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Aus der Rille Ein Beitrag von Thomas König

Nomen est omen! Oder wenn Orden schmücken den Weg von war. Die Arbeiterfamilie Gruntz presste ein Pianist, Komponist, Band- George Gruntz in der zweiten Hälfte George in eine Maschinenzeichnerleh- leader, Leiter, Lehrer oder ein- des letzten Jahrhunderts, vom zweit- re, schliesslich sollte man einen anstän- fach Musikmacher und -orga- höchsten Orden der Bundesrepublik digen Beruf erlernen, war die einstim- nisator seit mehr als 50 Jahren Deutschland bis zum Kulturpreis seines mig familiäre Meinung. Die schloss er der ganzen Welt zeigt, dass Wohnkantons, dem Baselbiet, welchen 1951 auch mit besonderer Anerken- die Schweiz mehr zu bieten hat er 1994 erhielt. nung ab, aber eigentlich lebte er zu die- als Milch, Kühe, Schokolade, ser Zeit für das Klavier und dessen Un- Berge, Uhren und Banken… terricht, den er sich beim bekannten Leh- rer am Basler Konservatorium, Eduard Henneberger, leisten konnte. So wurde das «Wohltemperierte Klavier» zum Pflichtstudium des jungen George, der zu jener Zeit primär seinem Vorbild Bud Powell nachzueifern trachtete, aber mit klassischen Mitteln seine Technik ver- bessern wollte und konnte.

Auch die Berufslehre machte ihm durchaus Spass, aber es waren vor al- lem auch Lebenserfahrungen, wie zum Beispiel Ausflüge nach Paris, welche den jungen Maschinenzeichner faszi- nierten und sowohl menschlich wie mu- sikalisch weiter brachten. Da konnte er MPS 21 22188-1 George Gruntz: Als weisser Neger geboren – Ein Leben für den Jazz sowohl bei einer Jamsession einsteigen ISBN 3-9522460-1-8 und mitmachen, wie auch im Pigalle Vieles tun und doch nur etwas die Bekanntschaft mit liebeserfahrenen wollen Wenn der Anfang nicht nur Damen machen… schwer ist, sondern zu einer Fast ein Vierteljahrhundert hat er die Frage der Existenz wird. Wieder zurück am Rheinknie spielte «Berliner Jazztage» geleitet und dem ur- George in vielen lokalen Bands. Teil- sprünglich traditionellen Jazz neue Im- 1932 wird George Gruntz in eine weise wurden diese Konzerte sogar auf pulse vom Freejazz bis zur Weltmusik Baselbieter Familie mit elsässischer Ab- einem Dynavoxgerät aufgezeichnet, gegeben. Er gründete zusammen mit stammung geboren. Ein Einzelkind mit das sich sein Vater, der nach wie vor als Vater und Sohn Flavio und Franco Am- dem klassischen Werdegang der Amateurmusiker aktiv war, zugelegt hat- brosetti vor bald vierzig Jahren eine der Schweizer Zwischenweltkriegsgenerati- te. Dieses Gerät war ein Vorläufer des erfolgreichsten Jazz-Grossformationen, on schien nahe der Stadt Basel aufzu- Tonbandgerätes und funktionierte mit ei- die «George Gruntz Concert Jazz blühen, mit Engagement in Jugend- nem Stahldraht als Aufzeichnungsquel- Band» (GG-CJB), die als erste Jazzband gruppen in der «Jungwacht» und unauf- le. Tanzmusik wurde in dieser Zeit noch durch China tourte. Er erhielt die Aus- fälliger Schulzeit. Wenn da nicht die an vielen Orten live gespielt. Das war zeichnung als «bester europäischer Musik gewesen wäre, welche den jun- die Chance für George, seinen Lohn als Jazzkomponist» und leitete anfangs der gen George von Anfang an faszinierte, Elektromaschinenzeichner etwas aufzu- 90er-Jahre am Jazzfestival Montreux die wäre George wohl nicht speziell auf- polieren und vor allem auch weitere mu- Bigband mit Quincy Jones, welche die gefallen. In der Familie Gruntz gab es sikalische Erfahrungen zu sammeln. In Arrangements von Gil Evans ein letztes Hausmusik, wobei der junge George diese Zeit fällt sein Arrangement des Mal mit Miles Davis aufführen konnte. bald begann, die übrigen Bandmitglie- Schweizer Volksliedes «La haut sur la Zusammen mit Allen Ginsberg schrieb der zu mehr Engagement und rhythmi- Montagne» welches später auf der LP er die erste ausschliesslich von Jazzmu- scher Vielfältigkeit zu drängen. Die EMI «1935–1965 – 30 Jahre Jazz in sikern interpretierte Jazzoper. Auch sei- konnten seinen Anliegen bald nicht Switzerland» als erstes Tondokument ne spätere Oper «The Magic of a Flu- mehr folgen. Er wollte auch nicht weiter von George Gruntz auf Schallplatte er- te» welche soviel und doch so wenig den für sein Empfinden langweiligen schien. Kurz darauf musste er nach mit Mozarts Zauberflöte gemeinsam Klavierunterricht besuchen. Er selbst hat- Bierre zur Artillerie in die Rekrutenschu- hat, wurde zu einem musikkulturellen Er- te zuerst Akkordeon zu spielen, da das le. Aber da starb leider auch viel zu früh eignis in Europa. Unzählige Preise und Piano in der Hausband bereits besetzt seine Mutter, die alle Energie in den

