach Frieden Wir sagen als Linke: Ziehen Sie die deutschen Soldaten in Afghanistan so groß ist wie wahrscheinlich noch nie. aus dem NATO-geführten Einsatz Resolute Support ab. Es gab letztes Jahr drei Tage echte Waffenruhe, drei ein- Der Ansatz, militärisch zu intervenieren und dann eine zelne Tage, die vereinbart waren. Das waren die letzten Regierung ohne wirklichen Unterbau aufzubauen und drei Tage des Ramadans. In diesen drei Tagen sind die militärisch abzusichern, ist komplett gescheitert. Nach Menschen nach 40 Jahren Krieg auf die Straße gegangen. 17 Jahren Krieg wird es höchste Zeit, diesen historischen Sie lagen sich in den Armen, und sie haben getanzt. Das 10564 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Omid Nouripour (A) waren drei Tage, an die sie nicht mehr glauben konnten. Gisela Manderla (CDU/CSU): (C) Was bei all dem nicht vergessen werden darf, sind die Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Friedensmärsche, die es zurzeit in Afghanistan gibt. Der Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! 18 Jahre nach erste Friedensmarsch ging von Laschkar Gah in Helmand Beginn der deutschen Beteiligung am NATO-Auslands­ nach Kabul. Die Menschen sind zu Fuß 400 Kilometer einsatz am Hindukusch hat sich die Interessenlage nicht nach Kabul gezogen, schlicht um darzustellen, dass sie verändert. Wir fördern in erster Linie den Aufbau legiti- sich Frieden wünschen. Diese Hoffnung sollten wir nicht mer und stabiler Staatlichkeit als Grundlage für ein zu- einfach beiseitelassen, indem wir nur noch darüber re- künftiges Afghanistan, da Deutschland und Europa von den, was in Washington passiert und was bei den Ver- Afghanistan zwar nicht direkt bedroht werden, von Af- handlungen passiert. ghanistan aber indirekt, weltpolitisch sicher eine Bedro- hung ausgeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir bekennen uns klar zu unserer Verantwortung und Ich bin ja sehr dankbar, dass die Bundesregierung jetzt zu unseren Zusagen gegenüber unseren Bündnispartnern. wieder Konferenzräume für Petersberg III anbietet. Das Das hat auch Bundeskanzlerin Merkel heute Morgen in ist gut, aber das reicht einfach nicht. Die zentrale Fra- ihrer Regierungserklärung mit Blick auf die europäische ge ist, wenn die Amerikaner abziehen, ob und wie dann Politik zum Ausdruck gebracht. Nicht zuletzt haben wir die zivile Arbeit in Afghanistan weitergehen kann. Wir auch eine Verantwortung gegenüber unseren Soldatinnen müssen da nicht nur eine Ansage an die Partnerorganisa- und Soldaten, denen wir heute noch einmal ganz herzlich tionen machen – vor allem an die Frauenorganisationen, für ihren wirklich gefährlichen Einsatz danken möchten. die dort arbeiten –, sondern selbstverständlich auch an diejenigen, die in den letzten Jahren ihr Leben für den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zivilen Aufbau in Afghanistan riskiert haben. Wenn Frau ordneten der SPD) Mogherini jetzt der afghanischen Regierung EU-Hilfe Es ist auch schon angesprochen worden: Selbstver- bei der Sicherheitssektorreform anbietet, dann stellt sich ständlich muss man 18 Jahre nach einem Auslandsein- mir die Frage, wie die Bundesregierung dazu steht. Auch satz noch mal evaluieren. Man muss überlegen, wie wir dazu gab es bisher keinerlei Worte. mit unseren Bündnispartnern weiter vorgehen können. Denn Afghanistan ist immer noch von einer schwieri- Schließlich ist es dringend notwendig, dass der größte gen, regional sehr uneinheitlichen Sicherheitssituation Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr endlich eva- geprägt. Es herrscht Armut vor, und es herrscht ein re- luiert wird, und zwar unabhängig. Ich freue mich sehr, gionales Umfeld vor, das durch äußerst widerstreitende dass zumindest dieser Punkt im Entschließungsantrag Interessen gekennzeichnet ist. (B) der FDP enthalten ist. Ich erinnere mich aber sehr wohl (D) daran, dass Sie, als wir das beantragt haben – und wir Um eine Verbesserung der Lage zu erreichen, muss beantragen das jede Legislaturperiode – und Sie in der nun der Druck auf die Taliban aufrechterhalten werden, Regierung waren, das genauso abgelehnt haben wie die damit dann im Rahmen politischer Verhandlungen ir- SPD jetzt, wo sie in der Regierung ist, obwohl sie das gendwann ein Friedensschluss erzielt werden kann. Der in der Opposition noch gewollt hat. Eine Evaluation ist Kollege von den Grünen hat gerade den dreitägigen Waf- überfällig. fenstillstand 2017 angesprochen. Ja, es war 2017. Aber wenn wir jetzt den Druck auf die Taliban erhöhen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der AfD: Wie denn?) Heute ist der Tag des Neujahrsfestes in Afghanistan. Heute ist Norouz. Es gab einen verheerenden Anschlag und es eventuell wirklich zu Verhandlungen mit Präsi- auf eine Feier. Hoffnung und Trauer lagen heute in Kabul dent Ghani kommt, dann werden wir da auch Erfolge er- am ersten Tag des Jahres ganz nah beieinander. Ich hoffe, zielen. Davon bin ich fest überzeugt. dass wir nächstes Jahr über erfüllte Hoffnung sprechen Wir wissen natürlich auch, dass es keine militärische werden. Es spricht nicht viel dafür, es gibt wenig Grund, Lösung von Problemen geben kann, sondern eben nur optimistisch zu sein; aber wir müssen daran festhalten. eine politische Lösung. Dazu ist es unerlässlich, auch Ich wünsche den Menschen in Afghanistan ein schönes, weiterhin den Dreiklang aus militärischem, diplomati- ein gesegnetes, ein erfolgreiches und ein friedliches neu- schem und entwicklungspolitischem Handeln im Rah- es Jahr. In Landessprache: Mardome-e-mohtarrame Af­ men der Gesamtmission beizubehalten. ghanestan Norouzetan Pirouz! Va Solhamiz! Im Sommer dieses Jahres wird es wahrscheinlich in Thank you very much! Afghanistan Präsidentschaftswahlen geben. Für mich ist das ein weiterer bedeutender Schritt zum Erfolg. Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mandatsverlängerung soll durch die Sicherstellung eines sowie bei Abgeordneten der LINKEN) stabilen Umfeldes einen Beitrag zur friedlichen Durch- führung dieser Wahlen leisten. Vizepräsident Thomas Oppermann: Es ist eben auch schon von den Erfolgen gesprochen Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion worden, die erzielt worden sind. 30 Prozent der Mädchen der CDU/CSU die Kollegin Gisela Manderla. dürfen zur Schule gehen. Die Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen ist um ein Zehnfaches gestiegen. Es ist in- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zwischen möglich, in Afghanistan Schulausbildung zu Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10565

Gisela Manderla (A) genießen. Über 6 Millionen Kinder besuchen inzwischen NATO diese Fragen gemeinsam bewertet und gemein- (C) eine Schule. Zehnmal so viele Menschen wie früher sam entscheidet. dürfen eine Ausbildung machen. Und was ganz wich- tig ist: Sie wissen alle, dass für einen wirtschaftlichen Bisher allerdings ist die Lage vor Ort unverändert. Fortschritt eine sichere Energieversorgung notwendig Es gibt auch keinerlei konkrete Ankündigungen oder ist, und an dieser sicheren Energieversorgung dort sind Forderungen vonseiten der amerikanischen Partner. Die Deutsche besonders beteiligt. Das muss auch die Basis unveränderten Rahmenbedingungen spiegeln sich im für eine wirtschaftliche und friedliche Entwicklung sein. unveränderten Mandatstext wider. Es bleibt dabei, dass die Bundeswehr im Norden des Landes die afghanischen Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es nicht Streitkräfte ausbildet, berät und unterstützt. Mit diesen leicht werden wird, in Afghanistan einen Friedensschluss Maßnahmen trägt sie dazu bei, dass das strategische Patt zu erzielen. Aber wenn wir jetzt aus Afghanistan abzie- zwischen den Bürgerkriegsparteien erhalten bleibt, das hen würden, dann würden wir das alles, was wir erreicht seit mehreren Jahren besteht. Die afghanische Armee haben, wieder rückgängig machen. Deshalb bitte ich Sie kontrolliert die großen Zentren, wo die Mehrheit der ganz herzlich um die Zustimmung zu einem weiteren Menschen lebt. Außerhalb dieser Zentren können sich Mandat für Afghanistan. die Taliban weitgehend frei bewegen und ihre Anschläge Danke schön. vorbereiten, die Tag für Tag, Woche für Woche eine gro- ße Zahl an Menschenleben fordern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Ein befriedigender Zustand, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist damit beileibe nicht erreicht. Und dennoch Vizepräsident Thomas Oppermann: ist dieses Patt die Voraussetzung dafür, dass bei beiden Vielen Dank. – Nun spricht für die SPD der Abgeord- Bürgerkriegsparteien die Bereitschaft zu einem Verhand- nete Dr. Fritz Felgentreu. lungsfrieden wachsen kann. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Solange noch eine Seite glaubt, den Sieg erringen zu Dr. Fritz Felgentreu (SPD): können, wird es keinen Frieden geben. Darauf muss auch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die dies- die politische Botschaft ausgerichtet sein, die sich mit ei- jährige Verlängerung des Afghanistan-Mandats debattie- ner weiteren Verlängerung des Mandats verbindet. ren wir unter besonderen Bedingungen, die so noch nicht da gewesen sind. Zum ersten Mal wird das internationale (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) Engagement in Afghanistan von amerikanischer Seite (D) grundsätzlich infrage gestellt. Der amerikanische Prä- Wir erwarten auch von den Afghanen, deren Schutz sident hat ohne Rücksprache mit den Verbündeten auf unsere Anstrengungen gelten, eigene Bemühungen um seiner bevorzugten Verlautbarungsplattform den Abzug eine tragfähige Friedenslösung für das ganze Land. von 50 Prozent der US-Streitkräfte angekündigt. Diese Gleichzeitig wollen wir den Fortschritt sichern, der in Ansage hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Damit das voll- den 17 Jahren des Afghanistan-Einsatzes erreicht wer- kommen klar ist, will ich deshalb an dieser Stelle die den konnte. Die gestiegene Lebenserwartung, gesunkene Bewertung der SPD-Fraktion deutlich machen, meine Kindersterblichkeit, besserer Zugang zu sauberem Was- Damen und Herren. ser, Frauenrechte, Schulbildung, besonders für Mädchen, und die größte Gedanken- und Meinungsfreiheit in der Erstens. Wenn die USA sich einseitig aus Afghanistan Region gehören dazu. zurückziehen, dann kann die Bundeswehr nicht bleiben. Schon aus Sicherheitsgründen wäre eine Fortsetzung des (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Einsatzes nicht zu verantworten. Hardt [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Wenn wir deshalb heute der Verlängerung zustimmen, Abg. Bijan Djir-Sarai [FDP]) dann geht die SPD-Fraktion davon aus, dass wir erstens Zweitens. Auch ein einseitiger Teilabzug der am vernetzten Ansatz von militärischer Sicherheit und US-Streitkräfte kann dieselbe Konsequenz haben. Die Entwicklungspolitik festhalten, dass wir zweitens inner- Bundeswehr kann die Lücken nicht füllen, die ein solcher halb der NATO über die Zukunft des Einsatzes stets ein- Abzug reißen würde. Zudem wäre eine solche einseiti- vernehmlich entscheiden und dass drittens die Bundes- ge Entscheidung eine Verletzung aller Grundsätze der regierung das weitere Vorgehen bezüglich Afghanistan NATO. Sie würde auch deshalb die Grundlage für diesen immer eng mit dem gesamten Bundestag abstimmt. Denn Einsatz der Bundeswehr infrage stellen. der Afghanistan-Einsatz war immer mehr als ein Projekt der Regierungsmehrheit. Das muss auch so bleiben, da- Unterhalb dieser Schwelle kann und wird die NATO mit unsere Einsatzkräfte, die Soldatinnen und Soldaten selbstverständlich, wie in der Vergangenheit auch, Auf- vor Ort, sich bei der Erfüllung ihres Auftrags von einem trag und Truppenstärke, abgestimmt an die Lage im Lan- stimmungsunabhängigen Konsens getragen wissen. Ih- de, anpassen. Das war der Grund für die letzte Vergrö- nen gilt unser besonderer Dank. ßerung des deutschen Kontingents, und das kann auch einmal der Grund für eine Verkleinerung des amerikani- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen Kontingents sein. Entscheidend ist dabei, dass die der CDU/CSU) 10566 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: ben. Daher sagen wir herzlich Danke schön für diesen (C) Einsatz. Vielen Dank. – Letzter Redner in dieser Debatte ist jetzt der Kollege Thomas Erndl für die Fraktion der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- CDU/CSU. ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Selbstverständlich schließen wir die 58 Gefallenen und ihre Familien immer in unser Gedenken ein. Das Erreichte, meine Damen und Herren, bleibt aber Thomas Erndl (CDU/CSU): ohne Hilfe von außen, ohne unsere Hilfe nicht nachhaltig Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bestehen. Ein vorzeitiger Abzug oder auch eine Reduzie- Unsere Soldatinnen und Soldaten sind seit 2001 in Af- rung vonseiten unserer Partner wären auch mit Blick auf ghanistan im Einsatz. Das ist eine lange Zeit. Wer im die jetzige Situation unklug, mit Blick auf die letztlich Jahr 2001 geboren wurde bzw. wer heute 18, 19 oder doch notwendigen Verhandlungen mit den Taliban, die auch 25 Jahre alt ist, hat den 11. September 2001 nicht heute wieder mehr als 40 Prozent des Landes kontrol- bewusst miterlebt. Daraus leitet sich unsere Aufgabe ab, lieren. Es darf nicht der Eindruck entstehen, sie müss- die sicherheitspolitischen Herausforderungen unseres ten nur eine bestimmte Zeit abwarten, bis sie das Land Landes regelmäßig aufzuzeigen. Dazu gehört in beson- wieder an sich reißen können. Wir dürfen keinen Zweifel derer Weise auch die Situation in Afghanistan. 18 Jahre daran lassen, dass das Gewaltmonopol bei der afghani- sind eine lange Zeit, und nicht wenige fragen sich, ob schen Regierung liegt und auch in Zukunft liegen wird. der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten dort noch Für diese Aufgabe sind leistungsfähige afghanische Si- notwendig ist. Bei einer solchen Frage gibt es natürlich cherheitskräfte notwendig, und diese auszubilden, ist der auch Gegenwind. Diese Entscheidung macht sich hier Kern unserer jetzigen Mission. niemand leicht. Aber dass bei einer solchen Debatte Offi- ziere unserer Armee verunglimpft werden, ist untragbar, Auch wenn es noch ein weiter Weg für Afghanistan meine Damen und Herren. ist: Wir werden im Rahmen des vernetzten Ansatzes wei- ter unterstützen. Deshalb bitte ich Sie, für eine Verlänge- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der rung der deutschen Mission, des deutschen Engagements AfD: Das ist die Wahrheit!) bei RSM zu stimmen. Vielen Dank. Meine Fraktion steht zu diesem Einsatz, weil wir ein ver- lässlicher Partner in der Außen- und Sicherheitspolitik (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sind. Wir brauchen an vielen Stellen verlässliche Partner, ordneten der SPD) (B) und wir sind ein verlässlicher Partner. Die Unionsfrakti- (D) on steht dazu. Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vor. Deshalb schließe ich die Aussprache. Mit ISAF und der Resolute Support Mission sind Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Fortschritte erzielt worden. Das darf man feststellen. Von empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- afghanischem Boden geht für unser Land, für unsere Ver- trag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bündeten und die Region dort keine Bedrohung aus. Es bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten entstehen vor Ort Perspektiven für junge Menschen; sie Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung müssen nicht den Weg nach Europa suchen. Diese Punk- und Unterstützung der afghanischen nationalen Ver- te liegen in unserem ureigenen Interesse. teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Stabile Verhältnisse, Perspektiven vor Ort kann es Drucksache 19/8424, den Antrag der Bundesregierung aber nur geben, wenn die Sicherheitslage passt. Wir kön- auf Drucksache 19/7726 anzunehmen. nen nicht sagen: 18, 19, 20 Jahre vorbei – jetzt beenden wir das Ganze einfach! – Afghanistan ist noch nicht so Dazu liegen mir mehrere Erklärungen nach § 31 der weit. Gerade jetzt hätte ein Abzug verheerende Folgen; Geschäftsordnung vor.1) die erreichten Fortschritte würden zunichtegemacht. Wir stimmen über die Beschlussempfehlung nament- lich ab. Ich möchte darauf hinweisen, dass gleich im An- Zu den Fortschritten zählen im Übrigen – das wur- schluss eine weitere namentliche Abstimmung folgt. de hier bereits angesprochen – Rechte von Frauen und Mädchen, Medienvielfalt, freie politische Debatten, le- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die benswichtige Transport- und Versorgungsinfrastruktur, vorgesehenen Plätze einzunehmen, damit wir mit der Ab- Schulen, Universitäten, Bildungsmöglichkeiten, Ge- stimmung beginnen können. – Sind alle Plätze an den Ur- sundheitsversorgung. Wir haben eine ganze Menge er- nen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne den Wahlgang. reicht, meine Damen und Herren. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkar- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) te abgegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich den Wahlgang. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- Das ist Folge des Beitrags unserer Soldatinnen und Sol- daten, die in den 18 Jahren hier ihren Dienst geleistet ha- 1) Anlagen 5 bis 8 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10567

Vizepräsident Thomas Oppermann (A) führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen (C) der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später be- der Fraktion Die Linke und die Stimmen einzelner Ab- kannt gegeben.1) geordneter der AfD-Fraktion bei Enthaltung der übrigen AfD-Fraktion angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksa- Tagesordnungspunkt 9 d. Beschlussempfehlung des che 19/8609. Hierzu hat die Fraktion der FDP ebenfalls Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion namentliche Abstimmung beantragt. Ich weise darauf Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Evaluierung der hin, dass im Anschluss an diese Abstimmung noch einfa- deutschen Beteiligung an ISAF, RSM und des deutschen che Abstimmungen folgen. und internationalen Engagements für den Wiederaufbau Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, Afghanistans seit 2001“. Der Ausschuss empfiehlt in die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/5168, an den Urnen besetzt? – Das ist, soweit erkennbar, der den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Fall. Dann ist der Abstimmungsvorgang eröffnet, und wir Drucksache 19/4553 abzulehnen. Wer stimmt für diese stimmen über den Entschließungsantrag der FDP ab. Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der AfD-Frak- Vizepräsidentin : tion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Stimme nicht abgegeben hat? Wenn das der Fall ist, bit- FDP-Fraktion angenommen.3) te ich, das jetzt zügig zu erledigen. Hier vorne ist noch Platz. Es gibt überhaupt kein Gedrängel an der Urne. Zusatzpunkt 3. Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der AfD Im Übrigen gestatten Sie mir bitte den Hinweis, dass mit dem Titel „Das deutsche Engagement in Afghanis- wir sofort nach der Schließung der zweiten namentlichen tan beenden“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Abstimmung noch weitere einfache Abstimmungen vor- schlussempfehlung auf Drucksache 19/8582, den Antrag nehmen und dass es dem Präsidium leichter fällt, das Ab- der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/7937 abzuleh- stimmungsverhalten zweifelsfrei festzustellen, wenn Sie nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Platz nehmen. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- Stimme nicht abgeben konnte? – Ich bitte um ein Signal tionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke, der von den Hammelsprungtüren, ob da noch die Abstim- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der (B) mung läuft oder ob das eine lockere Gesprächsrunde ist. AfD-Fraktion angenommen. (D) Letzter Aufruf: Hat ein Mitglied des Hauses seine Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Stimme noch nicht abgeben können? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- – Beratung der Beschlussempfehlung und des führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt ge- schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung geben.2) Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter Ich wiederhole meine Bitte: Nehmen Sie bitte Platz, deutscher Streitkräfte an der NATO-geführ- falls Sie an den Verhandlungen des Bundestages weiter ten Maritimen Sicherheitsoperation SEA teilnehmen wollen. Dies gilt auch für die Mitglieder der GUARDIAN im Mittelmeer Bundesregierung. Drucksachen 19/7727, 19/8426 Ich führe die Verhandlungen erst dann fort, wenn wir von hier vorne das Abstimmungsergebnis zweifelsfrei – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) feststellen können. Dazu ist es sinnvoll, dass Sie sich set- gemäß § 96 der Geschäftsordnung zen oder, wenn Sie daran nicht teilhaben wollen, den Ple- narsaal verlassen. Drucksache 19/8427 Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 9 c. Be- Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu mentlich abstimmen. dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bun- deswehr sofort aus Afghanistan abziehen“. Der Aus- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- Drucksache 19/8432, den Antrag der Fraktion Die Lin- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. ke auf Drucksache 19/7908 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Daniela De Ridder für die SPD-Fraktion. Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, (Beifall bei der SPD) 1) Ergebnis Seite 10576 C 2) Ergebnis Seite 10579 D 3) Anlage 10 10568 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Dr. Daniela De Ridder (SPD): Wir kommen am Vorabend des 70. Jahrestags der (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Gründung der NATO damit auch unseren Bündnisver- und Kollegen! Meine sehr verehrten Gäste! Wir wollen pflichtungen nach. Doch mehr noch ist die Verlängerung heute das Mandat Sea Guardian für ein weiteres Jahr dieses Mandats Ausdruck für das Vertrauen, das wir nicht verlängern. Die Aufgaben der Maritimen Sicherheits- nur unseren Partnern entgegenbringen, sondern vor al- operation Sea Guardian umfassen im Wesentlichen drei lem auch unseren Soldatinnen und Soldaten. Sie arbei- Punkte: erstens die See- und Luftraumüberwachung im ten etwa auf dem Einsatzgruppenversorger „Bonn“ mit Mittelmeer, zweitens, darauf aufbauend, eine aktuelle hoher Professionalität und in enger Zusammenarbeit mit Lagebilderstellung und drittens die Bereitstellung von unseren europäischen NATO-Partnern am Erfolg dieser Informationen für weitere Sicherheitsoperationen. Für Mission. Ihnen gelten ganz besonders unser großer Dank die Bundeswehr ist Sea Guardian eine Mission mittlerer und unsere Anerkennung. Größe mit der Personalobergrenze von 650 Soldatinnen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- und Soldaten. wie bei Abgeordneten der FDP) Ja, der Blick auf das Mittelmeer eröffnet eine große Fülle an Chancen und Herausforderungen mit Blick auf Eine weitere Aufgabe der Mission Sea Guardian ist Sea Guardian. Die Seewege über das Mittelmeer sind die Aufrechterhaltung freier und sicherer Seewege und nicht nur für die Küstenstaaten Lebensadern. Auch hier vor allem der Schutz kritischer Infrastrukturen. in Deutschland sind wir von den Güter- und Warenver- (Jan Ralf Nolte [AfD]: Wie viele Terroristen kehren über das Mittelmeer abhängig. Auch sei daran er- gibt es denn im Mittelmeer?) innert, dass rund 65 Prozent des Energiebedarfs Westeu- ropas durch Gas- und Öllieferungen über das Mittelmeer Damit meine ich küstennahe Energieleitungen und Funk- gedeckt werden. masten, die auch für die Kommunikation auf hoher See unerlässlich sind. Doch durch die instabile Lage in einigen Staaten des Mittelmeers sind diese Lebensadern zunehmend in Ge- Ja, die SPD-Bundestagsfraktion wird heute diesem fahr. Ich will nur ein paar Aspekte nennen: Schmuggel Mandat zustimmen, weil diese Mission vitaler und inte­ von Menschen und Waffen, Piraterie, Korruption und graler Bestandteil der europäischen NATO-Sicherheit ist. Terrorismus. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich dem anzuschließen. (Michel Brandt [DIE LINKE]: Was haben Sie erreicht?) Vielen Dank. (B) Diese brechen sich hier Bahn. Auch ist das Mittelmeer – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) das will ich gar nicht verleugnen – für viele Flüchtende der CDU/CSU) zum feuchten Grab geworden. Damit diese Entwicklun- gen eingedämmt werden können, bedarf es eines genau- en Lagebildes und einer tagesaktuellen Sicherheitslage, Vizepräsidentin Petra Pau: die damit beschrieben werden kann. Dies tut eben die Das Wort hat der Abgeordnete Paul Viktor Podolay für Mission Sea Guardian. die AfD-Fraktion. Die Flotte wirkt, auch wenn das einigen hier im Saa- (Beifall bei der AfD) le – wir hören es ja schon – nicht gefallen wird, durch schon ihre bloße Präsenz im Mittelmeer abschreckend (AfD): auf Schlepper, Schmuggler und Piraten. Damit stellt Sea Paul Viktor Podolay Guardian einen ganz wesentlichen Ordnungsfaktor im Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen gesamten Operationsgebiet dar. Und nun stellen Sie sich und Herren! Schon wieder werden wir in diesem Haus einen kleinen Augenblick mal vor, es gäbe die Sea-Guar- dazu aufgefordert, bewaffnete deutsche Streitkräfte im dian-Flotte im Mittelmeer nicht. Wie einfach würden wir Mittelmeer einzusetzen. Bereits zum dritten Mal soll der es dem Menschen- und Waffenhandel dort machen, liebe Bundestag die Operation Sea Guardian verlängern. Ja, Kolleginnen und Kollegen? der Mittelmeerraum ist zweifellos einer der wichtigsten Vorposten unseres europäischen Kontinents, aber eben Doch Sea Guardian ist mehr als nur eine Überwa- nicht im militärischen Sinne, sondern zum Zwecke des chung des Mittelmeerraums. Diese Mission stellt auch Handels. kritische und wichtige Informationen für ihre EU-ge- führte Schwesteroperation Sophia zur Verfügung. Sophia Die Bundesregierung begründet die Notwendigkeit wiederum hat den Auftrag, den Menschenhandel aktiv der Fortsetzung dieser Operation unter anderem mit der zu unterbinden sowie Schlepper und Schleuser aus dem Sicherung der Verkehrs- und Versorgungswege im ge- Verkehr zu ziehen. Ja, hiervon können ganz dezidiert samten Mittelmeerraum. Das finden wir richtig; dafür auch Menschenleben abhängen, liebe Kolleginnen und sind auch wir. Aber dafür brauchen wir doch nicht diesen Kollegen. Im Übrigen gilt es, die Informationen, die Sea Einsatz. Eine solche Begründung rechtfertigt noch keine Guardian gewinnt, der Standing NATO Maritime Group Militäroperation. Eine solche Begründung ist sogar ge- zur Verfügung zu stellen. fährlich, weil sie zivile und militärische Aufgaben mitei- nander verstrickt. (Jan Ralf Nolte [AfD]: Dafür brauchen wir Sea Guardian doch gar nicht!) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10569

Paul Viktor Podolay (A) Außerdem: Sea Guardian soll in Seenot Geratene ret- Fraglich ist auch, ob Sie von der Regierung überhaupt (C) ten. Die Schiffe nehmen dazu Migranten auf und brin- wissen, was Sie eigentlich tun. gen sie in der Regel direkt nach Europa. Dazu sagen wir: (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Nein!) Dort, wo die Operation tatsächlich transnationale krimi- nelle Aktivitäten bekämpft, stehen wir zu ihr. Dort, wo Herr Staatsminister Annen etwa konnte im Auswärtigen unsere Streitkräfte zusammen mit nichtstaatlichen Or- Ausschuss meine Frage zu einer Exit-Strategie überhaupt ganisationen sekundäre Aufgaben wie Seenothilfe erfül- nicht plausibel beantworten. len, halten wir dagegen. Ja, die Seenothilfe ist für unsere Armee eine sekundäre Aufgabe geworden. Die primäre Wir lehnen diesen Antrag der Bundesregierung erneut Aufgabe ist aber die Verteidigung des Landes. ab. Und wir, die AfD, wollen diese Operation wie auch viele andere Operationen, die sinnlos sind, schnellstens (Beifall bei der AfD) beenden. Das will übrigens auch die Mehrheit der Be- völkerung. Wir fordern einen systematischen Schutz unserer Außengrenzen durch Strukturen, die bereits existieren, Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. statt Aktionismus ohne klare Ziele. Übrigens: Wir brau- (Beifall bei der AfD) chen dafür keine neuen Behörden auf der EU-Ebene à la Macron. Deshalb lehnen wir es ab, dass dieser Mili- täreinsatz mit Aktionen von NGOs verbunden wird. Sie Vizepräsidentin Petra Pau: leisten praktisch Nachhilfe für kriminelle Schlepper. Das Wort hat der Kollege Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. (Ulrich Lechte [FDP]: Sea Guardian nicht! – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Dafür haben Sie (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. lange gebraucht!) [SPD]) Wir brauchen einen funktionierenden Grenzschutz und im äußersten Fall eine staatlich organisierte Seenot- Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): rettung, die die Migranten in ihre Heimatländer zurück- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- bringt, statt sie zu uns zu bringen. ren! (Beifall bei der AfD) (Ulrich Lechte [FDP]: Frau Präsidentin!) Wir brauchen also keine Seenotrettung unter dem Deck- – Frau Präsidentin! Verzeihung. Ich bitte um Nachsicht. mantel eines Militäreinsatzes. Ich habe sie in bester Erinnerung, weil ich meine erste Rede unter der Präsidentin Frau Pau hielt. (B) (Ulrich Lechte [FDP]: Das ist doch inhaltlich (D) falsch, Herr Kollege!) (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch! – Heiterkeit – Steffi Besorgniserregend ist vor allem, dass sowohl die Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch NATO-F­ührung als auch die Bundesregierung offenbar jemand?) nicht in der Lage sind, klare Antworten auf folgende Fra- gen zu geben: Wie sieht eine Exit-Strategie für Sea Guar- Das war zu Afghanistan im Jahr 2009; ich erinnere mich dian überhaupt aus? Was passiert, wenn sich die NATO noch gut. Aber heute sprechen wir nicht nur über Afgha- einmal aus dem Mittelmeerraum zurückzieht? Ist ein Ende nistan, sondern auch über andere Einsätze. dieser Operation überhaupt in Sicht? Was ist eigentlich Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frau Kollegin ihr leitendes Endziel? Bisher bleibt auch unklar, was die De Ridder hat sehr klar und umfassend den Einsatz, über Ergebnisse dieser Operation sind. Was haben Sie mit ihr den wir heute sprechen, Sea Guardian, beschrieben. Ich militärisch erreicht, und was wollen Sie noch erreichen? möchte drei Aspekte herausheben, die für uns als CDU/ Es ist beschämend, dass Sie von der Bundesregierung CSU wichtig sind. uns Abgeordnete in Form dieses Dokuments, das ich hier Zum einen ist es eine Operation mit einem ganz eige- habe, informieren. Darin ist der Einsatz beschrieben; da- nen Charakter. Blicken wir zurück: Die Ursprünge gehen rin stehen zwei Zeilen zu Sea Guardian. zurück bis auf das Jahr 2001: eine Artikel-5-Mission; (Markus Grübel [CDU/CSU]: Weil das ein Stichworte „Antiterror“, „sehr robust“. Auf langes Drän- unkomplizierter Einsatz ist!) gen der Bundesregierung wurde nach vielen Jahren – wir fingen damit im Jahr 2012 an – im Jahr 2016 die Ope- Ich frage mich ernsthaft: Womit beschäftigen sich die ration angepasst. Sie ist keine Artikel-5-Mission mehr, Referenten des zuständigen Ressorts überhaupt? Viel- sondern sie dient jetzt ganz anderen Zwecken. leicht können Sie ja noch mal ein paar externe Berater anheuern, damit diese Ihre ureigene Aufgabe erfüllen. Frau De Ridder hat den ersten Punkt, die Lagebilder- fassung, sehr klar dargestellt. Hierbei geht es schlicht- (Beifall bei der AfD) weg darum, ein Bild über das befahrenste Meer der Welt zu bekommen, um zu wissen, welche Schiffe sich von Nicht Sie, die Regierung, sondern wir Abgeordnete wo nach wo bewegen und womöglich auch, mit welchen haben das letzte Wort über Einsätze der deutschen Par- Lasten. lamentsarmee. Deshalb haben wir auch ein Recht da- rauf, dass uns das zuständige Ministerium umfassend Die Operation ist nicht im Fokus. Wir haben im letz- informiert. Dieses Recht treten Sie respektlos mit Füßen. ten Jahr durch diese Mission nur ein Schiff aufgebracht. 10570 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Roderich Kiesewetter (A) Aber – das sind die beiden anderen Gründe, die uns als Soldatinnen und Soldaten, die da ganz besonders fleißig (C) Union für diese Mission stimmen lassen – sie bietet zwei sind, herzlich danken. Besonderheiten, die kaum eine andere Mission hat, ins- besondere keine maritime Mission. Die Mission ist eine (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Plattform. Länder wie Australien, Georgien und Jordani- SPD) en beteiligen sich daran, um mitzugestalten, wie im Be- Besonders wichtig war bisher stets die enge Verknüp- reich der maritimen Sicherheit verfahren wird, wie die fung von Sea Guardian mit der Mission Sophia. Im Man- Seeraumüberwachung und wie Ausbildung stattfindet, datstext von Sea Guardian wird an mehreren entschei- insbesondere für die Mittelmeeranrainer. Das ist der As- denden Stellen auf Sophia verwiesen. Bei der Auflistung pekt der kooperativen Sicherheit, der Plattform quasi, die der völker- und verfassungsrechtlichen Grundlagen wird diese Operation bietet. Sophia erwähnt, auch für Status und Rechte unserer Soldaten sowie für den Auftrag der Mission ist Sophia Der dritte Aspekt ist ganz klassische Sicherheitsvor- ein wesentlicher Bestandteil. Die Bundesregierung hat sorge. Wenn wir wieder eine Eskalation im Mittelmeer hier also wieder die gleichen Textbausteine in das Man- haben, sei es mit Blick auf den Terrorismus, sei es durch dat eingebaut – ganz so, als würde Sophia unverändert eine Zunahme an Waffenschmuggel, muss nicht erst weiterlaufen. Dem ist aber nicht so; denn ihr habt schon mühsam eine neue Operation beraten werden, sondern unsere Fregatte „Augsburg“ aus der Mission abgezogen. dann dient die Operation Sea Guardian als Mantel. Wir wissen auch, dass bei der Europäischen Union Die drei Gründe – Lagebild, Plattform für kooperative derzeit die Verhandlungen darüber laufen, wie mit So- Sicherheit und klassische Sicherheitsvorsorge im Falle phia weiter verfahren wird, und da mit Italien bisher einer Eskalation – machen also den Wesenskern dieser keine Kompromissformeln gefunden wurden, ist davon Operation aus. Deshalb stehen wir als CDU/CSU dahin- auszugehen, dass die Operation Sophia Ende März enden ter. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung. wird. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Meine sehr geehrten Damen und Herren, den wieviel- ordneten der SPD) ten März haben wir heute? Den 21. Das heißt, man hätte vielleicht im Mandatstext eine Annäherung an den realen Vizepräsidentin Petra Pau: Istzustand vornehmen können, anstatt uns einen Man- Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Ulrich datstext vorzulegen, der auf dem Mandatstext von vor Lechte das Wort. einem Jahr basiert. (B) (D) (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) „Ja mei“, sagt der Bayer dazu. Ulrich Lechte (FDP): Am Dienstag hat übrigens die EU-Außenbeauftragte Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Federica Mogherini vermeldet, dass es auch keine Fort- Kollegen! Werte Gäste oben auf den Rängen! Ich darf schritte in den Verhandlungen mit Italien gibt. Die Frau ganz kurz Herrn Podolay entgegenrufen: Wir reden hier hat ja sehr viel Ahnung, davon wird zumindest in Fach- heute über Sea Guardian. Das, worüber Sie geredet ha- kreisen ausgegangen. Es wäre vielleicht ganz praktisch, ben, war eigentlich Hauptbestandteil der Mission Sophia. wenn man sich da mal miteinander abstimmen würde. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das ist mir auch Im Auswärtigen Ausschuss habe ich die Bundesregie- aufgefallen! – Weiterer Zuruf von der CDU/ rung übrigens gefragt, wie sich ein Ende von Sophia auf CSU): Das kann man schon mal verwechseln!) Sea Guardian auswirken wird. Da gab es aber auch keine zufriedenstellenden Antworten. Man könnte also vermu- Auf die werde ich jetzt auch in meiner Rede ein wenig ten, dass Sea Guardian den Wegfall von Sophia zumin- eingehen; denn bei Sea Guardian ist die Informationslage dest teilweise kompensieren müsste, dass Sea Guardian seitens der Bundesregierung gegenüber dem Parlament zum Beispiel die Durchsetzung des Waffenembargos in der Tat ein wenig dürftig – da haben Sie mal recht –; gegen Libyen übernehmen müsste; auch dazu habe ich das möchte ich hier auch anmerken. Vielleicht nimmt heute bisher keinen Ton gehört. Schauen wir mal, wo die das Verteidigungsministerium mal die Anregung mit, uns Reise in diesem Punkt hingeht. dazu mehr als zwei Sätze im Monat zur Verfügung zu stellen. Die Haushaltsplanung zeigt übrigens auch, dass die Mittel für Sea Guardian von bisher 6,3 Millionen Euro Wir reden hier über die NATO-Operation Sea Guardi- auf 2,9 Millionen Euro gekürzt werden. Das finden wir an. Man muss die Wichtigkeit dieser Operation versteh- als FDP übrigens immer sehr, sehr löblich, wenn auch bar machen. Das kann man nur, indem man sich auch die mal realistische Zahlen als Ansätze reingeschrieben wer- anderen Sicherheitsoperationen im Mittelmeer anschaut, den. Vielleicht hat auch Herr Karl daran mitgewirkt, dass mit denen Sea Guardian eng verwoben ist. Der Einsatz- da mal ein bisschen Geld eingespart wird; das ist eine gruppenversorger „Bonn“ ist mit 200 Soldaten für uns in gute Sache. der Operation Sea Guardian unterwegs. Zeitgleich nimmt er auch an der NATO-Operation in der Ägäis teil. Für (Alois Karl [CDU/CSU]: Stimmt genau! Wo diesen Doppeleinsatz möchte ich an dieser Stelle unseren er recht hat, hat er recht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10571

Ulrich Lechte (A) Aber das zeigt mir zumindest, dass die Mission Sophia Wenn man danach fragt, wie viele Waffen sichergestellt (C) von Sea Guardian gar nicht übernommen werden könn- worden sind, dann ist die Antwort: Keine. – Meine sehr te. Ich hoffe inständig, dass sich die Bundesregierung in verehrten Damen und Herren, merken Sie eigentlich dieser Frage nicht still und heimlich aus ihren Verpflich- noch, wie sinnfrei die Mandate sind, die Sie hier vorle- tungen gegenüber der NATO und der EU zurückziehen gen? möchte. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Das würden wir Freien Demokraten – das hören Sie auch Lieber Kollege Kiesewetter, ich schätze Sie durchaus, am Applaus meiner Fraktion – nämlich ausdrücklich aber wenn ich Ihre Argumentation eben richtig verstan- missbilligen. den habe, haben Sie gerade mit Blick auf Terrorismus erklärt, dass es sinnvoll ist, vor Ort zu bleiben, damit Wir werden dem Mandat erneut zustimmen, auch man, falls wieder eine Eskalation eintritt, vor Ort ist und wenn die Ziele der Bundesregierung nicht eindeutig sind. kein neues Mandat braucht. Auch das kann doch keine Und wir mahnen ebenso eine Überprüfung des militäri- Begründung für einen Auslandseinsatz sein; denn das be- schen Einsatzes an. deutet im besten Fall – auf den hoffe ich –, dass dieses Mandat unendlich ist. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Das ist Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Vorsorge! Genau!) – Ja, Vorsorge. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Matthias Höhn für die Frak- (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das ist aber tion Die Linke. eine sehr statische Betrachtung des Mittel- meerraums!) (Beifall bei der LINKEN) Lieber Kollege Kiesewetter, wenn wir die Bundeswehr in Matthias Höhn (DIE LINKE): Zukunft so verstehen, dass wir sie an jeden Ort, in jede Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Region schicken, wo wir im Moment Gott sei Dank keine Herren! Wenn wir uns das Mandat von Sea Guardian terroristischen Vorfälle haben, anschauen – es ist eben schon darauf hingewiesen wor- (Lachen des Abg. Omid Nouripour [BÜND- den –, stellen wir fest: Wir haben einen nahezu unverän- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]) (D) derten Text. Ich kann mich den Kollegen nur anschlie- ßen: Herr Kollege Pflüger hat in der vorherigen Debatte damit wir vorbereitet sind, falls ein solcher Vorfall pas- zum Thema Afghanistan darauf hingewiesen, dass sich siert: Das, würde ich vermuten, geht am Auftrag der Bun- sicherheitspolitische Rahmenbedingungen ändern und es deswehr vorbei. vielleicht angemessen wäre, Texte anzupassen. Der Kol- lege Lechte hat eben zu Recht darauf hingewiesen, dass (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wir auch bei diesem Mandat mit Blick auf Sophia eine neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Veränderung haben. Meine sehr verehrten Damen und Ulrich Lechte [FDP]: Es ist egal, in welchem Herren, Copy-and-paste kann es in der Sicherheitspolitik Hafen die Fregatte liegt!) dieses Deutschen Bundestages nicht geben. Herr Kiesewetter, Sie haben gesagt, dieser Auftrag sei (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- eine Plattform. Sie haben darauf hingewiesen, welche neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Länder sich an dieser Mission beteiligen; dazu will ich und des Abg. Ulrich Lechte [FDP]) etwas sagen. Auch die Länder der Istanbuler Koopera- Jetzt möchte ich etwas zu Sinn und Zweck dieses tionsinitiative sind von der NATO eingeladen, dort mit- Mandates sagen. Einiges ist schon erwähnt worden. Ich zumachen. Das sind die Länder, über die Sie in Ihrem will mich zunächst den beiden Stichworten „Terroris- Koalitionsvertrag sagen: An die liefern wir keine Waf- mus“ und „Waffenschmuggel“ widmen. Schauen wir fen mehr – ich sage: Gott sei Dank –, weil sie sich am uns mal die Bilanz an; da wird ja immer ein bisschen Jemen-Krieg beteiligen. – Diese Länder laden wir ein, lax drüber hinweggegangen. Meine Fraktion hat die Bun- mit uns gemeinsam Terrorismusbekämpfung und Terro- desregierung vor einigen Monaten nach diesen Punkten rismusprävention im Mittelmeer zu betreiben. Liebe Kol- „Terrorismus“ und „Waffenschmuggel“ in Bezug auf Sea leginnen und Kollegen, das kann nicht Sinn deutscher Guardian gefragt. Wenn man fragt, wie viele terrorismus- Politik sein. verdächtige Personen festgesetzt worden sind, dann ist die Antwort: Keine. Wenn man fragt, wie viele terroristi- (Beifall bei der LINKEN) sche Vorfälle es gegeben hat, dann ist die Antwort: Kei- ne. Wenn man fragt, wie viele Personen mit Verdacht auf Letzte Bemerkung – auch das hat hier eine Rolle ge- Waffenschmuggel festgesetzt worden sind, dann ist die spielt –: Wenn wir ein humanitäres und auch ein sicher- Antwort: Keine. heitspolitisches Problem im Mittelmeer haben, dann ist es die Flüchtlingskatastrophe, die sich dort abspielt. Und (Zustimmung des Abg. Ulrich Lechte [FDP]) wenn man die Bundesregierung fragt, an wie vielen See- 10572 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Matthias Höhn (A) notrettungsaktionen Sea Guardian beteiligt war, dann ist vor allem wenn man sich ansieht, was den Menschen (C) die Antwort: Null. droht, wenn sie in Lager nach Libyen zurückgebracht werden, die im Übrigen teilweise von der gleichen Küs- (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das ist auch tenwache betrieben werden, die die EU nun auszubilden nicht deren Aufgabe!) versucht. Sie alle kennen die Bilder von menschenun- Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Man- würdigen Gefängnissen und Sklavenauktionen, die Ge- dat braucht niemand. Da Sie hier ja zu Recht sehr oft von schichten von Erpressung und Misshandlung. den Soldatinnen und Soldaten sprechen, die wir in diese Einsätze schicken: Ich finde, es braucht eine stichhalti- Es wäre doch eine Erleichterung, wenn wir das Gefühl gere Begründung als eine solche, um unsere Soldaten in hätten, dieses Mandat wäre nur überflüssig. Das ist aber Einsätze zu schicken. nicht so. Es ist und bleibt ein gefährliches Mandat; denn es beinhaltet die Möglichkeit, dass die Bundeswehr sich Herzlichen Dank. ohne weitere Konsultationen am Kapazitätsaufbau und (Beifall bei der LINKEN) am Informationsaustausch mit allen Mittelmeeranrainern beteiligt – mit allen! Schauen wir uns mal ein paar Bei- spiele an. Das Beispiel Libyen habe ich gerade genannt. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Schauen wir uns mal das Beispiel Ägypten an: Die an- Kollege Omid Nouripour das Wort. geschobene Verfassungsänderung wird die Demokratie in diesem Land, eine Demokratie, die ohnehin seit eini- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen Jahren nur noch auf dem Papier besteht, endgültig zerstören. Ein Land im Übrigen, von dem ranghohe Offi- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zielle in diesen Tagen proklamiert haben, die Menschen- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der rechte würden nicht universell gelten. Wer trägt diese Parlamentsvorbehalt ist eine sehr ernste Sache. Er dient Entwicklung in Ägypten? Es ist das Militär, das den Si- dazu, die Entsendung von Militär in Konflikte oder po- cherheitssektor, die Wirtschaft und nun demnächst auch tenziell gefährliche Regionen durch gewählte Volksver- mit Brief und Siegel den gesamten Staat kontrolliert. Und treterinnen und Volksvertreter zu legitimieren. Sie wollen von uns einen Blankoscheck, damit Sie mit diesem Militär so zusammenarbeiten können, dass Sie es (Ulrich Lechte [FDP]: Das sind wir ja hof- ertüchtigen und mit ihm Kapazitätsaufbau betreiben? Sie fentlich alle!) wollen, dass wir Ihnen einen Blankoscheck dafür geben, Er schafft damit auch eine Verantwortung dieses Hauses dass Sie Informationen zu Terrorismus mit einem Staat (B) für diejenigen Soldatinnen und Soldaten, die wir entsen- austauschen, in dem es mittlerweile gang und gäbe ist, (D) den, und er schafft eine Verantwortung für die politischen dass zivilgesellschaftliche Akteure einfach als Terroris- Kontexte, in denen sie handeln. Doch diese Verantwor- ten annonciert und ins Gefängnis gesteckt werden? tung können wir nur übernehmen, wenn wir wissen, wo- Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Es gibt einen Musiker, für. Eine Aussage dazu findet sich in diesem Mandatstext er heißt Rami Sidky – er ist im Übrigen frischgebacke- leider mitnichten konkret wieder. ner Vater eines Kindes mit deutschem Pass –, der wegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eines Liedes, mit dem er gar nichts zu tun hat, verhaftet wurde und nun der Mitgliedschaft in einer terroristischen Die Bundesregierung fordert von uns nun also zum Vereinigung angeklagt wird. Sie wollen, dass wir jetzt vierten Mal einen Blankoscheck. Wir werden das vierte zustimmen, dass Sie mit einem solchen Land Informa- Mal einen solchen Blankoscheck nicht ausstellen. tionsaustausch über Terrorismus bei einem so ausgelei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erten und missbrauchten Terrorismusbegriff betreiben? Das werden wir nicht tun. Die Frage nach dem Sinn dieses Mandates ist bereits in der ersten Lesung und auch in den Ausschussberatungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ausführlich diskutiert worden. Der Kollege Lindner hat diese Frage für meine Fraktion in der ersten Lesung auch Ich könnte weitere Beispiele nennen. In Algerien ge- konkret gestellt. Der sinnvolle Kern dieser Mission könn- hen Millionen Menschen auf die Straße, um gegen die te ja auch durch NATO-Routine übernommen werden. autokratische Gerontokratie dort zu protestieren. Sie wollen von uns, dass wir Ihnen einen Blankoscheck für Der seerechtliche Kern aller Missionen im Mittelmeer- eine militärische Kooperation mit dieser Diktatur geben? raum – das betrifft sowohl Sophia als auch Sea Guardi- Das ist ein falscher Weg. Diesen falschen Weg werden an –, nämlich die Rettung der zahllosen Schiffbrüchigen Sie allein gehen müssen. im Mittelmeer, wird zurzeit durch die Regierung in Rom torpediert. Wenn Boote voller Menschen, die knapp dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tod entronnen sind, in Europa nicht nur keinen Hafen sowie des Abg. Matthias Höhn [DIE LINKE]) finden, sondern diejenigen, die sie retten, und zwar ge- mäß dem internationalen Seerecht retten, nun auch straf- Vizepräsidentin Petra Pau: rechtlich verfolgt werden, dann ist das schlicht eine poli- tische und moralische Bankrotterklärung, Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10573

(A) Markus Koob (CDU/CSU): – Ja, darüber kann man ja streiten. Das Mandat ist breit (C) gefasst. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Wir haben jetzt schon (Ulrich Lechte [FDP]: Es geht auch kaum mehrfach über den Sinn und Zweck dieses NATO-Man- noch breiter!) dates gesprochen, das zum Ziel hat, ein aktuelles Lage- bild im Mittelmeerraum zu erstellen und dort mit Schif- Aber wenn du sagst, wir würden zum vierten Mal einen fen und Flugzeugen für die entsprechende Aufklärung zu Blankoscheck einfordern, frage ich: Ist denn bei den drei sorgen, die wir brauchen, um die sicherheitspolitischen Malen vorher unter dem Mandat dieser Missionen etwas Herausforderungen angehen zu können. Deutschland passiert, das euch nicht passt? Ich sage aus meiner Sicht, könnte sich an dieser Mission mit maximal 650 Soldatin- aus der Sicht von CDU und CSU: Wir haben das Vertrau- nen und Soldaten beteiligen. Aktuell sind es 205 Solda- en in die Bundesregierung und in die Bundeswehr, tinnen und Soldaten. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Notwendigkeit, warum wir Soldatinnen und Sol- NEN]: Wir nicht!) daten dort hinschicken, ist von den Rednerinnen und Rednern der Koalitionsfraktionen hier ausdrücklich er- dass wir auch bei einem breit gefassten Auftrag ein sinn- wähnt worden. Deshalb möchte ich nicht noch einmal im volles Mandat haben werden. Deshalb werden wir die- Detail darauf eingehen. sem Mandat weiterhin zustimmen.

(Zuruf des Abg. Jan Ralf Nolte [AfD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Zu Ihnen komme ich noch, keine Angst. – Für uns ist aber klar: Die Mission Sea Guardian trägt zur Stabilisie- Vizepräsidentin Petra Pau: rung der Region bei, indem der Mittelmeerraum über- Kollege Koob, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- wacht und für Aufklärung gesorgt wird. So können auch kung des Abgeordneten Stefan Liebich? in Zukunft – natürlich nach Zustimmung des Flaggen- staates und unter Beachtung des Völkerrechts – zum Bei- spiel Schiffe kontrolliert und aufgebracht werden. Markus Koob (CDU/CSU):

Darüber hinaus unterstützt die Mission auch andere Nein, danke. – Auch kann ich das Argument, das vom Missionen in der Region, auch wenn die Zukunft der Kollegen Lindner bei der ersten Beratung vorgebracht worden ist, dass nämlich die Mission deshalb überflüs- (B) Mission Sophia im Moment noch etwas in den Sternen (D) steht, und dient außerdem als Ansprechpartner für nicht- sig wäre, weil die Schiffe ja ohnehin dort seien, nicht staatliche Akteure und Organisationen. Gerade weil das ganz nachvollziehen. Die Frage ist natürlich: Müssen wir Mittelmeer in Zeiten der Globalisierung eher auf die ge- denn, wenn es darum geht, Verlässlichkeit gegenüber der fühlte Größe eines Binnensees schrumpft, geht uns und NATO zu demonstrieren, bei solch einfachen Missionen die EU die Sicherheit dort etwas an. zusätzliche Aufwendungen vorsehen? Ja, die Schiffe sind sowieso da, aber das ist doch ein Argument für dieses Ich komme jetzt zu den Kritikpunkten der Opposition, Mandat. die ich nicht überzeugend finde. Da hören wir zum ei- nen von den Linken: Die Mission ist deshalb abzulehnen, (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weil es keine Seenotrettung gibt. – Dann hören wir von NEN]: Aber nicht für einen Blankoscheck!) der AfD: Sie ist abzulehnen, weil es viel zu viel Seenot- Wir können sagen: Wir haben NATO-Verpflichtungen, rettung gibt. – Unabhängig davon, wie man zum Thema denen wir nachkommen müssen, und haben dafür kei- Seenotrettung steht, ist Seenotrettung nicht Aufgabe des ne zusätzlichen Aufwendungen. Vielmehr können wir Mandates von Sea Guardian. Da müssten wir eher über auf diese Art und Weise mit den Schiffen, die ohnehin Sophia oder andere Missionen sprechen. dort sind, auch unseren NATO-Verpflichtungen nach- (Ulrich Lechte [FDP]: Sehr, sehr richtig!) kommen. Deshalb werden wir als Union diesem Mandat erneut zustimmen. Aber die Frage der Seenotrettung bei Sea Guardian zu diskutieren, ist überflüssig. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal den Sol- datinnen und Soldaten danken, die auf diesen Schiffen (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder ihren nicht immer leichten Dienst leisten. Wir werden [SPD]) dafür sorgen, dass die Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten in diesem Einsatz und auch in allen anderen Ich kann auch die Kritik der Grünen nicht teilen. Bundeswehreinsätzen, die es im Moment gibt, weiter- Omid, ich schätze dich sehr, aber die Aussage, wir wür- hin gewährleistet ist. Deshalb muss ich auch für meine den hier zum vierten Mal einen Blankoscheck von euch Fraktion, für meine AG sagen, dass wir über das The- einfordern, ist falsch. ma „langfristige Finanzplanung im Bereich der Bundes- wehr“ noch einmal sehr intensiv reden müssen. Wenn wir (Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜND- das Wort „Parlamentsarmee“ ernst nehmen, sind wir es NIS 90/DIE GRÜNEN]) als Parlamentarier den Soldatinnen und Soldaten schul- 10574 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Markus Koob (A) dig, für eine ausreichende Ausstattung zu sorgen. Dafür Marine in diese Region zu entsenden? Ich würde sagen: (C) werden wir kämpfen. Natürlich hoffen wir, dass es nie zu einem solchen Fall kommt. Das entbindet uns aber nicht von unserer Ver- Vielen Dank. antwortung, derlei Szenarien frühzeitig zu durchdenken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ordneten der SPD) Schließlich müssen wir sicherstellen, dass unsere Marine Vizepräsidentin Petra Pau: auf denkbare Szenarien gut vorbereitet ist: materiell, per- Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Siemtje sonell und operationell. Möller das Wort. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Global wird der Fokus auf den maritimen Raum und maritime Rechte also weiter zunehmen. Maritime Sicher- Siemtje Möller (SPD): heit wird daher eine der entscheidenden Fragen der Si- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! cherheitspolitik des 21. Jahrhunderts. Wie wir sie beant- Wenn wir uns im Deutschen Bundestag mit Fragen ma- worten, wird wesentlich darüber entscheiden, wie es um ritimer Sicherheit befassen, dann legen wir den Fokus den Wohlstand und die Sicherheit unseres Landes bestellt oftmals bewusst auf einzelne Bereiche. Beispielsweise sein wird. beschäftigen wir uns mit der Einsatzfähigkeit bestimm- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ter Waffensysteme oder auch den Neuanschaffungen, die für die Marine notwendig oder erforderlich sein könn- Und die Bundesrepublik? Zwar wachsen die deut- ten, oder wir befassen uns ausführlich mit den einzelnen schen Seestreitkräfte erstmals seit 25 Jahren wieder, aber Mandaten und den konkreten Beiträgen, die die Bundes- die Marine ist immer noch die kleinste in ihrer 170-jäh- wehr hier im Kreise unserer Verbündeten leistet – Man- rigen Geschichte. Dennoch erfüllen wir im Rahmen von date wie Sea Guardian, das heute zur Abstimmung steht. NATO, Europäischer Union und den Vereinten Nationen seit vielen Jahren unsere Mandate und unsere Bündnis- Verstehen Sie mich nicht falsch: Der Blick auf die verpflichtungen und sorgen gemeinsam mit unseren Part- Einzelfragen maritimer Sicherheit ist äußerst wichtig für nern für Sicherheit. Die NATO-Operation Sea Guardian die Bewältigung der Sicherheitsherausforderungen und ist hier ein wichtiges Beispiel für die gelebte Kooperati- daher auch aus gutem Grund wesentlicher Bestandteil on. Und Deutschland leistet mit der Bundeswehr einen unserer parlamentarischen Arbeit. Was wir aber aus mei- wertvollen Beitrag: ner Sicht nicht machen dürfen, ist, vor lauter Fokussie- (B) rung auf das Detail das große Ganze aus den Augen zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) verlieren; denn Sea Guardian steht als maritime Sicher- bei der Seeraumüberwachung, beim Vorgehen gegen Ter- heitsoperation im Mittelmeer natürlich in einem Gesamt- rorismus und Menschenschmuggel, bei der Umsetzung zusammenhang. des Waffenembargos von und nach Libyen. Diesen Bei- Generell gilt: Die Meere sind für uns als Exportnation trag wollen wir fortsetzen und das Mandat für Sea Guar- von enormer Bedeutung. Wir sind angewiesen auf sichere dian als Baustein in der maritimen Sicherheitsstruktur Handelsrouten, auf Stabilität, und das natürlich nicht nur heute verlängern. in unserem unmittelbaren Umfeld wie Nord- und Ostsee, Vielen Dank. sondern weit darüber hinaus, vom Mittelmeer bis zum in- dopazifischen Raum. Beim globalen Blick auf die Meere (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stellen wir fest: Bereits heute sind viele Regionen unsi- der CDU/CSU) cher oder von Instabilität bedroht. Hinzu kommt, dass Räume wie die Arktis oder das Südchinesische Meer an Vizepräsidentin Petra Pau: strategischer Bedeutung gewinnen. Eine Konsequenz da- Das Wort hat der Kollege Alois Karl für die CDU/ raus ist, dass sich immer mehr Schiffe unterschiedlicher CSU-Fraktion. Marinen in diesen Regionen tummeln. Besonders deut- lich wird diese gewachsene Machtprojektion mit Blick (Beifall bei der CDU/CSU) auf China. So lässt die Volksrepublik künstliche Inseln im Südchinesischen Meer aufschütten, baut Stützpunkte Alois Karl (CDU/CSU): systematisch aus und zeigt ernstes Interesse für den Kauf Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und von Inseln vor Grönland und Indonesien. Gleichzeitig Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen vergrößert China seine Flotte mit großem Tempo. uns heute zum wiederholten Male mit den Mandaten der Man muss sich das auch deshalb sehr genau vor Au- Bundeswehr. Unsere Bundeswehr ist weltweit in 17 Ein- gen führen, weil einige unserer NATO-Partner im Süd- sätzen unterwegs. Mit mehr als 3 000 Soldaten sichern chinesischen Meer und der Arktis präsent sind. Und da wir in den verschiedenen Erdteilen den Frieden oder leis- Konflikte und Auseinandersetzungen in derart sensiblen ten humanitäre Hilfe. Unsere Soldaten sind in Afghanis- Regionen leider durchaus denkbar sind, könnte eine sol- tan und Syrien im militärischen Einsatz und beteiligen che Entwicklung dann eben auch für uns Konsequenzen sich an der Auf- und Ausrüstung der Polizei im Irak. Im haben, bis hin zu einem NATO-Bündnisfall. Wir müssen Südsudan leisten unsere Bundeswehrsoldaten ebenfalls uns an dieser Stelle fragen: Wären wir dann bereit, unsere überlebenswichtige Hilfe. Im Kosovo sorgen sie für die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10575

Alois Karl (A) Trennung der verfeindeten Stämme. Der Schutz der See- terreich, meine Damen und Herren. Das hat mich etwas (C) wege, insbesondere am Horn von Afrika im Rahmen der verwundert. Österreich ist, wie Sie sicher wissen, ein Operation Atalanta ist eine weitere Facette. Binnenstaat. Sea Guardian, meine Damen und Herren, passt eigent- (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE lich nicht zu dieser Kategorisierung. Weder besteht eine GRÜNEN]: Echt? – Omid Nouripour [BÜND- aktuelle Bedrohungslage, noch leisten wir dort humani- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern auch!) täre Hilfe. Die seit 2001 bestehende Operation Active Endeavour ist durch Sea Guardian abgelöst worden. Es Österreich hatte zwei Kriegsschiffe. Das waren Patrouil- geht um den Schutz der Seewege im Mittelmeer, um die lenboote auf der Donau. Unterbindung von Terror. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Meine sehr geehrten Damen und Herren, die reinen NEN]: Wie viele Schiffe hat Bayern?) Erfolgszahlen sind gering; das hat der Kollege der Lin- – Frau Künast. – 2006 sind sie verschrottet worden. ken heute ausgeführt. Aber das wissen auch wir. Die Fra- Trotzdem wollen die Österreicher mit Sea Guardian zu- ge ist doch: Wie wollen wir das Wort „Erfolg“ in diesem sammenarbeiten. Zusammenhang definieren? Was ist die Aufgabenstel- lung? Das ist doch die Frage. Wenn wir keine Terroristen Vizepräsidentin Petra Pau: gefangen haben, keine Waffenfunde aufgedeckt worden sind, dann heißt das nicht, dass Sea Guardian bisher kei- Kollege Karl, ich fürchte, das können wir jetzt nicht nen Erfolg hatte. mehr zu Ende bringen.

(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Alois Karl (CDU/CSU): Erfolg bedeutet doch auch, dass wir Schmuggler, dass Wir raus aus Sea Guardian und Österreich rein, mei- wir Terroristen abgehalten haben. ne Damen und Herren! Das wäre doch ein Treppenwitz. Aus diesem Grunde stimmen wir der Fortsetzung dieser (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Operation zu. Lassen Sie mich ein Beispiel aus meiner Heimat an- Herzlichen Dank. führen: Ein Dorf hat seit 20 Jahren keinen Großbrand er- lebt. „Gott sei Dank“, sagen die Leute, „Glück gehabt!“ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Aber wegen dieser Tatsache, dass es dort in 20 Jahren ordneten der SPD und der FDP) nicht gebrannt hat, kommt in diesem Dorf niemand auf (B) den Gedanken, die Feuerwehr abzuschaffen. Niemand Vizepräsidentin Petra Pau: (D) kommt auf den Gedanken, der Feuerwehr Erfolglosigkeit Ich schließe die Aussprache und bitte um Ihre Auf- oder gar Nutzlosigkeit zu attestieren. Das Gegenteil ist merksamkeit für die Bekanntgabe von Wahl- und Ab- der Fall. stimmungsergebnissen, zunächst die von den Schriftfüh- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rerinnen und Schriftführern ermittelten Wahlergebnisse. Wir sagen das so: To hope the best, but to prepare the Wir kommen zum Protokoll über die Wahl eines Mit- worst – wir hoffen auf das Beste, rüsten uns aber für den glieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a der Bun- schlechten Fall. So ist das auch in dieser Situation. deshaushaltsordnung – Mitgliederzahl des Bundestages bekanntlich 709 Abgeordnete –: abgegebene Stimmzet- Meine Damen und Herren, einmal andersherum ge- tel 673, ungültige Stimmzettel 3. Mit Ja haben gestimmt sagt: Gerade weil wir mit Sea Guardian im Mittelmeer 239 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 394 Abge- aktiv sind, sehen wir dort keinen Waffenschmuggel und ordnete, 37 Abgeordnete haben sich enthalten. Der Ab- finden keine Piraten. So, meine Damen und Herren, liebe geordnete Marcus Bühl hat die erforderliche Mehrheit Kollegen insbesondere von den Linken, wird ein Schuh von mindestens 355 Stimmen nicht erreicht. Er ist als daraus. Sie drücken das allerdings nicht positiv aus, son- Mitglied des Vertrauensgremiums gemäß § 10a der Bun- dern, wie man das gewohnt ist, nur negativ. Wir bevorzu- deshaushaltsordnung nicht gewählt.1) gen die positive Betrachtungsweise. Wir kommen zu den Ergebnissen über die Wahl von Sea Guardian leistet Seeraumüberwachung, erstellt zwei Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundes- Lagebilder und sichert den maritimen Schiffsverkehr. schuldenwesengesetzes, Bundesfinanzierungsgremium: Wir wissen doch alle, dass das Mittelmeer eine der befah- abgegebene Stimmzettel 668. Für den Abgeordneten rensten Seerouten ist. Deutschland ist eine Exportnation. Albrecht Glaser haben 173 Abgeordnete gestimmt, mit Ein Viertel der gesamten Öltransporte der Welt geht über Nein stimmten 436 Abgeordnete, 52 Kolleginnen und das Mittelmeer, und ein Drittel aller auf dem Seeweg Kollegen haben sich enthalten, 7 Stimmen waren un- transportierten Güter geht auch über das Mittelmeer. gültig. Auf den Abgeordneten Volker Münz entfielen Meine sehr geehrten Damen und Herren, für uns ist es 248 Jastimmen, mit Nein stimmten 379 Abgeordnete, 35 überlebenswichtig, dass wir mit der Operation Sea Guar- enthielten sich. Hier waren 6 Stimmen ungültig. Mit der dian dazu beitragen, dass dort Terroristen und Schmugg- erforderlichen Mehrheit von 355 Stimmen ist also keiner ler keine Chancen haben. Andere sind interessierter. Ob der beiden Abgeordneten gewählt. Albrecht Glaser und es jetzt Australien, Georgien oder auch Jordanien sind: Sie alle suchen den Kontakt zu Sea Guardian. Sogar Ös- 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 2 10576 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Volker Münz haben die erforderliche Mehrheit nicht er- vertretendes Mitglied des Sondergremiums gemäß § 3 (C) reicht.1) Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes nicht gewählt.3) Wir kommen zu dem Ergebnis der Wahl eines Mit- glieds des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabi- Das waren die Ergebnisse der Wahlen am heutigen lisierungsmechanismusgesetzes: abgegebene Stimmzet­ tel Nachmittag. 672, ungültig war keine Stimme. Mit Ja haben 243 Abge- ordnete gestimmt, mit Nein stimmten 395 Abgeordnete, Ich komme nun zu den von den Schriftführerinnen enthalten haben sich 34 Abgeordnete. Der Abgeordnete und Schriftführern ermittelten Ergebnissen der voran- Peter Boehringer hat die erforderliche Mehrheit von min- gegangenen namentlichen Abstimmungen. destens 355 Stimmen nicht erreicht. Er ist als Mitglied des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie- Zuerst die Abstimmung über die Beschlussempfeh- 2) rungsmechanismusgesetzes nicht gewählt. lung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Wir kommen zum Ergebnis der Wahl eines stellver- Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaff- tretenden Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 neter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes: ab- Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Un- gegebene Stimmzettel 670, ungültig war 1 Stimmzettel. terstützung der afghanischen nationalen Verteidigungs- Mit Ja stimmten 231 Abgeordnete, mit Nein 403 Abge- und Sicherheitskräfte in Afghanistan“ – das waren die ordnete, 35 enthielten sich. Die Abgeordnete Dr. Birgit Drucksachen 19/7726 und 19/8424 –: abgegebene Stim- Malsack-Winkemann hat die erforderliche Mehrheit von men 670. Mit Ja stimmten 440 Abgeordnete, mit Nein mindestens 355 Stimmen nicht erreicht. Sie ist als stell- 202 Abgeordnete, 28 enthielten sich. Die Beschlussemp- fehlung ist angenommen. 1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3 2) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 4 3) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 4

Endgültiges Ergebnis Sebastian Brehm Manfred Grund Roderich Kiesewetter Abgegebene Stimmen: 668; Michael Kießling Dr. davon Ralph Brinkhaus Monika Grütters Dr. Fritz Güntzler ja: 438 nein: 202 (B) (D) enthalten: 28 Alexander Dobrindt Jürgen Hardt Markus Koob Carsten Körber Ja Marie-Luise Dött Alexander Krauß Dr. Gunther Krichbaum CDU/CSU Hansjörg Durz Thomas Erndl Dr. Günter Krings Dr. Hermann Färber Rüdiger Kruse (Chemnitz) Michael Kuffer Norbert Maria Altenkamp Mark Helfrich Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Axel E. Fischer (Karlsruhe- Andreas G. Lämmel Land) Artur Auernhammer Dr. Ulrich Lange Dr. Thomas Bareiß Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Maik Beermann (Hof) (Börde) Michael Frieser Alexander Hoffmann Dr. Hans-Joachim Fuchtel Dr. Dr. André Berghegger Ingo Gädechens Dr. Dr. Dr. Hans-Jürgen Irmer Christoph Bernstiel Andreas Jung Dr. Ingmar Jung Ursula Groden-Kranich Alois Karl Nikolas Löbel Peter Bleser Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Torbjörn Kartes Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Reinhard Brandl Michael Grosse-Brömer Volker Kauder Michael Brand (Fulda) Astrid Grotelüschen Dr. Stefan Kaufmann Markus Grübel Ronja Kemmer Dr. Thomas de Maizière Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10577

(A) Gisela Manderla Elisabeth Winkelmeier- (C) Dr. (Weil am Becker Matern von Marschall Rhein) Hans-Georg von der Marwitz Torsten Schweiger Emmi Zeulner Dr. Bärbel Kofler Detlef Seif Paul Ziemiak (Altötting) Dr. Matthias Zimmer Dr. Christian Lange (Backnang) Dr. SPD Dr. Dr. h. c. Hans Michelbach Niels Annen Dr. Björn Simon Ingrid Arndt-Brauer Burkhard Lischka Dietrich Monstadt Kirsten Lühmann Karsten Möring Heiko Maas Dr. Katja Mast Dr. Gerd Müller Dr. Wolfgang Stefinger Sören Bartol Christoph Matschie Axel Müller (Heidelberg) Dr. Sepp Müller Carsten Müller Dr. Karl-Heinz Brunner (Braunschweig) Falko Mohrs Stefan Müller (Erlangen) (Rostock) Martin Burkert Dr. Andreas Nick Christian Frhr. von Stetten Dr. Siemtje Möller Petra Nicolaisen Bernhard Daldrup Bettina Müller Dr. Daniela De Ridder Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Georg Nüßlein Stephan Stracke Dr. Michelle Müntefering Max Straubinger Dr. Rolf Mützenich Florian Oßner Andrea Nahles Michael Stübgen Dr. Dr. Saskia Esken Ulli Nissen Dr. Hermann-Josef Tebroke Thomas Oppermann (B) Yasmin Fahimi (D) Martin Patzelt Hans-Jürgen Thies Dr. Johannes Fechner Dr. Dr. Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. Aydan Özoğuz Dr. Christoph Ploß Christian Petry Sigmar Gabriel Dr. Volker Ullrich Alexander Radwan Oswin Veith Angelika Glöckner (Minden) Alois Rainer Dr. (Kleinsaara) Dr. Sascha Raabe Michael Groß Martin Rabanus Uli Grötsch Andreas Rimkus Dr. Johann David Wadephul Sönke Rix Johannes Röring Rita Hagl-Kehl Dr. Norbert Röttgen Metin Hakverdi Dr. Martin Rosemann René Röspel Erwin Rüddel Albert H. Weiler Dr. Marcus Weinberg (Hamburg) Hubertus Heil (Peine) Susann Rüthrich Dr. Bernd Rützel Anita Schäfer (Saalstadt) Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Wolfgang Schäuble Sabine Weiss (Wesel I) Johann Saathoff Axel Schäfer (Bochum) Jana Schimke Marian Wendt Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Dr. Annette Widmann-Mauz Patrick Schnieder Bettina Margarethe Dr. Wiesmann Johannes Kahrs Dr. Klaus-Peter Schulze Klaus-Peter Willsch Elisabeth Kaiser (Aachen) 10578 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Alexander Graf Lambsdorff AfD Andreas Mrosek (C) Carsten Schneider (Erfurt) Ulrich Lechte Dr. Bernd Baumann Hansjörg Müller Christian Lindner Marc Bernhard Volker Münz Dr. Manja Schüle Andreas Bleck Sebastian Münzenmaier (Heilbronn) Peter Boehringer Martin Schulz Stephan Brandner Jan Ralf Nolte Till Mansmann Marcus Bühl Dr. Jürgen Martens Matthias Büttner Tobias Matthias Peterka Petr Bystron Paul Viktor Podolay Hagen Reinhold Rita Schwarzelühr-Sutter Jürgen Pohl Dr. h. c. Rainer Spiering Matthias Seestern-Pauly Svenja Stadler Dr. Martin Reichardt Frank Sitta Martina Stamm-Fibich Martin Erwin Renner Sonja Amalie Steffen Roman Johannes Reusch Dr. Berengar Elsner von Gronow Ulrike Schielke-Ziesing Dr. Marie-Agnes Strack- Kerstin Tack Dr. Dr. Zimmermann Claudia Tausend Jörg Schneider Benjamin Strasser Dietmar Friedhoff Katja Suding Markus Töns Dr. Thomas Seitz Carsten Träger Markus Frohnmaier Michael Theurer Dr. Götz Frömming Stephan Thomae Marja-Liisa Völlers Dr. Alexander Gauland Dr. Dr. Florian Toncar Dirk Vöpel Dr. René Springer Dr. Gabi Weber Franziska Gminder Beatrix von Storch Wilhelm von Gottberg Dr. Alice Weidel Kay Gottschalk Dr. BÜNDNIS 90/ Gülistan Yüksel Armin-Paulus Hampel DIE GRÜNEN Dagmar Ziegler Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Dr. Jens Zimmermann Kerstin Andreae Dr. Christian Wirth (B) Dr. Roland Hartwig (D) Dr. FDP Dr. Franziska Brantner Grigorios Aggelidis Dr. Anna Christmann Udo Theodor Hemmelgarn FDP Anja Hajduk Christine Aschenberg- Dr. Dugnus Dr. Bettina Hoffmann (Rhein-Neckar) Jens Beeck Ottmar von Holtz Dr. Christian Jung Dr. Marco Buschmann Dieter Janecek Dr. Tobias Lindner Nicole Höchst Alexander Müller Carl-Julius Cronenberg Omid Nouripour Roman Müller-Böhm Britta Katharina Dassler Friedrich Ostendorff Dr. Bernd Reuther Christian Dürr Cem Özdemir Leif-Erik Holm Christian Sauter Dr. Tabea Rößner Johannes Huber Frank Schäffler Daniel Föst Dr. Manuela Rottmann Fabian Jacobi Dr. Wieland Schinnenburg Manuel Sarrazin Katrin Helling-Plahr Dr. Bettina Stark-Watzinger Stefan Schmidt Dr. Gero Clemens Hocker Jens Kestner Nicole Westig Dr. Christoph Hoffmann Kordula Schulz-Asche Stefan Keuter Markus Tressel Norbert Kleinwächter DIE LINKE Daniela Wagner Doris Achelwilm Olaf In der Beek Jörn König Gökay Akbulut Gyde Jensen Steffen Kotré Simone Barrientos Thomas L. Kemmerich Nein Dr. Rainer Kraft Dr. Rüdiger Lucassen SPD Dr. Marcel Klinge Lorenz Gösta Beutin Dr. Lothar Maier Matthias W. Birkwald Pascal Kober Gabriele Hiller-Ohm Dr. Lukas Köhler Cansel Kiziltepe Dr. Birgit Malsack- Michel Brandt Winkemann Christine Buchholz Michael Schrodi Corinna Miazga Birke Bull-Bischoff Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10579

(A) Jörg Cezanne Sören Pellmann Uwe Kekeritz FDP (C) Sevim Dağdelen Katja Keul Renata Alt Tobias Pflüger Sven-Christian Kindler Dr. Maria Klein-Schmeink Anke Domscheit-Berg Sylvia Kotting-Uhl (Südpfalz) Eva-Maria Schreiber Christian Kühn (Tübingen) Bijan Djir-Sarai Susanne Ferschl Dr. Petra Sitte Helin Evrim Sommer Hartmut Ebbing Sven Lehmann Markus Herbrand Steffi Lemke Friedrich Straetmanns Torsten Herbst Nicole Gohlke Dr. Irene Mihalic Dr. Kirsten Tackmann Katja Hessel Dr. Claudia Müller Dr. André Hahn Beate Müller-Gemmeke Manuel Höferlin Heike Hänsel Lisa Paus Carina Konrad Matthias Höhn Filiz Polat Frank Müller-Rosentritt Dr. Sahra Wagenknecht Claudia Roth (Augsburg) Dr. Andreas Wagner Corinna Rüffer (Lausitz) Kerstin Kassner Dr. Stefan Ruppert Dr. Dr. Frithjof Schmidt Katharina Willkomm Katja Kipping Dr. Wolfgang Strengmann- Sabine Zimmermann Kuhn BÜNDNIS 90/ (Zwickau) Margit Stumpp DIE GRÜNEN Jürgen Trittin Ralph Lenkert Annalena Baerbock BÜNDNIS 90/ Dr. DIE GRÜNEN Stefan Liebich Ekin Deligöz Fraktionslos Dr. Gesine Lötzsch Harald Ebner Marco Bülow Canan Bayram Uwe Kamann (B) Cornelia Möhring Agnieszka Brugger (D) Britta Haßelmann Niema Movassat Katja Dörner Norbert Müller (Potsdam) Katharina Dröge Enthalten Zaklin Nastic Renate Künast Dr. Alexander S. Neu SPD Markus Kurth Dr. Anton Hofreiter Elvan Korkmaz Petra Pau Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Spandau) Dr. Konstantin von Notz Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Wir kommen zum Ergebnis über die Abstimmung über schen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte den Entschließungsantrag der Abgeordneten Alexander in Afghanistan“ – das betraf die Drucksachen 19/7726, Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Alt und 19/8424 und 19/8609 –: abgegebene Stimmen 634. Mit weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu der Ja haben 76 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 496, es Beratung des Antrags der Bundesregierung „Fortset- gab 62 Enthaltungen. Der Entschließungsantrag ist ab- zung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte gelehnt.1) am NATO-geführten Einsatz Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghani- 1) Anlagen 9 sowie 16 bis 19

Endgültiges Ergebnis Ja FDP Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar) Grigorios Aggelidis Abgegebene Stimmen: 634; CDU/CSU Renata Alt Mario Brandenburg davon (Südpfalz) Alois Karl Christine Aschenberg- ja: 75 Volker Kauder Dugnus Dr. Marco Buschmann nein: 496 Ronja Kemmer Nicole Bauer Karlheinz Busen enthalten: 63 Dietrich Monstadt Jens Beeck Carl-Julius Cronenberg 10580 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Britta Katharina Dassler Stephan Thomae Michael Frieser Ulrich Lange (C) Bijan Djir-Sarai Dr. Florian Toncar Hans-Joachim Fuchtel Dr. Silke Launert Christian Dürr Dr. Andrew Ullmann Ingo Gädechens Jens Lehmann Hartmut Ebbing Gerald Ullrich Dr. Thomas Gebhart Paul Lehrieder Dr. Marcus Faber Nicole Westig Alois Gerig Dr. Katja Leikert Daniel Föst Katharina Willkomm Eberhard Gienger Dr. Ursula von der Leyen Katrin Helling-Plahr Eckhard Gnodtke Antje Lezius Markus Herbrand Fraktionslos Ursula Groden-Kranich Andrea Lindholz Torsten Herbst Hermann Gröhe Dr. Carsten Linnemann Uwe Kamann Katja Hessel Klaus-Dieter Gröhler Patricia Lips Mario Mieruch Manuel Höferlin Michael Grosse-Brömer Nikolas Löbel Dr. Christoph Hoffmann Astrid Grotelüschen Bernhard Loos Nein Reinhard Houben Markus Grübel Dr. Jan-Marco Luczak Ulla Ihnen CDU/CSU Manfred Grund Daniela Ludwig Olaf In der Beek Monika Grütters Karin Maag Stephan Albani Gyde Jensen Fritz Güntzler Dr. Thomas de Maizière Norbert Maria Altenkamp Dr. Christian Jung Olav Gutting Gisela Manderla Peter Altmaier Thomas L. Kemmerich Christian Haase Dr. Astrid Mannes Philipp Amthor Karsten Klein Jürgen Hardt Matern von Marschall Artur Auernhammer Pascal Kober Matthias Hauer Hans-Georg von der Marwitz Peter Aumer Dr. Lukas Köhler Mark Hauptmann Andreas Mattfeldt Thomas Bareiß Carina Konrad Dr. Matthias Heider Stephan Mayer (Altötting) Maik Beermann Wolfgang Kubicki Mechthild Heil Dr. Michael Meister Manfred Behrens (Börde) Konstantin Kuhle Thomas Heilmann Jan Metzler Veronika Bellmann Alexander Kulitz Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. h. c. Hans Michelbach Alexander Graf Lambsdorff Dr. André Berghegger Mark Helfrich Dr. Mathias Middelberg Christian Lindner Melanie Bernstein Rudolf Henke Karsten Möring Michael Georg Link Christoph Bernstiel Michael Hennrich Marlene Mortler (B) (Heilbronn) Peter Beyer Ansgar Heveling Elisabeth Motschmann (D) Oliver Luksic Marc Biadacz Dr. Heribert Hirte Dr. Gerd Müller Till Mansmann Steffen Bilger Christian Hirte Sepp Müller Dr. Jürgen Martens Peter Bleser Alexander Hoffmann Carsten Müller Christoph Meyer Norbert Brackmann Karl Holmeier (Braunschweig) Alexander Müller Dr. Reinhard Brandl Dr. Hendrik Hoppenstedt Stefan Müller (Erlangen) Roman Müller-Böhm Michael Brand (Fulda) Hans-Jürgen Irmer Dr. Andreas Nick Frank Müller-Rosentritt Silvia Breher Thomas Jarzombek Michaela Noll Dr. Martin Neumann Sebastian Brehm Andreas Jung Dr. Georg Nüßlein (Lausitz) Heike Brehmer Ingmar Jung Wilfried Oellers Hagen Reinhold Ralph Brinkhaus Anja Karliczek Josef Oster Bernd Reuther Dr. Carsten Brodesser Torbjörn Kartes Henning Otte Dr. Stefan Ruppert Gitta Connemann Dr. Stefan Kaufmann Sylvia Pantel Dr. h. c. Thomas Sattelberger Astrid Damerow Roderich Kiesewetter Martin Patzelt Christian Sauter Alexander Dobrindt Michael Kießling Dr. Joachim Pfeiffer Frank Schäffler Michael Donth Dr. Georg Kippels Stephan Pilsinger Dr. Wieland Schinnenburg Marie-Luise Dött Volkmar Klein Dr. Christoph Ploß Matthias Seestern-Pauly Hansjörg Durz Axel Knoerig Eckhard Pols Frank Sitta Thomas Erndl Jens Koeppen Thomas Rachel Judith Skudelny Hermann Färber Markus Koob Kerstin Radomski Dr. Hermann Otto Solms Uwe Feiler Carsten Körber Alexander Radwan Bettina Stark-Watzinger Enak Ferlemann Alexander Krauß Alois Rainer Dr. Marie-Agnes Strack- Axel E. Fischer (Karlsruhe- Gunther Krichbaum Dr. Peter Ramsauer Zimmermann Land) Dr. Günter Krings Lothar Riebsamen Benjamin Strasser Dr. Maria Flachsbarth Rüdiger Kruse Josef Rief Katja Suding Thorsten Frei Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Johannes Röring Linda Teuteberg Dr. Hans-Peter Friedrich Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Röttgen Michael Theurer (Hof) Katharina Landgraf Erwin Rüddel Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10581

(A) Albert Rupprecht Ingo Wellenreuther Hubertus Heil (Peine) Andreas Rimkus (C) Anita Schäfer (Saalstadt) Marian Wendt Gabriela Heinrich Sönke Rix Dr. Wolfgang Schäuble Kai Whittaker Wolfgang Hellmich Dennis Rohde Andreas Scheuer Annette Widmann-Mauz Dr. Barbara Hendricks Dr. Martin Rosemann Jana Schimke Bettina Margarethe Gustav Herzog René Röspel Tankred Schipanski Wiesmann Gabriele Hiller-Ohm Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Claudia Schmidtke Klaus-Peter Willsch Thomas Hitschler Susann Rüthrich Patrick Schnieder Elisabeth Winkelmeier- Dr. Eva Högl Bernd Rützel Felix Schreiner Becker Frank Junge Sarah Ryglewski Dr. Klaus-Peter Schulze Oliver Wittke Josip Juratovic Johann Saathoff Uwe Schummer Emmi Zeulner Thomas Jurk Axel Schäfer (Bochum) Armin Schuster (Weil am Paul Ziemiak Oliver Kaczmarek Dr. Nina Scheer Rhein) Dr. Matthias Zimmer Johannes Kahrs Marianne Schieder Torsten Schweiger Elisabeth Kaiser Udo Schiefner Detlef Seif SPD Gabriele Katzmarek Dr. Nils Schmid Johannes Selle Niels Annen Cansel Kiziltepe Uwe Schmidt Reinhold Sendker Ingrid Arndt-Brauer Arno Klare Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Patrick Sensburg Lars Klingbeil Heike Baehrens Dagmar Schmidt (Wetzlar) Thomas Silberhorn Dr. Bärbel Kofler Ulrike Bahr Carsten Schneider (Erfurt) Björn Simon Nezahat Baradari Johannes Schraps Tino Sorge Elvan Korkmaz Doris Barnett Michael Schrodi Jens Spahn Anette Kramme Dr. Matthias Bartke Dr. Manja Schüle Katrin Staffler Christine Lambrecht Sören Bartol Ursula Schulte Frank Steffel Christian Lange (Backnang) Lothar Binding (Heidelberg) Martin Schulz Dr. Wolfgang Stefinger Dr. Karl Lauterbach Leni Breymaier Swen Schulz (Spandau) Albert Stegemann Helge Lindh Dr. Karl-Heinz Brunner Frank Schwabe Andreas Steier Burkhard Lischka Katrin Budde Stefan Schwartze Sebastian Steineke Kirsten Lühmann Martin Burkert Andreas Schwarz (B) Johannes Steiniger Heiko Maas (D) Dr. Lars Castellucci Rita Schwarzelühr-Sutter Peter Stein (Rostock) Caren Marks Bernhard Daldrup Rainer Spiering Christian Frhr. von Stetten Katja Mast Dr. Daniela De Ridder Svenja Stadler Dieter Stier Christoph Matschie Dr. Karamba Diaby Martina Stamm-Fibich Gero Storjohann Hilde Mattheis Esther Dilcher Sonja Amalie Steffen Stephan Stracke Dr. Matthias Miersch Sabine Dittmar Mathias Stein Karin Strenz Klaus Mindrup Kerstin Tack Michael Stübgen Dr. Wiebke Esdar Susanne Mittag Claudia Tausend Dr. Peter Tauber Saskia Esken Falko Mohrs Michael Thews Dr. Hermann-Josef Tebroke Yasmin Fahimi Claudia Moll Markus Töns Hans-Jürgen Thies Dr. Johannes Fechner Siemtje Möller Carsten Träger Alexander Throm Dr. Fritz Felgentreu Detlef Müller (Chemnitz) Ute Vogt Dr. Dietlind Tiemann Dr. Edgar Franke Michelle Müntefering Marja-Liisa Völlers Antje Tillmann Ulrich Freese Dr. Rolf Mützenich Dirk Vöpel Markus Uhl Dagmar Freitag Andrea Nahles Gabi Weber Dr. Volker Ullrich Sigmar Gabriel Dietmar Nietan Bernd Westphal Arnold Vaatz Michael Gerdes Ulli Nissen Dirk Wiese Oswin Veith Martin Gerster Thomas Oppermann Gülistan Yüksel Kerstin Vieregge Angelika Glöckner Josephine Ortleb Dagmar Ziegler Volkmar Vogel (Kleinsaara) Timon Gremmels Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. Jens Zimmermann Christoph de Vries Kerstin Griese Aydan Özoğuz Kees de Vries Michael Groß Christian Petry AfD Dr. Johann David Wadephul Uli Grötsch Detlev Pilger Nina Warken Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Dr. Bernd Baumann Kai Wegner Rita Hagl-Kehl Florian Post Marc Bernhard Albert H. Weiler Metin Hakverdi Achim Post (Minden) Stephan Brandner Dr. Anja Weisgerber Sebastian Hartmann Florian Pronold Marcus Bühl Sabine Weiss (Wesel I) Dirk Heidenblut Martin Rabanus Matthias Büttner 10582 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Petr Bystron Jan Ralf Nolte Ralph Lenkert Harald Ebner (C) Tino Chrupalla Frank Pasemann Stefan Liebich Matthias Gastel Joana Cotar Tobias Matthias Peterka Dr. Gesine Lötzsch Kai Gehring Dr. Gottfried Curio Paul Viktor Podolay Thomas Lutze Stefan Gelbhaar Siegbert Droese Jürgen Pohl Amira Mohamed Ali Erhard Grundl Berengar Elsner von Gronow Stephan Protschka Cornelia Möhring Anja Hajduk Dr. Michael Espendiller Martin Reichardt Norbert Müller (Potsdam) Britta Haßelmann Peter Felser Martin Erwin Renner Zaklin Nastic Dr. Bettina Hoffmann Dietmar Friedhoff Roman Johannes Reusch Dr. Alexander S. Neu Dr. Anton Hofreiter Dr. Anton Friesen Ulrike Schielke-Ziesing Petra Pau Ottmar von Holtz Dr. Alexander Gauland Dr. Robby Schlund Sören Pellmann Dieter Janecek Dr. Axel Gehrke Jörg Schneider Victor Perli Dr. Kirsten Kappert-Gonther Albrecht Glaser Uwe Schulz Tobias Pflüger Uwe Kekeritz Franziska Gminder Thomas Seitz Martina Renner Katja Keul Wilhelm von Gottberg Detlev Spangenberg Bernd Riexinger Sven-Christian Kindler Kay Gottschalk Dr. Dirk Spaniel Eva-Maria Schreiber Maria Klein-Schmeink Armin-Paulus Hampel René Springer Dr. Petra Sitte Sylvia Kotting-Uhl Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Alice Weidel Helin Evrim Sommer Oliver Krischer Dr. Roland Hartwig Dr. Harald Weyel Kersten Steinke Christian Kühn (Tübingen) Jochen Haug Wolfgang Wiehle Friedrich Straetmanns Renate Künast Martin Hebner Dr. Heiko Wildberg Dr. Kirsten Tackmann Markus Kurth Udo Theodor Hemmelgarn Monika Lazar Dr. Christian Wirth Jessica Tatti Waldemar Herdt Sven Lehmann Uwe Witt Alexander Ulrich Lars Herrmann Steffi Lemke Dr. Sahra Wagenknecht Martin Hess Dr. Tobias Lindner DIE LINKE Andreas Wagner Karsten Hilse Dr. Irene Mihalic Doris Achelwilm Harald Weinberg Nicole Höchst Claudia Müller Gökay Akbulut Katrin Werner (B) Martin Hohmann Beate Müller-Gemmeke (D) Dr. Dietmar Bartsch Hubertus Zdebel Dr. Bruno Hollnagel Ingrid Nestle Lorenz Gösta Beutin Pia Zimmermann Leif-Erik Holm Dr. Konstantin von Notz Heidrun Bluhm Sabine Zimmermann Johannes Huber Omid Nouripour Michel Brandt (Zwickau) Fabian Jacobi Friedrich Ostendorff Dr. Marc Jongen Christine Buchholz Cem Özdemir Fraktionslos Jens Kestner Birke Bull-Bischoff Lisa Paus Stefan Keuter Jörg Cezanne Marco Bülow Filiz Polat Norbert Kleinwächter Sevim Dağdelen Tabea Rößner Enrico Komning Fabio De Masi Enthalten Claudia Roth (Augsburg) Jörn König Dr. Diether Dehm Dr. Manuela Rottmann BÜNDNIS 90/ Steffen Kotré Anke Domscheit-Berg Corinna Rüffer DIE GRÜNEN Dr. Rainer Kraft Klaus Ernst Manuel Sarrazin Rüdiger Lucassen Susanne Ferschl Kerstin Andreae Ulle Schauws Frank Magnitz Brigitte Freihold Lisa Badum Dr. Frithjof Schmidt Dr. Lothar Maier Nicole Gohlke Annalena Baerbock Stefan Schmidt Jens Maier Dr. André Hahn Margarete Bause Kordula Schulz-Asche Dr. Birgit Malsack- Heike Hänsel Dr. Danyal Bayaz Dr. Wolfgang Strengmann- Winkemann Matthias Höhn Canan Bayram Kuhn Corinna Miazga Ulla Jelpke Dr. Franziska Brantner Margit Stumpp Andreas Mrosek Kerstin Kassner Agnieszka Brugger Markus Tressel Hansjörg Müller Dr. Achim Kessler Dr. Anna Christmann Jürgen Trittin Volker Münz Katja Kipping Ekin Deligöz Dr. Julia Verlinden Sebastian Münzenmaier Jutta Krellmann Katja Dörner Daniela Wagner Christoph Neumann Sabine Leidig Katharina Dröge Gerhard Zickenheiner

