IV. Hochschulreform in Bayern Und Hessen 1968-1976

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IV. Hochschulreform in Bayern Und Hessen 1968-1976 IV. Hochschulreform in Bayern und Hessen 1968-1976 1. Reformen intensivieren! a) „Der Weg ist frei für überfällige Maßnahmen": die Auswirkungen der Revolte auf die Hochschulreform in Bayern und Hessen Ende der 1960er Jahre avancierte die Hochschulpolitik sowohl in Hessen als auch in Bayern zu einem zentralen Reformfeld der beiden Landesregierungen. Ahnlich wie auf Bundesebene, wo die Neuordnung der Universitäten einen entscheiden- den Platz im Rahmen der Inneren Reformen der Regierung Brandt/Scheel ein- nahm1, reagierten die bildungspolitisch Verantwortlichen damit auf die zuneh- mende Unruhe an den Hohen Schulen und den wachsenden gesellschaftlichen Reformdruck.2 Trotz der unterschiedlichen Haltungen, die die beiden Landesre- gierungen den radikalen Studenten gegenüber einnahmen, zogen SPD und CSU aus der Unruhe an den Universitäten durchaus ähnliche Schlüsse.3 Hatte bereits die Diskussion um die Hochschulreform seit Beginn der 1960er Jahre in beiden Parteien die Uberzeugung reifen lassen, dass in den deutschen Universitäten vieles im Argen lag4, wurde diese Meinung Ende der 1960er Jahre durch das Aufbegeh- ren der Studenten bestärkt.5 Sowohl die hessischen Sozialdemokraten als auch die bayerischen Konservativen machten unter dem Eindruck der Revolte teils erhebli- che demokratische Defizite in den Universitäten aus. Beide waren darüber hinaus davon überzeugt, dass der Neuordnung im Hochschulbereich eine Schlüsselrolle in der Auseinandersetzung mit den Studenten zukam. Für den linken Flügel der hessischen SPD hatten „überholte gesellschaftliche Vorstellungen" und die „Verfestigung autoritärer Strukturen" insbesondere in Schulen und Universitäten die Proteste erst heraufbeschworen.6 Besondere Schuld traf nach Meinung der hessischen Linken die Professoren- und Lehrerschaft. Sie hätten lange Zeit die selbstständige Urteilsbildung der Lernenden unterdrückt und müssten nun mit den Konsequenzen leben, äußerte Ministerpräsident Georg 1 Vgl. dazu insbesondere: Rudioff: Wieviel Macht den Räten?, S. !53-188. 2 Der hessische Kultusminister Ernst Schütte sprach 1968 unter Bezug auf eine Titelgeschichte der Zeitung Die Welt davon, dass die Zeit der Ordinarien-Universität nun vorbei sei. Vgl. 120. Plenarsitzung der KM Κ am 18./19.1.1968 in Berlin, in: BayHStA, MK 65993. Der Frakti- onsvorsitzende der CDU/CSU, Barzel, forderte die Kultusminister der Länder auf, mit „Nach- druck die Lösung der akuten Universitätsprobleme in Angriff zu nehmen". Vgl. Vermerk des Sekretariats der KMK vom 27.11.1967, in: BayHStA, MK 68577. 3 Vgl. zu den Maßnahmen, die die Regierungen in Bayern und Hessen ergriffen: Kapitel II. 2. b). 4 Vgl. Kapitel I. 4. 5 Grundsätzlich anders: Aly: Unser Kampf, vor allem S. 78, der meint, dass die Spannungen an den Universitäten nicht entstanden seien, weil Reformen ausblieben oder aktiv blockiert wor- den wären. Das ist nicht nur schlicht falsch, sondern wurde auch von den Zeitgenossen anders wahrgenommen. 6 Organisation und Politik der SPD in Hessen-Süd, Jahresbericht 1968, in: HHStAW, 1203 350. 