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George Gruntz

Kauf eines kleinen Einfamilienhäuschens Herren war George Wein, der Initiator erst 1991 machten sie in Montreux erst- gesteckt hatte. Der Vater fiel aus seiner des weltberühmten «Newport Jazzfesti- und letztmals Musik zusammen. Die Pro- Bahn, der Sohn musste ins Militär. Das vals», der Georg und seinen Kollegen ben als «Youth Band» waren oftmals et- wurde für alle eine schwierige Zeit. nicht gerade Mut machte, da er mein- was mühsam, aber der Auftritt am te, er habe jetzt schon etwa 600 Jazz- Schlusskonzert zusammen mit Louis Arm- musiker aus ganz Europa angehört, strong wurde zu einem Höhepunkt. aber hier sei wohl nicht viel Gescheites Satchmo war völlig ohne Starallüren. dabei. Schokolade und Kuckuckuhren Aufnahmen dieses Auftritts wurden unter gebe es wohl in der Schweiz, aber «Louis Armstrong: fifties and seventies Jazzmusiker…? und Newport: Unreleased Highlights Um so überraschter war die Band, from 1956, 1958 und 1963» veröf- als sie bald darauf für den Sommer fentlicht. Am Ende der Proben verteilte 1958 eine Einladung für zwei Monate Satchmo an jeden eine Tüte Abführmittel in die USA erhielt. Der Chef von «Swiss Criss» mit den Worten «Leave all George Gruntz war sogar bereit, für bad things behind you!» die zwei Monate den vollen Lohn aus- zuzahlen. Während weiteren 8 Jahren Nächste Erfolge kommen mit konnte George so sein Geld mit seinem Filmmusik. Job verdienen und gute Arbeit leisten, Single (7") EX 17-102 ohne seine Musik verraten zu müssen. Nach dem Festival erlebte George noch eine intensive Zeit im Big Apple Im Militär wollten sie den George inklusive Fernsehauftritten und Kontakten für eine Offizierskarriere, obwohl ihm mit Gerry Mulligan, Stan Getz, Zoot alles Militärische zutiefst zuwider war. Sims, Cannonball Adderley, John Col- Gleichzeitig war ein Projekt vorhanden trane, Sal Salvador, Art Blakey, Max um nach Afrika zu gehen und eigentlich Roach, Bill Evans, Johnny Griffin und wollte er das Studium zum Maschine- vielen anderen. Diese Kontakte waren ningenieur aufnehmen und kündigte ab 1972 für George als Programmge- deshalb aus der RS seine Stelle bei der stalter der «Berliner Jazztage» äusserst Firma Brown Boveri in Baden. Der Va- wertvoll. Nach fast zwei Monaten in ter heiratete bald wieder und füllte das den USA flogen die jungen europäi- Häuschen mit neuem Leben. Da wollte schen Jazzer zurück nach Brüssel an die George nicht zurückstehen und ehe- Weltausstellung, wo sie für eine Woche lichte 1955 seine Jugendliebe Lilly Roth. zusammen mit Benny Goodman im Bald kam auch schon Sohn Felix Sven Amerikanischen Pavillon aufspielten. Als zur Welt. Am Zürcher Amateur- Jazzfes- The first ten years: MPS 0068.290 (mit Un- er in die Schweiz zurückkam, war hier terschrift) tival bekam er die Auszeichnung als die Hölle los. Der berühmte deutsche bester Schweizer Jazzpianist. Er musste Mit Satchmo beginnt das rich- Jazzjournalist Joachim Ernst Berendt, der die Auszeichnung sogar in der Mi- tige Jazzleben. Autor des meistgelesenen Jazzbuches in litäruniform abholen, da man diese deutscher Sprache, rief ihn höchstper- auch bei zivilen Aktivitäten während ei- 1958 also machte sich George sönlich an: «Sie sind doch der und nes Wiederholungskurses in der Armee Gruntz mit anderen Jazzmusikern der der». Im Down Beat-Magazin 8/58 zu tragen hatte. Angenehm war dabei ersten Generation nach dem Zweiten stand nämlich folgender Satz: «Things indessen das Zusammentreffen mit Fla- Weltkrieg aus ganz Europa auf den picked up…with pianist Georg Gruntz vio Ambrosetti, einem Saxofonisten und Weg in die USA und an das Newport- of Switzerland galloping like an angry – vielleicht noch wichtiger – mit einem jazzfestival. Mit dabei waren unter an- Horace Silver». Dieser Satz war wohl reichen Tessiner Industriellen. Dieser lud derem Albert Mangelsdorff und Erich für das nächste Jahr karrierebestim- Georg zu sich in seine Villa ein und Kleinschuster aus Deutschland, Ronnie mend, und dies obwohl George auch liess ihn in seiner Jazzband mitspielen. Ross aus Grossbritannien, der Italiener nicht im Entferntesten den berühmten Gil Cuppini, Gabor Szabo aus Ungarn Hard Bop Pianisten vom Blue Note La- Die «Ambrosetti All Stars» wurden und der Yugoslawe Dusko Goykovich. bel und Mitglied von Art Blakeys Jazz- an das Jazzfestival in San Remo einge- Plötzlich war man Kollege mit den ame- messengers imitieren wollte. laden und erhielten danach in ganz Eu- rikanischen Stars, man konnte mit ihnen ropa eine gute Presse. Die Quintessenz nach dem Konzert etwas trinken und Alles wurde zu Beginn der 60er-Jah- war, dass die Band – wie unzählige plaudern. So entstand zum Beispiel sein re professioneller für GG. Er konnte für weitere auch – in Mailand zwei Ameri- erster Kontakt mit Miles Davis. Daraus den Film von Hannes Schmidhauser kanern vorspielen durfte. Einer dieser entwickelte sich eine Freundschaft. Aber «Seelische Grausamkeiten» die Musik