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10583

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Das waren die Ergebnisse der vorangegangenen Wah- Nach Jahren des Bürgerkrieges sind zweieinhalb Milli- (C) len und Abstimmungen. onen Menschen zu Flüchtlingen in den Nachbarländern geworden. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist auf Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär- akute Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Ohne Unterstüt- tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zung der internationalen Gemeinschaft wird es nicht zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher möglich sein, diese Situation zu stabilisieren. Streitkräfte an der NATO-geführten Maritimen Sicher- heitsoperation Sea Guardian im Mittelmeer. Der Aus- Im September letzten Jahres hat es einen neuen An- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf lauf gegeben, ein neues Friedensabkommen, und den Drucksache 19/8426, den Antrag der Bundesregierung Versuch, die Situation zu beruhigen. Es ist tatsächlich auf Drucksache 19/7727 anzunehmen. auch gelungen, die Gewalt einzudämmen und den Weg Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na- für eine politische Lösung frei zu machen. Aber wir sind mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- weit davon entfernt, sagen zu können, dass dieser Frie- führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle densvertrag auch zum Erfolg führen wird. Mittlerweile Schriftführerinnen und Schriftführer am Platz? – Das ist gibt es rund 40 unterschiedliche bewaffnete Gruppen der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über die Beschluss- im Südsudan, die in die Auseinandersetzung verwickelt empfehlung. sind. Die Hauptkontrahenten sind im vergangenen Jahr zusammengekommen, eine Reihe anderer wichtiger be- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welches waffneter Gruppen auch. Aber es sind längst nicht alle in seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Dann bitte diesen Friedensprozess einbezogen. ich, das jetzt zu erledigen. – Dann schließe ich die Ab- stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- Was vielleicht neue Hoffnung gibt, ist, dass der neue führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis Friedensprozess unter der Federführung von zwei Nach- der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später be- barstaaten zustande gekommen ist, nämlich dem Sudan kannt gegeben.1) und Uganda, die beide in diesen Konflikt im Südsudan verwickelt sind: die einen auf der Seite der Regierung, Ich bitte darum, die erforderliche Ordnung im Saal die anderen auf der Seite der Opposition. Damit ein Er- herzustellen und sinnvollerweise dazu Platz zu nehmen. folg möglich ist, wird aber wichtig sein, dass über dieses Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Abkommen hinaus im Land ein politischer Prozess in Gang gesetzt wird, und zwar auf verschiedenen Ebenen – – Beratung der Beschlussempfehlung und des auf der regionalen und der lokalen Ebene –, um Wege Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- zum Frieden finden zu können. schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung (B) (Beifall bei der SPD) (D) Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an der Mission der Ver- Werte Kolleginnen und Kollegen, warum ist UNMISS einten Nationen in der Republik Südsudan in dieser Situation so wichtig? Ich behaupte nicht, dass (UNMISS) UNMISS alle in diese Mission gesetzten Erwartungen Drucksachen 19/7728, 19/8428 erfüllt hat. Jeder, der sich näher damit beschäftigt, weiß, dass es eine Reihe von Problemen gibt. Aber UNMISS ist – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) die einzige Kraft, die im Moment in der Lage ist, Zivil- gemäß § 96 der Geschäftsordnung personen in den sogenannten geschützten Areas zu schüt- Drucksache 19/8429 zen, in die sich Menschen vor Gewalt flüchten können. Etwa 200 000 Zivilisten werden durch diese Mission Über die Beschlussempfehlung werden wir später geschützt. Gleichzeitig sorgt die Mission dafür, dass in namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen anderen Teilen überhaupt humanitäre Hilfe möglich ist, Vereinbarung sind für die Aussprache 27 Minuten vor- und das in einer Situation – ich wiederhole das –, in der gesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be- mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf Nahrungsmittel- schlossen. hilfe angewiesen ist. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Es ist also dringend notwendig, diese Mission fortzu- Christoph Matschie für die SPD-Fraktion. setzen, auch wenn sie im Moment nur die Folgen einer (Beifall bei der SPD) Auseinandersetzung lindern und nicht die Auseinander- setzung selbst lösen kann. Deshalb ist es notwendig, dass es einen umfassenden Ansatz gibt. Auch das will ich hier Christoph Matschie (SPD): erwähnen: Die Bundesrepublik ist nicht nur bei UNMISS Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! engagiert – dort sind wir nur mit wenigen Personen aktiv, Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren um die Mission zu unterstützen –, sondern die Bundesre- heute über die Fortführung der Beteiligung der Bundes- publik ist vor allem auch in der humanitären Hilfe und in wehr an einem Peacekeeping-Mandat der Vereinten Na- der Entwicklungszusammenarbeit engagiert, soweit das tionen im Südsudan. Vielen wird das nichts sagen; denn möglich ist. der Südsudan gehört zu den stillen Katastrophen, die bei uns selten im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Rund 220 Millionen Euro sind in den letzten Jahren in die humanitäre Hilfe geflossen, rund 120 Millionen Euro 1) Ergebnis Seite 10588 C in die Entwicklungszusammenarbeit. Dort geht es da- 10584 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Christoph Matschie (A) rum, Landwirtschaft wieder zu revitalisieren, Nahrungs- wird keine dieser Ressourcen nennenswert genutzt. Da- (C) mittelproduktion möglich zu machen, Wasserversorgung her sind auch die Staatseinnahmen des Südsudan äußerst sicherzustellen; es geht darum, die Zivilgesellschaft zu bescheiden. In dieser Situation sind friedenssichernde stärken, das Justizwesen mit aufzubauen. Das sind alles und konfliktpräventive Maßnahmen der Vereinten Nati- Prozesse, die notwendig sind, wenn es einen dauerhaften onen sicher zu begrüßen, um dazu beizutragen, dass das Frieden geben soll. Land wieder auf die Beine kommt. (Beifall bei der SPD) Der vorgeschlagene Einsatz, der ja auch schon seit Ich will Sie deshalb, werte Kolleginnen und Kolle- geraumer Zeit läuft, ist völkerrechtlich sicherlich unbe- gen, heute bitten, der Fortsetzung dieses Mandats zuzu- denklich, und er liegt aus grundsätzlichen Sicherheits- stimmen. Es ist und bleibt wichtig, auch wenn es allein überlegungen meines Erachtens im deutschen Interesse. die Probleme nicht lösen kann. Ich will auf der anderen Zudem ist der vorgesehene Personal- und Mitteleinsatz Seite auch die Bundesregierung noch einmal deutlich mehr als bescheiden. Damit kann man von diesem Ein- bitten, alle ihre Möglichkeiten einzusetzen, gerade auch satz natürlich auch keine Wunder erwarten. Derzeit sind im Rahmen der Mitgliedschaft im Sicherheitsrat, um 14 deutsche Soldaten im Südsudan stationiert. Das Man- politischen Druck aufzubauen und alle diplomatischen dat erlaubt bis zu 50. Es wäre wünschenswert, dass die- Möglichkeiten zu nutzen, auf die Kriegsparteien und die se Obergrenze auch ausgenutzt wird. Die Kosten liegen Nachbarländer einzuwirken, diesen Friedensprozess zu derzeit unterhalb von 2 Millionen Euro. Ich finde, wir stabilisieren und endgültig zu einem dauerhaften Frieden sollten diese bescheidenen Kosten nicht einsparen. Wür- zu führen. den wir sie einsparen, würde die ohnehin halb totgesparte Bundeswehr dadurch nicht gerettet. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir stimmen der Vorlage zu. Ich danke Ihnen. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lothar Maier für (Beifall bei der AfD) die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Jürgen Hardt das Wort. (B) Dr. Lothar Maier (AfD): (D) Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! (Beifall bei der CDU/CSU) Der Südsudan ist einer der jüngsten Staaten der Welt, und er ist zugleich eines der ärmsten Länder der Welt, obwohl Jürgen Hardt (CDU/CSU): er aufgrund seiner natürlichen Ressourcen potenziell reich ist. Er ist es aber nicht geworden, und er kann es bis Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auf Weiteres wohl auch nicht werden, weil er nach Jahr- Ich hatte vor zwei Wochen Gelegenheit, die Hauptstadt zehnten des Krieges, des Bürgerkrieges, innerer Wirren des Südsudan, Juba, zu besuchen; der Wehrbeauftragte und ausländischer Interventionen so ins Chaos gestürzt und weitere Kollegen waren auch mit. Das, was wir in worden ist, dass er sich aus dem Elend, in dem er sich Juba gesehen haben, war natürlich erschütternd: eine befindet, nur schwer herausarbeiten kann. Stadt, in der nachts keine Straßenbeleuchtung brennt. Es ist die einzige Hauptstadt der Erde, in der das so ist, wenn Die Zahlen sind bekannt. Es gab Hunderttausende man mal von Caracas in diesen Tagen absieht. Die Wirt- Todesopfer. Es gab schwere Zerstörungen der ohnehin schaftskraft des Landes geht stetig zurück. Gleichzeitig spärlichen Infrastruktur. Es gab eine politische und wirt- steigt die Zahl der Einwohner des Landes, was natürlich schaftliche Stagnation. Der Kollege Matschie hat schon schon offenbart, dass die Entwicklung eine ausgespro- darauf hingewiesen: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung chen prekäre ist. ist auf ausländische Lebensmittelhilfe angewiesen. Zu- dem ist der Südsudan nicht wirklich befriedet. Es beste- Die UNMISS-Mission mit rund 17 000 Soldaten und hen Territorialkonflikte mit dem Sudan, dem Nordsudan, Zivilisten, viele davon natürlich aus afrikanischen Nach- Äthiopien und Kenia fort. Im Inneren schwelen nach wie barstaaten, ist die einzige verlässliche, stabilere poli- vor, auch nach der Abmachung von Ende 2018, tribalis- tische Kraft in diesem Lande. Das ist, glaube ich, ohne tisch motivierte Konflikte. Das Bildungsniveau der Be- der Regierung zu nahe zu treten, nicht anders zu sehen. völkerung ist extrem niedrig, dafür ist die Bevölkerungs- Deutschland leistet mit 14 Soldaten in diesem Einsatz, zuwachsrate extrem hoch. die hochmotiviert sind, einen wichtigen Beitrag. Zugleich ist dieses Land reich an Ressourcen. Es hat Ich freue mich, dass der Kontingentführer, der stell- Erdöl, Eisenerz, Chrom, Kupfer, Zink, Wolfram, Silber, vertretende Leiter der Militärbeobachtermission der Gold, Diamanten und manch andere Rohstoffe. Wasser- UNMISS im Südsudan, heute hier ist. Ich habe – wie die reserven, die reichlich vorhanden sind, ermöglichen im anderen Kolleginnen und Kollegen, die dabei waren – ge- Prinzip eine produktive Landwirtschaft, auch Stromer- spürt, dass unsere Soldaten vor Ort eine große Empathie zeugung aus Wasserkraft. Aber mit Ausnahme von Öl für die Bevölkerung, für die Menschen entwickeln und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10585

Jürgen Hardt (A) diesen Einsatz als sehr sinnvoll und erfüllend ansehen. und Erfahrungen sammeln könnte, wie es an keiner Füh- (C) Ich glaube, das verdient einen Extrabeifall. rungsakademie der Bundeswehr möglich wäre. Die For- men der internationalen Zusammenarbeit in der UN unter (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- den besonderen Bedingungen dieses Landes und mit den ordneten der SPD, der AfD, der FDP und des Menschen dieses Landes ist für einen Offizier der Bun- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) deswehr letztlich eine gute Vorbereitung auf weitere Ver- Es gibt seit Herbst letzten Jahres einen neuen Anlauf wendungen in höherer Funktion in der Bundeswehr. Des- für einen Friedensprozess der verfeindeten Gruppen im wegen: Vielleicht habt ihr die Idee und den Mut, doch Lande. Der Leiter der UN-Mission, der Neuseeländer noch den einen oder anderen Stabsoffizier zusätzlich zu Shearer, hat uns erzählt, dass es eine sorgfältige Befra- entsenden. gung der Bevölkerung jüngeren Datums gibt, nach der Herzlichen Dank. immerhin zwei Drittel der Menschen sagen, es gehe ih- nen heute besser als vor einem Jahr. Das, finde ich, ist ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ermutigendes Signal. Es ist natürlich auch mit der Hoff- ordneten der SPD und der FDP) nung verbunden, dass der eingeleitete Friedensprozess zu einem guten Ergebnis geführt werden kann, dass die Vizepräsidentin Petra Pau: Menschen die Möglichkeit haben werden, die Ressour- Das Wort hat der Abgeordnete Till Mansmann für die cen des Landes zu nutzen. Das Land ist ja mit Blick auf FDP-Fraktion. die Vegetation durchaus durch subtropische Klimabedin- gungen begünstigt, und es hat Rohstoffe. Das Land muss (Beifall bei der FDP) nur zur Ruhe kommen und die Kraft schöpfen, um Stra- ßen zwischen den Städten zu bauen, um Schulen zu bau- Till Mansmann (FDP): en, um Krankenhäuser zu bauen, um die Energieversor- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- gung sicherzustellen. All das liegt gegenwärtig im Argen. nen und Kollegen! Heute sende ich einen ganz besonde- Wir haben uns im Gespräch mit dem Außenminister ren Gruß an die Gäste auf der Tribüne, insbesondere nach des Landes und mit dem Parlamentspräsidenten natürlich links, wo ich die Besucher in Uniformen sehe. über die Sicht der Regierung auf die Dinge informiert. Es wird Sie wenig überraschen – deswegen sage ich Der Vertreter der Bundesregierung, der Parlamentarische das gleich vorweg –: Die FDP-Fraktion wird der von der Staatssekretär Thomas Silberhorn, mit dem wir gereist Bundesregierung beantragten Fortsetzung der Beteili- sind, hat auch ganz offensiv Fragen an den Außenmi- gung deutscher Streitkräfte an der Mission der Vereinten nister gestellt, gerade auch mit Blick auf den hybriden Nationen im Südsudan, UNMISS, zustimmen. (B) Gerichtshof, der eigentlich im Friedensabkommen ver- (D) einbart ist und der die Verbrechen, die im Bürgerkrieg Wir machen uns ja die Entscheidung bei jedem ein- begangen worden sind, aufbereiten soll. zelnen dieser Einsätze nicht leicht. Es geht bei diesen Einsätzen um sehr viel, nicht zuletzt natürlich um die Si- Die Regierung ist der, wie ich finde, falschen Auffas- cherheit und Gesundheit unserer Soldaten. Es geht aber sung, dass das Land noch zu unruhig ist, einen – wie er auch um die Erreichung von Frieden, um die Stärkung sich ausdrückte – zu hohen Blutdruck hat, als dass man des Rechts weltweit und um den Ruf unseres Landes in ihm einen solchen Gerichtshof zumuten könnte. Unsere der Welt. Deutschland gilt als eine in enger Abstimmung Antwort war, dass die Herstellung von Gerechtigkeit in mit anderen international ordnende Kraft. Das Friedens- einem solchen Friedensprozess möglicherweise – um in abkommen vom 12. September letzten Jahres macht uns diesem Bild zu bleiben – ein blutdrucksenkendes Mittel Hoffnung. In dieser Phase ist es wichtig, das bisschen an sein könnte. Wir haben die Regierung ermutigt, tatsäch- Stabilität, das man von außen in ein Land tragen kann, lich den Weg der Aussöhnung zu gehen, der im Übrigen zu erhalten. auf großen Plakaten auch vom Staatspräsidenten verkün- det wird. Es ist jetzt die Zeit für Frieden, Versöhnung und Lassen Sie mich ein paar grundsätzliche Anmerkun- Vergebung; aber wir glauben, dass dazu auch Gerechtig- gen machen. Diese Entscheidung ist vor allem vor dem keit gehört. Deswegen wäre ein Start für einen solchen Hintergrund wichtig, dass Deutschland seit Januar ei- hybriden Gerichtshof, wie er im Friedensabkommen vor- nen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten gesehen ist, für das Land eine wichtige Hilfe. Nationen hat. Vor diesem Hintergrund werden natürlich alle internationalen militärischen Missionen, an denen Ich bin der Meinung, wir sollten diesen Einsatz heute Deutschland beteiligt ist, betrachtet. verlängern und unterstützen. Ich möchte auch nach den Erfahrungen der Gespräche mit den Soldaten das Vertei- Das Auswärtige Amt hat diesbezüglich übrigens ei- digungsministerium ermutigen, darüber nachzudenken, nen wichtigen Schwerpunkt benannt: die Förderung der tatsächlich die Mandatsgrenze von 50 etwas stärker aus- Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“, die wir für zuschöpfen als mit den bisher entsandten 14 Soldaten. wichtig halten. Ziel ist die verstärkte Einbeziehung von Frauen in allen Phasen der Krisenprävention, Konfliktbe- (Beifall des Abg. Roderich Kiesewetter wältigung und Friedenskonsolidierung und die Stärkung [CDU/CSU]) der Rolle von Frauen in Friedensprozessen. Ich füge ganz pragmatisch hinzu, dass ich glaube, dass Vor diesem Hintergrund stellen wir uns die Frage: Wa- ein deutscher Stabsoffizier oder ein hochrangiger Unter- rum schickt Deutschland eigentlich fast nur Männer auf offizier in einem solchen Einsatz Fähigkeiten erwerben solche Missionen? Wäre die Leistung von Frauen hier 10586 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Till Mansmann (A) nicht Ansporn? Während der letzten UNMISS-Phase hat Was sind eigentlich die tatsächlichen Mittel, die eine (C) gerade einmal eine einzige deutsche Soldatin im Südsu- Situation vor Ort verbessern? Und da zeigt sich immer dan ihren Dienst verrichtet. Wenn die Menschen das in wieder: zum Beispiel genau ein solches Waffenembargo, diesen Ländern sehen, was sollen sie dann denken, was das einfach politisch richtig war und das wir ausdrück- vermitteln wir damit für ein Bild? lich begrüßen. (Beifall bei der FDP) Wir haben im Südsudan die Situation, dass es eine um- fangreiche Mission UNMISS gibt und die Bundeswehr Ein weiterer Punkt wird sein, jetzt schon zu überle- dazu 14 Soldaten stellt. Aber wir müssen uns immer wie- gen, wie wir den Übergang von militärischen Missionen der die Frage stellen: Was ist eigentlich genau die Funk- zu ordentlicher ziviler Entwicklungszusammenarbeit tion dieser 14 Soldaten? Sie werden nicht wesentlich zur ausgestalten. Wir fordern die Bundesregierung auf, dies- Verbesserung der Situation beitragen. Viel wichtiger ist bezüglich bereits jetzt tragfähige Pläne für den Südsu- das, was auch in dem Mandat benannt wurde, was aber dan auszuarbeiten, für die Zeit, in der die internationa- gar nicht das ist, was wir hier mandatieren, nämlich zivi- len Soldaten weitgehend abziehen können. Der Kollege le Aufbauhilfe, die eine Reihe von Organisationen leistet. Christoph Matschie hat auf diesen Punkt ja schon rich- Wir sagen: Was wir brauchen, ist zivile Aufbauhilfe und tigerweise hingewiesen. Vielen Dank dafür. Erst wenn Unterstützung im Südsudan; aber was wir nicht brau- wir diese Phase wirklich erreicht haben, können wir von chen, ist dieser Bundeswehreinsatz. Frieden im Südsudan sprechen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vielen herzlichen Dank. Deshalb werden wir ihn ablehnen und werden klar sagen: (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Kein Bundeswehreinsatz im Südsudan! Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]) Vielen Dank. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN) Das Wort hat der Kollege Tobias Pflüger für die Frak- tion Die Linke. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol- legin Agnieszka Brugger das Wort.

Tobias Pflüger (DIE LINKE): (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (B) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (D) Kollegen! Es geht jetzt um kleinere Einsätze. Hier geht es um einen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- UNMISS im Südsudan. Das Mandat, das in den letzten NEN): Jahren erteilt wurde – so auch wieder jetzt –, sieht eine Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Obergrenze von 50 Soldaten vor; aber de facto sind nur Herren! Einmal mehr haben sich die Erzfeinde Salva 14 Soldaten im Südsudan eingesetzt worden. Kiir und sein früherer Vize Riek Machar im September auf ein Friedensabkommen geeinigt. Die Gewalt wurde Wenn die Bundeswehr im Ausland eingesetzt wird, aber nicht beendet. Man kann nur hoffen, dass dieses Ab- wird ja immer behauptet, sie würde dazu beitragen, dass kommen trotzdem auf der langen Strecke erfolgreicher sich die Situation verbessert. Schauen wir uns die kon- ist als seine Vorgänger, die alle, ehrlich gesagt, nur für krete Situation im Falle des Südsudan an – es ist schon die Tonne waren. von den Kolleginnen und Kollegen beschrieben wor- den –: 2,2 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern, Man kann das nur hoffen, gerade auch für die Ange- 1,9 Millionen Binnenvertriebene, und der Machtkampf hörigen der mittlerweile über 400 000 Opfer, für die Mil- zwischen Präsident Salva Kiir und seinem Rivalen Riek lionen Vertriebenen und Geflüchteten. In dieser düsteren Machar geht trotz allem weiter. Das Friedensabkommen Situation ist die Friedensmission der Vereinten Nationen ist abgeschlossen worden – wir begrüßen das ausdrück- für viele Menschen noch die beste, manchmal auch die lich –; aber die Bischöfe vor Ort sagen, es funktioniert einzige Chance auf ein kleines bisschen an Sicherheit nicht. und ein kleines bisschen an Hilfe. Es ist richtig, dass jetzt genau dieses Friedensabkom- Immer noch befinden sich 190 000 Menschen in den men zivil flankiert werden muss. Ich erinnere mich da an Camps. Sie haben dort Zuflucht gefunden. Ich kann al- meine erste Rede, die ich hier gehalten habe, auch zum len nur danken, die sich trotz dieser schrecklichen Lage Themenbereich UNMISS. Ich hatte damals gefordert: für die Menschen im Südsudan engagieren, sie nicht al- Ganz dringend ist ein Waffenembargo für den Südsu- leinlassen; das gilt für die Soldatinnen und Soldaten, es dan. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gibt es in- gilt aber natürlich auch für die zivilen Helferinnen und zwischen, und es wirkt tatsächlich, und es ist so, dass Helfer. es nicht unwesentlich zur Verbesserung der Lage vor Ort beigetragen hat. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und (Beifall bei der LINKEN) der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10587

Agnieszka Brugger (A) Ich will auch gar nicht verschweigen: Natürlich gibt es Meine Damen und Herren, es mag noch ein sehr langer (C) Probleme, es gibt Unzulänglichkeiten, es gab sogar sehr und ein sehr steiniger Weg sein, bis Frieden und Sicher- große Fehler im Rahmen von UNMISS in den vergange- heit im Südsudan ansatzweise eine Chance auf Realität nen Jahren. Gerade an eine Friedensmission der Verein- bekommen. Aber dieser Weg wäre noch deutlich unwahr- ten Nationen müssen besonders hohe Maßstäbe angelegt scheinlicher, wenn es diese Mission nicht gäbe. Deshalb werden, und gerade da müssen Verfehlungen besonders werden wir Grünen heute dem Mandat zustimmen. hart geahndet werden. Vielen Dank. Meine Damen und Herren, von drei Frauen im Süd- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sudan haben zwei sexualisierte Gewalt erlebt. Gerade dieses wichtige Feld, der Kampf gegen sexualisierte Ge- walt, darf kein blinder Fleck dieser Friedensmission sein, Vizepräsidentin Petra Pau: sondern muss zu einem neuen Schwerpunkt werden, dass Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege man hier mehr tut. Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-­ Zimmermann [FDP]) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Aber so eine Friedensmission kann eben auch nur bes- Im Südsudan spielt sich im Moment eine der größten ser werden, sie kann nur dann mehr zu einer positiven humanitären Katastrophen der Welt ab. Das ist bitter, Entwicklung beitragen, wenn die internationale Gemein- auch für uns, die wir schon seit langem den Südsudan schaft und insbesondere ihre stärksten Schultern mehr mit unterstützen: Bei der Vorgängermission UNMIS – tragen. Jedes Jahr betteln die Vereinten Nationen bei den mit einem S – waren wir bereits aktiv, und seit 2011 sind Mitgliedstaaten um mehr Geld angesichts dieser huma- wir auch bei UNMISS – mit zwei S – im Südsudan mit nitären Katastrophe. Es kommt aber nicht genug zusam- aktiv. Seit der Zeit begleite ich auch diese Mission. Es ist men. Das darf doch einfach nicht sein! immer ein Auf und Ab. In den letzten drei Jahren haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir leider wieder einen Abwärtstrend miterleben müssen. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die aufflammenden Konflikte ab 2016 haben vieles, was sich entwickelt hat, wieder zerstört. Auch Deutschlands personeller Beitrag ist mit 14 Sol- Trotzdem sind wir heute mutiger, schauen wir heute daten – bei einer ohnehin schon sehr geringen Man- positiver in die Zukunft, als wir es noch vor der Debatte datsobergrenze von 50 – nur symbolischer Art. Auch hier (B) vor einem Jahr getan haben. Es gibt im Moment im Süd- (D) könnte die Bundesregierung die Vereinten Nationen end- sudan ein Friedensabkommen; das gab es damals noch lich deutlich mehr unterstützen. nicht. Ich war vor kurzem gemeinsam mit dem Wehrbe- Machar und Kiir dürfen angesichts ihrer üblen Ver- auftragten, Staatssekretär Silberhorn und einigen wei- brechen nicht einfach so weitermachen wie bisher; sie teren Kollegen, Herrn Hardt und Herrn Loos, auch vor gehören, ehrlich gesagt, vor ein internationales Gericht Ort und habe mir selbst ein Bild gemacht. Von den Ver- gestellt, wo sie zur Rechenschaft gezogen werden. tretern der VN wurde mir bestätigt, wurde uns bestätigt, dass das Friedensabkommen zumindest in größeren Tei- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- len des Landes hält, dass die politisch motivierte Gewalt SES 90/DIE GRÜNEN) zurückgeht, dass sich Oppositionspolitiker frei im Land bewegen können – das war lange Zeit auch nicht der Aber vor allem muss eines endlich aufhören: dass Fall – und dass es bei den Flüchtlingen auch eine leichte Waffen in diesen Konflikt gelangen, dass sie ihn weiter Rückkehrbewegung gibt. Ungefähr 135 000 Flüchtlinge verlängern und verschärfen. Es hat lange gedauert, viel sind zurückgekehrt im letzten Jahr. Das zeigt, dass die zu lange, bis endlich das Waffenembargo kam. Es muss Menschen auch ein positiveres Bild von der Zukunft des auf jeden Fall verlängert werden. Landes haben, als sie es noch vor einem Jahr hatten, als Allerdings habe ich neulich wie auch viele Zuschau- die Richtung genau die andere war. erinnen und Zuschauer meinen Augen und Ohren nicht Nichtsdestotrotz: Über die Zustände im Land ist ge- getraut, als in der ARD eine Reportage lief, in der es da- sprochen worden. Der Südsudan liegt wirklich am Bo- rum ging, dass während der Zeit, als sich diese Bundes- den. UNMISS ist der einzig wirkliche Stabilitätsanker in regierung für ein Waffenembargo einsetzte, während der diesem Land. Deutschland beteiligt sich mit 14 Soldaten. Zeit, als deutsche Soldatinnen und Soldaten an UNMISS Das hat natürlich einen symbolischen Wert. Wir unter- teilnahmen, angeblich ein BND-Mitarbeiter in illegale streichen damit auch gegenüber den VN unsere Unter- Waffentransporte in den Südsudan verwickelt war. Wir stützung für die Mission. Wir sind Teil der Mission, sind erwarten, dass die Bundesregierung nicht weiter die Aus- auch an den Absprachen, an der Planung usw. beteiligt. kunft verweigert, ob diese krasse Geschichte eigentlich Wir leisten nicht nur finanziell einen großen Beitrag für stimmt oder nicht. Es geht gar nicht, dass Sie dem Parla- das Land, sondern auch mit unseren Soldatinnen und ment hier keine Auskunft geben. Soldaten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Beitrag, den unsere 14 Männer dort leisten, ist sowie bei Abgeordneten der LINKEN) weit mehr als nur symbolisch – wir stellen dort Personal 10588 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Reinhard Brandl (A) in Schlüsselpositionen. Ich freue mich sehr, dass heute den Südsudan. Deswegen unterstützen wir weiterhin den (C) Oberst Büschen unter uns ist. Oberst Büschen war ein Einsatz. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie jetzt um Jahr lang der Chef der Militärbeobachter im Südsudan, Zustimmung. einer internationalen Truppe von ungefähr 200 Männern und Frauen, die für uns Auge und Ohr der Mission sind. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Ohne diese Militärbeobachter wüsste die Welt nicht, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wüssten wir nicht, was sich dort tatsächlich abspielt – Medien gibt es kaum. Herr Büschen, ich bitte Sie: Rich- ten Sie Ihren Männern auch unseren Dank aus für die Vizepräsidentin Petra Pau: Erfüllung Ihres schwierigen Auftrags! Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und SPD und der FDP sowie der Abg. Dr. Alice Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Weidel [AfD]) Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- – Da kann man mal klatschen. rung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Der Einsatz im Südsudan ist kein Einsatz wie jeder Streitkräfte an der NATO-geführten Maritimen Sicher- andere. Gerade die Militärbeobachter sind oftmals fern- heitsoperation SEA GUARDIAN im Mittelmeer“ – das ab jeder Zivilisation unterwegs, ohne Zugang zu medi- betraf die Drucksachen 19/7727 und 19/8426 – bekannt: zinischer Versorgung. Sie gehen ein hohes persönliches abgegebene Stimmen 665. Mit Ja stimmten 446 Abge- Risiko ein – für das Land, für die Vereinten Nationen ordnete, mit Nein stimmten 218 Abgeordnete, einer oder und letztlich auch für uns. Ihr Einsatz ist wichtig für eine enthielt sich. Die Beschlussempfehlung ist damit UNMISS, und UNMISS ist die zentrale Hoffnung für angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dr. Carsten Brodesser Christian Haase Alexander Krauß Abgegebene Stimmen: 665; Gitta Connemann Jürgen Hardt Gunther Krichbaum davon Astrid Damerow Matthias Hauer Dr. Günter Krings ja: 446 Alexander Dobrindt Mark Hauptmann Rüdiger Kruse Michael Donth nein: 218 Dr. Matthias Heider Michael Kuffer Marie-Luise Dött enthalten: 1 Mechthild Heil Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers (B) Hansjörg Durz Thomas Heilmann Andreas G. Lämmel (D) Thomas Erndl Frank Heinrich (Chemnitz) Katharina Landgraf Ja Hermann Färber Mark Helfrich Ulrich Lange CDU/CSU Uwe Feiler Rudolf Henke Dr. Silke Launert Enak Ferlemann Michael Hennrich Jens Lehmann Dr. Michael von Abercron Axel E. Fischer (Karlsruhe- Marc Henrichmann Paul Lehrieder Stephan Albani Land) Ansgar Heveling Dr. Katja Leikert Norbert Maria Altenkamp Dr. Maria Flachsbarth Dr. Heribert Hirte Dr. Andreas Lenz Philipp Amthor Thorsten Frei Christian Hirte Dr. Ursula von der Leyen Artur Auernhammer Dr. Hans-Peter Friedrich Alexander Hoffmann Antje Lezius Peter Aumer (Hof) Karl Holmeier Andrea Lindholz Thomas Bareiß Michael Frieser Hans-Jürgen Irmer Dr. Carsten Linnemann Maik Beermann Hans-Joachim Fuchtel Manfred Behrens (Börde) Ingo Gädechens Thomas Jarzombek Patricia Lips Veronika Bellmann Dr. Thomas Gebhart Andreas Jung Nikolas Löbel Dr. André Berghegger Alois Gerig Ingmar Jung Bernhard Loos Melanie Bernstein Eberhard Gienger Alois Karl Dr. Jan-Marco Luczak Christoph Bernstiel Eckhard Gnodtke Torbjörn Kartes Daniela Ludwig Peter Beyer Ursula Groden-Kranich Volker Kauder Karin Maag Marc Biadacz Hermann Gröhe Dr. Stefan Kaufmann Dr. Thomas de Maizière Steffen Bilger Klaus-Dieter Gröhler Ronja Kemmer Gisela Manderla Peter Bleser Michael Grosse-Brömer Roderich Kiesewetter Dr. Astrid Mannes Norbert Brackmann Astrid Grotelüschen Michael Kießling Matern von Marschall Dr. Reinhard Brandl Markus Grübel Dr. Georg Kippels Hans-Georg von der Marwitz Michael Brand (Fulda) Manfred Grund Volkmar Klein Andreas Mattfeldt Silvia Breher Oliver Grundmann Axel Knoerig Stephan Mayer (Altötting) Sebastian Brehm Monika Grütters Jens Koeppen Dr. Michael Meister Heike Brehmer Fritz Güntzler Markus Koob Jan Metzler Ralph Brinkhaus Olav Gutting Carsten Körber Dr. h. c. Hans Michelbach Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10589

(A) Dr. Mathias Middelberg Björn Simon Ulrike Bahr Christine Lambrecht (C) Dietrich Monstadt Tino Sorge Nezahat Baradari Christian Lange (Backnang) Karsten Möring Jens Spahn Doris Barnett Dr. Karl Lauterbach Marlene Mortler Katrin Staffler Dr. Matthias Bartke Helge Lindh Elisabeth Motschmann Frank Steffel Sören Bartol Burkhard Lischka Dr. Gerd Müller Dr. Wolfgang Stefinger Lothar Binding (Heidelberg) Kirsten Lühmann Axel Müller Albert Stegemann Leni Breymaier Heiko Maas Sepp Müller Andreas Steier Dr. Karl-Heinz Brunner Caren Marks Carsten Müller Sebastian Steineke Katrin Budde Katja Mast (Braunschweig) Johannes Steiniger Martin Burkert Christoph Matschie Stefan Müller (Erlangen) Peter Stein (Rostock) Dr. Lars Castellucci Dr. Matthias Miersch Dr. Andreas Nick Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Klaus Mindrup Petra Nicolaisen Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Susanne Mittag Michaela Noll Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby Falko Mohrs Dr. Georg Nüßlein Stephan Stracke Esther Dilcher Claudia Moll Wilfried Oellers Max Straubinger Sabine Dittmar Siemtje Möller Florian Oßner Karin Strenz Dr. Wiebke Esdar Bettina Müller Josef Oster Michael Stübgen Saskia Esken Detlef Müller (Chemnitz) Henning Otte Dr. Peter Tauber Yasmin Fahimi Michelle Müntefering Sylvia Pantel Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Johannes Fechner Dr. Rolf Mützenich Martin Patzelt Hans-Jürgen Thies Dr. Fritz Felgentreu Andrea Nahles Dr. Joachim Pfeiffer Alexander Throm Dr. Edgar Franke Dietmar Nietan Stephan Pilsinger Dr. Dietlind Tiemann Ulrich Freese Ulli Nissen Dr. Christoph Ploß Antje Tillmann Dagmar Freitag Thomas Oppermann Eckhard Pols Markus Uhl Sigmar Gabriel Josephine Ortleb Thomas Rachel Dr. Volker Ullrich Michael Gerdes Mahmut Özdemir (Duisburg) Kerstin Radomski Arnold Vaatz Martin Gerster Aydan Özoğuz Alexander Radwan Oswin Veith Angelika Glöckner Christian Petry Alois Rainer Kerstin Vieregge Timon Gremmels Detlev Pilger (B) (D) Dr. Peter Ramsauer Christoph de Vries Kerstin Griese Sabine Poschmann Eckhardt Rehberg Kees de Vries Michael Groß Florian Post Lothar Riebsamen Dr. Johann David Wadephul Uli Grötsch Achim Post (Minden) Josef Rief Marco Wanderwitz Bettina Hagedorn Florian Pronold Johannes Röring Nina Warken Rita Hagl-Kehl Dr. Sascha Raabe Dr. Norbert Röttgen Kai Wegner Metin Hakverdi Martin Rabanus Stefan Rouenhoff Albert H. Weiler Sebastian Hartmann Andreas Rimkus Erwin Rüddel Marcus Weinberg (Hamburg) Dirk Heidenblut Sönke Rix Albert Rupprecht Dr. Anja Weisgerber Hubertus Heil (Peine) Dennis Rohde Stefan Sauer Peter Weiß (Emmendingen) Gabriela Heinrich Dr. Martin Rosemann Anita Schäfer (Saalstadt) Sabine Weiss (Wesel I) Wolfgang Hellmich Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Wolfgang Schäuble Ingo Wellenreuther Dr. Barbara Hendricks Susann Rüthrich Andreas Scheuer Marian Wendt Gustav Herzog Bernd Rützel Jana Schimke Kai Whittaker Thomas Hitschler Sarah Ryglewski Tankred Schipanski Annette Widmann-Mauz Dr. Eva Högl Johann Saathoff Dr. Claudia Schmidtke Bettina Margarethe Frank Junge Axel Schäfer (Bochum) Patrick Schnieder Wiesmann Josip Juratovic Dr. Nina Scheer Felix Schreiner Klaus-Peter Willsch Thomas Jurk Marianne Schieder Dr. Klaus-Peter Schulze Elisabeth Winkelmeier- Oliver Kaczmarek Udo Schiefner Becker Uwe Schummer Johannes Kahrs Dr. Nils Schmid Emmi Zeulner Armin Schuster (Weil am Elisabeth Kaiser Uwe Schmidt Paul Ziemiak Rhein) Gabriele Katzmarek Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Matthias Zimmer Torsten Schweiger Arno Klare Dagmar Schmidt (Wetzlar) Detlef Seif Lars Klingbeil Carsten Schneider (Erfurt) Johannes Selle SPD Dr. Bärbel Kofler Johannes Schraps Reinhold Sendker Niels Annen Daniela Kolbe Michael Schrodi Dr. Patrick Sensburg Ingrid Arndt-Brauer Elvan Korkmaz Dr. Manja Schüle Thomas Silberhorn Heike Baehrens Anette Kramme Ursula Schulte 10590 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Martin Schulz Dr. Christian Jung René Röspel Dr. Lothar Maier (C) Swen Schulz (Spandau) Thomas L. Kemmerich Jens Maier Frank Schwabe Karsten Klein AfD Dr. Birgit Malsack- Stefan Schwartze Dr. Marcel Klinge Winkemann Dr. Bernd Baumann Andreas Schwarz Daniela Kluckert Corinna Miazga Marc Bernhard Rita Schwarzelühr-Sutter Pascal Kober Andreas Mrosek Andreas Bleck Rainer Spiering Dr. Lukas Köhler Hansjörg Müller Peter Boehringer Svenja Stadler Carina Konrad Volker Münz Stephan Brandner Martina Stamm-Fibich Wolfgang Kubicki Sebastian Münzenmaier Jürgen Braun Sonja Amalie Steffen Konstantin Kuhle Christoph Neumann Marcus Bühl Mathias Stein Alexander Kulitz Jan Ralf Nolte Matthias Büttner Kerstin Tack Alexander Graf Lambsdorff Frank Pasemann Petr Bystron Claudia Tausend Ulrich Lechte Tobias Matthias Peterka Tino Chrupalla Michael Thews Christian Lindner Paul Viktor Podolay Joana Cotar Markus Töns Michael Georg Link Jürgen Pohl Dr. Gottfried Curio Carsten Träger (Heilbronn) Stephan Protschka Siegbert Droese Ute Vogt Oliver Luksic Martin Reichardt Thomas Ehrhorn Marja-Liisa Völlers Till Mansmann Martin Erwin Renner Berengar Elsner von Gronow Dirk Vöpel Dr. Jürgen Martens Roman Johannes Reusch Dr. Michael Espendiller Gabi Weber Christoph Meyer Ulrike Schielke-Ziesing Bernd Westphal Alexander Müller Peter Felser Dr. Robby Schlund Dirk Wiese Roman Müller-Böhm Dietmar Friedhoff Jörg Schneider Gülistan Yüksel Frank Müller-Rosentritt Dr. Anton Friesen Uwe Schulz Dagmar Ziegler Dr. Martin Neumann Markus Frohnmaier Thomas Seitz Dr. Jens Zimmermann (Lausitz) Dr. Götz Frömming Martin Sichert Hagen Reinhold Dr. Alexander Gauland Detlev Spangenberg FDP Bernd Reuther Dr. Axel Gehrke René Springer Dr. Stefan Ruppert Albrecht Glaser Beatrix von Storch Grigorios Aggelidis Dr. h. c. Thomas Sattelberger Franziska Gminder Dr. Alice Weidel Renata Alt (B) Christian Sauter Wilhelm von Gottberg Dr. Harald Weyel (D) Christine Aschenberg- Frank Schäffler Kay Gottschalk Wolfgang Wiehle Dugnus Dr. Wieland Schinnenburg Armin-Paulus Hampel Dr. Heiko Wildberg Nicole Bauer Matthias Seestern-Pauly Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Christian Wirth Jens Beeck Frank Sitta Dr. Roland Hartwig Uwe Witt Dr. Jens Brandenburg Judith Skudelny Jochen Haug (Rhein-Neckar) Dr. Hermann Otto Solms Mario Brandenburg Martin Hebner DIE LINKE Bettina Stark-Watzinger (Südpfalz) Udo Theodor Hemmelgarn Doris Achelwilm Dr. Marie-Agnes Strack- Dr. Marco Buschmann Waldemar Herdt Zimmermann Gökay Akbulut Karlheinz Busen Lars Herrmann Benjamin Strasser Simone Barrientos Carl-Julius Cronenberg Martin Hess Katja Suding Dr. Dietmar Bartsch Britta Katharina Dassler Karsten Hilse Linda Teuteberg Lorenz Gösta Beutin Bijan Djir-Sarai Nicole Höchst Michael Theurer Matthias W. Birkwald Christian Dürr Martin Hohmann Stephan Thomae Heidrun Bluhm Hartmut Ebbing Dr. Bruno Hollnagel Dr. Florian Toncar Michel Brandt Dr. Marcus Faber Leif-Erik Holm Dr. Andrew Ullmann Christine Buchholz Daniel Föst Johannes Huber Gerald Ullrich Birke Bull-Bischoff Katrin Helling-Plahr Fabian Jacobi Nicole Westig Jörg Cezanne Markus Herbrand Dr. Marc Jongen Katharina Willkomm Sevim Dağdelen Torsten Herbst Jens Kestner Fraktionslos Fabio De Masi Katja Hessel Stefan Keuter Dr. Diether Dehm Dr. Gero Clemens Hocker Uwe Kamann Norbert Kleinwächter Anke Domscheit-Berg Manuel Höferlin Enrico Komning Klaus Ernst Dr. Christoph Hoffmann Nein Jörn König Susanne Ferschl Reinhard Houben Steffen Kotré Brigitte Freihold Ulla Ihnen SPD Dr. Rainer Kraft Sylvia Gabelmann Olaf In der Beek Cansel Kiziltepe Rüdiger Lucassen Nicole Gohlke Gyde Jensen Hilde Mattheis Frank Magnitz Dr. Gregor Gysi Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10591

(A) Dr. André Hahn Dr. Petra Sitte Katja Dörner Omid Nouripour (C) Heike Hänsel Helin Evrim Sommer Katharina Dröge Friedrich Ostendorff Matthias Höhn Kersten Steinke Harald Ebner Cem Özdemir Andrej Hunko Friedrich Straetmanns Matthias Gastel Lisa Paus Ulla Jelpke Dr. Kirsten Tackmann Kai Gehring Filiz Polat Kerstin Kassner Jessica Tatti Stefan Gelbhaar Tabea Rößner Dr. Achim Kessler Alexander Ulrich Erhard Grundl Claudia Roth (Augsburg) Katja Kipping Kathrin Vogler Anja Hajduk Dr. Manuela Rottmann Jutta Krellmann Dr. Sahra Wagenknecht Britta Haßelmann Corinna Rüffer Caren Lay Andreas Wagner Dr. Bettina Hoffmann Manuel Sarrazin Sabine Leidig Harald Weinberg Dr. Anton Hofreiter Ulle Schauws Ralph Lenkert Katrin Werner Ottmar von Holtz Dr. Frithjof Schmidt Michael Leutert Hubertus Zdebel Dieter Janecek Stefan Schmidt Stefan Liebich Pia Zimmermann Dr. Kirsten Kappert-Gonther Kordula Schulz-Asche Dr. Gesine Lötzsch Sabine Zimmermann Uwe Kekeritz Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn Thomas Lutze (Zwickau) Katja Keul Margit Stumpp Amira Mohamed Ali Sven-Christian Kindler Markus Tressel Cornelia Möhring BÜNDNIS 90/ Maria Klein-Schmeink Jürgen Trittin Niema Movassat DIE GRÜNEN Sylvia Kotting-Uhl Dr. Julia Verlinden Norbert Müller (Potsdam) Luise Amtsberg Oliver Krischer Daniela Wagner Zaklin Nastic Kerstin Andreae Christian Kühn (Tübingen) Gerhard Zickenheiner Dr. Alexander S. Neu Lisa Badum Renate Künast Thomas Nord Annalena Baerbock Monika Lazar Fraktionslos Petra Pau Margarete Bause Steffi Lemke Sören Pellmann Dr. Danyal Bayaz Dr. Tobias Lindner Marco Bülow Victor Perli Canan Bayram Dr. Irene Mihalic Tobias Pflüger Dr. Franziska Brantner Claudia Müller Enthalten Martina Renner Agnieszka Brugger Beate Müller-Gemmeke SPD (B) Bernd Riexinger Dr. Anna Christmann Ingrid Nestle (D) Eva-Maria Schreiber Ekin Deligöz Dr. Konstantin von Notz Gabriele Hiller-Ohm

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Aus- Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie- gegeben.1) rung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- Ich bitte, Platz zu nehmen, damit wir fortfahren kön- scher Streitkräfte an der Mission der Vereinten Nationen nen. – Sie kennen alle die verabredete Tagesordnung des in der Republik Südsudan, UNMISS. Der Ausschuss heutigen Tages und des Abends und wissen, vor welchen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Herausforderungen wir noch stehen, also bitte ich Sie, sache 19/8428, den Antrag der Bundesregierung auf jetzt dafür zu sorgen, dass wir weitermachen können. Drucksache 19/7728 anzunehmen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na- – Beratung der Beschlussempfehlung und des mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem Platz? – Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über die scher Streitkräfte an dem Hybriden Einsatz Beschlussempfehlung. der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen in Darfur (UNAMID) Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Drucksachen 19/7725, 19/8430 Stimme noch nicht abgegeben hat? – Ich frage jetzt noch einmal: Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, welches – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) sich bisher gehindert gesehen hat, seine Stimme in die- gemäß § 96 der Geschäftsordnung ser Abstimmung abzugeben? – Das ist nicht der Fall. Ich Drucksache 19/8431 schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. 1) Ergebnis Seite 10594 C 10592 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- Benzin. An den Automaten gibt es kein Bargeld mehr. (C) mentlich abstimmen. Der Staat ist pleite. Die Wirtschaft liegt vielerorts am Boden. Genau deshalb muss der Abzug deutlich stärker Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für als Teil eines umfassenden Konzeptes – Klammer auf: die Aussprache 27 Minuten vorgesehen. – Ich nehme Wirtschaftskonzepts – gedacht werden. nicht an, dass die Geräusche aus der FDP-Fraktion Wi- derspruch bedeuten. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der FDP: Nein!) Denn 2 Millionen intern Vertriebene und 1 Million Dann ist so beschlossen. Flüchtlinge aus den umliegenden Ländern stellen eine große Herausforderung dar. Aber Organisationen wie die Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Welthungerhilfe oder die GIZ leisten dort hervorragende Gabi Weber für die SPD-Fraktion. Arbeit. Seit 2016 sind alleine vom Auswärtigen Amt für humanitäre Hilfsmaßnahmen Mittel in Höhe von 33 Mil- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswin lionen Euro bereitgestellt worden. Veith [CDU/CSU]) Der Sudan ist ein wichtiges Herkunfts‑, Transit- und Gabi Weber (SPD): Aufnahmeland von Geflüchteten und für Geflüchtete. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Das muss man sich deutlich machen. Es geht nicht nur Kolleginnen! 2003 begannen in der Darfur-Region im darum, dass Menschen von dort fliehen, sondern auch Sudan Kämpfe zwischen Rebellengruppen und der suda- darum, dass Menschen in den Sudan fliehen. Deshalb nesischen Regierung. 2007 beschlossen die UN und die fördert das BMZ mit etwa 82 Millionen Euro Maßnah- Afrikanische Union erstmals eine gemeinsame Mission, men im Bereich „Flucht und Migration“. So werden un- um zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln, und vor ter anderem Gemeinden im Osten und Süden des Sudan allem, um zugleich die betroffene Zivilbevölkerung vor gestärkt, um Geflüchtete besser aufnehmen zu können brutalen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schüt- und Beschäftigungsmöglichkeiten bereitzustellen. Ein zen. Beispiel: Im Ostsudan, in Kassala und Gedaref, werden aufnehmenden Gemeinden und Geflüchteten Berufsaus- Trotz schleppenden Fortschritts konnten wir in den bildung angeboten und Maßnahmen zur Ernährungssi- vergangenen Jahren Verbesserungen der Situation und cherung durchgeführt. den Willen zu einer Konfliktlösung beobachten. Die An- sätze sind vielversprechend, seit die sudanesische Re- Doch trotz des düsteren Bildes gibt es Hoffnung; denn gierung und einige der Rebellengruppen aus Darfur im die Proteste zeigen die große Bereitschaft der Bevölke- (B) Dezember vergangenen Jahres auf Vermittlung des Aus- rung, insbesondere der jungen Menschen, anzupacken (D) wärtigen Amtes ihren Willen zur Fortführung der Frie- und das Land aufzubauen. Mit den alten Eliten dagegen densverhandlungen erklärt haben. Dass das Auswärtige scheint kein Staat mehr zu machen zu sein. Beispielhaft Amt dabei entscheidend vermitteln konnte, unterstreicht verweise ich auf ein Projekt des Goethe-Instituts und der auch, dass Deutschland in der Region als starker und ver- Friedrich-Ebert-Stiftung zur Stärkung der Bürgerinnen lässlicher Partner gesehen wird, und das ist gut so. und Bürger im Sudan. Auf kommunaler Ebene geht es um die Förderung der Zivilgemeinschaft und insgesamt (Beifall bei der SPD) um eine stärkere gesellschaftliche Beteiligung an Ent- Liebe Kollegen und Kolleginnen, die Fortführung des scheidungsprozessen. Friedensprozesses ermöglicht es, dass sich UNAMID Liebe Kollegen und Kolleginnen, die Bedeutung ei- wie geplant nächsten Sommer, also im Sommer 2020, nes ressortübergreifenden Ansatzes zeigt sich mit Blick zurückzieht. Die Mission steht damit beispielhaft da- auf die Zeit bis zum Abzug und danach. Außenpolitik mit für – das wird immer kritisiert –, dass die internationale den Mitteln der Diplomatie und der humanitären Hilfe Gemeinschaft Einsätze beginnen und beenden kann und muss noch stärker mit langfristig angelegter Entwick- dann die Verantwortung in die Hände vor Ort zurückgibt. lungszusammenarbeit verbunden und umgesetzt werden. Aber die Mission – das muss man auch bedenken – muss Wir brauchen neben der Verbesserung in der Flüchtlings- vernünftig und mit Blick auf Nachhaltigkeit beendet wer- problematik eine wirtschaftlich starke Entwicklung in den, nicht Hals über Kopf. diesem Land. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Dazu müssen wir weiterhin mit der sudanesischen Regie- Kollegen und Kolleginnen, ich bitte Sie daher um Zu- rung im Gespräch bleiben. stimmung zu diesem Mandat. Und trotzdem bleiben Sorgen mit Blick in den Sudan. Vielen Dank. Seit mehreren Wochen wird den Hilfsorganisationen, die humanitäre Hilfe leisten wollen, der Zugang nach Darfur (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) verweigert. Selbst die GIZ hat Probleme. Und unter dem Schlachtruf „Wir sind alle Darfuris“ finden seit Mitte Vizepräsidentin Petra Pau: Dezember regelmäßig Proteste der Bevölkerung in al- Das Wort hat der Abgeordnete Petr Bystron für die len Landesteilen des Sudan statt, da die Menschen kein AfD-Fraktion. Vertrauen mehr in die bestehenden staatlichen Struktu- ren haben. Es gibt, wenn überhaupt, heillos überteuertes (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10593

(A) Petr Bystron (AfD): gen Umstände sein Leben aufs Spiel gesetzt hat. Wir sind (C) stolz auf Sie. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- nen und Kollegen! Wir debattieren heute zum 24. Mal Danke schön. über UNAMID, eine Operation der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union in Darfur, an der sich die (Beifall bei der AfD) Bundeswehr weiterhin beteiligen soll. Der Deutsche Bundestag stimmte dem bereits 11-mal zu, 2007 zum ersten Mal. An die 100 Abgeordnete sowie einige am- Vizepräsidentin Petra Pau: tierende Minister haben hier bereits zu diesem Thema Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Abgeordnete gesprochen. Die große Mehrheit der Redner hat sich im- Oswin Veith das Wort. mer für den Einsatz deutscher Soldaten und Hilfskräfte im Sudan ausgesprochen. Die Argumente: Eindämmung (Beifall bei der CDU/CSU) ethnischer Konflikte, humanitäre Hilfe, Schutz der Zivil- bevölkerung, Stabilität in der Region und Bekämpfung von Fluchtursachen. Die AfD-Fraktion stimmt all diesen Oswin Veith (CDU/CSU): Punkten zu und befürwortet den Einsatz ebenfalls. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zurück zur Allerdings fragen wir uns, ob die Bundeswehr auch in Sache: Wir werden in wenigen Minuten den UNAMID-­ der Lage ist, die Herausforderung zu stemmen. Einsatz verlängern. Damit setzen wir den Einsatz in der Region Darfur fort. Das ist ein gutes Signal an die Völ- (Henning Otte [CDU/CSU]: Selbstverständ- kergemeinschaft, ein gutes Signal an die Vereinten Na­ lich!) tionen und zugleich ein gutes Signal an die Afrikanische Union und an den Sudan. Frau von der Leyen, was sagen Ihre Berater? Ist die Bun- deswehr noch in der Lage, unsere Jungs sicher hin- und Die einzige gemeinsame Mission von Afrikanischer zurückzufliegen? Union und UN ist ein besonderer Einsatz, auch für uns. Erfreulicherweise dürfen wir feststellen, dass wir hier (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zuruf immer öfter über Afrika reden. Das ist gut so; denn der von der CDU/CSU: Da sind auch Frauen da- afrikanische Kontinent hat großes Potenzial, nicht nur, bei!) weil wir als Europäer uns in der Nachbarschaft befinden, Ich frage ja nur, weil neulich Außenminister Maas in Mali sondern auch, weil es ein junger Kontinent ist. Wir müs- (B) gestrandet ist, ebenso wie Bundespräsident Steinmeier sen feststellen, dass sich viele der am schnellsten wach- (D) vier Wochen zuvor in Äthiopien. Verstehen Sie mich senden Volkswirtschaften in Afrika befinden. Ich will nicht falsch: Wir als Opposition hätten nichts dagegen, daran erinnern, dass das Durchschnittsalter der Bevölke- wenn die Flugbereitschaft der Bundeswehr die beiden rung 18 Jahre beträgt. In 20 Jahren, so die Berechnungen, Herren mit einem One-Way-Ticket in Afrika abgesetzt verfügt Afrika über das größte Arbeitskräftepotenzial hätte. weltweit. Es ist also ein Kontinent im Aufbruch. Aber wir wissen, dass viele Staaten Afrikas noch vor erheblichen (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Gabi Herausforderungen stehen. Die Regionen leiden an Fra- Weber [SPD]: Billig! – Zurufe von der CDU/ gilität und Instabilität. Das strahlt logischerweise auf uns CSU und der FDP: Oh! Oh!) aus. Als Stichworte sind Flucht, Migration, Menschen- handel, organisierte Kriminalität bis hin zu Terrorismus Das wäre sicherlich eine effektive Maßnahme zum zu nennen. Schutz der Zivilbevölkerung, zur Erhöhung der Stabili- tät in der Region sowie zur Bekämpfung der Fluchtursa- Der Aufbau Afrikas ist zunächst Sache der Afrikani- chen, allerdings in Deutschland. schen Union, und das macht sie auch. Sie stellt sich den Herausforderungen. Es ist gut, dass wir den Sicherheits- (Beifall des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD] – und Friedensprozess elementar unterstützen. Wie ma- Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chen wir das? Es ist unser Auftrag, zu versuchen, Sicher- NEN]: Das findet nicht mal Ihre eigene Frakti- heit und Stabilität in dieser Krisenregion herzustellen. on lustig! – Leni Breymaier [SPD]: Peinlich!) Wir wollen die Sicherheitslage verbessern. Wir sichern mit unserem Einsatz auch die Zugänge für humanitäre Doch für die im Sudan stationierten deutschen Solda- Hilfe im Raum Darfur. Wir überwachen die Menschen- ten wünschen wir uns solche Abenteuer nicht. Sie müs- rechtslage, und wo es geht, verbessern wir sie. Natürlich sen jederzeit sicher sein können, dass sie für jeden Ein- unterstützen wir damit insgesamt die politischen Frie- satz optimal ausgerüstet sind und nicht zum Gespött der densbemühungen im Lande. ganzen Welt gemacht werden. UNAMID sorgt, so denke ich, unter der Führung der (Beifall bei der AfD) Afrikanischen Union – das sei an der Stelle gesagt – für Verbesserungen, bei allen Zweifeln, die bleiben. Es gibt Ich danke im Namen der AfD jedem einzelnen Solda- Fortschritte im politischen Prozess zwischen der sudane- ten, Polizisten und zivilen Helfer, der in den vergangenen sischen Regierung und den beteiligten Rebellengruppen. zwölf Jahren im Rahmen von UNAMID trotz der widri- Sie wissen vielleicht, dass wir Ende des vergangenen 10594 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Oswin Veith (A) Jahres hier in Berlin eine Vereinbarung haben schlie- ich das persönlich und im Namen meiner Fraktion sehr (C) ßen können, die ein weiterer Meilenstein auf dem Weg herzlich. – Herzlichen Dank für diesen Einsatz! zu Frieden im Sudan ist. Auch die Vereinten Nationen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem beurteilen die Sicherheitslage so, dass wir von einem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- ­Peacekeeping-Einsatz zu einem Pe­acebuilding-Einsatz geordneten der FDP) kommen können. Das spricht, glaube ich, ebenfalls da- für, dass wir trotz aller Zweifel von einer sich verbessern- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass den Situation reden können. dieser Antrag heute Abend eine große Mehrheit finden wird. Vielleicht besinnt sich die eine Fraktion nach mei- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir ner Rede ja noch, den Einsatz mit zu befürworten. Ich hier über den Einsatz reden, sollten wir auch einmal den glaube, wir sollten damit ein deutliches Signal senden. Umfang deutlich machen: Ich stelle fest, dass wir heute Das ist nicht nur für die im Einsatz befindlichen drei Of- Abend mehr Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ha- fiziere sehr wichtig, sondern auch ein gutes Signal für ben als Soldaten im Einsatz. den Sudan und die Region Darfur. Herzlichen Dank. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Beifall des Abg. Petr Bystron [AfD]) (Beifall bei der CDU/CSU)

Es sind nämlich drei Offiziere dort. Ich weiß gar nicht, Vizepräsidentin Petra Pau: wie viele Redner wir zu diesem Tagesordnungspunkt Bevor wir zum Einsatz UNAMID weiterreden, gebe haben, aber es sind deutlich mehr. Außerdem reden wir ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift- über fünf Polizeibeamtinnen und ‑beamte und eine gan- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- ze Reihe von Entwicklungshelferinnen und ‑helfern. Ich mung zum Mandat UNMISS bekannt: abgegebene Stim- denke, an Ihrer statt darf ich hier allen für den bei Ta- men 659. Mit Ja haben 579 Abgeordnete gestimmt, mit gestemperaturen von um die oder deutlich über 40 Grad Nein 79, es gab 1 Enthaltung. Die Beschlussempfehlung zu leistenden Einsatz sehr herzlich danken, jedenfalls tue ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Silvia Breher Michael Grosse-Brömer Volker Kauder Abgegebene Stimmen: 658; Sebastian Brehm Markus Grübel Dr. Stefan Kaufmann Heike Brehmer Manfred Grund Ronja Kemmer (B) davon (D) ja: 578 Ralph Brinkhaus Oliver Grundmann Roderich Kiesewetter nein: 79 Dr. Carsten Brodesser Monika Grütters Michael Kießling enthalten: 1 Astrid Damerow Fritz Güntzler Dr. Georg Kippels Alexander Dobrindt Olav Gutting Volkmar Klein Ja Michael Donth Christian Haase Axel Knoerig Marie-Luise Dött Jürgen Hardt Jens Koeppen CDU/CSU Hansjörg Durz Matthias Hauer Markus Koob Dr. Michael von Abercron Thomas Erndl Mark Hauptmann Carsten Körber Stephan Albani Hermann Färber Dr. Matthias Heider Alexander Krauß Norbert Maria Altenkamp Uwe Feiler Mechthild Heil Gunther Krichbaum Philipp Amthor Enak Ferlemann Thomas Heilmann Dr. Günter Krings Artur Auernhammer Axel E. Fischer (Karlsruhe- Frank Heinrich (Chemnitz) Rüdiger Kruse Peter Aumer Land) Mark Helfrich Michael Kuffer Thomas Bareiß Dr. Maria Flachsbarth Rudolf Henke Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Maik Beermann Thorsten Frei Michael Hennrich Andreas G. Lämmel Manfred Behrens (Börde) Dr. Hans-Peter Friedrich Marc Henrichmann Katharina Landgraf Veronika Bellmann (Hof) Ansgar Heveling Ulrich Lange Dr. André Berghegger Michael Frieser Dr. Heribert Hirte Dr. Silke Launert Melanie Bernstein Hans-Joachim Fuchtel Christian Hirte Jens Lehmann Christoph Bernstiel Ingo Gädechens Alexander Hoffmann Paul Lehrieder Peter Beyer Dr. Thomas Gebhart Karl Holmeier Dr. Katja Leikert Marc Biadacz Alois Gerig Hans-Jürgen Irmer Dr. Andreas Lenz Steffen Bilger Eberhard Gienger Thomas Jarzombek Dr. Ursula von der Leyen Peter Bleser Eckhard Gnodtke Andreas Jung Antje Lezius Norbert Brackmann Ursula Groden-Kranich Ingmar Jung Andrea Lindholz Dr. Reinhard Brandl Hermann Gröhe Alois Karl Dr. Carsten Linnemann Michael Brand (Fulda) Klaus-Dieter Gröhler Torbjörn Kartes Patricia Lips Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10595

(A) Nikolas Löbel Andreas Scheuer Marian Wendt Wolfgang Hellmich (C) Bernhard Loos Jana Schimke Kai Whittaker Dr. Barbara Hendricks Dr. Jan-Marco Luczak Tankred Schipanski Annette Widmann-Mauz Gustav Herzog Daniela Ludwig Dr. Claudia Schmidtke Bettina Margarethe Gabriele Hiller-Ohm Karin Maag Patrick Schnieder Wiesmann Thomas Hitschler Dr. Thomas de Maizière Felix Schreiner Klaus-Peter Willsch Dr. Eva Högl Gisela Manderla Dr. Klaus-Peter Schulze Elisabeth Winkelmeier- Frank Junge Dr. Astrid Mannes Uwe Schummer Becker Josip Juratovic Matern von Marschall Armin Schuster (Weil am Emmi Zeulner Thomas Jurk Hans-Georg von der Marwitz Rhein) Paul Ziemiak Oliver Kaczmarek Andreas Mattfeldt Torsten Schweiger Dr. Matthias Zimmer Johannes Kahrs Stephan Mayer (Altötting) Detlef Seif Elisabeth Kaiser Dr. Michael Meister Johannes Selle SPD Gabriele Katzmarek Reinhold Sendker Jan Metzler Niels Annen Cansel Kiziltepe Dr. Patrick Sensburg Dr. h. c. Hans Michelbach Ingrid Arndt-Brauer Arno Klare Thomas Silberhorn Dr. Mathias Middelberg Heike Baehrens Lars Klingbeil Björn Simon Dietrich Monstadt Ulrike Bahr Dr. Bärbel Kofler Tino Sorge Karsten Möring Nezahat Baradari Daniela Kolbe Jens Spahn Elvan Korkmaz Marlene Mortler Doris Barnett Katrin Staffler Anette Kramme Elisabeth Motschmann Dr. Matthias Bartke Frank Steffel Christine Lambrecht Dr. Gerd Müller Sören Bartol Axel Müller Dr. Wolfgang Stefinger Christian Lange (Backnang) Lothar Binding (Heidelberg) Sepp Müller Albert Stegemann Dr. Karl Lauterbach Leni Breymaier Carsten Müller Andreas Steier Burkhard Lischka Dr. Karl-Heinz Brunner (Braunschweig) Sebastian Steineke Kirsten Lühmann Katrin Budde Stefan Müller (Erlangen) Johannes Steiniger Heiko Maas Martin Burkert Dr. Andreas Nick Peter Stein (Rostock) Caren Marks Dr. Lars Castellucci Petra Nicolaisen Christian Frhr. von Stetten Katja Mast Bernhard Daldrup (B) Michaela Noll Dieter Stier Christoph Matschie (D) Dr. Daniela De Ridder Dr. Georg Nüßlein Gero Storjohann Hilde Mattheis Dr. Karamba Diaby Wilfried Oellers Stephan Stracke Dr. Matthias Miersch Esther Dilcher Florian Oßner Max Straubinger Klaus Mindrup Sabine Dittmar Josef Oster Karin Strenz Susanne Mittag Dr. Wiebke Esdar Henning Otte Michael Stübgen Falko Mohrs Sylvia Pantel Dr. Peter Tauber Saskia Esken Claudia Moll Martin Patzelt Dr. Hermann-Josef Tebroke Yasmin Fahimi Siemtje Möller Dr. Joachim Pfeiffer Hans-Jürgen Thies Dr. Johannes Fechner Bettina Müller Stephan Pilsinger Alexander Throm Dr. Fritz Felgentreu Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Christoph Ploß Dr. Dietlind Tiemann Dr. Edgar Franke Michelle Müntefering Eckhard Pols Antje Tillmann Ulrich Freese Dr. Rolf Mützenich Thomas Rachel Markus Uhl Dagmar Freitag Andrea Nahles Kerstin Radomski Dr. Volker Ullrich Sigmar Gabriel Dietmar Nietan Alexander Radwan Arnold Vaatz Michael Gerdes Ulli Nissen Alois Rainer Oswin Veith Martin Gerster Thomas Oppermann Dr. Peter Ramsauer Kerstin Vieregge Angelika Glöckner Josephine Ortleb Eckhardt Rehberg Christoph de Vries Timon Gremmels Mahmut Özdemir (Duisburg) Lothar Riebsamen Kees de Vries Kerstin Griese Aydan Özoğuz Josef Rief Dr. Johann David Wadephul Michael Groß Christian Petry Johannes Röring Marco Wanderwitz Uli Grötsch Detlev Pilger Dr. Norbert Röttgen Nina Warken Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Stefan Rouenhoff Albert H. Weiler Rita Hagl-Kehl Florian Post Erwin Rüddel Marcus Weinberg (Hamburg) Metin Hakverdi Achim Post (Minden) Albert Rupprecht Dr. Anja Weisgerber Sebastian Hartmann Florian Pronold Stefan Sauer Peter Weiß (Emmendingen) Dirk Heidenblut Dr. Sascha Raabe Anita Schäfer (Saalstadt) Sabine Weiss (Wesel I) Hubertus Heil (Peine) Martin Rabanus Dr. Wolfgang Schäuble Ingo Wellenreuther Gabriela Heinrich Andreas Rimkus 10596 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Sönke Rix Marcus Bühl Uwe Schulz Christian Lindner (C) Dennis Rohde Petr Bystron Thomas Seitz Michael Georg Link Dr. Martin Rosemann Tino Chrupalla Martin Sichert (Heilbronn) René Röspel Joana Cotar Detlev Spangenberg Oliver Luksic Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Gottfried Curio Dr. Dirk Spaniel Till Mansmann Susann Rüthrich Thomas Ehrhorn René Springer Christoph Meyer Bernd Rützel Berengar Elsner von Gronow Beatrix von Storch Alexander Müller Sarah Ryglewski Dr. Michael Espendiller Dr. Alice Weidel Roman Müller-Böhm Johann Saathoff Peter Felser Wolfgang Wiehle Frank Müller-Rosentritt Axel Schäfer (Bochum) Dietmar Friedhoff Dr. Heiko Wildberg Dr. Martin Neumann Dr. Nina Scheer Dr. Anton Friesen Dr. Christian Wirth (Lausitz) Marianne Schieder Markus Frohnmaier Uwe Witt Hagen Reinhold Udo Schiefner Dr. Götz Frömming Bernd Reuther Dr. Nils Schmid Dr. Alexander Gauland FDP Dr. Stefan Ruppert Dr. h. c. Thomas Sattelberger Uwe Schmidt Dr. Axel Gehrke Grigorios Aggelidis Christian Sauter Ulla Schmidt (Aachen) Albrecht Glaser Renata Alt Frank Schäffler Dagmar Schmidt (Wetzlar) Wilhelm von Gottberg Christine Aschenberg- Dr. Wieland Schinnenburg Carsten Schneider (Erfurt) Kay Gottschalk Dugnus Matthias Seestern-Pauly Johannes Schraps Mariana Iris Harder-Kühnel Nicole Bauer Frank Sitta Michael Schrodi Dr. Roland Hartwig Jens Beeck Judith Skudelny Dr. Manja Schüle Jochen Haug Dr. Jens Brandenburg Dr. Hermann Otto Solms Ursula Schulte Martin Hebner (Rhein-Neckar) Bettina Stark-Watzinger Martin Schulz Udo Theodor Hemmelgarn Mario Brandenburg Dr. Marie-Agnes Strack- Swen Schulz (Spandau) Waldemar Herdt (Südpfalz) Zimmermann Frank Schwabe Lars Herrmann Dr. Marco Buschmann Benjamin Strasser Stefan Schwartze Martin Hess Karlheinz Busen Katja Suding Andreas Schwarz Nicole Höchst Carl-Julius Cronenberg Linda Teuteberg Rita Schwarzelühr-Sutter Martin Hohmann Britta Katharina Dassler Michael Theurer (B) Rainer Spiering Dr. Bruno Hollnagel Bijan Djir-Sarai (D) Stephan Thomae Svenja Stadler Leif-Erik Holm Christian Dürr Hartmut Ebbing Dr. Florian Toncar Martina Stamm-Fibich Johannes Huber Dr. Marcus Faber Dr. Andrew Ullmann Sonja Amalie Steffen Fabian Jacobi Daniel Föst Gerald Ullrich Mathias Stein Dr. Marc Jongen Katrin Helling-Plahr Nicole Westig Kerstin Tack Jens Kestner Markus Herbrand Katharina Willkomm Claudia Tausend Stefan Keuter Norbert Kleinwächter Torsten Herbst Michael Thews Enrico Komning Katja Hessel BÜNDNIS 90/ Markus Töns DIE GRÜNEN Jörn König Dr. Gero Clemens Hocker Carsten Träger Rüdiger Lucassen Manuel Höferlin Luise Amtsberg Ute Vogt Dr. Lothar Maier Dr. Christoph Hoffmann Kerstin Andreae Marja-Liisa Völlers Jens Maier Reinhard Houben Lisa Badum Dirk Vöpel Dr. Birgit Malsack- Ulla Ihnen Annalena Baerbock Gabi Weber Winkemann Olaf In der Beek Margarete Bause Bernd Westphal Corinna Miazga Gyde Jensen Dr. Danyal Bayaz Dirk Wiese Volker Münz Dr. Christian Jung Dr. Franziska Brantner Gülistan Yüksel Sebastian Münzenmaier Karsten Klein Agnieszka Brugger Dagmar Ziegler Christoph Neumann Dr. Marcel Klinge Dr. Anna Christmann Dr. Jens Zimmermann Jan Ralf Nolte Daniela Kluckert Ekin Deligöz Paul Viktor Podolay Pascal Kober Katja Dörner AfD Stephan Protschka Dr. Lukas Köhler Katharina Dröge Dr. Bernd Baumann Martin Reichardt Carina Konrad Harald Ebner Marc Bernhard Martin Erwin Renner Wolfgang Kubicki Matthias Gastel Andreas Bleck Roman Johannes Reusch Konstantin Kuhle Kai Gehring Peter Boehringer Ulrike Schielke-Ziesing Alexander Kulitz Stefan Gelbhaar Stephan Brandner Dr. Robby Schlund Alexander Graf Lambsdorff Erhard Grundl Jürgen Braun Jörg Schneider Ulrich Lechte Anja Hajduk Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10597

(A) Britta Haßelmann Dr. Wolfgang Strengmann- Michel Brandt Thomas Nord (C) Dr. Bettina Hoffmann Kuhn Christine Buchholz Petra Pau Dr. Anton Hofreiter Margit Stumpp Birke Bull-Bischoff Sören Pellmann Ottmar von Holtz Markus Tressel Jörg Cezanne Victor Perli Dieter Janecek Jürgen Trittin Sevim Dağdelen Tobias Pflüger Dr. Kirsten Kappert-Gonther Dr. Julia Verlinden Fabio De Masi Martina Renner Uwe Kekeritz Daniela Wagner Dr. Diether Dehm Bernd Riexinger Katja Keul Gerhard Zickenheiner Anke Domscheit-Berg Eva-Maria Schreiber Sven-Christian Kindler Klaus Ernst Dr. Petra Sitte Maria Klein-Schmeink Fraktionslos Susanne Ferschl Helin Evrim Sommer Kersten Steinke Sylvia Kotting-Uhl Uwe Kamann Brigitte Freihold Oliver Krischer Sylvia Gabelmann Friedrich Straetmanns Christian Kühn (Tübingen) Nicole Gohlke Dr. Kirsten Tackmann Nein Renate Künast Dr. Gregor Gysi Jessica Tatti Alexander Ulrich Monika Lazar AfD Dr. André Hahn Steffi Lemke Heike Hänsel Kathrin Vogler Matthias Büttner Dr. Tobias Lindner Matthias Höhn Dr. Sahra Wagenknecht Siegbert Droese Dr. Irene Mihalic Andrej Hunko Andreas Wagner Franziska Gminder Claudia Müller Ulla Jelpke Harald Weinberg Karsten Hilse Beate Müller-Gemmeke Kerstin Kassner Katrin Werner Dr. Rainer Kraft Ingrid Nestle Dr. Achim Kessler Hubertus Zdebel Frank Magnitz Dr. Konstantin von Notz Katja Kipping Pia Zimmermann Andreas Mrosek Sabine Zimmermann Omid Nouripour Jutta Krellmann Hansjörg Müller (Zwickau) Friedrich Ostendorff Caren Lay Frank Pasemann Cem Özdemir Sabine Leidig Tobias Matthias Peterka BÜNDNIS 90/ Lisa Paus Ralph Lenkert Jürgen Pohl DIE GRÜNEN Filiz Polat Michael Leutert Tabea Rößner Stefan Liebich Canan Bayram DIE LINKE (B) Claudia Roth (Augsburg) Dr. Gesine Lötzsch (D) Dr. Manuela Rottmann Doris Achelwilm Thomas Lutze Fraktionslos Corinna Rüffer Gökay Akbulut Amira Mohamed Ali Marco Bülow Manuel Sarrazin Simone Barrientos Cornelia Möhring Ulle Schauws Dr. Dietmar Bartsch Niema Movassat Enthalten Dr. Frithjof Schmidt Lorenz Gösta Beutin Norbert Müller (Potsdam) Stefan Schmidt Matthias W. Birkwald Zaklin Nastic FDP Kordula Schulz-Asche Heidrun Bluhm Dr. Alexander S. Neu Dr. Jürgen Martens

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Wir haben als Parlament eine große Verantwortung und Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann für die eine noch größere Fürsorgepflicht den Soldatinnen und FDP-Fraktion. Soldaten gegenüber, auch bei dem Mandat UNAMID, bei dem – in Anführungszeichen – „nur“ 3 von 50 mögli- (Beifall bei der FDP) chen Soldaten für uns in Darfur sind. Wo auch immer all diese Männer und Frauen im Einsatz sind, brauchen sie die modernste Ausrüstung und die bestmögliche Ausbil- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): dung. Dies muss für uns immer Priorität haben. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wird (Beifall bei der FDP) uns heute mit den vielen Debatten deutlich vor Augen geführt, wie viele Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst In diesem Zusammenhang muss ich leider sagen: Es in den Einsatzgebieten versehen, sei es gemeinsam mit hat mich in den letzten Tagen schwer irritiert, welch fach- den europäischen Verbündeten, sei es mit den Partnern liches Niveau das Führungspersonal bei der CDU inzwi- der NATO oder im Auftrag der UN. Sie sorgen alle für schen hat. Die Parteichefin, Frau Kramp-Karrenbauer,­ Stabilität in unterschiedlichsten Regionen; denn instabi- macht den Vorschlag, einen Flugzeugträger anzuschaf- le Verhältnisse – das sei den Kritikern gesagt – würden fen. Das könnte man noch als Büttenrede abtun, die auch wir über kurz oder lang zu spüren bekommen. Kanzlerin allerdings nickt dazu. Beide beweisen damit 10598 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) ihren wirklich großen militärischen Durchblick. Aber Christine Buchholz (DIE LINKE): (C) noch schlimmer ist, dass der frisch gewählte Vorsitzende Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die der Jungen Union über die eigene Ministerin lästert, es Bundesregierung erweckt den Eindruck, die internatio- würden bei der Bundeswehr weniger Flugzeuge fliegen, nale Militärmission UNAMID in der sudanesischen Pro- als die Ministerin Kinder habe. vinz Darfur werde zum nächsten Jahr beendet, weil sie so (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Jürgen erfolgreich war. Tatsächlich steht die Mission UNAMID Hardt [CDU/CSU]: Was ja nicht stimmt! Was schon seit Jahren wegen ihres Misserfolgs in der inter- ist das für ein Niveau?) nationalen Kritik. Allein der militärische Teil der Mis- sion verschlang im Laufe der letzten zwölf Jahre über Wenn die Situation in der Bundeswehr nicht so ernst 10 Milliarden Dollar. Doch an den Ursachen des Konflik- wäre, könnte man das als pubertär, ungezogen, kleinka- tes hat UNAMID nichts geändert. Das sieht man auch an riert abtun. dem letzten Bericht des UN-Generalsekretärs. Er ist voll (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder mit Details über bewaffnete Vorfälle, Erntevernichtun- [SPD]) gen, Menschenrechtsverletzungen. Und im Marra-Mas- siv wird weiter gekämpft. Meine Damen und Herren, Dieses Niveau trägt aber nicht dazu bei, die sicherheits- UNAMID hat keinen Frieden gebracht. Die Darstellung politische Debatte seriös zu führen, was wichtig ist in der Bundesregierung geht an der Realität in Darfur vor- diesem Haus. bei. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Henning Otte [CDU/CSU]: Sprechen Sie mal zum (Beifall bei der LINKEN) Thema! – Gegenruf des Abg. Bijan Djir-Sarai Als vor mehr als zwölf Jahren erstmalig Bundes- [FDP]: Das ist Ihr Niveau! Ich weiß, das tut wehrsoldaten nach Darfur entsandt wurden, rechtfertigte weh!) die damalige Große Koalition dies mit der grausamen – Ja, das tut weh; aber das müssen Sie ertragen, wenn Sie Politik des Präsidenten Baschir und der Dschandscha- Ihre Leute nicht im Griff haben. – Ich verstehe langsam, wid-Milizen, denen Völkermord zur Last gelegt wurde. warum sich die SPD immer mehr von dem Koalitions- Heute ist Baschir Bündnispartner der Bundesregierung vertrag absetzt. Das hat zwar zugegebenermaßen mit se- und der EU in der Flüchtlingsabwehr und wird großzü- riöser Regierungsführung auch nichts zu tun; aber an der gig mit Millionen unterstützt. Die Dschandschawid sind Stelle habe ich große Sympathie dafür. inzwischen in den sogenannten Rapid Support Forces aufgegangen, die für das Baschir-Regime die Flücht- (Beifall bei der FDP – Jürgen Hardt [CDU/ (B) lingsabwehr mit Waffengewalt durchsetzen. Es ist jene (D) CSU]: Davon redet gerade die FDP!) Miliz, die die Große Koalition für Hunderttausend Tote Meine Damen und Herren, drei deutsche Soldaten und und Millionen Binnenflüchtlinge in Darfur verantwort- fünf Polizistinnen und Polizisten sind in den Stäben. Un- lich gemacht hat, die nun für die EU und die Bundesre- ser Fokus – das hat man gerade gemerkt – richtet sich gierung im Sudan gegen Flüchtlinge vorgeht. Das, meine häufig auf die personalintensiven Einsätze wie in Af- Damen und Herren, zeigt die ganze Heuchelei deutscher ghanistan oder Mali. Aber auch diese Menschen leisten Außenpolitik. ihren Beitrag, weit weg von der Heimat. Sie beraten, unterstützen, weil dieser Friede eine Rolle spielt. – An (Beifall bei der LINKEN) dieser Stelle ein herzliches Dankeschön von den Freien Demokraten. Ihnen geht es darum, die Bundeswehr international zu positionieren, international mitzumischen. Und Ihnen (Beifall bei der FDP) geht es um Flüchtlingsabwehr. Das ist wahrscheinlich auch der einzige Grund, warum die AfD diesem Mandat Meine Damen und Herren, es gibt eine Abzugspers- zustimmt. pektive. Das ist eine gute Nachricht – ja, das wünschten wir uns auch bei den anderen Einsätzen –, wenngleich Die Linke hat immer gesagt: Positive Veränderung wir schauen müssen, wie sich die Lage vor Ort in den kann nicht militärisch von außen gebracht werden; sie kommenden zwölf Monaten vor dem Hintergrund der muss von innen wachsen. Die Ereignisse der letzten drei Massenproteste und des Ausnahmezustands entwickelt. Monate geben uns recht. Seit dem 19. Dezember 2018 Wir sind aber froh über diese Abzugsperspektive und gibt es Proteste in ganz Sudan: gegen Preiserhöhungen, hoffen, dass uns auch bei den anderen Einsätzen eine Ab- gegen Repression und für mehr Demokratie. Die sudane- zugsperspektive angeboten wird. sische Ärztin Sara Abdel Jalil sagt: Dies ist nicht nur ein Vielen Dank. Protest wegen Brot und Kraftstoff, es ist eine Revolution. Es gibt Einheit über die verschiedenen Teile der Gesell- (Beifall bei der FDP) schaft hinweg. – Das Regime antwortet mit dem Ausnah- mezustand. Laut Amnesty International sind bereits Dut- Vizepräsidentin Petra Pau: zende Personen von den Sicherheitskräften umgebracht Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin worden. Folter ist an der Tagesordnung. Christine Buchholz das Wort. Die Linke in Deutschland ist solidarisch mit diesem (Beifall bei der LINKEN) Aufstand für mehr Demokratie. Die Bundesregierung Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10599

Christine Buchholz (A) scheint solidarisch zu sein mit dem Regime Baschir. Das Das ist einfach nicht wahr. Diese Debatten haben Jahr (C) ist die bittere Realität. für Jahr belegt, dass wir alle – auch heute wieder – sa- gen: Eigentlich müssten Sie einen größeren personellen (Beifall bei der LINKEN) Beitrag – militärisch, aber natürlich auch im zivilen Be- Ich sage Ihnen: Beenden Sie die Zusammenarbeit mit der reich – liefern. sudanesischen Regierung, beenden Sie die unmenschli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN che Flüchtlingsabwehr, beenden Sie den Bundeswehrein- sowie bei Abgeordneten der FDP) satz in Darfur! Denn gerade wenn die Herausforderungen so groß sind, (Beifall bei der LINKEN) darf der eigene Beitrag nicht so klein sein.

Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber es geht nicht nur um die Anzahl von Personal, Vielen Dank, Christine Buchholz. – Guten Abend, lie- sondern es gibt weitere Aspekte, die bei dem internatio- be Kolleginnen und Kollegen, von mir an Sie. – Nächste nalen Engagement stärker in den Fokus rücken müssen. Rednerin: Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grü- Nur wenn die Ressourcenkonflikte um Wasser, Acker- nen. und Weideland nachhaltig gelöst werden können und wenn die katastrophalen Folgen der Klimakrise nicht nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in Sonntagsreden eine Rolle spielen, kann es eine echte Perspektive für die Menschen im Sudan geben. Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- NEN): SES 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Dar- fur ist noch lange nicht alles gut. Im Gegenteil: In der Re- Entscheidend für eine friedliche Zukunft ist aber auch gion Dschabal Marra wird nach wie vor heftig gekämpft, eine klare Haltung für Menschenrechte gegenüber dem und daran, dass die Binnenvertriebenen sich nicht wirk- Regime von Umar al-Baschir, gegen den immer noch ein lich in ihre Dörfer und Häuser zurücktrauen, sieht man, internationaler Haftbefehl vorliegt. Während im Sudan dass die Lage nach wie vor sehr, sehr angespannt ist. Man seit Monaten viele Menschen mutig auf die Straße ge- muss auch nur an das grausame Ausmaß des verbrecheri- hen und trotz der Repression weiter protestieren, lässt der schen Krieges zurückdenken, den der sudanesische Prä- sudanesische Langzeitpräsident die Menschen verhaften. sident al-Baschir zu verantworten hat. Mittlerweile sind fast 100 Menschen umgekommen. Es ist doch fatal, dass diese Bundesregierung dazu schweigt Erst diese Friedensmission der Vereinten Nationen, und diese Menschen alleine lässt. (B) über die wir heute beraten, konnte diese Katastrophe be- (D) enden. Auch heute ist sie noch ein wichtiger Baustein, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ohne den die Nothilfe vielerorts nicht möglich wäre. Al- Aber offensichtlich wollen Sie niemanden verschre- lein deshalb werden wir Grünen dieser Mission zustim- cken. Ihnen ist es wichtiger, dass man in Migrationsfra- men. gen mit einem solchen Verbrecherregime zusammenar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beitet. Das ist eine zynische und kurzsichtige Politik, die definitiv nicht zu mehr Frieden und Sicherheit beiträgt. Auch wir möchten den vielen Menschen, ob aus der Bundeswehr, der Polizei oder dem zivilen Bereich, dan- So gefährden Sie selbst das Gute, das im Rahmen der ken, die sich in den letzten zwölf Jahren in dieser Mis- UN-Mission getan wird. Wir können Sie nur auffordern: sion eingesetzt haben. Solche Einsätze dürfen natürlich Stellen Sie endlich wieder Sicherheit, Frieden und Men- keine Dauereinrichtungen sein. Die Mission soll bis 2020 schenrechte ins Zentrum Ihrer Außenpolitik statt eine enden. Doch bis zu diesem Datum bleibt noch einiges zu kurzsichtige, falsche und zynische Fluchtabwehr! tun. Vielen Dank. Man kann wie der Kollege Veith mit einem Augen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zwinkern sagen, dass es hier mehr Redner gibt als dort eingesetzte Soldatinnen und Soldaten. Aber ich habe mich schon viele Jahre gefragt, woher eigentlich das Ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: rücht kommt, dass das deutsche Parlament schuld daran Vielen Dank, Agnieszka Brugger. – Nächster und letz- ist, dass Deutschland nicht bereit ist, mehr Verantwor- ter Redner in der Debatte: Thoma Erndl für die CDU/ tung zum Beispiel auch bei solchen Friedensmissionen CSU-Fraktion. der Vereinten Nationen zu übernehmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich habe vor ein paar Jahren, als wir mit einer Dele- Thomas Erndl (CDU/CSU): gation des Verteidigungsausschusses in New York waren Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und dort an uns herangetragen wurde, uns nicht nur fi- Die Lage im Sudan ist schwierig. Seit Monaten Demons­ nanziell, sondern auch personell stärker zu engagieren, trationen gegen Präsident al-Baschir, ein ausgerufener herausgefunden, woran es liegt: Es ist diese Bundesre- Notstand, die Militarisierung von Teilen der Verwaltung: gierung, die immer wieder das Parlament vorschiebt, um Das alles verschlimmert die Lage der Menschen in die- zu behaupten, dass man sich nicht mehr einsetzen könne. sem doch seit Jahrzehnten von verschiedenen kriege- 10600 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Thomas Erndl (A) rischen Auseinandersetzungen gebeutelten Land. Ich Aber heute geht es um UNAMID. Ich bitte Sie bei (C) glaube, das stellt hier wirklich niemand infrage, liebe der jetzt folgenden Abstimmung um die Zustimmung zur Kollegin. Mandatsverlängerung. Herzlichen Dank. Aber in dieser Debatte richten wir heute den Blick auf die Region Darfur. Ich glaube, dass die Debatte zum The- (Beifall bei der CDU/CSU) ma „Mission UNAMID“ in der nötigen Ernsthaftigkeit geführt werden muss. Die dortige UN-Mission – es wur- Vizepräsidentin Claudia Roth: de bereits angesprochen: drei Soldaten, fünf Polizisten Vielen Dank, Thomas Erndl. – Damit schließe ich die und weitere zivile Kräfte – darf aber durchaus als Erfolg Aussprache. bezeichnet werden. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss- Man kann natürlich immer mehr machen, liebe Kolle- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag gin Brugger, aber ich glaube, wir müssen sämtliche Ein- der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung sätze der Bundeswehr und die Gesamtzahl der Missionen bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Hybriden Ein- im Blick haben. Da ist es durchaus auch eine Frage von satz der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen in Darfur (UNAMID). Der Ausschuss empfiehlt in sei- Verantwortung, in welcher Stärke man sich an so einer ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/8430, den Mission beteiligt. Aber wir sind letztendlich das einzi- Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 19/7725 an- ge europäische Land, das bei dieser Mission militärische zunehmen. Wie Sie offensichtlich wissen, stimmen wir Verantwortung übernimmt, und wir sind hier auch ein nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich verlässlicher Partner. bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- sehenen Plätze einzunehmen und uns körpersprachliche Ob es letzten Endes 3 oder 1 300 Soldaten, Polizisten Signale zu geben, ob die Plätze besetzt sind. – Das ist oder zivile Helfer sind: Jeder einzelne hat unseren Dank der Fall. Damit eröffne ich die Abstimmung über die Be- für den Einsatz für unser Land verdient. Im Namen der schlussempfehlung. Fraktion sage ich hier noch einmal Dankeschön für diese Leistungen. Gibt es Kolleginnen oder Kollegen hier im Saal – an- dere werde ich nicht erreichen –, die noch nicht abge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der stimmt haben? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe SPD und der FDP) ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er- 1) (B) Die humanitäre, politische und wirtschaftliche Situa- gebnis wird Ihnen später bekannt gegeben. (D) tion in der Region Darfur ist in einigen Bereichen nach Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen, damit ich den wie vor prekär. Das will niemand bestreiten. Trotzdem nächsten Tagesordnungspunkt aufrufen kann? ist festzustellen, dass die Lage, verglichen mit früheren Jahren, nie ruhiger und stabiler war. Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Alexander Die Prioritäten des Mandats bestehen darin, die Si- Graf Lambsdorff, Renata Alt, Grigorios Aggelidis, cherheitslage zu verbessern, humanitäre Zugänge zu si- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP chern, die Menschenrechtslage zu überwachen und die Friedensbemühungen zu begleiten. Im Wesentlichen Digitalisierung trifft auf Diplomatie – Innova- tionsbotschafter entsenden wurden diese Prioritäten auch erfüllt. Drucksache 19/8542 Die komplexe Gemengelage – auch das ist Realität – Überweisungsvorschlag: ist immer noch nicht aufgelöst. Trotzdem ist der Ver- Auswärtiger Ausschuss gleich mit dem Jahr 2007 sicherlich zufriedenstellend. Ausschuss Digitale Agenda Ich glaube, dass das eine wichtige Botschaft ist. Denn Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Maßnahmen für die politische und wirtschaftliche Sta- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- bilität vor Ort sind letztendlich wichtige Maßnahmen nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne gegen Fluchtursachen. Das liegt in unserem Interesse, die Aussprache und gebe das Wort Kollegin Renata Alt genauso wie es in unserem Interesse liegt, dass wir Afri- für die FDP-Fraktion. ka als Kontinent der Chancen sehen sollten und müssen. (Beifall bei der FDP) Wir verlängern möglicherweise zum letzten Mal die Beteiligung an UNAMID. Wir werden die Situation Renata Alt (FDP): genau beobachten. Aber im Jahr 2020 soll die Mission Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, lie- voraussichtlich in die UN-Aktivitäten für den gesamten be Kollegen! Digitalisierung, Technisierung und künstli- Sudan überführt werden. Aber auch nach möglicher Be- che Intelligenz wirken sich massiv auf die internationale endigung von UNAMID wird Deutschland die Entwick- Ordnung aus. Auch die deutsche Außen- und Sicherheits- lung in Darfur und im gesamten Sudan sicherlich weiter nachhaltig unterstützen, Stichwort „Vernetzter Ansatz“. 1) Ergebnis Seite 10602 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10601

Renata Alt (A) politik ist mittlerweile davon betroffen. Deutschland fehlt Digitalisierung und Diplomatie als Chance begreifen; (C) es leider in der technischen Entwicklung an Innovations- denn die Zukunft hat längst begonnen. kraft und einflussreichen Investoren. Quantencomputing, Robotik und Nanotechnologie finden meist anderswo auf (Beifall bei der FDP) der Welt und nicht in Deutschland statt; bei einer Bun- deskanzlerin, die das Internet erst im Jahr 2013 entdeckt Vizepräsidentin Claudia Roth: hat, überrascht das aber kaum. Vielen Dank, Renata Alt. – Nächster Redner: Dr. Andreas Nick für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Andreas Nick [CDU/CSU]: So ein (Beifall bei der CDU/CSU) Quatsch!) Deutschland droht hier den Anschluss zu verlieren. Wir Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Freie Demokraten fordern die Bundesregierung deshalb Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! auf, sich mit der Digitalisierung auch auf der diplomati- Natürlich ist im digitalen Zeitalter eine stärkere Ver- schen Ebene auseinanderzusetzen. netzung Deutschlands mit den globalen Zentren der di- gitalen Wirtschaft zweifellos sinnvoll und notwendig. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ihr Antrag, liebe Frau Alt, spricht daher durchaus einen wichtigen Themenbereich an, aber er erscheint bei nä- Was wollen wir konkret? Um internationale Herausfor- herer Betrachtung doch reichlich mit heißer Nadel ge- derungen zu meistern, ist Diplomatie zwischen Staaten strickt. Aus der Aneinanderreihung von ein paar Schlag- und IT-Unternehmen notwendig. Der US-Konzern Apple wörtern wird eben noch keine schlüssige Strategie. Bei beschäftigt mittlerweile weltweit 123 000 Mitarbeiter. manchen Forderungen habe ich mich ernsthaft gefragt, Sein Börsenwert nähert sich dem BIP von Mexiko, einem ob die von Ihnen beschriebenen Aufgaben nun wirklich Land mit fast 130 Millionen Einwohnern. vorrangig bei Beamten des Auswärtigen Amtes angesie- Technologieunternehmen sind heute einflussreicher delt sein sollten. als so mancher Nationalstaat. Es wird Zeit, dass auch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutschland das erkennt. Sie fordern als FDP doch sonst immer recht pauschal (Beifall bei Abgeordneten der FDP) das Prinzip „Privat vor Staat“, und hier erwarten Sie sich ausgerechnet im Bereich disruptiver Technologien und Statt wie bei der Debatte um 5G nur Zaungast zu sein, Geschäftsmodelle vielleicht doch etwas zu viel ganz vom sollte Deutschland die modernsten technologischen Ent- (B) Staat allein. Denn wenn wir uns fragen, wie wir als Staat (D) wicklungen selbst gestalten. Dafür braucht es aber einen bessere Rahmenbedingungen für digitale Innovationen ständigen Dialog mit führenden Unternehmen und auf- und disruptive Geschäftsmodelle schaffen können, dann strebenden Start-ups in den Innovationszentren der Welt. doch vor allem durch Unterstützung für private Initiati- ven. Dafür gibt es exzellente Beispiele. Ich denke ins- Unsere Nachbarn Dänemark und Frankreich haben das besondere an die Delegationsreisen des Bundesverbands rechtzeitig erkannt. Beide Länder haben im Jahr 2017 je- Deutsche Start-ups, die seit 2012 regelmäßig nicht nur weils einen „Tech-Ambassador“ nach Silicon Valley ent- ins Silicon Valley, nach New York oder Tel Aviv führen, sandt. Liebe Bundesregierung, wir wünschen uns, dass sondern inzwischen auch nach Bangalore, Schanghai und auch Deutschland in der Zukunft bzw. so bald wie mög- Shenzhen. Hier werden weltweit Brücken in die führen- lich einen Innovationsbotschafter in die Ballungszentren den Start-up-Ökosysteme gebaut und deutsche Start-ups, der Hightechindustrien, wie Silicon Valley, Tel Aviv oder etablierte Unternehmen, Family Offices, Venture-Capi- Shenzhen, entsendet. tal-Geber, Business Angels, Medienvertreter und auch (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Politiker mit den relevanten Akteuren vor Ort vernetzt. Das kann Deutschland einen entscheidenden Wettbe- Der auch vom BMBF geförderte German Accelerator werbsvorteil liefern. Nutzen Sie unsere Auslandsvertre- unterstützt deutsche Start-ups bei der Kontaktanbahnung tungen, um den Kontakt zu führenden Tech-Unterneh- in Hightech-Regionen der USA. Unsere Auslandshan- men – das ist wichtig – auszubauen. Dafür fordern wir die delskammern, aber auch Germany Trade and Invest und Schaffung einer digitalen Infrastruktur im Auswärtigen natürlich auch unsere Auslandsvertretungen wie die Ge- Amt und die Schaffung eigener Digitalabteilungen. Wir neralkonsulate in San Francisco und Boston leisten dabei wollen eine Technologieaußenpolitik entwickeln, mit wertvolle Unterstützung. Das kann sicher alles noch aus- der wir Trends frühzeitig selbst setzen. Dazu gehört ein gebaut und intensiviert werden. Frühwarnsystem für Entwicklungen in der Wissenschaft, Die Digitalisierung stellt auch unsere Diplomatie vor bei Unternehmensgründungen und Patenten. Politik und neue Chancen und Herausforderungen: mit neuen Akteu- deutsche Unternehmen profitieren davon gleichermaßen. ren und Adressaten, neuen Themen und neuen Formen der Kommunikation. Nicht umsonst ist mittlerweile viel- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland fach von „digitaler Diplomatie“ die Rede. braucht eine moderne Außenpolitik. Der diplomatische Austausch mit großen Tech-Unternehmen ermöglicht In Ihrem Antrag nennen Sie zwar die Beispiele aus Deutschland einen dringend benötigten Innovations- und Dänemark und Frankreich, mit denen sich eine weitere Investitionsschub. Lassen Sie uns die Verbindung von Beschäftigung durchaus lohnt. Aber im Einzelnen ausei- 10602 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Andreas Nick (A) nandergesetzt haben Sie sich mit den dortigen durchaus tionierteste private Initiative für mehr Sicherheit im Cy- (C) unterschiedlichen Schwerpunkten, Konzepten und Er- berspace. fahrungen offenbar nicht. Jedenfalls wird das aus Ihrem Antrag nicht erkennbar. Bei den Social-Media-Plattformen stellt sich dagegen vieles kritischer dar. Beispielsweise hätten wir uns bei Dänemark versucht über seine „TechPlomacy“, vor- der Bekämpfung von Fake News oder Datenmissbrauch rangig eine Dialogplattform mit den Technologieindus- von den Anbietern mehr Vorausschau in der Risikoanaly- trien im Silicon Valley und in China aufzubauen. Aber se und Gefahrenabwehr gewünscht. auch nach gut eineinhalb Jahren spricht man da von sehr „gemischten Erfahrungen“, eine Einschätzung, die ich Gerade die hohe Geschwindigkeit sozialer Medien auch aus eigener Erfahrung durch Gespräche im Silicon zeigt auch, dass es uns in Zeiten immer schnellerer Kom- Valley bestätigen kann. munikationszyklen gelingen muss, unsere Außenpoli- tik auch unmittelbar im Dialog mit breiten Zielgruppen Frankreich dagegen hat seinem Technologiebotschaf- zu vermitteln. Einseitige strategische Kommunikation ter die breite Zuständigkeit für internationale Verhand- reicht dazu nicht mehr aus. Wir müssen Instrumente ent- lungen zu Cybersicherheit, Internet Governance, Mei- wickeln, um zum Beispiel frühzeitig Falschmeldungen nungsfreiheit und Urheberrechten im Netz sowie für die im Netz zu identifizieren und auf sie reagieren zu kön- Förderung der digitalen Wirtschaft und von Open Data nen. Wir wollen aber auch positive Aufmerksamkeit für übertragen. unsere Werte und Interessen wecken. Kernfrage der Cyberaußenpolitik ist doch: Wie kön- Digitale Diplomatie kann die wertvolle Arbeit un- nen allgemein verbindliche Regeln für Sicherheit und serer Diplomatinnen und Diplomaten in unseren Aus- Ordnung im Cyberspace definiert und ihre Einhaltung landsvertretungen keineswegs ersetzen. Sie ist aber ein gewährleistet werden? Und wie können dabei individuel- unverzichtbares Instrument, unsere Werte und Interessen le Privatsphäre und Datenschutz gleichermaßen auch vor glaubhaft zu vermitteln. der Willkür, insbesondere autoritärer Staaten, geschützt werden? Vielen Dank. Eine enge Einbindung der Privatwirtschaft im Rah- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- men eines Multi-Stakeholder-Ansatzes ist dabei unver- ordneten der SPD) zichtbar. Und so findet im November 2019 hier bei uns in Berlin das 19. Internet Governance Forum statt. Die Vizepräsidentin Claudia Roth: Einladung der Bundesregierung dazu geht nicht zuletzt Vielen Dank, Dr. Nick. auf eine gemeinsame Initiative aus unserer Fraktion zu- (B) rück, die ich in der vergangenen Wahlperiode gemeinsam Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich (D) mit den Kollegen Peter Tauber und Thomas Jarzombek Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern auf den Weg gebracht habe. ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Streitkräfte an dem Hybriden Einsatz der Afrikanischen Wir Europäer sollten uns in dieser Debatte engagiert Union und der Vereinten Nationen in Darfur, UNAMID, einbringen; denn gerade die global agierenden Player wie mitteilen: abgegebene Stimmen 664. Mit Ja haben ge- Apple, Google oder Microsoft sind zentrale Ansprech- stimmt 582 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben partner. Die von Microsoft vorgeschlagene Schaffung gestimmt 82. Es gab keine Enthaltungen. Die Beschluss- einer digitalen Genfer Konvention ist aktuell die ambi- empfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Thomas Bareiß Ralph Brinkhaus Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Abgegebene Stimmen: 664; Maik Beermann Dr. Carsten Brodesser Manfred Behrens (Börde) Michael Frieser davon Gitta Connemann Veronika Bellmann Hans-Joachim Fuchtel ja: 582 Astrid Damerow Dr. André Berghegger Ingo Gädechens nein: 82 Alexander Dobrindt Melanie Bernstein Dr. Thomas Gebhart enthalten: 0 Michael Donth Christoph Bernstiel Alois Gerig Marie-Luise Dött Peter Beyer Eberhard Gienger Hansjörg Durz Ja Marc Biadacz Eckhard Gnodtke Thomas Erndl Steffen Bilger Ursula Groden-Kranich CDU/CSU Peter Bleser Hermann Färber Hermann Gröhe Dr. Michael von Abercron Norbert Brackmann Uwe Feiler Klaus-Dieter Gröhler Stephan Albani Dr. Reinhard Brandl Enak Ferlemann Michael Grosse-Brömer Norbert Maria Altenkamp Michael Brand (Fulda) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Astrid Grotelüschen Philipp Amthor Silvia Breher Land) Markus Grübel Artur Auernhammer Sebastian Brehm Dr. Maria Flachsbarth Manfred Grund Peter Aumer Heike Brehmer Thorsten Frei Oliver Grundmann Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10603

(A) Monika Grütters Nikolas Löbel Jana Schimke Kai Whittaker (C) Fritz Güntzler Bernhard Loos Tankred Schipanski Annette Widmann-Mauz Olav Gutting Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Claudia Schmidtke Bettina Margarethe Christian Haase Daniela Ludwig Patrick Schnieder Wiesmann Jürgen Hardt Karin Maag Felix Schreiner Klaus-Peter Willsch Matthias Hauer Dr. Thomas de Maizière Dr. Klaus-Peter Schulze Elisabeth Winkelmeier- Mark Hauptmann Gisela Manderla Uwe Schummer Becker Dr. Matthias Heider Dr. Astrid Mannes Armin Schuster (Weil am Emmi Zeulner Mechthild Heil Matern von Marschall Rhein) Paul Ziemiak Thomas Heilmann Hans-Georg von der Marwitz Torsten Schweiger Dr. Matthias Zimmer Frank Heinrich (Chemnitz) Andreas Mattfeldt Detlef Seif Mark Helfrich Stephan Mayer (Altötting) Johannes Selle SPD Rudolf Henke Dr. Michael Meister Reinhold Sendker Niels Annen Michael Hennrich Jan Metzler Dr. Patrick Sensburg Ingrid Arndt-Brauer Marc Henrichmann Dr. h. c. Hans Michelbach Thomas Silberhorn Heike Baehrens Ansgar Heveling Dr. Mathias Middelberg Björn Simon Ulrike Bahr Dr. Heribert Hirte Dietrich Monstadt Tino Sorge Nezahat Baradari Christian Hirte Karsten Möring Jens Spahn Doris Barnett Alexander Hoffmann Marlene Mortler Katrin Staffler Dr. Matthias Bartke Karl Holmeier Elisabeth Motschmann Frank Steffel Sören Bartol Hans-Jürgen Irmer Dr. Gerd Müller Dr. Wolfgang Stefinger Lothar Binding (Heidelberg) Thomas Jarzombek Axel Müller Albert Stegemann Leni Breymaier Andreas Jung Sepp Müller Andreas Steier Dr. Karl-Heinz Brunner Ingmar Jung Carsten Müller Sebastian Steineke Katrin Budde Alois Karl (Braunschweig) Johannes Steiniger Martin Burkert Anja Karliczek Stefan Müller (Erlangen) Peter Stein (Rostock) Dr. Lars Castellucci Torbjörn Kartes Dr. Andreas Nick Christian Frhr. von Stetten Bernhard Daldrup Volker Kauder Petra Nicolaisen Dieter Stier Dr. Daniela De Ridder Dr. Stefan Kaufmann Michaela Noll Gero Storjohann Dr. Karamba Diaby (B) (D) Ronja Kemmer Dr. Georg Nüßlein Stephan Stracke Esther Dilcher Roderich Kiesewetter Wilfried Oellers Max Straubinger Sabine Dittmar Michael Kießling Florian Oßner Karin Strenz Dr. Wiebke Esdar Dr. Georg Kippels Josef Oster Michael Stübgen Saskia Esken Volkmar Klein Henning Otte Dr. Peter Tauber Yasmin Fahimi Axel Knoerig Sylvia Pantel Dr. Hermann-Josef Tebroke Dr. Johannes Fechner Jens Koeppen Martin Patzelt Hans-Jürgen Thies Dr. Fritz Felgentreu Markus Koob Dr. Joachim Pfeiffer Alexander Throm Dr. Edgar Franke Carsten Körber Stephan Pilsinger Dr. Dietlind Tiemann Ulrich Freese Alexander Krauß Dr. Christoph Ploß Antje Tillmann Dagmar Freitag Gunther Krichbaum Eckhard Pols Markus Uhl Sigmar Gabriel Dr. Günter Krings Thomas Rachel Dr. Volker Ullrich Michael Gerdes Rüdiger Kruse Kerstin Radomski Arnold Vaatz Martin Gerster Michael Kuffer Alexander Radwan Oswin Veith Angelika Glöckner Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Alois Rainer Kerstin Vieregge Timon Gremmels Andreas G. Lämmel Dr. Peter Ramsauer Christoph de Vries Kerstin Griese Katharina Landgraf Eckhardt Rehberg Kees de Vries Michael Groß Ulrich Lange Lothar Riebsamen Dr. Johann David Wadephul Uli Grötsch Dr. Silke Launert Josef Rief Marco Wanderwitz Bettina Hagedorn Jens Lehmann Johannes Röring Nina Warken Rita Hagl-Kehl Paul Lehrieder Dr. Norbert Röttgen Kai Wegner Metin Hakverdi Dr. Katja Leikert Stefan Rouenhoff Albert H. Weiler Sebastian Hartmann Dr. Andreas Lenz Erwin Rüddel Marcus Weinberg (Hamburg) Dirk Heidenblut Dr. Ursula von der Leyen Albert Rupprecht Dr. Anja Weisgerber Hubertus Heil (Peine) Antje Lezius Stefan Sauer Peter Weiß (Emmendingen) Gabriela Heinrich Andrea Lindholz Anita Schäfer (Saalstadt) Sabine Weiss (Wesel I) Wolfgang Hellmich Dr. Carsten Linnemann Dr. Wolfgang Schäuble Ingo Wellenreuther Dr. Barbara Hendricks Patricia Lips Andreas Scheuer Marian Wendt Gustav Herzog 10604 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Gabriele Hiller-Ohm Susann Rüthrich Berengar Elsner von Gronow Dr. Harald Weyel (C) Thomas Hitschler Bernd Rützel Dr. Michael Espendiller Wolfgang Wiehle Dr. Eva Högl Sarah Ryglewski Peter Felser Dr. Heiko Wildberg Frank Junge Johann Saathoff Dietmar Friedhoff Dr. Christian Wirth Josip Juratovic Axel Schäfer (Bochum) Dr. Anton Friesen Uwe Witt Thomas Jurk Dr. Nina Scheer Markus Frohnmaier Oliver Kaczmarek Marianne Schieder Dr. Götz Frömming FDP Johannes Kahrs Udo Schiefner Dr. Alexander Gauland Grigorios Aggelidis Elisabeth Kaiser Dr. Nils Schmid Dr. Axel Gehrke Renata Alt Gabriele Katzmarek Uwe Schmidt Albrecht Glaser Christine Aschenberg- Cansel Kiziltepe Ulla Schmidt (Aachen) Wilhelm von Gottberg Dugnus Arno Klare Dagmar Schmidt (Wetzlar) Kay Gottschalk Nicole Bauer Lars Klingbeil Carsten Schneider (Erfurt) Armin-Paulus Hampel Jens Beeck Dr. Bärbel Kofler Johannes Schraps Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Jens Brandenburg Daniela Kolbe Michael Schrodi Dr. Roland Hartwig (Rhein-Neckar) Elvan Korkmaz Dr. Manja Schüle Jochen Haug Mario Brandenburg Anette Kramme Ursula Schulte Martin Hebner (Südpfalz) Christine Lambrecht Martin Schulz Udo Theodor Hemmelgarn Dr. Marco Buschmann Christian Lange (Backnang) Swen Schulz (Spandau) Waldemar Herdt Karlheinz Busen Dr. Karl Lauterbach Frank Schwabe Lars Herrmann Carl-Julius Cronenberg Helge Lindh Stefan Schwartze Martin Hess Britta Katharina Dassler Burkhard Lischka Andreas Schwarz Martin Hohmann Bijan Djir-Sarai Kirsten Lühmann Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Bruno Hollnagel Christian Dürr Heiko Maas Rainer Spiering Leif-Erik Holm Hartmut Ebbing Caren Marks Svenja Stadler Johannes Huber Dr. Marcus Faber Katja Mast Martina Stamm-Fibich Fabian Jacobi Daniel Föst Christoph Matschie Sonja Amalie Steffen Dr. Marc Jongen Katrin Helling-Plahr Hilde Mattheis Mathias Stein Jens Kestner Markus Herbrand Dr. Matthias Miersch Stefan Keuter Torsten Herbst (B) Kerstin Tack (D) Klaus Mindrup Claudia Tausend Norbert Kleinwächter Katja Hessel Susanne Mittag Michael Thews Jörn König Dr. Gero Clemens Hocker Falko Mohrs Markus Töns Rüdiger Lucassen Manuel Höferlin Claudia Moll Carsten Träger Dr. Lothar Maier Dr. Christoph Hoffmann Siemtje Möller Ute Vogt Jens Maier Reinhard Houben Bettina Müller Marja-Liisa Völlers Dr. Birgit Malsack- Ulla Ihnen Detlef Müller (Chemnitz) Winkemann Dirk Vöpel Olaf In der Beek Michelle Müntefering Corinna Miazga Gabi Weber Gyde Jensen Dr. Rolf Mützenich Volker Münz Bernd Westphal Dr. Christian Jung Dietmar Nietan Sebastian Münzenmaier Dirk Wiese Thomas L. Kemmerich Ulli Nissen Christoph Neumann Gülistan Yüksel Karsten Klein Thomas Oppermann Jan Ralf Nolte Dr. Marcel Klinge Dagmar Ziegler Josephine Ortleb Paul Viktor Podolay Daniela Kluckert Dr. Jens Zimmermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Stephan Protschka Pascal Kober Aydan Özoğuz Martin Reichardt Dr. Lukas Köhler AfD Christian Petry Martin Erwin Renner Carina Konrad Detlev Pilger Dr. Bernd Baumann Roman Johannes Reusch Wolfgang Kubicki Sabine Poschmann Marc Bernhard Ulrike Schielke-Ziesing Konstantin Kuhle Florian Post Andreas Bleck Dr. Robby Schlund Alexander Kulitz Achim Post (Minden) Peter Boehringer Jörg Schneider Alexander Graf Lambsdorff Dr. Sascha Raabe Stephan Brandner Uwe Schulz Ulrich Lechte Martin Rabanus Jürgen Braun Thomas Seitz Christian Lindner Andreas Rimkus Marcus Bühl Martin Sichert Michael Georg Link Sönke Rix Petr Bystron Detlev Spangenberg (Heilbronn) Dennis Rohde Tino Chrupalla Dr. Dirk Spaniel Oliver Luksic Dr. Martin Rosemann Joana Cotar René Springer Till Mansmann René Röspel Dr. Gottfried Curio Beatrix von Storch Dr. Jürgen Martens Dr. Ernst Dieter Rossmann Thomas Ehrhorn Dr. Alice Weidel Christoph Meyer Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10605

(A) Alexander Müller Britta Haßelmann Nein Jan Korte (C) Roman Müller-Böhm Dr. Bettina Hoffmann Jutta Krellmann Frank Müller-Rosentritt Dr. Anton Hofreiter AfD Caren Lay Dr. Martin Neumann Ottmar von Holtz Matthias Büttner Sabine Leidig (Lausitz) Dieter Janecek Siegbert Droese Ralph Lenkert Hagen Reinhold Dr. Kirsten Kappert-Gonther Franziska Gminder Michael Leutert Bernd Reuther Uwe Kekeritz Karsten Hilse Stefan Liebich Dr. Stefan Ruppert Katja Keul Nicole Höchst Dr. Gesine Lötzsch Dr. h. c. Thomas Sattelberger Sven-Christian Kindler Enrico Komning Thomas Lutze Christian Sauter Maria Klein-Schmeink Dr. Rainer Kraft Amira Mohamed Ali Frank Schäffler Sylvia Kotting-Uhl Frank Magnitz Cornelia Möhring Dr. Wieland Schinnenburg Oliver Krischer Andreas Mrosek Niema Movassat Matthias Seestern-Pauly Christian Kühn (Tübingen) Hansjörg Müller Norbert Müller (Potsdam) Frank Sitta Renate Künast Frank Pasemann Zaklin Nastic Judith Skudelny Monika Lazar Tobias Matthias Peterka Dr. Alexander S. Neu Dr. Hermann Otto Solms Sven Lehmann Jürgen Pohl Thomas Nord Bettina Stark-Watzinger Steffi Lemke Dr. Marie-Agnes Strack- Dr. Tobias Lindner Petra Pau DIE LINKE Zimmermann Dr. Irene Mihalic Sören Pellmann Benjamin Strasser Claudia Müller Doris Achelwilm Victor Perli Katja Suding Beate Müller-Gemmeke Gökay Akbulut Tobias Pflüger Linda Teuteberg Ingrid Nestle Simone Barrientos Martina Renner Michael Theurer Dr. Konstantin von Notz Dr. Dietmar Bartsch Bernd Riexinger Stephan Thomae Omid Nouripour Lorenz Gösta Beutin Eva-Maria Schreiber Dr. Florian Toncar Friedrich Ostendorff Matthias W. Birkwald Dr. Petra Sitte Dr. Andrew Ullmann Cem Özdemir Heidrun Bluhm Helin Evrim Sommer Gerald Ullrich Lisa Paus Michel Brandt Kersten Steinke Nicole Westig Filiz Polat Christine Buchholz Friedrich Straetmanns (B) Katharina Willkomm Tabea Rößner Birke Bull-Bischoff Dr. Kirsten Tackmann (D) Claudia Roth (Augsburg) Jörg Cezanne Jessica Tatti BÜNDNIS 90/ Dr. Manuela Rottmann Sevim Dağdelen Alexander Ulrich DIE GRÜNEN Corinna Rüffer Fabio De Masi Kathrin Vogler Kerstin Andreae Manuel Sarrazin Dr. Diether Dehm Dr. Sahra Wagenknecht Lisa Badum Ulle Schauws Anke Domscheit-Berg Andreas Wagner Dr. Frithjof Schmidt Klaus Ernst Annalena Baerbock Harald Weinberg Stefan Schmidt Susanne Ferschl Margarete Bause Katrin Werner Kordula Schulz-Asche Brigitte Freihold Dr. Danyal Bayaz Hubertus Zdebel Dr. Wolfgang Strengmann- Sylvia Gabelmann Agnieszka Brugger Pia Zimmermann Dr. Anna Christmann Kuhn Nicole Gohlke Margit Stumpp Sabine Zimmermann Ekin Deligöz Dr. Gregor Gysi (Zwickau) Katja Dörner Markus Tressel Dr. André Hahn Katharina Dröge Jürgen Trittin Heike Hänsel Dr. Julia Verlinden BÜNDNIS 90/ Harald Ebner Matthias Höhn DIE GRÜNEN Matthias Gastel Daniela Wagner Andrej Hunko Canan Bayram Kai Gehring Gerhard Zickenheiner Ulla Jelpke Stefan Gelbhaar Kerstin Kassner Fraktionslos Erhard Grundl Fraktionslos Dr. Achim Kessler Anja Hajduk Uwe Kamann Katja Kipping Marco Bülow

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Jetzt gehe ich zurück in die Debatte. Das Wort hat für Dr. Roland Hartwig (AfD): die AfD-Fraktion Dr. Roland Hartwig. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um das Ganze wieder etwas zu erden: Ja, es ist richtig, dass (Beifall bei der AfD) Deutschland in vielen Bereichen dabei ist, den Anschluss 10606 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Roland Hartwig (A) an die Weltspitze zu verlieren, und zwar ganz besonders Denjenigen, die hier voreilig das Ende der National- (C) auf dem Gebiet der Digitalisierung. staaten bejubeln, rate ich dringend zu einem Blick auf die sozialen und wirtschaftlichen Realitäten. Wer sorgt denn (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Quatsch!) dafür, dass die berechnende Kälte internationaler Geld- Die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen in den USA und ströme abgemildert wird, die seit den 90er-Jahren zu- in China und kaum noch in Deutschland. Aber daran wird nehmend zu spüren ist? Wer zahlt denn die Steuern, aus die von der FDP geforderte Entsendung von Innovations- denen Deutschland seine gigantischen Sozialausgaben fi- botschaftern nun wirklich gar nichts ändern. Wir brau- nanziert? Die internationalen Technologieunternehmen? chen vielmehr einen grundsätzlichen Kurswechsel. Nein! Das ist in erster Linie der deutsche Mittelstand. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Gerade bei der aktuellen Diskussion um 5G wird es Was sind die Kennzeichen des deutschen Wirtschafts- wieder besonders deutlich: Die deutsche Industrie, noch systems, die unsere Wirtschaft zur leistungsfähigsten der vor wenigen Jahren führend im Bereich der Netzwerkin- Welt gemacht haben, die uns nach den verheerenden Zer- frastruktur, hat diese Kapazität heute verloren. Falsche störungen des Zweiten Weltkriegs das Wirtschaftswunder politische Rahmenbedingungen hatten hieran einen ganz ermöglicht haben? Ein starkes Handwerk, eine dezentra- entscheidenden Anteil. Günstige Preise waren die vor- le Wirtschaft, ein industrieller Mittelstand, wettbewerbs- rangige Zielsetzung. In der Folge haben wir technologi- fähige Großunternehmen, Banken, die Ersparnisse in sche Komponenten zunehmend aus Asien bezogen und die regionale Wirtschaft leiten, sowie ein vorbildliches eigene Kapazitäten und Fertigkeiten abgebaut. Bildungs- und Wissenschaftssystem. Wir brauchen da- Dies ist kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Pro- her nicht Botschafter, sondern eine Renaissance unserer blem. Seit Ende des Kalten Krieges geht die deutsche Po- Wirtschaftskultur, um im internationalen Wettbewerb des litik ganz offensichtlich davon aus, dass der Liberalismus 21. Jahrhunderts bestehen zu können. den Wettbewerb um das beste Wirtschafts- und Gesell- (Beifall bei der AfD) schaftsmodell dauerhaft und endgültig für sich entschie- den hat. Das ist schlichtweg naiv. Eine kluge Wirtschafts- Bei einem sich intensivierenden Wettstreit, gerade politik sieht anders aus. zwischen den USA und China, und geringem Vertrauen (Beifall bei der AfD) in die Sicherheit technologischer Lösungen aus diesen beiden Ländern könnten vertrauenswürdige Innovati- Wir haben unsere soziale Marktwirtschaft entkernt onen „made in Germany“ ein Exportschlager werden. und zunehmend angelsächsischen Finanzkapitalismus Wenn wir diese Herausforderungen bewältigt haben, (B) bei uns eingeführt. Die Finanzkrise 2008 war hierfür ein meine Damen und Herren von der FDP, dann können wir (D) Zeugnis. Landesbanken, die Ersparnisse in die regionale auch über Ihre Innovationsbotschafter nachdenken, quasi Wirtschaft hätten leiten sollen, haben diese an den Fi- als Tüpfelchen auf dem i. Aber erst einmal brauchen wir nanzmärkten verzockt. Banken aber sollen die Realwirt- eine mit klarer Schrift geschriebene andere Wirtschafts- schaft finanzieren und nicht umgekehrt. politik in Deutschland. Dann kann die FDP gerne noch Wir haben politisch, gesellschaftlich und auch privat- ihr kleines Pünktchen dazugeben. wirtschaftlich vieles kurzfristigem Denken untergeord- Vielen Dank. net. Langfristig wichtige Technologien wurden geop- fert, um kurzfristig Erfolge zu erzielen. Technologische (Beifall bei der AfD) Abhängigkeiten von anderen Ländern wie den USA und jetzt auch China sind der Preis dafür. Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir haben ganz offensichtlich den Blick dafür verlo- Vielen Dank, Dr. Hartwig. – Nächster Redner für die ren, dass es auch nach Ende des Kalten Krieges Wirt- Bundesregierung: Staatsminister Niels Annen. schafts- und Gesellschaftsmodelle gibt, die in Konkur- renz zu unserem stehen und die sich in einigen Bereichen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten als deutlich erfolgreicher darstellen. China ist dafür ein der CDU/CSU) klares Beispiel. (Beifall bei der AfD) Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Vielen Dank. – Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr China ist auch eines der Länder, in das die FDP Inno- verehrten Damen und Herren! Die Digitalisierung und vationsbotschafter entsenden möchte. Die anderen Län- die mit ihr einhergehende Transformation von Wirtschaft der sind die USA, Israel, Singapur und Südkorea. Ja, sie und Gesellschaft sind zentrale Themen für die Arbeit bei sind alle technologisch führend. Aber was fällt noch auf? uns im Auswärtigen Amt. Wir widmen ihr große Auf- Sie sind alle starke Nationalstaaten. merksamkeit. Das gilt für die Analyse und die Bericht- (Beifall des Abg. Frank Magnitz [AfD]) erstattung der wichtigsten Entwicklungen im Digitalbe- reich ebenso wie für das Werben für den Digitalstandort Sie haben im Gegensatz zu uns noch Regierungen, die Deutschland, im Inland und natürlich ganz besonders im sich in erster Linie ihrem eigenen Volk verpflichtet füh- Ausland – das ist unsere Aufgabe –, aber auch für die len. Nutzung digitaler Technologien als Instrumente moder- (Beifall bei der AfD) ner Diplomatie. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10607

Staatsminister Niels Annen (A) Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, darauf hin- se- und Meinungsfreiheit eingeschränkt, die Opposition (C) zuweisen, dass das Auswärtige Amt durch gründliche verfolgt wird oder Korruption grassiert, lässt sich dies Information und fundierte Analyse seinen Beitrag zu die- messen und als Indikator nutzen. So zeigen sich Mus- ser notwendigen Digitalisierungsdebatte leisten will. Die ter, die interpretiert werden können, wenn die Daten zur Kolleginnen und Kollegen in den Wirtschafts- und Wis- Verfügung stehen. Sie sind nämlich häufig Vorboten für senschaftsabteilungen der Auslandsvertretungen liefern Krisen und Kriege. bereits beständig Berichte zu technologischen Innovatio- nen sowie wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Trends Das Projekt PreView stößt sowohl in anderen Ressorts in den Ländern, in denen sie arbeiten. Daraus ergibt sich der Bundesregierung als auch im Ausland auf großes In- ein Gesamtbild, mit dem wir arbeiten und aus dem wir teresse. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Handlungsoptionen ableiten. Kolleginnen und Kollegen, ich will denjenigen, die ges- tern nicht die Möglichkeit hatten, dazuzukommen, das Diese Berichte, meine sehr verehrten Damen und Her- Angebot unterbreiten: Sie sind jederzeit eingeladen, sich ren, kommen der gesamten Bundesregierung und natür- diese Arbeit im Projektbüro im Auswärtigen Amt anzu- lich auch dem Bundestag zugute. Sie enthalten häufig schauen. Hinweise zu konkreten Betätigungsfeldern für deutsche Unternehmen und weisen dort auf Chancen hin. Insbe- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sondere durch ihre detaillierten Kenntnisse über Akteure, CDU/CSU) aber auch Netzwerke vor Ort leisten die deutschen Aus- landsvertretungen bei dieser Aufgabe schon heute eine Das zweite Projekt, an dem das Auswärtige Amt gera- wichtige, eine unverzichtbare Unterstützungsarbeit. de arbeitet, ist ein Internetportal für digitale Dienste. Im Ausland lebende Deutsche, aber auch Ausländer sollen Darüber hinaus hat das Auswärtige Amt, liebe Frau das Portal nutzen können. Es soll ermöglichen, Visa- und Kollegin Alt, im Sommer letzten Jahres bereits einen Konsularleistungen online zu beantragen und auch zu Digitalbotschafter ernannt, der sich gezielt mit den viel- erhalten, ganz ohne die bisher aufwendigen Papierbe- fältigen Folgen der weltweiten Digitalisierung auseinan- werbungen und mit möglichst wenigen Besuchen in den dersetzt und systematisch Kontakte in die Zentren der deutschen Auslandsvertretungen. digitalen Transformation weltweit knüpft. Das ist ansatz- weise der Punkt, auf den Sie in Ihrem Antrag hingewie- Natürlich gehört zur Wahrheit an dieser Stelle auch, sen haben. Seine Aufgabe ist es, dem Auswärtigen Amt dass wir vor der Umsetzung zunächst einmal eine Reihe bei der Entwicklung einer Strategie für Außenpolitik im von wichtigen komplexen und komplizierten rechtlichen digitalen Zeitalter entscheidende Impulse zu geben. Fragen klären müssen. Zudem brauchen wir in den Aus- (B) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir wollen landsvertretungen und in der Zentrale in Berlin – das ist (D) und müssen die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung mir ganz besonders wichtig, und ich möchte gerne die für die Instrumente der deutschen Diplomatie ebenso wie Gelegenheit nutzen, das noch mal darzustellen – ausrei- für unsere eigenen internen Abläufe besser nutzen. Da chende Ressourcen. Dies gilt vor allem, wenn wir schnel- sind wir uns, glaube ich, alle einig. lere Bearbeitungszeiten von Visaanträgen bei gleichzeitig steigenden Antragszahlen erreichen wollen. Liebe Kol- (Beifall des Abg. Frank Müller-Rosentritt leginnen und Kollegen, ich bitte Sie hierfür ebenso um [FDP]) Unterstützung im parlamentarischen Haushaltsverfahren wie für die Digitalisierungsbemühungen, für das Projekt Lassen Sie mich deswegen zwei konkrete Projekte nen- PreView, aber auch die anderen Elemente, die ich hier nen, an denen wir im Auswärtigen Amt arbeiten. vorgestellt habe, für eine verbesserte Datenausstattung Einige von Ihnen haben gestern die Einladung zu ei- und Digitalisierung in unseren Auslandsvertretungen. nem Parlamentarischen Abend gegenüber in der DPG an- Wir beraten gerade über ein Fachkräfteeinwanderungs- genommen und hatten die Gelegenheit, sich über die Au- gesetz. Das wird auch mit Mehrarbeit in den Visastellen ßenpolitik in Zeiten der Digitalisierung zu informieren. verbunden sein. Deswegen brauchen wir dafür zusätz- Wir haben das Projekt PreView vorgestellt. Das hat zu liches Personal. In diesem Sinne haben Sie, glaube ich, Recht, wie ich meine, großes Interesse geweckt. Das Ziel einen wichtigen Anstoß gegeben. des Auswärtigen Amtes ist es, seine Analyse- und vor al- lem seine Prognosefähigkeit speziell bei der Krisenprä- Wir freuen uns über diese Debatte, und ich freue mich vention und Krisenfrüherkennung – das liegt uns ganz darüber, dass ich die Gelegenheit hatte, einige der kon- besonders am Herzen – zu verbessern. Denn es scheint kreten Beispiele unserer Arbeit im Bereich der Digitali- doch unstrittig: Je genauer wir die Zukunft einschätzen sierung hier vorstellen zu können. können, desto besser kann Politikplanung sowie der effi- ziente Einsatz der Mittel gelingen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Das faszinierende Projekt PreView – ich jedenfalls (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) halte es für ein tolles Projekt mit einer großen Innovati- onskraft – ermöglicht es, eine Vielzahl von Daten aus öf-

fentlich zugänglichen Quellen sowie Social-Media-Ka- Vizepräsidentin Claudia Roth: nälen für unsere Arbeit nutzbar zu machen und so durch Vielen Dank, Herr Staatsminister. Sie hätten sogar datengestützte Modelle die Analyse- und Prognosefä- noch eine Minute weiterreden können. Es lag nicht an higkeit zu verbessern; denn wo immer in der Welt Pres- uns hier oben. 10608 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Nächste Rednerin: Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die schlüssigen Umgang mit solchen Konstellationen zu fin- (C) Linke. den. Aber auch dazu finden sich in diesem Antrag keine Ansätze. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Aus dem Antrag spricht stattdessen nur eine einzige Botschaft: Wir sollen den Anschluss nicht verlieren. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stei- Wie bei einem Pferderennen heißt es also, nur nach vor- ge, dem Thema angemessen, diplomatisch ein: Die FDP ne zu gehen, Scheuklappen anzulegen, nicht nach links hat recht, wenn sie im Antrag feststellt, dass große Di- und rechts und schon gar nicht nach hinten zu schauen. gitalunternehmen einen Einfluss auf das Weltgeschehen Das ist in der Innovationspolitik ein höchst fragwürdiger haben, der mit dem von Staaten vergleichbar ist, und Ansatz, weil eben keine Reflexion über das zu erreichen- dass sich Außenpolitik darauf einstellen muss. Die Rede de Ziel erfolgt und der kooperative Ansatz von Wissen- ist von Diplomatie zwischen Staaten und Unternehmen. schaft ignoriert wird. Aber was versteht die FDP darunter? Wenn man sich die konkreten Forderungen anschaut, dann stellt man fest, Da bleibt aus unserer Sicht nur festzustellen: Der An- dass sie darunter vor allem Wissens- und Technologie- trag geht in die falsche Richtung. Für Die Linke gilt: Au- transfer nach Deutschland versteht. Aber das wird dem ßenpolitik ist weit mehr als Wirtschaftspolitik. Thema keinesfalls gerecht. Nicht, dass Forderungen nach (Beifall bei der LINKEN) Vernetzung, Austausch und Kompetenzaufbau verkehrt wären! Aber wenn man Unternehmen mit ihrem Einfluss so ernst nimmt wie Nationalstaaten und von Diplomatie Vizepräsidentin Claudia Roth: redet, dann geht es eben auch um eigene Einflussnahme Vielen Dank, Dr. Sitte. – Nächster Redner für Bünd- und um eigene Interessen. nis 90/Die Grünen: Omid Nouripour. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir selbst hatten im letzten Jahr im Digitalausschuss Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mehrere Runden mit Vertretern bzw. – ich bleibe mal im Bild – mit Botschaftern von Google und Facebook. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere bei den The- sehr dankbar, dass die FDP diesen Tagesordnungspunkt men Datenschutz und Meinungsfreiheit europäische aufgesetzt hat. Es ist dringend notwendig, über den Stand (B) Standards und Wertvorstellungen nicht zur Philosophie der Digitalisierung im Auswärtigen Amt zu sprechen; (D) dieser Digitalunternehmen passen. Davon unbeeindruckt denn die zugegebenermaßen sehr ambitionierte Rede reduziert die FDP die Welt auf fünf Ballungszentren in des Herrn Staatsministers kann nicht darüber hinwegtäu- den USA und in Asien. Allein dorthin sollen die Innova- schen, dass die 170 Seiten der Digitalisierungsstrategie tionsbotschafter entsandt werden. Vergeblich sucht man der Bundesregierung ganze drei Projekte für das Aus- irgendeinen Hinweis darauf, dass es einen Transfer von wärtige Amt beinhalten. Deshalb müssen wir das heute Wissen und Standards auch aus Deutschland heraus ge- diskutieren; das ist richtig so. ben könnte. Ebenso wenig gibt es einen Hinweis darauf, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass es für Innovationen auch noch andere Quellen als sowie des Abg. Frank Müller-Rosentritt die IT-Wirtschaft geben könnte. [FDP]) (Beifall bei der LINKEN) Es gibt vieles zu besprechen. Es ist im digitalen Zeitalter dringend notwendig, „Public Diplomacy“ neu Die Linke sagt: Wir dürfen Digitalisierung eben nicht zu erfinden. Es ist dringend notwendig, Social Media nur durch die Brille der Standortpolitik betrachten. Es auch anders einzusetzen, nicht nur als Erzählung über muss auch darum gehen, die Potenziale der Digitalisie- Deutschland, sondern vor allem als Kanal für einen ech- rung für das Gemeinwohl zu identifizieren, und das heißt ten Dialog, gerade in Staaten, in denen die Zivilgesell- in diesem Fall: für eine gerechtere Weltordnung. schaft unter Druck ist. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Von der Bundesregierung sind wir ja schon gewohnt, dass es bei der Entwicklungspolitik vor allem um die Es ist dringend notwendig, Verwaltungsabläufe im Amt Vorteile der deutschen Wirtschaft geht. Im Antrag der selbst, aber auch in den Botschaften zu erneuern und zu FDP kommt das Thema Entwicklung konsequenterweise digitalisieren, Stichwort „Visastellen“ – da liegt vieles im gar nicht erst vor. Gerade in vielen Ländern des Globalen Argen –, Südens ist der Einfluss und damit auch die Verantwor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tung großer Digitalunternehmen besonders weitreichend. sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Ich will hier ausdrücklich an die Rolle erinnern, die Face- Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP]) book in Myanmar gespielt hat, was gravierende Folgen für die Verfolgung der Rohingya hatte. Diplomatie und Stichwort „Digitalisierung als Querschnittsaufgabe in Digitalisierung zusammen zu denken, hieße auch, einen den verschiedenen Ministerien“, auch um die Verwal- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10609

Omid Nouripour (A) tungsgrenzen zwischen Innen- und Außenpolitik zu über- wahrnehmen könnte. Der französische Digitalbotschafter (C) winden und neue Strukturen zu schaffen. Henri Verdier beispielsweise hat seinen Sitz in Paris und nicht in Silicon Valley. Ich glaube, dass er einen guten Das Problem ist nur, dass mit dem vorliegenden An- Job macht; sonst hätten Sie sich ja nicht auf ihn berufen. trag die von Ihnen geforderten gezielten Zukunftsim- Er arbeitet fern von dem, was Sie als Ballungszentren der pulse kaum eingebracht werden. Er beginnt mit dem Hightechindustrie bezeichnen. Es ist aus unserer Sicht, bemerkenswerten Titel „Digitalisierung trifft auf Diplo- ehrlich gesagt, auch wenig einleuchtend, Diplomaten am matie“ – das klingt ein bisschen nach einer Zufallsbegeg- Hof von Mark Zuckerberg zu haben, welche die Arbeit nung – und ist so etwas wie ein Tinder für Buzzwords: von Facebook dadurch legitimieren, obwohl wir finden, Es kommt ganz viel zufällig zusammen, aber das reicht dass solche Konzerne reguliert gehören. nicht für eine langfristige Beziehung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es ist richtig, dass wir Digitalkompetenz brauchen, auch als Querschnittsaufgabe. Ich habe beispielsweise Ich zitiere: nicht verstanden, wo das Wissen dieser Digital- und In- Die Etablierung einer Außenpolitik, die eine Begeg- novationsbotschafter überhaupt hinfließen soll, das sie nung von technischem Fortschritt und Diplomatie in San Francisco eingesammelt haben. Das Problem ist, möglich macht, führt zu einem Wissenstransfer, von dass bei aller Notwendigkeit der Debatte, dieser Antrag dem auch deutsche Firmen profitieren können. eher die Gefahr mit sich bringt, ein kostspieliger Gag zu sein, der am Ende dieser nicht ganz so ambitionierten Diesen Wissenstransfer stelle ich mir ein bisschen vor Bundesregierung – auch wenn die Rede eben ambitio- wie das Funkensprühen der digitalen Leidenschaft: Ge- niert gehalten wurde – eher als Alibi dient. Das können heimnisvolle Wellen wandern, wenn sich das Traumpaar wir nicht zulassen. begegnet, und mir nichts dir nichts sind wir wieder tech- nologische Weltspitze. Ich freue mich aber sehr auf die Debatte in den Aus- schüssen. Vielleicht kriegen wir da etwas hin, was wir In der Tat: Ihre Innovationsbotschafter müssen echte alle mittragen können. Superhelden sein. Sie sollen ganz viel können. Sie be- schreiben – ich zitiere –, „dass Deutschland wieder An- Herzlichen Dank. schluss an die Digitalisierungsweltspitze unter den In- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dustrienationen findet“. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) Das sollen fünf Digitalisierungsbotschafter schaffen. Sie (D) sollen den technischen Fortschritt gezielt bewerten und Vizepräsidentin Claudia Roth: die Wanderungsbewegungen von Wissenschaftlern an- Vielen Dank, Omid Nouripour. – Nächster Redner für zeigen, damit Deutschland bereits zu Beginn neuer Ent- die CDU/CSU-Fraktion: Maik Beermann. wicklungen agieren kann. Das ist ein spannendes Portfo- lio, das Sie da beschreiben. Ich würde sagen: Das ist eine (Beifall bei der CDU/CSU) überraschende Mixtur für eine Partei, die zu Recht immer wieder darauf hinweist, dass auch die Privatwirtschaft Maik Beermann (CDU/CSU): eine Verantwortung haben sollte. Hier aber machen Sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen den Staat sozusagen zum Rettungsanker der deutschen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her- Wirtschaft bei der Digitalisierung. Das ist nicht das, was ren! Liebe Frau Kollegin Alt, als ich mir den Antrag der wir von der FDP erwartet haben. FDP-Fraktion durchgelesen habe, ist mir ein bekann- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- tes Lied von Herbert Grönemeyer in den Sinn gekom- SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Maik men, und ich musste mir selbige Frage stellen wie Herr Beermann [CDU/CSU]) ­Grönemeyer: „Was soll das?“ Sie fordern ernsthaft – ich zitiere weiter –, „eine (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Technologieaußenpolitik zu entwickeln, um … Techno- Als Digitalpolitiker begrüße ich grundsätzlich jeden logiebewertung für deutsche Unternehmen möglich zu Vorstoß, der die Digitalisierung und die damit verbun- machen“. Ich hätte von Ihrer Partei ein bisschen mehr denen Herausforderungen in den Blick nimmt. Aber was Vertrauen in die Innovations- und Analysefähigkeiten der Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, deutschen Wirtschaft erwartet. von der Einführung eines Innovationsbotschafters erhof- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fen, bleibt mir dann doch schleierhaft. Dieser Botschafter soll die Beziehungen – wir haben es gerade schon ge- Vieles klingt auch ein bisschen nach Abenteuerexpe- hört – mit den größten globalen Technologiekonzernen dition aus einer Zeit kurz vor der Erfindung der Eisen- betreuen und somit Technologieaußenpolitik betreiben. bahn. Sie behaupten, Dänemark und Frankreich hätten Ehrlicherweise bezweifle ich, dass Ihre beschriebenen „Tech Ambassadors“ ins Silicon Valley geschickt, um, Ziele durch die Schaffung einer solchen Stelle tatsäch- wie schon zitiert, „den technischen Fortschritt gezielt lich erreicht werden. Hierbei stellt sich mir auch die zu bewerten“, so als ob man den technischen Fortschritt Frage, wie das in der Praxis überhaupt aussehen soll. Ist heute nicht auf ganz vielen Ebenen und allgegenwärtig das dann ein Ein-Personen-Büro? Ich befürchte nämlich 10610 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Maik Beermann (A) schlicht und ergreifend, dass ein solcher Innovationsbot- Alexander Radwan (CDU/CSU): (C) schafter lediglich zum symbolischen Akt wird, da er, his- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und torisch gesehen, kein großes Gewicht mitbringt. Herren! Als ich zu Beginn der Woche gelesen habe, Die neu entdeckte Staatsgläubigkeit der FDP in der dass ich zu dem Thema „digitaler Botschafter“ reden Frage der Hochtechnologie überrascht dann schon. Dass darf, habe ich natürlich, dem Thema gerecht werdend, eine solche Aufgabe ein Beamter aus dem Auswärtigen gegoogelt: Was ist ein digitaler Botschafter? Dann kam Amt übernehmen soll, ist wirklich ein bemerkenswer- die Aufforderung: In Deutschland werden digitale Bot- ter Vorschlag. Aus meiner Sicht ergibt es keinen Sinn, schafter, die Senioren begleiten, die digitale Welt zu ent- und es ist zudem auch keine gute Idee, Technologie- und decken, gesucht. Wirtschaftspolitik im Auswärtigen Amt anzusiedeln und (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU damit zu zentralisieren. Diese Themen sind dort, wo sie und der SPD) aktuell beheimatet sind, beim Bundeswirtschaftsminis- terium und im Ministerium für Bildung und Forschung, Das finde ich gut. Ich war mir dann aber ziemlich sicher, aus meiner Sicht wesentlich besser aufgehoben. dass das mit dem Antrag nicht gemeint ist. (Beifall des Abg. Tankred Schipanski [CDU/ Ich habe also gewartet, bis der Antrag vorlag, und ihn CSU]) mir dann durchgelesen. Natürlich wird er der großen Be- deutung der Digitalisierung gerecht. Sie sagen: Digita- Ich bin der Auffassung, dass der Staat, wenn es da- lisierung ist eine Entwicklung in Deutschland, in Euro- rum geht, wie Innovationen entstehen und wie man da- pa, weltweit, der wir uns stellen müssen und an der wir rüber ins Gespräch kommt, maximal die Leitplanken und erfolgreich teilnehmen müssen. Sicherlich ist auch die Rahmenbedingungen setzen und die Unternehmen, Start- Frage der Wirtschafts- und Technologiepolitik und der ups, Plattformen etc. beim Austausch unterstützen sollte. Kompetenzen in den Botschaften ein wichtiger Punkt. Dafür gibt es bereits Beispiele, die gut funktionieren; da kann man ansetzen. Wir haben mittlerweile diverse Hubs Ich war gestern Redner in der Aktuellen Stunde zur aus Deutschland im Silicon Valley, in San Francisco. Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank. Dort Als aktuelles Beispiel nenne ich das im September 2018 war Ihr eindringlichstes Argument die Ordnungspolitik: eröffnete Delegiertenbüro der deutschen Wirtschaft in Der Staat muss sich aus allem raushalten. Die Märkte San Francisco, das vom Bundeswirtschaftsministerium müssen das regeln. – Heute lerne ich: Das ist bei Ihnen gefördert wird. Die Einrichtung eines Büros zeigt das volatil und ändert sich von Tag zu Tag. Heute soll der steigende Interesse des deutschen Mittelstandes an den Staat verstärkt eingreifen, um die entsprechenden Pro- Themen „Digitalisierung“ und „Innovation“. Vor allem bleme insbesondere durch die Botschaften zu lösen, und dafür sorgen, dass die Entwicklung in Deutschland und (B) kleine und mittlere Unternehmen werden zu diesen The- (D) men beraten und bei der Vernetzung unterstützt. Europa entsprechend funktioniert. Sie sehen also, dass hier bereits gehandelt wurde und Meine Damen und Herren, sicherlich müssen wir da- weiter gehandelt wird. Insofern halte ich einen Innovati- rüber reden, wie das Auswärtige Amt in der Wirtschafts- onsbotschafter für den falschen Ansatz, den tatsächlichen und Technologiepolitik – ich würde das nicht auf den Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung ange- IT-Bereich reduzieren – ein Stück weit unterstützend für messen zu begegnen. die deutschen Unternehmen tätig sein kann. Aber ange- sichts der zu Recht geführten Diskussion über die Frage, Dass wir vor diesen Herausforderungen stehen, ist, warum es in Deutschland und Europa nicht Innovationen denke ich, uns allen klar. Kein Lebensbereich ist da- in dem gewünschten Maße gibt, müssen wir uns doch zu- von ausgeschlossen. Gerade auch die Diplomatie ist mit erst einmal die Frage stellen, warum die Unternehmen fundamentalen Veränderungen konfrontiert. Insbeson- nicht herkommen. Allein mit den Unternehmen dort zu dere durch soziale Medien ist es der Öffentlichkeit auf reden, reicht ja nicht aus. Vielmehr brauchen wir hier direktem Weg möglich, Forderungen an sie zu stellen. entsprechende Möglichkeiten, um Geschäftsmodelle und Mit all diesen Entwicklungen muss sich die traditionel- Wertschöpfungsketten im Datenbereich zu entwickeln. le Diplomatie auseinandersetzen, und das tut sie bereits. Wir sprechen ja von der Datenökonomie. Ich würde ins- Insofern ist die heutige Debatte dahin gehend gut, sich besondere diejenigen, die sich heute positiv geäußert ha- die politische Bedeutung der digitalen Technologie für ben, dazu auffordern, mit uns eine Diskussion darüber zu die Diplomatie zu vergegenwärtigen. Aber – es tut mir führen, wie das Datenschutzrecht so angepasst werden leid – zu viel mehr ist dieser Antrag aus meiner Sicht kann, dass Datenökonomie besser möglich ist. Einer der nicht geeignet. Gründe, warum die USA und andere Staaten in diesem Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Bereich so erfolgreich sind, ist, dass man dort mit Daten arbeiten und Geld verdienen kann. Dazu höre ich insbe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sondere von der FDP-Fraktion relativ wenig. Ich ermuti- ordneten der SPD) ge Sie aber, sich hier auf den Weg machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Maik Beermann. – Letzter Redner in die- Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der mich ge- ser Debatte: Alexander Radwan für die CDU/CSU-Frak- stört hat. Ich weiß nicht, ob es so gemeint war, es ist aber tion. so formuliert, und ich hoffe, es wird korrigiert. Sie spre- chen von Diplomatie zwischen Staaten und IT-Unterneh- (Beifall bei der CDU/CSU) men. Gerade die großen Unternehmen, die Sie genannt Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10611

Alexander Radwan (A) haben, die weltweit Daten sammeln, sehen sich inzwi- Petr Bystron (AfD): (C) schen als Ersatzregierungen. Sie sehen sich immer mehr Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeord- als Staatenersatz. Meine Damen und Herren, es ist nicht nete! Der deutsche Journalist Billy Six war 119 Tage in unsere Aufgabe, mit diesen Unternehmen diplomatische einem Geheimdienstgefängnis in Venezuela eingeker- Beziehungen einzugehen. Diplomatische Beziehungen kert. 119 Tage Einzelhaft in einer Betonzelle ohne Fens- bestehen zwischen Staaten. Und von Unternehmen er- ter, ohne Tageslicht, ohne Kontakt zu Mitgefangenen, warte ich, dass sie sich an die Standards halten. Ich erin- ohne Verbindung zur Außenwelt – dieses Martyrium hat nere an die Diskussion, in der es um die innere Sicherheit heute ein Ende. Es ist mir daher eine besondere Freude, in den USA ging, und daran, wie die Unternehmen sich dass Billy Six gemeinsam mit seinen Eltern und seinen geweigert haben, die Daten weiterzugeben, und erwarte, Großeltern heute hier bei uns sein kann. Willkommen, dass Facebook, wenn es entsprechende Datenprobleme Billy! hat, in Untersuchungsausschüsse der Parlamente kommt. Das erwarte ich von befreundeten Staaten bzw. Staaten, (Beifall bei der AfD) mit denen wir diplomatische Beziehungen haben, eben nicht. Deshalb sollten wir das Wording dringend ändern Ja, Billy ist endlich frei. Seine Befreiung verdankt er und die Beziehungen zu irgendwelchen Unternehmen aber nicht dem Auswärtigen Amt, sondern dem Einsatz nicht „diplomatische Beziehungen“ nennen und solche vieler Freiwilliger aus dem Umfeld der AfD und letztlich auch nicht aufbauen. dem russischen Außenminister Sergej Lawrow. Vielen Dank! (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE (Beifall bei der AfD – Dr. Daniela De Ridder LINKE]) [SPD]: Was für eine alberne Lüge!) Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich kann nichts Millionen Menschen fragen sich heute, warum Cem dafür, aber ich habe dem Redner der AfD, Herrn Hartwig, Özdemir nicht geholfen hat. Vor einem Jahr hielt er hier der gar nicht mehr da ist – aber macht nichts –, heute auf- eine flammende Rede zur Befreiung des Journalisten merksam zugehört. Er hat hier erklärt, wie man ordentli- Deniz Yücel aus einem türkischen Gefängnis. Hier an che Wirtschaftspolitik macht. Ich habe das gespannt von dieser Stelle versprach er jedem Journalisten, jedem Bür- jemandem zur Kenntnis genommen, der bis vor zwei Jah- ger dieses Landes, er werde sich für ihn einsetzen, selbst ren Chefsyndikus der Bayer AG war und in dieser Funk- wenn er Gustav Müller heißen würde. tion maßgeblich an der Übernahme von Monsanto betei- ligt war. Meine Damen und Herren, wenn es um Risiko (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geht, wenn es um die Entwicklung von Unternehmen NEN]: Hat er! Hat er!) (B) geht, sollte man doch den eigenen Ansprüchen gerecht (D) werden und hier nicht das eine erzählen, wenn man an- Ja, Herr Özdemir: Gustav Müller sitzt hier. Es ist Billy ders gehandelt hat. Six. Er wartet immer noch auf Ihre Hilfe oder zumindest auf Ihre Anteilnahme. Besten Dank. (Beifall bei der AfD – Zurufe von der LIN- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Liebe Kollegen, Sie haben recht: Es ist nicht die Auf- GRÜNEN) gabe von Parlamentsabgeordneten, im Ausland zu Un- recht inhaftierte deutsche Bürger zu befreien.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Vielen Dank, Alexander Radwan. – Damit schließe Doch!) ich die Aussprache. Ganz sicher ist es auch nicht die Aufgabe des russischen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Außenministers. Drucksache 19/8542 federführend an den Auswärtigen Ausschuss sowie mitberatend an den Ausschuss Digitale (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nein, war es Agenda vorgeschlagen. – Sie sind alle damit einverstan- ja auch nicht! Das ist ja auch eine Lüge!) den. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dass es im Fall von Billy Six so weit gekommen ist, ist dem beispiellosen Versagen des Auswärtigen Amtes Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Quatsch!) Aktuelle Stunde unter Außenminister Heiko Maas geschuldet. auf Verlangen der Fraktion der AfD (Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Wirken der Bundesregierung im Fall Billy Six Pfui – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das ist die Lüge, die Sie konstruieren! Das ist die Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Ab- Lüge, die Sie verbreiten!) geordnete Bystron für die AfD-Fraktion. – Die Lüge, die ich verbreite? – Wissen Sie, was Billy (Beifall bei der AfD) Six nach seiner Landung in Berlin-Tegel als ersten Satz 10612 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Petr Bystron (A) auf deutschem Boden sagte? Er sagte: Das Auswärtige – Da können Sie von der SPD mit Häme reagieren. Das (C) Amt wollte mich in Venezuela lebendig begraben. passt sehr gut zu der Politik Ihres Außenministers. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Und auch das (Beifall bei der AfD – Peter Beyer [CDU/ ist falsch! – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Unge- CSU]: Sie sind ein Heuchler!) heuerliche Lüge!) Ich verspreche Ihnen: Wir von der AfD werden wei- Der größte Feind während meiner Haft war nicht das terhin ein Schutzschild sein. Maduro-­Regime; es war die Bundesregierung. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Machen Sie (Zurufe von der AfD: Pfui!) sich doch nicht lächerlich!) Wir werden zur Stelle sein, wenn Bürger dieses Landes Billy zu befreien, war nie eine Frage des Könnens, uns brauchen. Das ist unsere Aufgabe als Alternative für sondern eine Frage des Wollens. Deutschland. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Die Beamten des Auswärtigen Amtes, die vielen Tausend Mitarbeiter, haben Hunderte, Tausende Male gezeigt, Vizepräsidentin Claudia Roth: dass sie deutsche Bürger befreien können. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Andreas Nick für die CDU/CSU-Fraktion. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das haben sie auch in diesem Fall!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Das SPD-geführte Außenministerium wollte Billy in die- sem dunklen schimmeligen Rattenloch verrotten lassen. So ist das. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der AfD – Gyde Jensen [FDP]: Das Lassen Sie mich zu Beginn angesichts aller Gerüchte stimmt doch nicht! – Dr. Daniela De Ridder und Behauptungen, die wir auch hier gerade wieder ge- [SPD]: Quatsch! Lüge! Ganz infame Lügen!) hört haben, mit aller Klarheit feststellen: Jeder deutsche Staatsbürger hat das uneingeschränkte Recht auf konsu- Andere Länder haben ihre Journalisten freibekommen, larische Betreuung im Ausland. weil sie auf den Tisch gehauen und die Freilassung ge- fordert haben. Das deutsche Außenministerium hat die (Beifall im ganzen Hause) (B) Freilassung nie gefordert. (D) Diese wird selbstverständlich durch unsere Auslandsver- (Gyde Jensen [FDP]: Natürlich haben sie tretungen jederzeit gewährleistet. das! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ (Zuruf von der AfD: Stimmt nicht!) CSU]: Woher wissen Sie das?) Die Motive der AfD hinter dieser Aktuellen Stunde sind Das ist das Verschulden. Und warum? Sie unterscheiden wieder einmal sehr durchschaubar. Hier soll offenbar der zwischen Bürgern erster und zweiter Klasse. Eindruck erweckt werden, die Bundesregierung mache (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Eben nicht!) ihre diplomatische Unterstützung für deutsche Inhaftierte im Ausland von deren politischer Einstellung abhängig. Das ist der rote Faden der gesamten SPD-Politik, egal in (Beifall bei der AfD) welchem Amt, egal in welchem Ministerium. Die umgekehrte Argumentationskette kennen wir von (Beifall bei der AfD – Dr. Daniela De Ridder Ihnen bereits bestens aus dem Fall Deniz Yücel. Waren [SPD]: Wir klären das gleich auf! Keine es damals nicht Sie, die einem deutschen Staatsbürger Sorge!) das Recht auf diplomatische Hilfe absprechen wollten, Sie spalten dadurch unsere Gesellschaft weil er Ihnen aufgrund seiner Herkunft und umstrittenen Äußerungen missliebig war? (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Andreas Nick [CDU/CSU]: Sie (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, spalten die Gesellschaft!) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Das stimmt und isolieren Deutschland im Ausland. nicht! – Petr Bystron [AfD]: Das war Ihre Lüge!) (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Haben Sie auch noch was mit Wahrheit zu tun, Herr Bystron?) In aller Deutlichkeit: Eine solche absurde Logik wei- sen wir abermals entschieden zurück, egal in welchem Billy Six hat gestern gesagt, er werde sich ab sofort Fall. dafür einsetzen, er werde dafür kämpfen, dass nie wieder ein deutscher Bürger im Ausland Angst haben muss, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- sein eigenes Land ihn hängen lässt, wenn es ernst wird. geordneten der SPD und der FDP – Abg. ­Armin-Paulus Hampel [AfD] meldet sich zu (Zuruf von der SPD: Ho! Ho!) einer Zwischenfrage) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10613

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Um es klar zusammenzufassen: Der Vorwurf, das Aus- (C) Wir sind in einer Aktuellen Stunde. Da gibt es keine wärtige Amt und die Bundesregierung hätten sich in die- Zwischenfrage. sem Fall nicht ausreichend engagiert, (Petr Bystron [AfD]: Sie reden an der Sache Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): vorbei! – Jürgen Braun [AfD]: Weniger Ein- satz als für jeden Drogendealer! Für jeden Genau. – Dass sich die Bundesregierung gleicherma- Drogendealer hat sich das Auswärtige Amt ßen für alle deutschen Staatsbürger einsetzt, sollte der mehr eingesetzt!) Reiseblogger Billy Six aus eigener Erfahrung bestens wissen; denn er musste bereits 2013 schon einmal aus trifft nach allen uns heute vorliegenden Erkenntnissen einer Haft in Syrien herausgeholt werden. ausdrücklich nicht zu. (Peter Beyer [CDU/CSU]: Aha! – Dr. Daniela (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- De Ridder [SPD]: Richtig!) ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Es gibt wohl nicht viele deutsche Staatsbürger, die mit- hilfe des Auswärtigen Amtes in wenigen Jahren zweimal Ich möchte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der aus Gefängnissen in einigen der schwierigsten Länder deutschen Botschaft in Caracas ausdrücklich für ihren der Welt herausgeholt worden sind. Einsatz in dieser schwierigen Situation angesichts der Rahmenbedingungen vor Ort in Venezuela danken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, DIE GRÜNEN – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Interessant!) GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Für jeden Drogendealer tut das Auswärtige Amt mehr!) Vielleicht hat er sich möglicherweise wiederholt auch fahrlässig in eine gefährliche Situation begeben. Aber Denn die kürzlich erfolgte ungerechtfertigte Ausweisung umso dreister ist es, nach der Rückkehr in die Heimat von Botschafter Daniel Kriener durch das Maduro-Re- derartige Vorwürfe gegen die Bundesregierung zu erhe- gime ben. (Jürgen Braun [AfD]: Aha!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- verdeutlicht die schwierigen Rahmenbedingungen, unter ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ (B) denen dort gearbeitet wird, und das kritisieren wir hier (D) DIE GRÜNEN – Petr Bystron [AfD]: Er ist nochmals nachdrücklich. schuld?) (Zuruf von der AfD: Andere haben es ge- Für den jetzt vorliegenden Fall in Venezuela lässt sich schafft!) an dieser Stelle ganz klar festhalten Diese Aktuelle Stunde gibt aber auch die Gelegenheit, (Jürgen Braun [AfD]: Die Opfer machen Sie noch einmal auf die immer noch katastrophale Situation verantwortlich! Sie verwechseln Opfer und in Venezuela hinzuweisen. Nicht nur die politische und Täter!) verfassungsrechtliche Krise dauert an, sondern auch die humanitäre Krise spitzt sich immer weiter zu. – bleiben wir doch mal bei den Fakten –: Herr Six wur- de aus der Haft entlassen, nachdem das Auswärtige Amt (Peter Boehringer [AfD]: Zur Sache!) nachdrücklich die Überprüfung der Tatvorwürfe durch ein ziviles Gericht eingefordert hatte. Es ist daher mehr als zynisch, dass das Maduro-Regime die angebotene humanitäre Hilfe mit absurdesten Be- (Lachen bei der AfD – Beifall des Abg. Petr gründungen zurückgewiesen hat. Bystron [AfD]) Vor einigen Wochen konnte ich den Bundespräsiden- Während der Haftzeit fanden insgesamt vier Besuche ten auf seiner Reise in die Nachbarländer Ecuador und der deutschen Botschaft bei ihm im Gefängnis statt: am Kolumbien begleiten. In Aufnahmeeinrichtungen, so- 9. Januar, am 8. Februar, am 6. und am 12. März 2019. wohl in Bogotá als auch in Quito, konnten wir uns im persönlichen Gespräch mit Flüchtlingen aus Venezuela (Jürgen Braun [AfD]: Monate haben die ge- über das Ausmaß der Krise im Land informieren. braucht!) (Peter Boehringer [AfD]: Das ist schön!) Die Botschaft in Caracas stand Herrn Six durchgehend zur Seite, insbesondere vom Zeitpunkt der Freilassung Inzwischen haben nach Angaben des UNHCR circa bis zur Ausreise. Sein Flug wurde im Rahmen der kon- 3,4 Millionen Menschen Venezuela verlassen. Und ich sularischen Betreuung von der Botschaft organisiert und sage es hier noch einmal ganz deutlich: Diese Krise hat gebucht. deshalb auch das Potenzial, über Venezuela hinaus die gesamte Region zu destabilisieren. Dies alles bestätigt (Peter Beyer [CDU/CSU]: Das sind die Fak- nochmals die Richtigkeit der Entscheidung der Bun- ten!) desregierung und eines Großteils der EU-Staaten, Juan 10614 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Andreas Nick (A) Guaidó als legitimen Übergangspräsidenten im Sinne der Herr Braun, Sie werden es zugeben müssen; denn Sie (C) venezolanischen Verfassung anzuerkennen. waren im Ausschuss dabei und haben sich über den Fall informiert: Warum sollte das Auswärtige Amt nicht die (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Falsch!) Wahrheit sagen? Heute erreichte uns die Meldung, dass der Stabschef von Juan Guaidó vom Regime verhaftet wurde. (Petr Bystron [AfD]: Das werden wir noch aufarbeiten!) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Billy Six!) Umso perfider ist es nämlich, dass die Mitglieder der Auch dies kritisiere ich auch im Namen meiner Fraktion AfD-Fraktion nun hier für sich reklamieren, die Einzigen scharf. gewesen zu sein, die sich für seine Freilassung eingesetzt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- haben, ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Die internationale Gemeinschaft muss den Druck auf wie bei Abgeordneten der LINKEN – Jürgen Maduro weiter erhöhen und einen Dialog für einen fried- Braun [AfD]: Dass wir die Einzigen sind, ha- lichen Machtübergang aufrechterhalten. Der richtige und ben wir nicht behauptet! – Gegenruf des Abg. notwendige Weg sind Neuwahlen für das Präsidentenamt Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Fake News!) nach internationalen Standards und unter internationaler Beobachtung. und zwar nicht nur, weil das falsch ist, sondern weil Sie sonst keinen Ton von sich geben – übrigens weder hier Herzlichen Dank. im Plenum noch im Ausschuss –, wenn Menschen ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- folgt werden. ordneten der SPD) (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Im Gegen- teil! – Jürgen Braun [AfD]: Stimmt doch gar Vizepräsidentin Claudia Roth: nicht!) Vielen Dank, Dr. Nick. – Nächste Rednerin: Gyde Jensen für die FDP-Fraktion. Wo sind Sie denn, wenn in Russland Oppositionelle ein- gekerkert werden? Wo waren Sie denn, als Deniz Yücel (Beifall bei der FDP) in der Türkei eingesperrt wurde? (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD (B) Gyde Jensen (FDP): (D) Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Liebe Kollegen! Die Freilassung von Billy Six aus vene- wie bei Abgeordneten der LINKEN – Jürgen zolanischer Haft ist natürlich eine sehr gute Nachricht, Braun [AfD]: Das sind Fake News! Das vor allen Dingen für ihn, für seine Familie, für seine stimmt nicht, was Sie sagen! – Petr Bystron Freunde, aber eben auch für alle, die an den Rechtsstaat [AfD]: Sie leiden an Gedächtnisverlust!) glauben und die gängige Mittel autoritärer Regime, mit – Das sind keine Fake News. Der Unterschied ist, dass willkürlichen Haftgründen Journalisten zum Schweigen das hier die Wahrheit ist. Sie haben hier vor einem Jahr zu bringen, bekämpfen. Und das tun wir hier alle. einen Antrag eingebracht – Herr Brehm wird das gleich (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD noch ansprechen –, in dem Sie Deniz Yücel die deutsche und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Staatsangehörigkeit aberkennen wollten bei Abgeordneten der LINKEN) (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: So ist es!) Eine politisch motivierte Gefangennahme ist in kei- nem Land der Welt – das klang hier schon an – akzepta- und geleugnet haben, dass er Journalist ist. bel, unabhängig von politischer Couleur, Gesinnung und (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Pfui! – Jürgen Staatsangehörigkeit. Braun [AfD]: Wir hatten gar nichts gegen die (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Freilassung von Yücel!) SPD sowie bei Abgeordneten der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dass Sie im Fall Billy Six Rechtsstaat und Menschen- rechte als Thema für sich entdeckt haben, ansonsten aber Es ist deshalb richtig, dass die Bundesregierung im- rechte und nationalistische Autokraten in der Welt hofie- mer auf Aufklärung in einem fairen Verfahren gedrängt ren, zeigt eindeutig, wes Geistes Kind Sie sind. hat, eine Verbesserung der medizinischen Versorgung von Billy Six eingefordert hat (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- (Lachen des Abg. Petr Bystron [AfD]) SES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: und sich schlussendlich mit Erfolg für seine Freilassung Wir sind immer für die Freilassung eingetre- eingesetzt hat. ten! – Petr Bystron [AfD]: Dummes Zeug!) (Petr Bystron [AfD]: Sie haben ihm die Me- Sie nutzen Menschen für Ihre eigene Propagandama- dikamente nicht gebracht!) schine und spielen je nach Thema Menschen gegeneinan- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10615

Gyde Jensen (A) der aus. Diesmal ist es Billy Six. Wir haben hier alle fest- denn es geht um das große Ganze, Herr Baumann. (C) gestellt: Wir freuen uns, dass er wieder in Deutschland ist und freigekommen ist. (Enrico Komning [AfD]: Es geht um Billy Six!) (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder – Ja, Herr Komning, es geht um das große Ganze. [SPD] – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das sagt er alles selber!) (Dr. Daniela De Ridder [SPD], an die AfD gewandt: Dann hören Sie doch zu!) Das hier ist Missbrauch von Grundrechten und Miss- brauch von Menschenrechten. Karl Popper wies ganz zu Nach UN-Angaben – Herr Nick sagte es gerade – sind Recht darauf hin: weltweit mehr Menschen auf der Flucht als je zuvor, und Venezuela ist eines der Länder, die da leider traurige Su- (Jürgen Braun [AfD]: Mit Karl Popper haben perlative schreiben. Sie doch gar nichts am Hut!) (Petr Bystron [AfD]: Darüber hat Billy ge- Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht schrieben!) vorbehalten, An der kolumbianischen Grenze steht seit langem Hil- – hören Sie zu – fe bereit, doch diese Hilfe wird von Maduro abgelehnt. Hunger als Konfliktmittel einzusetzen, ist ein Verbrechen (Jürgen Braun [AfD]: Meinungsfreiheit ist gegen die Menschenrechte. sicherlich im Sinne von Karl Popper!) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD die Intoleranz nicht zu tolerieren. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer faschistische Rhetorik in dieses Hohe Haus trägt, Damit macht sich die Regierung in Venezuela im dem muss im Namen der Toleranz klar widersprochen Übrigen immer mehr zu einem Fall für den Internatio- werden, und das tun wir hier. nalen Strafgerichtshof. Den deutschen Botschafter dafür (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, zu bestrafen, dass er menschlich handelt und den Über- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE gangspräsidenten Guaidó an die kolumbianische Grenze GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Unglaub- begleitet, ist ein Zeichen dafür, dass Maduros Schergen lich!) eben nicht an Entspannung interessiert sind. Der Fall von Billy Six steht aber auch – das haben (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (B) wir ebenfalls schon gehört – exemplarisch dafür, dass Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt noch (D) es in Venezuela schon seit langem keinen existierenden kurz auf die andere Seite des Plenums schauen. Fas- Rechtsstaat mehr gibt. sungslos macht mich nämlich angesichts dieser Zustän- de, dass Die Linke die Bühne ihres eigenen Bundespar- (Jürgen Braun [AfD]: Das ist alles unter al- teitages dazu nutzt, um einen sozialistischen Machthaber ler Kanone, Frau Jensen! – Britta Haßelmann zu unterstützen und Solidarität mit Maduro zu fordern, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von jeman- dem, der sich mit Bannon trifft, brauchen wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hier keinen Nachhilfeunterricht in Demokra- der SPD) tie!) für einen Diktator, der seine eigene Bevölkerung aushun- Machthaber Maduro regiert weiter mit Guerillaterror und gert. Repression. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Lesen Sie mal (Jürgen Braun [AfD]: Das ist einfach nur pri- das Thema der Debatte da oben!) mitiv, Frau Jensen! Sie können es auch an- Fassungslos macht mich auch, dass Ihre Kollegin ders!) Nastic fordert, Präsident Maduro in unser Programm Diese Gewalt gegen die eigene Bevölkerung ist unver- „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ aufzuneh- zeihlich, und wir fordern deshalb schon lange Neuwah- men – ein Programm, das für Menschenrechtsverteidige- len, die zügig durchgeführt werden, um das Land wieder rinnen und Menschenrechtsverteidiger geeignet ist und zu stabilisieren. gefordert wird und nicht für sozialistische Diktatoren. Das ist verantwortungslos und eine Ohrfeige für die hun- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gernde Zivilgesellschaft. der CDU/CSU und der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD] und Britta Haßelmann [BÜND- (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ NIS 90/DIE GRÜNEN]) DIE GRÜNEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Zum Thema!) Es ist deswegen gut, dass Deutschland sich hier in die- sem Kampf geschlossen an die Seite liberaler Demokra- Sie sind hier auf dem linken Auge blind, wie lange nie- ten stellt; mand mehr vor Ihnen. Ich habe es schon damals bei Twit- ter geschrieben und sage es auch heute wieder: Schämen (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Es geht um Billy Sie sich, und nehmen Sie nicht das Wort „Menschenrech- Six!) te“ in den Mund, wenn Sie ernsthaft glauben, dass Sie 10616 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Gyde Jensen (A) einen Diktator auf Kosten von notleidenden Menschen politisch zu instrumentalisieren. Ich habe, ehrlich gesagt, (C) auch noch heroisieren müssen. auch allergrößte Schwierigkeiten, zu verstehen, wie diese hanebüchenen Vorwürfe überhaupt von Ihnen geglaubt Herzlichen Dank. werden können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so- wie bei Abgeordneten der LINKEN) (Zuruf von der AfD: Lesen Sie einmal den „Spiegel“!)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Das läuft hier nach dem Motto: Da wird mit Dreck ge- Vielen Dank, Gyde Jensen. – Nächster Redner in der worfen, und irgendetwas wird schon hängen bleiben. – Debatte: für die Bundesregierung Staatsminister Niels Das ist ein Teil der politischen Auseinandersetzung; den Annen. können wir alle hier aushalten, meine Damen und Her- ren. Aber das ist ganz besonders unfair gegenüber denje- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nigen, die als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Aus- der CDU/CSU) wärtigen Amtes in Caracas alles getan haben, um Herrn Six konsularisch zu betreuen. Das ist zutiefst ungerecht. Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt: (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ten Damen und Herren! Ich bin dankbar für die Möglich- Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das ist eine Sau- keit, hier ein paar Punkte klarzustellen; denn das scheint erei!) mir notwendig zu sein. Auch das will ich deutlich sagen: Wenn unsere Mitar- Das Auswärtige Amt hat Herrn Six vom Zeitpunkt der beiterinnen und Mitarbeiter ihre Pflicht erledigen, dann Verhaftung bis zu seiner Ausreise aus Venezuela intensiv erwarten sie keine Dankbarkeit. Aber wir können hier in betreut und alles getan, damit seine Rechte respektiert diesem Hause auch von Ihnen erwarten, dass es ein Min- werden. destmaß an Respekt gegenüber denjenigen gibt, die diese (Enrico Komning [AfD]: Fragen Sie ihn Arbeit gemacht haben. Sie sollten diese Aktuelle Stunde mal! – Jürgen Braun [AfD]: Er sagt aber etwas nutzen, um sich für Ihr Verhalten zu entschuldigen. anderes, Herr Annen!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Angesichts dieser Tatsachen, meine sehr verehrten Da- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) men und Herren, ist es doch sehr verwunderlich, welche Vorwürfe hier – – Gestatten Sie mir an dieser Stelle den Hinweis, dass es (B) nicht das erste Mal war, dass Herr Six die Hilfe des Aus- (D) (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) wärtigen Amtes in Anspruch genommen hat. Das letzte Mal war dies 2013 in Syrien. Damals war Herr Six we- Vizepräsidentin Claudia Roth: gen illegaler Einreise verhaftet worden. Auch 2013 hat Jetzt hat Herr Annen das Wort. Herr Braun, können sich das Auswärtige Amt intensiv um seine Freilassung wir uns darauf jetzt vereinbaren? bemüht und ihn konsularisch betreut. Herr Six hat sich dafür übrigens später mit einer persönlichen Karte bei ei- (Jürgen Braun [AfD]: Wir haben das Recht, ner Mitarbeiterin bedankt. dazwischenzurufen! Zwischenrufe sind mög- lich!) (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Hört! Hört!) – Jetzt hat Staatsminister Annen das Wort. – Herr Annen, bitte. Während der Haft in Caracas – das ist eine gewisse Parallelität – hat sich wieder eine Kollegin des Auswärti- Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt: gen Amtes um Herrn Six bemüht. Sie hat aus ihren eige- nen privaten Mitteln eine Obstschale nach seinen indivi- Das bestätigt mich nur in dem, was ich hier gerade duellen Wünschen zusammengestellt und ins Gefängnis vortragen möchte. Ich sage es einmal sehr diplomatisch: gebracht. Es ist doch sehr verwunderlich, welche Vorwürfe von Herrn Six, aber in den letzten Tagen auch von der AfD (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Jürgen gegen das Auswärtige Amt erhoben worden sind. Braun [AfD]: Das ist ja rührend!) (Jürgen Braun [AfD]: Wem glauben wir denn Sie hat nicht, wie hier fälschlich behauptet worden ist, eher, dem Opfer oder der Bundesregierung?) dafür am Ende auch noch eine Rechnung gestellt. Ich will es sehr deutlich machen: Es gibt für diese Debat- (Dr. Daniela De Ridder [SPD], an die AfD te keinen Grund. gewandt: Das war doch Ihre Anfrage!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, das Auswärtige Amt be- treut im Jahr etwa 1 700 Haftfälle. Die Kolleginnen und Denn wir haben hier ganz bewusst von Ihnen die Un- Kollegen an unseren Auslandsvertretungen verfügen wahrheit gehört. Es ist beschämend, zu sehen, wie Mit- über viel Expertise und Erfahrung. Sie wissen, wie man glieder dieses Hauses versuchen, den Fall von Herrn Six in jedem Einzelfall bestmöglich vorgeht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10617

Staatsminister Niels Annen (A) Der hier erhobene Vorwurf von der AfD, die Bundes- matischen Versorgungskrise und während einer starken (C) regierung habe Herrn Six anders behandelt als andere Ausdünnung des deutschen Botschaftspersonals. Journalisten, da er für rechte Medien schreibe, ist absolut lächerlich und entbehrt wirklich jeder Grundlage. Meine Damen und Herren, selbst nachdem unser Botschafter, Herr Kriener, aus Venezuela ausgewiesen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP worden ist und wir die extremen Bedingungen mit dem und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie landesweiten Stromausfall und damit auch verbundene der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE]) Sicherheitsrisiken zu betrachten hatten, hat es noch einen Meine Damen und Herren, das können wir auch belegen. weiteren Haftbesuch gegeben. Nach diesen Anstrengun- Ich will deswegen einmal darstellen, was eigentlich in gen waren wir alle erleichtert über die Freilassung von der letzten Zeit geleistet worden ist. Herrn Six am vergangenen Wochenende. Die venezolanischen Behörden hatten die Botschaft in (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Caracas – übrigens unter Verletzung des Wiener Überein- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie kommens – nicht darüber informiert, dass Herr Six am der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE]) 17. November 2018 in Gewahrsam des Militärgeheim- dienstes genommen worden ist. Zwei Tage später, also Ich will bei aller Kontroverse hier noch einmal sagen: am 19. November, hat die Botschaft die Nachricht über Wir freuen uns darüber, dass Herr Six wieder zurück in seine Verhaftung erlangt. Bereits zwei Tage später, am Deutschland ist. Das ist eine der wenigen guten Nach- 21. November, hat Botschafter Kriener bei Vizeaußen- richten, die uns aus Venezuela in der letzten Zeit erreicht minister Gil vorgesprochen und gegen die Verhaftung haben. von Herrn Six protestiert. Sie wissen, dass Herrn Six Spionage, unerlaubtes Fotografieren von Militäranlagen Doch auch an dem Punkt der Freilassung rissen unsere und Terrorismus vorgeworfen wurde. Das sind Vorwür- Bemühungen nicht ab. Durchgehend, meine lieben Kol- fe, die wir kennen. Das benutzt der venezolanische Ge- leginnen und Kollegen, bis zum Abflug der Maschine, heimdienst häufig bei Verhaftungen. Die Botschaft hat standen Mitarbeiter der Botschaft an der Seite von Herrn sich umgehend bemüht, diese Vorwürfe mit Nachdruck Six. Selbst der Flug wurde von der deutschen Botschaft zurückgewiesen und konsularischen Zugang zu Herrn organisiert und gebucht. Erst mit Ankunft von Herrn Six Six verlangt, wie es ihre Pflicht und Schuldigkeit ist. Die am 18. März 2019 haben wir diesen Konsularfall als er- deutsche Botschaft hat versucht, Herrn Six zu besuchen. ledigt betrachtet und damit abgeschlossen. Deswegen Das ist auch gelungen; Kollege Nick hat darauf hinge- bleibt an dieser Stelle auch zu hoffen, dass diese Debatte wiesen. Viermal hat es entsprechende Besuche gegeben. einen Beitrag dazu leisten kann, der Legendenbildung im (B) (D) (Jürgen Braun [AfD]: Nach fast zwei Mona- Falle von Herrn Six entgegenzuwirken. ten der erste Besuch!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Es hat sogar einen Besuch von Botschafter Kriener per- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- sönlich gegeben. Meine Damen und Herren, warum er- geordneten der FDP – Zuruf von der AfD: Das wähne ich das? Weil hier ja offensichtlich auch mit fal- schreit nach einem Untersuchungsausschuss!) schen Behauptungen gearbeitet wird. Ich hoffe, dass diese Debatte deutlich gemacht hat, dass Die Kolleginnen und Kollegen in Caracas wirkten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf hoher und konkret und erfolgreich auf eine Verbesserung der Haft- bedingungen hin. Sie sorgten auch immer wieder per- höchster Ebene alles getan haben, um die Rechte eines sönlich für eine Verbesserung der Versorgungslage von deutschen Staatsbürgers zu gewährleisten. Herrn Six. Sie bewirkten dabei auch die Zulassung eines Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Ih- Wahlverteidigers beim zuständigen Gericht. Daneben nen hier noch etwas sagen und Ihnen eine Sache ein biss- standen Botschaft und Auswärtiges Amt im ständigen chen ans Herz legen: Ich weiß nicht, ob Sie überhaupt Kontakt mit den Eltern von Herrn Six. bereit sind, den Argumenten und Dingen, die wir vorge- Im Gespräch mit der venezolanischen Regierung – tragen haben, Glauben zu schenken und zuzuhören. hochrangig in Caracas selbst, aber auch hier mit dem von Herrn Maduro akkreditierten Botschafter – haben wir (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- uns inständig und intensiv um die Interessen von Herrn NEN]: Nein, man hat nicht den Eindruck, Six bemüht. Insbesondere für die Überprüfung der Tat- wenn man sie hier hört!) vorwürfe und ein transparentes Verfahren haben wir uns mit Erfolg eingesetzt. Dies schloss am Ende sogar die Aber Sie alle hier im Deutschen Bundestag – wir freuen Vorsprache des deutschen Botschafters beim venezola- uns über die Unterstützung, die wir aus allen Fraktio- nischen Außenminister ein. All diejenigen, die auch aus nen, mit einer Ausnahme, genossen haben – tragen auch ihrer Wahlkreisarbeit konsularische Betreuung kennen, eine Verantwortung dafür, dass Mitarbeiterinnen und wissen, dass das eine außerordentlich hochrangige Ebene Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes in schwierigen und ist. All dies ging weit über das übliche Maß einer kon- manchmal schwierigsten Situationen für ihre persönliche sularischen Haftbetreuung hinaus, und zwar – auch das Sicherheit die Rückendeckung und den Rückhalt dieses muss man hier noch einmal sagen – in einer ausgespro- Parlaments brauchen, damit wir uns auch in Zukunft er- chen angespannten politischen Lage, mitten in einer dra- folgreich im Ausland für deutsche Staatsbürgerinnen und 10618 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Staatsminister Niels Annen (A) Staatsbürger in schwierigen Haftsituationen einsetzen Sie wissen doch nicht, was Menschenrechte für alle sind. (C) können. Sie wissen das nicht. Seien Sie einfach mal still. Lernen Sie noch was. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Deniz Yücel hat nach der Verhaftung von Billy Six Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- getwittert: NEN]: Es geht ihnen doch gar nicht um den Die Freiheit des Wortes gilt oder gilt nicht. Sie ist Mann!) unteilbar. Darum selbstverständlich: #FreeBilly. Sie haben auch eine Verantwortung dafür, dass es das in Zukunft auch weiterhin geben wird. Wir werden jeden- Dem ist nichts hinzuzufügen. Genau so ist es. falls mit der Unterstützung dieses Hauses diese Politik (Beifall bei der AfD – Karsten Hilse [AfD]: weiter betreiben. Das ist richtig!) Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit. – Da müssen Sie nicht klatschen, das ist ein Missver- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP ständnis. Aber wir klären es noch auf. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Jürgen Braun [AfD]: Herr Hunko hat etwas anderes gesagt!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Und es ist ausdrücklich nicht die Aufgabe der gerade Vielen Dank, Niels Annen. – Das Wort für die Frakti- genannten Akteure, die Arbeit von Billy Six zu bewer- on Die Linke hat Simone Barrientos. ten. Aber man sollte eines wissen: Laut Definition des (Beifall bei der LINKEN – Britta Haßelmann Deutschen Journalistenverbandes ist man dann Journa- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Schlim- list, wenn man sich – ich zitiere – hauptberuflich an der me ist doch, dass der Mann nur instrumentali- Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen, siert wird für deren Zwecke! Um etwas ande- Meinungen und Unterhaltung durch Massenmedien be- res geht es ihnen doch gar nicht!) teiligt. – Das heißt, es genügt völlig, dass man einen so schlecht auch immer gemachten YouTube-Kanal betreibt, um sich Journalist zu nennen. Ein Qualitätsmerkmal ist Simone Barrientos (DIE LINKE): das nicht. Aber wir wollen hier nicht persönlich werden. Es ist schon eine wirklich sehr schlecht gemachte Monty-Python-Nummer, die Sie hier abliefern. Wir ha- Kommen wir zu dem, worum es angeblich geht. ben das gerade gehört. (Jürgen Braun [AfD]: Sie können das beurtei- (B) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len, Frau Barrientos?) (D) NEN]: Das ist schlimmer!) Wir hörten schon vom Obstkorb samt ominöser Rech- Lügentruppe, Jammertruppe, Heulsusen, all das passt, nung, einem angeblich nicht weitergeleiteten Foto, von wenn Ihnen etwas nicht passt. Dass Menschenrechte für geliehenen Büchern, von Besuchen oder Nichtbesuchen, alle gelten, wissen wir, Sie nicht. selbst Lawrow wird aus der Kirste gezerrt, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Der lebt neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE noch!) GRÜNEN) ein wirrer Wirrwarr, man wird völlig wirr im Kopf. Aber zum Thema. Selbstverständlich und ohne Ein- Die Chronologie der Ereignisse wurde hier belegt. Ich schränkung haben sich die Bundesregierung und die kann mir das sparen. Vielen Dank dafür. Was ich mir al- jeweiligen Botschaften dafür einzusetzen, dass deut- lerdings nicht erspart habe – das war wirklich nicht ver- sche Staatsbürger, die, in welchem Land sie auch immer gnügungssteuerpflichtig –: Ich habe mir gestern die von inhaftiert sind, konsularisch betreut werden, dass für Billy Six nach seiner Freilassung gegebenen Interviews Rechtsbeistand gesorgt ist, dass rechtsstaatliche Verfah- angeschaut. Mein lieber Scholli, Mann, Mann, Mann. ren eingehalten werden – Punkt. Und all das – Sie wissen das – ist im Fall Billy Six passiert. Darüber hinaus ha- (Zuruf von der AfD: Ja, was denn?) ben sich Reporter ohne Grenzen, Journalistenverbände, Interessant ist, dass seine Formulierungen belegen, dass Schriftstellervereinigungen, Menschenrechtsorganisatio- nicht zu belegen ist, was hier von Ihnen belegt werden nen und übrigens auch Die Linke für seine Freiheit ein- soll. gesetzt. (Lachen bei der AfD) (Jürgen Braun [AfD]: Die Parlamente nicht! Die Linke hat ihn verhöhnt! Sie haben ihn ver- Da ist die Rede von: „Ich habe gehört“, „Man hat mir ge- höhnt!) sagt“, „Ich vermute, dass …“, „Ich kann nicht beweisen, aber …“, usw. usf. – Halten Sie einfach mal die Klappe. Sie wissen doch eh nicht, worum es hier geht. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Armer Billy!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Behauptungen, Halbwahrheiten, Vermutungen, nicht zu neten der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Sie ha- belegende Rückschlüsse und, ja, auch Lügen. Der vene- ben ihn verhöhnt!) zolanische Botschafter hat uns bestätigt, dass die Ereig- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10619

