Kultur

«Wer nur von Jazz etwas versteht, der versteht nichts von Jazz»

Interview mit mit von Niggi Freundlieb Mit einem Paukenschlag wird das diesjährige Jazzfestival Basel am 30. April eröffnet: George Gruntz tritt mit seiner Concert Jazz Band auf und unterstreicht damit die Bedeutung des Festivals als eines der mittlerweile wichtigsten Europas. Es ist aber auch ein Wiedersehen und -hören mit dem bedeutendsten Schweizer Musiker, Kom- ponisten, Arrangeur und Bandleader der Gegenwart, der in seiner langen Karriere als Mittler zwischen den musikalischen Welten als einer der Pioniere der Transformation des Jazz zur Weltmusik gilt.

eorge Gruntz’ musikalische Ver- dienste aufzuzählen, hiesse, Trom- peten nach New Orleans zu tragen und würde den Rahmen des vorlie- gendenG Artikels sprengen. Einige Highlights des in Allschwil, ein paar Meter von der Kan- tonsgrenze zu Basel, lebenden 79-Jährigen, der zwar den Baselbieter Kulturpreis, aber noch nie dessen baselstädtisches Pendant er- halten hat (!) – er freut er sich jedoch ebenso über den Titel des «Ehrenspalenberglemers» oder viele andere Auszeichnungen, wie zum Beispiel das «Verdienstkreuz erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutsch- land» – seien aber dennoch festgehalten:

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Man kann ihm nur zu «seinem» Festival gratulieren und sich dafür bedanken, was er für den Jazz tut.

