Fremdartigkeit in der venezianischen Oper Mitte des 18. Jahrhunderts Mit einer Fallstudie zu Pietro Metastasios Alessandro nell’Indie

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts im interuniversitären Masterstudium Musikologie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Elisabeth Maria PROBST

am Institut für Musikwissenschaft Begutachterin: Assoz. Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Kordula Knaus

Graz, 2013 Vorwort

Die Verbindung von Musik und Theater hat mich im Laufe meines Studiums immer mehr fasziniert. So war es naheliegend, sich im Sommersemester 2011 für einen Auslandsaufenthalt im Land der Wiege der Gattung Oper, Italien, zu entscheiden. Dieses Auslandssemester hat einige wertvolle Impulse – sowohl für mein Studium als auch meine persönliche Entwicklung – gegeben. Vor allem wurde auch sprachlich der Boden, Voraussetzung für die Beschäftigung mit dem Thema dieser Arbeit schon während der Studienassistenz bei Assoz. Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Kordula Knaus am Institut für Musikwissen- schaft der Universität Graz, bereitet. Für diese Zeit, die fachliche Betreuung und Unterstützung der Arbeit möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken.

Ein herzliches Danke möchte ich Mag. Andrea Zedler MA und Ingeborg Zechner MA für die vielen wertvollen Tipps zur Arbeit sowie Frau Mag. Melanie Rieger für ihre Hilfsbereitschaft in der Institutsbibliothek aussprechen. Sehr genossen habe ich die großartige gemeinsame Studienzeit mit Julia Eder BA – vielen lieben Dank!

Insbesondere danke ich PD Dr. Sabine Meine sowie dem gesamten Team des Centro Tedesco di Studi Veneziani (Deutsches Studienzentrum in Venedig) für die wirklich schöne und interessante Praktikumszeit im Frühjahr 2013; durch die Gespräche, Diskussionen und Veranstaltungen im Umfeld des Studienzentrums konnte ich viele Anregungen und zusätzliche Motivation für die vorliegende Arbeit gewinnen, und es wurde mir der Zugang zu wichtigen Materialien in den Bibliotheken und Archiven der Stadt ermöglicht.

Weiters danke ich Signora Barnabó, Inhaberin des Palazzo Malipiero in Venedig, für die Erlaubnis zu fotografieren und die Veröffentlichung der Abbildung 2, sowie der Reproduktionsabteilung der Albertina Wien und dem Ministero per i Beni e le Attivitá Culturali - Biblioteca Nazionale Marciana für die freundlicherweise erteilte Druckgenehmigung der Abbildungen 4 und 9. Besonderer Dank gebührt meinen Eltern Mag. Gerhard und Mag. Mathilde Probst für ihre großartige Unterstützung allgemein, für die Förderung meiner musikalischen Ausbildungen und die Ermöglichung meines Studiums sowie für das Korrekturlesen der vorliegenden Arbeit.

Elisabeth Maria Probst

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung …..………………………………………………………………………..4

2 Oper im Venedig des 18. Jahrhunderts ...... 6

3 Ausdrucksformen von Fremdartigkeit in Venedigs Opernproduktionen Mitte des 18. Jahrhunderts ...... 19

4 Fallstudie: Alessandro nell’Indie () ...... 57 4.1 Historie und Mythos: Alexander der Große und sein Feldzug gegen Poros ...... 57 4.2 Metastasios Alessandro nell’Indie ...... 69 4.2.1 Ausdruck von Fremdartigkeit bzw. Exotismus im ...... 73 4.2.2 Musikalische Analyse ...... 85

5 Zusammenfassung ...... 97

6 Quellenverzeichnis ...... 100 6.1 Bibliografie …………………………………………………………..……..100 6.2 Musikalien………………………………………….……………………….106 6.3 Abbildungsverzeichnis ………………………………………...………….106

Tabellenverzeichnis ...... 107

Anhang ...... 108

3 1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit dem Thema Fremdartigkeit bzw. Exotismus in den Opernproduktionen Venedigs etwa Mitte des 18. Jahrhunderts auseinander. Aus Gründen der Quellenverfügbarkeit ist die Arbeit auf der intentionalen Seite angesiedelt. Sie beschäftigt sich in ihrem Hauptteil ausgehend vom Werk mit der am Anfang stehenden Frage: Tritt Fremdartigkeit bzw. Exotismus in den venezianischen Opernproduktionen der Zeit auf und – wenn ja – wie kommt dies zum Ausdruck? Anhand der verschiedensten Elemente der Opernproduktionen wird versucht, diesbezügliche Ausdrucks- möglichkeiten aufzuzeigen. Fragen, die sich zur Rezeption von Fremdartigkeit bzw. Exotismus innerhalb der Gattung Oper durch das Publikum ergeben, bleiben ausgeklammert.

Begründet durch die enorme Produktion in den italienischen Theatern der Zeit, wurde ein Zeitfenster für die Jahre 1740 bis 1750, also etwa Mitte 18. Jahrhundert, gewählt sowie eine geografische Eingrenzung auf die Stadt Venedig getroffen. Einerseits gibt es in der bisherigen Forschung vergleichs- weise wenig Material über Fremdartigkeit bzw. Exotismus in der Musik- produktion des (frühen) 18. Jahrhunderts (im Gegensatz zum Bereich des 19. Jahrhunderts), andererseits ist Venedig eine Stadt, deren Einwohnerinnen und Einwohnern man besondere Offenheit gegenüber dem Fremden attestieren kann, begründet durch die über Jahrhunderte andauernden Handels- beziehungen zum Osmanischen Reich und den Handelsfahrten, die venezianische Kaufleute in den Fernen Osten unternahmen, sowie die Auf- nahme von eben von dort ankommenden Handelnden. 1 Alm beispielsweise schreibt über das 17. Jahrhundert bereits, dass in Venedig aufgrund des kauf- männischen Handels viele Menschen unterschiedlichster Kulturen neben- einander lebten: Als Handelsreisende sozial und politisch geduldet, konnten sich viele ein sicheres Heim schaffen. Hinzu kam natürlich auch der Tourismus, vor allem während des Karnevals, in dem die Venezianerinnen und Venezianer

1 Zur Geschichte Venedigs siehe unter anderem: Arne Karsten, Geschichte Venedigs, München 2012 (C.H. Beck Wissen); sowie Gerhard Rösch, Venedig. Geschichte einer Seerepublik, Stuttgart u.a. 2000.

4 das Fremde, das Exotische zum Vorbild für eigene Kostümierungen nahmen, was eine gewisse Offenheit gegenüber dem Fremden bestätigt.2 Der Gedanke der „Offenheit Venedigs“ unterstützt das Auftreten von Fremdartigkeit gerade in den venezianischen Opern sehr.

Ein Überblick über die Möglichkeiten des Auftretens von Fremdartigkeit, die sich bei der Durchsicht der Libretti auf den ersten Blick zeigen, wird anhand einiger kurzer Beispiele in Kapitel 3 gegeben. Rund um diese Beispiele zu Namens- gebung der Charaktere, Szenenbeschreibung, Verhalten und Text wird über den kulturellen, europäischen Kontext der Zeit betreffend der Rezeption von Fremdem in der Gesellschaft informiert, und es werden Anregungen zu einigen Analysemöglichkeiten betreffend Fremdartigkeit in visuellen, verbalen sowie musikalischen Elementen der Oper gegeben. Im Zuge dessen stellt sich auch die Frage: In welchen Gattungen der Oper sind Anzeichen von Fremdartigkeit zu finden? Von Interesse sind auch Fragen wie: Entsteht Fremdartigkeit in den Gattungen der Oper des 18. Jahrhunderts neu oder gab es sie schon vorher? Wird Fremdartigkeit typisch oder ist sie gar schon typisch für das zu dieser Zeit übliche Opernrepertoire?

Da aber nun das Libretto alleine nicht die ganze Opernproduktion ausmacht, wird im abschließenden Kapitel anhand einer genaueren Fallstudie – Metastasios Alessandro nell’Indie in der Vertonung von Johann Adolf Hasse (1738) – zusätzlich zu den im Libretto vorhandenen Anzeichen von Fremd- artigkeit eine Charaktergegenüberstellung sowie eine musikalische Analyse durchgeführt und Hintergrundinformation zu der historischen Figur Alexander des Großen und dem der Opernhandlung entsprechenden Ereignis gegeben.

Der Ausarbeitung zum Thema Fremdartigkeit vorangestellt ist der politische, soziale und kulturelle Kontext Venedigs und das Umfeld, in dem Opern- produktionen Mitte des 18. Jahrhunderts mit all ihren Rahmenbedingungen und Konventionen stattfanden.

2 Vgl.: Irene Alm, Dances from the “Four Corners of the Earth”: Exoticism in Seventeenth- Century Venetian , in: Studies in Seventeenth-Century Opera, hg. von Beth L. Glixon, Farnham u.a. 2010 (The Ashgate Library of Essays in Opera Studies), S. 235–239.

5 2 Oper im Venedig des 18. Jahrhunderts

Venedig war eine Stadt, die seit jeher Menschen aus den verschiedensten Teilen der Welt anzog. 3 Als Handelsstadt und Zentrum der venezianischen Republik (bis zu deren Niedergang 1797), welche ihr Gebiet im Laufe der Jahrhunderte über den Mittelmeerraum hinaus immer wieder zu erweitern versuchte und auch erweiterte, war Venedig vorerst nach Osten orientiert, unterhielt enge Verbindungen zu Konstantinopel, war Handelsmacht und -tor nicht nur zum Byzantinischen Reich und zum Orient, sondern auch Handels- partner unter anderem von Nordafrika. Durch den regen Handelsverkehr verweilten Menschen unterschiedlichster Kulturen in der Stadt:

„Die Waren fließen aus dieser edlen Stadt wie das Wasser aus den Quellen. Von überall kommen Waren und Kaufleute, um nach Wunsch einzukaufen und ihre Einkäufe in ihr Heimatland schaffen zu lassen.“4 „Venedig war eine pulsierende Hafenstadt mit all ihren Reizen und all ihren Schattenseiten.“5

Als weltoffener Ort des interkulturellen Aufeinandertreffens – dies spiegelt sich auch in der Mischarchitektur der Stadt aus westlichen und byzantinischen bzw. arabischen Elementen wider – ist Venedig dafür prädestiniert, Künstlerinnen und Künstler zu inspirieren, fremde bzw. exotische Elemente auch in den Künsten und somit ebenso in den Opernsujets in Venedig anhand von Exotismen zu verarbeiten (siehe Kapitel 3).

Venedig war nun nicht nur ein Dreh- und Angelpunkt in der damaligen wirtschaftlichen und politischen Landkarte, sondern

„[...] im 17. und 18. Jahrhundert gehörte ein Besuch der Stadt zur Ausbildung eines jeden Mitglieds der höheren Stände. [...] Doch wollte man nicht die Republik mit ihren ernsten Politikern besichtigen, sondern es lockten die kulturellen und galanten Reize der Serenissima zum Verweilen.“6

Eickhoff erzählt treffend vom ausgelassenen Feiern aller Gesellschafts- schichten in der Zeit des heute noch berühmten venezianischen Karnevals mit

3 Zur Geschichte Venedigs vgl. u.a.: Gerhard Rösch, Venedig. 4 Gerhard Rösch, Venedig, S. 95; nach einer „[...] Aussage des 13. Jahrhunderts [...].“ 5 Gerhard Rösch, Venedig, S. 127f. 6 Gerhard Rösch, Venedig, S. 167f.

6 seinen aus der Commedia dell’arte stammenden Masken7, dem Markusplatz als Zentrum der Geselligkeit und des Vergnügens8, den Staats- und Volksfesten9 sowie den zahlreichen Casinos (in den 1740er Jahren waren es etwa 400), in denen der Adel oder andere Zahlungsfähige dem Glücksspiel frönten10.

Doch mehr denn je war Venedig im 18. Jahrhundert Opernzentrum Italiens. Ein Beispiel in Zahlen: Die Anzahl der jährlich in Italien produzierten und aufgeführten Opern lag durchschnittlich bei 80 bis 100, während, auf das ganze 18. Jahrhundert verteilt, über 1200 verschiedene Produktionen auf Venedig entfielen – eine beträchtliche Anzahl, berücksichtigt man die kleineren und sehr kleinen, aber zahlreichen italienischen Städte, in denen Oper mehr oder weniger regelmäßig aufgeführt wurde.11 Allein in den Jahren von 1760 bis 1780 wurden in Venedig etwa 300 hauptsächlich neue Produktionen auf die Bühne gebracht.12 Im 17. und 18. Jahrhundert war die Oper Repräsentationsmittel der Herrschenden Europas und somit an den Hof gebunden.13 Venedig (und auch seit dem Jahr 1687) bildete dabei die große Ausnahme mit seinen zwar unter aristokratischer Kontrolle stehenden, aber öffentlichen Bühnen.

Nachdem sich Venedig im 9. Jahrhundert vom Byzantinischen Reich und somit auch vom Hof in Konstantinopel langsam zu lösen begann, etablierte sich mehr und mehr die Selbstständigkeit der Stadt bzw. der Republik unter der Führung des Dogen.14 Über die Jahrhunderte hinweg formte sich ein innerpolitisches System, welches nun, zusätzlich zum Dogat, aus verschiedenen Gremien bestand und ausschließlich von Mitgliedern der venezianischen Adelsfamilien (nobili) oder von Vertretern des gehobenen Bürgertums (cittadini) bekleidet

7 Ekkehard Eickhoff, Venedig. Spätes Feuerwerk. Glanz und Untergang einer Republik 1700–1797, Stuttgart 2006, S. 65–67. 8 Vgl.: Ekkehard Eickhoff, Venedig, S. 67f. 9 Vgl.: Ekkehard Eickhoff, Venedig, S. 68–72. 10Vgl.: Ekkehard Eickhoff, Venedig, S. 77–79. 11Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper im 18. Jahrhundert, 2. Auflage, Wilhelmshaven 2006 (Taschenbücher zur Musikwissenschaft 25), S. 12. 12Vgl.: Herbert Schneider und Reinhard Wiesend (Hgg.), Die Oper im 18. Jahrhundert, Laaber 2001 (Handbuch der musikalischen Gattungen, Band 12), S. 9. 13 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Reinhard Strohm, Händels Opern im europäischen Zu- sammenhang, in: Die Oper im 18. Jahrhundert, Kapitel II: Die Welt der , hg. von Herbert Schneider und Reinhard Wiesend, Laaber 2001 (Handbuch der musikalischen Gattungen, Band 12), S. 37. 14Vgl.: Gerhard Rösch, Venedig, S. 38.

7 wurde. Die breite Masse jedoch hatte nicht viel zu sagen.15 Erstere bildeten wohl auch einen beträchtlichen Teil des Opernpublikums in den öffentlichen Theatern des 18. Jahrhunderts, denn Eintritt war allemal zu bezahlen, und das konnte sich nicht jeder leisten, auch wenn die Preise von der Dauermiete einer Loge (palchi) für eine Saison bis zu einem einfachen Platz im Parkett (platea) gestaffelt waren: Die Logenbesitzer waren adelige Familien(mitglieder), meist in staatlicher, höfischer oder privater Funktion, etwas günstigere Plätze wurden allabendlich von der Mittelklasse gekauft. Die Adeligen brachten mitunter Diener mit ins Haus, ihnen und anderen Bediensteten waren die oberen Ränge kostenlos zur Verfügung gestellt16; im Theater Angestellte und die militärische Aufsicht besetzten Korridore und Durchgänge; Studenten, Professoren und Militärangehörige waren in weiteren Boxen untergebracht.17

Einige der nobili famiglie waren es auch, die ein öffentliches Theater unterhielten, die Führung dessen aber einem Impresario, der für sämtliche wirtschaftliche, finanzielle und organisatorische Details zuständig war, über- ließen. 18 Ein Impresario arbeitete immer wirtschaftlich risikoreich: Er war abhängig von Einnahmen durch Logenvermietung und Eintrittskarten, dem gegenüber standen hohe Ausgaben wie (Sänger-)Gagen und für aufwendige Bühnentechnik etc.19

Das erste hofunabhängige Opernhaus, San Cassiano, wurde am 06.03.1637 mit der Aufführung der Andromeda von Ferrari und Manelli eröffnet.20 Es folgten im 18. Jahrhundert unter anderem das Teatro Santi Giovanni e Paolo unter Giovanni Grimani (1639 bis 1748), das Teatro San Moisé der Familie Giustiniani (1640 bis 1685), das Teatro San Salvatore der Familie Vendramin

15Vgl.: Gerhard Rösch, Venedig, S. 112f und 137. 16 Vgl.: Norbert Dubowy und Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume, Sachteil 2, hg. von Ludwig Finscher, zweite, neubearbeitete Ausgabe, u.a. 1995, Sp. 1481. 17Vgl.: Martha Feldman, Opera and Sovereignty. Transforming Myths in Eighteenth-Century , Chicago u.a. 2007, S. 7f. 18Vgl.: Livia Pancino, Art. Venedig, übers. von Dagmar Schnell, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume, Sachteil 9, hg. von Ludwig Finscher, zweite, neubearbeitete Ausgabe, Kassel u.a. 1998, Sp. 1338. 19Vgl.: Norbert Dubowy & Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1468. 20Vgl.: Livia Pancino, Art. Venedig, Sp. 1336.

8 (1661, seit 1875 bis heute Teatro Goldoni), das der Familie Marcello und Cappello (1676 bis etwa 1800) sowie das Teatro San Giovanni Grisostomo der Familie Grimani (1678, heute ).21 Pancino nennt noch das Teatro Novissimo (eröffnet 1641), das Teatro Santi Apostoli (1649) sowie das Teatro San Apollinare (1651). 22 Die Teatri San Angelo und San Giovanni Grisostomo wurden nur zum Zweck von Opernaufführungen gebaut, während die anderen ebenso andere Theaterproduktionen, vor allem Komödien, auf die Bühne brachten.23 Laut Pancino gab es im Venedig des 18. Jahrhunderts

„[...] acht große und fünfzehn kleine Theater, darunter die am besten ausgestatteten für Opera seria, die anderen für (S. Moisé), Marionettentheater (S. Girolamo), für Oper und Komödie (S. Luca, S. Angelo) oder nur für Komödien.“24

Zusammen mit den öffentlichen Theatern bzw. Opernhäusern gab es viele Orte, wo Musik und Oper aufgeführt bzw. ausgeübt wurden: Hierzu zählen noch die sogenannten ospedali 25 , Klöster und Konvente, der Dogenpalast sowie die privat abgehaltenen Akademien.26 Letztere entstanden ursprünglich dort,

„[...] wo höfischer Einfluß mit den Interessen des Großbürgertums bzw. des Klerus zusammentraf [...] [und] die Literatur, Musik und Theater mehr um der Kunst willen pflegten und diskutierten. Sie verfolgten meist klassizistische Ideale, wie z.B. die 1690 gegründete römische Accademia dell’Arcadia [...]“27, der auch der für diese Arbeit später noch wichtig werdende Librettist Pietro

21Vgl.: Simon T. Worsthorne, Venetian Opera in the Seventeenth Century, Oxford 1954, S. 29, 31, 33 und 34f. 22Vgl.: Livia Pancino, Art. Venedig, in: MGG, Sp. 1336. 23Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera and Related Genres, 1660–1760, Stanford 2007 (The Calendar of Venetian Opera)., S. 25. 24 Livia Pancino, Art. Venedig, in: MGG, Sp. 1338. Im Gegensatz zu Selfridge-Field nennt Pancino hier das Teatro San Angelo als Haus für Opern und Komödien. Aufschluss über Opernproduktionen mit Orientbezug speziell an diesem Theater gibt: Melania Bucciarelli, Echi tassiani e rappresentazioni dell’Oriente al Teatro San Angelo di Venezia, in: Le arti della scena e l’esotismo in etá moderna, Atti del convegno internazionale, Neapel, 6.–9. Mai 2004, hg. von Francesco Cotticelli und Paologiovanni Maione, Neapel 2006 (I Turchini Saggi), S. 217–233. 25Das italienische Wort ospedale bezeichnet Waisenhäuser, in denen die Kinder relativ gute bis sehr gute musikalische Ausbildung erhielten. Mehr zur Musikpraxis an den venezianischen ospedali siehe auch: Diana Blichmann, Anmerkungen zur Musik an den venezianischen Ospedali im 17. und 18. Jahrhundert, in: Acta Musicologica 74/1 (2002), S. 77–99. 26Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 14. 27Reinhard Strohm, Händels Opern im europäischen Zusammenhang, S. 37.

9 Metastasio angehörte. Was die ospedali betrifft, so gab es dieser vier (Ospedale dei Mendicanti, Ospedale dei Derelitti bzw. ospedaletto genannt, Ospedale degl’Incurabili und Ospedale della Pietá), die im 17. Jahrhundert musikalische Ausbildung zum Programmpunkt machten.28 Im 18. Jahrhundert waren die Lehrenden Theaterkomponisten, und durch ein sich gerade erst etablierendes Lizenzsystem war es dem Kapellmeister und den Musizierenden San Marcos möglich, auch eine Stelle an den ospedali zum Musikunterricht anzutreten. Dies führte zu einer sehr hohen Ausbildungsqualität und internationalen Bekanntheit. Die Chöre und Ensembles der dort ausgebildeten Musikerinnen (zum größten Teil Mädchen) konnten mit denen der Kapelle San Marco spielend mithalten: „[...] die prachtvolle Musikausübung an San Marco [wurde] überschattet von der der Ospedali.“29

Die Kombination verschiedensten Aufführungsorte mit sich immer wieder ändernden Umständen und Möglichkeiten im Theaterbetrieb und in der Gesellschaft führte zu verschiedensten Gattungsbezeichnungen innerhalb der zur damaligen Zeit konventionellen ernsten und komischen Oper (opera seria und opera buffa).30

Das im 18. Jahrhundert vorherrschende dramma per musica, zu dieser Zeit Parallelbezeichnung für die opera seria, genoss hohes Ansehen nicht nur in Italien und besonders in Venedig (man spricht auch von der Entwicklung der sogenannten Venezianischen Oper ab etwa 1640), sondern verbreitete sich von dort aus nach ganz Europa. 31 Unterschiedliche Gattungsbezeichnungen ergaben sich auch schon im 17. Jahrhundert durch die zu dieser Zeit typische Vermischung von seria- und buffo-Elementen sowie durch Sujet, Handlung und Positionierung der Figuren – also durch Sujets aus dem heroischen, komischen, sakralen, pastoralen oder allegorischen Bereich bzw. durch die vor- herrschenden Rahmenbedingungen. Mit Letzteren sind das höfische oder

28Zu folgenden Ausführungen vgl.: Livia Pancino, Art. Venedig, in: MGG, Sp. 1337. 29Livia Pancino, Art. Venedig, in: MGG, Sp. 1337. 30Siehe auch Anhang: Gattungsbezeichnungen in der erstellten Auflistung der recherchierten Opern von 1740 bis 1750. 31Zu folgendem Abschnitt über die Gattung des dramma per musica und zu weiteren Details bezüglich dessen Entwicklung sowie Konventionen vgl.: Norbert Dubowy und Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1452–1500.

10 öffentliche bzw. kommerzielle Produktionsumfeld gemeint. Die mit der Eröffnung des ersten Opernhauses 1637 in Venedig einsetzende Entwicklung des venezianischen Operntypus brachte im Laufe der Zeit ein einerseits von Konventionen, andererseits von hoher Flexibilität gekennzeichnetes dramma per musica hervor. Diese Flexibilität bedeutete die Möglichkeit der Wiederholbarkeit oder Neuinszenierung. Nach einigen inneren strukturellen Wandlungen und Entwicklungen im 18. Jahrhundert angekommen, war das dramma per musica bis zur Jahrhundertmitte die vorherrschende Gattung. Aufwendig und teuer wurde sie an den Opernhäusern Venedigs produziert, nur bestimmte Häuser konnten baulich dem beweglichen Bühnenbild gerecht werden. Eine typische Praxis war das Austauschen von Arien durch mitgebrachte Arien der Sängerinnen und Sänger, die sogenannten Kofferarien (arie di baule) – Stücke, welche die Auftretenden besonders gut beherrschten und in denen sie ihre gesangliche Kunst brillant zur Schau stellen und dem Publikum Jubel entlocken konnten. 32 Ensembles wurden selten komponiert, allerdings stieg der Anteil oder besser ausgedrückt, die Dichte der Instrumental- musik beispielsweise in der Gesangsbegleitung oder in den Ritornellen der Arien. Heroisch-historische Sujets kamen in Mode und nahmen überhand über bis dahin bestehende mythologische Sujets, verdrängten diese allerdings nicht ganz.33 Durch immer wieder neue Reformen entwickelte sich die opera seria ständig weiter und „überlebte“ somit als Gattung. Die Folgen der Weiterentwicklung, auch die Verzahnung aus heiteren und ernsten Elementen, führten Ende des Jahr-hunderts zur Mischgattung der opera semiseria. Zusätzlich wurden innerhalb solcher Produktionen Tänze (balli), komische Intermezzi und Kampfszenen gezeigt,34 „Ballett und Tanz sind [schon im 17. Jahrhundert, EP] wesentliche Bestandteile des Dramma per musica.“ 35 So

32Zur Arienpraxis und deren Konventionen im 18. Jahrhundert siehe zusätzlich auch: Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 42–96; Helga Lühning u.a., Art. Arie, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume, Sachteil 1, hg. von Ludwig Finscher, zweite, neubearbeitete Ausgabe, Kassel u.a. 1994, Sp. 816–823; sowie M. F. Robinson, The Aria in Opera Seria, 1725–1780, in: Proceedings of the Royal Musical Association, 88th Sess. (1961–1962), S. 31–43. 33Strohm fügt dem noch das Zurückgehen des damals konventionellen deus ex machina und der Allegorie hinzu. Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 97. 34Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 14. 35 Norbert Dubowy und Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1463. Weiterführende Literatur zum Thema „dramma per musica“ siehe: Reinhard Strohm, Dramma per Musica. Italian Opera Seria of the Eighteenth Century, Yale u.a. 1997.

11 zeigen sich vor allem im Tanz auch schon früh exotische Elemente (siehe auch Kapitel 3).36

Die andere große Strömung im Musiktheater des 18. Jahrhunderts war die opera buffa.37 Während sich die opera seria nach der seit dem 17. Jahrhundert angewandten Aristotelischen Theorie an der Tragödie mit aristokratischen Inhalten, mythologischen Charakteren und hohen Ereignissen orientierte, repräsentierte die komische Oper die Komödie mit bürgerlichen oder niederen Charakteren und Situationen, komischen Stoffen und großem Einfluss der Commedia dell’arte: Zuerst auch als commedia per musica und Mitte des Jahrhunderts als per musica bezeichnet, wurde daraus die opera buffa, ebenfalls mit verschiedensten Unterbezeichnungen.38 Ursprünglich (im 17. Jahrhundert) als komische Zweithandlungen in ernsten Opern aufge- führt, etablierten sich die buffo-Stränge zu eigenständigen Werken, vor allem in Neapel. Von dort aus über Rom verbreitete sich die neapolitanisch geprägte opera buffa, bis auch Venedig Zentrum dieser Gattung wurde. Die opera buffa hatte großen Erfolg in Venedig, als Gegensatz zur ernsten Repräsentationsoper der Adeligen, war die venezianische Gesellschaftsstruktur doch vielschichtig. Wie auch in der opera seria waren in der opera buffa Bearbeitungen bei Wiederaufführungen oder zahlreiche Neuvertonungen Usus und wurden vor allem an die Sängerinnen und Sänger, im 18. Jahrhundert bereits als Stars gehandelt, angepasst. Es wurde großer Wert nicht nur auf die Sangeskunst, sondern auch auf Mimik, Gestik und schauspielerische Fähigkeiten der Darstellerinnen und Darsteller sowie auf das Kostüm gelegt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts allerdings ging die komische Gattung der Oper ihrem Ende zu.

Zusätzlich zu dem Problem der Ausuferung der Definition bzw. Untergattungen von Oper im Venedig des 18. Jahrhunderts kommt die Einteilung in die bespielten und nicht bespielten Zeitabschnitte während des Jahres sowie die

36Vgl. dazu den Artikel von Irene Alm, Dances from the “Four Corners of the Earth”. 37Zu folgenden Ausführungen vgl.: Norbert Dubowy und Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1479f. 38Zu folgendem Abschnitt über die opera buffa sowie zu weiteren Details ihrer Entwicklung und Konventionen vgl.: Reinhard Wiesend, Art. Opera buffa, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume, Sachteil 7, hg. von Ludwig Finscher, zweite, neubearbeitete Ausgabe, Kassel u.a. 1997, Sp. 653–665.

12 damit verbundene zeitlich exakte Einordung der Werke. 39 Im Venedig des 18. Jahrhunderts gab es verschiedene Kalenderzählungen, so beispielsweise das Verwaltungsjahr, das liturgische Jahr, das in Sommer- und Winterperiode zweigeteilte Regierungsjahr mit der dazwischenliegenden Sommerfrische (villegiatura) sowie das Geschäftsjahr (Sängerinnen und Sänger etwa waren nach Geschäftsjahr engagiert). Die Theatersaisonen (stagioni) bewegten sich hauptsächlich zwischen Verwaltungs- und liturgischem Jahr: Religiöse Feste und verwaltungstechnische Termine oder Rituale beeinflussten den Theater- kalender. So ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, Werke einzuordnen und das Problem, aufgrund verschiedener Chronologien (jährlich versus saisonal) das richtige Jahr einer Opernproduktion zu fixieren. Den Weg, den Selfridge- Field gewählt hat und der auch hier für die Erstellung der Liste (siehe Anhang) übernommen wurde, um zu einer brauchbaren Einordnung zu kommen, ist die Verwendung der in den Libretti und musikalischen Quellen angegebenen Saison.

Unter diesen Rahmenbedingungen und dem Druck, Opernproduktionen wirtschaftlich rentabel zu organisieren, angefangen von beispielsweise Verträgen und Gagen der Aufführenden und Produzierenden über die Finanzierung des Bühnenbildes und was sonst noch alles anfällt, um einen derartigen Betrieb am Laufen zu halten, kamen das zahlende Publikum oder von den Adeligen eingeladene Gäste in den Genuss unterhaltsamer Abende. „Die Opernbesuche dienten weitgehend sozialem Austausch und die Logen als Treffpunkte der feinen Gesellschaft.“40 Man ging also in die Oper, um zu sehen und um gesehen zu werden, die Stars auf der Bühne zu bejubeln; es wurde gegessen, getratscht, diskutiert, ge- und verspielt, Heirats- und sonstige Politik betrieben.41 Durch diese „lebhaften“ Aktionen während eines Opernbesuches ergaben sich flexible Elemente, zu denen im Gegensatz zu fixierten Elementen der Dramaturgie des Abends spontaner Applaus, Geflüster, Rufen, das

39 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 13, 15 und 22–25. Detailliert setzt sich Selfridge-Field in einem eigenen Band mit der Zeitzählung und den Theatersaisonen des frühmodernen Venedigs auseinander: Song and Season. Science, Culture, and Theatrical Time in Early Modern , Stanford 2007 (The Calendar of Venetian Opera). 40Norbert Dubowy und Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1481. 41Vgl.: Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 11.

13 Ignorieren und Ablenken von der Bühnenaktion, Klatschen-wenn-der- anwesende-Herrscher-klatscht, Bejubeln oder Buh-Rufe in Reaktion auf Arien oder Kadenzen etc. vom Publikum gehörten sowie Improvisationen, Substituieren, Hinauszögern von Rezitativen, das Verlassen der Rolle etc. seitens der Darstellenden – dies beinhaltete oft auch einfach das Streichen einer ganzen Rolle aufgrund des Nichterscheinens einer Darstellerin oder eines Darstellers.42

Die politische Nutzung des dramma per musica als Repräsentationsform mit seinen historischen und mythologischen Sujets, welche höfische Verhaltens- weisen und Themen vorspiegelten und somit auch Vorbild sein sollten, wurde unter anderem auch an der Ausdekorierung des Saales mit Wappen, der Gestaltung des Bühnenbildes, den hierarchischen Anordnungen der Logen sowie der Nutzung des Saales für Bälle und Schauessen deutlich. 43 Die barocke Theaterarchitektur mit hierarchischem Zentrum wird der politischen Herrschaftsform der Zeit gerecht. 44 Die reiche Aristokratie und die Höfe finanzierten die italienische opera seria. 45 So ist es kein Wunder, dass die ernste „[...] Barockoper aus dem höfischen Fest erwachsen [ist].“46 Weiters war sie durch ihre historischen Sujets mit Bezug zur eigenen, römischen Geschichte und durch die Verfassung der Texte in toskanischer Sprache nationales Symbol und nationale Kunstform sowie touristische Einnahmequelle und wurde besonders im Carnevale gefeiert.47

Neukompositionen bzw. -produktionen kamen und gingen also im Eiltempo, was einen kontinuierlichen Wechsel selbiger Aufführungen bedeutete: „Productions lastet an average of three weeks.“48 Mit ein Grund schien auch das immer wieder gleiche Publikum gewesen zu sein, von dem man abhängig

42Vgl.: Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 19. 43Vgl.: Herbert Schneider und Reinhard Wiesend (Hgg.), Die Oper im 18. Jahrhundert, S. 12. 44Vgl.: Anselm Gerhard, Rollenhierarchie und dramaturgische Hierarchien in der italienischen Oper des 18. Jahrhunderts, in: Opernheld und Opernheldin im 18. Jahrhundert. Aspekte der Librettoforschung. Ein Tagungsbericht, hg. von Klaus Hortschansky, Hamburg u.a. 1991 (Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster, Band 1), S. 35. 45Vgl.: Norbert Dubowy und Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1481. 46Anselm Gerhard, Rollenhierarchie und dramaturgische Hierarchien, S. 37. 47Vgl.: Norbert Dubowy und Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1481f. 48Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 25.

