FEUER AUS

DEN KESSELN Ein Theaterabend zur Revolution 1918 nach Ernst Toller von Michael Uhl

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Mit: Simon Ahlborn, Philipp Buder, Sven Heiß, Ben Knop, Julius Ohlemann, Jördis Wölk

Konzept & Regie Michael Uhl Bühne und Kostüme Thomas Rump Bühnenmusik Kriton Klingler Dramaturgie Lea Redlich Regieassistenz Tomke Mindner Soufflage Petra Hillers Inspizienz Björn de Groot

Inhalt

Was bisher geschah

Deutsche Revolution S.3 Geschichte Wilhelmshavens S.5

Rolle der Kaiserlichen Marine

Der Tirpitz-Plan. Wegmarken der Flottenrüstung S.6 Gefecht auf der Doggerbank S.10 Skagerrakschlacht S.12 Die Flotte schäft im Hafen ein. Matrosenalltag S.14

1917/18

Max Reichpietsch und Albin Köbis S.18 Die Meuterei. Kurzer Überblick S.19 Novemberrevolution. Eine Chronologie S.23

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Deutsche Revolution 1848/1849

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - das sind die Parolen der Französischen Revolution, die der Deutschen Revolution im Jahre 1848 voraus gingen. In ganz Europa wurde nach Liberalismus gestrebt. Unter dem Synonym "Märzrevolution" wurde im Deutschen Bund politische Freiheit, Gleichberechtigung und die Vereinigung Deutschlands angestrebt. Der Aufstand erzwang die Durchführung von Wahlen, eine neue Nationalversammlung sowie die Aufhebung von Pressezensur und Bauernfreiheit. Dennoch scheiterte die Revolution.

Die Ursachen: Wirtschaftskrise und veralte politische Verhältnisse Die Ursachen der Deutschen Revolution waren sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Eine schwere Missernte im Jahr 1846 sorgte für Hungersnöte und Hungerrevolten. Massenarmut regierte. Die Kaufkraft sank. Niedergang der Textilindustrie und eine Krise im Handwerk waren die Folgen. Auch der durch die Industrialisierung entstandene Arbeiterklasse ging es schlecht: Sie lebte unter dem Existenzminimum in Elendsvierteln und war dauerhaft von Arbeitslosigkeit bedroht. Vereinzelte Versuche des Aufstandes gab es bereits vor der Deutschen Revolution 1848/1849. In der Politik herrschte zwischen 1815 und 1848 die Restaurationspolitik. Nach dem Sieg über Napoleon wurden die politischen Verhältnisse von vor 1789 wiederhergestellt: Vorherrschaft des Adels und rückgängig gemachte bürgerliche Rechte, wie das zuvor eingeführte bürgerliche Gesetzbuch "Code civil". Besonderer Verfechter der Restaurationspolitik war Staatskanzler Klemens Wenzel Fürst von Metternich. Die Pressefreiheit war verstärkt eingegrenzt worden, Burschenschaften verboten. Erste Auflehnungen gegen diese Politik im Jahr 1830 scheiterten, aber das metternichsche System erlitt Risse.

Beginn und Scheitern: Ablauf der Revolution Die Deutsche Revolution umfasst zahlreiche Ereignisse und verlief dezentral. Sie lässt sich in drei Phasen aufspalten: Scheinerfolge, Ringen um rechtliche Sicherung und Scheitern. Der Funke der Revolution sprang von der Februarrevolution aus Frankreich herüber. Nach der dortigen Absetzung des Königs Louis Philippe wurde in Frankreich die zweite Republik ausgerufen. 3

Nach diesem Vorbild revolutionierten zahlreiche Länder in Europa, darunter Baden, Preußen, Sachsen und Bayern. Während in manchen Ländern die Obrigkeit schnell Versprechen gab und somit der Aufstand weitestgehend friedlich verlief (Hannover und Württemberg) wurde in anderen Ländern an zwei Fronten gekämpft: auf der Straße und in den Parlamenten. In Baden wurden die weitestgehenden Veränderungen verlangt. Hier wurde am 27. Februar 1848 in Mannheim eine Volksversammlung zusammengerufen. Die badischen Revolutionäre, allen voran Friedrich Hecker und Gustav Struve, forderten die Abschaffung der adligen Privilegien und Volkssouveränität. Am 12. April 1848 riefen Hecker und Struve in Konstanz die Republik aus und wollten nach Karlsruhe marschieren. Das Militär schlug diesen Aufstand allerdings nieder. Blutig ging es auch in Berlin zu: König Friedrich Wilhelm IV machte zunächst Zugeständnisse. Am 18. März schoss die Armee bei der Verlesung dessen auf die Bevölkerung, Straßenkämpfe mit zahlreichen Toten folgten. Der König gab nach. Am 29. März wurde hier ein "Märzministerium", nach Vorbild der Ministerien in den anderen Ländern, eingesetzt. Die Deutsche Revolution sorgte für einen Schulterschluss zwischen Liberalen und Demokraten. Neben den "Märzministerien" wurde mit der Frankfurter Nationalversammlung die Errichtung eines nationalen Vorparlaments erreicht. Im April 1848 hatte der König von Preußen, Friedrich Wilhelm IV Neuwahlen versprochen, die am 1. Mai stattfanden. Ab 18. Mai tagte das Vorparlament unter der Führung von Heinrich von Gagern und entwarf in hitzigen Debatten eine Verfassung. Doch kurz darauf spalteten sich Liberale und Demokraten in ihren Zielen: konstitutionelle Monarchie auf der linken Seite, Republik bei den Demokraten. Im Sommer 1848 kam die Revolution dann ins Stocken. In Preußen und Österreich übernahmen die Gegenrevolutionäre wieder die Führung. Die Fürsten erlangten wieder mehr Einfluss, dagegen schwand der Einfluss der Nationalversammlung. Mit der Ablehnung der Kaiserkrone und der formulierten Reichsverfassung zu einem kleindeutschen Nationalstaat mit konstitutioneller Monarchie durch Friedrich Wilhelm IV, war die Deutsche Revolution gescheitert. Das Ende wird der Niederschlagung des Stuttgarter Parlamentes im Juni 1849 sowie der Einnahme der Festung Rastatt im Juli 1849 zugeschrieben.

Die Folgen der Deutschen Revolution Auch wenn der Aufstand scheiterte, war er Ausgangspunkt zahlreicher Entwicklungen. Die Ursprünge der Parteienvielfalt, der Arbeiterbewegung und der Emanzipation liegen in der Revolution. Am 3. September 1848 wurde die "Allgemeine deutsche Arbeitsverbrüderung" gegründet - Vorreiter der Gewerkschaften. Am 12. Mai 1849 wurde die erste "Frauenzeitung" von Louise Otto-Peters gegründet. Die aufgehobene Pressezensur machte eine blühende Presselandschaft möglich. Sowohl auf der linken Seite (Karl Marx mit der "Neuen Rheinischen Zeitung") als auf der rechten Seite ("Neue Preußische Zeitung"). Politisch kam es erneut zu einer Restauration, jedoch nicht mehr so verschärft, wie vor der Revolution. Der Gedanke eines einheitlichen Deutschlandes blieb bestehen und setzte sich später durch die Einheitskriege durch. http://www.geschichte-lexikon.de/deutsche-revolution-1848.php

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Kurze Geschichte Wilhelmshavens 1853-1955

Am 20. Juli 1853 erwarb Preußen durch den ‚Jade-Vertrag‘ vom Großherzogtum Oldenburg ein ca. 310 Hektar großes Gebiet am Jadebusen, um dort für seine Marine einen Hafen an der Nordsee zu bauen. Die geografische Lage ist sehr günstig, es gibt einen freien Zugang zur Nordsee, aber auch Schutz vor Stürmen und Eis im Winter. Gotthilf Heinrich Ludwig Hagen übernahm die Planung des Hafens und noch heute erkennt man seine Pläne im Grundriss des Stadtkerns. In den Anfangsjahren stehen die militärische Nutzbarkeit und die Funktionalität des Hafens im Vordergrund. Neben den Kasernen und Arbeiterwohnungen gibt es zunächst nur die Büros der Hafenbaukommission sowie ein Hotel, Post, Apotheke und ein Kaufhaus, alles in unmittelbarer Nähe des Hafens. Bei der Erweiterung des Stadtgebietes orientieren sich die Planer an dem geradlinig verlaufenden Straßennetz rund um die Werft. Erst anlässlich des Besuchs von König Wilhelm I. von Preußen am 17. Juni 1869 zur Grundsteinlegung der Elisabethkirche (heutige Christus- und Garnisonkirche) wurde der Hafen inklusive der anschließenden Siedlung eingeweiht und auf den Namen "" getauft. Nach der Gründung des Deutschen Reiches wurde der Hafen 1871 zum Reichskriegshafen. Die Stadt wächst immer weiter, genauso wie der Hafen. Es wurden 1907 weitere Schleusen gebaut, so dass der Hafen niemals ganz leer laufen kann. In diesem Bauabschnitt wurde auch die auch die "Kaiser-Wilhelm-Brücke" gebaut, sie war die größte Drehbrücke Europas und führte in 9m Höhe über den Verbindungshafen.