George Gruntz über Urs Blindebacher

George Gruntz’ internationale Karriere star- Internationalen Musikfestwochen in Luzern mit, Jazzfestival Montreux, als er anfangs der neun- Musiker, alles Top Solisten oder gar selbst Band- Was hat sie schon damals bewogen, zum tete, als er 1958 als Mitglied der Newport In- spielte mit den beiden Schweizer Schlagzeug- ziger Jahre die Big Band mit Quincy Jones lei- leader, in seiner unvergleichlichen Handschrift Beispiel Musik von Beduinen in Ihre Musik zu ternational Band am Newport Jazz Festival mit Giganten Pierre Favre und auf tete, welche die Arrangements von Gil Evans ein und verleiht dem Orchester seinen unverwech- integrieren? Louis Armstrong spielte. Sein internationaler der Rückseite von Rolf Liebermanns epochaler letztes Mal mit Miles Davis aufführte. selbaren Klang. Die GG-CJB schlägt Brücken von Einstand als Musiker wurde nicht nur mit her- Expo-Single «les Echanges» präpariertes Klavier Jazz zu Klassik, von Ethno zu zeitgenössischer Das war eigentlich Zufall. Ich war auf Einla- vorragenden Kritiken quittiert, sie ermöglichten oder konzertierte als Cembalist unter Albert Die Idee zur GG-CJB entstand eigentlich aus der oder populärer Musik und gilt als eine der wich- dung von Antoinette Vischer in Tunesien, wo ihm auch zahlreiche freundschaftliche Kontakte Kaiser in Basel mit dem «Collegium Musicum» Quintett-Zusammenarbeit mit Flavio Ambrosetti tigsten und stilbildensten Grossformationen des ich mich mit anderen Künstlern aus verschie- zur Crème de la Crème des amerikanischen Bachs «Brandenburgische Konzerte». und dessen Sohn Franco, einem der besten eu- Jazz weltweit. densten Gebieten zum Gedankeaustausch Jazz, wie Miles Davis, John Coltrane, Cannonball ropäischen Bebop- und Hardbop-Trompeter und traf. Diese Gespräche waren zwar sehr inte- Adderley, Gerry Mulligan, Stan Getz, Art Blakey, Fortlaufend überschritt nun George Gruntz mu- -Flügelhornspieler. Flavio Ambrosetti, ein Tessiner «Geschäftsführer»: Sie eröffnen mit ihrer ressant, mir aber ein bisschen zu kopflastig Max Roach, Bill Evans oder Johnny Griffin. Diese sikalische Grenzen, kombinierte fasnächtliche Industrieller und begabter Saxofonist unter- Concert Jazz Band (GG-CJB) das Basler Jazz- und ich beschloss, die Altstadt von Hamma- Kontakte sollten für George Gruntz noch enorm Trommelklänge oder den Stil von schottischen stütze George Gruntz’ Idee einer zeitgemässen festival, das wiederum grosse Namen und met zu erkunden. Dort vernahm ich plötzlich wichtig werden, als er 1972 künstlerischer Lei- Highland Bands mit Jazzimprovisationen, kom- Big Band, nachdem dieser in den USA das Or- eine beeindruckende Stilvielfalt bringt. Wel- Klänge, die mich regelrecht elektrisierten. Ein ter der legendären Berliner Jazztage wurde. ponierte Fasnachtsmärsche, improvisierte zu- chester des Trompeters Don Ellis mit seinen chen Stellenwert hat das Basler Jazzfestival Beduine spielte mit Zirkulationstechnik auf sammen mit Beduinen für Peter Lilienthals und modernen und wegweisenden Arrangements im internationalen Kontext mittlerweile aus einer Zurna, einer Art Oboe, Hirtenmusik, die In den sechziger Jahren tourte der Joachim-Ernst Berendts Film «Noon in Tunisia», erlebt hatte. Big Bands waren eigentlich zu die- Ihrer berufenen Sicht? mich stark an die Musik von John Coltrane er- gelernte Elektromaschi- schrieb Filmmusiken, unter anderem zu Bern- ser Zeit aus der Mode gekommen und kaum innerte. Ich habe dann am nächsten Tag vom nenzeichner und aus- hard Wickis «Das falsche Gewicht» oder Fred mehr zu finanzieren, dank Flavio Ambrosettis George Gruntz: Einmal abgesehen von Mon- Beduinen und seinen Mitmusikern mit einem gebildete Musiker mit Haines’ «Steppenwolf». Er war musikalischer finanzieller und ideeller Unterstützung konnte treux, das sich ja schon lange nicht mehr als Kassettenrecorder Aufnahmen gemacht und , Chet Leiter des Zürcher Schauspielhauses und künst- aber die erste GG-CJB aus der Taufe gehoben reines Jazzfestival versteht, ist das Jazzfestival mich mit ihnen angefreundet. Baker, Rahsaan Roland lerischer Leiter der Berliner Jazztage. Er kom- werden. Von Beginn an war die GG-CJB eine Sen- Basel das einzige grosse, professionell pro- Kirk, Art Farmer, , Gerry Mulligan ponierte Jazzopern in Zusammenarbeit mit dem sation und unter der Leitung von George Gruntz, duzierte Jazzfestival in der Schweiz, das sich Zurück in Europa ist mir diese Musik nicht oder Johnny Griffin durch Europa und spielte afroamerikanischen Dichter LeRoy Jones oder seinen Kompositionen und Arrangements war auch international einen wichtigen Stellen- mehr aus den Ohren gegangen und ich wollte zahlreiche preisgekrönte Schallplatten ein. Die dem Dichter Allen Ginsberg, dem Regisseur das Orchester von nun an Gradmesser für mo- wert erarbeitet hat. Die Leistung des künstle- unbedingt etwas in dieser Richtung machen, sechziger und siebziger Jahre markierten dann Robert Wilson und dem Opernintendanten Rolf dernen Big Band-Sound schlechthin. Zudem ist rischen Leiters, Urs Blindenbacher, ist beein- aber niemand hat mich ernst genommen. Erst aber auch einen bemerkenswerten Wandel im Liebermann, er gründete die «Piano Conclave», die GG-CJB ein reines Solistenorchester, dessen druckend. Er macht einen tollen Job, hat ein der deutsche Jazzpapst Joachim-Ernst Berendt, kreativen Schaffen von George Gruntz. So ent- übernahm die Moderation der TV-Musikserie Besetzungsliste sich wie ein «Who is Who» des enormes Wissen über Jazz und vor allem ein dem ich anlässlich der Donaueschinger Mu- standen zum Beispiel in Zusammenarbeit mit «All You Need Is Love» und gründete 1972 zu- modernen Jazz liest. gutes Ohr für Musik. siktage von meinem Projekt erzählte – nota- der Basler Mäzenin und Cembalistin Antoinette sammen mit Flavio und die bene fand dieses Gespräch in einem Pissoir Vischer sowohl Kompositionen im Bereich der legendäre George Gruntz-Concert Jazz Band Die GG-CJB ist mittlerweile neben dem «Duke Sie haben schon sehr früh Einflüsse aus ande- statt (!) – war von der Idee angetan. Weil in zeitgenössischen Musik als auch Fusionen von (GG-CJB), mit der er, mit Ausnahme Australiens, Ellington Orchestra» die am längsten funktio- ren Kulturkreisen und aus anderen Musikbe- Tunesien damals kein adäquates Tonstudio zu barocker Musik mit Jazz. George Gruntz wirkte alle Kontinente der Welt bereiste und zum Bei- nierende Big Band der Jazzgeschichte. George reichen in den Jazz gebracht; heute machen finden war, liess Berendt mit Unterstützung bei der Uraufführung von Werner Kaegis «Con- spiel als erste Jazzband überhaupt durch China Gruntz arrangiert seine Kompositionen und die das viele, ja, der Jazz lebt heute eigentlich da- des tunesischen Kulturministers die Musiker certo für Jazzquartett und Streicher» bei den tourte. Unvergessen ist auch sein Auftritt am Themen seiner, für jede Tournee handverlesenen von, dass er eine Art Weltmusik geworden ist. nach Deutschland einfliegen, wo sie dann mit

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Musiker sehr talentiert sind. Allerdings ist zu beobachten, dass vielen Talenten der Durch- haltewille fehlt. In meiner 17-jährigen Tätigkeit als Prüfungsexperte an Schweizer Musikaka- demien musste ich zudem feststellen, dass die Musikausbildung in der Schweiz verbessert werden muss. Es gibt diesbezüglich starken Nachholbedarf, aber zum Beispiel die Politik, die ja über entsprechende Finanzierungen befin- den muss, tut sich mit dem Thema schwer.