14 war und dem Abwechslung geboten werden wollte.49 So

„[...] überlebten die meisten Opern die Saison nicht – während andererseits die Oper der nächsten Saison sehr ähnlich klingen konnte, übernommene Einzelstücke aus früheren Partituren (ob vom selben Autor oder nicht) enthalten durfte und überhaupt nach demselben Schema angelegt [...]“50,

Pasticcio genannt, wenn sie aus alten und neu komponierten Stücken mehrerer Komponisten zusammengesetzt war.51 Die sogenannten Repertoireopern, die in heutiger Zeit das Gros der an Opernhäusern zu hörenden und zu sehenden Werke ausmachen, bildeten sich erst Anfang des 19. Jahrhunderts heraus.52

Arien wurden also für die gerade engagierten Sängerinnen und Sänger komponiert, um deren gesangliche Fähigkeiten glanzvoll zur Geltung zu bringen. Wenn der Sängerin bzw. dem Sänger eine Arie nicht gefiel, zu schwer oder anspruchslos war, wurde sie, wie bereits oben erwähnt, durch eine Kofferarie ausgetauscht.53 Zumindest galt dies für den Star im Ensemble, der mit seinem künstlerischen und gesellschaftlichen Prestige und horrender Bezahlung den anderen die Show stehlen konnte: „Singers ruled over the performative event [...].“ 54 Sie waren es auch, von denen ein Erfolg der Produktion abhing – nicht etwa von Handlung und Komposition.55 Sängerinnen und Sänger waren meist nur für eine Produktion oder stagione engagiert, danach hatte der Impresario wieder eine neue Besetzung zu organisieren und natürlich zu versuchen, die gerade aktuellen Stars der Opernwelt zu engagieren, um Publikum ins Theater zu locken.56 Verbunden mit dieser Praxis des ständigen Wechsels an Produktionen und Sängerbesetzung standen also etliche Neuvertonungen von Libretti am Programm, die meist schon existierten und an die Sängerinnen und Sänger angepasst werden mussten:

„Im Falle [...] der opera seria wäre es das Drama, d.h. der Text, der immer wieder von den Komponisten neu musikalisch eingekleidet wird. Dabei hat er [der Komponist, EP] sich aufmerksam nach den Theaterverhältnissen zu richten, für die

49Vgl.: Norbert Dubowy und Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1468. 50Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 20. 51Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 20. 52Vgl.: Herbert Schneider und Reinhard Wiesend (Hgg.), Die Oper im 18. Jahrhundert, S. 11. 53Vgl.: Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 14. 54Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 18. 55Vgl.: Norbert Dubowy und Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1477. 56Vgl.: Norbert Dubowy und Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1484.

15 er arbeitet, besonders nach den Fähigkeiten und Ansprüchen der Schauspieler- Sänger. Durch sie wird auch seine Freiheit, ein Libretto musikalisch neu und eigenwillig zu interpretieren, teilweise beschränkt [...].“57

Die Neuvertonungspraxis wird wieder gut am Beispiel von Metastasios dramma per musica Alessandro nell’Indie sichtbar, welches zahlreiche Neuvertonungen und damit verbundene -aufführungen in den verschiedensten italienischen Städten erfuhr (siehe auch Kapitel 4.2 und 4.2.2). Von diesen vielen kurz- lebigen Produktionen allgemein sind von musikalischer Seite gesehen nur wenige Musikdrucke erhalten geblieben, und diese teilweise nur fragmen- tarisch. Im Gegensatz dazu existieren allerdings relativ viele Libretti, denn diese wurden für das Publikum gedruckt und konnten von demselben erworben werden, um während der Aufführung mitzulesen. In diesen Drucken sind Titel des Werkes, Saison und Jahr, Librettist, Besetzung sowie Aufführungsort angegeben, was die Rekonstruktion aufgeführter Werke und deren Beteiligten erheblich erleichtert. Auch sind in diesen Libretti wertvolle Hinweise zu etwaigen exotischen Elementen einer Opernproduktion zu finden (siehe Kapitel 3 und 4.2.1).

Ein wichtiger Beitrag zur Chronologie der Aufführungen in Venedig stammt von Taddeo Wiel, der Ende des 19. Jahrhunderts versuchte, Opernaufführungen im Venedig des Settecento zu erfassen.58 Neben Wiel und einigen anderen sind die Kataloge von Antonio Groppo59 und Claudio Sartori60 nur zwei der wichtigen Grundlagen für die heutige Opernforschung in Bezug auf Venedig. Unter anderem basierend auf Wiel, Groppo, Sartori und einigen weiteren, hat Eleanor Selfridge-Field ihre hier bereits öfter zitierte New Chronology of Venetian Opera and Related Genres, 1660–1760 erstellt, von der ausgehend die sich im Anhang befindliche Liste der aufgeführten Opern von 1740 bis 1760 erarbeitet und daraus Werke mit Anzeichen von Fremdartigkeit gefiltert wurden. Aus dem Pool der entstandenen Liste sollen nun im folgenden Kapitel einige Beispiele

57Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 19. 58Siehe: Taddeo Wiel, I teatri musicali veneziani del settecento, Nachdruck der Originalausgabe Venedig 1897, Leipzig 1979. 59Siehe: Antonio Groppo, Catalogo di tutti drammi per musica recitati ne` teatri di Venezia dell’anno 1637 in cui ebbero principio le pubbliche rappresentazioni de` medesimi sin all’anno presente 1745, Venedig 1745. 60Siehe: Claudio Sartori, I Libretti Italiani a Stampa dalle Origini al 1800. Catalogo Analitico con 16 Indici, 7 Bände, Cuneo 1990–1994.

16 vorgestellt werden, an denen man die verschiedenen Möglichkeiten von Anzeichen von Fremdartigkeit in den Opernproduktionen Venedigs der damaligen Zeit anhand des sehen kann.

Schwieriger ist die Rekonstruktion von Bühnenbild und Kostümen – und dies betrifft natürlich auch die Abbildung exotischer Elemente – in ihrer tatsächlichen Umsetzung. Dazu müsste man über genügend Beschreibungen von etwa Opernbesucherinnen und -besuchern sowie Reisenden der damaligen Zeit, Briefe, Kritiken, Abbildungen in Zeitungen oder anderen Blättern und Schriften oder über Künstlerportraits sowie Szenenentwürfe etc. verfügen, und dies würde sicherlich eine eigene Arbeit füllen. Hinzu kommt bezüglich der Künstler- portraits als beispielsweise Kostümquelle, dass in der Zeit der Barockoper „[...] eine typisierte und stilisierte Art des Spiels der [Sängerinnen und, EP] Sänger angewendet [wurde]“61, individuelle Charakterdarstellungen waren erst Ende des 18. Jahrhunderts Usus.62

Großen Aufschluss über visuelle Elemente des Theaters, unter anderem Theaterarchitektur, Anordnung von Publikumsraum zur Bühne und Orchester und Bühnenbild sowie Kostüme, und ihre Wechselwirkungen mit der bildnerischen Kunst, gibt Tintelnot mit vielen Bildern, detailreich und mit architektonischem Schwerpunkt in seiner Entwicklungsgeschichte der Fest- und Theaterdekoration. 63 „Niemals intim, kleinräumig oder anmutig, sind diese ernsthaften, stilisierten Raumideen ein würdiger Rahmen des ausladenden Stils der opera seria.“64 Auch Wolff vermittelt bezüglich der Darstellung in Opern einen interessanten Überblick mit charakteristischen Abbildungen für den Zeitraum von 1600 bis 1900, in dem sich auch exotische Bühnenbilder wiederfinden (siehe auch Kapitel 3). 65 Nach der Erfindung einer (für die damalige Zeit) ausgereiften Bühnentechnik, die schnelle Bildwechsel, das Herein-, Auf- und Abschweben und aus dem Nichts erscheinende Götter etc.

61Hellmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung von 1600 bis 1900, 3. Auflage, Leipzig 1985 (Musikgeschichte in Bildern, Band IV/1: Musik der Neuzeit), S. 5. 62Vgl.: Helmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung, S. 5. 63Siehe: Hans Tintelnot, Barocktheater und barocke Kunst. Entwicklungsgeschichte der Fest- und Theater-Dekoration in ihrem Verhältnis zur barocken Kunst, Berlin 1939. 64Hans Tintelnot, Barocktheater und barocke Kunst, S. 78. 65Siehe: Hellmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung.

17 (Maschinenoper) möglich machte, wurde diese im 18. Jahrhundert in der Wirkungsepoche des Metastasio erneuert und brachte Vereinfachungen 66 – wohl, da aufwendige und technisch komplizierte Bühnenbilder und Inszenierungen hinderlich waren für die Verbreitung der Werke.67 Im 17. und wiederkehrend im 18. Jahrhundert

„[...] gehörten [zu den Dekorationen der venezianischen Oper] Garten, Straße, Platz, Saal, Hof, Kerker, Fluß (Hafen), Wolken, Treppen, Grotten, Turm, Theater auf dem Theater, Zimmer – die Intimität von Schlafzimmern mit Bett und Spiegeln war bereits im 17. Jahrhundert eine Besonderheit für Venedig.“68

Laut Feldman waren Naturkomponenten wie beispielsweise Gärten mit Brunnen, großzügige Landschaften oder bukolische Motive Standard.69 Was die Kostüme betrifft, so gingen diese – vor der Verwendung historischer Kostüme in der Oper des 19. Jahrhunderts – aus der Mode der jeweiligen Zeit hervor.70 Mitte des 18. Jahrhunderts waren weibliche Hauptpersonen sowie Chor mit Röcken, Reifröcken und Krinolinen ausgestattet, die Taille war eng geschnürt und auch männliche Darsteller fügten sich der aktuellen Mode. Doch wie im Bühnenbild, so wirkte sich auch die oben erwähnte Vereinfachung auf die Kostüme aus, jene der opera seria bestanden nun aus einfachen, klassizistischen Gewändern, ohne Perücken und sogar die Arme und Beine blieben mit der Zeit unbedeckt. In den Kostümen waren aber auch, wenn dem Sujet entsprechend, exotische Elemente zu finden, ein Beispiel hierfür wäre das typische Türkenkostüm mit Turban und Krummsäbel71 (siehe auch Kapitel 3).

66Vgl.: Hellmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung, S. 8f. 67Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 177. 68Hellmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung, S. 9. 69Vgl.: Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 147f. 70Zu folgenden Ausführungen vgl.: Hellmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung, S. 11–13. 71Vgl.: Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper und seine szenische Realisation (1850 – 1910). Unter besonderer Berücksichtigung der Münchener Oper, Anif/Salzburg 1993 (Wort und Musik Salzburger Akademische Beiträge, Nr. 17), S. 19.

18 3 Ausdrucksformen von Fremdartigkeit in Venedigs Opernproduktionen Mitte des 18. Jahrhunderts

Bei der Studie der Libretti der Opernproduktionen Venedigs von 1740 bis 1750 nach der Chronologie von Eleanor Selfridge-Field72 fällt auf, dass ein Großteil der Opern bezüglich des Kriteriums Anzeichen von Fremdartigkeit bzw. Exotismus von Relevanz ist (siehe auch Auflistung im Anhang). In vielen der Libretti existieren Hinweise auf Fremdartigkeit, etwa in der Bühnenbild- und/oder Kostümbeschreibung der einzelnen Szenen, im Text der Figuren selbst oder in der Auflistung der Charaktere bzw. der Namensgebung am Anfang eines Librettos. Letztere Kategorie bleibt oft die einzige (vor allem bei den typisch mythologischen Sujets), anhand der sich vermuten lässt, dass sich Figuren auch in ihrem Handeln und ihrem Charakter als fremd gegen- überstehen – beispielsweise zwei Herrscher verschiedener Reiche, die ihre Konflikte austragen. In solchen Fällen wäre eine nähere Charakteranalyse der Figuren erforderlich, wie sie am Beispiel in Kapitel 4.2.1 durchgeführt wird.

Was das Bühnenbild und die Kostüme betrifft, so ist es schwieriger zu sagen, wie dem Publikum im 18. Jahrhundert der visuelle Anteil der konkreten Opernproduktionen bezüglich Fremdartigkeit bzw. Exotismus tatsächlich präsentiert wurde und wie etwaige Szenenanweisungen tatsächlich umgesetzt wurden. Dass Fremdes bzw. Exotisches auf der venezianischen (bzw. italienischen) Bühne sichtbar gemacht wurde, steht aber fest. In Wolffs Bilderzusammenstellung über die szenische Darstellung in der Oper findet man auch einige interessante Hinweise. So ist beispielsweise ein Bühnenentwurf aus der Theaterarchitektenfamilie Galli-Bibiena aus der Zeit um 1750 enthalten, der stark Elemente chinesischer Häuser und Tempel einbezieht (siehe Abb. 1), ganz entsprechend der damaligen Chinoiserien-Mode, die sich auch auf Opernhandlungen und -darstellungen auswirkte.73

72Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 466–532. 73Vgl.: Hellmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung, S. 104.

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Abb. 1: Bühnenentwurf von Antonio oder Giuseppe Galli-Bibiena, um 1750.74

In ganz Europa waren Chinoiserien Mode, und die asiatischen Motive zogen sich durch Architektur, Malerei, wurden in sämtlichen Kunstdisziplinen aufge- sogen.75 Porzellan, Seide, Teezeremonien und überschwängliche Dekoration waren bereits seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts äußerst beliebt, die Adeligen Europas ließen Palais, Lustschlösser in asiatischer Manier bzw. in orientalischem Stil bauen. Der Orientalismus ergänzte hervorragend den üppigen Stil des Rokoko. Der ostasiatische Stil beeinflusste auch Gelehrte, Wissenschaftler und Philosophen der Zeit, drang so in sämtliche Bereiche der Kunst, Literatur und Philosophie vor. Laut Gulrich gelangte der Einsatz der Mischung aus Rokokostil und asiatischen Elementen um etwa 1750 zum Höhepunkt, es wurden „[...] Pagoden, geschwungene Dächer, Glöckchen, Buddhafiguren, Innenräume mit chinoisen Tapisserien, Vasen, Tafeln mit chinesischen Schriftzeichen, Drachenembleme oder Schirme“ 76 verwendet. Beispielsweise sind im noch bewohnten Palazzo Malipiero in Venedig, der mit Mobiliar des 18. Jahrhunderts ausgestattet ist, orientalische Einrichtungsstücke

74Lavierte Federzeichnung (182x306 mm)/Wien, Bibliothek der Akademie der Bildenden Künste, Inv.-Nr. 22164; in: Hellmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung, S. 104f, Abb. 86. 75Zu folgenden Ausführungen über Chinoiserie und Orientalismus vgl.: Klaus von Beyme, Die Faszination des Exotischen. Exotismus, Rassismus und Sexismus in der Kunst, München 2008, S. 49–51. 76Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 19.

20 und Dekorationen, wie asiatische Figuren (von der Besitzerin liebevoll restauriert, siehe Abb. 2), ein Paravent mit asiatischen Motiven sowie Stühle mit neuem, aber an den Usus des 18. Jahrhunderts angelehnten Stoffbezug, der ebenfalls asiatische Motive zeigt, vorhanden. Das verwundert alles nicht, wenn man bedenkt, dass

„the Orient is not only adjacent to Europe; it is also the place of Europe’s greatest and richest and oldest colonies, the source of its civilizations and languages, its cultural contestant, and one of its deepest and most recurring images of the Other. In addition, the Orient has helped to define Europe (or the West) as its contrasting image, idea, personality, experience. [...] The Orient is an integral part of European material civilization and culture.“77

Abb. 2: Restaurierte asiatische Figur aus dem 18. Jahrhundert im Palazzo Malipiero, Venedig.78

77Edward W. Said, Orientalism, 25th Anniversary Edition With a New Preface by the Author, New York 2003, S. 1f. 78Porzellanfigur, bemalt/Venedig, Palazzo Malipiero. Foto: ©Elisabeth Probst, 05.03.2013. Mit freundlicher Genehmigung von Signora Barnabó, Besitzerin des Palazzo.

21 Ende des 18. Jahrhunderts zur klassizistischen Epoche hin entsprach das Orientalische im gesellschaftlichen Alltagsleben immer weniger dem herrschenden Geschmack und wurde durch eine regelrechte Ägyptomanie ersetzt, unter anderem bedingt durch den Ägyptenfeldzug Napoleon Bonapartes. Alexander der Große mit seinem Orientfeldzug war hier ein regel- rechtes Verherrlichungsvorbild.79 Diese Zeit allerdings fällt nach Said ungefähr mit dem Beginn des Analysierens, Diskutierens und Auseinandersetzens mit dem Orient zusammen und er bezeichnet „[...] Orientalism as a Western style for dominating, restructuring, and having authority over the Orient.“ 80 Kurz gesagt, dieser Diskurs führte zur Orientalisierung des Orients, also vom realen zum kreierten Ort.81

Doch nicht nur Asien wurde im Europa des 18. Jahrhunderts rezipiert. 82 In herrschaftlichen Umzügen beispielsweise Ludwig des XIV. sowie in Huldigungs- fresken waren Darstellungen der vier Kontinente typisch. Vorlagen dazu waren ikonografische Bücher sowie Reiseberichte; Symbole der jeweiligen Kontinente und Tierzeichnungen waren nicht selten zu finden. Ein weiteres Beispiel für den Einfluss dieses Trends auf das Geschehen auf den Opernbühnen zeigt sich beispielsweise bei Alessandro Mauro, der in Dresden tätig war und aus der schon im 17. Jahrhundert in Venedig und München als Theaterdekorateure aktiven Familie Mauro stammte. Er arbeitete exotische Motive in seine Bühnen- bilder ein, darunter Elemente der damals aktuellen China- und Orientmode – mit vielen eigenen Ideen, aber auch Übernahmen. So hatte er beispielsweise die oben erwähnten Umzüge (Carrousels) Ludwig des XIV. für einige Kostüme zum Vorbild (siehe Abb. 3).83

In der Zeit des Barock waren exotische Kostüme auf der Bühne nur für Männer Usus, Frauen trugen das der zeitgenössischen Mode entsprechende Gewand84

79 Vgl.: Klaus von Beyme, Die Faszination des Exotischen, S. 53; sowie Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 18. 80Edward W. Said, Orientalism, S. 3. 81Vgl.: Edward W. Said, Orientalism, S. 5. 82 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Klaus von Beyme, Die Faszination des Exotischen, S. 47–49. Zu den Triumphzügen schon im 16. Jahrhundert siehe ebenso: Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 16. 83Vgl.: Hans Tintelnot, Barocktheater und barocke Kunst, S. 86 und 90. 84Vgl.: Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 19.

22 (siehe auch Kapitel 2). Wolff zeigt einige Bilder verschiedener damals als exotisch empfundener Völker auf der Bühne, darunter Äthiopier, Polen, Afrikaner. Auf der Bühne des Barock besonders gern gesehene Figuren waren die Türken, auch wegen ihrer politischen Präsenz im europäischen Raum.85 Nicht allein die Türkenbelagerungen Wiens der Jahre 1529 und 1683 waren einschneidende Ereignisse: Europäische Landstriche, darunter Teile Griechen- lands und des Balkans, wurden von den Türken kontrolliert und es bestand größte Rivalität mit Venedig um die Beherrschung verschiedenster Mittelmeer- inseln und -häfen. So übte dieses Volk Schrecken und gleichzeitig Faszination auf die Bevölkerung Europas aus, was unter anderem in Malerei – mit Motiven türkischer Paläste und Gesandter in imposanten Roben und Turban – Literatur und Bühnenwerken mit türkischen Charakteren Verarbeitung fand.86 Besonders zu spüren war diese Ambivalenz auch in Venedig: Als Tor Europas und Handelszentrum zum Osten mächtig und reich, protektierte die Stadt türkische Kaufleute, um diesen Status zu erhalten, doch auf der anderen Seite herrschte Misstrauen und große Abneigung. Schließlich verlor Venedig durch Konflikte mit den Türken in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts seinen Status als wirtschaftliches und politisches Machtzentrum Europas. 87 Die heraus- stechendsten Merkmale des türkischen Kostüms waren Krummsäbel und Turban (siehe Abb. 4); für indische oder chinesische Charaktere waren Pluder- hose oder Schnabelschuhe, für Amerikaner Federkronen und Federröcke ein Muss – meist verbunden mit dem zeitgenössischen Kostüm.88

85Vgl.: Hellmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung, S. 12. 86 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism. Images and Reflections, Cambridge u.a. 2009, S. 110f. Weiters siehe auch: Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 17. 87Vgl.: Melania Bucciarelli, Venice and the East: Operatic Readings of Tasso’s Armida in Early Eighteenth-Century Venice, in: Music as Social and Cultural Practice. Essays in honour of Reinhard Strohm, hg. von Melania Bucciarelli und Berta Joncus, Woodbridge 2007, S. 232. 88Vgl.: Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 19.

23

Abb. 3: Mohrenläufer-Kostüm aus einer Quadrille August des Starken, Dresden, um 1720.89

Abb. 4: Kostümentwurf von Francesco Ponte zur Oper Solimano, VII: Rusteno (Il Signor Führich). UA: Dresden, 1753.90

89Handzeichnung/Kupferstichkabinett Dresden; in: Hans Tintelnot, Barocktheater und barocke Kunst, Abb. 47. 90Feder in Pinsel und Grau, laviert und aquarelliert, 278x199 mm/Wien, Albertina, Sign. 4587; in: Hellmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung, S. 108f, Abb. 92. Mit freundlicher Genehmigung der Albertina Wien.

24 Doch war Exotismus im 17. und 18. Jahrhundert nichts Neues, schon „[...] in der frühen Zeit wurden exotische Elemente in die eigene antike und christliche Bildwelt eingebaut [...].“91 In Antike und Mittelalter bestanden bereits „kulturelle Wechselbeziehungen zwischen Europa und dem Orient [...]“92 Ereignisse wie die Kreuzzüge, Handelsbeziehungen zum Fernen Osten, Reisen wie die des Marco Polo oder des Vasco da Gama unterstützten dies, Venedig war für den Handel mit den kostbaren, weitgereisten Waren Umschlagplatz für ganz Europa. Seit der Renaissance wurden Reiseberichte interessant, die fürstlichen Kunst- und Wunderkammern des 16. Jahrhunderts waren gut gefüllt und im 17. Jahrhundert schließlich fanden sich Waren aus aller Welt in den wohlhabenden Kreisen des Bürgertums und die oben genannten Triumphzüge in herrschaftlichen Kreisen kamen in Mode.93 Kein Wunder, dass sich diese zuerst politischen, kaufmännischen Wechselbeziehungen zwischen den Kulturen und dann die Offenheit gegenüber dem Fremden auf die Künste auswirkten. 94 Zuerst angewiesen auf Reiseberichte, standen ab dem 18. Jahrhundert auch wissenschaftliche Berichte zur Verfügung, um die Künstlerinnen und Künstler zu inspirieren. (Später, im 19. Jahrhundert waren unter anderem die Pariser und Londoner Weltausstellungen maßgeblich, was öffentlich zugängliches Anschauungsmaterial betraf.95)

Wie oben bereits erwähnt, sind relativ wenige Musikhandschriften, -abschriften oder -drucke erhalten, sodass für die wenigsten Werke auch eine ausreichende musikalische Analyse im Hinblick auf etwaige Anzeichen von Fremdartigkeit bzw. Exotismus in der Musik erstellt werden kann. Jedoch gibt es einige Studien, die über den Aspekt des Fremden in der Musik selbst Aufschluss geben, wobei das ausdrückliche Verwenden musikalischer Elemente fremder Kulturen erst im 19. Jahrhundert wirklich gängig wird und sich der Terminus des

91Klaus von Beyme, Die Faszination des Exotischen, S. 10. 92 Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 7. Zum Thema „Asiatische Elemente in italienischer Kunst der Frührenaissance“ siehe beispielsweise: Leonardo Olschki, Asiatic Exoticism in Italian Art of the Early Renaissance, in: The Art Bulletin Vol. 26/Nr. 2 (1944), S. 95–106. 93Vgl.: Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 7f. 94Klaus von Beyme gibt in seinem Buch Die Faszination des Exotischen zahlreiche Beispiele aus künstlerischen Feldern, vor allem aber der Malerei, zum Thema Exotismus quer durch die Jahrhunderte. 95Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 8f.

25 Exotischen in den der couleur local wandelt.96 Laut Betzwieser geht die erste Rezeption nicht-europäischer Musik auf die arabische Kultur auf der iberischen Halbinsel im 9. Jahrhundert zurück – bedingt durch die kulturellen Wechsel- beziehungen, von denen „das Phänomen des musikalischen Exotismus [...] nicht zu lösen [ist] [...].“ 97 Doch auch schon im Mittelalter begegneten sich jüdische Melodien und gregorianische Choräle, später wurden orientalische Elemente über Troubadourlyrik (Spanien, Südfrankreich) und persische sowie arabische Elemente in italienischen Liedern rezipiert. 98 Auch im Bereich der Musik dienten entweder direkter Kontakt (beispielsweise war die sogenannte Janitscharenmusik vor allem seit der Türkenbelagerung Wiens und in Zusammenhang mit türkischen Gesandten bekannt99) oder schriftliche Quellen wie beispielsweise Reiseberichte und Abhandlungen orientalischer Literatur und im 18. Jahrhundert zusätzlich die zuerst vor allem in Frankreich aufkommenden wissenschaftlichen Berichte über den Orientalismus als Überlieferungs- grundlage für europäische Künstlerinnen und Künstler. Bis Ende des 18. Jahr- hunderts waren es hauptsächlich Franzosen, die sich mit Musiktheorie bezüglich nichteuropäischer Musik beschäftigten, und die französischen Jesuiten, die durch ihre Missionen chinesische Musik rezipierten.100 Ein Detail, das man im Hinterkopf behalten sollte, ist, dass der Exotismusbegriff der damaligen Zeit von einer eurozentrischen Sichtweise ausging, somit im Blick auf die Musik die abendländische Kunstmusik als Bezugssystem voraussetzte, was auch zu einem bestimmten Teil ein Authentizitätsproblem mit sich brachte 101 , Schwierigkeiten mit der Notation im europäischen Notensystem waren vorprogrammiert.102 Eine weitere Gratwanderung stellt das Problem der Unterscheidung zwischen exotischen und volkstümlichen Elementen in der Musik dar und ist ebenfalls immer mitzudenken.103 Fremdes wurde sowohl in Instrumentalmusik (zum Beispiel die im 18. Jahrhundert oft gebrauchte Türken-

96Vgl.: Thomas Betzwieser und Michael Stegemann: Art. Exotismus, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume, Sachteil 3, hg. von Ludwig Finscher, zweite, neubearbeitete Ausgabe, Kassel u.a. 1995, Sp. 231. 97Thomas Betzwieser und Michael Stegemann: Art. Exotismus, in: MGG, Sp. 228. 98Vgl.: Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 25f. 99Vgl.: Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 22. 100Vgl.: Thomas Betzwieser und Michael Stegemann: Art. Exotismus, in: MGG, Sp. 228–230. 101Vgl.: Thomas Betzwieser und Michael Stegemann: Art. Exotismus, in: MGG, Sp. 227f. 102Vgl.: Ragnhild Gulrich, Exotismus in der Oper, S. 24. 103 Vgl.: Thomas Betzwieser und Michael Stegemann: Art. Exotismus, in: MGG, Sp. 228.

26 musik mit alla turca-Schlagwerkbesetzung und beschleunigendes Terzenmotiv) als auch, wenngleich seltener, in Vokalmusik (beispielsweise schon bei Orlando di Lasso) gezeigt, kam im 17. und 18. Jahrhundert jedoch am häufigsten in Oper und Ballett vor. Im 18. Jahrhundert überwog vor allem das türkische Paradigma, das sich spätestens seit Mozarts Entführung aus dem Serail (1782) voll etabliert hatte.104 In Frankreich stellten Lullys Le Bourgeois gentilhomme (1670) sowie Rameaus Les Indes galantes (1735) Paradebeispiele für Exotismus in der Oper dar.105 Locke befindet Ersteres sowie Belshazzar von Händel als typische Beispiele für die Zeit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: „[...] they employ dramatic (verbal and scenic) devices that register as overtly exotic but musical devices that – either for the most part […] or entirely […] – do not.”106 Betzwieser meint, dass in Italien Exotisches meist nur in der opera buffa und kaum in der opera seria (bis auf wenige türkische Sujets) vorzufinden gewesen sei, und hier vor allem in Handlung und Bühnen- bild. 107 Die im Folgenden bearbeiteten Beispiele 1 bis 6 zeigen aber, dass betreffend die opera seria zumindest einige Elemente des Fremden vorhanden sind, wenn man ein Werk in seiner Gänze mit all seinen Aspekten betrachtet. Auch ein Schauplatz in Karthago, Kamele und Elefanten, das Aufeinander- treffen christlicher und islamischer Kultur, ein indisches Herrschaftsgefüge sowie japanische Prinzen finden hier Platz. Ebenso ist Locke der Meinung, Fremdes bzw. Exotismus sei unter anderem sehr wohl auch in der italienischen Oper, und zwar schon vor 1750, vorhanden:

„Perhaps the richest and most extended exotic portrayals in music before 1750 occurred in Italian and French opera (and related genres, such as the opera-ballet) and in English dramatic oratorio. Hundreds of such works involved, or even centered on, ancient Eastern tyrants (as known from the Bible or Greek history) or indigenous New World ones. […]“108

Er merkt auch an, dass Betzwieser (und Whaples) den Großteil dieser Werke nicht in ihre Überlegungen mit einbeziehen würden, da in der erklingenden Musik selbst keine Exotik liege, was dem von Locke so benannten „Exotic Style

104 Vgl.: Thomas Betzwieser und Michael Stegemann: Art. Exotismus, in: MGG, Sp. 230–233. 105 Vgl.: Thomas Betzwieser und Michael Stegemann: Art. Exotismus, in: MGG, Sp. 230. 106 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 106. 107 Vgl.: Thomas Betzwieser und Michael Stegemann: Art. Exotismus, in: MGG, Sp. 231. 108 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 88.

27 Only“ Paradigm (siehe unten) entspricht.109 Noch wurden also, wie im Zitat von Locke angedeutet, in der Musik selbst keine expliziten musikalischen Formeln, Tonleitern oder andere eventuelle musiktheoretischen Kenntnisse aus fremden (Musik-)Kulturen eingearbeitet (wie später im 19. Jahrhundert üblich), vielmehr waren im 17. und 18. Jahrhundert mit dem Fremden in Verbindung gebrachte Instrumente und Tänze Usus.110 Neben den sich etablierenden instrumentalen Auftrittsmusiken111 waren vor allem die balli – in die Oper eingefügte Tänze, meist zwischen den Akten – ein nicht wegzudenkendes Element, was Fremd- artigkeit bzw. Exotismus betrifft: „While numerous were set in exotic locales, this fascination with foreign lands was particularly expressed in the balli, which typically closed the first two acts of Venetian operas.“112 Oft stellte das Tanzensemble aber auch Nebenrollen der Oper selbst, wie beispielsweise Diener, Gefangene, Landarbeiter oder Einheimische dar. 113 Vor allem im Venedig des 17. Jahrhunderts fand man die unterschiedlichsten in der Stadt lebenden Kulturen auf den Opernbühnen wieder, das Theater mit seinen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und alltäglichen Aspekten war eine Art Spiegel der Gesellschaft.114 Doch auch auf den venezianischen Bühnen des Seicento war Fremdartigkeit bzw. Exotismus bereits Thema, ja war Mitte des Jahrhunderts sogar Standard.115

Die für diese Arbeit gewählten Werke (siehe Beispiele 1 bis 6), welche alle aus der Zeit von 1740 bis 1750 stammen und in verschiedenen Theatersaisonen bzw. an verschiedenen Häusern Venedigs aufgeführt wurden, sollen die oben genannten Aspekte betreffend Fremdartigkeit bzw. Exotismus veran-

109 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 88. 110 Vgl.: Miriam K. Whaples, Exoticism in Dramatic Music, Dissertation, Indiana 1958; vgl. nach: Melania Bucciarelli, Venice and the East, S. 246f. 111 Vgl.: Thomas Betzwieser und Michael Stegemann: Art. Exotismus, in: MGG, Sp. 231. 112 Irene Alm, Dances from the “Four Corners of the Earth“, S. 239. 113 Vgl.: Irene Alm, Dances from the “Four Corners of the Earth“, S. 240. 114 Genaueres zu den balli auf den Opernbühnen Venedigs im 17. Jahrhundert siehe: Irene Alm, Dances from the “Four Corners of the Earth“, S. 236–259. 115 Vgl.: Wendy Heller, Venezia in Egitto: Egyptomania and Exoticism in Seventeenth-Century Venetian Opera, in: Le arti della scena e l’esotismo in etá moderna, Atti del convegno internazionale, Neapel, 6.–9. Mai 2004, hg. von Francesco Cotticelli und Paologiovanni Maione, Neapel 2006 (I Turchini Saggi), S. 141–155. Weiters zu dieser Thematik siehe: Jean-François Lattarico, Il soggetto esotico nei melodrammi veneziani del Seicento, in: Le arti della scena e l’esotismo in etá moderna, Atti del convegno internazionale, Neapel, 6.–9. Mai 2004, hg. von Francesco Cotticelli und Paologiovanni Maione, Neapel 2006 (I Turchini Saggi), S. 157–173.