Während des 1. Weltkriegs war die Doppelstadt Wilhelmshaven-Rüstringen die größte deutsche Garnisonsstadt. Da der Seekrieg zum größten Teil in der Nordsee ausgefochten wurde, lag ein Großteil der gesamten deutschen Flotte in Wilhelmshaven oder war auf Schillig-Reede vor Wilhelmshaven stationiert. 1916 erreichte Wilhelmshaven mit einer Einwohnerzahl von ca. 81.900 Menschen einen vorläufigen Höhepunkt. Die kaiserliche Werft beschäftigte zu dieser Zeit ca. 15.000 Menschen. Nach dem verlorenen Ersten

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Weltkrieg musste die deutsche Flotte an die Allierten übergeben werden, dadurch war Wilhelmshaven seiner Existenzgrundlage beraubt.

In den 20er Jahren wurde mit dem Fremdenverkehr und dem Luftverkehr eine neue wirtschaftliche Grundlage geschaffen. 1928 wurden die Strandanlagen am Südstrand ausgebaut. Die Wiedererlangung der Wehrhoheit 1935 brachte einen neuen Aufschwung für die Jadestädte. Das im gleichen Jahr unterzeichnete deutsch-britische Flottenabkommen machte es möglich, das die Marinewerft in Wilhelmshaven in verstärktem Maße Neubauaufträge erhielt.

Hitler wollte Wilhelmshaven ausbauen und zusammen mit den umliegenden Gemeinden eine halbe Million Menschen an den noch einmal erheblich ausgeweiteten Kriegshafen binden. Um bei Bombenangriffen möglichst diffuse Ziele zu bieten, werden neue Wohnsiedlungen in die Fläche verteilt. Ein städtisches Zentrum für Einkauf und Handel ist nicht vorgesehen. Läden siedeln sich in Wohnstraßen an. Kurz nach Beginn des 2. Weltkrieges beginnt der Luftkrieg über Wilhelmshaven, der die Stadt in den folgenden Jahren fast völlig zerstört. 102 Luftangriffe werden gezählt. Ganze Stadtviertel werden ausradiert. Jedoch werden nur 510 Personen getötet. Dies ist auf die hohe Zahl der Luftschutzeinrichtungen wie Bunker und Luftschutzkeller zurück zu führen. Noch heute bestimmen einige Bunkerruinen das Stadtbild. Bei der Kapitulation der Stadt am 6. Mai 1945 bewohnen noch 54.700 Einwohner die zerstörte Stadt.

Die britische Regierung wollte 1946 die gesamten Hafenanlage einschließlich der Schleusen und der Marinewerft zerstören. Der zunächst einfache Plan der Briten sah vor, die Schleusen zu zerstören und ganz Wilhelmshaven zu fluten. Erst nach zähen Verhandlungen ließen sich die Briten umstimmen. Während die Hafenanlagen demontiert und gesprengt wurden, beseitigte man in der Stadt die Trümmer und leitet so den Wiederaufbau ein. Einige Betriebe aus ehemaligen ost- und mitteldeutschen Gebieten zieht es nach Wilhelmshaven zum Beispiel die Olympia-Schreibmaschinenwerke aus Erfurt. Auch der Fremdenverkehr läuft mit der Wiedereröffnung des Südstrandes am 16. Juni 1946 wieder an. Ab 1955 nimmt auch die Marine die Arbeit in Wilhelmshaven wieder auf.

Dr. Stephan Huck Die Wegmarken der Flottenrüstung

1888 besteigt Wilhelm II. (1859-1941) den Thron des Deutschen Reiches. Anders als seine Vorgänger strebt er das persönliche Regiment an. In der Flotte besitzt er hierzu ein ideales Instrument, denn gemäß der Verfassung des Reiches untersteht sie ihm unmittelbar. 1897 ernennt er Alfred Tirpitz zum Staatssekretär im Reichsmarineamt, der sich vehement für einen systematischen Ausbau der Schlachtflotte der Marine ausspricht und vor allem den Bau sogenannter von Tirpitz6

Linienschiffe vorsieht, die sich durch schwere Artillerie und starke Panzerung auszeichnen. Ihren Namen haben sie von der Schlachtlinie, in der mehrere Schiffe gleicher Leistung eingesetzt werden sollen. So sollen die Schwächen der damals noch kaum entwickelten Feuerleittechnik ausgeglichen und die Wirkung der Artillerie erhöht werden. 1898 nimmt der Reichstag das Erste Flottengesetz an, mit dem die Gelder für zwei Linienschiffsgeschwader nebst Flottenflaggschiff, Reserveeinheiten, acht Küstenpanzerschiffen, zwölf Großen und 30 Kleinen Kreuzern bewilligt werden. Sie sollen in einem Zeitraum von sechs Jahren fertiggestellt werden. Jedes Schiff soll automatisch nach einer Dienstzeit von 25 Jahren ersetzt werden, ohne dass der Reichstag hierüber noch einmal zu entscheiden hätte. Damit hat er sein wichtigstes Recht, das Budgetbewilligungsrecht aus der Hand gegeben. Und Alfred Tirpitz hat sein wichtigstes Ziel erreicht, die Ewigkeitsgarantie, das so genannte Aeternat, über welches das Heer bereits seit langem in Preußen verfügt. Mit dem Ersten Flottengesetz richtet sich das Denken der Kaiserlichen Marineführung auch auf einen neuen Hauptgegner aus: nicht mehr die Staaten des Zweibundes Frankreich und Russland stehen primär im Fokus, sondern die damals führende Seemacht, Großbritannien. Denn, so argumentiert Tirpitz’, wenn man den stärksten Gegner annähme, habe man auch die Gefahren eines Krieges mit dem Zweibund in Rechnung gestellt. Freilich erfolgt diese Wende im Denken der Marineführung weitgehend im Verborgenen, und die Forderung von zwei Linienschiffgeschwadern im Rahmen des Ersten Flottengesetztes gibt sich im Bewusstsein, dass mehr in erster Phase ohnedies nicht leistbar wäre, bewusst bescheiden, um die durch frühere ausufernde Marinepläne des Kaisers verunsicherten Parlamentarier für den Plan einzunehmen. Tatsächlich aber sieht Tirpitz’ das Erste Flottengesetz von Anfang an nur als ersten Schritt auf dem Weg zur Schaffung einer gegen Großbritannien gerichteten Schlachtflotte an. Möglichst unbemerkt von der damals weltstärksten Seemacht, Großbritannien, soll die deutsche Flotte nach Tirpitz’ Plan so lange aufgerüstet werden, bis sie zweidrittel der britischen Schlachtschiffstärke erreicht hat. Ohne den künftigen Gegner beim Namen zu nennen, geht aus der Begründung zum Zweiten Flottengesetz dessen antibritische Konzeption hervor: „Um unter den bestehenden Verhältnissen Deutschlands Seehandel und Kolonien zu schützen, gibt es nur ein Mittel: Deutschland muß eine so starke Schlachtflotte besitzen, daß ein Krieg auch für den seemächtigsten Gegner mit derartigen Gefahren verbunden ist, daß seine eigene Machtstellung in Frage gestellt wird. Zu diesem Zwecke ist es nicht unbedingt erforderlich, daß die deutsche Schlachtflotte ebenso stark ist, wie die der größten Seemacht, denn eine große Seemacht wird im allgemeinen nicht in der Lage sein, ihre sämtlichen Streitkräfte gegen uns zu konzentrieren. Selbst wenn es ihr aber auch gelingt, uns mit größerer Übermacht entgegenzutreten, würde die Niederkämpfung einer starken deutschen Flotte den Gegner doch so erheblich schwächen, daß dann trotz

