DOSB PRESSHEINTERGRUND UND DOKUMENTATION 05. Mai 2008

Eine Seite des Profifußballs, die nur wenige kennen Ausbildungsplatz mit 82 Auszubildenden und 90 Praktikanten

Ob Toni Turek oder Hans Tilkowski, Sepp Maier oder , Bodo Illgner oder And- reas Köpke, oder - an außergewöhnlich guten Torhütern hat es der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nie gemangelt. Mit , René Adler oder Mi- chael Rensing steht schon die nächste Generation parat - und als Sven Ulreich, 19 Jahre jung, vor wenigen Wochen in der Fußball-Bundesliga im Kasten des VfB Stuttgart debütierte, war sie wie- der in aller Munde: Die deutsche Torhüter-Ausbildung, die scheinbar herausragende Keeper- Talente am Fließband hervorbringt und weltweit gerühmt wird.

Weniger bekannt ist dagegen, dass in der Bundesliga auch außerhalb des Spielfeldes fleißig aus- gebildet wird. Vor knapp zehn Jahren noch undenkbar, hat die rasante infrastrukturelle Entwicklung der Vereine und Kapitalgesellschaften die Klubs in die Lage versetzt, selbst als Ausbildungsbetrieb agieren zu können. Und auch hier ist Sven Ulreich mit von der Partie: Er befindet sich neben seiner Arbeit als Fußballer beim VfB im letzten Ausbildungsjahr zum Sport- und Fitnesskaufmann. Insgesamt drei Azubis beschäftigt der Verein, dazu 14 Prakti- kanten in den Bereichen Organisation, Jugend, Presse, Finanzen, Verwaltung, Ticketing, Mer- chandising und Marketing.

Ausbildungsplatz Bundesliga: Eine Abfrage der Deutschen Fußball-Liga (DFL) ergab jüngst, dass die Vereine der 1. und 2. Bundesliga insgesamt 82 Auszubildende zählen, dazu mehr als 90 Praktikanten mit steigender Tendenz. Ein Vorreiter auf diesem Sektor war der 1.FC Köln, der schon seit 2002 die Möglichkeit einer Berufsausbildung bietet und unter den Lizenzklubs der erste war, der Aspiranten den neuen Berufszweig Sport- und Fitnesskaufmann offerierte. Christi- an Mehrens, ehemaliger Profi-Basketballspieler (u.a. bei RheinEnergie Cologne), absolviert der- zeit genau diesen Ausbildungsgang: ,,Ich bin dem FC sehr dankbar für diese Chance. Schon als Kind stand ich mit meinem Vater im Müngersdorfer Stadion und habe den Spielern von der Süd- tribüne aus zugejubelt. Dass ich eines Tages hier arbeiten würde, daran hätte ich im Traum nicht gedacht.''

Dr. Dieter Hundt betrachtet diese Entwicklung als Unternehmer und Präsident der Bundesverei- nigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wie als Aufsichtsratsvorsitzender des VfB Stuttgart: ,,Die Clubs haben Verantwortung für die Jugendlichen. Im sportlichen und im wirt- schaftlichen Bereich. Armin Veh hat jetzt wieder Talente wie Marco Pischorn, David Pisot, Ma- nuel Fischer mit ins Trainingslager mitgenommen, arbeitet mit ihnen. Aber natürlich wird auch im Management bzw. im Marketing ausgebildet. In einem tollen Umfeld bieten sich jungen Men- schen hervorragende Perspektiven."