28 schaulichen. Sie verdeutlichen auch einige Punkte aus dem Konzept von Locke, der sich in seiner Publikation Musical Exoticism. Images and Reflections hauptsächlich mit Exotismus in der Oper und seinen möglichen Ausformungen beschäftigt und dabei ältere bereits existierende Theorien beleuchtet sowie daraus ein breiter gefächertes Konzept entwickelt, welches nicht nur die Musik alleine, sondern auch verschiedenste Aspekte der visuellen Ebene berück- sichtigt. 116 Er geht von den bereits existierenden Theorien von Crispolti (Imitation), Bartoli (Ausborgen und kulturelle sowie geografische Andersheit), Bellmann (Angleichung) und Betzwieser (Einfluss nicht europäischer Elemente) und dem von ihm selbst so benannten „Exotic Style Only“ Paradigm aus, welches „[...] assumes that music is, by compositional intent, exotic – and that it registers as exotic to the listener – if (and, often, only if) it incorporates specific musical signifiers of Otherness.“ 117 Dieser Blickwinkel auf die musikalische Komposition alleine wird beispielsweise in Bellmans Einleitung zu The Exotic in Western Music deutlich:

„[...] it may be defined as the borrowing or use of musical materials that evoke distant locales or alien frames of reference. [...] characteristic and easily recognized musical gestures from the alien culture are assimilated into a more familiar style, giving it an exotic color and suggestiveness. On this nuts-and-bolts level, musical exoticism is a matter of compositional craft, of making the notes do something different from what they usually do.“118

Locke hingegen legt in seiner eigenen weiterentwickelten Definition einen besonderen Schwerpunkt auf das „All the Music in Full Context” Paradigm, welches speziell für die Gattung der Oper und für dramatische Werke wichtig erscheint, da es nicht nur den Aspekt der Musik, sondern auch den Text, die Handlung, die Kostüme, das Bühnenbild, die Bewegungen auf selbiger, Tanz sowie Beleuchtung miteinbezieht:

„In opera and dramatic oratorio, music is heard within the powerfully yet also liberating frame of plot and sung words. To these verbal and musical elements, opera adds a rich array of primarily visual ones: costumes, sets, stage movement, dance, lightning. Opera [...] thus makes available to the composer – or, better, to the compositional team, including the librettist [...] – a larger and more varied Exotic

116 Zu folgenden Ausführungen siehe auch: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 44–46. 117 Ralph. P. Locke, Musical Exoticism, S. 48. 118 Jonathan Bellman (Hg.), The Exotic in Western Music, Boston 1998, S. ix.

29 Toolkit than the one that is available to composers of instrumental music. Furthermore, because of opera’s Exotic Toolkit works in ways that are often less immediately evident to the listener, it can work more powerfully.“119

Im Falle der Gattung Oper steht also ein breites Spektrum an Darstellungs- möglichkeiten des Fremden, des Exotischen – sowohl auf akustischer als auch auf visueller Ebene – zur Verfügung, denn „[...] musical exoticism is not ’contained in’ specific devices. Rather, it arises through an interaction between a work, in all its aspects, and the listeners.“ 120 Voraussetzung für diese Interaktion zwischen aufgeführtem Werk und Publikum sind allerdings kulturelle Konzepte, soziale Faktoren, Gemeinschaftswerte und Normen sowie die individuelle Erfahrung der Zuhörerin bzw. des Zuhörers121 – mit einem Wort die kulturelle, gesellschaftliche und individuelle Sozialisation aller Beteiligten auf Produktions- und Rezeptionsebene. Diese Sozialisation im eigenen Kulturkreis macht die Gegenüberstellung von Eigenem und Fremdem und dessen Reflexion erst möglich. Dies bedeutet in der Verknüpfung mit musikalischen Werken, dass „[...] exoticness often depends not just on the musical notes but also on their context as well as on other factors, such as the particulars of a given performance and the musical and cultural preparation of a given listener.“ 122 Doch was meint der Begriff Exotismus, was bedeutet Fremdartigkeit? Erste eigene Überlegungen führen zu folgenden Gedanken: Exotismus oder Fremdartigkeit beginnt dort, wo das Eigene, das alltäglich Bekannte, das Gewohnte aufhört. Die Grenze zwischen Eigenem und Fremdem ist eher fließend, eine klare Trennlinie oft schwer zu erkennen – mit Ausnahme der geografischen Grenze zwischen Ländern bzw. Staaten. Die Grenzen zwischen verschiedenen Kulturkreisen jedoch verschmelzen. So endet etwa eine Gewohnheit oder ein Brauch einer bestimmten Bevölkerungsgruppe nicht abrupt an der Staatsgrenze. Es leben jenseits der Landes-/Staatsgrenze oder ganz woanders auf der Welt möglicherweise dieser Gruppe Zugehörige (Locke nennt dies „internal Others“123, erklärt an dem Beispiel des Musicals West Side Story, in dem sich die in Manhattan lebende Gruppe der Puerto-Ricaner und die

119 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 61. 120 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 3. 121 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 3. 122 Ralph. P. Locke, Musical Exoticism, S. 4. 123 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 7.

30 der New Yorker gegenüber stehen), denen dieselben Gewohnheiten und Bräuche zu Eigen sind. Doch je weiter weg oder je kleiner die Gemeinschaft dieser „internal Others“, desto variierter oder weniger werden möglicherweise Gewohnheiten etc., bedingt durch Einflüsse anderer Kulturkreise; und eine in einem bestimmten Kulturkreis nicht sozialisierte, also außenstehende, Person wird beispielsweise bestimmte Gesten oder Gewohnheiten eines anderen Kulturkreises nicht verstehen oder Bräuche und Riten nicht (er)kennen. So wird das Fremde, das Exotische aufregend, macht neugierig, fasziniert – und unter- hält mitunter ein Opernpublikum im 18. Jahrhundert. Auch Bellman ist der Ansicht, dass „for all the unmistakable musical codes, therefore, much depends on who is doing the composing and who the listening.“124 Eine wichtige Rolle dürfte dabei eben die Erfahrung des Komponisten, des Textdichters, des rezipierenden Publikums mit dem Fremden spielen. Macht diese Erfahrung Exotismus überhaupt erst erkennbar? Hat das Publikum nur „von Anderem“ gehört, Reiseberichte oder andere Erzählungen gelesen, eigene Erlebnisse gehabt oder weiß es gar nichts darüber und wird deshalb etwas als fremd wahrgenommen? Auch Von Beyme verweist auf die Grundlage des Rezipierten bzw. interkulturell Übernommenen in Beziehung zur Darstellung von Fremdem, Exotischem und meint, auch

„das Publikum muss in gewisser Weise auf das Exotische vorbereitet sein. In Venedig war das stärker gegeben als in Städten, die im Inneren des Landes lagen. Exotismus erweist sich somit als Balance-Akt zwischen dem Vertrauten und dem Fremden.“125

Gut vergleichbar ist diese Überlegung bezüglich der Rezeption des Publikums beispielsweise mit dem Blick einer Museumsbesucherin oder eines Museums- besuchers auf ein Objekt, wie zum Beispiel ein Bild, eine Skulptur oder ein anderes Ausstellungsstück: Die eigene Erfahrung der Betrachterin bzw. des Betrachters beeinflusst die Wahrnehmung – Von Beyme nennt diesen Ansatz die „[...] Selbsterfahrung des betrachtenden Subjekts [...]“ 126 . Auch Locke

124 Jonathan Bellman, The Exotic in Western Music, S. x. 125 Klaus von Beyme, Die Faszination des Exotischen, S. 16. 126 Vgl.: Klaus von Beyme, Die Faszination des Exotischen, S. 14.

31 erwähnt hier denselben Ansatz, in diesem Fall wird das exotische Objekt von der Beobachterin oder dem Beobachter konstruiert.127

Für die Art von Studien in Musical Exoticism. Images and Reflections – die des Exotismus in Musik und Präsentation von Instrumentalmusik und Oper von der Zeit des Barock aufwärts128 – definiert Locke das Exotische im Sinne von „[...] ’coming from (or referring to, or evoking) [...]’“ als Abgrenzung zu „’[...] a place other than here’“ und bezieht sich auf die etymologische Wortherkunft „[...] ’exo-’ (’outside of’ or ’away from’).“129 Betzwieser leitet den Begriff aus dem französischen exotique her, was in Quart livre des faictz et dictz heroiques du noble Pantagruel von Fr. Rabelais Mitte des 16. Jahrhunderts und im Bezug auf die gegenständliche Welt gemeint alles Außereuropäische bedeutete und später im 18. Jahrhundert zusätzlich den Aspekt des Ästhetischen mit einbezog.130 Weiters ist Locke der Ansicht, dass „Exoticism in music is a quality that links a work to some especially fascinating, attractive, or fearsome place: to an Elsewhere and, usually, to its inhabitants and their supposed inclinations and ways.“131 Dieses – metaphorisch gemeinte – „Abtauchen“ in eine fremde Kultur, sei es jetzt Komponist oder Publikum, ist für Pierre Leprohon Hilfsmittel für Loslösung der Einschränkungen der eigenen Kultur132: „The expression, from the Greek exotikos, indicates an innate tendency oft he human mind to escape from the circle of one’s own traditions by a yearning for contact ... with remote environments [ambienti] and things.“133 Gilles de Van fügt dem eine weit mehr psychologische Komponente hinzu, was das Erreichen individueller Autonomie und Erwachsensein eines Individuums134 betrifft:

127 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 12. 128 Das Spektrum der bearbeiteten Werke reicht von der Barockoper über das 19. und 20. Jahr- hundert bis hin zu Operette, Musical und Popularmusik. 129 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 1. 130 Vgl.: Thomas Betzwieser und Michael Stegemann: Art. Exotismus, in: MGG, Sp. 227. 131 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 1. 132 „[...] achieve liberation from the constraints of his or her own culture [...]“, Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 26. 133 Pierre Leprohon, Art. Esotismo, in: Enciclopedia dello spettacolo, Band 4, Rom 1957, Sp. 1611; zitiert nach: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 26. 134 „[...] exoticism as a metaphor for the psychological truism that an individual must explore the broader world in order to achieve personal autonomy and adulthood [...].“, Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 26.

32 „Exoticism is ... the attraction for a civilization – manners, social behaviour, clothing – foreign to our own, far from us in time or space ... The psychic foundation of all forms of exoticism ... [is] the need to leave home.“135

Von Beyme hingegen meint, dass es „[...] auch Fremdes in der eigenen Kultur [gibt]“ und erklärt anhand der Freud’schen Psychologie, dass „[...] die Anerkennung des Exotischen an das Bewusstsein des Fremden in jedem Betrachter gebunden [...]“136 sei.

Unmittelbar ist der Begriff des Exotismus – der ein komplexer zu sein scheint – aus (veralteter) eurozentrischer Sicht mit dem Begriff des Orients verbunden.137 Seit der Antike mischten sich immer wieder verändernde Konzepte des Orients ins westliche Denken, gewissermaßen als Gegenüberstellung zu den jeweiligen politischen, sozialen und/oder kulturellen Gegebenheiten in Europa. Sich über die Jahrhunderte wandelnde Stereotype des Orients beinhalteten gegen- sätzliche Attribute wie Bedrohung und Verführung sowie Faszination und Schrecken, Luxus, Sinnlichkeit, Märchenhaftes, aber auch Grausamkeit. 138 Entdeckungsfahrten, wie beispielsweise jene von Christoph Columbus, Vasco da Gama oder die Handelsfahrten eines Marco Polo bis in den fernen Osten, ließen ein neues Zeitalter anbrechen und etwa dreihundert Jahre später, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der Aufklärung, schließlich wusste Europa dem Fremden offen gegenüberzustehen und man begann sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Ein schönes Beispiel dafür aus der Literatur ist die französische Übersetzung der in Indien wurzelnden und im arabischen Raum verankerten Märchen aus Tausendundeine Nacht, die Antoine Galland Anfang des 18. Jahrhunderts in Europa bekannt machte und welche Bestandteil der europäischen Kultur wurden.

135 Gilles de Van, Fin de Siècle Exoticism and the Meaning of the Far Away, übers. von William Ashbrook, in: Opera Quarterly 11/Nr. 3 (1995), S. 77 (Original: Gilles de Van, L’exotisme fin de siècle et le sens du lointain, in: Letteratura, musica e teatro al tempo di Ruggero Leoncavallo: Atti del 2o Convegno internazionale “Ruggero Leoncavallo nel suo tempo“, Mailand 1995, S. 103–117); zitiert nach: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 26. 136 Klaus von Beyme, Die Faszination des Exotischen, S. 8. 137 Zu folgenden Ausführungen siehe: Karin Grasmug, Exotismus und Orientalismus. Eine Untersuchung Pierre Lotis Perzeption fremder Zivilisationen, Diplomarbeit, Graz 2007, S. 25–30. 138 In Kapitel 4.1 wird bezüglich der Feldzüge Alexander des Großen noch von „orientalischer Grausamkeit“ die Rede sein, wie Wirth dies nennt (Gerhard Wirth, Alexander der Große mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Gerhard Wirth, 13. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2005 (rowohlts monographien), S. 92).

33 Die eben erwähnte positiv anmutende Formulierung der Offenheit Europas dem Fremden gegenüber ist allerdings kritisch zu betrachten. Nach immer schon existierenden Belagerungen und Herrschaften über fremde Gebiete wurde „[...] im 15. Jahrhundert mit der blutigen Eroberung Amerikas und der Karibik das Zeitalter des europäischen Kolonialismus eingeläutet [...]“139, der unterschied- liche Formen wie die Beherrschungs-, Stützpunkts- und Siedlungskolonien ausbildete – allen gemeinsam die gewaltsame politische, ideologische, militä- rische und physische Beherrschung der indigenen Bevölkerung. 140 Marxis- tischer Auslegungsweise nach ist

„[...] Kolonialismus in [...] Zusammenhang mit der Entwicklung des westlichen Kapitalismus [zu] stellen [...]. Bei der Expansion der europäischen Mächte in Asien, Afrika wie auch in Amerika ist es ein zentrales Element, dass eine neue Zirkulation von Waren, Ideen und Menschen initiiert wurde.“141

Legitimiert wurde Kolonisation – trotz all der gewaltsamen Aspekte – letzt- endlich durch die Mission, „[...] den kolonisierten Ländern »Reife« und »Freiheit« zu bringen“142, ihnen also gewissermaßen gewaltsam den Stempel des eigenen europäischen Landes aufzudrücken. Weitergeführt wird der bis heute aktuelle und sich immer noch weiterentwickelnde Diskurs mit dem schwammigen und umstrittenen Begriff Postkolonialismus im Spannungsfeld zwischen Auswirkungen des Kolonialismus, Widerstand, Dekolonisierung sowie Neokolonialismus und Rekolonisierung zur Sicherung der Ressourcen anderer Länder. 143 Die wichtigsten Impulswerke der Postcolonial Studies sind das bereits oben zitierte Werk Orientalism sowie Culture and Imperialism (1993) von Edward W. Said und die Schriften von Homi K. Bhabha und Gayatri C. Spivak, die unterschiedliche Anschauungsweisen und Theorien des postkolonialen Begriffs behandeln. Es kann in gewisser Weise also wohl nur von einer Offenheit Europas gegenüber dem Fremden vor dem negativen Hintergrund des eigenen Sich-Vorteile-Beschaffens gesprochen werden.

139 María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan, Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, Bielefeld 2005 (Cultural Studies, Band 12), S. 12. 140 Vgl.: María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan, Postkoloniale Theorie, S. 12f. 141 María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan, Postkoloniale Theorie, S. 14. 142 María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan, Postkoloniale Theorie, S. 15. 143 Vgl.: María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan, Postkoloniale Theorie, S. 23f.

34 Auf die umfangreichen definitorischen Themen Nationalismus und folkloris- tische Einflüsse und ihre Unterschiede oder Ähnlichkeiten zum exotischen Stil wird an dieser Stelle nur am Rande hingewiesen – ein großes Kapitel, welches zu Beginn des 19. Jahrhunderts und für die folgende Zeit bedeutend wurde, gemeinsam mit den romantischen Vorstellungen von Fernweh und Reisen.144

Weiters von Interesse in Anlehnung an Lockes oben angesprochenes „All the Music in Full Context“ Paradigm sind die Binarismen 145 , denen er seine Aufmerksamkeit schenkt. Diese Dualitäten sind auch tief in den Postcolonial Studies verankert. Beispielsweise inkludiert Orientalismus für Said neben der „Orientalisierung des Orients“ 146 (siehe oben) und dem akademischen Orientalismus – also dem Forschen, Lehren und Schreiben über den Orient – auch die Denkweise der bis heute tief verankerten binären Gegenüberstellung, basierend auf der seit Jahrhunderten bestehenden Unterscheidung zwischen Orient und Okzident.147 Bhabha nennt weitere Beispiele wie Subjekt/Objekt und inside/outside als kulturelle Binarismen 148 und versucht diesem Dualitäten- denken einen hybriden dritten Raum zu geben, der auf das Dazwischen abzielt: „[...] a third space that does not simply revise or invert the dualities, but revalues the ideological bases of division and difference.“149

Zurückkehrend zu Locke und den für diese Arbeit relevanten Binarismen geht es, wie bereits zuvor angedeutet, bei Fremdartigkeit bzw. Exotismus um das „Herkommen von“, oft aus großer Ferne. Dies bedeutet jedoch nicht nur geografische Entfernung. Augenmerk legt Locke auch auf zeitlichen Abstand (then and now).150 Damit stellt er das Verhältnis zwischen der Entstehungszeit beispielsweise einer Oper und der Zeit, in der die Handlung derselben ange-

144 Über Nationalismus und damit verbundene Stereotype ist nachzulesen in: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 27–33 und 72–84. Prägend für den Nationenbegriff war aber vor allem: Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London u.a. 1991. 145 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 64–71. 146 Edward W. Said, Orientalism, S. 5. 147 Edward W. Said, Orientalism, S. 2f. 148 Vgl.: Homi K. Bhabha, Postcolonial Authority and Postmodern Guilt, in: Cultural Studies, hg. von Lawrence Grossberg, Cary Nelson und Paula A. Treichler, New York u.a. 1992, S. 57. 149 Homi K. Bhabha, Postcolonial Authority, S. 58. 150 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 64–66.

35 siedelt ist, zur Diskussion. Bei der Einbeziehung dieser zeitlichen Distanz in das Forschen nach Fremdartigkeit bzw. Exotismus sollte man – und dieser Meinung ist auch Locke – vorsichtig sein, würden doch ein Großteil der Opern Mitte des 18. Jahrhunderts relevant werden, da viele Opernsujets aus der damaligen Zeit typischerweise griechischer oder römischer, mythologischer Herkunft waren und somit jede Oper, deren Handlung beispielsweise in der antiken Zeit spielt, als exotisch bezeichnet werden könnte. Laut Locke „the inclusion of temporal displacement as a possible factor swells the number of exotic portrayals that might be discussed an increases the complexity of discussing them.“151 Aus diesem Grund wird dieser Aspekt der zeitlichen Distanz in den folgenden Beispielen außen vor gelassen. Auf der Hand liegt auf den ersten Blick die geografische Distanz bzw. der geografische Unterschied (nearness and distance). 152 Wenn man sich mit Lockes Überlegungen aber genauer aus- einandersetzt, wird man bemerken, dass dies bei weitem nicht immer „weit weg“ bedeuten muss. Geografische Distanz und geografischer Unterschied meinen eigentlich kulturelle Distanz: Ein Ort einer exotischen Handlung ist meist, muss aber nicht weit entfernt sein und trotzdem können dort beispielsweise andere Bräuche und Gewohnheiten herrschen, eine andere Sprache gesprochen oder andere Musikinstrumente verwendet werden etc. Das Extrem dieses letztgenannten Aspektes wären die oben schon erwähnten „internal Others“153 oder „internal exotics“154. Eng verwoben mit der kulturellen Andersheit, die aus geografischer Distanz bzw. geografischem Unterschied resultiert, ist die Gegenüberstellung zwischen Selbst und Anderem (Self and Other), die Unterscheidung zwischen heimatlicher Kultur und dem Anderswo („Elswhere“). 155 Hierbei geht es meist nicht um geografische, sondern um kulturelle und soziale Unterscheidungen. Nearness and distance sowie Self and Other sind in den als Kurzbeispiele gewählten Werken Didone abbandonata, Atalo, Don Saverio, Armida al campo und Alcimena, principessa dell’isole fortunate o sia L’Amore Fortunato ne’ suoi disprezzi (siehe Beispiele 1 bis 4 und 6) innerhalb der Handlung bzw. im Don Saverio als Einfluss auf die

151 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 65. 152 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 67f. 153 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 7. 154 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 67. 155 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 66f.

36 Titelfigur selbst zu finden. In Gianguir (siehe Beispiel 5) fällt diesbezüglich besonders der Unterschied zwischen Handlungsort (Agra in Indien) und dem Ort/dem Kulturkreis/dem Publikum, für den/das dieses Werk geschrieben und komponiert wurde (Venedig bzw. Europa), ins Auge. Die Binarismen (einschließlich der noch folgenden) können also handlungs- bzw. werkintern oder auch in der Relation Werk – Publikum von Bedeutung sein. Natürlich könnte man nun den Aspekt Self and Other im Verhältnis der Charaktere zueinander prüfen, was sicherlich gegeben ist, vor allem bei Figuren aus unterschiedlichen Kulturkreisen, aber auch beispielsweise zwischen zwei Charakteren aus dem selben Kulturkreis oder aus der gleichen Familie. Für Ersteres findet sich eine Charaktergegenüberstellung in Kapitel 4.2.1; letzterer Fall bedürfe einer psychologischen Charakteranalyse, um Faktoren des Ich und des Anderen festzustellen, Letzteres wird wiederum auf Ersteres projiziert und reflektiert. Dies wirft Fragen zu (psychologischen) Repräsentationsformen auf. Diesbezüglich und verbunden mit den Künsten stellt Heller betreffend Politik, Migration und Globalisierung folgende interessante Frage in den Raum:

„In fine arts or in literature the question arises, as to whether an author will represent the wishes, needs, thinking, behaviour, internal life of the members of the group to which he or she belongs better and truer than others do, and also better and truer than he or she would represent the life, thoughts and actions of the members of other groups.“156

Dies meint vereinfacht gesagt, dass eine Person aus demselben Kulturkreis, derselben sozialen Gruppe etc. möglicherweise gar nicht repräsentativ für die eigene stehen oder sich stellvertretend äußern kann oder soll, da doch immer Subjektivität oder etwa Einfluss von anderer Stelle mitmischen (können); und gilt für ersteren Fall somit genauso, wie diese Person nicht eine fremde Gruppe, etwa aus einem fremden Kulturkreis oder einer anderen Gesellschaftsschicht, repräsentieren kann. Sämtliche psychologische Theorien und Studien außen vor gelassen, ist hier letzterer Punkt interessant und gilt genauso für einen Librettisten, der ein Werk verfasst, in dem Figuren aus einem fremden Kulturkreis vorkommen (beispielsweise der indische König Poro in Metastasios Alessandro nell’Indie). Dies führt uns zurück zu dem Einfluss der (subjektiven)

156Vgl.: Agnes Heller, Self-Representation and the Representation of the Other, in: Blurred Boundaries: Migration, Ethnicity, Citizenship, hg. von Rainer Bauböck und John Rundell, Aldershot u.a. 1998 (Public Policy and Social Welfare, Vol. 23), S. 341.

37 Erfahrungen mit und Vorstellungen von oder gar von Vorurteilen gegenüber dem betreffenden Kulturkreis und ob somit in „[...] artistic representation [...], whether or not the representation of the other by another falsifies the image, opinions, acts, needs, and wishes of others, in other words, whether there is a true kind of representation [...].“157

Auch Locke diskutiert die Frage nach der Wahrheit oder Unwahrheit der Repräsentation eines Werkes und bezieht den Aspekt des Fiktiven mit ein.158 Somit ist ein weiterer Binarismus zu beachten, jener des Realen und des Fiktiven (the real and the fictive).159 Zuerst einmal kann ein Handlungsort einer Oper fiktiv sein – meint, kein realer Ort oder ein Ort, der nur in der Vorstellung des Verfassers und folglich auch des Publikums liegt. Oder das Werk spielt an einem realen Ort, jedoch im Libretto möglicherweise mit fiktiven Elementen angereichert, die das Publikum in gewissen Fällen aufgrund der Fiktion möglicherweise gar nicht als exotisch einstufen würde. Wichtig scheint hier aber der reale Bezug zu einem (historischen) Ort zu sein, auf dessen Basis dann die Vorstellungskraft und Fantasie des Librettisten/Komponisten/Publikums wirken kann. Diese Art des Fiktiven an einem realen bzw. fassbaren Ort zeigt sich vor allem in den Beispielen 4 und 6.

Eine weitere Gegenüberstellung betrifft musikalische und außermusikalische Aspekte (musical and extramusical signs).160 Dies zeigt sich beispielsweise in der Betitelung eines Instrumentalstückes sowie bei charakterisierenden Satzbezeichnungen (beispielsweise alla turca oder all’ongherese) betreffend einen auskomponierten Stil oder lediglich als Interpretationsanreiz für die Musikerin oder den Musiker, eine bestimmte Art des Spiels anzuwenden.161 Zu den außermusikalischen Zeichen zählen bei Vokalwerken oder Oper verbale Aspekte wie der Text, die Handlung und Erzählung sowie die Namensgebung gewisser Charaktere. Als visuelle Aspekte kommen noch das Bühnenbild, Kostüme etc. hinzu, die sich aus der Handlung ergeben bzw. im besten Fall im

157 Agnes Heller, Self-Representation, S. 343. 158 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 18f. 159 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 68f. 160 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 69–71. 161 Hierbei ist zu erwähnen, dass eine solche Praxis wohl nicht für die Barockoper gilt, aber hier ein anschauliches Beispiel darstellt, was die musical signs betrifft.

38 Libretto angegeben sind. „All of these factors deserve to be named and described, studied separately and together, weighed and probed, from the viewpoint of how they help construct the image of an exotic land or people.“162 All die eben genannten Aspekte sind in den Beispielen 1 bis 6 ersichtlich. An den besprochenen Beispielen ist erkennbar, dass Fremdartigkeit bzw. Exotismus auf der venezianischen Opernbühne des 18. Jahrhunderts keine Seltenheit waren. Man findet genügend Hinweise und Anhaltspunkte für Fremd- artigkeit sowohl in der ernsten als auch in der komischen Oper. In der Liste im Anhang sind alle für Fremdartigkeit in verschiedener Weise relevanten Werke mit einem X gekennzeichnet. In der Zeitspanne von 1740 bis 1750 überwiegen allerdings deutlich drammi per musica sowohl in Aufführungs-anzahl als auch in Bezug auf Fremdartigkeit.

Beispiel 1: Didone abbandonata (Bernasconi/Metastasio, 1741) Charaktere

Das dramma per musica Didone abbandonata von Pietro Metastasio in der Vertonung von Andrea Bernasconi wurde im Carnevale 1741163 im Teatro San Giovanni Grisostomo der Familie Grimani aufgeführt und war dem Conte Giacomo San Vitale gewidmet. Es enthält ebenso eine Kampfszene (im Italienischen combattimento genannt), von Santo Lanzarotti gestaltet, wie Tänze (balli) von Gaetano Grossatesta; die Kostüme stammen von Nadal Canciani, das Bühnenbild von Antonio Jolli.164

Im argomento erläutert der Textdichter das Thema bzw. den Inhalt der Oper:165 Die Handlung ist jene der Geschichte von Dido und Aeneas, ein durch und durch mythologisches Sujet, wie es für diese Zeit in der opera seria üblich war. Der Grieche Aeneas wird auf seiner Fahrt nach Italien mit seinem Schiff von einem Wirbelsturm an die Nordküste Afrikas abgetrieben und dort von der

162 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 71. 163 Eleanor Selfridge-Field weist dem Werk das genaue Aufführungsdatum, den 28.01.1741, zu (A New Chronology of Venetian Opera, S. 472). 164 Vgl.: Pietro Metastasio, Didone abbandonata. Dramma per musica da rappresentarsi nel famosissimo Teatro Grimani di San Gio: Grisostomo il Carnovale dell’anno 1741, digitalisierter Librettodruck, Venedig 1741, S. 3 und 9f sowie Handvermerke am Umschlag; und Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 472f. 165 Zu folgenden Ausführungen siehe: Pietro Metastasio, Didone abbandonata, S. 9.

39 Herrscherin der Stadt Karthago, Dido, aufgenommen. Dido war nach der Ermordung ihres Gatten durch ihren Bruder mit ihrem ganzen Reichtum nach Afrika geflüchtet; dies ereignet sich nicht in der Oper selbst. Es handelt sich um einen Aspekt mit Vorgeschichtecharakter und wird im argomento kurz erklärt. In Karthago ist Dido begehrt, und Jarba, der König der Moren (Ré de Mori), will sie zur Frau nehmen. Doch Didos Liebe entflammt für Aeneas und als Letzterer beschließt, auf Geheiß der Götter seinen Weg nach Italien fortzusetzen, tötet sich Dido aus Verzweiflung selbst. Nun wird auch hier im argomento auf die Quellen Virgil und Ovid verwiesen sowie eine kleine Abänderung selbiger erklärt: Anstatt laut Ovid Jarba Karthago übernehmen zu lassen, wird aus „[...] comoditá della rappresentazione [...]“ 166 fingiert, dass sich Jarba unter dem Namen Arbace als Botschafter nach Karthago begibt, um Dido zu sehen.

In der Charakter- bzw. Besetzungsliste (siehe Abb. 5) kommen nun die Unterschiede bezüglich der Herkunft der Charaktere zum Ausdruck: Dido (gesungen von Francesca Bertoli), Herrscherin des afrikanischen Karthagos – jedoch von griechischer Herkunft, wie im argomento erklärt wird – und Aeneas (Mariano Nicolini) sowie Didos Schwester (Lugrezia Venturini Mariani), hier Selene genannt, stehen dem König der Moren, Jarba (Battista Pinaci), gegenüber. Letzterem fällt typischerweise die Rolle des wilden Fremden zu, assoziiert mit dem Begriff des Barbaren167. Auf zweiter Ebene differenzieren sich Araspe (Francesco Signorilli), Vertrauter Jarbas, und Didos Vertraute Osmida (Angela Zanuchi) durch ihre Zugehörigkeit zur jeweiligen Herrschaftsfigur. Diese Zusammenstellung der Charaktere lässt mehrere negative Spannungsfelder entstehen: Erstens versucht König Jarba in Didos, also fremdes Herrschaftsgebiet, einzudringen, wobei zusätzlich zwei Figuren unterschiedlicher Herkunft aufeinandertreffen. Zweitens verursacht die geo- grafische Distanz Griechenland/Italien – Afrika mit dem dazwischen liegenden Mittelmeer und die damit verbundene Abfahrt Aeneas’ die Verzweiflung Didos und deren Folgen.

166 Pietro Metastasio, Didone abbandonata, S. 8. „[...] aufführungspraktischer Einfachheit [...] [Übers. EP].“ 167 Vgl.: Diana Blichmann, “So che un barbaro sei, né mi spaventi“. Spunti esotici nella Didone abbandonata di Metastasio, in: Le arti della scena e l’esotismo in etá moderna, Atti del convegno internazionale, Neapel, 6.–9. Mai 2004, hg. von Francesco Cotticelli und Paologiovanni Maione, Neapel 2006 (I Turchini Saggi), S. 236.

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Abb. 5: Charakter- bzw. Besetzungsliste aus dem Libretto der Didone abbandonata.168

Beispiel 2: Atalo (Chintzer/Silvani, 1742) Szenenbeschreibung

Atalo, dramma per musica, ursprünglich Francesco Silvanis La veritá nell’inganno, jedoch für die Vertonung des Florentiners Giovanni Chintzer anonym adaptiert, wurde im Carnevale 1742 (27.12.1742 laut Selfridge-Field169) im Teatro San Cassiano der Familie Tron ohne Widmung aufgeführt. Das Bühnenbild stammte von Giovanni Battista Moretti, die Kostüme von Natale Canziani170, die balli von Maestro Giovanni Gallo.171

168 In: Pietro Metastasio, Didone abbandonata, S. 10. 169 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 480. 170 In der als Beispiel 1 besprochenen Didone abbandonata (Metastasio, 1741) wird im Libretto ein Nadal Canciani als Verantwortlicher für die Kostüme genannt, hier wird er Natale Canziani geschrieben. Es dürfte sich um die gleiche Person in unterschiedlicher Schreibweise handeln. Die Verfasserin vereinheitlicht in diesem und weiteren ähnlichen Fällen die Schreibweise nicht, sondern führt sie entsprechend der jeweiligen Druckweise in den Libretti aus. 171 Vgl.: Francesco Silvani, Atalo. Dramma per musica da rappresentarsi nel famoso Teatro Tron a S. Cassiano il Carnovale dell’anno 1742, digitalisierter Librettodruck, Venedig 1742, S. 1 (Titelblatt) und 5f sowie Handvermerke am Umschlag; und Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 480.