7 des etwa errungenen Sieges die eigene Machtstellung zunächst nicht mehr durch eine ausreichende Flotte gesichert wäre.“ Da nach diesen Ausführungen von Tirpitz ein Kampf der britischen Schlachtflotte selbst bei einem Sieg über die deutsche Schlachtflotte das Risiko in sich getragen hätte, so schwere Verluste hinnehmen zu müssen, dass sie für weitere Kampfhandlungen nicht mehr befähigt sei, wird diese Schlachtflotte in der Literatur auch als Risikoflotte bezeichnet. Tirpitz’ Streben, die aus dieser Begründung des Zweiten Flottengesetzes hervorgehende Wendung gegen Großbritannien nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen, gelingt nur bedingt. Zum einen widerspricht es dem polternden Naturell des Kaisers, mit diesem für ihn zentralen Thema hinter dem Berg zu halten. Zweitens kann die Flottenrüstung nur mit einer groß angelegten gesellschaftlichen Mobilisierung gelingen, die sich unter anderem in der Gründung des Flottenvereins niederschlägt. Er zählt zu den Mitgliederstärksten Vereinen des Kaiserreichs und bedient sich modernster Methoden zur Bewerbung seines Ziels. Nicht selten schießt der Flottenverein in Tirpitz’ Augen mit seinen Forderungen über das Ziel hinaus. Das zweite Flottengesetz sieht eine Verdoppelung der Linienschiffsgeschwader von zwei auf vier vor und wird am 12. Juni 1900 mit großer Mehrheit vom Reichstag angenommen. Auch die Vermehrung der Kleinen Kreuzer um die geforderten 38 wird angenommen, lediglich bei den Großen Kreuzern werden nur 14 und somit sechs weniger als gefordert bewilligt. Tirpitz ist seinem Ziel der Risikoflotte mit ewigem Bestand ein gutes Stück näher gekommen.

Freilich barg diese Flottenpolitik nicht nur Risiken für Großbritannien. Auch das Deutsche Reich ging mit der Hinwendung zu Großbritannien als antizipiertem Hauptgegner in einem kommenden Krieg das Risiko ein, dessen Rivalität heraufzubeschwören. Spätestens seit

8 der Jahrhundertwende wendet sich das Inselreich Frankreich und Russland als Bündnispartnern zu, zunehmend steht das Deutsche Reich außenpolitisch isoliert da. Offenkundig wird der Gegensatz spätestens 1906, als Großbritannien mit der „HMS “ einen neuen Schiffstyp, das Großkampfschiff vorstellt. Mit deren Einführung geht die den Flottengesetzen zu Grund liegende Logik aufgrund der enormen technischen Überlegenheit des Großkampfschiffes gegenüber den deutschen Linienschiffen nicht mehr auf. Denn während die 1906 in Deutschland gebauten Linienschiffe der „Deutschland-Klasse“ bei einer Länge von knapp 130 Metern maximal 18,5 Knoten laufen und über eine schwere Artillerie von vier Schnellfeuerkanonen des Kalibers 28 cm verfügen, bringt es die britische „HMS Dreadnought“ dank ihres innovativen Turbinenantriebs bei 160 Metern Länge auf 22 Knoten und verfügt über zehn Rohre des Kalibers 30,5 cm. Will das Deutsche Reich mit dieser Entwicklung Schritt halten, werden die einzelnen bereits bewilligten Schiffe teurer werden. Im Gegensatz zu den Ersatzbauten hat aber über Überschreitungen der in den Flottengesetzen bewilligten Baukosten der Reichstag zu entscheiden. Gravierend wirkt sich zudem aus, dass der Übergang zu den Großkampfschiffe einen Ausbau des 1895 eingeweihten Kaiser-Wilhelm-Kanals, des heutigen Nord-Ostsee-Kanals erfordert, damit die Flotte sowohl in der Nord- wie in der Ostsee eingesetzt werden kann. Insgesamt redet man von zusätzlichen Kosten in Höhe knapp einer Milliarde Mark für die Marine, die nur durch zusätzliche Steuern finanziert werden können. Eine damals wie heute unpopuläre Maßnahme. Befördert durch die erste Marokko-Krise 1905/06 und unter Anwendung einer geschickten Verschleierung der tatsächlich entstehenden Kosten gelingt es jedoch 1906 die gewünschten Mehrkosten durchzudrücken, auch weil sich der Reichstag bereits bei der Verabschiedung des Zweiten Flottengesetzes moralisch verpflichtet hat, „Schiffe zu bauen, die den internationalen Ansprüchen genügten“. Er bewilligt nicht nur die Mehrkosten für die Umstellung auf Großkampfschiffe, sondern auch den Bau der 1900 gestrichenen sechs Großen Kreuzer. 1908 wird in einer neuerlichen Flottennovelle das Rüstungstempo für die kommenden vier Jahre von drei auf vier Schiffe pro Jahr erhöht, zugleich wird die Dienstzeit der Schiffe von ursprünglich 25 Jahren je Schiff auf 20 herabgesetzt. Großbritannien reagiert im selben Jahr mit dem Baubeginn von acht Schiffen gleichzeitig. Der als Haldane-Mission bekannt gewordenen Versuch, sich im Jahr 1912 auf gemeinsame Rüstungsgrenzen zu verständigen, scheitert an den unvereinbaren Vorstellungen Tirpitz’ und Großbritanniens. Erster hält an seiner Forderung eines deutschen Schiffsbestands von 2/3 der britischen Flotte fest, letztere will wenigstens einfache Überlegenheit gegenüber Deutschland. Über die Folgen dieser Flottenrüstungspolitik ist sich die Forschung weitgehend einig. Das von Wilhelm II. intendierte und von Tirpitz gemanagte Flottenrüsten zählt mit den Worten von Wilhelms Biographen John Röhl wegen der durch sie beförderten Auskreisung des

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Deutschen Reiches unzweifelhaft zu den „am schwersten wiegenden und katastrophalsten Entscheidungen seiner (d.i. Wilhelm II., S.H.) langen Regierungszeit“.

Seegefecht vor der Doggerbank

Panzerkreuzer "Blücher" während des Seegefechts auf der Doggerbank am 24. Januar 1915 kurz vor seinem Untergang

Während der Nacht auf den 23.1.1915 verließ die deutsche 1. Aufklärungsflotte unter dem Befehl von Konteradmiral Hipper Wilhelmshaven mit Kurs auf die Doggerbank, eine Untiefe in der Nordsee, rund 100 km östlich der Küste von Northumberland. Hippers Flotte aus vier Schlachtkreuzern - der Seydlitz als Flaggschiff, der Moltke, Derfflinger und Blücher - und begleitenden Leichten Kreuzern und Torpedobooten sollte am folgenden Tag in der Nähe der Doggerbank britische Patrouillen- und Fischerboote angreifen.

Der Überraschungseffekt war jedoch zunichte gemacht worden, da die britische Flottenaufklärung Kenntnis über die deutschen Pläne erlangt und die Schlachtkreuzerflotte (Admiral Beatty) den Stützpunkt in Rosyth bereits verlassen hatte, um den Feind abzufangen. Beattys Geschwader, das aus der Lion als Flaggschiff, der Tiger, Princess Royal, New Zealand und Indomitable bestand, sollte sich mit der Harwich- Flotte (Admiral Tyrwhitt) bei Tagesbeginn des 24.1. nordöstlich der Doggerbank treffen.

Wenig später wurden die westwärts fahrenden Deutschen gesichtet; sobald Hipper die zahlenmäßig überlegene britische Flotte sichtete, ließ er wenden und nahm Kurs auf den Heimathafen. Die schnelleren britischen Schiffe konnten die Distanz zum Feind rasch verringern. Die H.M.S. Lion eröffnete aus einer außergewöhnlichen Entfernung (über 18 km) das Feuer.

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Kreuzer "Blücher" bei seinem Untergang während des Seegefechts auf der Doggerbank.

Während einer Verfolgungsjagd gelang der Lion auf der langsameren Blücher aus einem Abstand von über 15 km ein Treffer; die Tiger griff die Seydlitz an und die Princess Royal konnte einen Treffer auf der Derfflinger landen. Die Seydlitz und die Derfflinger wurden schwer beschädigt, während die Blücher stillgelegt wurde. Die Tiger wurde dann jedoch durch eine Granate getroffen und Beattys Flaggschiff musste aus der Schlacht ausscheiden. Admiral Moore auf der New Zealand übernahm für kurze Zeit den Befehl, missinterpretierte jedoch Beattys Anweisungen: Statt die feindliche Flotte zu jagen, gab er die Verfolgung auf und konzentrierte sich auf die sinkende Blücher, die als Ziel bereits der Indomitable zugewiesen worden war.

