OÖ. HEIMATBLÄTTER 2010 HEFT 1 /2

Beiträge zur Oö. Landeskunde | 64. Jahrgang | www.land-oberoesterreich.gv.at OÖ. HEIMATBLÄTTER | 2010 HEFT 1/2 HEFT 2010 | HEIMATBLÄTTER OÖ.

64. Jahrgang 2010 Heft 1/2 Herausgegeben vom Amt der OÖ. Landesregierung, Direktion Kultur

THEMEN AUS DER LANDESKUNDE

Bernhard Prokisch: Zwei römische Münzhorte der Mitte des dritten Jahrhunderts aus Oberösterreich 3

Franz Josef Feichtinger: Die „Fertiger“ – Manager des Salzwesens im Lande ob der Enns vom 14. bis zum 19. Jahrhundert 18

Hans Kalchmair: „Kryptoprotestantismus“ als Delikt. Aufgerollt am Beispiel eines gerichtlichen Familienstreits 1765 45

Hubert Taferner: Erinnerung, Mahnung, Versöhnung. Die Evangelische Toleranzkirche Eferding 54

Franz Daxecker: F. X. Huber: Historiker, Publizist und Zeitzeuge aus dem Innviertel 63

Thekla Weissengruber: Goldhauben – Zlatare. Traditionelle Kopfbedeckungen aus Slawonien und Oberösterreich 68

Leopold Josef Mayböck: Der Pechölstein beim „Eiserbauer“ in der Mühlviertler Gemeinde Schwertberg im Bezirk Perg 78

Wolfram Ziegler/Tina Bayer: Helga Riemann (1924–2004) Zu Vita und Werk einer wichtigen oö. Komponistin 84

BUCHBESPRECHUNGEN 91

1 Medieninhaber: Land Oberösterreich Mitarbeiter: Herausgeber: Amt der OÖ. Landesregierung, Dr. Bernhard Prokisch Direktion Kultur Oö. Landesmuseen, Schlossmuseum Zuschriften (Manuskripte, Besprechungsexemplare) Schlossberg 2, 4010 und Bestellungen sind zu richten an den Schriftleiter der OÖ. Heimatblätter: Mag. Franz Josef Feichtinger Roitherstraße 50, 4802 Ebensee Camillo Gamnitzer, Amt der OÖ. Landesregierung, Direktion Kultur, Promenade 37, 4021 Linz, Tel. Dr. Hans Kalchmair 0 73 2 / 77 20-1 54 77 Pacherstraße 15, 4600 Arch. Dipl.-Ing. Hubert Taferner Jahresabonnement (2 Doppelnummern) e 12,– Paracelsusstraße 4, 4070 Eferding (inkl. 10 % MwSt.) Univ.-Prof. Dr. Franz Daxecker Hersteller: TRAUNER DRUCK GmbH & Co KG, Gufeltalweg 9a, 6020 Innsbruck Köglstraße 14, 4020 Linz Mag. Dr. Thekla Weissengruber Grafische Gestaltung: Mag. art. Herwig Berger, Oö. Landesmuseen, Schlossmuseum Steingasse 23 a, 4020 Linz (Volkskunde) Schlossberg 2, 4010 Linz Für den Inhalt der einzelnen Beiträge zeichnet der Kons. Leopold Josef Mayböck jeweilige Verfasser verantwortlich Lina 34, 4311 Schwertberg

Alle Rechte vorbehalten Mag. Dr. Wolfram Ziegler Institut für Mittelalterforschung der ÖAW Für unverlangt eingesandte Manuskripte über- Wohllebengasse 12–14, 1040 Wien nimmt die Schriftleitung keine Haftung Mag. Tina Bayer J.-Weißkind-Straße 16, 5083 St. Leonhard ISBN 3-85393-010-7

Titelbild: Arbeit der „Fuderhacker“, „Stößer“ und „B’schlager“ (Beitrag Feichtinger)

2 Zwei römische Münzhorte der Mitte des dritten Jahrhunderts aus Oberösterreich Von Bernhard Prokisch

Die Jahre um die Mitte des dritten der KG Wackersbach2 am Westrand nachchristlichen Jahrhunderts stellten des Eferdinger Beckens zu Tage traten. bekanntlich auch für das Gebiet des Die Fundsituation wie die Zusammen­ heutigen Oberösterreich, in seinem süd­ setzung des Konvolutes lassen keinen lich der Donau gelegenen Teil damals Zweifel offen, dass hier ein Schatzfund der Provinz Noricum zugehörig, eine vorliegt. Die Frage nach seiner Voll­ krisenhafte Zeit dar, die mit der Gefan­ ständigkeit bleibt dabei – wie immer in gennahme Kaiser Valerians I. durch den derartigen Fällen – unbeantwortet, doch Sasanidenkönig Shapur I. und mit den wurde die Fundstelle vom Finder genau kurz danach stattfindenden, auch den ös­ untersucht, sodass man annehmen darf, terreichischen Donauraum betreffenden dass zumindest der Großteil der Stücke Revolten des Ingenuus und des Regalian geborgen wurde. einen Höhepunkt erreichte. Ebenso be­ Die Münzen wurden im Landes­ drohten die Einfälle der Alamannen und museum gereinigt und nach Abschluss Juthungen aus dem Nordwesten nicht der wissenschaftlichen Bearbeitung an nur Rätien, sondern auch das norische den Finder retourniert.3 Grenzgebiet entlang des Limes.1 Die Barschaft (bzw. deren geborge­ Hier sollen nun zwei kleinere Münz­ ner Teil) umfasst 28 Silbermünzen, und horte vorgestellt werden, die Quellen zwar vier Denare und 24 Antoniniane für die Geschichte dieser Zeit im Raum (i. e. Doppeldenare). Die beiden Münz­ des heutigen Oberösterreich darstel­ sorten bilden zwei in sich geschlossene, len. Es handelt sich um einen Neufund zeitlich aufeinander folgende Komplexe. der letzten Jahre aus der Umgebung von Eferding sowie um einen Komplex, der zwar bereits 1842 geborgen wurde, 1 Vgl. dazu u. a. die Überblicksdarstellungen bei: G. den man jedoch bislang aufgrund von Winkler, Die Römer in Oberösterreich, Linz 1975, Missverständnissen irrtümlich in das 4. S. 33–34, S. Haider, Geschichte Oberösterreichs, Wien 1987, S. 20, sowie zuletzt C. Schwanzar, Die Jahrhundert datierte und niemals einer Römerzeit in Oberösterreich, ein Überblick, in: genaueren Untersuchung unterzog. Ausstellungskatalog Worauf wir stehen. Archäo­ logie in Oberösterreich (Kataloge des OÖ. Lan­ desmuseums N. F. 195), Linz 2003, S. 99. Der Fund von Wackersbach 2 Um allfällige Nachsuchungen Unbefugter zu un­ (OG Hinzenbach, VB Eferding) terbinden, wird auf die Mitteilung der genaueren Fundstelle sowie der Fundumstände verzichtet. In den Jahren 2006, 2007 und 2008 3 Die Reinigung erfolgte durch den Metallrestau­ rator des Oberösterreichischen Landesmuseums, wurden im Oberösterreichischen Lan­ Oskar Kassik. Ihm sei ebenso gedankt wie DI Leo­ desmuseum römische Münzen vorge­ pold Bald, Eferding, der die Meldung der Mün­ legt, die nach Auskunft des Finders in zen durchführte.

3 Die Denare stammen aus spätseveri­ Carolinum, heute Oberösterreichisches scher Zeit, das älteste Gepräge noch aus Landesmuseum.5 In den nächsten Jahr­ der Regierungszeit des Kaisers Elagabal zehnten scheint sich niemand mit den (218–222) [Kat. Nr. 1/1], die drei weite­ Stücken beschäftigt zu haben, denn erst ren aus derjenigen seines Nachfolgers im Jahr 1898 nahm Andreas Markl den Severus Alexander (222–235) [Kat. Nr. Bestand in seine Publikation zu den anti­ 1/2–1/4]. Einer der drei Denare wurde im ken Fundmünzen Oberösterreichs6 auf. Namen des Augustus geprägt, die bei­ Damals wurden insgesamt 24 Münzen den anderen in dem seiner Mutter Iulia verzeichnet, nämlich 23 Antoniniane Mamaea, die für den im Kindesalter und ein Sesterz, was zur Gänze dem der­ stehenden Kaiser die Regierung führte. zeitigen Bestand entspricht. Der Gold­ Der Hauptteil der Barschaft besteht aus reif gelangte ebenfalls an das Museum,7 Antoninianen, dem charakteristischen ist hier jedoch nicht mehr vorhanden.8 Nominal der Krisenzeit des 3. Jahrhun­ Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Nimmt derts, und setzt etwa zwei Jahrzehnte man die Äußerungen aus der Auffin­ nach den Denaren ein. Die ältesten Stü­ dungszeit in den 1840er-Jahren für bare cke [Kat. Nr. 1/5–1/7] stammen aus der Münze und gelangten tatsächlich 42 späteren Zeit Gordians III., die jüngs­ Münzen in das Museum, so müssen dort ten [Kat. Nr. 1/27, 1/28] aus der früheren zwischen 1843 und 1898 neunzehn von Zeit der Samtherrschaft Valerianus I. / ihnen in Verlust geraten und ein – da­ Gallienus, womit sich der „Ansparzeit­ mals nicht angeführtes – Stück [Kat. Nr. raum“ des Antoninian-Anteils auf das 2/1] dazugekommen sein. Räumt man Jahrzehnt zwischen 242/244 und 253/256 hingegen der nur kursorischen Erwäh­ einschränken lässt. nung des Fundes weniger Bedeutung ein, so könnte man – vor allem unter der Annahme eines möglichen Ziffern­ Der Fund von Helpfau (MG Helpfau-Uttendorf, VB Braunau am Inn) 4 Zeitschrift des Museum Francisco-Carolinum Nr. 24, August 1843, S. 96: 42 Stück verschiedener römi- Im Gegensatz zum Fund von Wa­ scher Silbermünzen (einen Zeitraum von 17 Jahren umfas- ckersbach wirft die Rekonstruktion des send), nebst einem goldenen Reife, ausgegraben zu Hepfau (sic!) im Innkreise; wurden durch die besondere Güte der Fundes von Helpfau etliche Fragen auf. k. k. hohen Landesregierung dem Museum übermittelt, Im Jahr 1842 errichtete man in Uttendorf auch leistete die Pfarrkirche, als Grundeigenthümerin, auf im Mattigtal einen neuen Friedhof. Im den ihr zustehenden Drittelbetrag des Werthes Verzicht. Zuge der Anlage einer Kalkgrube für 5 Achter Bericht über das Museum Francisco-Caro­ diesen Bau trat am 12. April dieses Jah­ linum, Linz 1845, S. 58, Nr. 16. 6 A. Markl, Oberösterreichische Fundmünzen. A. res ein Fund zutage, der nach Auskunft Die antiken Fundmünzen des Museums Fran­ der am weitesten zurückliegenden Infor­ cisco-Carolinum, in: 56. Jahresbericht des Mu­ mationen neben 42 Stück Silbermünzen seums Francisco-Carolinum, Linz 1898, S. 51–53, einen goldenen Reif und vier „Trüm- Nr. 721–744. 7 4 Ibidem, S. 65, Nr. 8. mer eines irdenen Geschirrs“ enthielt. Das 8 Auskunft von Dr. Christine Schwanzar und Dr. Fundmaterial gelangte 1843 oder 1844 Martina Reitberger, beide OÖ. Landesmuseum, in das damals junge Museum Francisco- wofür ihnen herzlich gedankt sei.

4 sturzes (42 / 24) – vermuten, dass doch vielleicht darf man von einer Gleichwer- der numismatische Gesamtbestand des tigkeit von Denar und – ursprünglich ja Fundes vorliegt. Die Situation wird noch als Doppelstück konzipiertem – Antoni- weiter durch die Tatsache kompliziert, nian ausgehen,11 womit der Wert des dass sieben Jahre später, also 1849, „auf Wackersbacher Fundes 56 (Rechnungs-) demselben Grunde“ weitere römische Mün- Denare, derjenige des Helpfauer Schat- zen zu Tage traten. Es handelte sich um zes entweder 48 oder – geht man von 15 römische Erzmünzen, welche bei Utendorf der höheren Stückzahl aus – eben 84 im Innkreise aufgefunden wurden, Stücke von (Rechnungs-)Denare betrug.12 Gallienus, Valerianus, Valens, Gratianus u. Dass die beiden Funde gleichsam am a. enthaltend.9 Die beiden Fundkomplexe Vorabend der großen Inflationskatas- gehören ungeachtet der unmittelbaren trophe schließen, die ab den späteren Nähe des Fundortes nicht zusammen, 250er-Jahren das Imperium Romanum wurden jedoch in der jüngeren Literatur heimsuchte, ist kein Zufall: Der Besitzer zu einem angeblichen Schatzfund des der Barschaft hat – dem Greshamschen späteren 4. Jahrhunderts amalgamiert,10 Gesetz folgend, demzufolge schlech- was mit Sicherheit nicht zutrifft. tes Geld Gutes aus dem Umlauf drängt – eben das höherwertige ältere Geld Die derzeit vorliegenden Stücke sind thesauriert und nicht die minderlegier- mit Ausnahme des Caracalla-Sesterzes [Kat. Nr. 2/1] ausschließlich Antoniniane und stellen eine zeitlich kompakte Reihe 09 12. Bericht über das Museum Francisco-Caro- dar, dessen ältestes Stück – sieht man linum, Linz 1852, S. 24, Nr. 6; J. Gaisberger, Ar- von der erwähnten vereinzelten Aes- chaeologische Nachlese, in: 24. Bericht über Münze [Kat. Nr. 2/1] ab – unter Gordi- das Museum Francisco-Carolinum, Linz 1864, S. 1–76, hier S. 53, Nr. 44. – Die Münzen sind anus III. im Jahr 238 entstand [Kat. Nr. verschollen, es dürfte sich jedoch um das übliche 2/2] und dessen Schlussmünze wie in Streufundmaterial aus Inflationsantoninianen Wackersbach aus der Zeit der Samtherr- bzw. Maiorinen und/oder Centenionales der schaft Valerianus I. / Gallienus stammt, Constantinsfamilie und der zweiten flavischen womit der Silberteil des Fundes eine Dynastie gehandelt haben. 10 G. Dembski, Die antiken Münzschatzfunde aus zeitliche Tiefe von etwa einem Jahr- Österreich, in: Numismatische Zeitschrift 91 zehnt aufweist. Nimmt man hingegen (1977), S. 3–64, hier S. 46, H-6. den Sesterz dazu, kommt man auf einen 11 R. Göbl, Römischer Münzhort Tulln 1966, in: Zeitraum von etwa 35 Jahren. Numismatische Zeitschrift 83 (1969), S. 7–57. – A. Ruske, Die Carnuntiner Schatzfunde, in: M. Abgesehen von den erwähnten Un- Alram – F. Schmidt-Dick (Hrsg.), Numismata terschieden weisen die beiden Funde Carnuntina. Forschungen und Material (Die doch etliche Übereinstimmungen auf. Fundmünzen der römischen Zeit in Österreich Abteilung III: Niederösterreich, Band 2: Die an- Sie gehören von ihrem Geldwert her tiken Fundmünzen im Museum Carnuntinum) in dieselbe Größenordnung, wobei die (Österreichische Akademie der Wissenschaften Wertberechnung nicht ganz sicher ist. phil.-hist. Klasse, Denkschriften, 353. Band = Ver- Zum Zeitpunkt der Verbergung hatten öffentlichungen der Numismatischen Kommis- sion Band 44), Wien 2007, Textband 1, S. 451–452. die älteren Denare sicherlich einen höhe- 12 Das Verhältnis des (Rechnungs-)Denars als Halb- ren Kurs als die neuen, einen geringeren stück des Antoninians zu den tatsächlich gepräg- Feingehalt aufweisenden Antoniniane; ten Denaren betrug somit 2:1.

5 ten jüngeren Inflationsgepräge. Daraus dorf und Taxenbach reichen die ältesten ergibt sich jedoch die Tatsache, dass Stücke in das erste nachchristliche Jahr­ die „Schlussmünzen“ unseres Fundes – hundert hinauf (Denar des Titus bzw. ungeachtet ihrer kompakten zeitlichen des Nero). Ebenso existieren reine An­ Schichtung – nicht unbedingt den Ver­ toninian-Horte, mit Helpfau besonders bergungszeitpunkt markieren müssen, übereinstimmend der 1902 entdeckte sondern dieser auch in den folgenden Fund aus dem Lager in Carnuntum16, Jahren der Hyperinflation unter der Al­ mit 54 Stücken auch im Umfang unse­ leinherrschaft des Gallienus und seiner rem Komplex vergleichbar. Nachfolger liegen kann. Die Funde dieser Jahre sind auch Vergleicht man nun die beiden vor­ vor dem Hintergrund einer wirtschafts­ liegenden Komplexe mit den etwa zeit­ geschichtlichen Neuerung zu sehen, gleichen Schatzfunden, die bislang in nämlich dem Ende der zentralen Geld­ Österreich registriert wurden, kann man versorgung durch die römische Münz­ ihre Stellung recht gut umreißen. Sie ge­ stätte und der nun einsetzenden Dezen­ hören in den von Günther Dembski13 tralisierung der Münzproduktion. In den in seiner grundlegenden Arbeit zu den vorliegenden Funden bildet sich diese antiken Münzschatzfunden Österreichs Tendenz jedoch nur ansatzweise ab: Mit als „Gruppe E“ bezeichneten chronolo­ Ausnahme des in andere Zusammen­ gischen Horizont, der von Traianus De­ hänge gehörenden Denars des Elagabal cius bis Gallienus reicht und eben den aus der Ostmünzstätte Nicomedia [Kat. Zeitraum unmittelbar vor dem Einsetzen Nr. 1/1] entstammen im Wackersbacher der Hochinflation in spätgallienischer Komplex nach derzeitigem Wissens­ Zeit umfasst. Zuletzt hat Alexander stand lediglich vier Gepräge nicht dem Ruske einen eigenen Schatzfundhori­ römischen Münzamt. Es handelt sich zont in der Zeit der Samtherrschaft von um je zwei Antoniniane des Gordia­ Valerianus I. und Gallienus konstatiert.14 nus III. und des Trebonianus Gallus aus Es findet sich die nominalische Zwei­ der Ostmünzstätte Antiochia ad Oron­ teilung in einen älteren Denar- und ei­ tem [Kat. Nr. 1/5, 1/6, 1/22, 1/23] sowie nen jüngeren Antoninian-Anteil an um die beiden jüngsten Stücke, je einen mehreren Komplexen wieder, so etwa Antoninian des Valerian I. und der Sa­ in Adriach (Gem. Rothleiten, VB Graz- lonina [Kat. Nr. 1/27 und 1/28], die beide Umgebung), Apetlon (Gem. Apetlon, VB Neusiedl am See), Berndorf (Gem. Berndorf, BH Baden), Hochneukirchen (Gem. Hochneukirchen-Gschaidt, VB 13 Dembski (zit. Anm. 10). – Dort auch detaillierte Hinweise auf die Literatur zu den einzelnen Fun­ Wiener Neustadt), Taxenbach (Gem. den. Alexander Ruske, Wien, bereitet derzeit eine Taxenbach, VB Zell am See) oder Tulln umfassende Neubearbeitung der antiken Schatz­ (Gem. und VB Tulln).15 Die Reihe der funde Österreichs vor, zu der die vorliegende Stu­ Denare setzt bei diesen Funden meist die nur einen kleinen Baustein beitragen will. ebenfalls in severischer Zeit ein, aller­ 14 Ruske (zit. Anm. 11), S. 447. 15 Dembski (zit. Anm. 10), S. 29–32, E-1, E-2, E-4, dings meist bereits in der Zeit ab 193, E-6, E-12, E-14. also der Regierungszeit des Septimius 16 Ibidem, S. 30, E-5; Ruske (zit. Anm. 11), S. 447– Severus und seiner Söhne, nur in Bern­ 453 (dort auch die ältere Literatur).

6 in Viminacium geschlagen wurden. Im Die hier angesprochenen Jahre fallen Material aus Helpfau ist Antiochia mit – wie eingangs erwähnt – in eine krisen­ einem Stück aus der Regierungszeit der hafte Zeit, die sicherlich der Verbergung beiden Philippi [Kat. Nr. 2/6] und wie­ von Wertgegenständen förderlich war derum zwei Stücken des Trebonianus und wohl auch meist für die Tatsache, Gallus [Kat. Nr. 2/14, 2/15] vertreten, wo­ dass eine verborgene Barschaft vom hingegen der Anteil der Münzstätte Vi­ Besitzer nicht mehr gehoben werden minacium unter den jüngsten Münzen konnte, verantwortlich war. Die Frage22 des Fundes aus der Zeit ab 253 dominiert aber, ob man die Verbergung unseres [Kat. Nr. 2/18, 2/19, 2/21, 2/22, 2/24]. Die­ Schatzes wie auch der zeitgleichen Bar­ ses Münzamt nahm seinen Betrieb erst schaften unmittelbar mit diesen, die Re­ unter der Samtherrschaft Valerianus I. / gion sicherlich destabilisierenden Ereig­ Gallienus auf und übersiedelte einige nissen in Verbindung bringen darf, oder Jahre später nach Colonia Agrippinensis ob sich hier – wie ausgeführt – lediglich (Köln). Der – bis heute nicht sicher zu die Inflationssituation widerspiegelt und fixierende und zuletzt von Robert Göbl das Geld vielleicht erst Jahre später in die noch für 257 angenommene – Zeitpunkt Erde gelangte, wird wohl niemals mit Si­ des Transfers gibt vielleicht einen vagen cherheit zu beantworten sein. Hinweis auf einen terminus ante quem für Wackersbach17 und den sicheren terminus post quem für die Schlussmünze [Kat. Nr. 17 Ansonsten könnte man bereits Kölner Gepräge 2/23] in Helpfau.18 erwarten. – Es sei aber hervorgehoben, dass die vergleichsweise geringen Stückzahlen beider Funde alle Aussagen relativieren. Ebenso kompliziert wie im Fall der 18 Zu dieser Frage im Detail: R. Göbl, Die Münzprä­ beiden vorliegenden Barschaften stellt gung der Kaiser Valerianus I. / Gallienus / Saloni­ sich die Frage nach den Schlussmünzen nus (253/268), Regalianus (260) und Macrianus / der anderen Funde aus dieser Zeit dar, Quietus (260/262) (Moneta Imperii Romani 36, 43, 44 = Österreichische Akademie der Wissenschaf­ da die Nachrichten über die einzelnen ten, Philosophisch-Historische Klasse, Denk­ Komplexe oft keine Feindatierung inner­ schriften 286 = Veröffentlichungen der Numisma­ halb der doch mehr als eineinhalb Jahr­ tischen Kommission 35), Wien 2000, Textband, zehnte umfassenden Regierungszeit des S. 98–99. Gallienus gestatten. Ungeachtet dieser 19 Bemerkenswerterweise endet jedoch der nächst­ verwandte Fund der Steiermark, nämlich der Unschärfe dürfte die Mehrzahl der ös­ Komplex von Preg, erst 263, also bereits in der terreichischen Funde noch während der Zeit der Alleinherrschaft des Gallienus (U. Scha­ Samtherrschaft Valerianus I. / Gallienus, chinger, Der antike Münzumlauf in der Steier­ also vor 260 enden.19 Am nächsten kom­ mark (Die Fundmünzen der römischen Zeit in men den vorliegenden Komplexen hier Österreich Abteilung VI: Steiermark) (Österrei­ chische Akademie der Wissenschaften phil.-hist. der Tullner Hort, für dessen Schluss­ Klasse, Denkschriften, 341. Band = Veröffentli­ münzen Robert Göbl20 die Jahre 257/258 chungen der Numismatischen Kommission Band vorschlägt, und Carnuntum (258/259 43), Wien 2006, S. 46–47. nach Göbl, 257/258 nach Ruske), gefolgt 20 Göbl (zit. Anm. 11), S. 56. 21 Dembski (zit. Anm. 10), S. E-2, E-5, E-6; zur Datie­ von den zeitlich nächstfolgenden Fun­ rung: Göbl (zit. Anm. 11), S. 57. den, nämlich Hochneukirchen (258) und 22 Vgl. dazu etwa Schachinger (zit. Anm. 19), S. 51 Apetlon (259/60).21 und Ruske (zit. Anm. 11), S. 452.

7 Katalog Providentia steht l., an Säule gelehnt, mit Stab und Füllhorn, Globus zu Füßen Abkürzungen RIC 130 (b); Ph (Rom) h Ch Kürass, von hinten gesehen (Büstenbe- 2,25 g; 12 schreibung) Cv Kürass, von vorne gesehen (Büstenbe- Severus Alexander (222–235) schreibung) l. links Markl A. Markl, Oberösterreichische Fundmün- zen. A. Die antiken Fundmünzen des Mu- seums Francisco-Carolinum, in: 56. Jahres- bericht des Museums Francisco-Carolinum, Linz 1898, S. 1–74. 1/2 MIR R. Göbl, Die Münzprägung der Kaiser Va- lerianus I. / Gallienus / Saloninus (253/268), 1/2. Denar, 225, Rom Regalianus (260) und Macrianus / Quietus IMP C M AVR SEV – ALEXAND AVG (260/262) (Moneta Imperii Romani 36, 43, Büste r., Lorbeerkranz, Paludament 44 = Österreichische Akademie der Wissen- P M TR P IIII COS P P schaften, Philosophisch-Historische Klasse, Mars geht r. mit Speer und Tropaeum Denkschriften 286 = Veröffentlichungen der RIC 45 h Numismatischen Kommission 35), Wien 1,82 g; 12 2000. PCh Paludament über Kürass, von hinten gese- Severus Alexander für Iulia Mamaea hen (Büstenbeschreibung) Ph Paludament, von hinten gesehen (Büsten- beschreibung) r. rechts RIC Roman Imperial Coinage. Vol. IV. Part I: H. Mattingly – E. A. Sydenham, Pertinax to Geta, London 1936. Vol. IV. Part II: Vol. IV. Part III: H. Mattingly – E. A. Sydenham, 1/3 Gordian III to Uranius Antoninus, London 1/3. Denar, Rom, 226 1949. IVLIA MAMAEA AVG Büste r., Diadem, Palla IVVNO CON-SERVATRIX 1. Der Fund von Wackersbach Juno mit Diadem und Schleier steht l. mit (OG Hinzenbach, VB Eferding) Patera und Szepter, Pfau zu Füßen Antoninus IV. (Elagabalus) (218–222) RIC 343 1,60 g; 12h

1/1 1/4 1/1. Denar, 219/222, Nicomedia IMP ANTONINVS AVG 1/4. Denar, Rom, 226 Büste r., Lorbeerkranz, Paludament IVLIA MAMAEA AVG PROVID – DEORVM Büste r., Diadem, Palla

8 IVVNO CON-SERVATRIX 1/7. Antoninian, Antiochia, 242/244 Juno mit Diadem und Schleier steht l. mit IMP GORDIANVS PIVS FEL AVG Patera und Szepter, Pfau zu Füßen Büste r., Strahlenkrone, Kürass RIC 343 SAECVLI F-ELICITAS 1,60 g; 12h, fragmentiert durch Gordianus steht r. mit Speer und Szepter Schrötlingsausbrüche. RIC 216 (e); Ch 2,06 g; 12h

Gordianus III. (238–244)

Philippus I. (244–247)

1/5 1/5. Antoninian, Rom, 244 IMP GORDIANVS PIVS FEL AVG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass 1/8 PROVI-D AVG Providentia steht l. mit Stab über Globus und 1/8. Antoninian, Rom, 245 Szepter IMP M IVL PHILIPPVS AVG RIC 148; PCh Büste r., Strahlenkrone, Paludament über 2,84 g; 12h Kürass FELICITAS TEMP Felicitas steht l. mit Caduceus und Füllhorn RIC 31; PCh 1,63 g; 6h, fragmentiert durch Schrötlingsausbruch.

1/6 1/6. Antoninian, Antiochia, 242/244 IMP GORDIANVS PIVS FEL AVG Büste r., Strahlenkrone, Kürass PAX – AVGVSTI Pax eilt l. mit Zweig und Szepter RIC 214 (e); Ch 2,54 g; 6h 1/9

1/9. Antoninian, Rom, 245 IMP M IVL PHILIPPVS AVG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass PAX – AETERN Pax steht l. mit Zweig und Szepter RIC 40b; PCh 1/7 2,05 g; 12h

9 Philippus I. für Philippus II. Sechssäuliger Tempel, darin Romastatue RIC 25b; PCh 2,97 g; 12h

1/10 1/10. Antoninian, Rom, 244 M IVL PHILIPPVS CAES 1/13 Büste r., Strahlenkrone, Paludament PRINCIPI IVVENT 1/13. Antoninian, Rom, 247 Philippus steht r. mit Speer und Globus IMP M IVL PHILIPPVS AVG RIC 216c; Ph Büste r., Strahlenkrone, Paludament über 2,02 g; 6h Kürass LIBERALITAS AVGG II Liberalitas steht l. mit Abakus und Füllhorn RIC 38b; PCh 3,04 g; 62h

1/11 1/11. Antoninian, Rom, 244/245 M IVL PHILIPPVS CAES Büste r., Strahlenkrone, Paludament 1/14 PRINC-IPI IVVENTVTIS Philippus steht r. mit Speer und Standarte 1/14. Antoninian, Rom, 247 RIC 220b; Ph IMP M IVL PHILIPPVS AVG 2,02 g; 6h Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass ROMAE AETERNAE Philippus I. und Philippus II. (247–249) Roma sitzt l. mit Victoriola und Szepter, Schild zu Seiten Philippus I. und Philippus II. für Philippus I. RIC 44b; PCh 2,73 g; 6h

1/12 1/12. Antoninian, Rom, 248 IMP PHILIPPVS AVG 1/15 Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass 1/15. Antoninian, Rom, 247 SAECVLVM NOVVM IMP M IVL PHILIPPVS AVG

10 Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Traianus Decius für Herennia Etruscilla Kürass ROMAE AETERNAE Roma sitzt l. mit Victoriola und Szepter, Schild zu Seiten RIC 44b; PCh 2,06 g; 6h

1/18 1/18. Antoninian, Rom, 249 HER ETRVSCILLA AVG Büste r. auf Mondsichel, Palla Philippus I. oder Philippus I. und Philippus II. für IVNO REGINA Otacilia Severa Juno steht l. mit Patera und Szepter, Pfau zu Füßen RIC 57 2,42 g; 12h

1/16 1/16. (Antoninian), Ms. ?, (244/249) ... OTAC ... Büste r. auf Mondsichel, Diadem, Palla Legende und Bild unkenntlich 1,12 g; ?h, Fragment, ZF subärat. Abgebrochener 1/19 Teil beiliegend (Gewicht beider Stücke 1/19. Antoninian, Rom, 249 angegeben). HER ETRVSCILLA AVG Büste r. auf Mondsichel, Palla PVDICITIA AVG Pudicitia sitzt l., mit Szepter, hält mit der Rechten ihren Schleier RIC 59b Traianus Decius (Decius I.) (249–251) 3,76 g; 12h

Trebonianus Gallus und Volusianus (251–253) Trebonianus Gallus und Volusianus für Trebonianus Gallus

1/17 1/17. Antoninian, Rom, 249 IMP C M Q TRAIANVS DECIVS AVG Büste r., Strahlenkrone, Kürass GENIVS EXERC ILLVRICANI Genius mit Patera und Füllhorn, r. Standarte 1/20 RIC 16c; Ch 1/20. Antoninian, Rom, 252 2,33 g; 6h IMP CAE C VIB TREB GALLVS AVG

11 Büste r.; Strahlenkrone, Paludament über Büste r.; Strahlenkrone, Kürass Kürass VBERTAS AVGG AETERNITAS AVGG Uberitas steht l. mit Börse und Füllhorn Aeternitas steht l. mit Phönix auf Globus, hält RIC 92; Ch, korrodiert mit der Linken ihr Kleid 1,20 g; 6h RIC 30; PCh 2,98 g; 12h

Trebonianus Gallus und Volusianus für Volusianus

1/21 1/21. Antoninian, Rom, 251 IMP CAE C VIB TREB GALLVS AVG Büste r.; Strahlenkrone, Paludament über Kürass CONCORDIA AVGG Concordia steht l. mit Patera und 1/24 Doppelfüllhorn RIC 51; PCh 1/24. Antoninian, Rom, 251 2,98 g; 12h, fragmentiert IMP CAE C VIB VOLUSIANO AVG Büste r.; Strahlenkrone, Paludament über Kürass PIETAS AVGG Pietas mit Schleier steht l. an Altar, beide Hände erhoben RIC 182; PCh 2,33 g; 6h

1/22 1/22. Antoninian, Antiochia, 251/253 IMP C C VIB TREB GALLVS P F AVG Büste r.; Strahlenkrone, Kürass VBERITAS AVGG Uberitas steht l. mit Börse und Füllhorn RIC 92; Ch (Av: 1 Punkt; Rv: ? Punkt[e]) 1,66 g; 12h 1/25 1/25. Antoninian, Rom, 251 IMP CAE C VIB VOLUSIANO AVG Büste r.; Strahlenkrone, Paludament über Kürass PIETAS AVGG Pietas mit Schleier steht l. an Altar, beide 1/23 Hände erhoben 1/23. Antoninian, Rom, 251/253 RIC 182; PCh IMP C C VIB TREB GALLVS P F AVG 2,21 g; 12h

12 Aemilianus (253) Büste r. auf Mondsichel; Palla VESTA Vesta steht l. mit Patera und Szepter MIR 859b 2,05 g; 12h

1/26 1/26. Antoninian, Rom, 253 IMP AEMILIANVS PIVS FEL AVG Büste r.; Strahlenkrone, Paludament über 2. Der Fund von Helpfau Kürass (MG Helpfau-Uttendorf, VB Braunau am Inn) ERCVL VICTORI Antoninus III. (Caracalla) (212–217) Herkules steht r. mit Keule und Bogen, Löwenfell über dem l. Arm RIC 3b; PCh 1,19 g; 6h, durch Schrötlingsabbruch fragmentiert

Valerianus I. und Gallienus (253–260) Valerianus I. und Gallienus für Valerianus I.

2/1 2/1. Sesterz, Rom, 213 M AVREL ANTONINVS PIVS AVG BRIT Büste r.; Lorbeerkranz, Paludament über 1/27 Kürass SECVRITATI PERPETVAE 1/27. Antoninian, Viminacium, 253/256 ? Securitas sitzt r. mit Szepter, davor Altar, zu IMP VALERIANVS P AVG Seiten S – C Büste r.; Strahlenkrone, Paludament über Markl 721 – RIC 512a; PCh Kürass 23,33 g; 12h VIRTVS AVGG Valerian steht l. mit Victoriola, Schild und Speer MIR 811d 1,87 g; 6h Gordianus III. (238–244)

Valerianus I. und Gallienus für Salonina

2/2 2/2. Antoninian, Rom, 238 IMP CAES M ANT GORDIANVS AVG 1/28 Büste r., Strahlenkrone, Paludament über 1/28. Antoninian, Viminacium, 256 ? Kürass CORN SALONINA AVG PAX – AVGVSTI

13 Pax steht l. mit Zweig und Szepter Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Markl 722 – RIC 3; PCh Kürass 4,99 g; 6h ROMAE AETERNAE Roma sitzt l. mit Victoriola und Szepter, zu Seiten Schild Markl 726 – RIC 44b; PCh 2,33 g; 6h; Schrötlingsausbruch

2/3 2/3. Antoninian, Rom, 244 IMP GORDIANVS PIVS FEL AVG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass P-ROVID AVG Providentia steht l. mit Stab über Globus und 2/6 Szepter 2/6. Antoninian, Antiochia, 248 Markl 723 – RIC 148; PCh IMP M IVL PHILIPPVS AVG 5,03 g; 12h Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass Philippus I. und Philippus II. (247–249) AEQVITAS AVGG Aequitas steht l. mit Waage und Füllhorn Philippus I. und Philippus II. für Philippus I. Markl 722 – RIC 82; PCh 3,03 g; 12h

Philippus I. und Philippus II. für Philippus II. 2/4 2/4. Antoninian, Rom, 247 IMP M IVL PHILIPPVS AVG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass AEQVITAS AVGG Aequitas steht l. mit Waage und Füllhorn 2/7 Markl 724 – RIC 27b; PCh 5,16 g; 12h 2/7. Antoninian, Rom, 246/248 IMP PHILIPPVS AVG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass PRINCIPI IVVENT Philippus II. steht l. mit Globus und Speer, Gefangener zu Füßen Markl 727 – RIC 254A; PCh 3,15 g; 6h 2/5 Anm: Hybride Koppelung eines Avers des 2/5. Antoninian, Rom, 247 Philippus II. als Augustus mit einem Revers aus IMP M IVL PHILIPPVS AVG der Zeit als Caesar.