41 In der Szenenbeschreibung des ersten Aktes ist das Lager der Bithynier172 auf der anderen Seite des Flusses vor der Stadt Artaxata 173 kurz beschrieben, welches nach der in der Vorgeschichte stattgefundenen Schlacht, dem Anlass entsprechend, gestaltet werden soll. Im Mondschein und im flackernden Licht der vom Feind gezündeten Feuer sind zwischen umgestürzten Karren in der Schlacht verendete Kamele und Elefanten zu sehen174 (siehe auch Abb. 6). Selfridge-Field erwähnt auch in einer Fußnote, bezogen auf die Absetzung des Stückes nach nur einer Aufführung, dass wohl eine ausführliche Produktion geplant gewesen war, da in der ersten Szene tatsächlich Kamele und Elefanten zu sehen gewesen seien.175 Dazu passt eine allgemeine Feststellung derselben Autorin, nach der „[…] At the few junctures in which the ‘Turkish threat’ was believed to have permanently suppressed, the victors displayed live trophies of conquest, including camels and elephants.”176 Neben der schon oben in Didone abbandonata beispielhaft angeführten Auslegung der Charakterliste, in der hier Charaktere verschiedener Herkunft aus gleich drei Regionen zum Tragen kommen, nämlich Atalo als bithynischer Thronfolger (gesungen von Giovanni Domenico Ciardini), Arsinoe (Anna Cosimi), assyrische Prinzessin und Atalos „Versprochene“ und gleichzeitig Geliebte des armenischen Königs Tiridate (Giuseppe Ciacchi) sowie weitere Verwandtschaft bzw. Anhang der jeweiligen genannten Figuren, ist hier auch in der Szenenbeschreibung ein deutlicher Hinweis auf das Fremde gegeben: Kamele und Elefanten auf dem den Bühnenhintergrund bildenden Schlachtfeld sollen dem Publikum auf den ersten Blick zeigen, dass man sich bereits im fremden Osten befindet.

172 Bithynien war eine antike Region am Schwarzen Meer im heutigen Nordwesten der Türkei, nahe Istanbul. 173 Antike Hauptstadt in Armenien. Der genannte Fluss dürfte dem Aras entsprechen. 174 Vgl.: Francesco Silvani, Atalo, S. 5 und 7. 175 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 480. 176 Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 15.

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Abb. 6: Szenenbeschreibung des ersten Aktes aus Atalo.177

Beispiel 3: Don Saverio (D’Anossa/Palomba, 1744) Verhalten/Kostüm/Text

Don Saverio, als comedia per musica am Titelblatt des Librettos ausgewiesen, vertritt hier als Beispiel die opera buffa. Nach dem Libretto von Antonio Palomba, vom Neapolitaner Giuseppe d’Anossa vertont, wurde das Werk im Autunno, also in der Herbstsaison, 1744 (21.11.1744 laut Selfridge-Field) im Teatro San Moisé aufgeführt. Es enthält keine Widmung, dafür aber, wie in den vorangegangenen opera seria-Beispielen auch, balli (wieder von Giovanni Gallo).178

In diesem Stück über „die Manieren“ reist Violante (gesungen von Anna Guadagni), die in Wirklichkeit Emilia heißt, ihrem Geliebten Odoardo (Giovanna Rossi) von Rom nach Neapel nach. Die Entfernung und die lange Zeit, ohne einander zu sehen, lassen Odoardo gefühlskalt werden. Odoardo hat sich in der Zwischenzeit jedoch in Clarice (Anna Merichi Ferramonte), Tochter des alten und reichen Kaufmannes Palmiero (Nicola Setaro), verliebt, die wiederum ein Verhältnis mit Alessandro (Giuseppe Guadagni) hat. Um das Chaos perfekt zu machen, begehrt der alte Palmiero auch noch Violante. Weitere Rollen übernehmen Giuseppe Ambrosini als Neffe und Nicoletta Petína als Dienerin

177 In: Francesco Silvani, Atalo, S. 7. 178 Vgl.: Antonio Palomba, Don Saverio. Comedia per musica da rappresentarsi nel Teatro di San Moisé l’Autunno dell’anno 1744, digitalisierter Librettodruck, Venedig 1744, S. 1 (Titelblatt) und 6 sowie Handvermerke am Umschlag; und Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 490.

43 Palmieros. Doch die zentrale Figur ist Don Saverio, eine Hosenrolle gesungen von Antonia Ambrosini: Er, Sohn des Palmiero, kehrt nach dreijähriger Abwesenheit von Norditalien, genau genommen von Genua, nach Neapel zurück. Anstatt zu studieren und die Universität abzuschließen, ist er gereist, hat gefeiert und alles Geld, das sein Vater für seine Ausbildung zur Verfügung gestellt hatte, verprasst. In Akt I/Szene 5, direkt nach seiner Rückkehr, benimmt sich Don Saverio nach fremden Manieren, so will er beispielsweise der Dienerin Giulietta gleich die Hand schütteln, als sich diese anschickt, den Raum zu verlassen – „O Giulietta/Addio la man“179, was in Neapel überhaupt nicht der Etikette entspricht. Sein Vater ist gar nicht glücklich damit, gewissermaßen schockiert, woraufhin Don Saverio sich über dessen Vorurteile ärgert und sich nach der schönen Freiheit in der Fremde sehnt: „Ohimé quai pregiudizi/Restó scandalizzato Signor Padre/[...], oh gentilissima/Libertá forestiera/Quanto sei bella“ 180. Doch auch Giulietta weist Don Saverio zurück – „Non devo“181 und der Vater schimpft: „[...] che cosa fai/Quá non usano gli uomini/Dar la mano alle femmine.“182 Dies ist ein deutliches Beispiel, welches sowohl das Verhalten einer Figur als fremd kennzeichnet als auch eines dafür, dass Anzeichen von Fremdartigkeit nicht sozusagen nur im „Rundherum“ des eigentlichen Librettotextes, sondern auch im von den Figuren gesungenen Text selbst auftreten. In derselben Szene, Violante ist ebenfalls anwesend, fragt Don Saverio seinen Vater, wer sie denn sei, und Violante antwortet: „E forestiera“ und Don Saverio wiederholt sogar noch: „E forestiera! [...].“183 Hier wird sogar wortwörtlich „die Fremdheit“ (Sie ist eine Fremde!) ausgedrückt. Daraufhin wird auch noch im gesungenen Text – nicht etwa in der Szenen- oder Kostüm- beschreibung – die fremde Kleidung des zurückgekehrten Don Saverio thematisiert, indem der Vater nicht minder schockiert über selbige befindet: „Un studente/Andar così vestito/In Napoli non s’usa tanti fiocchi/Galloni, nastrii, e piume,/Con varii color di verde, e giallo/Figlio, tu mi rassembri un

179 Antonio Palomba, Don Saverio, S. 13. „O Giulietta/Zum Abschied die Hand [Übers. EP].“ 180 Antonio Palomba, Don Saverio, S. 13. „Ach diese Vorurteile/Der Herr Vater wird schockiert bleiben/[...], o gnädige fremde Freiheit/Wie schön bist du [Übers. EP].“ 181 Antonio Palomba, Don Saverio, S. 13. „Ich kann/darf nicht“ [Übers. EP]. 182 Antonio Palomba, Don Saverio, S. 13. „[...] was machst du da/Hier geben die Männer/den Frauen nicht die Hand [Übers. EP].“ 183 Antonio Palomba, Don Saverio, S. 13.

44 Pappagallo.“184 Wohlgemerkt, der Vater betont hier nochmals, wie zuvor beim Händeschütteln, dass dies hier in Neapel nicht Etikette sei.

Beispiel 4: Armida al campo (diverse / Silvani, 1746) Charaktere/Szenenbeschreibung/Intermezzi

Ein weiteres herausstechendes Beispiel für die in den ersten beiden Beispielen besprochene Charakterauflistung und zusätzlich als Beispiel für eine Szenen- beschreibung stellt das dramma per musica Armida abbandonata nach dem Libretto von Francesco Silvani und in der neuen Vertonung mehrerer im Libretto nicht namentlich genannter Komponisten dar. Für das Bühnenbild, die balli und die Kostüme waren wieder Giovanni Battista Moretti, Giovanni Gallo und Natale Canziani verantwortlich, die combattimenti „[...] Ed altre Militari Azzioni [...]“185 oblagen Giovanni Franzo („[...] Maestro d’Esercizi Cavallereschi“186). Das Werk wurde ohne Widmung in der Ascensione 1746 (18.05.1746 laut Selfridge-Field) im Teatro San Angelo aufgeführt.187

In der Charakteraufzählung springt dem Leser sofort ins Auge, dass hier zwei Kulturen aufeinander treffen, sich fränkische und orientalische Charaktere gegenüberstehen (siehe Abb. 7).188 Während Erstere alle fränkischer Herkunft zu sein scheinen – der fränkische oberste Heeresführer Goffredo (gesungen von Giuseppe Niccola d’Albertis) mit den beiden anderen Heerführern Rinaldo (Emanuel Cornaggia) und Tancredi (Anna Bastiglia, Hosenrolle) sowie Gernando (Antonio Francia), Verantwortlicher des Feldlagers vor Jerusalem – finden sich unter den orientalischen Charakteren Nennungen zweier unter- schiedlicher Länder bzw. Regionen: Armidas (unter dem Namen Celinda; Angelica Saiz) und Argentes (Krieger; Francesca Buffelli, Hosenrolle) Herkunft

184 Antonio Palomba, Don Saverio, S. 14. „Ein Student/Geht so angezogen/In Neapel verwendet man keine Schleifen/Borten, Bänder und Federn/In verschiedensten Farben von grün, und gelb/Sohn, du erscheinst mir wie ein Papagei [Übers. EP].“ 185 Francesco Silvani, Armida al campo. Drama per musica da rappresentarsi nel Teatro a S. Angelo durante la Fiera dell’Ascensione in quest’anno 1746, digitalisierter Librettodruck, Venedig 1746, S. 5. „[...] Und andere militärische Aktionen [...] [Übers. EP].“ 186 Francesco Silvani, Armida, S. 5. „[...] Meister der Pferdedressur [Übers. EP].“ 187 Vgl.: Francesco Silvani, Armida, S. 1 (Titelblatt) und 5 sowie Handvermerke am Umschlag; und Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 500. 188 Vgl.: Francesco Silvani, Armida, S. 6.

45 wird nicht genannt, doch Clorinda (Teresa Castelli) ist äthiopische Prinzessin, und weiters sind diesem Kreis türkische Soldaten zuzuordnen. 189 Das Sujet dieser Oper, die bereits im 17. Jahrhundert in mehreren Vertonungen in Venedig aufgeführt wurde190, geht auf Tassos Gerusalemme liberata aus dem Jahr 1587 zurück und stellt den Konflikt zwischen christlichem Westen und muslimischem Osten in den Mittelpunkt – ein fast analoges Verhältnis zu den oben beschriebenen Wechselbeziehungen zwischen Venedig und dem Osmanischen Reich. 191 Mehrere Opern Venedigs sind bezüglich dieser Thematik seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts bekannt, darunter beispielsweise Il perfetto Ibraim gran visir di Costantinopoli (Anonymus, 1679), Il gran Tamerlano (A. Ziani/G. C. Corradi, 1689), Ibraim sultano (C. F. Pollarolo/A. Morselli, 1692) etc.192

Was die Szenenbeschreibung bzw. die gewünschte Umsetzung des Beginns der Oper betrifft, so passiert in Akt I/Szene I gleich etwas Ungewöhnliches, das auf den ersten Blick nichts mit Fremdartigkeit zu tun haben mag: Armida, die Magierin, betritt die Bühne nicht zu Fuß, sondern erscheint mit einem von zwei höllischen, flammenden Drachen gezogenen fliegenden Wagen über dem Lager der Franken: „Armida, sopra d’un aureo Carro tirrato per aria da due Draghi infernali e salanti fiamme [...].“193 Dies ist ein ziemlich deutliches Beispiel für Fiktion an einem realen Ort, so wie es Locke betreffend Fiktion versus Realität beschreibt (siehe oben). Die Szenenbeschreibung am Beginn des Librettos enthält die Szenen XI und XII, dessen Druckseiten dann allerdings fehlen194. Nichtsdestotrotz sollte das Publikum laut Szenenanweisung von 1746 auch hier Kamele und Elefanten auf der Bühne gesehen haben, diesmal aber nicht in der Schlacht getötete, sondern als Gepäcksträger fungierende Tiere im kurz bevorstehenden Frankenzug Richtung Ägypten: „[...] da un lato quantitá di

189 Vgl.: Francesco Silvani, Armida, S. 6. 190 Vgl.: Melania Bucciarelli, Venice and the East, S. 239. 191 Vgl.: Melania Bucciarelli, Venice and the East, S. 233. 192 Vgl.: Melania Bucciarelli, Venice and the East, S. 234–237. 193 Francesco Silvani, Armida, S. 7. 194 Überhaupt scheint bei dieser Librettoausgabe etwas durcheinander geraten zu sein, da sich einzelne Doppelseiten des zweiten und dritten Aktes mitten im ersten befinden, allerdings mit fortlaufend gedruckter Paginierung.

46 Carri, Cammelli ed Elefanti carichi del Baggaglio [...].“195 Auch Selfridge-Field hebt dies in ihrem Eintrag hervor.196

Im Wirrwarr der Handlung – Besetzung, Liebesbeziehungen mit Personen des gegnerischen Lagers, Rache seien als Schlagwörter genannt – wird der Unter- schied der beiden Kulturen auch in den beiden Intermezzi, hier als intermedio bezeichnet, zwischen den Akten deutlich. Sie sind definiert als azzioni militari, begleitet von Instrumenten, Chor und Tanz197: „The balli that ended the first two acts depicted Turks and Franks respectively.“198 Im intermedio primo199, in dem das Gute, das Böse und Unterdrückung allegorisch dargestellt werden, gehen fränkische Schiffe an Land, die Krieger bringen sich unter Trommelklang hinter ihrem Anführer Valore (ital. il valore meint in diesem Fall Tapferkeit, Tüchtigkeit) in Stellung, um Palästina und vier weitere Provinzen, verkörpert durch fünf weibliche Tänzerinnen, zu befreien: „Il Valor a te sen’ viene/Del rigor - di tue Catene/Per sgravarti;/Per sottrarti, o Palestina,/Alla cupida rapina/Al Livor - all’empietá./Tel lo invía d’Europa il Zelo/Per la pia - cagion, che il Cielo/Sempre fausto reggerá.“200 Europäische Christen wollen also das in ihrem Sinn Gute in die muslimisch unterdrückten Provinzen bringen und sie befreien. Doch sogleich treffen sie auf den grausamen Furore (ital. il furore = Raserei, Wut), den gegnerischen Anführer, auf einem prunkvollen Karren mit Palästina und den anderen in Ketten, gezogen von zwei Elefanten und eskortiert von türkischen Kriegern. Die befreiten „Provinzen“ bringen ihre Freude in einem Tanz zum Ausdruck, während Il Furore selbst in Ketten gelegt und vom fränkischen Chor verhöhnt wird: [...] Lo vedi/Se cedi?/L’Europa Guerriera/

195 Francesco Silvani, Armida, S. 5. 196 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 500. 197 Vgl.: Francesco Silvani, Armida, S. 26 und 45. 198 Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 500. Selfridge-Field erwähnt hier auch in einer Fußnote, dass für eine dieser azzioni militari zwischen den Akten, ausgeführt von sieben jungen Frauen, ein eigenes Libretto veröffentlicht wurde. Diese Angabe der Tänzerinnen stimmt mit dem vorliegenden Libretto überein: „Li Balli. Saranno eseguiti da sette abili giovanette [...]“ (Francesco Silvani, Armida, S. 5). [„Die Tänze. Werden ausgeführt von sieben fähigen jungen Frauen [...] [Übers. EP].“ 199 Vgl.: Francesco Silvani, Armida, S. 26f. 200 Francesco Silvani, Armida, S. 26. „Der Valor begibt sich zu dir/Der Strenge - deiner Ketten/Dich zu entlasten;/Dich zu entreißen, o Palästina,/Entgegen des gierigen Raubes/Entgegen der Missgunst - der Frevelhaftigkeit./Schickt er dir Europas Eifer/Für die heilige – Sache, dass der Himmel/Auf immer regiere [Übers. EP].“

47 Impera [...].“201 Die eine Kultur hat hier also die andere gleichermaßen befreit und besiegt.

Abb. 7: Gegenüberstellung der fränkischen und orientalischen Charaktere in Armida al campo.202

201 Francesco Silvani, Armida, S. 27. „[...] Siehst du?/Ergibst du dich?/Die Kriegerin Europa/ Herrscht [...] [Übers. EP].“ 202 In: Francesco Silvani, Armida, S. 6.

48 Beispiel 5: Gianguir (Giacomelli/Zeno, 1748) Szenenbeschreibung/Charaktere

Dieses dramma per musica in der von 1728 adaptierten Version des Carnevale 1748 wurde nicht in einem der großen Theater Venedigs aufgeführt, sondern im Teatro San Girolamo im Palazzo Labia, möglicherweise am 20. Februar.203 Eine Besonderheit gegenüber allen bisher angeführten Beispielen ist auch, dass es sich hierbei um eine mit Puppen gestaltete Aufführung handelte:

„Puppets (burattini, bambocci), although associated with street fairs, where they appeared on portable stages, were cultivated for indoor use in many situations. They were used in every part of Europe over several centuries and were especially popular in small private theaters where full-scale theatrical productions were not a possibility.“204

Diese Aufführungen mit Puppen waren laut Selfridge-Field im Venedig der 1680er und der 1740er Jahre in Mode, allerdings mit dem Unterschied, dass die Aufführungen der 1680er Jahre (die erste Produktion Venedigs mit Puppen wurde 1679 mit aus Wachs gefertigten Figuren im Palazzo Vendramin gezeigt) für Erwachsene, die der 1740er Jahre für Kinder konzipiert waren. Letztere fanden im oben genannten teatro domestico San Girolamo im Palazzo Labia mit Holzpuppen auf einer Bühne statt, welche eine exakte Miniaturausgabe der Bühne des Teatro San Giovanni Grisostomo war.205 Selfridge-Field zitiert die Beschreibung Groppos:

„The little theater was made of tables. The figures moved without any visible evidence of their artificiality. The costumes where magnificent, the lightning copius. The theater boxes, main floor, and orchestra pit were full of other figurines which were excellently made... The performances were given by a company of select musicians who were hidden behind the main box together with a substantial orchestra.“206 Und: „[...] the singers were much better than those of San Cassiano and San Moisé [...].“207

Diese Beschreibung zeugt von hoher Qualität der Puppenaufführungen im Palazzo Labia, und so wird auch Gianguir eine qualitätsvolle Adaption des von

203 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 625. 204 Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 622. 205 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 622. 206 Antonio Groppo, Catalogo di tutti drammi per musica, S. 281f; zitiert nach Eleanor Selfridge- Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 622. 207 Antonio Groppo, Catalogo di tutti drammi per musica, S. 290; zitiert nach Eleanor Selfridge- Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 625.

49 Geminiano Giacomelli vertonten und ursprünglich 1728 im Teatro San Cassiano aufgeführten dramma per musica gewesen sein. Für die Kostüme zeichnete wieder Natale Canziani verantwortlich.208 Während die Namen von Komponist und Kostümbildner im Libretto von 1748 abgedruckt sind, enthält es – wie alle anderen hier bereits bearbeiteten Libretti auch – nicht den Namen des Librettisten. Allerdings weist in diesem Fall der Umschlag des Librettos im Unterschied zu den vorherigen auch keine Handvermerke zu Librettist und Komponist auf. Selfridge-Field verzeichnet in ihrem Katalogeintrag, dass das Libretto Apostolo Zeno zugeschrieben werde.209

In dieser Oper stammt das Sujet nicht aus der römischen oder griechischen antiken Mythologie, wie sonst meistens für die opera seria dieser Zeit üblich, sondern gänzlich aus einem nicht-westlichen Kulturkreis – dies mag ein Grund dafür sein, dass das argomento im Libretto gleich vier Seiten umfasst und die Handlung und ihre Charaktere ausführlich erklärt werden, um dem Publikum den Inhalt verständlich zu machen. Zusätzlich wird am Ende dieser Handlungs- zusammenfassung auf die Quellen verwiesen, in denen das interessierte Publikum genauer nachlesen kann: nämlich in den Reiseberichten eines Francesco Bernier und in der allgemeinen Geschichte des Mogulreiches, verfasst von P. Francesco di Catrou210 nach den Memoiren des Venezianers Niccoló Manuzio.211

In eben diesem Mogulreich im fernen Indien spielt die Handlung dieses dramma per musica. In der Szenenbeschreibung wird der Schauplatz der Handlung festgelegt, nämlich Agra als Hauptstadt des Mogulreiches – der Ort, wo heute noch das Taj Mahal, ein berühmtes Mausoleum, zu bewundern ist. Dieses Bauwerk wird auch in der Bühnenbeschreibung zum ersten Akt erwähnt: „Piazza d’Agra con grand’Arco in prospetto. Ricco trono imperiale alla parte

208 Apostolo Zeno, Gianguir. Dramma per musica, Da rappresentarsi nel Teatro di S. Girolamo. Nel Carnovale dell’Anno 1748., digitalisierter Librettodruck, Venedig 1748, S. 8. 209 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 404. 210 Francesco di Catrou war eigentlich Franzose, Francois Catrou. 211 Vgl.: Apostolo Zeno, Gianguir, S. 3–6.

50 destra, e in lontano parte del Mahal o sia Palazzo Imperiale.“212 Das orienta- lische Bauwerk sollte dem Publikum vermutlich das Ferne, das Fremde und das vom abendländischen Gesichtspunkt betrachtete Exotische nahebringen, vielleicht Aufregung und Neugier erzeugen. Allerdings wird hier auch ein Herrscherpalast als Alternative zum Taj Mahal angeboten – einerseits, da Agra zur Regierungszeit Akbars Hauptsitz des Großmoguls war und dement- sprechende Herrschergebäude vorhanden waren bzw. noch immer sind, andererseits vielleicht, da ein Theater in seinem Fundus eher Bühnenbild- material zur Verfügung hatte, um einen hier nicht genauer definierten Herrscherpalast nach damaligem Bühnenstandard in Szene zu setzen, als die Möglichkeit, für nur eine einzige Oper das Abbild des fernen Taj Mahals produzieren zu lassen, was natürlich wiederum mit Kosten verbunden gewesen wäre.

Auch die Charaktere tragen im europäischen Kulturkreis weniger bekannte Namen (siehe auch Abb. 8). Gianguir, Cosrovio, Semira, Zama, Asaf, Mahobet und Jasingo erfüllen – trotz exotischem Schauplatz – jedoch eine eher konven- tionelle Personen- und Handlungskonstellation, nämlich die des Konfliktes um die Herrschernachfolge sowie diverser verwirrender Liebespaar-Konstellationen und deren Intrigen:

„In this story from Moghul history, the rebellious Jahanghir, the son oft he emperor Akhbar/Acabar (1543 - 1605), displeased his father so much that on his deathbed Akhbar wished to pass the throne to his nephew Chosroes/Cosrovia. In this account Jahanghir, after contesting his father’s decision, married Zama, who had a daughter named Mirakha. Jahangir arranged for Chosroes to marry Mirakha and manipulated various aspects of their situation.“213

Das Sujet stammt aus der indischen Geschichte, ist also ein historisches:214 Akbar war berühmt für seine Aufgeschlossenheit und Toleranz und regierte nach dem Leitspruch „Friede mit allen“. Er hatte grundsätzlich keine Vorliebe für Grausamkeit, wenn jedoch Widerstand gegen ihn erhoben wurde, zeigten sich

212 Apostolo Zeno, Gianguir, S. 7. „Platz von Agra mit großem Bogen im Blick. Prunkvoller Herrscherthron auf der rechten Seite, und in der Ferne Teile des Taj Mahal oder eines Herrscherpalastes [Übers.: EP].“ 213 Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 404f. 214 Zu folgenden Ausführungen über Akbar vgl.: Ernst Diez, Akbar. Gottsucher und Kaiser, Wien 1961, S. 5, 33, 43 und 203.

51 durchaus Zorn und große Rohheit. Akbar ließ bauliche Neuerungen in Agra durchführen und weitete dadurch die Stadt als Residenz aus, inklusive der Errichtung des Forts mit seinen mächtigen Mauern und Toren. Im Jahr 1605 folgte ihm sein ältester Sohn Selim unter dem Namen Dschehangir auf den Thron, obwohl dieser seinem Vater in seiner Jugend einige Schwierigkeiten bereitet hatte:215 Selim beanspruchte in Abwesenheit des Vaters die Macht über Teilgebiete Indiens, nannte sich gar Kaiser von Hindustan. Er befand den Einfluss Abul Fasls – bester Freund und Ratgeber des Vaters – schon lange als Ursache für die verunglückte Vater-Sohn-Beziehung und ließ ihn töten, als er erfuhr, dass der Vater den Feind des Sohnes um Rat zu fragen plante. Akbar, geplagt von Schmerz und Rachegefühlen, umarmte letztendlich seinen Sohn nach langer Zeit und dessen tränenreicher Entschuldigung, und da sein zweit- geborener Sohn durch Alkoholsucht bereits zu sterben drohten, musste er notgedrungen Selim zum Thronfolger ernennen.

Abb. 8: Charaktere des dramma per musica Gianguir.216

215 Zu folgenden Ausführungen über Selims Revolte vgl.: Ernst Diez, Akbar, S. 72–73. 216 In: Apostolo Zeno, Gianguir, S. 8.

52 Beispiel 6: Alcimena, principessa dell’isole fortunate o sia L’Amore Fortunato ne’ suoi disprezzi (d’Anossa/Chiari, 1750) Charaktere/Verhalten/Geschlecht/Text

Das Libretto dieses dramma per musica enthält im Vergleich zu allen anderen interessanterweise keinen Handvermerk über Librettist und Komponist am Umschlag. Der Komponist, Baldassare Galuppi (auch Buranello genannt), der Choreograf der balli, Gaspero Cassioni, und Kostüm- sowie Bühnenbildner, Nadal Canciani und Domenico Mauri, sind wie üblich im Libretto abgedruckt217, aber es fehlt jegliche Angabe zum Komponisten. Selfridge-Field jedoch gibt Pietro Chiari als Librettisten des am 10. Jänner 1750 aufgeführten Werkes an, allerdings mit dem Vermerk, dass dieser den Text bzw. die Handlung von Moliére adaptiert hätte.218 Auch in der Einleitung verweist der Librettist gleich zu Beginn auf Moliére und sein Stück La Principessa d’Elide, welches für die Mischung aus Geschichte und Märchen Alcimena Principessa dell’Isole fortunate als Vorlage diente.219

Alcimena ist Prinzessin der Glücksinsel – ein fiktiver Ort, der wunderbar in den oben beschriebenen Binarismus von Realität und Fiktion von Locke passt. Sie ist auf der Suche nach einem Ehemann und lädt mehrere in Frage kommende Anwärter – renommierte Prinzen aus ganz Indien, wie in der Einleitung des Librettos zu lesen ist220 – zu Hofe auf ihre Insel, um im Rahmen von Turnieren und Wettkämpfen ihren Ehemann selbst auszuwählen. Doch eigentlich ist Alcimena nur mit sich selbst beschäftigt, ist scheinbar nicht fähig, auf andere einzugehen. Dies bemerkt einer der Prinzen und versucht ihr Herz doch noch zu erobern, indem er ihr Verhalten spiegelt. Alcimena ist erzürnt und kann nicht glauben, dass es auf der Welt jemanden gibt, der sich nicht von ihrer Schönheit beeindrucken lässt. Indem sich besagter Prinz in seinem Verhalten und seiner Art von den anderen differenziert und sich auf die gleiche Ebene mit Alcimena stellt, wird es möglich, dass die beiden sich langsam annähern und am Ende

217 Vgl.: Pietro Chiari, Alcimena Principessa dell’isole fortunate o sia L’Amore Fortunato ne’ suoi disprezzi. Dramma per musica Da rappresentarsi nel Teatro Tron di San Cassiano Il Carnovale dell’Anno 1750, digitalisierter Librettodruck, Venezia 1750, S. 4 und 5. 218 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 526. 219 Vgl.: Pietro Chiari, Alcimena, S. 2. 220 Vgl.: Pietro Chiari, Alcimena, S. 2f.

53 doch ganz zueinander finden, zu „[...] Gli Amanti fortunati ne’ loro disprezzi“221 werden.

Alcimena, die so auf sich selbst konzentriert ist und keinen Zugang zu ihrer Person, ihrem Herzen gewährt, ist ein typisches Beispiel für den im Exotismus oft verwendeten Binarismus Self and Other, Selbst und Gegenüber: bildlich vorstellbar als das Individuum, die einzelne Person, die einer Masse, einer Gruppe gegenübersteht; Alcimena hier, die Freier dort. Was hier natürlich noch hinzukommt, ist der geschlechtliche Gegensatz: Alcimena, die Frau, die trotz ihrer schweren Zugänglichkeit einen Bräutigam finden will – oder auch nicht, im Anfangsdialog (Akt I/Szene 1) wirkt sie eher missmutig – und ihr gegenüber lauter Männer, die sich in Wettkämpfen um sie bemühen und ihre Schönheit bewundern. Die Ausnahme bildet eben jener, der sich ihr in ihrem eigenen, im selben Verhalten gegenüberstellt, somit ihre Aufmerksamkeit erregt und sich dadurch gleichzeitig von allen anderen Mitbewerbern abhebt.

Während also die im Text immer wieder erwähnten „Tre Prenci stranieri“222 aus China, (Fochimo, gesungen von223 Sebastiano Emiliani), Japan (Taicosama224, Giuseppe Rossi) und Liliput (Diomiro, Antonio Amati) um Alcimenas (Madalena Ferandini) Gunst werben, diskutiert diese mit ihrer Vertrauten Barsina (Angela Sartori) ihre eigene Aussichtslosigkeit, ja man könnte fast meinen, sie beschwert sich, dass keiner der Richtige für sie sei. Während Barsina versucht, sie zu überzeugen („Ognun t’ama.“225), wehrt Alcimena ab („Non basta.“226), doch Barsina lässt nicht locker („Ah Principessa;/Si felice qual sei/Che vuoi di piú?“ 227 ). Nun folgen Passagen zu den verschiedenen Eigenschaften der Prinzen, textlich jeweils gebunden an die Person und deren Herkunft. Beispielsweise meint Barsina: „Il Prence Taicosama/Non ritrovi un Eroe: Le

221 Pietro Chiari, Alcimena, S. 3. 222 Pietro Chiari, Alcimena, S. 6. 223 Vgl.: Pietro Chiari, Alcimena, S. 4. 224 Der Name Taicosama stammt laut Selfridge-Field (A New Chronology of Venetian Opera, S. 526) tatsächlich aus dem Japanischen und war Titel eines japanischen Eroberers im 16. Jahrhundert; taiko (Trommel) hat mehrere Bedeutungen und sama meint soviel wie Respekt. 225 Pietro Chiari, Alcimena, S. 6. „Jeder von ihnen liebt dich [Übers. EP].“ 226 Pietro Chiari, Alcimena, S. 6. „Das reicht nicht [Übers. EP].“ 227 Pietro Chiari, Alcimena, S. 7. „Ach Prinzessin;/Glücklich wie du bist/Was willst du mehr? [Übers. EP].“

54 Giaponesi/Bellicose contrade/Oggi amirano in esso un’alma eguale/Al maestoso Aspetto,/Gran cor, pensieri eccelsi, animo forte.“228 Doch Alcimena kontert wieder: „Amore é al par d’ogn’altro/Sprezzatore de rischi, e della morte;/Ma in un’alma orgogliosa/Nata alle stragi, e al sangue/Amor non regna, o per altrui gran danno/Vi regna non da Re, ma da Tiranno.“229 Im nächsten Versuch lobt Barsina des chinesischen Prinzen Zärtlichkeit, seine Hochachtung vor den Künsten und der Natur („E nel Prence Chinese,/Di Fochimo nel core,/Con amorosa cura/Non accolsero forse/Ogni lui piú bel pregio arte, e natura./Principessa, tu sai....“ 230 , aber Alcimena, sich seiner Klugheit und Tugenden bewusst, setzt dem die Gefahr von Unglück und einer blinden Liebe entgegen, die aus solchen Eigenschaften entsteht: „Io so di lui/La virtude, il Saper. So che la China/De’ studi amica, e de felici ingegni/Madre seconda, in lui/Ripose ogni sua speme./Ma so di piú, che la virtú s’affina/Nell’avversa Fortuna, e al cieco Amore./Far da serva non puó la sua Regina.“231 In einem letzten Versuch, bevor Alcimena Barsina rät, erst selbst einmal zu lernen, was Liebe eigentlich sei, trägt Barsina noch kurz und schon ohne Hoffnung auf Erfolg Diomiros Eigenschaften vor („Dunque a Diamiro ancora/Poco lice sperar! Poco a lui giova/Di Liliput l’antica/Nel Regno de Pignei stirpe famosa,/La breve etade, e la piú breve assai/Spregievole statura....“232), doch auch in diesem Fall ist Alcimena unzufrieden („Amor, senno e consiglio/Da membri, e dall’erá non si misura./A Colossi, e a Giganti/Manca sovente il cor; e piú sovente/In picciol corpo un’alma grande alberga,/Diomiro io non dispregio/Ma per ció, ne pur

228 Pietro Chiari, Alcimena, S. 7. „Im Prinzen Taicosama/Wirst du keinen Helden wieder- finden/Die japanischen/kriegerischen Gefilde/Schätzen heute seine Seele ebenbürtig/Dem majestätischen Anblick,/Großes Herz, höchste Aufmerksamkeit, starker Verstand [Übers. EP].“ 229 Pietro Chiari, Alcimena, S. 7. „Die Liebe ist die gleiche wie die der anderen/Vertreiber des Gefährlichen, und des Todes;/Aber eine hochmütige Seele/Geboren im Gemetzel, und Blut/Amor regiert nicht, oder als weiterer großer Schaden/Regiert er euch nicht als König, sondern als Tyrann [Übers. EP].“ 230 Pietro Chiari, Alcimena, S. 7. „Und der chinesische Prinz,/In Fochimos Herz,/mit Zärtlichkeit/Nahmen sie [Kunst, und Natur.] denn nicht/Seine besten Vorzüge [...]/Prinzessin, du weißt... [Übers. EP].“ 231 Pietro Chiari, Alcimena, S. 7. „Ich weiß um ihn/Die Tugend, das Wissen. Ich weiß von China/Aus Studien Freundin, und aus glücklichem Verstand/Zweite Mutter, in ihm/Ruht jede Hoffnung./Aber ich weiß auch, dass die Tugend sich wendet/Gegen Fortuna, und zur blinden Liebe./Zur Dienerin machen kann er nicht seine Königin [Übers. EP].“ 232 Pietro Chiari, Alcimena, S. 7f. „Also zu Diamiro noch/Wenig hat er zu hoffen! Wenig nützt ihm/Aus dem antiken Liliput/Vom Reich der Pygmäen die rühmliche Sippe,/Das junge Alter, und die kürzeste/Verächtliche Statur... [Übers. EP].“

55 l’amo; e non potrei/Forse amarlo giammai.“ 233 ). Drei Männer mit den unterschiedlichsten Eigenschaften sowie verschiedenster Herkunft können Alcimenas Erwartungen nicht gerecht werden, „sie ist mit keinem zufrieden“, was nur noch stärker ihre Unzugänglichkeit hervorhebt. Dieses Beispiel zeigt sehr gut die direkte und wörtliche Auseinandersetzung mit dem Fremden bzw. hier den Fremden im Text.