Dies sah auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) so, die 2005 eine Ausbildungs-Kampagne star- tete, die erstmals den Fußball als Werbeträger in den Mittelpunkt stellte. Angesprochen werden sollten vor allem die Jugendlichen, die auf ,normalem' Weg schwer zu erreichen sind und sich weniger Gedanken um ihr berufliches Fortkommen machen. Bayern München, Werder Bremen, Hamburger SV, Borussia Dortmund und Hertha BSC Berlin beteiligten sich an der Anzeigen- Aktion. Richtig Schwung bekam dann die Zusammenarbeit zwischen der Bundesagentur und dem organi- sierten Fußball durch die Weltmeisterschaft 2006. Die BA vereinbarte mit dem Organisations- komitee des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) eine Beschäftigungs-Offensive für die zwölf WM-Spielorte, die alle Erwartungen übertraf. Über 26.000 (!) offene Stellen konnten besetzt werden. Rolf Hocke, als DFB Vizepräsident für Prävention und Integration zuständig, über 40 Jahre Mitarbeiter der BA und ein Motor der Kooperation, war überwältigt: ,,Das war im Herbst meiner beruflichen Laufbahn ein unglaublicher Abschnitt. Wir haben als große Sportverbände eine riesige soziale Verantwortung, nicht nur im sportlichen Bereich, sondern auch bei der Per- sönlichkeitsentwicklung, die elementar dazugehört. Für viele Menschen ist aus einem kurzfristi- gen WM-Arbeitplatz eine Dauerbeschäftigung geworden.''

Und aus einem temporären Kontakt zwischen BA und dem DFB wurde eine Dauer-Kooperation, die vergangenes Jahr unter Beteiligung der DFL neu vereinbart wurde. Die strategische Zusam- menarbeit umfasst drei Bereiche: 1. Vermittlung: Alle offenen Stellen in der Liga und in den 21 DFB-Landesverbänden werden der BA gemeldet, um schnell und passgenau besetzt werden zu können. 2. Marketing: Die BA hat seit 2007 bei Bundesliga-Spielen wie zuvor schon bei allen Länder- und Pokalspielen die Möglichkeit zur Information in den Stadien. 3. ,,Fußball ist das Tor zum Lernen'': Aktion für langzeitarbeitslose Jugendliche mit Migrationshintergrund und Integra- tionsproblemen, die besonders gefördert werden sollen, um ihre Chancen auf eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle zu erhöhen.

Immer mehr Vereine suchen die Zusammenarbeit mit der BA: Borussia Dortmund bei Aushilfs- kräften im Ticket-Bereich, von denen bereits einige fest angestellt worden sind. Der 1.FC Nürn- berg, 1860 und der FC Bayern München unterstützten die BA-Kampagne ,,Anpfiff für Ausbil- dung'', in deren Rahmen es verschiedene Aktionen in den Stadien gab, die Sponsoren der Vereine aktiv angesprochen wurden und Profis bei Motivationsveranstaltungen für Arbeitplatz suchende Jugendliche und junge Erwachsene teilnahmen. Der VfB Stuttgart engagiert sich beim alljährli- chen Girls´ Day, einem Aktionstag, der speziell Mädchen und Frauen für technische und natur- wissenschaftliche Berufe motivieren soll und bei dem die BA Teil einer Gemeinschafts-Initiative ist. Seit Saisonbeginn sponsert die BA bei der TuS Koblenz die Trikots der Einlaufkinder an Spieltagen und wirbt im Stadion für das Thema Ausbildung. Der FSV Mainz 05 kümmert sich speziell um die Förderung ausbildungsfremder Jugendlicher. Und beim FC St. Pauli arbeitet ein Mitarbeiter in der Pressestelle nach dem ,,Hamburger Modell'', in dem die BA zehn Monate lang einen Teil des Gehaltes übernimmt.

Bei Hertha BSC Berlin sind Geschäftsstellen-Leiter Thomas E. Herrich und Reiner Kübler, der Leiter im Bereich Merchandising und Lizenzen, die offiziellen Ausbilder. Sieben Azubis, zwei BA-Studenten und zwölf Praktikanten (darunter mit Michael Zeyer ein früherer Bundesliga- Profi) arbeiten neben 60 Fest-Angestellten derzeit bei der Hertha. Insgesamt gibt es sechs ver- schiedene Ausbildungsgänge, für die sich Interessenten bewerben können: Sport- und Fitness- kaufmann/frau, Veranstaltungskaufmann/frau, Verkäufer/in, Bürokaufmann/-frau, Groß- und Außenhandelskaufmann/-frau und Bürokommunikation.

