Und Leistungsindikator Im Sport
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wespennest // 170 // leseprobe Wespennest Nr. 170_Mai 2016 2_ schwerpunkt wespennest porträt Editorial Texte und Zeichnungen: Ernst Herbeck TESTOSTERON Fotos: Christine de Grancy 4_ 38_ 92_ Ulrich Horstmann Christoph Eisenegger Gisela Steinlechner Ungeschehen. Ein Vexierbild In hohen Dosen könnte es abhängig Langsames Leben ist lang. machen. Über Testosteron aus Zur Poesie Ernst Herbecks 14_ neurobiologischer Sicht 100_ Rudolph Herzog 40_ Felix de Mendelssohn Schlüssel. Eine Berliner Geistergeschichte Christa Nebenführ Orte und Zeiten des Irrsinns. 18_ Sieh einfach nicht hin, wenn es schlimm Ein Streifzug Ruth Johanna Benrath ist. Bei der Corrida Goyesca in Ronda Nightmare 43_ 20_ Tatiana Zhurzhenko wespennest buch Sarah Kuratle Der neue Muschik. Putins Männlichkeit 104_ Gedichte und die russische Politik Barbara Eder 22_ 46_ Marguerite Abouet und Clément Anna Albinus Nina Degele/Sigrid Schmitz Oubrerie: Aya / Aya. Leben in Yop City Schlecht schlafen Can’t believe you’re a woman. 104_ 24_ Testosteron als Geschlechts- und Christian Steinbacher Madame Nielsen Leistungsindikator im Sport Zsuzsanna Gahse: JAN, JANKA, Die Grenzwanderungen. Etappe 5 50_ SARA und ich Nafez Rerhuf 106_ Boxen in Wien Manuela Schwärzler reportage 54_ Wolfgang Bleier: Fischfang 28_ Klaus Theweleit bei aufgehender Sonne Wright Thompson Körperliche Infrastruktur. 107_ Schattenboxen Über lachende Killer auf der Suche Georg Oberhumer nach Ausgleich Ronald Pohl: die akte des vogelsangs 60_ 109_ Anonym György Dalos Man wird kein anderer Mensch. Matthias Buth: Gnus werden auf Erfahrungen mit der Einnahme der Flucht geboren von Testosteron 62_ 110_ Milena Solomun AutorInnen, Anmerkungen, Botswana Heavy Metal Buchhandel 66_ Peter Rehberg Post Phallus. Wie queer ist der Hipster? 74_ Jan Koneffke Von Schnuckelchen, Endverbrauchern und Verschrottern. Sexualmoral und kultureller Wandel im Berlusconismus 78_ Johanna Öttl Spätes Glück mit Joni. Alternde Männer und Literatur 82_ Markus Rheindorf Hart wie Gletschereis. Das Manderl-Sein des Volks- Rock ‘n‘ Rollers Andreas Gabalier 86_ Michael Kumpfmüller Die Hungerkünstler Nina Degele/Sigrid Schmitz ochleistungssport und Doping lässt sich leicht zusam - mendenken: Gedopte Gewichthebende sind stärker, Sprintende schneller und Radfahrende ausdauernder. HTestosteron war dafür einmal das Mittel der Wahl. Inzwi - schen ist es aber leicht nachweisbar, was den Wissenschaftsre - dakteur der Süddeutschen Zeitung , Werner Bartens (2010), schon vor einem halben Dutzend Jahren von Testosteron als dem Doping der Deppen sprechen ließ. Trotzdem greifen Sporttreibende noch immer zu zahlreichen, aus Testosteron abgeleiteten anabolen (Muskeln aufbauenden) Substanzen, um an Kraft zuzulegen und gleichzeitig den Abbau von Muskelzellen zu verlangsamen. Auch in Ausdauersportarten hat Testosterondoping Fans, denn damit erholen sich die Muskeln zwischen den Trainingseinheiten schnel - ler. Das verkürzt die Regenerationszeiten und erlaubt ein intensi - veres Training. Der Anchorman des damaligen Testosteron-Hypes war der ehemalige US-amerikanische Radrennfahrer Floyd Lan - dis, der nach einer spektakulären