233 Pietro Chiari, Alcimena, S. 8. „Liebe, Verstand und Rat/An Mitgliedern, und der Zeit misst man nicht./Den Kolossen, und Giganten/Fehlt oft das Herz; und noch öfter/Wohnt in einem kleinen Körper eine große Seele,/Ich verachte Diomiro nicht/Aber weder liebe ich ihn; und werde ich nicht/Vielleicht niemals lieben können [Übers. EP].“

56 4 Fallstudie: Alessandro nell’Indie (Pietro Metastasio)

Die Inhalte bzw. Handlungen der drammi per musica aus dem 18. Jahrhundert bestehen, typisch für diese Zeit, meist aus griechischen und römischen mythologischen oder historischen Sujets. Feldman meint dazu sogar, dass die italienische Oper aus dem Aufführen von Sujets mythischer Traditionen und historischer Erzählungen sowie dem Überführen der Historie in Mythos entstanden sei. Sie stützt sich dabei auf Literatur rund um einen Themenkreis, der unter anderem Apostolo Zeno, Metastasio und die Barockoper umfasst, wobei Rom eine große Rolle zu spielen scheint.234 Diese ernsten Opern dienten meist als Repräsentationsform der Herrscherhäuser, ihre Aufführungen fanden also am Hof statt – Venedig mit seinen „öffentlichen“ Theatern bildete hier eine Ausnahme, doch auch hier war meist gehobenes Publikum zugegen (siehe auch Kapitel 2). Was läge hier näher, als dem Publikum einen aus der Historie gut bekannten Herrscher, wie es beispielsweise Alexander der Große war, als Verhaltens- und moralisches Vorbild „vorzusetzen“? Vor allem unter dem Einfluss der Accademia Arcadia schrieb Metastasio seine durch Moral und historischen Persönlichkeiten geprägten Libretti und war einer der erfolg- reichsten opera seria-Librettisten seiner Zeit.235

4.1 Historie und Mythos: Alexander der Große und sein Feldzug gegen Poros

Alexander (356 v. Chr., geboren in Pèlla, bis 323 v. Chr., gestorben in Babylon), Sohn von Philipp II., König von Makedonien, trat bereits im jungen Alter von 19 Jahren die Nachfolge seines Vaters an, nachdem dieser einem Attentat im Zuge von Hochzeitsfeierlichkeiten in der Familie zum Opfer fiel.236 Bereits sein Vater hatte den großen Feldzug gegen die Achaimeniden bzw. das Reich der Perser („[...] das erste Weltreich des Vorderen Orients [...]“237) eröffnet, den Alexander 336 v. Chr. sogleich fortsetzte, dieses Reich zerstörte und somit zum

234 Vgl.: Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 229. 235 Vgl.: Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 230. 236 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, München 2005, S. 9f. 237 Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 10.

57 Begründer des Hellenismus wurde; und aus dem ein Eroberungsfeldzug wurde, der Alexander bis in den Osten Indiens führte. Gemessen an der Größe seines Reiches, das kurz vor seinem Tod von Makedonien über das heutige Ägypten und den Vorderen Orient bis eben nach Indien reichte – und Alexander hatte noch immer nicht genug – scheint sein Beiname der Große 238 heute wohl berechtigt. Interessant ist aber, dass er dieses Attribut nicht etwa vom eigenen Volk, den Makedoniern, oder den Griechen, sondern von den Römern erhielt. Mit seinem Namen ist unweigerlich Ruhm und Größe verbunden: „Hellenistische Könige und römische Kaiser maßen sich an der unerreichbaren Gestalt des Welteroberers.“ 239 In diesem Kapitel sollen nun aber nicht der detaillierte biografische Abriss Alexanders, dessen endlose Feldzüge, Städte- gründungen, Welteroberungsdrang und Forschungsneugier thematisiert werden, was ihn jahrzehntelang von der Heimat trennte, sondern sein Feldzug nach Indien bzw. jener gegen den indischen Herrscher Poros, den er am Ende an seiner Seite wusste – denn dieses Aufeinandertreffen ist letztlich auch jenes, von dem das Opernpublikum des 18. Jahrhunderts in Europa in Metastasios Alessandro nell’Indie erfahren hat.

Doch zuerst noch ein paar Worte zu Alexander-Rezeption 240 und -Mythos: „Erfahren“ ist hier eigentlich die falsche Wortwahl, denn Alexander war nicht einfach nur eine historische Figur, die ungeachtet ihres Tun und Wirkens gleich wieder verblasst wäre, sondern gleichsam ein Mythos, der sich Jahrhunderte und Jahrtausende gehalten hat:

„Keine andere historische Gestalt kommt Alexander an zeitlicher Dauer und geographischer Verbreitung des Nachlebens gleich. Die Verklärung Alexanders zu einer mythischen Gestalt begann bereits zu Lebzeiten und dauerte durch das gesamte Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit, im Grunde bis zum heutigen Tag. [...] Dabei macht es die Einzigartigkeit der Nachwirkung Alexanders aus, daß sie nicht auf den christlichen Bereich beschränkt blieb. [...] der Alexander-Mythos [...]

238 Zur Diskussion bzw. Sichtweise dieses Beinamens im Verhältnis zu anderen Herrschern und weitere Bedeutungen sowie Auswirkungen von Alexanders Erneuerungszügen vgl.: Hans- Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 10–15. 239 Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 10. 240 Zur Rezeption in den Künsten siehe unten.

58 verbreitete sich weit über die Grenzen des christlichen Abendlandes hinaus und 241 schlug auch in muslimischen Ländern Wurzeln.“

Alexander dürfte somit im Europa (und auch im Venedig) des 18. Jahrhunderts keine unbekannte Figur in gebildeten Kreisen gewesen sein, gehörte doch humanistische Bildung zur Erziehung – und auch zur Ausbildung eines Libret- tisten242:

„[...] the eighteenth-century mind was filled to the brim with detailed knowledge of famous historical characters and events [...] [and, EP] members of eighteenth- century audiences [...] would have had a store of knowledge that we no longer possess.“243

Die Quellen, deren Überlieferungen und die daraus entstehenden Erzählungen jedoch sind mit Vorsicht zu genießen, widersprechen sie sich doch laut Wiemer in einigen Punkten und sind zeitlich sehr weit voneinander entfernt. Dies soll nun aber nicht die an dieser Stelle zu behandelnde Problematik sein244, es seien fürs erste Plutarch und Arrian genannt, auf welche sich unter anderem alle für diese Arbeit verwendeten Alexander-Erzählungen stützen. Während Plutarch245 sich auf eine Kurzbiografie Alexanders und die herausstechendsten Ereignisse konzentriert, baut Arrian 246, wie im deutschen Untertitel Indische Geschichte angedeutet, genaueste Beschreibungen geografischer, kultureller Natur, vom Verhalten der Menschen, ihrer Bräuche und Sitten etc. rund um die Alexander-Erzählung und hat daraus somit eine wichtige Quelle nicht nur für die Alexanderforschung, sondern auch für die historische Forschung über Indien geschaffen.

241 Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 13. 242 Vgl.: Richard G. King, Classical History and Handel’s ’Alessandro’, in: Music and Letters, Vol. 77/Nr. 1 (1996), S. 35 und 36. 243 Richard G. King, Classical History, S. 37. Zu detaillierteren Informationen zur Rezeption des Alexander-Mythos von griechischer und römischer Antike über das Mittelalter, die westliche und orientalische Welt sowie in den Künsten, der (modernen) Geschichts- und Kulturwissenschaften siehe: Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 187–211 sowie Richard G. King, Classical History, S. 34–63. 244 Zum Thema der Quellenlage siehe: Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 15–46. 245 Plutarch, Große Griechen und Römer, übers. von Konrat Ziegler, Zürich u.a. 1960 (Die Bibliothek der alten Welt, Griechische Reihe, Band 5), S. 7–100. 246 Arrian, Der Alexanderzug. Indische Geschichte, griechisch und deutsch, hg. und übers. von Gerhard Wirth und Oskar von Hinüber, München u.a. 1985.

59 Alexander passierte nun im Laufe seines Eroberungsfeldzuges mit seinem riesigen Heer die Grenze zu Indien247.

„Die griechischen Märchen über Indien gehörten zur Erziehung jedes Prinzen. [...] Inmitten seiner Mythen und Fabeln bot Indien einem Eroberer Gelegenheit zu unsterblichem Ruhm. Harte Kämpfe standen bevor – genau das, was Alexander gefiel.“248

Er eroberte eine Region nach der anderen (Indienfeldzug von 327 bis 325 v. Chr.).249 Wie auch schon zuvor durfte in den unterworfenen Gebieten meist der jeweilige dort einheimische Fürst250 seine Position behalten – sofern von der Stadt oder der Region kein Widerstand geleistet wurde und Alexander jene mit Sicherheit auf seiner Seite wusste, und so konnte er auch sein Heer vergrößern –, wurde aber meist einem sogenannten Satrapen, in diesem Fall einem Verwaltungsbefugten Alexanders, unterstellt. Wer allerdings Widerstand leistete, wurde mit eiserner Härte bestraft: „Wer Alexander die Huldigung versagte, und sei es auch nur, indem er flüchtete, hatte Besitz und Leben verwirkt. Wer dem König dagegen unterwürfig begegnete, durfte auf huldvolle Behandlung hoffen.“ 251 Auch Wirth erwähnt „die auffallende Härte von Alexanders Kriegsführung, die sich in Indien immer mehr zu steigern scheint [...].“252

Alexanders Motivation bestand aber nicht allein aus der Unterwerfung des asiatischen Kontinents, vielmehr wurde er von dem Ziel vorangetrieben, das

247 Das damalige Indien, so wie es den Griechen bekannt war, „[...] umfaßte das von den Griechen Paropamisaden genannte Kabul-Tal, die achaimenidische Provinz Gandhara, die in etwa der sogenannten Nordwestprovinz Pakistans entspricht, das Pandschab («Fünfstromland») und das untere Indus-Tal, heute Sindh genannt, also ungefähr das Gebiet des Staates Pakistan mit Ausnahme Belutschistans; die Grenze zur erst 1947 gegründeten Bundesrepublik Indien hat Alexander nur um wenige Kilometer überschritten.“ Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 140f. 248 Robin L. Fox, Alexander der Große. Eroberer der Welt, deutsche Ausgabe, übers. von Gerhard Beckmann, Stuttgart 2004, S. 440–441. 249 Zu folgender Nacherzählung über den Feldzug durch Indien und den Kampf gegen Poros vgl.: Siegfried Fischer-Fabian, Alexander der Große, Wien 2003, S. 226–273; Robin L. Fox, Alexander der Große, S. 436–489; Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 140–150; sowie Gerhard Wirth, Alexander der Große, S. 50–60. Alle wörtlichen Zitate innerhalb dieser Nacherzählung siehe jeweilige Fußnoten. 250 „Als Alexander den Indus überschritt, traf er auf unabhängige und miteinander rivalisierende Fürsten (Hyparchen) [...]; eine politische Zentralgewalt bestand nicht.“ Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 141. 251 Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 144. 252 Gerhard Wirth, Alexander der Große, S. 45.

60 Ende der Welt – damals am östlichen Rand Indiens vermutet – zu erreichen, hatten doch auch schon griechische Götter wie beispielsweise Dionysos oder Herakles diese Reise gewagt. Hierbei machte er auch die Entdeckung, dass der Ganges – fälschlicherweise durch Entdeckung von Flora und Fauna gleich jener Ägyptens als Ursprung des Nils geglaubt – in den Ozean, das Weltmeer, fließt. Jedenfalls wurde Alexander schon vor dem Beginn des Indienfeldzuges von Taxiles (oder auch: Ambhi von Taxila), einem indischen Fürsten mit Machtzentrum in Taxila (heute bei Islamabad), kontaktiert und um Hilfe beim Vorgehen gegen den benachbarten und verfeindeten Fürsten Poros gebeten. Als er 326 v. Chr. schließlich soweit vorgedrungen war, wurde er dort freundlich aufgenommen, und es wurde in gegenseitiger Unterstützung gegen Poros gekämpft. Taxiles’ Unterstützung bestand unter anderem aus der Bereitstellung von Soldaten und „Kriegsmaschinerie“, darunter Kriegselefanten einschließlich ihrer Reiter, welche Alexander schon früh als Kriegs- und Transporttiere einsetzte, über welche er ursprünglich selbst aber nicht verfügte. Der Einsatz von Kriegselefanten wurde von hier an typisch und findet in den verwendeten Erzählungen über die Eroberung Indiens immer wieder Erwähnung. Erst Gefahr für Alexander und sein Heer,

„[...] sollte Alexander sich als erster westlicher General ernsthaft mit dem elephas maximus auseinandersetzen [...]. [...] Der Elefant beherrschte die indische Phantasie in solchem Maße, daß er nach der Hindumythologie die Erde auf seinen Schultern trägt. Aber in einem Zeitraum von fünf Jahren machte sich Alexander den Elefanten zu eigen. Elefanten bewachten sein Zelt. Abbildungen dieses Tieres schmückten seinen Begräbniswagen [...]. [...] Dank Alexander verbreiteten sich erstmals genauere Kenntnisse über den Elefanten im Abendland.“253

(Später werden wir sehen, dass auch im Libretto von Metastasio in der Szenenanweisung zu Akt II von Elefanten die Rede ist.) Alexander befand sich nun am Fluss Hydaspes, der zuerst ein unüberwindliches Hindernis darstellte. Am anderen Ufer wurde er bereits von den Truppen des Poros erwartet. Während Alexanders Männer das gegenüberliegende Lager „[...] durch Hörnerschall, Schlachtgesänge, donnernde Galopparden, Feuerzeichen, Scheinübergänge [...] in ständiger Alarmbereitschaft [hielten]“254 und täuschten,

253 Robin L. Fox, Alexander der Große, S. 445f. 254 Siegfried Fischer-Fabian, Alexander der Große, S. 246.

61 entdeckten einige Kundschafter hinter einer nahen Flussbiegung eine Möglichkeit zum Übersetzen. Alexander ging mit gutem Beispiel voran und ritt mit seinem Pferd Bukephalos in die Fluten des anschwellenden Flusses. Doch er und seine Soldaten waren nicht schnell genug, um den Feind dann überraschend von der Seite anzugreifen.

„Zwei Welten traten einander gegenüber: der moderne Truppenführer [gemeint ist Alexander, EP] mit einem hochgerüsteten, disziplinierten Heer, das im Zusammenspiel verschiedener Waffengattungen seiner Zeit weit voraus war, und ein König [Poros, EP], der noch ein Ritter war mit einer tapferen, aber schwerfälligen Armee.“255

Die unvermeidliche und brutale Schlacht nahm in direkter Konfrontation ihren Lauf, und die durch Verletzungen in Panik geratenen Elefanten zertrampelten Freund und Feind, beide Seiten mussten schwere Verluste hinnehmen, Poros war verwundet. Doch bis zuletzt hielt Poros durch, und erst als der letzte Widerstand seiner Truppen aufgegeben wurde, verließ auch er das Schlachtfeld.256

Nun weicht hier an dieser Schlüsselstelle der Hergang der Geschehnisse bei Plutarch und Arrian etwas voneinander ab, sinngemäß enthält der jeweils wiedergegebene Dialog zwischen Alexander und Poros aber dasselbe. Laut Arrian schickte Alexander Poros den Taxiles hinterher, denn „Alexander wünschte sehr, ihn, nachdem er ihn im Kampf als großartige, tapfere Persönlichkeit kennengelernt hatte, am Leben zu erhalten [...].“257 Es gelang, Poros zu einem Gespräch zu bewegen, allerdings nicht durch Taxiles – er war ja Poros’ Erzfeind –, sondern durch einen weiteren Gesandten, einen Gefange- nen aus den Truppen des Poros. Plutarch hingegen lässt dies aus und geht von einer Gefangenschaft des indischen Herrschers aus, danach folgt der Schlüsseldialog, der Alexander Großmut attestiert:

„Als Poros gefangen war und Alexander ihn fragte, wie er ihn behandeln solle, antwortete er: «Königlich», und als er weiter fragte, was er sonst noch zu sagen habe, sagte er: «In dem ‚königlich’ ist alles enthalten.» Alexander ließ ihn daraufhin nicht nur das bisher beherrschte Land unter dem Namen eines Satrapen weiter

255 Siegfried Fischer-Fabian, Alexander der Große, S. 250. 256 Vgl.: Arrian, Der Alexanderzug, S. 415. 257 Arrian, Der Alexanderzug, S. 415.

62 beherrschen, sondern gab ihm noch einen Teil des bisher unabhängigen Landes, 258 das er unterworfen hatte, hinzu [...].“

Diese Großzügigkeit Alexanders gegenüber dem Erzfeind war Taxiles natürlich überhaupt nicht recht. Fischer-Fabian zufolge quartierte sich Alexander gar in Poros’ Palast ein und verfolgte fasziniert die fremde, ungewohnte Lebensweise indischer Fürsten:

„Frauen waren es, die des Poros Tage und Nächte bestimmten. Sie bereiteten ihm die Speisen, kosteten sie, bevor sie auftrugen; probierten auch den Wein, ob er nicht mit Gift versetzt war. Hatten sie ihn bei Anbruch der Nacht in den Schlaf gesungen, weckten sie ihn nach jeweils zwei Stunden und führten ihn in ein anderes Schlafgemach, um jene, die ihm vielleicht ans Leben wollten, zu täuschen. Sie wuschen ihn morgens, frisierten, massierten ihn und unterbrachen die Schönheitspflege nicht, wenn er fremde Gesandte empfing oder Recht sprach. [...] Bei der Jagd verließen ihn die Frauen nicht, bildeten mit ihren Pferden und Sänften einen Kordon um den juwelengeschmückten Elefanten [...]. Im Wildgehege standen sie bei ihm [...]. Bei der Tigerjagd reichten sie ihm die Pfeile, nachdem das Raubtier von allen Seiten eingekesselt war. Alexander verstieß bei einer solchen Jagd gegen die Hofetikette, als er sich von seinem Jagdelefanten herabgleiten ließ und den Tiger mit der Lanze anging.“259

Im Übrigen verzichtete Alexander darauf,

„[...] für das Gebiet bis zum Hyphasis einen [eigenen, EP] Satrapen einzusetzen, und räumte Poros damit die Stellung eines nahezu unabhängigen, nur durch ein Treueversprechen gebundenen Fürsten ein. Kaum hatte Alexander daher das Pandschab verlassen, brach seine Oberherrschaft wie ein Kartenhaus zusammen.“260

Interessant an dieser Stelle ist, dass hierzu im Gegensatz zu Wiemer Fischer- Fabian schreibt: „Auf die Treue des Poros [...] war Verlaß.“261 Wie auch immer, der Monsunregen, Naturkatastrophen und die eigenen streikenden Soldaten konnten Alexander nicht aufhalten weiterzuziehen, und erst das Erreichen des Indus-Deltas und die folgende „[...] Erkundungsfahrt ins offene Meer ergab[en], daß der Indus tatsächlich in den Ozean mündete; der Rand der Erde war

258 Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 83. 259 Siegfried Fischer-Fabian, Alexander der Große, S. 251f. 260 Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 148f. 261 Siegfried Fischer-Fabian, Alexander der Große, S. 277.

63 erreicht. Nun konnte Alexander den indischen Feldzug für beendet erklären [...].“262

Die oben angesprochene Großmut und Großzügigkeit Alexanders gegenüber Poros ist ein für einen kriegerischen Welteroberer ein herausstechender Charakterzug, jedoch nicht der einzige. Aus den verschiedensten Situationen lassen sich einige Eigenschaften Alexanders deutlich herauslesen oder werden wörtlich genannt. So wurde der junge Alexander von Plutarch als schwer beugsam, ehrgeizig und voller Tatendrang beschrieben und als einer, der Angst hatte, der Vater würde ihm bei dessen Feldzügen schon alle Siege im Voraus wegnehmen. So nahm Alexander bereits im Alter von 16 Jahren an seinen ersten Schlachten teil.263 Außerdem veranlasste ihn sein ehrgeiziges Streben nach Wissen und hoher Bildung zu Korrespondenzen mit Aristoteles. 264 Alexander war geschickt, er wusste sein Heer strategisch ausgeklügelt einzusetzen und versuchte bei seinen Unterwerfungszügen,

„[...] sich noch mehr in seiner Lebensart den Einheimischen an[zupassen] und suchte andererseits diese den makedonischen Sitten nahezubringen in dem Glauben, daß er durch eine solche Mischung und Gemeinschaft auf gütlichem Wege seine Macht besser begründen werde als durch Gewalt, wenn er sich weit entfernte.“265

Das zeigt beispielsweise besonders deutlich die Beibehaltung des persischen Hofstaates und die nach dem Tod des Dareios eingeführte Mischkleidung, die sich aus persischen und makedonischen Elementen zusammensetzte und wohl ein Versuch einer Synthese war. 266 Eine weitere Anekdote zeugt von Alexanders Selbstdisziplin: Im Feldzug gegen die Perser ließ er der gefangenen Frau und den beiden Töchtern des Dareios – erstere galt angeblich als die schönste Frau des Reiches – großmütige Behandlung (ähnlich wie später dem Poros), Quartier und Schutz zuteil werden und beanspruchte sie nicht für sich, so Plutarch über Alexanders Selbstbeherrschung Frauen gegenüber.267 Die

262 Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 150. 263 Vgl.: Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 11–13 und 16. 264 Vgl.: Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 14f. 265 Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 65. 266 Vgl.: Gerhard Wirth, Alexander der Große, S. 95. 267 Vgl.: Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 31f.

64 einzige Frau, die ihn jemals zu brechen vermochte, war Roxane und durch die (strategisch kluge) Heirat mit ihr gewann er das Vertrauen der ihrem Stamm angehörenden Barbaren, „[...] weil er auf diesem Gebiete so außerordentlich beherrscht war und auch die einzige Frau, die ihn bezwungen hatte, nicht ohne Einhaltung der gesetzlichen Form zu berühren wagte.“268 Bei Wirth ist auch noch von anderen strategischen Ehebündnissen die Rede269, die als Alternative zu gewaltsamer Unterwerfung dienten.

Eine andere charakterliche Seite des Eroberers wird deutlich, wenn Plutarch meint, dass Alexander „[...] aber auch furchtbar und unerbittlich im Bestrafen derer [war], die sich vergingen.“ 270 Wie bereits erwähnt, duldete er keinen Widerstand, wer sich auflehnte, musste mit dem Tod rechnen. So statuierte er im Alter von nur 22 Jahren ein brutales Exempel, als die Einwohner der Stadt Theben sein Versöhnungsangebot ausschlugen: Das Ergebnis waren über 6000 Männer, Frauen und Kinder sowie der Verkauf der restlichen Bevölkerung (etwa 30 000) als Sklaven.271 Alexander hatte auch keine Skrupel, dem Gegner trotz Waffenstillstand in den Rücken zu fallen, wie Plutarch erzählt und zu diesem Vorfall erklärt: „Dies haftet als Schandfleck auf seinen Kriegstaten, da er sonst seine Kriege rechtmäßig und, wie es einem König ziemt, führte.“272

Kritik herrschte aber auch bereits in der Antike über Alexanders angeblichen übermäßigen Alkoholgenuss, den Mord an seinem Kameraden Kleitos durch Affekt im Rausch und im Streit und ähnliche Vorfälle wie beispielsweise Rachemorde im eigenen Lager. 273 Diese Morde brachten ihm auch einen Konflikt mit seinen makedonischen Landsleuten ein, der sich durch die Einfüh- rung der sogenannten Proskynese für Griechen und Makedonen – Kusshand und Fußfall dem Herrscher gegenüber, was bisher nur bei den Persern üblich war – noch verstärkt.274 Dieser steigende Unmut war auch mit verantwortlich für

268 Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 66. 269 Vgl.: Gerhard Wirth, Alexander der Große, S. 63f. 270 Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 78. 271 Vgl.: Gerhard Wirth, Alexander der Große, S. 9. 272 Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 81. 273 Vgl.: Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 14f. Zum Mord von Kleitos siehe auch S. 136f. 274 Zur Proskynese siehe auch: Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 137–139.

65 die sogenannte Pagenverschwörung, deren Verdächtige allerdings gefoltert und gesteinigt wurden.275

Doch muss man Alexanders Handeln auch vor dem Hintergrund der damaligen Zeit und der damaligen Gegebenheiten sehen: 276 Ausgehend von der makedonischen, dann griechischen und im Laufe der Eroberungen Persiens und Indiens der orientalischen Welt, versuchte Alexander gezwungenermaßen eine Synthese, sein Handeln hing dabei von der jeweiligen Situation sowie den jeweiligen politischen und sozialen Gegebenheiten ab und bewegte sich innerhalb dieser Spannungen. So bestrafte Alexander zwar mit eiserner Härte (Wirth nennt dies hier „orientalische Grausamkeit“277), jedoch im Großen und Ganzen im Rahmen von Strafe für Vergehen und Rache und versuchte, Einigung der Bevölkerung von West und Ost unter anderem durch die bereits erwähnte Anpassung und Synthese sowie durch den „[...] Abbau von Vorbe- halten und Vorurteilen [...]“ zu erreichen, „stets bereit, die Barbaren als seinesgleichen zu betrachten, [...] die gefangenen Königinnen ehrenvoll [zu behandeln]“ und mit „[...] drakonischen Strafen [auch, EP] gegen eigene Leute vor[zugehen] [...].“278

Eine weitere Auffälligkeit ist Alexanders überbordendes Selbstbewusstsein, prägender Aspekt dafür war wohl seine Selbstmythifizierung zu seinen Lebzeiten. Plutarch beginnt seine Alexandererzählung mit der Legende um dessen Zeugung: Alexanders Mutter Olympias träumte, von einem Blitzschlag schwanger geworden zu sein, der Ehegatte – König Philipp – träumte in der Hochzeitsnacht von seiner Frau, aufgrund ihrer Schwangerschaft versiegelt mit einem Siegel mit dem Bild eines Löwen. 279 Die Kunde, Philipps Frau sei schwanger „[...] mit einem Sohn von leidenschaftlicher und löwenkühner Art“280, wurde noch überboten durch die Vorhersage der Unbesiegbarkeit Alexanders, da er zur gleichen Zeit geboren wurde, als sein Vater zwei Siege errungen

275 Zur Pagenverschwörung siehe auch: Hans-Ulrich Wiemer, Alexander der Große, S. 139f. 276 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Gerhard Wirth, Alexander der Große, S. 72f, 92 und 96. 277 Gerhard Wirth, Alexander der Große, S. 92. 278 Gerhard Wirth, Alexander der Große, S. 96. 279 Vgl.: Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 8. 280 Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 8.

66 hatte.281 Alexander erfuhr von seiner göttlichen Herkunft von Olympias, der „[...] ihm allein das Geheimnis seiner Zeugung verraten und ihm befohlen [hat], seine Gesinnung zu zeigen, die seiner Abkunft würdig sei.“282 Wirth spricht von einem „[...] übermenschlichen Maß an Energie, Leistung und Suggestivkraft [...]“ sowie einer „[...] schon früh von ihm selbst [Alexander, EP] als übermenschlich empfundene eigene Persönlichkeit“ und führt als Folge dessen an, „[...] daß er im Denken wie in seinem Verhalten bewußt und radikal den Boden des scheinbar Natürlichen, Realen verließ [...] und letztlich eine bleibende Wirkung auf [seine Zeitgenossen] [...]“283 hinterließ.

Die Mischung aus Großmut, Selbstbeherrschung und Brutalität machte Alexander zu einem ambivalenten Charakter – dieser Eindruck herrscht auch nach der Lektüre diverser Alexander-Biografien vor. Der komplexe Charakter zeigt sich deutlich darin, dass „Alexander’s positive attributes–courage, ambition, magnanimity and so forth–are balanced with his negative ones– cruelty, his outrageous belief that he is the son of a god, and his uncontrollable rage, to name but a few.“ 284 Ein gutes Beispiel der Rezeption dieser charakterlichen Ambivalenz zeigt sich im Artikel von Meyer zu Capellen 285 : Alexander als Held aus der historischen Vergangenheit wurde nicht nur in der Musik, sondern unter anderem auch in der Malerei Venedigs rezipiert. Das als exemplum magnaminitatis bezeichnete Sujet im 17. und 18. Jahrhundert nach dem Vorbild Veroneses, die dem eigenen Stand entsprechende Gleichbe- handlung der den Alexander um Gnade bittenden Familie des Persers Dareios, steht Giambattista Piazzettas Gemälde Alexander vor der Leiche des Darius gegenüber, in dem Alexander zwar als Sieger, aber auch als Mörder dargestellt wird. Die Rezeption historischer bzw. mythologischer Stoffe scheint also nicht nur in der Opernwelt bevorzugt gewesen zu sein. 286 King nennt wichtige Aspekte der Alexander-Rezeption in den Künsten des 17. und 18. Jahr-

281 Vgl.: Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 9f. 282 Plutarch, Große Griechen und Römer, S. 9. 283 Gerhard Wirth, Alexander der Große, S. 71. 284 Richard G. King, Classical History, S. 39. 285 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Jürg Meyer zu Capellen, Der Held in der venezianischen Barockmalerei, in: Opernheld und Opernheldin im 18. Jahrhundert. Aspekte der Librettoforschung. Ein Tagungsbericht, hg. von Klaus Hortschansky, Hamburg u.a. 1991 (Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster, Band 1), S. 121–124. 286 Vgl.: Jürg Meyer zu Capellen, Der Held in der venezianischen Barockmalerei, S. 127.

67 hunderts: Für die visuellen Künste ist Charles Lebruns Reihe aus fünf Gemälden, The Battles or Triumphs of Alexander (1661 bis ca. 1668) repräsentativ, während negative Darstellungen kaum bekannt sind. 287 Das Gemälde Alexander vor der Leiche des Darius dürfte demnach eines der wenigen dieser „negativen“ Beispiele sein. In der Literatur wurde Alexander mit seinen positiven sowie negativen Eigenschaften bzw. Taten rezipiert, auf der Bühne fand sich Alexander unter anderem in Jean Racines Alexandre le Grand (1665) wieder (siehe auch unten).288 Zeitlich vor dem in der Opernwelt vielleicht wichtigsten Text von Metastasio, Alessandro nell’Indie (1729), sind beispiels- weise La superbia d’Alessandro von Ortensio Mauro und Agostino Steffani (Hannover 1690) sowie Alessandro von Paolo Rolli in der Vertonung von Georg Friedrich Händel (London 1726) zu nennen.289

Doch was steckt hinter der strategischen Fassade des Welteroberers? Wirth erwähnt einige interessante Punkte, was den Menschen Alexander betrifft, die hier kurz zusammengefasst werden:290 Grundsätzlich ist Alexanders „Inneres“ schwer zu ergründen, da es an Überlieferungen mangelt. Jedoch wird erwähnt, dass Alexander eine sehr introvertierte Person mit starkem Hang zu Affekten war, welche sich oft in temperamentvoller Leidenschaft äußerten. Seine Intelli- genz, übermenschliche Willenskraft sowie Impulsivität, Flexibilität und Improvi- sationsfähigkeit werden hervorgehoben. Diese Eigenschaften lernte er auch bewusst einzusetzen.

Alexanders Entwicklung in Reaktion auf Opposition und Gefährdung von außen zeigte sich in immer häufiger auftretenden Orgien und Trinkgelagen, dem Affektmord an Kleitos und gegensätzlich in seiner Großzügigkeit im Umgang mit Geschenken und Gesten der Freundschaft – all dies führt Wirth als Kompen- sation der Existenzangst und daher notwendigen Überschreitung der Grenzen „seiner“ Welt an. Weiters war Alexander religiös stark gebunden, verehrte die

287 Vgl.: Richard G. King, Classical History, S. 39f. 288 Vgl.: Richard G. King, Classical History, S. 41. 289 Vgl.: Richard G. King, Classical History, S. 40f. 290 Zu folgenden Ausführungen siehe auch: Gerhard Wirth, Alexander der Große, S. 118–123 und 132.