14 Traianus Decius (Decius I.) (249–251) Beide Pannonien reichen einander vor Feldzeichen die Hand Markl 730 – RIC 41a; Ch (Med) 3,27 g; 12h; Schrötlingsausbruch

Traianus Decius für Herennia Etruscilla

2/8 2/8. Antoninian, Rom, 249 IMP C M Q TRAIANVS DECIVS AVG Büste r., Strahlenkrone, Kürass ADVENTVS AVG 2/11 Kaiser zu Pferd l. mit Szepter, die Rechte 2/11. Antoninian, Rom, 249 erhoben HER ETRVSCILLA AVG Markl 728 – RIC 11b; Ch Büste r. auf Mondsichel; Palla 2,64 g; 12h; Schrötlingsausbruch PVDICITIA AVG Pudicitia steht l. mit Szepter, hält Schleier Markl 731 – RIC 58b 2,48 g; 6h

Trebonianus Gallus und Volusianus (251–253) Trebonianus Gallus und Volusianus für Trebonianus Gallus

2/9 2/9. Antoninian, Rom, 249 IMP C M Q TRAIANVS DECIVS AVG Büste r., Strahlenkrone, Kürass 2/12 D-A-CIA 2/12. Antoninian, Rom, 251 Dacia steht l. mit Standarte IMP CAE C VIB TREB GALLVS AVG Markl 729 – RIC 13; Ch Büste r., Strahlenkrone, Paludament über 3,21 g; 6h Kürass IVNO MARTIALIS Juno sitzt l. mit Ähren (?) und Szepter Markl 732 – RIC 35; PCh 3,48 g; 12h

2/10 2/10. Antoninian, Viminacium, 250 IMP C TRA DEC AVG 2/13 Büste r., Strahlenkrone, Kürass 2/13. Antoninian, Rom, 252 PANNONIAE IMP CAE C VIB TREB GALLVS AVG

15 Büste r., Strahlenkrone, Paludament über 2/16. Antoninian, Viminacium, 251/253 Kürass IMP C C VIB VOLVSIANVS AVG VIC-TORIA AVGG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Victoria steht l. mit Kranz und Palmzweig Kürass Markl 735 – RIC 48a; PCh VIRT-VS AVGG 3,67 g; 6h Virtus steht r. mit Speer und Schild Markl 736 – RIC 206; PCh 3,58 g; 12h

2/14 Valerianus I. und Gallienus (253–260) 2/14. Antoninian, Antiochia, 251/253 Valerianus I. und Gallienus für Valerianus I. IMP C C VIB TREB GALLVS P F AVG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass MARTI PACIFERO Mars geht l. mit Zweig und Speer Markl 734 – RIC 85; PCh 3,65 g; 12h 2/17 2/17. Antoninian, Rom, 253/254 IMP C P LIC VALERIANVS AVG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass FIDES MILITVM Fides steht l. mit zwei Feldzeichen 2/15 Markl 737 – MIR 22d 2,97 g; 6h 2/15. Antoninian, Antiochia, 251/253 IMP C C VIB TREB GALLVS P F AVG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass MARTI PACIFERO Mars geht l. mit Zweig und Speer Markl 733 – RIC 85; PCh 2,56 g; 12h; Revers korrodiert

Trebonianus Gallus und Volusianus für Volusianus 2/18 2/18. Antoninian, Viminacium, 253/257? IMP VALERIANVS P AVG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Kürass SAECVLI FELICITAS Felicitas steht l. mit Caduceus und Füllhorn Markl 739 – MIR 822d 2/16 2,90 g; 12h

16 2/19 2/22 2/19. Antoninian, Viminacium, 253/257? 2/22. Antoninian, Viminacium, 253/257? IMP VALERIANVS P AVG IMP GALLIENVS P AVG Büste r., Strahlenkrone, Paludament über Büste r., Strahlenkrone, Kürass Kürass SPES PVBLICA SALVS AVGG Spes geht l. mit Blume, hält mit der Linken Salus steht r., füttert Schlange aus Patera Gewandsaum Markl 738 – MIR 825d Markl 742 – MIR 827q 2,04 g; 6h 3,13 g; 6h

Valerianus I. und Gallienus für Gallienus

2/23 2/23. Antoninian, Colonia Agrippinensis, 257/259 2/20 GALLIENVS P F AVG Büste r., Strahlenkrone, Kürass 2/20. Antoninian, Rom, 253/254 VICT GERMANICA IMP C P LIC GALLIENVS AVG Victoria auf Globus r. eilend mit Tropaeum Büste r., Strahlenkrone, Paludament über und Kranz, zu Füßen zwei Gefangene Kürass Markl 743 – MIR 874l PAX – AVGG 3,18 g; 12h Pax steht l. mit Zweig und Szepter Markl 741 – MIR 27t 3,03 g; 6h; Schrötlingsausbruch Valerianus I. und Gallienus für Salonina

2/21 2/24 2/21. Antoninian, Viminacium, 253/257? 2/24. Antoninian, Viminacium, 253/257? IMP GALLIENVS P AVG CORN SALONINA AVG Büste r., Strahlenkrone, Kürass Büste r. auf Mondsichel; Palla PAX – AVGG VESTA Pax steht l. mit Zweig und Szepter Vesta steht l. mit Patera und Szepter Markl 740 – MIR 815q Markl 744 – MIR 859b 2,16 g; 6h 3,54 g; 6h

17 Die „Fertiger“ – Manager des Salzwesens im Lande ob der Enns vom 14. bis zum 19. Jahrhundert Von Franz Josef Feichtinger *

Salz war schon in prähistorischer werblich und handelsmäßig verkettete Zeit ein wertvolles Handelsgut. Im Mit- Mehrfachfunktion, von der Übernahme, telalter bestimmte dieser begehrte Bo- „Umarbeitung“ und der Verschiffung denschatz die Gründung und die Ent- des Salzes bis hin zu seinem Verkauf wicklung auch vieler heimischer Städte u. a. in Niederösterreich, im Mühlvier- und Märkte, in der neueren Zeit wurde tel und in Böhmen. Hiezu verdingten sie er als bedeutender Monopolgegenstand eine große Schar von Facharbeitern und und Quelle nie versiegender staatlicher Hilfskräften, hiefür investierten sie ihr Einnahmen zur Basis für den wirtschaft- Kapital, sodass sich von einer auf Dauer lichen Aufschwung Gmundens sowie angelegten Organisation zur Erzielung der drei oberen Salzflecken , Lauf- von Einnahmen und Gewinnen sprechen fen und Ischl. Vor den Reformen Kai- ließ. Die Fertiger hatten einen festgesetz- ser Maximilian I., eingeleitet 1515, lag ten Einkaufspreis bei den ärarischen der Salzhandel hier zur Gänze in pri- Magazinen zu entrichten und konnten vaten Händen, danach kam es zu einer das Salz wiederum nur zu einem vor- Kombination aus einheitlichen, von der geschriebenen Verkaufspreis abgeben.1 habsburgischen Verwaltung (Stichwort Die Differenz zwischen Einkaufs- und „Ärar“) minutiös vorgegebenen Richtli- Verkaufspreis ergab ihren Verdienst und nien und obrigkeitlich begrenzter Eigen- – eventuell – Profite, denn die geschäft- regie, ehe ab 1824 schrittweise die völlige lichen Risken (an erster Stelle stand hier Freigabe des Marktes einsetzte. der Salzverlust durch „Wassertränken“) Aufbereitung und Vertrieb des „wei- trugen sie allein. ßen Goldes“ schufen im Kammergut Die einzige Möglichkeit, schwarze einen speziellen Berufsstand, die Salzfer- Zahlen zu schreiben, bestand in der Sen- tiger, kurz „Fertiger“. Dieser privilegierte kung der Betriebskosten. Zu verringern Stand aus frühen Unternehmern, die waren diese theoretisch durch niedrigere ihr Geschäft autonom und eigenver- Löhne, teils durch die Heranziehung be- antwortlich führten, hat die Geschichte sonders qualifizierten Personals. Man des oberösterreichisch-habsburgischen konnte dabei aber nicht nach Belieben Salzwesens mehr als ein halbes Jahrtau- verfahren, denn das landesfürstliche send hindurch wesentlich mitgeprägt. Salzamt hatte die Lohnsätze genau fixiert, ebenso war die ungehemmte Anwer- Frühes Unternehmertum Berufsstand Salzfertiger * Redaktionelle Bearbeitung: Camillo Gamnitzer 1 Leopold Widerhofer, Geschichte des oberöster- Als zentrale Personengruppe im reichischen Salzwesens von 1282 bis 1656, Wien Salzhandel erfüllten die Fertiger eine ge- 1907, S. 50.

18 bung der tüchtigsten Arbeiter schwierig, weil die Kollegenschaft dadurch geschä- digt worden wäre.2 Als juristisch rechts- fähige Personen mussten die Fertiger da- her gezieltes Augenmerk darauf legen, nicht nur mit dem Ärar, sondern auch mit den Subunternehmern, den Kufer- meistern und Schiffswerkern, gute Ver- träge auszuhandeln. Blicken wir zurück: 1276 verheira- tete König Rudolf von Habsburg seinen ältesten Sohn Albrecht im Alter von 19 Jahren mit der vierzehnjährigen Elisa- „Pfiesel“ mit den zum Dörren eingelagerten, kegel- beth, Tochter des Grafen Meinhard II. stumpfförmigen Salz-Fudern. von Görz und Tirol. Elisabeth erhielt um 1280 von ihrem Gemahl das Ischlland als „Morgengabe“, womit die Vogtei über Trockenkammern („Pfiesel“) zu schaf- das Kloster Traunkirchen samt der Um- fen, als Lohn dafür gab es jeweils einen gebung von Hallstatt inbegriffen war. Fuder und 45 Pfennige. Die hinterher in Die junge Frau war zweifellos klug, ge- den eigenen Salzkellern fertiggestellte, schäftstüchtig und hatte kaufmännisches „umgearbeitete“ Ware mussten sie den Talent. Mit der in drei Urkunden gefass- Amtleuten zu einem verbindlichen Preis ten Neuordnung des – bis zur Keltenzeit (s. o.) abkaufen und auf eigene Gefahr zurückgehenden – Abbaus in Hallstatt „verschleißen“, weiterveräußern. legte die Königin, Witwe nach Albrecht, Dank der Genehmigung, mit Wein, 1311 den Grundstein für die Jahrhun- Lebensmitteln und Kaufmannswaren derte lang ertragreiche Entwicklung lokal Handel zu betreiben, wurden die der oberösterreichisch-habsburgischen Fertiger auch Wirte und Kaufleute im Salzwirtschaft.3 Markt; alle ihre Lehen waren an den Be- sitz eines Hauses im Wohnort geknüpft.6 Die außergewöhnliche Bedeutung der dritten urkundlichen Ordnung lag nun darin,4/5 dass mit diesem Dokument dem Dorf Hallstatt das Marktrecht und 2 Ebenda: S. 51. – u. a. – zwölf Hallstätter „Bürgern“ das 3 Rudolf Palme, Rechts-, Wirtschafts- und Sozi- Recht des Salzhandels zuerkannt wurde; algeschichte der inneralpinen Salzwerke bis zu es war das die Geburtsstunde der Salz- deren Monopolisierung, Rechtshistorische Reihe, Bd. 25, Frankfurt und Bern 1983, S. 64. fertiger, eines in der Welt wohl einzigarti- 4 OÖLA, OÖUB V, Urkundenbuch des Landes ob gen Standes, wie Carl Schraml sie nennt. der Enns, S. 39, NR. 41. Die zwölf „Bürger“ und ihre Erben wa- 5 OÖLA, OÖUB V, Urkundenbuch des Landes ob ren berechtigt, pro Woche 60 nasse der Enns, S. 40, Nr. 41. 6 Rudolf Palme, Rechts-, Wirtschafts- und Sozi- Fuder (Salzstöcke) aus der Hallstätter algeschichte der inneralpinen Salzwerke bis zu Pfanne zum Abdörren in die – direkt um deren Monopolisierung, Rechtshistorische Reihe, den Pfannenbereich angeordneten – Bd. 25, Frankfurt und Bern 1983, S. 388.

19 Das galt genauso für die „Bürger“ von mergut bis zur zusätzlichen Einführung Lauffen und , die um jene Zeit der – in Hallein schon seit dem 13. Jahr­ bereits gewisse Rechte der Salzfertigung hundert verwendeten – „großen Kufe“ besaßen oder diese aufgrund der Han­ („großes Salz“, ab dem 16. Jahrhundert) delsrechte ihres Heimatortes nützten. die einzige, standardmäßig gefertigte Über den Anspruch auf eine konkrete Transportgefäßart.12 Salzbezugsmenge ist dort zunächst je­ Lose, unverpackt, ließ sich das doch nichts bekannt.7 „weiße Gold“ wegen seiner hohen Emp­ 1392 wurde Ischl den anderen Städ­ findlichkeit gegenüber Luftfeuchtigkeit ten bzw. Märkten ob der Enns rechtlich und Nässe nicht befördern, selbst in (nahezu) gleichgestellt und seinerseits abgefülltem Zustand, getrocknet und faktisch zum „Fertigerort“. Es war das „eingestoßen“ (verfestigt), war es gegen eine Dankesbezeugung Herzog Alb­ solche Einflüsse jedoch sehr anfällig und recht III. an die Ischler für deren Treue musste während der Schifffahrt durch zum Landesherrn während des kurzen Abdeckungen geschützt werden. Ob­ Aufstandes der Hallstätter und Lauffe­ wohl die Material- und Lohnkosten für ner „Bürger“, Küfer, Werkleute, Beschla­ das Küfel ungleich höher lagen als bei ger, Kleuzer und Schiffsleute im glei­ chen Jahr.8 (An der Erhebung, entfacht durch die damals drückende materielle Not der Salzarbeiter, dürften Fertiger als treibende Kraft beteiligt gewesen 7 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden sein. Sie werden im „Gehorsamsbrief“ 1898, S. 297. an Albrecht III. vom 25. Oktober 1392 8 Alois Zauner, Die bürgerlichen Siedlungen im an vorderster Stelle angeführt.)9 Das oberösterreichischen bis zur Marktrecht erging an Ischl – durch das Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Herbert Knittler, Privileg Kaiser Friedrich III. – erst 1466. Hg., Wirtschafts- und sozialhistorische Beiträge. Festschrift für Alfred Hoffmann zum 75. Geburts­ Wenngleich das Recht zur Salzfertigung tag, Wien 1979, S. 81–82. erst darin explizit aufscheint, übten es 9 Rudolf Palme, Rechts-, Wirtschafts- und Sozi­ die Ischler „Bürger“ aufgrund der Befug­ algeschichte der inneralpinen Salzwerke bis zu nisse von 1392 inzwischen aber längst deren Monopolisierung, Rechtshistorische Reihe, aus.10 Bd. 25, Frankfurt und Bern 1983, S. 388–389. 10 Anton Dicklberger, Systematische Geschichte Zur Steigerung der landesfürstlichen der Salinen Oberösterreichs in Verbindung mit Einkünfte wurden die Salztransporte der allgemeinen Geschichte der benachbarten zur in Gmunden sehr früh mit einer Maut nämlichen Salzformation gehörigen steyermär­ belegt, wodurch der Schwerpunkt der kischen, salzburgischen, tyrolischen und baieri­ 11 schen Salinen, Bd. II, 1817, Blg. 36. Salzverwaltung, vermutlich 1330/35 , 11 Franz Hufnagl, Die landesfürstliche Stadt Gmun­ vom k. k. Hofschreiberamt Hallstatt den als Sitz der Kammergutverwaltung. Die Stadt nach Gmunden wechselte. Verbrieft ist, im Spannungsfeld mit den Habsburgern und de­ dass das Salz schon damals in zweck­ ren Salzamtmänner, unveröffentlichte phil. Dis­ mäßigen, hölzernen „Kufen“ (cupa = sertation, Universität Salzburg, Salzburg 1999, S. 123. Tonne) bzw. „Salzkufen“ (cupae salis) 12 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt verpackt worden war. Das „kleine Küfel“ Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden (cuppula, „kleines Salz“) blieb im Kam­ 1898, S. 301.

20 anderen Gebinden,13 war der Transport einem „Flecken“ (Ort) auf andere über- auf dem Wasserweg insgesamt weitaus tragen.16 Somit herrschte Jahrhunderte billiger, auch konnten die Salzschiffe lang die Auffassung, dass die Fertiger, viel mehr Fracht laden als Fuhrwerke. gleich den landesfürstlichen Amtleuten Die Salzverfrachtung – der Vertrieb war und deren Untergebenen, zu den „Die- mittlerweile exklusives Recht der „Bür- nern der kaiserlichen Kammerguetsfür- ger“ von Gmunden, Hallstatt, Lauffen derung“ zu zählen seien. Sie wurden und Ischl – erfolgte in der ersten, kürze- „kaiserliche“ oder „kaiserlich-königliche ren Etappe von Hallstatt, später auch von Salzfertiger“ bzw. „Ihro kaiserliche Ma- Ischl und Ebensee, bis Gmunden, in der jestätische Amtleute“ genannt und in zweiten Etappe von Gmunden die den offiziellen Verzeichnissen über das abwärts zur Donau und auf dieser weiter Salzamtpersonal stets als solche geführt. in die Nachbarländer. Sowohl die Salzfertiger als auch deren

1 Fuß (31,6 cm) hoch Querschnitt: Boden: 12 cm Oben: 20 cm Gewicht: Brutto: 13 ½ Pfund = 7,56 kg Netto: 12 Pfund = 6,82 kg Salz

Das „kleine Küfel“.14

Der Salzamtmann, kaiserlicher Be- amter und oberster Vertreter des 13 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen- Gmundner Salzamts als erstinstanzli- wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des cher Behörde in allen einschlägigen An- 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös- terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 219. gelegenheiten (puris cameralibus), war zur 14 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen- ehesten Neubesetzung frei gewordener wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des Salzfertigerstellen verpflichtet, während 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös- die Konzessionserteilung selbst seinem terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 220. 15 15 Ebenda: S. 302. freien Ermessen oblag. Zudem konnte 16 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt das Amt die Anzahl der Fertigerrechte Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden je nach Bedarf vermindern und sie von 1898, S. 302.

21 Witwen, falls sie das Geschäft des Man­ Fertigerrechte nes nicht fortführen konnten, hatten An­ spruch auf ein wöchentliches Ruhegeld 1530–1540: 46 (Provision), welches in der Regel zwei 1565–1580: 56 Gulden (für Witwen einen Gulden 30 1585–1620: 35 Kreuzer) betrug. Im Falle der Abferti­ 1650–1700: 34 gung wurden einige hundert Gulden be­ 1704–1718: 35 zahlt. Streitfälle zwischen den Fertigern Um 1800: 30 mit insgesamt und den landesfürstlichen Amtleuten in 279 Beschäftigten Angelegenheiten des Salzwesens wur­ Fertigerrechte im Lauf der Jahrhunderte. den vom Salzamtmann oder von der niederösterreichischen Regierung und Es lag bei den landesfürstlichen Kammer entschieden. Ursprünglich hat­ Amtleuten, ob sich die Kooperation mit ten die Fertiger sogar eine Strafbefugnis den Fertigern mehr oder weniger gut ge­ gegenüber Geschäftsgenossen, soweit staltete; auch von daher ist verständlich, es sich um die Verletzung von Satzun­ dass man bei der k. k. Hofkammer eher gen handelte. auf eine Verminderung als auf eine Er­ höhung der Salzfertigerstellen bedacht Für die Auswahl der Fertiger galten war. Überwachung und Kontrolle waren besondere Kriterien.17 Der Wert ihres so leichter zu organisieren. Natürlich va­ „anliegenden Guts“ sollte sich auf min­ riierte die Anzahl der Fertigerrechte auch destens 100 fl. belaufen, und sie sollten nach ökonomischen und politischen „ehrbar, fromm“ und des Handels sowie Verhältnissen (siehe Tabelle).21 der Schifffahrt „mit der Hand und dem Verstande kundig“ sein. Handwerker, die Fertiger werden wollten, mussten Fertigerordnung – Reformationslibelle ihre bisherige Tätigkeit aufgeben, weil Im Jahr 1514 ergeht von Kaiser die Salzfertigung zu den „bürgerlichen Maximilian I. an den Salzamtmann 18 Hantierungen“ gehörte. Die formelle in Gmunden der Auftrag, die „Jungk­ Aufnahme erfolgte durch Eidesleistung herrenrechte“ (entsprechend jenen der gegenüber dem Salzamtmann in Gegen­ Burgleute und „Pfannhausstätten“) beim wart der übrigen Amtleute, wobei die Pflichten und die Strafen für Verstöße erläutert wurden. „Böse Praktiken“ wie die 17 Ebenda, S. 302. „Schwärzung von Mautgebühren“ konnte der 18 Ebenda, S. 303. Salzamtmann, der auch richterliche Ge­ 19 Ebenda, S. 303. 20 walt hatte, mit Gutverfall, Arrest oder Ref. Libell (3.), Reformierte Ortnung des Saltz­ 19 wesens zu Gmundten/Hallstatt/Ischl/und Eben­ dem Entzug der Konzession ahnden. see. Angefangen Anno 1655 und Beendet im Jahr 1656. Gedruckt zu Wienn in Österreich/bey Matt­ Für die Aufnahme war keine Gebühr haeo Cosmerovio/Röm: Kays:Mayest:Hoff Buch­ zu leisten, lediglich „die alt‘ gewöhnliche Ver- drucker. Im 1656. Jahr, (Eingeführt: 1659), S. 342. 21 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ ehrung“, worunter ein „Fischessen“ zu ver­ wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des stehen war, das „so ungefähr ainen Dukaten 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös­ oder Kronen wert sey“.20 terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 313.

22 „Salzsieden zu Hallstatt“ einzulösen. Da­ betriebsregelung erlassen, schrieb nicht mit erreichte der Landesherr die volle zuletzt durch den simultanen Abbau pri­ Verfügung über die Produktion der Sa­ vater Spielräume Änderungen fest, die line Hallstatt, wenn man von dem erst auch den Fertigerstand massiv berühr­ 1563 eingelösten „Jungkherrenrecht“ des ten.24 Da manche Fertiger in Hallstatt Klosters Neuberg absieht.22 den eigenen Status anscheinend eher zur Ausschöpfung der damit verbun­ denen Vorteile bzw. Privilegien nützten König Ferdinand, später Kaiser Fer­ und ihre primäre Aufgabe vernachläs­ dinand I., hatte die Reformen des Salz­ sigten, wurde angeordnet, dass jene, die wesens weiter vorangetrieben. Die Li­ „in Hallstatt sitzen, das Salz aber nicht beim belle (lat. libellus = Büchlein, Urkunde in Sieden in Hallstatt lösen und damit handeln“, Buchform) zur Erneuerung des „Gmund­ binnen Jahresfrist nach Erscheinen des nerischen Salzwesens“ sind die umfas­ Libells ihre Rechte jeweils an einen Be­ sendste Kodifikation, Gesetzessamm­ rufskollegen „aus den vier Flecken zu lung hierzu insgesamt. Sie umschließen verkaufen haben, der das Salz von der den Salzbergbau, den Pfannhausbetrieb Pfanne in Hallstatt löst und in den Han­ (das Salzsieden), den Salzhandel, das del bringt“. Allen, die dies nicht tun, Wald- und Forstwesen und die Kam­ werde die „Gerechtigkeit abgetan, eingezogen mergutverwaltung auf sachlicher wie und gänzlich aufgehoben“. Den Amtleuten in auf personeller Ebene. Als Instrument Gmunden verbot man bei Strafe, „Un­ landesfürstlicher Wirtschaftslenkung gefügigen Fuder in Bestand zu geben reglementieren die Libelle Erzeugung, oder auszufolgen“. Nachdem es vor­ Transport und Handel mit dem „weißen kam, dass Rechte verstorbener „Bürger“ Gold“, bestimmen die Arbeitswelt eines gegen Zins weiterveräußert wurden, Gutteils der Bevölkerung und greifen in mussten die Amtleute „solchen Miss­ weite Felder des öffentlichen wie des pri­ brauch erkunden“ und diese Rechte ein­ vaten Lebens ein (Nahrungsmittelver­ sorgung, soziale und religiöse Belange, Polizei-, Gesundheits-, Bau-, Schulwe­ sen etc.). Fast jeder Salzkammergutbe­ wohner, vom kaiserlichen Beamten bis 22 Rudolf Palme, Rechts-, Wirtschafts- und Sozi­ zum Arbeiter, war also mehr oder we­ algeschichte der inneralpinen Salzwerke bis zu niger von der Kammergutverwaltung deren Monopolisierung, Rechtshistorische Reihe, abhängig. Das Territorium Salzkammergut Bd. 25, Frankfurt und Bern 1983, S. 471. 23 Gerhard Hattinger, Die Ordnungen des ober­ wurde als Eigenherrschaft des Landes­ österreichischen Salzwesens aus dem 16. und fürsten verstanden,23 und für die Dauer 17. Jahrhundert (1. bis 3. Reformationslibell von ihrer Gültigkeit (bis zu den Reformen 1524, 1563 und 1656), in: J.-C. Hocquct/R. Palme, Kaiser Josef II./1783) können die Libelle Hg., Das Salz in der Rechts- und Handelsge­ schichte. Internationaler Salzgeschichtekongress de facto als „Verfassung“ der Region an­ 1990 in Hall i.T., Kongressakten, Schwaz 1991, gesehen werden. S. 343. 24 Carl Schraml, Die Entwicklung des oberösterrei­ chischen Salzbergbaues im 16. und 17. Jahrhun­ Das erste Reformationslibell, von Ferdi­ dert, in: Jahrbuch des Oberösterreichischen Mu­ nand 1524 als die Basisnorm der Salz­ sealvereines, 83. Band, Linz 1930, S. 173.

23 ziehen.25 Den „Bürgern“ von Gmunden men, damit die „näheren, Ihrer Mayestät bestätigte Ferdinand die Befugnis zum Wälder“ geschont blieben.31 Bezug von jährlich 150 Pfund an Fudern Im dritten Reformationslibell definiert Salz aus Hallstatt. Das Quantum wurde eine von Ferdinand III. erlassene „Fer­ später auf 190 Pfund Fuder erhöht. Wei­ tiger Instruktion und Ordnung“, „wie ters wurde den Hallstätter „Bürgern“ sich alle Salzfertiger zu Gmunden und der jährliche Bezug von 50, jenen aus den obrigen dreien Flecken mit Beschlag Lauffen und Ischl ein solcher von je 32 und Ausführung (Transport) der klei­ Pfund Fuder vom „Sieden zu Hallstatt“ nen Küfel verhalten sollen“.32/33 Das Pa­ zuerkannt.26 ket an Vorschriften (neue Preise für das Material zum Küfel- und zum Schiffbau, Das zweite Reformationslibell27 (1563) ordnet u. a. an, dass aus einem Fuder 25 Anton Dicklberger, Systematische Geschichte Salz zehn „klaine khüfln“ gefüllt und in der Salinen Oberösterreichs in Verbindung mit die Ladstätten unter der Enns verführt der allgemeinen Geschichte der benachbarten zur werden sollen. Als Ladstätten für die nämlichen Salzformation gehörigen steyermär­ „Kleinen Küfel“ wurden Enns, Spitz, kischen, salzburgischen, tyrolischen und baieri­ Tulln, Hollenburg, Klosterneuburg, schen Salinen, Bd. II, Bad Ischl 1817, Blg. 71. 26 Gerhard Hattinger, Die Salzfertiger des oberös­ Ybbs, Melk, Stein, Traismauer und Kor­ terreichisch-habsburgischen Salzwesens (14. bis neuburg festgelegt. Die „Küfelmaut in 19. Jahrhundert), in: Journal of salt-history, Jahr­ Gmunden“ und die Kosten für den Fu­ buch für Salzgeschichte, Hall in Tirol 1996, S. 150. derbezug waren ab nun mit einem Teil 27 Ref. Libell (2.), Reformierte Ordnung des Saltzwe­ des mitgeführten Küfelsalzes, „Amtsalz“ sens zu Gmundten und Haallstat. Aufgericht im 1563. Jan, Gedruckt zu Wien in Österreich durch genannt, beim landesfürstlichen Salzamt Michael Zimmermann. Wien zu bezahlen.28 Für die „Bemühung 28 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt und Gefahr“, als Ausgleich für das unter­ Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden nehmerische Risiko, sprach man den Fer­ 1898, S. 315. 29 Ebenda, S. 314. tigern extra einen „Fertigerlohn“ zu, des­ 30 Gerhard Hattinger, Die Salzfertiger des oberös­ sen Höhe sich an der in den Ladstätten terreichisch-habsburgischen Salzwesens (14. bis abgelieferten Pfundmenge orientierte.29 19. Jahrhundert), in: Journal of salt-history, Jahr­ Neu geregelt wurde auch das „Wesen buch für Salzgeschichte, Hall in Tirol 1996, S. 152. am Stadl“, d. h. die Zusammenarbeit mit 31 Ebenda, S. 154. 32 Ref. Libell (3.), Reformierte Ortnung des Saltz­ dem „Stadlamt“ und den Schiffsleuten wesens zu Gmundten/Hallstatt/Ischl/und Eben­ 30 in Lambach. (In Stadl, dem heutigen see. Angefangen Anno 1655 und Beendet im Jahr Stadl-Paura, mussten die von Gmunden 1656. Gedruckt zu Wienn in Österreich/bey Matt­ kommenden Zillen wegen der geringe­ haeo Cosmerovio/Röm: Kays:Mayest:Hoff Buch­ ren Wassertiefe im folgenden Flusslauf­ drucker. Im 1656. Jahr, (Eingeführt: 1659), Folio 350–402. abschnitt entladen und Küfel bis zum 33 Gerhard Hattinger, Die Ordnungen des ober­ Weitertransport zwischengelagert wer­ österreichischen Salzwesens aus dem 16. und den.) An die Fertiger aus den „oberen 17. Jahrhundert (1. bis 3. Reformationslibell von drei Flecken“ erging die Weisung, das 1524, 1563 und 1656), in: J.-C. Hocquct/R. Palme, Hg., Das Salz in der Rechts- und Handelsge­ Holz zur Küfelerzeugung und zum Bau schichte. Internationaler Salzgeschichtekongress von Schiffen für die „Fuderfuhr“ aus dem 1990 in Hall i. T., Kongressakten, Schwaz 1991, Gebiet des „Wolfganger Landls“ zu neh­ S. 347

24 Drittes Reformationslibell 1656, Fertigerordnung.

Verhinderung des gegenseitigen Ab- menge gerecht unter den Salzfertigern werbens von Personal, straffere Kündi- aufzuteilen und ihnen deren Bestim- gungszeitenregelung, etc.)34 verringerte Freiräume z. T. abermals. Es gehörte mit zu den Agenden des 34 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt Salzamtes, die nach dem geschätzten Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden Jahresumsatz vorausberechnete Küfel- 1898, S. 316.

25 mungsplätze anzuweisen.35 Begleitete Zillenwässerung und die Zilleneinstel­ ein Fertiger seine Schiffe nicht selbst, lung über den Winter sowie für Schiff­ übernahm dies der „Ausrichter“. Er hatte reparaturen.38 das Salz in den Ladstätten an Traun bzw. Die von allem Küfelsalz zu leistende Donau zu veräußern und den Erlös an Transportabgabe – „Große Maut“ oder seinen Herren abzuführen. Im 17. Jahr­ „Wassermaut“, ursprünglich drei Gul­ hundert erhielt ein „Ausrichter“ je nach den pro Pfund Küfel, somit von jedem Fahrtdauer und Schiffgröße fünf bis Salzküfel 3 Pfennig – unterlag hingegen acht Gulden. Zusätzlich konnte er von einer ständigen Steigerung. 1717 hatte der Fracht 60 Stück Salzküfel auf eigene die Kleinküfelmaut das Zweiunddrei­ Rechnung verkaufen. Ein mitfahren­ ßigfache der ursprünglichen Höhe er­ der „Unterknecht“ erhielt für die Reise reicht!39 zwei Gulden 120 Pfennig, außerdem pro Tag noch 96 Pfennig.36 Der vorer­ „Umarbeitung“ des Salzes wähnte, extra gewährte „Fertigerlohn“ für die „Bemühung und Gefahr“ belief Ihre Fuder bezogen die Fertiger wie sich bei einer „Siebner Zille“ (Ladung gesagt direkt „am Stock“ in Hallstatt, ca. 21 t) auf 270, bei einer „Sechser Zille“ später auch von den Salinen bzw. Sud­ 37 (Ladung ca. 17 t) auf 210 Gulden. Bis werken in Ischl und Ebensee, ab deren ins 17. Jahrhundert hinein durfte man Eröffnung (Ischl 1571, Ebensee 1607) die für jedes verrechnete Pfund Küfelsalz 24 Zuteilung je nach angemeldetem Bedarf Küfel unentgeltlich mehr mit verladen, freigegeben wurde. Die Fuder wurden in um daraus die obligaten Abgaben in den die Wohnhäuser der Fertiger verbracht, Ladstätten und auf der Fahrt zu bestrei­ wo man sie in den „Salzkellern, Werk- ten. Den beim Löschen der Ladungen und Behaltstätten“ (Stoßstätten, Küfel­ beschäftigten Hilfsarbeitern mussten die laden) einlagerte, zu losem Salz zerklei­ Fertiger damals nach alter Gewohnheit nerte und dieses im letzten Arbeitsgang noch „eine ziemliche Suppe und einen Trank“ abfüllte. Die Stoßstätten in Hallstatt, als Zehrung reichen. Lauffen und Ischl waren überwölbte, nicht übermäßig große, spärlich belich­ Alle auf der Fahrt belastenden Ne­ tete Räume; gute Fußböden, verglaste benauslagen für „Verehrungen“ und „Zustände“ wurden eingangs des 18. Jahrhunderts abgeschafft. Die Hofkam­ mer übernahm die Kosten des Zillenge­ gentriebs und unterstützte die Fertiger 35 Ebenda, S. 311. 36 durch Zuschüsse für die Instandhaltung Ebenda, S. 316. 37 Ebenda, S. 312. der Betriebsräume und andere Aufwen­ 38 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ dungen. Außerdem durften die Fertiger wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des für jedes Pfund abgelieferte Küfel 38 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös­ Kreuzer aufrechnen, als Vergütung für terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 313. 39 Franz Hufnagl, Die Kammergutverwaltung im Be­ die Übernachtungskosten in Gmunden, zirk Gmunden in ihrer geschichtlichen Entwick­ am Stadl bei Lambach und in den obe­ lung, unveröffentlichte jur. Dissertation, Universi­ ren Märkten, für die Wasserbleibmiete, tät Salzburg, Salzburg 1996, S. 156.

26 kleinern der Salzfuder erhielt der „Fu- derhacker“ vom Pfund Küfel (240 Stück) 120 Pfennig in Barem, für die „Kost“ 72 Pfennig. Das Befüllen, das „Stößen“, ent- lohnte man pro Pfund Küfel mit, eben- falls bescheidenen, zwölf Pfennig. Diese Arbeit verrichtete für gewöhnlich jeweils eine Frau mit Hilfe eines „Buben“ – sie schafften am Tag zusammen sechs Pfund Küfel (1440 Stück!), die tägliche „Kost“ für beide belief sich auf 48 Pfennig. Ab Ende des 16. Jahrhunderts beschäftigte ein Fertiger meist bis zu sechs „Buben“; sie mussten die leeren Küfel aufeinan- Salzkeller in Lauffen. derschlichten („legen“), die Gefäße dem „Stößer“ reichen, diese nach dem Befül- len zum „B’schlager“ bringen und das Fenster und solide Türen sollten das Beschlagholz sowie sämtliches Werk- Salz vor dem Eindringen feuchter Luft zeug in Ordnung halten.42 Der „Bub“ schützen.40 bekam jährlich zwei Anzüge, im Winter Zuerst musste der „Fuderhacker“, er einen „von Paurntuech“ (Loden) zu 1 stand wie die „Salzstößer“ und die Kü- Gulden 120 Pfennig, im Sommer einen felbeschlager unmittelbar im Dienst der aus Zwilch (1 Gulden 60 Pfennig). Dazu Fertiger,41 die Fuder mit langstieligen noch sechs Paar Schuhe á 60 Pfennig und Äxten zerhacken („niederhacken“), so- vier Hemden, zwei zu je 60 Pfennig und dann die „Knollen“ mit dem Holzschlä- zwei á 120 Pfennig.43 gel fein zerkleinern und das Salz auf In Krisenzeiten, wenn die Produk- einen Haufen schaufeln. Die „Stößer“ tion absackte, war die Not der „Ferti- oder „Küfelanstößer“ befüllten die Küfel, gerarbeiter“ und ihrer Familien häufig wonach das Salz mittels „Stößel“ festge- sehr groß. Viele Fertiger sahen sich dann stampft wurde. (Von Reinlichkeit und oft außerstande, Lohnfortzahlungen zu Sauberkeit konnte dabei nicht immer leisten, da sie selbst verschuldet waren. die Rede sein; 1633 z. B. entdeckte der Auch in solchen Fällen zeigte sich die Visitationskommissär Radolt aus Wien Hofkammer praktisch immer zur Hilfe „eine Stoßstätte gleich neben dem Pfer- destall“ und beobachtete die Einfüllung 40 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt verschmutzten Boden- und Kehrsalzes Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden 1898, S. 305. in die Küfel). Das Verschließen der Be- 41 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen- hälter – die Menge der aus einem Fuder wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des abzufüllenden Küfel wurde später von 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös- zehn auf neun reduziert, ein Küfel fasste terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 226. 42 damit ungefähr 12 Pfund – und die Zu- Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden richtung des dafür vorgesehenen Holzes 1898, S. 305. oblagen dem „B’schlager“. Für das Zer- 43 Ebenda, S. 310.

27 Arbeit der „Fuderhacker“, „Stößer“ und „B’schlager“. bereit. Die „Fertigerarbeiter“ erhielten gütung“ (Krankengeld) aber jeweils meist eine einmalige außerordentliche zur Hälfte aufkommen. (Bereits 1758 „Gnad“, die verheirateten vier, die ledi- hatte die Bankdeputation altersbedingt gen zwei, die weiblichen Fuderhacker dienstunfähig gewordenen Küflern und und Fuderstößer einen Gulden. Beschlagern einen bescheidenen „Pro- Die durch die Fertiger als Dienstge- visionszutrag“ von jährlich 141 Gulden ber festgesetzten Löhne – Norma von 42 Kreuzern bewilligt. 1813, als sich der 1780 – erfuhren in der Folge keine Än- Niedergang des Fertigerstandes längst derung, die späteren Teuerungszulagen angebahnt hatte, scheint eine Änderung wurden den Küfelarbeitern jedoch in der dieser Rentenregelung eingetreten zu gleichen Höhe zuteil wie dem Salzamt- sein; es wurden nur noch 50 Prozent der personal.44 Nur in der Krankenfürsorge Provision ausbezahlt).45 bestand ein wesentlicher Unterschied. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wa- Vor der Norma von 1780 hatten die Fer- ren die Küfelarbeiter Gmundens in einer tiger ihre Arbeiter, wenn sie erkrankten Zeche, dem „Handwerk der Salzarbei- oder sich verletzt hatten, in den ersten ter“, vereinigt. Aufzeichnungen zufolge drei bis vier Wochen gänzlich aus eige- ner Tasche zu entlohnen, erst bei länge- rem Ausfallen konnten sie beim Salzamt 44 Das oö. Salinenwesen von 1750 bis zur Zeit nach einen Beitrag ansprechen. Nach 1780 den Franzosenkriegen, Studien zur Geschichte genossen die Küfler zwar dieselbe freie des österr. Salinenwesens, Bd. II, Wien 1934, S. 328, 329. Kur und das Krankengeld wie die kai- 45 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt serlichen Arbeiter, die Fertiger mussten Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden für Arztkosten und die „Feierzeitver- 1898, S. 311.

28 gab es auch Mitglieder aus anderen Subunternehmer: Die Kufermeister Salzfertigerorten. Für diese Vereinigung wurde im November 1629 eine neue Die mit der Küfelproduktion verant­ Satzung, „Artikelbrief“, mit 17 Punkten wortlich betrauten Kufermeister („Ku­ geschaffen:46 Alljährlich hatten die Salz­ fer“) waren selbstständige Subunterneh­ knechte den Tag ihres Schutzpatrons, mer, keine Angestellten, und wurden des hl. Nikolaus (6. Dezember), mit von den Fertigern unter laufend erneu­ Gottesdienst und Predigt zu feiern, in erte Verträge genommen. Sie hatten bei ihrer Herberge in Gegenwart eines vom 72 Pfennig Geldstrafe allwöchentlich ein Magistrat verordneten Beisitzers (die) bestimmtes Kontingent an Küfeln, die zwei Zechmeister zu wählen und dazu „Wochenküfel“, zu liefern,48 die Fertiger eine „ehrbare, nit überschwängliche Mahl- wiederum durften ihren Jahresbedarf zeit“ einzunehmen. Bei einer Strafe von jeweils nur bei den ortsansässigen Meis­ 1 Pfund Wachs waren sie verpflichtet, die tern bestellen. Das Kufergewerbe war in sonn- und festtägigen Gottesdienste zu allen vier Hauptorten des Kammergutes besuchen und insbesondere an der Fron­ beheimatet, jeder Ort hatte seine eigene leichnamsprozession „mit ihren Stangen Handwerksordnung, die der Gmundner und brinnenden Wachskerzen andechtig und Kufermeister reichte zumindest bis 1547, embsiglich“ teilzunehmen. die der Lauffener bis vor 1416 zurück. Der Inhalt dieser Kuferordnungen war überall ähnlich.49 Die Leitung der Alle vierzehn Tage fand in der Her­ Zeche des „Küfelmacherhandwerks“ lag berge eine Zusammenkunft statt, wobei bei zwei Zechmeistern, die jährlich am jedes verheiratete Mitglied einen Kreu­ Lichtmesstag, 2. Februar, gewählt wur­ zer, jedes ledige zwei Kreuzer in die Zech­ den. Schutzheilige waren die zwölf Apo­ lade einzahlen musste. Jedes Mitglied stel, deren Feiertag (15. Juli) man beson­ war anzugeloben und hatte dafür eine ders beging. Wer mindestens ein Jahr Gebühr von 52 Kreuzern (Verheiratete) bei einem Kufermeister gearbeitet hatte, bzw. einem Gulden (Ledige) zu berap­ „ehrbar und tauglich“ war und ein „an­ pen. Mitglieder aus den „oberen Salzfle­ liegendes Gut“ (Haus) besaß, der konnte cken“ reichten zwei bis drei Gulden. Das selber die Meisterwürde erlangen. Bei Salzamt spendete für das „Handwerk der Aufnahme eines jungen Meisters der Salzknechte“ jährlich 30 Gulden. Die – stets zu Weihnachten – gab es in der gegenseitige Kündigungsfrist belief sich auf ein halbes Jahr, als gebräuchlicher „Aufkündtag“ galt die Sonnenwende am 21. Juni. Wer das Dienstverhältnis vor 46 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt dieser Zeit heimlich oder offen zu lösen Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden trachtete, der wurde durch den landes­ 1898, S. 305. fürstlichen Salzamtmann streng bestraft, 47 Ebenda, S. 306. meist sogar mit Gefängnis. Fertiger, die 48 Ebenda, S. 309. 49 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ sich hier schuldig machten, mussten eine wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des Geldbuße von 20 Reichsthalern (= 41 fl. 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös­ 20 kr.) entrichten.47 terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 312.