Als der aufgebrachte Admiral Beatty die Jagd endlich wieder aufnehmen konnte, war es zu spät; alle überlebenden deutschen Schiffe waren bereits entkommen. Die Versenkung der Blücher verursachte den Tod der meisten der 954 in der Schlacht gefallenen Deutschen; von den britischen Marinesoldaten waren lediglich 15 getötet und 80 verwundet worden. Obwohl die Schlacht theoretisch als britischer Sieg zählte, hatte man die Gelegenheit zur Zerstörung von drei deutschen Kriegsschiffen verpasst. Der unglückselige Admiral Moore wurde wenig später abgesetzt.

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Schlacht vor der Admiral Beatty Doggerbank war die deutsche Entdeckung, wie verletzlich die britischen Schiffe im Bereich des Munitionsdepots gegenüber dem Explosionsfeuer von Granaten waren. Zwar verloren die Briten keine Zeit, entsprechende Schutzvorrichtungen nachträglich anzubringen; dennoch büßten sie in der Schlacht am Skagerrak fünf Schiffe wegen ungeschützter Magazine ein.

Quelle: http://www.lexikon-erster-weltkrieg.de/Seegefecht_vor_der_Doggerbank

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Seeschlacht am Skagerrak

Seit Anfang 1916 plante die deutsche Flottenführung eine aktivere Kriegsführung in der Nordsee mit dem Ziel, Teile der zur Schlacht herauszulocken und zu vernichten. Der deutsche Flottenvorstoß gegen die englische Ostküste Ende April und das Drängen der russischen Regierung, die deutsche Ostseeblockade zu brechen, veranlassten die britische Admiralität, ihrerseits die bisherige Defensive aufzugeben. Aus dem offensiveren Handeln beider Seiten heraus kam es zur Seeschlacht am Skagerrak.

Ein älteres Linienschiff (Pommern), das bei der Seeschlacht am Skagerrak zerstört wurde

Am 31.5. stieß die Hochseeflotte unter Vizeadmiral (1863-1928) zur norwegischen Küste vor. Ihr lief, durch Funkaufklärung am 30.5. vom In-See-Gehen stärkerer deutscher Seestreitkräfte unterrichtet, die Grand Fleet unter Admiral John Jellicoe (1859-1935) entgegen. Die deutsche Hochseeflotte war zahlenmäßig erheblich schwächer. Ihre Schiffe zeichneten sich aber gegenüber vergleichbaren britischen Typen durch größere Standhaftigkeit, höhere Treffsicherheit der schweren Artillerie bei Salvenfeuer und bessere Manövrierfähigkeit im Verband aus. Dagegen entwickelten die Schiffe der Grand Fleet zumeist eine höhere Geschwindigkeit; ihre schwere Artillerie hatte eine größere Reichweite und größere Kaliber.

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Schlachtkreuzer "Derfflinger" nach der Skagerrakschlacht. Schaden an Deck. Am Nachmittag des 31.5. trafen die Aufklärungskräfte beider Flotten, deren Kern Schlachtkreuzer bildeten, vor dem Skagerrak 65 sm westlich von Lodbjerg an der Nordwestküste von Jütland aufeinander. Auf britischer Seite kamen während des Kampfs noch vier den Schlachtkreuzern beigegebene moderne Großkampfschiffe zum Einsatz. Auf 15-16 km Entfernung begann ein etwa zweistündiges laufendes Gefecht auf südöstlichem, dem deutschen Gros entgegenführendem Parallelkurs, in dem zwei britische Schlachtkreuzer sanken. Als die deutschen Linienschiffsgeschwader in Sicht kamen, drehte der Gegner auf nordwestlichen Kurs und zog damit die ihn verfolgende Hochseeflotte auf die Grand Fleet.

Panzerkreuzer "Derfflinger" während der Schlacht am Skagerrak, Breitseite feuernd.

Gegen Abend entbrannte die Schlacht der Hauptkräfte. Jellicoe gelang es, die Grand Fleet in weitem Bogen vor die in Kiellinie herankommende Hochseeflotte zu legen, ein im Englischen als "Crossing the T" ("den Strich über das T ziehen") bezeichnetes Manöver. Aus dieser taktisch günstigen Position konzentrierten die britischen Geschwader ein wirkungsvolles Breitseitenfeuer auf die Spitzenschiffe der deutschen Linie, die nur ihre vorderen Geschütztürme zum Tragen bringen konnten. Durch eine

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Gefechtskehrtwendung (19:35 Uhr) führte Scheer die Flotte aus dieser unhaltbaren Position heraus. Er stieß jedoch wenig später (20 Uhr, zweite Gefechtskehrtwendung) in Verkennung der taktischen Lage erneut in das Zentrum des Gegners hinein und brachte damit die Flotte in eine noch gefährlichere Situation. Nur mit Mühe, unterstützt vom rücksichtslosen Einsatz der bereits schwer getroffenen Schlachtkreuzer und von einem massierten Angriff der Torpedoboote, konnte Scheer mit einer dritten Gefechtskehrtwendung (20:20 Uhr) die Linienschiffsgeschwader dem vernichtenden britischen Feuer nochmals entziehen. Dem deutschen Torpedoangriff wich der Gegner aus.

In dieser für die deutsche Flotte aussichtslosen Lage brach Scheer die Schlacht ab und befahl den Rückmarsch auf Horns Riff (westlich der dänischen Küste). Auch Jellicoe wollte einen Kampf bei Nacht vermeiden und beabsichtigte, ihn am nächsten Morgen vor der Deutschen Bucht zu erneuern. In der Nacht kreuzte die deutsche Hochseeflotte den Kurs der vorwiegend aus Zerstörern bestehenden britischen Nachhut. Dabei entwickelten sich beiderseitig verlustreiche Gefechte. Am Morgen des 1.6. beschloss auch Jellicoe den Rückmarsch.

Beide Seiten verbuchten die unentschiedene Schlacht als Sieg für sich. Die deutsche Führung begründete ihn vor allem mit den höheren britischen Verlusten. Für sie war jedoch das Kräfteverhältnis nach der Schlacht ungünstiger als zuvor, da sieben ihrer Linienschiffe und Schlachtkreuzer schwer beschädigt waren und die Grand Fleet in der Folgezeit in weit stärkerem Maße durch Neubauten vergrößert wurde als die Hochseeflotte. Die Seeschlacht am Skagerrak war die bis dahin größte Seeschlacht in der Geschichte und blieb die einzige zwischen ganzen Flotten von Großkampfschiffen. Sie konnte die strategische Lage zur See nicht verändern. Die deutsche Hochseeflotte war außerstande, die britische weite Blockade zu durchbrechen oder Großbritannien durch eine Seeschlacht zum Frieden zu zwingen.

Quelle: http://www.lexikon-erster-weltkrieg.de/Seeschlacht am Skagerrak

Dr. Stephan Huck „Die Flotte schläft im Hafen ein.“

„Die Flotte schläft im Hafen ein“ verweist bereits darauf, dass die Flotte beileibe nicht die zentrale Rolle spielte, die ihr im Vorhinein zugedacht gewesen war. Großbritannien suchte die avisierte Entscheidungsschlacht nicht, sondern beschränkte sich auf eine Fernblockade der Nordsee, mit der die deutsche Versorgung abgeschnitten werden sollte und wurde. Nicht zuletzt nach zwei verlustreichen Gefechten zu Beginn des Krieges, dem Gefecht bei Helgoland bei dem die Kleinen Kreuzer KÖLN, MAINZ und ARIADNE und das Torpedoboot V 187 versenkt wurden, und dem Gefecht an der Doggerbank, bei dem der Schlachtkreuzer BLÜCHER verloren ging, führten zu einem zurückhaltenden Einsatz der Schlachtflotte, die durchaus mit dem zurückhaltenden Einsatz der britischen Grand Fleet korrespondierte.