68 Götter nach den Konventionen der Zeit und machte keinen Hehl aus seinem Glauben an göttliche Vorzeichen und Voraussagungen.

Alexanders Aussehen wird als mittelgroß und im Hinblick auf seine kriegerischen Aufgaben als gut trainiert beschrieben; mit blonden Haaren, die sich über der Stirn teilten und ihn löwenhaft aussehen ließen. Es ist die Rede von feuchtem Glanz in den Augen, sein sanguinisches Temperament wird als Grund für die gute Durchblutung seiner Haut angegeben. Später kommen Zeichen psychischer Erschöpfung und Falten als Zeichen frühen Alterns dazu, dennoch ließen ihn seine Nerven nicht so leicht im Stich.

Was Poros betrifft, so ist aus den Erzählungen nicht viel zu erfahren, da sie ja hauptsächlich Alexander in den Mittelpunkt stellen. Außer, dass Poros, wie bereits oben erwähnt, ein tapferer Krieger bis zum letzten Widerstand war und sich im Gespräch mit Alexander trotz Niederlage im Kampf selbstbewusst und königlich präsentierte, wird er von Arrian als sehr große, hünenhafte Gestalt mit männlicher Schönheit sowie heldischer und keineswegs unterwürfiger Haltung Alexander gegenüber beschrieben.291

Eine interessante Anmerkung zum Abschluss der historischen Grundlagen: In allen hier verwendeten Alexander-(Nach-)Erzählungen unserer Zeit – und auch in jenen Plutarchs und Arrians – wird eine gewisse Cleofide, die in Metastasios Libretto über 2000 Jahre später eine nicht unwesentliche Rolle spielen wird, kein einziges Mal erwähnt.

4.2 Metastasios dramma per musica Alessandro nell’Indie

So falsch lag Metastasio nicht, als er sein Libretto Alessandro nell’Indie verfasste – es hatte immensen Erfolg, was auch die sehr hohen Zahlen an Vertonungen und Aufführungen von Rom über Venedig, Dresden (Johann Adolf Hasse, 1731, unter dem Titel Cleofide) bis hin nach London (Georg Friedrich Händel, 1731, unter dem Titel Poro, re dell’Indie) zeigen. Seine Erstvertonung

291 Arrian, Der Alexanderzug, S. 417.

69 erlebte das dramma per musica durch Leonardo Vinci und wurde 1729 am Teatro delle Dame in Rom uraufgeführt.292 Neben weiteren Vertonungen inner- und außerhalb Italiens gab es unzählige Neuvertonungen, die in Venedig erstaufgeführt wurden, darunter jene von Giovanni Battista Pescetti (1732, Teatro San Angelo), Gaetano Latilla u.a. (1752, Teatro San Cassiano), Baldassare Galuppi (1755, Teatro San Samuele), Antonio Sacchini (1763, Teatro San Salvatore), Ferdinando Bertoni (1771, Teatro San Benedetto) und gegen Ende des Jahrhunderts Francesco Bianchi (1792, Teatro La Fenice). Unzählige weitere Komponisten bis ins 19. Jahrhundert hinein haben das Libretto Metastasios vertont.293

Meyer gibt in einer statistischen Auswertung einen guten Überblick über die Rezeption metastasianischer Libretti in chronologischer, geografischer sowie die Komponisten betreffender Hinsicht – darunter unter anderem Alessandro nell’Indie – und geht dabei von den jeweiligen Erstaufführungen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Jahr 1731 aus. 294 Zusammen- genommen kommt er, Metastasios Alessandro betreffend und dabei ausgehend von Hasses Cleofide (Dresden 1731), auf „182 Fassungen/Drucke/Insze-

292 Vgl.: Anna L. Bellina, Pietro Metastasio. Drammi per musica, Band 1: Il periodo italiano 1724–1730, Venedig 2002 (ESPERIA Collana di classici italiani), S. 445. Zu den wichtigsten frühen Vertonungen siehe auch: Graham Cummings, Reminiscence and Recall in Three Early Settings of Metastasio’s Alessandro nell’Indie’, in: Proceedings of the Royal Musical Association, Vol. 109 (1982–1983), S. 80–104; Kordula Knaus, Mächtige Gefühle. Herrschaft, Geschlecht und Ethnizität in der Oper, in: Kultur der Gefühle. Wissen und Geschlecht in Musik Theater Film, hg. von Andrea Ellmeier, Doris Ingrisch und Claudia Walkensteiner-Preschl, Wien u.a. 2012 (mdw Gender Wissen, Band 3), S. 92–94; sowie Reinhard Strohm, Metastasios “Alessandro nell’Indie“ und seine frühesten Vertonungen, in: Probleme der Händelschen Oper: (insbesondere am Beispiel „Poro“), Bericht über die wissenschaftliche Konferenz zu den 30. Händelfestspielen der DDR am 15. und 16. Juni in Halle (Saale), hg. von Walther Siegmund-Schultze, Halle (Saale) 1982 (Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg Wissenschaftliche Beiträge 1982/21 G8), S. 40–61. 293 Eine Auflistung aller Vertonungen von 1729 bis 1824 siehe auch: Silke Leopold, Art. Metastasio, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume, Personenteil 12, hg. von Ludwig Finscher, zweite, neubearbeitete Ausgabe, Kassel u.a. 2004., Sp. 88. Unter http://opac.rism.info/ [17.02.2013, 19:50] erhält man beispielsweise unter den Suchbegriffen Alessandro nell’Indie sowie Poro, Re dell’Indie Ergebnisse zu erhaltenen Musikalien vieler verschiedener Komponisten. 294 Vgl.: Reinhart Meyer, Die Rezeption der Opernlibretti Pietro Metastasios, in: Pietro Metastasio – uomo universale (1698–1782). Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum 300. Geburtstag von Pietro Metastasio, hg. von Andrea Sommer- Mathis und Elisabeth T. Hilscher, Wien 2000, S. 311f. Eine dementsprechende tabellarische Übersicht von 1730 bis 1781 über zehn europäische Städte findet sich ebendort auf den S. 342–348.

70 nierungen/Vertonungen in 68 europäischen Städten von 83 Komponisten“295, wobei zahlreiche Übersetzungen in andere Sprachen nicht berücksichtigt wurden. Als wichtigste Stadt der Metastasio-Rezeption konnte Venedig ermittelt werden, auf den Höhepunkt der Neuvertonungen bzw. -inszenierungen bezogen, gelten die 1760er Jahre als zeitliches Fenster, wobei hier Rahmenbedingungen, wie europaweite politische Umwälzungen und andere politische, gesellschaftliche und kulturpolitische Aspekte, mitgedacht werden müssen.296 Feldman führt Metastasios Alessandro nell’Indie neben Artaserse sogar als eines der meistvertonten und populärsten Libretti an.297 Doch nicht nur auf der musikalischen Seite wurde neu vertont, auch Metastasio selbst hat später immer wieder Bearbeitungen seiner Werke vorgenommen 298 : So entstand beispielsweise eine Neufassung des Alessandro (und auch weiterer Werke für Madrid) in den 1740er Jahren auf Anregung Farinellis hin.299

Metastasio, geboren 1698 in Rom als Pietro Trapassi und in der Accademia dell’Arcadia als Mitglied unter dem Namen Artino Corasio bekannt300, nahm im Laufe seiner Karriere – einige seiner erfolgreichen Libretti schrieb er in Rom und Neapel301, und unter anderem war er in den 1730er Jahren poeta cesareo am Wiener Hof302 – einen unvergleichbaren Status in der Literaturlandschaft Europas im 18. Jahrhundert ein: „Es dürfte bis in die Gegenwart keinen nur annähernd ähnlich erfolgreichen Librettisten gegeben haben.“ 303 Dies ging möglicherweise so weit, dass Sängerinnen und Sänger der Zeit die wichtigsten

295 Vgl.: Reinhart Meyer, Die Rezeption der Opernlibretti Pietro Metastasios, S. 339. 296 Vgl.: Reinhart Meyer, Die Rezeption der Opernlibretti Pietro Metastasios, S. 351f. 297 Vgl.: Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 232. 298 Zur Bearbeitungspraxis Metastasios siehe weiterführend: Reinhard Wiesend, Metastasios Revisionen eigener Dramen und die Situation der Opernmusik in den 1750er Jahren, in: Archiv für Musikwissenschaft, 40. Jahrg./H.4 (1983), S. 255–275. 299 Vgl.: Francesca Menchelli-Buttini, Die Opera seria Metastasios, in: Die Oper im 18. Jahrhundert, Kapitel II: Die Welt der Opera seria, hg. von Herbert Schneider und Reinhard Wiesend (Handbuch der musikalischen Gattungen, Band 12), S. 34. 300 Vgl.: Erika Kanduth, Metastasio als Hofdichter, in: Pietro Metastasio – uomo universale (1698–1782). Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum 300. Geburtstag von Pietro Metastasio, hg. von Andrea Sommer-Mathis und Elisabeth T. Hilscher, Wien 2000, S. 39. 301 Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 176. 302 Vgl.: Erika Kanduth, Metastasio als Hofdichter, S. 39. 303 Reinhart Meyer, Die Rezeption der Opernlibretti Pietro Metastasios, S. 340. Zu einer kurzen biografischen Übersicht zu Metastasio und einer Auflistung seiner Werke siehe: Silke Leopold, Art. Metastasio, in: MGG, Sp. 85–97.

71 Rollen der metastasianischen Dramen in ihr Standardrepertoire aufnahmen, um dann nur mehr die jeweiligen neuen Kompositionen zu lernen304 oder, nach der damals üblichen Praxis, ihre eigenen Arien (Kofferarien) einzusetzen (siehe auch Kapitel 2).

Auch für Johann Adolf Hasse blieb es nicht bei der Dresdener Cleofide, deren Text von Claudio Angiolo Boccardi nach Metastasio adaptiert wurde.305 So sind heute Inszenierungen für Venedig aus den Jahren 1736, 1738 sowie 1743 – alle am Teatro San Giovanni Grisostomo – bekannt. 306 Laut Strohm waren diese drei venezianischen Produktionen (unter anderem neben Neapel 1736, Ferrara 1737, Graz 1738 und Verona 1740) Wiederholungen der Dresdener Cleofide (1731). 307 Leopold listet unter den Komponisten, die Metastasios Alessandro-Libretto vertont haben, Hasse nur einmal mit der Cleofide auf, seine Vertonungen unter dem Titel Alessandro nell’Indie sind dort nicht angeführt, was der Überlegung an Wiederholungen der Cleofide unter dem Titel Alessandro nell’Indie entsprechen würde.308 Auch die Aussage von Selfridge- Field, die Aufführung 1738 am Teatro San Giovanni Grisostomo sei ein Revival der Cleofide 1731 und des Alessandro nell’Indie 1736309, lässt darauf schließen. Dem widerspricht allerdings Schmidt-Hensel, indem er Hasses Cleofide 1731 sowie Venedigs Alessandro nell’Indie 1736 jeweils als Erstaufführung bzw. eigenständige Opern listet310, und begründet dies damit, dass „[Hasse] das Rezitativ, dessen Text der ursprünglichen Dichtung Metastasios sehr viel näher steht als der stark überarbeitete Cleofide-Text, [...] vollständig neu komponiert [hat].“311 Jedoch verarbeitete Hasse in einigen Nummern die Kompositionen

304 Vgl.: Norbert Dubowy & Reinhard Strohm, Art. Dramma per musica, in: MGG, Sp. 1484. 305 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 457. 306 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 448, 457 und 480f. 307 Vgl.: Reinhard Strohm, Italienische Opernarien des Settecento: (1720–1730), Band 2: Notenbeispiele und Verzeichnisse, Köln 1976, S. 177f. 308 Vgl.: Silke Leopold, Art. Metastasio, in: MGG, Sp. 88. 309 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 457. 310 Vgl.: Roland D. Schmidt-Hensel, »La musica é del Signor Hasse detto il Sassone...«. Johann Adolf Hasses >Opere serie< der Jahre 1730 bis 1745. Quellen, Fassungen, Aufführungen, Teil II: Werk-, Quellen- und Aufführungsverzeichnis, Göttingen 2009 (Abhandlungen zur Musikgeschichte, Band 19,2), S. 153 und 443. 311 Vgl.: Fredrick L. Millner, The Operas of Johann Adolf Hasse, in: Studies in Musicology Nr. 2 (1979), S. 108; zitiert nach: Roland D. Schmidt-Hensel, »La musica é del Signor Hasse detto il Sassone...«, Teil II, S. 453.

72 aus der Cleofide 312 und Schmidt-Hensel listet weiters die Produktionen aus 1738 und 1743 als Wiederaufführung der Version aus 1736 auf313.

Hasse, auch bekannt unter dem italienischen Rufnamen Il Sassone, kann man trotz seiner deutschen Herkunft zum Umfeld der italienischen Oper zählen: Nach seiner Ausbildung in der Heimat ging er nach Italien, unter anderem nach Neapel (wo auch Metastasio Station machte), und vertrat die italienische Oper am Dresdener Hof (Hofkapellmeister). 314 Er hatte Aufträge in mehreren italienischen Städten (neben Neapel auch in , Mailand, Bologna, Rom315) und war auch in Venedig sehr aktiv. So bekleidete er dort beispielsweise den Posten des maestro di cappella am Ospedale degl’Incurabili316 oder war auch Direktor des Konservatoriums. 317 Unweigerlich mit Hasse verbunden ist Metastasio, denn „beide zusammen verkörpern für Mit- und Nachwelt die Kunstform des dramma per musica, die man zu einem Idealtypus von Musiktheater hochstilisiert hat.“318

4.2.1 Ausdruck von Fremdartigkeit bzw. Exotismus im Libretto

Die Erarbeitung der spezifischen dramaturgischen Details erfolgt anhand des Librettos zu Johann Adolf Hasses Vertonung des Alessandro für Venedig im Jahr 1738, da diese jene ist, die mit im Moment sinnvoll erreichbarem Notenmaterial für die in Kapitel 4.2.2 folgende musikalische Analyse am engsten an den Zeitraum 1740 bis 1750 in Venedig heranrückt und in den Arien zu den Originaltexten Metastasios zurückkehrt sowie möglicherweise auch der venezianischen Produktion 1743 sehr nahekommt.

312 Vgl.: Roland D. Schmidt-Hensel, »La musica é del Signor Hasse detto il Sassone...«, Teil II, S. 454. 313 Vgl.: Roland D. Schmidt-Hensel, »La musica é del Signor Hasse detto il Sassone...«, Teil II, S. 457 und 460. Weiteres zur Hasseschen Arienthematik bezüglich Alessandro nell’Indie siehe Kapitel 4.2.2. 314 Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 199. 315 Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 201. 316 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 448 (Fußnote). 317 Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 199. 318 Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 199.

73 Aus diesem Libretto ist eine Widmung „A Sua Eccellenza la Signora D Lucrezia Pignatelli Principessa di Struongoli ec. ec.“ 319 – neapolitanische Prinzessin (1704 bis 1760), verheiratet mit Ferdinando Pignatelli320 – zu entnehmen. Von Selfridge-Field auf den 15. Jänner 1738 datiert, war dies eine sehr erfolgreiche Produktion „[...] and received maximum applause (sommo applauso)“321 – wie auch schon die vorangegangene Produktion 1736 den Theaterbetreibern ein volles Haus bescherte.322

Charaktere

Wie kommt nun Fremdartigkeit bzw. Exotismus im Libretto dieses dramma per musica zum Ausdruck? Um gleich an die Personen der Handlung aus Kapitel 4.1 anzuknüpfen, wird zuallererst die Aufstellung der Charaktere in Metastasios dramma per musica Alessandro nell’Indie betrachtet: Metastasio übernimmt den makedonischen Herrscher Alexander den Großen und den indischen König Poros323 im Rahmen des historischen Ereignisses der Schlacht am Hydaspes bzw. des persönlichen Aufeinandertreffens während des Indienfeldzuges, verwendet also ganz typisch für diese Zeit ein historisches Sujet. Dem argomento des Librettos ist zu entnehmen, dass die Großmütigkeit Alexander des Großen in der bereits in Kapitel 4.1 beschriebenen Szene zwischen Alexander und Poro nach der Schlacht am Hydaspes als Ausgangspunkt dient, wobei in Metastasios dramma per musica zusätzlich Cleofide ins fortlaufende Geschehen eingreift.324 Wie oben angemerkt, kommt die Figur der Cleofide in den historischen Quellen nicht vor, sondern wurde von Metastasio nach dem Vorbild der Axiane in Racines Alexandre le Grand (1666325) übernommen, so wie auch Timagene (siehe unten) den Ephestion

319 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie. Dramma per musica da rapresentarsi Nel famosissimo Teatro Grimani di S. Gio: Grisostomo. Nel Carnovale dell’Anno 1738., digitalisierter Librettodruck, Venedig 1738, S. 1 (Titelblatt) und 3–5. 320 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 457. 321 Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 457. 322 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 448. 323 In Folge werden die beiden Figuren in historischem Bezug mit ihren deutschen Namen bezeichnet, in Bezug auf die Oper immer italianisiert – wie im Libretto – Alessandro sowie Poro genannt. 324 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 6. 325 King datiert dasselbe Werk mit dem Jahr 1665 (siehe Kapitel 4.1). Vgl.: Richard G. King, Classical History, S. 41.

74 zum Vorbild hat.326 Racines Axiane ist dem Poros treu und stellt sich gegen Alexander 327 , während interessanterweise „[Cleofide] entsprechend einer anderen angeblich historischen Tatsache [...] die Mätresse Alexanders [ist] [...].“328 So kann angenommen werden, dass Metastasio diese beiden Vorbilder zu einem Charakter zusammenfügte. 329 Zu weiteren Vorbildern Metastasios bezüglich der Grundzüge des Alessandro zählten wohl L’amante eroe (1693) des Librettisten Domenico David, abgeleitet von Racine, sowie Claude Boyers Porus, ou la Générosite d’Alexandre (1648), das unter dem Titel Le Grand Alexandre, ou Porus neu gedruckt wurde und auf die Unsicherheit hindeutet, welcher der beiden Herrscher nun als der Mächtigere angesehen werden sollte.330

Alessandro, dargestellt vom Neapolitaner Francesco Tolve, wird bei Metastasio ohne weiteren Kommentar als Erster angeführt. Dies deutet darauf hin, dass der Librettist Kenntnis des Publikums dieser berühmten historischen Figur voraussetzte. So wird auch im argomento keine genaue Erklärung der Geschehnisse abgegeben. Wie bereits in Kapitel 4.1 erwähnt, gehörte diese Art von Wissen zur Bildung in gehobenen Kreisen und

„[...] many members of seventeenth- and eighteenth-century opera audiences already knew the stories being represented on-stage before they entered the theatre. Works on subjects such as Alexander would have been at least partly experienced as a sort of dialogue between the audience’s understanding of the actions an characters on-stage, and its prior knowledge of them [...].“331

Alessandros Gegenspieler Poro, gesungen von Carlo Scalzi, wird an zweiter Stelle als König von Indien und Geliebter der Cleofide beschrieben. In enger Verwandtschaftsbeziehung, nämlich als Schwester, folgt gleich danach Erissena (Rosa Pasquali, genannt la Bavarese). Die dritte Hauptfigur, obwohl erst an vierter Stelle genannt – auf die Wichtigkeit dieser Rolle lässt aber die Erwähnung neben Alessandro und Poro im vorangestellten argomento

326 Vgl.: Reinhard Strohm, Metastasios “Alessandro nell’Indie“, S. 45. 327 Vgl.: Reinhard Strom, Metastasios “Alessandro nell’Indie“, S. 45. 328 Reinhard Strom, Metastasios “Alessandro nell’Indie“, S. 45. 329 Vgl.: Reinhard Strom, Metastasios “Alessandro nell’Indie“, S. 45f. 330 Vgl.: Reinhard Strom, Metastasios “Alessandro nell’Indie“, S. 44 und 46. 331 Vgl.: Richard G. King, Classical History, S. 63.

75 schließen332 –, ist Cleofide (Costanza Celli), die Königin eines Teiles von Indien und Geliebte des Poro. Sie ist allerdings die Figur, die in der Auftrittsreihenfolge als Letzte die Bühne betritt (Akt I/Szene 6333). Laut Feldman in

„[...] many [...] Metastasian plots [...] females can, and usually do, inhabit a liminal role, protecting ethnic or patriotic interests and undergoing limited moral evolution, but do not act as leading figures of moral transformation. [...] She was a partner in realizing the succession of the dynasty [...].“334

Dies trifft wohl auch auf Cleofide zu, ist sie doch diejenige, die das eigene und Poros Reich retten möchte, indem sie scheinbar Alessandro zu verführen versucht, Poro damit aber eifersüchtig macht. Nun folgen die den Herrschenden gesellschaftlich untergeordneten Rollen des Gandarte (Agostino Fontana aus Turin), Anführer von Poros Armee und Geliebter der Erissena sowie Timagene (Giovanna Manzanella), Vertrauter und gleichzeitig geheimer Feind Alessandros.335 Als Anzeichen von Fremdartigkeit ist hier auf den ersten Blick ganz klar das Herkunftsland von Poro, Cleofide, Erissena und Gandarte, nämlich Indien, zu erkennen. So stehen zuallererst vier indische zwei griechischen bzw. westlichen Charakteren in der Mehrzahl gegenüber. Die Namen Alessandro und Poro sind aus der Historie übernommen, während Cleofide an die ägyptische Cleopatra erinnert.336 Interessant ist der Hinweis von Selfridge-Field, der Name Erissena sei litauischer Abstammung337, was hier nicht ganz ins Konzept zu passen und etwas aus dem Rahmen zu fallen scheint.

332 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 6. 333 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 17–20. 334 Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 250f. 335 Zur Hierarchie der Rollen vgl. auch: Reinhard Wiesend, Der Held als Rolle: Metastasios Alexander, in: Opernheld und Opernheldin im 18. Jahrhundert. Aspekte der Librettoforschung. Ein Tagungsbericht, hg. von Klaus Hortschansky, Hamburg u.a. 1991 (Schriften zur Musikwissenschaft aus Münster, Band 1), S. 151f. 336 Folgende Überlegung kommt hier in den Sinn: Die lateinische Schreibweise Cleopatra leitet sich aus dem Altgriechischen Kleopatra ab und bedeutet „Die durch den Vater Berühmte“ (kleos = Ruhm, pater = Vater). Somit bezöge sich das Lateinische Cleofide wohl auf „Die durch Treue Berühmte“ (lat. fides = Treue, Vertrauen), hält doch Cleofide dem Poro die Treue und liebt ihn. Dies manifestiert sich in Metatsasios Arientext für Cleofide, „Digli ch’io son fedele“, der an den (verkleideten) Poro gerichtet ist (vgl.: Reinhard Strohm, Metastasios “Alessandro nell’Indie“, S. 53). 337 Vgl.: Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 457 (Fußnote).

76 Charakteranalyse Alessandro – Poro

Alessandro als griechischer bzw. westlicher Herrscher hat mit Poro als indischem König einen ebenbürtigen Kontrahenten. Laut Locke war diese Konstellation typisch für die Zeit, man berücksichtige, dass das Libretto Metastasios bereits 1729 erstvertont wurde:

„Early eighteenth-century operas were often based on military and political struggles between, on the one hand, a Greek or Roman emperor or military commander, such as Alexander the Great, and, on the other, the ruler of ‘Eastern’ land: Egypt, Byzantinum, Persia, India, and the (today Turkish) regions of Pontus and Capadocia.”338

Weiters waren solche Sujets, in denen man es mit einem nicht-westlichen bzw. nicht-europäischen Herrscher zu tun bekam – und das war in den Operngattungen der Zeit nicht unüblich339 –, zeitlich weit in die Vergangenheit gerückt340, was auch hier völlig zutrifft und wieder an Lockes Überlegungen zum then and now-Binarismus (siehe Kapitel 3) erinnert.

Alessandro entspricht in der Oper als griechisches bzw. westliches Oberhaupt dem antiken Herrscherideal, so wie es auch Alexander der Große verkörperte:

„Aristotle […] had laid out a number of basic guidelines in his Nicomachean Ethics: a true aristocrat or leader must, for example, display emotional self-control (be slow to anger) and act with appropriate generosity in a given circumstance.“341

In Akt I/Szene 5 nimmt Timagene einen sehr wichtigen, dem Herrscherideal entsprechenden Charakterzug Alessandros vorweg, für dessen Überlegenheit er ihn auch hasst: Die Tugend des Tyrannen („[…]/La tiranna virtú, con cui mi scema/[…].”342). Wie Wiesend ausführt, diente Metastasios Alessandro „[...] als Identifikationsfigur, als ideales Abbild des Herrschers [in] der Gesellschaft des Ancien Régime [...].“343

338 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 89. 339 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 5. 340 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 89. 341 Mary Hunter, Nobility in Mozart’s operas, in: Art and Ideology in European Opera. Essays in honour of Julian Rushton, hg. von Clive Brown, David Cooper und Rachel Cowgill, [Woodbridge 2010]; zitiert nach: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 94. 342 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 16. 343 Reinhard Wiesend, Der Held als Rolle, S. 142.

77 Wie bereits aus den obigen Ausführungen über Alexander den Großen hervorgeht, weiß ein Herrscher dieses Formates bestimmte Charakterzüge taktisch und zum eigenen Vorteil einzusetzen und dem aristotelischen Vorbild zu folgen. So setzt auch Metastasio die berühmte Szene zwischen Alexander und Poros an den Anfang seines Librettos (Akt I/Szene 2344). Während sich der eifersüchtige Poro (in Akt I/Szene 1 klagt er über Cleofides Bewunderung für Alessandro) zu Beginn noch kämpferisch zeigt, aber sein Schwert verliert, stoppt Alessandro den Kampf und fragt Poro in aller Ruhe nach seinem Namen. Poro, in Worten weiter stark, gibt sich als Asbite, Vertreter Poros, aus und wirft Alessandro Gier nach Weltherrschaft und Friedensstörung vor. Man bekommt hier beim Lesen des Textes sofort den Eindruck zweier sehr verschiedener Persönlichkeiten vermittelt: Alessandro scheint gelassen und ruhig, Asbites/ Poros hitzige Vorwürfe sorgfältig abwiegend. Im weiteren Dialog zeigt sich Asbite (und dies bezieht sich natürlich gleichzeitig auf Poro) als selbstsicher, kühn und lässt sich nicht entmutigen. Alessandro erkennt Poro indirekt als ebenbürtig an: „In India Eroe sí grande/È germoglio straniero. Erró natura/Nel produrlo all’Idaspe. In Greca cuna/D’esser nato costui degno saria.“345 Poros Mut bewundernd, schenkt er ihm sein Schwert und gibt ihn frei.

Auch zollt Alessandro Erissena Respekt und lässt sie frei (Akt I/Szene 3).346 Dies ist eine interessante Parallele zu der in Kapitel 4.1 erwähnten Freilassung und Selbstbeherrschung Alexanders gegenüber der Frau des Persers Dareius. Anknüpfend an dieses Beispiel gesteht Alessandro Timagene seine Zuneigung zu Cleofide und hadert mit dem Entschluss der Unterdrückung seiner Gefühle347 (Akt I/Szene 12):

„L’impresa, oh Dio, di soggiogar me stesso. [...] Alla tua fede/Io svelo o Timagene il piú geloso/Segreto del mio cor. No ’l crederai:/Ama Alessandro, e del suo cor

344 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 11–13. 345 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 13. „In Indien sei er [Poro, EP] ein großer Held/Er ist von Fremden Sprössling. Es irrte die Natur/ihn am Hydaspes zu zeugen. Wäre er in Griechenland /geboren, wäre er ebenbürtig [Übers.: EP].“ „Erró natura/Nel produrlo all’Idaspe. In Greca cuna/D’esser nato costui degno saria.“ wurde in der Aufführung gestrichen. 346 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 14f. 347 Vgl. auch: Kordula Knaus, Mächtige Gefühle, S. 95.

78 trionfa/Cleofide giá vinta. Io non so dirti/Se combatte per lei/Il genio, o la pietá. 348 Senza difesa/So ben, che mi trovai/Nel momento primier, ch’io la mirai. [...].“

Dieser

„error of desire is a necessary one, and common to Metastasio’s sovereigns. In Alexander’s [Alessandro’s, Anm. EP] case, it is indivisible from the king’s role as a warrior and conqueror, hence necessary in affirming his very status as king.“349

Wie man aus dem Schwanken zwischen den Ursachen der Gefühle Alessandros für Cleofide sowie der Freigabe Erissenas (siehe oben) herauslesen kann „yet his desire for the women of ethnic others is continually tensed between his conquering side and his more irenic, forgiving, and moral one.“350

Erissena, zuvor von Alessandro begnadigt, bewundert und schwärmt für diesen (Akt I/Szene 4 351 und Szene 7 352 ). Sie ist neben seiner Schönheit und großzügigen Seele von seiner Ausdrucksweise und Kleidung angetan, die sich von der Eigenen unterscheidet: „[…] O quanto/Ancor nella favella /Son diversi da’nostri I suoi costumi!/[...].“353 Sogar ihrem Geliebten Gandarte gegenüber gibt sie dies zu (Akt I/Szene 10). 354 Später jedoch, als sich die Situation zuspitzt, fürchtet auch sie den makedonischen Eroberer (Akt III/Szene 5).355

Als Alessandro Timagene als Betrüger erkennt, schwankt er zwischen Vergebung und Bestrafung (Akt III/6).356 Die Beschreibungen Alexander des Großen im Hinterkopf (siehe Kapitel 4.1) würde man nun sofort davon ausgehen, dass Alessandro Timagene hart, vielleicht sogar mit dem Tod,

348 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 127. „Das Unternehmen, oh Gott, mich selbst zu unterwerfen. [...] Dir vertrauend/Enthülle ich dir o Timagene das eifersüchtigste/Geheimnis meines Herzens. Du wirst es nicht glauben:/Es liebt Alessandro, und über sein Herz triumphiert/Cleofide, sie hat schon gewonnen. Ich kann dir nicht sagen/Ob für sie/Das Genie, oder die Gnade sprechen. Ohne Verteidigung/Ich weiß gut, dass du mich/Im ersten Moment der Bewunderung findest. [Übers.: EP].“ 349 Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 255. 350 Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 255. 351 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 15f. 352 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 20–22. 353 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 21. 354 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 24f. 355 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 60–62. 356 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 63f.

79 bestrafe. Metastasio jedoch lässt Alessandro vergeben, es überwiegt die Freundschaft: „[...] Mi basta/Per ora il tuo rossor. Ti rassicura/Del mio perdono; e conservando in mente/Del fallo tuo la rimembranza amara/Ad esser fido un’altra volta impara. [...]“ 357 Dieser Akt der Vergebung nach Verrat des Freundes schärft das Bild des metastasianischen Alessandro, der in dieser Oper vergibt, verzeiht, begnadigt (Wiesend fasst dies unter dem Begriff Edelmut zusammen358), den Feind respektiert, aber auch kontrolliert. Als grober Rahmen bleiben die historischen Ereignisse und Charakterzüge der Figuren also Vorbild, werden aber von Metastasio abgeändert, was durchaus der Praxis der Zeit entspricht.359 Er legt den charakterlichen Schwerpunkt des Alessandro auf die Tugend, die Vergebung, die Großmut.360

Ein weiterer Aspekt ist jener des „Retters“ der eigenen „Beute“. Alessandro hat, wie bereits ausgeführt, Erissena freigegeben, ganz nach dem Beispiel Alexander des Großen. Im Fall der Cleofide, in die er sich verliebt, diese Gefühle aber zuerst zu unterdrücken versucht, stellt sich eine ganz andere Situation dar: Erst versucht sie als Finte Alessandro zu verführen, verweigert dann aber mit Hilfe von Gandarte im Ernst der Situation eine Heirat, die Alessandro gnädig zu ihrer Rettung bestimmt, da sein Heer Rache für ihre Finte üben will (Akt II/Szene 13). 361 An dieser Stelle spielt Alessandro selbst auf seinen Ruhm an („Di questa a gli occhi altrui/Forse dubbia pietá la gloria mia [...]“ 362 ), der der Selbstmythifizierung, der göttlichen Geburt Alexander des Großen (siehe Kapitel 4.1) nachempfunden scheint, und es kommt unter anderem durch die Verwendung des Bacchustempels als Szenenbild am Ende die „[...] Gleichsetzung des Makedoniers mit dem göttlichen Dionysos [...]“363 zum Ausdruck.

357 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 64. „Mir reicht/Vorerst dein Scham. Ich versichere dir/Meine Vergebung; und behalte im Kopf/Dein Verfehlen mit bitterer Erinnerung/Dir zu vertrauen, das nächste Mal lerne daraus [Übers.: EP]. [...]“ Siehe auch Arie des Alessandro in der musikalischen Analyse (Kapitel 4.2.2). 358 Vgl.: Reinhard Wiesend, Der Held als Rolle, S. 143f. 359 Vgl.: Reinhard Wiesend, Der Held als Rolle, S. 139f. 360 Vgl.: Reinhard Wiesend, Der Held als Rolle, S. 145. 361 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 49–52. 362 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 49. „In den Augen anderer/Verdeckt vielleicht Gnade meinen Ruhm [...] [Übers.: EP].“ 363 Reinhard Wiesend, Der Held als Rolle, S. 141.