«Die Musikausbildung in Weitere Informationen George Gruntz der Schweiz muss verbessert www.georgegruntz.com

werden.» Jazzfestival Basel George Gruntz George Gruntz Concert Jazz Band www.jazzfestivalbasel.ch

mir zusammen meine «Maghreb Cantata» ein- dem ich an einem Libretto für die von Rolf Lie- Sie haben viele Ehrungen, auch im Ausland, be- gespielt haben. Das ganze erschien als Film- bermann in Auftrag gegebene Jazzoper arbei- kommen, aber der Pro Helvetia schien es zum musik und bei der Firma MPS als Schallplatte tete. Dass ein weisser Musiker mit einer Ikone Beispiel nicht wert, Ihre Russlandtournee 2008 unter dem von Berendt gewählten Titel «Jazz der Blackpower Bewegung arbeitet, machte zu unterstützen. Gilt der Satz immer noch «Der Meets The World». ihm Eindruck. Dann war ich der erste Festi- Prophet gilt im eigenen Land nichts»? valmacher, der Miles Davis nach seiner lan- Sie haben mit den grössten Jazzmusikern der gen krankheitsbedingten Pause wieder nach Die Pro Helvetia hat auch letzthin ein neues Welt gespielt; welcher Musiker hat Sie am Europa, an die Berliner Jazztage, brachte. Und Gesuch von mir abgelehnt. Mit Verlaub gesagt, meisten beeindruckt? unvergessen ist natürlich unsere letzte Zusam- unterstelle ich der Pro Helvetia nicht allzu viel menarbeit in Montreux, als wir zusammen mit Sachverstand. Ich halte die Politik der Pro Hel- Als Persönlichkeit hat mich wohl Miles Davis Quincy Jones noch einmal die Gil Evans-Arrange- vetia, lieber unbekannte Künstler ins Ausland als am meisten beeindruckt. Ich hatte ihn in den ments aufführten. Musikalisch war Miles Davis Botschafter der Schweiz zu schicken, für falsch. USA kennen gelernt, und trotz seines Rufs, der vielleicht wichtigste Jazzmusiker über- unnahbar zu sein, entstand zwischen uns eine haupt, war er doch wie kein zweiter immer wie- Urs Blindenbacher hat mir gegenüber ange- Freundschaft. Besonders stieg ich in seiner der an wichtigen musikalischen Entwicklungen deutet, dass in den USA, dem Mutterland Achtung, als ich ihm den afroamerikanischen entscheidend beteiligt. des Jazz, der Jazz keine herausragende Rolle Dichter LeRoy Jones vorstellen konnte, mit mehr spielt. Viele US-Musiker verdienen vor Obwohl Sie immer offen gegenüber sämt- allem ihr Geld in Europa oder Japan. Wie be- lichen musikalischen Strömungen aus U- und urteilen Sie die Situation? E-Musik waren, sind Sie nie in eigentlich kom- merzielle Gefilde abgedriftet, weshalb nicht? Blindenbacher hat leider recht. Aber auch in Eu- ropa ist die Situation zunehmend schwieriger Ich bin wohl ein Überzeugungstäter (lacht). geworden. Allerdings bringt man in Europa dem Als ich mit 20 Jahren erste Preise gewonnen Kulturgut Jazz noch mehr Wertschätzung ent- hatte, dachte ich, ich könne nun von der Musik gegen. Sponsoren und Mäzene werden aber leben und bin nach Schweden gegangen. Dort immer weniger oder unterstützen andere Akti- musste ich aber als Barpianist arbeiten und vitäten. Auch wir spüren diese Entwicklung, und das hat mir nicht gefallen. Während viele Kol- es kommt natürlich hinzu, dass eine grosse Big legen in Tanzbands gespielt haben, bin ich nach Band zu unterhalten, viel Geld kostet. Basel zurückgegangen und habe einige Zeit unter anderem Autos verkauft, weil ich meine Wie beurteilen Sie den einheimischen Jazz- musikalischen Ideen nicht verraten wollte. Das nachwuchs? Warten hat sich gelohnt, ich wurde 1958 als Pi- anist für die Newport International Band ausge- Auch in der Schweiz gibt es erfreulicherwei-

www.kalamu.com wählt und konnte mit 26 Jahren meine Karriere se junge Jazzmusiker und Orchester, wie zum Miles Davis in den USA starten. Beispiel das Lucerne Jazz Orchestra, dessen

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