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Mit der griffigen Formel „Das lange Warten“ hat Nicolas Wolz das unbefriedigte Sehnen vor allem der Offiziere nach einer Bewährung der Schlachtflotten tituliert. Es blieb mit Ausnahme der Skagerrakschlacht vom 31. Mai 1916 unbefriedigt. Die Hochseeflotte erweist sich als ungeeignetes Mittel gegen die völkerrechtlich problematische Fernblockade, mit der Großbritannien die deutsche Seezufuhr zum Erliegen bringen und zugleich eine Konfrontation mit der Hochseeflotte verhindern möchte. So erfolgreich diese Strategie ist, so wenig behagt sie den Besatzungen der Schiffe der Royal Navy. Hierin unterscheiden sie sich in nichts von ihren Deutschen Gegnern: Beide Seiten sind im Geiste der Erwartung einer Entscheidungsschlacht erzogen worden. Durch das Aufkommen neuer Seekriegsmittel wie Minen und Torpedos werden sie jedoch daran gehindert, diese zu suchen, weil das Risiko des Schiffsverlustes einfach zu groß ist. In Wilhelmshaven, aber nicht anders als in Rosyth oder Scapa Flow, bringt dies den Flotten auf beiden Seiten den Vorwurf der Feigheit und den Spott der Bevölkerung ein. In Wilhelmshaven dichten sie in der Verballhornung der „Wacht am Rhein“: „Die Flotte schläft im Hafen ein“. Zum wichtigsten Mittel des Seekrieges wird im Ersten Weltkrieg das junge Seekriegsmittel des Unterseebootes werden, das in den Tirpitz’schen Überlegungen bis unmittelbar vor Kriegsbeginn keine Rolle spielte. Zu Kriegsbeginn verfügt das Deutsche Reich über kaum mehr als 20 U-Boote. Im Krieg wird die Bedeutung diese Waffe kontinuierlich ansteigen, die zunächst als Hilfswaffe gegen militärische Ziele geplant war, zunehmend aber im 15

Handelskrieg eingesetzt wird, ohne dass die dafür geltenden völkerrechtlichen Normen beachtet werden. Vor allem im Verlauf des Jahres 1916 wird die Diskussion um die Wiederaufnahme des schon einmal zu Beginn 1915 geführten „uneingeschränkten U- Bootkrieges“ hitzig in der Öffentlichkeit geführt.

Die der deutschen Bevölkerung als großer Seesieg verkaufte Skagerrakschlacht spielt hier auch eine Rolle, denn in seinem Immediatbericht an den Kaiser kommt Admiral Scheer als Befehlshaber der Hochseeflotte zu dem Schluss: „dass selbst der glücklichste Ausgang einer Hochseeschlacht England in diesem Kriege nicht zum Frieden zwingen wird. Die Nachteile unserer militärgeografischen Lage gegenüber der des Inselreiches und die große materielle Übermacht des Feindes werden durch die Flotte nicht in dem Maße ausgeglichen werden können, dass wir der gegen uns gerichteten Blockade oder des Inselreiches selber Herr werden [ …] Ein sieghaftes Ende des Krieges in absehbarer Zeit kann nur durch Niederringen des englischen Wirtschaftslebens erreicht werden, also Ansetzen des Unterseebootes gegen den englischen Handel.“ Deutlich gesteht der Befehlshaber der Hochseeflotte hier das Scheitern der Tirpitzschen Flottenrüstung ein und erweist sich als Befürworter des Uneingeschränkten U- Bootkrieges. Im Januar 1917 wird der Kaiser dem Drängen nachgeben. Noch einmal erlagen Marine und Politik hier einer krassen Fehleinschätzung: Noch vor der nächsten Ernte hatte man versprochen, England besiegt zu haben. Tatsächlich jedoch wurde das Jahr 1917 zur Kriegswende. Epochal gesehen leitete der Kriegseintritt der USA das Ende des Zeitalters der globalen europäischen Hegemonie ein. Fortan wurden für das angebrochene Jahrhundert die USA zur beherrschenden Führungsmacht – zumindest was den Admiral Scheer atlantischen Teil der Welt betraf. Doch zurück zur Hochseeflotte. Obwohl sich die Mannschaften aller Schiffe erklärtermaßen als gut ausgebildet und motiviert in der Skagerrakschlacht erwiesen hatten, gelang es nicht, den unbestrittenen taktischen Erfolg der Schlacht in eine sinnstiftende Gemeinschaftserfahrung zu überführen. Stattdessen frustrierten Untätigkeit und schlechte Verpflegung Offiziere und Mannschaften gleichermaßen. Vor allem die jüngeren Offiziere, die den unmittelbaren Kontakt zu den Mannschaften haben, meinen die Disziplin durch die Betonung des Formalen aufrecht erhalten zu müssen. Dass die Offiziere die Möglichkeit haben, ihre Verpflegung auf eigene Kosten aufzubessern, während die Mannschaften nur noch das morgendliche „Künstlerfrühstück“ – sprich den Kaffee und eine Zigarette erhalten, schürt die Entfremdung zusätzlich. Im Sommer 1917 kommt es zu Gehorsamsverweigerungen, an deren Ende die standrechtliche Erschießung der beiden Matrosen Max Reichpietsch und Albin Köbis steht. Für Matrose Richard Stumpf bricht eine Welt zusammen: „Allmählich

16 geht mir eine ganze Bogenlampe auf, warum manche Menschen das Militär und sein System mit solcher Leidenschaft bekämpfen“, schreibt er im August 1917. Damit ist das letzte Kriegsjahr angebrochen: nachdem die russische Revolution den Krieg an der Ostfront beendet hat, soll die Michael-Offensive an der Westfront eine Wende herbeiführen, doch vergebens. Nun fordert die oberste Heeresleitung ultimativ den Kaiser zu Waffenstillstandsverhandlungen auf. In diesem Zusammenhang erkennt die Marineführung die geringe Rolle, die die einst so prestigeträchtige Hochseeflotte gespielt hat, und ordnet einen Flottenvorstoß an, für den die Schiffe der Hochseeflotte im Oktober 1918 bei Wilhelmshaven zusammengezogen werden: doch nun verweigern die Mannschaften den Gehorsam, und damit ist der Stein ins Rollen gebracht, der das marode System des Kaiserreichs wie Dominosteine binnen weniger Wochen zu Fall bringen wird. Für Richard Stumpf ist klar, worin die Ursache für diesen Zusammenbruch lag: „O Jammer, weshalb mußten wir so schuftige gewissenlose Offiziere haben, die uns alle Liebe zum Vaterland, die Freude am deutschen Wesen, den Stolz auf unsere vorbildliche Einrichtung genommen haben.“

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Als Matrose war Max Reichpietsch auf dem Großlinienschiff SMS Friedrich der Große zusammen mit dem Oberheizer Willy Sachse und dem Matrosen Wilhelm Weber sowie den auf dem Großlinienschiff SMS Prinzregent Luitpold stationierten Heizern Albin Köbis und Hans Beckers der Organisator der Antikriegsbewegung unter den Matrosen der Hochseeflotte im Sommer 1917. Er wurde verhaftet und am 26. August 1917 als „Haupträdelsführer“ wegen „vollendeten Aufstandes“ zusammen mit Köbis, Sachse, Weber und Beckers in einem Kriegsgerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Reichpietsch hatte bereits zuvor insgesamt vierzehn Disziplinar- und Feldkriegsgerichtsstrafen wegen verschiedener Delikte, darunter Unpünktlichkeit, Fernbleiben vom Dienst, Ungehorsam und Diebstahl, erhalten. Das gegen ihn verhängte Todesurteil war eines von 150 während des gesamten Krieges, von denen 48 vollstreckt wurden. Die gegen Sachse, Weber und Beckers verhängten Todesurteile wurden in Zuchthausstrafen von je 15 Jahren umgewandelt. Am 5. September 1917 wurden die Todesurteile gegen Max Reichpietsch und Albin Köbis auf dem Schießplatz Wahn bei Köln vollstreckt. Heute befindet sich dort die Luftwaffenkaserne Wahn. Albin Köbis wuchs zwischen den Fabriken des Berliner „Feuerlands“ in der Chausseestraße 16 auf. 1912 trat er freiwillig in die Kaiserliche Marine ein. Politisch stand er dann dem linken SPD-Flügel und später der USPD nahe. Während des Ersten Weltkriegs nahm er Kontakt zu Besatzungsmitgliedern anderer deutscher Kriegsschiffe auf, um eine Bewegung zum baldigen Ende des Krieges zu initiieren. 1917 war er Heizer auf dem Linienschiff SMS Prinzregent Luitpold. Die ständige Kürzung der Rationen führte zu Fällen von Befehlsverweigerung, auf der Fahrt von nach Wilhelmshaven am 19. Juli 1917 mitten im Kaiser-Wilhelm-Kanal, der dadurch blockiert wurde. Am 24. Juli