80 Weiters zeigt sich in derselben Szene eine doppelte Verwendung des Begriffes des Barbaren: Gandarte verstellt sich als Poro, er will sich für Cleofide opfern und „[...] all’insana/Greca barbarie [...]“ 364 den Kopf des Königs anbieten. Alessandro, diese Aufopferung bewundernd, ist so überwältigt von „grandezza“ und „amor“365 des vermeintlichen Poro, dass er einwilligt. Er kann gar nicht glauben, dass ihn ein Barbar in seiner Tugend übertrifft: „(O Coraggio! O fortezza!) [...] (E sia ver, che mi vinca/Un barbaro in virtú!)“366 Beide Parteien bezeichnen hier wörtlich im Text den jeweils Fremden als Barbaren.

Am Ende (Akt III/Szene 3), als Cleofide Poro tot glaubt, sieht sie ihre einzige Rettung in einer Heirat mit Alessandro. 367 Hier zeigt sich wieder das Motiv Alessandro als Retter. Als Poro von der Hochzeit erfährt, befällt ihn ein neuerlicher Eifersuchtsanfall, er will sterben (Akt III/Szene 9) 368 und auch Cleofide beruft sich, schon knapp vor der Trauung, auf einen alten indischen Brauch, wonach Witwen sich selbst verbrennen und mit ihrem verstorbenen Ehegatten mit in den Tod gehen. Diese Regel will Alessandro aber sofort ändern (Akt III/Szene 12).369 Dieser fremde Brauch wird hier allerdings nach westlichem Empfinden abgemildert, indem sich Cleofide erstechen und nicht verbrennen will. Aber Poro, der nicht aufgibt und um Cleofide kämpft, wird im Tempel entdeckt (Akt III/scena ultima).370

Alessandro kontrolliert seine Emotionen Cleofide gegenüber, nach außen hin bleibt er der westliche, rationale Herrscher – ablehnend und verschlossen371: Als Cleofide mit Geschenken zu ihm kommt, weist er diese zurück und seine Bewunderung für die Königin kommt, nur für das Publikum hörbar, in kurzen a parte-Einwürfen zum Ausdruck. Cleofide, in Wahrheit Poro die Treue haltend,

364 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 50. „[...] den irrsinnigen/griechischen Barbareien [...] [Übers.: EP].“ 365 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 51. 366 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 50f. „(Welch Mut! Welche Stärke!) [...] (Und wäre es wahr, dass mich/ein Barbar in meiner Tugend übertrifft!) [Übers.: EP]“ 367 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 58f. (Im Libretto ist die Szene fälschlicherweise mit Nummer 4 bezeichnet.) 368 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 66–68. 369 Vgl.: Pietro Metatastasio, Alessandro nell’Indie, S. 69f. Dazu vgl. auch: Kordula Knaus, Mächtige Gefühle, S. 104 und 107 (Fußnote 7). 370 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 70–72. 371 Vgl.: Kordula Knaus, Mächtige Gefühle, S. 98.

81 versucht Alessandro weiter von sich zu überzeugen, da sie ihr Volk retten will (Akt I/Szene 13). 372 Auf diese Versuche reagiert Poro eifersüchtig, da er Cleofide untreu glaubt. Diese Eifersuchtsausbrüche – Gegensatz zu den kontrollierten Affekten Alessandros – bestimmen die Figur des Poro durch alle drei Akte hindurch. Immer wieder packt ihn die Eifersucht, und er kann an nichts anderes mehr denken als an die vermeintlich wiederholte Untreue seiner Braut. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch Angst, seine geliebte Cleofide an den Feind zu verlieren. Begriffe wie „gelosia“ bzw. „geloso“ (Eifersucht, eifersüchtig), „(in)fedeltá“ ((Un)treue), „fidarsi“ (jem. vertrauen), „timore“ (Angst, Furcht), „incostanza“ (Unbeständigkeit) oder „tormento“ (Qual) tauchen wiederholt auf, wenn es um die Beziehung zwischen Cleofide und Poro geht. Feldman bezeichnet Poro als „[...] jealous, hotheaded heathen king of India, who has none of Alexander’s [Alessandro’s, Anm. EP] rationalizing temperament.“373

Jedoch ist es das emotionsgetriebene Handeln Poros, von dem Alessandro am Ende lernt, und die Liebe zu und der Einsatz für Cleofide, die Poro zum Helden macht und Alessandro dazu veranlasst, Cleofide und das Königreich zurückzugeben.374 Dies sichert ihm seinen Ruf als „[...] dispenser of mercy and clemency while finding compensation for the return of the woman he desires in the respect he earns from his rival for such an enlightened gift.“ 375 Seine Gefühle unterdrückend, sein Inneres ignorierend, um nach außen hin seinen herrschenden Status als Eroberer zu wahren, opfert er die Liebe zugunsten der Ehre376 („By losing the love, the king wins“377) und schenkt seinen Feinden die Freiheit im Gegenzug zur Treue – eine herrschaftliche Tugend, die sich durch den Zwiespalt zwischen dem privaten und öffentlichen Leben der Figur des Alessandro ergibt378 und seine Souveränität als „[...] siegreiche[r], strahlende[r] Feldherr [...]“379 festigt.

372 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 28–30. 373 Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 256. 374 Vgl.: Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 256f. 375 Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 257. 376 Vgl.: Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 276. 377 Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 257. 378 „Like the Gods of Greek mythology, the Metastasian sovereign provides viewers with an encompassing model that draws together public and private, inner and outer lives, humble concerns with high and mighty ones.“ Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 248. 379 Reinhard Wiesend, Der Held als Rolle, S. 140.

82 „Die andere Seite im Charakter des historischen Alexander, das aufbrausend Heftige, wurde von Metastasio der Titelfigur hingegen genommen und zur Schaffung des Kontrasts sozusagen dem Widersacher Poro übertragen.“380

So stehen sich am Ende zwei Heldencharaktere gegenüber: Einerseits Poro, ein in die Enge getriebener, aus Eifersucht und Liebe kämpfender Held, der entsprechend dem „[...] Zeitalter des Absolutismus [...] das unbedingte Festhalten an der Idee des Königtums in der aktuellen Katastrophe – aber wohl auch den persönlichen Mut und die Selbstbewahrung des Heroen [...]“ 381 verkörpert; andererseits Alessandro, der souveräne, am Ende rational handelnde Kriegsherr, dessen Heldenstatus sich durch Tugend, Großmut und „[...] eine amouröse Dimension, die Verehrung [...] durch die weiblichen Rollen des Stückes [...], [...] [konstituiert]“382 und dem durch sein Handeln „[...] der moralische Sieg zuerkannt [...]“383 wird.384

Szenenbeschreibung

In der Beschreibung der Szenenbilder (mutazioni di scene)385 sind ebenfalls einige Hinweise auf Fremdartigkeit zu finden. So wird in den ersten beiden Akten namentlich der Fluss Hydaspes genannt, der dem realen Ort des Geschehens (siehe Kapitel 4.1) entspricht und die Handlung zugleich im fernen Indien verortet: Am „campo di battaglia su le rive d’Idaspe“ 386 sind in Akt I/Szene 1 neben Zelten und vereinzelten Soldaten Kriegsutensilien sowie Überreste des Heeres Poros zu sehen, die vom Kampf zwischen Alessandro und Poro zeugen. In Akt I/Szene 6 wandelt sich das Bild, man hält sich im Königreich der Cleofide auf: „Recinto di palme, e cipressi con picciolo tempio nel mezzo, dedicato a Bacco nella regia di Cleofide.“ 387 Während hier der Bacchustempel eigentlich durch und durch als Symbol der griechischen antiken, also westlichen, Kultur assoziiert wird, vermittelt die Bepflanzung durch Palmen

380 Reinhard Wiesend, Der Held als Rolle, S. 146. 381 Reinhard Strohm, Metastasios “Alessandro nell’Indie“, S. 44. 382 Reinhard Wiesend, Der Held als Rolle, S. 141. 383 Reinhard Strohm, Metastasios “Alessandro nell’Indie“, S. 44. 384 Vgl. auch: Kordula Knaus, Mächtige Gefühle, S. 94f. 385 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 8. 386 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 8f. „Schlachtfeld an den Ufern des Hydaspes [Übers. EP].“ 387 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 17. „Umrandung aus Palmen und Zypressen mit einem kleinen Tempel in der Mitte, Bacchus gewidmet, im Königreich der Cleofide [Übers.: EP].“

83 und Zypressen den Eindruck, dass man in der Fremde weilt. In Akt I/Szene 12 wiederum befindet man sich bei Alessandros großem Pavillon in der Nähe des Hydaspes mit Blick auf das Königreich der Cleofide jenseits des Flussufers.388

In Akt II/Szene 5 wird wieder auf die Örtlichkeit der Ereignisse Bezug genommen, das griechische Heer überquert eine Brücke am Hydaspes („Ponte sull’Idaspe.“), weiters sind neben Streitwägen und anderer Kriegsmaschinerie Elefanten („Campo numeroso di Alessandro [...] con elefanti, torri, carri coperti e macchine da guerra.“) zu sehen, die ebenfalls dem Kampf dienten. 389 Zumindest für die Produktion aus dem Jahr 1736 weiß man, dass „Alexander’s camp [...] included elephants, carriages and ’machines of war’“ und dass „such scenes were interspersed with the backdrops of royal premises.“390

In Akt II/Szene 12 kehrt man in Cleofides Herrschaftsgebiet zurück („Sala Reale nella reggia di Cleofide“391 bzw. „Appartamenti nella reggia di Cleofide.“392 – hier findet sich eine unterschiedliche Benennung, gemeint ist jedoch dasselbe); im dritten Akt hält man sich in den königlichen Gärten auf („Portici de’ Giardini Reali“393) sowie ab Szene 12 wieder im Bacchustempel („Tempio Magnifico dedicato a Bacco con rogo nel mezzo che (poi) s’accende.“394).

Im Bühnenbild, für das Antonio Jolli395 zuständig war, oder besser gesagt in den Anweisungen dazu, sind also einige Anzeichen von Fremdartigkeit zu finden. Wie und ob das Fremde auch in den Kostümen der indischen Charaktere von Nadal Canciani angedacht wurde, bleibt im Libretto offen – im Zuge der Recherchen für die vorliegende Arbeit wurde vorerst kein Hinweis auf diesbezügliche anderweitig existierende Kostümbeschreibungen gefunden.

388 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 8 und 27: „Gran padiglione di Alessandro vicino all’Idaspe con vista della reggia di Cleofide su l’altra sponda del fiume.“ 389 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 8 und 38. 390 Eleanor Selfridge-Field, A New Chronology of Venetian Opera, S. 449. 391 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 8. 392 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 48. 393 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 8 und 56. 394 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 8 und 69. „Prachtvoller Tempel dem Bacchus gewidmet mit Scheiterhaufen in der Mitte, der sich entzündet [Übers. EP].“ 395 Vgl.: Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 8.

84 4.2.2 Musikalische Analyse

Wie bereits in Kapitel 4.2.1 angedeutet, bezieht sich die genauere charakterliche und musikalische Analyse auf die venezianische Produktion des Jahres 1738, welche als Wiederaufführung aus dem Jahr 1736 gilt. Allerdings darf man die in Kapitel 2 dargelegte Praxis des Anpassens der Arien an die Sängerbesetzung sowie den Umstand, dass Opernproduktionen zu dieser Zeit sehr kurzlebig waren und ständig neu entstanden, nicht außer Acht lassen: Strohm berichtet speziell über Hasse, dass dieser viel Kontakt zu guten Sängerinnen und Sängern der Zeit hatte und für diese bereits Arien komponierte und gleich mit ihnen erarbeitete, die noch keinem Werk fix angehörten und als Kofferarien in neu komponierten oder bereits existierenden Produktionen eingesetzt werden konnten – besonders galt dies natürlich für Faustina Bordoni, Hasses Ehefrau.396 Ihr Debut am Dresdener Hof im selben Jahr der Hochzeit (1731) war auch der Anlass für die Benennung der Cleofide nach der weiblichen Hauptpartie397, „remarkably, the very focus of the opera thus shifted from the male monarch to the female star [...]“ 398 . An dieser Produktion ist die damalige Praxis gut erkennbar: „Of the 29 arias, only 16 are settings of Metastasio’s original texts, and of the substituted pieces five came from earlier Hasse operas.“399 Dies war laut Strohm typisch für Hasses Werke der anfänglichen 1730er Jahre, doch kehrte er in seinen Wiedervertonungen der Libretti Metastasios zurück zum metastasianischen Originaltext der Arien: Betreffend die Alessandro-Vertonungen, hat Hasse 1736 nicht nur den Titel der Dresdener Cleofide in das Original Alessandro nell’Indie geändert sowie

„[...] 12 fremde Arientexte entfernt und durch neu vertonte Originaltexte ersetzt, sondern er hat sogar einige Arien, bei denen Metastasios Verse bereits vorliegender älterer Musik unterlegt worden waren, noch einmal neu auf denselben Originaltext komponiert.“400

396 Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 202f. 397 Vgl.: Graham Cummings, Reminiscence and Recall, S. 88. 398 Martha Feldman, Opera and Sovereignty, S. 257. 399 Vgl.: Frederick L. Millner, The Operas of Johann Adolf Hasse, in: Studies in Musicology Nr. 2 (1979), S. 7; zitiert nach: Graham Cummings, Reminiscence and Recall, S. 88. 400 Vgl.: Reinhard Strohm, Die italienische Oper, S. 203f.

85 Für die (Wieder-)Aufführung zwei Jahre später, 1738, hat Hasse laut Strohm noch einmal acht neue Arien komponiert. Diese sind schriftlich erhalten und in der Biblioteca Nazionale Marciana in Venedig zu finden.401 Bei der Durchsicht des Manuskriptes allerdings stellte sich heraus, dass neben 24 Arien des Komponisten Antonio Giay (Schmidt-Hensel ordnet diese der Oper Gianguir zu402) nur sechs Arien von Hasse vorhanden sind: Alessandros „Non temer rasciuga il ciglio...“ [Akt I/Szene 3], „S’é ver che t’accendi...“ (Akt II/Szene13) und „Penso ch’offeso io sono...“ (Akt III/Szene 6), Timagenes „O sugl’estivi ardori...“ (Akt I/Szene 5) und „È ver che all’amo intorno...“ (Akt II/Szene 11) sowie Erissenas „Chi vive amante... (Akt I/Szene 4). 403 Hiervon sind die genannten Arien aus Akt I/Szene 4 und Akt III/Szene 6 eindeutig Hasse zuzuordnen (aus Catone bzw. Cajo Fabricio 1732 sowie Tigrane 1729); die kompositorische Herkunft der anderen vier ist ungewiss, da sich aus der Betitelung des zweiten Teiles des Manuskriptes [Arie della nona Aggiunta dell’Opera Del Sig: Gio: Hasse Dal Teatro In S. Gio: Grisostomo. 1738. 404, Anm.] nicht ermitteln lässt, ob sich der Name des Komponisten hier auf die gesamte Oper oder die vorhandenen Arien bezieht.405

Für einen der Charakteranalyse entsprechend geplanten musikalischen Vergleich von Arien beider Herrscher unterschiedlicher Herkunft wurde für Alessandro aufgrund der Nachverfolgbarkeit zu Hasse als Komponist die Arie „Pensa ch’offeso io sono“406 gewählt. Für Poro ist im eingesehenen Manuskript von 1738 wider Erwarten aber keine Arie überliefert. Die Praxis der Austauscharien macht das Zuordnen einzelner Arien zu Werken und Kompo- nisten zwar kompliziert und verändert eine Oper von Produktion zu Produktion, jedoch ist anhand der Ausführungen von Schmidt-Hensel eine Verbindung zur Dresdener Fassung 1731 herzustellen, von der die vollständige Partitur erhalten

401 Vgl.: Reinhard Strohm, Italienische Opernarien, S. 178. 402 Vgl.: Roland D. Schmidt-Hensel, »La musica é del Signor Hasse detto il Sassone...«. Johann Adolf Hasses >Opere serie< der Jahre 1730 bis 1745. Quellen, Fassungen, Aufführungen, Teil I: Darstellung, Göttingen 2009 (Abhandlungen zur Musikgeschichte, Band 19,1), S. 175. 403 Antonio Giay und Johann A. Hasse, Arie S. Gio. Grisostomo. 1738., Venedig 1738, Biblioteca Nazionale Marciana: I-Vnm Cod. it. IV, 478 (=10002), S. 27v–33v. 404 Antonio Giay und Johann A. Hasse, Arie S. Gio. Grisostomo, S. 27v. 405 Vgl.: Roland D. Schmidt-Hensel, »La musica é del Signor Hasse detto il Sassone... «, Teil II, S. 458. 406 Antonio Giay und Johann A. Hasse, Arie S. Gio. Grisostomo, S. 31rf.

86 geblieben ist:407 Wie bereits oben angedeutet, weicht der rezitativische Text der Cleofide 1731 stark vom Originallibretto Metastasios ab, während das neu komponierte Rezitativ des Alessandro aus 1736 dem metastasianischen Originaltext sehr viel näher ist, wobei Hasse einige der gesanglichen Nummern aber teilweise aus der Cleofide transponiert und/oder be- bzw. verarbeitet hat. Darunter befindet sich unter anderem Poros Arie „Dov’é? si affretti per me la morte...“, die Hasse für 1736 – laut Hensel-Schmidt – bis auf ein ähnliches Kopfmotiv neu vertont hat. In der Produktion von 1738 wiederum betreffen die vorgenommenen Änderungen der Arien – soweit aus Literatur, Manuskript und Libretto ersichtlich – diese Nummer nicht. Unter der Annahme, dass diese Arie (mit musikalischen Veränderungen) von Hasse somit indirekt ihren Weg von der Dresdener Produktion über die Aufführung in Venedig 1736 auch in die Produktion 1738 gefunden hat, wird die erhaltene Version aus 1731 408 als Beispiel zur musikalischen Analyse herangezogen.

In einer weiteren Auflistung Strohms ist auch die venezianische Produktion des Jahres 1743 enthalten: Bei dieser erfolgt keine Anmerkung mehr zu Änderungen oder Neuvertonungen von Hasse selbst, wie bei den Produktionen der Jahre zuvor.409 Es könnte sich möglicherweise um eine Wiederholung der letzten Version (1738) handeln, wobei aber wieder die übliche Anpassungs- praxis an die Sängerinnen und Sänger im Auge behalten werden muss – zumindest könnten sich also die beiden Produktionen sehr nahe gekommen sein. Laut Schmidt-Hensel basiert das Libretto aus 1743 auf der Version von 1736, ausgenommen sieben ausgetauschter Arien.410 Was also in der Charakteranalyse begonnen wurde, soll nun im Vergleich der beiden Arien fortgeführt werden, um festzustellen, ob die charakterlichen Unterschiede zwischen dem westlichen und indischen Herrscher auch in der Musik zum Ausdruck kommen. Exotisches in der musikalischen Opernkompo-

407 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Roland D. Schmidt-Hensel, »La musica é del Signor Hasse detto il Sassone...«, Teil II, S. 453f und 457f. 408 Johann A. Hasse, Cleofide. Opera seria. Fassung der Uraufführung Dresden 1731, hg. von Zenon Mojzysz, Partitur, Erstdruck, Stuttgart o.J. (Johann Adolf Hasse Werke, Abteilung I: Opern, Band 1), S. 286–293. 409 Zu folgenden Ausführungen vgl.: Reinhard Strohm, Metatsasios “Alessandro nell’Indie“, S. 55–57. 410 Vgl.: Roland D. Schmidt-Hensel, »La musica é del Signor Hasse detto il Sassone...«, Teil II, S. 460f.

87 sition dieser Zeit, vor allem in der opera seria, zu finden, ist allerdings nicht zu erwarten.411 So wurden in diesem Fall bestimmt keine Floskeln, Motive oder Charakteristika der indischen Musiktradition oder des indischen Tonsystems verarbeitet, imitiert oder ausgeborgt – diese Praxis wird erst im 19. Jahrhundert typisch. Es könnte eher der Fall sein, dass „certain specific musical dialects did carry a strong association with places perceived as lying far from the centers of cultural life.”412 Beispiele dafür wären unter anderem die moresca, bereits im 16. Jahrhundert mit den nordafrikanischen „Mooren” assoziiert, sowie die todesca in Neapel, verbunden mit dem Gedanken an deutsche Soldaten.413 Es sei noch einmal verdeutlicht, dass das scheinbare Nichtvorhandensein von explizit Fremdem bzw. Exotischem in Opernkompositionen des 18. Jahr- hunderts nur die Musik betrifft, alle anderen (visuellen und verbalen) Elemente waren – bereits viel früher – sehr wohl Träger von Fremdartigkeit bzw. Exotismus (siehe Kapitel 3 bzw. 4.2.1).

Arie Alessandro: „Pensa ch’offeso io sono...“ (Akt III/Szene 6)414

Das vorliegende Manuskript415 zeigt die Notation einer Da Capo-Arie in C-Dur (Form: A-B-A, wobei Teil B nach d-moll moduliert) in Sing- und Bassstimme, in dem erstere im G-Schlüssel (g’’) notiert ist. Die Singstimme umfasst eine Spannweite von d’ bis a’’ (in Tenorlage entspräche dies d bis a’). Die Notation erfolgt alla breve, als Tempoangabe und Angabe der Artikulation wird Moderato e staccato angeführt.416 Es sind keine Anfangs- und Schlussritornelle notiert, lediglich zwischen Teil A und B sind vier Takte Ritornell der Bassstimme mit absteigender Chromatik und einer Kadenz nach C-Dur ausgeschrieben. Nach Schmidt-Hensel wurde diese Arie eindeutig von Hasse komponiert, allerdings stammt sie aus der Oper Tigrane (1729, Akt I/Szene 8, „Pensa che padre io sono...“) und wurde von B-Dur nach C-Dur transponiert.417

411 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 106. 412 Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 108. 413 Vgl.: Ralph P. Locke, Musical Exoticism, S. 109. 414 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 63f. 415 Antonio Giay und Johann A. Hasse, Arie S. Gio. Grisostomo, S. 31rf. 416 Vgl. zusätzlich: Roland D. Schmidt-Hensel, »La musica é del Signor Hasse detto il Sassone...«, Teil II, S. 465. 417 Vgl.: Roland D. Schmidt-Hensel, »La musica é del Signor Hasse detto il Sassone...«, Teil II, S. 458.

88 Teil A der Arie steht in strahlendem C-Dur und moduliert zwischendurch nach G-Dur, die Taktart alla breve suggeriert aufrechtes Schreiten. Das Kopfmotiv a besteht in seinen Hauptintervallen aus Quartsprüngen und in seinen Längen aus Viertelnoten sowie aus einer Verbindung einer punktierten Achtel- mit einer Sechzehntelnote. Dieses Motiv a zieht sich in Variationen durch die ganze Arie und vermittelt, staccato artikuliert, etwas Triumphales und Stolzes. Auffällig ist hierbei, dass die Wörter „offeso“ und „reo“ auf den jeweils höchsten Ton des Motives fallen. Damit wird schon in den ersten beiden Textzeilen der ersten Strophe der Betrug von Timagene an Alessandro betont. Motiv b enthält fallende Zweiunddreißigstel-Vorschläge und ist insgesamt absteigend angelegt. Mit einer Fortspinnung und gleichzeitigen Betonung und Ausschmückung des Wortes „Regnante“ schließt die Strophe ab und legt Gewicht auf den Status Alessandros (siehe auch Abb. 9). Die erste Strophe wird anschließend vollständig, variiert und verdichtet wiederholt.

Im dritten Abschnitt des Teiles A kommt ein neues Motiv c hinzu und legt Gewicht auf das Wort „pensa“. Es wiederholt sich zweimal – zuerst in einem Sext-, dann in einem Septsprung von oben nach unten und taucht kurz darauf

Abb. 9: Beginn der Arie Alessandros „Pensa ch’offeso io sono“, Manuskript Venedig 1738.418

418 In: Antonio Giay und Johann A. Hasse, Arie S. Gio. Grisostomo, S. 31r. Mit freundlicher Genehmigung des Ministero per i Beni e le Attivitá Culturali - Biblioteca Nazionale Marciana. Vervielfältigung verboten.

89 419 Teil Abschn. Tonart Taktart Text Übersetzung Motiv Attribute A 1 C-Dur alla breve Pensa ch’offeso io sono, Denke, dass ich gekränkt bin, Motiv a (Quartsprünge) strahlend, triumphal, Pensa che reo tu sei, Denke, dass du schuldig bist, Motiv a' stolz, belehrend, E che cercar tu dei Und deine Götter suchend Motiv b großmütig vergebend L’affetto meritar Verdienst du Vergebung Motiv a'' (Herrscherfigur G-Dur Del tuo Regnante. Deines Herrschers. Motiv b' mit Fortspinnung Alessandro)

2 Pensa ch’offeso io sono, Denke, dass ich gekränkt bin, Motiv a' Pensa che reo tu sei, Denke, dass du schuldig bist, Motiv a' E che cercar tu dei Und deine Götter suchend Motiv a''' E che cercar tu dei Und deine Götter suchend Motiv a'''1 L’affetto meritar Verdienst du Vergebung Motiv a''1 Del tuo Regnante. Deines Herrschers. Motiv b'1 mit Fortspinnung

3 C-Dur Pensa Denke Motiv c (fallende Sext) Nachdruck, Belehrung Pensa Denke Motiv c' (fallende Sept) Che cercar tu dei Deine Götter suchend Motiv a'''' (absteigend) L'affetto meritar Verdienst du Vergebung Motiv a''1 Pensa Denke Motiv c'' (fallende Oktav) Del tu Regnante. An deinen Herrscher. Motiv b'' (Abschluss) Ritornell 4 Takte B 1 C-Dur Mentre che a te perdono, Während ich dir vergebe, Motiv a'''' Pensa ai delitti tuoi, Denke nach über deine Vergehen, Motiv a' a-moll E torna se tu puoi Und kehre wieder, wenn du kannst Motiv a''''' verletzt, enttäuscht La fede Mit Glauben Motiv b''' (gekürzt) (Mensch Alessandro) d-moll A simular nel tuo sembiante. In deiner geheuchelten Erscheinung. Motiv b'''' mit Fortspinnung

2 Torna Kehre wieder Motiv c''' (fallende Quart) Nachdruck, hofft Torna Kehre wieder Motiv c'''' (fallende Quint) La fede Mit Glauben Motiv b'''1 (gekürzt) A simular nel tuo sembiante. In deiner geheuchelten Erscheinung. Motiv b'''' mit Fortspinnung A Da Capo Tab. 1: Struktur Arie „Penso ch’offeso io sono...“.

419 Übers.: EP.

90 in einem Oktavsprung und augmentiert (Halbe und Viertelnote) wieder auf und fordert Timagene zum Nachdenken über seinen Fehler auf.

Die Motivik aus Teil A wird in Teil B weitergeführt. Anfangs ist Teil B weiters in C-Dur komponiert, moduliert aber sogleich über a-moll nach d-moll. Interessant ist die Beobachtung der harmonischen Anlage der Arie in Verbindung mit dem Text (siehe auch Tab. 1): Solange es im Text davon handelt, dass Alessandro Timagene vergibt und ihn aber gleichzeitig belehrt, bleibt die Komposition in C-Dur und wirkt mit Motiv a stolz und großzügig vergebend, was der Rolle des edelmütigen, nicht strafenden Herrschers entspricht. Mit der Modulation nach d-moll allerdings entsteht der Eindruck des durch Vertrauensbruch verletzten Menschen Alessandro, der von seinem bisher treuen Freund enttäuscht ist und hofft, dass dieser vertrauenswürdig wiederkehre. Hier erfolgt die nachdrückliche Betonung auf das Wort „torna“ wieder mit Motiv c – hier in einem Quart- und dann Quintsprung. Die zweite Strophe wird im Übrigen nicht wiederholt. Die sich dadurch und durch das Da Capo ergebende Überlegenheit von C-Dur und somit dem Herrschaftlichen, Großmütigen könnte man entsprechend dem Charakter Alessandros als Unterdrückung oder Hintanstellung der eigenen Emotionen und der Dominanz der äußeren Erscheinung als Herrscher auslegen. So würde die Konvention der Arienanlage der Zeit in Verbindung mit dem Text hinsichtlich der inhaltlichen Charakteristika der Figur des Alessandro genutzt.

Aria Poro: „Dov’é? si affretti per me la morte...“ (Akt III/Szene 9)420

Auch Poros Arie „Dov’é? si affretti per me la morte...“ (hier in der Version aus dem Jahr 1731, dazu siehe oben) ist als konventionelle Da Capo-Form angelegt. In der Partitur421 ist die Besetzung mit zwei Flöten, zwei Oboen, erster und zweiter Violine, Viola und ausgesetzter Generalbassstimme angegeben. Die Tempoangabe Allegro assai con spirito weist bereits deutlich auf den Charakter dieser Arie hin: Poro ist außer sich und rast neuerlich vor Eifersucht,

420 Pietro Metastasio, Alessandro nell’Indie, S. 67f. 421 Johann A. Hasse, Cleofide, S. 286–293.

91 als Cleofide (die ihn tot glaubt) kurz vor der rettenden Hochzeit mit Alessandro steht.

Eröffnet wird das Stück mit einem elftaktigen Orchesterritornell in B-Dur, wobei die Holzbläser und erste Violinen bereits das auftaktige (Achtel) Hauptmotiv vorstellen (und dieses später immer wieder aufnehmen, beispielsweise in Takt 12/13, siehe Abb. 10), dessen zwei scharf betonte Viertelnoten von zwei Sechzehntel- und einer Achtelnote gefolgt werden, was den Eindruck von Angst und Gehetztheit entstehen lässt, zweite Violinen und Viola schon in Sechzehntelbegleitung. Gleich danach verfällt das ganze Orchester in seine Begleitstimmen, wobei die Streicher hauptsächlich in Sechzehntel, die Holz- bläser und der Bass in Achtelnoten spielen. Dieses Ritornell kehrt in verkürzter, achttaktiger Form als Zwischenspiel zwischen Teil A und B bzw. Schlussritornell wieder (Struktur der Arie siehe Tab. 2).

Abb 10: Beginn der Singstimme Poros in der Arie „Dov’é? Si affretti per me la morte...“, Dresden 1731.422

Wie auch bei Alessandros Arie dominiert die Haupttonart B-Dur die Arie, vor allem in Teil A, wobei der Komponist hier zwischendurch nach F-Dur moduliert.

422 In: Johann A. Hasse, Cleofide, S. 287.

92 423 Teil Abschn. Tonart Taktart Text Übersetzung Hauptmotiv a Attribute Ritornell (11 T.) Bb-Dur 4/4 Frage: Quartsprung aufwärts (Beginn gehetzt, rasend, Dov’é? si affretti Wo ist sie? Es beeilt sich A 1 Motiv a) Unbehagen, wütend, Per me la morte (2x) Der Tod nach mir (2x) emotional, Todes- F-Dur Poveri affetti! Elende Gefühle! angst, eifersüchtig Barbara sorte! Barbarisches Schicksal! Perché tradirmi Warum mich betrügen Sposa infedel! Untreue Braut! Perché tradirmi Warum mich betrügen Sposa infedel! (2x) Untreue Braut! (2x) rhythmische Variation: Punktierung Perché tradirmi Warum mich betrügen Perché? (2x) Warum? (2x) Frage: Beginn des Motives Sposa infedel! (2x) Untreue Braut! (2x) rhythmische Variation: Punktierung Ritornell (4 T.) 2 Dov’é? si affretti Wo ist sie? Es beeilt sich Per me la morte. Der Tod nach mir. Poveri affetti! Elende Gefühle! Motiv jeweils absteigend Barbara sorte! (2x) Barbarisches Schicksal! (2x) Perché tradirmi Warum mich betrügen Sposa infedel? Untreue Braut? Abschluss: Viertelnoten 3 Frage: fallende, verminderte Quint Dov’é la morte? Wo ist der Tod? Begl.: 2er-Gruppen Achtel im Off-Beat, Bass chromatisch absteigend 1.: Frage fallende Sext Dov’é? (2x) Wo? (2x) Begl.: 2er-Gruppen Achtel im Off-Beat, Bass chromatisch absteigend Per me si affretti Er holt mich ein Bb-Dur Poveri affetti! Elende Gefühle! Sextsprung nach unten Barbara sorte! (2x) Barbarisches Schicksal! (2x) bleibt in Tonart stehen, Wechsel V7-I Perché tradirmi? Warum mich betrügen? Perché? (2x) Warum? (2x) Frage: Beginn des Motives

423 Übers.: EP.

93 Teil Abschn. Tonart Taktart Text Übersetzung Hauptmotiv a Attribute Sposa infedel! (2x) Untreue Braut! (2x) Ritornell (8 T.) Bb-Dur Beginn Motiv/Quartsprung endet mit Lo credo appena: Ich glaube es sofort: B 1 g-moll fallendem Oktavsprung L’empia m’inganna! Die Ruchlose hintergeht mich! Questa é una pena Das ist eine Pein Motiv jeweils absteigend Troppo tiranna, Viel zu tyrannisch, Questo é un tormento Das ist eine Qual Troppo crudel! Viel zu grausam! Viertelnoten 2 Questo é una pena Das ist eine Pein Troppo tiranna, Viel zu tyrannisch, Questo é un tormento Das ist eine Qual Viertelnoten, große Intervallsprünge, Troppo crudel. (3x) Viel zu grausam. (3x) verminderte Akkorde Ritornell (8 T.) Bb-Dur A Da Capo Tab. 2: Struktur Arie „Dov’é? si affretti la morte...“. (Fortsetzung von S. 93.)