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George Gruntz

komponieren und u.a. mit Barney Wi- wie zum Beispiel Frescobaldi wieder Uraufführung von Werner Kaegis «Con- len, der kurz zuvor mit Miles Davis die aufleben. Als LP erschienen «Jazz goes certo für Jazzquartett und Streicher» bei Musik zu «L’Ascenseur pour l’Echafaud» Barock» in total vier Auflagen, die wohl den «Internationalen Musikfestwochen» eingespielt hatte. Diese Musik schlug zum meistverkauften Tonträger von GG in Luzern, wo ein Dirigent namens Her- ziemlich ein. DECCA brachte, ohne et- werden sollten. Hier spielte er mit deut- bert von Karajan einmal mehr kaum In- was zu zahlen, eine LP davon heraus. schen Jazzmusikern wie Klaus Doldin- terviews und Unterschriften gab. Der Nach drei Wochen liess der Anwalt ger, Emil Mangelsdorff, Peter Trunk und Oberjetsetter der Klassikfraktion äusser- von GG die LP vom Markt nehmen und Klaus Weiss. te sich übrigens über Modernisten wie einstampfen. Glückliche Besitzer davon GG nicht oder nur despektierlich. Kaum seien informiert, dass der Wert der LP in eine Woche später spielte die «Kurt gutem Zustand bei über 500$ liegt, Edelhagen Big Band» in Köln erstmals was primär nebst der Seltenheit der Arrangements von GG, die er am Pia- Schallplatte am göttlich aufspielenden no begleitete. (Von dieser Big Band gibt Schlagzeuger Kenny Clarke liegt. Aus es übrigens auf dem Label Polydor her- diesen Erfolgen resultierte der zweite vorragende Schallplattenaufnahmen, Einstieg von GG als Vollprofimusiker, sie war sich nicht zu schade, auch und dabei blieb es bis heute. Schlagerstars wie Catarina Valente zu begleiten.) In der Kölnischen Rundschau Zweimal Profi – immer Profi war daraufhin am 15. Oktober über GG zu lesen: «Seine Heimat bietet ihm Das nächste Engagement erfolgte nicht genügend Beschäftigungsmög- als Pianist und «Musical Director» der lichkeiten, und so ist er in Amerika wie Sängerin Helen Merrill für deren zwei- im Fernen Osten bekannter als in der monatige Japantournee. Trotz grössten Atlantic ATL 50074 Schweiz». Kaum darauf spielte er be- Erfolgen musste GG zurück nach Euro- reits wieder in Paris im Quintett von Fla- pa, da er sich mit seinem neuen Schlag- Bei der Basler Cembalistin Antoinet- vio Ambrosetti und dessen Sohn Fran- zeuger und seither guten Freund Daniel te Vischer lernte er 1963 den Kompo- co, der einer der besten Freunde von Humair und Guy Pederson am Bass für nisten Rolf Liebermann kennen, der da- GG werden sollte. Die reichen Industri- eine Tournee als Vorgruppe des blinden mals am Stück «les Echanges» arbeite- ellen Ambrosetti aus dem Tessin liessen Multiinstrumentalisten Rahsaan Roland te, das zu einem Prunkstück der EXPO, sich ihr Musikhobby viel Geld kosten. Kirk verpflichtet hatte. Kurz darauf war der Schweizerischen Nationalausstel- Der Vater trat die Firma später ab und GG als Begleiter des famosen Tenorsa- lung des Jahres 1964 in Lausanne, wer- ging ins Exil nach Florida, um in Ruhe xofonisten , der später den sollte. Von diesem Stück, das für sein Saxofonspiel zu pflegen. Der Sohn eine der Säulen seiner ersten Bigband über 150 Schreibmaschinen, Telefone wurde zu einem der besten europäi- werden sollte, echt gefordert. Bald be- etc. geschrieben wurde und das die schen Trompeter und Flügelhornspieler gann ebenfalls eine Kooperation mit Hochblüte der sich seit dem Zweiten in der Bebop- und Hardboptradition. Er der aus dem «Basler Daig» (reicher Weltkrieg und speziell seit den 50er- leistete sich als studierter Ökonom erst Geldadel) stammenden Cembalistin Jahren stetig weiter entwickelnden viel später den Luxus, die Firma zu ver- und Mäzenin Antoinette Vischer, die es Industrie und Wirtschaft repräsentiert, kaufen und noch Profi-Jazzmusiker zu sich zum Ziel gesetzt hatte, das Cem- gibt es eine recht seltene Single. Auf de- werden. Beide halfen GG anfangs der balo musikalisch zu entstauben. Zeit- ren Rückseite wird das gleiche Stück 70er-Jahre die erste Bigband zu grün- genössische Musik wurde zum Thema. von George Gruntz auf einem präpa- den. Frau Vischer vergab Kompositionsauf- rierten Klavier gespielt. Er wird hier her- träge an Leute wie John Cage, Hans vorragend von den beiden Schweizer GG wurde in den nächsten Jahren Werner Henze, Maurizio Kagel, Rolf Jazzschlagzeugern Pierre Favre und Da- von verschiedenen Crossoverprojekten Liebermann, György Ligeti sowie Earl niel Humair nicht nur begleitet, sondern und einigen Worldmusicschallplatten- Brown, aber auch an Jazzer wie Duke geradezu eskortiert und vorwärts ge- aufnahmen absorbiert und geprägt – Ellington, Carla Bley, Martial Solal, vie- trieben. Auch heute noch tönt diese klei- die beiden Begriffe gab es damals al- le andere und eben GG. Oft war GG ne Schallplatte hervorragend. Ich kann lerdings noch nicht. Zuerst war da aber in Frau Vischers berühmtem «Hasen- sie all jenen wärmstens empfehlen, die noch ein interessantes Projekt mit einer haus» des Stararchitekten Rolf Guttmann ihrer habhaft werden können. Bigband, das aus heutiger Sicht be- im Elsass und spielte viele Stücke für lächelt werden kann. Nicht wegen sei- zwei Cembali mit ihr ein. Sie gab ihm Die Welt ruft und George ner künstlerischen Ausrichtung, nein da auch ein Neupertcembalo zum Üben kommt und holt sie. war GG kompromisslos, aber wegen mit nach Hause. Mit solchen Übungen dem Hauptsponsor. «Internationales PS auf dem Cembalo liess GG die alte Im- Noch im gleichen Jahr wirkte er Jazz-Orchestra» hiess die Band. PS steht provisationskunst von Barockmusikern nach den Ruhrfestspielen auch bei der für Peter Stuyvesant und das war zu je-