29 „Kleuzer“ bei ihrem Tagwerk.

Herberge eine Zehrung, wobei die alten 4½ Zoll (12 cm) hatte. Die Seitenteile, Meister an einem eigenen Tisch saßen.50 „Taufeln“, wurden durch Holzreifen aus Die Produktion der Küfel unterlag Haselnuss zusammengehalten, waren einer strengen Aufgaben- und Arbeits- fünf bis sechs Millimeter stark und an teilung. Die schon im Wald ausgesuch- ihrem oberen Ende 13,5 Zentimeter, an ten, astfreien und leicht spaltbaren Ku- ihrem unteren acht Zentimeter breit. fenscheiter wurden den Fertigern vom Durch Einlegen in warmes Wasser auf- Waldmeister zugewiesen, der sie den geweicht, konnten sie in der Längsachse Kufermeistern ausfolgte. In deren Werk- beliebig gebogen werden. Dadurch er- stätten unterschied man Messer (Kont- hielt das Küfel seine gerundete Seitenflä- rollorgane) und Arbeiter oder Knechte, che. Der Boden bestand aus zwei halb- auch „Werkleute“ genannt. Die Knechte kreisförmigen Brettchen, die kreuzweise gruppierten sich in die „Kleuzer“, die übereinander gelegt von oben her in das das Holz für die einzelnen Kufenteile in Küfel eingepresst wurden. Den Deckel passender Stärke bzw. Form spalteten bildeten fünf Bestandteile, von denen („kleuzten“) und schnitten, in die eigent- drei Brettchen, „die Gern“, direkt auf das lichen Küfelmacher, welche die Küfel Salz gepresst und durch die „Spange“ zusammensetzen, und in die Reifbin- und „Überreiden“ niedergehalten wur- der oder die Reifbinderinnen, denn zur den. Das ganze Küfel wurde durch vier Anfertigung der Holzreifen, des „Bund- Reifen, die ebenfalls alle eigene Namen werks“, setzte man durchwegs Frauen hatten, zusammengehalten. Jeder dieser ein.51 Das 1 Fuß (31, 6 cm hohe) Küfel be- 50 saß einen kreisrunden Querschnitt, der Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden sich nach unten allmählich verjüngte 1898, S. 308. und am Boden einen Durchmesser von 51 Ebenda, S. 307.

30 Zusammensetzung der Küfel.

Reifen wurde wiederum durch Weiden- von 8.000 Gulden. 1666 ersetzte die Hof- rutenbänder („Pauschbänder“) zusam- kammer den Schaden, welchen die Fer- mengehalten und mit hölzernen „Zwe- tiger im Jahr zuvor durch Hochwasser cken“ oder Nägeln fixiert.52 erlitten hatten, ebenfalls zur Hälfte. Eine Einbußenvergütung von 20.000 fl. be- willigte das Salzamt den Fertigern auch Die „Fertigerraittung“ angesichts der herben Verluste zur Zeit Die Verrechnung zwischen Salzamt des Türkenkrieges 1683–1685, und im und Salzfertigern, die „Fertigerraittung“, Teuerungsjahr 1727 gab es Vorschüsse 54 kurz „Fertigerraitt“, fand halbjährlich im Ausmaß von 17.500 Gulden. Eine zur Sonnenwende und zu Weihnach- spürbare Erleichterung für sich brachte ten in Gmunden statt. Jeder Fertiger be- den Fertigern das im nämlichen Jahr aus- kam nach genauer Abrechnung seinen gesprochene, erst 1732 wirksam gewor- „Raittzettel“ ausgehändigt, welcher die dene Verbot der Annahme von „Vereh- persönliche „Amtsschuld“, deren Be- rungen“ und anderen „Zuständen“ durch gleichung oder eine allfällige Restschuld die kaiserlichen Beamten in Gmunden auswies.53 Ohne eigenes Zutun in finanzielle Nöte geratenen Standesmitgliedern 52 kam die Hofkammer jedoch grundsätz- Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden lich entgegen – schon allein deshalb, 1898, S. 309, 310. weil sie an der Erhaltung einer leistungs- 53 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt fähigen Fertigerschaft vitales Interesse Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden hatte. 1638 etwa, als andauerndes Re- 1898, S. 316. 54 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen- genwetter jede Schiffahrt für lange Zeit wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des lahmgelegt hatte, erließ sie ihnen die 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös- Hälfte der aufgelaufenen Gesamtschuld terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 314.

31 und in den Ladstätten. Noch 1730 wa­ rende Winde wurde ebenfalls erneuert. ren dem Salzamtmann 450 (!) Gulden an Sie scheint nicht nur für den Gegenzug „Fertigerverehrungen“ zugeflossen.55 gebraucht worden zu sein, sondern ebenso zum Hinunterlassen der Salz­ schiffe durch die Floßgasse.58 Der Weg auf der Traun Schon im 14. Jahrhundert wurde auch der Traunfall bei Roitham schiffbar Für die Ausfuhr des im Kammergut gemacht. Die Wasserbauten mit dem bis gewonnenen Salzes war die Traun seit heute bestehenden Fahrkanal hatte Tho­ jeher die wichtigste Wasserstraße. Das mas Seeauer 1552 wesentlich verbessert; Hallstätter Salz gelangte über den See der Kanal ist 396 Meter lang und an der nach Steeg, wurde hier umgeladen und engsten Stelle 4,8 Meter breit.59 in eigenen Zillen auf der „oberen Traun“ Die Einbauten an der oberen Traun nach Gmunden geführt. Rossbauern dienten, wie die Uferverbauung, aus­ zogen die leeren oder mit Gegenfracht schließlich der Schifffahrt. Mittels der beladenen Schiffe wieder nach Steeg Hallstätter Seeklause (seit 1511) regu­ zurück. Von Gmunden, dem Hauptort lierte der „Klausmeister“ den Abfluss so, des Salzhandels, ging die Fahrt weiter dass bei Bedarf genügend Überwasser auf der „inneren Traun“ bis zum Sta­ vorhanden war, um den beladenen Zil­ pel- und Umladeplatz Stadl. Das letzte len die passende Tauchtiefe zu bieten.60 Umladen („Umtauchen“) geschah in Ziz­ Ihrerseits von großer Bedeutung waren lau bei Ebelsberg oder in Enns; größere die Schleusen und Wehranlagen am Fahrzeuge führten das Salz dann auf der Ausfluss der Traun aus dem ; Donau stromauf- oder abwärts den je­ 56 es sollte zum einen bei geschlossenen weiligen Ladstätten zu. Schleusen oder „Klausen“ der Wasserab­ Die Traun war ein fischreiches, un­ fluss allein über die Wehrkrone möglich gezähmtes Wildwasser und bereitete der sein, die Aufstauung bei niederschlags­ Schifffahrt viele Schwierigkeiten; nicht armen Zeiten also das nötige Fahrwasser nur das Hochwasser und der stete Strö­ mungswechsel zerstörten und veränder­ 55 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ ten die Fahrrinne, auch die Wehranlagen wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des der zahlreichen Mühlen waren unan­ 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös­ terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 315. genehme, oft sogar gefährliche Hinder­ 56 57 Ebenda, S. 238. nisse auf dem Weg. 57 Ernst Neweklowsky, Die Schiffahrt und Flößerei Die von der Natur gesetzten Schran­ im Raume der oberen Donau, Bd. I, Linz 1952, ken sollten menschliche Kunst und S. 476. 58 Tatkraft frühzeitig durchbrechen oder Friedrich Kienast, Hg., Heimatbuch des Salzmark­ tes Lauffen, des ältesten Marktes im inneren Salz­ umgehen. Parallel zur Erneuerung der kammergut, o. J., S. 30, 31. Hallstätter Seeklause (1573) durch Tho­ 59 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt mas Seeauer wurde die Schifffahrtsrinne Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden bis Ebensee ausgebaut. Nun hatten es 1898, S. 262. 60 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ die Schiffsleute leichter, den „Wilden wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des Lauffen“ durch die Floßgasse zu passie­ 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös­ ren. Die seit dem 13. Jahrhundert existie­ terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 245.

32 Modell der ehemaligen Salzstadel mit Nikolaus-Kirche und Schifferturm in Stadl-Paura.

„Wilder Lauffen“ um 1720. bringen, zum anderen (bei Hochwasser) wurden. Den Salzfertigern war es damit der Wasserspiegel gesenkt werden. Die möglich, die Ware auch bei Niedrigwas- erste Seeklause wurde 1629 errichtet, ser nach Lambach und weiter bis nach und – da sie sich trotz vieler Anfeindun- Zizlau zu transportieren.61 gen bestens bewährte – 1649 zur „Haupt- oder Salzklaus“ erweitert. Insgesamt 61 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt errichtete man bis 1812 drei Schleusen- Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden stufen, die vom Klausmeister überwacht 1898, S. 266–268.

33 Traunfall um 1649.

Schiffswerker und ihre Fahrzeuge nerzillen, abgekürzt Viererl, Fünferl, Sechserin, Siebnerin, Achterin, Neune- Sehr bald schon hatte der Salzhandel rin und Zehnerin. Konkret gehen diese den Schiffbau im Kammergut heimisch Bezeichnungen darauf zurück, dass der werden lassen. Einen besonderen Boom Schiffboden aus vier, fünf, sechs usw. erlebte dieser Erwerbszweig im 17. Jahr- Bodenhölzern zusammengefügt wurde, hundert, als die kaiserlichen Truppen für deren Breite einen Fuß ausmachte. Die ihren Kampf in Ungarn und gegen die Benennungen blieben auch späterhin Türken en gros Schiffe brauchten. De- gebräuchlich, obwohl sich die Maßver- ren Anfertigung blieb zumeist Sache der hältnisse oft änderten. privaten Schiffswerker, die sich im Kam- Die Salzfertiger benützten Sechse- mergut wie im Alpenvorland überall rinnen und vor allem Siebnerinnen, die dort ansiedelten, wo größere Waldun- bis Wien fuhren.63 gen in der Nähe lagen. 1688 gab es (au- Siebner Zillen hatten in der Länge 17 ßer jenen in Hallstatt, Weißenbach und Klafter zwei Fuß bis 18 Klafter (29,26 m Gosau) noch 49 Schiffbauer im Bezirk –30,35 m). Die Betauchung (= Schiffsla- von Ischl, 64 am Traunee, 57 in der Wolf- dung) beträgt bis zum Stadl 16–17 und ganger Gegend und 13 am Abersee.62 Die für den Salztransport einge- setzten Spezialschiffe, je nach Beladung 62 Ernst Neweklowsky, Die Schiffahrt und Flößerei (Salz-)Zillen, „Kobel“, „Salzkobel“, im Raume der oberen Donau, Bd. I, Linz 1952, S. 247. „Naufahrten“ oder „Fuderzillen“, glie- 63 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt derte man in Vierer-, Fünfer-, Sechser-, Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden Siebner-, Achter-, Neuner- und Zeh- 1898, S. 270.

34 Wasserung einer „Siebnerin“, 1900. bei der „äußeren Traun“ 11–12 Pfund auf halber Höhe des Ostufers – geru- Küfel, das sind 530 bzw. 370 Wiener dert. Pferde zogen die Schiffe bis Weyer, Zentner (29,68 t bzw. 20,72 t). Sechser das letzte Stück wurde wieder gerudert. Zillen sind kleiner, 15 Klafter fünf Fuß bis Die Schiffsleute traten unverzüglich den 16 Klafter (26,78 m–26,98 m) lang und Retourweg an, übersetzten den See und ebenfalls zur Küfelabfuhr eingerichtet. gingen zu Fuß nach Steeg zurück, um am Sie werden bis zum Stadl mit 12 bis 13 nächsten Tag ein neues Schiff zu über- Pfund (400 Wr. Zentner = 22,4 t) und auf nehmen.67 der „äußeren Traun“ mit 8 bis 10 Pfund (300 Wr. Zentner = 16,81 t) beladen.64 Die Verschiffung der nackten Fu- 64 Rupert Stummer u. Thomas Nussbumer, Hg., Salzkammerguts Lexicon. Handschriftliche Ur- der von Hallstatt nach Gmunden war version verfasst von Hofrat Gigant 1768/1769, ursprünglich den Hallstätter „Bürgern“ handschriftlich neu verfasst von Hofrat Ing. C. vorbehalten. Sie besoldeten dazu eigene Schraml, als Salzkammergut Lexikon 1936, Salz- Fuderführer,65 die sich aber im 16. oder burg 2007, S. 159. 65 17. Jahrhundert unabhängig machten Ernst Neweklowsky, Die Schiffahrt und Flößerei im Raume der oberen Donau, Bd. I, Linz 1952, und die Fahrt bis 1743 auf eigene Rech- S. 492. nung besorgten. Nach Entstehung der 66 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen- Pfannhäuser in Ischl und Ebensee be- wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des saßen auch diese Orte ihre Fuderführer 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös- terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 259. oder einen „Urfahrmeister“, wie er in 67 Ernst Neweklowsky, Die Schiffahrt und Flößerei 66 Ischl hieß. Von Ebensee wurde über im Raume der oberen Donau, Bd. I, Linz 1952, den Traunsee bis zur „Ansetz“ – etwa S. 493.

35 Seeklause in Gmunden um 1900.

Die Abwicklung des Küfeltrans- wurden innerhalb von drei Tagen keine ports auf der Strecke von Gmunden bis Schiffe aus Enns beigestellt, konnten sie Stadl bei Lambach fiel den Gmundner mit den eigenen Leuten weiterfahren. Schiffsleuten zu, die genauso per pe- Jeder Schiffer erhielt für eine von des zurückkehren mussten, und zwar Enghagen nach Wien abgeführte Zille auf dem sogenannten „Schiffleutweg“. vier Gulden 30 Kreuzer (lag die Ladstätte Nach dem Umladen in Stadl wurden oberhalb Wiens, drei Gulden 30 Kreu- die Zillen von den Stadlinger Schiffern zer) und musste sich „gegen Kost und nach Zizlau oder Enns/Enghagen an die Trunk“ auch für die Gegenfuhr zur Ver- Donau geführt. (Für den, wiederum so- fügung stellen.69 fortigen, Retourweg nützten diese die Schiffsleute im Fertigerdienst wie vom Stift Lambach seit alters her be- die Stadlinger oder die Zizlauer waren reitgestellte „Heidfuhr“; mit drei Pferde- „nicht vollberechtigte“ kaiserliche Ar- gespannen ging‘s von Marchtrenk über beiter und vom Hofkornbezug ausge- die Welser Heide, daher der Name, zu- schlossen, dennoch nahm das Salzamt rück nach Lambach. An der Transport- Einfluss auf ihre Aufnahme, Entlohnung vereinbarung des Salzamtes mit dem Kloster änderte sich bis zum Ende der 68 Alois Berndorfer, Das Salztransportamt am Stadl 68 Salzschifffahrt auf der Traun nichts.) und seine Bedeutung für den oberösterreichi- In Enghagen standen die Ennser Schiffs- schen Salzhandel, unveröffentliche Dissertation, leute für die Weiterfahrt bis hinab nach Universität Innsbruck 1948, S. 153. 69 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen- Wien bereit. Den Anspruch der Ennser wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des auf das alleinige Fahrrecht hatten die Fer- 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös- tiger übrigens bereits 1547 gebrochen; terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 260.

36 etc. In Notfällen griff das Amt arbeitsun­ „Traunreiter“, während man die, die von fähigen Schiffsleuten finanziell unter die Stadl bis Gmunden verkehrten, „Fall­ Arme und gewährte ihnen Provisionen, bauern“ nannte.74 Brenn- und Nutzholz zu verbilligten Zu jedem Traunzug – ein Gegentrieb Preisen sowie Winterhilfsgeld.70 setzte sich aus zwei mit fünf bis sechs Mit der Verpachtung der Salztrans­ Pferden bespannten Zillen zusammen porte an auswärtige Unternehmer wie an – gehörten ein Vorreiter, ein „Mitterrei­ die Prager Firma Lämel & Sohn (1825) ter“, ein „Afterreiter“, ein „Schalnreiter“ wurden die Schiffsleute entlassen, bilde­ und noch ein „Aufleger“, die Lenkung ten eine Privatgesellschaft, die „Schiff­ besorgte der „Fürtaucher“ oder „Söß­ leutcompagnie“, und offerierten den staller“. Am ersten Tag kam der Zug neuen Pächtern, später den Freihänd­ (von Zizlau) bis Wels, wozu es 11 oder lern, ihre Dienste. Durch den Bau der 12 Stunden brauchte, am zweiten Tag Pferdeeisenbahn von Gmunden nach wurde in fünf bis sechs Stunden Stadl Linz zerrann ab 1835 auch diese Arbeits­ erreicht.75 Auf der Strecke von Stadl möglichkeit.71 bis Gmunden, wo die Traun reißender und durch Schleusen unterbrochen war, gestaltete sich die „Bergfahrt“ ungleich Der Gegentrieb schwieriger und gefährlicher. Besonders die Auffahrt durch den Schifffahrtska­ Maximilian I. hatte schon 1509 an­ nal am Traunfall war wegen des star­ geordnet, die Salzzillen zwecks Einspa­ ken Gefälles heikel. Zum Passieren des rung von Schiffbauholz ins Kammergut Fallkanals benötigte man neun Pferde, zurückzubringen und auf ihnen Lebens­ und es bedurfte großer Geschicklichkeit mittel heranzuschaffen. Mannigfache und Erfahrung, die Schiffe heil über alle Widerstände der Flussanrainer, Fischer und wohl auch der Fertiger verzögerten die Ausführung dieses Vorhabens, das erst unter Ferdinand I. realisiert wurde.72 Die technischen Probleme der Ge­ 70 Ebenda, S. 261. genfahrt, hauptsächlich bedingt durch 71 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt die ungenügende Breite des Flussge­ Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden 1898, S. 290. rinnes, die eine Begegnung mit den 72 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ Salzzillen gefahrvoll machte, waren bis wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des 1590 gemeistert. Von da an ging es rasch 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös­ vorwärts, und bereits 1616 war die Ab­ terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 263. 73 sicht gereift, alle Salzschiffe, auch jene, Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des die nicht mit Getreide und Wein beladen 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös­ waren, im regelmäßigen Gegentrieb zu­ terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 264. rückzuführen.73 Die Schiffe wurden von 74 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt privaten Kleinunternehmern, Bauern Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden 1898, S. 292. der Umgebung, mit Pferden flussauf­ 75 Ernst Neweklowsky, Die Schiffahrt und Flößerei wärts gezogen. Sie hießen daher – in der im Raume der oberen Donau, Bd. I, Linz 1952, untersten Etappe – „Rossbauern“, auch S. 497.

37 Traunzug bei Lambach, Lithografie. diese Hindernisse zu schleppen.76 Von und bereits 1631 befahl der Kaiser die Gmunden wurden die Zillen, leer oder Einfuhr von Getreide aus Niederöster- mit Lebensmitteln beladen, nach Eben- reich. Trotz zusätzlicher Mautgebühren see und von dort durch die Rossbauern hielt sich der Kostenaufwand hiefür in nach Steeg zurückgebracht.77 Grenzen, seitdem die Fertiger das Korn Der Gegentrieb schluckte viel Geld als Gegenfracht auf der Traun nach und hatte für die Fertiger den empfind- Gmunden führten. Von hier wurde es im lichen Nachteil, dass sie – in Enghagen Gegentrieb ins innere Kammergut gelie- oder Wien – nur noch wenige Schiffe fert und in den einzelnen Orten in den verkaufen konnten. Für die Bewohner Hofkästen gelagert.78 (Ende des 17. Jahr- des Salzkammerguts war andererseits hunderts nahm die Getreideeinfuhr aus die Versorgung mit Lebensmitteln und Niederösterreich nochmals stark zu; die v. a. mit Brotfrucht vordringlich, denn Fertiger kauften ganze Massen auf und das Kammergut verfügte kaum über brachten diese, durch einen Freipass der erschlossene Ackerböden. In den ers- ten Anfängen des Salzwesens hatte die 76 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen- fruchtbare Hofmark – an der Traunstre- wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös- cke zwischen Gmunden und Lambach terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 265. bis hinüber zur – das nötige Ge- 77 Ernst Neweklowsky, Die Schiffahrt und Flößerei treide geliefert. Aus der Hofmark durfte im Raume der oberen Donau, Bd. I, Linz 1952, Korn sonst nirgendwohin gebracht S. 493. 78 werden. Die Erträge aus diesem Gebiet Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen- wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des deckten jedoch schon im 16. Jahrhun- 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös- dert den Kammergutbedarf nicht mehr, terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 437.

38 Hofkammer gedeckt, zoll-, maut- und Zentralstelle in Wien ernannt81 – auf nie­ aufschlagfrei nach Gmunden.)79 derösterreichischem Boden fielen jene Als nach 1870 die Straßen- und die in Ybbs, Melk und Spitz in den Verwal­ Eisenbahnverbindung ins Kammergut tungsbereich des Gmundner Salzamtes, gewährleistet war, besiegelte dies auch während die unterhalb gelegenen (Per­ das Ende des Gegentriebs. senbeug, Hollenburg, Weitenegg, Stein, St. Johann, Traismauer, Tulln, Kloster­ neuburg und Korneuburg) dem Salzamt Die Landestellen – Ladstätten zu Wien unterstanden.82 Zu Zeiten des kaiserlichen Salzhan­ dels hatten die anzulaufenden Ladstät­ ten die stets gleiche Verwaltung mit dem Vom Fortschritt überrollt „Mautner“ als Leiter, dem „Gegenhand­ ler“ als Kontrollor, dem „Einfüllschrei­ Im 18. Jahrhundert wurde das ober­ ber“, Zillenhüter und den Salzknechten. österreichisch-habsburgische Salzwesen Die Bereitstellung von Schiffen mit we­ von tiefgreifenden Umwälzungen er­ niger Tiefgang und von Stapelplatz für fasst. Fortschrittliche Produktions-, Ver­ die Zwischenlagerung der Küfel war packungs-, und Organisationsformen Hauptaufgabe des „Stadl-Amts“ an der markierten unübersehbar den Beginn Landesstelle Stadl.80 Zizlau bei Ebels­ der neuen Ära. Als Ersatz für die seit 1515 berg, Schlusspunkt der Traunfahrt, ausschließlich zur Versorgung Böhmens diente bloß als Anlegestelle auf dem hergestellten „großen Kufen“ kamen in weiteren Weg des „weißen Goldes“ über der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Donau. verschiedene Fassdimensionen (Zent­ ner-, Halbzentner- und Zweizentnerfas­ Als Eingangspunkt nach dem Obe­ sel) frisch auf den Markt. In der zweiten ren Mühlviertel fungierte die Donau­ Hälfte des 18. Jahrhunderts folgte u. a. ladstätte Ottensheim, Anlaufstationen die Einführung des Verkaufsschlagers für den Salzhandel nach Böhmen waren „Füderlsalz“; in variabeln Bestellgrößen Linz und, in zweiter Linie, Mauthausen. (15 bis 24 kg) z. T. lose, unverpackt ab­ Gegen den Widerstand der Stadt Enns gesetzt, senkte es die Kosten des han­ war den Fertigern bei Enghagen, dem delbaren Endprodukts gegenüber dem natürlichen Hafen am Zusammenfluss „Kleinen Küfel“ und zugleich den Holz­ zwischen Lorchbach und Donau, die Er­ richtung einer eigenen Ladstätte gelun­ gen, sodass die Schiffe fortan direkt die Donau abwärts weiterfahren konnten. 79 Ebenda, S. 439. Dieser Umschlagplatz spielte eine ähn­ 80 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ liche Rolle wie Stadl bei Lambach; man wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des schuf hier ein „Salzbeförderungsamt“, 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös­ welches den Fertigerhandel zu überwa­ terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 277. chen hatte. 81 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden Von den Ladstätten – das beamtete 1898, S. 289. Personal wurde unmittelbar von der 82 Ebenda, S. 330.

39 bedarf für das gesamte Salinenwesen.83 gang erhielten sie eine jährliche „Susten­ Die Aufnahme der Füderlsalzerzeugung tion“ von 300 fl. C. M. zuzüglich 50 fl. (1768) bewirkte postwendend rapide C. M. „Hauszins“ und „Hausunterhalts­ Absatzeinbrüche beim Küfelsalz, wel­ beitrag“. Weiters wurde verfügt, dass die ches den Fertigern zur Herstellung und Fertigerrechte mit Bewilligung der Hof­ Ablieferung allein noch verblieben war. kammer verkauft, verschenkt oder nach dem Tod der Inhaber samt den Sustenti­ Drohende Schatten waren auf die onsbezügen auf Hinterbliebene überge­ Berufsgruppe bereits 1747 gefallen, und hen konnten.86 zwar mit einem Grundsatzbeschluss Die „Umarbeitung“ der Fuder auf zur Aufhebung ihrer Rechte. (Dass die „Kleinküfelsalz“ durch die Fertiger Durchsetzung dieses Entscheids dann geschah jetzt auf Amtskosten gegen noch Dezennien auf sich warten ließ, Verrechnung durch die „Fertigercom­ beruhte allem voran auf der starken pagnien“. Die Verfrachtung und den vertraglichen Abgesichertheit des Ferti­ Verkauf des Salzes übernahm das Ärar gerstandes und wohl erst in zweiter Li­ in eigener Regie durch die neu errichtete nie auf sozialer Rücksichtnahme.) Nach „k. k. Kleinküfel-Verrechnungskassa“. 1750 blieb die Anzahl der Fertigerrechte Hiefür hatte man 1778 eine „Küfelerzeu­ so weit stabil und erfuhr auch durch die gungs- und Abfuhrnorma“ verfasst und Hofkammerresolution von 1805, wel­ nach zweijähriger Probezeit in Kraft ge­ che der Salzfertigung den Charakter setzt. Diese regelte u. a. die Entlohnung eines „auf den Hausbesitz radizierten der Küfelarbeiter und die Einkünfte der bürgerlichen Gewerbes“ zumaß, keine Fertiger aus der Küfelherstellung. Auch wesentliche Veränderung.84 1775 verord­ waren darin die Produktionsmengen je nete die k. k. Hofkammer allerdings den „Fertigercompagnie“ in Hallstatt, Ischl, Zusammenschluss der Fertiger zu einer Lauffen und Gmunden sowie die Anzahl „Fertigerkompagnie“, die – unter je ei­ der Fertiger und jene der erforderlichen nem Geschäftsführer – auf gemeinsame Arbeiter festgelegt.87 Rechnung zu wirtschaften hatte. Der Zusammenschluss brachte eine gewisse 83 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ Effizienzsteigerung, schränkte den Ent­ wesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des faltungsspielraum des einzelnen Ferti­ 18. Jahrhunderts, Studien zur Geschichte des ös­ terr. Salinenwesens, Bd. I, Wien 1932, S. 319. gers aber dramatisch ein. Dadurch, und 84 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ mit dem ebenfalls 1775 verfügten Entzug wesen von 1750 bis zur Zeit nach den Franzosen­ des Salztransports auf Traun und Do­ kriegen, Studien zur Geschichte des österr. Sali­ nau, wurde das „Aus“ für diesen freien nenwesens, Bd. II, Wien 1934, S. 317. 85 Unternehmerstand definitiv eingeläutet. Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden Selbsttätig Geschäfte zu machen und 1898, S. 333. dafür das Risiko zu tragen, war den Fer­ 86 Ernst Neweklowsky, Die Schiffahrt und Flößerei tigern fürderhin nicht mehr möglich. Im im Raume der oberen Donau, Bd. I, Linz 1952, Prinzip waren sie nun Salzamt-Ange­ S. 152. 87 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ stellte, die noch einige Lohnarbeiter be­ wesen von 1750 bis zur Zeit nach den Franzosen­ 85 schäftigten. Das Schiffsgeschirr wurde kriegen, Studien zur Geschichte des österr. Sali­ ihnen abgelöst, für den Verdienstent­ nenwesens, Bd. II, Wien 1934, S. 325.

40 Insgesamt gab es im Salzkammergut Resümee ausgangs des 18. Jahrhundert noch 30 Fertigungen mit 274 Beschäftigten. Per Dafür, dass sich dieser Stand über­ anno waren 4800 Pfund Küfel als Pro­ haupt so lange gehalten hat, gibt es meh­ duktionsziel veranschlagt, eine Quote, rere Gründe. Das Salzkammergut war die nach der Jahrhundertwende nicht der oberösterreichischen Landesverwal­ mehr gehalten werden konnte. Sie fiel tung gegenüber durch Jahrhunderte völ­ auf ein Drittel und darunter, um 1843 lig autonom und hatte gleichsam seine gänzlich auszulaufen.88 Die gravierende eigene Verfassung, die Reformations­ Änderung der Verhältnisse betraf auch libelle. Das und die – auch Schutz be­ die Arbeiter; man unterstellte sie dem deutende – Abhängigkeit vom Hofamt Salinenärar. in Wien sicherten den überwiegend im Salzwesen beschäftigten Bewohnern, 1824 wurde für Österreich ob und neben dem hohen Grad ihrer berufli­ unter der Enns mit kaiserlicher Entschlie­ chen Spezialisierung, eine Art von Be­ ßung der Salzfreihandel verfügt. Jeder­ vorzugtheit. Nicht zuletzt mochte eine mann konnte nun Salz aus dem „k. k. gewisse soziale Rücksichtnahme auf Hauptverschleißamte“ beziehen und die Salzfertiger und ihre Produktions­ weiter verkaufen, wovon Gmundens probleme zu deren Überleben bis zur Bürger und vor allem die dortigen sechs Mitte des 19. Jahrhunderts beigetragen Salzfertiger Gebrauch machten, die es haben. – Indem er sie der neu geschaf­ kurzzeitig wieder mit der Salzverfüh­ fenen „obder­ennsischen“ Regierung in rung zu Wasser versuchten. 1844 wurde Linz unterstellte, hat Joseph II. die Kam­ die Salzküfelerzeugung eingestellt, 1846 mergutverwaltung 1783 aus der alten die Ablösung der „obderennsischen“ Selbstständigkeit herausgelöst und ih­ Salzfertigungen angekündigt, wogegen ren Sonderstatus weitgehend aufgeho­ sich die Fertiger insbesondere wegen ben. Durch die Freigabe des Salzhandels der viel zu geringen Ablösungsbeträge wurde dieser Prozess dann fortgesetzt – umsonst – zur Wehr setzten. Die un­ und vollendet. widerrufliche Löschung des Dienstver­ Mit den Salzfertigern ist eine Unter­ bandes aller Salzfertiger und die Einstel­ nehmerschicht verschwunden, die sich lung ihrer Bezüge und „Verrichtungen“ über Epochen hinweg als wichtiges, zen­ erfolgten 1849, immerhin wurde jedem trales Glied des landesfürstlichen Salz­ Einzelnen noch eine Ablösungssumme wesens erwiesen und bewährt hat. Die von 3.000 fl. C. M. bewilligt. Die erfor­ Fertiger stellten im Salzkammergut einen derlichen Schritte wurden rasch abgewi­ anerkannten, geachteten Bevölkerungs­ 89 ckelt und waren 1851 vollzogen. teil und zählten in allen „vier Flecken“ zu So endete, im Sog von Industriali­ den Repräsentanten des Bürgertums. Ihr sierung und technisch-struktureller In­ Andenken bewahrt nicht nur das Stadt­ novation, die gut fünfhundertjährige Geschichte der Salzfertiger und damit 88 Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinen­ wesen von 1818 bis zum Ende des Salzamtes im auch jene des „Kleinen Küfels“, einer der Jahre 1850, Studien zur Geschichte des österr. Sa­ ältesten Handelsformen verpackten Sal­ linenwesens, Bd. III, Wien 1936, S. 314. zes. 89 Ebenda, S. 314, 317, 318.

41 wappen Gmundens, sondern ebenso Pfund als Zählmaß: eine nach ihnen benannte Gasse in der 1 Pfund Fuder = 240 Stück Fuder im Gewicht von Traunseestadt. Die meisten ihrer Häuser je 100 bis 115 Pfund. – sehr viele hatten es zu Wohlstand ge­ 1 Pfund Küfel = 8 Schilling Küfel = 240 Stück Küfel. bracht – sind noch in den Grundfesten vorhanden, manche wurden revitalisiert. Abbildungsverzeichnis In Kirchen und an Kirchenmauern zeu­ „Pfiesel“ mit den zum Dörren eingelagerten, kegel­ gen Epitaphe vom „Stand der Salzferti­ stumpfförmigen Salz-Fudern: Thomas Helmut und ger“. Allein vom 16. bis zur Mitte des 18. Ewald Hiebl, in: Verein „Freunde der Salzburger Jahrhunderts sind 111 Vertreter dieser Geschichte“, Hg., Salz im Wandel. Ökonomische Al­ Berufsgruppe nachgewiesen – ein weites ternative zur Halleiner Salzproduktion im 19. Jahr­ hundert, Salzburg 1992, S. 232. Feld auch der Familiengeschichte. Das „kleine Küfel“: Rupert Stummer u. Thomas Nussbaumer, Hg., Salzkammerguts Lexicon. Hand­ schriftliche Urversion verfasst von Hofrat Gigant Nachsatz: Die sozioökonomischen 1768/1769, handschriftlich neu verfasst von Hofrat Lebensumstände der Salzfertiger, ihrer Ing. C. Schraml, als Salzkammergut Lexikon 1936, Handwerker und Schiffsleute, konnten Salzburg 2007, S. 57. in diesem Beitrag lediglich marginal Fertigerrechte im Lauf der Jahrhunderte: Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinenwesen Berücksichtigung finden. Etliche The­ vom Beginne des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhun­ men und Fragen sind offen geblieben. derts, Studien zur Geschichte des österr. Salinenwe­ Auf welche Tätigkeiten verlegten sich sens Bd. 1, Wien 1932. die Fertiger nach dem Ausscheiden aus Drittes Reformationlibell 1656, Fertigerordnung: ihrem Metier? Versuchten sie sich im Ref. Libell (3.), Reformierte Ortnung des Saltz­ freien Salzhandel wie z. B. die letzten wesens zu Gmundten/Hallstatt/Ischl/und Ebensee, sechs Gmundner Salzfertiger, fanden Wien 1656. sie Beschäftigung im Salinenwesen oder Salzkeller in Lauffen. Foto: Friedrich Kienast, Lauf­ fen. übersiedelten sie in neue gewerbliche Arbeit der „Fuderhacker“, „Stößer“ und „B´schlager“: Sparten? Alles das und manches andere Alexander Savel, Salzfertiger, in: Traunspiegel 14. muss einer weiteren Arbeit vorbehalten Jg., Folge 139/Mai 2008. bleiben. „Kleuzer“ bei ihrem Tagwerk: Thomas Helmut und Ewald Hiebl, in: Verein „Freunde der Salzburger Geschichte“, Hg., Salz im Wandel. Ökonomische Al­ Geld- und Gewichtsmaße90 ternative zur Halleiner Salzproduktion im 19. Jahr­ hundert, Salzburg 1992. Geld: Zusammensetzung der Küfel: Thomas Helmut und 1 Pfund Pfennig oder 1 Gulden (fl.) = 8 Schilling (ß) Ewald Hiebl, in: Verein „Freunde der Salzburger = 60 Kreuzer (kr.) = 240 Pfennig (d). Geschichte“, Hg., Salz im Wandel. Ökonomische Al­ ternative zur Halleiner Salzproduktion im 19. Jahr­ 1 fl. C. M. = 1 fl. Conventionsmünze. Ab 12. Jän­ hundert, Salzburg 1992. ner 1754 trat in Österreich anstelle der rheinischen Modell der ehemaligen Salzstadel mit Nikolaus- Währung die Conventionsmünze in Kraft. 1 fl. C. M. Kirche und Schifferturm in Stadl-Paura: Karin Baur, hatte nach wie vor 60 Kreuzer zu je vier Pfennig.

Gewicht: 90 Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt 1 Wiener Zentner = 56 kg = 100 Pfund zu je 0,56 kg. Gmunden in Oberösterreich, Bd. II, Gmunden 1 Pfund zu 0,56 kg = 2 halbe Pfund zu je 16 Loth. 1898, S. 233, 238.

