Hermann Cohens Heine Und Der Kampf Um Spinoza1
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Hermann Cohens Heine und der Kampf um Spinoza1 Von Myriam Bienenstock, Tours und Paris Dass Hermann Cohen (1842–1918), die spätere Zentralgestalt des Marburger Neu- kantianismus und ein Hauptvertreter der deutsch-jüdischen Philosophie2, bereits 1867 einen seiner ersten Aufsätze Heinrich Heine widmen sollte, ist seit langem bekannt, obgleich sein Artikel »Heinrich Heine und das Judentum«3 in der For- schung bislang nur ein geringes Interesse gefunden hat.4 In diesem kurzen Bei- trag soll, nach einigen Bemerkungen zum Kontext von Cohens Hinwendung zu Heine, der Rückgriff beider Autoren auf Spinoza behandelt werden. Das positive Bild von Spinoza, das Cohen in seinem frühen Aufsatz von Heine übernimmt, scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu seinen reifen Schriften der spä- teren Jahre zu stehen, in denen sich Cohen als virulenter Kritiker Spinozas zeigt. Ein Ausblick auf Cohens spätere Schriften soll indessen zeigen, dass Cohen sich weniger wandelte und sich damit weniger von Heine entfernte, als gemeinhin angenommen wird. Es scheint mir nicht besonders schwierig zu verstehen, warum sich der junge Hermann Cohen im Jahre 1867 dazu entschieden hat, einen seiner ersten Auf- sätze Heinrich Heine zu widmen, denn gerade zu dieser Zeit erwachte ein neues Interesse an dem rund zehn Jahre zuvor verstorbenen Dichter, das sich insbe- sondere in der ersten vollständigen Gesamtausgabe seiner Werke und der ersten gründlichen Biographie dokumentiert – beide von Adolf Strodtmann getragenen Unternehmen zeugen von dessen Verehrung für Heine und stellen diesen in überaus positiven Farben dar.5 Cohen fühlte sich durch diese Veröff entlichun- gen wohl dazu ermutigt, seine Religionsgenossen, für die sein Aufsatz in erster Linie bestimmt war – er veröff entlichte ihn in der Zeitschrift »Die Gegenwart«, die sich an jüdische Leser richtete –, davon zu überzeugen zu suchen, in ihrer Sympathie für Heine noch einen Schritt weiter zu gehen. Cohen wollte zeigen, dass es nicht widersprüchlich ist, sowohl Jude als auch Sozialist sein zu wollen. Die langen Passagen aus Heines Werken, die Cohen zu diesem Zwecke zitiert, belegen diese Intention eindeutig.6 Der Gegner, den Cohen hier angreift, ist die »romantische Schule«, und er tut das genau so wie zuvor schon Heine: Die »Wahrheit« Heines – diejenige, welche er wider die romantische Schule verteidigt Myriam Bienenstock · Hermann Cohens Heine und der Kampf um Spinoza 193 Hermann Cohen (1842–1918). Radierung von Max Liebermann (1912) habe – sei der »Glaube an den Fortschritt der Menschheit, an die gleiche Berech- tigung aller zu irdischer Glückseligkeit«. Dies sei »der sozialistische Gedanke von der Gleichberechtigung aller Stände«; ein Gedanke, der sich bei Heine bis zum »kosmopolitischen von der Gleichheit aller Völker, ja sogar zum metaphysischen von der Göttlichkeit aller Menschen« (18) vertieft habe. Dies sei auch die erste Idee, die erste Wertschätzung, die Heine im Pantheismus gefunden hätte: »die Verherrlichung der Menschen«, eine »hohe Auff assung vom Wesen der Menschen« (17), die Anschauung, welche der Mensch haben sollte, […] wo immer und unter welchen sozialen Verhältnissen immer geboren, jenes Streben, das von dem Glauben an den Fortschritt der Menschen zu glücklicheren Zuständen unter- halten wird. Da muss es denn erfreulich sein für alle […], wenn man