AAA-Bulletin Ausgabe Frühling 2009 5 ner Zeit in Deutschland wohl die Ziga- gen sind. Im Theater waren sowohl die Gerne würde ich GG einmal fra- rettenmarke der Mittel- und Ober- Sicht aber mehr noch der Ton weiter gen, warum seine Fasnachtsaffinität schicht. GG war es wohl ziemlich egal, oben eher minderwertig. Der Opern- über das Trommeln und Pfeifen stattfin- wer der Sponsor war, Hauptsache er gucker gehörte mit steigendem Abstand det und nicht über die Guggenmusiken, konnte seine Musik konsequent und zum Geschehen fast zur Pflichtausrüs- welche doch eigentlich seinen Big- kompromisslos verwirklichen. Zur glei- tung und der Sound war immer stärker bands näher stehen würden, wie bösar- chen Zeit spielte er auch als mittlerwei- vom Echo belastet. Da halfen dicke Vor- tige Kulturbanausen, welche vom Jazz le geübter Cembalist unter Albert Kaiser hänge, Plüschsessel und Samtverklei- wenig bis keine Ahnung haben, leider in Basel mit dem «Collegium Musicum» dungen wenig bis gar nichts. Auch bei immer wieder behaupten. War es wohl Bachs «Brandenburgische Konzerte». Er voller Publikumsbesetzung tönte es auf gerade die Qualität definierende Inter- wurde vom Dirigenten im grossen Ca- den obersten Balkonen schlecht. Da ferenz zwischen musikalischer Perfekti- sinomusiksaal mit folgenden Worten sass ich nun als Elfjähriger im Sperrsitz on und melodisch-disharmonischer Ka- vorgestellt: «Er ist zwar eigentlich Jazz- der obersten Reihe mit Querstangen, kophonie, die seine sonst so toleranten musiker, aber die können inzwischen um mich zu halten und nicht runter zu und offenen Ohren überproportional auch richtig spielen!» Im Herbst dieses fliegen. Da musste man ja geradezu belasteten? Wie auch immer, GG Jahres ging GG auch erstmals mit den schwindelfrei sein. Dazumal war das machte mit seiner musikalischen Öff- «Ambrosetti All Stars» hinter den eiser- echt lustig für mich. Irgendwie kam ich nung in seiner Heimatstadt nur einen nen Vorhang ans Jazzfestival Prag. mir vor wie beim Fliegen. Auf der Büh- Zwischenhalt. Bald wurde nämlich sei- Aus geschäftlicher Sicht war das Fol- ne war eine grosse Zahl von Trommlern ne Lust auf die Musik anderer Kulturen gejahr ein entscheidendes. Er gründete und Tambouren unter der Leitung des geweckt. nämlich mit seinem Freund Gérard Lüll damaligen Basler Obertrommlers Alfred die Künstler- und Veranstaltungsagentur Sacher, der selbst Trommeln baute und 1974 leitete er in Zürich ein ähnli- «Euromusic», die zwar später etliche mit seinem Musikgeschäft zu einem ches Projekt, aber mit schottischen High- Veränderungen durchmachte und heute wichtigen Treffpunkt der Basler Rock- land-Bands. Vermutlich wollte er den «Euromusic Association» heisst, die und Jazzszene werden sollte. GG war Zürchern die auf höchstem Niveau ste- aber bis heute die grösste Jazzagentur mit seiner Jazzband präsent. Es «rues- hende Basler Trommelkunst nicht zu fest Europas werden sollte und seit 1972 ste», wie man in Basel das Trommeln unter die Nase reiben… und bis vor kurzem primär die «George nennt, ganz gewaltig in dem ehrbaren, Zwei Jahre zuvor spielte er in dem Gruntz Concert Jazz-Band» (GG-JB) ma- alten Gebäude. Über diesen drillhaf- Film «Noon in Tunisia» von Peter Lilien- nagen sollte. ten, perkussiven Klangteppich legte sich thal und dem deutschen Jazzpabst Joa- GG mit seinen Mitmusikern gewaltig chim Ernst Berendt mit einem Quartett ins Zeug und erzeugte eine einmalig arabischer Beduinen, die zu Beginn swingende Stimmung. Wer sich von schüchtern und zurückhaltend musizier- diesem Effekt berauschen lassen will, ten, aber von GG stimuliert zur Höchst- dem kann ich die LP «From Sticksland form aufliefen. Beim Besitzer des Labels with Love» wärmstens empfehlen. Hier MPS Georg Brunner-Schwer, der auch war der lokalpatriotische Touch von mit Oscar Peterson legendäre Aufnah- GG zum Mosaikstein in der Worldmu- men von hervorragender Qualität in sei- sic geworden. Seine Adhäsion zur Fas- nem Heimstudio machen sollte, traf hier nacht hat GG auch auf verschiedene der europäische Jazz auf die arabische weitere Arten zelebriert. So komponier- Musiktradition. Diese Einflüsse waren te er auch das «Nunnefyrzli», welches nicht neu im Jazz. Schon die Beboper, heute zum Standardprogramm einer allen voran Dizzy Gillespie, hatten ja in guten Fasnachtsclique in Basel gehört. den 40er-Jahren diese Einflüsse verar- beitet. Man höre sich nur das Stück MPS 21 22 188-1 «Night in Tunisia» an, ganz zu schwei- gen von der modalen Spielweise eines Von Basler Trommlern zu den John Coltrane, der zu Beginn der 60er- Beduinen Jahre durch diese Einflüsse seine Musik in neuer Pracht aufblühen liess. Meine erste Begegnung mit GG kam 1966 zustande, als ein mit unserer Seine Bigband wird zu seiner Familie befreundeter Fasnächtler mich ganz persönlichen Hand- in das alterwürdige Stadttheater Basel schrift. mitnahm. Das war von seinem Aufbau her noch ein klassisches Theater. Ein Seit 1972 formiert GG unter wech- nicht allzu grosser Zuschauerraum vor selnden Ensemblenamen Solisten-Big der Bühne war von verschiedenen rund- Bands. Nach seinem Prinzip der Syn- lichen Terrassenebenen umgeben. Die ergese, dem kreativen Mitvollzug im Aussicht wurde aber gegenteilig zu ei- From Sticksland with Love - drums and folklo- Orchesterverband, schrieb er jeweils Ti- nem Wohnblock bewertet, wo ja die re; SABA SB 15 133 ST (auch MP5 DRM tel und Arrangements, die in kurzer Zeit teuersten Wohnungen zu oberst gele- 641) Spitzenmusiker, welche nie zuvor mit-