42 Die Geographie der Salzschifffahrt auf der Traun, Franz Hufnagl, Die landesfürstliche Stadt Gmunden Salzburg 1981, Anhang. als Sitz der Kammergutverwaltung. Die Stadt im „Wilder Lauffen“ um 1720: Friedrich Kienast, Hg., Spannungsfeld mit den Habsburgern und deren Heimatbuch des Salzmarktes Lauffen, des ältesten Salzamtmänner, unveröffentlichte phil. Disserta­ Marktes im inneren Salzkammergut, o. J. tion, Universität Salzburg, Salzburg 1999. Traunfall um 1649: Ferdinand Krackowizer, Ge­ Ferdinand Krackowizer, Geschichte der Stadt schichte der Stadt Gmunden in Oberösterreich, Gmunden in Oberösterreich, Bd. I + Bd. II, Gmun­ Bd. II, Gmunden 1898. den 1898. Wasserung einer „Siebnerin“, 1900: Ernst Newe­ Friedrich Morton, Vorarbeiten zu einer Geschichte klowsky, Die Schiffahrt und Flößerei im Raume der Hallstatts. VI. Der Kampf der Salzfertiger vor dem oberen Donau, Bd. II, Linz 1952, Bild 70. Ende, in: Heimatgaue 12. Jg. 1931, Linz 1931. Seeklause in Gmunden um 1900: Ernst Newe­ Ernst Neweklowsky, Die Schiffahrt und Flößerei im klowsky, Die Schiffahrt und Flößerei im Raume der Raume der oberen Donau, Bd. I, Linz 1952. oberen Donau, Bd. I, Linz 1952, Bild 47. Oberösterreichisches Landesarchiv (OÖLA, OÖUB Traunzug bei Lambach, Lithographie: Ernst Newe­ V), Urkundenbuch des Landes ob der Enns, S. 39. klowsky, Die Schiffahrt und Flößerei im Raume der NR. 40, 41. oberen Donau, Bd. I, Linz 1952, Bild 112. Rudolf Palme, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialge­ schichte der inneralpinen Salzwerke bis zu deren Monopolisierung, Rechtshistorische Reihe, Bd. 25, Frankfurt und Bern 1983. Literatur Ref. Libell (2.), Reformierte Ordnung des Saltzwe­ Karin Baur, Die Geographie der Salzschifffahrt auf sens zu Gmundten und Haallstat. Aufgericht im der Traun, unveröffentlichte phil. Diplomarbeit, 1563. Jan, Gedruckt zu Wien in Österreich durch Universität Salzburg, Salzburg 1981. Michael Zimmermann. Alois Berndorfer, Das Salztransportamt am Stadl Ref. Libell (3.), Reformierte Ortnung des Saltzwe­ und seine Bedeutung für den oberösterreichischen sens zu Gmundten/Hallstatt/Ischl/und Ebensee. Salzhandel, unveröffentlichte Dissertation, Univer­ Angefangen Anno 1655 und Beendet im Jahr 1656. sität Innsbruck 1948. Gedruckt zu Wien in Österreich/bey Matthaeo Anton Dicklberger, Systematische Geschichte der Cosmerovio/Röm:Kays:Mayest:Hoff Buchdrucker. Salinen Oberösterreichs in Verbindung mit der all­ Im 1656. Jahr, (Eingeführt: 1659). gemeinen Geschichte der benachbarten zur näm­ Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinenwe­ lichen Salzformation gehörigen steyermärkischen, sen vom Beginne des 16. bis zur Mitte des 18. Jahr­ salzburgischen, tyrolischen und baierischen Salinen, hunderts, Studien zur Geschichte des österr. Sali­ Bd. I und II, Bad Ischl 1817. nenwesens, Bd. I, Wien 1932. Gerhard Hattinger, Die Ordnungen des oberöster­ Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinenwe­ reichischen Salzwesens aus dem 16. und 17. Jahrhun­ sen von 1750 bis zur Zeit nach den Franzosenkrie­ dert (1. bis 3. Reformationslibell von 1524, 1563 und gen, Studien zur Geschichte des österr. Salinenwe­ 1656), in: J.-C. Hocquct/R. Palme, Hg., Das Salz in sens, Bd. II, Wien 1934. der Rechts- und Handelsgeschichte. Internationaler Salzgeschichtekongress 1990 in Hall i. T., Kongress­ Carl Schraml, Das oberösterreichische Salinenwe­ akten, Schwaz 1991. sen von 1818 bis zum Ende des Salzamtes im Jahre 1850, Studien zur Geschichte des österr. Salinenwe­ Gerhard Hattinger, Die Salzfertiger des oberös­ sens, Bd. III, Wien 1936. terreichisch-habsburgischen Salzwesens (14. bis 19. Jahrhundert), in: Journal of salt-history, Jahrbuch Carl Schraml, Die Entwicklung des oberösterreichi­ für Salzgeschichte, Hall in Tirol 1996. schen Salzbergbaues im 16. und 17. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines, Franz Hufnagl, Die Kammergutverwaltung im Be­ 83. Band, Linz 1930. zirk Gmunden in ihrer geschichtlichen Entwicklung, unveröffentlichte jur. Dissertation, Universität Salz­ Heinrich Srbik, Studien zur Geschichte des öster­ burg, Salzburg 1996. reichischen Salzwesens, Innsbruck 1917.

43 Rupert Stummer u. Thomas Nussbaumer, Hg., Salz- 16. Jahrhunderts, in: Herbert Knittler, Hg., Wirt- kammerguts Lexicon. Handschriftliche Urversion schafts- und sozialhistorische Beiträge. Festschrift verfasst von Hofrat Gigant 1768/1769, handschrift- für Alfred Hoffmann zum 75. Geburtstag, Wien lich neu verfasst von Hofrat Ing. C. Schraml, als 1979. Salzkammergut Lexikon 1936, Salzburg 2007. Leopold Widerhofer, Geschichte des oberösterrei- chischen Salzwesens von 1282 bis 1656, Wien 1907. Kurt W. Zeller, Die Fürstenzimmer, in: Salzburger Alois Zauner, Die bürgerlichen Siedlungen im ober- Landesausstellungen, Hg., Salz, Salzburg 1994, österreichischen Salzkammergut bis zur Mitte des S. 175–240.

44 „Kryptoprotestantismus“ als Delikt: aufgerollt am Beispiel eines gerichtlichen Familienstreits 1765 Von Hans Kalchmair

Nach dem von Erzbischof Leopold 30-jährigen Krieges herbeigeführt hatte Adam v. Firmian (1679–1744) in Salz- und in seinen Auflagen für Protestanten burg am 31. Oktober 1731 erlassenen deren freie Emigration binnen einer Frist Emigrationspatent erlebten etwa 15 000 von drei Jahren vorschrieb, versuchte evangelische Untertanen, vorwiegend man nun die „Irrgläubigen“ innerhalb Bauern, das harte Los der Vertreibung der eigenen Erblande umzusiedeln, in aus dem Fürstbistum. Zuflucht mit der Bereiche wie Ungarn, Schlesien oder Möglichkeit zu freier Religionsausübung Siebenbürgen, wo bereits 1691 von Kai- fanden die Betroffenen hauptsächlich in ser Leopold I. neben dem römisch-ka- Ostpreußen, aber auch in Holland und tholischen das reformierte und das uni- Amerika (hauptsächlich in den dortigen tarische Bekenntnis öffentlich-rechtlich Bundesstaaten Georgia und Pennsyl- anerkannt worden waren. Von 1731 bis vania). Einzelne waren in das benach- 1737 kam es so zu einer starken Transmi- barte und ebenfalls von Evangelischen gration insbesondere aus dem Salzkam- bereits „durchseuchte“ Salzkammergut mergut nach Siebenbürgen in Orte wie geflüchtet. Um ein weiteres Übergrei- Neppendorf, Großpold und Grossau. fen der „unkatholischen“ Religion auf Auch unter der Tochter und Nachfol- die habsburgischen Erblande zu verhin- gerin Karl VI., Maria Theresia, die den dern, befahl Kaiser Karl VI. die Pässe Besitz des einzig wahren Glaubens als mit Militär zu besetzen, umherziehende unverzichtbaren Bestandteil individuel- Händler und ihre Waren zu kontrol- ler Wohlfahrt und sich selbst als oberste lieren und evangelische Bücher zu be- Schutzfrau der katholischen Kirche be- schlagnahmen. Eine Rückwanderung trachtete, fand noch in den Jahren 1752 von meist über die freie Reichsgrafschaft bis 1755 eine Zwangsumsiedlung von Ortenburg nach Regensburg emigrier- mehr als 3 000 sich als evangelisch be- ten Evangelischen, wo eine Unterstüt- kennenden Untertanen aus dem Land zung durch das Corpus evangelicorum ob der Enns nach Siebenbürgen statt. (die Vertretung der protestantischen Heimlich der evangelischen Religion Konfession auf dem Immerwährenden anhängende Personen wurden von den Reichstag) zu erwarten war, sollte wegen weltlichen oder auch geistlichen Behör- Verführung deren Unterthanen zur Religion der Augspurgischen Bekantnus und Verleittung zur migration aus darobigen Land1 möglichst 1 9. Dezember 1733. Brief Kaiser Karls VI. an den hintangehalten werden. Landeshauptmann ob der Enns Christoph Wil- helm Graf von Thürheim. OÖLA, Archiv der Nach den Bestimmungen des West- Landeshauptmannschaft. Religionsakten 1713– fälischen Friedens, der das Ende des 1734. Schachtel 64.

45 den nach Kräften ausgeforscht, wobei der Schwiegervater von J. G. Gebeshu­ man ihnen u. a. den Besitz verbotener bers Sohn; Anna Maria Weyrmayr, Bücher, Missachtung der Fastengebote Tochter des Geklagten, hatte (gemäß und die Verweigerung von Sakramenten Heiratsvertrag vom 10. Juni 1761) Ma­ vorwarf. thias Gebeshuber, Filius des Klägers, ge­ Mit dem Beginn des dritten Schlesi­ ehelicht und war dadurch Mitbesitzerin 7 schen Krieges, des sogenannten Sieben­ am Beindlhof geworden. Bald darauf jährigen Krieges (1756–1763), kam es aus dürfte es zu jenem ernsten familiären dem Land ob der Enns,2 abgesehen von Zerwürfnis gekommen sein, das schließ­ einzelnen Nachzüglerfamilien bis 1774,3 lich vor die Schranken des Gerichts, zu keinen größeren Transmigrationen d. h., zu dem in den Verhörprotokollen mehr. Dennoch zogen das öffentliche der Herrschaft Pernstein festgehaltenen 8 evangelische Bekenntnis und der „Kryp­ Prozess führte. toprotestantismus“ hierzulande auch in Aus den Akten bzw. der Anklage­ den folgenden Jahren noch ernste straf­ schrift geht hervor, dass der Karlmair rechtliche Konsequenzen nach sich. Die (Wolfgang Weyrmayr) noch im Herbst Obrigkeit sah darin ein Vergehen, das 1761 bei der geistlichen wie auch bei z. B. öffentliche Bestrafung oder noch der weltlichen Obrigkeit verschiedene immer die Zwangsaussiedlung zur Folge schwere Anschuldigungen gegen den haben konnte. Aus den Jahren 1778 bis Schwiegervater seiner Tochter vorge­ 1780 sind mehrere Fälle dokumentiert, in bracht und diesen bezichtigt hatte, dem denen Personen vorwiegend wegen des lutherischen Glauben anzuhängen, lu­ Besitzes lutherischer Bücher zu Geld­ therische Bücher zu besitzen, die Fas­ strafen oder zur „öffentlichen Arbeit in tengebote zu missachten und dgl. Hinzu Eisen“ verurteilt wurden.4 kam der Vorwurf, der Beindlmair (J. G. Gebeshuber) hätte Dienstboten gegen Dass diese Anschuldigung mitunter die Schwiegertochter aufgehetzt und sogar als Mittel zur Austragung famili­ Anna Maria zum Verlassen des Hofes ärer Streitigkeiten eingesetzt wurden, gedrängt. Die daraufhin von der Herr­ zeigt das nachstehend geschilderte Bei­ schaft Piberbach verfügte Hausdurchsu­ spiel der Denunziation eines vom Ge­ richt letztlich als unschuldig befundenen Wartbergers durch einen nahen Ver­ 2 Dagegen fanden in der Steiermark 1773 bis 1776 wandten. noch große Umsiedelungen nach Siebenbürgen statt. Ebda. S. 319. Am 22. März 1765 kam es bei der 3 Erich Buchinger, Die „Landler“ in Siebenbürgen, Herrschaft Pernstein zu einer Klage von S. 254. 4 Johann Georg Gebeshuber, Auszügler Leopold Temmel. Evangelisch in Oberösterreich, S. 75. auf dem der Herrschaft Piberbach unter­ 5 Beindlmairgut oder Beindlhof, Strienzing 10, mit tänigen Beindlhof5 in Strienzing, Pfarre Beindlmairmühle, Strienzing 9, Pfarre und Ge­ Wartberg an der Krems, gegen Wolf­ meinde Wartberg a. d. Krems. gang Weyrmayr, Besitzer am Karlhof6 6 Karlhof oder Karlmayrgut, Ortschaft Strienzing 5. 7 LA Herrschaft Piberbach., Briefprotokolle S. 738 und Untertan der Herrschaft Pernstein. und 739. Dieser lebte nicht nur in derselben 8 LGA P 133 Verhörprotokolle bei der Kremsmüns­ Pfarre, sondern war pikanterweise auch terischen Herrschaft Pernstein anno 1764–1781.

46 chung mit Beschlagnahme „verdächti­ dem Gerichtsverfahren, das mit einem ger“ Bücher und auch die vom Pfarrer vollen Sieg des Klägers endete, dürfte angeordnete längere Observierung von die junge Bäuerin auch wieder zu ihrem Gebeshubers religiösem Verhalten (mit Mann in den Beindlhof zurückgekehrt der Beobachtung betraut wurde der ört­ sein. Über die Rolle der Schwiegermutter liche Totengräber!) ließen keinen Zwei­ in dieser Auseinandersetzung (zusam­ fel am Gewicht der Beschuldigungen men mit ihrem Gatten war sie während aufkommen. der oben erwähnten Hausdurchsuchung Die Zwietracht zwischen den beiden von den mit Gewehren bewaffneten Ge­ Familien war auch der Öffentlichkeit richtsdienern und scharfen Hunden be­ nicht verborgen geblieben und bildete wacht worden!) geben die Gerichtsakten ein allgemeines, großes Ärgernis. Nach­ keine Auskunft. dem seine wiederholten Bemühungen Die Verhandlung – bestehend aus um einen gütlichen Ausgleich geschei­ der Einvernahme beider Parteien, der tert waren und der Karlmair die Bezich­ Urteilsfindung und dem Bescheid des tigungen hartnäckig aufrechterhielt, sah Gerichtes – führte nicht nur zur völ­ der Beindlmair im Gang zum Kadi den ligen Rehabilitierung J. G. Gebeshu­ einzigen Weg, die seiner Darstellung bers, sondern endete mit einem glatten nach haltlosen Vorwürfe zu entkräften. Schuldspruch des Beklagten, der sich – Von dem Prozess, zu dem ihm der mitt­ unter Strafandrohung für den Wieder­ lerweile ebenfalls von seiner Unschuld holungsfall – wegen seiner Aussagen überzeugte Pfarrer zuletzt sogar per­ und Anwürfe vor den Verwandten, den sönlich geraten hatte, erhoffte sich Ge­ Gerichtsbeamten und den Amtsleuten beshuber zugleich die Beilegung des der Herrschaft Piberbach öffentlich, mit Familienzwistes und eine endgültige Handschlag, beim Kläger entschuldigen Aussöhnung – gerade auch, wie er sagte, musste. angesichts der bevorstehenden Fasten­ Der wahre Hintergrund des Streites zeit und Osterbeichte. ist mit allerletzter Sicherheit nicht mehr Die Schwiegertochter hatte zum Zeit­ zu eruieren. War es wirklich, wie am punkt der Klage den Beindlhof verlassen ehesten annehmbar, eine private, häus­ und war vorübergehend in ihr Eltern­ liche Auseinandersetzung oder Unver­ haus zurückgekehrt. Vermutlich hatte träglichkeit zwischen dem Beindlmair ein Streit der jungen Bäuerin mit dem und der Schwiegertochter? Hatte Anna Schwiegervater den eigentlichen Kern Maria ihren Vater als Denunzianten des Zerwürfnisses gebildet, weniger eine eingespannt? Spielten andere Faktoren Feindschaft zwischen den übrigen Fami­ mit? Gab es doch gewisse, stichhaltige lienmitgliedern und schon gar nicht zwi­ Gründe für die erhobenen Vorwürfe, die schen den beiden Eheleuten, denn laut sich dann vor Gericht nicht beweisen lie­ Taufbuch der Pfarre Wartberg setzten ßen? Mathias und Anna Maria Gebeshuber Da einzelne Prozessakt-Passagen sage und schreibe elf Kinder in die Welt, den Verlauf des Verhandlungsgesche­ deren erstes noch vor dem Prozess ge­ boren worden war; das zweite kam bald 9 Für die Mitteilung dieser Daten dankt der Autor darauf im April 1766.9 Unmittelbar nach Dr. Paul Aman, Wartberg.

47

Anfangsteil des Prozessaktes. hens nur unzureichend wiedergeben als auch weltlichen Obrigkeit wircklich und der Originalwortlaut interessanter beschehenen Anklagung, als ob er un- erscheint, sei er hier trotz teils erschwer- erlaubt Lutherische Bücher hätte, und ter sprachlicher Nachvollziehbarkeit an- der Lutherischen Religion beygethann geschlossen. seyn solle, zu Dilgung der zwischen be- derseiths dahero entstandenen und bis anhero zu allen Leithen Ergernuß un- Verhör ter ihnen als nächsten Anverwandten Welche auf die von Johann Georg fürdaurenden Feindschaft verabfasset Geberßhueber Auszüglern am Paindlhof worden. So beschehen den 22ten Martiy unter der Löblichen Herrschaft Piber- 765. bach als Klägern an ainen, dann seines Sohnes des dermahligen Paindlmayrs Schwigervattern Wolfgang Weyrmayr am Kärlhof, hiesig Pernstainischen Un- Klag terthann, als Beklagten anderen Theils wegen der von dem Beklagten ihme Kläger gibet gehorsamst zu verneh- Klägern vor albereiths dritthalb Jah- men, wasmassen ren angethanen Bezüchtigung, und so- 1mo der Beklagte ihme Klägern bey wohl bey seinen vorgesezt Geistlichen, Seiner Hochwürden Herrn Pfarrern zu

48 Wartberg10 als seiner vorgesezten geist­ überliferet worden, vorgefunden, welche lichen Obrigkeit als einen Kezer ange­ er bis auf 2 Bücher, welche /:titl:/ Herrn klaget, folgsam auch verursachet, daß Pfarrern zu Wartberg behalten, und da­ selber seinen Todengraber anbefohlen von eines wienerische S. Abrahams, das auf ihme Klägern ein obwachtsammes andere Judas der Erzschelm11 benamset Aug zu haben, und zu sehen, ob er flei­ wird, so gleich zurück bekommen, den ßig zur Mess und Predig in die Kirche Wienerischen S. Abraham aber hat er gehe, und wie er Kläger überhaubt in der von ungefähr einen Jahr vorgedachten Kirchen sich auffihre und verhalte, und seinen Herrn Pfarrern allererst wider ist ihme Klägern dises um so schmerzli­ empfangen. Nicht weniger habe der Be­ cher gefahlen, weillen er geglaubet, daß klagte der Beklagte als seines Sohnes und nun­ 3tio wider ihme fälschlich aufge­ mehrigen Paindlmayrs Schwigervatter bracht, als ob er wegen seines Luthert­ villmehr seine Ehre und guten Nahmen hums eine ordentliche Jährliche Steur schüzen würde, alleinig dises alles ware von 20 f zur löblichen Herrschaft Piber­ nit genueg, der Beklagte habe ihme so bach bezahlen müsse, welches doch so gar wenig in der Wahrheit gegründet, so we­ 2do bey seiner vorgesezt weltlichen nig er Beklagter Obrigkeit zu Piberbach angeklaget, als 4to erweisen wirdet können, daß er ob er eine Küsten voll mit Kezerischen seinen Sohn oder vilmehr gedacht sei­ Büchern von dem Paindl Hof hinweg, nes Sohns entwichenen, und dermah­ und in die Mühl auf das genaueste un­ len bey Ihme Beklagten aufhaltenden tersuchen möchte, und weillen dem Be­ Ehewirthin die Dienstleuth aufgehezet, klagten sogleich aller Glauben beyge­ und aus dem Dienst zu gehen beredet messen, so habe /:titl:/ Herr Verwalter zu habe, und, obschonn der Beklagte ihme Piberbach als seine vorgesezte Obrigkeit Klägern der Ursachen halber bey seiner den Anbietter, Diener und 2 Landhueber Obrigkeit verklaget, von verschiede­ mit ober, und untergewähr in instanti nen löblichen Herrschaften auch die aus abgeordnet, als selbe auch in Paindlhof dem Dienst getrettenen Dienstbothen gekommen, so gleich seinen Sohn, ihme hierumen abgehört worden, so habe Kläger und seine Ehewirthin als ob sie er Beklagter dennoch iederzeit das Wi­ Diebs Leuth wären, mit 2 grossen Hun­ derspill12 gehöret, und seine Klag nit er­ den verwachet, und keines von dannen proben können, andurch auch gemacht, gehen lassen, worauf selbe den Hof und daß von seithen der löblichen Herrschaft die Mühl von den untersten Keller, bis Piberbach, ihme keine Ausrichtung be­ auf den obersten Boden, Truchen und schehen. Kästen, Böthstroh, Stadl und Steihl auf Weillen als er Kläger sowohl von das sorgfältigste durchsuechet, ohnge­ seiner geistlich als weltlichen Obrigkeith acht all angewandter Miehe aber ein mehrers nit als 10 Bücher, welche /:titl:/ 10 P. Bernhard v. Henneberg, Zisterzienser des Stif­ Herrn Hofrichtern zu Kremsminster als tes Schlierbach, Pfarrvikar in Wartberg 1748–1771. 11 Judas der Erzschelm. Predigtsammlung. Wien Religions Commissario, von welchen er 1693 oder 1694. Umfangreichstes Werk des Abra­ um eines, doch unwissend was es für ein ham a Sancta Clara. Buch seye, einen Ducaten empfangen, 12 Gegenteil.

49 Blatt aus dem mit blasser Tinte geschriebenen Verhörprotokoll.

50 wegen einen sowohl als den anderen und naher Kremsminster gebracht wor­ vor Beschuldig erkennet, gedacht sein den, von welchen auch Ihro Hochwür­ geistliche Obrigkeit auch ungeacht all den 2 darvon behalten, und wann Just gütig und ernstlichen Zuesprechen nit gewesen wären, so wurde er Kläger selbe vermögend ist den Beklagten zu einer auch gewis zurück empfangen haben, Christlichen Abtrag und Freundschaft zudeme habe er auch von seiner Tochter zu bereden, er Kläger hingegen nit will, als des Jungen Paindlmayrs Ehewirthin, daß er bey dieser heyl. Fastenzeit ande­ als selbe aus dem Paindlhof verschaffen ren zum Ergernus seyn, und bey anru­ worden gehöret, daß selbe Freytag und ckend heil. österlichen Beicht Zeit mit Samstag auf Anstiften des Klägers hätte dem Beklagten noch ferners in Feind­ von schweinern Schmalz Kochen sollen, schaften stehen solle, sondern vilmehr mithin er auch glaube, daß seine Anklag recht sehnlich wünschet, daß er Kläger mit allen Recht beschehen seye. mit dem Beklagten widerum versöhnet 3tio aber und was die auf dem Paindl­ wird, und mit selben gleichwie vorhin in hof haftende Luthersteur betrift, so habe guter Freind- und Nachbahrschaft leben solches Kläger selbsten ausgesaget, mit­ könne, so bittet er gehorsamst ein löbli­ hin also auch so guett seine Richtigkeith ches Pfleg Gericht wolle geruhen, ihme haben müsse, so glaublich, und muth­ Beklagten obrigkeitlich auf zu legen, daß masslich ist, dass to derselbe wegen der ihme angethann Un­ 4 er Kläger seiner Tochter die Christlichen Unbild und Beleydigung in Dienstleuth aufgehezet und selbe aus Beyseyn hiesigen Kanzley Verwandten dem Dienst zu gehen beredet haben und Gegenwärtigen Amtleuthen um wird, und wurde sich ungeacht deme Verzeychung zu bitten, und firohin mit allen doch wegen ain sowohl, als des ihme in guter Freind- und Nachbahr­ anderen schon längstens mit ihme Klä­ schaft leben, und Christlich sich erzeu­ gern vergliechen haben, wann er zu ei­ gen solle. nen Vergleich und Freindschaft welches er doch vor dermahlen von sich abzulai­ nen, und auf ihme Beklagten zu schie­ Antwort ben suechet, zu bereden gewesen wäre, bittet demnach ihme von alle weiteren Ad 1mo saget Beklagter daß es eine Anklag frey ledig und los zu sprechen. aufgelegte Unwahrheit seye, ihme Klä­ gern bey titl. Herrn Pfarrer zu Wartberg Motiva Sententiae als einen Kezer und Lutheraner angege­ ben zu haben, mithin also, weillen ge­ Weillen pro 1mo Ihro Hochwür­ dacht Ihro Hochwürden Herrn Pfarrer den Herr Pfarrer zu Wartberg den 19ten auf ihme Klägern durch den Todengra­ Martij anni currentis13 in Schlierbach in ber Achtung geben lassen, solches de­ Beyseyn viller anderen zu vernehmen meselben zuschreiben müsse. gegeben, wasmassen dieselbe durch den Pro 2do aber hat die Anklag zu Piber­ Todengraber über ein Viertl Jahr auf den bach seine Richtigkeit und glaube ihme alten Paindlmayr, als dis ohrtigen Klä­ Klägern kein Unrecht gethann zu haben, weillen wircklich Bücher vorgefunden, 13 19. März des laufenden Jahres.

51 gern obacht haben geben lassen, und gnädig ernannten Religions commissa- somit von bemelten Todengraber erfah- rium erlassenen Amtsschreiben ausser ren, und vernehmen müssen, 1. daß er denen 10 Stucken gedachter Herr Hof- Paindlmayr Sonn und Feyrtag fleissig richter pr 4 fl kauflich abgeleset, und 2 zur H. Meß und Predig erschienen, den /:titl:/ Herr Pfarrer behalten, hievon auch Rosenkranz mit aufgehebten Händen eines widerumen ihme Klägern zurück und Ehrnbietigkeit offentlich abgebet- gestehlet, nichtes vorgefunden, hier- tet, und wehrunt solcher Zeit hindurch nachst auch solcher gestalten sich aufgefihret, und 3tio daß er Kläger eine Luthersteur verhalten, daß gedacht Ihro Hochwyr- pr 20 fl jährlich zahlen müsse, gemäss den Herr Pfarrer in Gewissen verbunden des von seithen der löblichen Herrschaft ihme Paindlmayr von dieser seiner Un- Piberbach an Ihro Hochwyrden Herrn christlichen Inzücht und Beschimpfung Pfarrern zu Wartberg untern 14ten Xbris als seine vorgesezt Geistliche Obrigkeit 764 aberlassenen Schreiben allerdings frey und ledig zu sprechen, folgsam vor widersprochen worden, und endlichen den besten Christen offentlich zu erkläh- 4to von dem Beklagten nichtrecht- ren, weillen aber der beklagte Karlmayr licher Ordnung nach allermassen von ohngeacht all angewendter Miehe nit verschidenen Obrigkeithen wegen ain dahin zu vermögen seine über dreihalb so wohl als des anderen ordentliche Aus- Jahr albereiths fürthaurend ärgerliche sagen aufgenohmen, und von einen so Feindschaft einsmahls abzulegen, und wenig als den anderen etwas ausgesaget sich mit dem Kläger mitlst Christlicher worden erwisen werden können, daß er Abbitt zu verstehen, so haben also ein- Kläger der alte Paindlmayr die bei seinen gangs gedacht Ihro Hochwyrden Herrn Sohn und dermahligen Paindlmayr ge- Pfarrer in Ermanglung der behörigen weste Dienstleith aufgehezet und selbe Zwangs Mitteln von selbsten gebetten, aus dem Dienst zu gehen angelehrnet, daß von seithen hiesiger Herrschaft als noch weniger aber seines Sohnes Ehe- des Beklagten Grundobrigkeit die Klag wirthin als des Beklagten eheleiblichen aufgenohmen und ihme Paindlmayr als Tochter Freytag und Samstag von einen von seithen der Geistlichen Ob- schweinern Schmalz zu kochen angehal- rigkeit unschuldig befundenen Theill all ten habe, so ist also zu recht erkennet Rechtliche Satisfaction verschaffet, und worden, und wird gesprochen. dise ärgerliche Stritt Sach mit behörigen Ernste beygeleget werden möchte und Bschayd weillen aber auch 2do auf die bey der löblichen Herr- Herr Beklagter ist schuldig, ihme schaft Piberbach Ratione deren von dem Klägern in Beyseyn hiesiger Kanzley Kläger aus dem Paindlhof hinweg und Verwandten, und deren beygezochenen in die Mihl gebrachten Lutherischen Amtleithen als Mathiasen Forster Hof- Bücher beschehene Anklag der ganze und Andreen Strasser des Lerchischen14 Paindlhof und Mihl auf das genaueste Amts Amtmann wegen eines sowohl, durchsuchet, innhalt eines von daraus ten Sub Dato 10 Februariy 763 an /:titl:/ 14 Lerchisches Amt, ein Amt der Herrschaft Piber- Herrn Hofrichter zu Kremsminster qua bach.

52 als des anderen mitls Darreichung der Literatur (Auswahl) Hand sogleich um Verzeichung zu bit­ Erich Buchinger, Die „Landler“ in Siebenbürgen. ten, und wird anmit zu stets Haltung Vorgeschichte, Durchführung und Ergebnis einer dises obrigkeitlichen Ausspruchs ein Zwangsumsiedlung im 18. Jahrhundert. München Poenfahl pr 50 Species Thaller, welchen 1980. der übertretende Thaill seiner Obrigkeit Ludwig Keplinger. Unveröffentlichte Vorarbeiten zu zu bezahlen schuldig seyn solle, vest ge­ einem Professbuch des Stiftes Schlierbach. sezet. Michael Kurz, Die Salzburger Emigration von 1731/1732 und ihr Bezug zum Salzkammergut. In: Actum et publicatum bey der Herr­ 151. Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealver­ schafts Kanzley Pernstain die & anno ut eines, Gesellschaft für Landeskunde. Linz 2006. supra. Rudolf Leeb, Der Streit um den wahren Glauben – Reformation und Gegenreformation in Österreich. In: Geschichte des Christentums in Österreich von der Spätantike bis zur Gegenwart. Wien 2003. Quellen Elisabeth Mansfeld, Juristische Aspekte der Ket­ zerverfolgung im Erzherzogtum Österreich in der OÖLA, LGA P 133, Verhörprotokolle bei der Regierungszeit Karl VI. Dissertation. Wien 2008. Kremsmünsterischen Herrschaft Pernstein Anno 1764–1781 Leopold Temmel, Evangelisch in Oberösterreich. Werdegang und Bestand der Evangelischen Kirche. OÖLA, Archiv der Landeshauptmannschaft. Reli­ Linz 1982. gionsakten 1713–1764. Schachtel 64 Rudolf Weiß, Das Bistum Passau unter Kardinal Jo­ OÖLA, Herrschaft Piberbach, Briefprotokolle seph Dominikus von Lamberg (1723–1761) St. Ot­ Matrikeln der Pfarre Wartberg an der Krems tilien 1979.

53 Erinnerung, Mahnung, Versöhnung: die Evangelische Toleranzkirche Eferding Von Hubert Taferner

Der aufgeklärte Kaiser Josef II. hatte Kaufschilling von 600 Konventionsmünzen wohl kaum erwartet, dass nach Verkün- und Schlüßlgeld von 6 species Kaiserdukaten“ dung seines Tole ranz patentes (13. Ok- erworben. (Ende des 16. Jahrhunderts, tober 1781) im ganzen Land gut 73 000 als der „neue Glaube“ in Oberösterreich Menschen die neue Religionsfreiheit noch fast flächendeckend verbreitet war, nützen und sich als nicht katholisch bzw. soll in dem Haus der evangelische Predi- protestantisch bekennen würden. Allein ger einquartiert gewesen sein.)1 in Oberösterreich entstanden binnen Durch Abbruch einer Zwischende- Kürze neun Toleranzgemeinden mit cke und Herausbrechen einiger Mauern dem vorrangigen Ziel, möglichst schnell gewann man aus dem bereits sehr über- Gottesdiensträume zur schaffen – natür- alterten Gebäude – der Kaufbrief ist in lich unter jeweils strenger Beachtung der seiner Weitschweifigkeit ein interessan- Patentauflagen. Wenn die Baugeschichte tes Beispiel damaliger Rechtsgeschäfts- des Eferdinger Bethauses hier näher be- abwicklung – einen Kirchenraum mit leuchtet wird, so auch deshalb, weil es Nebenräumen sowie eine beschei dene sich dabei um das einzige dieser Art in Pfarrerwohnung. In den ehemaligen Oberösterreich handelt, das im Original Stallungen wurden zwei Schulzimmer erhalten ist und seine Bestimmung bis und eine Lehrerwohnung adaptiert. Be- zum heutigen Tag unverändert erfüllt. reits 1815 zeigten sich aber gravierende, Im ersten Anlauf hatte die Eferdinger durch den (leichtsinnigen) Umbau ver- Toleranzgemeinde mit ihren 729 Seelen ursachte Schäden, sodass nach einem anno 1783 eines der größten Objekte drohenden Einsturz 1826 die Behörde der Stadt, ein bis dahin von „ausge- einschritt und der Gemeinde zu einem dienten Pflegern“ bewohntes, direkt an Bethausneubau riet. der Stadtmauer gelegenes mittelalter- Schon zuvor hatten, unter Pastor liches Adelshaus mit Stallungen, Stadl Friedrich Gross, Bemühungen einge- und ausreichendem Grund „um einen ... setzt, zu diesem Zweck die damals als Magazin genutzte Spitalskirche von der Stadtgemeinde zu erwerben. Klar war jedoch, dass man laut Vorschriften des Toleranz patentes den Turm abbrechen, die gotischen Fenster verändern und, um dem Gebäude „das „kirchenähnliche

Aus dem Toleranzpatent Kaiser Josef II. vom 13. Ok- 1 Kaufbrief vom 30. April 1783; Archiv der ev. Pfarr- tober 1783. gemeinde Eferding

54 zu führen ... und „während der Dauer des Bauens von unserem Salarium von 400 Gulden den vierten Teil, wenn Gott uns nicht etwa mit schweren Krankheiten heimsucht, zum Besten des Baues zu widmen“.3 Kotschy löste das Versprechen ein; seine Abrechnung ist im Pfarrarchiv aufbewahrt.

Neubau in Rekordzeit So wurde am 25. Juli 1830, zur Zeit der Dreijahrhundertfeier der Augs- burgischen Konfession, der Beschluss zum Neubau – in unmittelbarer Nach- barschaft der katholischen Pfarrkirche – gefasst. Die nun vom Maurermeister Eder beschleunigt erstellten Pläne (ohne Turm, ohne Geläute, ohne öffentlichen Pastor Friedrich Traugott Kotschy (1818–1856). Eingang von der Straße aus) entspra- chen den Auflagen des Toleranzpa- tentes, und noch im selben Jahr erteilte Aussehen zu nehmen“, einen uneingese- das Hausruckkreisamt Wels die Baube- henen Eingang würde schaffen müssen. willigung. Da es sich nach Ansicht der Außerdem, dass für die Männersitze, Baubehörde aber um kein öffentliches wie bei evangelischen Bethäusern früher 2 Bauvorhaben handelte, mussten an zwei üblich, eine Empore einzuziehen sein klageführende Anrainer „… hinsichtlich würde. der Erhöhung des Bethhauses als Vergütung Pastor war in den Folgejahren Fried- für den Nachtheil, der daraus meinem (ihrem) rich Traugott Kotschy, vielseitig begab- Hause und Gärtchen erwachsen ist“, größere ter, aus Teschen stammender Sohn eines Entschädigungsbeträge ausbezahlt wer- Gymnasial profes sors. Von der Notwen- den.4 digkeit des Neubaues überzeugt, unter- Ein ausreichend großer Garten war brei tete er den Gemeindevertretern Teil des Pfarrer- und Lehrereinkom- seine konkreten Vorstellungen. Dem- mens, daher hatte man für die durch das nach sollte der nördliche Teil des alten Projekt entfallende Gartenfläche Ersatz Gebäudes mit der Pfarrerwohnung noch zu finden. Es war sozusagen glücklicher bestehen bleiben und das Bethaus (ca. Zufall, dass damals im Zuge des Ab- 14 x 25 m Grundfläche, 7 m Höhe) im bruches der Stadtbefestigungen (und dazugehörigen Pfarrer- und Lehrergar- ten errichtet werden. Die Kosten wurden mit 10 000 Gulden veranschlagt. Den 2 Bericht von Pastor Kotschy vom 5. 11. 1829; Ar- chiv der ev. Pfarrgemeinde Eferding Vorstehern versicherte der tatkräftige, 3 ebda. engagierte Pastor, selbst eine exakte Ein- 4 Quittung vom 16. 8. 1831, Grundanrainer Brand- und Ausgabenrechnung über den Bau ner; Archiv der ev. Pfarrgemeinde Eferding

55 leider auch der Stadttürme) gerade die schließlich nur durch die Einsatz- und alten Stadtgrabengründe verkauft wur­ Opferbereitschaft vieler. den. So konnte die Pfarrgemeinde 1831 Neben der Spendenfreudigkeit der direkt gegenüber dem Bethausbauplatz Gemeinde kam namhafte Hilfe aus dem 396 Quadratklafter (ca. 32 x 42 m) Stadt­ In- und Ausland, aus London, Paris, St. grabenareal um 123 Gulden erwerben. Petersburg und vor allem aus Deutsch­ Das Stadtmauerstück, das mitgekauft land. Eine Kollekte aller evangelischen werden musste, enthielt 19 Kubik­klafter Kir­chen in Preußen wurde von König Steinmaterial, das man später für die Friedrich Wilhelm III. noch um 100 Du­ Fundamente des Neubaus verwendete. katen aufgestockt. Großzügige Spenden ergingen auch vom ungarischen König Schon Anfang 1931 wurde mit den Ferdinand, der Erzherzogin Maria von Bauvorbereitungen begonnen. Dank Österreich und dem Grafen Harrach. günstiger Schneelage­ konnten aus der Steinwänd und den Brüchen bei Am 19. April 1831 wurde durch Aschach 330 „Fuhren Steine“ auf Schlit­ Superintendent Steller der Grundstein ten herangeschafft werden, wobei das gelegt. Pastor Kotschy verlas den „auf Material zuerst „von den Bergen zu Pferde Pergament ... geschriebenen Denkzettel, welcher herabge­schleift werden musste“. Bis Eferding hierauf nebst Beyfügung einer silbernen k. k. hatte man mit einer Fahrzeit von vier Münze vom Gepräge 1831 in eine messingerne Stunden zu rechnen. (Der Gemein­de­ mit Wachs überzogene Kapsel in die Vertiefung vorsteher Martin Brunmeyr, Müller zu des Grundsteines einlegt wurde …“.6 Im ers­ Hacking, leitete diese Aktion.)5 Die Bau­ ten Jahr arbeitete man so zügig, dass das ern erklärten sich bereit, den Großteil Haus über den Seitenwänden sowie der der Fuhren und der Handlangerdienste östlichen Giebelmauer bereits mit No­ für den Neubau unentgeltlich zu leisten. vember 1831 teilweise eingedeckt war Der Mayr zu Taubenbrunn spendete den und dann sofort Gottes­dienste abgehal­ gesamten Sand und übernahm selbst die ten werden konnten. Fuhren. Auch die Namen anderer be­ Mitten in die Hauptbauphase fiel sonderer Helfer sind bekannt. noch einmal der Schatten der Toleranz­ zeit. Vom katholischen Stadtpfarramt Die Fundamentgräben wurden bis und dem bischöflichen Konsistorium zu 1,5 m Tiefe in schwerster Handarbeit wurde beim Kreisbauamt Beschwerde ausgehoben, 175 000 Mauerziegel von geführt, dass das Gebäude ein kirchen­ den Bauern selbst geschlagen, im Feld­ ähnliches Aussehen hätte, in seiner Form brand gebrannt und zu einem günstigen von den anderen Bethäusern in der Preis zur Verfügung gestellt, wobei man Provinz gänzlich abweiche und die Ein­ sich zuerst auf ein einheitliches Format gangstüre an der Ostseite von der Kir­ einigen musste. 1 987 Metzen Kalk wur­ chengasse einsehbar wäre. Zudem lasse den gelöscht und große Mengen an Bau­ holz von den Waldbesitzern­ gespendet. 5 Tagebuch zum Bethausbau von Pastor Kotschy; Vom Umfang her überstieg das Pro­ Archiv der ev. Pfarrgemeinde Eferding jekt eigentlich die Kapazität der kleinen 6 Bericht zur Grundsteinlegung, April 1831; Gemeinde; vollbracht werden konnte es Eurich’sche Buchdruckerei Linz

56 „… die Orgel vereint mit dem Gesang Störung, Gulden konnten eingehalten werden – Anstoß und Unruhe in der (katholischen) und der bescheidenen planerischen Er­ Pfarrkirche besorgen“. Das objektive Kreis­ fahrung des Maurermeisters. Trotzdem amt in Wels entschied allerdings am 8. erregte das Bauwerk schon während Juni 1832, dass die Pläne kein kirchenähn­ der Entstehung Aufsehen, insbesondere liches Ansehen und „... keinen toleranzwid- durch seine eindrucksvollere Dimension rigen Bau beurkunden“, halbrunde Fenster – im Vergleich mit allen anderen bis da­ auch bei Privathäusern üblich seien und hin bekannten Toleranzbethäusern. es keine Verordnung über die Höhe von Um das Fehlen der üblichen hohen Bethäusern gäbe. Die Türe an der Ost­ Kirchenfenster auszugleichen, wurde seite wäre durch eine 7 Schuh (ca. 2 m) eine dreigeschossige Fassade vorge­ hohe Planke zu verdecken. Sollte sich täuscht, der man durch einfache Gliede­ herausstellen, dass die Orgel tatsächlich rung und die oberen Rundbogenfenster molestiere, so wäre „ihre Entfernung und eine zumindest annähernd festliche Op­ die Beschränkung auf ein Positiv unerlässlich, tik verlieh. Die ebenerdigen Fenster sind da der Gottesdienst der herrschenden Religion durch geschmiedete Fenstergitter im Bie­ durch die Kirchenmusik der gedulde­ten Religi- dermeierstil gesichert und geziert. We­ onsgenossen nicht gestört werden darf“.7 Später gen der seinerzeit noch hohen Glaspreise wurden für die Nordseite Doppelfenster wurden die Scheiben durch Bleisprossen vorgeschrieben, um doch den Verbleib geteilt. Über reich profilierten Gesimsen einer normalen Orgel zu ermöglichen. der Umfassungsmauern erhebt sich das Zur feierlichen Einweihung des Bet­ hohe Satteldach, getragen­ von einem hauses am 20. Oktober 1833 (gemessen fürs 19. Jahrhundert sehr modern anmu­ an der damaligen, fast nur händisch um­ tenden liegenden, die ganze Hausbreite setzbaren Bautechnik war die Fertigstel­ überspannenden Pfettendachstuhl. Die lungszeit von kaum drei Jahren eine er­ Giebelfronten im Osten und Westen staunlich kurze!) erschien im Verlag des zeigen eine schlichte Fassadengestaltung Buchdruckers Eurich in Linz eine wür­ mit profilierten Quer- und Ortgang­ dige Festschrift. gesimsen. Beachtenswert sind an den Kircheneingangstüren die biedermeier­ zeit­­lichen Messingbeschläge mit dem Architektur und Innengestaltung Lebensbrunnenmotiv. Innen zeigt sich die Kirche als ho­ Mit heutigen Augen betrachtet, äh­ her, von Licht durchfluteter Raum. Die nelt das einzige in Oberösterreich noch Wände schließen oben mit einem um­ im ursprünglichen Zustand erhaltene laufenden, reich profilierten Gesims ab. Bethaus eher einem Zehentspeicher der Von dort ansetzend, tragen sechs Gurt­ Donauregion oder einem merkantilen bögen das flache Tonnengewölbe, in das Zweckbau der Zeit. Die einfache äußere über den Rundbogenfenstern jeweils die Form ergab sich vor allem aus den ein­ Stichkappen einschneiden.­ Die Kanten schränkenden Auflagen des Toleranz­ der Gurtbögen und Stichkappen sind mit patentes, wohl aber auch aus dem Zwang zu extremer Sparsamkeit – die 7 Aus der Festschrift „200 Jahre Pfarrgemeinde Efer­ veranschlagten Baukosten von 10 000 ding“; Pfarrer Hans Wassermann

57 Die Toleranzkirche 1850 mit bereits gestattetem Zugang von der Straße aus. Links der Turm der katholischen Pfarrkirche.