Bergetappe bei der Tour de France 2006 ausriss, sieben Minuten auf den bis dahin Führenden Testosteron als Geschlechts- gut machte und schlussendlich gewann. Bei seiner legendären und Leistungsindikator im Sport Siegesetappe hatte sich Landis Testosteronpflaster auf die Hoden geklebt und war geradezu angestochen – wenn auch noch ohne Schaum vor dem Mund – durch die französischen Alpen gestürmt. Ein Jahr später wurde ihm wegen Dopings der Sieg aberkannt. Aber auch wenn Testosteron heute im Wettkampfgeschehen nicht mehr als Leistungs steigerer an vorderster Front steht, weil es in - zwischen gut nachzuweisen ist, dann immer noch als Leistungs be - stimmer und als Geschlechter differenzierer . Das lässt sich im Sport besonders gut zeigen, weil es dort zuerst und vor allem um Leistung und Leistungssteigerung geht, und weil Sport in seiner offiziellen Wettkampfform nicht ohne eine präzise Unterteilung in Männer und Frauen zu haben ist. So steht die Verbindung von Tes - tosteron und Leistungsfähigkeit zwar nach wie vor für Mannsein, funktioniert aber – und jetzt wird es kompliziert – nicht zuverlässig. Deshalb sah sich der IOC (Internationales Olympisches Komitee) 2012 dazu veranlasst, von einer Überprüfung der eindeutigen ge - schlechtlichen Zuordnung von Wettkämpfenden Abstand zu neh - men, diese aber über Testosteronmessungen dennoch weiter zu praktizieren. Was passiert da? Inmitten solcher Verwirrungen, Ver - irrungen und Neuverhandlungen zur Trias von Testosteron, Ge - schlecht und Leistungsfähigkeit suchen wir im Folgenden nach konstruktiv-verunsichernden Orientierungen. estosteron macht in sportlichen Wettkämpfen nicht nur Männer stärker, schneller und ausdauernder. Auch Frau - en dopen mit dem Hormon. Ihnen allerdings wird nicht Tnur Betrug am Fairplay vorgeworfen, sondern darüber hi - naus und vor allem am richtigen Frausein. Denn eines gilt es zu vermeiden: Dass sich als Frauen getarnte Männer unter Athletin - 3 nen schmuggeln, um aufgrund ihrer unterstellten höheren Leis - gleichzeitig gelten alle (!) Männer als leistungsfähiger als Frauen. tungsfähigkeit Vorteile zu ergattern. Dem moralischen Fairness - Daraus ist wiederum der Schluss zu ziehen, dass Testosteron die gebot entsprechend mussten sich bei den Leichtathletik-Europa - Leistungsfähigkeit bestimmt. Dies hat allerdings keine kausale meisterschaften 1966 in Budapest Frauen erstmals ausziehen Qualität, sondern lediglich eine statistische: Über Einzelfälle sagt und betasten lassen, um zu beweisen, dass sie wirklich Frauen wa - dies nichts aus. Trotzdem ist diese Kausalkette gesellschaftlich ren (Männer wurden nicht getestet). Danach waren von 1967 bis weitgehend akzeptiert. Als Folge entstehen etwa Zweifel daran, 1999 Chromosomentests aus Speichelproben Grundlage für die dass leistungsfähige Frauen auch wirklich Frauen sind. So war die Geschlechtsbestimmung. Entscheidend dafür waren aber weni - transsexuelle Mountainbikerin Michelle Dumaresq auf nationaler ger die ethisch motivierten Proteste von Athletinnen gegen das Ebene sehr erfolgreich und vertrat Kanada seit 2002 mehrmals entwürdigende Ausziehen, sondern politische Gründe, nämlich bei Weltmeisterschaften. Sportjournalist_innen wie auch Konkur - der