Simone Barrientos (A) nisse so stattgefunden haben, wie es Niels Annen gerade Simone Barrientos (DIE LINKE): (C) dargelegt hat. Und selbst der Anwalt von Billy Six dis- Die Vorwürfe sind konstruiert. Der deutsche Botschaf- tanziert sich von den Darstellungen von Billy Six. ter hat es übrigens geschafft, sich sowohl um den selbst- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der ernannten Journalisten als auch um den selbsternannten SPD: Hört! Hört!) Präsidenten zu kümmern. Das eine war sein Job. Einen Fakt nennt Billy Six, nämlich den, dass er in Vizepräsidentin Claudia Roth: Venezuela ohne Akkreditierung unterwegs war, wissend, dass die vorgeschrieben ist. Also, na ja, was soll man Denken Sie an die Redezeit! dazu sagen. Und, auch das nur der Vollständigkeit hal- ber: Er recherchierte in Venezuela nicht etwa, weil ihm Simone Barrientos (DIE LINKE): die venezolanische Bevölkerung so sehr am Herzen liegt. Letzter Satz. – Das andere war peinlich und gefähr- Nein, nein, er war dort unterwegs, weil er eine ziemlich lich. Dass das eine dem anderen nicht dienlich war, na steile These belegen wollte, nämlich die, dass aus Latein- ja, der diplomatische Weg hatte ziemliche Schlaglöcher, amerika eine Flut von … Na ja, Sie wissen schon. geklappt hat es trotzdem. Schön, dass Sie zurück sind. (Zuruf von der AfD: Was denn?) Danke schön. – Es hat mit Klima nichts zu tun. Das gibt es ja nicht, laut (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- AfD. Also, lassen wir das. neten der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Fiktio- (Karsten Hilse [AfD]: Sagen Sie doch, was!) nal ist das gut! – Weiterer Zuruf von der AfD: Wer schreibt denn Ihre Reden?) Diese von der AfD aufgesetzte Aktuelle Stunde belegt vor allem Folgendes: Vizepräsidentin Claudia Roth: (Jürgen Braun [AfD]: Sie können nur Realsa- Vielen Dank, Simone Barrientos. – Nächster Redner: tire! Etwas anderes können Sie nicht!) Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen. Die AfD schämt sich für nichts. Die AfD argumentiert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) immer rassistisch. Es geht ihr immer nur um das eine Thema. Selbst der Wolf musste schon dafür herhalten. Er hat für viel Heiterkeit gesorgt. Ich erinnere mich, Sie Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sicher auch. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele (B) (D) Journalistinnen und Journalisten riskieren weltweit ihr Ich weiß, Wahrheit tut weh, und dann noch von ei- Leben, um über Konflikte, Menschenrechtsverletzungen, ner Frau, und dann noch von der Linken. Ich weiß, das Umweltkatastrophen, humanitäre Notlagen und vieles ist übel. Sie haben Angst vor Frauen. Ich kenne das. Ist mehr zu berichten; teilweise unter sehr widrigen Umstän- okay, ist okay. Übrigens ein kleiner Tipp an die anderen den, manchmal in Ländern, in denen eine Akkreditierung Fraktionen: Schicken Sie einmal die Frauen nach vorne, gar nicht erst möglich ist. Ich finde, in Zeiten, in denen dann haben die Schiss, so ist das nämlich. diese Menschen viel zu wenig Anerkennung und viel zu (Lachen bei der AfD) viel Hass entgegengebracht bekommen, ist es in erster Linie unser Job, einfach Danke zu sagen für diese un- Der Rassismus in Ihrer Argumentation lässt sich so glaubliche Arbeit, die geleistet wird. locker nachweisen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der AfD) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Rassistisch ist Ihre Argumentation deshalb, weil Sie bei SPD und der FDP) Billy Six andere Standards setzen als zum Beispiel bei Es ist unser Job, nicht müde zu werden für die Freilas- Deniz Yücel. sung jedes und jeder Einzelnen, die zu Unrecht inhaftiert (Jürgen Braun [AfD]: Reden Sie noch zehn sind, zu kämpfen, humane Haftbedingungen, Rechtsbei- Minuten! Sie blamieren sich immer mehr! Bit- stand, Kontakt zur Außenwelt und medizinische Versor- te reden Sie so weiter! Sie reden sich um Kopf gung zu fordern, und zwar unbenommen von der Frage und Kragen!) der Nationalität oder der politischen Couleur. Wir sind sehr froh, dass Herr Six endlich wieder frei und in Sicher- Nach der Freilassung von Deniz Yücel – wir haben das heit ist. Natürlich haben wir die Sorgen der Familie Six schon gehört – beklagten Sie zu viel Einsatz der Bun- verstanden, die uns zu Recht kontaktiert hat. Wir haben desregierung. Wenn ein deutscher Staatsbürger türkische uns deshalb – ich kann nur für meine Fraktion sprechen – Wurzeln hat, dann kann der da ruhig … nicht wahr? mehrfach an das Auswärtige Amt gewandt. Nach dem, „Entsorgen“ ist hier auch schon gefallen. Also, erzählen was der Staatsminister gerade beschrieben hat, glaube Sie uns doch nichts. ich, ist es nicht besonders schwer, zu verstehen, dass das Auswärtige Amt einen großen Beitrag dazu geleistet hat, dass Herr Six heute hier sein kann. Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit. (Zuruf von der AfD: Obstkorb!) 10620 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Omid Nouripour (A) Auch dafür einen herzlichen Dank. Wenn Sie da so einen guten Draht haben – was ich Ih- (C) nen glaube –, wenn Lawrow es war, der da vermittelt hat: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Warum hat er es nicht 119 Tage vorher gemacht? Diese bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Frage stellt sich mir. Sie haben mehrfach wiederholt, was Herr Six alles ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sagt hat. Herr Six hegt einen Groll gegen das Auswärtige bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Amt. Ich möchte das auf keinen Fall kommentieren oder bewerten. Das steht mir nicht zu. Ich habe nicht 119 Tage Wenn Sie mit Lawrow über Pressefreiheit reden: Ha- in einem venezolanischen Kerker gesessen. Aber was ben Sie ihm gegenüber dann auch mal den Namen Anna man hier sehr leicht durchschauen kann, ist das, was die Politk­owskaja genannt? AfD hier veranstaltet. Es ist eine geballte Heuchelei, auf die Yücel-Debatte im letzten Jahr hinzuweisen, wo sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hat, dass bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) der Mann freigelassen wird. Haben Sie gefragt, warum über 200 Journalistinnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Journalisten in den letzten Jahren unter Putin unter dubi- bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der osesten Umständen einfach verschwunden sind und wa- LINKEN – Zuruf von der AfD: Stimmt doch rum es in jedem zweiten Todesfall hieß, es sei Selbstmord gar nicht!) begangen worden? Das ist das Thema, über das wir im Übrigen auch sprechen – nicht nur über den tragischen Sich jetzt hierhinzustellen und das Wort „Schutzschild“ Fall von Billy Six und über seine glückliche Freilassung, zu benutzen, ist schon abenteuerlich. Er war noch nicht sondern auch über diese Doppelmoral und über die Pres- in Deutschland angekommen, sefreiheit, die weltweit unter Druck ist. (Jürgen Braun [AfD]: Wir waren immer für (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- seine Freilassung, natürlich! – Lachen der SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie stellen sich hierhin und tun so, als hätten Sie damit überhaupt nichts zu tun. Aber ich weiß, dass so viele Ih- da nannten Sie ihn von diesem Pult aus Menschenfeind rer Leute auf Facebook jeden zweiten Tag „Lügenpresse“ und Hassprediger. Nach einem Jahr in Haft hatten Sie schreiben und damit natürlich dazu beitragen, dass es in keinen Respekt vor dem, was er dort erlitten hat. Es of- diesem Land eine Stimmung gibt, die befördert, dass vie- fenbart unmissverständlich Ihre unerträgliche Maßlosig- le Menschen, die in Redaktionen unter widrigen Umstän- keit, sich hierhinzustellen und anderen Dinge vorzuwer- (B) den und nicht besonders gut bezahlt arbeiten, Hassmails (D) fen, die Sie selbst vorleben. bekommen. Und da stellen Sie sich hierhin und sagen: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir sind das Schutzschild. – Tut mir leid! Ich glaube, und bei der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Maß- Sie verkaufen viel zu viele Menschen für dumm; aber so los, ja! Maßlos ist der Außenminister!) dumm sind die Menschen in diesem Land Gott sei Dank nicht. Ich bin es, ehrlich gesagt, ein Stück leid, dass Sie jede Tragödie, jedes menschliche Schicksal nehmen, um Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, trauen in unsere demokratischen Institutionen zu unter- bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der minieren, LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Es ist unser Job, gerade im Interesse derjenigen, die bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) unter Druck stehen – unbenommen der Nationalität, der politischen Couleur und der Frage, ob uns die Meinung sei es die Diplomatie, seien es die Gerichte, sei es dieses derjenigen, die etwas schreiben oder senden, gefällt –, al- Hohe Haus. les dafür zu tun, dass niemand dafür bestraft wird, dass er Das war die Stelle, bei der ich gedacht habe: Soll ich seinen Job als Journalistin oder Journalist macht. jetzt lachen? Lawrow, der eiserne Ritter der Pressefrei- heit? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ geordneten der FDP) DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es eine Weltrang­ Vielen Dank, Omid Nouripour. – Nächster Redner: liste der Pressefreiheit gibt, veröffentlicht Jahr für Jahr Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. von Reportern ohne Grenzen? Russland ist auf Platz 148, fünf Plätze hinter Venezuela. Jetzt stellen Sie sich hin (Beifall bei der CDU/CSU) und sagen: Lawrow war es. – Da fällt mir, ehrlich gesagt, ganz wenig ein. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zunächst einmal: Ich glaube, wir alle freuen uns, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10621

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Billy Six aus dem Gefängnis in Venezuela raus ist und bewirken kann, dann frage ich, nachdem Russland immer (C) wieder in Deutschland ist. Aber noch die schützende Hand über Maduro hält: (Jürgen Braun [AfD]: Aber, aber, aber!) (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und über so wie diese Debatte hier von den Antragstellern aufge- die AfD!) zogen worden ist, frage ich mich: Wird da nicht verkehrte Wo ist das Wunder, dass sich Russland dafür einsetzt, Welt gespielt? dass alle politischen Gefangenen in Venezuela freigelas- (Jürgen Braun [AfD]: Ja, das war verkehrte sen werden? Welt!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Auf die Anklagebank hier im Deutschen Bundestag ge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- hören doch nicht die Bundesregierung und das Auswär- geordneten der FDP) tige Amt. Auf die Anklagebank gehören Nicolás Maduro und seine Militärclique. Wo ist der Einsatz der russischen Regierung dafür, dass die venezolanische Regierung endlich die humanitäre (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- Hilfe für die hungernde und notleidende Bevölkerung wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Venezuelas in das Land hereinlässt? DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Nils Schmid [SPD]) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin deswegen so persönlich betroffen, weil ich aus einem Wahlkreis Diese haben Billy Six ins Gefängnis geworfen. Sie sind komme, von dem einstmals eine starke Auswanderungs- verantwortlich dafür, dass er dort darben musste, und welle nach Venezuela ausging. Auch heute bestehen le- nicht die Bundesregierung. Es muss einfach mal klar und bendige Beziehungen zu den damaligen Auswanderern deutlich gesagt werden, wer hier die Schuldigen sind. und ihren Nachkommen. Meine deutschen Mitbürge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rinnen und Mitbürger fordern von uns, dass sie endlich ordneten der FDP) humanitäre Hilfe für ihre Verwandten und für ihre Freun- dinnen und Freunde leisten können, ohne Umwege zu Das Zweite ist: Herr Staatsminister im Auswärtigen gehen. Amt, Niels Annen, und etliche Redner haben dargestellt, wie das Auswärtige Amt, die Botschaft mit dem sehr mu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie tigen Botschafter Daniel Kriener – wer ihn kennt, weiß, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE dass das ein mutiger Mann ist – und seine Mitarbeiterin- GRÜNEN) (B) nen und Mitarbeiter sich engagiert haben. Ich habe ir- (D) gendwo gelesen, außer der AfD habe sich nur jeweils ein Sie fordern von uns, dafür zu sorgen, dass ihre Freunde Abgeordneter der Union und der Linken für die Freilas- und ihre Verwandten nicht täglich in Angst leben müssen, sung eingesetzt. Nein, ich weiß, dass sich aus allen Frak- entführt und erpresst zu werden, und dass anschließend tionen, auch aus meiner, viele Kolleginnen und Kollegen, Polizei und venezolanische Strafverfolgungsbehörden vorneweg der zuständige Wahlkreisabgeordnete von der etwas tun, um die massive Bedrohung des Lebens ihrer Marwitz, dafür eingesetzt haben und alles Erdenkliche Freunde und Verwandten irgendwie abzustellen. Das ist dafür getan haben, Billy Six aus dem Gefängnis heraus- doch der Skandal: dass heute niemand mehr in Venezuela zubekommen. sicher leben kann, dass die Menschen hungern müssen und dass die medizinische Versorgung am Boden liegt, Spätestens heute Morgen, nachdem man lesen konn- dass in den Krankenhäusern nicht mehr operiert werden te, dass der Anwalt von Billy Six in Venezuela bestätigt kann, dass Krankheiten nicht mehr behandelt werden hat – entgegen den Vorwürfen –, dass sich die deutsche können. Das ist der eigentliche Skandal in Venezuela, der Botschaft für ihn eingesetzt hat, hätte ich erwartet, dass endlich ein Ende finden muss. diese Aktuelle Stunde zurückgenommen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- NISSES 90/DIE GRÜNEN) geordneten der FDP und der LINKEN) Nachdem sie jetzt doch stattfindet, dürfen wir alle zu Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Mehr- Recht erwarten, dass die antragstellende Fraktion sich heit der lateinamerikanischen Länder, die Lima-Gruppe, für diesen Fehlgriff entschuldigt fordert von uns zu Recht einen verstärkten Einsatz da- für, dass Maduro und seine Militärclique, die nur noch (Lachen bei der AfD) das Land ausbeuten, sich wirtschaftlich bereichern, auch über den Drogenhandel, und das eigene Volk hungern und die Vorwürfe zurücknimmt. lassen, endlich abtreten. Es ist schön, dass Billy Six frei (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- ist. Aber der größere Ansatz, den wir verfolgen müssen, KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist doch: Freiheit für Venezuela, Freiheit für die Venezo- sowie bei Abgeordneten der FDP) lanerinnen und Venezolaner – das ist das Thema. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn angeblich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- ein Gespräch mit dem russischen Außenminister Wunder wie des Abg. Uwe Schmidt [SPD]) 10622 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Wollen Sie, die Sie hier gesprochen haben, behaupten, (C) Vielen Dank, Peter Weiß. – Nächster Redner: Ar- der Junge lügt? min-Paulus Hampel für die AfD-Fraktion. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: (Beifall bei der AfD) Sein Anwalt sagt es! – Gyde Jensen [FDP]: Sie lügen!)

Armin-Paulus Hampel (AfD): – Aha, Sie trauen sich nicht. Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Jetzt kommen wir zu den Fakten. Nach 59 Tagen fragt Liebe Besucher im Deutschen Bundestag! Die Geschich- der Gefängnisdirektor seinen Insassen, ob sich nicht ir- te um Billy Six ist eine Geschichte, die häufiger vor- gendwann mal seine Botschaft um ihn kümmern möchte. kommt. Sie haben den Fall Yücel erwähnt. Mir ist es in (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Aber woher den 90er-Jahren, als ich in Kandahar für die AfD, nein, soll der Junge wissen, was draußen schon al- für die ARD reportiert habe les passiert ist?) (Lachen bei der CDU/CSU) – Hören Sie zu, Frau De Ridder. – Als der Kontakt zu- – uns gab es ja damals noch gar nicht, sonst hätten wir es stande kam, bat der Journalist darum, dass die deutsche vielleicht damals schon gemacht; Spaß beiseite –, genau- Botschaft ihm aus Deutschland Belegartikel schickt, da- so ergangen, als ich von den dortigen Religionspolizisten mit er etwas vorweisen kann. Herr Staatsminister, die der Taliban in Gewahrsam genommen und unter Hausar- deutsche Botschaft hat es bei den vier Besuchen nicht rest gestellt wurde. Es ist eine verdammt unangenehme geschafft, solche Artikel als Belege einzureichen. Sache, wenn man gerade noch ein Telefongespräch ab- (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mein setzen kann, um mitzuteilen, dass man gerade von den Gott! Schämen Sie sich!) Taliban verhaftet wird – sie waren ja auch nicht gera- de die rührseligsten Typen –, und nicht weiß, was wei- Herr Six war an Dengue-Fieber erkrankt. Ich selber ter geschieht. Dann musste ich über Nacht warten, was habe Dengue-Fieber gehabt und weiß, wovon ich rede. passiert: Nehmen die mich mit, holen die mich ab? Das Sie brauchen dann eine medikamentöse Versorgung. Die ist kein angenehmes Gefühl. Nach 48 Stunden kam ein entsprechenden Tabletten waren ihm bei der Verhaftung Taliban zu mir weggenommen worden, und er hatte darum gebeten, dass die Botschaft ihm diese Tabletten besorgt. Wissen Sie, (Zuruf von der CDU/CSU: Thema!) wer ihm diese Tabletten, die notwendig sind, schließlich besorgt hat? Das Gefängnispersonal! Sagen Sie nicht, und sagte, ich solle mich auf einen Weg vorbereiten. (B) das sei konsularische Betreuung nach deutschem Vor- (D) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bild! Das ist eine Schande für das Auswärtige Amt, und NEN]: Ich dachte, es geht um Billy Six!) ich weiß, wovon ich rede. – Hören Sie gut zu, Frau Kollegin. – Dann bot man mir (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] noch an, mich im Auto nach Pakistan zu bringen. Das [CDU/CSU]: Nein, wissen Sie nicht! – Peter habe ich abgelehnt, weil ich körperlich unversehrt blei- Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Waren ben wollte. Dann wurde noch mal der Druck erhöht, und Sie dabei?) ich flog 48 Stunden später mit einem Flugzeug der UN Eine konsularische Betreuung sieht nicht so aus: Wir nach Pakistan und wurde von einem jungen Botschafts- gucken mal, dass ihm alle rechtlichen Schritte garantiert angehörigen freudig am Flughafen Islamabad abgeholt. werden. – Ich habe kein einziges Mal von Herrn Maas (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: gehört: Ich fordere die Freilassung von Billy Six. – Kein So, und jetzt zum Thema! – Dr. Daniela De einziges Mal! Zeigen Sie mir die Zeitungszeile, in der Ridder [SPD]: Jetzt kommt die Moral der Ge- Frau Merkel – genauso wie bei Herrn Yücel – die Freilas- schichte!) sung von Billy Six gefordert hat. Zeigen Sie mir die Zei- tungszeile, in der der Bundespräsident, Herr Steinmeier, Jetzt sage ich Ihnen, wer dafür gesorgt hat: Es war der die Freilassung von Billy Six gefordert hat. Diese damalige Außenminister Klaus Kinkel, der es innerhalb Schlagzeile gab es kein einziges Mal, bei Herrn Yücel von 48 Stunden geschafft hat, einen deutschen Journalis- aber x-mal. Das ist der Unterschied, und dafür sollte sich ten aus Afghanistan herauszuholen. So funktioniert das die Bundesregierung schämen. Das ist eine Ungleichbe- Geschäft und nicht anders. handlung. (Beifall bei der AfD – Jürgen Hardt [CDU/ (Beifall bei der AfD – Dr. Daniela De Ridder CSU]: Warum braucht Lawrow dafür [SPD]: Jetzt sind wir wieder beim Thema, 119 Tage?) Herr Hampel!) Das, was im Falle von Billy Six geschehen ist, und Herr Staatsminister, ich möchte gerne mal die Berich- die Anwürfe, die Sie hier bringen, sind eine Beleidigung te Ihrer Botschaft sehen. Für den Fall, dass ein Minister dieses jungen Mannes sondergleichen. Sie sollten sich nachfragt, was in Venezuela läuft und warum dort ein was schämen. Deutscher einsitzt, gibt es Berichte. Damit hätten Sie be- legen können: Wir waren dann und dann da, wir haben (Beifall bei der AfD) das und das gemacht, und wir haben dieses und jenes un- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10623

Armin-Paulus Hampel (A) ternommen. – Das alles höre ich aus diesem Hause nicht. davon aus, dass er das tut. Ich habe bisher keine von ihm (C) In der Regel belegt die Botschaft alles. Das wissen Sie, gelesen, aber das muss ja auch kein Fehler sein. und das weiß ich auch. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Stefan Nachdem ihm so viel verweigert worden war, Keuter [AfD]: Wir schicken Ihnen welche!) (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Oh!) – Danke, aber ich glaube, dass ich auch in der Beziehung durchaus umfassend gebildet bin und das nicht brauche. hat in der Tat der russische Außenminister vermittelt. Herzlichen Dank! Und wissen Sie, was? Mir ist es auf gut Deutsch – ver- zeihen Sie, Frau Präsidentin Roth – scheißegal, was für Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, und sie gilt na- ein Außenminister das ist. Hauptsache, er holt unseren türlich auch für Billy Six genauso wie für jeden anderen. Mann da raus. Das ist für mich das Entscheidende, und Selbstverständlich setzt sich das Auswärtige Amt für je- das haben wir und meine Fraktion erreicht. den deutschen Staatsbürger ein, der irgendwo in der Welt konsularische Betreuung braucht, egal ob er zu Unrecht (Beifall bei der AfD) oder zu Recht verhaftet worden ist. In diesem Fall war es Jetzt kommt zum Abschluss die Geschichte mit dem ganz offenbar eine Verhaftung zu Unrecht. Das Auswär- Obstkörbchen. tige Amt setzt sich immer für die Bürgerinnen und Bür- ger ein, wie es die Notwendigkeiten im diplomatischen (Petr Bystron [AfD]: Ja!) Dienst gebieten. Die Botschaft hat die Familie nach Aussagen der Eltern (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So sollte es von Billy Six aufgefordert, dieses Obstkörbchen zu be- sein!) zahlen. Der Staatsminister Annen hat Ihnen eben ja den Gang (Petr Bystron [AfD]: Pfui!) dargestellt und gesagt, was die Botschaft in Caracas mit Danke schön. ihren verschiedenen Angehörigen – vom Botschafter bis zu einigen anderen Botschaftsmitarbeitern – in diesen (Beifall bei der AfD – Jürgen Braun [AfD]: viereinhalb Monaten in Venezuela zugunsten des ver- Die vom Auswärtigen Amt lügen sich was zu- hafteten Billy Six gemacht hat. Ich weiß nicht, ob Billy recht!) Six und seine Eltern die Wahrheit sagen. Die Aussage zu diesem berühmten Obstkörbchen ist hier im deutschen Vizepräsidentin Claudia Roth: Parlament zurückgewiesen worden, und zwar durch den Nächste Rednerin: Dr. Barbara Hendricks für die Staatsminister, und ich nehme an, dass ein Staatsminister (B) SPD-Fraktion. das deutsche Parlament nicht belügt. Das darf ich sicher- (D) lich zu Recht annehmen. Ob das, was die Eltern von Billy (Beifall bei der SPD) Six zu dem Obstkörbchen sagen, der Wahrheit entspricht oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Aber zunächst traue Dr. Barbara Hendricks (SPD): ich der Aussage, die hier von einem deutschen Staats- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- minister gegenüber dem deutschen Parlament geäußert legen! Meine Damen und Herren Abgeordnete der AfD! worden ist. Wir haben es hier heute wirklich mit einem besonderen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Fall zu tun. wie bei Abgeordneten der FDP) (Petr Bystron [AfD]: Jawohl!) Wenn Sie behaupten, mit dieser berühmten Geschichte Wir freuen uns zunächst mal, dass Billy Six frei ist. Nach von dem Obstkörbchen hätten die Eltern von Billy Six viereinhalb Monaten Gefangenschaft in Venezuela ist er recht, dann müssten Sie zugleich sagen: Der Staatsminis- am letzten Wochenende freigekommen und vorgestern, ter hat das deutsche Parlament in der Aktuellen Stunde wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hier in Berlin belogen. angekommen. Die AfD sollte sich auch darüber freuen (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: In der Tat! – (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Tun wir Stefan Keuter [AfD]: Das klären wir noch auch!) auf!) und dies vielleicht auch zum Thema machen. Ich persön- Das trauen Sie sich aber zu Recht nicht; das hat er näm- lich werde auch in Zukunft damit leben können, keine lich auch nicht getan. Deswegen glaube ich, dass wir von Artikel von Billy Six in der „Jungen Freiheit“ zu lesen. dem von mir dargelegten Sachverhalt ausgehen sollten. Trotzdem gebührt ihm – genauso wie jedem anderen – (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das wissen Sie natürlich das Recht auf Pressefreiheit, ja gar nicht! – Jürgen Braun [AfD]: Das wis- sen Sie gar nicht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Sein Schicksal hat Billy Six sicherlich zum Teil auch GRÜNEN) selber zu verantworten. Um mal ein Beispiel zu nennen: Er war nicht akkreditiert. und wir werden dafür sorgen, dass er das immer wahr- nehmen kann, solange er die Gesetze der Bundesrepublik (Jürgen Braun [AfD]: Das ist ganz oft und Deutschland achtet, wenn er Artikel schreibt. Ich gehe typisch bei Journalisten in solchen Ländern!) 10624 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Barbara Hendricks (A) Wäre er als Journalist akkreditiert gewesen, hätte er nicht ehrte Familie Six! Weltweit sind aktuell 167 Journalisten, (C) nachweisen müssen, welche Artikel er irgendwann ge- 148 Blogger und 16 Mitarbeiter von Medien eingesperrt. schrieben hat. Es wäre also gut gewesen, wenn er sich an die Gepflogenheiten gehalten hätte. Das ist aber selbst- (Nicole Höchst [AfD]: Alles Deutsche?!) verständlich kein Grund dafür, ihn widerrechtlich einzu- Fünf Journalisten wurden in diesem Jahr schon getötet. sperren. Das zeigt das Barometer der Pressefreiheit von Repor- (Jürgen Braun [AfD]: Sie sagen doch selber, ter ohne Grenzen. Die Pressefreiheit ist in vielen Re- dass das ein Unrechtsregime ist!) gionen der Welt stark beschränkt, wie zum Beispiel in Saudi-Arabien. Man erinnere sich nur an den schreckli- – Ja, natürlich; das ist kein Grund dafür, ihn widerrecht- chen Mord an dem Journalisten Khashoggi. Aber auch in lich einzusperren. Er hat sich aber auch nicht an die üb- vielen Ländern Südamerikas, in Indien und in China ver- lichen Regeln gehalten. Aber um das noch mal ganz klar schlechtert sich die Lage zunehmend. Leider sind auch zu sagen: Deswegen darf man ihn trotzdem nicht einsper- immer wieder Deutsche dabei, die von der Beschränkung ren. der Pressefreiheit weltweit betroffen sind, egal ob Deniz Yücel, Billy Six oder jemand anders, egal ob prominent (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- oder nicht prominent. Als Unionsfraktion machen wir bei NEN]: Es ist schwierig, sich daran zu halten!) zu Unrecht Inhaftierten keine Unterschiede, und jeder Wir halten dies fest und sehen, dass die AfD wieder einzelne Inhaftierte ist einer zu viel. mal nichts anderes versucht, als die öffentlichen Dienst- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie stellen der Bundesrepublik Deutschland zu diskreditie- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- ren, weil genau das ihre verblendeten Anhänger erwar- NISSES 90/DIE GRÜNEN) ten, um es wieder im Netz zu verbreiten. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wir weisen Presse- und Meinungsfreiheit sind wesentliche und auf die Missstände hin!) wichtige Menschenrechte, egal ob einem die Berichter- stattung passt oder nicht. Jeder ist frei in seiner Meinung, Genau das tun Sie: Sie versuchen, die öffentlichen Stel- und das ist Ausdruck unseres demokratischen Selbstver- len der Bundesrepublik Deutschland zu diskreditieren. ständnisses. Deshalb ist es heute eine sehr positive Nach- richt, dass Billy Six frei und zurück in Deutschland ist. (Nicole Höchst [AfD]: Das schaffen Sie ganz Bedauerlich ist aber, dass der Eindruck entsteht – und der alleine!) verhärtet sich ja auch in dieser Diskussion –, dass diese – Nein, keine Sorge, das schaffe ich nicht, und das tun positive Nachricht von der AfD instrumentalisiert und (B) wir auch nicht. auf eine Art und Weise benutzt wird, die unredlich ist. (D) Die demokratischen Fraktionen in diesem Haus erken- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie nen die Arbeit der Angehörigen des öffentlichen Dienstes bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und an, die sie im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) oder der anderen Dienstherren leisten, sofern sie auf an- Für uns als Abgeordnete ist es selbstverständlich, dass deren Ebenen arbeiten. Die Angehörigen des öffentlichen wir uns für alle inhaftierten und bedrohten Journalisten, Dienstes haben das Vertrauen der demokratischen Abge- für alle zu Unrecht Inhaftierten und für deutsche Staats- ordneten dieses Hauses verdient, und ich will mich sehr bürger einsetzen. Aber dass Sie es nicht kapiert haben, herzlich für die Arbeit, die sie tun, bedanken. liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, zeigen die Sie machen sich einen Vorfall zunutze, um in den So- heute von Ihnen beantragte Aktuelle Stunde und Ihr An- cial Media wieder mal den Menschen irgendwas zu er- trag zum Fall Deniz Yücel. Für den einen sind Rechte in zählen, was nicht der Wahrheit entspricht. Ordnung, für den anderen sind Rechte nicht in Ordnung, weil Ihnen dessen Meinung nicht passt. Das ist doch die (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Dann sagen Wahrheit, und darüber muss man doch mal sprechen. Sie ja, der Junge lügt!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Man könnte auch sagen: Sie lügen! und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN) bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Ihre Fraktionsvorsitzende Weidel hat am 18. Febru- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ar 2018 auf Facebook selbst geschrieben: Deniz Yücel „sollte eigentlich keine deutsche Staatsbürgerschaft be- Vizepräsidentin Claudia Roth: sitzen“. Und das nur, weil Ihnen seine Meinung nicht Vielen Dank, Barbara Hendricks. – Nächster Redner passt; das ist doch die Wahrheit. für die CDU/CSU-Fraktion: Sebastian Brehm. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Andreas Nick [CDU/CSU]: So ist es! Aus- drücklich!) Sebastian Brehm (CDU/CSU): Und der AfD-Abgeordnete Tino Chrupalla macht seit Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Jahresbeginn mobil gegen Journalisten, bezeichnet die Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Sehr ge- Presse als „Gegner“ und will eine schwarze Liste von Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10625

Sebastian Brehm (A) Journalisten, die Ihnen nicht passen, im Internet veröf- strumentalisieren; denn das ist das, was Sie tun. Das sind (C) fentlichen. Das liest man in den Zeitungen; das ist die Fake News, die Sie verbreiten. Wahrheit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Dr. Daniela De Ridder [SPD] und Kai Gehring NIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [Ful- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) da] [CDU/CSU], an den Abg. Tino Chrupalla Man muss mit aller Entschiedenheit sagen: Das brüskiert [AfD] gewandt: Da grinst er noch doof!) alle Menschen, die jetzt noch zu Unrecht in Haft sitzen. Sie machen sich über diese Menschen lustig. Der AfD-Kreisverband Hochtaunus sinniert seit An- fang des Jahres – auch das kann man in der Zeitung le- (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Wie wahr!) sen –, dass die „Funkhäuser ... gestürmt“ und „Mitarbei- ter auf die Straße gezerrt“ werden sollen. Darüber sollten Das sollten Sie in einer solchen Diskussion unterlassen. wir nachdenken, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist Was Sie sagen, ist die Unwahrheit, und was Sie behaup- das wahre Gesicht der AfD bei diesem Thema. ten, ist unredlich und unanständig. Hören Sie damit auf! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Andreas und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Nick [CDU/CSU]: So ist es!) wie bei Abgeordneten der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Das war aber schwach, Herr Das widerspricht jeglicher Vernunft und jeglichem Brehm! Ganz schwach! Alter Falter!) Grundverständnis von Presse- und Meinungsfreiheit in unserem Land. Damit zeigen Sie bei diesem Thema Ihr

wahres Gesicht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Sebastian Brehm. Wir sind froh, dass Billy Six frei ist. Genauso froh Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich waren wir bei Deniz Yücel im vergangenen Jahr. Wir set- einen ehemaligen Kollegen oben auf der Tribüne ganz zen uns selbstverständlich für jeden einzelnen deutschen herzlich begrüßen: Dr. , ehemaliger Vor- Staatsbürger, für jeden Journalisten auf der Welt und für sitzender des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- alle zu Unrecht Inhaftierten ein. Staatsminister Annen und Bildungspolitik. Herzlich willkommen! hat heute eindrücklich bestätigt, wie das Auswärtige Amt vorgegangen ist und die deutsche Botschaft gearbeitet (Beifall) (B) hat. Und Sie bezichtigen ihn der Lüge! Jetzt müssen Sie (D) überlegen: Wenn Sie weiterhin das behaupten, was Sie Nächste Rednerin in der Debatte: Yasmin Fahimi für vorhin gesagt haben, dann behaupten Sie, dass unser die SPD-Fraktion. Staatsminister lügt; das müssen Sie erst mal bestätigen. (Beifall bei der SPD) Das behaupten Sie in Ihren Reden, und das werden wir mit Entschiedenheit zurückweisen. Yasmin Fahimi (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrtes Haus! Es sind bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE die autoritären Gruppierungen und Regierungen, die eine GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Sie behaup- freie und unabhängige Berichterstattung fürchten. Wo ten!) Medien nicht über Unrecht, Machtmissbrauch oder Kor- ruption berichten können, ist die öffentliche Kontrolle Übrigens ist aktuell auch in der Zeitung zu lesen, dass abgeschafft und damit auch die freie Meinungsbildung. der Anwalt von Billy Six genau das Gegenteil behauptet. Pressefreiheit ist ein Grundpfeiler jeder Demokratie und Dann behaupten Sie mit Ihrer Aussage also auch, dass daher zu Recht in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Anwalt lügt. der Menschenrechte verankert. Es gilt daher, dass dieses Recht von jeder Demokratin und jedem Demokraten in Liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, wenn Sie höchstem Maße zu schützen ist. schon so gute Kontakte zum Außenminister Lawrow ha- ben, dann tun Sie doch mal was Sinnvolles: Setzen Sie Es verwundert nicht, dass die AfD nun mit dieser Pos- sich für die inhaftierten Journalisten in Russland ein, se von Aktueller Stunde ebendieses Recht instrumentali- und schauen Sie, dass jeder einzelne Fall mithilfe von siert und mit Füßen tritt. Lawrow aufgeklärt wird. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr Vorwurf, das Auswärtige Amt habe sich nicht für Herrn Six eingesetzt, weil er für die „Junge Freiheit“ Oder setzen Sie sich für den in Russland zu 20 Jahren schreibe, ist absurd. Haft verurteilten ukrainischen Filmemacher Oleg Senzo­ w­ ein. Setzen Sie sich dafür ein, dass es hier zu Verbesse- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist leider die rungen kommt und die zu Unrecht Inhaftierten freigelas- Wahrheit! – Weiterer Zuruf von der AfD: Das sen werden, anstatt die Heimkehr von Billy Six zu in- ist richtig!) 10626 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Yasmin Fahimi (A) Das Gegenteil ist der Fall. Trotz – ich sage es noch mal: schuldigungen haben die Arbeit der Botschaft doch nur (C) trotz – seiner nicht vorhandenen Akkreditierung als Jour- behindert. nalist in Venezuela (Lachen bei der AfD) (Jürgen Braun [AfD]: Dummes Zeug! Was soll das immer mit der Nichtakkreditierung? Jetzt, wo Herr Six frei ist, wollen Sie sich natürlich Das gilt für x Journalisten weltweit, die inhaf- wieder aufmuskeln, sich empören mit Ihrer Moral und tiert sind – immer wieder! Wer akkreditiert scheinheilig inszenieren, dass Sie und Ihre Anhänger ja sich denn in solchen Ländern? Das ist doch alle nur arme, arme Opfer sind. Ein Glück für Herrn Six, unglaublich! Das ist doch unprofessionell, dass die Botschaft von solcherlei Dilettantismus sich was Sie da sagen!) nicht hat beirren lassen! und damit ohne Kenntnis seiner konkreten Tätigkeit dort (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vor Ort haben sich das Auswärtige Amt und die Botschaft des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) über das normale Maß hinaus für seine Freilassung ein- Doch es ist eben nicht nur dieser einzelne Fall von gesetzt. Das haben wir gerade nachhaltig genug doku- Herrn Six. Deswegen möchte ich in aller Klarheit sagen: mentiert bekommen. Ihre Kampagne zur Verunglimpfung unserer Botschaften (Jürgen Braun [AfD]: Das ist infam, das mit und ihres Einsatzes für Staatsbürgerinnen und Staatsbür- der Akkreditierung! Infames Gelaber!) ger gefährdet akut andere Journalisten, die zurzeit im Ausland aufgrund ihrer journalistischen Arbeit tatsäch- Im Falle von Billy Six hat die Botschaft weit über das lich gefährdet und inhaftiert sind. Dafür tragen Sie Ver- Übliche hinaus das im rechtlichen Rahmen Mögliche antwortung. für den Inhaftierten getan: durch Vorsprachen des Bot- schafters bis hin zum Außenminister. Das passiert nicht (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai in jedem Fall. Das ist eine außergewöhnlich hochrangige Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ebene, die hier auf besondere Art und Weise angespro- Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD]) chen worden ist. Überrascht uns das? Nein, nicht wirklich. Wir sind Da helfen auch keine Vergleiche, Herr Hampel, mit mittlerweile ja einiges von Ihnen gewöhnt. Aber um es Ihren rührseligen Geschichten. deutlich zu machen: Die Verteidigung der Pressefreiheit nehmen wir Ihnen schon lange nicht mehr ab. Sie haben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ heute wunderbar gezeigt, dass Sie sich ein weiteres Mal DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der disqualifizieren. Sie können immer wieder versuchen, (B) CDU/CSU) die Realität zu verbiegen: Es wird Ihnen nicht gelingen. (D) Es ist eine Tatsache, dass 348 Medienschaffende welt- Sie können doch nicht verschiedene Länder aus verschie- weit immer noch inhaftiert sind. Jedes Jahr ein neuer denen Dekaden und in verschiedenen Situationen einfach trauriger Rekord! Anstatt deren Arbeit zu würdigen und gleichsetzen. Was haben Sie eigentlich für eine Vorstel- deren Situation zu verbessern, wollen Sie die Prinzipien lung von Diplomatie und vom Weltgeschehen? und Instrumente der Demokratie nutzen, um sie gegen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- die Demokratie selbst zu wenden. Im Gegensatz zu Ih- SES 90/DIE GRÜNEN) nen kümmert sich das Auswärtige Amt um jeden Staats- bürger und nicht nur um diejenigen, die für die „Junge Wenn es so einfach wäre und quasi nur am Willen läge, Freiheit“ schreiben. innerhalb von 48 Stunden jeden einfach aus einem ande- ren Land herauszuholen, dann hätten wir in der Tat eine Im Vergleich zum Fall Deniz Yücel ist dies doch ein andere Welt. durchsichtiges parteipolitisches Manöver von Ihnen: Je nach Gesinnung wollen Sie entscheiden, in welchem (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Haben Sie Maße sich die Regierung dafür einsetzt, dass ein Jour- einen anderen Außenminister?) nalist wieder aus der Haft kommt. Das ist das Gegenteil von Pressefreiheit. Es ist Sache der Diplomatie, über die Aber Sie wollen uns doch nicht ernsthaft erzählen, dass jeweiligen sinnvollen Interventionen zu entscheiden. Mit wir in einer Welt leben, in der das realistischerweise noch Ihrem Versuch, Journalist gegen Journalist auszuspielen, möglich ist. verletzen Sie ein zweites Mal die Pressefreiheit, um die (Widerspruch bei der AfD) wir in diesen Ländern kämpfen, und verstärken das Werk derer, die Berichterstattung nur nach ihrem eigenen Gut- Ihre Situation kennen wir a) nicht, und b) sind Sie hier dünken akzeptieren. nicht Thema der heutigen Aktuellen Stunde, die Sie sel- ber beantragt haben. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gyde ­J­ensen [FDP] und Dr. Anton Hofreiter (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese ganze Art der Inszenierung der AfD kann ich nicht anders verstehen, als dass diejenigen, die zwischen Mei- Wo waren denn Ihre seriösen Versuche, Herrn Six zu nungsfreiheit und Volksverhetzung nicht unterscheiden helfen? Ihre Verunglimpfungen und Ihre unseriösen An- können oder nicht unterscheiden wollen, entweder Idi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10627

Yasmin Fahimi (A) oten oder geistige Brandstifter sind. Ich komme zu dem fort über den Brief informiert. Wir haben dann, etwa am (C) Ergebnis, dass Sie Letzteres sind. 14. Februar, auf Anregung unseres AG-Vorsitzenden eine ausführliche Information vom Auswärtigen Amt in un- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord- sere Arbeitsgruppe bekommen. Es wurde noch mal über neten der CDU/CSU und der Abg. Simone den Fall geredet. Meine Anfrage ging auch sofort ans Barrientos [DIE LINKE]) Auswärtige Amt, und wir haben uns immer erkundigt, ob das Auswärtige Amt informiert ist oder nicht. Die Repor- Vizepräsidentin Claudia Roth: ter ohne Grenzen haben gesagt: Am 13. Dezember wurde Vielen Dank, Yasmin Fahimi. – Nächster Redner in es Herrn Six das erste Mal erlaubt, zu telefonieren. Das der Aktuellen Stunde für die CDU/CSU-Fraktion: Martin hat er durch einen Hungerstreik erzwungen. Dann ging Patzelt. eigentlich die Aktivität der Botschaft los; ich will die Fakten nicht alle wiederholen. Aber: Wir können doch (Beifall bei der CDU/CSU) nicht so mit der Wahrheit umgehen, nur weil wir daraus politisches Kapital ziehen wollen. Martin Patzelt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Liebe Gäste, die Sie noch hier im Haus sind! Das ist der SPD) wahrhaftig eine Aktuelle Stunde, die uns die Situation Das bringt uns alle miteinander nicht weiter, aber das unseres Parlaments sehr eindrücklich vor Augen führt. wollen wir doch. Als die Aktuelle Stunde angesetzt wurde, war ich eigent- lich sehr betroffen, und ich habe gefragt: Muss das sein? (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Herr Patzelt, Was wird das bewirken? Werden wir uns weiter entzwei- sagen Sie es: Lügt der Junge?) en? – Ich selber war mit dem Fall vorher befasst. – Ich habe nicht gesagt, dass er gelogen hat. Ich bin von (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Sehr lobens- dem ausgegangen, was Sie heute hier vorgetragen haben, wert, Herr Patzelt!) von nichts anderem. Heute nach der Debatte muss ich sagen: Gott sei Dank (Beifall des Abg. Michael Brand [Fulda] gibt es diese Aktuelle Stunde; denn sie hilft, klar vor [CDU/CSU]) Augen zu führen, wer hier was denkt und was sagt. Ich Meine Kollegen aus dem Menschenrechtsausschuss will gar nicht alles wiederholen, was in der Debatte alles haben sich dann in ihrer Weise verwendet. Der Frakti- gesagt wurde. Aber ich schließe mich den Argumenten onsvorsitzende der CDU/CSU hat sich sofort mit dem meiner Vorredner, die mit der AfD ins Gericht gegangen Auswärtigen Amt in Verbindung gesetzt und hat über- (B) sind, an. Verehrte Kollegen von der AfD, ich sage Ihnen: prüft. Und wissen Sie: Das Auswärtige Amt ist keine (D) Das ist ein Bumerang. Wie wollen Sie damit in der Öf- GSG-9-Einsatzgruppe. Die können nicht mit Gewalt fentlichkeit weiter umgehen? Wie wollen Sie weiter da- etwas erzwingen, aber sie haben jahrzehntelange Erfah- mit umgehen, Herr Bystron, wenn Sie solche beleidigen- rung, wie man auf diplomatischem Wege Menschen frei- den Unterstellungen, die durch Fakten einfach widerlegt bekommt. werden können, gegenüber der Regierung vorgebracht haben? Wem Sie bei der Mythenbildung das eigentliche Ver- dienst zurechnen wollen, das überlasse ich Ihrer Fantasie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Tino und Ihrer Deutung. Chrupalla [AfD]: Die kann man belegen!) (Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel Wir haben es gehört; der Staatsminister hat Fakt um [AfD]) Fakt aufgezählt. Das ist eigentlich auch nicht – das wurde bereits ge- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Behauptun- sagt – die entscheidende Frage, sondern entscheidend ist, gen!) dass Herr Six frei und unter uns ist. Wir von der CDU/ CSU-Fraktion – ich weiß nicht, wie das in anderen Frak- Das sind Beweise. Die Reporter ohne Grenzen, die nun tionen war; ich vermute, auch so – haben uns unabhän- wirklich nicht verdächtig sind, dass sie einer Regierung gig davon, wo Herr Six politisch steht und für wen er dienlich sein wollen, haben den Fall sehr klar analysiert berichtet, konsequent für ihn eingesetzt, wie wir uns in und das Wirken der Regierung in Venezuela beschrieben. gleicher Weise für alle Journalisten einsetzen. Das heißt, Sie stehen Ihnen zur Verfügung, wenn Sie sich objektiv wir stehen an der Seite von all denen, die in Bedrängnis informieren wollen. geraten, und zwar unabhängig von ihrem politischen Be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wusstsein. Ich würde Ihnen dringend empfehlen: Wenn wir hier miteinander wirklich in eine vertrauensvolle Ich habe – ich sage das jetzt als Mitglied der AG Men- Zusammenarbeit kommen sollen, dann müssen Sie be- schenrechte und des Menschenrechtsausschusses – am stimmte Prinzipien des Miteinanders und der Faktenbe- 30. Januar von den Eltern einen Brief bekommen. Ich wertung akzeptieren; würde ich jedenfalls sagen. habe am 31. Januar einen Brief an den Präsidenten ge- schrieben und ihn mit all den Argumenten, die zur Verfü- Noch ein Wort zum Schluss; ein paar Sekunden habe gung standen, gebeten, dass er das Ansehen seiner Person ich noch. Mir ist dabei die Frage eingefallen: Wie gehen und seines Staates nicht dadurch verletzen soll, indem er Sie eigentlich mit der Freiheit von Journalisten in unse- so mit einem Reporter umgeht. Ich habe die Eltern so- rem Land um? Man kann auch eine ideologische Gefan- 10628 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Martin Patzelt (A) genschaft von Journalisten provozieren, indem man sie gen zum Besseren gewendet werden. Dafür gebührt allen (C) als Lügenpresse bezeichnet und ihnen die Verbreitung Journalisten unser zutiefst empfundener Dank. von Unwahrheiten unterstellt. Wir sind froh über den Ab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stand, den wir Politiker von den Journalisten haben. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ (Karsten Hilse [AfD]: Scheiße! – Entschuldi- DIE GRÜNEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Zum Thema!) gung! – Weitere Zurufe von der AfD) Richtig ist es auch, dass sich die Bundesregierung für Wir wollen keine Hauspresse haben. Wir glauben, dass in Journalisten – oder wie im Fall von Billy Six für einen einem demokratisch geordneten Gemeinwesen die Medi- Reiseblogger – einsetzt, gerade wenn diese Menschen en eine außerordentlich große Bedeutung haben. in Bedrängnis geraten und inhaftiert werden. Uns De- mokratinnen und Demokraten, der Bundesregierung (Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel und insbesondere unserem Außenminister Heiko Maas [AfD]) ist es dabei völlig gleichgültig, für welche Medien ein deutscher Staatsbürger tätig ist und wo er sich politisch Sie sollen sich nicht in die Abhängigkeit von einer Par- verortet. Wir helfen jedem in Not und Bedrängnis, wie tei, einer Fraktion oder sonst jemandem bringen. Das ist es auch im Fall von Billy Six der Fall gewesen ist, meine unser Schutz für unsere Demokratie, für Ihre Ziele und sehr verehrten Damen und Herren, für unsere Ziele. Ich kann nur empfehlen: Überlegen Sie sich, wie Sie mit der Presse öffentlich umgehen. (Beifall bei der SPD) etwa durch intensive Betreuung und hochrangige Ge- Danke. spräche – der Staatsminister hat darauf hingewiesen –, durch den Einsatz der Bundesregierung für ein rechts- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- staatliches Verfahren und durch unsere Botschaft in Ca- ordneten der SPD) racas, die Herrn Six bis zuletzt intensiv betreut und sich für dessen zügige Ausreise eingesetzt hat, liebe Kollegin- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nen und Kollegen. Lieber Herr Staatsminister, Vielen Dank, Herr Kollege Patzelt. – Die letzte Red- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Liebe Genos- nerin in der Aktuellen Stunde: die Kollegin Dr. Daniela sinnen und Genossen!) De Ridder, SPD. richten Sie dafür bitte all jenen, die damit zu tun hatten, vor allem den Botschaftsangehörigen, unseren herzli- (B) (Beifall bei der SPD) chen Dank aus. (D) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Dr. Daniela De Ridder (SPD): BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gyde Jensen [FDP]) Vielen Dank. – Herr Präsident!! Sehr geehrte Kolle- ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Freude über die Freilassung von Billy Six ist Lassen Sie uns ganz kurz über Venezuela reden. Was allerdings relativ schnell der Verwunderung ob der gro- eine fehlgeleitete Diktatur anrichten kann, sehen wir ak- tesken Vorwürfe gewichen, die Billy Six, sein Vater und tuell am Fall von Venezuela unter Nicolás Maduro. Wer auch Sie erhoben haben. Da heißt es doch allen Ernstes, angesichts einer auch noch selbst induzierten Hunger- alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages seien von katastrophe die Hilfslieferungen anderer Staaten an der der Familie angeschrieben worden und nur die AfD und Grenze anzündet und verbrennt, muss vermutlich die ei- ein einziger Politiker der Linken hätten die Freilassung gene Bevölkerung zutiefst verachten. Rund 31 Millionen von Billy Six gefordert; weder CDU/CSU noch SPD Menschen sind in Venezuela von der Hungerkatastrophe oder Grüne hätten überhaupt reagiert. bedroht und leiden angesichts der Missstände im eigenen (Zurufe von der AfD) Land ganz erheblich. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, entbehrt jeder (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Zum Thema!) Grundlage. Lassen Sie mich das ganz kurz richtigstellen.

Auch deshalb ist es so wichtig, dass wir mit der Anerken- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der nung des Parlamentschefs Juan Guaidó als Interimsprä- CDU/CSU) sidenten ein so wichtiges Zeichen gegen die Diktatur Maduros gesetzt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Richtig ist, dass mein Büro, wie viele andere Abge- ordnetenbüros auch, am 3. Februar um 15.28 Uhr eine Ebenso wichtig ist es, dass Journalistinnen und Jour- E-Mail der Eltern von Billy Six erhalten hat. Diese nalisten weltweit dafür kämpfen, Diktaturen, ganz gleich E-Mail enthielt die Aufforderung, sich um ihren Sohn zu welcher politischen Couleur, zu entlarven. Ja, es ist Auf- kümmern. Ich als stellvertretende Vorsitzende des Aus- gabe eines kritischen Journalismus, die Irrungen von Dik- wärtigen Ausschusses habe direkt am nächsten Tag mein taturen aufzuzeigen, deren Menschenrechtsverletzungen Team mit einer E-Mail um 9.04 Uhr angewiesen, ein bal- anzuprangern und so – auf der Grundlage des Völker- diges Telefonat mit den Eltern zu vereinbaren. Die El- rechts im Übrigen – zu helfen, dass die Lebensbedingun- tern erhielten dieses dann auch. Um 14.51 Uhr gab es das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10629

Dr. Daniela De Ridder (A) Angebot. Wir haben uns verabredet, aber vielleicht weiß Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) das Herr Six, der Vater, nicht mehr. Ich kann das gut ver- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es stehen; denn das passt nicht, Herr Six, zu der billigen Po- ist gut, dass wir hier heute einmal das Thema der nach- lemik, zu dem billigen Lügengebäude, das Sie sich hier haltigen und damit auch der fairen Beschaffung diskutie- zu eigen machen. Ich finde, das ist ganz schlechter Stil. ren können. In kaum einem anderen Bereich haben wir eine so direkte und unkomplizierte Möglichkeit, politi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ar- sche Ansprüche in die Realität umzusetzen. Darum soll- min-Paulus Hampel [AfD]: Ja, was denn nun? ten wir das auch tun. Haben Sie angerufen oder nicht?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich deutlich machen: Wenn Sie in diesem Falle lügen, wo lügen Sie dann noch? Ich will Ihnen sa- Schätzungen besagen, dass die öffentliche Hand, also gen: In der Folge der Telefonate habe ich mich – und das die Kommunen, die Länder und der Bund, jährlich Be- haben auch andere getan, wie wir eben gehört haben – schaffungen im Wert von über 350 Milliarden Euro tä- sofort beim Auswärtigen Amt erkundigt und mit dafür tigen, und davon könnte heute schon ein Sechstel fair Sorge getragen, dass Billy Six freikommt. sein. Das sind 60 Milliarden Euro. Nur zur Erinnerung: Der Haushalt des BMZ beträgt ungefähr 10 Milliarden Hier, sehr geehrte Herren von der AfD, geht es um Euro. Diese Zahl – 60 Milliarden Euro – macht hoffent- Rechtsstaatlichkeit. Und Rechtsstaatlichkeit bedeutet für lich deutlich, welch großes positives Potenzial auch für uns immer, dass wir uns für Verfolgte einsetzen, Reise- Entwicklungsländer in der fairen Beschaffung liegt. blogger oder richtige Journalisten, unabhängig davon, welches Geschlecht sie haben, welche Hautfarbe oder Auf der EU-Ebene hat man das längst erkannt. Mit der welche politische Gesinnung. Liebe Kolleginnen und EU-Vergaberichtlinie von 2014 hat man die Möglichkei- Kollegen, egal wie viele groteske Vorwürfe die Herren ten der öffentlichen Beschaffung sehr stark erweitert. Die Six und die Abgeordneten der AfD nun an uns adressie- EU fordert natürlich auch eine faire Beschaffung ein. Al- ren – es war, es ist und es bleibt immer richtig, sich für lerdings nutzte man bei der Umsetzung dieser EU-Richt- die Freilassung von Menschen einzusetzen. linie ins deutsche Recht bei weitem nicht die Möglich- keiten, die die EU vorgab. Deshalb sind Nacharbeiten Lieber Herr Six – ich weiß nicht, ob Sie noch auf der definitiv notwendig. Tribüne sitzen –, ich freue mich, dass Sie freigekommen sind. Aber lassen Sie sich von der AfD nicht missbrau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen. sowie des Abg. Michel Brandt [DIE LINKE]) (B) Vielen Dank. Insbesondere das Prinzip der Freiwilligkeit führt nicht (D) weiter. Wenn aber der politische Wille da ist, kann auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in Deutschland fair beschafft werden, und das ist auch der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Braun bitter nötig. Es kann nicht mehr sein, dass wir über Steu- [AfD]: Heuchelei! Pure Heuchelei!) ergelder ausbeuterische Kinderarbeit oder Umweltzer- störung finanzieren.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die Aktuelle Stunde ist beendet. Es kann auch nicht mehr sein, dass Milizen, Terror- und Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 14: Mafiagruppen zum Beispiel im Bereich der Konfliktmi- Beratung der Antwort der Bundesregierung neralien weiterhin auch von der deutschen Beschaffung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Uwe profitieren. Dazu hat sich die Bundesregierung übrigens Kekeritz, Katharina Dröge, Harald Ebner, wei- im Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschen- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- rechte“ und im Koalitionsvertrag eindeutig verpflichtet. NIS 90/DIE GRÜNEN Doch wie schaut die Realität aus? Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Grünen ist Ökologische, soziale und menschenrechtli- sehr ernüchternd. Es gibt nicht einmal eine brauchbare che Kriterien in der öffentlichen Beschaffung Beschaffungsstatistik. Es werden nur Beschaffungsvor- als Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung gänge erfasst, die über dem EU-Schwellenwert liegen. weltweit Das heißt, 92 Prozent sämtlicher Beschaffungsvorgänge Drucksachen 19/3166, 19/7567 werden statistisch nicht erfasst. Heute ist es so, dass nur 6 von 14 Ministerien – warum nicht alle? – konkrete Maß- Für die Aussprache sind interfraktionell 38 Minuten nahmen für die Beschaffung planen. Wie sie dann aus- vereinbart. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das schauen werden, wissen wir noch nicht. Bisher werden, so beschlossen. wenn überhaupt, nur Umweltkriterien berücksichtigt. So- ziale und menschenrechtliche Kriterien bleiben schlicht Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem auf der Strecke. Das nenne ich einen Skandal. Kollegen Uwe Kekeritz von Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 10630 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Uwe Kekeritz (A) Die Bundesverwaltung ist bisher nicht einmal ver- Die Grünen mit dem Titel „Ökologische, soziale und (C) pflichtet, im Vergabeverfahren die Einhaltung der menschenrechtliche Kriterien in der öffentlichen Be- ILO-Normen verbindlich vorzuschreiben, und wir haben schaffung als Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung die ILO-Normen ratifiziert. Es ist also nicht einzusehen, weltweit“. Die benannten Nachhaltigkeitskriterien haben dass hier nicht eine verbindliche Pflicht zur Einhaltung in den letzten Jahren in allen Lebensbereichen stark an der Normen vorgeschrieben wird. Bedeutung gewonnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage, wie wir in Deutschland zu einer nachhaltigen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwicklung weltweit beitragen können, betrifft jeden sowie des Abg. Michel Brandt [DIE LINKE]) einzelnen Bürger, Wirtschaftsunternehmen und selbst- Aufgabe der Bundesregierung wäre es natürlich, Vor- verständlich auch die öffentliche Verwaltung gleicher- bild zu sein. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung für maßen. Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit. Aber anstatt selbst Wie in der Antwort der Bundesregierung deutlich wird, aktiv zu werden, beschränkt sich Herr Müller ganz mas- befasst sich diese bereits seit mehreren Jahren intensiv siv auf die Bürgerinnen und Bürger. Er fordert sie auf, mit Fragen der nachhaltigen Beschaffung. Dabei unter- faire Produkte zu kaufen, was ja im Prinzip richtig ist, stützt und fördert sie Institutionen und Portale auf allen was allerdings auch suggeriert, dass die Bürgerinnen und drei Ebenen, das heißt bei Bund, Ländern und Kommu- Bürger strukturelle Änderungen verantworten könnten. nen. So wurde beispielsweise 2012 die Kompetenzstelle Und das ist definitiv falsch. Das kann nur die Regierung. für nachhaltige Beschaffung beim Beschaffungsamt des Minister Müller hat vor einiger Zeit einen sehr hellen BMI eingerichtet. Ich verweise an dieser Stelle gerne Moment gehabt. auch auf die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaf- fung in meinem Bundesland Schleswig-Holstein. Die (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Er hat nur Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung unterstützt helle Momente!) öffentliche Auftraggeber bei der Berücksichtigung von Er hat nämlich gesagt: Wir haben überhaupt kein Er- Kriterien der Nachhaltigkeit bei Beschaffungsvorhaben kenntnisproblem; wir haben ein Umsetzungsproblem. durch Informationen, durch Schulung und durch Bera- tung der Vergabestellen von Bund, Ländern und Kom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) munen. Darüber hinaus arbeiten alle drei Ebenen bereits Er kann damit doch nur die eigene Regierung gemeint seit 2010 in einem informellen Bündnis und einem Aus- haben. Und da stimme ich ihm zu. Wir brauchen ambitio- tauschgremium, nämlich der „Allianz für nachhaltige nierte, kohärente nationale Entscheidungen zur Stärkung Beschaffung“, zusammen. ökologischer, sozialer und menschenrechtlicher Kriterien (Beifall bei der CDU/CSU) (B) im Vergabeprozess, um Deutschlands Verantwortung ge- (D) genüber den Menschenrechten gerecht zu werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zwei weitere der in der Antwort der Bundesregierung aufgezeigten Maßnahmen nennen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege. Im Jahr 2010 hat der Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung das im Jahr 2015 weiterent- Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wickelte sogenannte Maßnahmenprogramm „Nachhal- tigkeit“ beschlossen. Dieses gilt für alle Behörden und Ich bin am Ende. – Wir wissen auch: Beschaffung ist Einrichtungen der unmittelbaren Bundesverwaltung und Teil des globalen Handels, und dieser globale Handel umfasst insgesamt elf Maßnahmen. Hier ist insbesondere muss fair sein. die Maßnahme sechs zu erwähnen, welche die Anforde- (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- rungen zur Ausrichtung der öffentlichen Beschaffung am NIS 90/DIE GRÜNEN]) Leitprinzip einer nachhaltigen Entwicklung umfasst. Wir sind hier in der Verpflichtung, weltweit voranzu- Überdies hat die Bundesregierung in dem 2016 ver- schreiten und die Beschaffung fair zu gestalten. abschiedeten Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ Maßnahmen beschlossen, um ihrer Ich danke Ihnen. staatlichen Schutzpflicht auch mit Blick auf internatio- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nale Liefer- und Wertschöpfungsketten nachzukommen sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) und sicherzustellen, dass mit öffentlichen Mitteln keine negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte ver- ursacht oder begünstigt werden. Unter anderem will die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bundesregierung prüfen, inwieweit in einer zukünftigen Die nächste Rednerin ist für die CDU/CSU-Fraktion Überarbeitung des Vergaberechts Mindestanforderungen die Kollegin Petra Nicolaisen. im Bereich Menschenrechte im Vergaberecht festge- (Beifall bei der CDU/CSU) schrieben werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vergessen dürfen Petra Nicolaisen (CDU/CSU): wir bei alldem jedoch nicht, dass auch die Wirtschafts- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und unternehmen gefordert sind. Auch sie müssen mehr Kollegen! Wir beraten heute die Antwort der Bundesre- nachhaltig produzierte Produkte anbieten. Der Nationa- gierung auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/ le Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“ sieht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10631

Petra Nicolaisen (A) insoweit als Zielvorgabe vor, dass bis 2020 mindestens Die 2015 durch die UN beschlossene Resolution (C) die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland mit mehr „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für als 500 Beschäftigten Elemente zur Umsetzung der men- nachhaltige Entwicklung“ rufen die Grünen in ihrer Gro- schenrechtlichen Sorgfaltspflichten in ihre Unterneh- ßen Anfrage zum zentralen Leitbild bei der öffentlichen mensprozesse integriert haben. Beschaffung aus. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darüber hinaus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) darauf geeinigt, dass wir – falls die wirksame und umfas- sende Überprüfung des Nationalen Aktionsplans „Wirt- Deshalb sollten wir das zum Anlass nehmen, ganz grund- schaft und Menschenrechte“ zu dem Ergebnis kommt, sätzlich über die Ziele der Agenda 2030 zu sprechen. Ich dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: nicht ausreicht – national gesetzlich tätig und uns für eine Wir sind entschlossen, die Menschheit von der EU-weite Regelung einsetzen werden. Tyrannei der Armut und der Not zu befreien und Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines macht die Ant- unseren Planeten zu heilen und zu schützen. Wir wort der Bundesregierung allemal deutlich: Das Thema sind entschlossen, die kühnen und transformativen „nachhaltige Beschaffung“ ist in der Bundesverwaltung Schritte zu unternehmen, die dringend notwendig angekommen. Dennoch muss die Akzeptanz für dieses sind, um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit Thema bei den Entscheidungsträgern, den Behörden- und der Widerstandsfähigkeit zu bringen. leitungen und den Haushaltsreferaten weiter ausgebaut (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden. Dabei dürfen wir jedoch nicht unberücksichtigt NEN]: Und den Feminismus noch dazu!) lassen, dass die öffentliche Hand an das Vergaberecht ge- bunden ist, und dies sieht nun einmal einen wirtschaft- Liebe Kollegen, das ist nicht das Manifest einer kommu- lichen Umgang mit Haushaltsmitteln sowie einen fairen nistischen Partei, sondern die Präambel der Agenda 2030. Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern um (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Beifall Ausschreibungen des Bundes vor. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Nachhaltige Beschaffung braucht das Zusammenspiel GRÜNEN) aller und lässt sich nicht im Alleingang regeln. Die Bundesregierung leitet aus der Agenda 2030 ab – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ich zitiere die Antwort auf eine unserer Kleinen Anfra- gen –: (Beifall bei der CDU/CSU) Ziel ist es, innerhalb einer Generation … das Leben, (B) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Arbeiten und Wirtschaften innerhalb der planetaren (D) Grenzen gerechter zu gestalten. Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner für die AfD: der Kollege Markus Frohnmaier. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der AfD) NEN]: Was ist das wohl, Herr Frohnmaier?) Planetare Grenzen! Ich gratuliere Ihnen: So groß war Markus Frohnmaier (AfD): Deutschland noch nie. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen (Beifall bei der AfD – Claudia Roth [Augs- und Herren! 13 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts burg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Au- in Deutschland entfallen auf das öffentliche Beschaf- weia!) fungswesen. Wenn die Grünen in ihrer Großen Anfrage thematisieren, wie Behörden, Verwaltungen und andere Aber was bedeutet nachhaltige öffentliche Beschaf- staatliche Einrichtungen ihre Arbeitsmittel beschaffen, fung eigentlich in der Praxis? so ist das also ein wichtiges Thema. Die Bundesregierung bekennt sich in ihrer Antwort Die Grundintention dieser Großen Anfrage lässt sich auf die Große Anfrage zum – Zitat – „Ausbau des Bezugs leider aber nur auf die Parole „Klimaneutrale Kugel- von Ökostrom“, also zu der Art von Energiepolitik, die schreiber und ökologische Büroeinrichtungen in den Deutschland an die Spitze der europäischen Strompreise Amtsstuben“ verkürzen. katapultiert hat, meine Damen und Herren, (Beifall bei der AfD – Uwe Kekeritz [BÜND- (Beifall bei der AfD – Zuruf vom BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) NIS 90/DIE GRÜNEN: Quatsch!) So schreiben die Fragesteller – ich zitiere mit Erlaubnis eine Energiepolitik, welche nicht nur unsere Landschaf- des Präsidenten –: ten mit Tausenden Windrädern verschandelt, sondern auch laut Deutschem Zentrum für Luft- und Raumfahrt Der öffentlichen Hand fällt nicht nur eine Vorbild- in den warmen Jahreszeiten jeden Tag 5,3 Milliarden In- und Vorreiterrolle zu, der sie gerecht werden kann, sekten durch den Rotorenschlag der Windräder auslöscht. wenn sie ökologische, soziale und menschenrecht- Das sind 1 200 Tonnen tote Insekten pro Jahr. So geht liche Kriterien in ihrer Beschaffung berücksichtigt, grüne Umweltschutzpolitik, meine Damen und Herren. sondern sie leistet damit einen entscheidenden Bei- trag zur Umsetzung der Agenda 2030 für eine nach- (Beifall bei der AfD – Lachen beim BÜND- haltige Entwicklung weltweit. NIS 90/DIE GRÜNEN) 10632 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Markus Frohnmaier (A) Aber auch die – Zitat – „Verbesserung der Energie- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) effizienz des Fuhrparks“ wird von der Bundesregierung Die nächste Rednerin ist für die SPD-Fraktion die in der Antwort auf die Große Anfrage angekündigt. Für Kollegin Saskia Esken. jedes Elektroauto, mit dem Sie sich durch Berlin chauf- fieren lassen, schürfen Kinder unter widrigsten Bedin- (Beifall bei der SPD) gungen Kobalt im Kongo. Saskia Esken (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Kollege Frohnmaier, wenn ich Sie reden höre, fällt Ist das auch Ihre Vorstellung von humaner Entwicklungs- mir nur ein Zitat ein: politik? Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wird ausgemistet … NEN]: Zeigen Sie doch mal Ihr Handy, was (Markus Frohnmaier [AfD]: Dann wird auf- damit ist!) geräumt!) Der in Deutschland von den Grünen erdachte und von – Sie sind stolz darauf, nicht? Ja, das kann ich mir vor- allen anderen Altparteien übernommene Ökosozialismus stellen. Pfui Deubel! lässt nicht nur jeglichen Bezug zur Realität vermissen. Er wird Deutschland und den Rest der Welt sogar in die (Beifall bei der SPD – Britta Haßelmann entgegengesetzte Richtung führen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss sich nur mal angucken, was er im Netz so ver- Entwicklungsminister Müller zeigt sich davon aber breitet!) unbeirrt. So versucht die Regierung beispielsweise, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 mit einem so- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! genannten Festival der Taten zu popularisieren. Ich zi- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Immer wieder tiere: hören wir auch und besonders auf kommunaler Ebene: Das von öffentlicher Hand finanzierte Projekt XY wird ... sei dabei – beim ersten Festival der Taten am 20. nicht fristgerecht fertig, läuft nicht rund, muss nach kur- ... Mai in der Malzfabrik in Berlin. zer Laufzeit nachfinanziert werden. – Und immer wieder Zusammen mit 500 Teilnehmenden … und kreati- heißt es dann: Kein Wunder, man ist halt bei der Vergabe ven Methoden werdet ihr … einzigartige Ideen und nur auf den Preis orientiert; man hat nur auf den Preis ge- Aktionen zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwick- schaut. Der billigste Anbieter hat den Zuschlag bekom- lung erarbeiten. men. – Und das, obwohl das Vergaberecht in der vergan- (B) genen Legislatur die größte Reform seit mehr als zehn (D) … Jahren erlebt hat. Drei umfangreiche Vergaberichtlinien Es wird bunt, es wird interaktiv, es wird kreativ. Tu der EU wurden damit in deutsches Recht umgesetzt. Du’s! Dabei war die Zielsetzung im Wesentlichen, das Ver- gaberecht sowohl zu modernisieren als auch zu vereinfa- (Marian Wendt [CDU/CSU]: Braun würde chen. Das ist, glaube ich, auch gelungen. nicht passen!) Korruption und Vetternwirtschaft sollte effektiver Sollten Sie es nicht zum Festival der Taten schaffen – vorgebeugt werden, und vor allem sollte nicht das preis- keine Sorge! Der Minister bietet auch noch einen Poe- günstigste, sondern das wirtschaftlichste Angebot den try-Slam an. Auch hier ein Originalzitat: Zuschlag bekommen. Das ist ein Unterschied. Dabei Die Veranstaltungsreihe „#17Ziele Poetry Slam – spielt dann nicht allein der Preis die entscheidende Rolle, wettstreiten und weltretten“ veranstalteten … die sondern er muss auch im Verhältnis zur Leistung stehen. Kiezpoeten in insgesamt fünf Städten. Neben dem Preis spielen dann auch Lebenszykluskosten, Umwelteigenschaften, Energieeffizienz und Recycelbar- Ihre Vorstellung von Kriterien in der öffentlichen Be- keit eine Rolle bei der Wirtschaftlichkeit. schaffung als Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung erinnern an eine Welt, in der Milch und Honig fließen, Zudem hatte das Richtlinienpaket der EU aus dem sich alle bei den Händen halten und „Kumbaya“ singen. Jahr 2014 den Mitgliedstaaten große Spielräume eröff- net, soziale und ökologische Kriterien in der Vergabe zu (Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD] – stärken und die Achtung der Menschenrechte zu berück- Marian Wendt [CDU/CSU]: Das sollten Sie sichtigen. Bei der Nutzung dieser Spielräume – das muss mal machen!) man selbstkritisch einräumen, und das tut die Antwort Nehmen Sie Abstand von der Agenda 2030, und orien- der Bundesregierung auch – ist die Bundesregierung weit tieren Sie sich lieber an der Realität! hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben. Vielen Dank. Kinderarbeit und Menschenhandel, beim Abbau von Kobalt zum Beispiel, wurden nicht als verpflichtende (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann Ausschlusskriterien definiert. Bei den Zuschlagskriterien [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht’s Ihnen wurden umweltbezogene und soziale Aspekte eben nicht jetzt besser, Herr Frohnmaier? – Gegenruf des verpflichtend eingeführt. Da, wo „soll“ oder „muss“ hät- Abg. Markus Frohnmaier [AfD]: Ja!) te stehen müssen, steht eben nur „kann“. Die Grünen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10633

Saskia Esken (A) fragen deshalb ganz zu Recht nach den Wirkungen die- auch die Verhältnismäßigkeit zu wahren: Mit welchem (C) ser Neuregelung, und die Bundesregierung muss einräu- Mittel erreiche ich eigentlich was? men – und tut es auch –, diese wegen einer bisher eher ru- (Beifall bei der FDP) dimentären Vergabestatistik kaum evaluieren zu können. Und hier geht es um die Verhältnismäßigkeit. Wie viele Für die EU teilt die Kommission uns mit, dass in mehr Vorschriften brauche ich, und was erreiche ich eigentlich als der Hälfte der Ausschreibungen immer noch ledig- damit? lich der niedrigste Preis als einziges Vergabekriterium Anwendung findet. Das kann und darf man nicht schön- In der Bundesrepublik werden öffentliche Beschaf- reden; denn so, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird fungen in einem Umfang von ungefähr 350 Milliarden die öffentliche Hand ihrer Verantwortung natürlich nicht Euro getätigt. Der größte Block fällt bei der Bundeswehr gerecht – für Menschenrechte, für Umwelt und Klima so- an, also im Verteidigungsressort. Dort geht bei der Be- wie auch für soziale Gerechtigkeit. schaffung ja, wie Sie wissen, eigentlich nichts mehr. Das liegt nicht nur an den fehlenden Personen, sondern ein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fach auch an den unzähligen Vorschriften, die Sie ma- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) chen. Das ist ein Geflecht von Vorschriften, angesichts derer sich kein Beschaffer mehr sicher sein kann, dass er Die eigenen Zielsetzungen für ein nachhaltiges Verwal- es noch richtig macht – und dann macht er lieber nichts, tungshandeln dürfen wir künftig nicht weiter missach- als etwas falsch zu machen. ten. Der Verzicht auf echte Verpflichtungen zugunsten weicher Kannregelungen spielt dabei natürlich eine ent- (Beifall bei der FDP) scheidende Rolle. Gehen wir rüber zu den Kommunen; dort ist der größte Block der Beschaffungen. Ich selbst war zehn Jahre Bür- Aus der Arbeit in kommunalen Parlamenten kennen germeister; deshalb weiß ich, wovon ich rede. Wir haben viele aber ein weiteres Phänomen: Die Verwaltungen in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel auf kommunaler wissen gar nichts von ihren Gestaltungsmöglichkeiten. Ebene das Tariftreue- und Vergabegesetz gehabt. Durch Wenn unsere Fraktionen dann entsprechende Anträ- die damit eingeführte Bürokratie sind alle Beschaffun- ge stellen, sagen die Verwaltungen: Das geht doch gar gen auf einen Schlag 13 Prozent teurer geworden – also nicht. – Hier ist es eben auch unsere Aufgabe, zu infor- 13 Prozent mehr Steuergeld. mieren, zu beraten, zu sensibilisieren. Bei künftigen Ver- gaben sollen soziale und ökologische Zielsetzungen, über (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Damit wurden die wir uns doch alle hier im Hause – so ziemlich alle Arbeitsplätze gesichert!) jedenfalls – einig sind, die Rolle spielen, die sie verdient (B) Das Schlimmste daran war eigentlich, dass sich der Kreis (D) haben. Die Anfrage der Grünen macht uns schmerzlich der Bieter, die sich überhaupt in den Konkurrenzkampf klar, dass beim Vergaberecht noch ein weiter Weg vor begeben, deutlich verringert hat, weil nämlich keiner der uns liegt und dass jetzt gehandelt werden muss. Bieter wirklich Interesse hat, eine 200-seitige Vorschrift Ich fasse zusammen: Wir brauchen eine ehrliche und zu lesen oder ein Angebot auszufüllen, das über 100 Sei- aussagekräftige Evaluierung der Vergabepraxis. Wir ten hat. müssen verpflichtende Kriterien für soziale und ökolo- (Zurufe von der LINKEN) gische Nachhaltigkeit bei der öffentlichen Beschaffung und Vergabe einführen und die Achtung der Menschen- Das kann man denen auch nicht zumuten. Deshalb hat rechte einfordern. Und nicht zuletzt, weil wir viel zu oft der Städtetag bzw. Gemeindetag schon immer gefordert, neue Gesetze machen, aber nicht darüber sprechen: Wir endlich die Vorschriften herunterzufahren, damit es wie- müssen die Verwaltung zu ebendiesen Themen auch in- der möglich ist, mehr Bieter zu bekommen. formieren und beraten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Ja, mit Hungerlöh- Vielen Dank. nen!) (Beifall bei der SPD) Sie machen damit auch ein Stück kommunale Selbst- verwaltung kaputt, weil eine kleine Gemeinde niemals solch hohen Anforderungen, diesen überzogenen Stan- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dards wirklich folgen kann. Wie soll ein Bürgermeister Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege für eine CO2-freie Anlieferung garantieren? Das geht Dr. Christoph Hoffmann. nicht, das ist einfach Unsinn. (Beifall bei der FDP) (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das verlangt auch keiner!) Dr. Christoph Hoffmann (FDP): Das kann man so nicht machen, kann man so nicht ste- hen lassen. Geben Sie vielmehr den Beschaffern bei den Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Kommunen etwas Vertrauen, statt Vorschriften. Vertrau- ren! Kolleginnen und Kollegen! Der Wunsch nach sozi- en ist die Grundlage! alen Standards, nach Ökologie ist mehr als verständlich, und wir haben uns in der Agenda 2030 ja auch verpflich- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tet, dass Deutschland diesen Weg mitgeht. Aber es ist der CDU/CSU) 10634 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Christoph Hoffmann (A) Und: Die Leute, die die Beschaffung bei den Kommunen zuletzt hat sie wieder mehrfach die Gelegenheit ver- (C) machen, sind keine anderen Leute als Sie hier; sie haben säumt, verbindliche Mindeststandards für eine nachhal- keine niedrigere Ethik als die Menschen in diesem Raum. tige öffentliche Beschaffung festzulegen: sowohl bei der Vergaberechtsreform 2016 als auch beim Verabschieden Geben Sie den Kommunen die Hilfe, die sie brauchen. des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschen- Erstellen Sie schwarze Listen von Unternehmen, von de- rechte“, dem sogenannten NAP. Der NAP soll Unterneh- nen man nichts mehr beziehen soll. Damit wäre ihnen men für ihre Lieferketten verantwortlich machen – aller- geholfen. Ein gutes Beispiel gibt das Bundesministerium dings freiwillig, und das ist der Fehler. der Finanzen. Dort gibt es schwarze Listen von Ländern, die Geldwäsche zulassen etc. Da gibt es also schwarze Sie haben für diesen Nationalen Aktionsplan sogar Listen, und so etwas brauchen wir einfach auch für die viele Plakate in deutschen Städten mit der Aufschrift Kommunen, damit sie sich auch wirklich selbst helfen „Achtung, Menschenrechte!“ aufgehängt. Aber diese können. Werbung ist im Prinzip genau wie der Nationale Akti- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) onsplan selbst nichts als eine Imagekampagne. Unver- bindliche Symbolpolitik! Es ist doch kein Wunder, dass Das zweite Ziel, das wir verfolgen müssen – und das sich Unternehmen nicht an den Nationalen Aktionsplan dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren –: Verantwort- halten, wenn die Bundesregierung selbst ihn nicht einmal lich für die Standards bei Menschenrechten, Ökologie, ernst nimmt. Sonst hätte sie doch längst einen Stufenplan Arbeitsrecht sind die jeweiligen Nationalstaaten. Aus vorgelegt, wie sie ihre öffentliche Beschaffung endlich dieser Verantwortung dürfen wir sie nicht entlassen, son- menschenrechtskonform gestalten will. dern müssen durch multilateralen Druck dafür sorgen, dass diese Standards auch in diesen Ländern gelten. Und (Beifall bei der LINKEN) da brauchen wir weit mehr Aktivität bei der Diplomatie – Ihr Konzept der Unverbindlichkeit ist gescheitert. auch hier in diesem Hause. Konzerne sind eben ökonomischen und nicht menschen- Herzlichen Dank. rechtlichen Interessen unterworfen. Sie sind im Kapita- lismus den Profiten verpflichtet und werden ihre Produk- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tions- und Geschäftsmodelle nicht freiwillig nach den der CDU/CSU) Menschenrechten ausrichten. Darum muss der Staat mit Regulierung, Gesetzen und deren effektiver Durchset- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zung Unternehmen dazu zwingen, sozial und ökologisch Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege zu handeln. Michel Brandt. (B) (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) (D) (Beifall bei der LINKEN) – Da können Sie sich ruhig aufregen. Ja, so ist es. Michel Brandt (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Staaten neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) haben nun einmal die Pflicht, die Menschenrechte um- Sonst wird es eben weitergehen, dass Konzerne Men- zusetzen. Das bedeutet, dass die Bundesregierung da- schenrechte auf der ganzen Welt brechen. für sorgen muss, dass deutsche Konzerne Arbeitsrechte auch entlang der Lieferkette wahren. Das bedeutet umso Ein aktuelles Beispiel: Bei der Beschaffung der Klei- mehr, dass, wenn die öffentliche Hand selbst Waren und dung ausgerechnet für die Bundeswehr wurden massiv Dienstleistungen einkauft, sie direkt verpflichtet ist, die Arbeiterinnen- und Arbeiterrechte verletzt. In einer Zu- Menschenrechte durchzusetzen und ihren Schutz auch zu lieferfabrik in Tunesien wurden nachweislich Arbeiterin- kontrollieren. nen und Arbeiter drangsaliert, Gewerkschaftsrechte be- (Beifall bei der LINKEN) schnitten und Dumpinglöhne gezahlt. Leider Normalität! Und obwohl das so ist, schafft der Bund es nicht, dafür Und ja, die Bundesregierung – das gebe ich gern zu – zu sorgen, dass flächendeckend sozial und ökologisch hat punktuell einige Initiativen im Bereich „nachhaltige eingekauft wird. Seien es Arbeitnehmerinnen- und Ar- Beschaffung“ auf den Weg gebracht. Das musste sie aber beitnehmerrechte in globalen Lieferketten, die von Kon- auch, um ihren internationalen Verpflichtungen gerecht zernen mit Füßen getreten werden, sei es – wir haben es zu werden. Es gibt aber unglaublich große Unterschie- gerade schon gehört – Kinderarbeit, oder seien es Un- de, wie soziale und ökologische Standards von Beschaf- ternehmen, die Umweltstandards gezielt ignorieren und ferinnen und Beschaffern deutschlandweit eingehalten damit die Lebensgrundlage unzähliger Menschen zerstö- werden. Statt vereinzelter Nischenkonzepte braucht es ren: All diese Verstöße gegen die Menschenrechte nimmt endlich ganzheitliche Ansätze, ganzheitliche Lösungsan- der Bund bei seiner Beschaffung in Kauf. Dafür darf kein sätze, und zwar auf Bundesebene. Steuergeld mehr ausgegeben werden! (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der (Beifall bei der LINKEN) FDP: Weiter träumen!) Die Bundesregierung scheint aber kein erhebliches In- Sie nehmen ja Verbraucherinnen und Verbraucher teresse daran zu haben, Menschenrechte in der Vergabe immer gerne in die Verantwortung, nachhaltiger zu kon- ernsthaft zu berücksichtigen und durchzusetzen. Auch sumieren. Selbst aber schaffen Sie es nicht, soziale und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10635