Stuckbändern verziert. Die den Raum der Werkstatt des Tischlermeisters Mül- überspannende Deckenkonstruktion ist ler aus Linz, mit einer Vergoldung vom jedoch nur ein Scheingewölbe, gebildet Linzer „bürgerlichen und academischen Maler von einem vom Dachstuhl unabhängi- und Vergolder Ferdinand Scheck“, konnte um gen Holztragwerk mit Untersichtscha- rund 160 Gulden angeschafft werden. lung und Stuckatur. An der Ostseite des Der große spätklassizistische in Weiß Kircheninneren konnte man durch bei- und Gold gehaltene Altar folgte erst eine derseitiges Einfügen von Nebenräumen Gene ration später, im Jahr 1866. Ober- für Sakristei, Presbyterium und Orato- halb eines mehr als 2,5 m hohen Un- rien einen von außen nicht auffallenden terbaus mit Mensa und zwei seitlichen Altarraum schaffen. Da der neue Altar Türen für den Chorumgang erhebt sich aus Kostengründen noch nicht in Auf- über korinthischen Säulen und Pilastern trag gegeben war, „... wurden die Wände mit gut gearbeiteten, vergoldeten Ka- um Altar und Kanzel coloriert und die ganze pitellen ein rechtwinkelig gebrochenes Altarmauer in einer würdevoll ausgeführten Gebälk mit reich profiliertem Kranz- architek tonischen Dekoration geziert“.8 An der gesims. Zentral situiert ist das vorer- Stirnwand hing das vom Schlossgärt- wähnte Altarbild der Kreuzabnahme ner Krüger aus Aschach gestiftete Bild der Kreuzabnahme Christi, das jetzt in 8 Festschrift zur Kircheneinweihung am 20. 10. den Altar eingefügt ist. Die Kanzel aus 1833; Buchdruckerei Eurich Linz

58 Der spätklassizistische, in Weiß und Gold gehaltene Altar aus dem Jahr 1866.

59 Die neue Orgel aus der Werkstätte Felsberg/Schweiz, eingeweiht am Reformationstag 1999. Foto: Evangelisches Pfarramt Eferding

60 mit bemerkenswertem Rahmen aus der schönes, mit Balustern gestaltetes mar- Zeit. Darübergesetzt im vergoldeten moriertes Speisgitter begrenzt. Strahlenkranz das Auge Gottes mit dem In der Betrachtung des gesamten Kreuz. Raumes wirkt die einseitige Empore, Die flankierenden betenden Engel die zusammen mit der rück wärtigen stammen vom Altar der Linzer Martin- früher die Männersitze aufnahm, etwas Luther-Kirche, der sicher vom selben störend. Der Blick möglichst aller Kir- Meister geschaffen wurde, dessen Name chenbesucher zur Kanzel war dem Pas- aber noch nicht eruiert werden konnte. tor wohl wichtiger als eine symmetrische Der Altarbereich – von den 846 Gulden Raumgestaltung. Für unsere Generation Gesamtkosten entfielen fast zwei Drittel ergab sich daraus der Vorteil, problem- auf das Lackieren und Vergolden, ausge- los eine neue Orgel aufstellen zu kön- führt von Meister Scheck – ist durch ein nen.

Das Bethaus in einer Ansicht vor der Jahrtausendwende. Das Dachtürmchen wurde bei der jüngsten Ein- deckung (2002) abgetragen. Foto: Evangelisches Pfarramt Eferding

61 Nach dem Revolutionsjahr 1848 ander stehen, ist auch das ökumenische­ wurden die Vorschriften des Toleranz­ Verhältnis beider Konfessionen mittler­ patentes bedeutend gelockert. Durch weile vielfach geworden. Der Rückblick die Mauer im westseitigen Vorfeld hin­ in die Toleranzzeit sollte uns jedoch wei­ durch schuf man einen direkten Zugang terhin Mahnung sein, Andersgläubigen zum Gotteshaus, wozu der katholische mit Respekt, Würde und dem gebote­ Stadtpfarrer als Geste der Versöhnung nen Verständnis zu begegnen. die stei­ner­nen Pinienzapfen für die zwei Torpfeiler spendete. Dem Augsburger Wappen entnommen, symbolisieren sie den Bezug zum Augsburgischen Be­ kenntnis. Literatur/Unterlagen Zu einem Turmanbau, wie er bei Grete Mecensefy, Geschichte des Protestantismus sämtlichen anderen Toleranzkirchen in Österreich Oberösterreichs nach Erlass des Pro­ Toleranzpatent vom 13. 10. 1783, Druck aus der Zeit testantenpatentes (1861) vorgenommen Baurechnung des ev. Bethauses in Eferding 1831 bis wurde, kam es in Eferding nicht, vermut­ 1833, Pastor Friedrich Kotschy lich v. a. deshalb, weil die Westfront zu Franzisceischer Kataster, Urmappe 1825, Oö. Lan­ knapp an der Straße liegt. Gerade das desarchiv aber macht heute den besonderen his­ Stadtansicht Merian torischen Wert des alten Bethauses aus. Anonyme Handzeichnung, ca. 1835 So eng und so nahe, wie in Eferding Ansicht Peuerbachertor, Wirthumer die zwei christlichen Kirchen nebenein­ Roland Forster, Dissertation 2004

62 F. X. Huber: Historiker, Publizist und Zeitzeuge aus dem Innviertel Von Franz Daxecker

Wenngleich sein Vermächtnis als heraus.3 Später übersiedelte Huber nach Autor aus literarischer Sicht eher se- Wien, wo er um 1810 verstarb.4 kundäre Bedeutung einnimmt, zählen die Publikationen Franz Xaver Hubers 1 Taufbuch Munderfing 1655, keine Bandnumme- rierung: Die 21.mo Novembris. Franciscus Xave- (1755 bis ca. 1810) über Ereignisse und rius, [filius] Joannis Hueber, rustici huius loci & Persönlichkeiten der näheren wie fer- Magd.[alena] uxoris huius loci, tenente Josepho neren Vergangenheit im Land bzw. im Windsperger, rustico eiusdem loci. – Als Ge- Umkreis der Monarchie zum registrie- burtsjahr wird in Biografien auch 1760 angegeben, renswerten Bestand zeit-, kultur- und unter diesem Jahr ist jedoch keine Geburt eines Franz Xaver Hueber vermerkt. – Im Friedburger geistesgeschichtlicher Lektüre. Einen Urbar (Oberösterreichisches Landesarchiv, Mu- der Schwerpunkte in den Schriften des sealarchiv, Hs. 79, ca. 1580), p. 1012, findet sich Oberösterreichers bilden Arbeiten und folgende Eintragung: Hanns Hueber, besizt das Stö- Kommentare zum Thema „Gegenrefor- gerguat zu Munterfing, welches ain Viertl ackhers ist, gibt Vorsthabern dar ab 1 mezn Fridburg macht Lantshueter mation“, welche den damaligen Kurs mass. Es ist dies ev. das in den letzten Jahrzehnten und die Zielsetzung der römisch-katho- des 20. Jh. abgetragene Bindersteghaus im Unter- lischen Kirche linientreu wiedergeben. dorf, Hausnummer 69 (Forsthaus), erwähnt in: Aber auch über die beiden Salzburger Karl Fannenböck, Munderfing – ein Heimatbuch, Widmungsträger Mozart’scher Meister- Munderfing 1978, S. 202. 2 Franc. Xav. Munderfinganus Austr[iacus]. Theol., in: werke, die Großkaufleute Haffner, hat Redlich, Virgil OSB (Hg.), Die Matrikel Univer- der aus bäuerlichen Verhältnissen stam- sität Salzburg 1639–1810. Pustet, Salzburg 1933, mende Innviertler, neben etlichem ande- Bd. I, Text der Matrikel, S. 650. rem, Interessantes zu Papier gebracht. 3 Meusel, Johann Georg, Georg Christoph Ham- berger, Das Gelehrte Teutschland … Meyer, F. X. Huber wurde am 21. Novem- Lemgo 1797, 5. Auflage, Bd. 3, S. 435 f.; 1805, ber 1755 als Sohn des Landwirts Johann Bd. 11, S. 378; 1821, Bd. 18, S. 221; 1831, Bd. 22, S. Huber und dessen Gattin Magdalena in 857 – Wurzbach, Constantin v., Biographisches Le- Munderfing geboren, Taufpate war ein xikon des Kaiserthums Oesterreich. Wien, Verlag 1 der k. k. Hof- u. Staatsdruckerei, 1863, Bd. 9, S. 374 gewisser Joseph Windsperger. Franz f. – Goedeke, Karl, Grundriss zur deutschen Dich- Xaver absolvierte 1771 das Benediktiner- tung. Ehlermann, Dresden 1903, Bd. 5/2, S. 447. Gymnasium im Stift Kremsmünster, kam – Krackowizer, Ferdinand, Franz Berger, Biogra- 1781 nach Salzburg und unterrichtete die phisches Lexikon des Landes ob der Enns. Pas- Zöglinge des dortigen Collegium Ru- sau, Linz 1931, S. 133 f.; Braunauer Heimatkunde. Braunau 1951, 3. Heft, S. 64 f.; Frels, Wilhelm, pertinum. Am 20. Dezember desselben Deutsche Dichterhandschriften von 1400 bis 1900. Jahres immatrikulierte er an der Theo- Neudruck Stuttgart 1970, S. 142. – Kosch, Wilhelm logischen Fakultät der Salzburger Uni- (Begr.), Deutsches Literatur-Lexikon. Francke, versität.2 1790 ging er nach Passau und Bern und München 1981, 3. Aufl., Bd. 8, S. 182. 4 Wienbibliothek im Rathaus, Portheim-Katalog gab den „Kurier an der Donau“, ab 1799 das (MA 9). – Für das Todesjahr werden in der Lite- „Wochenblatt für den Bürger und Landmann“ ratur 1809, 1810 und 1814 angegeben. Im Wie-

63 Wegen der Namensgleichheit wer­ Wien, wo das Kirchenoberhaupt den den ihm gelegentlich Werke des böh­ Kaiser im Zusammenhang mit Maßnah­ mischen Schriftstellers und Librettisten men zur Gegenreformation besuchte. F. X. Huber (* 1755 in Beneschau) zuge­ Die „Aktenmäßige Geschichte der schrieben.5 Tatsächlich lassen sich nicht berühmten Salzburger Emigration …“ alle Publikationen dieser beiden Zeitge­ behandelt das Emigrationsedikt des nossen jeweils zweifelsfrei zuordnen. Fürst­erzbischofs Leopold Anton von Firmian aus dem Jahr 1731, worin die Publikationen Ausweisung der Salzburger Protestan­ ten verfügt worden war. König Fried­ Der Feder des Innviertlers Franz Xa­ rich Wilhelm I. von Preußen siedelte ver Huber entstammen, in chronologi­ Vertriebene in seinen Ostprovinzen an. scher Reihenfolge angeführt, die Titel: In dieser Übersetzung des Buches von „Rüdiger von Starhemberg oder die Belage- Giovanni Battista de Caspari – welcher rung Wiens. Ein episches Gedicht in 3 Gesän- die Vertreibung zu Salzburg aus eige­ gen“, Salzburg 1783. nem Ansehen miterlebt hatte – wird „Zwey Gedichte auf den Tod König Fried- der seinerzeitige Kirchenstandpunkt de­ rich II. von Preußen“, Salzburg 1786. ckungsgleich vertreten. „Zum Andenken des seligen Menschen- Es sollten gut 230 Jahre verstreichen, freundes Sigmund Haf[f]ner, Edlen von Inn- ehe das Faktum der Ausweisung von ei­ bachhausen“, Salzburg 1787. nem hochrangigen Repräsentanten der „Frater Feliciens merkwürdige Reise zu röm.-kath. Kirche erstmals offiziell und Kaiser Karl im Untersberg nächst Salzburg“, explizit bedauert wurde, nämlich 1966 Salzburg 1787. durch den Salzburger Erzbischof And­ „Aktenmäßige Geschichte der berühmten reas Rohracher († 1976). salzburgischen Emigration“, Salzburg 1790. In der Biografie „Zum Andenken des „Übersetzung des lateinischen Manuskrip- seligen Menschenfreundes Sigmund tes des Giovanni Battista de Caspari“. Haf[f]ner“ widmet sich F. X. Huber der „Geschichte Josephs II., römischen Kaisers, Vita des Salzburger Handelsherrn, Bür­ Königs von Hungarn und Böheim etc.“, Wien germeisters und Mäzens Sigmund Haff­ 1790. ner d. Ä. (1699–1777), für den Wolfgang In der Arbeit „Geschichte Josephs II., Amadeus Mozart 1776 die Haffner-Sere­ römischen Kaisers …“ werden der nach nade, KV 250, komponierte, sowie v. a. dem Bayerischen Erbfolgekrieg ge­ dessen Sohn Sigmund Haffner d. J., dem schlossene Friede von Teschen vom Mai Großkaufmann, Wohltäter und späteren 1779 sowie die Böhmenreise Josephs II. Reichsritter von Innbachhausen. Diesem 1770 eingehend beleuchtet. Den Abste­ mit ihm befreundeten Humanisten hatte cher des Kaisers nach dem Innviertel, unternommen im Oktober 1770, er­ ner Totenbeschauprotokoll für diese Jahre ist ein wähnt Huber nicht. Ausführlich befasst Franz Xaver Huber nicht verzeichnet (MA 8). er sich jedoch mit dem Toleranzpatent, 5 So z. B. in „Österreichisches Musiklexikon on­ der Schließung von Gotteshäusern und line“: * 21. 11. 1760 in Munderfing, † 1809 in Wien (Librettist). Der Munderfinger F. X. Huber schrieb der Aufhebung von Klöstern, ebenso im Gegensatz zu seinem Namensvetter keine Li­ mit der Reise Papst Pius’ VI. 1782 nach bretti!

64 Abb. 1: „Geschichte Josephs II. …“, Wien 1790. Titelblatt.

65 Abb. 2: „Aktenmäßige Geschichte der berühmten salzburgischen Emigration …“, Salzburg 1790.

66 Mozart zur Erhebung in den Adelsstand Bibliotheken der USA. Zu finden sind dann die Haffner-Sinfonie, 1782, KV die Digitalisierungen im Internet auf 385, zugeeignet. (Die Sigmund-Haffner- Google unter den Stichworten „Franz Gasse in Salzburg führt vom Kranzl- Xaver Huber“ bzw. „Bücher“. markt und Rathausplatz zur Franziska- nerkirche.) Der Dank des Verfassers gilt Dr. Jo- Tipp für Schmökerwillige: Die beiden sef Pollhammer, Pfarrer von Munder- Titel „Geschichte Josephs II., römischen fing, Braunaus Bürgermeister Gerhard Kaisers …“ und „Aktenmäßige Ge- Skiba sowie den Wiener Magistratsab- schichte der berühmten salzburgischen teilungen 8 und 9 für Informationen, Emigration …“ wurden mittlerweile di- Hinweise und die Vermittlung des Zu- gitalisiert, und zwar aus Beständen von gangs zu Dokumenten.

67 Goldhauben – Zlatare Traditionelle Kopfbedeckungen aus Slawonien und Oberösterreich Von Thekla Weissengruber1

Die Geschichte der goldbestickten nur in der Herstellungstechnik, sondern Kopfbedeckungen ist bei näherer Be- ebenso in der Anwendung interessante trachtung wesentlich jünger als es den „grenzüberschreitende“ Vergleiche zu- Anschein macht. Regionalspezifische lassen. Hier sollen erstmals die Kopfbe- Trachten mit prächtigen und auffallen- deckungen Ostkroatiens und Oberös- den Verzierungen waren erst nach dem terreichs gegenübergestellt werden. Ende der obrigkeitlichen Beschränkun- gen und Eingrenzungen möglich. Vor- Goldbesticktes im her war „Gold“ auf Kleidungsstücken „grenzüberschreitenden“ Vergleich nur den gehobenen Schichten vorbe- halten. Mit der neuerlangten Freiheit In jeder Region Europas entwickelte in den Jahren der Aufklärung während sich zeitgleich mit dem Verschwinden und nach der Französischen Revolution obrigkeitlicher Beschränkungen eine setzte streng genommen aber auch das einzigartige Hut- und Haubenkultur. Un- Ende der Trachten ein. Im Nachahmen zählige Variationsmöglichkeiten erga- städtischer und modischer Ideale konn- ben sich nicht nur aus der Zweckgebun- ten ständische und regionalspezifische denheit der Kleidung, der Anpassung an Kleidungsstücke letztlich nicht bestehen. Jahreszeiten und Tageszeiten, sondern Die Epoche der tatsächlichen Trachten auch im Ausdruck regionaler Identität.2 erstreckt sich in Mitteleuropa lediglich Im Großen und Ganzen lassen sich die auf 60 bis 80 Jahre – gemeint sind die Haubentypen von der klassischen Bo- Jahre von ca. 1770/1790 bis ca. 1850. Alle denhaube ableiten, die aus einem „Bo- späteren „Trachten“ sind letztendlich das den“, einem Kopfteil, einem Spitzenrand Ergebnis von gelenkten Trachtenerhal- tungsmaßnahmen oder Modeerschei- nungen. 1 Die Autorin dankt Mag. Mladen Nenadic ganz In anderen Regionen Europas, so herzlich für die unzähligen Hilfestellungen. Ein wie zum Beispiel in Kroatien, hing eine herzlicher Dank ergeht auch an Dr. Janja Juzbašić eigenständige und prächtige Entwick- für die Bereitstellung ihrer Fachartikel, die von lung am Kleidungssektor zusätzlich von Mag. Nenadic dankenswerterweise übersetzt wurden. Nationalisierungs- und Abgrenzungs- 2 Weissengruber, Thekla: Kleine Kulturgeschichte tendenzen ab. der Kopfbedeckungen. In: Alte Hüte. Kopfbede- Kaum bekannt ist in unseren Breiten, ckungen von anno dazumal: Kopftücher, Hauben & Hüte. Herausgegeben von Gexi Tostmann. Mit dass u. a. auch in besagten anderen Tei- Texten von Marlen Tostmann, Thekla Weissen- len Europas Goldhauben- bzw. Gold- gruber, Franz C. Lipp, Gexi Tostmann. Wien 2009. stickerei-Regionen bestehen, die nicht S. 13–20.

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Goldstickereidetail aus Oberösterreich, ca. 1800. Foto: OÖ. Landesmuseen, A. Bruckböck rund um das Gesicht und einer Schleife in der pannonischen Tiefebene galt Sla- besteht. Einzelne Bestandteile haben sich wonien stets als reiche Region. In seiner im Laufe der Zeit verändert, was sich Geschichte wurde das „windische Land“ meist in der Vergrößerung oder Verklei- an der Grenze zum osmanischen Reich nerung eines Bestandteiles äußerte.3 Ge- ethnisch zwar stark durchmischt, aber rade der „Boden“ dieser Hauben wurde immer als eigenständige Region neben bevorzugt in reicher Goldstickerei ver- Dalmatien und Kroatien betrachtet. ziert, und der Spitzenrand bestand oft Auch im habsburgischen Vielvölkerstaat aus einer Gold- oder Silberspitze. Nach wurde Slawonien als östliche Region mit Ende der Einschränkungen, mit Ende der dem Status eines Königreiches geführt. Kleiderordnungen, war dies für jeden 1849 wurden sowohl Kroatien als auch erlaubt. Reichtum, Macht und Einfluss Slawonien der ungarischen Reichshälfte fanden in immer prächtigeren Kopfbe- zugeordnet. Diese Region ist heute Teil deckungen Widerhall. des Staates Kroatien. Slawonien ist eine historische Re- gion im Osten Kroatiens zwischen der Drau an der Grenze zu Ungarn, der 3 Save an der Grenze zu Bosnien-Herze- Lipp, Franz C.: Goldhaube und Kopftuch. Zur Geschichte und Volkskunde der österreichischen, gowina und der Donau an der Grenze vornehmlich Linzer Goldhauben und oberöster- zu Serbien. Als Kornkammer Kroatiens reichischen Kopftücher. Linz 1980. S. 21–30.

69 Zlatare – Goldhaubenausstattung aus Slawonien. Foto: OÖ. Landesmuseen, E. Grilnberger

70 Slawonien war demnach historisch ein wichtiges Kennzeichen der traditio­ starken Einflüssen von außen ausgesetzt, nellen textilen Volkskultur. Diese reich was sich auch in der Kultur niedergeschla­ ausgestatteten Trachten waren den gen hat. Beharrlich waren die Slawonen höchsten Festtagen und die Goldhauben bemüht, die eigenen Traditionsgüter in nur den verheirateten Frauen vorbehal­ ihrer Vielfältigkeit zu erhalten. Bis heute ten. Das Ansehen einer Familie verband wird an der traditionellen Kultur in einer sich mit der Pracht der Goldstickerei auf revitalisierten und rekonstruierten Form der Tracht. Der Zierrat der festlichsten festgehalten. Das Besondere der Hau­ Trachten bestand meist aus waag- oder ben aus Slawonien ist die Art und Weise senkrecht eingewebten Goldstreifen der Formung der Kopfbedeckung. Im oder in Borten und Bändern, angebracht Grunde ist es eine Zwischenform von im oberen und unteren Teil der Frau­ Kopftuch und Haube, da zunächst ein entracht. Dabei werden die weißen Lei­ Tuch mit Goldstickerei bestickt wird, nentrachten in dichte Falten gelegt, so­ das dann so um den Kopf gelegt wird, dass der goldschimmernde Teil auf der dass es sich zu einer Haube formt. Dieses Oberseite erscheint. Meist ergänzt ein Haubentuch wird bei jedem Tragen neu reich besticktes Dreieckstuch mit mittig geformt. Eine komplizierte mehrteilige platziertem Motiv oder stilisiertem Blu­ Unterkonstruktion hat in den verschie­ menzweig die Frauentracht. Die Ränder denen Regionen zu unterschiedlichsten der Schürzen werden oft am Rand und Ausformungen geführt. Zu erwähnen zusätzlich mit streumusterartig verteil­ ist insbesondere die Kopfbedeckung aus ten Blumenmotiven verziert. Sowohl Ilok (Srijem), die sich durch einen vier­ Damen- als auch Herrenfesttagstrachten eckigen Zusatzteil im hinteren Kopfbe­ wurden in Slawonien mit Goldstickerei reich auszeichnet. Dieser Schmuckteil geschmückt. Bei den Herrentrachten wird aus Karton hergestellt, mit Seide werden bis heute ein reich mit Gold­ überzogen und mit Goldgarn verziert. stickerei verzierter Latz im vorderen Goldbestickte Schuhe und Armbänder Hemdbereich und auch die Hosenab­ ergänzen eine komplette Trachtenaus­ schlüsse und Seitennähte der meist wei­ stattung. Im Gegensatz zu den Linzer ßen Leinentrachten verziert. Hauben, die zumeist auf Goldwebe ge­ Historisch kann man die Goldsticke­ stickt werden, wird diese Stickerei auf ei­ rei in Kroatien seit der Mitte des 19. Jahr­ nem kontrastierenden Stoff angebracht. hunderts nachweisen. Durch den wirt­ Dadurch ergibt sich ein wesentlich brei­ schaftlichen Aufschwung in der zweiten terer Variationsreichtum. Hälfte des 19. Jahrhunderts hat sich die Goldstickerei besonders in Slawonien, Der Ausdruck „Zlatare“ bezeichnet Baranja und Srijem, schwerpunktmäßig ganz allgemein die Goldhaubenausstat­ in Slavonski Brod, Dakovo, Vinkovci, tung an sich. Selbst die Art und Weise Vukovar, Ilok, Osijek und Valpovo, bis der Goldstickerei auf anderen Trach­ heute halten können. Wurden in den tenstücken wird „Zlatare“ genannt. Ne­ Anfangsjahren zunächst Streumuster ben einer reichen Spitzenkultur gilt die in geometrischer oder vegetabiler Form Goldstickerei in Slawonien – also ei­ in Flachstickerei gearbeitet, so änderte gentlich die Technik der „Zlatare“ – als sich dies zu Ende des 19. Jahrhunderts

71 zugunsten einer dichteren und auch re­ rinnen zum gemeinsamen Sticken. Jähr­ liefartigen Oberflächenstickerei mithilfe liche Ausstellungen in verschiedensten von zugeschnittenen Kartonstückchen. Regionen Slawoniens zeugen von einer Zudem wurden jetzt auch Pailletten, lebendigen Volkskultur. Bouillon und Stiftchen als Zierelemente Die Linzer Goldhaube als reichste eingesetzt. Demgemäß werden auch Ausprägung der überlieferten Kopf­ zwei Typen unterschieden, die „gusta“ bedeckungen in Oberösterreich wird und die „ritka Zlatara“, was mit unseren schon Ende des 18. Jahrhunderts von weichen und starren Hauben gleich­ Reiseschriftstellern gepriesen. Sie gilt zusetzen ist. Gestickt wird bis heute in als Sinnbild Oberösterreichs schlechthin zwei Farben: Gelb- und Weißgold auf und entwickelte sich aus den Bodenhau­ echten Seidenfäden oder auf Kupferme­ ben. Mit zunehmend breiter werdender talldraht. In Slawonien haben sich zwei Goldspitze musste der Spitzenschirm verschiedene Techniken überliefert. immer mehr mit einem Drahtgerüst ge­ Zunächst wurde die Goldstickerei in stützt werden. Infolge der Verdichtung Flachstickereitechnik („naskroz“) herge­ des Schirmes durch reiche Pailletten-, stellt. Die Motive werden auf den Stoff Goldfaden- und Perlenstickereien über­ übertragen und mit Goldfaden beidsei­ nahm dieser die Funktion des Kopftei­ tig durchgestickt. Später entwickelte sich les. Erst nach 1810 wurden die Flügel des die Goldstickerei über Unterlage, meist Schirms zusammengenäht, mit einer über Karton in Sprengtechnik.4 Hierzu schwarzen Florspitzenmasche besetzt werden verschiedene Formen aus Karton und vom Böndel zusammengehalten. ausgeschnitten, auf Stoff appliziert und Hergestellt wurden diese Hauben von anschließend mit Goldgarn bedeckt. Die Kunsthandwerkerinnen. Ab den 1960er- floralen Motive wie Rose, Eichel, Blatt, Jahren wurden vom Volksbildungswerk Ranke und Zweig werden aber auch von „nationalen“ Symbolen, etwa dem kro­ 4 Šabić, Vlasta: Ruho = Clothes. Muzej Slavonije atischen Würfelmuster aus der Fahne, Osijek. Hrvatska-Croatia. Osijek 2002. – Juzbašić, bzw. mit Wappenmotiven ergänzt. Für Janja: Zlatovez na području istočne Hrvatske. diese Stickereiarbeiten verwendet man Zavičajni Muzej „Stjepan Gruber“ Županja. bis heute einen Holzrahmen, den „der­ Izložba 31. siječnja – 1. ožujka Zupanja 2008. – def“, auf welchen der Seidenstoff oder Gligorevic, Ljubica: Vodic / Guidebook. Stalnog Postava etnologija Vinkovaca i okolice. Perma­ andere Stoffe eingespannt werden. Die nent Collection Ethnology of Vinkovci and its Technik des eingewebten Fadens wird surroundings. 2. Aufl. Gradski Muzej Vinkovci / „ubjeranje zlatom“ genannt und eher für Municipal Museum of Vinkovci. Vinkovci 2004. die Kleidungsstücke verwendet.5 114–125; vgl. auch: Schubert, Gabriella: Kleidung als Zeichen. Kopfbedeckungen im Donau-Bal­ Nach wie vor wird die Goldstickerei kan-Raum. Berlin 1993. – Ivankovic, Ivica: Hrvat­ in Slawonien und Srijem sehr gepflegt ske narodne nosnje = Croatian national costumes. und gefördert und an verschiedensten Zagreb 2000. Kunstgewerbeschulen unterrichtet. Bis 5 Ausführlich zur Technik: Juzbašić, Janja: Zlatovez zur Mitte des 20. Jahrhunderts war es na području istočne Hrvatske. Zavičajni Muzej „Stjepan Gruber“ Županja. Izložba 31. siječnja üblich, dass die Großmutter die Technik – 1. ožujka Zupanja 2008. – sowie: Zlatovez na an die Enkelin weitergegeben hat. Auch području istočne Hrvatske. (Aufsatz von Janja heute noch treffen sich die Goldsticke­ Juzbašić).

72 Goldstickereidetail aus Slawonien. Foto: Museum Zupanja

Klassische Linzer Goldhaube, ca. 1830. Foto: OÖ. Landesmuseen, A. Bruckböck

73 Stickkurse zum Nachsticken dieser rei­ Verzierung kirchlicher und weltlicher chen Goldhauben in adaptierter Form Prunkgewänder, aber auch von beson­ für die Gegenwart angeboten. Gehörten deren Gebrauchsgegenständen (Fahnen, die Linzer Hauben einst ausschließlich Wappen, Inschriften) und Trachten. Sie in den städtischen Bereich, wurden sie erfordert allein in der Technik des Sti­ lange nur von den Damen der gehobe­ ckens mit Gold umsponnener Fäden nen bürgerlichen Gesellschaft getragen, und jeder Art von Metallstückchen und so haben sie sich seit dem letzten Viertel Metallfäden höchste technische Perfek­ des 20. Jahrhunderts auch auf dem Land tion und Übung. Hergestellt wurden etablieren können. Der Vergleich mit die kostbaren Stücke zunächst in Frau­ den Kopfbedeckungen aus Slawonien enklöstern oder von adeligen Damen verdeutlicht, dass in Oberösterreich ver­ und Bürgersfrauen. Einen ersten Hö­ mehrt mit Pailletten und anderen Me­ hepunkt erreichte die Goldstickerei im tallplättchen und nicht in Sprengtech­ 15. Jahrhundert. Unentbehrlich wurde nik gestickt wird. Gerne wird auch eine im 17. und 18. Jahrhundert die prächtige Goldspitze eingesetzt oder mit Perlen Ausstattung an den Gewändern bei Hof. eine Stickerei ergänzt. Noch Ende des 19. Jahrhunderts wurde Neben den klassischen Linzer Hau­ für die Ausbildung einer Goldstickerin ben gab es in Oberösterreich, besonders eine Lehrzeit von fünf bis neun Jahren im Innviertel, sogenannte Riegelhauben. veranlagt.6 Putzmacherinnen und Hau­ Sie müssen zu den verkleinerten Boden­ benmacherinnen als gewerbsmäßig spe­ hauben gezählt werden, da sie ohne Spit­ zialisierte Handwerkerinnen waren im zenvorstoß nur mehr den Haubenboden 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitet. mit versteifter Schleife darstellen. Auch Mit Ende der Kleiderordnungen ab ca. sie sind in Goldstickereitechnik bestickt, 1750 wurden nun auch der Goldbesatz, erfreuten sich zeitweilig großer Beliebt­ Stickerei und Spitze für bürgerliche und heit und fanden über verschiedene Ver­ sogar bäuerliche Kreise möglich, wenn­ triebswege weite Verbreitung. Seit eini­ gleich bis heute eine Goldhaube Zeichen gen Jahren gibt es für junge Mädchen in einer wohlhabenden Städterin geblieben einer einfachen Form adaptierte einfache ist. Die Verbreitung auf ländliche Regio­ Goldhauben, die in ihrer Form wieder an nen ist zumindest in Oberösterreich das die Bodenhauben anschließen. Ergebnis einer umfassenden Förderung in den 1970er-Jahren. Weite Verbreitung fand die Technik Zur Pflege und Förderung der der Goldstickerei auch durch die staat­ Goldstickerei

Verbindendes Element der Kopfbe­ 6 Donner, Mizi; Schnebel, Carl: Handarbeiten wie deckungen aus Slawonien und Ober­ zu Großmutters Zeiten. Augsburg 1996. Faksimile österreich ist die Sticktechnik. Hier von „Ich kann handarbeiten“. Illustriertes Haus­ ist der Einfluss des ehemaligen k. u. k. buch für die Techniken der weiblichen Handar­ beit, herausgegeben von Mizi Donner und Carl Kaiserreiches offensichtlich. In allen Schnebel. Berlin 1913. – Encyklopaedie der weib­ Kulturen und Jahrhunderten galt die lichen Handarbeiten von Therese de Dillmont. Goldstickerei als wertvollste Art der Dornach 1893. Reprint Leipzig o. J.

74 liche Förderung der „k. & k. Fachschule lich wichtig waren aber die Stickereien für Kunststickerei“, die 1874 in Wien aus den verschiedensten Bereichen der gegründet wurde.7 Diese Fachschule er- Volkskunst des Vielvölkerreiches in ih- möglichte den Frauen eine systematische rem Farben- und Formenreichtum. Die Ausbildung zur Kunsthandwerkerin Lehrer der Stickereischule wurden in (Gold-, Silber- und Perlenstickerin). den Ferien auf Staatskosten zu Studien- reisen in die Kronländer geschickt.9 Im In Folge der Weltausstellung in Lon- Jahre 1910 wurde die k. & k. Fachschule don 1862 wurde das Österreichische für Kunststickerei als Abteilung in die k. Museum für Kunst und Industrie in k. Zentralanstalt für Frauengewerbe in Wien gegründet. Es hatte nicht nur die Wien eingegliedert. Der Schwerpunkt Aufgabe, beispielhafte Objekte in die lag fortan in der Lehrerbildung für Frau- Sammlung aufzunehmen, sondern auch engewerbeschulen in allen Kronländern. aktiv das aktuelle kunstgewerbliche Aus ihr entwickelte sich die Bundeslehr- Schaffen zu fördern und geschmacksbil- anstalt für Bekleidungsgewerbe in Wien. dend zu wirken. Nach dem Wiener Vor- Die Fachschule für Kunststickerei ist bild entstand eine Reihe von Fachschu- wichtiger Impulsgeber zur Erneuerung len, die z. T. bis heute eine Fortsetzung der Kunststickerei und Vermittler der gefunden haben. Wien wurde somit Techniken in die Gegenwart.10 zum Zentrum einer hochqualifizierten Ausbildung in verschiedensten Berei- Schon 1877 überzog ein Netz von chen des Kunstgewerbes, was natürlich kunstgewerblichen Fachschulen die Do- vor dem Hintergrund zunehmender naumonarchie. Mehr als 70 Schulgrün- Technisierung und Industrialisierung dungen nach Vorbild der k. k. Kunststi- gesehen werden muss. Die durchschnitt- lich jährlich 80 Schülerinnen rekrutierten sich aus allen Regionen des damaligen k. & k. Reiches und verbreiteten dem- 7 Die Gründung der Schule steht im Zusammen- gemäß auch ähnliche Arbeiten in allen hang mit der Weltausstellung Wien 1873. Regionen. Die Beispielsammlungen der 8 Stickerei-Techniken für Schule und Praxis. Ver- Wiener Schule geben bis heute Einblick fasst von Emilie Stiasny. Lehrerin an der k. k. in den Unterrichtsbetrieb. Die Lehrmit- Kunststickereischule in Wien. Herausgegeben vom k. k. Lehrmittelbureau für gewerbliche Un- telmappen gelten bis heute als wichtige terrichtsanstalten. Wien 1910. Handreiche zur Kenntnis der Stickerei- 9 Österreichische Stickerei in Kunsthandwerk und techniken. Sie wurden in Wien entwi- Industrie. 100 Jahre Kunststickereischule an der ckelt und nur unwesentlich verändert Berufspädagogischen Bundeslehranstalt für Be- in den Provinzen nach diesem Vorbild kleidungsgewerbe Wien XVI. Festschrift Wien 8 o. J. (1974). weitergegeben und vermittelt. Man 10 Österreichische Stickerei in Kunsthandwerk und lehrte zum einen die klassischen Tech- Industrie. 100 Jahre Kunststickereischule an der niken der mittelalterlichen Goldsticke- Berufspädagogischen Bundeslehranstalt für Be- rei und Leinenstickerei, zum anderen kleidungsgewerbe Wien XVI. Festschrift Wien o. J. (1974). – vgl. auch: Pinselkunst – Nadelkunst. zeitgemäße Arbeiten unter Einfluss Die k. & k. Fachschule für Kunststickerei. Kataloge des jeweils gegenwärtigen Kunststils, des OÖ. Landesmuseums NF. NR. 144. Ausstel- wie z. B. des Jugendstils. Außerordent- lung Herbst 1999 – Frühjahr 2000. Linz 1999.