Ost-West-Konflikt im Kalten Krieg. Der Ostblock stand näm - rentinnen forderten allerdings, sie aufgrund ihrer früheren hohen lich nicht nur unter dem Verdacht, die Leistungsfähigkeit der Ath - Testosteronwerte auszuschließen (Doping-Vorwurf: frühzeitiger let_innen mittels Doping zu steigern, sondern zur Erhöhung der Aufbau von mehr Muskeln). Ihre Leistungsfähigkeit war mit ande - Siegeschancen auch Männer oder vermännlichte Frauen in Frau - ren Worten ein Beleg für die Nichtakzeptanz als Frau. Umgekehrt enwettbewerbe einzuschleusen. Weil er jedoch keine verlässli - war es bei der transsexuellen Tennisspielerin Renée Richards, die chen Ergebnisse brachte, wurde der Chromosomentest 2000 in sich die Teilnahmeberechtigung zur US-Open 1977 der Frauen er - Sydney wieder abgeschafft: Denn zum einen können getestete kämpft hatte. Ihre Erfolglosigkeit galt als Beleg für ihr Frausein, Frauen neben zwei X-Chromosomen auch ein Y-Chromosom ha - was ihr den Verbleib im Wettkampftennis sicherte. ben: die polnische 100-Meter-Schlussläuferin Ewa Kłobukowska Besonders populär wurde der Fall der südafrikanischen 800- beispielsweise bestand bei der EM 1966 in Budapest zwar den Sex - Meter-Läuferin Caster Semenya. Sie geriet bei den Weltmeister - test, denn in ihrer Speichelprobe wurden zwei X-Chromosomen schaften 2009 unter Verdacht, ‹keine richtige Frau› zu sein. Dieses nachgewiesen; sie fiel aber später mit einem zusätzlichen Y-Chro - Misstrauen beruhte zum einen auf ihrer Leistungssteigerung in mosom auf (bei dem sogenannten Klinefelter-Syndrom haben Verbindung mit einem dreifach erhöhten Testosteron-Wert, dann Personen XXY). Zum anderen entwickeln XY-Personen (also chro - aber auch auf ihrem medial inszenierten Aussehen mit ‹männli - mosomale Männer) unter bestimmten Umständen chem› Gesicht, schmalen Hüften, ausgeprägten eine weibliche Köperphysiologie, wenn ihre Rezep - Muskeln und einer tiefen Stimme. Sie wurde von toren Testosteron nicht erkennen (Androgen Insen - Die Erfolglosigkeit den Wettkämpfen ausgeschlossen, ausgiebigen Ge - sitivity Syndrome, AIS). Bei den Olympischen Spie - galt als Beleg für ihr schlechtstests unterzogen, und es dauerte elf Mo - len 1996 in Atlanta etwa wurden acht solche XY- Frausein, was ihr den nate, bis Semenyas Sperre wieder aufgehoben wur - Athletinnen mit AIS ‹entdeckt›. Da jedoch sieben Verbleib im Wett - de: Ihr gemessenes Testosteron lag schlussendlich von ihnen nicht auf das von ihnen produzierte Tes - kampftennis sicherte. weit genug unter dem definierten Grenzwert, ihre tosteron reagierten, durften sie als Frauen starten. Leistungsfähigkeit von 2009 erreichte sie seitdem In der Folge setzte das IOC auf fallweise Ent - nicht wieder. Unklar ist, ob dies ‹natürlicherweise› scheidungen. Seit 2011 dürfen Frauen bei Frauenwettbewerben oder durch Östrogengaben beziehungsweise aufgrund operatio - starten, wenn ihr Level an Testosteron unter dem der Männer oder neller Eingriffe geschah. Gleichzeitig wurde nach ihrer Sperre ein in einem Bereich liegt, aus dem sie – so der Anspruch – keinen Prozess der ‹Verweiblichung› konstatiert: Sie hätte an Gewicht Wettkampf-Vorteil ziehen können. Entsprechend lautete die IOC- und Rundungen zugelegt, die Haare seien länger,