Michel Brandt (A) ökologische Kriterien im Einkauf zu beachten. Ehrlich ten oft die Leistungsbeschreibungen. Die Erbringung (C) gesagt, nicht sehr glaubwürdig. entsprechender Nachweise stellt insbesondere für die kleinen und mittelständigen Unternehmen einen unver- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- hältnismäßig hohen Aufwand dar, und nicht wenige wer- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den aus dem Markt gedrängt. Generell gilt, dass diese Die Bundesregierung müsste wenigstens eine Vorreiter- hohen Anforderungen nicht nur die Anzahl der Angebote rolle in der öffentlichen Beschaffung einnehmen. Wir reduzieren, sondern die Angebote auch teurer machen. als Linke wollen Kriterien, die verbindlich, messbar Zweitens. Bei den über 30 000 Beschaffungsstellen und durchsetzbar sind. Wir wollen mehr Transparenz in haben wir das Problem, dass diese auch schauen müssen, der Beschaffung und eine stärkere zivilgesellschaftliche ob die Nachhaltigkeitsanforderungen mit den Siegeln, Kontrolle. Wenn Konzerne die Menschenrechte missach- den Umweltzeichen, den Zertifikaten, insbesondere bei ten, haben sie in der öffentlichen Vergabe nichts mehr Lieferketten, überprüft werden können. verloren. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Meine Damen und Herren, die Einhaltung hoher men- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schenrechtlicher und sozialer Standards, wie zum Bei- spiel Mindestlohn, hat natürlich oft auch einen höheren Die Linke will eine grundlegende Reform der öffent- Preis zur Folge. Aber die Beamten und Angestellten, die lichen Beschaffung, die verpflichtend soziale, ökologi- die Vergabe bewerkstelligen müssen, haben auch den sche und menschenrechtliche Standards zur Grundlage Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Not- nimmt. wendigkeit zu beachten. (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Bis nichts (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Sehr gut!) mehr geht!) Im Zweifel entscheidet sich dann der Beamte für den Vielen Dank. günstigsten Preis, weil er den Zuschlag für höhere An- (Beifall bei der LINKEN) gebote rechtfertigen und legitimieren muss. Damit geht er oft auch das Risiko ein, vor der Vergabekammer zu landen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Für die Fraktion der CDU/CSU hat das Wort der Kol- Meine Damen und Herren, wie lösen wir diese Wider- lege Peter Bleser. sprüche auf? Wir dürfen es in der öffentlichen Beschaf- fung mit den Forderungen nicht übertreiben. Wir müssen (Beifall bei der CDU/CSU) uns auf die wesentlichen Ziele beschränken. Wir müssen (B) aber auch von der preisorientierten Vergabe zur nachhal- (D) Peter Bleser (CDU/CSU): tigen Vergabe kommen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für Nach- Meine Damen und Herren, der Schlüssel sind ausrei- haltigkeit zu sein, ist für mich eine pure Selbstverständ- chend und gut qualifizierte Beamte, die auch den Mut lichkeit und, wenn man es zu Ende denkt, sogar eine Fra- haben, alte Bieterstrukturen zu verlassen. Aber das kön- ge des Überlebens der Menschheit. Gemeint sind damit nen sie nur, wenn sie Rückendeckung durch ihre Chefs ökologische Standards, soziale Standards, Langlebigkeit bekommen. Das heißt: Das fängt hier im Bundestag an und Kreislaufwirtschaft. Den Beweis dafür, wie ernst es und hört bei den Gemeinderäten auf. Deswegen sind wir die Bundesregierung mit der Nachhaltigkeit meint, liefert alle in der Verantwortung. Nachhaltigkeit gilt nicht nur allein schon der Umfang der Antwort der Bundesregie- für staatliche Aufträge, sondern auch für die Wirtschaft rung auf die Anfrage der Grünen, die 40 Seiten umfasst. sowie – dazu rate ich sehr – für den privaten Konsum (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und für private Investitionen. Ich bin sogar der Meinung: NEN]: Nein, 40 Seiten machen die Welt nicht Letztlich rechnet sich das. besser!) Herzlichen Dank. Ich will nur einige Beispiele nennen: der Parlamentarische (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Beirat für nachhaltige Entwicklung, die Nachhaltigkeits- ordneten der SPD) strategie der Bundesregierung, die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung, das Forum Nachhaltiger Kakao und der Nationale Aktionsplan „Wirtschaft und Men- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schenrechte“. Vielen Dank, Herr Kollege Bleser. – Der nächste Red- ner für die SPD-Fraktion: der Kollege Dr. Sascha Raabe. Meine Damen und Herren, wir sind uns also einig: Wir haben es bei der Beschaffung, insbesondere bei öf- (Beifall bei der SPD) fentlicher Beschaffung, damit zu tun, dass bei mindestens 350 Milliarden Euro, die jährlich ausgegeben werden, die Dr. Sascha Raabe (SPD): öffentliche Hand – der Staat, die Kommunen, die Län- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol- der – eine Vorbildfunktion wahrzunehmen hat. Darauf legen! Ja, in der Tat wäre es gut, wenn alle öffentlichen sollten wir auch bestehen. Dennoch haben wir Probleme. Auftraggeber, seien es Kommunen, Land oder Bund, ver- Erstens in der Wirtschaft. Es wurde schon angespro- pflichtend einer Regelung unterworfen wären, wonach chen: Die unzähligen Nachhaltigkeitskriterien überfrach- sie bei der Beschaffungsvergabe Nachhaltigkeitskrite- 10636 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Sascha Raabe (A) rien und soziale Kriterien einhalten müssten. Aber ich wäre natürlich der umfassende große Wurf. Dafür bitte (C) möchte auch daran erinnern: Als ich von 1996 bis 2002 ich Sie um Unterstützung, meine sehr geehrten Kollegin- Bürgermeister war, gab es bei Ausschreibungen noch gar nen und Kollegen. nicht die Möglichkeit, überhaupt zu sagen: Das muss (Beifall bei der SPD) Fairtrade-zertifiziert sein. – Es ist schon gut, dass vie- le Kommunen jetzt die Möglichkeit haben und sie auch Wer sich einmal wie ich in Ländern Afrikas ange- freiwillig nutzen, bei Ausschreibungen Umweltstandards schaut hat, was Kinderarbeit bedeutet, unter anderem, und Sozialstandards zur Bedingung zu machen. dass Kinder in einem Eimer in kleine Löcher herunter- gelassen werden, um dort nach Diamanten zu schürfen, Meine ehemalige Heimatgemeinde Rodenbach ist und übelste und menschenverachtende Arbeitsbedingun- mittlerweile Fairtrade-Town. Das ist eine Bewegung, die gen ertragen müssen, den macht es natürlich zornig, dass sehr ermutigend ist. Bei mir im Kreis ist auch die Nach- auch so viele Jungen und Mädchen gezwungen werden, barstadt Erlensee Fairtrade-Town. Andere wie Hanau unter der sengenden Sonne auf Plantagen zu arbeiten. machen sich auf den Weg. Es gibt mittlerweile in ganz Da muss ich als Entwicklungspolitiker aber auch fragen: Deutschland Hunderte von Fairtrade-Towns. Wir sollten Was können wir denn an Alternativen anbieten? Es ist auch mal die Menschen, also die Konsumentinnen und das eine, zu Recht zu sagen: Wir wollen das verbieten. Es Konsumenten, loben, die in Eine-Welt-Läden einkaufen, darf nur gehandelt werden, wenn sichergestellt ist, dass die, egal ob es Kaffee oder Kakao ist, auf das Fairtra- die Herstellung ohne Kinderarbeit erfolgt ist. – Aber das de-Siegel achten. Ich finde, wir sollten all den Menschen andere ist: Wir müssen natürlich auch den Eltern finan- danken, die in Eine-Welt-Läden ehrenamtlich für fairen zielle Mittel geben, damit sie zum Beispiel einen Aus- Handel sorgen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. gleich dafür haben, wie es in Brasilien der Fall ist – das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten soziale System sieht vor, dass die Eltern dann, wenn sie der CDU/CSU) ihre Kinder zur Schule und zum Arzt schicken, dafür ei- nen Ausgleich, eine Art Sozialhilfe, bekommen –, dass Jetzt sage ich aber als Entwicklungspolitiker, der sich sie Zugang zu Bildung bekommen, Arbeitsplätze, gute schon lange mit dem Bereich des weltweiten Handels Jobs haben, damit Kinderarbeit gar nicht mehr nötig ist. beschäftigt: Zertifizierungen sind nur die zweitbeste Lösung. Die beste Lösung wäre natürlich – diese würde Deswegen sage ich Ihnen auch in dieser Debatte: Der alles umfassen –, wenn wir Regeln hätten, wonach über- Eckwertebeschluss des Finanzministers für den Entwick- haupt nur Produkte gehandelt werden dürfen, bei denen lungsetat reicht nicht aus. Wir haben im letzten Jahr hier sichergestellt ist, dass Menschenrechte eingehalten wer- im Parlament gekämpft und erreicht, dass wir am Ende den, 700 Millionen Euro mehr bekommen haben. Ich denke, (B) auch in dieser Debatte gehört es zur Ehrlichkeit dazu, zu (D) (Zuruf des Abg. Marian Wendt [CDU/CSU]) sagen: Wenn wir fairen Handel, faire Beschaffung ha- bei denen sichergestellt ist, dass keine Kinder als Skla- ben wollen, müssen wir armen Familien Chancen geben. ven in Bergbauminen arbeiten oder, wie Millionen Kin- Deswegen muss der Etat für Entwicklungszusammenar- der, auf Kakaoplantagen die Bohnen pflücken müssen. beit bis zum Herbst deutlich erhöht werden. Dafür bitte Es muss doch unser Anspruch an unsere Handelsverein- ich Sie jetzt schon um Unterstützung. barung mit anderen Ländern sein, dass nach Europa nur Vielen Dank, meine Damen und Herren. Waren zollfrei geliefert werden dürfen, bei deren Her- stellung die Menschenrechte und die Arbeitnehmerrechte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eingehalten werden, meine sehr verehrten Kolleginnen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Kollegen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion. Deswegen bin ich auch froh, dass die Kolleginnen (Beifall bei der CDU/CSU) und Kollegen der deutschen Sozialdemokraten im Euro- päischen Parlament, das ja für Handelsfragen zuständig ist, erst jüngst geschlossen gegen das Handelsabkommen Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): mit Singapur gestimmt haben, weil in diesem Abkom- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Be- men eben nicht rechtsverbindlich festgelegt worden ist, schaffungsvorgang ist am Ende immer auch eine Ent- dass Verstöße gegen grundlegende Arbeitnehmerrechte scheidung über unsere eigenen Lebensumstände. Es geht zu einer Rücknahme der Zollvorteile führen können. Das darum, dass Aspekte der Ökologie, der Nachhaltigkeit, ist der richtige Weg. Ich will jetzt gemeinsam mit allen der sozialen Rechte und des Arbeitnehmerschutzes bei gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen des Hohen globalen Lieferketten Beachtung finden müssen. Es geht Hauses hier und auch im Europäischen Parlament errei- um die Frage: Wie werden Waren und Dienstleistungen chen, dass wir uns bei dem Abkommen mit Vietnam ge- produziert, und was macht es mit den Menschen, die die- nauso verhalten; denn wir können nicht mit einem Land, se Leistungen erfüllen? Klar muss sein, dass wir auf der das keine Gewerkschaften zulässt, ein Freihandelsab- Welt eine ungeteilte Verantwortung für Nachhaltigkeit, kommen abschließen. Wir sagen: Wir wollen fairen statt für Ökologie und für Menschenrechte haben. Deswegen freien Handel. Das muss sich dann auch in den Handels- ist und kann es uns nicht egal sein, wie etwas hergestellt verträgen der Europäischen Union widerspiegeln. Das wird. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10637

Dr. Volker Ullrich (A) Wenn ich hier höre, wie von der rechten Seite über den Und ja, wir müssen uns klar und deutlich vor Augen (C) Begriff „planetare Grenzen“ gesprochen wird, dann muss führen, wie wir diese Einstellungen noch verbessern kön- ich erwidern: Der entscheidende Punkt ist: Wir haben nur nen. Die Frage der Freiwilligkeit wird eine Rolle spielen. eine Welt. Aber ich glaube, dass wir am Ende des Tages alle in der Pflicht sind – die öffentliche Hand, aber auch jeder Ein- (Markus Frohnmaier [AfD]: Sie haben noch zelne –, nämlich bei der Frage des eigenen Konsumver- keine Aliens gefunden?) haltens. Der ökologische Fußabdruck ist im Augenblick größer, Herr Kollege Raabe, Sie sprechen davon, dass der Etat als diese eine Welt verkraften kann. Wir müssen mit un- des Bundesentwicklungshilfeministers zu gering ist. Wir seren Ressourcen sorgsam umgehen. Das hat auch was sehen das auch so. Ich ermuntere Sie, mit Ihrem Kolle- mit Beschaffung zu tun. gen Olaf Scholz zu sprechen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Das mache ich ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- ständig!) NEN) damit der Etat einen deutlichen Aufwuchs bekommt und Das Thema darf man hier nicht einfach der Lächerlich- wir unserer Verantwortung gerecht werden können. keit preisgeben. Herzlichen Dank. Es ist aber ein ganzheitliches und ein komplexes The- ma. Ich bin froh, dass in den letzten 20 Jahren viele Erfol- (Beifall bei der CDU/CSU) ge in diesem Bereich erzielt werden konnten. Vor 20 Jah- ren hat sich die Frage der nachhaltigen Beschaffung Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: oftmals nur auf den fair gehandelten Kaffee beschränkt. Vielen Dank, Herr Kollege Ullrich. – Ich schließe die Heute sind wir wesentlich weiter. Wir wissen, dass bei Aussprache zu Tagesordnungspunkt 14. der Beschaffung die Spirale von immer günstiger und immer billiger letzten Endes in den Abgrund führt; denn Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: am Ende ist irgendjemand, der dafür bezahlen muss: die Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Allgemeinheit, die Umwelt oder die Menschenrechte. regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Das kann uns nicht recht sein. Gesetzes zur Änderung des Marktorganisati- Wir wissen auch, dass bei der Beschaffung andere As- onsgesetzes pekte eine große Rolle spielen: Tariftreue, Menschenar- Drucksache 19/7836 (B) beit, Vermeidung von Kinderarbeit. Wir haben es bereits (D) jetzt in der Hand, bei den Leistungsbeschreibungen klar Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- und deutlich zu machen, dass diese Fragen nicht ausge- ses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Aus- klammert werden dürfen. Und ja, wir brauchen auch eine schuss) Diskussion über ein besseres und über ein klügeres Ver- Drucksache 19/8350 gaberecht, Wir werden später namentlich abstimmen. Ich weise (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darauf hin, dass nach Artikel 87 Grundgesetz dazu die sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) absolute Mehrheit erforderlich ist, also 355 Stimmen. mit dem wir die Kommunen letzten Endes ermuntern Interfraktionell sind 27 Minuten vereinbart. – Es gibt und die Hürden in der Form beseitigen, dass den Bür- keinen Widerspruch. germeistern kleiner Städte, den Gemeinderäten und Ver- waltungen eine Vergabeentscheidung, die auch vor den Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort Vergabekammern Bestand haben kann, nicht mehr wie dem Kollegen Hans-Jürgen Thies, CDU/CSU-Fraktion. ein Buch mit sieben Siegeln vorkommt. Wenn wir die- (Beifall bei der CDU/CSU) se Verantwortung ernst nehmen, dann müssen wir hier nachsteuern. Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): Aber es ist nicht so, dass bislang nichts passiert wäre; Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ganz im Gegenteil. Ich glaube, der Nationale Aktionsplan Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinter dem „Wirtschaft und Menschenrechte“ ist ein erster wichti- sperrigen Titel „Gesetz zur Durchführung der Gemein- ger Schritt. Ja, die Beteiligung ist freiwillig. Aber Frei- samen Marktorganisationen und der Direktzahlungen“, willigkeit heißt nicht, Verantwortung aufzugeben. Dass kurz Marktorganisationsgesetz, verbirgt sich eines der sich bereits viele Unternehmen daran beteiligt haben und zentralen gesetzlichen Instrumente der Gemeinsamen dass das Bewusstsein, hier reagieren zu müssen, stärker Agrarpolitik der Europäischen Union. Es hat zum Ziel, in die Köpfe dringt, zeigt doch, dass dieser Aktionsplan die Produktivität der heimischen Landwirtschaft zu för- ein ganz wichtiger Grundbaustein ist. Auch Unterneh- dern, bestimmte Agrarerzeugnisse vor günstigen, mas- men sind in der Pflicht. Wir haben vor zwei Jahren die senhaften Importwaren aus Drittländern zu schützen und CSR-Richtlinie umgesetzt. Größere Unternehmen müs- die europäische Bevölkerung ausreichend mit qualitativ sen berichten, wie es sich mit Menschenrechten und Ar- hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen. Kurzum: Das beitnehmerrechten verhält, wenn sie Dinge beschaffen. Marktorganisationsgesetz stabilisiert den europäischen Ich glaube, das war ein ganz wichtiger Schritt. Agrar- und Lebensmittelmarkt. 10638 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Hans-Jürgen Thies (A) Wie Ihnen allen sicherlich bekannt ist, herrscht inner- ständig ist. Eine klare Zuweisung der Zuständigkeit für (C) halb der EU für Agrarprodukte meist ein höheres Preisni- die Überwachung der Lizenzen an den Zoll fehlt bisher. veau als auf dem Weltmarkt. Um sicherzustellen, dass die Der vorliegende Entwurf zur Änderung des Marktorga- EU vor Preis- und Mengenschwankungen der Weltmärk- nisationsgesetzes soll diese Regelungslücke nunmehr te geschützt wird, sind gewisse Produkte lizenzpflichtig. schließen. Hier wird den Zollbehörden die gesetzliche Das heißt also, der Import und der Export spezieller land- Ermächtigung erteilt, die Überwachung und Abschrei- wirtschaftlicher Erzeugnisse dürfen nur erfolgen, wenn bung der Lizenzen zu vollziehen. Behörden dafür eine Genehmigung erteilen. Durch die Vergabe von Lizenzen bzw. Ein- und Ausfuhrgenehmi- Des Weiteren wurden einige punktuelle Änderungen gungen sind Behörden in der Lage, erstens die Mengen am Gesetz vorgenommen, um das Gesetz mit unions- zu steuern, denen der Zugang zum Binnenmarkt gewährt rechtlichen Bestimmungen zu harmonisieren. So wird wird, zweitens die Preise landwirtschaftlicher Produkte zum Beispiel das Wort „Zölle“ durch das Wort „Steuern“ aus Drittländern anzupassen und schließlich Warenströ- ersetzt. me innerhalb der EU zu erfassen und zu steuern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kommt relativ selten vor – gerade in dieser Legislaturperiode –, dass Seit der Verabschiedung des Marktorganisationsgeset- ein Gesetzentwurf so unstrittig behandelt wird wie der zes im Jahre 1972 hat sich sehr viel geändert. Die Zeiten, jetzt vorliegende. Der Bundesrat hat keine Einwände in denen es notwendig war, dafür zu sorgen, dass für die gegen die Novelle erhoben, und auch der zuständige Bevölkerung ausreichend Nahrungsmittel in der EU vor- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft hat in der handen waren, sind zum Glück Vergangenheit. Ebenso letzten Woche einstimmig die Verabschiedung dieses Ge- sind Preisunterschiede zwischen der EU und dem Welt- setzes empfohlen. Das ist sicherlich auch dem Umstand markt längst nicht mehr so gravierend wie in den letzten geschuldet, dass mit diesem Gesetz eigentlich nur nach- Jahrzehnten. Die sicherlich zu Recht oft kritisierte pro- vollzogen wird, was schon gehandhabte Praxis ist. tektionistische EU-Agrarpolitik hat einen enormen Wan- del durchlebt. Übermäßige Importzölle und Exportsub- Die Initiative der Bundesregierung, das Marktorgani- ventionen wurden inzwischen nahezu abgeschafft. sationsgesetz – Dennoch ist es weiterhin wichtig, die Produktion spe- zieller Erzeugnisse vor den Kräften des freien Marktes Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zu schützen. Der Schutz des Marktorganisationsgesetzes Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. erstreckt sich zum Beispiel auf Saatgut, Hanf, Verede- lungsprodukte und Reis. Mit anderen Worten: Diese Pro- Hans-Jürgen Thies (CDU/CSU): dukte sind als lizenzpflichtig eingestuft. (B) – ja, ich komme zum Ende – (D) Ja, meine Damen und Herren, Sie haben richtig gehört: (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Wir sind Auch Reis gehört dazu. Lassen Sie mich die Notwendig- uns doch eh alle einig!) keit einer Lizenzpflicht am Beispiel der Reisprodukti- on kurz erläutern. Global betrachtet ist der europäische mit den Bestimmungen der EU in Einklang zu bringen, Reisanbau unbedeutend. In manchen Regionen der EU ist sicherlich zu begrüßen. Hiermit schaffen wir die spielt der Anbau von Reis aber doch eine wichtige Rolle. rechtlichen Grundlagen, um die Ziele der Gemeinsamen So wird zum Beispiel in der norditalienischen Po-Ebene Agrarpolitik umzusetzen. Wir stimmen deshalb dem Ge- Risotto-Reis und in der spanischen Region Valencia der setz zu und empfehlen dies auch den anderen Fraktionen. spezielle Reis für die Paella angebaut. Ohne den Schutz Vielen herzlichen Dank. durch die mengenbegrenzenden Lizenzen würde die eu- ropäische Reisproduktion völlig zum Erliegen kommen; (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) denn mit den niedrigen Weltmarktpreisen der großen reis­produzierenden Länder wie China oder Indien könn- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ten die Reisanbaugebiete in Italien oder Spanien natür- lich überhaupt nicht konkurrieren. Kaum auszumalen, Für die AfD-Fraktion hat das Wort der Kollege wie es um die Stabilität der EU bestellt wäre, wenn wir Wilhelm von Gottberg. den Italienern den Risotto und den Spaniern die Paella (Beifall bei der AfD) nehmen würden. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wilhelm von Gottberg (AfD): SES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Der geschätzte Vorredner hat bereits ausgeführt, worum es Bei dem Im- und Export lizenzpflichtiger Erzeugnisse hier geht. Wir beraten heute den Entwurf eines Fünften sind zwei Instanzen für den reibungslosen Ablauf maß- Gesetzes zur Änderung des Marktorganisationsgesetzes. geblich: erstens die Bundesanstalt für Landwirtschaft „Schon wieder?“, fragt man verwundert. Es ist doch noch und Ernährung – sie ist für die Erteilung und Vergabe gar nicht so lange her, dass wir das Vierte Gesetz beraten der Lizenzen verantwortlich – und zweitens der Zoll. haben. Er sorgt bei der Ein- und Ausfuhr der Agrargüter für die Überwachung der Lizenzen. Das aktuell gültige Gesetz Hintergrund ist die parallel verlaufende Gesetzgebung regelt lediglich, dass die Bundesanstalt für Landwirt- der EU und der Bundesrepublik auf dem Feld der Agrar- schaft und Ernährung für die Erteilung der Lizenzen zu- politik und des gemeinsamen Binnenmarktes. Diese Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10639

Wilhelm von Gottberg (A) Tatsache erfordert von Zeit zu Zeit eine Anpassung der onsgesetz vor eineinhalb Jahren geändert. Ich kann mich (C) Gesetzestexte. Darum geht es bei dem hier zu beratenden erinnern: Damals haben wir uns gefragt, warum wir wohl Entwurf. In einer Reihe von EU-Verordnungen wurde ausgerechnet über dieses so technisch anmutende Gesetz das Recht zu Lizenzen und zur Erhebung, Verwaltung namentlich abstimmen müssen. Die Antwort ist einfach: und Freigabe von Sicherheiten grundlegend überarbei- Da erstmals unter anderem eine Zuständigkeitsregelung tet. Deshalb müssen die alten EG-Lizenzverordnungen für die Zollverwaltung normiert wird, ist Artikel 87 Ab- sowie die überholten EG-Sicherheitsverordnungen, wel- satz 3 Satz 2 des Grundgesetzes berührt, der für solche che sich beide auf das Marktorganisationsgesetz stützen, Regelungen die Kanzlermehrheit vorsieht. überarbeitet werden. Im Kern geht es in dem Marktorganisationsgesetz (Beifall bei der AfD) darum, unter welchen Bedingungen landwirtschaftli- che Produkte in die EU ein- und aus der EU ausgeführt Meine Damen und Herren, ich habe nicht falsch aus- werden dürfen. Das gilt natürlich auch – ich nehme ein geführt: Es geht noch um EG-Verordnungen. Die EG Beispiel aus meiner Berichterstattung – für Fischereipro- gibt es seit zehn Jahren nicht mehr. Bei den genannten dukte und würde im Falle eines Brexits, den ja einige hier EU-Verordnungen handelt es sich um Hunderte von Sei- im Haus durchaus begrüßen würden, auch für Produkte ten mit jeweils Dutzenden Bezügen auf andere Doku- aus Großbritannien gelten. Beim Marktzugang für Fi- mente, also um ein unentwirrbares Geflecht von Bezü- schereiprodukte hätte Großbritannien weit mehr zu ver- gen und Verweisungen, welches sich jeder vernünftigen lieren als die Europäische Union; denn Großbritannien demokratischen Kontrolle entzieht: exportiert deutlich mehr Fischereiprodukte in die EU als (Beifall bei der AfD) umgekehrt. ein Paradebeispiel für die sehr effektive Bürokratiepro- Aber für Deutschland, liebe Kolleginnen und Kol- duktion der EU. legen, sieht die Bilanz ganz anders aus. Im Gegensatz zu den meisten EU-Staaten exportiert Deutschland viel Wir erinnern uns noch recht gut an einen ehemaligen mehr Fischereiprodukte nach Großbritannien, als es im- bayerischen Ministerpräsidenten, der nach dem Aus- portiert. Der Brexit ist also eine große Herausforderung scheiden aus dem Amt zur EU wechselte, um eine Entbü- für die Zollverwaltung und natürlich für die deutsche rokratisierung durchzusetzen. Wirtschaft, aber – das dürfen wir nicht vergessen – auch (Marianne Schieder [SPD]: Stimmt!) für die Fischerei. Die deutsche Fischerei droht sogar zum Hauptleidtragenden des Brexits zu werden; denn wich- Leider können wir bei dem Marktorganisationsgesetz tige Bestände wie zum Beispiel Hering und Makrele hiervon nichts verspüren. Wir würden einen verstärkten befinden sich in britischen Gewässern. Ich finde, es ist (B) Einsatz der Bundesregierung in Brüssel zur Entbürokra- wichtig, zu betonen, dass im Falle des Brexits, von dem (D) tisierung sehr begrüßen. wir uns wünschen, dass er nicht eintritt – ich glaube, da (Beifall bei der AfD) spreche ich für meine ganze Fraktion –, mehr Mittel für die Fischerei zur Verfügung gestellt werden. Gesetze von der Art des Marktorganisationsgesetzes sind vernunftbegabten Menschen nur schwer zu vermitteln. Die Fischerei in Deutschland braucht und verdient Klarheit, wie es mit ihr weitergeht. Es darf nicht sein, Zurück zur vorliegenden Gesetzesänderung. Konkret dass die Fischerei in Deutschland über die Auflösung der soll Artikel 1 des Marktorganisationsgesetzes um not- relativen Stabilität bei der Quotenvergabe den Großteil wendige Zuständigkeiten ergänzt werden. Derzeit enthält ihrer Fangmöglichkeiten verlieren könnte. das Gesetz weder eine Zuständigkeitszuweisung an die Zollverwaltung für die Abschreibung von Lizenzen noch (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Da hat er eine Zuständigkeitsregelung für Sicherheiten. Außerdem recht!) wird die Terminologie des Marktorganisationsgesetzes Das wollen wir alle miteinander nicht. Da sind wir uns punktuell ohne inhaltliche Änderungen an das Zollrecht sicher einig oder auf Plattdeutsch: Daar sünd wi all tosa- angepasst. Es erfolgt auch eine Klarstellung zum Rege- men seker up een Bredd. lumfang einer Rechtsverordnung für Lizenzen. Von der AfD gibt es für das Gesetz grünes Licht. Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Danke. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächster Redner für Der nächste Redner für die SPD-Fraktion: der Kollege die FDP-Fraktion: der Kollege Dr. Gero Hocker. Johann Saathoff. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD) Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): Johann Saathoff (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ren! Wenn ein Gesetz mit dem Wort „Marktorganisati- Kollegen! Das letzte Mal haben wir das Marktorganisati- onsgesetz“ überschrieben ist, dann darf ich für die Freien 10640 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Gero Clemens Hocker (A) Demokraten festhalten, dass das bei uns erst mal auf sehr Drittes Ziel: Stabilisierung der Märkte. Dieses Ziel (C) viel Sympathie stößt; denn wir glauben, dass der Markt ist doch auch längst auf dem Altar des deregulierten das effizienteste Kriterium ist, um tatsächlich Wachstum Weltagrarmarkts­ geopfert worden, und zwar mit verhee- und Wohlstand in der Welt und übrigens auch demokrati- renden Folgen. Als Beispiel nenne ich den Milchmarkt, sche Teilhabe zu ermöglichen. Das muss organisiert und der 2015 dereguliert und liberalisiert wurde. Im Ergeb- flankiert werden, damit sich diejenigen, die nicht für sich nis haben viele Milchviehbetriebe viele Monate lang selber sorgen können, darauf verlassen können, dass an- nicht einmal die Hälfte ihrer Produktionskosten bezahlt dere sie unterstützen. Deswegen gibt es auch für dieses bekommen. Um das mal klar zu sagen: Das war eine Gesetz viel Sympathie. gigantische Vernichtung bäuerlichen Eigentums, quasi eine Enteignung über den Markt. Das zeigt überdeutlich, Im Interesse der Zeitökonomie an diesem Donnerstag- wie wenig die Illusion eines freien Bauerntums auf freier abend werde ich jetzt nicht mehr lange sprechen, sondern Scholle im Kapitalismus überhaupt noch zählt. einfach für meine Fraktion ankündigen, dass wir diese Änderung, die aus semantischen und juristischen Grün- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Gero Clemens den erforderlich ist, unterstützen. Ich wünsche uns eine Hocker [FDP]: Jetzt hören Sie doch auf!) weitere gute Beratung. Viertes Ziel: Sicherstellung der Versorgung zu ange- Danke. messenen Preisen. Ja, die Versorgungssicherung wird nicht nur erfüllt, sondern oft sogar übererfüllt, was sich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so- wiederum als Bumerang für die Erzeugerbetriebe er- wie bei Abgeordneten der LINKEN) weist; denn natürlich steigt das Erpressungspotenzial der Einkäufer, wenn sie auf Milchseen und Butterberge Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: zurückgreifen können. Selbst angemessene Lebensmit- telpreise erweisen sich als Bumerang; denn die Dum- Vielen Dank, Herr Kollege Hocker. – Die nächste pingpreise gehen auf Kosten von Beschäftigten und der Rednerin: Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke. Natur. Trotzdem fließen gigantische Profite in die Kon- (Beifall bei der LINKEN) zernzentralen ab. Deshalb möchte ich mit einem Zitat des Dramatikers Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Heiner Müller enden, das in unserem Fraktionssaal hängt: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es Wir stecken bis zum Hals im Kapitalismus. geht heute um ein Gesetz, mit dem das Marktorganisa- (B) tionsgesetz formal an das aktuelle EU-Recht angepasst Das ist leider auch trotz des Marktorganisationsgesetzes (D) werden soll. Diese Änderungen sind auch unstrittig. Mit so. dem Marktorganisationsgesetz selbst soll seit Jahrzehn- Vielen Dank. ten der Kapitalismus auf dem EU-Agrarmarkt etwas ge- zügelt werden. Deshalb lohnt sich schon die Frage, ob (Beifall bei der LINKEN) diese Ziele mit diesem Gesetz und der EU-Agrarpolitik insgesamt erstens erreicht werden und zweitens noch

zeitgemäß sind. Gehen wir die vier wesentlichen Ziele Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kurz durch. Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen: der Kol- lege Friedrich Ostendorff. Erstes Ziel: die Förderung der Produktivität. Ja, die Produktivität ist extrem gestiegen. Ernährte rein rech- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nerisch 1950 ein Landwirt zehn Menschen, sind es un- terdessen 155. Aber zu welchem Preis? Man kann doch Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heute nicht mehr ernsthaft bestreiten, dass dieses Wachs- NEN): tumsmodell zumindest dazu beiträgt, dass biologische Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viel wich- Vielfalt, Bodenqualität, Gewässerqualität verloren ge- tiger als die kleinen Ergänzungen und Neuformulierun- gangen sind und sich auch das Klima verändert. Ich fin- gen dieses Gesetzes, die wir ja alle mittragen, ist doch die de, das ist nicht zukunftsfähig. spürbar notwendige strukturelle, grundlegende Verände- (Beifall bei der LINKEN) rung der deutschen Landwirtschaft. Die entscheidende Frage ist doch: Soll sie weiterhin in industrieller Massen- Zweites Ziel: angemessene Lebenshaltung in der billigproduktion für den Weltmarkt produzieren oder auf Landwirtschaft Beschäftigter. Auch das ist doch unter- eine nachhaltige bäuerliche Struktur setzen? dessen längst mehr Utopie als Wirklichkeit. Die Land- wirtschaft ist doch längst zum Billigrohstofflieferanten Die negativen Auswirkungen der Exportorientierung, degradiert worden, und damit sind sie es, die die Profite wie gerade Sie von der CDU/CSU sie verfolgen, sind für Bodenspekulanten, für die Konzernzentralen immer doch an vielen Punkten zu erkennen. Die intensive, kon- größerer Chemiekonzerne, für Saatgut- und Düngemit- zentrierte industrielle Tierhaltung führt zu einer nach- telhersteller, Schlachthöfe, Molkereien und Supermarkt- haltigen Schädigung der Umwelt. Sie zerstört die bäu- ketten erarbeiten. Ich finde, das ist absurd. erliche, zerstört die ländliche Struktur. Durch das ewige „Wachsen oder Weichen“ wird sie immer weniger von (Beifall bei der LINKEN) der Gesellschaft verstanden. Es kann doch nicht das Ziel Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10641

Friedrich Ostendorff (A) sein, extrem billig mit immer weniger gesellschaftlicher Artur Auernhammer (CDU/CSU): (C) Akzeptanz zu produzieren. Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zurück zum Thema, nämlich zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Änderung des Marktorganisationsgesetzes, kommen. Aber – und das ist besonders schlimm – es leiden eben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und auch die natürlichen Lebensgrundlagen. Die Artenviel- der FDP) falt leidet unter dieser falschen Ausrichtung. Die starke Dabei geht es um Lizenzen, um Sicherheiten, um Zustän- Konzentration der Tierhaltung ist bekanntlich der Haupt- digkeiten der Zollverwaltung. Hier geht es um eine rein grund für die zu hohe Nitratbelastung unseres Grundwas- technische Entscheidung. Die ideologischen Debatten, sers. Die industrielle Tierhaltung in dieser Form, meine die Grundsatzdebatten über Agrarpolitik werden wir zu Damen und Herren, muss beendet werden, anderer Zeit leidenschaftlich und mit vollem Engage- ment hier führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Was hat Deshalb, meine Damen und Herren, ist nur eines zu sagen: Die Praxis draußen ist weiter als die Bürokratie. das mit dem Marktorganisationsgesetz zu tun, Regeln wir die gesetzliche Grundlage jetzt. Und nach- Herr Kollege?) dem Sie sich alle dazu bereitgefunden haben, diesem Gesetz auch zuzustimmen, möchte ich aufgrund der fort- damit endlich Schluss ist mit der Belastung und Zerstö- geschrittenen Zeit – auch wenn einige Kollegen wollen, rung von Boden, Wasser und Luft. dass ich noch längere Ausführungen mache – schließen Die Probleme, die diese falsche Orientierung verur- und mich für die Zustimmung zu diesem Gesetz bedan- ken. Ich freue mich auf ein positives Votum. sacht, werden besonders in der noch zu novellierenden Novelle der Düngeverordnung sichtbar. Ach nein, das ist Danke schön. falsch. Seit gestern müssen wir ja sagen: die abermals (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- novellierungsbedürftige zu novellierende Novelle der ordneten der FDP) Düngeverordnung. So heißt es richtig. Das zeigt schon: Wir haben viel zu tun. Nach jahrelangem Aussitzen und Nichtstun in Verbindung mit einem Negieren der Proble- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: me reagieren Sie von CDU/CSU und Ministerium panik- Vielen Dank. Sehr vorbildlich, Herr Kollege getrieben auf dem Rücken der betroffenen Bäuerinnen Auernhammer. – Der letzte Redner zu diesem Tagesord- nungspunkt: der Kollege Rainer Spiering, SPD-Fraktion. (B) und Bauern, für die dieser Eiertanz wirklich dramatisch (D) und existenzbedrohend ist. (Beifall bei der SPD)

Dass eine Ausrichtung auf den Export extrem risiko- Rainer Spiering (SPD): reich ist, zeigt aktuell doch die Zuckerindustrie. Vor drei Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Nachdem Jahren wurde Bäuerinnen und Bauern gesagt: Die Welt die Kollegen Thies und Johann Saathoff den Mechanis- wartet auf den Zucker. Die Quote ist weg. Gebt Gas! – mus des Marktorganisationsgesetzes, wie ich finde, aus- Die Produktion stieg um 40 Prozent. Jetzt gibt es einen gesprochen gut beschrieben haben – herzlichen Dank –, dramatischen Preisverfall, und wir sehen den Rückzug würde ich dann doch ganz gerne zu ein paar inhaltlichen vom Weltmarkt und radikale Produktionseinschränkun- Punkten kommen. gen. Dieses Desaster der Weltmarktgläubigkeit, diese Achterbahnfahrt werden nicht die Aktionäre von Südzu- Ich glaube, dass der Kollege Thies das auch schon cker bezahlen. Nein, bezahlen werden dieses unterneh- gut beschrieben hat. Das Marktorganisationsgesetz wird merische Desaster einzig und allein die Produzentinnen gewaltige Eingriffe auf das vornehmen, was wir in Zu- und Produzenten. kunft tun werden. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Frage der Lizenzen lenken. Nun diskutieren wir in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diesem Hohen Haus häufig über den Einsatz genverän- derter Produkte. Darüber kann man unter technischen Es ist also zwingend notwendig, den Fokus weg vom Gesichtspunkten oder unter ethischen Gesichtspunkten Weltmarkt und verstärkt auf die nachhaltige Produktion diskutieren. hochwertiger Lebensmittel für den europäischen, beson- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Ach, mach ders aber auch für den regionalen Markt zu lenken. es doch eine Nummer kleiner!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann darüber aber auch unter dem Aspekt diskutie- ren, wer eigentlich die Abschöpfung macht und wer über das Produkt, das entwickelt worden ist, befindet. Genau Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: an dieser Stelle braucht Europa Schutz. Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Deswegen glaube ich, dass es von tiefer Bedeutung Artur Auernhammer. ist, gerade die Frage der Lizenzen sehr sorgfältig zu be- trachten; denn derjenige, der das genveränderte Produkt (Beifall bei der CDU/CSU) hat, hat den Markt. Deswegen kann ich Sie jenseits aller 10642 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Rainer Spiering (A) moralischen und ethischen Fragen nur dringend auffor- nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. (C) dern: Denken Sie trefflich nach, wenn Sie über genver- Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.1) änderte Produkte reden! Sie könnten einem Dritten ge- hören. Dann müssten Sie und wir alle die Zeche zahlen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Seitz, Andreas Bleck, Corinna Miazga, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Deswegen glaube ich, dass wir dieser Gesetzgebung un- sere sorgfältige Aufmerksamkeit schenken müssen. Änderung der Geschäftsordnung des Deut- schen Bundestages Wenn wir über die hochgeheizte Frage von Glypho- sat reden, geht es auch um Lizenzen und um Märkte. hier: Regelung des bankenunionalen Frage- Ich habe es in einer der letzten Sitzungen gesagt: Das rechts ist ein Produkt, das offensichtlich vom amerikanischen Drucksache 19/8558 Markt nur noch wenig angenommen wird. Wenn wir bei der Frage des Einsatzes von Glyphosat auch im Zusam- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- menhang mit dem Marktorganisationsgesetz nicht sehr nung sorgfältig und gut vorbereitet sind, können wir damit in Europa gewaltig Schiffbruch erleiden; denn wir haben Interfraktionell sind für die Aussprache 38 Minuten anders als die Amerikaner ein Vorsorgeprinzip. Das kann vorgesehen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das einem dann auf die Füße fallen. beschlossen.

Insofern: Zustimmung der SPD zum Marktorganisa- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen jetzt tionsgesetz. Aber: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Ich weitermachen. Wir sind jetzt bei einem Sitzungsende um habe zwei Probleme aufgezeigt, die in diesem Zusam- 2.12 Uhr. Falls Sie den Beratungen nicht beiwohnen wol- menhang wichtig sind und die wir im Auge behalten len, bitte ich Sie, sofort den Saal zu verlassen. müssen. Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Boehringer von der AfD-Fraktion. Danke schön fürs Zuhören. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Peter Boehringer (AfD): (B) Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der (D) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: heute vorgelegte Antrag auf mehr Fragerechte des Bun- Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus- destages sollte eigentlich ein Selbstläufer sein. Da die sprache zu diesem Tagesordnungspunkt. EU-Institutionen immer mehr Macht ausüben, müssen sie auch entsprechender Kontrolle unterliegen. Speziell Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- die EZB übt enorme Macht aus. Sie schöpft und bewegt desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- Riesensummen, noch weit größer als der deutsche Staats- rung des Marktorganisationsgesetzes. Der Ausschuss für haushalt, und betreibt damit faktisch Wirtschaftspolitik, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be- auch wenn diese immer noch fälschlich als Geldpolitik schlussempfehlung auf Drucksache 19/8350, den Gesetz- bezeichnet wird. Nur einige Beispiele, die den enormen entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/7836 Einfluss der EZB belegen und aus denen sich ganz klar anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- ein Kontrollbedürfnis für uns als Parlament des größten wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen- EU-Haftungsstaats ergibt: probe! – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf in Staatsanleihenkäufe der EZB über 2,5 Billionen Euro zweiter Beratung einstimmig angenommen. nur seit 2015. Faktisch ist das eine gewaltige Staatsfi- Dritte Beratung nanzierung jenseits der offiziellen Staatshaushalte. Bald noch mehr verdeckte Banken- und Staatsfinanzierung in und Schlussabstimmung. Nach Artikel 87 Absatz 3 des Form von Langfristkrediten. Das betrifft das noch für Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfes die dieses Jahr angekündigte TLTRO-III-Programm über absolute Mehrheit, also 355 Stimmen, erforderlich. Wir 1 Billion Euro. 1,3 Billionen Euro ausfallgefährdete stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich ab. Target-Forderungen der EZB gegenüber den Euro-Süd- ländern. Bei Ausfällen wäre Deutschland mit Hunderten Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Milliarden dabei. vorgesehenen Plätze einzunehmen. Darf ich fragen, wie Die geplante Vergemeinschaftung unserer Bank- und es an den Urnen ausschaut? Sind alle Plätze an den Urnen Spareinlagen in Höhe von über 3 Billionen Euro und besetzt? – Dann eröffne ich die namentliche Schlussab- natürlich die völlig unnatürliche Nullzins- oder gar Ne- stimmung über den Gesetzentwurf. gativzinspolitik der EZB, die zu einer gewaltigen Schä- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine digung der Sparer und der Banken führt. Wir haben ja Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- 1) Ergebnis Seite 10645 D Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10643

Peter Boehringer (A) nicht zufällig gestern erst zur Notfusion Deutsche Bank/ ich bei der Materie für unwahrscheinlich. Zweitens. Sie (C) Commerzbank hier eine Aktuelle Stunde abhalten müs- erkannten die Bedeutung von Target2 nicht. sen, usw. usw. (Jürgen Braun [AfD]: Oder kein Interesse! – Es sind riesige Summen, über die die EZB verfügt. Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Reden Sie Der gestern vorgestellte deutsche Bundeshaushalt hat da- auch noch zum Thema heute?) gegen gerade mal nur 360 Milliarden Euro. Und: Ja, es gibt bereits seit 2014 ein Befragungsinstrument der EZB, Das wäre unwahrscheinlich oder unseriös. Drittens. Sie das sogenannte bankenunionale Fragerecht. Es ist nur nehmen das Target2-Risiko als gottgegeben hin. Wir als dumm, dass dieses so schwach ausgestaltet ist, dass es AfD tun das nicht und halten ein Ignorieren für unver- bislang fast nie erfolgreich genutzt werden konnte. antwortlich. (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Quatsch!) (Beifall bei der AfD) 2018 wurde es erstmals versucht. Das Ergebnis waren Wie auch immer, die Bundesbank stellt sich diesen dreiste Plattitüden der EZB. Der betroffene Kollege be- Debatten. Die EZB tut es nicht. Stimmen Sie darum die- zeichnete die Antwort damals öffentlich als Farce. ser Geschäftsordnungsänderung zu. Eine Kodifizierung des Fragerechts gegenüber der EZB ist erforderlich und (Beifall bei der AfD) auch in unserem deutschen Interesse. Doch man konnte nichts dagegen tun. Die Rechts- grundlage gab einfach nicht mehr her. Es ist nach wie Vielen Dank. vor superschwer, an die EZB heranzukommen. Dabei ge- (Beifall bei der AfD) fährden Fragen keineswegs die sakrosankte Unabhängig- keit der EZB. Übrigens sind Zentralbanken in der Praxis auch nicht unabhängig. Die Regierungen garantieren ihre Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Existenz, und im Gegenzug kaufen die Zentralbanken Der Kollege Michael Frieser gibt seine Rede zu Pro- den Regierungen die Staatsanleihen ab. So wird faktisch tokoll.1) Staatsfinanzierung betrieben. So kaufte die EZB von 2016 bis 2018 fast 100 Prozent der italienischen Netto- Der nächste Redner ist für die FDP-Fraktion der Kol- neuverschuldung auf. Von manchen Ländern besitzt die lege Dr. Marco Buschmann. EZB über 30 Prozent aller Bonds. Das schreit nach par- (Beifall bei der FDP) lamentarischer Kontrolle; denn der deutsche Bürger haf- tet für diese Summen, die als Kreditgeld aus dem Nichts (FDP): (B) erschaffen werden. Dr. Marco Buschmann (D) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kol- (Beifall bei der AfD) legin Haßelmann ist meine Zeugin: Ich habe heute ei- Die Regierungen werden niemals eine restriktive Kon- gentlich für einen legitimen Kern Ihres Anliegens bei den trolle über ihre Zentralbanken ausüben. Das Parlament Kollegen werben wollen. Aber nachdem ich die Begrün- muss darum ein Fragerecht haben; denn die EZB-Politik dung von dem Kollegen Boehringer gehört habe, muss schränkt die Handlungsspielräume künftiger Deutscher ich sagen: Das, was Sie hier vortragen, ist einfach blan- Bundestage massiv ein. Der vorgelegte Antrag will unser ker Unsinn. bislang nur unzureichend in Verordnungen und im Uni- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordne- onsrecht niedergelegtes Fragerecht in die Geschäftsord- ten der CDU/CSU und der SPD und des Abg. nung des Bundestags überführen. Dieses Haus kann sich Ralph Lenkert [DIE LINKE]) damit endlich die Möglichkeit schaffen, die Megaent- scheidungen der EZB, die die nationalen haushalteri- Das will ich Ihnen auch kurz begründen. schen Fragen weit überragen, öffentlich zu debattieren. Sie haben hier einen Antrag zur Änderung der Ge- Der heutige Antrag behandelt übrigens nicht die Bun- schäftsordnung gestellt. Dabei geht es um die Anwen- desbank. Warum? Die Bundesbank ist seit 1999 nur dung eines Auskunftsanspruchs, den das Europarecht den noch eine Unterabteilung der EZB. Die Risiken werden nationalen Parlamenten, also dem Bundestag, einräumt. dem Steuerzahler durch die EZB aufgebürdet. Außer- Ich dachte, Ihr Anliegen ist, klarzustellen, wie man die- dem kommen die Vorstände der Bundesbank immerhin ses Fragerecht ausübt. Man kann ja immerhin theoretisch ab und zu freiwillig in dieses Haus. Beispiel: Wir hat- die Frage stellen: Erfordert das denn einen Mehrheitsbe- ten im Rechnungsprüfungsausschuss vorige Woche ein schluss? Das wäre natürlich absurd; denn dann würde die sehr gutes und sehr tiefgehendes Fachgespräch mit dem Opposition nie zum Zuge kommen. zuständigen Volkswirt und dem zuständigen Vorstand zu Target2. Komisch, dass nur die AfD-Fraktion es genutzt Natürlich ist es sinnvoll, dass wir das Fragerecht des hat. Alle anderen Parteien und Fraktionen waren absent – Bundestages nach unseren verfassungsrechtlichen Re- alle. So ist das. geln in Deutschland als ein Recht des einzelnen Abge- ordneten ausgestalten. Das wäre der legitime Kern Ihres (Beifall bei der AfD) Anliegens. Das ist übrigens auch unstrittig, weil wir es Dabei war es ein offizielles Gespräch unseres Aus- hier im Haus genau so praktizieren. Genau so hat es auch schusses. Da gibt es jetzt drei Möglichkeiten: Erstens. Die Kollegen wussten schon alles zu Target2. Das halte 1) Anlage 11 10644 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Marco Buschmann (A) unser Fraktionskollege Frank Schäffler praktiziert. Er konform verhält. Das ist Verhetzungspolitik, die dahin- (C) hat damit ein Stück Verfassungsgeschichte geschrieben. tersteckt. Herzlichen Glückwunsch dazu, lieber Frank! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP – Jürgen Braun [AfD]: der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und Sonst haben Sie es ja nicht so mit Frank des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schäffler!) Deshalb muss ich Ihnen sagen: Hätten Sie doch ge- So hat es der Bundestagspräsident gemäß der deutschen schwiegen, Herr Boehringer. Dann hätte ich mich auf die Verfassungstradition auch unproblematisch umgesetzt. Debatte eingelassen, wie wir dieses Auskunftsrecht so, Das könnte man natürlich auch in die Geschäftsordnung wie wir es jetzt anwenden, in der Geschäftsordnung ko- schreiben. difizieren. Sie aber führen hier ein Theater auf und bauen Was Sie hier allerdings tatsächlich ausdrücklich be- eine Showkulisse auf, als ob wir mit unserem Geschäfts- hauptet haben, ist, dass man mit der Geschäftsordnung ordnungsrecht europäisches Recht ausgestalten und ver- des Deutschen Bundestages diesen europarechtlich be- ändern könnten. Dabei weiß doch jeder im ersten Semes- stehenden Auskunftsanspruch inhaltlich verändern könn- ter Europarecht, dass das so nicht funktioniert. Setzen, te. Das ist juristisch totaler Blödsinn; das wissen Sie sechs! auch. Herzlichen Dank. (Beifall der Abg. Patrick Schnieder [CDU/ (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der CSU], Stephan Thomae [FDP], Friedrich SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Straetmanns [DIE LINKE] und Britta SES 90/DIE GRÜNEN) Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Denn Ihr Kollege Seitz hat uns allen bei der letzten De- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: batte zur Änderung der Geschäftsordnung ausdrücklich Nächste Rednerin: die Kollegin Sonja Amalie Steffen, erklärt, dass Satzungsrecht, also Geschäftsordnungs- SPD-Fraktion. recht, Binnenrecht des Parlaments ist und angeblich nicht einmal die Bundesregierung binden könnte. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Sonja Amalie Steffen (SPD): NEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie von der AfD möchten, dass wir in unse- (B) Wie soll es denn dann die EZB als unabhängige Institu- rer Geschäftsordnung eine spezielle Regelung zum so- (D) tion des Europarechts binden? Daran sieht man, dass Ihr genannten bankenunionalen Fragerecht schaffen. Das ist Anliegen überhaupt kein sachliches ist. kein Selbstläufer, Herr Boehringer, wie Sie das vorhin Anstatt eine solche Kodifizierung vorzunehmen, wol- genannt haben, sondern dieser Antrag ist überflüssig, rei- len Sie hier den Eindruck erwecken, dass wir der EZB ne Zeitverschwendung und rechtlich nicht umsetzbar. Vorschriften machen können, innerhalb welcher Fristen, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan mit welcher Intensität und in welchem Umfang Auskünf- Thomae [FDP]) te zu erteilen sind. Das dient nur einem Zweck: Das dient nicht dem Zweck der Regulierung der Rechtslage. Dabei wäre es viel besser, wenn Sie zur Bankenunion insgesamt eine positive Haltung entwickeln würden. Bis- (Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD]) her hören wir aber von Ihnen nur – das haben Sie heute Das geht nämlich mit Geschäftsordnungsrecht gar nicht. wieder bestätigt –: Bankenunion stoppen, Bankenunion Dazu müssten Sie das Europarecht ändern. rückabwickeln, Bankenaufsicht wieder in nationale Hän- de geben. – Leider geht das in die völlig falsche Rich- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tung. NEN]: Das ist kostenlose Rechtsberatung, Herr Buschmann!) Bevor wir das Fragerecht klären, müssen wir uns kurz noch einmal vergegenwärtigen, wie die Bankenunion ei- Sie wollen entweder dem Bundestagspräsidenten Un- gentlich funktioniert – keine Angst, ich mache es kurz – mögliches aufgeben, nämlich Fristen durchzusetzen, die und in welche Richtung das Fragerecht geht. Wir haben er gar nicht durchsetzen kann, oder Sie wollen hinter- in der Bankenkrise 2009 gesehen, dass die Großbanken her – das vermute ich –, indem Sie Begriffe wie „Kleine in Europa miteinander verflochten sind. Wenn eine gro- Anfrage“ und „Große Anfrage“ verwenden, wieder nur ße Bank fällt, dann drohen auch alle anderen Banken zu so tun, als könne man die Rechtsprechung des Bundes- fallen. Das ist der sogenannte Dominoeffekt. Diesen Do- verfassungsgerichts zu Auskunftsansprüchen des Bun- minoeffekt wollen wir zukünftig unbedingt verhindern. destages gegen die Bundesregierung eins zu eins auf die Deshalb, meine Damen und Herren, gibt es die Banken- Auskunftsansprüche gegen die EZB übertragen, union. (Peter Boehringer [AfD]: Hat niemand ge- Die Idee ist: Alle Großbanken in Europa müssen nach sagt!) einheitlichen Maßstäben stabil sein. Sie müssen zentral um uns dann hinterher das Märchen vom Rechtsbruch zu beaufsichtigt werden, eben nicht national, wie Sie von erzählen, auch dann, wenn sich die EZB völlig rechts- der AfD dies möchten. Es soll eben nicht so sein, dass Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10645

Sonja Amalie Steffen (A) die Mitgliedstaaten ihr eigenes Süppchen kochen, dass Dieses Verfahren hat sich bewährt. Es ist aus Sicht der (C) sie lockere Vorschriften machen und deren Einhaltung SPD-Bundestagsfraktion absolut in Ordnung. dann noch locker beaufsichtigen. Nein, wir wollen, dass (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan nicht der Steuerzahler haftet. Notfalls muss dann eben Thomae [FDP]) auch einmal eine Bank geschlossen werden. Was Sie nun aber vorschlagen – das hat der Kollege (Beifall bei der SPD) Buschmann vorhin in seiner kleinen Vorlesung sehr gut dargestellt –, Damit das klappt, gibt es die Bankenaufsichtsverordnung, (Dr. Marco Buschmann [FDP]: So bin ich!) die sogenannte SSM-VO, und es gibt die Bankenabwick- lungsverordnung. Die Bankenaufsichtsverordnung – üb- das geht verfassungsrechtlich in der Tat nicht. Es ist rigens ein europäisches Gesetz – überträgt die Aufgabe grundsätzlich gar nicht so schlecht, zu überlegen, ob man der Bankenaufsicht über alle europäischen Großbanken in die Geschäftsordnung eine Regelung einfügt, die sich auf die Europäische Zentralbank. In der Bankenabwick- mit dem Fragerecht zur Bankenunion beschäftigt. Aber lungsverordnung überträgt das europäische Gesetz die Sie wollen eigene Fristen einbauen. Das europäische Aufgaben zur Abwicklung von Banken, wenn es denn Recht kennt aber keine Fristen. Insofern können wir das notwendig sein sollte, auf den sogenannten SRB. Das ist in unser deutsches Recht auch gar nicht einfügen. eine eigene europäische Fachbehörde. Man kann dies mit (Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD]) „Ausschuss für einheitliche Abwicklung“ übersetzen. Genauso ist es übrigens bei der Anfrage an den Ab- wicklungsausschuss. Es ist nämlich so: Das europäische Die Einrichtung einer solcher Behörde, einer europäi- Recht sieht vor, dass der Abwicklungsausschuss Anfra- schen Behörde, ist ein großer Schritt; denn normalerwei- gen mündlich oder schriftlich beantworten kann. Sie se kann das Europäische Parlament zwar Gesetze, soge- wollen aber eine schriftliche Beantwortung. Auch das nannte Verordnungen, erlassen, aber die Mitgliedstaaten geht nicht; denn wir können mit deutschem Recht euro- führen sie aus. In diesem Punkt, bei den Großbanken, ist päisches Recht nicht aushebeln. es jetzt so, dass das Europäische Parlament die Gesetze beschließt und sie durch eine eigene europäische Behör- Es bleibt also dabei: Die AfD doktert mit ihrem Antrag de ausgeführt werden. ein bisschen am Rande herum. Dabei wäre es viel wichti- ger, dass Sie die Bankenunion mittragen. Aber leider ar- Jetzt kommen wir zum parlamentarischen Fragerecht. beiten Sie komplett in die andere Richtung. Wir werden Das ist bekanntlich ein wichtiges Kontrollinstrument. Ihren Antrag selbstverständlich ablehnen. (B) Aber: Wir können sinnvollerweise nur dann die deut- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) sche Regierung befragen, wenn sie überhaupt handelt. der CDU/CSU) Das tut sie aber bei der Bankenunion gerade nicht mehr. Hier handelt eine europäische Behörde, wie ich es vorhin Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dargestellt habe. Im Bundestag wird dieses Fragerecht Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich derzeit so gehandhabt – in der Tat, Herr Schäffler, ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift- glaube, Sie haben da den Anfang gemacht; es gibt eine führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- Handvoll Anfragen dazu –, dass die Anfragen einzelner mung über den Entwurf der Bundesregierung eines Abgeordneter vom Bundestagspräsidenten an die EZB Fünften Gesetzes zur Änderung des Marktorganisations- oder an den Abwicklungsausschuss weitergeleitet wer- gesetzes bekannt: abgegebene Stimmen 642. Mit Ja ha- den. Anschließend, wenn die Antworten kommen, wer- ben gestimmt 639, es gab 3 Enthaltungen. Damit hat der den sie in einer Bundestagsdrucksache veröffentlicht. Gesetzentwurf die erforderliche Mehrheit erreicht.

Endgültiges Ergebnis Philipp Amthor Norbert Brackmann Thomas Erndl Abgegebene Stimmen: 642; Artur Auernhammer Dr. Reinhard Brandl Hermann Färber davon Peter Aumer Michael Brand (Fulda) Uwe Feiler ja: 639 Thomas Bareiß Silvia Breher Enak Ferlemann nein: 0 Maik Beermann Sebastian Brehm Axel E. Fischer (Karlsruhe- enthalten: 3 Manfred Behrens (Börde) Heike Brehmer Land) Veronika Bellmann Ralph Brinkhaus Dr. Maria Flachsbarth Ja Dr. André Berghegger Dr. Carsten Brodesser Thorsten Frei Melanie Bernstein Gitta Connemann Dr. Hans-Peter Friedrich CDU/CSU Christoph Bernstiel Astrid Damerow (Hof) Dr. Michael von Abercron Peter Beyer Alexander Dobrindt Michael Frieser Stephan Albani Marc Biadacz Michael Donth Hans-Joachim Fuchtel Norbert Maria Altenkamp Steffen Bilger Marie-Luise Dött Ingo Gädechens Peter Altmaier Peter Bleser Hansjörg Durz Dr. Thomas Gebhart 10646 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Alois Gerig Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Kerstin Radomski Markus Uhl (C) Eberhard Gienger Andreas G. Lämmel Alexander Radwan Dr. Volker Ullrich Eckhard Gnodtke Katharina Landgraf Alois Rainer Arnold Vaatz Ursula Groden-Kranich Ulrich Lange Dr. Peter Ramsauer Oswin Veith Hermann Gröhe Dr. Silke Launert Eckhardt Rehberg Kerstin Vieregge Klaus-Dieter Gröhler Jens Lehmann Lothar Riebsamen Christoph de Vries Michael Grosse-Brömer Paul Lehrieder Josef Rief Kees de Vries Astrid Grotelüschen Dr. Katja Leikert Johannes Röring Dr. Johann David Wadephul Markus Grübel Dr. Andreas Lenz Dr. Norbert Röttgen Marco Wanderwitz Manfred Grund Antje Lezius Stefan Rouenhoff Nina Warken Oliver Grundmann Andrea Lindholz Erwin Rüddel Kai Wegner Monika Grütters Dr. Carsten Linnemann Albert Rupprecht Albert H. Weiler Fritz Güntzler Patricia Lips Stefan Sauer Marcus Weinberg (Hamburg) Olav Gutting Nikolas Löbel Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Anja Weisgerber Christian Haase Bernhard Loos Dr. Wolfgang Schäuble Peter Weiß (Emmendingen) Jürgen Hardt Dr. Jan-Marco Luczak Andreas Scheuer Sabine Weiss (Wesel I) Matthias Hauer Daniela Ludwig Jana Schimke Ingo Wellenreuther Mark Hauptmann Karin Maag Tankred Schipanski Marian Wendt Dr. Matthias Heider Dr. Thomas de Maizière Dr. Claudia Schmidtke Kai Whittaker Mechthild Heil Gisela Manderla Patrick Schnieder Annette Widmann-Mauz Thomas Heilmann Dr. Astrid Mannes Felix Schreiner Bettina Margarethe Matern von Marschall Frank Heinrich (Chemnitz) Dr. Klaus-Peter Schulze Wiesmann Hans-Georg von der Marwitz Uwe Schummer Mark Helfrich Klaus-Peter Willsch Andreas Mattfeldt Armin Schuster (Weil am Rudolf Henke Elisabeth Winkelmeier- Stephan Mayer (Altötting) Rhein) Michael Hennrich Becker Dr. Michael Meister Torsten Schweiger Marc Henrichmann Oliver Wittke Jan Metzler Detlef Seif Ansgar Heveling Emmi Zeulner (B) Dr. h. c. Hans Michelbach Johannes Selle (D) Dr. Heribert Hirte Paul Ziemiak Dr. Mathias Middelberg Reinhold Sendker Christian Hirte Dr. Matthias Zimmer Dietrich Monstadt Thomas Silberhorn Alexander Hoffmann Karsten Möring Björn Simon Karl Holmeier SPD Marlene Mortler Tino Sorge Dr. Hendrik Hoppenstedt Niels Annen Elisabeth Motschmann Jens Spahn Thomas Jarzombek Ingrid Arndt-Brauer Dr. Gerd Müller Katrin Staffler Andreas Jung Heike Baehrens Axel Müller Frank Steffel Alois Karl Ulrike Bahr Sepp Müller Dr. Wolfgang Stefinger Anja Karliczek Nezahat Baradari Carsten Müller Albert Stegemann Torbjörn Kartes (Braunschweig) Andreas Steier Doris Barnett Volker Kauder Stefan Müller (Erlangen) Sebastian Steineke Dr. Matthias Bartke Dr. Stefan Kaufmann Dr. Andreas Nick Johannes Steiniger Sören Bartol Ronja Kemmer Petra Nicolaisen Peter Stein (Rostock) Lothar Binding (Heidelberg) Roderich Kiesewetter Michaela Noll Christian Frhr. von Stetten Leni Breymaier Michael Kießling Dr. Georg Nüßlein Dieter Stier Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Georg Kippels Wilfried Oellers Gero Storjohann Katrin Budde Volkmar Klein Florian Oßner Stephan Stracke Martin Burkert Axel Knoerig Josef Oster Max Straubinger Dr. Lars Castellucci Jens Koeppen Henning Otte Karin Strenz Bernhard Daldrup Markus Koob Sylvia Pantel Michael Stübgen Dr. Daniela De Ridder Carsten Körber Martin Patzelt Dr. Peter Tauber Dr. Karamba Diaby Alexander Krauß Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Hermann-Josef Tebroke Esther Dilcher Gunther Krichbaum Stephan Pilsinger Hans-Jürgen Thies Sabine Dittmar Dr. Günter Krings Dr. Christoph Ploß Alexander Throm Saskia Esken Rüdiger Kruse Eckhard Pols Dr. Dietlind Tiemann Yasmin Fahimi Michael Kuffer Thomas Rachel Antje Tillmann Dr. Johannes Fechner Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10647

(A) Dr. Fritz Felgentreu Bettina Müller Michael Thews Dr. Marc Jongen (C) Dr. Edgar Franke Detlef Müller (Chemnitz) Markus Töns Jens Kestner Ulrich Freese Michelle Müntefering Carsten Träger Stefan Keuter Dagmar Freitag Dr. Rolf Mützenich Ute Vogt Norbert Kleinwächter Michael Gerdes Dietmar Nietan Marja-Liisa Völlers Enrico Komning Martin Gerster Ulli Nissen Dirk Vöpel Jörn König Angelika Glöckner Josephine Ortleb Gabi Weber Dr. Rainer Kraft Timon Gremmels Mahmut Özdemir (Duisburg) Bernd Westphal Rüdiger Lucassen Kerstin Griese Aydan Özoğuz Dirk Wiese Frank Magnitz Michael Groß Christian Petry Gülistan Yüksel Dr. Lothar Maier Uli Grötsch Detlev Pilger Dagmar Ziegler Jens Maier Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Dr. Jens Zimmermann Dr. Birgit Malsack- Rita Hagl-Kehl Florian Post Winkemann Metin Hakverdi Achim Post (Minden) AfD Corinna Miazga Andreas Mrosek Sebastian Hartmann Florian Pronold Dr. Bernd Baumann Hansjörg Müller Dirk Heidenblut Dr. Sascha Raabe Marc Bernhard Volker Münz Hubertus Heil (Peine) Martin Rabanus Andreas Bleck Sebastian Münzenmaier Gabriela Heinrich Andreas Rimkus Peter Boehringer Christoph Neumann Wolfgang Hellmich Sönke Rix Jürgen Braun Jan Ralf Nolte Dr. Barbara Hendricks Dennis Rohde Marcus Bühl Frank Pasemann Gustav Herzog Dr. Martin Rosemann Matthias Büttner Tobias Matthias Peterka Gabriele Hiller-Ohm René Röspel Petr Bystron Paul Viktor Podolay Thomas Hitschler Dr. Ernst Dieter Rossmann Tino Chrupalla Jürgen Pohl Dr. Eva Högl Susann Rüthrich Joana Cotar Stephan Protschka Frank Junge Bernd Rützel Siegbert Droese Martin Reichardt Josip Juratovic Sarah Ryglewski Berengar Elsner von Gronow Roman Johannes Reusch Thomas Jurk Johann Saathoff Dr. Michael Espendiller (B) Ulrike Schielke-Ziesing (D) Oliver Kaczmarek Axel Schäfer (Bochum) Peter Felser Dr. Robby Schlund Johannes Kahrs Dr. Nina Scheer Dietmar Friedhoff Jörg Schneider Elisabeth Kaiser Marianne Schieder Dr. Anton Friesen Uwe Schulz Gabriele Katzmarek Udo Schiefner Markus Frohnmaier Thomas Seitz Cansel Kiziltepe Dr. Nils Schmid Dr. Götz Frömming Martin Sichert Arno Klare Uwe Schmidt Dr. Alexander Gauland Detlev Spangenberg Lars Klingbeil Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Axel Gehrke Dr. Dirk Spaniel Dr. Bärbel Kofler Dagmar Schmidt (Wetzlar) Albrecht Glaser René Springer Daniela Kolbe Carsten Schneider (Erfurt) Franziska Gminder Beatrix von Storch Elvan Korkmaz Johannes Schraps Wilhelm von Gottberg Dr. Alice Weidel Christine Lambrecht Michael Schrodi Kay Gottschalk Dr. Harald Weyel Christian Lange (Backnang) Dr. Manja Schüle Armin-Paulus Hampel Wolfgang Wiehle Dr. Karl Lauterbach Ursula Schulte Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Heiko Wildberg Helge Lindh Martin Schulz Dr. Roland Hartwig Dr. Christian Wirth Burkhard Lischka Swen Schulz (Spandau) Jochen Haug Kirsten Lühmann Frank Schwabe Udo Theodor Hemmelgarn FDP Heiko Maas Stefan Schwartze Waldemar Herdt Grigorios Aggelidis Caren Marks Andreas Schwarz Lars Herrmann Renata Alt Katja Mast Rita Schwarzelühr-Sutter Martin Hess Christine Aschenberg- Christoph Matschie Rainer Spiering Karsten Hilse Dugnus Hilde Mattheis Svenja Stadler Nicole Höchst Nicole Bauer Dr. Matthias Miersch Martina Stamm-Fibich Martin Hohmann Jens Beeck Klaus Mindrup Sonja Amalie Steffen Dr. Bruno Hollnagel Dr. Jens Brandenburg Susanne Mittag Mathias Stein Leif-Erik Holm (Rhein-Neckar) Falko Mohrs Kerstin Tack Johannes Huber Mario Brandenburg Siemtje Möller Claudia Tausend Fabian Jacobi (Südpfalz) 10648 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Dr. Marco Buschmann Frank Sitta Michael Leutert Dr. Anton Hofreiter (C) Karlheinz Busen Judith Skudelny Stefan Liebich Ottmar von Holtz Carl-Julius Cronenberg Dr. Hermann Otto Solms Dr. Gesine Lötzsch Dieter Janecek Britta Katharina Dassler Bettina Stark-Watzinger Thomas Lutze Dr. Kirsten Kappert-Gonther Bijan Djir-Sarai Dr. Marie-Agnes Strack- Amira Mohamed Ali Uwe Kekeritz Hartmut Ebbing Zimmermann Cornelia Möhring Katja Keul Dr. Marcus Faber Benjamin Strasser Niema Movassat Sylvia Kotting-Uhl Katja Suding Norbert Müller (Potsdam) Oliver Krischer Katrin Helling-Plahr Linda Teuteberg Zaklin Nastic Christian Kühn (Tübingen) Markus Herbrand Michael Theurer Dr. Alexander S. Neu Renate Künast Torsten Herbst Stephan Thomae Thomas Nord Monika Lazar Katja Hessel Dr. Florian Toncar Petra Pau Sven Lehmann Dr. Andrew Ullmann Dr. Gero Clemens Hocker Sören Pellmann Steffi Lemke Gerald Ullrich Manuel Höferlin Tobias Pflüger Dr. Tobias Lindner Nicole Westig Dr. Christoph Hoffmann Bernd Riexinger Dr. Irene Mihalic Katharina Willkomm Reinhard Houben Eva-Maria Schreiber Claudia Müller Ulla Ihnen Dr. Petra Sitte Beate Müller-Gemmeke DIE LINKE Olaf In der Beek Helin Evrim Sommer Ingrid Nestle Gyde Jensen Doris Achelwilm Friedrich Straetmanns Dr. Konstantin von Notz Dr. Christian Jung Gökay Akbulut Dr. Kirsten Tackmann Omid Nouripour Thomas L. Kemmerich Simone Barrientos Jessica Tatti Friedrich Ostendorff Karsten Klein Dr. Dietmar Bartsch Alexander Ulrich Cem Özdemir Dr. Marcel Klinge Lorenz Gösta Beutin Andreas Wagner Lisa Paus Daniela Kluckert Matthias W. Birkwald Harald Weinberg Filiz Polat Katrin Werner Pascal Kober Heidrun Bluhm Tabea Rößner Hubertus Zdebel Dr. Lukas Köhler Michel Brandt Claudia Roth (Augsburg) Sabine Zimmermann Carina Konrad Christine Buchholz Dr. Manuela Rottmann (B) (Zwickau) (D) Wolfgang Kubicki Birke Bull-Bischoff Corinna Rüffer Jörg Cezanne Konstantin Kuhle Manuel Sarrazin Alexander Kulitz Sevim Dağdelen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Ulle Schauws Fabio De Masi Alexander Graf Lambsdorff Stefan Schmidt Dr. Diether Dehm Luise Amtsberg Ulrich Lechte Kordula Schulz-Asche Anke Domscheit-Berg Lisa Badum Christian Lindner Dr. Wolfgang Strengmann- Annalena Baerbock Michael Georg Link Klaus Ernst Kuhn Margarete Bause (Heilbronn) Susanne Ferschl Margit Stumpp Dr. Danyal Bayaz Oliver Luksic Brigitte Freihold Markus Tressel Canan Bayram Till Mansmann Sylvia Gabelmann Daniela Wagner Nicole Gohlke Dr. Franziska Brantner Dr. Jürgen Martens Gerhard Zickenheiner Christoph Meyer Dr. Gregor Gysi Agnieszka Brugger Dr. André Hahn Dr. Anna Christmann Alexander Müller Fraktionslos Roman Müller-Böhm Heike Hänsel Ekin Deligöz Marco Bülow Frank Müller-Rosentritt Matthias Höhn Katja Dörner Dr. Martin Neumann Andrej Hunko Katharina Dröge (Lausitz) Ulla Jelpke Harald Ebner Enthalten Hagen Reinhold Kerstin Kassner Matthias Gastel AfD Bernd Reuther Dr. Achim Kessler Kai Gehring Dr. Stefan Ruppert Jan Korte Stefan Gelbhaar Stephan Brandner Christian Sauter Jutta Krellmann Erhard Grundl Martin Hebner Frank Schäffler Caren Lay Anja Hajduk Dr. Wieland Schinnenburg Sabine Leidig Britta Haßelmann Fraktionslos Matthias Seestern-Pauly Ralph Lenkert Dr. Bettina Hoffmann Uwe Kamann

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10649

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Das Wort hat als Nächster der Kollege Friedrich anschaue, verstehe ich auch, woher bei Ihnen der Wind (C) Straetmanns für die Fraktion Die Linke. weht. (Beifall bei der LINKEN) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Auch hier könnte einer von denen eine Friedrich Straetmanns (DIE LINKE): Frage stellen! Ist nur noch keiner draufgekom- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und men!) Kollegen! Am heutigen Abend beraten wir einen Antrag Von den ehemals sechs Abgeordneten Ihrer Partei ist ein der AfD, bei dem wir lange rätseln durften, um was es einziger übrig geblieben. Alle anderen haben sich einer sich eigentlich handelt. Das Sprichwort „Besser spät als nach dem anderen verabschiedet, während sich Ihre Par- nie“ ist hier, wie so oft bei Initiativen aus der rechten tei immer weiter gen rechten Rand bewegt hat. Und der Ecke, völlig fehl am Platze. Nie wäre in jedem Fall bes- letzte Verbliebene hat offenbar kein Interesse daran, sich ser gewesen. mit finanzpolitischen Detailfragen auseinanderzusetzen. (Beifall bei der LINKEN) Die Tatsache, dass Sie noch nie den Versuch unter- Wir hätten unsere kostbare Zeit wahrlich mit Sinnvolle- nommen haben, aus diesem Hause eine Anfrage an EZB rem füllen können. und SRB zu stellen, macht deutlich, was Sie, meine Da- men und Herren von der AfD, mit diesem Antrag wirklich Stattdessen müssen wir uns mit einem Antrag beschäf- wollen: Sie spielen mit der Angst der Menschen, Sie säen tigen, der völlig an der Realität vorbeigeht. Man kommt Zwietracht an jeder Stelle, die Ihnen opportun erscheint. nicht umhin, sich die Frage zu stellen: In wie vielen Fäl- len haben Sie denn bisher versucht, Fragen an die EZB (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem zu stellen, und sind an zu strengen Regularien geschei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- tert? Die Kollegen Schick und Schäffler haben von dieser geordneten der CDU/CSU und der FDP) Möglichkeit Gebrauch gemacht und ihre Antworten er- Vor der Europawahl entdecken Sie selbstverständlich halten. Wenn Sie Fragen an die EZB stellen wollen, dann auch diese Ebene wieder für sich. Sie versuchen, statt haben Sie doch die Möglichkeit dazu. Warum nutzen Sie einer seriösen Auseinandersetzung mit den EU-lnstitu- die dann nicht? tionen den Verdacht der Intransparenz an ungeeigneter (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge- Stelle zu wecken. ordneten der CDU/CSU, der SPD und des (Stephan Brandner [AfD]: Sexismus haben BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie vergessen!) (B) Stattdessen wollen Sie hier die Geschäftsordnung des Klar ist: Selbst mit einem Antrag zur Geschäftsord- (D) Bundestages mit einer Regelung weiter aufblähen, die nung wollen Sie die Arbeit hier nicht verbessern, sondern zudem nicht einmal bindend wäre. die Ressentiments Ihrer Kernwählerschaft gegen interna- Ausnahmsweise haben ja einige Ihrer Juristen diesen tionale Zusammenarbeit befriedigen. Seriöse Arbeit sieht Antrag mitgezeichnet. Aber eigentlich hätte es die nicht anders aus. einmal gebraucht, um zu merken, dass die Geschäftsord- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. nung des Deutschen Bundestages genau das tut, was ihr Name sagt: Sie ordnet die Geschäfte des Deutschen Bun- (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der destages. SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Immer dieselbe Leier!) NEN]: Donnerschlag!) Keine bindende Wirkung kann unsere Geschäftsordnung Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: aber für die Arbeit der EZB oder des Single Resolution Vielen Dank, Herr Kollege Straetmanns. – Die Kolle- Board haben. Deren Regeln kann man nur auf EU-Ebene gin Britta Haßelmann gibt ihre Rede zu Protokoll1), und ändern, schließlich sind es EU-lnstitutionen. Sie glauben als Nächster spricht der Kollege Patrick Schnieder, CDU/ doch auch nicht, mit Beschlüssen in der Kommunalpo- CSU-Fraktion. litik die Bundesregierung auf etwas festlegen zu kön- nen? Wenn der Schatzmeister eines Kreisverbandes Ihrer (Beifall bei der CDU/CSU) Partei ganz versehentlich seinen Rechenschaftspflichten nicht nachkommt, dann sind Sie doch auch ganz schnell Patrick Schnieder (CDU/CSU): mit den Beteuerungen, dass das mit Ihrem Wirken im Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Bundestag nicht das Geringste zu tun hat und man sich Der Inhalt des Antrages ist durchaus ein Thema, mit dem davor hüten solle, die Gliederungsebenen Kommune und man sich auseinandersetzen kann. Es geht um ein Kern- Bund durcheinanderzubringen. recht des Abgeordneten: das Fragerecht, hier in der be- sonderen Ausformung des bankenunionalen Fragerechts. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, Man kann darüber nachdenken: Müssen wir das in der der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem Geschäftsordnung kodifizieren? Ich habe eine feste Auf- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fassung dazu. Ich halte das für überflüssig, weil wir die- Die geeignete Stelle zur Kontrolle der EZB wäre das Europaparlament. Und wenn ich mir das einmal genauer 1) Anlage 11 10650 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Patrick Schnieder (A) ses Recht schon heute wahrnehmen können, und zwar in Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (C) der vollen Ausprägung, ohne Einschränkung. Jeder Ab- ses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus- geordnete kann unbeschränkt Fragen stellen. Sie gehen schuss) über den Präsidenten, sie werden beantwortet, sie kom- Drucksache 19/8300 men zurück, werden veröffentlicht. Ich weiß nicht, was man noch mehr regeln soll. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Recht und Verbrau- Natürlich kann man überlegen: Muss das in unsere cherschutz (6. Ausschuss) Geschäftsordnung? Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder regele ich das in der Geschäftsordnung und be- – zu dem Antrag der Abgeordneten Niema schränke das Recht – das käme für uns nicht infrage –, Movassat, Doris Achelwilm, Pascal Meiser, oder es ist eine rein deklaratorische Regelung. Das kann weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE man machen, macht aber auch keinen großen Sinn. Inso- LINKE fern halten wir das für überflüssig. Wir sehen hier kein Presse, Arbeitnehmervertretung und besonderes Regelungsbedürfnis. Whistleblower im Geschäftsgeheimnisge- Das, was hier geliefert worden ist, hat gezeigt, dass es setz schützen um diese Fragestellung gar nicht geht. Es geht hier um – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Manuela etwas ganz anderes. Es geht um Verächtlichmachung von Rottmann, Beate Müller-Gemmeke, Tabea Institutionen. Es geht darum, Institutionen vorzuführen. Rößner, weiterer Abgeordneter und der Frak- Es ist bezeichnend, dass der Kollege Boehringer nicht ein tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wort zur Geschäftsordnung gesagt hat, sondern zu einer Materie referiert hat, die eigentlich in den Finanzaus- Geschäftsgeheimnisgesetz – Schutz für Ar- schuss gehört. beitnehmerinnen, Journalisten, Hinweisge- berinnen und Wirtschaft nachbessern (Marianne Schieder [SPD]: Er versteht nichts davon! Das ist das Problem!) Drucksachen 19/7704, 19/7453, 19/8300 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Der Antrag hier fällt in den Bereich der Geschäftsord- Entschließungsantrag der Fraktion der AfD vor. nung. Wir werden das dann im Geschäftsordnungsaus- schuss weiter behandeln. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt, nachdem der Kollege Dr. Fechner seine Rede zu Protokoll gegeben Also, ich kann nur sagen: Die Debatte ist vom Antrag- hat,2) (B) steller vollkommen am Ziel vorbeigeführt worden. Wir (D) halten eine Regelung überhaupt nicht für erforderlich. (Beifall der Abg. Saskia Esken [SPD]) Das werden wir zur Not im Ausschuss noch klären. der Kollege Fabian Jacobi, AfD-Fraktion. Vielen Dank. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wie bei Abgeordneten der FDP) Fabian Jacobi (AfD): Es kommt jetzt ein bisschen überraschend, dass der Kollege Dr. Fechner auch nicht mehr da ist. Schade. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank, Patrick Schnieder. – Die Rede von (Marianne Schieder [SPD]: Er ist schon da! Metin Hakverdi geht zu Protokoll.1) Augen auf!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Harmonie Damit schließe ich die Aussprache zu Tagesordnungs- ist etwas Schönes. Wenn alle gemeinsam rundum zufrie- punkt 16. Interfraktionell wird die Überweisung der den sind, dann ist das ein sehr angenehmer Zustand. Lei- Vorlage auf Drucksache 19/8558 an den Ausschuss für der muss ich in den süßen Wein der Selbstzufriedenheit, Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorge- den die Regierungsfraktionen kredenzen würden, wenn schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der sie denn sprechen täten, was sie gerade nicht tun, Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 17 a und NEN]: Es ist Fastenzeit!) 17 b: beträchtliche Mengen Wasser gießen. Wir werden die- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- sen Gesetzentwurf ablehnen, dabei wäre ein Gesetz zum regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Schutz von Geschäftsgeheimnissen durchaus sinnvoll. zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor Der Wohlstand in Deutschland resultiert bekanntlich rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger nicht aus reichlichen Bodenschätzen oder aus Massen Nutzung und Offenlegung von möglichst billigen Arbeitskräften, sondern daraus, dass unzählige Unternehmen tagtäglich neue, bessere Drucksache 19/4724 Produkte und Verfahren entwickeln, Unternehmen, die

1) Anlage 11 2) Anlage 12 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10651

Fabian Jacobi (A) darauf angewiesen sind, dass der von ihnen geschaffene deckung eines Fehlverhaltens handelt. Diese Einschrän- (C) Vorsprung an Wissen und Können vor einem Ausspio- kung bezieht sich nicht allein auf die Aufdeckung von nieren oder Veröffentlichen geschützt wird. Etliches rechtswidrigem Verhalten, was ja sinnvoll und objektiv lässt sich als Patent, als Marke, als Gebrauchs- oder eingrenzbar wäre, sondern auf jegliches, auch bloß mora- Geschmacksmuster schützen, aber längst nicht alle re- lisches Fehlverhalten. Beide Ausnahmetatbestände sind levanten Verfahren und Kenntnisse. Für die bisher nur derart unsachgemäß und unbestimmt, dass der eigentlich lückenhaft rechtlich geschützten Geschäftsgeheimnisse intendierte Schutz erheblich entwertet wird. Es taugt also Regelungen zu schaffen, wäre also eine sinnvolle Aufga- schon die EU-Richtlinie nichts. Der Versuch, daraus ein be für den Deutschen Bundestag als Gesetzgeber. Das ist deutsches Gesetz zu machen, hat es nicht besser gemacht. allerdings ziemlich schiefgegangen. (Beifall bei der AfD) Das geht schon damit los, dass es einen deutschen Ge- setzgeber in weiten Bereichen und so auch hier nur noch Die Grünen wollten der Definition des Geschäftsge- dem Namen nach gibt. Das Reichstagsgebäude steht hier heimnisses ein weiteres Tatbestandsmerkmal hinzufü- wie eh und je, die Abgeordneten – mehr denn je – tum- gen: das berechtigte Interesse an der Geheimhaltung. Ich meln sich darin, halten Reden, stimmen ab. Der ganze habe schon neulich hier darauf hingewiesen, dass wir als äußere Schein von Gesetzgebung ist vorhanden, aber Bundestag das gar nicht zu entscheiden haben, weil die entschieden wird woanders. Die EU hat eine Richtlinie Richtlinie den Begriff des Geschäftsgeheimnisses schon erlassen. Richtlinie bedeutet, dass eigentlich nur Grund- definiert. Im Ausschuss hat die Bundesregierung meine linien einer Regelung von der EU vorgeschrieben wer- Einschätzung ausdrücklich geteilt. Das hat die Regie- den, die der Bundestag umsetzen, also mit Einzelheiten rungsfraktionen nicht gehindert, auf den Wunsch der ausfüllen darf. So wird in vielen Bereichen die Illusion Grünen hin den Gesetzentwurf in deren Sinne abzuän- aufrechterhalten, dass wir etwas zu entscheiden hätten. dern. (Beifall bei der AfD) (Niema Movassat [DIE LINKE]: Übrigens auch auf Wunsch der Linken! Das wollen wir Hier ist nun die Richtlinie so konkret geraten, dass mal festhalten!) der Bereich eigener Entscheidung kaum auszumachen ist. Folgerichtig hat die Bundesregierung für ihren Ge- Wenn man schon nichts zu entscheiden hat, einfach mal setzentwurf die Übersetzung der Richtlinie aus der engli- so tun, als ob. – Auch schön! schen in die deutsche Sprache hergenommen und sie im So finden wir in dem Gesetzentwurf, wie er heute be- Wesentlichen abgeschrieben. Nun mögen manche oder schlossen wird, Folgendes. Legt man den § 2 und den § 5 viele gar keinen Wert auf Selbstbestimmung legen. Man einmal nebeneinander, stellt man fest: Ein Geschäftsge- (B) kann – zumindest erweckt die Mehrheit dieses Hauses heimnis wird von diesem Gesetz geschützt, wenn ein be- (D) den Eindruck – mit Fremdbestimmung ganz zufrieden rechtigtes Interesse besteht, es geheim zu halten. Ein Ge- leben, wenn einem deren Ergebnisse gefallen. Diese Ein- heimnis wird von diesem Gesetz nicht geschützt, wenn stellung lehnen wir ab. Wohl oder übel müssen wir uns ein berechtigtes Interesse besteht, es zu verbreiten. – aber mit der Frage beschäftigen, ob die Richtlinie der EU Wahrlich eine lichtvolle Erkenntnis, leider aber inhalts- etwas taugt. leer; denn was nun tatsächlich wann geschützt wird und Ein Punkt sei herausgegriffen, der uns so schwerwie- wann nicht, das können die von dem Gesetz Betroffenen gend erschien, dass wir ihn zum Gegenstand eines geson- einstweilen auswürfeln oder vielleicht aus den Eingewei- derten Antrages gemacht haben, über den gleich eben- den eines Hahnes lesen. falls abgestimmt wird. Die Richtlinie beschreibt, was ein (Beifall bei der AfD) Geschäftsgeheimnis sein und wovor es geschützt sein soll, insbesondere vor dem unbefugten Ausspähen und Als Gesetzgebung ist das eine Luftnummer, eine Si- Verbreiten. Dann erklärt sie das zur Makulatur und hebt mulation von Gesetzgebung. Wir lehnen die Verabschie- den Schutz der Geschäftsgeheimnisse wieder auf, wenn dung dieses mangelhaften Gesetzes ab. der Täter handelt „zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit“. Vielen Dank, schönen Abend. (Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der AfD – Dr. Johannes Fechner GRÜNEN]: Ja, das ist Selbstbestimmung! Da- [SPD]: Ohne etwas gesagt zu haben!) von haben Sie keine Ahnung!) Nun sind diese Grundrechte, Meinungsäußerungs- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: und Informationsfreiheit, zweifellos überragend wichtig. Ich erteile das Wort der Kollegin Elisabeth Allerdings handelt es sich um Abwehrrechte des Bürgers Winkelmeier-Becker, CDU/CSU-Fraktion. gegen staatliche Zensur. Sie sind nicht geeignet, als Be- (Beifall bei der CDU/CSU) gründung für private Eingriffe in Vermögensrechte ande- rer Bürger wie Geschäftsgeheimnisse zu dienen. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): (Beifall bei der AfD) Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- Es folgt ein weiterer Ausnahmetatbestand in der gen! Das Gesetz, mit dem wir uns heute beschäftigen, Richtlinie, nach dem der Schutz der Geschäftsgeheim- setzt die Know-how-Richtlinie um, und es beschäftigt nisse auch dann nicht gelten soll, wenn jemand zur Auf- sich mit zwei ganz unterschiedlichen Bereichen. 10652 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Elisabeth Winkelmeier-Becker (A) Zum einen – das steht im Mittelpunkt, das wollen wir kreative Steuergestaltung nach Luxemburger Recht be- (C) auch hier an den Anfang setzen – geht es darum, davor trieben haben. Da hat man gesagt: Hier wollen wir nicht zu schützen, dass Geschäftsgeheimnisse von Konkurren- dem Whistleblower, dem Hinweisgeber, die Prüfung ten sozusagen ausgespäht werden, dass sich jemand den aufgeben, ob es schon den Grad der Rechtswidrigkeit er- wirtschaftlichen Wert, den dieses Geheimnis darstellt, reicht hat oder nur ein deutliches Fehlverhalten vorliegt. selber aneignet. Dieser europaweite Schutz ist ganz Deshalb hat man sich für diesen weiten Begriff entschie- wichtig. Davon profitieren gerade die deutschen Unter- den. Ich finde das nachvollziehbar. nehmen, die exportstark sind; 60 Prozent ihres Exportes Ich denke, dass auf der anderen Seite auch die Verhält- gehen in die Europäische Union. Jetzt können sie gewiss nismäßigkeit geprüft werden muss; denn auch aufseiten sein, dass es überall einheitliche Standards gibt. Das war des Unternehmens sind natürlich Grundrechte zu beach- auch der Grund, weshalb zum Beispiel die Sachverstän- ten. Wir finden das zum einen in den Erwägungsgrün- dige, die der Deutsche Industrie- und Handelskammertag den der Richtlinie und zum anderen in der Begründung in die Anhörung geschickt hat, das Gesetz begrüßt hat. des Gesetzes wieder. Hier wird von einem gewissen Ge- Zum anderen geht es um die Situation, dass ein Ge- wicht, von einer unmittelbaren Relevanz gesprochen, die schäftsgeheimnis bekannt gemacht wird, um auf ein das sonstige Fehlverhalten haben muss. rechtswidriges Verhalten oder eben auch auf ein Fehlver- Es lag uns am Herzen, auch den Begriff der Geeig- halten hinzuweisen. In der Tat gibt uns die Richtlinie da netheit aufzunehmen. § 5 fordert jetzt, dass die Bekannt- einige verbindliche Vorgaben, die wir nun durchaus in machung des Geheimnisses geeignet sein muss, dem eigener Verantwortung umsetzen. Für uns war klar, dass öffentlichen Interesse zu dienen. Es reicht also nicht, der Schutz, den Journalisten, Arbeitnehmervertretungen wenn der Grund nur in der Fantasie des Whistleblowers sowie Whistleblower bzw. Hinweisgeber, die Kenntnis besteht oder er eigene, besonders strikte ethische Kriteri- über Fehlverhalten haben und dieses öffentlich bekannt en anlegt. Da muss er sich schon einem objektivierbaren machen, aufgrund der bestehenden gesetzlichen Rege- Rechtsverständnis stellen. lungen und der Rechtsprechung heute genießen, nicht beschränkt werden soll. Ursprünglich wurde hier im Gesetzentwurf von „Rechtfertigung“ gesprochen. Die Richtlinie verlangt al- Wir haben uns deshalb auch sehr genau angehört, lerdings von den Mitgliedstaaten, dass ein Antrag auf die was die Vertreter der betroffenen Bereiche gesagt haben. in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen abgelehnt Vertreter der Gewerkschaften und durchaus ernstzuneh- wird, wenn die genannten Ausnahmen erfüllt sind. mender Medien haben uns darauf hingewiesen, dass das Merkmal des berechtigten Interesses eine wichtige Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (B) Ergänzung der Definition des Begriffs des Geschäftsge- (D) heimnisses ist; denn es entspricht der bisherigen Recht- Frau Kollegin, es ist spät geworden. sprechung, und dahinter wollten wir nicht zurückfallen. Ansonsten wären die Aspekte, die jetzt im Rahmen der Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Prüfung des berechtigten Interesses anzustellen sind, Die Erfüllung der Ausnahmen führt also dazu, dass in weiteren Stufen der rechtlichen Prüfung, wie sie die keine Maßnahmen nach der Richtlinie ergriffen werden Richtlinie im Übrigen vorsieht, zu berücksichtigen ge- können. Wir finden, dass das mit der Bereichsausnahme, wesen. Wir haben uns das zu Herzen genommen, weil es die wir jetzt vorsehen, besser umgesetzt ist, und finden, nachvollziehbar war, als uns die Sachverständigen hier dass wir punktuell gezielte Verbesserungen angebracht vor sogenannten Chilling Effects gewarnt haben; denn haben. Deshalb entscheiden wir uns jetzt auch dafür, das sie können de facto die Pressefreiheit einschränken, und Gesetz zu beschließen und umzusetzen. das wollten wir nicht. Vielen Dank. Wir finden im Übrigen auch den konkreten Anknüp- fungspunkt für das zusätzliche Merkmal „legitimes In- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- teresse“ in der Definition des Begriffs des Geschäftsge- ordneten der SPD) heimnisses, in Erwägungsgrund 14 der Richtlinie, und sind hier aus unserer Sicht bei der Umsetzung der Richt- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: linie ganz klar auf der sicheren Seite. Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Roman Es ist wohl richtig, dass die Ausnahmen weit gefasst Müller-Böhm. sind. Es geht hier um die Bereiche des rechtswidrigen (Beifall bei der FDP) Handelns und des Fehlverhaltens, für die einem sofort große Beispiele einfallen. Man könnte hier an den Cum/ Roman Müller-Böhm (FDP): Ex-Skandal denken, der den Namen „Skandal“ wirklich verdient und sicherlich unter „rechtswidriges Verhalten“ Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und fällt. Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf sicherlich Wir haben gehört, dass man sich in den Beratungen einen sehr denkwürdigen Prozess gesehen. Angefan- ganz bewusst für den weiten Begriff „Fehlverhalten“ – gen – das muss man so deutlich sagen – mit einem sehr sonstiges Fehlverhalten, berufliches Fehlverhalten – ent- unausgewogenen Entwurf, den wir hier in der ersten Le- schieden hat, als der Skandal der Luxemburg Leaks auf- sung beraten haben; es kam hinterher zu einer Anhörung kam, als es darum ging, dass Großunternehmen eine sehr und – wegen der Anträge der Linken und der Grünen – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10653