75 Goldstickerei in Slawonien. Foto: Museum Zupanja ckereischule konnten vermerkt werden.11 naissance erfuhren die Goldhauben in Einer Statistik aus dem Jahre 1902/03 ist Oberösterreich erst in den 1970er-Jah- zu ersehen, dass bereits damals 1 183 ren. Die Goldhauben- und Goldsticke- Gewerbeschulen mit 7 959 Lehrern und reikultur in Slawonien begann erst um 124 855 Schülern in Österreich-Ungarn die Mitte des 19. Jahrhunderts infolge bestanden.12 Auch nach dem Zerfall des von massiven Nationalisierungstenden- Habsburgerreiches haben diese schu- zen sowie einer erstarkenden Industrie lischen Einrichtungen eine Fortsetzung gefunden. Einem Bericht des kroatischen Fernsehens aus dem Jahre 2009 können 11 Österreichische Stickerei in Kunsthandwerk und wir entnehmen, dass die Goldstickerei Industrie a. a. O. Zur Bedeutung der Berufsbil- an den slawonischen Gewerbeschulen denden Schulen und Lehranstalten in Österreich: (z. B. in „Antun Horvat“ in Dakovo) bis Schermaier, Josef: Die Berufsbildenden Vollzeit- 13 schulen – ein bedeutender Bildungsfaktor im heute gepflegt wird. österreichischen Bildungswesen. In: Salzburger Zusammenfassend muss man die Beiträge 01/2001. S. 63–85, hier S. 81 ff. zeitliche Abfolge der Goldhauben aus 12 Brockhaus. Kleines Konversations-Lexikon. 1911. Oberösterreich und Slawonien noch ein- S. 656 ff. Allein in den von Ungarn verwalteten Regionen, zu denen auch Kroatien und Slawonien mal hervorheben. Der Höhepunkt der gehörte, befanden sich 570 Gewerbeschulen. Goldhaubenkultur in Oberösterreich 13 Fernsehbericht zur „Goldstickerei in Slawonien“. fand von 1780 bis ca. 1850 statt. Eine Re- TV-Kroatien vom 8. 3. 2009. etnocentar 17:34.

76 und verebbte im ersten Viertel des 20. Die Ausstellung „Goldhauben – Zla­ Jahrhunderts. Massive Erneuerungs­ tare“ im St. Florianer Sumerauerhof ist tendenzen setzten in Slawonien dann reich bestückt mit Leihgaben der Mu­ Ende der 1980er- und besonders in den seen in Vinkovci, Zupanja, Osijek und 1990er-Jahren ein, zeitgleich mit dem Slavonski Brod. Objekte aus der Samm­ Zerfall des jugoslawischen Staates. Dies lung des OÖ. Landesmuseums werden verdeutlicht abermals die enge Verbin­ in ihrer Entwicklungsgeschichte den dung von Selbstfindung und Volkskul­ Leihgaben aus Kroatien gegenüberge­ turpflege in den Kulturgeschichten un­ stellt. Vollständige Goldhaubentrach­ terschiedlicher Regionen.14 ten aus Oberösterreich und Slawonien ergänzen die Ausstellung, um einen Eindruck in die Komplettausstattung zu geben. Schülerarbeiten aus der k. & k. Zur aktuellen Ausstellung in St. Florian Fachschule für Kunststickerei und Bei­ spiele aktueller Goldstickereien aus Beim Betrachten der Kopfbedeckun­ beiden Regionen dokumentieren an­ gen aus verschiedenen Teilen Europas schaulich die notwendige Technik zur liegt auf der Hand, dass diese in ver­ Herstellung der Kopfbedeckungen. schiedenen Regionen zwar unterschied­ Die sehenswerte Sonderausstel­ liche Ausformungen ausgebildet haben, lung im Freilichtmuseum Sumerauerhof aber dennoch im eigentlichen Sinne ver­ (4490 St. Florian bei Linz, Samesleiten gleichbar sind. Interessanterweise kann 15, Tel.: 0 72 24 / 80 31, www.sumerauer­ man besonders die bestickten Hauben hof.at. E-Mail: [email protected]) aus Slawonien mit den Goldhauben aus entstand in Kooperation mit der Öster­ Oberösterreich in Verbindung setzen, reichisch-kroatischen Gesellschaft OÖ. da sich in beiden Regionen, v. a. im städ­ Öffnungszeiten: bis 31. Oktober 2010, tischen Bereich, der „Hang zum Gold“ von Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis jeweils besonders stark ausgeprägt hat. 12.00 und von 13.00 bis 17.00 Uhr.

14 Eine umfassende Erforschung anderer Regionen Europas unter diesem Gesichtspunkt steht im Be­ reich der Goldhauben noch aus.

77 Der Pechölstein beim „Eiserbauer“ in der Mühlviertler Gemeinde Schwertberg im Bezirk Perg Von Leopold Josef Mayböck

Zur Osterzeit 2009 entdeckte Re- war und der Wurzelstock einer Föhre gina Jöchtl, Nachbarin des Autors, un- das Vorhaben überdies behinderte, ga- weit ihres Wohnhauses in der Ortschaft ben beide auf. Wenig später kontaktierte Lina/Gemeinde Schwertberg beim mich die Nachbarin mit den Worten, sie Moos suchen für ein Osternest einen glaube, einen Pechölstein gefunden zu auf fallenden Stein, unter dessen Grün- haben, und die anschließende Begehung bewuchs nach und nach Rillen offenbar bestätigte diese Vermutung. Tags darauf nicht natürlichen Ursprungs zum Vor- ging ich mit Haue, Hacke und Säge an schein kamen. Die von Jöchtl und deren die komplette Freilegung, die ein typisch Sohn vorgenommene teilweise Freile- eingemeißeltes ovales Blatt ans Licht gung förderte immer mehr Einkerbun- brachte. Die Länge betrug 85 cm, die gen zutage. Da die an einen Wald an- Breite 80 cm, die 90 cm lange Abfluss- grenzende Stelle aber sehr verwachsen rinne endete in einer näpfchenartigen Vertiefung am Fuß des Blocks. Ein weiterer Nachbar, Ewald Reiter vom ganz in der Nähe gelegenen ehe- maligen „Eiserbauerngut“/Lina Nr. 13, machte mich dann auf einen Felsklotz unterhalb des Steines aufmerksam; der Klotz wies drei viereckig ausgestemmte Löcher bzw. Ausnehmungen auf, die einst als Pfostenhalterung für einen Un- terstand oder eine Holzhütte gedient ha- ben dürften. Auf jeden Fall ist dieser Pechölstein- fund nicht nur der vorderhand einzige im Gemeindegebiet von Schwertberg, sondern zugleich der bis dato südlichste im gesamten Unteren Mühlviertel.

Zur Tradition des Pechölbrennens

Der erste auf Schwertberger Gemeindeboden entdeckte Das Pechölbrennen blickt im oberös- und dokumentierte Pechölstein mit eingemeißeltem terreichischen Raum auf eine sehr lange Blatt und fast einen Meter langer Abflussrinne. Tradition zurück. Bereits 1188 wird ein Foto: L. Mayböck Florianer Dienstmann erwähnt, der sich

78 „Marquardus Pechstein“ nannte.1 Erst im Regel binnen 24 Stunden, d. h. langsam, ausgehenden 19. bzw. im 20. Jahrhun­ „abglosen“. dert verdrängten pharmazeutische und Die Pechölbrenner hatten darüber zu andere Industrieprodukte die Gewin­ wachen, dass das Feuer weder ausging nung und den Gebrauch des Pechöls als noch zu lodern anfing, außerdem muss­ Heil- oder Schmiermittel. Die alten Er­ ten sie das ausfließende Öl auffangen. zeugungsstätten hatten damit praktisch Hiefür stellte man ans Ende der mittle­ ausgedient, sie wurden zerstört oder im ren Rinne ein Auffanggefäß, meist kam Lauf der Zeit von Mutter Natur über­ auch eine hölzerne Rinne oder Röhre wachsen. hinzu. War ein Gefäß voll, wurden – je nach Größe des Meilers – neue aufge­ Gänzlich in Vergessenheit geraten ist stellt. Das zuerst gewonnene Pech, we­ die Tradition jedoch nicht, immer wieder gen seiner dunkelbraunen, fast schwärz­ gibt es Schaubrennen, und viele Regio­ lichen Farbe auch „Pechschmiere“ genannt, nal- und Heimatforscher beschäftigen bezeichnete man als „heilsam“; es konnte sich nach wie vor mit dieser volkskund­ durch Beimengung von Fetten (Butter), lich höchst interessanten Materie.2 So Honig und zerstoßenen Kräutern zu ei­ mancher Pechölstein wurde inzwischen ner Salbe verarbeitet werden. Das ter­ neu entdeckt, freigelegt und dokumen­ pentinhaltige Heilmittel eignete sich zur tiert,3 wobei die Inhaber meist stolz da­ Wundbehandlung bei Geschwüren, Seh­ rauf sind, ein solches Relikt zu besitzen. nenentzündungen, Gicht u. a. Aber auch Sehr gut beschreibt Ernst Fietz in in der Tiermedizin wurde es gebraucht, einem seiner Aufsätze den Vorgang beim Abnabeln von Kälbern, bei Verlet­ des Pechölbrennens,4 und zwar am zungen der Hufe oder der Klauen, gegen Beispiel einer Schauvorführung durch Blähungen und sonstige Leiden. Das im drei „Pechlbrenner“ auf einem Pechölstein zweiten Gang gewonnene Pechöl ergab, im Gschwandtgraben bei St. Leonhard mit Fett aus Schweinsdärmen vermischt, b. Freistadt (Herbst 1933). Als Material eine gute Wagenschmiere, ebenso ein zur Errichtung des Meilers verwendete Dichtungsmittel. Als vielseitig einsetz­ man Kiengallen, die harzreichen Aus­ bares Produkt fehlte es in keinem bäuer­ wüchse kranker Föhren, die Kernstöcke lichen Haushalt. von Wurzelstöcken und zerkleinertes, harzreiches Föhrenholz. Die untersten, größeren Stücke wurden stabil zusam­ mengebunden, die übrigen Holzsorten 1 Marianne Pollak: Archäologische Landesauf­ pyramidenförmig daraufgeschichtet. Der nahme Mühlviertel, Fines Transire 17, 2008, S. 34. kunstvolle Aufbau verjüngte sich dadurch OÖUB. II. S. 408 n. 277. 2 Johann Bauer und Karl Holzmann: Die Pechöl­ zur aus den Spänen gebildeten Spitze steine im Bereich der Marktgemeinde Königswie­ hin zunehmend. Schließlich wurde alles sen, OÖ. Heimatblätter, Jg. 39, Heft 2, Linz 1985. sorgfältig mit Rasenstücken verkleidet 3 Josef Fürst und Franz Schaufler: Die Pechölsteine und mit Erde und Schmiedzunder abge­ im Gebiet von Unterweißenbach und Kaltenberg, OÖ. Heimatblätter, Heft 1/2, Linz 1970. dichtet. Nach altem Brauch zündete man 4 Ernst Fietz: Die Pechölsteine im Oberösterreichi­ den so hergerichteten Meiler – zur Mit­ schen Mühlviertel, OÖ. Heimatblätter, Heft 3/4, tagszeit – oben an, denn er sollte in der Linz 1968 und 1971.

79 Geschichte des „Eiserbauerngutes“ 2 Galtrinder, 7 Schafe, 3 Schweine. Den Zehent erhielt zu zwei Dritteln der Pfar­ Dieses historisch bemerkenswerte rer von Schwertberg, zu einem Drittel Anwesen dürfte im Zuge der hochmit­ die Herrschaft Schwertberg. Das Kauf­ telalterlichen Binnenkolonisation errich­ recht betrug 260 Gulden.12 tet worden sein, lag also innerhalb des Von Georg Wagenlehner ging der Regensburger Luß5 in der Nähe der Burg Besitz an dessen Sohn Johann über, Windegg bei Schwertberg. Durch wid­ nächste Inhaber wurden Martin und rige Umstände gelangten im 13. Jahr­ Rosina Brandstätter; sie und ihre Nach­ hundert zahlreiche Güter an den öster­ kommen blieben bis 1785 Eigner des reichischen Landesfürsten. 1395 wird die Eiserbauerngutes. Bereits im Josephi­ „Eysau“ im Lehensbuch Herzog Albrecht schen Lagebuch von 1786 werden An­ IV. genannt,6 kam aber im 15. Jahrhun­ dreas und Anna Maria Huber genannt. dert an die landesfürstliche Burgherr­ Der Grundbesitz bestand aus 13 Joch schaft Schwertberg. Ein Teil des Zehents Feldern und Äckern, 4 Joch Wiesen, ging seit 1411 an die Starhemberger.7 1 Joch Hutweiden und 8 Joch Wald. Im Riedegger Urbarbuch von 1545 wer­ Gesamt: 26 Joch. Die Gründe liegen in­ den eine „Ober-“ und eine „Niederaysau“ nerhalb der „Bayrböck“- und der „Oberen genannt.8 Ein „Ruprecht von Obereisach“ Asanger“ Flur: „Brunnwiesel“ (Köhbrunnen – entrichtete 1563 jährlich 5 Schilling, noch vorhanden), „Hauspoint, Sommerleiten, 9 Pfennige bzw. ein halbes Pfund Wachs Steingrabenholzstatt, Hausgarten, Hausgarten- oder 24 Pfennige an die Grundherr­ acker, Saureissen Laa Holzstatt, Hauswiesen, schaft Schwertberg.9 (Die Abgabeeinheit Schwertberger Laa, Oyreholzstatt, Unteres Wachs legt nahe, dass der Inhaber eine Asangerfeld, Steingrund, Oberes Feld, Nass- Bienenzucht betrieb.) Im Urbar von 1648 gallen“.13 lautet der Hausname noch „Ober Eysach“, schon 1680 ist in einer Landgerichtsbe­ schreibung Windeggs jedoch von einem 10 „Eissapaurn“ die Rede. 5 Der Landstreifen zwischen den Flüssen Aist und 1638 scheinen in den Pfarrmatrikeln Naarn wurde jahrhundertelang als Regensburger von Schwertberg Georg und Magdalena Luß bezeichnet. 853 Schenkung durch Grenzgraf Eisenbauer als Inhaber auf.11 Es waren Wilhelm an das Reichskloster St. Emmeram in Re­ gensburg. OÖUB. II. S. 16, n. 12. das die letzten Besitzer, die noch den 6 Ottmar Hageneder: LB. Albrecht IV. Hausnamen als Familiennamen führten. 7 Leopold Mayböck: Die Herrschaften von Win­ Ihre Nachfolger wurden 1656 Johann degg und Schwertberg vom 14. bis 16. Jahr­ und Katharina Raab, einige Jahre später hundert, Windegger Geschichtsblätter Bd. II. besaß ein Georg Wagenlehner das „Ei- Schwertberg 1990, S. 124. 8 Urbar Riedegg 1545, f. 142, OÖLA Linz. senbauern Gut“. Im Urbar der Herrschaft 9 Urbar Schwertberg 1563 m f. 7, OÖLA Linz. Schwertberg von 1680 wird das Bau­ 10 Archiv für österreichische Geschichte, Nr. 94, erngut „an der Eyssa“ als ein Erbrecht be­ Wien 1906, S. 300. zeichnet, der Grundbesitz betrug 18 Tag­ 11 Josef Heider: Register zu den Kirchenbüchern Schwertberg, Bd. 1 bis 2, Wien 1968. werk, die 3 dazugehörigen Holzstätten 12 Urbar Schwertberg Hg., 16, f. 6, OÖLA Linz. umfassten 2 Tagwerk. An Viehbestand 13 Josephinisches Lagebuch: Steuergemeinde Win­ waren vorhanden: 4 Ochsen, 2 Kühe, degg, OÖLA Linz.

80 Das „Eiserbauerngut“, Ortschaft Lina Nr. 13/Schwertberg. Die Ansicht stammt aus dem Jahr 1990. Foto: L. Mayböck

1826 war ein Michael Aunikel Besit- Dorf leben, außer Ewald Reiters Schwes- zer des damals unregelmäßig gemauer- ter Regina (Jöchtl), u. a. auch der Autor ten Vierseithofes. Um 1900 brannte ein und seine Frau Helga. Teil ab, der Bauer verkaufte daraufhin das Anwesen mitsamt den Gründen an Schlüssige Hinweise auf frühere den Steinindustriellen Anton Potscha- Eisenerzeugung cher aus Mauthausen, der hier zwei Steinbrüche errichtete und das Bau- Der Hausname „Eiser“, mittelhoch- ernhaus als Quartier für die Arbeiter deutsch „Iser“, verweist klar auf eine eins- nützte. 1930 erwarb es die Kaolinberg- tige Eisen-Erzeugungsstätte.14 Im Mittel- baugesellschaft „Kamig“. Die meisten alter baute man wegen Eisenknappheit Gründe wurden aufgeforstet, da man manchmal auch Rasenerze und eisen- für den Bergbau sehr viel Holz benö- haltiges Gestein ab, welches in primiti- tigte. Wieder bewohnten Firmenarbeiter ven, aber funktionstüchtigen Öfen aus das Haus. 1943 erwarb die Familie Mi- Lehm ausgeschmolzen und durch wie- chael und Adelheid Reiter den ehema- derholtes Erhitzen sowie Aushämmern ligen Hof, zu dem noch 2 Joch Grund gereinigt und zu Eisenbarren verarbeitet gehörten. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde.15 Auch Christian Steingruber wurde das Gut erweitert und adaptiert, von den fünf Kindern erhielt es Ewald 14 Deutsches Namen-Lexikon: Verlag Gondrom Reiter – jetzt steht das Objekt bereits im 1967, S. 120. Besitz seines Sohnes Christian. Wäh- 15 Wolfgang Frosse: Wikinger-Germanen, Nordi- sche Königreiche, Verlag Nikol 2008, S. 45. Leo- rend der folgenden Jahrzehnte entstand pold Mayböck: Die Flurnamen in der Ortschaft nebenan eine kleine Siedlung aus mitt- Lina, Windegger Geschehen, 31. Ausgabe, 2009, lerweile neun Privathäusern. In diesem S. 12.

81 erwähnt in seinen Abhandlungen über Es ist durchaus möglich, dass sich den Kürnberg die sogenannte Rasenerz- hier ehedem ein Verhüttungsplatz von gewinnung.16 Im primitiven tagbauarti- Eisen befand, der dieser Stelle den bis gen Bergbau wurde in nassen, moorigen heute gebräuchlichen Namen „Aiser“ Sumpfgebieten Erdreich abgegraben eingetragen hat. (geschürft); die dabei oft entstandenen Gruben bezeichnet man als Pingen. Sonstige Pechölsteinfunde im Unteren Im Südosten des ehemaligen „Eiser- Mühlviertel bauerngutes“, unterhalb des 2009 ent- deckten Pechölsteins, findet sich eben- Zum Schluss ein kurzer Blick auf an- falls ein sehr feuchter, sumpfiger Graben, dere, dokumentierte Pechölsteinfunde, wo – in der sogenannten „Saureissen Laa“ die heimatkundliche Streifzüge durch – ein kleines Rinnsal entspringt. Das Ge- das Untere Mühlviertel in den letzten lände zeigt noch heute unverkennbare Jahren bzw. Jahrzehnten ergeben haben. Spuren einer früheren Abbautätigkeit; Hinter einem Nebengebäude des das Terrain wirkt sehr unruhig mit sei- Anwesens Mayr in der Pernau/Pfarre nen vielen stufenförmigen Trassen und Neumarkt liegt das Fragment eines in- Ausbuchtungen entlang des in west- sofern besonderen Pechölsteines, als licher Richtung fließenden Bächleins, dieser transportabel war und bei Bedarf das in den Bayrböckbach mündet. Alle Fakten deuten auf eine Abbaustelle (von Sumpf- oder Rasenerz) und damit auf die entsprechende Herkunft des Haus- namens „Eisa oder Eiser“ hin. Die „Untere Eysa“ erstreckt sich nord- östlich des Marktes Schwertberg, wo auf dem Kamm einer markanten Er- hebung der „Bauer am Berg“ liegt. Ein Teil dieses Geländes – der aufgelassene Steinbruch beherbergt die überregional bekannte „Aiser-Bühne“ der Laienspiel- gruppe Schwertberg – hat sich durch den jahrzehntelangen Steinabbau nach- haltig verändert. In den 1990er-Jahren Fragmentarisch erhaltener transportabler Pechölstein wurde oberhalb des Steinbruchs auf ei- beim Aufgang zum Gasthaus Schmidt (Hoftaverne) ner Hochfläche ein Haus errichtet, wobei in Reichenstein/Gemeinde Tragwein. die Baggerungsarbeiten für den Keller Foto: L. Mayböck und die nötigen Geländebegradigungen beachtliche Mengen an Eisenschlacke und Keramikfragmenten zum Vorschein brachten; leider wurden die eventuell 16 Christian Steingruber: Forschungsraum Kürn- aufschlussreichen Artefakte nicht gebor- berg, OÖ. Heimatblätter, Heft 3/4, Linz 2007, gen, sondern wieder einplaniert. S. 169.

82 überall dorthin gebracht werden konnte, wurde 1986 von Heimatforscher Karl wo man gerade Pechöl zu brennen beab- Kitzmüller beim Bauerngut Baumgart- sichtigte. (Bei diesem Bauernhaus ortete ner in der Ortschaft Baumgarten Nr. 1, man auch die Erdsubstruktion eines Sit- Gemeinde Allerheiligen, entdeckt, frei- zes; der Hügel wurde in der Zwischen- gelegt und gemeinsam mit Leopold zeit jedoch leider abgetragen.) und Helga Mayböck dokumentiert. Das Das Fragment eines weiteren beweg- Waldstück, in dem der Stein liegt, trägt lichen, kleinen Pechölsteins säumt den den Flurnamen „Kohlstatt“. Der „Hof datz Aufgang zum Gasthaus Schmidt/Hof- dem Paungarten“ wurde erstmals um 1300 taverne in der Ortschaft Reichenstein, als Kapeller Lehen erwähnt.17 Gemeinde Tragwein. Inhaber Erich Schmidt war bei Hausumbauarbeiten darauf gestoßen. Durch die kreisrunde In Allerheiligen, seiner Heimatge- Ausführung weicht das Blatt von der üb- meinde, war K. Kitzmüller 1986 auch lichen Form etwas ab. unweit des Bauerngutes Schneiderber- Gleichfalls in Tragwein, in der Nähe ger (Ortschaft Baumgarten Nr. 4 , Wies- des Bauerngutes Großpühringer in der grabenholz) fündig geworden.18 Der Ortschaft Haarland Nr. 2 – auf einem granitene, ebenso in Zusammenarbeit Grundstück von Franz Karlinger aus mit dem Autor und dessen Frau doku- der Ortschaft Lugendorf – fand sich mentierte Pechölstein hat seinerseits vor Jahren ein Exemplar mit derselben das seltenere kreisrunde Blatt (Breite ungewöhnlich kreisrunden Blattform 48 cm); die mittlere Rille (durchgehende (Durchmesser 50 cm). Die mittlere Rinne Gesamtlänge 75 cm) reicht auf beiden mündet in eine viereckig ausgestemmte Seiten über dieses hinaus, besitzt am Auffangstelle von 30 cm Breite, 24 cm oberen Ende Lanzettenform und schließt Tiefe und 32 cm Höhe – eine relativ in einer quadratischen Ausnehmung. große Ausnehmung zum Einstellen des Urkundlich erstmals erwähnt wird Auffanggefäßes. das „Schneiderberger Gut“ – wie das Ein schön ausgeprägter Pechölstein Baumgartner’sche – im Kapeller Lehen- mit blattförmig angeordneten Rillen buch von 1300.19

17 Kapeller Lehenbuch um 1300, HHSTA Wien, HS. Böhm 37. 18 Zu den wichtigsten Veröffentlichungen von Karl Kitzmüller (* 1922, † Jänner 1998) zählen die Bei- träge zum Heimatbuch Tragwein (1987) und zu jenem von Allerheiligen (1990). 19 Carl Plank: Das Urbar der Herren von Kapellen von 1300, Festschrift zum 200-jährigen Bestehen der Hof- und Staatsdruckerei, Bd. 1, Wien 1949, f. 8/20.

83 Helga Riemann (1924–2004): Zu Vita und Werk einer wichtigen oberösterreichischen Komponistin* Von Tina Bayer und Wolfram Ziegler

Einleitung * Eine ausführliche Studie zu Helga Riemann wird im Jahrbuch des Oberösterreichischen Museal­ vereines/Gesellschaft für Landeskunde abge­ Die Musikgeschichte Oberöster­ druckt; No 154/155 (2009/10). reichs beherrscht zweifelsfrei ein Kom­ 1 Die starke Rezeption seiner Werke hängt neben ponist: Anton Bruckner (1824–1896).1 dem Rang wohl auch mit deren gattungsmäßi­ ger Vielfalt zusammen, die vom Sinfonischen bis zur Vokal- und zur Kammermusik reicht. Siehe dazu Renate Grasberger, Werkverzeichnis Anton Trotzdem gab und gibt es im Bruckner (Tutzing 1977), und zum Biografischen „Musik­land OÖ“ auch nach seinem Tod Mathias Hansen, Anton Bruckner (Leipzig 1987), bis heute eine Reihe bedeutender Ton­ sowie Manfred Wagner, Anton Bruckner (Wien 1995). schöpfer. Ohne Anspruch auf Vollstän­ 2 Biografisches mit weiterführender Literatur zu digkeit seien Franz Xaver Müller (1870– Müller bei Josef Mayr-Kern, Franz Xaver Müller 1948), Josef Kronsteiner (1910–1988), (Linz 1970); zu Kronsteiner bei Helmut Zöpfl, Jo­ Helmut Eder (1916–2005), Fridolin Dal­ sef Kronsteiner. Der Chormeister (Aspach 2003); linger (* 1933), Balduin Sulzer (* 1932), zu Eder bei Uwe Harten, Art. Helmut Eder, in: Oesterreichisches Musiklexikon (künftig: OML), Helmut Schiff (1918–1982), Augustinus Bd. 1 (Wien 2002), S. 360; zu Dallinger bei Eli­ Franz Kropfreiter (1936–2003), Gunther sabeth Th. Hilscher, Art. Fridolin Dallinger, in: Waldek (* 1955), Frida Kern (1881–1988), ebenda, S. 295; zu Sulzer bei Alexander Rausch, Rudolf Jungwirth (* 1955) und Helmut Art. P. Balduin Sulzer, in: OML, Bd. 5 (Wien Rogl (* 1960) genannt.2 Man kann von 2006), S. 2357, und Franz Ketter (Hg.), Balduin Sulzer (Linz 1992); zu Helmut Schiff bei Christian einer durchaus lebendigen oö. Musik­ Fastl, Art. Familie Schiff, Helmut, in: OML, Bd. 4 szene sprechen, die außer komposito­ (Wien 2005), S. 2068; zu Kropfreiter bei Uwe Har­ rischem Schaffen natürlich auch andere ten, Art. Augustinus Franz Kropfreiter, in: OML Aspekte umfasst.3 Dass in obiger Auf­ 3 (Wien 2004), S. 1180; zu Waldek bei Christian Fastl/Alexander Rausch, Art. Gunther Waldek, zählung mit Frida Kern nur eine einzige in: OML 5 (wie oben), S. 2578; zu Kern bei Uwe Frau vertreten ist, verwundert angesichts Harten, Art. Frida Kern, in: OML 2 (wie oben), der Kongruenz mit vielen anderen Ge­ S. 988 f.; zu Jungwirth bei [Erich Posch], Eferdinger sellschaftsbereichen wenig. Komponisten, in: Franz Kaindl (Schriftleitung), Eferding. Stadt an der Nibelungenstraße (Ried im Innkreis [2002]), S. 282, und Uwe Harten, Art. Ru­ dolf Jungwirth, OML, Bd. 2 (Wien 2003), S. 922; Neben F. Kern stellt Oberösterreich zu Rogl bei Uwe Harten, Art. Helmut Rogl, in: aber noch eine zweite wichtige Kompo­ OML, Bd. 4 (wie oben), S. 1942. 3 Etwa die Ausbildungsstätten der Landesmusik­ nistin: Helga Riemann. Biografie und schulen, der Musikschule Linz, aber auch das Wirkungsgeschichte dieser außeror­ Landestheater und das Brucknerorchester sowie dentlich facettenreichen Künstlerin und unzählige andere Ensembles.

84 Pädagogin,4 die nach der Flucht aus ihrer 18 Jahren erhielt sie einen Lehrauftrag deutschen Heimat ab 1944 im Lande ob an der Musikschule Leipzig und wenig der Enns einen neuen, dauerhaften Le­ später an deren Zweigstelle in Böhlen bensmittelpunkt gefunden hatte, seien eine Lehrverpflichtung für Musiktheo­ hier anhand der wesentlichsten Etappen rie, Ge­sang und Klavier.10 Als Nebenfach skizziert. belegte Riemann Tonsatz bei Johann Ne­

Frühe Jahre

Helga Riemann wurde am 8. Juni 1924 als Tochter des Juristen Hans Rie­ 4 Biografisches zu Helga Riemann zuletzt bei Tina mann (1882–1953) und Thea Linden­ Bayer, Helga Riemann (1924–2004) (masch. DA, bergs (1892–1953) in der sächsischen Wien 2009) mit der älteren Literatur. Siehe auch Christa Ritzinger, Helga Riemann (Salzburg Großstadt und Kulturmetropole Leipzig 2004), gedruckt im Eigenverlag, hier zitiert aus geboren. Der Vater hatte Klavier- und dem Nachlass Helga Riemann im Privatbesitz Kompositionsunterricht bei keinem Ge­ ihrer Söhne (künftig: NL H. R.), sowie Gerlinde ringeren als Max Reger genommen5 und Haas, Helga Riemann, in: Eva Marx, Gerlinde Haas (Hg.), 210 österreichische Komponistinnen. war ein Sohn des berühmten Musikwis­ Vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart (Salzburg senschafters Hugo Riemann (1849–1919), 2001), S. 313–317. dessen bekannteste Publikation, das 5 Dies und das Folgende nach NL H. R.: handge­ Riemann-Musiklexikon, noch heute zu schriebener Lebenslauf von Hans Riemann vom den Standardwerken der lexikalischen 8. 12. 1946, sowie Bayer, Riemann (wie Anm. 4), 6 S. 12 f. Zu Reger vgl. Hermann Unger, Max Reger. Literatur gehört. Enkelin Helga wurde Mensch und Werk (Lohmar 1998); Susanne Popp, also in eine bedeutende Musikerfamilie Art. Max Reger, in: Neue Musik in Geschichte hineingeboren und genoss eine breit ge­ und Gegenwart. Personenteil, Bd. 13 (Kassel u. a. fächerte musikalische Ausbildung. 2005), Sp. 1402–1433. 6 Es erschien erstmals 1882 in Leipzig. Zu Hugo Riemann zuletzt Tatjana Böhme-Mehner, Klaus Mit acht Jahren erhielt sie Klavier­ Mehner (Hg.), Hugo Riemann (1849–1919). Mu­ unterricht bei Maria Charlotte Voigt, sikwissenschafter mit Universalanspruch (Köln/ zwischen 1937 und 1940 wurde sie von Wien 2001), und Michael Arntz, Hugo Riemann (1849–1919). Leben, Werk und Wirkung (Köln Amadeus Nestler im Fach Gesang un­ 1999). 7 terrichtet. Neben dem schulischen Bil­ 7 Hochschule für Musik und Theater „Felix Men­ dungsweg, der sie von der Volksschule delssohn-Bartholdy“ Leipzig, Hochschulbiblio­ zum Gymnasium führte, sang sie seit dem thek/Archiv: Inskriptionsunterlagen Helga Rie­ zwölften Lebensjahr im Martin-Luther- mann. 8 Zudem trat sie der Rundfunkspielschar bei, wo­ Kirchenchor und seit dem 14. Lebens­ durch sie vom Dienst im Bund Deutscher Mäd­ jahr im berühmten Gewandhauschor chen/BDM befreit war. Siehe Ritzinger, Riemann Leipzig.8 1939 bestand Riemann die Auf­ (wie Anm. 4), S. 17 f. Zum BDM zuletzt Birgit nahmsprüfung für Klavier und Gesang Retzlaff, Jörg-Johannes Lechner, Bund Deutscher Mädel in der Hitlerjugend (Schriftenreihe Studien am Leipziger Konservatorium; das Fach zur Zeitgeschichte 66, Hamburg 2008). Gesang belegte sie bei Reinhold Ger­ 9 Ritzinger, Riemann (wie Anm. 4), S. 17 f. hardt, Klavier bei Hans Hermann.9 Mit 10 Ritzinger, Riemann (wie Anm. 4), S. 21–23.

85 floh sie wegen der ständigen heftigen Bombenangriffe zusammen mit ihrem späteren Gatten, dem Komponisten Helmut Schiff, der ebenfalls bei David in Leipzig studiert hatte, nach Oberös- terreich. Der oö. Komponist Balduin Sulzer, der Riemann in der Musikschule Linz als hoch gebildete, charismatische Persönlichkeit kennengelernt hatte, weiß zu erzählen, dass sie sich ihm gegenüber nie als Tondichterin bezeichnet, sondern bescheiden immer nur davon gesprochen habe, Tonsätze zu fertigen. Nach Sulzer sei bei diesem Selbstbild „einiges zu- sammengekommen“: Komponistinnen waren zu jener Zeit noch etwas Außer- gewöhnliches, und er – Sulzer – habe da- mals den Eindruck gehabt, dass sie Hel- mut Schiff künstlerisch „nicht in die Quere kommen“ wollte. Aber gut klingende Sätze seien für Riemann, so Sulzer, „ab- seits dieser Beobachtung stets von gro- ßer Bedeutung gewesen“.13 Helga war seit Pfingsten 1943 mit H. Schiff verlobt, Helga Riemann in jungen Jahren. Das aus der Leip- ziger Studienzeit stammende Foto, abgedruckt in der auf seiner Flucht hatte das Paar am 12. Diplomarbeit von Mag. Tina Bayer, befindet sich im Besitz der Brüder Schiff. 11 Geboren 1895 in Eferding (OÖ), gestorben 1977 in 11 Stuttgart. David war 1934 an das kirchenmusikali- pomuk David. Ihrem bald aufkeimen- sche Institut des Konservatoriums (seit 1941 staat- den Wunsch, Tonsatz im Hauptfach zu liche Hochschule) Leipzig berufen worden, wo studieren, stellte sich David zunächst er 1942 kommissarischer Rektor der Hochschule entgegen, ließ sie aber letztlich dennoch wurde, s. Maren Goltz, Das kirchenmusikalische als Hauptfachstudentin zu. Riemann Institut. Spuren einer wechselvollen Geschichte (Leipzig 2001), S. 40. Biografische Angaben bei selbst beschrieb die vier Jahre bei David Erich Posch, Im Gedenken an Johann Nepomuk als prägend. Polyfonie, die Entwicklung David, in: Neues Archiv für die Geschichte der Di- eines Themas und die Bindung an eine özese Linz 11/1 (Linz 1996/97), S. 47–53. bestimmte Form seien dabei ausschlag- 12 Bayer, Riemann (wie Anm. 4), S. 18. 13 und richtunggebend gewesen.12 Interview von Wolfram Ziegler mit Balduin Sul- zer am 19. 6. 2009. Sulzer berichtet auch, sie seien beide bei Kompositionswettbewerben in der Jury gesessen, wobei er öfter die Tonsätze mitgeschrie- Flucht aus Leipzig ben habe. Riemann habe einmal einer so gut ge- fallen, dass er ihn ihr geschenkt habe. Zu Helmut Ende 1943, als das Konservatorium Schiff siehe Fastl, Familie Schiff (wie Anm. 2), kriegsbedingt geschlossen worden war, S. 2068.

86 Lehrer und Förderer Helga Riemanns: der aus Eferding gebürtige Komponist Johann Nepomuk David (1895– 1977). Foto: Privatbesitz der Familie David

Jänner 1944 in Bratislava standesamtlich zu einer Anstellung an der Musikschule geheiratet und ließ sich drei Wochen da- Gmunden, wodurch ihnen Anspruch nach, am 30. Jänner 1944, in Walding bei auf ein Notdomizil im Kellergeschoss Linz kirchlich trauen.14 Die Vermählung einer Villa zufiel, das beide zunächst sie- nahe der oö. Landeshauptstadt ergab ben Jahre lang bewohnten. Am 17. De- sich dadurch, dass die beiden am 13. Jän- zember 1949 kam der erste Sohn Hans ner zu einem Konzert von J. N. David Christian,16 am 18. November 1951 der nach Linz gekommen waren. Laut Rie- zweite Sohn Heinrich zur Welt.17 mann war das eine „Schicksalsstunde“ In der ersten Gmundener Zeit be- gewesen, denn wie David blieb das Paar schränkte sich Riemanns kompositori- in Oberösterreich; in Gmunden sollte sches Schaffen hauptsächlich auf Stücke, Helga Riemann mit einer mehrjährigen Unterbrechung den Rest ihres Lebens verbringen.15 14 Ritzinger, Riemann (wie Anm. 4), S. 23–25. 15 Ebenda, S. 25. 16 Biografische Informationen zu Christian Schiff bei Leben in Oberösterreich Bayer, Riemann (wie Anm. 4), S. 21 f. 17 Biografische Informationen zu Heinrich Schiff bei Nach der Ankunft in Oberösterreich Christian Fastl, Art. Familie Schiff, Heinrich, in: verhalf J. N. David den Eheleuten Schiff OML 4 (wie Anm. 2), S. 2068.