278 IV. Hochschulreform in Bayern und Hessen 1968-1976 August Zinn in aller Deutlichkeit.7 Vielen Lehrenden, folgerte daraus der spätere Ministerpräsident und damalige Parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsmi- nisterium des Kabinetts Kiesinger, Holger Börner, fehle es schlicht an demokrati- schem Bewusstsein.8 Bereits kurz nach der Verabschiedung des hessischen Hoch- schulgesetzes von 1966 hatte der damalige Finanzminister und spätere hessische Ministerpräsident Albert Osswald die Befürchtung geäußert, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit zu Unruhen an den Universitäten kommen werde. Denn die Umsetzung des Gesetzes, da war sich Osswald sicher, würde an der „konservati- ven Haltung der meisten Rektoren" scheitern.9 In Bayern kam ein in der bayerischen Staatskanzlei erarbeitetes Papier zu einem ganz ähnlichen Ergebnis: Als primäre Ursache der Unruhen nannte es die „Zu- stände an unseren Universitäten". Neben überfüllten Hörsälen sehe sich die Stu- dentenschaft „autoritären Strukturen" innerhalb der Universitäten gegenüber.10 Sogar dezidiert konservative regierungsnahe Kreise sahen das nicht anders: Der Vorsitzende der Altherrenvereine Münchner Korporationen etwa informierte den bayerischen Ministerpräsidenten und „Kartellbruder" Alfons Goppel über Miss- stände an den Universitäten, die angeblich jeder Beschreibung spotteten. So seien Maßnahmen von Professoren gegen Studenten bekannt geworden, die „nicht nur bei den Betroffenen, sondern bei jedem rechtlich Denkenden zum Widerspruch" herausforderten.11 Vor diesem Hintergrund hielt auch das bayerische Innenminis- terium die Forderungen der Studenten nach einer „Liberalisierung des Bildungs- wesens" für „berechtigt": Man müsse ihre Vorstellungen sorgfältig prüfen und dann die „gebotenen Reformen" einleiten.12 Dafür, dass die Hochschulreformdiskussion zu Beginn des Jahres 1968 dann tatsächlich in fast allen Bundesländern gleichzeitig intensiviert wurde13, sorgte auch die massiv geführte öffentliche Debatte.14 Uber die vermeintliche Passivität der bildungspolitisch Verantwortlichen in Fragen der Hochschulreform, die die Studentenrevolte nach Meinung Vieler mitverschuldet hatte, geriet nämlich die 7 Unser Staat hat Platz für vielfältige Meinungen. Erklärung des hessischen Ministerpräsidenten Dr. Georg August Zinn vor der Landesdelegierrenkonferenz der SPD in Marbach am 2.12.1967, in: HHStAW, 1204 22. 8 Aktenvermerk von Hans-Otto Weber, Bezirk Hessen Nord, vom 13.2.1968, betr. Politische Bildung, in: AdsD, NL Schütte, Box 51. 9 Auszug aus dem Protokoll der Bezirksvorstandssitzung der SPD in Frankfurt vom 25.10.1967, in: AdsD, NL Ritzel, Mappe 1221. 10 Anmerkungen zu den Studentenunruhen für den Leiter der bayerischen Staatskanzlei, ohne Datum [Mai 1968], in: BayHStA, StK 13618. 11 Schreiben des Vorsitzenden der Altherrenvereine Münchner Korporationen an Ministerpräsi- dent Alfons Goppel, ohne Datum [1968], in: BayHStA, MK 68591. 12 Abdruck eines Vermerks des bayerischen Innenministeriums, S-2016/5-42, VS-NfD, vom 14.11.1967, in: BayHStA, MInn 97644/1; Abdruck des Schreibens des Leiters der bayerischen Staatskanzlei, Rainer Keßler, an den Vorsitzenden des Altherrenzirkels München „Alter Peter" vom 6.6.1968, in: BayHStA, MK 68591. 