Roman Müller-Böhm (A) dankenswerterweise zu einer erneuten Debatte hier im des vorherigen Jahrhunderts. Wer sich in der Geschichte (C) Plenum. ein bisschen auskennt, weiß, dass da an der einen oder anderen Stelle durchaus, ja, sehr zweifelhafte Geschäfte Ich möchte positiv hervorheben, dass die Große Koa- gelaufen sind und es durchaus ein berechtigtes Interesse lition dann hingegangen ist und durch einen Änderungs- heute gibt, diese aufzuklären. Dieser Mann hat damals antrag insbesondere im Bereich der Presse Verbesse- etwas sehr Gewagtes getan: Er hat diese Bücher mitge- rungen am Gesetzentwurf herbeigeführt hat. Jetzt ist es nommen, hat dann politisches Asyl in den USA bekom- sicherlich nicht so, dass all die Ideen, die wir hatten, etwa men, hat das veröffentlicht. Heute kann die Geschichts- die Idee einer kompletten Ausnahme für den Bereich des schreibung deswegen darüber berichten. Das wäre nicht Presserechtes, darin aufgenommen wurden, aber immer- möglich, hin! (Stephan Brandner [AfD]: Wir wollen doch Was dann doch wieder sehr merkwürdig und denk- kein Schweizer Recht ändern!) würdig an der ganzen Geschichte erscheint, ist, dass dann die von Ihnen selbst getragene Bundesregierung im wenn Sie sozusagen Ihren Antrag hier durchsetzen. Des- Ausschuss an der Stelle eine andere bzw. differenzierte wegen werden wir das ablehnen, können wir das so nicht Bewertung der Änderungen vorgenommen hat. Es ist in mittragen. dem ganzen Verfahren irgendwie ausgesprochen merk- würdig, dass auf der einen Seite ein Gesetzentwurf hier Vielen Dank. ins Plenum gekommen ist, der anscheinend nicht mit der (Beifall bei der FDP) Koalition abgesprochen war, und die Regierung auf der anderen Seite hinterher, als der Gesetzentwurf im Aus- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schuss – mit der Regierung und den Koalitionsfrakti- onen – besprochen wurde, sagte, sie könne das Ganze Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner nicht mittragen. Das ist auf jeden Fall irgendwie peinlich erhält das Wort für die Fraktion Die Linke der Kollege für Sie. Niema Movassat. Festzuhalten bleibt: Es kommt bei dem, was Sie hier Niema Movassat (DIE LINKE): machen, zu einem doppelten Ungleichgewicht. Das führt auch dazu, dass wir diesem Gesetzentwurf am Ende nicht Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letztens zustimmen können. Ein Ungleichgewicht besteht deswe- hat Justizministerin Barley ein Video im Reality-Soap-­ gen, weil Sie auf der einen Seite in § 5 – das wurde hier Format hochgeladen, wo sie ihre neue Heimat Brüssel gerade schon mehrfach angesprochen – Rechtfertigungs- vorstellt: Sie lässt sich filmen, wie sie Pommes und Pra- (B) gründe wie beispielsweise das sonstige Fehlverhalten linen isst, und zeigt uns eine Kneipe, die 200 Biersorten (D) vorsehen, die quasi unendlich weit gefasst sein können, ausschenkt. Klingt ja alles irgendwie ganz nett; aber of- und auf der anderen Seite den Informantenschutz mit den fensichtlich ist sie so sehr mit ihrem Umzug nach Brüs- Auskunftspflichten nach § 8 weiterhin sehr stark aushöh- sel beschäftigt, dass sie nicht mehr so ganz mitbekommt, len. Da sagen wir: Das ist auf der einen Seite den Unter- was ihr Justizministerium so treibt. nehmen, die ein berechtigtes Interesse daran haben, dass (Beifall der Abg. Dr. Manuela Rottmann ihre Geheimnisse geschützt werden, nicht gerecht gewor- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Stephan den, und auf der anderen Seite wird auch den Informan- Brandner [AfD]: Bravo!) ten – so wie wir den Informantenschutz bisher kennen – nicht Rechnung getragen. Deswegen lehnen wir das ab. Das erklärt, warum ursprünglich so ein grottiger Entwurf für das Geschäftsgeheimnisgesetz, über das wir heute re- Meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfD, den, aus dem SPD-geführten Ministerium kam. Es geht Sie haben jüngst auch noch einen Entschließungsantrag bei diesem Gesetz um die Umsetzung einer EU-Richtli- eingebracht. nie, die darauf zielt, Geschäftsgeheimnisse noch mehr zu (Stephan Brandner [AfD]: Er ist gut, oder?) schützen. Es liegt auf der Hand, dass Geschäftsgeheim- nisse von Unternehmen in Konflikt zur Pressefreiheit, Da müssen wir leider auch sagen: Das können wir auch zu Rechten von Arbeitnehmern und zur Tätigkeit von nicht mittragen; es ist so. Ich möchte Ihnen auch kurz Whistleblowern geraten können. Der ursprüngliche Ge- verdeutlichen, warum. Was Sie hier schreiben, liest sich setzentwurf löste die Konflikte einseitig zugunsten der so, dass im Grunde auf gar keinen Fall mehr in Ge- Unternehmen und damit zulasten von Journalisten und schäftsgeheimnisse eingegriffen werden kann. Arbeitnehmervertretern. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, warum das Der schlechte Entwurf des Barley-Ministeriums für für uns auf gar keinen Fall geht, und ich frage mich, in- das Geschäftsgeheimnisgesetz sollte zunächst im Eilver- wieweit Sie da eventuell auch mit mir einer Meinung fahren durchs Parlament gehen. Nur weil wir als Linke sind. Das ist ein Fall vom 8. Januar 1997. Es gab einen intervenierten und eine öffentliche Anhörung beantragt Nachtwächter bei der UBS-Bank in der Schweiz, der lief haben, die Grüne und FDP unterstützten, ist alles anders durch die Gebäudehallen und kam in einen Schredder- gekommen. In der Anhörung wurde der Gesetzentwurf raum – etwas, was man vielleicht in der heutigen Zeit der Bundesregierung von den Experten auseinanderge- gar nicht mehr, zum Glück, so sehr braucht, aber damals nommen. CDU/CSU und SPD haben auf Druck der Op- anscheinend schon noch –, in diesem Schredderraum la- position, der Sachverständigen und von vielen anderen, gen Kassenbücher aus der zweiten Hälfte der 30er-Jahre wie etwa dem DGB, und auch aus Einsicht einen Ände- 10654 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Niema Movassat (A) rungsantrag eingereicht, der alle konkreten Forderungen, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) die wir als Linke und die die Grünen haben, beachtet hat. Vielen Dank, Herr Movassat. – Als nächste Rednerin erhält für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kolle- Erstens wurde, wie von uns gefordert, die Rechtfer- gin Tabea Rößner das Wort. tigungslösung entfernt und eine Bereichsausnahme für Arbeitnehmer und Journalisten eingeführt. Das bedeutet, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dass diese nicht mehr in den Anwendungsbereich des SES 90/DIE GRÜNEN) Gesetzes fallen. Eine bloße Rechtfertigungslösung hätte für Arbeitnehmer und Journalisten Folgendes bedeutet: Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Falle des Vorwurfs, sie hätten Geschäftsgeheimnisse Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja verraten, wäre es zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft schon ein kleines Wunder: Die Regierungsfraktionen ha- gekommen. Erst vor Gericht hätten sich die betroffenen ben sich besonnen und den Gesetzentwurf entscheidend Personen – mit all den verbundenen Prozesskosten – ver- überarbeitet – das habe ich in zehn Jahren Bundestag sel- teidigen können. Damit wäre besonders die Arbeit von ten erlebt. Insofern danke auch dafür! investigativen Journalisten gefährdet worden, die über Missstände in Betrieben berichten. Das ist zum Glück Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Sie sich erst be- vom Tisch. wegt haben, nachdem Ihnen Journalistenverbände und Medienhäuser ordentlich aufs Dach gestiegen sind, Sie (Beifall bei der LINKEN) die stichhaltigen Argumente der Sachverständigen in der Zweitens wurde die Definition, was überhaupt ein Ge- Anhörung nicht mehr von der Hand weisen konnten und schäftsgeheimnis ist, wie von uns gefordert verschärft. unser Änderungsantrag offensichtliche Lösungen aufge- Es wird nur noch ein berechtigtes Interesse an der Ge- zeigt hat. heimhaltung gefordert, damit ein betrieblicher Vorgang Die Änderungen am Gesetzentwurf stellen nun je- als ein Geschäftsgeheimnis gelten kann. Damit kann der denfalls sicher, dass zum einen die zugrundeliegende Arbeitgeber nicht mehr einfach alles zum Geschäftsge- EU-Richtlinie korrekt umgesetzt wird und zum anderen heimnis erklären. Das vermeidet Willkür, mit der etwa Verschlechterungen für Medienschaffende, Whistleblo- Arbeitnehmervertretungen gegängelt würden. Das ist wer wie auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer also eine sehr wichtige Änderung. abgewendet werden. Journalistinnen und Journalisten können aufgrund der Änderungen in § 5 des Gesetzes (Beifall bei der LINKEN) zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, in dem jetzt Meine Damen und Herren, es kommt leider viel zu eine Ausnahmeregelung statt eines Rechtfertigungsgrun- (B) selten vor, dass die regierungstragenden Fraktionen un- des verankert ist, nun grundsätzlich nicht mehr juristisch (D) abhängig agieren und, wie hier geschehen, selbstständig verfolgt werden, wenn sie Geschäftsgeheimnisse erlan- einen schlechten Regierungsentwurf korrigieren. Da gen, nutzen oder offenlegen. Ein Verfahren wie gegen sage ich an der Stelle einfach mal: Danke, das war gute den Correctiv-Chefredakteur Oliver Schröm, der ja den Arbeit von Ihnen! Milliardenbetrug rund um Cum/Ex aufdeckte, kann zu- künftig also hoffentlich nicht mehr eingeleitet werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Aber ich muss auch sagen: Es bleibt Fassungslosigkeit Aber stellen Sie sich vor, Sie müssten bei jedem Ge- darüber, wie so ein schlechter Entwurf aus dem SPD-ge- schäftsgeheimnis, von dem Sie erfahren, befürchten, dass führten Ministerium kommen konnte. Offenbar wollte die gegen Sie ein Strafverfahren eröffnet wird! Würden Sie Bundesregierung lieber einseitig Unternehmensinteres- das Risiko eingehen? Würden Journalisten dann noch sen zulasten der Pressefreiheit und der Rechte der Arbeit- investigativ recherchieren? Wohl kaum, und das wäre nehmerschaft durchsetzen. Ich muss sagen, die Krönung tatsächlich eine Einschränkung der Pressefreiheit. Zum war für mich, dass das SPD-geführte Justizministerium Glück ist dieses abgewehrt worden, und das entspricht noch in der Ausschusssitzung den ursprünglichen Ent- ja auch nur dem gesunden Menschenverstand: In einem wurf verteidigt hat und die Änderungen abgelehnt hat. Rechtsstaat müssen Übeltäter verfolgt werden, die ein In der Ausschusssitzung wurde das SPD-geführte Justiz- Unrecht begehen, und nicht die Whistleblower oder Jour- ministerium von der CDU/CSU links überholt; ich finde, nalisten oder Arbeitnehmer, die das Unrecht aufdecken. das ist ganz schön krass. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Meine Damen und Herren, die Änderungen der Koali- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) tion finden wir als Linke gut, weil sie das umfassen, was wir an konkreten Änderungen gefordert haben. Da wir Dass die AfD damit ein Problem hat, ist schon bezeich- aber insgesamt – das hatte ich im Ausschuss schon ge- nend für sich. sagt – einen schärferen Schutz von Geschäftsgeheimnis- Obwohl die Änderungen für mich ein kleiner Triumph sen, wie es die EU-Richtlinie fordert, ablehnen, werden der Demokratie und auch der engagierten Zivilgesell- wir uns zum Gesetz selbst enthalten. schaft sind, fürchte ich, dass es dennoch keinen Anlass Danke schön. für allgemeinen Optimismus gibt. Zum einen hat die Bundesregierung die Pressefreiheit nur vor einer Gefahr (Beifall bei der LINKEN) gerettet, die sie selbst heraufbeschworen hat, und zum Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10655

Tabea Rößner (A) anderen nutzt die Bundesregierung ja immer wieder Uwe Kamann, fraktionslos, und der Kollege Dr. Volker (C) Gelegenheiten, die Presse- und Meinungsfreiheit zu be- Ullrich, CDU/CSU-Fraktion – vorbildlich, finde ich.1) schneiden. Ich denke da zum Beispiel an den Landesver- ratsskandal rund um das Blog Netzpolitik.org vor einiger (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Zeit oder die aktuelle Debatte jetzt um Uploadfilter bei der SPD) der EU-Urheberrechtsreform. Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt wird jetzt zu uns sprechen die Kollegin Dr. Nina Scheer, Obwohl wir dem Gesetzentwurf in der geänderten SPD-Fraktion. Fassung unter dem Strich zustimmen werden, hätten Sie aus unserer Sicht deutlich weiter gehen können. Die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Pflicht haben Sie geliefert, die Kür fehlt noch. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Dr. Nina Scheer (SPD): SES 90/DIE GRÜNEN) Lieber Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Denn einige Aspekte aus der EU-Richtlinie werden auch Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb so- jetzt nicht umgesetzt: Es fehlen weiterhin Sanktions- wie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung hat in den möglichkeiten, falls ein Unternehmen eine offensichtlich letzten Monaten durchaus einige Hürden genommen. Ich unbegründete Klage wegen der rechtswidrigen Nutzung würde es aber auch positiv ausdrücken wollen – es ist oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses anstrebt. auch schon angeklungen –: dass wir ein Stück Demokra- Auch für den Geheimnisschutz im Zivilprozess sind tie gelebt haben, eine Sternstunde des Parlaments hatten, noch keine ausreichenden Regelungen vorgelegt worden. weil wir den Sinn und Zweck von Anhörungen sehr ernst Es fehlt zudem eine Ausnahme für die Forschung in der genommen haben. Das sollte eigentlich eine Selbstver- IT-Sicherheit; denn wer hier forscht, darf künftig nicht ständlichkeit sein; aber wir haben häufig volle Tagesord- mehr alle im Internet verfügbaren Informationen nutzen. nungen im Plenum, und vielleicht muss es uns auch mal Wir hatten zu diesen Punkten konkrete Vorschläge ge- zu denken geben, dass es auch so gehen kann. Häufig macht. Aber so weit hat die Vernunft bei Ihnen dann doch gelingt es so nicht, wie es bei diesem Gesetz gelungen ist. nicht gereicht – schade drum! Ich möchte damit gleichzeitig noch einen Appell an (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- die Opposition richten, das dann auch in diesem Sinne SES 90/DIE GRÜNEN) wertzuschätzen. Am schmerzhaftesten: Es fehlen weiterhin umfas- (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das haben sende Regelungen zum Hinweisgeberschutz, also zum wir doch gemacht!) (B) Schutz der Whistleblower. Am besten wäre es, Sie wür- (D) den endlich ein richtiges Whistleblower-Schutzgesetz – Ja, das haben Sie auch gemacht. Aber wenn Sie das mit auf den Weg bringen. Aber daran haben Sie offenbar kein einer Schelte an das Ministerium verknüpfen, dann muss Interesse. das ja im Umkehrschluss heißen, dass gar nichts mehr geändert werden dürfte an einem Gesetzentwurf. Also: (Dr. Johannes Fechner [SPD]: Blödsinn!) entweder – oder. Wir haben uns letztendlich fraktions- übergreifend auf sehr weitgehende Änderungen verstän- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: digt. Wir hatten im Ausschuss eine Zustimmung; außer Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss bitte. der AfD haben alle die Änderungen mitgemacht. Ich möchte hier noch mal sagen: Wir hatten in den Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): meisten Änderungspunkten durchaus die Unterstützung Ich komme zum Schluss. – Bei der abschließenden des Ministeriums. Es ist keineswegs so, dass das Ministe- Beratung über die Whistleblowerschutz-Richtlinie in rium sich gegen alles versperrt hätte. Letztendlich waren Brüssel hat sich die Bundesregierung nicht einmal betei- es zwei Punkte – auf die ich gleich noch kurz eingehe –, ligt. Da schaue ich düster in die Zukunft, wenn es um die die das Ministerium in der Tat nicht mit unterstützen nationale Umsetzung geht. Zum vorliegenden Gesetzent- wollte, weil es da rechtliche Bedenken hatte. Aber das wurf würde ich sagen: Gerade noch mal gut gegangen. – kann eben vorkommen. Wir können gut begründen – aus Aber wir bleiben wachsam! dem Parlament heraus –, warum wir das dennoch so ver- folgt haben. Wie gesagt: Die Änderungen sind vom Mi- Vielen Dank. nisterium letztendlich weitestgehend mitgetragen wor- den; das wollte ich hier noch mal dankend unterstreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jetzt aber zu den einzelnen Punkten. Ich möchte kurz Vizepräsident Wolfgang Kubicki: insoweit darauf eingehen, dass man sich vielleicht noch mal vergegenwärtigen sollte: Wir müssen hier, wie ge- Vielen Dank, Frau Kollegin Rößner. – Ich bin sicher, sagt, die Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnis- es ist allen bewusst, dass ich die Sitzungsleitung über- sen umsetzen. Und wie das eben mit Schutzbereichen ist: nommen habe und auf die Geschäftsordnung achten wer- Wo ein Schutz ist, da muss man schauen: Wie verhält de. es sich mit konfligierenden Interessen? Natürlich gibt Der Kollege Ingmar Jung, CDU/CSU-Fraktion, hat seine Rede zu Protokoll gegeben, ebenso der Kollege 1) Anlage 12 10656 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. Nina Scheer (A) es immer Abgrenzungen zu widerstreitenden Interessen. Dr. Nina Scheer (SPD): (C) Genau dort haben wir Nachbesserungsbedarfe gesehen. Ich schließe mit meiner Erkenntnis: Das war wirklich Dort, wo Geschäftsgeheimnisse vielleicht keinen Schutz eine Sternstunde des Parlaments. In diesem Sinne wün- mehr erfahren sollten, dort, wo es ein berechtigtes öffent- sche ich uns, dass wir noch weitere Schritte gehen kön- liches Interesse daran gibt, etwas zu erfahren, was sich im nen, auch wenn es um die Umsetzung der Whistleblo­ Bereich von Geschäftsgeheimnissen abspielt – wenn es wer-Richtlinie gehen wird. etwa darum geht, investigativen Journalismus zu betrei- ben, oder wenn auch Arbeitnehmer etwas thematisieren, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: in Kenntnis dieser Geschäftsgeheimnisse –, genau dort Frau Kollegin. muss es möglich sein, dass dies getan wird, dass darü- ber gesprochen wird, dass das aufgedeckt wird. Genau an dieser Stelle haben wir Nachbesserungen vorgenommen. Dr. Nina Scheer (SPD): Die wird dann noch kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vielen Dank. Wir haben bei der Definition des Geschäftsgeheim- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nisses angesetzt. Es stellte sich nämlich tatsächlich die der CDU/CSU) Frage: Ist das nicht einfach ein zu ausufernder Begriff? Der bisherige Begriff des Geschäftsgeheimnisses hat es Vizepräsident Wolfgang Kubicki: letztendlich weitestgehend in die Hände des Unterneh- Herzlichen Dank. – Mit diesen Worten schließe ich die mens gelegt, was überhaupt als Geschäftsgeheimnis gilt. Aussprache. Da haben wir gesagt: Nein, es muss auch ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung existieren – ohne dieses Tagesordnungspunkt 17 a. Wir kommen zur Ab- ist der Tatbestand eines Geschäftsgeheimnisses nicht ge- stimmung über den von der Bundesregierung ein- geben. Wir haben also an der Begriffsbestimmung etwas gebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung der geändert. Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäfts- geheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechts- Dann haben wir berücksichtigt, dass der Quellenschutz widriger Nutzung und Offenlegung. Der Ausschuss für auch gewährleistet sein muss. Das geht insbesondere die Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buch- Presse an. Wir haben den Rechtsverletzungsbegriff in § 4 stabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- in Bezug auf § 5 verändert. che 19/8300, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/4724 in der Ausschussfassung anzu- (B) Jetzt rennt mir die Zeit weg. Die wichtigsten Punkte nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in (D) kommen erst noch – gut, ich möchte keine Wertung vor- der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- nehmen. zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Eine Änderung gibt es auch in § 5: Da haben wir aus Enthaltung der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen den vorher genannten Rechtfertigungsgründen einen der Fraktionen der AfD und der FDP mit den Stimmen Ausnahmetatbestand gemacht – um eben gerade zu ver- der übrigen Mitglieder des Hauses angenommen. hindern, dass aufseiten des Journalismus die Unklarheit besteht: Mache ich hier etwas, wofür ich mich erst mal Dritte Beratung noch rechtfertigen müsste vor Gericht, oder mache ich und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem hier etwas, was definitiv, von vornherein, unter einen Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ausnahmetatbestand fällt? – Genau dafür haben wir uns Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der entschieden, das so zu machen. Gesetzentwurf, wiederum mit den Stimmen von CDU/ CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim- Das hat nach sich gezogen, dass wir in § 5 dann auch men von AfD und FDP bei Enthaltung der Fraktion Die noch eine Veränderung vorgenommen haben: Wir haben Linke, angenommen. versucht, eine Objektivierung hineinzubringen – das wurde schon angesprochen –: Es gibt keinen Absichtsbe- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- griff mehr, sondern man orientiert sich an der englischen antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/8610. Originalfassung der Richtlinie, in der eine Objektivie- Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das ist rung vorgenommen wurde. eindeutig. Wer stimmt dagegen? – (Zuruf von der CDU/CSU: Auch eindeutig!) Insgesamt möchte ich sehr herzlich danken für die sehr erfreuliche Zusammenarbeit, nicht nur in der Koa- Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Entschließungs- lition, sondern im Parlament insgesamt und letztendlich antrag gegen die Stimmen der Fraktion der AfD mit den auch mit dem Ministerium. Vielen Dank auch für die Stimmen der anderen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Kommunikation, die wir dabei hatten! Tagesordnungspunkt 17 b. Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz auf Drucksache 19/8300 Vizepräsident Wolfgang Kubicki: fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Frau Kollegin kommen Sie bitte zum Schluss. Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10657

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/7704 mit dem Ti- Bevölkerungsschutz wurde mit keinem einzigen Wort (C) tel „Presse, Arbeitnehmervertretung und Whistleblower erwähnt. Das zeigt, welchen Stellenwert dieses Thema im Geschäftsgeheimnisgesetz schützen“. Wer stimmt für beim Minister selbst und bei dem von ihm geführten diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Haus offensichtlich hat. Das ist schade; es ist aber auch Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung symptomatisch für die Behandlung des Themas, auch in bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ge- der Öffentlichkeit. gen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stim- Wenn Katastrophen eintreten, dann wird in den Me- men der übrigen Mitglieder des Hauses angenommen. dien groß und breit darüber berichtet. Wie man sich aber Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- auf Katastrophen vorbereiten kann, ist vielen keine Zeile fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- und keine Fernsehminute wert. Ganz im Gegenteil: Ver- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/7453 sucht es einmal ein Bundesminister, wie zum Beispiel mit dem Titel „Geschäftsgeheimnisgesetz – Schutz für Thomas de Maizière im Sommer 2016 mit seinem Zi- Arbeitnehmerinnen, Journalisten“ – und Journalistinnen vilschutzkonzept, dann macht man sich darüber tagelang natürlich – „Hinweisgeberinnen“ – und Hinweisgeber – in der Öffentlichkeit mit Begriffen wie „Hamsterkäufe“ „und Wirtschaft nachbessern“. Wer stimmt für diese Be- oder „Panikmache“ lustig. Dabei ist das Thema ernst und schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- braucht dringend die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. hält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Wir Freie Demokraten leisten heute einen Beitrag Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD bei Enthaltung dazu. Natürlich kann man sagen: Etwas früher am Tage der Fraktionen der FDP und der Linken gegen die Stim- wäre auch schön gewesen. Aber wir haben uns bewusst men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. dazu entschieden, das Thema nicht nur im Ausschuss Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: zu diskutieren, sondern es in die Herzkammer des Par- laments, hier in den Plenarsaal, zu tragen, damit sich Beratung des Antrags der Abgeordneten dieses Parlament auch einmal damit beschäftigt, wie wir Benjamin Strasser, Stephan Thomae, Grigorios den Katastrophenschutz und den Bevölkerungsschutz in Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- Zukunft aufstellen wollen. tion der FDP (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vorsorgestrukturen ausbauen – Ehrenamt in des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stärken Bei vielen Gesprächen, auch mit Trägern, wird deut- lich: Wir brauchen ein Konzept für die Risiko- und Kri- Drucksache 19/8541 senkommunikation, um die Bevölkerung auch über die (B) Überweisungsvorschlag: Grenzen des Bevölkerungsschutzes in Krisenlagen zu (D) Ausschuss für Inneres und Heimat informieren. Wir müssen für bestimmte Vorsorgemaß- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für nahmen sensibilisieren. Und: Ja, das geht – ohne Panik- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- mache und ohne Übertreibung. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der FDP) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Nur, wir müssen es eben auch tun und dürfen es nicht Redner dem geschätzten Kollegen Benjamin Strasser, einfach ignorieren. Ein erster Schritt wäre, endlich eine FDP-Fraktion, das Wort. konzeptunabhängige nationale Reserve für 50 000 Per- (Beifall bei der FDP) sonen aufzubauen, (Beifall bei der FDP) Benjamin Strasser (FDP): um den Bund im Falle einer Krisensituation sofort hand- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und lungsfähig zu machen. Das können wir und das müssen Kollegen! 2 Millionen Menschen in Deutschland enga- wir stemmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. gieren sich ehrenamtlich unmittelbar im Bevölkerungs- schutz und in der Katastrophenhilfe – 2 Millionen Men- (Beifall bei der FDP – Lachen des Abg. schen, die Leib und Leben riskieren, wenn beispielsweise Philipp Amthor [CDU/CSU]) Schneemassen Dächer einstürzen lassen oder wenn ein Unser Antrag hat viele gute Aspekte, nicht nur die Blackout der Stromversorgung ganze Landstriche lahm- Einführung eines gemeinsamen Messengerdienstes und legt; 2 Millionen Menschen, denen wir nicht nur Dank eine verstärkte Fortbildung. Ein Punkt ist mir persönlich schuldig sind, sondern die auch mehr Wertschätzung und besonders wichtig: Wenn es nicht nur warme Worte für Aufmerksamkeit verdient haben, als ihnen derzeit, auch ehrenamtliches Engagement geben soll, dann müssen wir vonseiten der Bundesregierung, zukommt. endlich dafür sorgen, dass es keine zwei Klassen von Eh- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, vor einer renamtlichen mehr gibt, Woche durften wir im Innenausschuss einen langatmigen (Beifall bei der FDP) Bericht des Bundesministers hören. Horst Seehofer refe- rierte mehr als eine Stunde lang über seine sogenannte nämlich die einen, die freigestellt werden, und die an- Erfolgsbilanz. Da war relativ wenig Erfolg, aber ein lan- deren, die sich für ihr Engagement lang und breit recht- ger Sprechzettel. Es wurde alles Mögliche thematisiert. fertigen müssen. Wir brauchen bundeseinheitliche Aber was bemerkenswert war: Der Katastrophen- und Gleichstellungsregeln für ehrenamtliche Helfer bei den 10658 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Benjamin Strasser (A) verschiedenen Hilfsorganisationen. Neben ehrenamtli- organisatorisch, finanziell und rechtlich zu erleichtern (C) chen Helfern bei Feuerwehr und THW soll auch ehren- und insbesondere berufliche oder andere praktische Hin- amtlichen Helfern der anderen Hilfsorganisationen ein derungsgründe zu beheben. Als CDU/CSU haben wir Anspruch auf Freistellung von der Arbeit und auf Ent- diese Ziele im vergangenen September mit einem Be- geltfortzahlung auch unterhalb des Katastrophenfalls schluss unseres Fraktionsvorstandes sowie als CSU im eingeräumt werden. Bundestag mit einem umfassenden Beschluss auf der Frühjahrsklausur der Landesgruppe jeweils klar unter- (Beifall bei der FDP) mauert. Wir werden bürokratische Hürden für die Eh- Das ist ein Maß an Wertschätzung, das alle verdient ha- renamtlichen weiter wirksam abbauen und unsinnige ben, die Leib und Leben für uns riskieren. Wir freuen Regelungen streichen. Wir werden die Rechts- und Pla- uns auf die Beratungen im Innenausschuss und wünschen nungssicherheit für Vereine und freiwillige Organisatio- uns, dass Sie unserem guten Antrag zustimmen. nen weiter erhöhen Vielen herzlichen Dank. (Benjamin Strasser [FDP]: Warum hat Horst (Beifall bei der FDP) Seehofer dann nicht darüber gesprochen, was Sie so viel beschlossen haben?) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und die Anerkennung und Wertschätzung für das Ehren- Vielen Dank, Herr Kollege Strasser. – Herr Kollege amt in unserem Land weiter steigern. Amthor, Sie sollten den Debattenbeiträgen der Kollegen intensiv folgen (Beifall bei der CDU/CSU) (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Mache ich Der Etat des THW ebenso wie der des Bundesamts doch!) für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Allein in und sich nicht lustig machen über die Vertretung. diesem Jahr konnten wir im parlamentarischen Verfah- Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege ren das THW mit einem Sanierungsprogramm für seine Michael Kuffer, CDU/CSU-Fraktion. Liegenschaften, mit der Neubeschaffung von Notstrom­ aggregaten und der Förderung der THW-Jugend weiter (Beifall bei der CDU/CSU) unterstützen. Wir haben eine ganze Reihe von Stellen im BBK geschaffen. Auch im Bereich des ergänzenden Ka- Michael Kuffer (CDU/CSU): tastrophenschutzes haben wir gehandelt und mit einem Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Sofortprogramm 100 Millionen Euro zusätzlich für die (B) FDP ist beim Thema Bevölkerungsschutz mit Vollgas Beschaffung von Fahrzeugen der freiwilligen Feuerweh- (D) unterwegs, ren bereitgestellt. (Beifall des Abg. Stephan Thomae [FDP]) Wir wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein gut sie ist mit vier Kollegen im Plenum anwesend. funktionierendes System verbessern und nicht, wie die FDP, ein gut funktionierendes System in absoluter Ah- nungslosigkeit schlechtreden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herr Kollege, es sind sechs – wir wollen bei der Wahr- (Beifall bei der CDU/CSU – Benjamin heit bleiben. Strasser [FDP]: Wo haben wir das denn ge- macht?) (Heiterkeit bei der FDP) Ihr Antrag – ich darf einen Satz zitieren – geht dahin, Michael Kuffer (CDU/CSU): „eine konzeptunabhängige nationale Reserve aufzubau- Die Union steht ein für den Zivil- und Bevölkerungs- en“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da führt überhaupt schutz und für das integrierte Hilfeleistungssystem der kein Weg hin, weil man so umfassende Unterbringungs- Hilfsgesellschaft und der Hilfsorganisationen. kapazitäten weder konzeptionslos noch ohne saubere Anbindung an die gesamte nichtpolizeiliche Sicherheits- Wir wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die- architektur aufhängen kann. Das geht schon aus einem ses System unabdingbar auf der ehrenamtlichen Leistung ganz einfachen Grund nicht: weil man nicht nur ans Ma- von bundesweit weit über 1 Million Menschen fußt – ei- terial denken darf – man muss solche Kapazitäten auch nem europaweit einzigartigen System, einem System, personell untersetzen, und dabei stolpert man permanent das so weder der Staat noch, liebe FDP, die Privatwirt- über das Problem der Duplizitäten und der Mehrfachver- schaft zur Verfügung stellen könnte, einem System, liebe wendung. Kolleginnen und Kollegen, das kein Selbstläufer ist, son- dern ein System und ein Engagement, das immer wieder Dann sprechen Sie von der Gleichstellung der Helfer von neuem gepflegt werden muss. im Katastrophenschutz. Sie haben nicht einmal verstan- den, dass wir hier im Deutschen Bundestag keinen Kata- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- strophenschutz machen, sondern dass das Länderaufgabe ordneten der FDP) ist; die Gleichstellung der Helfer ist Länderaufgabe. Tun Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag klare Vereinba- Sie mal was in den Ländern, in denen Sie Verantwortung rungen getroffen, um den Ehrenamtlichen ihre Tätigkeit tragen! Folgen Sie dem Beispiel Bayerns bei der Gleich- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10659

Michael Kuffer (A) stellung der Helfer, und halten Sie nicht solche Reden Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) hier! Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Johannes Huber, AfD-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Es geht hier um den Zivilschutz und nicht um den Kata- strophenschutz. Johannes Huber (AfD): Aber noch schlimmer ist der Vorstoß aus einem an- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! deren Grund. Wir haben bisher in der Frage Zivilschutz/ Knapp 2 Millionen Bürger sind in diesem Land ehren- Bevölkerungsschutz immer fraktionsübergreifend zu- amtliche Helfer. Sie sind die Helden des Alltags, die Tag sammengearbeitet. Die Uridee der Hilfsorganisationen, für Tag die Bevölkerung schützen, indem sie Brände lö- sie kennt keine Lager. Was diese Menschen brauchen, schen, Unfallopfer retten oder, wie im Januar 2019 beim ist eine politische Geschlossenheit im Sinne dauerhafter Katastrophenfall in Südbayern, umgestürzte Bäume aus Unterstützung dem Weg räumen, Lebensmittel in abgeschnittene Orte bringen und viele menschliche Katastrophen verhindern. (Benjamin Strasser [FDP]: Ist es verboten, Für diesen außerordentlichen Einsatz sind wir ihnen allen darüber zu diskutieren, Herr Kollege?) zu Dank verpflichtet. und nicht solche Reden, nicht solche Reden von einer (Beifall bei der AfD – Christoph Bernstiel Partei, die in Sonntagsreden das Hohelied des Ehren- [CDU/CSU]: Das stimmt! Da müssten wir ei- amtes singt, sich aber jedes Mal, wenn es darum geht, gentlich klatschen!) die ehrenamtlichen Hilfsorganisationen und ihre frei- willigen Helfer vor ruinösen Wettbewerbseinflüssen zu Trotz des hohen gesellschaftlichen Stellenwerts haben schützen, querstellt. Wenn es darum geht, die Interessen die Blaulichtorganisationen oftmals mit massiven Nach- gewerblicher Unternehmen, internationaler Konzerne zu wuchsproblemen zu kämpfen. Hinzu kommt der Investi- fördern, Stichwort „Rettungswesen“, sind Sie jedes Mal tionsstau beim THW. mit dabei. Sie stellen sich jedes Mal quer, wenn es um (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Was? den Schutz der Hilfsorganisationen geht. Ich zitiere nur Stimmt doch gar nicht!) einmal Ihren Kollegen Bornhöft, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Kieler Landtag: Der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes for- dert, dass die vom Bund bereitgestellten Mittel mindes- Die teilweise geforderte sehr enge Verknüpfung von tens verdoppelt werden. (B) Rettungsdienst mit dem Katastrophenschutz birgt (D) die Gefahr, dass Leistungen des Rettungsdienstes (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Was?) nicht mehr wie bisher von den Krankenkassen ge- Die Bundesregierung kommt also ihrer Aufgabe, den tragen werden müssten. Die … Abgrenzung … wäre Katastrophenschutz der Länder mit entwickelter Aus- hinfällig … stattung für den Zivilschutz zu unterstützen, nicht ausrei- (Stephan Thomae [FDP]: Ihre Rede ist chend nach und hat mit der Aussetzung der Wehrpflicht schwer verständlich, Herr Kollege!) und des Zivildienstes die Probleme sogar selber geschaf- fen. Sie haben wirklich nichts verstanden vom integrier- (Christoph de Vries [CDU/CSU]: Gerücht!) ten Hilfeleistungssystem. Die Verzahnung ist notwendig, damit die Bereichsausnahme Rettungsdienst funktioniert Die Wiedereinführung wäre die Lösung. und wir den Rettungsdienst vor Wettbewerbseinflüssen schützen können. Der Rettungsdienst ist integraler Be- (Beifall bei der AfD) standteil des Bevölkerungsschutzes. Gleichzeitig bewegen wir uns dank der instabilen grü- nen Energiepolitik, die auch die FDP zu verantworten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: hat, immer näher hin zu einem Blackout. Am 10. Janu- ar 2019 um 21 Uhr wäre es beinahe so weit gewesen. Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss. Die Stromfrequenz im europäischen Stromnetz sank nämlich deutlich unter 50 Hertz und damit kritisch nahe Michael Kuffer (CDU/CSU): an die Grenze von 48 Hertz heran. Nach dem „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2014“ hätte Lösen Sie ihn heraus, gefährden Sie das Gesamtsys- das fatale Folgen gehabt. Wenn der Strom auch nur bei tem. Nicht das Mindeste haben Sie verstanden. circa 6,3 Millionen Bürgern ausfällt, hätten wir ungefähr 1 000 Tote zu beklagen – auch weil 300 000 Bürger nach Arbeiten Sie in den Ländern vernünftig mit, und geben drei Wochen noch immer keinen Strom hätten. Sie diese Obstruktionshaltung bei der Frage auf! Dann können wir hier vernünftig miteinander diskutieren. (Christoph de Vries [CDU/CSU]: Kompletter Unsinn, was Sie erzählen!) Danke. Im Jahr 2018 mussten österreichische Gasturbinen sogar (Beifall bei der CDU/CSU) exakt an 100 Tagen die Netzstabilität aufrechterhalten. 10660 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Johannes Huber (A) Die beste Krisenvorsorge ist also eine Umkehr von der Asylbewerber, die unsere Rettungskräfte angreifen, ha- (C) „dümmsten Energiepolitik der Welt“, die die deutsche ben unsere Solidarität mit Sicherheit nicht verdient. Bundesregierung laut „The Wall Street Journal“ betreibt. (Beifall bei der AfD – Christoph de Vries (Beifall bei der AfD – Ralph Lenkert [DIE [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie endlich wieder bei LINKE]: Das ist Schwachsinn, was Sie erzäh- Ihrem Thema!) len! Der Stromhandel und die Spekulationen Ich kann Ihnen zu dieser glorreichen Idee aber auch waren am 10. Januar dafür verantwortlich! ein ganz konkretes Beispiel nennen: Der Geschäftsführer Befassen Sie sich mit den Fakten! – Gegenruf des Arbeiter-Samariter-Bundes in Hannover sitzt gerade des Abg. Dr. Michael Espendiller [AfD]: Geh in Haft und wird beschuldigt, von den 8 Millionen Euro, nach Hause!) die das BMI den Samaritern in der Migrationskrise pau- schal zur Verfügung gestellt hat, Anstatt sich um die Versorgungssicherheit der Bürger zu kümmern, möchte der CSU-Politiker Manfred Weber, (Konstantin Kuhle [FDP]: Bingo! – Heiter- sollte er zum EU-Kommissionspräsidenten gewählt wer- keit bei der FDP) den, alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um die im Bau befindliche Gaspipeline Nord Stream 2 zu stop- ganze 3,5 Millionen Euro auf Konten im Libanon verun- pen. Wir wissen aus der LÜKEX-Übung 2018 – auch Die treut zu haben. Der Schutz der Bevölkerung scheint für Linke –, dass vor allem Privathaushalte nicht auf eine die Spitze des Arbeiter-Samariter-Bundes also nicht die Gasmangellage vorbereitet sind. erste Priorität zu haben. (Marianne Schieder [SPD]: Kehren Sie mal (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Zur Sa- vor Ihrer eigenen Haustür!) che!) Ansonsten hätte sich der Vorsitzende des Verbandes und Diese unwürdige Machtspiel Webers gefährdet den SPD-Europaabgeordnete Knut Fleckenstein – den ken- Schutz der deutschen Bevölkerung, und das lehnen wir nen Sie – auch nicht geweigert, Erste-Hilfe-Kurse für ab. AfD-Mitarbeiter im Deutschen Bundestag abzuhalten. Bei der SPD findet man sogar unbarmherzige Samariter. (Beifall bei der AfD – Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Sie reden zum falschen Tages- Zuletzt an Herrn Strasser gerichtet: Hören auch Sie ordnungspunkt! – Ottmar von Holtz [BÜND- bitte auf, mit Ihren Kleinen Anfragen Menschen, die NIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsche Rede zum in berechtigter Sorge Wasservorräte anlegen, gleich als falschen Tagesordnungspunkt!) Rechtsextreme zu verdächtigen. (B) (D) Angesichts dieser Lage ist der FDP-Antrag jetzt nur (Beifall bei der AfD) ein halbherziger Versuch, das Thema anzusprechen. Sie Das wäre ein großer Beitrag zum Bevölkerungsschutz. erkennen, dass die NATO für Krisensituationen Betreu- ungsplätze für 2 Prozent der Bevölkerung vorhält. Das Vielen Dank. sind 1,6 Millionen. Was wollen Sie? Sie wollen Materi- (Beifall bei der AfD – Christoph de Vries al-, Lebensmittel- und Medikamentenreserven für 50 000 [CDU/CSU]: Sie haben bestimmt Kanister zu und eine ortsunabhängige Betreuungseinrichtung für Hause!) 15 000. Das reicht noch nicht einmal für Ihre eigenen Mitglieder. Aber zumindest kann man Ihnen hier keine Klientelpolitik vorwerfen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Als nächste Rednerin erhält das Wort für die SPD-Frak- (Beifall bei der AfD – Benjamin Strasser tion die Kollegin Elisabeth Kaiser. [FDP]: Tätä, tätä, tätä!) (Beifall bei der SPD) Stattdessen möchten Sie neue Migranten für diese Aufgaben begeistern. Elisabeth Kaiser (SPD): (Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen NEN]: Endlich, Migranten!) und Kollegen! Wir führen in der Politik oft und gerne das Wort „Ehrenamt“ im Mund. Deswegen möchte ich Unabhängig davon, dass die Einwohner, die es mit gleich zu Beginn sagen: Ehrenamtliches Engagement ist Deutschland ernst meinen, keine Absenkung kulturel- nicht selbstverständlich, insbesondere im Zivil- und Ka- ler und sprachlicher Hürden, die Sie fordern, brauchen, tastrophenschutz nicht. Unser Gemeinwesen und unsere prangern Sie den Respektverlust gegenüber den Einsatz- Sicherheit sind auf diese Freiwilligen angewiesen. Wir kräften an. Haben Sie den Fehler bemerkt? Sie wollen müssen die Rahmenbedingungen für deren Engagement jene, die unsere Sanitäter vermehrt angreifen, jetzt zu unbürokratisch gestalten. Insbesondere die Menschen, Sanitätern machen. die sich für andere einsetzen, verdienen unseren größten Respekt und unsere größte Anerkennung. In einer Gesell- (Benjamin Strasser [FDP]: Steht auch im An- schaft, in der der Respekt gegenüber Einsatzkräften zu- trag! Sie müssen ihn nur ganz lesen, nicht nur nehmend bröckelt, ist es besonders geboten, diejenigen eine Seite!) zu schützen, die durch ihr Ehrenamt unser Leben schüt- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10661

Elisabeth Kaiser (A) zen. An dieser Stelle geht mein herzlicher Dank an alle noch viele aufzählen –, wandeln sich, und neue kommen (C) Engagierten. hinzu. Deshalb müssen wir mit den zuständigen Stellen entsprechend reagieren und am Ball bleiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Einiges haben wir in den letzten Jahren bereits auf den SES 90/DIE GRÜNEN) Weg gebracht; aber es gibt auch noch einiges zu tun. Des- wegen ist auch der Debattenaufschlag von der FDP gar Seit einiger Zeit bin auch ich im THW engagiert und nicht so verkehrt. aktiv und auch im engen Austausch mit Feuerwehren und Rettungsdiensten. Dadurch konnte ich mich selbst davon (Beifall bei Abgeordneten der FDP) überzeugen, wie viel Leben die unzähligen Freiwilligen Wir haben uns interfraktionell darauf verständigt, das tagtäglich schützen und retten. Das wissen in unserer Be- Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophen- völkerung aber leider nur sehr wenige. hilfe zügig zu einem Bericht über die Krisenlagen in den Dass der Lebensretter der Nachbar sein kann, ist vie- zuständigen Innenausschuss einzuladen. len nicht bewusst, genauso wenig wie die Tatsache, selbst (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP Vorsorge für Krisenfälle treffen zu müssen. Deshalb gilt und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) es nicht nur, Anerkennung und Respekt gegenüber den Engagierten im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz So wollen wir uns auch über die aktuelle Situation und zu zeigen, sondern auch, die Bevölkerung mehr für die- die neuen Herausforderungen ein Bild machen; denn un- ses Thema zu sensibilisieren und entsprechend aufzuklä- sere Aufgabe ist es, für flexible Strukturen und Konzepte ren. Damit muss schon in der Schule begonnen werden, für den Bevölkerungsschutz zu sorgen und diese dann zum Beispiel mit der Befähigung zu lebensrettenden auch schnell in Gang zu bringen. Maßnahmen im Rahmen der Ersten Hilfe. Aber das kann Die erheblichen Haushaltsaufstockungen und Stellen- natürlich nur ein Grundstein sein, und mit der Schule darf schaffungen im letzten Jahr in diesem Bereich zeigen, das Thema in der Bevölkerung nicht abgeschlossen sein. dass die Regierungsfraktionen diese Aufgaben richtig (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) einschätzen und anpacken. Weil wir gerade bei der Schule sind: Es ist richtig und wichtig, schon früh damit zu beginnen, junge Menschen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: für Krisensituationen zu sensibilisieren und für das Eh- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. renamt bei der Feuerwehr, beim THW, beim DRK und bei anderen lebensrettenden Organisationen zu gewin- Elisabeth Kaiser (SPD): (B) nen; denn dieser Nachwuchs schafft Sicherheit für alle Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie so oft in der Po- (D) in der Zukunft. litik stehen wir vor neuen Herausforderungen, die wir tat- Die jungen Helferinnen und Helfer brauchen aber kräftig anpacken wollen, und das sollten wir gerne auch auch gute Ausbilder mit Erfahrung. Deshalb sollten sie gemeinsam tun. nicht auf das Know-how der fitten Alten verzichten müs- Vielen Dank. sen. Flexibilisierung in diesem Bereich heißt: Wer sich weiter im Ehrenamt engagieren will, soll nicht vor der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Rentenschranke stehen bleiben müssen. der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben dem Gewin- nen der Jungen und dem Halten der Alten brauchen wir Vizepräsident Wolfgang Kubicki: noch mehr Freiwillige, die mitten im Leben stehen. Für Menschen im mittleren Lebensalter müssen wir deshalb Vielen Dank, Frau Kollegin Kaiser. – Als Nächster er- noch bessere Anreize schaffen. hält das Wort der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke. Es gibt Zielgruppen, die wir bisher nur wenig ange- sprochen haben. Ich meine gerade auch Migrantinnen (Beifall bei der LINKEN) und Migranten und Frauen allgemein. Dafür brauchen wir neue Konzepte, einen Sprung über die Vorurteile Dr. André Hahn (DIE LINKE): hinweg, eine leichtere Anerkennung von Qualifikationen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ehren- und eine Werbekampagne, die auf diejenigen abzielt, die amtlich Engagierten sind die Stützen des Katastrophen- uns bisher fehlen. Die ehrenamtlich Tätigen erwarten und Bevölkerungsschutzes. Der Anteil von Ehrenamtli- aber auch, dass die Politik dafür starke Strukturen hinter chen in den Rettungs- und Hilfsorganisationen unseres den Organisationen etabliert, in denen sie tätig sind. Landes beträgt 94 Prozent. Das sind circa 1,8 Milli- onen freiwillige Helferinnen und Helfer. Herr Strasser Wir haben mit dem Bundesamt für Bevölkerungs- hat eben sogar eine noch höhere Zahl genannt. Fakt ist: schutz und Katastrophenhilfe, BBK, eine schlagkräftige Was diese Menschen leisten, ist wesentlich mehr als nur Behörde zur Krisenbewältigung, die sich schon oft be- eine Unterstützung des Staates bei der Erledigung seiner währt hat. Trotzdem gilt es, festzuhalten, dass sich die Kernaufgaben. Herausforderungen im Zivil- und Katastrophenschutz ständig ändern. Krisenlagen, wie Terrorattacken, Cyber- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- angriffe, Klimakatastrophen und Pandemien – ich könnte neten der FDP) 10662 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Dr. André Hahn (A) Ein wirksamer Katastrophenschutz ohne das Engage- der Bund seine Hausaufgaben im Bereich der ergänzen- (C) ment der zahlreichen Freiwilligen bei den Feuerwehren, den Unterstützung des Katastrophenschutzes erledigt. den privaten Hilfsorganisationen oder beim Technischen Derzeit scheinen vor allem die Feuerwehren nicht ausrei- Hilfswerk ist schlichtweg undenkbar. Diesen Menschen, chend ausgerüstet zu sein, um die Bevölkerung bei einer die viele Stunden ihrer Freizeit für andere opfern, gebüh- Großschadenslage, wie einem Chemieunfall, schützen zu ren unser Dank und unsere Anerkennung. können. Das sagen nicht wir, sondern das sagt Helmut Ziebs, der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes. (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD (Marian Wendt [CDU/CSU]: Hartmut!) und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Hartmut; völlig richtig. – Laut Hartmut Ziebs müssten Der demografische Wandel stellt das Ehrenamt im Zi- die vom Bund bereitgestellten Mittel für Neuanschaffun- vil- und Katastrophenschutz aber auch vor neue Heraus- gen auf dem Gebiet des Zivil- und Katastrophenschut- forderungen. Insbesondere im ländlichen Raum macht zes von aktuell 50 Millionen Euro pro Jahr mindestens sich neben den Folgen einer alternden Gesellschaft der verdoppelt werden, um den Investitionsstau in diesem Wegzug vor allem junger Menschen in die Metropolen Bereich halbwegs aufzulösen. Ich finde das alarmierend. bemerkbar. Hinzu kommt eine Situation auf dem Arbeits- markt, bei der von den Beschäftigten eine immer größere (Beifall bei der LINKEN) zeitliche Verfügbarkeit und räumliche Flexibilität erwar- Ich finde es nicht richtig, dass sich der Bund immer tet werden, und leider sind auch nicht alle Arbeitgeber mit der sogenannten Kompetenzverteilung nach dem bereit, ehrenamtliche Einsätze zu unterstützen. Damit Grundgesetz herausredet und sagt, er sei eigentlich gar Feuerwehren und Hilfsorganisationen angesichts dessen nicht zuständig. ausreichend Nachwuchs finden können, braucht es eine staatlich unterstützte Offensive, um Menschen auch in Zukunft für ein ehrenamtliches Engagement begeistern Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zu können. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall bei der LINKEN) Dr. André Hahn (DIE LINKE): Dabei geht es im Übrigen nicht nur darum, die Funk- tionsfähigkeit des Katastrophenschutzes sicherzustellen. Ich glaube, eine derartige Herangehensweise missach- Es gibt auch einen wichtigen sozialen Aspekt. In vielen tet die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes für ländlichen Gebieten – ich komme selber aus einer sol- den Bevölkerungsschutz. Man sollte sich nicht dahinter chen Region – ist die freiwillige Feuerwehr oft der letz- verschanzen. (B) (D) te Ort, an dem überhaupt noch gesellschaftliches Leben Die Linke wird weiter hartnäckig darauf drängen, stattfindet. Hier werden Werte wie Hilfsbereitschaft und dass der Bund seine Verpflichtungen wahrnimmt, und Zusammenhalt konkret gelebt, werden schon Kinder und ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss zu einem in Jugendliche an sinnvolle Aktivitäten herangeführt sowie vielen Punkten durchaus guten Antrag der FDP. Orts- und Vereinsfeste organisiert. Bei der Förderung des Ehrenamtes geht es daher nicht nur um den Erhalt der Herzlichen Dank. Sicherheit und der Hilfe, sondern auch um die Unterstüt- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zung einer Kultur des demokratischen und solidarischen neten der FDP) Miteinanders in unserem Land. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Meine Damen und Herren, die demografische Situa- Herzlichen Dank. – Als nächste Rednerin erteile ich tion erfordert auch eine größere Diversität bei den Feu- das Wort der Kollegin Dr. Irene Mihalic, Bündnis 90/Die erwehren und Rettungsorganisationen. Nach wie vor Grünen. sind Frauen, Senioren und Menschen mit Migrationsge- schichte weit unterrepräsentiert. Der Frauenanteil beim (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Technischen Hilfswerk liegt bei etwa 10 Prozent. Bei den Feuerwehren liegt er im Bundesdurchschnitt sogar Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): bei nur 7 Prozent, und von den Personen mit Migrati- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und onshintergrund, die sich ehrenamtlich engagieren, sind Herren! Wir fordern es seit langem: Das Ehrenamt im lediglich 3 Prozent im Bereich der Rettungsdienste und Bevölkerungsschutz und in der Katastrophenhilfe muss Feuerwehren tätig. Hier ist ein Strategiewechsel hin zu dringend gestärkt werden, und deshalb haben wir auch einer interkulturellen Öffnung und einer größeren Betei- schon vor zwei Jahren viele konkrete Vorschläge genau ligung von Frauen dringend erforderlich. zu diesem Thema gemacht und auch einen umfangrei- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. chen Antrag hier im Haus vorgelegt. Deshalb ist es gut, Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE dass wir das Thema heute anhand Ihres Antrags auch GRÜNEN]) noch mal beraten können; denn in vielen Punkten sind wir uns grundsätzlich einig. Ein ausreichendes Schutzniveau im Unglücksfall er- fordert auch, dass die Hilfs- und Rettungskräfte gut aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestattet sind. Hierbei ist es unbedingt erforderlich, dass sowie bei Abgeordneten der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10663

Dr. Irene Mihalic (A) Über 90 Prozent der Kräfte in den Organisationen – Klimakrise haben sich die Bedingungen grundlegend (C) diese Zahl ist eben schon gefallen – arbeiten ehrenamt- verändert. Schauen Sie sich alleine mal die letzten fünf lich, und dieses Engagement kann man gar nicht hoch Jahre an: Starkregenfälle und Hochwasser, Stürme, Hit- genug wertschätzen. Um diese Struktur beneiden uns üb- ze, Trockenheit und zuletzt die extremen Schneefälle. rigens auch viele europäische Länder; denn dadurch ist Auch die Feuerwehren sagen Ihnen, wenn Sie mit ihnen gewährleistet, dass auch das entlegenste Dorf durch eine sprechen, dass solche Ereignisse schon jetzt einen Groß- freiwillige Feuerwehr geschützt wird. Eine so ausgebaute teil aller Einsätze auslösen. Struktur gibt es sonst nirgends. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber dieses System steht seit einiger Zeit massiv un- Deswegen ist es richtig und wichtig, dieses Thema genau ter Druck. Der demografische Wandel, den der Kollege in den Blick zu nehmen. Hahn vorhin angesprochen hat, aber auch die Landflucht oder auch veränderte Lebensentwürfe von jungen Men- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen machen es jungen Menschen immer schwerer, sich Darüber hinaus ist auch der Ausbau der Vorsorge- wirklich freiwillig zu engagieren. Die Bundesregierung strukturen wichtig. Sie benennen in Ihrem Antrag die hat darauf bis heute keine Antwort. Dabei kommt sie ja Schwierigkeiten, die es bei der Unterbringung und Ver- selber in ihrer Konzeption Zivile Verteidigung zu dem sorgung vieler geflüchteter Menschen gegeben hat. Das Schluss, dass die Leistungsfähigkeit des ehrenamtlichen ist auch völlig richtig. Diese Aufgabe konnte seinerzeit Systems unter diesen Vorzeichen massiv gefährdet ist. nur unter erheblichen Kraftanstrengungen der Hilfsorga- Passiert ist seitdem praktisch nichts. nisationen gelöst werden, und das – das muss man auch (Christoph de Vries [CDU/CSU]: Stimmt sagen – unter ansonsten stabilen Bedingungen. Stellen doch gar nicht!) wir uns mal vor, dass die kurzfristige Unterbringung von so vielen Menschen mit einem großen Schadensereignis Herr Kuffer, ich habe in Ihrer Rede ganz oft „Wir wer- zusammengefallen wäre: Das System wäre kollabiert. den …“, „Wir werden …“, „Wir haben dieses, wir haben Das muss man einfach mal so sagen. Daher ist die Forde- jenes beschlossen“ gehört. „Wir machen“ wäre mal gut. rung, entsprechende Reserven zu schaffen und bereitzu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen, völlig richtig. sowie bei Abgeordneten der FDP – Christoph (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bernstiel [CDU/CSU]: Warten Sie mal auf sowie bei Abgeordneten der FDP) meine Rede!) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung darf Dazu kommt: Es wird lieber auf die Länderzuständigkeit das Thema Bevölkerungsschutz nicht mehr so stiefmüt- beim Katastrophenschutz verwiesen, anstatt dort, wo es (B) terlich behandeln und schon gar nicht immer mit dem (D) geht, selbst Verantwortung zu übernehmen. Das muss Finger auf die Länder zeigen. Die Länder und Kommu- sich dringend ändern. nen dürfen mit dieser wichtigen Frage nicht alleingelas- Neben der ergänzenden Ausstattung für die Länder sen werden, und den Freiwilligen muss dringend mehr bei der Modernisierung der Einsatzfahrzeuge brauchen Aufmerksamkeit geschenkt werden; denn die Frage des wir eben auch ein umfassendes Konzept zur Förderung Bevölkerungsschutzes ist eine Frage der öffentlichen Si- des Ehrenamts. Wir müssen dabei auch über die Öffnung cherheit. Behandeln wir sie auch so! der Blaulichtorganisationen für Gruppen reden, die dort Vielen Dank. bisher wenig vertreten sind. Wie können wir denn zum Beispiel mehr Frauen für die freiwillige Feuerwehr ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN winnen sowie bei Abgeordneten der FDP) (Zuruf von der AfD: Die könnten sich alle melden! Niemand hindert sie!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der Kollege Marian oder mehr Menschen mit Migrationshintergrund für das Wendt, CDU/CSU-Fraktion, und die Kollegin Svenja Technische Hilfswerk begeistern? Stadler, SPD-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll Meine Damen und Herren, die Herausforderungen im gegeben.1) Bevölkerungsschutz ändern sich. Wir müssen dringend Deshalb erteilte ich als letztem Redner zu diesem Ta- darauf reagieren, und die von der FDP beschriebenen gesordnungspunkt dem Kollegen Christoph Bernstiel, Veränderungen der Sicherheitslage sind ja auch nicht CDU/CSU-Fraktion, das Wort. grundsätzlich von der Hand zu weisen; das will ich noch mal ausdrücklich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber die größte Herausforderung lassen Sie in Ihrem Antrag ebenfalls außen vor, und zwar die Klimakrise. Christoph Bernstiel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Kollegen! Selbst in dieser doch sehr wichtigen Debatte SES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der schaffen es die Kollegen der AfD, der Linken und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Grünen mal wieder, Ideologie reinzubringen und vom Das wundert mich jetzt nicht; das Thema ist halt was für Profis. Deswegen sage ich Ihnen: Durch die Folgen der 1) Anlage 13 10664 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Christoph Bernstiel (A) eigentlichen Thema komplett abzulenken. Das finde ich Situationen, in denen selbst die beste Technik nichts hilft (C) wirklich schade. und in denen auch die Helfer nicht rechtzeitig vor Ort sein können. Für diese Fälle empfiehlt zum Beispiel das Naturkatastrophen wie im Jahr 2013, das Hochwasser, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophen- extreme Wetterlagen im Winter, die ganze Dörfer tage- hilfe, permanent mindestens 14 Liter Wasser pro Person, lang von der Außenwelt abschneiden, oder auch groß- mehrere Kilogramm haltbare Lebensmittel, Kerzen, Me- flächige Stromausfälle gehören mittlerweile zu unserem dikamente, Verbandsmaterial und diverse Hygieneartikel Alltag. Wir haben uns daran gewöhnt, dass THW, Feuer- für mindestens zwei Wochen zu Hause vorrätig zu hal- wehr und viele zivile Akteure uns schnell und professio- ten. Ich hätte Ihnen jetzt gern die dazu erstellte Broschü- nell aus diesen Lagen befreien und Hilfe leisten. Bestes re „Katastrophen-Alarm“ gezeigt, aber mir wurde gesagt, Beispiel ist der jüngste Stromausfall hier in Berlin, in das sei vom Präsidenten nicht so gern gesehen, und dem Köpenick, von dem 30 000 Haushalte betroffen waren. folge ich natürlich. Das THW versorgte Krankenhäuser mit Notstromaggre- gaten, die Feuerwehr brachte warmes Wasser, der Kata- Also: Der beste Schutz vor einer Katastrophe ist im- strophenschutz verteilte Lebensmittel. Dafür möchte ich mer noch, sich selbst zu schützen. Für alle anderen Fälle an dieser Stelle all den dort eingesetzten Kameradinnen haben wir unsere Helferorganisationen. und Kameraden einen herzlichen Dank auch im Namen meiner Fraktion aussprechen. Als letzten Gedanken möchte ich gerne noch sagen: Ich möchte den Unternehmen danken, die es möglich (Beifall bei der CDU/CSU) machen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich ge- Liebe FDP und eigentlich auch fast alle anderen, Be- nau in diesem Bereich betätigen, für viele Übungen und völkerungs- und Katastrophenschutz ist für uns in der für Weiterbildungen freizustellen. Mein Appell gilt den Union sehr wichtig und kein bloßes Lippenbekenntnis, Unternehmen, die es noch nicht tun: Sie sollten Ihre Mei- wie es uns hier eben vorgeworfen wurde. Dazu vielleicht nung vielleicht noch mal überdenken. – Damit beende mal ein paar Zahlen – die hätten Sie auch nachlesen kön- ich diese Debatte. nen –: Wir haben das Bundesamt für Bevölkerungsschutz Herzlichen Dank. und Katastrophenhilfe in den Jahren von 2017 bis 2019 mit fast 5 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln ausge- (Beifall bei der CDU/CSU) stattet, wir werden in diesem Jahr 22 zusätzliche Stellen schaffen, der Bund stellt insgesamt 160 Millionen Euro

für die Beschaffung von Einsatzfahrzeugen für die Kom- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: munen zur Verfügung – mein Kollege Kuffer hat rich- Herr Kollege, herzlichen Dank. – Sie haben Ihre Rede (B) tigerweise darauf hingewiesen, dass die Länder und die beendet. Die Debatte beende ich. Mit diesen Worten (D) Kommunen primär dafür zuständig sind –, und wir haben schließe ich jetzt die Aussprache. die THW-Jugend mit zusätzlich 290 000 Euro ausgestat- tet. Sie wissen es: Der Präsident der THW-Bundesverei- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf nigung ist Mitglied unserer Fraktion. Drucksache 19/8541 an den Ausschuss für Inneres und Heimat vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos- sen. Darüber hinaus stellen wir die Förderung des Ehren- amtes im BBK heraus; das ist ja eigentlich das Thema Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: dieser Debatte. Wir stellen nämlich zusätzlich zu den be- reits vorhandenen Mitteln eine halbe Million Euro mehr Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- zur Verfügung – explizit zur Förderung des Ehrenamtes richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- im BBK. sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Helin Evrim Wenn wir übrigens über Bevölkerungs- und Katastro- Sommer, Niema Movassat, Heike Hänsel, weite- phenschutz reden – darauf ist eigenartigerweise keiner rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE von Ihnen eingegangen –, dann dürfen wir natürlich auch die Bundeswehr und die zivil-militärische Zusammenar- Versöhnung mit Namibia – Entschuldigung beit nicht vergessen. und Verantwortung für den Völkermord in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestaf- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rika Ich selbst bin Mitglied in der Reservistenkameradschaft Drucksachen 19/1256, 19/4951 Halle, und ich kann mit Stolz sagen, dass die Kameradin- nen und Kameraden vor Ort in der Lage wären, jederzeit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für jede Form von ziviler und auch nichtziviler Einsatzlage die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- zu unterstützen. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ehrenamt- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- liches Engagement in Deutschland funktioniert nicht, ner das Wort dem Kollegen Matern von Marschall, CDU/ wie schon erwähnt, ohne die circa 1,7 Millionen Helfe- CSU-Fraktion. rinnen und Helfer – diese Zahl habe ich gehört –, die im Zivil- und Katastrophenschutz tätig sind. Doch es gibt (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10665

(A) Matern von Marschall (CDU/CSU): Insofern bitte ich Sie sehr herzlich, diesen Herrn Rukoro (C) Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen dort einmal einzubinden. und Herren! Wir sind hier um kurz vor Mitternacht zu- sammengekommen – nach einem 15‑stündigen Sitzungs- Ich hoffe, dass wir diesen Dialog nach unterdessen tag –, um einen Antrag der Linken zu debattieren. neun Verhandlungsrunden vielleicht noch vor den Wah- len in Namibia im November dieses Jahres erfolgreich (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Genau!) abschließen können. Es wird an eine Stiftung für Erin- Ich hoffe, das steht in Übereinstimmung mit Ihren Vor- nerungskultur gedacht. In anderen Teilen Deutschlands – stellungen von Arbeitszeit und Gesundheit; jedenfalls ist namentlich zum Beispiel von der grünen Wissenschafts- es ein ernstes Thema. ministerin in Baden-Württemberg, Theresia Bauer – sind übrigens schon wichtige Initiativen auf den Weg ge- Es geht um die historische Aufarbeitung der deutschen bracht worden, etwa die Rückgabe der Bibel von Hendrik Verantwortung in Namibia. Diese Verantwortung ist Witbooi – das liegt wenige Tage zurück –, die dort mit groß, und Deutschland nimmt sie sehr ernst. Ihr Antrag großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen wurde. trägt den Titel „Versöhnung mit Namibia“. Das ist an sich Ich glaube, diese Rückgabe ist ein sehr wichtiger symbo- erst mal gut. Ich will nachher noch beleuchten, ob Sie das lischer Schritt gewesen, so wie übrigens auch die Rück- auch wirklich meinen. gabe in einem noch viel sensibleren Bereich, nämlich die Im Jahr 2015 wurden unter dem seinerzeitigen Bun- Rückgabe menschlicher Gebeine. desaußenminister Frank-Walter Steinmeier Sonderbeauf- tragte, nämlich der vormalige Vorsitzende des Auswär- Wir wollen uns mit dieser Stiftung für Erinnerungs- tigen Ausschusses Ruprecht Polenz auf deutscher Seite kultur auf einen gemeinsamen Weg machen, um ein und Dr. Ngavirue auf namibischer Seite, eingesetzt, um gemeinsames historisches Verständnis und auch eine diesen strukturierten politischen Dialog zur Aufarbeitung gemeinsame Sprache über das Geschehene – auch das der kolonialen Vergangenheit – der dunklen kolonialen schreckliche Geschehene –, für das Deutschland Ver- Vergangenheit – gemeinsam auf den Weg zu bringen. Ich antwortung zu übernehmen hat, zu finden. Das ist ein betone „gemeinsam“; das ist ein Dialog der Regierungen. wichtiger Weg. Ich glaube, wir können dazu vieles tun, beispielsweise – das ist auch vorgesehen – den Austausch Von namibischer Seite steht er allen beteiligten und zwischen Parlamentariern und auch den Austausch zwi- insbesondere den betroffenen Gruppen offen; es machen schen jungen Menschen zu fördern. Ich selber bin im aber nicht alle Gruppen mit. Ich würde diejenigen – das richte ich jetzt mal an die Fraktion Die Linke –, die im Parlament Vertreter des Deutsch-Französischen Jugend- Moment nicht dabei sind, sehr ausdrücklich bitten und werkes. Wir haben in diesem Zusammenhang jahrzehnte- (B) (D) ermutigen und ermuntern, sich dort, nämlich unter dem lange sehr gute und wertvolle Erfahrung zur Aussöhnung Dach der Regierung, die allen betroffenen Gruppen of- gefunden. Ich denke, diese Analogie können wir dorthin fen gegenübersteht, einzufinden und an diesem Dialog übertragen. Der Austausch junger Menschen ist sicher teilzunehmen. ein ganz wichtiger Punkt. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Sie Schauen wir auf schon bestehende Initiativen. Ich will werden nicht einbezogen!) nur eine nennen, nämlich das Schuldorf Otjikondo, ei- – Sie wollen nicht. nen vormaligen Besitz aus der Familie von Trotha, von der die schrecklichen Taten auch herrühren. Dort ist eine (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Die Grundschule eingerichtet worden, an der 250 Kinder er- Regierung möchte das doch nicht!) folgreich unterrichtet werden. Sie gehört zu den besten Grundschulen im ganzen Land. – Ich kann Ihnen mal Folgendes sagen: Es geht – auch in Ihrem Antrag – um die Unterscheidung zwischen Das sind beispielhafte Projekte nicht nur historischer dem, wovon wir überzeugt sind, nämlich dass es sich Versöhnung, sondern auch mit Blick in die Zukunft, der um eine politisch-moralische Angelegenheit handelt, unsere gemeinsamen Beziehungen stärkt. Ich finde, da- und der Tatsache, dass Sie und auch Herr Rukoro weiter- ran sollten wir zusammen weiter arbeiten, alle zusam- hin vollkommen ohne jede Chance und auch ohne jede Berechtigung von einem rechtlichen Prozess sprechen. men. Zum dritten Mal ist vor einem New Yorker Gericht die Selbstverständlich werden wir Ihren Antrag ableh- Klage abgewiesen worden – nicht nur wegen der Immu- nen. Sie können dem zuvorkommen – das hielte ich für nität der Staaten, sondern offensichtlich auch wegen der Unbegründetheit dieses Antrages, insbesondere wegen sinnvoller –, indem Sie ihn zurückziehen und diejenigen, des Rückwirkungsverbotes in Bezug auf die UN-Völker- mit denen Sie zusammenarbeiten, auffordern, unter dem mordkonvention von 1948. Ihr Partner – wenn ich Herrn Dach der namibischen Regierung den Versöhnungsdia- Rukoro so nennen darf – sagt – ich zitiere jetzt mal aus log weiter auf guten Weg zu bringen, damit wir erfolg- dem, was ich den Medien entnommen habe –: „… der reich zu einem Abschluss kommen, vielleicht noch vor Krieg geht weiter …“. Ich bin nicht ganz sicher, ob es mit den Wahlen im November dieses Jahres. der Terminologie „… der Krieg geht weiter …“ gelingt, Versöhnung zu stiften. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) 10666 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Die Verfolgung der Hereros wurde von circa 1 500 (C) Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner deutschen Soldaten durchgeführt. Das Einsatzgebiet war spricht zu uns der Kollege Dietmar Friedhoff, AfD-Frak- so groß wie die Schweiz. Die Hereros befreiten sich aus tion. einer Zangenbewegung. Im Laufe der Gefechte und der Verfolgung kam eine ungewisse Zahl von Hereros ums (Beifall bei der AfD) Leben. Es gibt keine verlässlichen Zahlen. Ich möchte anmerken, dass jedes verlorene Leben auf beiden Seiten Dietmar Friedhoff (AfD): ein Leben zu viel ist, unentschuldbar und auf beiden Sei- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ten. Kollegen! Goethe sagte: Ich komme zur Schuldfrage. Trägt die Bundesrepu- Es waren verständige, geistreiche, lebhafte Men- blik die Schuld? Politisch wurde das mehrfach positiv schen, die wohl einsahen, dass die Summe unserer beantwortet. Juristisch kann man diese Frage nicht an- Existenz, durch Vernunft dividiert, niemals rein auf- ders beantworten, als sie bereits beantwortet wurde. gehe, sondern dass immer ein wunderlicher Bruch Juristische Maßstäbe unterliegen dem Wandel der Zeit. übrig bleibe. Aber das Recht des 21. Jahrhunderts kann nicht – mehr als 110 Jahre – in die Geschichte zurückgeführt werden. Dieser Bruch kann auch als Wertebruch in unserem Emp- finden, in unseren Handlungen und in unserer Kultur de- Darüber hinaus beklagen sich die Hereros, dass die finiert werden. Regierung in Namibia ihnen keine deutschen Entwick- lungsgelder zukommen lässt. Es ist also auch ein internes Für die weitere Beurteilung ist es wichtig, dass wir uns Problem, das nun auf offener Bühne politisch instrumen- im zeitlichen, sozialen und umfeldbedingten interkultu- talisiert wird. rellen Kontext dieser Geschichte nähern. Das schließt definitiv die Sichtweise von Herrn Adorno, Frankfurter Kommen wir, da es die Linken direkt betrifft, zur Schule, aus, der gesagt hat, dass es kein richtiges Leben Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Wir brauchen im falschen gibt. Denn es gibt sehr wohl Richtiges im kein tief rückwärtsgewandtes, einseitig betrachtendes Falschen: Genau daraus nehmen wir die Kraft und die deutsches Kolonialzeitverächtungsdenkmal – wie übri- Hoffnung für die Zukunft, und es ist die Basis unserer gens von Ihnen gefordert –, weil es in keiner Weise der christlichen Wertegemeinschaft. Geschichte gerecht wird. Frau Sommer, Die Linke setzt sich gerne mit der Vergangenheit auseinander. Als Nach- Alles in allem leiten wir aus diesen Erkenntnissen ab, folgepartei der SED haben sich Teile Ihrer Partei 1990 dass wir eine differenzierte Betrachtung dieser histori- und 2014 ebenfalls politisch entschuldigt, entschuldigt (B) schen Ereignisse vornehmen müssen. Denn wir wollen für die Drangsalierungen, Misshandlungen und Tötungen (D) damit verhindern, dass es 51 Jahre nach 1968 mit dem bei den Bürgern der ehemaligen DDR – politisch, nicht Hamburger Denkmalsturz, dem Sturz des Denkmals von juristisch. Ich zitiere aus n‑tv vom 8. November 2014: Hermann von Wissmann, wieder zu einer vereinheit- lichten Anprangerung deutscher Geschichte kommt und Gleichzeitig mahnt die Partei damit zu einer eventuell folgenden unkontrollierten Na- – Die Linke – mensänderungswut, der Änderung der Namen von Plät- zen und Straßen in deutschen Städten. jedoch auch, dass die Realität in der DDR komple- xer gewesen sei, als sie heute oft dargestellt werde. Auch im Falschen erscheint oft Gutes. Ich leite da- mit über zu Hermann von Wissmann, Gouverneur in Und weiter: Deutsch-Ostafrika, der 1895 sagte: Man soll Religion, Die Unterzeichner wenden sich zugleich gegen eine Sitten und Bräuche des Afrikaners strengstens respektie- „Schwarz-Weiß-Malerei“ bei der Erinnerung an die ren. Der Afrikaner soll erkennen, dass wir ein Herz für DDR, die dem Land und den Menschen ihn haben. – Von Wissmann selbst wird von Afrikanern als großer Afrikaner bezeichnet. Dazu kommt: Die Ara- überhaupt ber betrieben im Osten Afrikas Plantagen mit afrikani- nicht gerecht werde. schen Sklaven. Das Deutsche Kaiserreich entschloss sich, einzugreifen und den Sklavenhandel zu beenden. Genau das, Frau Sommer, wäre auch der richtige Maß- Also gab es neben der funktionierenden Land- und Vieh- stab für die Beurteilung der Geschichte in Namibia. wirtschaft der deutschen Siedler in einem funktionieren- Deutschland will auf der ganzen Welt Frieden schaffen den Wirtschaftsraum doch auch Gutes. und nimmt sich immer wieder jeder Schuld an. Unbe- wusst wird das zu einer Reflexhandlung, und die schadet Die deutsche Kolonialzeit startete auch nicht mit kai- unserer gesunden Zukunft. serlichen Eroberungskriegen – die lehnte Bismarck näm- lich ab –, sondern das geht zurück auf deutsche Kaufleute (Beifall bei der AfD) wie Adolf Lüderitz, die in Afrika eine Chance für ihre Zukunft sahen. Um den Frieden in der Welt zu wahren und um unser Volk zu einen, hat Deutschland mit dem Zwei-plus-Vier- 1904 kam es zu Übergriffen auf die deutschen Farmer Vertrag die bestehenden Grenzen nach 1945 angenom- durch die Hereros, ausgehend von dem Herero-Anführer men und somit eben auch Vertreibung und Unrecht an Samuel Maharero, der sagte: Tötet alle Deutschen! – Frau Deutschen ertragen. Das machen wir mit Blick in die Sommer, als was genau beurteilen Sie diesen Aufruf? Zukunft, die eben auch vergeben und verzeihen muss. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10667

Dietmar Friedhoff (A) Genau das schafft Frieden in der Welt – und eben keine Deshalb bin ich dankbar, dass die Bundesregierung (C) politischen Forderungen, die ideologisch getrieben sind. gerade den so notwendigen Versöhnungsprozess mit Denn das tritt die Opfer mit Füßen, und das entweiht das aller Ernsthaftigkeit nach dem Ende der gerichtlichen Gedenken. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Verfahren wieder führt. Es ist richtig, dass die Bundes- regierung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit (Beifall bei der AfD) in Namibia so aktiv ist. Es ist richtig, dass Namibia die höchste Pro-Kopf-Entwicklungshilfe in ganz Subsaha- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ra-Afrika erhält. Es ist richtig, dass die Bundesregierung Vielen Dank, Herr Kollege. – Die Kollegin Gabi im Rahmen des Versöhnungsprozesses weitere Mittel Weber, SPD-Fraktion, hat ihre Rede zu Protokoll gege- zur Verfügung stellen will, die wir zum Beispiel in Aus- ben.1) tauschprogramme auf unterschiedlichsten Wegen inves- tieren sollten. Damit kommen wir unserer Verantwortung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) insbesondere gegenüber den Herero und Nama nach, und Deshalb wird der Kollege Olaf in der Beek, FDP-Frak- das unterstützen wir ausdrücklich. Wir sehen die Aufar- tion, jetzt das Wort erhalten. beitung der Kolonialverbrechen Deutschlands als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe an. (Beifall bei der FDP) Der Weg der Verhandlungen wird noch ein langer sein. Allein die Rückgabe von Kulturgütern an die Herero­ Olaf in der Beek (FDP): und Nama gestaltet sich äußerst schwierig; das durfte Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! das Land Baden-Württemberg gerade erst feststellen. Die Debatte um das koloniale Erbe, die Verantwortung Denn eine Rückgabe dieser Kulturgüter, beispielsweise Deutschlands, beschäftigt uns nicht zum ersten Mal in menschlicher Gebeine, an die namibische Regierung leh- dieser Legislaturperiode, und das ist auch gut so. nen beide Volksgruppen ab. Wir debattieren hier über deutsche Verbrechen Wir dürfen nicht vergessen, dass dieses Thema für der Vergangenheit, denen nach Schätzungen bis zu beide Gruppen ein hochpolitisches Thema ist. Sie fühlen 100 000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Das gehört sich von der namibischen Regierung schlichtweg nicht eigentlich in die Kernzeit dieses Hauses. repräsentiert. Auch das müssen wir ernst nehmen. Ich Auch wir als Parlament müssen den Anspruch haben, habe den Eindruck, dass Ruprecht Polenz das als offizi- den Nachkommen der Opfer des deutschen Kolonialis- eller Vertreter der Bundesregierung für den Versöhnungs- mus die Anerkennung unserer moralischen Schuld aus- prozess auch tut. (B) zusprechen. (D) Zu fordern, dass sich die Bundesregierung dafür ein- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten setzt, dass selbstgewählte Vertreter der Herero und Nama der LINKEN) in die Verhandlungsdelegation aufgenommen werden, ist alles andere als förderlich. Damit würde Deutschland Die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit darf komplett an den Interessen der souveränen Regierung nicht beim Holocaust enden, sondern muss sich auch mit Namibias vorbei agieren. den brutalen und menschenverachtenden Verbrechen der Kolonialzeit befassen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem Das trägt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) keit auch nicht zu einer Aussöhnung der Volksgruppen in Das müssen wir mit aller Sachlichkeit tun. Namibia selbst bei. Das wollen wir nicht. Die zwischen 1904 und 1908 in Namibia begangenen Deutschland nimmt seine moralische Schuld und Ver- Gräueltaten können juristisch nicht als Völkermord an- antwortung gegenüber den Herero und Nama ernst. Wir erkannt werden; denn die UN-Völkerrechtskonvention werden die Verhandlungen der Bundesregierung an die- wurde erst 40 Jahre nach diesen Verbrechen verabschie- ser Stelle konstruktiv begleiten und unterstützen; denn det. Das haben die Gerichtsverfahren, die Vertreter der uns geht es um eine echte Aussöhnung, eine Aussöhnung Herero und Nama gegen die Bundesrepublik geführt ha- Deutschlands mit Herero und Nama und eine Aussöh- ben, deutlich gezeigt. Das zu fordern, wie es die Linken nung der unterschiedlichen Volksgruppen in Namibia. hier in ihrem Antrag tun, treibt einen Keil in die Versöh- nungsverhandlungen. Vielen Dank. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Alle Demokraten in diesem Haus sind sich doch einig: Unsere moralische Schuld und Verantwortung aufgrund Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der begangenen Verbrechen, die wir heute Völkermord Vielen Dank, Herr Kollege in der Beek. – Als nächste nennen würden, nehmen wir sehr ernst, und wir erkennen Rednerin spricht zu uns die Kollegin Helin Evrim Sommer,­ sie an. Fraktion Die Linke.