18 trafen sich Vertreter der Besatzungen zu einer Beratung, auf der die Durchführung einer Friedensdemonstration zusammen mit Werftarbeitern als Ziel gesetzt wurde. Auf einer Vertrauensleuteversammlung am 27. Juli wurde das Aktionsprogramm konkretisiert und eine Koordinierungsgruppe aus Albin Köbis, Max Reichpietsch, Hans Beckers, Willy Sachse und Wilhelm Weber gebildet. Köbis wurde bei der Niederschlagung der Rebellion 1917 verhaftet und am 25. August von einem Kriegsgericht zusammen mit vier anderen zum Tode verurteilt. Drei der zum Tode Verurteilten wurden vom Oberbefehlshaber der Flotte begnadigt, Köbis und Reichpietsch wurden jedoch als Rädelsführer am 5. September auf dem Gelände des Fußartillerie-Schießplatzes Wahn am Rhein erschossen. Ihr Grab und ein gemeinsamer Gedenkstein befinden sich auf einem öffentlichen Friedhof (Militärfriedhof) der Stadt Köln innerhalb des militärischen Sicherheitsbereichs der heutigen Luftwaffenkaserne Wahn. Im weitesten Sinne kann man ihn als Vorkämpfer der Novemberrevolution sehen, die zum Sturz der Monarchie am Ende des Ersten Weltkrieges führte. https://muckracker.wordpress.com/2017/09/05/koebis-und-reichpietsch-ehre-eurem- andenken-5-september-1917/

Kurzer Überblick: Die Meuterei, an deren Ende das Kaiserreich unterging

Von Sven Felix Kellerhoff | Veröffentlicht am 20.01.2011 |

In der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 1918 lag die deutsche Hochseeflotte vor Wilhelmshaven – und meuterte. Es hatte sich herumgesprochen, dass sie in einem letzten sinnlosen Kampf geopfert werden sollte. (Das Foto zeigt Flotteneinheiten im .) Quelle: picture-alliance / akg-images/akg-images

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Die Idee, eine deutsche Hochseeflotte zu bauen, kam seit dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelms II. (l.; mit Admiral von Holtzendorff) 1888 in die Welt. Sie sollte Deutschland aus s... einer europäischen Mittellage befreien und ihm einen Platz unter den Kolonialmächten sichern. Quelle: picture-alliance / dpa/Jürgen Diener

Reichskanzler Prinz Max von Baden und Staatssekretär Philipp Scheidemann versuchten, mit einem Aufruf die Lage zu beruhigen. Quelle: picture-alliance / akg-images/akg-images

Ein Kriegsschiff ist ein Mikrokosmos für sich. Wer sich an Bord befindet, unterliegt einer besonderen Disziplin – und ständiger Beobachtung durch die Vorgesetzten. Denn ganz gleich, wie groß die Kreuzer, Linien- und Schlachtschiffe auch sein mögen: Sie sind doch klein und übersichtlich im Vergleich zu den Räumen, über die sich militärische Einheiten sonst ausbreiten, sei es an der Front oder in den heimatlichen Kasernen. Auf einem Kriegsschiff gibt es keine Möglichkeit zum Ausweichen, keine Winkel, in denen man sich verstecken kann – und das Desertieren von einem auf Reede liegenden Dampfer ist so gut wie ausgeschlossen.

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Die wichtigste Meuterei der deutschen Geschichte

All das gehört zu den Gründen, warum die wichtigste Meuterei der deutschen Geschichte ausgerechnet auf den Schiffen der deutschen Hochseeflotte stattfand. Zwar war schon im Sommer 1918, nach dem Scheitern der letzten deutschen Offensive an der Westfront mit dem Decknamen „Michael“ so etwas wie ein „verdeckter Militärstreik“ ausgebrochen, wie es der Historiker Wilhelm Deist formulierte: Soldaten verweigerten sich stillschweigend den Befehlen ihrer Vorgesetzen oder entfernten sich schlicht von ihrer Truppe. Drakonische Sanktionen, bis dahin üblich, konnten die Offiziere aber nicht mehr durchsetzen. Das deutsche Heer zersetzte sich (übrigens ohne jeden „Dolchstoß“ aus der Heimat) im Felde zunehmend selbst.

Doch auf Seiner Majestät Schiffen, dem einstigen Stolz Wilhelms II., gab es solche Auflösungserscheinungen kaum. Viel zu eng lebten die Mannschaften, vor allem die Heizer und die Ladenschützen, unter oft erschütternd schlechten Bedingungen in den Stahlrümpfen mit den oft arroganten Offizieren zusammen, die einem völlig überholten Ehrenkodex huldigten. Anfang August 1917 war es zu einer kleineren Meuterei auf dem Flottenflaggschiff „Friedrich der Große“ gekommen, die Marinesoldaten rasch niederschlugen; als Haupträdelsführer wurde unter anderen der Matrose Max Reichpietsch zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Ein Kriegsschiff ergibt sich nicht

Weil sich danach nichts zum Besseren gewendet hatte, wuchs wie in einem fest verschlossenen Kessel der Druck weiter an. Am Abend des 29. Oktober 1918 entlud er sich; Auslöser war ein aus Sicht der deutschen Admiralität konsequent gedachter, allerdings die Situation an Bord ausklammernder Befehl.

Die Führung der Kaiserlichen Marine pflegte einen Grundsatz mit geradezu krankhafter Verbissenheit: Ein deutsches Kriegsschiff ergibt sich dem Feind nicht, es geht mit wehenden Fahnen unter. Das Vorbild dafür war Vizeadmiral Maximilian Graf Spee: Er hatte die vier Schiffe seines Ostasiengeschwader, das Leben von mehr als 2200 Seeleuten und auch sich selbst sowie seine beiden Söhne im Dezember 1914 lieber kämpfend geopfert, als sich angesichts der Übermacht einer Kampfgruppe der britischen Royal Navy zu ergeben oder sich wenigstens in einem neutralen Hafen internieren zu lassen.

Feindfahrt in den Selbstmord

Im Herbst 1918 machte sich im Admiralstab in Kiel eine ähnliche Haltung breit. Die Flaggoffiziere, die außer bei den beiden ohne klaren Sieger ausgegangenen Seeschlachten auf der Doggerbank 1915 und im Skagerrak 1916 im Ersten Weltkrieg wenig mit ihrer extrem teuren Schlachtflotte hatten anfangen können, drängten auf einen entscheidenden Schlag. Umstritten unter Historikern ist, ob es sich um einen militärisch im Prinzip sinnvollen Einsatz der deutschen Schiffe handeln sollte, um den Druck auf die

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Landstreitkräfte abzumildern – oder ob eine sinnlose Geste, eine Art Feindfahrt in den Selbstmord geplant war. Es gibt gute Gründe für die zweite Lesart.

Jedenfalls arbeitete das Kommando der Hochseeflotte unter Admiral Reinhard Scheer einen Plan aus, dem zufolge die mächtigen deutschen Linienschiffe am 30. Oktober 1918 auslaufen und sich dem Kampf mit der zahlenmäßig und technisch deutlich überlegenen Home Fleet der Royal Navy stellen sollte.

Der Angriffsbefehl wird zurückgenommen

Am 29. Oktober 1918 um 20 Uhr begann die Einsatzbesprechung der Geschwader-Chefs auf der „Friedrich der Große“ auf Reede vor Wilhelmshaven; schon zwei Stunden später verzeichnet das Logbuch auf drei der fünf Linienschiffe des III. Geschwaders Ausschreitungen von Mannschaften gegen einen Einsatzbefehl. Immer mehr Matrosen gaben an, Befehlen keine Folge mehr zu leisten, wenn sie zur Feindfahrt in den Tod aufbrechen würden.

Schon gegen zwei Uhr morgens gaben die Admirale Scheer und Franz von Hipper deshalb die Idee auf, die Flotte in einen Entscheidungskampf zu schicken; Hipper beschwor in einem Aufruf an die Männer seiner Schiffe den Schutz der Seegrenzen als Aufgabe der Flotte. Doch damit ließen sich die erregten Gemüter der Seeleute nicht beruhigen. Als die Schiffe des III. Geschwaders bald darauf durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal in den Heimathafen Kiel verlegt wurden, hofften Admirale und Offiziere kurzzeitig, die Mannschaften wieder in den Griff zu bekommen.

Doch als einige Wortführer der Meuterei zur Bestrafung von Bord gebracht wurden, kam es zur Eruption: Immer mehr Matrosen weigerten sich ebenfalls, Befehlen Folge zu leisten; sie solidarisierten sich mit den Arbeitern von Kiel. Innerhalb weniger Stunden, während eines zur Beruhigung der Lage angeordneten Landurlaubs, bildete sich eine massive Antikriegsfront, die innerhalb von drei Tagen die Stadt fest im Griff hatte. Als Kieler Matrosenaufstand wurde dieses Aufbegehren bekannt, das direkt zum Auslöser der deutschen Novemberrevolution wurde.