AAA-Bulletin Ausgabe Frühling 2009 6 einander gespielt hatten, zu ausserordentlichen Leistungen an- genialen Schmelztiegel werfen zu können. Er hat damit zu regten. So stellte sich 1978 ein «heiter musizierendes En- einer Neuorientierung der Jazzentwicklung beigetragen. semble» vor, «das über mehr Register verfügt als die zu Denk- mälern erstarrten Big Bands des Swing und Neoswing», Warum denn in die Ferne schweifen? meinte Michael Naura. Bei GG hört man die Tradition, man weiss, wo er herkommt, aber man ahnt nie, wo er hingeht, Denn Gutes liess bald auch sehr nah realisieren. Ein weil die Spannbreite seiner Möglichkeiten unbegrenzt zu sein nächster, sehr persönlicher Kontakt des Autors zu GG ergab scheint. Je nach Musiker gelingt es ihm, die Stärken des je- sich am 2. Dezember 1971. Da wurde in Muttenz durch weiligen Individuums herauszuschälen und mit dem Support den Verein Ars Mittenza das neue Gemeinde-, Veranstal- des Kollektivs auf eine höhere Ebene zu transportieren. Das tungs- und Kulturzentrum Mittenza mit einem Konzert eröffnet. macht ihn wohl als Bandleader einmalig, aber nicht nur das. Einerseits durfte ich als Trompeter mit meinen Kollegen von ei- ner Schulband mit Jazzstandards wie dem «Basin Street In den 70er-Jahren war GG einerseits mit dem Aufbau sei- Blues» und «When the Saints go marching in…» als Vor- ner «George Gruntz- Concert Jazz-Band» (GG-CJB) be- gruppe des George Gruntz Trios auftreten. Für diesen Anlass schäftigt, er verfolgte aber in dieser Zeit verschiedene wei- wurde nicht irgend ein Plakat gedruckt, nein mein Zeich- tere Projekte wie: nungslehrer, welcher Plakatmaler der Basler Fasnachtsclique • Direktor der Berliner Jazztage «Rätz» und begeisterter Countrymusiker war, gab uns den • künstlerischer Leiter des Schauspielhauses Zürich Auftrag, ein persönliches Plakat zu malen. Diese Plakate wur- • erste Konzerte und Plattenprojekte mit «Piano Conclave» den an wichtigen Orten in Muttenz aufgehängt. Meines hing • neben Piano und Cembalo spielte er mehr und mehr auch an der Türe des neu zu eröffnenden Gemeindezentrums Mit- ein Fender Rhodes Elektropiano und auch verschiedene tenza und am Abend des Konzertes habe ich es auch wie- Synthesizer. der abgehängt und besitze so ein interessantes Zeitzeugnis. Dem Trio von GG mit Peter Giger am Schlagzeug und Isla Eckinger am Bass gelang es an diesem Abend gut, ihre Bot- schaft dem zahlreich erschienenen Publikum, welches sehr heterogen war und bei dem viele wohl mit den als modern empfundenen Jazzimprovisationen von GG und seinen Man- nen eher Mühe hatten, zu übermitteln. Eine Bigband hätte für die rund 500 Zuhörer und den grossen Saal wohl noch ein- drücklicher gewirkt, aber das Budget hatte das wohl nicht zu- gelassen und die eigene GG-CJB sollte er erst im darauf fol- genden Jahr gründen.