1) Anlage 14 (Beifall bei der LINKEN) 10668 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Helin Evrim Sommer (DIE LINKE): Bundestag zu sprechen. Das wäre doch nicht zu viel ver- (C) Es ist über 100 Jahre her, Herr Präsident, verehrte langt. Kolleginnen und Kollegen, es ist über 100 Jahre her, als Es darf nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Heute Deutsche Richtung Afrika zogen, um Kolonien zu er- leben etwa 100 000 Nama und 120 000 Herero. Sie leben obern und zu besiedeln. Es kam zu Aufständen der Ein- meist in bitterer Armut. Es sollte uns Verpflichtung sein, heimischen, bei denen Zehntausende Herero und später die Folgen der deutschen Kolonialherrschaft zu beseiti- Nama starben. Der preußische General Lothar von ­Trotha gen. Bauen wir Schulen, in denen Jungen und Mädchen gab den Befehl zur Vernichtung. Er sagte wörtlich: etwas lernen, damit sie sich eine Zukunft aufbauen kön- Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero nen. Geben wir ihnen Stipendien und Zugang zu deut- mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschos- schen Universitäten, zu Ausbildung und Berufsschulen. sen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, Außerdem fordern wir einen eigenen Fonds mit ausrei- treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie chend Finanzmitteln. Geben wir ihnen die Möglichkeit, schießen. Land zu kaufen oder ein Geschäft zu gründen. Schon Hans Fallada sagte einst: So wurden Herero und Nama in die Wüste getrieben, wo sie elendig verdursteten. Ihre Ermordung gilt als Die Vergangenheit kann man nicht ändern, sich erster Völkermord des 20. Jahrhunderts, begangen von selbst aber schon, für die Zukunft. Deutschen. In diesem Sinne, vielen Dank. Warum sollte uns das heute beschäftigen, meine Da- (Beifall bei der LINKEN) men und Herren? Ist die Weltgeschichte nicht voll von Deportationen, Mord und Gräueltaten? Ja, das ist sie, in der Tat. Und der angemessene Umgang damit ist: bedau- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ern, entschuldigen, Beziehungen aufbauen und unterstüt- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als letztem Redner zen. Das hat nichts mit einem sogenannten deutschen in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Ottmar von Schuldkult zu tun, Holtz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. (Beifall der Abg. Eva-Maria Schreiber [DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) LINKE])

sondern mit der kritischen Reflexion der eigenen Ge- Ottmar von Holtz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schichte, meine Damen und Herren. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie (B) (Beifall bei der LINKEN) mich zu Beginn ein bisschen über den Kolonialismus als (D) solchen reden; denn das ist ein Thema, das glücklicher- Seit 2015 verhandeln Vertreter der Bundesregierung weise in Deutschland nach und nach an Bedeutung ge- hinter verschlossenen Türen über Sprachregelungen, Ge- winnt: darüber zu reden, dass auch Deutschland eine Ko- denkformen und Entschädigungen. Eine Vertreterin der lonialmacht war und was das eigentlich für Folgen hatte. Herero nennt die deutsche Haltung „unkooperativ“ und „feindselig“. Fast sieht es so aus, als ginge es um Er- Es gibt in Deutschland leider einen bedauerlichen Re- pressung und Schweigegeld. Die Herero sollen schwei- flex, wenn es um die deutsche Kolonialgeschichte geht; gen, die Nama sollen schweigen, und der Bundestag – da heißt es dann schnell: „Wir hatten nur wenige Ko- schweigt. lonien“, und: „Es war nur eine kurze Zeit“, Frankreich und die Briten, die hätten viel mehr aufzuarbeiten. Lei- Doch das Thema gehört genau hierhin, ins Parlament. der ist das eine Schutzbehauptung, die verkennt, welche Nach über 110 Jahren ist es an der Zeit, unser Schweigen Folgen der Kolonialismus insbesondere für Afrika hatte. zu beenden und die Dinge beim Namen zu nennen: Der Das Deutsche Reich war mittendrin: Es war immerhin Mord der Deutschen an den Herero und Nama war ein Bismarck, der die Kongo-Konferenz im November 1884, Völkermord, meine Damen und Herren. Mehr noch, es auf der sich die Europäer über die Einflussbereiche in führt eine historische Linie von den ersten Konzentra- Afrika verständigten, organisierte und beisammenrief. tionslagern in Deutsch-Südwestafrika nach Auschwitz. Das war ein fataler Fehler, ein fataler Schritt. Diese Erkenntnis stellt nicht die Singularität des Ho- locaust infrage, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Eva-­ (Zuruf von der AfD: So ein Schwachsinn!) Maria Schreiber [DIE LINKE]) Im Konzentrationslager in der namibischen Haifisch- Leider gibt es noch heute, 140 Jahre nach dieser Kon- bucht wurden die Techniken des Massenmordes an ferenz, Menschen – einflussreiche Menschen sogar –, die ­Herero und Nama erprobt, die Vernichtung durch Arbeit von archaischen Strukturen sprechen. Das ist eine Mär, und die systematische Verelendung. mit der wir aufräumen müssen! Heute in einem Jahr jährt sich der Unabhängigkeitstag (Beifall bei Abgeordneten beim BÜND- Namibias zum 30. Mal. Ich meine, das wäre der ideale NIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Tag für eine Entschuldigung. Wie wäre es, liebe Bundes- regierung, das auch zu tun? Laden wir eine Vertreterin Angesichts der barbarischen Weltkriege auf europäi- oder einen Vertreter der Herero und Nama ein, hier im schem Boden im letzten Jahrhundert finde ich es ziem- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10669

Ottmar von Holtz (A) lich anmaßend, dass wir Europäer meinen, in Afrika ar- Bundestag – uns bei den Ovaherero und Nama für das an (C) chaische Strukturen vorgefunden zu haben. ihren Vorfahren begangene Unrecht entschuldigen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) und bei der LINKEN)

Das Gegenteil war der Fall: Die Strukturen in Afrika Vizepräsident Wolfgang Kubicki: befanden sich damals in einer Zeit tiefgreifender Umwäl- Vielen Dank, Herr Kollege. zung. Es bildeten sich Reiche heraus wie das Zulu-Reich im südlichen Afrika, die Reiche der Chokwe und Luba Die Kollegen Dr. Wolfgang Stefinger, CDU/ im Kongo, das Ashanti-Königreich im heutigen Ghana – CSU-Fraktion, und Martin Rabanus, SPD-Fraktion, ha- um ein paar Beispiele zu nennen. Alle diese Strukturen ben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) haben die Kolonialmächte einschließlich Deutschland Damit schließe ich die Aussprache. einfach zerschlagen. Davon blieb auch Namibia nicht verschont. Die Republik Namibia, in den heutigen Gren- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- zen, ist das Produkt der deutschen Kolonialpolitik. schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit Leider wissen wir auch, dass die deutschen Siedler, dem Titel „Versöhnung mit Namibia – Entschuldigung Soldaten und Polizisten dort damals alles andere als zim- und Verantwortung für den Völkermord in der ehema- perlich waren. ligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Das war Shaka Zulu sache 19/4951, den Antrag der Fraktion Die Linke auf auch!) Drucksache 19/1256 abzulehnen. Wer stimmt für diese Der pure Rassismus war handlungsleitend. Es ist an- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer scheinend heute unter Deutschen immer noch eine weit- enthält sich? – Keiner. Dann ist diese Beschlussempfeh- verbreitete Ansicht, dass das richtig sei. Ich möchte da lung gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und einfach einmal einen AfD-Politiker zitieren: Der Kolo- Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der anderen nialismus sei „Zeichen dafür, dass die europäische weiße Fraktionen des Hauses angenommen. Rasse anderen Völkern und Ethnien zivilisatorisch weit Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: überlegen war“. Solche Äußerungen zeigen, wie wichtig es ist, dass wir uns diesem Thema stellen und dass wir die Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela koloniale Vergangenheit Deutschlands aufarbeiten. Wagner, Christian Kühn (Tübingen), Britta (B) Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Sofortprogramm Bauflächenoffensive – Hun- der CDU/CSU, der SPD und der FDP) derttausend Dächer und Häuser Programm Dabei gilt eigentlich auch: Rassismus ist keine Mei- Drucksache 19/6499 nung, Rassismus ist ein Verbrechen, und wenn das For- Überweisungsvorschlag: men annimmt wie im damaligen Deutsch-Südwestafrika, Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kom- dann wird daraus ein Verbrechen gegen die Menschlich- munen (f) keit, und dann sprechen wir von Völkermord. Dieses Zi- Finanzausschuss tat von General von Trotha erspare ich Ihnen; die Kol- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit legin Sommer hat es vorhin zitiert. Die Folgen sind uns Haushaltsausschuss allen bekannt: Zehntausende Ovaherero verloren wäh- rend der deutschen Kolonialzeit ihr Leben, sie wurden Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ermordet, in die Wüste vertrieben, wo sie verhungerten die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- und verdursteten. Wenig später erließ von Trotha dann nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. noch einen ähnlich lautenden Befehl zur Vernichtung der Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- Nama. Meine Damen und Herren, das war Völkermord. nerin der Kollegin Daniela Wagner, Bündnis 90/Die Grü- Wir können uns heute nicht einfach aus der Affäre ziehen nen, das Wort. und sagen, dass es damals noch keine UN-Konvention gab, die das verboten hätte – das ist mindestens für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) politische Feststellung, dass das Völkermord war und da- mit Unrecht, völlig irrelevant. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! und bei der LINKEN) Wir wissen es alle: Hohe Bodenpreise, gerade in wach- senden Regionen, tragen in Deutschland massiv zu ho- Frau Staatsministerin, ich wünsche mir, dass die Bun- hen Kosten für den Wohnungsbau bei. Der Baulandprei- desregierung bei ihren Verhandlungen mit Namibia über sindex stieg allein von 2011 bis 2016 um 27 Prozent, die Bewältigung der kolonialen Vergangenheit bald, zü- in teuren Städten sogar um 44 Prozent. Damit lag die gig zu einem befriedigenden Ergebnis kommt. Ich fin- de, es ist allerhöchste Zeit, dass wir – auch wir hier im 1) Anlage 14 10670 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Daniela Wagner (A) Preisentwicklung für Bauland deutlich über der Preisent- sagen wir: Wir brauchen ein Förderprogramm, das auch (C) wicklung für den Wohnungsbau selbst. Die Preise für den Zielkonflikt „mehr Grün in der Stadt, wegen des Kli- baureifes Land sind in München von 2011 bis 2017 um mawandels“ versus „mehr Wohnungen“ entschärft. Des- 137 Prozent gestiegen, und ein Ende dieser Entwicklung wegen schlagen wir Ihnen dieses Förderprogramm vor, ist leider nicht in Sicht. das Potenziale des Dachausbaus und der Aufstockungen hebt und den dringend benötigten Wohnungsbau anreizt. (Dr. Rainer Kraft [AfD]: Tja, woran das wohl liegt?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 2018 kostete ein Quadratmeter Bauland in München oder Und wir wollen die Dorfkerne und die Ortskerne stär- Nürnberg 3115 Euro. ken. Wir wollen es belohnen, wenn jemand, statt auf die Artikel 161 der bayerischen Verfassung besagt: grüne Wiese zu bauen, im Ortskern ein altes Haus auf- kauft und es aufwertet, es wieder bewohnbar macht und (1) Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird es energetisch saniert. Das ist besser als jedes Baukinder- von Staats wegen überwacht. Mißbräuche sind ab- geld, das Invest auf die grüne Wiese lockt und das kaum zustellen. Wohnraum in den Innenstädten neu schafft, zusätzlich (2) Steigerungen des Bodenwertes, die ohne beson- schafft. Deswegen wollen wir ein Programm, das die In- deren Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentü- nenentwicklung im Bestand stärkt, eine Antwort auf die mers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar steigenden Baulandpreise gibt – zu machen. Sie haben also eine sehr fortschrittliche Verfassung in Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Bayern. Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. (Marianne Schieder [SPD]: Sehr fortschritt- lich! Stammt von einem Sozialdemokraten!) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Folge von steigenden Bodenpreisen ist, dass auch – und einen Wohnungsbau ohne zusätzlichen Flächen- fast nur hochpreisiger Wohnungsbau überhaupt realisiert fraß ermöglicht. wird. Auch die Preise für bestehende Mietwohnungen in Vielen Dank fürs Zuhören. den Ballungsgebieten steigen rasant an. Die Marktsitua- tion für günstigen Wohnraum ist nahezu nicht mehr ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geben. Es besteht aber eine vehemente Nachfrage nach preisgünstigem Wohnraum. Dafür müssen wir dringend Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (B) etwas tun. (D) Vielen Dank, Frau Kollegin. Sie hatten jetzt noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 30 Sekunden, weil ich eine erfreuliche Botschaft loswer- Rund 5,6 Millionen Haushalte in unseren Großstäd- den kann: Die Kollegin Emmi Zeulner, CDU/CSU-Frak- ten müssen 30 Prozent und mehr ihres Einkommens für tion, die Kollegin Claudia Tausend, SPD-Fraktion, Miete ausgeben. Meine Damen und Herren, liebe Kolle- der Kollege Daniel Föst, FDP-Fraktion, die Kollegin ginnen und Kollegen, das ist zu viel, das ist viel zu viel. Nicole Gohlke, Fraktion Die Linke, der Kollege Karsten Möring, CDU/CSU-Fraktion, die Kollegin Ulli Nissen, (Beifall der Abg. Katharina Dröge [BÜND- SPD-Fraktion, und der Kollege Torsten Schweiger, NIS 90/DIE GRÜNEN]) CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Reden zu Protokoll ge- 1) Da verwundert es nicht, dass Fachleute, Verbände, Ju- geben, risten, Bürgerinitiativen zunehmend eine andere Boden- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) politik fordern. Möglichkeiten mit hohem Potenzial sind der Ausbau von Dächern, die Aufstockung von Immo- sodass der letzte Redner der Kollege Marc Bernhard, bilien, die Umnutzung von Leerstand in Gewerbe- und AfD-Fraktion, Büroimmobilien. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist und sein muss. – Frau von Storch, wir hören auch die- Allein bei Wohnimmobilien besteht ein Potenzi- se Rede; keine Sorge! al von 580 000 Wohnungen; das hat eine Studie der TU Darmstadt und des Pestel Instituts ergeben. Eine ak- tualisierte Version der Studie, die auch Potenziale von Marc Bernhard (AfD): Parkhäusern in Innenstädten, Büro- und Verwaltungsge- Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Der Antrag bäuden, Umnutzung von Leerständen von Verwaltungs- der Grünen ist Ausdruck von Ratlosigkeit, von Ver- gebäuden, eingeschossigem Einzelhandel, Discountern zweiflung, aber vor allem für die wohnungssuchenden und Märkten einbezieht, kommt sogar auf ein Potenzial Menschen nicht zielführend. Sie wollen also die Woh- von 2,7 Wohnungen. nungskrise in Deutschland ernsthaft mit dem Ausbau von Dachgeschossen lösen? Als ob das überall möglich, ge- (Dr. Rainer Kraft [AfD]: 2,7 Wohnungen?) schweige denn kurzfristig umsetzbar wäre! Gleichzeitig stehen in vielen Ortskernen und Dorfzent- ren des Umlands Wohnungen und Häuser leer. Deswegen 1) Anlage 15 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10671

Marc Bernhard (A) Ein weiterer Beweis für die Verzweiflung und Wider- mit 9 000 Euro vom Staat gefördert wird. Mit allem, was (C) sprüchlichkeit Ihrer grünen Politik ist der Vorschlag – Sie hier vorschlagen, ausgerechnet von Ihnen! –, entvölkerte Dörfer wie- derzubeleben. Wer wie Sie von den Grünen das Auto (Ulli Nissen [SPD]: Sie hetzen gegen Auslän- abschaffen will der!) (Marianne Schieder [SPD]: O mei, o mei, o erreichen Sie nichts anderes als Mitnahmeeffekte. mei! Das ist ja aus der Mottenkiste des letzten Jahrhunderts!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und gleichzeitig die Wiederbelebung von Dörfern und Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte! die Aktivierung des Umlandes fordert, aber kein Wort darüber verliert, wie die Menschen zu ihrem Arbeitsplatz Marc Bernhard (AfD): kommen sollen, der ist nichts anderes als paranoid und unehrlich. So wird wirklich niemandem, aber absolut nieman- dem geholfen. (Beifall bei der AfD – Christian Kühn [Tü- bingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was (Beifall bei der AfD – Christian Kühn [Tübin- sind die Vorschläge der AfD? Noch nie haben gen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie einen Vorschlag gemacht!) Sie doch mal einen Vorschlag!) Früher war die Mansarde eine Wohnung für arme Leu- Ihr Antrag richtet sich einzig und allein an die Besserver- te dienenden. (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So was Schlechtes habe ich DIE GRÜNEN]: Wo bleibt der AfD-Antrag?) selbst von der AfD noch nie gehört!) Wo bleibt denn eigentlich in Ihrem angeblichen Innova- – hören Sie lieber mal zu; vielleicht lernen Sie noch was – tionsvorschlag die Schaffung von bezahlbaren Wohnun- (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ gen für Familien, wo bleibt das? DIE GRÜNEN]: Seit eineinhalb Jahren höre (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ ich Ihnen zu! Ich habe noch nie einen Vor- DIE GRÜNEN]: Seit eineinhalb Jahren kein schlag gehört!) Vorschlag der AfD!) und brotlose Künstler. Heute ist eben diese Mansarde ein (B) Inbegriff für Luxus geworden, Statt den Bau von Luxuswohnungen mit Steuergeldern (D) zu fördern, brauchen wir grundsätzlich – – (Ulli Nissen [SPD]: So was muss man sich anhören!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: jetzt heißt sie einfach „Penthouse“. Der Marktpreis für Herr Kollege, einen kleinen Moment bitte! – Liebe ein Penthouse mittlerer Größe in einem urbanen Bal- Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/ lungszentrum – und nur dort machen Dachausbauten Die Grünen, ich bitte wirklich, dem Redner zuzuhören. Sinn – fängt bei einer halben Million Euro an. (Ulli Nissen [SPD]: Wissen Sie, was in den (Beifall bei Abgeordneten der AfD und des Städten passiert?) Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!) Mit Ihrem sogenannten Hunderttausend-Dächer-Pro- gramm wollen Sie 90 000 Wohnungen fördern. Wo haben – Dann gehen Sie raus! Einzelne Zwischenrufe sind sinn- Sie denn die fehlenden 10 000 Dächer versteckt? Oder voll, aber das – – ist das einfach nur ein Rechenfehler und handwerkliche (Ulli Nissen [SPD]: Das ist schwer erträglich, Schlamperei in Ihrem Antrag? Mit 810 Millionen Euro leider!) wollen Sie also den Bau von 90 000 Wohnungen anregen. – Das mag ja sein; aber das Parlament ist dazu da, dass (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- man auch Reden erträgt, die schwer erträglich sind. Ich NEN]: Das passt zur Geisterstunde, die seit bitte einfach nur darum, jetzt am Schluss der Sitzung 28 Minuten läuft!) dem Redner zuzuhören, damit wir wirklich auch zum – Sie müssen nicht so schreien; dadurch wird das, was Ende kommen können. Sie sagen, nicht richtiger. (Beatrix von Storch [AfD]: Diese Kommen- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Christian tierung vom Präsidium ist eine Unverschämt- Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heit!) NEN]: Was will denn die AfD? Keiner weiß es! Sie wollen einfach nichts! Nichts wollen – Frau von Storch, Sie bekommen dafür einen Ordnungs- Sie!) ruf. Das wären dann 9 000 Euro pro Wohnung. Niemand in- (Beatrix von Storch [AfD]: Nein, Sie kriegen vestiert eine halbe Million Euro oder mehr, weil er dafür einen Ordnungsruf!) 10672-10684 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) – Sie bekommen einen zweiten Ordnungsruf. Beim drit- Die Menschen in unserem Land misstrauen Frau Merkel (C) ten Ordnungsruf dürfen Sie den Saal verlassen. und ihrer Politik und versuchen, ihr hart verdientes Geld in Sicherheit zu bringen. Das ist das, was passiert, und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des deshalb brauchen wir endlich wieder eine verlässliche BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beatrix Politik, die das Wohl der Menschen in unserem Land von Storch [AfD]: Dann sage ich jetzt lieber endlich in den Mittelpunkt stellt. Deshalb wollen wir nichts mehr!) eine breite Eigentumsbildung, in der gesamten Bevölke- rung, voranbringen. Dazu muss die Grunderwerbsteuer gesenkt und so umgestaltet werden, dass eine vierköp- (AfD): Marc Bernhard fige Familie in Zukunft bei dem Kauf einer Wohnung Meine Redezeit läuft weiter; ich würde gerne weiter- überhaupt keine Steuern mehr bezahlen muss. Außerdem reden. – Statt den Bau von Luxuswohnungen mit Steuer- muss, wie von uns heute hier im Bundestag beantragt, die geldern zu fördern, wie Sie das ja jetzt hier vorschlagen, Grundsteuer völlig abgeschafft werden. brauchen wir eine massive Entlastung bei den Kosten des Wohnens für die gesamte Bevölkerung. An dieser Stelle (Marianne Schieder [SPD]: Genau, alle Steu- sei der Hinweis auf den von Ihnen gewählten Wortlaut im ern weg!) Titel des Antrags erlaubt: „Sofortprogramm Bauflächen- offensive …“. Dadurch würde das Wohnen in Deutschland von heute auf morgen, sofort, für alle und für jeden Die größten Schwierigkeiten bei der praktischen Um- setzung von Dachausbauten sind doch die unzähligen Re- (Zuruf von der CDU/CSU) geln/Vorschriften durch das bestehende Baurecht. Jedem billiger, um 14 Milliarden Euro. Bauvorhaben geht eine komplexe, zeitraubende Abfolge von erforderlichen Genehmigungen, Plänen, Gutachten, Hören Sie endlich damit auf – insbesondere Sie von Beteiligungen unzähliger Behörden und Ämter voraus. den Grünen –, Hirngespinste zu entwickeln, und fangen Sie endlich an, die Probleme der Menschen in unserem (Marianne Schieder [SPD]: Was haben Sie Land wirklich zu lösen! denn für schlechte Ämter?) (Beifall bei der AfD) Durch eine Vereinfachung des Baurechts würden wir weitaus mehr erreichen als mit Ihrem millionenschweren Förderprogramm. Wir könnten mehr Wohnungen in kür- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (B) zerer Zeit und zu bezahlbaren Mieten bauen. Ja, ich weiß, Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache geschlossen. (D) das erfordert Mut, würde aber den Steuerzahler keinen einzigen Cent kosten und den Menschen wirklich helfen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/6499 an die in der Tagesordnung aufge- (Beifall bei der AfD) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Eine lange Liste politischer Fehlentscheidungen, so beschlossen.

(Marianne Schieder [SPD]: Die AfD ist eine Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- Fehlentscheidung!) nung. Ich wünsche allen Beteiligten eine wunderschöne Nacht. Bankenkrise, Euro-Krise, schwindendes Vertrauen in die Währung, Negativzinspolitik, Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- tages auf morgen (Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD]) (Zuruf: Heute!) hat zu einer Kapitalflucht in Betongold geführt. Das, was wir auf den Immobilienmärkten seit über zehn Jahren er- – das ist aufmerksam; sehr schön –, auf heute, Freitag, leben, ist nichts anderes als ein Misstrauensvotum gegen den 22. März 2019, 9 Uhr, ein. die Politik der Bundesregierung. Die Sitzung ist geschlossen. (Beifall bei der AfD – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) (Schluss: 0.32 Uhr)

Berichtigung 87. Sitzung, Seiten 10361 B, erste Spalte (Nein), 10364 A, erste Spalte (Nein) und 10366 A, zweite Spal- te (Ja): Bei den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion ist jeweils der Name „Olav Gutting“ durch den Namen „Thomas Heilmann“ zu ersetzen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10685

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Barthle, Norbert CDU/CSU Magwas, Yvonne* CDU/CSU

Bas, Bärbel SPD Meiser, Pascal DIE LINKE

Beer, Nicola FDP Oehme, Ulrich AfD

Benning, Sybille CDU/CSU Otten, Gerold AfD

Freitag, Dagmar SPD Remmers, Ingrid DIE LINKE

Fricke, Otto FDP Roth (Heringen), Michael SPD

Hahn, Florian CDU/CSU Schön, Nadine CDU/CSU

Hartmann, Verena AfD Schulz, Jimmy FDP

Held, Marcus SPD Steinke, Kersten DIE LINKE

Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Todtenhausen, Manfred FDP

(B) Irlstorfer, Erich CDU/CSU Vogel (Olpe), Johannes FDP (D) Kapschack, Ralf SPD Vogler, Kathrin DIE LINKE

Kühn (Dresden), Stephan BÜNDNIS 90/ Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN

Kühne, Dr. Roy CDU/CSU Weeser, Sandra FDP

*aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes

Anlage 2 Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 8 c)

Abgegebene Stimmkarten: 673

Ergebnis

Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Marcus Bühl 239 394 37 3 *Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich. 10686 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Namensverzeichnis (C)

CDU/CSU Astrid Grotelüschen Paul Lehrieder Lothar Riebsamen Dr. Michael von Abercron Markus Grübel Dr. Katja Leikert Josef Rief Stephan Albani Manfred Grund Dr. Andreas Lenz Johannes Röring Norbert Maria Altenkamp Oliver Grundmann Dr. Ursula von der Leyen Dr. Norbert Röttgen Peter Altmaier Monika Grütters Antje Lezius Stefan Rouenhoff Philipp Amthor Fritz Güntzler Andrea Lindholz Erwin Rüddel Artur Auernhammer Olav Gutting Dr. Carsten Linnemann Albert Rupprecht Peter Aumer Christian Haase Patricia Lips Stefan Sauer Thomas Bareiß Jürgen Hardt Nikolas Löbel Anita Schäfer (Saalstadt) Maik Beermann Matthias Hauer Bernhard Loos Dr. Wolfgang Schäuble Manfred Behrens (Börde) Mark Hauptmann Dr. Jan-Marco Luczak Andreas Scheuer Veronika Bellmann Dr. Matthias Heider Daniela Ludwig Jana Schimke Dr. André Berghegger Mechthild Heil Karin Maag Tankred Schipanski Melanie Bernstein Thomas Heilmann Dr. Thomas de Maizière Dr. Claudia Schmidtke Christoph Bernstiel Frank Heinrich (Chemnitz) Gisela Manderla Patrick Schnieder Peter Beyer Mark Helfrich Dr. Astrid Mannes Felix Schreiner Marc Biadacz Rudolf Henke Matern von Marschall Dr. Klaus-Peter Schulze Steffen Bilger Michael Hennrich Hans-Georg von der Marwitz Uwe Schummer Peter Bleser Marc Henrichmann Andreas Mattfeldt Armin Schuster (Weil am Rhein) Norbert Brackmann Ansgar Heveling Stephan Mayer (Altötting) Torsten Schweiger Michael Brand (Fulda) Christian Hirte Dr. Michael Meister Dr. Reinhard Brandl Dr. Heribert Hirte Jan Metzler Detlef Seif Silvia Breher Alexander Hoffmann Dr. h. c. Hans Michelbach Johannes Selle Sebastian Brehm Karl Holmeier Dr. Mathias Middelberg Reinhold Sendker Heike Brehmer Dr. Hendrik Hoppenstedt Dietrich Monstadt Dr. Patrick Sensburg Ralph Brinkhaus Hans-Jürgen Irmer Karsten Möring Thomas Silberhorn (B) Dr. Carsten Brodesser Thomas Jarzombek Marlene Mortler Björn Simon (D) Gitta Connemann Andreas Jung Elisabeth Motschmann Tino Sorge Astrid Damerow Ingmar Jung Dr. Gerd Müller Jens Spahn Alexander Dobrindt Alois Karl Axel Müller Katrin Staffler Michael Donth Anja Karliczek Sepp Müller Frank Steffel Marie-Luise Dött Torbjörn Kartes Carsten Müller Dr. Wolfgang Stefinger Hansjörg Durz Volker Kauder (Braunschweig) Albert Stegemann Thomas Erndl Dr. Stefan Kaufmann Stefan Müller (Erlangen) Andreas Steier Hermann Färber Ronja Kemmer Dr. Andreas Nick Peter Stein (Rostock) Uwe Feiler Roderich Kiesewetter Petra Nicolaisen Johannes Steiniger Enak Ferlemann Michael Kießling Michaela Noll Christian Frhr. von Stetten Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Georg Kippels Dr. Georg Nüßlein Dieter Stier Land) Volkmar Klein Wilfried Oellers Gero Storjohann Dr. Maria Flachsbarth Axel Knoerig Florian Oßner Stephan Stracke Thorsten Frei Jens Koeppen Josef Oster Max Straubinger Dr. Hans-Peter Friedrich Markus Koob Henning Otte Karin Strenz (Hof) Carsten Körber Sylvia Pantel Michael Stübgen Michael Frieser Alexander Krauß Martin Patzelt Dr. Peter Tauber Hans-Joachim Fuchtel Gunther Krichbaum Dr. Joachim Pfeiffer Dr. Hermann-Josef Tebroke Ingo Gädechens Dr. Günter Krings Stephan Pilsinger Hans-Jürgen Thies Dr. Thomas Gebhart Rüdiger Kruse Dr. Christoph Ploß Alexander Throm Alois Gerig Michael Kuffer Eckhard Pols Dr. Dietlind Tiemann Eberhard Gienger Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Thomas Rachel Antje Tillmann Eckhard Gnodtke Andreas G. Lämmel Kerstin Radomski Markus Uhl Ursula Groden-Kranich Katharina Landgraf Alexander Radwan Dr. Volker Ullrich Hermann Gröhe Ulrich Lange Alois Rainer Arnold Vaatz Klaus-Dieter Gröhler Dr. Silke Launert Dr. Peter Ramsauer Oswin Veith Michael Grosse-Brömer Jens Lehmann Eckhardt Rehberg Kerstin Vieregge Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10687

(A) Volkmar Vogel (Kleinsaara) Michael Gerdes Dietmar Nietan Bernd Westphal (C) Kees de Vries Martin Gerster Ulli Nissen Dirk Wiese Christoph de Vries Angelika Glöckner Thomas Oppermann Gülistan Yüksel Dr. Johann David Wadephul Timon Gremmels Josephine Ortleb Dagmar Ziegler Marco Wanderwitz Kerstin Griese Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. Jens Zimmermann Nina Warken Michael Groß Aydan Özoğuz Kai Wegner Uli Grötsch Christian Petry AfD Bettina Hagedorn Detlev Pilger Albert H. Weiler Dr. Bernd Baumann Rita Hagl-Kehl Sabine Poschmann Marcus Weinberg (Hamburg) Marc Bernhard Metin Hakverdi Florian Post Dr. Anja Weisgerber Andreas Bleck Sebastian Hartmann Achim Post (Minden) Peter Weiß (Emmendingen) Peter Boehringer Dirk Heidenblut Florian Pronold Sabine Weiss (Wesel I) Stephan Brandner Hubertus Heil (Peine) Dr. Sascha Raabe Ingo Wellenreuther Jürgen Braun Gabriela Heinrich Martin Rabanus Marian Wendt Marcus Bühl Wolfgang Hellmich Andreas Rimkus Kai Whittaker Matthias Büttner Dr. Barbara Hendricks Sönke Rix Annette Widmann-Mauz Petr Bystron Gustav Herzog Dennis Rohde Bettina Margarethe Tino Chrupalla Wiesmann Gabriele Hiller-Ohm Dr. Martin Rosemann Joana Cotar Klaus-Peter Willsch Thomas Hitschler René Röspel Dr. Gottfried Curio Elisabeth Winkelmeier- Dr. Eva Högl Dr. Ernst Dieter Rossmann Siegbert Droese Becker Frank Junge Susann Rüthrich Thomas Ehrhorn Oliver Wittke Josip Juratovic Bernd Rützel Berengar Elsner von Gronow Emmi Zeulner Thomas Jurk Sarah Ryglewski Dr. Michael Espendiller Paul Ziemiak Oliver Kaczmarek Johann Saathoff Peter Felser Dr. Matthias Zimmer Johannes Kahrs Axel Schäfer (Bochum) Dietmar Friedhoff Elisabeth Kaiser Dr. Nina Scheer Dr. Anton Friesen SPD Gabriele Katzmarek Marianne Schieder Cansel Kiziltepe Udo Schiefner Markus Frohnmaier Niels Annen (B) Arno Klare Dr. Nils Schmid Dr. Götz Frömming (D) Ingrid Arndt-Brauer Lars Klingbeil Uwe Schmidt Dr. Alexander Gauland Heike Baehrens Dr. Bärbel Kofler Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Axel Gehrke Ulrike Bahr Daniela Kolbe Dagmar Schmidt (Wetzlar) Albrecht Glaser Nezahat Baradari Elvan Korkmaz Carsten Schneider (Erfurt) Franziska Gminder Doris Barnett Anette Kramme Johannes Schraps Wilhelm von Gottberg Dr. Matthias Bartke Christine Lambrecht Michael Schrodi Kay Gottschalk Sören Bartol Christian Lange (Backnang) Dr. Manja Schüle Armin-Paulus Hampel Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Karl Lauterbach Ursula Schulte Mariana Iris Harder-Kühnel Leni Breymaier Helge Lindh Swen Schulz (Spandau) Dr. Roland Hartwig Dr. Karl-Heinz Brunner Burkhard Lischka Frank Schwabe Jochen Haug Katrin Budde Kirsten Lühmann Stefan Schwartze Martin Hebner Martin Burkert Heiko Maas Andreas Schwarz Udo Theodor Hemmelgarn Dr. Lars Castellucci Caren Marks Rita Schwarzelühr-Sutter Waldemar Herdt Bernhard Daldrup Katja Mast Rainer Spiering Lars Herrmann Dr. Daniela De Ridder Christoph Matschie Svenja Stadler Martin Hess Dr. Karamba Diaby Hilde Mattheis Martina Stamm-Fibich Karsten Hilse Esther Dilcher Dr. Matthias Miersch Sonja Amalie Steffen Nicole Höchst Sabine Dittmar Klaus Mindrup Mathias Stein Martin Hohmann Dr. Wiebke Esdar Susanne Mittag Kerstin Tack Dr. Bruno Hollnagel Saskia Esken Falko Mohrs Claudia Tausend Leif-Erik Holm Yasmin Fahimi Claudia Moll Michael Thews Johannes Huber Dr. Johannes Fechner Siemtje Möller Markus Töns Fabian Jacobi Dr. Fritz Felgentreu Bettina Müller Carsten Träger Dr. Marc Jongen Dr. Edgar Franke Detlef Müller (Chemnitz) Ute Vogt Jens Kestner Ulrich Freese Michelle Müntefering Marja-Liisa Völlers Stefan Keuter Dagmar Freitag Dr. Rolf Mützenich Dirk Vöpel Norbert Kleinwächter Sigmar Gabriel Andrea Nahles Gabi Weber Enrico Komning 10688 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Jörn König Bijan Djir-Sarai Katja Suding Victor Perli (C) Steffen Kotré Christian Dürr Linda Teuteberg Tobias Pflüger Dr. Rainer Kraft Hartmut Ebbing Michael Theurer Martina Renner Rüdiger Lucassen Dr. Marcus Faber Stephan Thomae Bernd Riexinger Frank Magnitz Daniel Föst Dr. Florian Toncar Eva-Maria Schreiber Jens Maier Katrin Helling-Plahr Dr. Andrew Ullmann Dr. Petra Sitte Dr. Lothar Maier Markus Herbrand Gerald Ullrich Helin Evrim Sommer Dr. Birgit Malsack- Torsten Herbst Nicole Westig Kersten Steinke Winkemann Katja Hessel Katharina Willkomm Friedrich Straetmanns Corinna Miazga Dr. Gero Clemens Hocker Dr. Kirsten Tackmann Andreas Mrosek Manuel Höferlin DIE LINKE Jessica Tatti Hansjörg Müller Dr. Christoph Hoffmann Doris Achelwilm Alexander Ulrich Volker Münz Reinhard Houben Gökay Akbulut Kathrin Vogler Sebastian Münzenmaier Ulla Ihnen Simone Barrientos Dr. Sahra Wagenknecht Christoph Neumann Olaf In der Beek Dr. Dietmar Bartsch Andreas Wagner Jan Ralf Nolte Gyde Jensen Lorenz Gösta Beutin Harald Weinberg Frank Pasemann Dr. Christian Jung Matthias W. Birkwald Katrin Werner Tobias Matthias Peterka Thomas L. Kemmerich Heidrun Bluhm Hubertus Zdebel Paul Viktor Podolay Karsten Klein Michel Brandt Pia Zimmermann Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Christine Buchholz Sabine Zimmermann Stephan Protschka Daniela Kluckert (Zwickau) Jörg Cezanne Martin Reichardt Pascal Kober Fabio De Masi Martin Erwin Renner Dr. Lukas Köhler Dr. Diether Dehm BÜNDNIS 90/ Roman Johannes Reusch Carina Konrad DIE GRÜNEN Anke Domscheit-Berg Ulrike Schielke-Ziesing Wolfgang Kubicki Klaus Ernst Luise Amtsberg Dr. Robby Schlund Konstantin Kuhle Susanne Ferschl Kerstin Andreae Jörg Schneider Alexander Kulitz Brigitte Freihold Lisa Badum Uwe Schulz Alexander Graf Lambsdorff Sylvia Gabelmann Annalena Baerbock (B) Thomas Seitz Ulrich Lechte (D) Nicole Gohlke Margarete Bause Martin Sichert Christian Lindner Dr. Gregor Gysi Dr. Danyal Bayaz Detlev Spangenberg Michael Georg Link Dr. André Hahn Canan Bayram Dr. Dirk Spaniel (Heilbronn) Heike Hänsel Dr. Franziska Brantner René Springer Oliver Luksic Matthias Höhn Agnieszka Brugger Beatrix von Storch Till Mansmann Andrej Hunko Dr. Anna Christmann Dr. Alice Weidel Dr. Jürgen Martens Ekin Deligöz Dr. Harald Weyel Christoph Meyer Ulla Jelpke Katja Dörner Wolfgang Wiehle Alexander Müller Kerstin Kassner Katharina Dröge Dr. Heiko Wildberg Roman Müller-Böhm Dr. Achim Kessler Harald Ebner Dr. Christian Wirth Frank Müller-Rosentritt Katja Kipping Matthias Gastel Uwe Witt Dr. Martin Neumann Jan Korte (Lausitz) Jutta Krellmann Kai Gehring FDP Hagen Reinhold Caren Lay Stefan Gelbhaar Sabine Leidig Katrin Göring-Eckardt Grigorios Aggelidis Bernd Reuther Ralph Lenkert Erhard Grundl Renata Alt Dr. Stefan Ruppert Michael Leutert Anja Hajduk Christine Aschenberg- Dr. h. c. Thomas Sattelberger Britta Haßelmann Dugnus Christian Sauter Stefan Liebich Dr. Bettina Hoffmann Nicole Bauer Frank Schäffler Dr. Gesine Lötzsch Jens Beeck Dr. Wieland Schinnenburg Thomas Lutze Dr. Anton Hofreiter Dr. Jens Brandenburg Matthias Seestern-Pauly Amira Mohamed Ali Ottmar von Holtz (Rhein-Neckar) Frank Sitta Cornelia Möhring Dieter Janecek Mario Brandenburg Judith Skudelny Niema Movassat Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Südpfalz) Dr. Hermann Otto Solms Norbert Müller (Potsdam) Uwe Kekeritz Dr. Marco Buschmann Bettina Stark-Watzinger Zaklin Nastic Katja Keul Karlheinz Busen Dr. Marie-Agnes Strack- Dr. Alexander S. Neu Sven-Christian Kindler Carl-Julius Cronenberg Zimmermann Thomas Nord Maria Klein-Schmeink Britta Katharina Dassler Benjamin Strasser Sören Pellmann Sylvia Kotting-Uhl Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10689

(A) Oliver Krischer Beate Müller-Gemmeke Dr. Manuela Rottmann Markus Tressel (C) Christian Kühn (Tübingen) Ingrid Nestle Corinna Rüffer Jürgen Trittin Renate Künast Dr. Konstantin von Notz Manuel Sarrazin Dr. Julia Verlinden Markus Kurth Omid Nouripour Ulle Schauws Daniela Wagner Monika Lazar Friedrich Ostendorff Dr. Frithjof Schmidt Gerhard Zickenheiner Sven Lehmann Cem Özdemir Stefan Schmidt Steffi Lemke Lisa Paus Kordula Schulz-Asche Fraktionslos Dr. Tobias Lindner Filiz Polat Dr. Wolfgang Strengmann- Marco Bülow Dr. Irene Mihalic Tabea Rößner Kuhn Uwe Kamann Claudia Müller Claudia Roth (Augsburg) Margit Stumpp Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Anlage 3 Ergebnis und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Gremiums gemäß § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 8 d)

Abgegebene Stimmkarten: 668 Ergebnis

Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Albrecht Glaser 173 436 52 7 (B) Volker Münz 248 379 35 6 (D) *Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

Namensverzeichnis

CDU/CSU Sebastian Brehm Ingo Gädechens Thomas Heilmann Dr. Michael von Abercron Heike Brehmer Dr. Thomas Gebhart Frank Heinrich (Chemnitz) Stephan Albani Ralph Brinkhaus Alois Gerig Mark Helfrich Norbert Maria Altenkamp Dr. Carsten Brodesser Eberhard Gienger Rudolf Henke Peter Altmaier Gitta Connemann Eckhard Gnodtke Michael Hennrich Philipp Amthor Astrid Damerow Ursula Groden-Kranich Marc Henrichmann Artur Auernhammer Alexander Dobrindt Hermann Gröhe Ansgar Heveling Peter Aumer Michael Donth Klaus-Dieter Gröhler Christian Hirte Maik Beermann Marie-Luise Dött Michael Grosse-Brömer Dr. Heribert Hirte Manfred Behrens (Börde) Hansjörg Durz Astrid Grotelüschen Alexander Hoffmann Veronika Bellmann Thomas Erndl Markus Grübel Karl Holmeier Dr. André Berghegger Hermann Färber Manfred Grund Dr. Hendrik Hoppenstedt Melanie Bernstein Uwe Feiler Oliver Grundmann Hans-Jürgen Irmer Christoph Bernstiel Enak Ferlemann Monika Grütters Thomas Jarzombek Peter Beyer Axel E. Fischer (Karlsruhe- Fritz Güntzler Andreas Jung Marc Biadacz Land) Olav Gutting Ingmar Jung Steffen Bilger Dr. Maria Flachsbarth Christian Haase Alois Karl Peter Bleser Thorsten Frei Jürgen Hardt Anja Karliczek Norbert Brackmann Dr. Hans-Peter Friedrich Matthias Hauer Torbjörn Kartes Michael Brand (Fulda) (Hof) Mark Hauptmann Volker Kauder Dr. Reinhard Brandl Michael Frieser Dr. Matthias Heider Dr. Stefan Kaufmann Silvia Breher Hans-Joachim Fuchtel Mechthild Heil Ronja Kemmer 10690 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Roderich Kiesewetter Wilfried Oellers Max Straubinger Bernhard Daldrup (C) Michael Kießling Florian Oßner Karin Strenz Dr. Daniela De Ridder Dr. Georg Kippels Josef Oster Michael Stübgen Dr. Karamba Diaby Volkmar Klein Henning Otte Dr. Peter Tauber Esther Dilcher Axel Knoerig Sylvia Pantel Dr. Hermann-Josef Tebroke Sabine Dittmar Jens Koeppen Martin Patzelt Hans-Jürgen Thies Dr. Wiebke Esdar Markus Koob Dr. Joachim Pfeiffer Alexander Throm Saskia Esken Carsten Körber Stephan Pilsinger Dr. Dietlind Tiemann Yasmin Fahimi Alexander Krauß Dr. Christoph Ploß Antje Tillmann Dr. Johannes Fechner Gunther Krichbaum Eckhard Pols Markus Uhl Dr. Fritz Felgentreu Dr. Günter Krings Thomas Rachel Dr. Volker Ullrich Dr. Edgar Franke Rüdiger Kruse Kerstin Radomski Arnold Vaatz Ulrich Freese Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Alexander Radwan Oswin Veith Dagmar Freitag Andreas G. Lämmel Alois Rainer Kerstin Vieregge Sigmar Gabriel Katharina Landgraf Dr. Peter Ramsauer Volkmar Vogel (Kleinsaara) Michael Gerdes Ulrich Lange Eckhardt Rehberg Kees de Vries Martin Gerster Dr. Silke Launert Lothar Riebsamen Christoph de Vries Angelika Glöckner Jens Lehmann Josef Rief Dr. Johann David Wadephul Timon Gremmels Paul Lehrieder Johannes Röring Marco Wanderwitz Kerstin Griese Dr. Katja Leikert Dr. Norbert Röttgen Nina Warken Michael Groß Dr. Andreas Lenz Stefan Rouenhoff Kai Wegner Uli Grötsch Bettina Hagedorn Dr. Ursula von der Leyen Erwin Rüddel Albert H. Weiler Rita Hagl-Kehl Antje Lezius Albert Rupprecht Marcus Weinberg (Hamburg) Metin Hakverdi Andrea Lindholz Stefan Sauer Dr. Anja Weisgerber Dr. Carsten Linnemann Anita Schäfer (Saalstadt) Sebastian Hartmann Peter Weiß (Emmendingen) Patricia Lips Dr. Wolfgang Schäuble Dirk Heidenblut Sabine Weiss (Wesel I) Nikolas Löbel Andreas Scheuer Hubertus Heil (Peine) Ingo Wellenreuther Bernhard Loos Jana Schimke Gabriela Heinrich Marian Wendt (B) Dr. Jan-Marco Luczak Tankred Schipanski Wolfgang Hellmich (D) Kai Whittaker Daniela Ludwig Dr. Claudia Schmidtke Dr. Barbara Hendricks Annette Widmann-Mauz Karin Maag Patrick Schnieder Gustav Herzog Bettina Margarethe Gabriele Hiller-Ohm Dr. Thomas de Maizière Felix Schreiner Wiesmann Thomas Hitschler Gisela Manderla Dr. Klaus-Peter Schulze Klaus-Peter Willsch Dr. Astrid Mannes Uwe Schummer Dr. Eva Högl Elisabeth Winkelmeier- Matern von Marschall Armin Schuster (Weil am Becker Frank Junge Rhein) Hans-Georg von der Marwitz Oliver Wittke Josip Juratovic Torsten Schweiger Andreas Mattfeldt Emmi Zeulner Thomas Jurk Detlef Seif Oliver Kaczmarek Stephan Mayer (Altötting) Paul Ziemiak Johannes Selle Johannes Kahrs Dr. Michael Meister Dr. Matthias Zimmer Reinhold Sendker Elisabeth Kaiser Jan Metzler Dr. Patrick Sensburg Gabriele Katzmarek Dr. h. c. Hans Michelbach SPD Dr. Mathias Middelberg Thomas Silberhorn Cansel Kiziltepe Dietrich Monstadt Björn Simon Niels Annen Arno Klare Karsten Möring Tino Sorge Ingrid Arndt-Brauer Lars Klingbeil Marlene Mortler Jens Spahn Heike Baehrens Dr. Bärbel Kofler Elisabeth Motschmann Katrin Staffler Ulrike Bahr Daniela Kolbe Dr. Gerd Müller Frank Steffel Nezahat Baradari Elvan Korkmaz Axel Müller Dr. Wolfgang Stefinger Doris Barnett Anette Kramme Sepp Müller Albert Stegemann Dr. Matthias Bartke Christine Lambrecht Carsten Müller Andreas Steier Sören Bartol Christian Lange (Backnang) (Braunschweig) Peter Stein (Rostock) Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Karl Lauterbach Stefan Müller (Erlangen) Johannes Steiniger Leni Breymaier Helge Lindh Dr. Andreas Nick Christian Frhr. von Stetten Dr. Karl-Heinz Brunner Burkhard Lischka Petra Nicolaisen Dieter Stier Katrin Budde Kirsten Lühmann Michaela Noll Gero Storjohann Martin Burkert Heiko Maas Dr. Georg Nüßlein Stephan Stracke Dr. Lars Castellucci Caren Marks Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10691

(A) Katja Mast Rainer Spiering Lars Herrmann FDP (C) Christoph Matschie Svenja Stadler Martin Hess Grigorios Aggelidis Hilde Mattheis Martina Stamm-Fibich Karsten Hilse Renata Alt Dr. Matthias Miersch Sonja Amalie Steffen Nicole Höchst Christine Aschenberg- Klaus Mindrup Mathias Stein Martin Hohmann Dugnus Susanne Mittag Kerstin Tack Dr. Bruno Hollnagel Nicole Bauer Falko Mohrs Claudia Tausend Leif-Erik Holm Jens Beeck Claudia Moll Michael Thews Johannes Huber Dr. Jens Brandenburg Siemtje Möller Markus Töns Fabian Jacobi (Rhein-Neckar) Bettina Müller Carsten Träger Dr. Marc Jongen Mario Brandenburg Detlef Müller (Chemnitz) (Südpfalz) Ute Vogt Jens Kestner Michelle Müntefering Dr. Marco Buschmann Marja-Liisa Völlers Stefan Keuter Dr. Rolf Mützenich Karlheinz Busen Dirk Vöpel Norbert Kleinwächter Andrea Nahles Gabi Weber Carl-Julius Cronenberg Enrico Komning Dietmar Nietan Bernd Westphal Britta Katharina Dassler Jörn König Ulli Nissen Dirk Wiese Bijan Djir-Sarai Steffen Kotré Thomas Oppermann Gülistan Yüksel Christian Dürr Dr. Rainer Kraft Josephine Ortleb Dagmar Ziegler Hartmut Ebbing Rüdiger Lucassen Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr. Jens Zimmermann Dr. Marcus Faber Frank Magnitz Aydan Özoğuz Daniel Föst Jens Maier Christian Petry AfD Katrin Helling-Plahr Detlev Pilger Dr. Lothar Maier Markus Herbrand Dr. Bernd Baumann Sabine Poschmann Dr. Birgit Malsack- Torsten Herbst Marc Bernhard Florian Post Winkemann Katja Hessel Andreas Bleck Achim Post (Minden) Corinna Miazga Dr. Gero Clemens Hocker Peter Boehringer Florian Pronold Andreas Mrosek Manuel Höferlin Stephan Brandner Dr. Sascha Raabe Hansjörg Müller Dr. Christoph Hoffmann Jürgen Braun Martin Rabanus Volker Münz Reinhard Houben Marcus Bühl (B) Andreas Rimkus Sebastian Münzenmaier Ulla Ihnen (D) Matthias Büttner Sönke Rix Christoph Neumann Olaf In der Beek Petr Bystron Dennis Rohde Jan Ralf Nolte Gyde Jensen Tino Chrupalla Dr. Martin Rosemann Frank Pasemann Dr. Christian Jung Joana Cotar René Röspel Tobias Matthias Peterka Thomas L. Kemmerich Dr. Gottfried Curio Dr. Ernst Dieter Rossmann Paul Viktor Podolay Karsten Klein Siegbert Droese Susann Rüthrich Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Thomas Ehrhorn Bernd Rützel Stephan Protschka Daniela Kluckert Berengar Elsner von Gronow Sarah Ryglewski Martin Reichardt Pascal Kober Dr. Michael Espendiller Johann Saathoff Martin Erwin Renner Dr. Lukas Köhler Peter Felser Axel Schäfer (Bochum) Roman Johannes Reusch Carina Konrad Dr. Nina Scheer Dietmar Friedhoff Ulrike Schielke-Ziesing Wolfgang Kubicki Marianne Schieder Dr. Anton Friesen Dr. Robby Schlund Konstantin Kuhle Udo Schiefner Markus Frohnmaier Jörg Schneider Alexander Kulitz Dr. Nils Schmid Dr. Götz Frömming Uwe Schulz Alexander Graf Lambsdorff Uwe Schmidt Dr. Alexander Gauland Ulrich Lechte Thomas Seitz Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Axel Gehrke Christian Lindner Martin Sichert Dagmar Schmidt (Wetzlar) Albrecht Glaser Michael Georg Link Detlev Spangenberg Carsten Schneider (Erfurt) Franziska Gminder (Heilbronn) Dr. Dirk Spaniel Johannes Schraps Wilhelm von Gottberg Oliver Luksic René Springer Michael Schrodi Kay Gottschalk Till Mansmann Dr. Manja Schüle Armin-Paulus Hampel Beatrix von Storch Dr. Jürgen Martens Ursula Schulte Mariana Iris Harder-Kühnel Dr. Alice Weidel Christoph Meyer Swen Schulz (Spandau) Dr. Roland Hartwig Dr. Harald Weyel Alexander Müller Frank Schwabe Jochen Haug Wolfgang Wiehle Roman Müller-Böhm Stefan Schwartze Martin Hebner Dr. Heiko Wildberg Frank Müller-Rosentritt Andreas Schwarz Udo Theodor Hemmelgarn Dr. Christian Wirth Dr. Martin Neumann Rita Schwarzelühr-Sutter Waldemar Herdt Uwe Witt (Lausitz) 10692 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Hagen Reinhold Susanne Ferschl Alexander Ulrich Sven-Christian Kindler (C) Bernd Reuther Brigitte Freihold Kathrin Vogler Maria Klein-Schmeink Dr. Stefan Ruppert Sylvia Gabelmann Dr. Sahra Wagenknecht Sylvia Kotting-Uhl Dr. h. c. Thomas Sattelberger Nicole Gohlke Andreas Wagner Oliver Krischer Christian Sauter Dr. Gregor Gysi Harald Weinberg Christian Kühn (Tübingen) Frank Schäffler Dr. André Hahn Katrin Werner Renate Künast Dr. Wieland Schinnenburg Heike Hänsel Hubertus Zdebel Markus Kurth Matthias Seestern-Pauly Matthias Höhn Pia Zimmermann Monika Lazar Frank Sitta Andrej Hunko Sabine Zimmermann Sven Lehmann Judith Skudelny Ulla Jelpke (Zwickau) Steffi Lemke Dr. Hermann Otto Solms Kerstin Kassner Dr. Tobias Lindner Bettina Stark-Watzinger Dr. Achim Kessler BÜNDNIS 90/ Dr. Irene Mihalic Dr. Marie-Agnes Strack- Katja Kipping DIE GRÜNEN Claudia Müller Zimmermann Jan Korte Luise Amtsberg Beate Müller-Gemmeke Benjamin Strasser Jutta Krellmann Kerstin Andreae Ingrid Nestle Katja Suding Caren Lay Lisa Badum Dr. Konstantin von Notz Linda Teuteberg Sabine Leidig Annalena Baerbock Omid Nouripour Michael Theurer Ralph Lenkert Margarete Bause Friedrich Ostendorff Stephan Thomae Michael Leutert Dr. Danyal Bayaz Cem Özdemir Dr. Florian Toncar Stefan Liebich Canan Bayram Lisa Paus Dr. Andrew Ullmann Dr. Gesine Lötzsch Dr. Franziska Brantner Filiz Polat Gerald Ullrich Thomas Lutze Agnieszka Brugger Tabea Rößner Nicole Westig Amira Mohamed Ali Dr. Anna Christmann Claudia Roth (Augsburg) Katharina Willkomm Cornelia Möhring Ekin Deligöz Dr. Manuela Rottmann Niema Movassat Katja Dörner Corinna Rüffer DIE LINKE Norbert Müller (Potsdam) Katharina Dröge Manuel Sarrazin (B) Doris Achelwilm Zaklin Nastic Harald Ebner Ulle Schauws (D) Gökay Akbulut Dr. Alexander S. Neu Matthias Gastel Dr. Frithjof Schmidt Simone Barrientos Thomas Nord Kai Gehring Stefan Schmidt Dr. Dietmar Bartsch Sören Pellmann Stefan Gelbhaar Kordula Schulz-Asche Lorenz Gösta Beutin Victor Perli Katrin Göring-Eckardt Dr. Wolfgang Strengmann- Matthias W. Birkwald Tobias Pflüger Erhard Grundl Kuhn Heidrun Bluhm Martina Renner Anja Hajduk Margit Stumpp Michel Brandt Bernd Riexinger Britta Haßelmann Markus Tressel Christine Buchholz Eva-Maria Schreiber Dr. Bettina Hoffmann Jürgen Trittin Birke Bull-Bischoff Dr. Petra Sitte Dr. Anton Hofreiter Dr. Julia Verlinden Jörg Cezanne Helin Evrim Sommer Ottmar von Holtz Daniela Wagner Fabio De Masi Kersten Steinke Dieter Janecek Gerhard Zickenheiner Dr. Diether Dehm Friedrich Straetmanns Dr. Kirsten Kappert-Gonther Anke Domscheit-Berg Dr. Kirsten Tackmann Uwe Kekeritz Fraktionslos Klaus Ernst Jessica Tatti Katja Keul Marco Bülow

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10693

(A) Anlage 4 (C) Ergebnisse und Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 8 e)

Abgegebene Stimmkarten: 672

Ergebnis der Wahl eines ordentlichen Mitglieds

Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Peter Boehringer 243 395 34 - *Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

Abgegebene Stimmkarten: 670

Ergebnis der Wahl eines stellvertretenden Mitglieds

Abgeordnete/r Ja-Stimmen* Nein-Stimmen Enthaltungen Ungültige Stimmen Dr. Birgit Malsack-­ 231 403 35 1 Winkemann *Zur Wahl sind mindestens 355 Ja-Stimmen erforderlich.

Namensverzeichnis

CDU/CSU Astrid Damerow Oliver Grundmann Volker Kauder (B) Dr. Michael von Abercron Alexander Dobrindt Monika Grütters Dr. Stefan Kaufmann (D) Fritz Güntzler Ronja Kemmer Stephan Albani Michael Donth Marie-Luise Dött Olav Gutting Roderich Kiesewetter Norbert Maria Altenkamp Hansjörg Durz Christian Haase Michael Kießling Peter Altmaier Thomas Erndl Jürgen Hardt Dr. Georg Kippels Philipp Amthor Hermann Färber Matthias Hauer Volkmar Klein Artur Auernhammer Uwe Feiler Mark Hauptmann Axel Knoerig Peter Aumer Enak Ferlemann Dr. Matthias Heider Jens Koeppen Thomas Bareiß Axel E. Fischer (Karlsruhe- Mechthild Heil Markus Koob Maik Beermann Land) Thomas Heilmann Carsten Körber Manfred Behrens (Börde) Dr. Maria Flachsbarth Frank Heinrich (Chemnitz) Alexander Krauß Veronika Bellmann Thorsten Frei Mark Helfrich Gunther Krichbaum Dr. André Berghegger Dr. Hans-Peter Friedrich Rudolf Henke Dr. Günter Krings Melanie Bernstein (Hof) Michael Hennrich Rüdiger Kruse Christoph Bernstiel Michael Frieser Marc Henrichmann Michael Kuffer Peter Beyer Hans-Joachim Fuchtel Ansgar Heveling Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Marc Biadacz Ingo Gädechens Christian Hirte Katharina Landgraf Steffen Bilger Dr. Thomas Gebhart Dr. Heribert Hirte Ulrich Lange Peter Bleser Alois Gerig Alexander Hoffmann Dr. Silke Launert Norbert Brackmann Eberhard Gienger Karl Holmeier Jens Lehmann Michael Brand (Fulda) Eckhard Gnodtke Dr. Hendrik Hoppenstedt Paul Lehrieder Dr. Reinhard Brandl Ursula Groden-Kranich Hans-Jürgen Irmer Dr. Katja Leikert Silvia Breher Hermann Gröhe Thomas Jarzombek Dr. Andreas Lenz Sebastian Brehm Klaus-Dieter Gröhler Andreas Jung Dr. Ursula von der Leyen Heike Brehmer Michael Grosse-Brömer Ingmar Jung Antje Lezius Ralph Brinkhaus Astrid Grotelüschen Alois Karl Andrea Lindholz Dr. Carsten Brodesser Markus Grübel Anja Karliczek Dr. Carsten Linnemann Gitta Connemann Manfred Grund Torbjörn Kartes Patricia Lips 10694 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Nikolas Löbel Andreas Scheuer Ingo Wellenreuther Hubertus Heil (Peine) (C) Bernhard Loos Jana Schimke Marian Wendt Gabriela Heinrich Dr. Jan-Marco Luczak Tankred Schipanski Kai Whittaker Wolfgang Hellmich Daniela Ludwig Dr. Claudia Schmidtke Annette Widmann-Mauz Dr. Barbara Hendricks Karin Maag Patrick Schnieder Bettina Margarethe Gustav Herzog Dr. Thomas de Maizière Felix Schreiner Wiesmann Gabriele Hiller-Ohm Gisela Manderla Dr. Klaus-Peter Schulze Klaus-Peter Willsch Thomas Hitschler Dr. Astrid Mannes Uwe Schummer Elisabeth Winkelmeier- Dr. Eva Högl Matern von Marschall Armin Schuster (Weil am Becker Frank Junge Hans-Georg von der Marwitz Rhein) Oliver Wittke Josip Juratovic Andreas Mattfeldt Torsten Schweiger Emmi Zeulner Thomas Jurk Stephan Mayer (Altötting) Detlef Seif Paul Ziemiak Oliver Kaczmarek Dr. Michael Meister Johannes Selle Dr. Matthias Zimmer Johannes Kahrs Jan Metzler Reinhold Sendker Elisabeth Kaiser Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Patrick Sensburg SPD Gabriele Katzmarek Thomas Silberhorn Dr. Mathias Middelberg Niels Annen Cansel Kiziltepe Björn Simon Dietrich Monstadt Ingrid Arndt-Brauer Arno Klare Tino Sorge Karsten Möring Heike Baehrens Lars Klingbeil Jens Spahn Dr. Bärbel Kofler Marlene Mortler Ulrike Bahr Katrin Staffler Daniela Kolbe Elisabeth Motschmann Nezahat Baradari Dr. Gerd Müller Frank Steffel Elvan Korkmaz Doris Barnett Axel Müller Dr. Wolfgang Stefinger Anette Kramme Dr. Matthias Bartke Sepp Müller Albert Stegemann Christine Lambrecht Sören Bartol Carsten Müller Andreas Steier Christian Lange (Backnang) Lothar Binding (Heidelberg) (Braunschweig) Peter Stein (Rostock) Dr. Karl Lauterbach Leni Breymaier Stefan Müller (Erlangen) Johannes Steiniger Helge Lindh Dr. Karl-Heinz Brunner Dr. Andreas Nick Christian Frhr. von Stetten Burkhard Lischka Katrin Budde Petra Nicolaisen Dieter Stier Kirsten Lühmann Martin Burkert (B) Michaela Noll Gero Storjohann Heiko Maas (D) Dr. Lars Castellucci Dr. Georg Nüßlein Stephan Stracke Caren Marks Bernhard Daldrup Wilfried Oellers Max Straubinger Katja Mast Dr. Daniela De Ridder Florian Oßner Karin Strenz Christoph Matschie Dr. Karamba Diaby Josef Oster Michael Stübgen Hilde Mattheis Esther Dilcher Henning Otte Dr. Peter Tauber Dr. Matthias Miersch Sabine Dittmar Sylvia Pantel Dr. Hermann-Josef Tebroke Klaus Mindrup Martin Patzelt Hans-Jürgen Thies Dr. Wiebke Esdar Susanne Mittag Dr. Joachim Pfeiffer Alexander Throm Saskia Esken Falko Mohrs Stephan Pilsinger Dr. Dietlind Tiemann Yasmin Fahimi Claudia Moll Dr. Christoph Ploß Antje Tillmann Dr. Johannes Fechner Bettina Müller Eckhard Pols Markus Uhl Dr. Fritz Felgentreu Detlef Müller (Chemnitz) Thomas Rachel Dr. Volker Ullrich Dr. Edgar Franke Michelle Müntefering Kerstin Radomski Arnold Vaatz Ulrich Freese Dr. Rolf Mützenich Alexander Radwan Oswin Veith Dagmar Freitag Andrea Nahles Alois Rainer Kerstin Vieregge Sigmar Gabriel Dietmar Nietan Dr. Peter Ramsauer Volkmar Vogel (Kleinsaara) Michael Gerdes Ulli Nissen Eckhardt Rehberg Kees de Vries Martin Gerster Thomas Oppermann Lothar Riebsamen Christoph de Vries Angelika Glöckner Josephine Ortleb Josef Rief Dr. Johann David Wadephul Timon Gremmels Mahmut Özdemir (Duisburg) Johannes Röring Marco Wanderwitz Kerstin Griese Aydan Özoğuz Dr. Norbert Röttgen Nina Warken Michael Groß Christian Petry Stefan Rouenhoff Kai Wegner Uli Grötsch Detlev Pilger Erwin Rüddel Albert H. Weiler Bettina Hagedorn Sabine Poschmann Albert Rupprecht Marcus Weinberg (Hamburg) Rita Hagl-Kehl Florian Post Stefan Sauer Dr. Anja Weisgerber Metin Hakverdi Achim Post (Minden) Anita Schäfer (Saalstadt) Peter Weiß (Emmendingen) Sebastian Hartmann Florian Pronold Dr. Wolfgang Schäuble Sabine Weiss (Wesel I) Dirk Heidenblut Dr. Sascha Raabe Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10695

(A) Martin Rabanus Jürgen Braun Sebastian Münzenmaier Ulla Ihnen (C) Andreas Rimkus Marcus Bühl Christoph Neumann Olaf In der Beek Sönke Rix Matthias Büttner Jan Ralf Nolte Gyde Jensen Dennis Rohde Petr Bystron Frank Pasemann Dr. Christian Jung Dr. Martin Rosemann Tino Chrupalla Tobias Matthias Peterka Thomas L. Kemmerich René Röspel Joana Cotar Paul Viktor Podolay Karsten Klein Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Gottfried Curio Jürgen Pohl Dr. Marcel Klinge Susann Rüthrich Siegbert Droese Stephan Protschka Daniela Kluckert Bernd Rützel Thomas Ehrhorn Martin Reichardt Pascal Kober Sarah Ryglewski Berengar Elsner von Gronow Martin Erwin Renner Dr. Lukas Köhler Johann Saathoff Dr. Michael Espendiller Roman Johannes Reusch Carina Konrad Axel Schäfer (Bochum) Peter Felser Ulrike Schielke-Ziesing Wolfgang Kubicki Dr. Nina Scheer Dietmar Friedhoff Dr. Robby Schlund Konstantin Kuhle Marianne Schieder Dr. Anton Friesen Jörg Schneider Alexander Kulitz Udo Schiefner Markus Frohnmaier Uwe Schulz Alexander Graf Lambsdorff Dr. Nils Schmid Dr. Götz Frömming Thomas Seitz Ulrich Lechte Uwe Schmidt Dr. Alexander Gauland Martin Sichert Christian Lindner Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Axel Gehrke Detlev Spangenberg Michael Georg Link Dagmar Schmidt (Wetzlar) Albrecht Glaser Dr. Dirk Spaniel (Heilbronn) Carsten Schneider (Erfurt) Franziska Gminder René Springer Oliver Luksic Johannes Schraps Wilhelm von Gottberg Beatrix von Storch Till Mansmann Dr. Jürgen Martens Michael Schrodi Kay Gottschalk Dr. Alice Weidel Christoph Meyer Dr. Manja Schüle Armin-Paulus Hampel Dr. Harald Weyel Alexander Müller Ursula Schulte Mariana Iris Harder-Kühnel Wolfgang Wiehle Roman Müller-Böhm Swen Schulz (Spandau) Dr. Roland Hartwig Dr. Heiko Wildberg Frank Müller-Rosentritt Frank Schwabe Jochen Haug Dr. Christian Wirth Dr. Martin Neumann Stefan Schwartze Martin Hebner Uwe Witt (Lausitz) Andreas Schwarz Udo Theodor Hemmelgarn Hagen Reinhold (B) Rita Schwarzelühr-Sutter Waldemar Herdt FDP (D) Bernd Reuther Rainer Spiering Lars Herrmann Grigorios Aggelidis Dr. Stefan Ruppert Svenja Stadler Martin Hess Renata Alt Dr. h. c. Thomas Sattelberger Martina Stamm-Fibich Karsten Hilse Christine Aschenberg- Christian Sauter Sonja Amalie Steffen Nicole Höchst Dugnus Frank Schäffler Mathias Stein Martin Hohmann Nicole Bauer Dr. Wieland Schinnenburg Dr. Bruno Hollnagel Jens Beeck Kerstin Tack Matthias Seestern-Pauly Claudia Tausend Leif-Erik Holm Dr. Jens Brandenburg Johannes Huber Frank Sitta Michael Thews (Rhein-Neckar) Fabian Jacobi Judith Skudelny Markus Töns Mario Brandenburg Dr. Marc Jongen (Südpfalz) Dr. Hermann Otto Solms Carsten Träger Jens Kestner Dr. Marco Buschmann Bettina Stark-Watzinger Ute Vogt Stefan Keuter Karlheinz Busen Dr. Marie-Agnes Strack- Marja-Liisa Völlers Zimmermann Norbert Kleinwächter Carl-Julius Cronenberg Dirk Vöpel Benjamin Strasser Enrico Komning Britta Katharina Dassler Gabi Weber Katja Suding Jörn König Bijan Djir-Sarai Bernd Westphal Linda Teuteberg Steffen Kotré Christian Dürr Dirk Wiese Michael Theurer Dr. Rainer Kraft Hartmut Ebbing Gülistan Yüksel Stephan Thomae Rüdiger Lucassen Dr. Marcus Faber Dagmar Ziegler Dr. Florian Toncar Frank Magnitz Daniel Föst Dr. Jens Zimmermann Dr. Andrew Ullmann Jens Maier Katrin Helling-Plahr Gerald Ullrich Dr. Lothar Maier Markus Herbrand AfD Nicole Westig Dr. Birgit Malsack- Torsten Herbst Dr. Bernd Baumann Winkemann Katja Hessel Katharina Willkomm Marc Bernhard Corinna Miazga Dr. Gero Clemens Hocker Andreas Bleck Andreas Mrosek Manuel Höferlin DIE LINKE Peter Boehringer Hansjörg Müller Dr. Christoph Hoffmann Doris Achelwilm Stephan Brandner Volker Münz Reinhard Houben Gökay Akbulut 10696 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Simone Barrientos Amira Mohamed Ali Lisa Badum Steffi Lemke (C) Dr. Dietmar Bartsch Cornelia Möhring Annalena Baerbock Dr. Tobias Lindner Lorenz Gösta Beutin Niema Movassat Margarete Bause Dr. Irene Mihalic Matthias W. Birkwald Norbert Müller (Potsdam) Dr. Danyal Bayaz Claudia Müller Heidrun Bluhm Zaklin Nastic Canan Bayram Beate Müller-Gemmeke Michel Brandt Dr. Alexander S. Neu Dr. Franziska Brantner Ingrid Nestle Christine Buchholz Thomas Nord Agnieszka Brugger Dr. Konstantin von Notz Birke Bull-Bischoff Sören Pellmann Dr. Anna Christmann Omid Nouripour Jörg Cezanne Victor Perli Ekin Deligöz Friedrich Ostendorff Sevim Dağdelen Tobias Pflüger Katja Dörner Cem Özdemir Fabio De Masi Martina Renner Katharina Dröge Lisa Paus Dr. Diether Dehm Bernd Riexinger Harald Ebner Filiz Polat Anke Domscheit-Berg Eva-Maria Schreiber Matthias Gastel Tabea Rößner Klaus Ernst Kai Gehring Dr. Petra Sitte Claudia Roth (Augsburg) Susanne Ferschl Stefan Gelbhaar Helin Evrim Sommer Dr. Manuela Rottmann Brigitte Freihold Katrin Göring-Eckardt Kersten Steinke Corinna Rüffer Sylvia Gabelmann Erhard Grundl Friedrich Straetmanns Manuel Sarrazin Nicole Gohlke Anja Hajduk Dr. Kirsten Tackmann Ulle Schauws Dr. Gregor Gysi Britta Haßelmann Jessica Tatti Dr. Frithjof Schmidt Dr. André Hahn Dr. Bettina Hoffmann Alexander Ulrich Stefan Schmidt Heike Hänsel Dr. Anton Hofreiter Kathrin Vogler Kordula Schulz-Asche Matthias Höhn Ottmar von Holtz Dr. Sahra Wagenknecht Dr. Wolfgang Strengmann- Andrej Hunko Dieter Janecek Kuhn Ulla Jelpke Andreas Wagner Dr. Kirsten Kappert-Gonther Margit Stumpp Kerstin Kassner Harald Weinberg Uwe Kekeritz Markus Tressel Dr. Achim Kessler Katrin Werner Katja Keul Jürgen Trittin Katja Kipping Hubertus Zdebel Sven-Christian Kindler Dr. Julia Verlinden Jutta Krellmann Pia Zimmermann Maria Klein-Schmeink Daniela Wagner (B) Caren Lay Sabine Zimmermann Sylvia Kotting-Uhl (D) Gerhard Zickenheiner Sabine Leidig (Zwickau) Oliver Krischer

Ralph Lenkert Christian Kühn (Tübingen) Fraktionslos Michael Leutert BÜNDNIS 90/ Renate Künast DIE GRÜNEN Stefan Liebich Markus Kurth Marco Bülow Dr. Gesine Lötzsch Luise Amtsberg Monika Lazar Uwe Kamann Thomas Lutze Kerstin Andreae Sven Lehmann Mario Mieruch

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Anlage 5 terstützung der afghanischen nationalen Verteidi- gungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan Erklärung nach § 31 GO (Tagesordnungspunkt 9 a)

der Abgeordneten Omid Nouripour, Kerstin Die Bundeswehr befindet sich seit fast zwei Jahrzehn- Andreae, Dr. Danyal Bayaz, Dr. Franziska ten im Einsatz in Afghanistan. Heute geht sie nicht mehr Brantner, Dr. Anna Christmann, Anja Hajduk, in die Fläche, sondern nimmt mit dem Einsatz Resolute Dr. Bettina Hoffmann, Ottmar von Holtz, Dieter Support die Rolle einer Ausbilderin und Unterstützerin Janecek, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, der afghanischen Sicherheitskräfte ein. Als Führungsna- Friedrich Ostendorff, Tabea Rößner, Dr. Manuela tion im Norden Afghanistans ermöglicht die Bundeswehr Rottmann, Manuel Sarrazin, Stefan Schmidt, den Einsatz von mehr als 20 Nationen. Kordula Schulz-Asche, Markus Tressel und Daniela Wagner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Im Jahr 2019 steht Afghanistan vor besonders gro- NEN) zu der namentlichen Abstimmung über die ßen Veränderungen. Das politische System Afghanistans Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschus- steht mit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fort- in einer notwendigen Erneuerungsphase. Endlich haben setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Friedensgespräche mit den Taliban an Fahrt aufgenom- Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute men. Bereits 2018 hat die Kabuler Regierung den Taliban Support für die Ausbildung, Beratung und Un- ein weitreichendes Friedensangebot gemacht, das diese Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10697

(A) abgelehnt haben. Seit Dezember sprechen die USA mit Mit dem Beginn ihres militärischen Engagements (C) den Taliban über ein Ende des Krieges. Diese Gespräche hat die internationale Gemeinschaft eine Schutzverant- sind notwendig, dürfen aber auf keinen Fall die afgha- wortung für die Menschen in Afghanistan übernommen. nische Regierung und Gesellschaft außen vor lassen. Dieser Verantwortung wollen wir gerecht werden – im zivilen und, solange notwendig, auch im militärischen Die afghanische Regierung und Gesellschaft sind zur- Bereich. zeit in besonderem Maße auf internationale Unterstüt- zung angewiesen. Eine Unterstützung der afghanischen Das Bild, das sich ergibt, wenn man nach der Bilanz Sicherheitskräfte ist nach wie vor notwendig, weil die des Einsatzes fragt, ist vielschichtig. Es geht den Afgha- Auseinandersetzung mit den Taliban und anderen auf- ninnen und Afghanen besser als unter der Herrschaft der ständischen Gruppen im Moment mit großen Opfern Taliban. Die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung ist in der Zivilbevölkerung geführt wird. Die Zukunft der zwischen 15 und 29 Jahren alt. Es ist eine junge Genera- internationalen militärischen Präsenz muss an konkrete tion, die erfahren hat, was es heißt, in einem friedliche- Fortschritte im Friedensprozess gebunden werden, um ren und freieren Afghanistan zu leben. Ihnen und ihren die afghanische Regierung in ihrer Verhandlungsposi- Hoffnungen schulden wir Beistand. Für uns ist es eine tion zu unterstützen. Es ist wichtig, dass Afghaninnen Angelegenheit des Gewissens, mit einer Zustimmung und Afghanen über die zukünftigen Geschicke ihres zum Mandat den Afghaninnen und Afghanen unsere Un- Landes bestimmen können. Sollten die internationale terstützung und Solidarität zuzusichern. Gemeinschaft und die Bundeswehr die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte jetzt beenden, würden die Chancen für ziviles Engagement und eine langfristige friedvolle Entwicklung des Landes genommen werden. Anlage 6 Die Bundesregierung muss endlich alte Fehler des Erklärung nach § 31 GO Afghanistan-Engagements angehen. Dazu zählt vor al- der Abgeordneten Alexander Müller, Markus lem das Verhältnis zur Antiterrorpolitik der USA. In den Herbrand, Torsten Herbst, Katja Hessel, Manuel letzten Jahren haben „night raids“ oder zahlreiche Bom- Höferlin, Dr. Christian Jung, Carina Konrad, bardierungen, bei denen auch Zivilistinnen und Zivilisten Wolfgang Kubicki, Roman Müller-Böhm, Bernd ums Leben gekommen sind, sehr stark dazu beigetragen, Reuther, Dr. Stefan Ruppert, Christian Sauter, dass ausländische Streitkräfte an vielerlei Orten die Köp- Frank Schäffler, Dr. Wieland Schinnenburg, Bettina fe und Herzen der Afghaninnen und Afghanen verloren Stark-Watzinger, Nicole Westig und Katharina haben. Die Bundesregierung muss sich im Rahmen der Willkomm (alle FDP) zu der namentlichen Abstim- NATO und gegenüber den USA dafür einsetzen, dass die- (B) mung über die Beschlussempfehlung des Auswär- (D) ses falsche Vorgehen beendet wird und nicht in Zukunft tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesre- der Kern des amerikanischen Engagements bildet. gierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie deut- deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz lich darlegt, wie in Zukunft ihre zivilen Hilfsprogram- Resolute Support für die Ausbildung, Beratung und me fortgesetzt und ausgestaltet werden können. Dies Unterstützung der afghanischen nationalen Vertei- gilt sowohl für den Fall, dass ein Friedensschluss mit digungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan den Taliban gelingt, als auch für ein Scheitern der Ver- (Tagesordnungspunkt 9 a) handlungen. Verlässliche Zusagen und ein langfristiges Die Bundeswehr ist seit über 17 Jahren in Afghanis- Engagement braucht es vor allem im zivilen Bereich – tan im Einsatz. Die ursprünglichen Ziele, unter denen von der Rechtsstaatsförderung bis zur wirtschaftlichen das Mandat vom Deutschen Bundestag 2001 beschlos- Entwicklung. Schwerpunkt deutscher Entwicklungszu- sen wurde, also die Schaffung eines stabilen Friedens im sammenarbeit muss es sein, gute Regierungsführung und Land, das Ausmerzen aller Terrorzellen und die Errich- die Einhaltung der Menschenrechte, insbesondere der tung einer freiheitlichen Gesellschaftsform für alle Af- Frauenrechte, zu fördern. Gerade für die vielen jungen ghanen, konnten auch nach so langer Zeit nur teilweise Menschen in Afghanistan muss Deutschland besonders erreicht werden. engagiert bleiben im Bereich Bildung und bei der Be- schäftigungsförderung klare Akzente setzen. Diese Mit- Die FDP-Bundestagsfraktion hat daher heute einen tel an die Rücknahme von Flüchtlingen zu koppeln, ist Entschließungsantrag zur Beschlussfassung eingebracht, eine Erpressungspolitik, die wir kritisieren. in dem wir zum Ausdruck bringen, welche Konsequen- zen aus der veränderten Lage gezogen werden sollten. Der Afghanistan-Einsatz ist der längste und kontro- verseste Auslandseinsatz der Bundeswehr, der nicht nur Das Mandat der Bundesregierung, über das wir heute Afghanistan, sondern auch Deutschland geprägt hat. abstimmen, enthält keine Aussage darüber, welche Zie- Abertausende Soldatinnen und Soldaten und zivile Hel- le in naher und mittlerer Zukunft noch konkret erreicht ferinnen und Helfer haben beim Wiederaufbau mitgehol- werden sollen, bis das Mandat beendet werden kann. Es fen. Ihre Erfahrungen müssen in die wichtige Diskussion, enthält keine Aussagen darüber, wie der Einsatz evaluiert wie die Bundesrepublik sich in Zukunft in Auslandsein- werden soll, um nach Erreichen bestimmter Meilenstei- sätzen einbringen sollte, einfließen. Die Bundesregierung ne dieses Mandat irgendwann zu beenden. Wir müssen verweigert sich aber weiterhin einer unabhängigen Eva- mit dieser Vorlage befürchten, dass die Bundeswehr noch luierung des deutschen Afghanistan-Engagements. Das sehr viele weitere Jahre in Afghanistan eingesetzt werden ist der Bedeutung dieses Einsatzes völlig unangemessen. soll. 10698 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Wenn wir heute diesem Mandat nicht zustimmen, schärft. Bereits am 21. August 2017 hat US-Präsident (C) dann nicht, weil wir die Teilerfolge nicht anerkennen Donald Trump seine Afghanistan-Strategie in den Wor- würden. Jedem von uns ist klar, dass ein Abzug unse- ten zusammengefasst: „We are not nation-building again. rer Soldatinnen und Soldaten vorher intensiv mit den We are killing terrorists.“ In einem Zickzackkurs wurden Bündnispartnern abgestimmt werden muss, viele Mona- erst die Kampftruppen und Angriffsaktionen massiv ver- te benötigen wird und auch ein weiteres Mandat erfor- stärkt, dann ein schneller genereller Abzug in den Raum dern würde. Aber dieses Mandat der Bundesregierung, gestellt und anschließend etwas relativiert. Parallel dazu welches keine Aussicht auf ein Mandatsende innerhalb wurden intransparent verschiedene Gespräche mit Ver- der nächsten Jahre aufzeigt, können wir nicht mittragen. tretern der Taliban ohne direkte Einbeziehung der af- Wir stehen voll hinter unseren Soldatinnen und Solda- ghanischen Regierung aufgenommen. Die NATO wurde ten, und aus dieser Verantwortung heraus verlangen wir jeweils vor scheinbar vollendete Tatsachen gestellt. Von von der Bundesregierung ein Mandat im Sinne unseres einem partnerschaftlichen Entscheidungsprozess konnte Entschließungsantrags, welches eine Perspektive für eine und kann nicht die Rede sein. Beendigung des Einsatzes in Afghanistan aufzeigt. Die Bundesregierung hat auf alle diese Entwicklungen konzeptlos und ratlos reagiert. Die faktisch unveränderte Fortschreibung des bestehenden Mandates ist ein zuge- Anlage 7 spitzter Ausdruck dieser Konzeptlosigkeit. Diese Bun- Erklärung nach § 31 GO desregierung ist heute weniger denn je in der Lage, den Zweck dieses Einsatzes klar festzulegen. der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Katja Dörner, Erhard Grundl, Dr. Kirsten Kappert-­ Im Bundeswehr-Mandat für RSM ist das Verhältnis Gonther, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Sven-­ zwischen Ausbildung und Training sowie einer mögli- Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, chen Beteiligung an der Aufstandsbekämpfung nach wie Christian Kühn, Sven Lehmann, Dr. Irene Mihalic, vor nicht eindeutig geklärt. Während pro Ausbilder eine Beate Müller-Gemmeke, Filiz Polat, Claudia Roth sehr hohe Zahl von Schutzkräften vorgehalten werden (Augsburg), Corinna Rüffer, Margit Stumpp und muss, bilden diese Ausbilder Einheiten aus, aus denen Jürgen Trittin (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pro Jahr ein Viertel der Soldaten desertieren. Eine Be- zu der namentlichen Abstimmung über die Be- gleitung von afghanischen Truppen in Kampfeinsätze schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses wird durch die Bundesregierung nicht ausdrücklich aus- zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung geschlossen. Das ursprüngliche Ziel des Nation-Buil- der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf- dings findet schon lange nicht mehr statt. (B) te am NATO-geführten Einsatz Resolute Support Durch diese Unklarheit im Mandat und die bisherige (D) für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung Ausweitung des US-Kampfeinsatzes besteht weiterhin der afghanischen nationalen Verteidigungs- und die Gefahr, dass die Bundeswehr in Operationen offen- Sicherheitskräfte in Afghanistan siver Aufstandsbekämpfung hineingezogen wird. Diese (Tagesordnungspunkt 9 a) Form des militärischen Vorgehens, die einhergeht mit Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundes- hohen zivilen Opferzahlen, lehnen wir grundsätzlich ab. wehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Wir halten sie nicht für zielführend, um damit einen nach- Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen ha- haltigen Friedensprozess in Afghanistan zu etablieren. ben. Der Einsatz von Militär kann immer nur äußerstes Das weitere Vorgehen seitens der USA ist vollkommen Mittel zur Gewalteindämmung und Friedenssicherung offen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie zugunsten einer sein. Militär kann bestenfalls ein Zeitfenster für Krisen- Verhandlungslösung mit den Taliban innerhalb kurzer bewältigung schaffen, nicht aber den Frieden selbst. Zeit ihre Truppen abziehen, ist deutlich gestiegen. Gera- de vor dem Hintergrund vager Äußerungen wie der von Beim bisher längsten Auslandseinsatz deutscher Sol- Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einer Überprüfung datinnen und Soldaten in Afghanistan gab es jahrelang im Falle von Änderungen von US-amerikanischer Seite eine Dominanz militärischer Zielsetzungen gegenüber fehlt jedoch auf deutscher Seite immer noch eine konkre- zivilen Lösungsansätzen und ein fehlendes entwick- te Abzugsperspektive. Heute ist es nicht mehr eine Frage, lungspolitisches Konzept. Schon seit Langem war klar, ob, sondern wann und wie die internationale Präsenz in dass die Strategie, vorrangig mit militärischen Mitteln Afghanistan endet. Will man dieses geordnet organisie- eine Friedenslösung erzwingen zu wollen, gescheitert ren, bedarf es einer Abzugsstrategie. ist. Nicht zuletzt die Capture-or-Kill-Operationen und die gezielten Tötungen durch Drohnenangriffe der USA Das vorgelegte Mandat ist ein bloßes Weiter-so. Es forderten immer wieder zivile Opfer und haben das Ver- entspricht damit nicht den Kriterien, die wir an Bundes- trauen der afghanischen Bevölkerung in die internatio- wehrmandate anlegen. Es ist keine Antwort auf die Reali- nale Präsenz untergraben. Eine politische Lösung wurde tät in Afghanistan. Deshalb lehnen wir dieses Mandat ab. dadurch in den letzten Jahren enorm erschwert. In der Der Krieg in Afghanistan ist militärisch nicht zu lösen. Realität ist die Strategie, Afghanistan eine Perspektive Die Bundesregierung muss nun bei allen relevanten gegen oder ohne die Taliban zu geben, gescheitert. Akteuren der in verschiedenen Formaten unkoordiniert Die massiven und sprunghaften Veränderungen der ablaufenden Friedensverhandlungen aktiv darauf drin- Strategie der amerikanischen Streitkräfte unter der gen, dass hinreichende Bedingungen für die dringend Trump-Administration haben die Lage massiv ver- erforderliche Fortsetzung von humanitärer Hilfe und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10699

(A) Entwicklungszusammenarbeit gesichert werden. Gerade Einrichtungen der Verwaltung, auf Zivilisten und auf mi- (C) nach möglichen Schritten hin zu einer politischen Befrie- litärische Ziele. dung muss alles getan werden, um die zivile Unterstüt- zung der afghanischen Bevölkerung weiterzuführen. Auch die Ausbildungsmission der Bundeswehr für die Regierungstruppen kann in diesem Zusammenhang nur als Katastrophe angesehen werden: Mehr als ein Drittel der Soldaten in Ausbildung desertieren und schließen Anlage 8 sich zum Teil anderen kämpfenden Verbänden an. Erklärungen nach § 31 GO Im Januar dieses Jahres war ich mit einer Delegati- on des Verteidigungsausschusses in Afghanistan. Dort zu der namentlichen Abstimmung über die Be- konnten wir das Lager in Masar-i-Scharif nicht verlas- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschus- sen. Ebenso geht es vielen deutschen Soldaten vor Ort. ses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fort- Meine Nachfrage, wie viele Söldner in der Region sind, setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher konnte die Bundesregierung nicht beantworten. Klar ist, Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute dass Teile der Taliban vom Nachbarland Pakistan unter- Support für die Ausbildung, Beratung und Un- stützt werden. Selbst privat organisierte Kampfeinheiten terstützung der afghanischen nationalen Verteidi- der organisierten Kriminalität sind im Einsatz. Die Lage gungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan ist unvorhersehbar und für die deutschen Soldaten ob- (Tagesordnungspunkt 9 a) jektiv lebensbedrohlich. Daher stimme ich gegen dieses Bundestagsmandat. In vielen Gesprächen wurde klar, Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heu- dass das Land unsicher ist und wir eine andere Lösung te stimme ich gegen die Fortführung des Bundeswehrein- für den Konflikt vor Ort brauchen. satzes in Afghanistan. Seit 2001 gibt es einen NATO-ge- Zivile Lösungen und Programme müssen her. Natür- führten Krieg in Afghanistan, an dem sich seit 2011 – in lich sind diese teuer und bedürfen einer neuen Konzep- unterschiedlicher Funktion und Mandatierung – auch tion. Nichtsdestotrotz müssen diese Anstrengungen ver- deutsche Truppen beteiligen. Die jüngsten NATO-Solda- sucht werden. Vor dem Hintergrund der katastrophalen ten, die am Einsatz beteiligt sind, waren noch nicht ge- Entwicklung und Nichterreichen der selbstgesteckten boren, als der Krieg begonnen wurde. Wir haben es mit Ziele ist jede Anstrengung nur folgerichtig. dem längsten Einsatz der Bundeswehr in der Geschichte der Bundesrepublik zu tun. Die Bundesregierung muss sich eingestehen, dass sie in Afghanistan gescheitert ist. Es entsteht der Eindruck, Vorab: Eine Verbesserung der Lage vor Ort hinsichtlich (B) dass die deutschen Soldaten nur vor Ort verbleiben, da- (D) Sicherheit, dem Zurückdrängen radikal-islamistischer mit die Bundesregierung nicht zugeben muss, dass sie Kräfte oder aber der Einführung einer demokratischen den Krieg in Afghanistan verloren hat. Darum werde ich Gesellschaft ist in all den Jahren nicht zu verzeichnen. einer Verlängerung des Einsatzes auch nicht zustimmen. Dahin gehend nicht genug, befindet sich die Bundes- Der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ist überfäl- wehr in einer unsicheren Situation bezüglich ihrer militä- lig. rischen Partner. Abzugspläne beispielsweise der US-ame- rikanischen Truppen und gar Verhandlungen einzelner Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Partner mit den radikalen Taliban ohne Berücksichtigung Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundes- des Bundeswehreinsatzes schaffen eine Lage, die für die wehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Soldaten der Bundeswehr massive Sicherheitsgefährdun- Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen ha- gen bedeutet. Beim Aufbau ziviler Strukturen zu helfen, ben. Sie fordert wie kaum eine andere das Gewissen und daran ist im Zuge solch einer veränderten Ausgangs- und Herz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Den in Sicherheitslage innerhalb dieses Einsatzes nicht mehr zu Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten und denken. zivilen Helferinnen und Helfern und ihren Familienan- gehörigen möchte ich für ihren persönlichen Einsatz un- Vom eigentlichen Ziel, die radikal-islamistischen Ta- ter gefährlichen Bedingungen danken und ihnen meine liban zu besiegen und eine Demokratie in Afghanistan Wertschätzung entgegenbringen. zu errichten, ist man entfernter als noch vor Beginn des Einsatzes. Ein Weiter-so entbehrt deswegen jeglicher Lo- Der Militäreinsatz in Afghanistan dauert nun bereits gik. Die Ziele des Einsatzes sind einfach nicht mehr zu fast 18 Jahre. Die jahrelange Dominanz militärischer erreichen. Ein konsequentes Umdenken muss einsetzen. Ansätze gegenüber zivilen Lösungen, ein fehlendes Die Stärkung von Demokratie und der Aufbau ziviler entwicklungspolitisches Konzept sowie eine fehlende und entwicklungspolitischer Strukturen müssen gänzlich Exit-Strategie gehören zu den Fehlern der deutschen vom Einsatz der Bundeswehr entkoppelt werden. Hierzu Afghanistanpolitik. Diese Fehler werden mit dem vorlie- muss es ein komplett neues Konzept geben, das an die genden Mandat weiter fortgesetzt. aktuellen Erfordernisse angepasst ist. Das militärische Engagement in Afghanistan ist ge- Mittlerweile wissen wir, dass die – von der internatio- scheitert. Die Sicherheitslage im Land verschlechtert sich nalen Gemeinschaft anerkannte – afghanische Regierung Jahr für Jahr immer weiter, und die Zahl der Opfer unter nur noch weniger als die Hälfte des Landes kontrolliert. den afghanischen Sicherheitskräften und bei Zivilistin- Es kommt immer wieder zu massiven Anschlägen auf nen und Zivilisten bleibt hoch und stieg zuletzt sogar 10700 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) noch an. Im afghanischen Militär und bei der Polizei gibt Seit dem Sommer 2018 führen die USA mit den Taliban (C) es eine extrem hohe Desertationsrate. Nach dem viertel- Gespräche, ohne die afghanische Regierung oder die Zi- jährlichen Bericht des Spezialinspekteurs des US-Senats vilgesellschaft daran zu beteiligen. Die USA haben da- für den Wiederaufbau in Afghanistan (SIGAR) ist nur gut mit mit dem Konsens der internationalen Gemeinschaft die Hälfte des Landes unter Kontrolle oder Einfluss der gebrochen, dass die afghanische Regierung mit am Ver- afghanischen Sicherheitskräfte. handlungstisch sitzen müsse. Die Trump-Administra- tion hat zudem zur einzigen Bedingung der Gespräche Die Klientelpolitik der politischen Eliten, massi- gemacht, dass aus Afghanistan keine Terrorgefahr für ve Korruptionsprobleme und die Rivalitäten zwischen andere Staaten mehr ausgehen soll. Eine solche kurzsich- verschiedenen Gruppen haben dazu geführt, dass viele tige Verhandlungsstrategie kann weder zum Erfolg füh- Menschen in Afghanistan bitter enttäuscht über diese Re- ren, noch wird sie eine echte Friedensperspektive für die gierung sind. Bis heute gelingt es der afghanischen Re- Menschen in Afghanistan ermöglichen. Trotzdem trafen gierung nicht, staatliche Souveränität in allen Provinzen sich vom 17. bis 20. März 2019 die Vertreterinnen und durchzusetzen. Vertreter verschiedener Gruppen zu einer großen Ver- Bei aller Verbundenheit und Betroffenheit muss man sammlung, Loya Jirga, um ihre roten Linien für die Ver- mit einem realistischen Blick leider feststellen, dass das handlungen festzulegen. Nur wenn die Afghaninnen und militärische Engagement trotz vieler Strategiewechsel Afghanen am Ende selbst über ihre Zukunft mitentschei- keine Erfolgsperspektive mehr hat. Es ist bitter, aber den können, besteht die Chance auf einen nachhaltigen Frieden, der auch die Rechte der afghanischen Zivilge- von nachhaltigem Frieden und dauerhafter Stabilität ist sellschaft achtet. Ein solcher Weg wäre trotzdem nicht Afghanistan trotz des Einsatzes der internationalen Ge- einfach, von langer Dauer und vielen Problemen geprägt. meinschaft noch weit entfernt. Die fatalen militärischen Die Bundesregierung hat über Jahre zu wenig an einer Strategiewechsel in den Vorgängermissionen aber auch diplomatischen Lösung gearbeitet. Das aktuelle Angebot der nationale Antiterrorkampf der USA haben die Er- für eine Friedenskonferenz in Deutschland ist zwar rich- folgsperspektiven des Einsatzes weiter verringert. Ob- tig, kommt aber Jahre zu spät. wohl sich zwischenzeitlich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die offensive Aufstandsbekämpfung nicht zu Es gehört auch zu einer ehrlichen Debatte, die militä- mehr Sicherheit beiträgt, sondern kontraproduktiv wirkt, rischen Einsätze in Afghanistan kritisch zu reflektieren. wurden bereits unter dem US-Präsidenten Barack Obama Deshalb ist eine tiefgehende, umfangreiche, unabhängige verstärkt wieder Luftangriffe durchgeführt. Insbesonde- und kritische Evaluation der Einsätze unablässig, um mi- re Donald Trumps militärische Eskalationsstrategie seit litärisches, aber auch ziviles Engagement auszuwerten. 2017, die erneute massive Ausweitung des Antiterror- Präsident Trump hat mit seiner unabgestimmten An- kampfes mit Angriffen in der Nacht – englisch „night (B) kündigung den Taliban und anderen radikalen Kräften in (D) raids“ – Drohnenangriffen und Luftschlägen haben die Hände gespielt. Ich selbst habe immer wieder einen weder zu einer substanziellen Schwächung der Taliban Abzugsplan gefordert, dieser muss aber klug und verant- geführt, noch das Blatt zugunsten der afghanischen Si- wortungsvoll gestaltet sein. Auch wenn meine Ablehnung cherheitskräfte gewendet. Diese falsche und gefährliche dieses Einsatzes nicht als Forderung nach einem Sofort- Logik führt im Gegenteil zu mehr zivilen Opfern, trägt abzug zu verstehen ist, lehne ich – insbesondere vor dem zur Radikalisierung der Aufständischen sowie in der Be- angekündigten Abzug der USA – ein verantwortungslo- völkerung bei und heizt die Gewaltspirale weiter an. ses Weiter-so des deutschen Militäreinsatzes in Afgha- Es braucht eine kluge Exit-Strategie und einen verant- nistan ab. Man kann einen Einsatz nach fast 20 Jahren wortungsvollen Abzugsplan. Die Bundesregierung hat nicht einfach immer weiter verlängern, wenn schon lange Jahr für Jahr nur leere Durchhalteparolen präsentiert, den klar ist, dass er keine Erfolgsperspektive mehr hat. hochgefährlichen Einsatz immer wieder verlängert und Deshalb werde ich das Mandat der Bundesregierung die 2016 von der NATO beschlossene zeitliche Entfris- ablehnen. tung des Afghanistan-Einsatzes mitgetragen. Dabei hätte sielängst Kriterien für ein Ende des Einsatzes festlegen Elvan Korkmaz (SPD): Aus persönlicher Überzeu- und einen klugen Abzugsplan verbreiten müssen. Ein gung kann ich dem Mandat nicht zustimmen. Ich res- Verbleib deutscher Soldatinnen und Soldaten bei einem pektiere mit meiner Enthaltung jedoch ausdrücklich das gleichzeitigen Abzug der US-Armee aus Afghanistan Engagement der Bunderegierung, begonnene Initiativen wäre nicht zu bewerkstelligen, wie Verteidigungsministe- konsequent und zeitnah zu einem friedlichen Ende zu rin Ursula von der Leyen selbst eingeräumt hat. In dieser führen. Situation einfach ein altes Mandat neu vorzulegen und so zu tun, als ob nichts geschehen sei, ist gefährlich naiv. Dr. Rainer Kraft (AfD): Seit 18 Jahren sind deutsche Weiter Verantwortung in Afghanistan übernehmen. Soldaten in Afghanistan im Einsatz, und seit 18 Jahren Die internationalen Verpflichtungen für den zivilen Wie- sterben deutsche Soldaten in Afghanistan für Zielsetzun- deraufbau müssen auch über einen Abzug hinaus im Rah- gen, die sich mir nicht erschließen. Es ist nicht Aufga- men der Möglichkeiten eingehalten werden. Das lang- be der deutschen Bundeswehr, unsere Lebensmodelle in fristige Engagement Deutschlands in Afghanistan muss andere Länder zu exportieren. Die Bundesregierung will einen Schwerpunkt auf Bildung, Wirtschaftsförderung Schulen für afghanische Mädchen fördern und ermutigt und Rechtsstaatlichkeit legen. Terrorismus kann militä- gleichzeitig deutsche Kinder, Schule zu schwänzen. Das risch nicht besiegt werden. Letztlich kann nur eine poli- ist absurde Politik und deshalb sofort zu beenden. Ich tische Verhandlungslösung dauerhafte Stabilität bringen. stimme daher mit Nein. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10701