Wenig später enterten einige der aufgebrachten Seeleute Züge, fuhren damit nach Berlin und brachten so die Nachricht vom erfolgreichen Widerstand gegen den Befehl zum Endkampf der Hochseeflotte in die Reichshauptstadt. Diese Information wurde zum Impuls, der das längst morsche Machtsystem zum Einsturz brachte.

Am 7. November erreichten die Meuterer Berlin

Am Abend des 7. November 1918 kamen die Revolutionäre aus Kiel am Lehrter Bahnhof in Berlin an; bald darauf wurde der Eisenbahnfernverkehr unterbrochen, ebenso Telefone und Telegrafen. Immer öfter tauchten am 8. November 1918 in der Innenstadt Polizisten zu Fuß und zu Pferde auf. Alle öffentlichen Gebäude und das Schloss wurden von Wachen umstellt. Mehrfach zerstreuten berittene Einheiten Menschenansammlungen am

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östlichen Ende des Boulevards Unter den Linden. Doch das änderte nichts, außer dass sich die Stimmung weiter verschlechterte. Revolution lag in der Luft.

Nur einen Tag später resignierte Kaiser Wilhelm II. und verließ Deutschland in Richtung Exil in Holland. Das Kaiserreich war zusammengebrochen, und der Auftakt dazu kam von der Meuterei auf den Schiffen der deutschen Hochseeflotte.

https://www.welt.de/kultur/history/article12259142/Die-Meuterei-an-deren-Ende-das-Kaiserreich- unterging.html Novemberrevolution 1918 - eine Chronologie

September

Im September 1918 ist der Erste Weltkrieg für das deutsche Kaiserreich militärisch verloren. Am 29. September muss die Heeresleitung unter den Generälen Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff die Reichsregierung auffordern, mit den Alliierten Waffenstillstandsverhandlungen aufzunehmen - ein Eingeständnis des militärischen Scheiterns. Die undankbare Aufgabe der Verhandlungen wird einer neuen Regierung unter Prinz Max von Baden zugeschoben, an der auch die Sozialdemokraten beteiligt werden.

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Linienschiff S.M.S. Preußen um 1914 mit mehr als 700 Mann Besatzung. Auf den Schiffen der kaiserlichen Marine lebten zum Teil mehr als 1000 Mann auf engstem Raum (Wilhelm Schäfer, Stadtarchiv Kiel 10510)

Oktober

In dieser Situation entscheidet die Seekriegsleitung unter Admiral Reinhard Scheer eigenmächtig, die in Wilhelmshaven liegende Hochseeflotte zu einer letzten Seeschlacht gegen die britische Flotte auslaufen zu lassen, obwohl dieser Einsatz das Kriegsgeschehen nicht mehr beeinflussen und mit dem Untergang der Flotte enden würde.

Die Seekriegsleitung hatte den Plan bewusst vor der Regierung verschleiert, so dass heute von einer "Meuterei der Admiräle" gesprochen wird. Für die Offiziere ist es „eine Ehren- und Existenzfrage der Marine“.

Bereits seit 1917 hatten die Mannschaften das Vertrauen in die Militärführung verloren. Im Sommer 1917 hatte es auf einzelnen Schiffen Befehlsverweigerungen gegeben wegen des eintönigen Dienstbetriebes, der schlechten Verpflegung und der als ungerecht empfundenen Behandlung durch die Offiziere.

Zwei angebliche Anführer, Max Reichpietsch und Albin Köbis, waren dafür am 5. September 1917 hingerichtet worden.

29. Oktober

Am Abend vor dem geplanten Auslaufen der Flotte verweigern die Matrosen erneut den Gehorsam und machen durch das Löschen der Kesselfeuer den Seeoffizieren einen Strich durch die Rechnung.

Die von den Gehorsamsverweigerungen überraschte Seekriegsleitung entscheidet, dass die Schiffe des III. Geschwaders in den Heimathafen Kiel auslaufen sollen, mit der Hoffnung, hier werde sich die Besatzung beruhigen. Kiel war seit 1871 Reichskriegshafen und daher Stadt der Marine und der Werften. 1918 gibt es in Kiel 50.000 24

Marineangehörige und 70.000 Arbeiter, von denen die Hälfte auf den Werften beschäftigt ist.

31. Oktober

Gegen 20.30 Uhr wird dem Stationskommando mitgeteilt, dass sich das III. Geschwader der Hochseeflotte auf dem Weg von Wilhelmshaven nach Kiel befindet. Die Marinestation der Ostsee stand unter dem Kommando von Admiral , der gerade erst dies Amt übernommen hatte.

1. November

Das III. Geschwader mit mehr als 5.000 Mann Besatzung erreicht um 1.45 Uhr die Holtenauer Schleuse, dort werden 47 Matrosen der SMS Markgraf festgenommen und interniert.

Am Abend desselben Tages findet eine Versammlung von etwa 250 Matrosen im Kieler Gewerkschaftshaus statt, um über Hilfe für die Inhaftierten zu beraten. Die Freilassung der Kameraden wird gefordert.

Inzwischen erfahren weitere Marineangehörige an Bord und an Land sowie Mitglieder der MSPD, USPD und der Gewerkschaften von den Ereignissen.

2. November

Die Marineleitung lässt das Gewerkschaftshaus für Soldaten sperren, um weitere Treffen dort zu vermeiden. Deshalb ziehen mehrere hundert Matrosen abends durch Kiel. Um 19 Uhr findet eine Versammlung mit 500 bis 600 Teilnehmern im nahen Vieburger Gehölz statt. Dort wird wiederum die Freilassung der Inhaftierten gefordert und Karl Artelt, Matrose der Torpedodivision, ruft zu einer Demonstration am folgenden Tag auf. Im Anschluss an die Versammlung nimmt der lokale Vorsitzende der USPD, Lothar Popp, mit Artelt Kontakt auf, um die Demonstration am Folgetag vorzubereiten. In der USPD- Zentrale in der Preußerstraße werden Flugblätter hektographiert: "Kameraden, schießt nicht auf eure Brüder! Arbeiter, demonstriert in Massen, lasst die Soldaten nicht im Stich!"

3. November

Am Morgen werden 57 weitere Matrosen der SMS Markgraf inhaftiert. Gegen Mittag berichtet Gouverneur Souchon erstmals an das Reichsmarineamt in Berlin von der kritischen Situation in Kiel. Die Depesche schließt: „Bitte, wenn irgend möglich, hervorragenden sozialdemokratischen Abgeordneten hierherzuschicken, um im Sinne der Vermeidung von Revolution und Revolte zu sprechen."

Außerdem soll ein Stadtalarm verhindern, dass die Matrosen auf ihre Schiffe und in ihre Kasernen zurückkehren und sich nicht der für den Abend geplanten Demonstration anschließen. Dies scheitert jedoch auf ganzer Linie, da sich viele nicht an den Alarm halten und zudem nun die Bevölkerung über die Vorgänge informiert ist. Bis 18 Uhr versammeln sich deshalb etwa 6.000 Menschen erneut auf dem großen Exerzierplatz im Vieburger Gehölz zur Kundgebung. Der Ruf nach einer sofortigen Befreiung der

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Gefangenen wird laut, die Demonstranten setzen sich in Richtung der Arrestanstalt an der Feldstraße in Marsch.

Auf dem Weg dorthin wird das Lokal „Waldwiese“ gestürmt, das als Offizierskasino dient; Waffen werden erbeutet. Anschließend marschieren die Demonstranten durch die Stadt und durchbrechen in der Karlstraße eine Postenkette der Polizei, bevor sie auf auf einen Zug von etwa 30 Soldaten der Ausbildungskompanie der Torpedo-Division treffen, der die Straße sperrt. Diese Soldaten waren im Laufe des Tages bewaffnet und zum Schutz der Arrestanstalt eingesetzt worden und eröffnen nun das Feuer auf die Demonstration.

Dabei und im folgenden Handgemenge sterben sieben Menschen und 29 werden verletzt. Daraufhin zerstreut sich die Demonstration. Wilhelm Souchon glaubt, Herr der Lage zu sein, auch weil das III. Geschwader am kommenden Tag den Hafen verlassen soll. Diese Einschätzung erweist sich allerdings als schnell als Irrtum. Das Blutvergießen löst große Empörung und eine Welle der Solidarität aus. Bereits in der Nacht kommt es zu weiteren Tumulten.

4. November

Die Unzufriedenheit ergreift die Landmarine. Die Torpedo-Division und die U-Boot-Division schließen sich den Aufständischen an, und am Morgen treten Arbeiter der Germaniawerft und der Torpedowerkstatt Friedrichsort in den Streik.