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GG ist eigentlich kein Freejazzer, obwohl er der moder- nen E-Musik bis zur Atonalität eine gewisse Berechtigung zu- ordnet, was wohl vor allem in seinen modernen Theaterpro- jekten und der Filmmusik liegt. Da hat er zum Beispiel die Filmmusik zum eindrücklichen Film von Bernard Wicki (1971) «Das falsche Gewicht» mit einem genial-grausamen Helmut Qualtinger als Hauptdarsteller geschaffen, oder auch 1973 zum Film «Steppenwolf», der auf Hermann Hesse Roman be- ruht, eine sehr interessante Filmmusik eingespielt. Das waren Projekte, die ihn weit über sein jazzmusikalisches Engage- ment forderten. Seine Basis war eine gut fundierte klassische Ausbildung mit grosszügiger Öffnung für Improvisation. Als swingender Jazzpianist mit grossen Erfahrungen aus dem Be- bop und Hardbop war er prädestiniert, die Entwicklungen im Jazz zu jener Zeit nicht nur mitzumachen, sondern mit seinem Hintergrund an europäischer Musik, amerikanischem Jazz Das Plakat, das Thomas König 1971 für ein Muttenzer Konzert von und vielfältigen Einflüssen aus der Weltmusik in einen kon- George Gruntz eigenhändig gefertigt hat.

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George Gruntz

Einmal Bigband immer (wieder) Bigband schen, international besetzten Big Band Formationen. Von Anfang an war diese Band ein reines Solistenorchester. Bis 1973 leitet GG zum ersten Mal die Berliner Jazztage, da heute traten weit über 100 internationale Jazzsolisten mit der war immerhin ein Miles Davies bereits zum fünfen Mal ver- GG-JCB auf, hier eine kleine Auswahl, die sich wie ein pflichtet, er spielte dann u.a. mit Dave Liebmann. Auch Du- Who’s Who des zeitgenössischen Jazz liest: ke Ellington gehörte mit seiner Bigband zu den grossen Stars. Trompete: , Benny Bailey, Marcus Bel- Nachdem er aber zuvor mit einer Kleinformation bereits ei- grave, Randy Brecker, Cecil Bridgewater, John Faddis, Earl ne sehr hektische Osteuropatournee absolviert hatte und sei- Gardner, Dusko Gojkovitch, Tom Harrell, Ryan Kisor, Mat- ne Musiker völlig übermüdet in Berlin eingetroffen waren, en- thieu Michel, Palle Mikklenborg, Enrico Rava, Claudio Ro- dete der Auftritt für die berühmteste Bigband fast in einem diti, Wallace Roney, Arturo Sandoval, Manfred Schoof, Alex- Desaster. Der Tenorsaxofonist Paul Gonsalvez schlief mitten ander Sipiagin, Lew Soloff, Marvin Stamm, Jack Walrath, im Konzert auf der Bühne ein. Viel schlimmer traf es den Duke Ken Wheeler selbst, der nach drei Stücken von einer Herzattacke nieder- Posaune: Ray Anderson, Erich Kleinschuster, Jimmy Knep- gestreckt mit dem Krankenwagen abtransportiert werden per, Julian Priester, Steve Turre, Jiggs Whigham, Bass-Posau- musste. Die 68er-Generation war gnadenlos mit den Altstars. ne: Peter Herbolzheimer, David Taylor Euphonium: Howard Sarah Vaughan, die im Ballkleid aufgetreten war, wurde mit Johnson «Hau doch ab mit deinem Nachthemd!» von der Bühne ge- Saxofon: Flavio Ambrosetti, Jerry Bergonzi, Tim Berne, schrieen. Der Festival Chef von Newport, George Wein, Seamus Blake, Eddie Daniels, Bill Evans, Joe Farrell, Dexter konnte als ausgezeichneter Mainstream-Pianist den Klavier- Gordon, Joe Henderson, Chris Hunter, Lee Konitz, Dave Lieb- stuhl des Duke übernehmen. Der Abend musste so glückli- man, Charlie Mariano, Bob Mintzer, Larry Schneider, Alan cherweise nicht abgebrochen werden. Demzufolge endete Skidmore, Sahib Shihab, Lew Tabackin, Mark Turner, Benny dieser legendäre Konzertabend relativ glimpflich. So etwas Wallace, , musste GG in den nächsten 23 Jahren in Berlin zum Glück Gitarre: John Scofield, Bandeon: Dino Saluzzi, Keybo- nicht mehr erleben. ards: Japer Van’t Hoff Bass: Jay Anderson