(A) Anlage 9 Ich muss nun einräumen, dass der vorliegende Antrag (C) der AfD mir weder eine Rede über etwas von Belang er- Erklärung nach § 31 GO möglicht noch über etwas Spannendes. Die AfD möch- des Abgeordneten Volker Kauder (CDU/CSU) te gerne das bestehende umfassende und unbeschränkte zu der namentlichen Abstimmung über den Ent- Fragerecht der Abgeordneten gegenüber der Europäi- schließungsantrag der Abgeordneten Alexander schen Zentralbank und dem Einheitlichen Abwicklungs- Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Alt ausschuss, das bereits vollkommen problemlos genutzt und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der wird, in der Geschäftsordnung verankern. FDP zu der Beratung des Antrags der Bundesre- Das Fragerecht ist ohne Frage wichtig und von Be- gierung – Drucksachen 19/7726, 19/8424 – Fort- lang. Die nationalen Parlamente der an der Banken- setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher union teilnehmenden Mitgliedstaaten verfügen auf der Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Resolute Grundlage von Artikel 21 Absatz 2 der sogenannten Support für die Ausbildung, Beratung und Un- SSM-Verordnung über ein Fragerecht gegenüber der Eu- terstützung der afghanischen nationalen Verteidi- ropäischen Zentralbank, EZB, bzw. dem Einheitlichen gungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan Abwicklungsausschuss, Single Resolution Board – SRB. (Tagesordnungspunkt 9 a) Die bestehende vorläufige bundestagsinterne Ausge- Ich habe versehentlich mit Ja gestimmt. Mein Votum staltung dieses Fragerechts sieht vor, dass jedes Mitglied lautet Nein. des Deutschen Bundestages entsprechende Fragen an EZB und SRB richten kann. Die Zuleitung erfolgt über den Präsidenten des Deutschen Bundestages. Hier gibt es Anlage 10 nichts zu bemängeln, denn die Abgeordneten verfügen ja de facto schon über ein umfassendes Fragerecht. Erklärung nach § 31 GO Die AfD will hier nicht der guten Ordnung halber et- des Abgeordneten Jan Korte (DIE LINKE) zur was festschreiben lassen, was es schon gibt, also in rein Abstimmung über die Beschlussempfehlung des deklaratorischer Natur mal festschreiben, was schon gut Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- funktioniert, sondern sie formuliert einen Antrag, um in geordneten Omid Nouripour, Dr. Frithjof Schmidt, Pressekonferenzen, im Plenum und in den sozialen Me- Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der dien Europakritik unterzubringen und den falschen An- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Evaluie- schein zu erwecken, dass die Bundestagsabgeordneten rung der deutschen Beteiligung an ISAF, RSM und bisher kein Interesse an der Bankenunion gehabt hätten. (B) des deutschen und internationalen Engagements Dies hat – Sie ahnen es – wenig mit der Geschäftsord- (D) für den Wiederaufbau Afghanistans seit 2001 nung des Deutschen Bundestages zu tun. Aber eine Ge- (Tagesordnungspunkt 9 d) legenheit ist eine Gelegenheit, und wenn sie sich nicht bietet, muss man sie sich schaffen – zur Not mit einem Ich erkläre im Namen der Fraktion DIE LINKE, dass überflüssigen Antrag. unser Votum „Zustimmung“ lautet. Nun wäre eine Festschreibung des bestehenden Fra- gerechts auch nicht schädlich und somit zustimmungsfä- hig, wenn die AfD nicht vollkommen ohne Not das be- Anlage 11 stehende, umfassende und unbeschränkte Fragerecht in Zu Protokoll gegebene Reden eine „normale“ bankenunionale Anfrage und eine große bankenunionale Anfrage aufgeteilt hätte. Die AfD ver- zur Beratung des Antrags der Abgeordneten sieht beide Anfragen auch mit Fristen, binnen derer die Thomas Seitz, Andreas Bleck, Corinna Miazga, Anfragen von EZB bzw. SRB zu beantworten sind und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD verkennt dabei die Bedeutung des Geschäftsordnungs- Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen rechtes. Die Geschäftsordnung des Bundestages ist Bin- Bundestages nenrecht des Parlaments. Sie kann also weder EZB noch hier: Regelung des bankenunionalen Fragerechts SRB verpflichten, binnen eines Monats zu antworten. (Tagesordnungspunkt 16) Gemäß dem Fragerecht, welches in Artikel 21 Absatz 2 SSM-VO geregelt ist, können die Parlamente die EZB im Michael Frieser (CDU/CSU): Eine Rede im Plenum Rahmen ihrer eigenen Verfahren ersuchen, schriftlich auf des Deutschen Bundestages zu halten, ist immer etwas ihre an die EZB gerichteten Bemerkungen oder Fragen Besonderes. Das empfinde ich nach zahlreichen Reden, zu den Aufgaben der EZB nach dieser Verordnung zu die ich hier halten durfte, unverändert immer noch so. Da antworten. Eine ausdrückliche Antwortpflicht der EZB der Deutsche Bundestag ein Arbeitsparlament ist, ist hier enthält die Vorschrift – anders als Artikel 46 Absatz 1 der Platz, um die Ergebnisse von zahllosen Beratungen SRM-VO, die eine Verpflichtung des Einheitlichen Ab- und Überlegungen zu präsentieren. wicklungsausschusses beinhaltet – nicht. Deshalb würde ich gerne hier und heute an diesem Ort Bewertung Zentner: Die nationalen Parlamente der an über etwas wesentliches reden. Etwas, das von Belang der Bankenunion teilnehmenden Mitgliedstaaten verfü- für unser schönes Land ist. Nicht alles, was von Belang gen über ein europarechtlich verankertes Fragerecht an ist, ist spannend – leider. die Institutionen. Eine eigene geschäftsordnungsrecht- 10702 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) liche Regelung zur Ausübung des Fragerechts gibt es die Möglichkeit haben, mit Fragen die Aktivitäten der (C) nicht. Die derzeitige bundestagsinterne Auslegung dieses Bundesregierung zu überwachen. Fragerechts sieht vor, dass jedes Mitglied des Deutschen Ihre Forderung nach einer nationalen Überwachung Bundestages in unbeschränkter Weise Fragen an EZB europäischer Institutionen atmet den Geist der Renatio- und SRB richten kann. Die Zuleitung erfolgt über den nalisierung bankenpolitischer Fragestellungen. Eine sol- Präsidenten des Deutschen Bundestages. che Renationalisierung lehnen wir ab. Wir haben unsere Über die Fragen und die Antworten unterrichtet der Lektion gelernt. Mehr noch: Wenn wir Bankenaufsicht, Präsident im Wege einer Bundestagsdrucksache. Bankensanierung und Bankenabwicklung europäisch re- geln, dann können wir nicht einseitig aus Deutschland Stellungnahme/Bewertung: Auch ohne geschäftsord- Regeln für europäische Institutionen ausrufen. Wir kön- nungsrechtliche Verankerung funktioniert das Fragerecht nen als Deutschland nicht einseitig festlegen, innerhalb der Abgeordneten an EZB und SRB. Im vergangenen welcher Frist eine Anfrage zu beantworten ist. Andere Jahr gab es zwei Unterrichtungen des Präsidenten mit den Nationalparlamente können das auch nicht und sollen das Fragen und Antworten zu elf Fragen mit weiteren Unter- auch nicht können. fragen, Drucksache 19/4700 und Drucksache 19/6209. Daher sind ihre Behauptungen falsch. Es besteht keine Das Fragerecht ist bis zu einer anderweitigen ge- Regelungslücke. Das Verhältnis zwischen diesen beiden schäftsordnungsrechtlichen Regelung ein individuelles Institutionen und dem Deutschen Bundestag ist geregelt. weiteres Fragerecht der Abgeordneten, das auch keine Darüber hinaus gibt es auch eine eingespielte Praxis, die Begrenzung der Anzahl der Fragen vorsieht. Die Fra- funktioniert. gen werden nicht auf das allgemeine Fragenkontingent Abschließend will ich zum Ausdruck bringen, dass der Fragen an die Bundesregierung angerechnet. Eine die Zusammenarbeit mit diesen Institutionen auch gut geschäftsordnungsrechtliche Regelung wird den Ab- ist. Fragen, die Abgeordnete haben, können über den geordneten keine weitergehenden Rechte geben, da die Präsidenten des Bundestages weitergeleitet werden. Man Ausgestaltung ohne Regelung bereits umfassend ist. Eine bekommt auch Antworten und kann das in den Willens- Regelung könnte das europarechtlich eingeräumte Fra- bildungsprozess des Deutschen Bundestages einspeisen. gerecht also nur einschränken oder rein deklaratorischer Auf Einladung kommen Vertreterinnen und Vertreter bei- Natur sein. der Institutionen in die Ausschüsse des Deutschen Bun- destages. Für eine gute inhaltliche Befassung ist damit Metin Hakverdi (SPD): Die globale Finanzkrise 2008 ausreichend Raum. hat uns eines gelehrt: In einem gemeinsamen europäi- Ihr Antrag soll der Show dienen. Ihnen geht es nicht (B) schen Währungsraum sind nationale Aufsichtsbehörden um Inhalte. Sie wollen renationalisieren und mit Natio- (D) kaum in der Lage, eine Finanzkrise alleine zu koordinie- nalismus unser Land an die Wand fahren. Dafür bekom- ren oder zu bewältigen. – Für diese Einsicht haben wir men Sie von meiner Fraktion sicher keine Unterstützung. einen hohen Preis gezahlt. Mit vielen Milliarden Euro Steuergeld mussten wir Banken retten oder abwickeln. Deshalb waren wir angehalten, nach der Finanzkrise die Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): europäische Finanzarchitektur neu zu bauen. Mit der Schaffung der Bankenunion wurde dem Europä- ischen Parlament wie auch den nationalen Parlamenten Die systemrelevanten Banken Europas sind nun einer die Möglichkeit eingeräumt, Fragen an die Europäische gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht unterstellt. Zentralbank und den Einheitlichen Abwicklungsaus- Diese Aufgabe wird von der Europäischen Zentralbank schuss zu stellen. Zudem wurden die Rechte des Europä- wahrgenommen. Wir haben auch ein gemeinsames Sys- ischen Parlaments gestärkt. tem zur Sanierung bzw. Abwicklung von in Schieflage Die EZB hat die Verpflichtung, den Europaabgeord- geratenen Banken vereinbart. Zuständige Behörde hier- neten zu antworten. Es gibt Informationsrechte, und das für ist das sogenannte Single Resolution Board. Es han- Europaparlament hat die Möglichkeit, Untersuchungen delt sich um eine europäische Agentur. Vorsitzende der einzuleiten, bei denen die EZB kooperieren muss. Viele Behörde ist übrigens Elke König, die wir von der BaFin Mitglieder des Europäischen Parlaments nehmen diese kennen. Aufgabe und ihre Verantwortung sehr ernst, wie zum Die Organisation der Aufsicht auf europäischer Ebene Beispiel Erfolge unserer Abgeordneten der Grünen/EFA hat eine Konsequenz: Der Deutsche Bundestag ist nicht im Europäischen Parlament zeigen. Auch der Bundes- mehr unmittelbar mit der Überwachung beider Institutio- tag – also wir Abgeordnete – können unser Fragerecht nen beauftragt. Die Aktivitäten der beiden Institutionen zur BaFin ausüben. stellen kein Exekutivhandeln der Bundesregierung dar. Beide Parlamente haben also Informationsrechte und Die parlamentarische Überwachung erfolgt in erster Li- können darüber auch Kontrolle ausüben. Jedes Mitglied nie über das Europäische Parlament. des Bundestages kann das bankenunionale Fragerecht wahrnehmen, auch wenn es derzeit nicht in der Ge- Damit ist das wichtige parlamentarische Fragerecht schäftsordnung des Bundestages festgehalten ist. des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung nicht ohne Weiteres unmittelbar auf europäische Institu- Das Festschreiben und/oder die Stärkung von Infor- tionen übertragbar. Das Fragerecht ist ein wichtiges Kon- mationsrechten von Abgeordneten sind meiner Fraktion trollinstrument unserer parlamentarischen Demokratie. immer ein zentrales Anliegen. Aber gerade, wenn die An- Wir müssen als Fraktionen oder einzelne Abgeordnete tragsteller wirklich Regelungsbedarf sehen, sollte man Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10703

(A) eine Antragsinitiative gründlich und sorgfältig vorberei- Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Inhaltlich geht es (C) ten. Das ist zum wiederholten Mal bei einem Antrag der heute um die Frage, wie wir Wissen von wirtschaftlichem AfD nicht der Fall; denn so einfach, wie es der Antrag Wert absichern können. Wenn wir von Geschäftsgeheim- vorgibt, ist es mit den Forderungen, wie beispielsweise nissen sprechen, meinen wir einen umfassenden Begriff. der Schaffung einer „großen bankenunionalen Anfrage“, Darunter fallen sowohl der in der Richtlinie verwendete nicht, weil weder die EZB noch der Einheitliche Abwick- Begriff des Know-hows wie auch die im Deutschen ver- lungsausschuss Organe der Bundesregierung sind. wendeten Begrifflichkeiten des Geschäfts- und Betriebs- Die Instrumente des Fragerechts an die Bundesregie- geheimnisses. Rezeptvorschriften, Verfahrensmethoden, rung eins zu eins auf die Bankenunion zu übertragen – so Kunden- und Preislisten sowie technische Daten von wie im Antrag vorgeschlagen –, ist doch unausgegoren. Maschinen sind nur einige Beispiele dafür, was eine In- Denn wie sollten durch Regelungen im Binnenrechts des formation im Sinne des neuen Gesetzes zum Schutz von Bundestages – also durch eine Änderung der Geschäftsord- Geschäftsgeheimnissen sein kann. Entscheidend ist, dass nung – Organe auf europäischer Ebene gebunden werden? sie die in dem heute zu beratenden Gesetz festgelegten Was soll passieren, wenn große bankenunionale Anfragen Voraussetzungen erfüllt. Ob es sich um technisches oder nicht innerhalb der Frist beantwortet werden, gerade bei kaufmännisches Wissen handelt, spielt hingegen keine einer Fristsetzung von gerade mal einem Monat? Rolle. Für bankenunionale Fragen sollen laut Antrag auch Durch die Umsetzung der Richtlinie in den Mitglied- die Regeln nach § 105 der Geschäftsordnung und da- staaten wird in Zukunft in ganz Europa ein einheitlicher mit auch die Richtlinien für die Fragestunde und für die Mindestschutz vor Industriespionage und Geheimnis- schriftlichen Einzelfragen gelten. Warum sollten diese verrat gewährleistet. Laut dem jährlich erscheinenden Richtlinien hier greifen? Report über die globale Wettbewerbsfähigkeit des Welt- Wenn wir über die Stärkung der Kontroll- und Infor- wirtschaftsforums, im Rahmen dessen die Wettbewerbs- mationsrechte von uns Abgeordneten sprechen wollen, fähigkeit von 140 Ländern verglichen wird, erreichte dann doch bitte mit Ernsthaftigkeit, mit Sorgfalt und mit Deutschland im Jahr 2018 hinsichtlich der Kategorie „In- gründlicher Vorbereitung. Diesen Kriterien für parlamen- novationsfähigkeit“ den ersten Platz. Kein anderes Land tarische Initiativen kommt die AfD hier im Parlament re- beherrscht den Prozess von der Entwicklung neuer Ideen gelmäßig nicht nach, so auch heute und hier nicht. bis zur erfolgreichen Vermarktung so erfolgreich. Gerade deutsche Unternehmen, die durch ihre innovativen Ide- en erhebliche wirtschaftliche Werte schaffen, profitieren folglich in ganz besonderer Weise von den Neuregelun- Anlage 12 gen auf nationaler sowie auf europäischer Ebene. (B) (D) Zu Protokoll gegebene Reden Mit Blick auf die Rechte investigativer Journalisten, zur Beratung Hinweisgeber und Arbeitnehmervertreter waren die De- batten der letzten Monate geprägt von der Frage, wie a) des von der Bundesregierung eingebrachten weit der Schutz von Unternehmen samt ihren Geschäfts- Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der geheimnissen gehen darf. Gerade dann, wenn es um Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Ge- Informationen über Missstände oder gar Gesetzesver- schäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Er- stöße geht, entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen werb sowie rechtswidriger Nutzung und Of- den unterschiedlich gelagerten Interessen von Unter- fenlegung nehmern und Hinweisgebern. Innovative Unternehmen b) der Beschlussempfehlung und des Berichts müssen in Europa einen derart starken Schutz erfahren, des Ausschusses für Recht und Verbraucher- dass sie sich weiterhin ambitioniert Wettbewerbsvortei- schutz le beispielsweise durch technischen Vorsprung erarbei- ten. Zugleich ist das Grundrecht auf freie Meinungsäu- – zu dem Antrag der Abgeordneten Niema ßerung als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Movassat, Doris Achelwilm, Pascal Meiser, Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten weiterer Abgeordneter und der Fraktion Menschenrechte überhaupt und für eine freiheitlich-de- DIE LINKE mokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend, Presse, Arbeitnehmervertretung und wie das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont. Whistleblower im Geschäftsgeheimnisge- Im Zentrum der ganzen Debatte um den Schutz von Ge- setz schützen schäftsgeheimnissen stand letztlich also die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Mit den Neuregelungen zum – zu dem Antrag der Abgeordneten Schutz von Geschäftsgeheimnissen haben wir es erreicht, Dr. Manuela Rottmann, Beate Müller-­ die unterschiedlichen Interessen in Einklang zu bringen. Gemmeke, Tabea Rößner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Die derzeitige Rechtslage in Deutschland hinsicht- DIE GRÜNEN lich des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen gleicht einem Flickenteppich aus Vorschriften in verschiedens- Geschäftsgeheimnisgesetz – Schutz für Ar- ten Gesetzen. Regelungen finden sich im allgemeinen beitnehmerinnen, Journalisten, Hinweis- Deliktsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches sowie auch geberinnen und Wirtschaft nachbessern in den Strafvorschriften des Gesetzes gegen den unlau- (Tagesordnungspunkt 17) teren Wettbewerb. Mit dem Gesetz zum Schutz von Ge- 10704 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) schäftsgeheimnissen zur Umsetzung der sogenannten gewährleisten, dass Innovationen und gute Ideen nicht (C) „Know-how-Richtlinie“ vom 8. Juni 2016 gelingt es, einfach durch Betriebsspionage und durch Mitbewerber Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu schaffen. Sämt- verbreitet, öffentlich und damit wertlos gemacht werden. liche Neuregelungen werden nun einheitlich in einem Worüber stimmen wir heute genau ab? Über ein Gesetz, eigenständigen neuen Stammgesetz verankert. das die EU-Know-how-Schutz-Richtlinie umsetzt, eine Richtlinie, die für 28 Mitgliedstaaten geschrieben wurde Der bisher gesetzlich nicht festgelegte Begriff des und daher leider an vielen Stellen ungenau, problema- Geschäftsgeheimnisses findet durch das Gesetz zum tisch ist. Schutz von Geschäftsgeheimnissen nun explizit Einzug in ein Gesetz. Mit der Erweiterung der Definition des Ge- Daher beschließen wir heute auch den Änderungsan- schäftsgeheimnisses um das Merkmal des „berechtigten trag, den wir zusammen mit unserem Koalitionspartner Interesses“ des Inhabers an der Geheimhaltung wurde erarbeitet haben und der an den relevanten Stellschrau- unter anderem auch der Rechtsprechung des Bundesver- ben des bisherigen Entwurfs entscheidende Änderungen fassungsgerichts Rechnung getragen. Danach müssen vornimmt, damit dem gesetzgeberischen Zweck best- Unternehmen darlegen, warum sie ein „berechtigtes In- möglich Ausdruck verliehen werden kann und der Schutz teresse“ an der Geheimhaltung von Firmeninterna ha- des Geschäftsgeheimnisses sowie der Schutz von Know- ben. Von ganz entscheidender Bedeutung ist zudem die how nicht auf Kosten der Arbeitnehmer und der Rechts- Umgestaltung des § 5 des Gesetzesentwurfs von einem sicherheit verloren gehen. Rechtfertigungsgrund in eine Tatbestandsausnahme. Die Änderungen umfassen die Nachbesserung bei der Zum einen hatten mehrere Sachverständige dahin gehend Definition des Geschäftsgeheimnisses, klare Regelungen Bedenken, dass bereits die Erfüllung eines Verbotstatbe- zum Schutz der Medien und der Pressefreiheit und die standes einen abschreckenden Effekt für die Arbeit von Fortgeltung der Grundsätze, die für das Arbeitsrecht von Journalisten haben könnte, ganz egal, wie weit ein dann der Rechtsprechung entwickelt wurden. Damit geht ein eingreifender Rechtfertigungsgrund gefasst sei. Zum effektiver Schutz von Arbeitnehmern einher. Die Whistle­ anderen hätte eine Rechtfertigung Auswirkungen auf blower-Regelung wird nachgebessert. Das bedeutet den das gesamte Rechtssystem gehabt, was die Intention der Wegfall der sogenannten Gesinnungsprüfung. Nunmehr Schutzvorschriften der umzusetzenden Richtlinie weit wird bei der Bestimmung des Fehlverhaltens auf das ob- übertroffen hätte. Durch die Formulierungsänderung jektiv bestimmbare öffentliche Interesse abgestellt. werden diese befürchteten Folgen nun verhindert. Insgesamt wird ein fairer und rechtssicherer Rahmen Ebenso wichtig war für uns die Klarstellung in § 5, geschaffen, um Geschäftsgeheimnisse, deutsches Know- dass es nicht allein auf die Absicht des Hinweisgebers how und deutsche Innovationen zu schützen. ankommt, sondern auch Mischmotivationen erfasst wer- (B) (D) den. Auf die – von Kritikern als „Gesinnungsprüfung“ Was ist daran weiterhin bemerkenswert? Weiterhin betitelte – Absicht wird nun verzichtet. Die Ausnahme- bemerkenswert ist, dass sich all diese Änderungen so regelung orientiert sich jetzt in der Weise an objektiven oder so ähnlich auch in den heute mitverhandelten Anträ- Kriterien, dass die Handlung des Hinweisgebers geeignet gen von der Linksfraktion und der Fraktion Bündnis 90/ sein muss, das allgemeine öffentliche Interesse zu schüt- die Grünen wiederfinden. Das zeigt nämlich, dass wir zen. Geschäftsgeheimnisse dürfen lediglich zur Abwehr manchmal gar nicht so weit auseinanderliegen, wenn es von tatsächlichen oder gutgläubig angenommenen Ver- um die gemeinsame parlamentarische Arbeit geht, da wir letzungen oder Gefährdungen öffentlicher Interessen of- doch alle in demselben Boot sitzen. fengelegt werden. Auch hier gelingt ein guter und kluger Und was haben wir nun? Jetzt haben wir ein Gesetz – Ausgleich der unterschiedlichen Interessen. Gerechtfer- und das möchte ich schon noch einmal kurz herausstel- tigte Hinweisgeber-Aktivitäten werden nicht unverhält- len –, das wirklich eine wichtige Funktion hat. Wir haben nismäßig eingeschränkt. Gleichzeitig werden der Sinn nun einen europaweiten einheitlichen Schutz von Ge- und Zweck des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsge- schäftsgeheimnissen. heimnissen nicht unterlaufen. Wie geht es weiter? Perspektivisch – das ist klar – Wir haben mit dem Gesetzesentwurf in geänderter wird sich in dem Kontext noch einiges tun. Letzte Woche Fassung einen angemessenen Interessenausgleich zwi- kam der Trilog für die Whistleblower-Richtlinie zum Ab- schen dem Schutzbedürfnis der Geheimhaltungsinteres- schluss. Das bedeutet, dass es bald formale Meldekanäle sen auf der einen Seite und dem Schutz von Journalis- geben wird, an die sich Whistleblower wenden können. ten, Hinweisgebern, Arbeitnehmervertretern sowie dem Das Thema wird uns jedenfalls weiter beschäftigen. öffentlichen Informationsinteresse auf der anderen Seite geschaffen. Ich rege an, diesen Ansatz auch hinsichtlich Bis dahin aber sind wir mit diesem Gesetz und dem der laufenden Trilogverhandlungen zu der geplanten Änderungsantrag sehr gut gerüstet. Wir können wirklich Hinweisgeberschutz-Richtlinie weiterzuverfolgen. Für zufrieden mit dem sein, was wir hier erreicht haben. Da- diesen Gesetzesentwurf kann ich jedenfalls nur meine her bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. uneingeschränkte Zustimmung geben. Dr. Johannes Fechner (SPD): Was darf ein Ingmar Jung (CDU/CSU): Was beschließen wir Whistleblower? Diese wichtige Frage wird nicht nur in heute eigentlich? Ein Gesetz zum Schutz von Geschäfts- der EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstö- geheimnissen. Warum ist das wichtig? Weil Geschäfts- ße gegen Unionsrecht melden, geregelt, sondern auch geheimnisse einen wirtschaftlichen Wert haben, weil sie in dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10705

(A) Es ist deshalb gut, dass wir mit diesem Gesetz einerseits Uwe Kamann (fraktionslos): Bei dem vorliegenden (C) Geschäftsgeheimnisse schützen und ihren Schutzbereich Gesetzentwurf stehen zwei konträre Interessen einan- klar definieren, auf der anderen Seite aber auch ganz klar der gegenüber: nämlich der Wunsch nach Achtung von festhalten: Auch der berechtigte Schutz von Geschäftsge- Geschäftsgeheimnissen und zum anderen die Forderung heimnissen hat Grenzen. Deshalb sorgen wir mit diesem nach Schutz bei Enthüllungen durch Arbeitnehmer, ihre Gesetz dafür, dass Whistleblower weiterhin tätig sein Vertretungen, Whistleblower und Presse. können, dass Journalisten keine Nachteile drohen und dass Betriebsräte ihre Mitbestimmungsrechte ohne Pro- Das Justizministerium will mit der Implementierung bleme weiterhin wahrnehmen können. Das sind für uns der EU-Richtline ein neues Gesetz zu Geschäftsgeheim- wichtige Ergebnisse dieses Gesetzgebungsverfahrens. nissen umsetzen. Das ist zu begrüßen; denn Unterneh- mens-Know-how ist das elementare Kapital jeder Firma. Ein Dank geht an das Justizministerin für den guten Ge- Der Verrat von Geschäftsgeheimnissen kann Arbeitsplät- setzentwurf, den wir nur an ganz wenigen Stellen geändert ze gefährden und den Unternehmensruf nachhaltig be- haben – und das auch überwiegend einvernehmlich. schädigen. Es war wichtig, dass wir klargestellt haben, dass ein Wenn ich jedoch lese, was die Grünen befürchten, fra- Geschäftsgeheimnis eine schützenswerte Information ge ich mich, was denn nun schützenswerter ist, das Ge- sein kann, wenn an ihrer Geheimhaltung ein berechtigtes schäftsgeheimnis per se oder der Whistleblower. Interesse besteht. Es muss also ein objektiv feststellba- res Interesse vorliegen, und dadurch ist klargestellt: Es Alles, was nicht nach Recht und Gesetz abläuft, ist nicht allein Sache eines Unternehmens, zu definieren, kann in diesem Staat immer noch problemlos geahndet wann ein Geschäftsgeheimnis vorliegt und wann nicht. werden. Dafür, liebe Grüne und Grüninnen, gibt es die Staatsanwaltschaft. Klargestellt haben wir auch, dass die Recherche von Journalisten, Aussagen zur Aufdeckung von Rechts- Aus diesem Grund benötigen wir auch keine Ausnah- verstößen durch Whistleblower und die Arbeit von Be- meregelungen, keinen Ponyhof für Whistleblower und triebsräten keine tatbestandlichen Verstöße gegen das nicht mehr Schutz für Arbeitnehmer, die – aus welchen Handlungsverbot des § 4 darstellen, die vielleicht ge- Motiven auch immer – an die Öffentlichkeit gehen. rechtfertigt sein könnten. Nein, wir haben klar geregelt, dass die Arbeit von Journalisten und Betriebsräten schon Allerdings möchte ich eine Einschränkung machen: tatbestandlich nicht dem Handlungsverbot des § 4 un- Der vorliegende Entwurf des Justizministeriums sieht terfällt, dass also Betriebsräte und Journalisten für ihre vor, einen Whistleblower nur dann von Strafverfolgung wichtige Aufgaben Geschäftsgeheimnisse nutzen und of- freizustellen, wenn er in der Absicht agiert, das öffent- (B) fenlegen dürfen. Das ist eine wichtige Klarstellung. liche Interesse zu schützen. Soll hier Gewissenserfor- (D) schung der Maßstab sein? Gibt es einen Altruismus-Test? Daneben haben wir, wie von der Richtlinie vorgese- Hier darf man meines Erachtens nicht differenzieren: hen, für die Unternehmen Rechtssicherheit geschaffen. Verrat von Geschäftsgeheimissen, Leaken, wie es so Jetzt ist klar definiert, was ein Geschäftsgeheimnis ist, schön auf Neudeutsch heißt, begeistert Wikileaks und unter welchen Voraussetzungen es erlangt und genutzt viele Medien, ist aber letztlich eine Unsitte des Online- werden darf und welche Ansprüche ein Unternehmen bei zeitalters. Der Staatsanwalt ist der Ansprechpartner und Rechtsverletzungen hat. Es ist ein wichtiges Ergebnis, der Weg zu ihm ist der richtige Weg. dass mit diesem Gesetz durch klare Regeln zum Umgang mit Geschäftsgeheimnissen ein hohes Maß an Rechtssi- Ich sehe in dem vorliegenden Entwurf keine Ein- cherheit für die Unternehmen geschaffen wird. schränkungen des Informationsfreiheitsgesetzes, aber einen tatsächlichen verbindlichen Schutz von Geschäfts- Aus aktuellem Anlass gestatten Sie mir auch einen geheimnissen. Eine Schutzmauer für Betriebsräte, Jour- Satz zur jetzt geeinten EU-Richtlinie zum Schutz von nalisten und Whistleblower brauchen wir nicht. Hinweisgebern: Wir freuen uns sehr, dass vor allem durch das tatkräftige Wirken von Bundesjustizministerin Wer sich für die Stärkung potenzieller „Leaker“ ver- Barley eine so gute Lösung gefunden wurde, die einen wendet, macht sich gleichzeitig stark für das, was man europaweiten Schutz von Whistleblowern einführt. – bislang mit dem treffenden Begriff „Denunziantentum“ Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihren Einsatz. belegt hat. Ein wichtiges Ergebnis dieser Einigung ist, dass Whistleblower nur im Ausnahmefall zuerst einen unter- nehmensinternen Meldeweg beschreiten müssen, bevor Anlage 13 sie sich an Behörden oder an die Öffentlichkeit wenden. Der Hinweisgeber kann sich, ohne Sanktionen befürch- Zu Protokoll gegebene Reden ten zu müssen, direkt an die Öffentlichkeit wenden, etwa wenn Behörden nicht reagieren und die Öffentlichkeit zur Beratung des Antrags der Abgeordneten aus Sicherheitsgründen schnell informiert werden muss. Benjamin Strasser, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Beschließen wir heute dieses gute Gesetz, weil es die der FDP Interessen von Journalisten, Betriebsräten, Hinweisge- Vorsorgestruktur ausbauen – Ehrenamt in Be- bern, aber auch der Unternehmen gleichermaßen berück- völkerungsschutz und Katastrophenhilfe stärken sichtigt und in einen angemessenen Ausgleich bringt! (Tagesordnungspunkt 18) 10706 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Marian Wendt (CDU/CSU): Das Thema Kata- Dem THW stehen und standen in diesem und im ver- (C) strophenschutz scheint der Opposition ja so dermaßen gangenen Jahr über 500 000 Euro zur Sicherung der eh- wichtig zu sein, dass Sie es nicht schaffen, Ihren ent- renamtlichen Tätigkeit der Helferinnen und Helfer im sprechenden Antrag rechtzeitig vor der Debatte fertig zu THW zur Verfügung. In einem gerade ausgearbeiteten bekommen. Rahmenkonzept hat das THW Wege entwickelt, um sei- ne Kapazitäten noch weiter zu stärken, Handlungsfelder Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement sind noch besser zu koordinieren und noch weitere Fähigkei- tragende Säulen unserer Gesellschaft. In Deutschland en- ten zur Sicherung der kritischen Infrastruktur zu erwer- gagieren sich rund 30 Millionen Menschen ehrenamtlich. ben. Sie sind in unserem Land in allen Bereichen zu finden – insbesondere auch bei den freiwilligen Feuerwehren, den Wir haben eine Kampagne ins Leben gerufen, um pri- Hilfsorganisationen und der Katastrophenhilfe. vate und öffentliche Auftraggeber zu ermutigen, ihre Be- schäftigten in deren Ehrenamt zu unterstützen. Dabei ist Die CDU/CSU steht dazu: Der ehrenamtlich getra- die Vergabe eines Siegels „JA zum Engagement“ geplant. gene Zivil- und Katastrophenschutz ist einer der wich- Daneben haben wir bereits seit 2009 für die Kommunen tigsten und stabilsten Pfeiler des Bevölkerungsschutzes. durchgesetzt, dass der Bundesfreiwilligendienst gegen- 1,8 Millionen ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind über dem früheren Zivildienst auch um den Bereich Ka- in Deutschland zum Schutz der Bevölkerung im Alltag tastrophenschutz erweitert wurde. und im Katastrophenfall ausgebildet. Sie beteiligen sich an Ausbildungsveranstaltungen und Übungen und be- Sie sehen: Die Förderung des Ehrenamts im Zivil- und weisen im täglichen Einsatz bundesweit ihre Leistungs- Katastrophenschutz war und ist ein Herzensanliegen der fähigkeit und Courage. Davon kann ich mich als Vor- GroKo, insbesondere der CDU/CSU. Von einer Vernach- sitzender der THW-Bundesvereinigung regelmäßig vor lässigung kann hier keinerlei Rede sein, und wir werden Ort überzeugen. Gleichzeitig stellen uns die veränderten alles dafür tun, unsere Hilfskräfte auch in Zukunft mit Rahmenbedingungen in der Welt, die internationale Si- allen notwendigen Ressourcen auszustatten. Im Sinne ei- cherheitslage, das zunehmende Extremwetter und nicht nes starken Staates engagieren wir uns für die Sicherheit zuletzt die Personalnot in den Hilfsorganisationen vor der Bürgerinnen und Bürger. neue Herausforderungen. Zuletzt haben wir in den Jahren 2007 und 2013 mit Svenja Stadler (SPD): Ich freue mich, als Spreche- zwei großen Gesetzen die Rahmenbedingungen für das rin meiner Fraktion für bürgerschaftliches Engagement ehrenamtliche Engagement deutlich verbessert. Daran heute hier in dieser Innenpolitikdebatte sprechen zu dür- knüpfen wir in dieser Wahlperiode an. Im Koalitions- fen. Wussten Sie eigentlich, dass sich mehr als 1,7 Mil- (B) vertrag haben wir uns dazu verpflichtet, den Zivil- und lionen Frauen und Männer ehrenamtlich und freiwillig (D) Katastrophenschutz entsprechend den heutigen Anforde- in Hilfsorganisationen, Rettungsdiensten, beim Techni- rungen auszustatten und das ehrenamtliche Engagement schen Hilfswerk oder den freiwilligen Feuerwehren en- nachhaltig zu stärken. gagieren? Sie sind die tragende Säule des Bevölkerungs- schutzes und der Katastrophenhilfe in unserem Land. Ihr Insbesondere wollen wir die Arbeit der 80 000 eh- Engagement garantiert uns ein gut funktionierendes Ge- renamtlichen Helferinnen und Helfer des Technischen fahrenabwehrsystem. Es sorgt für unsere Sicherheit – ein Hilfswerks durch einen weiteren Ausbau des hauptamt- System, um das uns viele Staaten beneiden. lichen Personals – auch beim Bundesamt für Bevölke- Viele Ehrenamtliche wenden Stunden für die Vor- rungsschutz – und durch Abbau des Investitionsstaus bereitung, Ausbildung und Instandhaltung von Geräten bei der Fahrzeugbeschaffung und den Liegenschaften sowie Liegenschaften auf. Sie sind bereit, in unzähligen unterstützen. Wir wollen bei öffentlichen und privaten Einsätzen Menschen, die in Not geraten sind, zu helfen. Arbeitgebern dafür werben, bei gleicher Qualifizierung Das verdient unsere Anerkennung. Das heißt aber auch, ehrenamtlich Tätige der Hilfsorganisationen bevorzugt dass wir als Politikerinnen und Politiker die ausreichende einzustellen. Damit erhöhen wir die Anerkennung und technische und persönliche Ausstattung sowie die finan- Wertschätzung für Ehrenamtliche und stärken wir die zielle Unterstützung zur Verfügung stellen müssen. Nachwuchsgewinnung. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Teile Ih- Wir als Deutscher Bundestag haben uns darauf ge- rer Forderungen werden längst in einigen Bundesländern einigt, in den nächsten Jahren 100 Millionen Euro für umgesetzt. Die Ehrenamtskarte beispielsweise gibt es im Fahrzeuge des Bevölkerungsschutzes zu investieren – Land Berlin seit 2011. Die Förderung der Kooperation zugunsten der Länder und vor allem für die freiwilligen der Blaulichtorganisationen sowie die Würdigung von Feuerwehren und die weißen Hilfskräfte. Wir haben da- Betrieben, die das Engagement ihrer Mitarbeiter unter- neben einen Gerichtsfonds für ehrenamtliche Einsatz- stützen, werden ebenfalls umgesetzt. Die Deutsche En- kräfte im Zivil- und Katastrophenschutz in Höhe von gagementstiftung, die in diesem Jahr gegründet wird, hat 500 000 Euro beschlossen, um die Rechtsberatung von ein Handlungsfeld, das sich nur mit der Anerkennungs- ehrenamtlichen Einsatzkräften zu unterstützen. Für die kultur beschäftigen wird. THW-Liegenschaften wird ein Sanierungsprogramm mit 40 Millionen Euro im Zeitraum 2019 bis 2022 aufgelegt. Das Forschungsvorhaben, das Sie ansprechen, wird Außerdem werden wir 5 Millionen Euro zur Beschaffung längst von der Bundesregierung verwirklicht. Zwischen von 100 Notstromaggregaten für die THW-Ortsverbände Oktober 2012 und September 2015 hat das BMBF ein bereitstellen. entsprechendes Verbundvorhaben mit dem Namen INKA Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10707

(A) gefördert. Daran waren unter anderem das DRK, die Rückführung sterblicher Überreste von Opfern der He- (C) Berliner Feuerwehr sowie eine Universität in Greifswald rero und Nama, an die Frage nach Entschuldigungen von beteiligt. INKA ist ein Verbund, der das Ziel hat, neue deutscher Seite oder an Entwicklungsprogramme für die Wege zu entwickeln, um die Integration von freiwilligen Gebiete der besonders betroffenen Volksgruppen. Helferinnen und Helfern aus allen Bevölkerungsgruppen in die Krisenbewältigung organisatorisch, institutionell Andere Forderungen allerdings sind Ihrem linken und soziokulturell zukunftsfähig zu gestalten. Dogmatismus geschuldet oder einfach nur realitäts- fremd. Für besonders problematisch halte ich zum Bei- Sie wollen mehr Nachwuchsförderung im Bevölke- spiel Ihre Forderung, die Vertreter der betroffenen Volks- rungsschutz? Kennen Sie den Film der Augsburger Pup- gruppen als eigenständige Verhandlungspartner mit in penkiste „Rettet die Retter – Abenteuereinsatz im Land die Verhandlungen einzubeziehen – nicht, weil dies für der Helfer“? Wenn nicht, dann sollten Sie mal auf der mich keine Option wäre, sondern weil die namibische Homepage des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz Seite dies immer abgelehnt hat. Sie können doch nicht und Katastrophenhilfe vorbeischauen. Durch diesen Film auf der einen Seite der namibischen Regierung vorschrei- erfahren Kinder Empathie. Diese Empathie befähigt sie ben wollen, wer auf ihrer Seite an den Verhandlungen später, hilfsbereit zu sein und sich ehrenamtlich, bei- teilzunehmen hat, gleichzeitig aber den angeblich fort- spielsweise in Hilfsorganisationen, der freiwilligen Feu- bestehenden strukturellen Kolonialismus Deutschlands erwehr oder dem Technischen Hilfswerk, zu engagieren. anprangern. Das ist nur ein Projekt von vielen in diesem Bereich. Ich hatte Gelegenheit, mir vergangenes Jahr während Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, einer Reise nach Südafrika und Namibia selbst vor Ort dass bereits viel mehr getan wird, als es in Ihrem Antrag ein Bild zu machen, und ich konnte in Windhuk an der dargestellt wird. Zeremonie zur Rückführung sterblicher Überreste von Opfern der Herero und Nama teilnehmen. Ja, bei der Der letzte Punkt Ihres Antrags befasst sich mit dem Aufarbeitung unseres kolonialen Erbes gibt es sicherlich Thema „Gewalt gegenüber Einsatzkräften“. Wissen Sie noch einiges nachzuholen, und ja, wir können das Ge- nicht, dass wir im April 2017 hier im Hause ein Gesetz schehene nicht ungeschehen machen. Aber wir können zum stärkeren Schutz von Vollstreckungsbeamten und Namibia auf seinem Weg in die Zukunft nach Kräften Rettungskräften beschlossen und die Behinderung von unterstützend begleiten, und das tun wir auch. Rettungskräften unter Strafe gestellt haben? Ach, stimmt ja, Sie waren nicht im Deutschen Bundestag vertreten. Die politische Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels Vielleicht liegt es daran. in der deutsch-namibischen Geschichte ist seit 2015 Gegenstand von Regierungsverhandlungen zwischen Gewalttätige Übergriffe auf Polizistinnen und Poli- (B) Deutschland und Namibia. Unser Sondergesandter Ru- (D) zisten sowie Einsatzkräfte sind Angriffe auf uns alle und precht Polenz konnte in den Verhandlungen bereits deut- auf unseren Rechtsstaat, und deshalb haben wir bereits liche Fortschritte erzielen und hofft auf einen baldigen reagiert und längst härter sanktioniert. Deshalb haben Sie Abschluss. sicher Verständnis dafür, dass wir aus den vorgenannten Gründen Ihren Antrag ablehnen. Aus unserer Sicht sind drei Dinge wichtig: Erstens. Es ist ein gemeinsames Verständnis über die Vergangenheit zu entwickeln. Darunter fällt auch die Anlage 14 Einordnung der Ereignisse im historischen, nicht aber Zu Protokoll gegebene Reden juristischen Sinne. zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Zweitens. Eine offizielle Entschuldigung Deutsch- Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- lands, die dann auch von Namibia angenommen wird. sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) Drittens. Es gilt, die auch jetzt noch spürbaren Fol- zu dem Antrag der Abgeordneten Helin Evrim gen der Kolonialzeit – insbesondere für die Herero und Sommer, Niema Movassat, Heike Hänsel, weite- Nama – durch die Vereinbarung materieller, zukunftsge- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE wandter Maßnahmen zu überwinden. Versöhnung mit Namibia – Entschuldigung und Verantwortung für den Völkermord in der Geplant sind gemeinsame Entwicklungsprojekte in ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika den Gebieten der beiden Volksgruppen, zum Beispiel (Tagesordnungspunkt 19) zum Ausbau der Infrastruktur, der Energie- und Wasser- versorgung und der beruflichen Bildung. Auch der Schü- leraustausch soll gefördert werden. Gedacht ist zudem Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Die heutige an die Gründung einer deutsch-namibischen Stiftung zur Debatte gibt Gelegenheit, einmal klarzustellen, dass wir Erinnerungskultur, und schließlich geht es um die Ver- uns, anders als der Antrag der Linken vermuten lässt, einbarung einer umfassenden politischen Partnerschaft. schon seit Jahren intensiv mit diesem schwierigen Ka- pitel der deutschen Geschichte und der gemeinsamen Aber, meine Damen und Herren von der Linken, wo- Vergangenheitsbewältigung befassen. Das ist auch der rum es nicht gehen kann, sind, wie Sie fordern, Repara- Grund, warum einige der im Antrag formulierten For- tionszahlungen oder Individualentschädigungen. Solche derungen bereits umgesetzt oder aktuell bereits Teil Forderungen, die ja auch von verschiedenen namibischen der Regierungsverhandlungen sind. Ich denke da an die Gruppierungen vorgebracht werden und Gegenstand ei- 10708 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) ner – inzwischen abgewiesenen – Sammelklage in New Ja, auch aus meiner Sicht hat Lothar von Trotha einen (C) York sind, entbehren einer Rechtsgrundlage. Genozid an den Herero und den Nama befohlen – und das nicht als Privatperson, sondern stellvertretend für das Zum einen stellte die blutige Niederschlagung des Deutsche Kaiserreich –, und es ist gut, dass wir uns seit Aufstandes der Herero und Nama nach damals gelten- einigen Jahren als Bundesrepublik Deutschland dazu be- dem Völkerrecht keine Verletzung völkerrechtlicher kennen. Verpflichtungen dar, für die Deutschland heute entschä- digungspflichtig wäre. Zum anderen wirkt der von der Es ist auch gut, dass der Aussöhnungsprozess institu- Völkermord-Konvention von 1948 geschaffene Un- tionalisiert ist. Mit Ruprecht Polenz auf deutscher Seite rechtstatbestand nicht rückwirkend. Das heißt: Über und Zedika Ngavirue auf namibischer Seite haben wir hundert Jahre später können wir die Ereignisse aus der zwei kluge, erfahrene und auch empathische Unterhänd- Kolonialzeit nur politisch und nicht juristisch aufarbei- ler unserer beiden Länder, die ich beide in den letzten ten, und das tun wir. Wochen habe treffen und mit denen ich in einen Aus- So haben sich die ehemalige Entwicklungsministerin tausch habe treten können. Danach kann ich sagen, dass Heidemarie Wieczorek-Zeul, der ehemalige Bundestags- ich beiden großes Zutrauen entgegenbringe und ich auch präsident Norbert Lammert und zuletzt Staatsministerin sehr dankbar für die bisher geleistete Arbeit bin. Michelle Müntefering für das Erlittene entschuldigt. Wir haben zwar noch kein Abkommen, aber es wirkt Schon seit der Unabhängigkeit Namibias im Jahr 1990 schon. Das klingt etwas komisch, aber die historischen haben sich besonders intensive Beziehungen entwickelt. Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia finden Unsere bilaterale Entwicklungszusammenarbeit beläuft in einer breiteren Öffentlichkeit Resonanz. Das allein ist sich nach über zwei Jahrzehnten auf fast eine Milliarde ein Fortschritt. Euro. Damit geben wir in Afrika – pro Kopf gerechnet – für Namibia am meisten aus. Neben der Kolonialzeit und den Verbrechen in dieser Zeit, denen wir uns bewusst werden müssen, werden uns Auch gibt es eine enge kulturelle Verbindung zu der auch viele andere kulturelle Schnittpunkte klar. Nur mal deutschsprachigen Gemeinschaft in Namibia. Zudem zwei, die besonders augenfällig sind: Die weit überwie- sind letztes Jahr, wie bereits erwähnt, zum dritten Mal gende Mehrheit der Namibier gehört einer christlichen nach 2011 und 2014, aber zum ersten Mal unter Betei- Kirche an – rund 90 Prozent –, und eine der National- ligung der Bundesregierung Gebeine der Herero und sprachen ist Deutsch. Nama wieder nach Namibia zurückgebracht worden. Sie wurden in der Kolonialzeit entwendet und zu vorgeblich Ich fände es gut, wenn wir uns noch vieler anderer wissenschaftlichen Zwecken ins deutsche Kaiserreich Gemeinsamkeiten bewusst würden, und deswegen ist es (B) gebracht. Dazu fand im August in Berlin ein Gedenkgot- auch so wichtig, den kulturellen Austausch voranzubrin- (D) tesdienst mit anschließender Übergabezeremonie statt. gen. Hierzu gehören auch alle Fragen der Restitution, bei Staatsministerin Müntefering übergab der gut 70‑köpfi- denen wir am Anfang stehen. Ja, die musealen Bestände gen namibischen Delegation die menschlichen Überreste bei uns müssen genau untersucht und der Umgang mit und reiste anschließend mit nach Windhuk. Nicht zuletzt ihnen muss partnerschaftlich mit der namibischen Seite beschäftigen sich viele Organisationen der Zivilgesell- entschieden werden, und selbstverständlich sind Gebei- schaft, der Wirtschaft, aber auch die Kirchen seit langem ne ohne Wenn und Aber in angemessener und würdiger intensiv mit der Aufarbeitung der Vergangenheit. Weise zu überführen. Frau Staatsministerin Müntefering bin ich sehr dankbar für ihr Engagement auf diesem Ge- Deutschland ist sich seiner historischen und morali- biet. schen Verantwortung für Namibia bewusst. Diese Ver- antwortung werden wir auch weiterhin wahrnehmen. So wollen wir auch gerne unseren Beitrag als Par- Lassen Sie uns nun in die Zukunft und nicht länger nur in lament – und ich glaube, ich kann für den gesamten die Vergangenheit blicken. Den Linkenantrag benötigen Vorstand der Parlamentariergruppe Südliches Afrika wir dafür nicht. sprechen – verstärkt leisten, um die Gespräche und Ver- handlungen auf Regierungsebene zu flankieren. Ich freue Martin Rabanus (SPD): Der vorliegende Antrag mich, dass wir das im Austausch mit dem Präsidenten der nimmt ein Thema auf, das auch der Koalition, der SPD Nationalversammlung, Peter Katjavivi, erst vor wenigen und mir persönlich als dem Vorsitzenden der Parlamenta- Wochen hier in Berlin auch verabredet haben. Ich hoffe, riergruppe Südliches Afrika des Deutschen Bundestages, dass wir bald – nach Möglichkeit noch in diesem Jahr – die auch die Kontakte zu Namibia pflegt, in besonderer einen Gegenbesuch auf Ebene der Parlamentariergruppe Weise am Herzen liegt. hinbekommen. Wir haben im Koalitionsvertrag formuliert, dass wir Ich komme zum Schluss. – Eine Aufarbeitung kann die – Zitat – „kulturelle Zusammenarbeit mit Afrika ver- nicht gerichtlich verfügt werden. Dafür sind Gespräche stärken und einen stärkeren Kulturaustausch befördern, und der Aufbau von Vertrauen nötig. Gerichtsurteile kön- insbesondere durch die Aufarbeitung des Kolonialismus nen das nicht verfügen. Der Aussöhnungsprozess muss sowie den Aufbau von Museen und Kultureinrichtun- dazu dienen, gerade der jungen Generation das Verständ- gen in Afrika“. Dass wir bei dieser Formulierung die nis für die historische Situation und die Notwendigkeit enge und geradezu schicksalhafte Verbindung zwischen zur Aufarbeitung aufzuzeigen sowie den Willen zur Auf- Deutschland und Namibia vor Augen hatten, versteht arbeitung zu wecken. Deswegen müssen wir Begegnun- sich von selbst. gen organisieren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10709

(A) Ich wünsche mir, dass wir durch den Prozess der ge- dass wir uns unserer Kolonialgeschichte stellen müssen; (C) meinsamen Aufarbeitung einerseits das dunkle Kapitel das gilt auch für Europa. Eine Rückgabe von Kulturgü- unserer gemeinsamen Geschichte abschließen und ande- tern ist dabei erst der Anfang. Die Identifizierung von rerseits die Beziehungen zwischen Deutschland und Na- betroffenen Objekten und die Herkunftsforschung sind mibia nicht nur konsolidieren, sondern neu starten kön- oft schwierig, aber Wissenschaft und Politik sind hier auf nen. Neustart ist die entscheidende Vokabel: langfristig, einem guten Weg. partnerschaftlich, freundschaftlich. So fand beispielsweise Ende August 2018 bereits die dritte Rückgabe sterblicher Überreste unter persönlichem Gabi Weber (SPD): Namibia feierte am 21. März sei- Einsatz von Staatsministerin Müntefering im Rahmen nen Unabhängigkeitstag. Es ist also angemessen, wenn würdevoller Zeremonien in Berlin und Namibia statt. wir uns in der heutigen Debatte dem Versöhnungsprozess Ende Februar 2019 wurden durch Baden-Württemberg mit Namibia widmen. eine Bibel und eine Peitsche des namibischen Volkshel- Es war die damalige SPD-Entwicklungsministe- den Hendrik Witbooi, die 1902 in das Stuttgarter Linden-­ rin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die sich bereits im Museum gelangten, am Sitz der Familie Witbooi an die Jahr 2004 erstmals in Namibia für die deutschen Kolo- Regierung Namibias zurückgegeben. nialverbrechen entschuldigt hat. Das Auswärtige Amt Ich begrüße, dass die Rückgabe aus Baden-Württem- erklärte im Juli 2015, dass für die Bundesregierung als berg mit einer Namibia-Initiative flankiert und durch das historisch-politische Leitlinie der Satz gilt: „Der Ver- Land mit 1,25 Millionen Euro unterlegt wird. Dies ist ein nichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Beispiel, wie es gehen kann. Kriegsverbrechen und Völkermord.“ Dass es sich histo- risch um einen Völkermord handelt und wir für eine Ver- Wir befinden uns mit Namibia auf einem Weg der söhnung unserer beiden Länder stehen, wird hoffentlich Versöhnung. Diesen sollten wir nicht durch Aktionismus von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages geteilt. gefährden. Wir lehnen den Antrag der Linken daher ab. Der Dialog zur Bewältigung der Spätfolgen der Ko- lonialzeit wird zwischen unseren beiden demokratisch gewählten Regierungen geführt. Es gab bisher acht Ver- Anlage 15 handlungsrunden, zuletzt im Februar 2019. Beide Seiten Zu Protokoll gegebene Reden sind sich einig, dass die besonders betroffenen Volks- gruppen einbezogen werden. Viele Vertreter der Herero zur Beratung des Antrags der Abgeordneten und Nama machen von der allen Ethnien offenstehenden Daniela Wagner, Christian Kühn (Tübingen), (B) Möglichkeit Gebrauch, sich am Technischen Komitee, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der (D) einem Beirat, zu beteiligen, das den namibischen Son- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dergesandten Ngavirue berät. Sie sind auch in der nami- Sofortprogramm Bauflächenoffensive – Hun- bischen Delegation vertreten. derttausend Dächer und Häuser Programm (Tagesordnungspunkt 20) Die Sammelklage gegen Deutschland durch eine Gruppe von Herero- und Nama-Vertretern in New York vom Januar 2017 hat diesen Prozess gebremst. Sie zielte Karsten Möring (CDU/CSU): Ich kann mich beim auf Schadensersatzansprüche sowie auf die Feststellung Lesen Ihres Antrags des Eindrucks nicht erwehren, dass des Rechts auf unmittelbare Teilnahme der Volksgruppen es Ihnen mehr um den Ausbau der Energiewende durch an den Regierungsverhandlungen ab. Die Klage wurde massive Förderung der Solarenergie auf dem Dach als am 6. März 2019 aber als unzulässig abgewiesen. um die Schaffung von erschwinglichem Wohnraum da- runter geht. Was ist Gegenstand der Verhandlungen? Die Suche nach einer gemeinsamen Sprache zu den historischen Er- Natürlich müssen wir auch im Bereich des Dachge- eignissen, eine deutsche Entschuldigung und deren An- schossausbaus die Potenziale besser nutzen. Deshalb war nahme durch Namibia und die Vereinbarung zukunftsge- es uns als Koalition so wichtig, zu sagen, dass wir zum wandter Projekte. Wir befinden uns also mitten in einem Beispiel das Baukindergeld und die Sonder-AfA auch für Dialogprozess. den Dachgeschossausbau öffnen wollen, damit wir die- sen fördern können. Es geht darum, nicht in alter Manier dem Partner Na- mibia etwas überzustülpen. Es ist die deutsche Position, Dass die Grünen unser erfolgreiches Baukindergeld in dass man die Opferverbände mit am Verhandlungstisch ihrem Antrag mit den Worten diskreditieren, damit wür- haben will. Wie Namibia dies intern regelt, ist allein Sa- den „grüne Wiesen zubetoniert“, spricht Bände. Wie Sie che der namibischen Regierung und Zivilgesellschaft. bei dem knappen Bauland all die hehren Ziele, die Sie im Vorspann nennen –, Orts- und Dorfkerne aktivieren, An die Linksfraktion gerichtet möchte ich deshalb Leerstand beseitigen, Hektarziel erreichen, Erholungs- anmerken: Sie müssen sich entscheiden! Wollen Sie der räume schützen, Mietobergrenze bestimmen –, mit einem namibischen Seite auf Augenhöhe begegnen oder ihr KfW-Zuschussprogramm erreichen wollen, bleibt ohne- Vorgaben machen, wie sie dazu ihre innerstaatlichen Pro- hin Ihr Geheimnis. zesse organisiert? Beides geht nicht. Für eine realistische Bewertung des Potenzials beim Ich danke den Staatsministerinnen Michelle Dachgeschossausbau ist eine Vielzahl von Fragen zu klä- Müntefering und Monika Grütters, die klargestellt haben, ren. Der Dachgeschossausbau differenziert sich nach der 10710 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Struktur des Gebäudes. Hält die Statik auch für weitere Die Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobi- (C) Geschosse? Muss ich die Statik ertüchtigen? Kann ich lisierung und Bodenpolitik“ will im Sommer Vorschläge die Haustechnik nutzen, um diese nach oben zu führen, zur nachhaltigen Baulandmobilisierung und Bodenpoli- oder muss diese erneuert werden? Muss ich in dem Zuge tik vorlegen. Für die Wohnraumoffensive mit 1,5 Milli- vielleicht sogar die gesamte Haustechnik erneuern? onen neuen Wohnungen haben sich Bund, Länder und Kommunen auf dem Wohngipfel im September 2018 Fest steht auch, dass der Dachgeschossausbau in circa verständigt, investive Impulse für den Wohnungsbau zu 21 Meter Höhe – beispielsweise oberhalb der Traufhöhe setzen, die Bezahlbarkeit des Wohnens zu sichern, Bau- in Berlin – deutlich teurer ist als der Geschosswohnungs- kosten zu senken und die Fachkräftesicherung voranzu- neubau. Damit wird jedenfalls per se kein preiswerter treiben. neuer Wohnraum geschaffen. Immerhin scheint der An- tragsteller implizit einzuräumen, dass die Vermarktung Die Bundesregierung stellt in dieser Legislaturperio- von höherpreisigem Wohnraum anderen, wahrscheinlich de allein für den sozialen Wohnungsbau, das Baukinder- preiswerteren Wohnraum freimacht. geld, das Wohngeld und die Städtebauförderung mehr als 13 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist Rekordniveau. Der Antrag der Grünen verschweigt zudem, dass die baurechtlichen Rahmenbedingungen ein erheblicher Nach dem erfolgreichen Abschluss des Vermittlungs- Kostentreiber und damit ein Hemmnis für Dachausbau- verfahrens zur Änderung des Grundgesetzes ist der Weg ten sein können. Ich denke da an Faktoren wie die Stell- dafür frei, dass der Bund ab 2020 wieder zweckgebunde- platzpflicht, die Schaffung von Ausgleichsmaßnahmen, ne Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau gewähren die Einhaltung der Abstandsflächen, erhöhte Anforde- kann. Für die Jahre 2020 und 2021 sind hierfür jeweils rungen durch Änderung der Gebäudeklasse, den Weg- eine Milliarde Euro vorgesehen. fall des Bestandsschutzes, die Einhaltung der EnEV für Das Baukindergeld ist, auch wenn Sie dagegen pole- Neubauten, die Pflicht zum Einbau eines Aufzugs, den misieren, eine echte Erfolgsgeschichte. Insgesamt stellt Denkmalschutz und vieles mehr. der Bund in dieser Legislaturperiode für das Baukinder- geld 2,7 Milliarden Euro bereit. Es erleichtert Familien Hier muss ich mal wieder eine Lanze für NRW brechen und Alleinerziehenden, Wohneigentum zu erwerben. und ein Lob an die dortige Bauministerin aussprechen. Positiver Nebeneffekt ist, dass damit auch der Mietwoh- Mit dem neuen Bauordnungsrecht in Nordrhein-West- nungsmarkt entlastet wird. falen wird dem Grundsatz „Innen- vor Außenverdich- tung“ Rechnung getragen. Neue Regelungen werden die Mit unserer Wohngeldreform wird das Leistungsni- Nachverdichtung, die Aufstockung und den Ausbau von veau generell angehoben und der Kreis der Anspruchsbe- rechtigten erweitert, um noch mehr Menschen Unterstüt- (B) Wohngebäuden erleichtern. (D) zung gewähren zu können. Zum Beispiel Aufzüge. NRW setzt in solchen Fällen die Verpflichtung zum Bau von Aufzügen aus. Das Nach- Der Bundestag hat im November 2018 ein Gesetz zur verdichtungspotenzial bei der Schaffung von Wohnraum Förderung des freifinanzierten Mietwohnungsbaus durch wird so besser genutzt. eine steuerliche Sonderabschreibung verabschiedet. Jetzt sind der Bundesrat und damit auch Sie, liebe Grüne, ge- Zum Beispiel Stellplätze. NRW-Kommunen können fordert. in solchen Fällen vollständig oder teilweise auf die Her- stellung von ansonsten notwendigen Garagen oder Stell- Torsten Schweiger (CDU/CSU): Wir debattieren plätzen verzichten heute über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen mit dem Titel „Sofortprogramm Bauflächenoffensi- Das sind also gute Regelungen, die zur Nachahmung ve – Hunderttausend Dächer und Häuser Programm“. in anderen Bundesländern – auch da, wo die Grünen mit- regieren – zu empfehlen sind. Im Übrigen zeigen diese Der Antrag – und das kann man sehr deutlich sehen – Beispiele, wo die Musik spielt: in den Ländern. Sie ver- erfüllt in keinerlei Hinsicht das Ziel, das in der Über- suchen hier, Pflichten des Bundes zu suggerieren, die es schrift formuliert wird. Denn sowohl von der inhaltlichen nicht gibt. Zuständig sind die Länder. Ausgestaltung als auch von den zugrunde liegenden Zah- len her ist er problematisch und verkennt die Realität. Es Dachgeschossausbau und Nachverdichtung sind also wird gesagt, dass durch das Baukindergeld zum Beispiel nicht die Lösung der partiellen Wohnungsknappheit, massiv Neubauflächen erschlossen und grüne Wiesen sondern höchstens ein Beitrag hierzu. Wir brauchen vor zubetoniert werden. Ja, das Baukindergeld funktioniert; allem mehr Bauland. Das ist der entscheidende Flaschen- es ist schön, dass auch die Grünen dies erkannt haben. hals beim bezahlbaren Wohnen und Bauen. Die Erkenntnis hält aber nicht lange an, denn man zeich- net gleich wieder ein ideologisch geprägtes Bild von zu- Kommen wir also zum anderen Teil Ihres Antrags. betonierten Wiesen. Das ist natürlich Unfug – von der Mit dem wohlklingenden Titel „Sofortprogramm Bau­ kommunalen Seite gibt es da weder Beschwerden noch flächenoffensive“ wollen Sie wohl suggerieren, es würde entsprechende Hinweise, die das belegen würden. hier nichts geschehen. Daher sei an dieser Stelle nur da- ran erinnert, dass die Bundesregierung längst eine Offen- Auch die Schlussfolgerung, dass für den ländlichen sive für lebenswerte Orte und bezahlbaren Wohnraum in Raum Bauanreize entstehen, ist wirklichkeitsfremd. Es Gang gesetzt hat. Unsere Programme greifen. Die Bau- wird durch das vorgeschlagene Programm keinerlei Re- wirtschaft läuft auf Hochtouren. aktivierung von Ortskernen geben wie im Antrag darge- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10711

(A) legt. Der ländliche Raum ist an ganz vielen Stellen durch neue Wohnung in Höhe von zum Beispiel 150 000 Euro (C) Leerstand geprägt, das heißt, dort haben wir einen Über- würde dies für vier Jahre jährlich 7 500 Euro bedeuten, hang an Wohnungen. Es ist überhaupt nicht ersichtlich, die man nicht versteuern muss. Das führt bei einem zu warum dort beispielsweise mit diesem Programm dafür versteuernden Jahreseinkommen von 70 000 Euro zum gesorgt werden könnte, zusätzlichen Wohnraum bereit- Beispiel zu einer Einsparung von knapp 3 300 Euro jähr- zustellen. lich. Lassen Sie mich noch auf die Zahlen des Antrages Wenn ich mir aber Ihren Antrag und den darin vorge- eingehen – ich nehme mal nur das erste vorgeschlagene stellten Lösungsvorschlag für mehr Dachgeschossausbau Jahr –: 90 Millionen Euro für eine finanzielle Förderung und Dachaufstockungen anschaue, muss ich Ihnen leider von 10 000 Wohnungen, das bedeutet unter dem Strich mitteilen, dass das jetzt nicht der große Wurf ist. Ihr durchschnittlich 9 000 Euro Förderung je Wohnung. Lösungsvorschlag lässt sich im Endeffekt sehr einfach Damit will man bis zur Begrenzung der Bausumme von zusammenfassen: mehr Geld. Das, liebe Fraktion Bünd- 1 500 Euro/m² 10 Prozent fördern, also 150 Euro För- nis 90/Die Grüne, löst aber nicht das eigentliche Problem derung je m², macht also eine maximale Wohnungsgrö- und greift viel zu kurz. ße von 60 m², die dann gefördert würde. Wenn man die erhöhte Förderung für Holzbauweise und Photovoltaik Sie haben sich bestimmt auch die Studie des Bun- hinzurechnet und auf 225 Euro Förderung je m² kommt, desinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung zu den wird es ganz spannend: 9 000 Euro Gesamtsumme durch „Potenzialen und Rahmenbedingungen von Dachauf- 225 m² ergeben eine geförderte Wohnungsgröße von ma- stockungen und Dachausbauten“ angeschaut und daher ximal 40 m². Wie solche Wohnungsgrößen für Familien, erkannt, dass wir vor allem die baurechtlichen und tech- gegebenenfalls mit 2 Kindern, attraktiv sein sollen, bleibt nischen Hindernisse abbauen müssen, um dadurch den schleierhaft. Damit würden wahrscheinlich nur Single- Dachausbau zu erleichtern und die hierbei entstehenden wohnungen entstehen – das Ziel wäre somit verfehlt. Kosten zu senken. Zu diesen Hemmnissen gehören un- ter anderem die Stellplatzpflicht, die Aufzugspflicht oder Auch die angesetzte Baupreisgrenze von 1 500 Euro/ auch der Brandschutz. Viele dieser Hemmnisse können m² ist unrealistisch. Selbst im ländlichen Raum, wo noch nur auf Landes- oder Kommunalebene beseitigt werden. moderate Preise aufgerufen werden, ist man mittlerweile Ich halte es für dringend geboten, hier entsprechende mit 2 000 bis 2 500 Euro je m² an der unteren Grenze. Gespräche mit den Ländern und Kommunen zu führen Insgesamt kann man sagen: Der vorliegende Antrag und sie zu Anpassungen zu bewegen. Vonseiten Bayerns ist von Anfang bis Ende nicht plausibel: Die Zahlen, die weiß ich, dass hier bereits erste Maßnahmen angedacht verwendet werden, sind unrealistisch. Die Zielstellung sind. Vielleicht können Sie, liebe Grüne, auch auf Ihre (B) kann nicht erreicht werden. Die Gegenfinanzierung ist Landesregierungen einwirken. (D) unklar. – Damit kann man ihn leider nur ablehnen. In die Kompetenz des Bundes fällt vor allem die An- passung des § 17 der Baunutzungsverordnung. Dieser Emmi Zeulner (CDU/CSU): Wir beraten heute den legt die Obergrenzen für das Maß der baulichen Nutzung, Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einem also die Werte für die Grundflächen- und Geschossflä- „Sofortprogramm Bauflächenoffensive – Hunderttau- chenzahl, fest. Hier brauchen wir dringend eine Flexibi- send Dächer und Häuser Programm“. Liebe Kolleginnen lisierung, um Nachverdichtungen zu ermöglichen. und Kollegen von den Grünen, ich freue mich darüber, dass Sie sich nun ebenfalls in die Diskussion um Dachge- Dies wurde auch in der Baulandkommission befür- schossausbau und Dachaufstockungen einbringen. wortet und könnte in eine geplante Baugesetzbuch-No- velle mit aufgenommen werden. Damit hätten wir von- Ich stimme Ihnen zu, hier liegt ein großes Potenzial. seiten des Bundes tatsächlich ein Hindernis beseitigt, den Daher haben wir vonseiten der CSU bereits im vergan- Kern des Problems also angegangen und nicht einfach genen Sommer eine Bundesratsinitiative auf den Weg nur mehr Geld draufgeschüttet. gebracht, die unter anderem eine steuerliche Förderung von 10 Prozent über 10 Jahre für Aufstockungen fordert. Darüber hinaus müssen wir auch darüber nachdenken, Bei unserer Klausurtagung in Kloster Seeon haben wir wie wir einen Dachausbau oder eine Aufstockung auch ebenfalls eine bessere Nutzung der Dachpotenziale be- für Wohnungseigentümergemeinschaften attraktiv und schlossen. Auch in der Kommission „Nachhaltige Bau- leicht gestalten. Auch hierzu finde ich nichts in Ihrem landmobilisierung und Bodenpolitik“ wurde das Thema Antrag. bereits aufgerufen. Und wir haben von Bundesseite hier auch schon geliefert. Aber keine Sorge, auch ich sehe Stattdessen fordern Sie in Ihrem Antrag vor allem hier noch weiteren Handlungsbedarf. mehr Geld für eine Investitionszulage für den Dachaus- bau oder die Reaktivierung von leer stehenden Gebäu- Im Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwoh- den. Über eine solche können wir ja grundsätzlich auch nungsneubaus, das derzeit noch im Bundesrat liegt, ha- gerne diskutieren. Wir haben das innerhalb unserer Frak- ben wir explizit die Möglichkeit geschaffen, dass auch tion auch bereits getan. Unabhängig davon müssen Sie Dachgeschosswohnungen in Bestandsbauten steuerlich mir aber mal erklären, wie Sie darauf kommen, dass eine gefördert werden können. So können Investoren in den Investitionszulage, die im Endeffekt genau wie das von ersten 4 Jahren statt wie bisher nur 2 Prozent nun zu- Ihnen kritisierte Baukindergeld und die Sonderabschrei- sätzlich 5 Prozent ihrer Anschaffungs- und Herstellungs- bung wie eine Subvention wirkt, nicht ebenfalls zu einer kosten steuerlich geltend machen. Bei Baukosten für eine Baukostensteigerung führen wird. 10712 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) Auch schlagen Sie vor, für Ihre Bauflächenoffensive Die rot-schwarze Bundesregierung hat dafür gesorgt, (C) ein weiteres KfW-Programm aufzulegen. Dabei sollten dass in dieser Legislaturperiode 5 Milliarden Euro für Sie wissen, dass Dachausbauten oder Dachaufstockun- den sozialen Wohnungsbau bereitstehen: Mittel, die gut gen schon heute von der KfW gefördert werden. Die für oben angesprochene Maßnahmen genutzt werden entsprechenden Programme sind für den Neubau „Ener- können. gieeffizient Bauen“ und für Bestandsgebäude „Energie- effizient Sanieren“ und „Altersgerecht Umbauen“. Es Hohe Grundstückskosten tragen erheblich zu hohen wird hier pro Wohneinheit mit einer Fördersumme von Baukosten bei. Deshalb haben wir auch dafür gesorgt, 100 000 Euro zu niedrigen Zinsen und einem Tilgungs- dass bundeseigene Grundstücke verbilligt für sozial ge- zuschuss gefördert, wenn entsprechende Energiestan- förderten Wohnungsbau abgegeben werden. Wir haben dards erreicht werden. Wir können über eine Aufsto- die Rechtsgrundlage dafür geschaffen, damit die Kom- ckung der Programme oder auch eine Umstrukturierung munen ein Erstzugriffsrecht auf entbehrliche Grundstü- sprechen. Aber hier ein weiteres Programm aufzulegen, cke der BImA haben. das zu weiteren Doppelstrukturen führen wird, halte ich Die BImA – Bundesanstalt für Immobilienaufgaben – für unsinnig. Viel wichtiger ist es, die bereits bestehen- kann für den sozialen Wohnungsbau Verbilligungen bis den Fördermöglichkeiten gut zu kommunizieren. 100 Prozent des Grundstückskaufpreises einräumen. Der Bau von bezahlbarem Wohnraum hat bei uns große Pri- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, die orität. Kunst liegt hier also nicht darin, einfach Geld auszu- geben, sondern Hemmnisse abzubauen und bereits be- Die Stadt Frankfurt geht da mit gutem Beispiel voran. stehende Programme transparenter zu machen. Was Sie Künftig sollen bei allen neuen Bebauungsplänen 50 Pro- ganz konkret machen können, ist, in den Ländern, in de- zent der Flächen für den sozial geförderten Wohnungs- nen Sie an der Landesregierung beteiligt sind, dafür zu bau (hälftig 1. und 2. Förderweg) festgesetzt werden. werben, dass das Gesetz zur steuerlichen Förderung des Weitere 25 Prozent sollen für Konzeptvergaben reser- Mietwohnungsneubaus nun verabschiedet wird und die viert werden. Landesbauordnungen entsprechend angepasst werden, um den Dachausbau und Dachaufstockungen nachhaltig Danke an den SPD-Planungsdezernenten Mike Josef zu erleichtern und zu fördern. für diese Initiative. Wohnungsneubau ist gut und notwendig. Aber lei- Ulli Nissen (SPD): Diese Woche hatten wir eine der gibt es auch viele Wohnungen, die in angespannten öffentliche Anhörung zur Vermeidung von Obdachlo- Wohnungsmärkten aus miesen Spekulationsgründen leer stehen. Diese müssen dringend wieder dem Wohnungs- (B) sigkeit. Auch dort wurde wieder deutlich, wie dringend (D) bezahlbarer Wohnraum benötigt wird. markt zur Verfügung gestellt werden. Allein in Frankfurt sind das mehrere Tausend Wohnungen. Leider hat die Wir haben uns in den SDGs – den Nachhaltigkeitszie- schwarz-grüne Landesregierung kein Verbot von Zweck­ len 2030 – im Unterziel 11.1 verpflichtet, bis 2030 den entfremdung von Wohnraum eingeführt, obwohl die Grü- Zugang zu angemessenem, sicherem und bezahlbarem nen dies in ihrem Wahlprogramm versprochen hatten. Wohnraum und zur Grundversorgung für alle sicherzu- Den Ärger bei den Mieterinitiativen kann ich bestens stellen. Bezahlbares Wohnen ist ein elementares Grund- verstehen. Die Wut wird auch noch dadurch verstärkt, bedürfnis. dass im schwarz-grünen Hessen die Kündigungssperr- Ich bedanke mich bei der TU Darmstadt und dem frist nach Umwandlung von Miet- in Eigentumswoh- Pestel Institut Hannover für die aktuelle Studie: „Wohn- nungen nicht bei den maximalen Jahren von zehn Jahren raumpotenziale in urbanen Lagen – Aufstockung und liegt. Vereinbart sind nur acht Jahre – ein Geschenk von Umnutzung von Nichtwohngebäuden“. zwei Jahren für die Immobilienspekulanten und -speku- lantinnen. Der Ansatz, wachsenden Bedarf an Wohnraum zu de- cken und gleichzeitig einen sparsamen Umgang mit der Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Ressource „Bauland“ sicherzustellen, gefällt mir gut. super, dass ihr hier Anträge stellt. Überzeugender wären Eine behutsame Innenentwicklung und Nachverdichtung diese, wenn ihr in den Ländern, wo ihr in der Verantwor- ist das Ziel. Flächenschonende Möglichkeiten sind hier tung seid, alles tun würdet, um die Situation der Miete- Aufstockung und Umnutzung von Bestandsgebäuden. rinnen und Mieter zu verbessern! Lassen sie uns gemeinsam daran arbeiten, ausreichend Laut der Deutschlandstudie 2019 gibt es laut konser- bezahlbaren Wohnraum für die Menschen zu schaffen! vativen Annahmen zusätzliches Wohnraumpotenzial von 2,3 bis 2,7 Millionen, davon gut 500 000 Wohneinheiten durch Aufstockung von Büro- und Verwaltungsgebäu- Claudia Tausend (SPD): Wir sind uns ja alle einig: den. Auch spannend: 400 000 auf den Flächen von einge- Wir brauchen schnell mehr Wohnraum. Für die SPD sage schossigem Einzelhandel. ich ausdrücklich: bezahlbaren Wohnraum. Gleichzeitig wollen wir den Flächenverbrauch bis 2030 auf maximal Die Studie geht von 1,1 bis 1,5 Millionen Wohnein- 30 Hektar pro Tag zu halbieren. Daher gilt für uns bei allen heiten durch Dachaufstockungen auf Wohngebäuden baulichen Vorhaben der Grundsatz „Innenentwicklung vor aus. Da haben wir ein gewaltiges Potenzial, um neuen Außenentwicklung“. Dazu gehören auch die Überlegun- Wohnraum zu schaffen. gen, die die Grünen in ihrem Antrag vorgelegt haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10713

(A) Der Antrag stützt sich auf eine Studie der TU Darm­ reits die Nachverdichtung, Aufstockung und den Dach- (C) stadt, die ein enormes denkbares Mobilisierungspoten- ausbau als integrierte Förderung, da meist gleichzeitig zial im Bestand aufzeigt. Wie gesagt: denkbares Mobi- weitere Maßnahmen am gesamten Gebäude erfolgen. lisierungspotenzial. Wenn man sich das Ganze nämlich Für eine Debatte zur effizienteren Nutzung und Ausge- genauer ansieht, stößt man doch auf eine Reihe von staltung dieser Programme bin ich offen. derzeit noch bestehenden Hürden, nicht nur finanzieller, sondern auch baurechtlicher Natur. In diesem Zusam- Doch allein mit finanzieller Förderung wird es nicht menhang bedauere ich, dass der Antrag nicht gemeinsam getan sein. Wir können als Bundesgesetzgeber im Rah- mit dem Antrag der FDP mit dem Titel „Wohnungsman- men der Novellierung des Baugesetzbuches auch einiges gel bekämpfen – Dachgeschosse nutzen“ behandelt wird, für eine intelligente Nachverdichtung tun. der sich insbesondere mit der Beseitigung baurechtlicher Zuallererst können wir die Befreiungen von Festset- und rechtlicher Hindernisse befasst. zungen des Bebauungsplanes nach § 31 erleichtern und Ich möchte an dieser Stelle insbesondere drei Hürden damit die Bauherren und die Verwaltungen um zeitauf- nennen: wendige und teure Verfahren entlasten. Als Sozialde- mokratin würde ich diese Befreiungsmöglichkeit an die Erstens. Das Wohnungseigentumsgesetz, das aktuell Pflicht zur anteiligen Schaffung von bezahlbarem Wohn- reformiert werden soll, um den barrierereduzierenden raum knüpfen, wie es in München bereits seit langem Umbau und Elektromobilität einfacher zu ermöglichen. Praxis ist. In München gilt bei einer Befreiung vom Be- Bereits kleinere Veränderungen scheitern häufig an der bauungsplan der sogenannte 40‑Prozent-Beschluss, der Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer, und bei einer den Bauherrn zwingt, 40 Prozent geförderten Wohnraum größeren baulichen Veränderung – und das sind eine zu schaffen. Aufstockung oder der Ausbau des Dachgeschosses zwei- fellos – ist nach § 22 Absatz 1 WEG die Zustimmung Das Gleiche gilt bei Aufstockungen im Bestandsbau- aller Wohnungseigentümer erforderlich. Hier müssten recht nach § 34. Wenn wir dort zusätzliches Baurecht wir also zusätzlich etwas tun, wenn sich die Maßnahmen schaffen, müssen wir auch darauf achten, dass bezahl- nicht auf Einfamilienhäuser und den Dachgeschossaus- bare Wohnungen entstehen. Entsprechende Vorschläge bau für die Kinder und Enkel beschränken sollen. werden derzeit in der Kommission „Nachhaltige Bau- landmobilisierung und Bodenpolitik“ intensiv diskutiert Das zweite Problem, das ich Ihnen ausführlichst aus und geprüft. meiner Zeit als Planungssprecherin im Münchner Stadt- rat in allen Schattierungen schildern könnte, ist die leider Wir müssen uns von der derzeitigen Fassung des § 17 oft mangelnde Akzeptanz der Anwohnerinnen und An- Absatz 1 BauNVO und den dort festgelegten Obergren- (B) wohner. Deshalb müssen wir bei allen Nachverdichtungs- zen für das Maß der baulichen Nutzung, die gerade in (D) maßnahmen – sei es durch Aufstockungen, Hinterhofbe- innerstädtischen Lagen schon heute häufig überschritten bauungen oder Baulückenschließungen – verkehrliche werden, verabschieden. Die damit verbundenen Rechts- Erfordernisse, soziale Belange und Freiraumqualitäten und Planungsunsicherheiten sind einfach zu groß und mitdenken. Es geht eben nicht nur allein um Wohnraum, verhindern eine zügige Entwicklung. sondern auch um das Wohnumfeld und die Lösung der Sie sehen, das Thema ist sehr komplex. Der Antrag verkehrlichen Fragen. Sonst fehlt es an der Akzeptanz der Grünen beleuchtet nur einen kleinen Teilaspekt. Des- und Durchsetzbarkeit von Wohnungsbau vor Ort. halb werden wir den Antrag ablehnen. Drittens. Mir als Sozialdemokratin ist besonders Die baurechtlichen Fragen werden, wie gesagt, der- wichtig: Welche Art von Wohnraum entsteht denn in den zeit intensiv in der Kommission „Nachhaltige Bauland- Dachgeschossen oder durch Aufstockungen? Sind dies mobilisierung und Bodenpolitik“ erörtert, die im Som- vorwiegend bezahlbare Wohnungen oder doch eher – mer 2019 ihren Abschlussbericht vorlegen wird. zumindest in Ballungsräumen – Wohnungen der oberen Preisklasse? Insofern meine ich, dass die von Ihnen zu Es würde mich freuen, wenn wir dann unsere Diskus- Recht angesprochenen wünschenswerten baulichen Er- sion im Ausschuss fortsetzen könnten. leichterungen mit der Forderung nach der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum kombiniert werden müssen – Daniel Föst (FDP): Wohnen muss wieder bezahlbar sei es durch Förderprogramme, deren Inanspruchnahme werden. Die Wohnkosten fressen einen immer größeren man ja auch verpflichtend ausgestalten kann, oder durch Anteil am Einkommen der Bürger auf – wenn sie denn Auflagen dort, wo es möglich ist. überhaupt eine Wohnung finden. Die Bundesregierung Auch die von den Kolleginnen und Kollegen der Grü- bietet den Menschen hier aber keine Lösungen. Die Gro- nen thematisierte Förderung des Dachgeschossausbaus Ko ist in der Bau- und Wohnungspolitik ein Totalausfall. und von leer stehenden Gebäuden ist eine zentrale Stell- Erst vergangene Woche hat das Statistische Bundesamt schraube. Ich bin auch der Auffassung, dass eine rein gemeldet, dass die Zahl der Baugenehmigungen 2018 so- steuerliche Förderung nicht weiterhilft. Daher müssen gar zurückgegangen ist. wir überlegen, wie wir über bestehende oder zusätzliche Wo ist denn Ihre große Bauoffensive? Sie halten Förderprogramme den Dachgeschossausbau stärker akti- Wohngipfel ab, lassen Kommissionen tagen und Gutach- vieren können. ten schreiben. Und was kommt dabei raus? Sie machen es Die bestehenden KfW-Programme „Energieeffizient nur noch schlimmer. Man kann den Mangel nicht einfach Bauen“ und „Energieeffizient Sanieren“ adressieren be- verwalten, man muss ihn beheben, und das gelingt nur, 10714 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019

(A) wenn wir mehr bauen, schneller bauen, günstiger bauen zentren. Und damit geht der Antrag aus unserer Sicht am (C) und den ländlichen Raum wirklich stärken. Da passiert eigentlichen Problem vorbei. einfach viel zu wenig. Bundesweit fehlen – vor allem in den Ballungsgebie- Gerade in den Metropolen müssen wir schnell neue ten – viele Hunderttausende bezahlbare Wohnungen. Es Wohnungen bauen, weil dort der Druck auf die Woh- fehlt an bezahlbarem Wohnraum für Rentnerinnen und nungsmärkte am höchsten ist. Deshalb haben wir von der Rentner, für Studierende, für Alleinerziehende, für Emp- FDP schon im Februar hier im Bundestag unsere Dach- fängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen, und ausbauoffensive vorgestellt. Wir wollen, dass Deutsch- Wohnungen fehlen immer stärker auch für Menschen mit land noch eins draufsetzt. Wir wollen das Potenzial in durchschnittlichen und sogar ganz guten Einkommen. den Dachböden und auf den Flachdächern unserer Städte Schuld an dieser Entwicklung trägt die Wohnungspoli- endlich nutzen. Wir wollen endlich den Druck aus dem tik der Bundesregierung mit ihrer eigentumszentrierten Kessel nehmen, und der Dachausbau kann dieses Ventil und auf die Speckgürtel der großen Städte fokussierten sein. Bauförderung. Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau bleiben weit hinter dem Bedarf zurück, die Maßnahmen Jetzt legen die Grünen heute mit einem eigenen Antrag gehen an den Menschen, die es wirklich brauchen, doch zum Dachausbau nach, weil auch sie die großen Vorteile völlig vorbei. Daran hat sich bis heute nichts geändert. erkannt haben: Es ist günstig, weil die Grundstückskos- ten entfallen, es ist umweltfreundlich, weil keine neuen Ich fürchte einfach: Auch der Ausbau von Dachge- Flächen versiegelt werden, und es verdichtet die Städte schossen wird keine Entspannung in puncto bezahlbare behutsam, aber effektiv. Wohnungen bringen. Dazu hätte man mindestens zualler- erst fordern müssen, dass Sozialbindungen einzuhalten Nur leider gehen die Grünen das eigentliche Problem, sind – vor allem, wenn Fördermittel in Anspruch genom- nämlich die Bürokratie, in ihrem Antrag gar nicht an. men werden. Im Antrag der Grünen wird das aber nur für Stattdessen nehmen sie sich ein Vorbild an der Regie- die Fälle gefordert, in denen zusätzlich zu den Förder- rung, frei nach dem Motto: Werfen wir mal Geld drauf, zuschüssen zum Dachgeschossausbau auch noch weitere dann wird es schon werden. Hier ein Förderprogramm, Fördermittel beantragt werden. Das ist aus meiner Sicht da ein Zuschuss, hier ein paar Millionen, dort ein paar viel zu wenig. Milliarden: Jeder, der nicht bei drei auf den Bäumen ist, bekommt eine Förderung. In seiner Studie von 2016 kommt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung zu dem Ergebnis, Im Januar wurde Herr Kühn mit folgendem Statement dass durch die Ausbauten von Dachgeschossen, vor allem zitiert: „Immer mehr Geld in einen ohnehin überhitzten in den Gebieten mit sehr hohen Mieten, neue Wohnungen (B) Markt zu pumpen, ist konjunktur- und baupolitisch ab- ausnahmslos im Hochpreissegment entstehen. Von sol- (D) surd.“ Ja, da hat Herr Kühn recht, aber jetzt machen die chen Wohnungen entstehen derzeit aber ja wirklich mehr Grünen genau das Gleiche; sie machen den gleichen Feh- als genug. Anstatt solche hochpreisigen Wohnungen zu ler wie die Bundesregierung. bezuschussen, muss die öffentliche Hand endlich für be- zahlbaren Wohnraum sorgen. In der Studie der TU Darmstadt, die von 2,7 Millionen Wohnungen spricht, die auf unseren Dächern entstehen Im besten Fall würden vielleicht sogenannte Sicker­ können, steht es noch mal schwarz auf weiß: Wir müssen effekte entstehen, wenn durch den Ausbau von Dachge- bauordnungs- und bauplanungsrechtliche Vorgaben neu schossen an anderer Stelle Wohnungen frei werden. Er- definieren – für weniger Bürokratie, weniger Vorschrif- fahrungsgemäß sind diese Effekte allerdings dermaßen ten, schnellere Verfahren. Das ist genau das, was wir minimal, dass sie am Wohnungsmarkt so gut wie keine Freie Demokraten in unserem Antrag gefordert haben. Rolle spielen – und dass das so ist, geht ebenfalls auf die Kappe der Regierung und ihrer zur Wirkungslosigkeit ver- Ich freue mich wirklich, dass wir uns immerhin über stümmelten Mietpreisbremse. Denn mit der schaffen Sie die Ziele einig sind. Wir brauchen eine echte Dachoffen- auch noch die Möglichkeit für Vermieter, bis zu 10 Prozent sive, damit Wohnen in den Metropolen wieder bezahlbar über der ortsüblichen Vergleichsmiete neu zu vermieten. wird. Leider sehe ich das mit Ihren Forderungen nicht Realität werden, aber ich freue mich auf die Debatte im Was wir also anstatt solcher sehr geringer Sickereffek- Ausschuss. te eigentlich benötigen, ist ein großer Wurf und eine ech- te Kehrtwende in der Wohnungs- und Mietenpolitik. Die Linke hat dazu im vergangenen Jahr ein Konzept für ein (DIE LINKE): Wir diskutieren heute Nicole Gohlke öffentliches Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vor- einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, der – in recht bild vorgeschlagen, um jährlich 250 000 Sozialwohnun- blumiger und euphorischer Form – den Ausbau von Dä- gen mit dauerhaften Mietpreis- und Belegungsbindungen chern und die Aufstockung von Häusern vorschlägt, um sowie weitere 130 000 Wohnungen in kommunalem, mehr Wohnraum zu schaffen. Und ganz klar: Das Bau- genossenschaftlichem oder gemeinwohlorientiertem en in die Höhe ist natürlich auch eine Möglichkeit zur Eigentum zu schaffen. Damit und mit einer umfassen- Schaffung von neuen Wohnungen. Aber mir geht es so: den Mietrechtsreform könnte die Wohnungsnot im Land Die große Euphorie, die aus dem Antrag spricht, teile ich wirklich dauerhaft verringert werden. nicht. Denn was Sie mit diesem Antrag nicht erreichen – das ist aber doch die eigentlich spannende Frage und die So gut der vorliegende Antrag vielleicht auch gemeint eigentliche gesellschaftliche Herausforderung –, ist die ist – er wird den von Wohnungsnot betroffenen Men- Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in den Ballungs- schen kaum weiterhelfen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2019 10715-10727

(A) Anlage 16 Anlage 18 (C) Erklärung nach § 31 GO Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Markus Herbrand (FDP) der Abgeordneten Ronja Kemmer (CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über die Be- zu der namentlichen Abstimmung über den Ent- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschus- schließungsantrag der Abgeordneten Alexander ses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fort- Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Alt setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso- FDP zu der Beratung des Antrags der Bundesre- lute Support für die Ausbildung, Beratung und gierung – Drucksachen 19/7726, 19/8424 – Fort- Unterstützung der afghanischen nationalen Ver- setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso- (Tagesordnungspunkt 9 a) lute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Ver- Bei der Abstimmung habe ich bedauerlicherweise teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan durch eine Verwechslung der Stimmkarte mit „Enthal- (Tagesordnungspunkt 9 a) tung“ gestimmt. Hiermit erkläre ich, dass ich die vom Auswärtigen Ausschuss vorgelegte Beschlussempfeh- Ich habe versehentlich mit Ja gestimmt. Mein Votum lung ablehne und mit „Nein“ stimmen wollte. lautet Nein.

Anlage 17 Anlage 19 Erklärung nach § 31 GO Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Alois Karl (CDU/CSU) zu der des Abgeordneten Dietrich Monstadt (CDU/CSU) namentlichen Abstimmung über den Entschlie- zu der namentlichen Abstimmung über den Ent- ßungsantrag der Abgeordneten Alexander Graf schließungsantrag der Abgeordneten Alexander Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Alt Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, Renata Alt und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu der Beratung des Antrags der Bundesre- FDP zu der Beratung des Antrags der Bundesre- gierung – Drucksachen 19/7726, 19/8424 – Fort- gierung – Drucksachen 19/7726, 19/8424 – Fort- setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher setzung der Beteiligung bewaffneter deutscher (B) Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso- Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz Reso- (D) lute Support für die Ausbildung, Beratung und lute Support für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Ver- Unterstützung der afghanischen nationalen Ver- teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan teidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan (Tagesordnungspunkt 9 a) (Tagesordnungspunkt 9 a) Ich habe aus Versehen dem Antrag zugestimmt. Mein Ich habe versehentlich mit Ja gestimmt. Mein Votum Votum lautet aber Nein. lautet Nein. Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333