Während des Vormittages kann das III. Geschwader wegen Verzögerungen nicht auslaufen und immer mehr Einheiten schließen sich den Aufständischen an, so dass Souchon Verhandlungen mit den Matrosen zustimmen muss. In der Kaserne in der Wik fordern die Matrosen unter Führung von Karl Artelt ihren Kommandeur auf, auch ihre politischen Forderungen an den Gouverneur weiterzuleiten, darunter die Abdankung der Hohenzollern, die Freilassung aller politischen Gefangenen und das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht für beide Geschlechter.

Um 15 Uhr erscheinen Abordnungen der Matrosen und der lokalen Arbeiterparteien bei Souchon und fordern die Freilassung der inhaftierten Matrosen, die gerichtliche Untersuchung der Schießerei vom Vortag und die Unterlassung weitere Flottenbewegungen gegen die Royal Navy. Diesen Bedingungen stimmt der Gouverneur zu und erklärt, dass noch am Abend zwei Abgesandte aus Berlin eintreffen sollen, nämlich Staatssekretär Conrad Haußmann und der SPD-Reichstagsabgeordnete Gustav Noske. Demonstranten ziehen danach triumphierend zum Arrestgebäude in der Feldstraße, wo zunächst 16 Inhaftierte freigelassen werden.

Kaum eine Kompanie in Kiel ist noch intakt und befolgt die Befehle der Vorgesetzten. Während des gesamten Tages treffen immer wieder Heereseinheiten in Kiel ein, die aber zum großen Teil zu den Aufständischen überlaufen oder von diesen entwaffnet werden, so dass von einer organisierten Gegenwehr der staatlichen Stellen keine Rede sein kann.

Etwa um 18 Uhr werden deshalb alle Einheiten des Heeres von ihren Posten abgezogen und gesammelt. Nach der Ankunft von Haußmann und Noske beginnt dann um 21 Uhr eine weitere Verhandlungsrunde bei Souchon, an der Offiziere, Vertreter der Matrosen, der sozialdemokratischen Parteien und der Gewerkschaften teilnehmen (Lothar Popp, Karl Artelt, Gustav Garbe). Erneut werden politische Forderungen gestellt, die Abschaffung der Monarchien, Pressefreiheit, eine freie Volksrepublik, ein gerechtes Wahlrecht, die Freilassung politischer Gefangener. 26

Zeitgleich versammeln sich Matrosen- und Arbeitervertreter im Gewerkschaftshaus. Die Verhandlungsdelegation beim Gouverneur stößt später hinzu. In der Nacht wird die Gründung eines Soldatenrats und eines Arbeiterrats beschlossen. Als erste Maßnahme formuliert und veröffentlicht der Soldatenrat die sogenannten „14 Kieler Punkte“. Sie umfassen politische Forderungen wie Presse- und Versammlungsfreiheit ebenso wie dienstliche Anweisungen vor allem das Verhältnis zu Vorgesetzten betreffend.

Für den 5. November wird der Generalstreik ausgerufen. Die Meuterei der Matrosen hat sich zu einer politischen Massenbewegung ausgeweitet.

Marinestationsgebäude und Sitz des Gouverneurs in der Adolfstraße 1912. Hier finden am 4. und 5. November Verhandlungen statt zwischen dem Gouverneur Wilhelm Souchon und Vertretern von Matrosen und Arbeitern (Wilhelm Schäfer, Stadtarchiv Kiel 12575)

5. November

Als sichtbares Zeichen der Revolution wurde am Morgen des 5. November auf fast allen Einheiten im Hafen die rote Flagge - das Symbol der Räte - anstelle der Kriegsflagge gehisst. Nur auf wenigen Schiffen muss die aufständische Besatzung dies gewaltsam durchsetzen. Besonders heftig wird der Streit um die Beflaggung auf der SMS König, denn hier hat der Kapitän die Offiziere bewaffnen lassen und verteidigt die Fahne. Deshalb beschießen Matrosen das Schiff, der Kapitän wird dabei verwundet und zwei Offiziere sterben, ein Obermatrose wird vom Kapitän erschossen.

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In der Stadt kommt es im Laufe des Tages immer wieder zu kleineren Schießereien, die zumeist aus Zufall entstehen. Erst nach und nach kann die Ordnung wiederhergestellt werden. Abends flieht Prinz Heinrich aus seiner Residenz, dem Kieler Schloss, und zieht sich auf das Gut Hemmelmark zurück.

Am Abend wird der Stadtkommandant, Kapitän z.S. Wilhelm Heine, in seinem Haus von einer Patrouille erschossen, als er sich seiner Verhaftung widersetzt.

Politisch werden die Weichen für die kommenden Entwicklungen gestellt, denn es wird nun ein zentraler Soldatenrat gebildet. Gustav Noske lässt sich zum Vorsitzenden des Soldatenrates wählen mit dem Hinweis, „dass die Bewegung von fester Hand geleitet werden“ müsse. Dazu gesellt sich schnell ein Arbeiterrat unter der Führung von Garbe, dem sämtliche zivile Behörden in der Stadt unterstellt werden. Damit übernehmen die Aufständischen die Organisationsform der Russischen Revolution von 1917.

Revolutionäre Matrosen lassen bei einem Kieler Fotografen ein Erinnerungsfoto schießen: „Hoch lebe die Freiheit, 5. Nov. 1918“ (Anton Busch, Eigentum Kay Zimmer)

6. November

Noske versucht, seinem Auftrag gemäß, als Vorsitzender des Soldatenrates mäßigend auf die Revolutionäre zu wirken und schafft es, die politisch unerfahrenen Mitglieder von Arbeiter- und Soldatenrat zu bremsen.

Bereits am 3. und 4. November hatten Matrosen die Stadt verlassen und berichteten von den Kieler Ereignissen, ebenso die Presse. In der Folge sind am 5. und 6. November in

28 den norddeutschen Küstenstädten Arbeiter- und Soldatenräte entstanden, im Binnenland am 7. November.

7. November

Nach eingehenden Verhandlungen übernimmt Gustav Noske das Amt des Gouverneurs von Admiral Souchon, Popp folgt ihm als Vorsitzender des Soldatenrates. Der Machtkampf zwischen diesen beiden wird schnell von Noske für sich entschieden, da er einen großen Teil der in Kiel weilenden Soldaten beurlaubt und damit die Machtbasis des Soldatenrates maßgeblich schwächt. So gelingt es ihm auch, die Ausrufung einer Republik Schleswig-Holstein zu verhindern, stattdessen wird eine provisorische Regierung für Schleswig-Holstein ausgerufen.

In der Stadt hat sich die Lage normalisiert und der Alltag ist wieder eingekehrt, der Schwerpunkt der revolutionären Ereignisse verschiebt sich bald nach Berlin.

8. November

Gouverneur Noske regelt die Dienstverhältnisse zwischen den Matrosen und deren Vorgesetzten neu und führt so, wenn auch schrittweise, wieder Befehl und Gehorsam ein.

In München ruft Kurt Eisner die Republik aus.

9. November

In Berlin überstürzen sich die Ereignisse, Kaiser Wilhelm II. dankt ab und es wird eine neue Regierung von SPD und USPD eingesetzt. Gegen Mittag verkündet der stellvertretende SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstagsgebäudes die Republik: „Das alte und morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik!“.

Der Arbeiterrat in Kiel übernimmt die Aufgaben der provisorischen Regierung Schleswig- Holsteins und setzt, zur Kontrolle der bestehenden Verwaltung, Beigeordnete wie in der Stadtverwaltung ein.

10. November

Die Einheiten des III. Geschwaders kehren in ihren Heimathafen zurück.

Auf dem Eichhoffriedhof werden, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, die zivilen Opfer der Revolution beigesetzt. Die toten Soldaten werden am kommenden Tag auf dem Nordfriedhof bestattet.

11. November

Unterzeichnung des Waffenstillstands zwischen dem Deutschen Reich und den Westalliierten Frankreich und Großbritannien in Compiègne (Frankreich). Im Waffenstillstand wird unter anderem die Internierung der deutschen Kriegsflotte festgelegt.

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Kundgebung auf dem Wilhelmplatz am 10. November 1918. Am selben Tag werden die Toten vom 3. November auf dem Eichhof zu Grabe getragen (Ernst Meyer zugeschrieben, Stadtarchiv Kiel 68287)

Quelle: https://www.kiel.de/de/kultur_freizeit/1918/was_geschah.php

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