Die 1972 in der Schweiz gegründete «George Gruntz Die GG-CJB ist neben dem «Duke Ellington Orchestra» Concert Jazz-Band» ist eine der meist beachteten europäi- die am längsten funktionierende Jazz-Grossformation der Ge-

AAA-Bulletin Ausgabe Frühling 2009 8 schichte des Jazz. 2007 feierte sie ihr 35-jähriges Jubiläum, trumente. Nach der Hammondorgel waren es zuerst Elektro- als GG 75 Jahre alt wurde! pianos wie das Fender Rhodes und eines der Firma Wurlit- Im Unterschied zu konventionellen Big Bands spielen in zer, die sich etablieren konnten. Durch Herrn Moog gab es der GG-CJB ausschliesslich Jazz-Solisten und diese wieder- den ersten Synthesizer, der bald durch sehr leistungsfähige um nur Kompositionen von GG und ausgesuchte Themen von Elektronikkästen von Firmen wie ARP, YAMAHA, ROLAND Mitgliedern seiner Bands. Für jede Tournee stellt Gruntz eine etc. ergänzt wurde. GG liess sein Projekt mit sechs experi- handverlesene Truppe aus der Elite internationaler Bandlea- mentierfreudigen «Keyboardern», wie die Pianisten jetzt hies- der und Musiker des zeitgenössischen Jazz zusammen. Auf sen, in Wien starten. Es kamen: Gordon Beck (GB), Jasper sie konzentrieren sich Georges Ideen und Gedanken, wenn Van’t Hoff (NL), Fritz Pauer (A), Joachim Kühn (D). Dieses Ex- er seine Musik komponiert oder wenn er Themen seiner Mit- periment wurde zur Institution und sollte dann volle 10 Jahre glieder arrangiert. Das Repertoire der GG-CJB zeichnet sich weiterleben. Wer einmal ein Konzert der «Piano Conclave» also durch einen sehr speziellen, persönlichen Klangfarben- erleben durfte, darf sich glücklich schätzen. Für mich waren und Formenreichtum aus. Gruntz lässt sich manchmal auch das unvergessliche Konzerterlebnisse. Und es gibt sonst im- durch ausserhalb des Jazz liegende musikalische Quellen in- merhin einige Schallplatten aus dieser Hochzeit der eu- spirieren, von europäischer Klassik bis zur Volksmusik, und oft ropäischen Keyboarder unter der Leitung von GG. entwickelt er Brücken zur Musik aussereuropäischer Kulturen. Big Bands sind zur Zeit für die Entwicklung des Jazz von gros- ser Bedeutung, besonders in Europa. Die Auftritte der GG- CJB sind seit Jahrzehnten überdurchschnittlich beachtete Pu- blikums- und Medienereignisse.