87 die für ihr pädagogisches Wirken an der 18 Ein detailliertes Werkverzeichnis sowohl in chro- Musikschule benötigt wurden.18 Paral- nologischer Ordnung als auch nach Gattungen lel kümmerte sich Helga v. a. um den bei Bayer, Riemann (wie Anm. 4), S. 54–62. Die- Haushalt und die Kinder. 1953 nahm die ser didaktische Zugang zur Musik war ihr immer wichtig, wie auch Balduin Sulzer berichtet: „Was Familie Schiff vorübergehend Abschied ich von ihr gehört habe, wurde oft in Vortrags- von der Traunseestadt, um das Lehran- abenden gespielt, das war machbar geschrieben, gebot einer Waldorfschule in Hamburg dass es eine Herausforderung war, aber eben so, wahrzunehmen.19 Nach nur fünf Jahren dass Junge das spielen konnten. Sie wählte immer einen Mittelweg. Es war weder zu leicht noch zu jedoch beendete man das Engagement, schwer. Musik muss gespielt werden. Ein moder- weniger aus beruflichen Gründen, viel- ner Komponist muss froh sein, wenn sein Werk mehr deshalb, weil sich die Schiffs in einmal aufgeführt wird. Das Kunstwerk entsteht Hamburg nie wirklich heimisch fühlten. ja erst im Moment der Rezeption. Da kann man So kehrte das Paar mit den zwei Söhnen dann nur niederknien, wenn das gelingt. Und ihr ist es gelungen.“ Interview (wie Anm. 13). 1959 wieder nach Gmunden in Oberös- 19 Es handelte sich hier um die Rudolf-Steiner- terreich zurück. Schule in Hamburg-Nienstedten. Nähere Infos zur Schule und zur dort angewandten Waldorf- pädagogik siehe auch: www.waldorfschule- Pionierprojekt „Musiktherapie“ nienstedten.de. 20 Zur Geschichte der Musiktherapie siehe Bayer, Im Jahr darauf begann für H. Rie- Riemann (wie Anm. 4), S. 31–33, sowie Herbert mann die Phase der Auseinandersetzung Bruhn, Musiktherapie. Geschichte – Theorien – Methoden (Göttingen 2000). Weitere Informa- mit etwas völlig Neuem: Sie etablierte tionen zur Musiktherapie: Hans Helmut Decker- an der Linzer Landes-Heil- und -Pflege- Voigt, Aus der Seele gespielt. Eine Einführung anstalt Niedernhart, heute Landesner- in die Musiktherapie (München 2000); Hinrich venklinik Wagner-Jauregg, den Einsatz van Deest, Heilen mit Musik. Musiktherapie in der Praxis (Stuttgart 1994). Riemann machte das der Musiktherapie, ein Projekt, das ihr ehrenamtlich, weswegen auch kein Personalakt den Ruf als „Pionierin auf diesem Gebiet erhalten ist. Prof. Dr. Gustav Hofmann, damals in Österreich“ eintrug. – In den USA Oberarzt in Niedernhart, erklärt dazu: „Sie hat die hatte die neue Therapieform bereits seit Musiktherapie dem damaligen Primar Schnopf- den 1950er-Jahren zunehmend an Ak- hagen zuliebe gemacht. Es gab so etwas in Ober- 20 österreich zuvor nicht, sondern nur in Wien. zeptanz gewonnen. „Dieses Pilotpro- Durch ihr Wirken wurde der Bedarf erst entdeckt. jekt war wirklich eine Sternstunde“, so Riemann war eine Pionierin auf diesem Gebiet, Helga Riemann später.21 Sohn Heinrich denn das wurde damals einfach noch nicht ernst Schiff, als Violoncellist und Dirigent seit genommen. Sie hat dies zudem kostenlos ge- Langem weltbekannt, über die Arbeit macht.“ Interview von Wolfram Ziegler mit Prof. Dr. Gustav Hofmann am 19. 5. 2009. der Mutter mit den Anstaltspatienten: 21 Siehe dazu Ritzinger, Riemann (wie Anm. 4), „Es war schlicht eine Sensation. Und die S. 42. Leute haben sie geliebt!“22 22 Interview von Tina Bayer mit Heinrich Schiff am 11. 5. 2009. Zitiert nach: Bayer, Riemann (wie Anm. 4), S. 34. Riemann hatte generell ein Talent, Helga Riemann als Menschen zu begeistern. So erzählt Balduin Sul- zer: „Als ich musikalischer Leiter der Jeunesse in freischaffende Komponistin Linz war (Jeunesse ist ein in ganz Österreich tä- tiger Konzertveranstalter, der besonders die Ver- Ab 1971, nach Auslaufen des Enga- mittlung von Musik an Kinder und Jugendliche gements als Musiktherapeutin, widmete zum Ziel hat, Anm. der Verf.), machte Frau Rie-

88 1984, im Alter von 60 Jahren, trat Riemann aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand. Der 70. und der 75. Geburtstag der Künstlerin waren An- lässe für ehrende Matineen, wobei ne- ben Werken der „Wegbegleiter“ Johann Nepomuk David, Paul Hindemith und Johann Sebastian Bach auch viele ihrer eigenen Kompositionen erklangen.26 In Anerkennung ihrer pädagogi- schen Verdienste wurde Helga Riemann 1982 der Professorentitel verliehen, für ihr musikalisches Schaffen erhielt sie 1987 den Oberösterreichischen Landes- kulturpreis, 1988 den Kunstwürdigungs- preis der Stadt Linz, 1994 die Kulturme- daille des Landes Oberösterreich und 1995 die Verdienstmedaille in Gold der Stadtgemeinde Gmunden.27 Helga Riemann starb am 19. No- vember 2004 in der Traunseestadt, wo sie auch ihre letzte Ruhestätte fand.28 Als Genießt als Violoncellist Weltruf und ist auch als Dirigent international erfolgreich tätig: Helga Rie- manns zweiter Sohn Heinrich Schiff (* 18. 11. 1951). Foto: Künstlersekretariat Schoerke, Hannover mann die Einleitungen. Sie ging sehr gut auf die Kinder ein und hatte großes Charisma. Sie sprach dabei frei. Es ging ihr um das Hic et Nunc. Die sich Riemann schwerpunktmäßig wieder Kinder haben dabei die Scheu verloren und ihr dem freien kompositorischen Schaffen. gebannt zugehört.“ Interview (wie Anm. 13). Viele ihrer Werke erlebten in Oberöster- 23 Zu den wichtigsten Werken dieser Zeit gehören reich die akklamierte Uraufführung.23 die erste Szene aus dem „Martyrium der hl. Caeci- Nebenbei unterrichtete sie von 1972 lia“ (szenisches Oratorium, UA: 27. 2. 1970, Linz), „Sonatine Nr. 2, Hommage an Franz Schubert“ bis 1975 den mittlerweile sehr erfolgrei- (UA: 11. 4. 1973, Linz), „Konzert für zwei Trompe- chen österreichischen Komponisten Ru- ten und Streicher“ (UA: 30. 1. 1977, Linz) u. v. m. dolf Jungwirth;24 der Lehrplan umfasste Zu Helga Riemann als freischaffender Komponis- den hindemithschen Tonsatz, Kontra- tin siehe auch Bayer, Riemann (wie Anm. 4), S. 41– punkt und vor allem jede Menge prak- 46. Sämtliche Kompositionen aus dem Nachlass Helga Riemann im Privatbesitz ihrer Söhne. tischer Übungen, wie zum Beispiel das 24 Literatur zu Jungwirth in Anm. 2. Bearbeiten von Haydnfragmenten oder 25 Mündliche Mitteilung von Rudolf Jungwirth an das Schreiben einer Sonate im Beetho- Tina Bayer am 10. 11. 2009. venstil.25 Nach und nach entstanden so 26 Informationen zu den Matineen: Bayer, Riemann (wie Anm. 4), S. 50–52. im Tonsatzunterricht bei Helga Riemann 27 Sämtliche Urkunden im Nachlass Helga Riemann. auch die ersten, frühesten Kompositio- 28 Das Begräbnis fand am 1. Dezember 2004 auf dem nen Jungwirths. städtischen Friedhof in Gmunden statt.

89 Künstlerin wie als Pädagogin mit per- Das Werk sönlich unverwechselbarem Charisma Das riemannsche Werkregister um- hat sie in Oberösterreich, aber auch fasst mehr als siebzig Kompositionen, darüber hinaus viele Menschen für die darunter 45 für Orchester- und Kam- Schönheiten und den Wert der Musik mermusik und rund zwanzig gemischt entfacht und begeistert. Das Werk und besetzte Stücke für Vokalmusik. seine Vermittlung waren ihr stets das Helga Riemanns reges Wirken auch erste und oberste Anliegen gewesen. als Publizistin bzw. Autorin bezeugen Einstige Schüler und ein empfängliches literarische Texte, autobiografische Publikum werden es in Zukunft weiter- Schriften sowie zahlreiche Fachartikel tragen. und -kommentare.29

29 Siehe Bayer, Riemann (wie Anm. 4), S. 54 ff.

90 Buchbesprechungen

Josef Fuchs (Hg.), Bundesabgabenordnung und „ars boni et aequi“, also die „Wissenschaft von dem, Landesabgabenordnungen. Verlag Österreich, Wien was recht und billig ist“ (Gustav Radbruch, Kleines 2009. 268 Seiten, broschiert, EUR 42,00. Rechts-Brevier). Gebräuchlicher ist die Übersetzung Jedenfalls Juristen ist klar, dass eine Verwal­ des vieldeutigen Wortes „ars“ mit Kunst. Um zu er­ tungsreform ohne gleichzeitige Reform der Ge­ kennen und anzuwenden, was „recht und billig“ im setzgebung zum Scheitern verurteilt ist. Wie sollen Einzelfall ist, bedarf es oft der Kunst des Einfühlens. bei einer stetigen Zunahme von Gesetzen, die zur Von da ist der Weg nicht weit zur Kultur im heutigen Regelung der Einzel- und Gesamtinteressen offen­ Verständnis, das sich auch im Begriff einer „europä­ bar notwendig sind, die Verwaltungstätigkeiten ischen Rechtskultur“ äußert. Ursprünglich verstand abnehmen? Nun erfolgte ganz ohne mediales Ge­ man unter „Kultur“ die Bearbeitung und Pflege des töse durch das Abgabenverwaltungsreformgesetz Bodens zur Nahrungsgewinnung, also die Agrikul­ – AbgVRefG, BGBl. I 20/2009, die Erweiterung des tur; Cicero hat sie zur Kultur des Geistes (cultura Anwendungsbereiches der Bundesabgabenord­ animi) verfeinert, woraus sich schließlich im deut­ nung – BAO auf Landes- und Gemeindeabgaben, schen Sprachraum die Unterscheidung von Zivili­ ein kleiner, aber anerkennenswerter Reformschritt! sation und – höherwertiger – Kultur entwickelt hat. Die Einzelheiten der am 1. Jänner 2010 in Kraft getre­ Die dritte – faszinierende – Rede ist dem Pro­ tenen Reform enthält die oben angeführte Ausgabe. blemkreis „Recht, Politik und Religion“ gewidmet Josef Demmelbauer und konstatiert ungeachtet der Bewährung der weltanschaulich neutralen Verfassungsordnung (S. 85 ff.) eine Wiederkehr des Religiösen in der Hasso Hofmann, Recht und Kultur. Drei Reden. säkularisierten Gesellschaft, und zwar nicht nur in Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philoso- der Form des Terrorismus islamischer Fundamen­ phie, Politik und Geistesgeschichte, Bd. 55. Verlag Duncker & talisten. In der berechtigten Angst davor werden die Humblot, Berlin 2009. 92 Seiten, EUR 28,00. „vielen verschiedenen engstirnigen Orthodoxien Das Recht ist zeit-, raum- und kulturabhängig. mit Totalitätsansprüchen auf das richtige Leben“ Daher kann es, wie Hegel in seinen Vorlesungen (S. 77) in der europäischen Geschichte vergessen, über die Philosophie der Geschichte formulierte, „in verständlich, sind doch deren Gefahren eben nur Europa … keine Salomos geben“. Der alttestamen­ noch Geschichte. tarische Inbegriff des gerechten Richters und weisen Alles in allem: Drei lesens- und bedenkens­ Herrschers hat nämlich nach dem Siegeszug der werte Reden! Josef Demmelbauer Gewaltenteilungslehre Montesquieus und der Auf­ klärung, dem „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant), im heu­ Matthias Tresselt, Friedrich Schiller und die Demo- tigen Europa ausgedient. Das rechtfertigt aber nicht kratie. Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungs- die insbesondere von den USA betriebene – regel­ recht, Bd. 81. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2009. 210 mäßig gescheiterte – missionarische Aufpfropfung Seiten, broschiert, EUR 69,80. des westlichen Demokratiemodells auf noch dem 2009 war im kulturellen Bereich das Jahr, in dem Stammesbegriff verpflichtete Staatsverbindungen so unterschiedlicher Erscheinungen des geistigen der Dritten Welt. Lebens wie Schiller und Darwin gedacht wurde. Recht und Kultur: Drei Reden des Würzburger Darwin, dessen revolutionäre Theorie der Evolution Rechtsphilosophen Hasso Hofmann kreisen um die­ den biblischen Schöpfungsbericht in seinen Grund­ ses Thema. Auf die erste Rede wurde bereits bei der festen erschüttert hat, wurde 200 Jahre davor gebo­ Besprechung von Bd. 48 der oben angeführten Reihe ren, Schiller, mit Goethe der Gipfel der Weimarer verwiesen (OÖ. Heimatblätter 2008, H. 3/4, S. 264, Klassik, 250 Jahre davor. 10 Jahre jünger als Goe­ sowie FN 29 auf S. 259). Die zweite Rede hat die the starb er, noch nicht 46-jährig, 1805 in Weimar. vorhin zitierte Hegel-Stelle zum Titel und geht der Schillers Einstellung zur Demokratie geht die vor­ Geschichte des Begriffspaars Recht und Kultur nach. liegende – staatsrechtliche – Tübinger Dissertation Recht (= Jus) ist nach römischer Juristendefinition nach. Zu welcher Demokratie? So fragt man sich

91 zu allererst. Denn: „Demokratie ist das die Geister ren Gesetzesflut, haben ihn genötigt, die 6. Auflage im 19. und 20. Jahrhundert fast allgemein beherr­ erstmals auf zwei Bände aufzuteilen. Sechs Auflagen schende Schlagwort. Gerade darum verliert es – wie sagen mehr als gängige Buchempfehlungen. jedes Schlagwort – seinen festen Sinn. Weil man Josef Demmelbauer es – dem politischen Modezwang unterworfen – zu allen möglichen Zwecken und bei allen möglichen Anlässen benützen zu müssen glaubt, nimmt dieser missbrauchteste aller politischen Begriffe die ver­ Wolfgang Kirchmayer, Wiener Baurecht, Kommen- schiedensten, einander oft sehr widersprechenden tar, 3. Auflage. Verlag Österreich, Wien 2009. 904 Seiten, Bedeutungen an, sofern ihn nicht die übliche Gedan­ gebunden, EUR 128,00. kenlosigkeit des vulgär-politischen Sprachgebrau­ „Wien ist anders“ – so überschrieb der frühere ches zu einer keinen bestimmten Sinn mehr bean­ Präsident des Baurechtssenates des Verwaltungsge­ spruchenden konventionellen Phrase degradiert.“ richtshofes, Wolfgang Hauer, einmal einen Aufsatz. So Hans Kelsen in der Vorbemerkung seiner Schrift Wien ist – seit 1921 – Bundesland und Ortsgemeinde „Vom Wesen und Wert der Demokratie“, deren 2. auf der Stufe einer Stadt mit eigenem Statut. Die Auflage 1929 in Tübingen erschienen ist. Organe der Stadt Wien haben auch jeweils Funkti­ Der Verfasser weiß um die Gefahr des Schlag­ onen der Landesorgane zu erfüllen; so hat z. B. der wortes sehr wohl Bescheid. Er verwendet für seine Bürgermeister auch die Funktion des Landeshaupt­ Untersuchung einen „entpolitisierten Ideenbegriff mannes. Daneben steht in Wien in den Angelegen­ Demokratie“, den er entsprechend umschreibt heiten des Bauwesens die Entscheidung in oberster – s. „Methode“ S. 13–20. Die weitere Vorgangs­ Instanz der sogenannten Bauoberbehörde zu. Ihre weise umschreibt er unter „Gang der Darstellung“ Mitglieder sind gemäß § 138 Abs. 5 der Wiener Bau­ (S. 20/21). Die folgenden fast 200 Seiten können hier ordnung „bei Ausübung ihres Amtes an keine Wei­ nicht einmal ansatzweise vorgestellt werden. In ih­ sungen gebunden“. Die Wiener Bauordnung war nen spiegelt sich das Staatsdenken des Dichters, das einst eine junge Bauordnung, sie stammt aus 1930, aus seinen Tragödien weithin leuchtet, aber auch aus wurde aber x-mal geändert. In Wien erfüllt die Bau­ seinen historisch-philosophischen Schriften zu he­ ordnung in ihrem 1. Teil „Stadtplanung“ – anders als ben ist, wie etwa aus der „Gesetzgebung des Solon in den anderen Bundesländern – auch die Funktion und Lykurgus“ oder der „Geschichte des Dreißigjäh­ eines Raumordnungsgesetzes. Es gibt dort auch rigen Krieges“, einer „Parallelaktion“ zu dem gewal­ kein eigenes Straßengesetz; die wesentlichen stra­ tigen „Wallenstein“. ßenrechtlichen Bestimmungen enthält ebenfalls die Nach dem Wort eines namhaften deutschen Bauordnung. Schon daraus erhellt ihre umfassende Staats- und Verwaltungsrechtlers unserer Tage sei Bedeutung: „Wien ist anders!“ die Lektüre z. B. des „Don Carlos“ für das tiefere Josef Demmelbauer „Verstehen“ der Verfassung wichtiger als das Lesen langer Passagen von Grundgesetz-Kommentaren. Das ist auch eine Empfehlung für die Lektüre des vorliegenden Schiller-Buches. Dawkins’ Gotteswahn; 15 kritische Antworten auf Josef Demmelbauer seine atheistische Mission. Rudolf Langthaler, Kurt Appel (Hg.), Böhlau Verlag Wien/Köln/Weimar 2010, 400 Seiten, EUR 39,00. ISBN 978-3-205-78409-8 Hans Neuhofer, Oberösterreichisches Baurecht, 6., Als Dauerbrenner auf dem Bestsellermarkt völlig neu bearbeitete Auflage in zwei gebundenen Bänden, gehört Richard Dawkins’ „Der Gotteswahn“ zu Trauner Verlag, Linz. den schärfsten, radikalsten und schonungslosesten Bd. 1: Bau- und Raumordnungsrecht 2007. 1 450 Seiten, Kampfschriften zeitgenössischer Religionskritik. EUR 128,50. Wie nicht anders zu erwarten, polarisierte der 2006 Bd. 2: Umwelt- und Bodenschutzrecht 2009, rd. 1 080 Seiten, erschienene Titel von Anbeginn die Lager, seine EUR 98,50. vor allem aus der Evolutionsbiologie abgeleiteten Seit 1976 gibt der ehemalige Direktor des Oö. Thesen und Hypothesen stoßen und stießen neben Gemeindebundes und Universitätslehrer Hans begeisterter Zustimmung auf teils heftige Gegner­ Neuhofer das Oö. Baurecht mit hilfreichen Erläu­ schaft, mitunter selbst bei prominenten Atheisten; terungen heraus. Die Änderungen im Baurecht, so sprach z. B. der deutsche Philosoph Herbert ein Teil der oft beklagten, aber nicht eindämmba­ Schnädelbach sinngemäß vom „langweiligen Auf­

92 guss einer seit dem 19. Jahrhundert bekannten na­ ratur vorgenommen. Die Fülle an bisher unbeach­ turwissenschaftlich verpackten Propaganda“. teten Aristoxenos-Stellen, die Einleitung und die Die Stichhaltigkeit der Dawkins’schen Denk- Übersetzung aller griechischen Textstellen – vielfach und Argumentationsansätze ist auch Gegenstand erstmals in die deutsche Sprache – leisten einen nicht dieser Analyse, die Essays von 15 renommierten unerheblichen Beitrag zur Grundlagenforschung Physikern, Biologen, Philosophen und Theologen auf dem Gebiet des Nachwirkens antiker Philoso­ aus Deutschland, Österreich und den USA inter­ phie- und Wissenschaftstraditionen. disziplinär vereinigt. Angesichts der Zusammenset­ Stefan Ikarus Kaiser, promovierter Musik­ zung des, durchwegs konservativen, Autorenpools wissenschafter, Autor mehrerer musikhistorischer überraschen die Ergebnisse im Einzelnen wenig, Bücher und Beiträge, wirkt als Stiftsorganist an der ihre Konvergenz springt – mit Blick auf die fachli­ Zisterzienserabtei Wilhering und ist u. a. Lektor an che und methodische Unterschiedlichkeit der Zu­ der Universität Wien. gänge – aber umso stärker ins Auge. Das etwa dort, wo Dawkins bescheinigt wird, wissenschaftliche Erkenntnisse in unsachlicher, vorurteilsbehafteter Verkürzung von einem Gebiet auf andere zu über­ Gerhard Winkler: Varia Norica. Gesammelte Auf- tragen, durch die generelle Reduzierung von Sein, sätze 1969–2009, Forschungen in Lauriacum, Son­ Welt und Bewusstsein auf empirisch Verfügbares derband II. Druck: Easy-Media GmbH Linz, 2010, 434 Geltungsansprüche zu erschmuggeln oder in seiner Seiten, EUR 20,–. ISBN 978-3-902299-08-8 unreflektierten Wissenschaftsgläubigkeit nicht nur Vier Dezennien hindurch standen die Verwal­ die nahezu gesamte philosophische Tradition des tungs- und die Militärgeschichte, das Siedlungs- und Abendlandes mit „souveräner Ignoranz“ zu miss­ das Verkehrswesen der römischen Provinz Noricum achten. im Brennpunkt seiner profunden, weitum beachte­ Dawkins’ evolutionsbiologischer Versuch, die ten Forschungs- und Publikationstätigkeit: Zum ei­ Existenz Gottes bzw. höherer, transzendenter Seins­ genen 75er hat nun HR Mag. Dr. Gerhard Winkler, aspekte als kulturell generiertes innerpsychisches langjähriges Vorstandsmitglied (bis 2009 Präsident) Trugbild abzufertigen, dessen Überwindung im der Gesellschaft für Landeskunde Oberösterreich, Namen von Ratio, Humanitas und einer aufgeklär­ seine seit 1969 im In- und Ausland erschienenen, ten Vernunft nun endlich anstehe, ist nicht erst mit mehrheitlich bereits vergriffenen Aufsätze in Form dieser gesammelten Replik in seinen Brüchen und aktualisierter, jüngste Erkenntnisse jeweils berück­ Fragwürdigkeiten offenbar geworden. Als Denkan­ sichtigender Wiederabdrucke gesammelt vorgelegt. stoß und geistige Herausforderung bietet der Band Der durchgehend mit, z. T. neuen, Schwarz- jedoch reichlich Stoff zu eigener Reflexion und welt­ Weiß-Abbildungen, Grafiken und Schautafeln aus­ anschaulicher Standortüberprüfung! gestattete Band, zugleich wertvolles wissenschaftli­ Camillo Gamnitzer ches Nachschlagewerk, ist bei der Gesellschaft für Landeskunde – OÖ. Musealverein, Haus der Volks­ kultur, Promenade 33/103, 4020 Linz, Tel. (07 32) 77 02 18, zum Einzelpreis von 20 Euro beziehbar. Stefan Ikarus Kaiser: Die Fragmente des Aristoxe- C. G. nos aus Tarent. Neu herausgegeben und ergänzt, erläutert und übersetzt, Georg Olms Verlag AG, Hildes- heim, Reihe SPUDASMATA, Band 18, 2010, 247 Seiten, broschiert, EUR 39,80. ISBN 978-3-487-14298-2 Margit Keiml: Index Bundesrecht 2010 (inklusive Diese neue Ausgabe aller literarischen Frag­ CD-ROM). 26. Auflage. Verlag Österreich, Wien 2010. mente des griechischen Musiktheoretikers, Bio­ 1358 Seiten, broschiert, EUR 90,00. grafen und Philosophen Aristoxenos aus Tarent Nach dem Pensionsantritt der langjährigen Be­ (4. Jahrhundert v. Chr.) schließt eine wichtige For­ arbeiterin Helga Stöger bearbeitet nun Margit Keiml schungslücke. Mehr als ein Drittel der 436 Textzeug­ das vom Bundeskanzleramt herausgegebene syste­ nisse in Schriften von der Antike bis zur Renaissance matische Verzeichnis des geltenden Bundesrechts sind Neufunde und erweitern alle früheren Textaus­ mit Stichtag 1. Jänner 2010. Wie hilfreich ist dieser gaben. Die Neuordnung der Fragmente und Testi­ Leuchtturm in der Flut der Gesetze, etwa in dem sich monien wurde unter chronologisch-systematischem laufend ändernden Sozial(versicherungs)recht, und Aspekt nach deren jeweiligem Fundort in der Lite­ hier vor allem im Pensionsrecht! J. D.

93 Jens Jäger, Fotografie und Geschichte (Campus His- in der Forschung nachspüren“ (8). Entsprechend torische Einführungen Bd. 7). 230 S., 11 Abb., Campus beginnt Jäger mit einem Blick auf die Forschung Verlag, Frankfurt/New York 2009, EUR 17,40 [A], EUR (19–45) und einem kurzen „Abriss der Fotografie­ 16,90 [D]. geschichte“ (46–73); hier notiert Jäger: „Die Auf­ Jens Jäger/Martin Knauer (Hg.), Bilder als histori- fassung dessen, was Fotografie sei und was deren sche Quellen? Dimensionen der Debatten um his- Anwendungsbereiche sein könnten, wurde in den torische Bildforschung. 208 S., Wilhelm Fink Verlag, ersten Jahrzehnten nach 1839 weitgehend von der München/Paderborn 2009, EUR 20,50 [A], EUR 19,90 europäischen, bürgerlichen Elite bestimmt“ (57). An­ [D]. zunehmen sei, dass sich trotz früher Kritik an der Historische Fotografien packen den Betrachter ‚Wahrheit‘ der Fotografie „die populäre Vorstellung auf einer ganz anderen Ebene als andere Bilder: Es ist von den Abbildungsleistungen der Fotografie bis ins der Charakter der „Spur“, des „Abdrucks“, der ihnen 20. und wohl auch bis in das 21. Jahrhundert kaum eine zwingende Kraft gibt, indem er das Gezeigte mit wandelte. Bildaufbau und -auswahl blieben [...] an Authentizität imprägniert. Fotos verheißen Evidenz, den jeweils als traditionell beschreibbaren Kriterien Wahrheit oder den unmittelbaren Blick auf ‚Wirk­ der Wirklichkeitsabbildung ausgerichtet“ (57; ähn­ lichkeit‘. Dies können sie bei genauerer Betrachtung lich auch 60). nicht einlösen, aber genau diese Verheißung trägt Das Kapitel ‚Methoden und theoretische An­ zum Fotoboom und zum Erfolg ganzer Buchreihen sätze‘ (74–103) umreißt drei von Jäger gebündelte mit einer romantisch-pittoresken Welt „in alten An­ ‚Modelle‘, sich dem Foto zu nähern: es als Datenlie­ sichten“ sicher Erhebliches bei. Und auch wer gelernt ferant zu nutzen (Konzentration auf den Bildinhalt, hat, bei der Arbeit mit Fotos unter deren ‚Oberflä­ die abgebildeten ‚Realien‘); nach der Bedeutung che‘ zu blicken, wird diese erste, vielleicht naive des Bildinhalts zu fragen (ikonographisch-ikono­ Empfindung wohl nie ganz verlieren. logischer Ansatz als Adaption kunstgeschichtlicher Die Beschäftigung der Geschichtswissenschaft Methoden) und schließlich das ‚neue‘ kulturwissen­ mit dem Foto als Quelle hat mit der Etablierung schaftliche, von einem Methoden-Mix gekennzeich­ neuer Forschungsbereiche (Sozialgeschichte, All­ nete Modell: Diskursanalyse, Rezeptionsgeschichte, tagsgeschichte) zugenommen, blieb jedoch lange Semiotik eröffnen Zugänge zu einer Geschichte der einem illustrativen Gebrauch verhaftet. Ein unge­ ‚visuellen Kultur‘. Bilder und Fotos, oder besser ge­ heurer Impetus hat sich aber aus dem ergeben, was sagt: Bild- und Fotopraxen werden dabei in ihrer seit bald 20 Jahren mit Iconic oder Pictorial Turn eine eigentümlichen Geschichtsmächtigkeit erkannt. Sie generelle Hinwendung zum „Bild“ in praktisch allen sind eben mehr als ein ‚Spiegel der Zeit‘, sie prägen Disziplinen bezeichnet. Damit öffne(te)n sich Pers­ und verstärken selbst wieder die Wahrnehmung der pektiven, Interpretationsebenen und -Ansätze, die ‚Wirklichkeit‘ – heute müsste man vielmehr sagen: den Quellenwert von ‚Bildern‘ im Allgemeinen und die Konstruktion der Wirklichkeit (und noch heu­ von Fotos im Speziellen quantitativ wie qualitativ tiger wäre: deren gesellschaftliche Aushandlung). potenzier(t)en. Angesichts einer mittlerweile aus­ Diese Zusammenhänge sind z. B. beim Projekt der ufernden Literatur zum Thema ist man für klärende Visual History zentral (100 f.). Nicht immer jedoch, und zusammenfassende Darstellungen dankbar, Jäger deutet es an (101), lassen sich theoretische An­ auch wenn diese beim heutigen Stand der Diskus­ sprüche beim konkreten Foto auch umsetzen. sion nur Zwischenetappen markieren können. Ausgangspunkt und Grundlage aller analy­ Jens Jäger hat schon vor fast 10 Jahren unter dem tischen Operationen müsse aber eine fundierte äu­ Titel „Photographie: Bilder der Neuzeit. Einführung ßere und innere Quellenkritik bleiben (79 f.). Stärker in die historische Bildforschung“ einen Überblick herauszustellen wären allerdings bildspezifische versucht, der jetzt in einer Neubearbeitung vorliegt. Leistungen: Die kunst- und bildwissenschaftliche Nach wie vor soll damit auch in die „historische Bild­ Forschung verfügt hier über entscheidende Kompe­ kunde“ eingeführt werden (15). tenzen, allein schon aufgrund eines selbstverständ­ Bei der Arbeit mit Fotos gehe es nicht nur da­ lich am Bild geschulten Blickes. rum, schriftliche und visuelle Überlieferungen zu Der größte Teil des Buches behandelt „Themen, ergänzen, sondern vielmehr um neue Zugänge und Ergebnisse und Problemfelder der Forschung“ (104– Fragestellungen: „Dazu müssen Historiker erstens 193). Neben der Entfaltung der Fotografie im 19. die Bilder selbst quellenkritisch analysieren und Jahrhundert (104–112), Arbeit und Industrie (113– zweitens deren jeweiliger zeitgenössischer und ge­ 120), Fotografie von Körpern (‚Rasse‘, ‚Klasse‘ und genwärtiger Verwendung in der Gesellschaft und ‚Geschlecht‘) (154–162), Fotos von Randgruppen

94 (Gefängnis, Krankenhaus, ‚Irrenanstalt‘) (162–168), aufriss (7–26). Weil die Geschichtswissenschaft keine Fotos des Anderen (Reise- und Kolonialfotografie) „bildzentrierten Analysemethoden entwickelt hat“, (168–182) sowie ‚Private Praxis‘ (Amateure, Knipser, werden diese „zwangsläufig [...] von Nachbardiszi­ populäre Fotografie) (183–194) ist vor allem das Ka­ plinen ‚entliehen‘ bzw. den eigenen Bedürfnissen pitel ‚Bildjournalismus und Propaganda‘ (120–154) und Fragestellungen angepasst“ (15). Dieser gän­ hervorzuheben. In diesem Abschnitt werden ganz gigen Einschätzung, die stets nur das Unvermögen zentrale Fragen des Gebrauchs und der Rezeption der Geschichtswissenschaft in Bildfragen betont – von Fotografie angesprochen (wichtig die Themen oder ihren „Logozentrismus“, wie im Beitrag ‚Sehen ‚Krieg und Fotografie‘ und ‚Erinnerungskultur‘), heißt glauben: Historiker und Bilder‘ der englischen gängige Sichtweisen zurechtgerückt und methodi­ Kunsthistorikerin Dana Arnold (27–43) –, halten Jä­ sche Probleme herausgestrichen. ger/Knauer entgegen, dass man auch fragen müsse, Dem Band beigegeben ist eine über 30-seitige wie die Historiografie „auf ihre Weise Spezifisches Bibliografie, die (unter Absehung von im engeren zur Erforschung von Bildern beitragen“ könne (14). Sinne kunsthistorischer Literatur) Hauptaugenmerk Gerade die „Wirkung, Evidenz und Autorität“ der auf Publikationen legt, die „methodische Wege zur Bilder ließe sich „ausschließlich in der gemeinsamen Integration von Fotografien in die historische For­ Analyse von Bild und Text erschließen [...]“ (17). schungspraxis aufzeigen oder grundsätzliche the­ Und ganz zu Recht heißt es, dass die Übernahme oretische Betrachtungen über Fotografie als Quelle „außerdisziplinärer Praktiken“ auch eine Ausein­ anstellen“. (17) Ein beeindruckendes Zeugnis der andersetzung mit „den sich dabei eingehandelten lebendigen Diskussion, für die man mit Jägers fa­ methodischen Fallstricken“ voraussetze (15). Man cettenreicher und kompetenter Einführung über ein muss sicher kein Historiker sein, um zu verstehen, gutes Koordinatensystem verfügt. Jeder, der histori­ dass Bilder nicht der Schlüssel zu allem sind noch sche Fotos bearbeitet und verwendet – ob Historiker, sein können. Anzuerkennen sei, insistieren Jäger/ Heimatkundler, Bildredakteur, Museumsdidaktiker Knauer aber noch einmal, „dass Bilder den gleichen oder Pädagoge –, wird Gewinn aus der Lektüre zie­ Quellenwert haben wie Texte und nicht einen pri­ hen. Nur etwas stört beim Lesen: Zwar ist die Über­ vilegierten Zugang zu vergangener Wirklichkeit legung, die Verlags-Homepage in den Rezeptions­ darstellen“ (18). Timm Starl hat hier übrigens nach­ prozess einzubauen, nachvollziehbar (und für eine gerade eine Apologie der Geschichtswissenschaft kommentierte Linkliste völlig in Ordnung), aber als ausgemacht (siehe seine insgesamt positive Rezen­ Leser hätte man die flankierenden Quellentexte und sion unter http://timm-starl.at/fotokritik-text-50.htm ausführlichen Bildkommentare doch lieber im Buch [9. 5. 2010]). gefunden – und nicht erst nach einem Medienwech­ Lukas Burkart beleuchtet unter dem bezeich­ sel. nenden Titel ‚Verworfene Inspiration‘ (71–96) Percy Die hier nur kurz angezeigte Aufsatzsammlung Ernst Schramms „doppelte, letztlich nicht aufzulö­ „Bilder als historische Quellen?“ kann ebenfalls als sende wissenschaftshistorische Sozialisation“ (89): – in diesem Fall ‚genealogische‘ – Einführung in die Früh unter dem Einfluss Aby Warburgs, wurde historische Bildforschung gelesen werden: Wege, Schramm bald von der ‚Reichsmediävistik‘ geprägt, Nebenwege und Umwege im historiographischen wodurch sich sein Bildverständnis erheblich wan­ Umgang mit Bildern, festgemacht an einzelnen Per­ delte. Was sich bei Schramm als individuelle Ent­ sonen bzw. Entwicklungssträngen, zeigen die Ge­ scheidung zeigt, lässt sich für die Wissenschaftskul­ schichtswissenschaft selbst in ihrem geschichtlichen tur generell feststellen: Innerhalb der Mediävistik Charakter. Und dies lässt besser verstehen, warum unterblieb eine breite Rezeption der Kulturtheorie der Iconic Turn die (deutschsprachige) Geschichts­ Warburgs oder auch des Symbolbegriffs Cassirers – wissenschaft erst „vergleichsweise spät“ erreicht hat Schramm immerhin war mit beidem vertraut. – obwohl in Mediävistik und Frühneuzeitforschung Martin Knauer behandelt Bildbegriff und Bild­ schon seit Langem „ein begrenzter Umgang mit praxis der ‚Drei Einzelgänge(r)‘ Schramm, Hartmut Bildquellen“ etabliert ist (7 f.). Boockmann und Rainer Wohlfeil (97–124). Letzterer „Bildzuständige Kunsthistoriker“ – „textzustän­ hat zusammen mit seiner Frau Trudl Wohlfeil die dige Historiker“: an dieser um 1900 ausgebildeten Diskussion seit Anfang der 1980er-Jahre entschei­ Arbeitsteilung (Jens Jäger beleuchtet die entschei­ dend angeregt; mit dem von Wohlfeil und Brigitte denden Jahrzehnte 1880–1930 in seinem Beitrag, 45– Tolkemitt herausgegebenen Beiheft 12 „Historische 69, eingehend) habe sich lange nichts geändert, so Bildkunde“ der ZS für historische Forschung war Jäger und Martin Knauer im einführenden Problem­ die Bildfrage 1991 auch im Mainstream angekom­