94 Die Da Capo-Anlage ist weiters durch die zweimalige Wiederholung der erstenTextstrophe in Teil A gekennzeichnet, wobei zwischen erstem und zweitem Mal noch ein viertaktiges Orchesterritornell eingefügt ist. Teil B steht hier in der parallelen Molltonart g-moll zur Haupttonart. Die zweite Strophe wird hier nur in ihren letzten beiden Zeilen wiederholt.

Die Frage am Beginn der ersten Strophe, „Dov’é?“ (T. 11) steht auftaktig auf einem Quartsprung nach oben – welcher den Anfang des Hauptmotives bildet (siehe Abb. 10) – zuerst in B-Dur, bei der Wiederholung in F-Dur. Beim dritten Mal ist sie allerdings als abwärts springende, verminderte Quint gesetzt, dies verstärkt den Eindruck der stetig wachsenden Ungeduld und Eifersucht Poros. In der Arie werden über lange Strecken durch Wortwiederholungen und damit einhergehender Verdichtung oder auch einfach zweimaliger Wiederholung einzelner Textzeilen die Eifersucht und Wut Poros mit Nachdruck zum Ausdruck gebracht. So geschieht dies zum Beispiel mit den Worten „Perche tradirmi/Sposa infedel!“ über neun Takte lang (Takte 17–25). Von Takt 32–35 sowie 56–59 bewirken drei absteigende Sequenzen mit den Worten „Poveri affetti!“ und „Barbara sorte!“ (2x) sowie „L’empia m’inganna/Questa é una pena/Troppo tiranna“ Poros Unbehagen. Bei der danach sofort einsetzenden dritten Wiederholung der ersten Strophe setzt ausnahmsweise für zwei Takte (Takte 37–38) eine neue Begleitung ein, sie besteht aus Gruppen zweier Achtelnoten, die im Off-Beat und im Bass zusätzlich chromatisch abwärts gesetzt sind. Auch Poros Stimme weicht hier vom vollständigen Motiv a ab und bleibt hier auf der Frage „Dov’é?“ stehen, das später auf „Perché?“ übertragen wird (Takt 44 sowie auch schon in den Takten 11 und 23).

In Takt 40–43 wiederholen sich die Takte 32–35, nur dass diesmal das Motiv mit einem Sextsprung beginnt, um sodann auf der gleichen Tonstufe zu bleiben, wobei mit dem ständigen Wechsel zwischen Dominantseptakkord und Tonika vorläufig ein Voranschreiten in der Harmonik verhindert wird. Dies könnte man gemeinsam mit der fast ausschließlichen Verwendung des Hauptmotives als Gefangensein Poros in seiner Eifersucht ausdeuten. In Teil B werden die Worte „Questa é una pena/Troppo tiranna,/Questo é un tormento/Troppo crudel“ wiederholt und Poros Leiden insbesondere noch einmal in der Schlusskadenz

95 dieses Teiles mit der zweimaligen Wiederholung von „Troppo crudel“ in Viertelnoten, großen Intervallsprüngen sowie verminderten Akkorden betont.

Nach aufmerksamer Betrachtung der beiden Beispiele lässt sich feststellen, dass in der Komposition, wie erwartet, zwar keine fremden (indischen) Tonsysteme oder Floskeln etc. verwendet wurden, man jedoch sehr wohl mit den üblichen musikalisch-kompositorischen Möglichkeiten bzw. Parametern die jeweilige Situation und die Gefühle der Charaktere auszudrücken vermochte, was sich in diesem Fall, einhergehend mit den charakterlichen Unterschieden der beiden Herrscher- bzw. Heldenfiguren Alessandro und Poro, als relevant für den Faktor Fremdartigkeit bzw. Exotismus erweist. Bei Alessandro sind es vor allem die Intervallsprünge und der Rhythmus, die seinen Status als stolzer Herrscher unterstreichen, Poros rasende Eifersucht wird durch das schnelle Tempo und das Sechzehntelelement in Haupmotiv a verdeutlicht. Beiden Arien gemeinsam ist die Anwendung der Harmonik und der Ausschmückung im Wechselspiel mit dem Text. So entstehen Gewichtungen, die den Status oder die Gefühlssituation der beiden Charaktere deutlich hervorheben.

Betrachtet man die anderen Arien Alessandros und Poros, so sind auch in diesen klare charakterliche Momente auszumachen. In Alessandros „Non temer, rasciuga il ciglio...“424 (Akt I/Szene III) etwa, das abschnittsweise wie ein Wiegenlied anmutet – Alessandro beruhigt Erissena und lässt sie frei –, und in der Arie „S’é ver che t’accendi...“425 (Akt II/Szene13) – hier gibt Alessandro Cleofide an Poro zurück – kann man seine Großmut und in Letzterer auch wieder seinen Status heraushören. Ähnliches trifft auch auf Poros Arien bezüglich seines kämpferischen und von Eifersucht geprägten Charakters zu – zumindest für die Dresdener Fassung 1731. Ob dies für die Neuvertonung für Venedig 1738 ebenso gültig ist, bleibt offen, wäre aber möglich, da es sich um den gleichen Komponisten handelt.

424 Antonio Giay und Johann A. Hasse, Arie S. Gio. Grisostomo, S. 32vf. 425 Antonio Giay und Johann A. Hasse, Arie S. Gio. Grisostomo, S. 30vf.

96 5 Zusammenfassung

Für die venezianischen Opernproduktionen Mitte des 18. Jahrhunderts ist eine häufige Thematisierung von Fremdartigkeit und Exotismus festzustellen. Vor allem die Stadt Venedig als „Tor zum Osten“ und Handelsumschlagplatz nimmt hier vor dem Ende ihrer Republikszeit 1797 einen besonderen Status ein. In ihrer Gesellschaft und somit wohl auch in den zahlreichen Theaterhäusern spiegelt sich dies in einer besonderen Offenheit gegenüber dem Fremden wider. Aber auch in ganz Europa herrschte im 18. Jahrhundert in der Gesell- schaft eine regelrechte Orientmode vor, die sich unter anderem in Architektur, Einrichtung, Dekoration, in der Philosophie und Wissenschaft, in den bildenden Künsten und natürlich auch im Theater und in der Oper mit all ihren vielfältigen Elementen niederschlug. Der Zugang zu Wissen über das Fremde bestand meist im Rezipieren von Beschreibungen, Reiseberichten und Zeichnungen, welche die wenigen Reisenden von ihren Unternehmungen mitbrachten, bzw. durch den Transfer von Wissen oder Erfahrungen im Rahmen der kolonialistischen Aktivitäten europäischer Länder.

Schon in Antike und Mittelalter bestanden Wechselbeziehungen zwischen Orient und Okzident; Kreuzzüge, Handelsrouten, Entdeckungsreisen, Kriege, wie beispielsweise die Türkenbelagerungen oder eben Kolonialismus, prägten Gesellschaften über die Jahrhunderte. So ist es auch kein Wunder, dass Fremdartigkeit in der Oper des 18. Jahrhunderts nichts Neues mehr war. Während sich die opera buffa gerade erst zu etablieren begann, waren in der Gattung der opera seria schon im 17. Jahrhundert exotische Sujets, Intermezzi oder balli keine Seltenheit.

So kommen nun Aspekte des Fremden in den verschiedensten Teilbereichen einer venezianischen Opernproduktion Mitte des 18. Jahrhunderts zum Aus- druck. An den behandelten Beispielen aus den 1740er Jahren – Didone abbandonata (Bernasconi/Metastasio, 1741), Atalo (Chintzer/Silvani, 1742), Don Saverio (D’Anossa/Palomba, 1744), Armida al campo (diverse/Silvani, 1746), Gianguir (Giacomelli/Zeno, 1748) und Alcimena, principessa dell’isole

97 fortunate o sia L’Amore Fortunato ne’ suoi disprezzi (d’Anossa/Chiari, 1750) – etwa ist gut zu erkennen, dass sowohl in ernster als auch komischer Oper die unterschiedlichsten Formen von Fremdartigkeit zu finden sind: Szenen- beschreibungen enthalten oft Anweisungen zu exotischen Bühnenbild- elementen, die Namensgebung oder Herkunft der Charaktere verrät meist große kulturelle Unterschiede. Weiters sind im rezitierten bzw. gesungenen Text Hinweise zu finden, welche von den Charakteren verbalisiert werden und somit direkt auf das Fremde anspielen. Für bestimmte Kostüme fremder Kulturen, vor allem für das türkische, gab es bereits typische ausgebildete Merkmale. Auch Verhaltensweisen oder die Kleidung sagen in bestimmten Fällen viel über Status und die kulturelle Prägung der Figuren aus.

Status und kulturelle Prägung zeigen sich besonders deutlich in Metastasios Alessandro nell’Indie, in dem sich zwei grundverschiedene Herrscher- charaktere, der griechische Alessandro und der indische Poro, gegenüber- stehen. Hier sind im Libretto anhand der Charakteraufstellung, einiger Szenen- beschreibungen, direkter Verbalisierungen im Text und des Schauplatzes des Geschehens Aspekte des Fremden auszumachen. Dies schlägt sich ebenso in der Arienkomposition nieder. Wie zu erwarten, wurden Mitte des 18. Jahr- hunderts noch keine fremden Tonsysteme und Ähnliches verarbeitet, jedoch wurde der auf kulturellen Differenzen basierende charakterliche Unterschied zwischen Alessandro und dessen Gegenspieler klar mit musikalisch- kompositorischen Mitteln in den in dieser Arbeit beispielhaft analysierten Arien „Penso ch’offeso io sono…“ (Alessandro) und „Dov’é? si affretti per me la morte…“ (Poro) aus der Vertonung von Johann Adolf Hasse für das Teatro San Giovanni Grisostomo 1738 und der teilweise damit verbundenen Dresdener Fassung Cleofide (1731) umgesetzt.

Diese Elemente von Fremdartigkeit sollten dem damaligen Publikum wohl Aufregendes und Exotisches vor dem aktuellen gesellschaftspolitischen Kontext vermitteln und stellen einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der Gattung Oper zum 19. Jahrhundert hin dar, indem dann mit dem Begriff der couleur locale ein weiterer wichtiger Aspekt, betreffend Sujet und musikalische Komposition, im Hinblick auf Exotismus zu tragen kam.

98 Eine Weiterführung der Arbeit zur Thematik bezüglich Fremdartigkeit bzw. Exotismus mit speziellem Bezug zu Venedig wäre anzudenken, da das 1792 eröffnete und bis heute bestehende Opernhaus der Stadt, das Teatro La Fenice, ein Archiv (Archivio Storico del Teatro La Fenice) unterhält, in dem dank der genauen historischen, administrativen und künstlerischen Dokumentation Material – und für den Zeitraum um 1900 vor allem zu Ballett- und Opernaufführungen, zu denen neben Libretti, administrativen Dokumenten, Theaterzetteln etc. unter anderem auch Zeichnungen zu Kostümen erhalten sind – zur Verfügung steht. Dadurch könnte ein weiterer Schritt in der (zeitlichen) Entwicklung im Hinblick auf Fremdartigkeit bzw. Exotismus im Musiktheater des 19./20. Jahrhunderts dokumentiert werden.

99 6 Quellenverzeichnis

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105 6.2 Musikalien

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6.3 Abbildungsverzeichnis

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Abb. 2: Porzellanfigur, bemalt/Venedig, Palazzo Malipiero. Foto: ©Elisabeth Probst, 05.03.2013. Mit freundlicher Genehmigung von Signora Barnabó, Besitzerin des Palazzo.

Abb. 3: Mohrenläufer-Kostüm aus einer Quadrille August des Starken, Dresden, um 1720. Handzeichnung / Kupferstichkabinett Dresden; in: Hans Tintelnot, Barocktheater und barocke Kunst. Entwicklungs- geschichte der Fest- und Theater-Dekoration in ihrem Verhältnis zur barocken Kunst, Berlin 1939, Abb. 47.

Abb. 4: Kostümentwurf von Francesco Ponte zur Oper Solimano (UA: Dresden 1753). Lavierte und aquarellierte Federzeichnung (278x200 mm) / Wien, Albertina, Sign. 4587; in: Hellmuth C. Wolff, Oper. Szene und Darstellung von 1600 bis 1900, 3. Auflage, Leipzig 1985 (Musikgeschichte in Bildern, Band IV/1: Musik der Neuzeit), S. 108f, Abb. 92. Mit freundlicher Genehmigung der Albertina Wien.

Abb. 5: Charakter- bzw. Besetzungsliste aus dem Libretto der Didone abbandonata; in: Pietro Metastasio, Didone abbandonata. Dramma per musica da rappresentarsi nel famosissimo Teatro Grimani di San

106 Gio: Grisostomo il Carnovale dell’anno 1741, digitalisierter Librettodruck, Venedig 1741, S. 10.

Abb. 6: Szenenbeschreibung des ersten Aktes aus Atalo; in: Francesco Silvani, Atalo. Dramma per musica da rappresentarsi nel famoso Teatro Tron a S. Cassiano il Carnovale dell’anno 1742, digitalisierter Librettodruck, Venedig 1742, S. 7.

Abb. 7: Gegenüberstellung der fränkischen und orientalischen Charaktere in Armida al campo; in: Francesco Silvani, Armida al campo. Drama per musica da rappresentarsi nel Teatro a S. Angelo durante la Fiera dell’Ascensione in quest’anno 1746, digitalisierter Librettodruck, Venedig 1746, S. 6.

Abb. 8: Charaktere des dramma per musica Gianguir; in: Apostolo Zeno, Gianguir. Dramma per musica, Da rappresentarsi nel Teatro di S. Girolamo. Nel Carnovale dell’Anno 1748., digitalisierter Libretto- druck, Venedig 1748, S. 8.

Abb. 9: Beginn der Arie des Alessandro „Pensa ch’offeso io sono“, Manuskript 1738; in: Antonio Giay und Johann A. Hasse, Arie S. Gio. Grisostomo. 1738., Venedig 1738; Biblioteca Nazionale Marciana: I-Vnm Cod. it. IV, 478 (=10002), S. 31r. Mit freundlicher Genehmigung des Ministero per i Beni e le Attivitá Culturali - Biblioteca Nazionale Marciana. Vervielfältigung verboten.

Abb. 10: Beginn der Arie Poros „Dov’é? si affretti per me la morte...“, Fassung Dresden 1731; in: Johann A. Hasse, Cleofide. Opera seria. Fassung der Uraufführung Dresden 1731, hg. von Zenon Mojzysz, Partitur, Erstdruck, Stuttgart o.J. (Johann Adolf Hasse Werke, Abteilung I: Opern, Band 1), S. 287.

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Struktur Arie „Penso ch’offeso io sono...“.

Tab. 2: Struktur Arie „Dov’é? si affretti la morte...“.

107 Anhang

Folgende Auflistung resultiert aus der Annäherungsarbeit zum Thema der vorliegenden Masterarbeit und verzeichnet alle in Venedig aufgeführten Werke der Gattung Oper oder verwandten Gattungen von 1740 bis 1750, übernommen aus der Chronologie A New Chronology of Venetian Opera and Related Genres, 1660–1760, Stanford 2007 (The Calendar of Venetian Opera), S. 466– 531 von Eleanor Selfridge-Field.

In der Liste verwendete Abkürzungen und Zeichen adapt. = adaptiert anon. = anonym Bsp. = Beispiel div. = diverse EA = Erstaufführung Kap. = Kapitel Libr. = Libretto n.v. = nicht vorhanden o.A. = ohne Angabe R = relevant u.a. = und andere v. = von venez. = venezianische X = relevant für Fremdartigkeit zug. = zugeschrieben

108 Recherchierte Libretti Venezia 1740 bis 1750 Titel Jahr Komponist / Librettist Typ Ort R Anmerkungen Cleonice 1740 J. A. Hasse / P. Metastasio , B. Vitturi dramma per musica S. Angelo X Serenata in onore di Friedrich 1740 unbekannt componimento per musica a 3 Neapolitanische Botschaft Christian, Prinz v. Sachsen Adriano in Siria 1740 A. Giai / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Il decreto del fato 1740 D. Paradies / D. lalli serenata a 4 Spanische Botschaft Tullo Ostilio 1740 G. B. Pescetti / A. Morselli, B. Vitturi dramma per musica S. Angelo Faraone 1740 unbekannt opera spirtituale o.A. La ninfa saggia --> siehe Il coro delle 1740 G. d'Alessandro / C. Goldoni oratorio musicale Osepdale della Pietá muse Gli amanti felici --> siehe Il coro delle 1740 G. d'Alessandro / C. Goldoni oratorio musicale Osepdale della Pietá muse Le quattro stagioni --> siehe Il coro 1740 G. d'Alessandro / C. Goldoni oratorio musicale Osepdale della Pietá delle muse Il coro delle muse 1740 G. d'Alessandro / C. Goldoni oratorio musicale Osepdale della Pietá La concordia del Tempo colla Fama 1740 G. Carcani / F. M. Giovanardi cantata a 7 Ospedale dei Incurabili Le muse in gara 1740 D. Paradies / G. de' Belli divertimento musicale a 6 Ospedale dei Mendincanti Gustavo primo, re di Svezia 1740 B. Galuppi / C. Goldoni dramma per musica S. Samuele X Il trionfo di Nettuno 1740 unbekannt o.A. o.A. L'Adria in giubilo 1740 unbekannt dramma per musica Sala della Societá Albrizziana La fama 1740 M. Gini cantata Casino de' Nobili La Galatea 1740 D. Alberti / basierend auf P. Metastasio serenata a 5 Nähe S. Samuele, Akademie Osmano, re di Tunisia 1740 o.A. / C. Goldoni tragicomedia S. Samuele Libr. n.v. Zenobia 1740 G. Sbacci / P. Metastasio, B. Vitturi dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Candace, overo Li veri amici 1740 G. B. Lampugnani / F. Silvani, D. Lalli dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Oronte, re de' sciti 1740 B. Galuppi / C. Goldoni dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Artamene 1740 T. Albinoni et al. / B. Vitturi dramma per musica S. Angelo X Berenice 1741 B. Galuppi / B. Vitturi dramma per musica S. Angelo X Didone abbandonata 1741 A. Bernasconi / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Kapitel 3, Bsp. 1 Statira 1741 P. Chiarini / C. Goldoni dramma per musica S. Samuele X Il vincitor di se' stesso 1741 I. Fiorillo / A. Zaniboni dramma per musica S. Angelo Tigrane 1741 G. Arena / F. Silvani (C. Goldoni, B. Vitturi) dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Merope 1741-42 N. Jommelli / A. Zeno, B. Vitturi dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Ambleto 1741 G. Carcani / A. Zeno, P. Pariati dramma per musica S. Angelo Statira 1742 N. Porpora / F. Silvani, C. Goldoni dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Cirene 1742 P. Pellegrini / S. Stampiglia dramma per musica S. Angelo X Endimione 1742 A. Bernasconi / P. Metastasio serenata a 4 S. Giovanni Grisostomo La Zanina, maga per amore 1742 G. M. Buini / G. M. Buini dramma per musica S. Moisé [oder Cleonice] 1742 Ch. W. v. Gluck / P. Metastasio dramma per musica S. Samuele X

109 Titel Jahr Komponist / Librettist Typ Ort R Anmerkungen Artaserse 1742 G. A. Paganelli / P. Metastasio dramma per musica S. Salvatore X Bajazet 1742 A. Bernasconi / A. P. Piovene, G. San Vitale dramma per musica S. Giovanni Grisostomo Libr. n.v. Barsina 1742 G. A. Paganelli / F. Silvani dramma per musica S. Cassiano X Semiramide 1742 N. Jommelli / F. Silvani, D. Fabris dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Atalo 1742 G. Chintzer / F. Silvani dramma per musica S. Cassiano X Kapitel 3, Bsp. 2 La pace 1742 unbekannt cantata a 4 Ca' Foscarini X Ambleto 1743 G. Carcani / A. Zeno, P. Pariati dramma per musica S. Angelo Alessandro nell'Indie 1743 J. A. Hasse / P. Metastasio , B. Vitturi dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Engelberta 1743 G. A. Paganelli / A. Zeno, P. Pariati dramma per musica S. Cassiano Libr. 1743 n.v., Rutzvanscad il giovine 1743 unbekannt (comico) o.A. X venez. EA: 1724 1743 G. Manna / D. Fabris, P. Metastasio dramma per musica S. Cassiano X commedia per musica (operetta La Contessina 1743 G. Maccari / C. Goldoni S. Samuele buffa) La forza del sangue 1743 G. A. Paganelli / B. Vitturi opera pastorale per musica S. Cassiano La ninfa Apollo 1743 A. Bernasconi / F. de Lemene scherzo comico pastorale S. Giovanni Grisostomo Ezio 1743 G. B. Lampugnani / P. Metastasio dramma per musica S. Samuele La finta cameriera 1743 G. Latilla / G. Barlocci divertimento giocoso S. Angelo Il troiano schernito in Cartagine 1743 o.A. / G. Immer dramma per musica S. Samuele Libr. n.v. nascente e moribonda Arsace 1743 B. Galuppi / A. Salvi dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Meride e Selinunte 1743 P. Chiarini / A. Zeno dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X La finta cameriera 1743 G. Latilla / G. Barlocci zug. divertimento giocoso per musica S. Moisé Temistocle 1744 A. Bernasconi / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X La Fiammetta 1744 unbekannt opera bernesca in musica S. Moisé Artaserse 1744 D. Terradellas / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Orazio 1744 G. Latilla, P. Auletta u.a. / A. Palomba opera bernesca S. Moisé La gara per la gloria 1744 G. Latilla / B. Vitturi divertimento teatrale per musica S. Moisé Le nozze d'Ercole e d'Ebe 1744 N. Porpora / unbekannt serenata per musica S. Giovanni Grisostomo La finta schiava 1744 G. Maccari / F. Silvani dramma per musica S. Angelo Cesare in Egitto 1744 A. Colombo / Fr. Bussani, C. Goldoni dramma per musica S. Samuele X Serenata zur Rekuperation v. Ludwig 1744 o.A. serenata Französische Botschaft XV v. Frankreich laut Libr. div. Origille 1744 A. Palella / A. Palomba opera bernesca in musica S. Moisé Komponisten Madama Ciana 1744 G. Latilla / G. Barlocci dramma giocoso per musica S. Cassiano Don Saverio 1744 G. d'Anossa / A. Palomba commedia per musica S. Moisé X Kapitel 3, Bsp. 3 1744 Ch. W. v. Gluck / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X La liberta' nociva 1744 R. di Capua / G. Barlocci dramma giocoso per musica S. Cassiano

110 Titel Jahr Komponist / Librettist Typ Ort R Anmerkungen L'ambizione delusa 1744 R. di Capua / G. Barlocci dramma giocoso per musica S. Cassiano Semiramide riconosciuta 1744 J. A. Hasse / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X laut Libr.: 1745 La finta cameriera 1744 G. Latilla, B. Galuppi / G. Barlocci u.a. dramma giocoso per musica S. Cassiano Le metamorfosi odiamorose in Birba 1744 unbekannt o.A. o.A. trionfale nelle gare delle terre amanti Emira 1745 L. Leo? / unbekannt opera bernesca S. Moisé La forza d'amore 1745 B. Galuppi / D. Panicelli dramma giocoso per musica S. Cassiano Antigono 1745 A. Bernasconi / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo Festlichkeit zur Ankunft des britischen 1745 unbekannt gran sinfonia o.A. Botschafters L'ambizione delusa 1745 R. di Capua / G. Barlocci dramma giocoso S. Cassiano Nicoraste, re di Tracia 1745 G. B. Pattoni / B. Vitturi dramma per musica S. Angelo X L'Olimpiade 1745 Ignazio Fiorillo / anon., v. P. Metastasio dramma per musica S. Samuele Lo scialaquatore alla fiera 1745 G. Orlandini et al. / A. Borghese dramma giocoso S. Cassiano Il Pandolfo 1745 G. Scolari / G. Barlocci? commedia per musica S. Samuele I rigiri delle cantarine 1745 F. Maggiore / B. Vitturi dramma giocoso per musica S. Cassiano Ariodante 1745 G. Chr. Wagenseil / anon., v. A. Salvi dramma per musica S. Giovanni Grisostomo Sofonisba 1745 N. Jommelli / A.M. & G. Zanetti dramma per musica S. Giovanni Grisostomo Orlando furioso 1745 unsicher / anon., v. G. Braccioli dramma per musica S. Moisé La vedova accorta 1746 F. Bertoni et al. / A. Borghese dramma giocoso per musica S. Cassiano Armida abbandonata 1746 A. Adolfati et al. / F. Silvani dramma per musica S. Moisé X Artaserse 1746 G. Abbos / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X La fata meravigliosa 1746 G. Scolari / A. Borghese dramma giocoso S. Cassiano Armida al campo 1746 div. / F. Silvani dramma per musica S. Angelo X Kapitel 3, Bsp. 4 La facendiera 1746 anonymus / unbekannt dramma giocoso S. Moisé Orazio [e] Curiazio 1746 F. Bertoni / S.A. Sografi dramma per musica S. Samuele Libr. n.v. dramma per musica Lo starnuto d'Ercole 1746 J. A.Hasse, adapt. durch A. Adolfati / L. Pavino S. Girolamo (Kinderoper) Eurimedonte e Timocleone, ovvero I 1746 J.A. Hasse / G. Zanetti dramma per musica S. Girolamo X rivali delusi Cesare in Egitto 1746 A. Colombo / Fr. Bussani, C. Goldoni dramma per musica S. Moisé X Zenobia 1746 G. Michelli / anon., adapt. v. P. Metastasio dramma per musica S. Moisé X Il gran Tamerlano vincitor di Bajazet 1746 o.A. Intermezzo S. Salvatore X Alcibiade 1746 G. Carcani / anon., v. P. Metastasio dramma per musica S. Cassiano Scipione nelle Spagne 1746 B. Galuppi / uncertain dramma per musica S. Angelo X Tito Manlio 1746 N. Jommelli / M. Noris et al. dramma per musica S. Giovanni Grisostomo Armida 1746 F. Bertoni / B. Vitturi dramma per musica S. Angelo X Il Demetrio 1746 J.A. Hasse / anon., v. P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo Il 1746 L. Vinci, adapt. durch N. Jommelli/P. Metastasio dramma per musica S. Cassiano

111 Titel Jahr Komponist / Librettist Typ Ort R Anmerkungen dramma per musica Lo starnuto d'Ercole 1747 J. A.Hasse, adapt. durch A. Adolfati / L. Pavino S. Girolamo (Kinderoper) Eurimedonte 1747 J.A. Hasse / G. Zanetti dramma per musica S. Girolamo X Benefiz-Recital für virtuose 1747 o.A. o.A. S. Moisé L'Olimpiade 1747 G. Scolari / anon., v. P. Metastasio dramma per musica S. Moisé Caio Marzio Coriolano 1747 G. Scolari / anon., v. P. Metastasio dramma per musica S. Moisé Pompeo in Armenia 1747 G. Scarlatti / B. Vitturi dramma per musica S. Angelo X Ezio 1747 G. B. Pescetti / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo La Caduta d'Amulio 1747 A.G. Pampani / C. Gandini dramma per musica S. Angelo Il Cajetto 1747 F. Bertoni / A. Gori piccolo drama S. Girolamo Didone abbandonata 1747 A. Adolfati / anon., v. P. Metastasio dramma per musica S. Girolamo X Tigrane 1747 G. B. Lampugnani / F. Silvani dramma per musica S. Angelo X La finta pazza 1747 anon. / anon. dramma giocoso per musica S. Moisé Achille in Sciro 1747 G. B. Runcher / anon., v. P. Metastasio dramma per musica S. Samuele X Benefiz-Recital für virtuose 1747 o.A. o.A. S. Moisé Il protettore alla moda 1747 anon. / G.M. Buini dramma giocoso S. Moisé L'Arminio 1747 B. Galuppi / anon., v. A. Salvi dramma per musica S. Cassiano Il re dispietato 1747 anon. / anon. dramma per musica [Satire] S. Angelo Festlichkeit in der Französischen 1747 N. Porpora / unbekannt o.A. Französische Botschaft Botschaft La vanita' delusa 1747 anon. / A. Gori dramma giocoso S. Moisé L'Adriano 1748 V. Ciampi / adapt. v. P. Metastasio dramma per musica S. Cassiano X La finta pazzia di Diana 1748 L.A. Predieri / anon. pastorale giocosa S. Moisé Bradamante 1748 o.A. / G. Gozzi oder L. Bergalli o.A. S. Angelo X Gianguir 1748 G. Giacomelli / adapt. v. A. Zeno dramma per musica S. Girolamo X Kapitel 3, Bsp. 5 La clemenza di Tito 1748 G. Pampani / adapt. anon. v. P. Metastasio divertimento scenico in musica S. Cassiano Partenza fortunata 1748 G. Latilla (?) / B. Vitturi divertimento scenico in musica S. Moisé Didone abbandonata 1748 F. Bertoni / adapt. anon. v. P. Metastasio tragedia per musica S. Girolamo X Ipermestra 1748 F. Bertoni / adapt. anon. v. P. Metastasio dramma per musica S. Samuele Li tre cicisbei ridicoli 1748 N. Resta / C.A. Vasini dramma giocoso S. Angelo Orazio 1748 P. Auletta / A. Palomba dramma giocoso S. Angelo La finta frascatana 1748 L. Leo / G.A. Federico dramma giocoso S. Angelo La semplice spiritosa 1748 G. Fiorini / C. Goldoni dramma giocoso per musica S. Moisé Clotilde 1748 B. Galuppi / F. Passarini dramma per musica S. Cassiano Evergete 1748 L. Gibelli / Fr. Silvani, v. D. Lalli dramma per musica S. Giovanni Grisostomo La scuola moderna ossia La maestra 1748 G. Fiorini / adapt. v. A. Palomba dramma giocoso per musica S. Moisé di buon gusto La vedova scaltra 1748 o.A. / C. Goldoni commedia di carattere S. Angelo Demofoonte 1748 J.A. Hasse / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo

112 Titel Jahr Komponist / Librettist Typ Ort R Anmerkungen Camilla, regina de' volsci 1748 unbekannt / S. Stampiglia dramma per musica S. Cassiano X Bertoldo, Bertoldino, e Cacasenno 1749 V. Ciampi / C. Goldoni dramma comico per musica S. Moisé Il vello d'oro 1749 G. Scolari / M. Zanetti dramma per musica S. Cassiano Anagilda 1749 anon. / G. Gigli dramma per musica S. Moisé La commedia in commedia 1749 R. di Capua / G. Barlocci dramma giocoso per musica S. Cassiano Demetrio, re di Tiria 1749 o.A. / basierend auf P. Metastasio? dramma per musica Ospedale dei Mendicanti Leucippo 1749 J.A. Hasse / G. C. Pasquini favola pastorale per musica S. Samuele Tra due litiganti il terzo gode 1749 G. B. Pescetti / G.B. Lorenzi dramma giocoso S. Cassiano L'Arcardia in Brenta 1749 B. Galuppi / C. Goldoni dramma comico per musica S. Angelo La pace 1749 unbekannt / G. Gozzi cantata a 4 Ca' Foscarini X Il finto principe 1749 div. / C. Goldoni dramma comico per musica S. Cassiano Il negligente 1749 V. Ciampi / C. Goldoni dramma comico per musica S. Moisé L'Arcardia in Brenta 1749 B. Galuppi / C. Goldoni dramma comico per musica S. Moisé Ciro riconosciuto 1749 N. Jommelli / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo Il protettore alla moda 1749 G.M. Buini, rev. B. Galuppi et al. / G.M. Buini dramma comico S. Cassiano Siroe 1749 G. Cocchi / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo Arcifanfano, re die matti 1749 B. Galuppi / P. Metastasio dramma comico per musica S. Moisé Alcimena, principessa dell'isole fortunate, ossia L'Amore fortunato 1750 B. Galuppi / adapt. v. Moliere durch P. Chiari dramma per musica S. Cassiano X Kapitel 3, Bsp. 6 ne' suoi disprezzi Artaserse 1750 A.G. Pampani / P. Metastasio dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Il mondo della luna o sia Le donne 1750 B. Galuppi / C. Goldoni dramma giocoso per musica S. Moisé X che comandano F. Gasparini & A. Vivaldi zug., rev. B. Galuppi / Ernelinda 1750 dramma per musica S. Cassiano Libr. n.v. adapt. v. F. Silvani Imeneo in Atene 1750 D. Terradellas / S. Stampiglia componimento drammatico S. Samuele Amore in tarantola 1750 G. Latilla / C. Vaccini zug. dramma giocoso per musica S. Moisé Il mondo alla roversa o sia Le donne 1750 B. Galuppi zug./ C. Goldoni zug. dramma bernesco per musica S. Cassiano Libr. n.v. che comandano [Il regno delle donne] Merope 1750 D. Perez / A. Zeno dramma per musica S. Giovanni Grisostomo X Il paese della Cuccagna 1750 B. Galuppi / C. Goldoni commedia per musica S. Moisé X Arianna e Teseo 1750 G. Abbos / P. Pariati dramma per musica S. Giovanni Grisostomo Arcifanfano, re die matti 1750 B. Galuppi / C. Goldoni dramma comico S. Moisé La mascherata 1750 G. Cocchi / C. Goldoni dramma comico per musica S. Cassiano X

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