13 Für NRW vgl. Hübner: Sozialdemokratische Hochschulpolitik; für Baden-Württemberg zu- mindest grob: Sellin: Auftakt, S.563-583. Für Hamburg: Leitsätze zur Universitätsreform in Hamburg, Hamburg 1968. 14 Vgl. zum Beispiel das Gespräch zur Hochschulreform in Bad Boll am 12. und 13.2.1968. Die einführenden Referate wurden von dem hessischen Kultusminister Ernst Schütte und seinem Amtskollegen aus Baden-Württemberg, Wilhelm Hahn, gehalten. Vgl. Pressemitteilung über das Bad Boller Gespräch zur Hochschulreform vom 14.2.1968, in: BayHStA, MK 68591. 1. Reformen intensivieren! 279 Gesellschaft der Bundesrepublik insgesamt in Unruhe.15 Deutlich war das vor al- len Dingen in einer Bundestagsdebatte Ende des Jahres 1967 geworden, in der das studentische Aufbegehren und die „Krise" der Universitäten im Mittelpunkt der Diskussionen gestanden hatten.16 Der Ruf nach Reformen im Hochschulwesen wurde nun immer lauter, denn, so formulierte es die Evangelische Akademiker- schaft in Deutschland stellvertretend für viele andere gesellschaftliche Gruppen, der Staat müsse endlich einsehen, dass es sich bei der studentischen Unruhe um eine „politische Auseinandersetzung großen Stils" handele. Allein mit der „Wie- derherstellung der Ordnung" werde man in diesem Konflikt nicht weiterkom- men.17 Weitreichende Reformen schienen das Gebot der Stunde. Die Verantwortlichen in den Ländern brachte das in erheblichen Zugzwang. Die Sorge, den Anschluss an den hochschulreformerischen Zug zu verpassen, war gerade in Hessen, dem Bundesland, das sich in den Nachkriegsjahrzehnten mit dem Wahlkampfslogan „Hessen vorn" schmückte, besonders groß. Da Minister- präsident Georg August Zinn nicht riskieren wollte, möglicherweise von der CDU oder der FDP in der Vorlage eines Hochschulgesetzentwurfs zeitlich ausgespielt zu werden, drang er darauf, dass die Initiative unter allen Umständen bei der Re- gierung zu liegen habe.18 Der erhebliche Druck, den der Regierungschef in der Folge auf seinen Kultusminister ausübte, führte dann nicht nur zu großen Kon- flikten mit den Hochschulen, sondern letztlich auch zum Rücktritt des engagier- ten Sozialdemokraten Ernst Schütte.19 Um der Opposition im hessischen Landtag zuvorzukommen und in der „stär- ker gewordenen Reformbewegung" die Nase vorn zu behalten, galt es nun, die „Kompromisslösung" des Jahres 1966 - wie das hessische Hochschulgesetz jetzt in hessischen Regierungskreisen genannt wurde - zu novellieren, und zwar so, dass der bis dato „doch sehr erbitterte Widerstand" der Universitäten gebrochen werde.20 In letzter Konsequenz war es damit erst die Studentenrevolte, die den „Weg frei" machte „für überfällige Maßnahmen, die bisher auf den fast einhelligen 15 Das lässt sich allein an der Vielzahl der Gremien ablesen, die sich zur Jahreswende 1967/68 mit der Hochschulreform beschäftigten. In einer Sitzung der KMK im Januar 1968 nannte der hes- sische Kultusminister Ernst Schütte die öffentlichen Informationssitzungen des Bundestagsaus- schusses für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik zur Studienreform, Wissenschaftsför- derung und Wissenschaftsplanung, die Godesberger Rektorenerklärung zur Hochschulreform und die dazu abgegebene Stellungnahme des Verbandes Deutscher Studentenschaften. Vgl. 120. Plenarsitzung der KMK am 18./19.1.1968 in Berlin, in: BayHStA,
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