95 men. Bei Wohlfeil wird auch die Geschichtsdidak­ Eine der hervorragendsten Leistungen im tik immer mitangesprochen, in der die Bildfrage Bereich der bairisch-österreichischen Dialektlexi­ von besonderer Virulenz ist (112 f.). Nach Knauer kografie stellt das neue Mundartwörterbuch von präsentieren sich aber trotz „inzwischen zahlreicher Wolfgang Stöckl dar. In mehr als 40-jähriger For­ bildhistorischer Ansätze [...] bis heute bildaffine His­ schungsarbeit hat der Regauer Germanist über toriker viel zu oft als dilettierende Autodidaktiker“ 31 000 Stichwörter aus der Gegend des südlichen (114). Man verharre bei zu engen Bildbegriffen, rezi­ Hausruckviertels zusammengetragen und bearbei­ piere die Forschung zu wenig (auch die des eigenen tet. Die Basis zu dieser Sammlung hat Stöckl bereits Faches), isoliere sich damit nicht nur in der Zunft, 1968 mit einer Dissertation über „Mundart- und sondern versäume es auch, sich in einen fruchtba­ Sachkundliches über bäuerliche und handwerkliche ren interdisziplinären Austausch einzubringen. Im Geräte im Bezirk Vöcklabruck“ gelegt, in zahllosen letzten Beitrag behandelt Daniela Kneissel ‚Bild­ Feldforschungen wurde dieser Grundstock über die zeugnisse als Forschungsgegenstand‘ in der franzö­ Jahre hinweg sukzessive erweitert. Methodisch ist sischen Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts das Wörterbuch der sogenannten „Wiener dialek­ (149–199). Ihre bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts tologischen Schule“ verpflichtet, was sich sowohl in ausgreifenden Ausführungen bedeuten eine wich­ der direkten Materialerhebung bei Gewährsperso­ tige Ergänzung zu der in diesem Band vorherrschen­ nen vor Ort als auch in der Gestalt der Stichwörter den ‚deutschen‘ Perspektive. (s. dazu weiter unten) niederschlägt. Zwar hat Stöckl Den Herausgebern ist u. a. diese Lücke durch­ auch aus älteren Wörterbüchern geschöpft und die aus bewusst – das übrige Europa, die amerikanische einschlägige Literatur konsultiert, doch wurde jedes Geschichtswissenschaft, nichtwestliche Traditionen Lemma (Stichwort) nochmals bei Gewährspersonen fehlen –, doch verstehe sich der Band „als Einladung verifiziert, bevor es in die Sammlung aufgenommen zu weiteren Forschungen“, als „Aufforderung zu Wi­ wurde. Dies ist – im Vergleich mit anderen Wör­ derspruch“, allenfalls als ein „erster Anfang“ (17 f.). terbüchern, in denen (historische) Belege aus der In der weiteren Diskussion jedenfalls wird man an Literatur und (aktuelle) Belege aus der lebenden diesem durchaus guten Anfang nicht vorbeikom­ Mundart beliebig gemischt werden – als besonde­ men! Reinhard Kren res Qualitätsmerkmal anzusehen, zumal bei vielen (Rezensionsauszug) Stichwörtern auch die entsprechenden Herkunfts­ orte angegeben werden. Die Erhebungsorte und die Informanten werden in der Einleitung verzeichnet, wobei allerdings nur jene Gewährsleute namentlich Stöckl, Wolfgang: Die Mundart zwischen Haus- bedankt werden, die Stöckl wiederholt aufgesucht ruck und Mondsee. Grunddialekt und Berufsspra- hat. chen. Edition Sommerfrische, 2008, 687 Seiten, Im Gegensatz zu vielen anderen Sammlungen EUR 38,00. ISBN 978-3-902415-12-7 beschränkt sich Stöckls Wörterbuch nicht auf den In den letzten Jahren lässt sich eine bemerkens­ spezifischen Dialektwortschatz, also auf Wörter, die werte Sammeltätigkeit auf dem Gebiet des dialekta­ in der Hochsprache nicht oder nur in anderer Be­ len Wortschatzes beobachten. Zahlreiche Initiativen deutung vorkommen, mundartliche Kuriositäten in Form von Wörterbüchern, Lexika, Mundart- also, vielmehr umfasst es den gesamten Grundwort­ Plattformen, Online-Foren usw. zeugen von einem schatz, sodass auch beispielsweise Wörter wie ma- regelrechten Mundart-Boom. Hintergrund dieses chen oder fahren (mit der spezifischen Bedeutung „ein wachsenden antiquarischen Interesses ist offenkun­ Spiel des Tarockspieles spielen“) vorkommen. Dabei dig der drohende Verlust lokaler und regionaler handelt es sich vornehmlich um den bäuerlichen Ba­ Sprachformen. Ganze Wortschatzbereiche der vor­ sisdialekt, der wegen der vergleichsweise geringen industriellen Lebens- und Arbeitswelt wie beispiels­ Mobilität dieser Bevölkerungsschicht gemeinhin als weise die Terminologie der Flachsverarbeitung und die von der Standardsprache am weitesten entfernte der Weberei sind im Zuge der wirtschaftlichen und Sprachvarietät gilt, kurz: als der „echteste“ und kon­ gesellschaftlichen Umwälzungen des letzten Jahr­ servativste Dialekt. Darüber hinaus verbucht das hunderts in Vergessenheit geraten. Als Bewahrung Wörterbuch den Wortschatz der Fachsprachen von von Sprach- und Sachwissen ist die Dokumentation vierzig zum Teil im Aussterben begriffenen Berufen: der regionalen Dialekte somit auch im Kontext einer vom Bergmann über den Flößer, Glaser, Holzknecht umfassenden Sicherung des immateriellen Kultur­ und Seiler bis hin zum Zimmermann. In manchen erbes zu sehen. Berufszweigen hat Stöckl die letzten noch lebenden

96 (oder inzwischen bereits verstorbenen) Vertreter ih­ Artikel zu Artikel springend, verwandte Wort- und res Standes befragt. Sachbereiche erkundet. Eine besondere Betrachtung verdient die Ge­ Neben dieser Abgrenzung des linguistischen staltung der Lemmata (Stichwörter). Die Frage, wie Gegenstandes werden auch die Parameter Raum der gesprochene Dialekt zu verschriften sei, stellt und Zeit klar definiert. Das Erhebungsgebiet be­ sich mangels einer verbindlichen Orthografie allen schränkt sich auf das südliche Hausruckviertel, damit Befassten. Da aufgrund des begrenzten Zei­ das im Wesentlichen dem Bezirk Vöcklabruck ent­ cheninventars keine Deckungsgleichheit zwischen spricht. Innerhalb dieses Gebietes finden sich mit dem lateinischen Alphabet und dem Lautsystem der dem Mondseeland einerseits und dem Attergau und Mundart herzustellen ist, muss man sich entweder dem Hausruck andererseits ausgeprägte Dialekt­ zu einer lautgerechten Schreibung (mit der Ver­ landschaften, zwischen denen wichtige sprachliche wendung vieler Sonderzeichen) entschließen oder Grenzen verlaufen. Diese Beschränkung auf einen zu einer Schreibung, die sich an der Schriftsprache Bezirk, gewissermaßen „eine mundartkundliche bzw. an deren historischen Vorformen orientiert. Bei Tiefenbohrung“ (S. 6), mag von Benützern aus ande­ der Lösung dieses Dilemmas versucht Stöckl nach ren Gegenden als Nachteil empfunden werden, tat­ eigenen Angaben einen „Ausgleich zwischen histo­ sächlich aber weist das Wörterbuch in vielen Fällen rischer und phonetischer Variante zu finden“ (S. 9). über sein engeres Erhebungsgebiet hinaus. So ist der Ein Blick ins Wörterverzeichnis zeigt allerdings, allergrößte Teil des Grund- und Fachwortschatzes dass der Kompromiss eher zugunsten historisch- von überregionaler Geltung, was insbesondere für etymologischer Kriterien ausgefallen ist, wie dies für die linguistischen und sachkundlichen Informatio­ die Tradition der „Wiener dialektologischen Schule“ nen, die Bedeutungsangaben und für die Phraseolo­ typisch ist. So wird der mundartliche Laut oa in Wör­ gismen, Sprichwörter, Redensarten usw. gilt. Auch tern wie breit, geiß und Heinzelbank als brait, Gaiß und der zeitliche Rahmen ist klar abgesteckt: Aufgrund Hainzelbänk verschriftlicht, Wörter wie Blatter oder der Befragung lebender Gewährsleute, von denen Wetter werden mit einfachem Konsonanten als Bla- die ältesten während des Ersten Weltkriegs geboren tern, Weter geschrieben und der/das Teller ist unter dem sind, erfasst das Wörterbuch im Wesentlichen den Stichwort Täller bzw. Tailler zu suchen. Besonders Sprachgebrauch des 20. Jahrhunderts, reicht aber gewöhnungsbedürftig ist diese Tendenz zur histori­ im passiven, noch in der Erinnerung an Eltern und schen Lemmatisierung bei morphologischen Beson­ Großeltern vorhandenen Wortschatz weit bis ins 19. derheiten wie den Kollektivbezeichnungen, die zum Jahrhundert zurück. Beispiel als Glumpách (sprich: glumpad, „schlechtes, Die Gestaltung der Artikel folgt einem einheit­ wertloses Zeug“) oder Gspeibách („1. Sputum, 2. min­ lichen Muster. Am Beginn steht jeweils ein Stich­ derwertiges Zeug“) angesetzt werden oder bei Ad­ wort, zu dem gegebenenfalls Hinweise zur Lautung jektiven mit der Endung -echt, etwa in teppecht (sprich: und – in jedem Fall – grammatische Angaben (Wort­ depad, „dumm, geistig beschränkt“) oder wampecht art, Genus, schwache oder starke Bildung) treten. (sprich: wåmpad „dickbauchig“). Diakritische Zei­ Darauf folgen eine oder mehrere Bedeutungsanga­ chen (Akzente, übergesetzte Punkte) werden vor ben, Sachinformationen und Anwendungsbeispiele allem im Bereich der Vokale zur Unterscheidung (Phraseologismen, Redensarten, Reime, Sprüche, einzelner Phoneme verwendet. So bezeichnet die Gstanzel usw.). Eine Zuordnung zu verschiede­ Schreibung <á> das helle, palatale a in Wörtern wie nen Sachbereichen (z. B. Botanik, Flurname, Jagd, Háchsen „Bein, Fuß“ oder mácherln „basteln, schnitzen, Küche, Most, Ross/Rosszeug, Veterinärmedizin, kleinere Arbeiten verrichten“, während die unbe­ Totenkult, Zoologie), Literaturhinweise und ety­ zeichnete Schreibung den gehobenen, velaren, mologische Angaben ergänzen die Artikel jeweils. verdumpften a-Laut in Wörtern wie machen [måcha] Eine Besonderheit bilden schließlich noch Verweise und Agras(el) [ågråsl] „Stachelbeere“ meint. Analog auf Synonyme, Ableitungen und Komposita, die unterscheidet Stöckl im e-Bereich zwischen ge­ sich jeweils auf das im Alphabet nächste zugehörige schlossenem <ė> in Wörtern wie Vetter [vėda] und Lemma beziehen. So wird beim Stichwort Armen- offenem in Wörtern wie Bletschen „großes Blatt“. haus auf Bachhaus, von hier auf Beienhaus usw. bis hin Mit Stöckls Dialektwörterbuch ist das für den zu Zughaus verwiesen und von diesem wiederum auf bairischen Sprachraum Österreichs bisher umfang­ das Armenhaus. Durch diese ausgeklügelte ökono­ reichste Nachschlagewerk seiner Art erschienen. mische Verweisstruktur kann das Wörterbuch auch Damit ersetzt bzw. ergänzt es einerseits Werke wie quasi als Lesebuch benützt werden, indem man von J. A. Schmellers „Bayerisches Wörterbuch“ (1821–

97 1827), das Oberösterreich nur am Rande berück­ Obwohl bereits vor Jahrzehnten Othmar Wes­ sichtigt, oder das hinsichtlich Raum und Zeit sehr sely Bruckners Tätigkeit in Linz erschlossen hat, hat inhomogene „Wörterbuch zur oberösterreichischen sich E. Maier nach verschiedenen neuen Erkennt­ Volksmundart“ (1978) von O. Jungmair und A. Etz. nissen und Entdeckungen bisher unbekannter Do­ Andererseits wird man Stöckls Wörterbuch auch kumente erneut dieses Thema vorgenommen. Die noch jahrzehntelang anstelle des großen „Wörter­ Autorin, die durch ihre jahrelange wissenschaftliche buchs der bairischen Mundarten in Österreich“ Arbeit im Anton Bruckner Institut Linz, durch die (1963 ff.) heranziehen müssen, dessen bislang er­ Konzeption von Ausstellungen und Symposien schienene Lieferungen erst die Anfangsbuchstaben und durch zahlreiche Publikationen und Vorträge A, B, P, C, D und T abdecken. Das Wörterbuch ist als Bruckner-Spezialistin ausgewiesen ist, hat sich eine Fundgrube für alle, die sich wissenschaftlich bereits in einigen Publikationen mit der Persönlich­ oder aus sonstigem Interesse mit historischer und keit Bruckners einfühlsam auseinandergesetzt und sprachlicher Landeskunde, Alltags-, Sozial- und dazu grundlegende Erkenntnisse publiziert (OÖ. Wirtschaftsgeschichte, Germanistik, Theologie, Hbl. 50, 1996, 447. Notizkalender). Sie hat mit beach­ Volkskunde und Biologie (insbesondere Botanik) tenswerter Umsicht und Sorgfalt in mühevoller und befassen. Auch für interessierte Laien ist es als jahrelanger Arbeit – mehrmals unterbrochen durch Nachschlagewerk und Lesebuch empfehlenswert, einige andere termingebundene Publikationen und nicht nur wegen der Fülle an Bezeichnungen aus Vorträge – in mehreren Archiven wesentliche Ori­ Landwirtschaft und altem Handwerk, sondern auch ginaldokumente ausfindig gemacht und großteils in wegen der zahlreichen Anwendungsbeispiele im vollem Wortlaut im 368 Seiten umfassenden Doku­ Bereich des emotionalen Wortschatzes (Schimpf­ mententeil publiziert. wörter), der Redensarten, der Sprüche und Reime usw. Fazit: Der „Stöckl“ sollte in jedem Haushalt sei­ Außer der Organistentätigkeit kommen auch nen Platz finden, wo man sich über Sprache (noch) weitere verschiedene Aktivitäten Bruckners in den Gedanken macht. Linzer Jahren (1855 bis 1868) zur Sprache: z. B. seine Zusätzlicher Hinweis: Thematische Auszüge Tätigkeit beim Sängerbund „Frohsinn“, seine priva­ aus Stöckls Wörterbuch sind übrigens auch in ei­ ten Musikstunden und seine zielstrebigen Studien ner Reihe kleinerer Publikationen (ebenfalls in bei Otto Kitzler, Ignaz Dorn und Simon Sechter zur der Edition Sommerfrische) erschienen, und zwar Vervollkommnung seiner Fertigkeiten als Kompo­ Reime und Sprüche (2003), das oberösterreichische nist und Organist. Besonders wichtig ist der Auto­ Schimpfwörter-Buch (2004), Redensarten (2005), rin, den wesentlichen Entwicklungsschritten seiner Scherzwörter (2006) sowie Reime, Sprüche und Künstlerpersönlichkeit nachzugehen. Gerade die Gstanzl (2007). Stephan Gaisbauer Studien sind von seinem Wunsch nach Anerken­ nung, nach musikalischen Diensten in der Musik- und Residenzstadt Wien getragen; dieser Wunsch, den er mit Hilfe von Freunden – durch einen um­ Elisabeth Maier: Anton Bruckner als Linzer Dom- fangreichen Briefwechsel belegt – ehrgeizig verfolgt, und Stadtpfarrorganist. Aspekte einer Berufung. findet 1868 durch die Berufung nach Wien die er­ Mit einem Beitrag von Ikarus Kaiser: Der Dom- sehnte Erfüllung. und Stadtpfarrkapellmeister Karl Borromäus Wal- Die großteils erstmalige Textwiedergabe un­ deck und die Orgel der Stadtpfarrkirche Linz. An- zähliger Dokumente, Briefe, Zeitungsberichte und ton Bruckner Institut Linz, Anton Bruckner Dokumente und einschlägiger Ausschnitte aus der Fachliteratur – Studien, Band 15. Wien, Musikwissenschaftlicher Verlag, exakt chronologisch geordnet – geben uns Einblick 2009, 99 und 419 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und in den damaligen bürokratischen Aktenlauf, in das Faksimile. ISBN 978-3-900270-72-8 konsequente Streben nach freiem künstlerischen Mit dem Untertitel „Aspekte einer Berufung“ Schaffen, die sprachliche Ausdrucksweise A. Bruck­ will Elisabeth Maier neben den amtlichen Vorgän­ ners und seiner Brieffreunde, in die ästhetische Be­ gen rund um die Verleihung des Organistenpostens wertung der kirchenmusikalischen Tradition der und der Organistentätigkeit an Stadtpfarrkirche und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Mu­ Dom vor allem den Weg zum persönlichen, künst­ sikrezensenten und besonders in die Persönlich­ lerischen Selbstverständnis „Symphoniker als Le­ keit Bruckners. Diese kommentierte Textedition ist bensberuf“ des jungen, aufstrebenden Komponis­ durch Faksimilereproduktionen einiger wichtiger ten mit dem Brotberuf Organist darlegen. Schriftdokumente ergänzt.

98 Im Anschluss daran befasst sich I. Kaiser mit 28 Briefe entdeckt. Teils tauchten sie aus privaten Karl Waldeck, Bruckners Freund und Amtsnachfol­ Nachlässen bei Auktionen auf, worauf sie von öf­ ger an Stadtpfarrkirche und Dom. Er legt eine aus­ fentlichen Sammlungen erworben werden konnten, führliche Biographie mit Werkverzeichnis vor. Wal­ teils stieß man auf sie eher zufällig bei der Durchsicht deck diente ab 1868 an beiden Kirchen als Organist der unzulänglich katalogisierten Briefkonvolute in und ab 1890 bis zu seinem Tod, 1905, als Kapellmeis­ Sammlungen, Bibliotheken und Archiven im Zuge ter, als welcher er ein anspruchsvolles kirchenmu­ ganz anderer Forschungsarbeiten. Somit konnten sikalisches Repertoire pflegte. Zu seinem Schüler­ in der Neuauflage 43 neue Briefe chronologisch kreis, der sein Ansehen als Komponist hervorhebt, eingereiht wurden. Darüber hinaus wurden von 53 zählten Martin Einfalt, August Amadé v. Pereira, Dr. Briefen, die in der Erstauflage nur nach den älteren Höllrigl, Sr. Ursula Mittag, Dr. Anton Lang und sein gedruckten Briefsammlungen von Franz Gräflinger Neffe und Amtsnachfolger Ignaz Gruber. Besonde­ und Max Auer wiedergegeben werden konnten, die res Interesse gebührt dem Werkverzeichnis, da der Originale aufgefunden. Dadurch waren zahlreiche Autor im Zug seiner Katalogisierungsarbeiten das Korrekturen in den Brieftexten und die Ergänzun­ 1911 von Franz Gräflinger publizierte durch zahl­ gen der aktuellen Aufbewahrungsorte einzufügen. reiche Neufunde beachtlich erweitern konnte. Man Bei manchen undatierten Briefen konnte nunmehr darf hoffen, dass auch die verschollenen und noch das tatsächliche Datum verifiziert werden, weshalb weitere Kompositionen Waldecks auftauchen wer­ diese Briefe an einer anderen Stelle eingereiht wer­ den. den mussten. Damit ergaben sich auch Ergänzungen Das Register der Personen, Orte und Institu­ in den Kommentaren hinsichtlich bibliographischer tionen, ein weiteres der zitierten Werke A. Bruck­ und biographischer Einzelheiten. ners und eines der verwendeten Zeitungen und Abschließend bringt der Band im Quellenver­ Zeitschriften ermöglichen bei Detailfragen einen ra­ zeichnis eine Liste der derzeitigen Aufbewahrungs­ schen Zugang zum Inhalt des Buches. Alles in allem orte, einen Revisionsbericht, der die Briefe mit Er­ ein Buch, das viele im Raum stehende Fragen beant­ gänzungen und Korrekturen anführt, ein Register wortet. Karl Mitterschiffthaler der Namen, Orte und Institutionen und eines der zitierten Werke Anton Bruckners. Nach diesem er­ freulichen Ertrag wartet man schon auf die zweite Auflage des 2. Bandes. Karl Mitterschiffthaler Anton Bruckner, Briefe. Band I 1852–1886. 2., re- vidierte Ausgabe, verbesserte Auflage vorgelegt von Andrea Harrandt unter Berücksichtigung der Vorarbeiten von Otto Schneider. Anton Bruckner, Druckenthaner, Kurt (Hg): o-radl. Salzkammergut Sämtliche Werke Band 24/1. Wien: Musikwissenschaft- Dialektvarianten. B-Tracht, Ebensee, 2007. 336 S. inkl. licher Verlag der Internationalen Bruckner-Gesellschaft, Audio-CD. (= Betrachtungen, Schriftenreihe des Vereines 2009. 369 Seiten. ­B-TRACHT Ebensee 2). Auslieferung: [email protected] ISBN 978-3-902681-16-4. ISMN 979-0-50025-267-2 Viele Dialektregionen und manche soziale Schon die für die Erstauflage geleistete For­ Gruppen entwickeln charakteristische sprachliche schungsarbeit stellte klar, dass die Sammlung nicht Merkmale (z. B. phonetische Auffälligkeiten, Sig­ endgültig abgeschlossen ist und in Zukunft noch nalwörter, soziale Codes), die Außenstehenden die weitere Briefe von, an und über Anton Bruckner ans eindeutige Zuordnung der Sprecher/-innen zu ei­ Tageslicht kommen werden; und man kann das jetzt ner bestimmten Gegend oder zu einer bestimmten für die Zukunft genau so sagen. sozialen Schicht erlauben. Die Sprachwissenschaft Nachdem der erste Band der Bruckner-Briefe nennt ein solches Merkmal mit deutlichem Signal­ (OÖ. Hbl. 53, 1999, 140 f.) vergriffen war und – wie charakter „Schibboleth“, ein Wort, das nach einer schon seinerzeit zu erwarten – noch weitere 43 Briefe Schilderung des Alten Testaments 42 000 Ephraimit­ entdeckt werden konnten, war es naheliegend eine ern zum Verhängnis wurde, als sie auf der Flucht vor erweiterte 2. Auflage zu publizieren. Schon kurz den siegreichen Gileaditern die Frage beantworten nach dem Erscheinen der Erstauflage des 1. Ban­ mussten: „Bist du ein Ephraimiter? Wenn er dann des, 1998, konnten 15 Briefe gefunden werden, die antwortete: Nein!, ließen sie ihn sprechen: Schibbo­ 2003 als Nachträge im 2. Band publiziert wurden. let. Sprach er aber: Sibbolet, weil er’s nicht richtig In den vergangenen Jahren wurden durch gezielte aussprechen konnte, dann ergriffen sie ihn und er­ Forschungen und auch zufällige Funde weitere schlugen ihn an den Furten des Jordans […]“. (Rich­

99 ter 12, 5–6) In Oberösterreich gehört vor allem das als [haga(d)l] und [voga(d)l] ausgesprochen werden. Salzkammergut zu jenen Regionen, die sich gleich Verwendet nun ein typischer Sprecher aus Goisern, durch mehrere auffällige Schibboleths auszeichnen, Ischl oder Ebensee das Fremdwort oral („zum Mund sodass man als Zugreisender auf der Westbahnstre­ gehörig, mündlich“), wird er dieses Wort in der Re­ cke meist mit ziemlicher Sicherheit voraussagen gel ebenfalls mit dem charakteristisch geriebenen l kann, wer von den Fahrgästen in Attnang-Puchheim artikulieren, eben als „o-radl“. Durch diese subtile auf die Salzkammergutbahn umsteigen wird. Art des Sprachspotts erhält die Wahl des Titels auch Zu solchen und ähnlichen sprachlichen Phäno­ noch eine humorvolle Note. menen hat der Traunkirchner Gymnasiallehrer, Dia­ Der inhaltliche Bogen des Sammelbandes lektologe und Komponist Kurt Druckenthaner einen spannt sich „vom dialektologischen Forschungsbe­ außergewöhnlichen Sammelband herausgebracht, richt über Sprachproben (in Transkription und auf der als zweiter Band in der Reihe „Betrachtungen, Tonträger) bis hin zum literarischen Text.“ (S. 6). Schriftenreihe des Vereines B-TRACHT Ebensee“ Vier Hauptabschnitte markieren unterschiedliche erschienen ist, einer Reihe, „deren Grundkonzept Zugänge zum übergeordneten Thema „Sprach­ darin besteht, Themen von regionalem Interesse aus varietäten“, mit dem sich zehn Autoren und eine möglichst unterschiedlichen und weniger bekann­ Autorin in insgesamt vierzehn Beiträgen ausein­ ten Blickwinkeln zu präsentieren“ (S. 5). Drucken­ andersetzen. Teil I des Buches (S. 11–88) befasst thaner, der „Gründungsmitglied und langjähriger sich mit der „dialektlandschaft­ salzkammergut“ im Präsident des Kulturvereines B-TRACHT“ (S. 330) engeren Sinne, Teil II (S. 89–126) widmet sich den war, zeichnet nicht nur für das Konzept und den In­ „historische[n] fachsprachen“ der Salinen- und halt des Buches verantwortlich, er fungiert auch als Waldarbeiter, Teil III (S. 127–288) erschließt unter grafischer Gestalter des Umschlags und des Labels dem Titel „nebenzweige“ das Thema der Außen­ der beiliegenden Audio-CD sowie etlicher Skizzen sprachinseln des Salzkammerguts (allerdings nicht, und Abbildungen. Einband und CD-Label zeigen – wie es der Titel suggeriert, in beiläufiger, sondern unter Verwendung einer Abbildung aus dem Volks­ schon eher in enzyklopädischer Weise), Teil IV brockhaus – in grob gerasterter bildlicher Variation (S. 289–238) nähert sich mit „haikus & koane“ dem unterschiedliche orale Stellungen bei der Ausspra­ Thema Sprachvariationen von literarischer Seite. che der einzelnen Kardinalvokale (i – ü – u – e – ö – o Nun zu den Beiträgen im Einzelnen: – ä – å – a). Zu Beginn gibt der an der Universität Salzburg Schon der Titel „o-radl“ ist höchst ungewöhn­ wirkende Sprachwissenschaftler Hannes Scheutz lich und scheint, aufgeladen mit mehrdeutiger einen konzentrierten Überblick über „die Dialekte Symbolik, über sich selbst hinauszuweisen. Bei des Salzkammergutes“. Aufgewachsen in Perneck oberflächlicher Deutung mag man ihn etwa auf die bei Ischl, wurde Scheutz bereits „beim Wechsel in Gestalt des diakritischen Ringsymbols im häufig ein Linzer Gymnasium zum ersten Mal schmerzhaft verwendeten Lautzeichen <å> beziehen oder aber darauf aufmerksam“, dass seine aus dem Salzkam­ auch auf Form und Inhalt der beigelegten Audio- mergut mitgebrachten Schibboleths „Anlass für CD, die als kleines Rädchen mit einem Loch in der häufigen Sprachspott (auch vonseiten des Deutsch­ Mitte („o-radl“) Sprach- und Musikbeispiele im O- lehrers) waren.“ (S. 16) Dazu zählte unter anderem Ton zu Gehör bringt. Für eine etwas substanziellere die überdeutliche, etwas zentralisierte Aussprache Interpretation ist jedoch der Hinweis auf eine pho­ der Diphthonge (Zwielaute) ai und au in Wörtern netische Besonderheit des inneren Salzkammerguts, wie weit und Haus, eines der typischen Merkmale des also ein Schibboleth, notwendig. Während nämlich Südens – wie auch des Nordens – unseres Landes. in den übrigen Dialekten des Landes der Liquid Von den weiteren angeführten Dialektmerkmalen l – ähnlich wie im Standarddeutschen – meist als lassen viele eine Binnengliederung des Salzkam­ ungehindert strömender, stimmhafter Näherungs­ merguts mit nord-südlichen und west-östlichen laut (Approximant) gebildet wird, erhält das l im Unterschieden erkennen, was durch elf Sprachkar­ Salzkammergut durch eine Verengung der Artiku­ ten auch illustriert wird. Besonders charakteristisch lationsstelle an den Zungenrändern ein deutliches für das Trauntal zwischen Ischl und Ebensee ist da­ Reibegeräusch, sodass ein regelrechter Reibelaut bei die Aussprache von anlautendem gl- und kl- in (im Fachjargon: lateraler Frikativ) zustande kommt. Wörtern wie gleich und klein als [dlae] und [dloa(n)], In manchen Fällen verliert das l sogar seine Stimm­ ein auffälliges und häufig zu Spott anregendes Phä­ haftigkeit und setzt häufig mit einem deutlichen Ver­ nomen, das auch in den literarischen Beiträgen des schlusslaut ein, sodass Wörter wie Häkchen oder Vöglein Bandes (s. unten) entsprechend hervorgehoben

100 wird. Zur abschließend gestellten Frage: „Ist der Di­ ten Ebenseer Schimpfwortes sind originell, scheinen alekt vom Aussterben bedroht?“ (S. 33) äußert sich aber durchaus plausibel. Scheutz relativierend und weist darauf hin, dass Ein vom Herausgeber gemeinsam mit Christa Wandel und Differenzierung zum Wesen von Spra­ Druckenthaner verfasster Beitrag wertet „Hirten­ che an sich gehören und dass Sprachveränderungen lied-Handschriften des Salzkammerguts als Di­ nichts anderes sind als „eine Anpassung an die Kom­ alektquelle“ aus. Dazu werden fünf handschriftliche munikationserfordernisse der Gegenwart, die sich Sammlungen herangezogen, deren mundartliche eben meist nicht mehr nur auf den kleinsträumigen Krippenlieder als Quelle für archaische Lautungen, Dorfverband beschränken.“ (ebenda1). Wörter und Formen ausgeschöpft werden. Beispiele Unter dem Titel „WAS DUASTN GRAD?“ dafür sind die teils schon veralteten, teils noch ge­ unternimmt Kurt Druckenthaner eine kurze, aber bräuchlichen Lexeme oalafi („elf“), zwölafi („zwölf“), durchaus innovative soziolinguistische Studie „Zum brachten („erzählen“) und gschma („liebenswert, ge­ schriftlichen Dialektgebrauch bei Jugendlichen“. mütlich“). Ein Exkurs zum sogenannten „Liquiden­ Darin analysiert er einerseits Texte, die aus der be­ problem“, das die Frage nach dem Alter der Vokali­ liebten Praxis des „Brieferlschreibens“ im Unterricht sierung von l (z. B. Schui versus Schual) und r (z. B. Bea stammen und die – im Klassenzimmer zurückgelas­ versus Ber) aufwirft, ergänzt den Beitrag. sen – „ein willkommenes dialektologisches Daten­ Der Themenkreis historischer Fachsprachen material“ (S. 35) bilden. Andererseits untersucht er wird eröffnet vom Hallstätter Holzbildhauer und anhand eines ausgewählten Beispiels den Dialekt­ Industriearchäologen Friedrich Idam. Seinem Bei­ gebrauch in der SMS-Kommunikation von Schüler/­ trag „Formsalz“ liegt „ein mündlicher Bericht des -­innen. Als Hauptgrund für die häufige Verwendung Salinenarbeiters Ulrich Pilz (1870–1962)“ zugrunde, des Dialekts beim „Chatten“ und „SMSen“ geben die der in einem historischen Tondokument überliefert Schüler übrigens an: „Waös schnäla geht!“ (ebenda). ist. Urheber dieses Interviews – und noch weiterer In einem weiteren Beitrag widmet sich der He­ auf der CD zu hörender Aufnahmen – war der Bota­ rausgeber der „Lampelmusterung auf der Iglmoos­ niker und Heimatforscher Friedrich Morton (1890– “, bei der die Gosauer Schafe nach der Sommer­ 1969), der sich bereits in den 60er-Jahren des 20. weide wieder ihren rechtmäßigen Besitzern zugeteilt Jahrhunderts um die Dokumentation der später so werden. Die Musterung erfolgt durch einen soge­ genannten „oral history“ bemühte. Ausgehend von nannten „Ausrufer“, der anhand der Ohrmarken den persönlichen Schilderungen der Lebens- und entweder die Hausnummer des Schafhalters oder Arbeitsverhältnisse im ausgehenden 19. Jahrhundert die Art der Markierung (in Form von Einschnitten erörtert Idam in einem kurzen Abriss die Geschichte und Ausstanzungen) nach alter Tradition mittels der Salzproduktion in der Hallstätter Saline, in der „Aussaschrei(n)“ kundgibt. Von besonderem Inter­ bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das Salz in Form esse sind dabei die Hörbeispiele auf der beiliegenden sogenannter „Füderl“ (rund 15 und 20 kg schwere Audio-CD, die im Text lautschriftlich transkribiert, kegelstumpfförmige Salzstöcke) verarbeitet wurde. mit Kommentaren versehen und schließlich auch [S. auch den Hauptartikel in dieser Ausgabe]. ins Hochdeutsche übertragen sind. Gegenstand von Der von Hansjörg Kurz stammende Beitrag Tonbeispiel („o“) Nr. 3 ist das „Aussaschrei(n)“ der „Der Fachwortschatz der Holzfäller in der Mundart Ohrmarkierungen. Dabei kommt es zu einer meta­ von Bad Goisern“ ist die auszugsweise Wiedergabe sprachlich interessanten Szene: Der Ausrufer ver­ einer unter demselben Titel verfassten germanisti­ wendet die für das Trauntal typische Diminutivform schen Hausarbeit (Wien 1973), aus der vom Heraus­ Gaba(d)l („Gäblein“), ein Zuhörer korrigiert ihn mit geber die Kapitel „Die Schlägerung“, „Das Werk­ der für Salzburg und auch Gosau typischen Form zeug“, „Die Unterbringung [der Holzknechte]“ sowie Gabai, was unter den umstehenden Personen schal­ „Die Holzbringung mit dem Schlitten“ entnommen lendes Gelächter hervorruft – abermals ein Anwen­ und mit Illustrationen und Hinweisen versehen wur­ dungsfall des klassischen Schibboleths. den. Anton Steinkoglers Beitrag „Zur Herkunft des Ebenfalls auf einem historischen Interview, Wortes ,Beelachö‘“ (S. 53) liegt ebenfalls das Ton­ das Friedrich Morton um 1960 mit dem Rindbacher dokument eines mündlichen Berichts zugrunde, das Holzknecht Ferdinand Kienesberger (1903–1982) der Herausgeber wiederum in moderater und somit geführt hat, beruht der Artikel „Der Bau einer Holz­ leicht lesbarer phonetischer Umschrift transkribiert, riese“. In wenigen Sätzen erläutert Kienesberger, kommentiert und ins Hochdeutsche übertragen hat. vulgo Friedl-Fechtl, alle wesentlichen Werkzeuge, Steinkoglers Erklärungen zur Herkunft des bekann­ Bauteile und Arbeitsschritte, die beim Bau einer

101 Holzriese notwendig waren. Die lautschriftliche den Sprachkontakt geht Schabus im Beitrag „Die Transkription des Interviews wurde vom Heraus­ deutschen Dialekte von Deutsch-Mokra und Kö­ geber wiederum mit Kommentaren, Literaturanga­ nigsfeld (Transkarpatien, Ukraine)“ ein. Hier finden ben und instruktiven Abbildungen versehen und sich sowohl Entlehnungen aus dem Ungarischen schließlich in die Schriftsprache übertragen. (z. B. Gåggåsch „Hahn“, Häntäsch „Fleischhauer“) Das Kapitel „nebenzweige“, das mit 162 von als auch solche aus dem Ruthenischen (z. B. Kho- insgesamt 336 Seiten zum eigentlichen Schwerpunkt liwm „Holzknechthütte“). Beleuchtet werden neben des Bandes geraten ist, wird von einem historischen sprachlichen Parallelen zum Herkunftsgebiet auch Beitrag eröffnet. Der aus Goisern stammende Histo­ lautliche und grammatische Sonderentwicklungen. riker Michael Kurz gibt in seinem Artikel „Das Salz­ Ein eigener Abschnitt widmet sich dem bereits oben kammergut als Auswanderungsgebiet“ zunächst angedeuteten „Liquidenproblem“, dessen Erklärun­ einen Überblick über die demografische Situation. gen sich als durchaus kontrovers erweisen. Im drit­ Dabei erweist sich vor allem das 18. Jahrhundert als ten Beitrag „Sibirien“ berichtet Schabus von seinem das „Jahrhundert der Wanderungen“ (S. 134). Die Besuch einer Sprachinsel im fernen Russland, wohin Gründe für eine Auswanderung waren vielfältig, nach dem Zweiten Weltkrieg ehemalige Bewohner „das gängige Stereotyp des großen Bevölkerungs­ von Deutsch-Mokra deportiert worden sind. drucks“ ist jedoch als monokausale Ursache „zu Der aus Oberwischau in Nordrumänien stam­ hinterfragen“ (S. 131). Als Haupttypen führt Kurz mende, heute in Oberösterreich lebende Theologe einerseits die religiös motivierten Migrationen an, und Volkskundler Anton-Joseph Ilk fasst in einem deren Höhepunkt die Zwangsverschickungen von Beitrag über „Die Sprachinsel Oberwischau“ seine Geheimprotestanten nach Siebenbürgen unter Karl Studien zur Erzählforschung in einem „Vergleich VI. und Maria Theresia darstellten, andererseits korrespondierender Sagenmotive in den Erzählun­ sind auch Arbeitsmigrationen zu nennen, die in gen des Salzkammergutes und des Wassertales“ zu­ großem Stil vor allem im letzten Viertel des 18. Jahr­ sammen. Nach einer kurzen Einleitung zum geogra­ hunderts stattfanden. Auswanderungsziele dieser fisch-historischen Hintergrund widmet er sich dem Emigranten waren u. a. Mitterbach (Ötschergebiet), Vergleich von Sagenmotiven in der Sprachinsel und Nasswald (Raxgebiet), Steierdorf und Franzdorf in der Urheimat, wofür vor allem folgende Motive (Banat), Hradek / Lukowa (Böhmen), Deutsch- in Frage kommen: Ti Wildi Jåcht (Tås Wilde Gjoad), Mokra (Transkarpatien) und die Bukowina. Im 19. die drei Faschingmänner, und das Wåldweibl (die Jahrhundert dominierten vor allem die Auswande­ Salige). Dabei entwickelt er auch eine Typologie rungen nach Übersee. unterschiedlicher literarischer Erzählformen (Mära, Wilfried Schabus, Kustos und Vertreter der Kaska, Gschichtn). linguistischen Sektion des Phonogrammarchivs Den Abschluss des Bandes bilden literarische der Österreichischen Akademie der Wissenschaf­ Texte. Zunächst bringt Kurt Druckenthaner eine ten, befasst sich in drei ausführlichen Aufsätzen Auswahl lyrischer Texte „Aus dem rosa Rosi-Buch“. mit Außensiedlungen des Salzkammerguts. Alle Dabei handelt es sich vorwiegend um mündliche drei Artikel sind auch mit – wiederum transkribier­ Äußerungen seiner Tante Rosa, die in den 80er- ten – Hörbeispielen ausgestattet. Im seinem Beitrag Jahren vom Herausgeber in einem rosafarbenen „Die Landler. Kultur und Sprache in einer alt-salz­ Büchlein festgehalten wurden. Den fortwährenden kammergütlerischen Enklave in Siebenbürgen“ be­ Monologen der Tante („Alltagsbeschwörungen“) schreibt er nach einem kurzen geschichtlichen Ab­ wohnte offenbar „eine ganz eigene Rhythmik“ inne, riss die spezielle sprachliche Kontaktsituation nicht die „über weite Strecken an moderne Lautgedichte, nur zum Rumänischen hin, sondern auch in Form teils sogar an japanische Haikus erinnerte.“ (S. 291). einer „innerdörflichen Zweisprachigkeit“ (S. 154) Walter Pilars Beitrag „radl-å“ schließlich enthält zwischen Landlern und Siebenbürger Sachsen. Bei eine Reihe unterschiedlicher Texte, in denen ver­ der Betrachtung der soziolinguistischen Situation schiedene lyrische Formen zur Anwendung kom­ fällt vor allem die ungewöhnliche „Beharrsamkeit“ men, vom Lautgedicht bis hin zum Einwortgedicht. der beiden Varietäten Landlerisch und Sächsisch ins Allen Texten Pilars liegt das poetische Spiel mit der Auge. Als Grund dafür macht Schabus die inner­ Sprache und ihren Varietäten zugrunde, wobei auch dörfliche Sprachlenkung und die Entwicklung eines Interferenzen zwischen deutschen, englischen und gruppenethnischen Symbolsystems verantwortlich, tschechischen Elementen auftreten. Sein mit den die zu einer „Emblematisierung des Kleidungs- und Mitteln der konkreten Poesie verfasstes Gedicht Sprechverhaltens“ (S. 176) geführt hat. Ebenfalls auf „Glöggla“ etwa bringt die optischen und akustischen

102 Eindrücke des alljährlich am Abend des 5. Dezem­ bereits bekannten Schibboleth: „die dleggla bittadn bers begangenen Brauchtums in der lyrischen Form um a dloane schbendt!“ (S. 306). sinnfällig zum Ausdruck. Der Text endet mit dem Stephan Gaisbauer

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