,,Unsere Praktikanten sind festen Abteilungen zugewiesen, werden bezahlt und bleiben idealer- weise sechs Monate. Die Azubis durchlaufen dagegen verschiedene Bereiche, je nach Ausbil- dungsgang'', erzählt Herrich. Der Ausbildungsvertrag wird zwischen Verein und Auszubildendem beziehungsweise dessen Eltern geschlossen, von der Industrie- und Handelskammer (IHK) auf Rechtmäßigkeit (Vergütung, Urlaubsanspruch, Tarifvertrag, Ausbilder) überprüft und registriert. Die Berufschul-Anmeldung wird vom Verein vorgenommen - eben die klassische Art wie sonst auch in Deutschland (und Österreich und der Schweiz) die Duale Ausbildung funktioniert. In anderen Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien erfolgt die Berufsausbildung hingegen ausschließlich über die Schule.

Unter den sieben Hertha-Azubis - nur der 1.FC Köln hat ligaübergreifend mit derzeit neun Aus- zubildenden mehr - sind sechs Spieler aus dem Amateur- und Juniorenkader, die auch mit Unter- stützung der staatlichen Berufsvorbereitungs- und Ausbildungsgesellschaft mbH (BBW) in der Merchandising-Abteilung von Hertha BSC kaufmännisch ausgebildet werden. Neben der Berufs- schule arbeiten die Azubis in den Fan-Shops (Ticket-Verkauf, Kunden-Beratung, Kassensystem, Artikelauszeichnung, Lager-Kontrolle) und helfen an Spieltagen im Olympia-Stadion mit. Be- gleitend besuchen sie die BBW und erhalten dort gezielte Nachhilfe und zusätzlichen Unterricht, um die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Amateur-Spieler Zhan Xu absolviert zudem eine dreijährige Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann. Ausgebildet wird er an der Schule für Tourismus Berlin GmbH und absolviert begleitend ein Praktikum in einem chinesischen Reisebü- ro die sogenannte Verbundausbildung, wenn im Verein/Betrieb nicht alle Ausbildungs- Schwerpunkte abgedeckt werden können.

Ausbilder Reiner Kübler lässt sich jede Klassenarbeit zeigen und unterschreibt die Berufsschul- Zeugnisse. ,,Wenn die als Leistungssportler in Sport eine 4 haben, dann weiß ich, da stimmt was nicht, da haben sie meistens gefehlt'', schmunzelt Kübler, der seit 2002 in Berlin arbeitet und da- vor über zehn Jahre beim VfB Stuttgart war. Er müsse in seiner Funktion Kontrolle und auch Druck ausüben, so Kübler, hat aber gleichzeitig auch Verständnis für ,seine' Jungs: ,,Ausbildung und Sport unter einen Hut zu bringen, ist keine leichte Zeit, da gehören Pflicht und Disziplin vom Spieler dazu. Unsere U23-Mannschaft war alleine im Januar zweimal in der Türkei und Öster- reich im Trainingslager. Das Versäumte muss natürlich nachgeholt werden. Aber unser Ziel ist es, dass sie alles schaffen, ohne Training und Spiel zu vernachlässigen."

Im Gegensatz zum 1.FC Köln, der keine eigenen Talente parallel beruflich ausbildet, liegt der Ausbildungs- Schwerpunkt bei Hertha BSC Berlin auf den eigenen Nachwuchs-Spielern. ,,Wir könnten jeden Tag zehn Nicht-Fußballer nehmen, die gerne bei der Hertha lernen würden. Aber wir brauchen pro Jahr drei bis vier Plätze für unsere eigenen Jugendlichen, auch weil wir hier nicht so viel Industrie ansässig haben, wo wir unsere Spieler sonst unterbringen könnten'', so Kübler.

Die Möglichkeit, neben dem Fußball auch eine kaufmännische Ausbildung im Verein machen zu können, sei insbesondere für 14- und 15Jährige interessant, die mit dem Gedanken spielten, zu Hertha zu wechseln. Denn logischerweise schaffen nicht alle Talente den Sprung in den Profi- Kader. Kübler: ,,Bislang haben sechs Jungs bei uns ihre Ausbildung beendet. Und allesamt haben danach nicht bei uns einen Vertrag bekommen, sondern haben bei anderen Vereinen ganz auf Fußball gesetzt. Aber eben auf der stabilen Grundlage einer abgeschlossenen Berufs-Ausbildung. Wenn ich die heute auf der Straße treffe, umarmen die mich.''