Die Band unternimmt jedes Jahr ein bis drei Tourneen und bereiste im Laufe der Jahre die ganze Welt. So zum Beispiel China (zweimal, sie war die erste Jazz Big Band überhaupt im Reich der Mitte), Russland, Ägypten, die Türkei, den ganzen Fernen Osten, die USA, Kanada, Südamerika, und oft natürlich den ganzen europäischen Kontinent. Die Band gastierte an allen wichtigen Jazzfestivals wie Northsea, Mol- de, Pori, Montreux (1991 mit Miles Davis), Berlin, New- port/JVC New York (fünfmal), aber auch Vancouver und Montreal in Kanada. Aufnahmen auf 15 CD-Alben, die es leider nicht auf LPs gibt (ECM, HAT ART, ENJA, TCB und MOTOR/Polygram) nebst 20 Schallplattenproduktionen auf den Labels MPS, ECM und ENJA dokumentieren diese un- terschiedlichen Aktivitäten. Die GG-CJB gehört auch zu den meist gesendeten Jazzgruppen bei wichtigen TV-Konzert- und Tournee-Dokumentationen. Eindrücklich ist ebenfalls der neue Film von Werner Zeidler «George Gruntz – Pianist, Kompo- nist, Orchesterleiter», der GG als Persönlichkeit im Interview, Piano Conclave Palais Anthology MPS DC 22 786-3 bei Proben, Workshops und Konzerten zeigt. Sehr empfeh- lenswert! Zu den wichtigsten Tourneen, Konzerten und Akti- Leider geht es ohne LPs weiter. vitäten der Band zählen in den letzten Jahren bestimmt die 2003 drei total ausverkauften Konzertabende im legendären Ab den 80er-Jahren bereiste GG mit seiner GG-CJB, wie New Yorker Jazzclub BIRDLAND, 2004 die Europatournee oben aufgezeigt, die ganze Welt. Leider wurden ihre Pro- mit einer speziell arrangierten Version der Jazzoper «The Ma- duktionen ab jener Zeit je länger je mehr nur noch auf CD gic of a Flute» von GG sowie 2005/2006 die Aufnahmen herausgegeben. Zum epochalen Ereignis wird 1991 das der ausserordentlichen CD «Tiger By The Trail» in den CLIN- Jazzfestival in Montreux, als Quincy Jones die Arrangements TON-Studios in New York. Die gibt es leider bis jetzt eben- von Gil Evans mit Miles Davis neu aufführen liess. Dirigent, falls nicht auf LP. Leader und treibende Kraft bei diesem Jubiläumsprojekt war George Gruntz, dem es allen Unkenrufen zum Trotz gelingt, Eigentlich ist GG nie ein Big-Band-Freak gewesen, was den exzentrischen, mürrischen und gesundheitlich einmal für einen Pianisten nicht atypisch ist. Im Gegensatz zu Blä- mehr stark angeschlagenen Miles Davis aus seinen Reserven sern, denen das Kollektiv einfach mehr Spass macht. Aber zu locken. Zwar musste in einigen Passagen der junge Trom- warum nicht einmal mit einem Kollektiv von Pianisten zusam- peter Wallace Roney, der damals bereits als Nachfolger von menarbeiten? Dies war die Frage, die GG seit längerem be- Miles Davis gehandelt wird, in die Bresche springen. Die schäftigte. Trompetenfirma MARTIN, deren Spitzenmodell COMMITTEE seit den 40er-Jahren von Miles Davis geblasen wird, liess ih- Piano Conclave, oder wenn man vor lauter re Spitzentrompeten in blau und rot produzieren und ver- Tasten das Piano nicht mehr hört. wendete Wallace Roney zu dieser Zeit als Werbeträger. In lyrischen Passagen trug GG mit seiner Band Miles Davis Im Zuge der allgemeinen Elektrifizierung der populären wunderbar. Nochmals kann man hier den feinen, stark ge- Musik entstanden seit den 60er-Jahren viele neue Tastenins- dämpften Trompetenton von Miles wie in den 40er- bis 60er-

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Jahren in diesen zeitlosen Arrangements von Gil Evans geniessen. Der Cooljazz flüsterte und säuselte hier wie zu seinen besten Zeiten. In den trompetentech- nisch anspruchsvolleren Passagen und in den höheren Registern wurde Miles durch Wallace Roney gut ergänzt oder unterstützt. Er machte das sehr subtil. Ab Konserve hören das nur die auf Nuan- cen sensibilisierten Zuhörer, am Konzert geschah das sehr diskret. GG hatte die Band und auch Miles immer voll im Griff. Auch Miles Davis erklärte in Inter- views nach dem Konzert mit seiner ty- pisch brüchigen Stimme, dass ihm die- se Zusammenarbeit mit GG riesig Spass gemacht habe. Er wollte diese Stücke von Gil Evans eigentlich nicht mehr aufführen, aber es habe sich ge- lohnt. GG hat der Jazzwelt mit diesem Engagement einmal mehr gezeigt, wo- zu er mit seinen Mannen aus der GG- CJB fähig ist. Hier, in dem er Fremdma- terial authentisch aufführte, zollte er ei- nerseits Gil Evans Respekt, zeigte aber auch gleichzeitig auf, dass das Klang- bild einer Big Band nur zum Teil aus den Arrangements resultiert. Es sind eben doch am Schluss die kommunika- tiven Anteile des gemeinsamen Musi- zierens im Team und der entscheidende Einfluss des Leiters oder Dirigenten in punkto Tempo und differenzierter Laut- stärke, Klanggestaltung und Intonation, die aus Noten Musik macht. Ein, wenn nicht d e r Meister des modernen Jazz in diesen Bereichen ist und bleibt George Gruntz. Hoffen wir, dass uns GG noch lange mit seiner Musik Freu- de machen kann. Auf seiner Home- page sind die Projekte für 2009 wie ei- ne Tournee im Herbst durch Deutsch- land, Russland und Polen aufgelistet!

Weiterführende Möglichkeiten, noch mehr über George Gruntz zu erfah- ren

George Gruntz: Als weisser Neger geboren – Ein Leben für den Jazz, ISBN 3-9522460-1-8 Im April 2002 zum 70. Geburtstag von GG erschienenes Buch von George Gruntz über sich selbst mit kompletter Diskografie und herrlichen Anekdoten – Sehr empfehlenswert! www.georgegruntz.com Auf seiner eigenen Homepage findet man viel Wissenswertes und Interes- santes über ihn und seine Concert Jazz Band.

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