sieht, dass Heine aus 194 Myriam Bienenstock · Hermann Cohens Heine und der Kampf um Spinoza dem Pantheismus nicht die Materialisierung der hohen Ideale, die wir göttlich zu nennen pfl egen, deuten mochte, sondern die Vergöttlichung der Materie, die Erhebung insonders des Menschen, insofern er auf der letzten Sprosse der Stufenleiter endlicher Wesen steht, zur Sendung und zum Wirken für die Menschheit im Pantheismus erkennt. ›Es ist eine irrige Meinung, dass diese Religion, der Pantheismus, die Menschen zum Indiff erentismus führe. Im Gegenteil, das Bewusstsein seiner Göttlichkeit wird den Menschen zur Kundgebung derselben begeistern, und jetzt erst werden die wahren Großtaten des wahren Heroentums diese Erde verherrlichen.‹ (17 f.; vgl. B III, 570). Cohen schreibt, dass der Pantheismus den Menschen »begeistert«, dass er in ihm einen ›Enthusiasm‹ erweckt. In seiner »Kritik der Urteilskraft« (§ 29, Anmer- kung), hatte Kant zwar geschrieben, dass der »Enthusiasm« »erhaben« sei, über seine möglichen Ausschweifungen hatte er sich aber sehr besorgt gezeigt: Es sei so einfach, vom Enthusiasm zur »Schwärmerei«, d. h. hier zum Fanatismus – sei es ein politischer oder ein religiöser – zu gleiten! Kant benutzte also den Begriff des Erhabenen nur in seiner Ästhetik, nicht in seiner politischen Philosophie oder seiner Religionsphilosophie. Heine war viel weiter gegangen, und Cohen folgt ihm: In seinem Aufsatz über »Heine und das Judentum« verteidigt er nicht nur den ästhetischen, sondern auch ausdrücklich einen politischen und einen religiösen Gebrauch des Begriff s vom Erhabenen. Die Stelle in der Anmerkung der »Kritik der Urteilskraft«, in welcher Kant, im Zusammenhang mit dem ›Enthusiasm‹, auch das Gebot im Gesetzbuch der Juden erwähnt: »Du sollst Dir kein Bildnis machen…«, wird Cohen in späteren Schriften öfter zitieren. In seinem Heine-Aufsatz bevorzugt er es aber, sich auf Heine zu berufen und auch direkt auf Spinoza – dessen ganze Philosophie ein Ausdruck derselben Erhabenheit, desselben Verbots sei: »Jahve hat geredet, zu wohnen im Dunkel«: »alle Plastik kann den großen Gottesgedanken nicht an- schaulich machen, weil er seiner Natur nach nicht anschaulich ist.« (7) – »Die Vorstellung ›Gott‹ ist im Dunkel des Bewusstseins geboren, darum ist sie wie alles Erhabene dunkel.« (8) Dies ist, wie Cohen es auch etwas später im selben Aufsatz sagt, der »springende Punkt« seiner Spinoza-Lektüre. Um zu verstehen, wie wichtig und bedeutend dieser Punkt ist, ist es nützlich, ja sogar notwendig, daran zu erinnern, dass es zu Heines Zeit eine ganz andere Lektüre von Spinoza gab: diejenige der romantischen Schule. Romantiker wie Friedrich Schlegel und auch Schleiermacher hatten sich für Spinoza begeistert – sie hatten sich für ihn so sehr begeistert, dass sie sogar dazu gekommen waren, ihn als einen »Heiligen« zu betrachten: In manchen frühromantischen Texten nimmt Spinoza sogar die Stelle von Christus ein, diesem »Mittler«, welcher sich selbst geopfert habe, um die Menschen zu retten. Der Kontext, in welchem diese Behauptung erscheint, mag sie hier verständlicher machen: den deutschen Früh- Myriam Bienenstock · Hermann Cohens Heine und der Kampf um Spinoza 195 romantikern zufolge hat es nicht nur einen »Mittler« gegeben, der sich für die Menschen geopfert hat, sondern viele. So äußert sich Friedrich Schlegel: Es ist sehr einseitig und anmaßend, dass es grade nur Einen Mittler geben soll. Für den vollkommnen Christen, dem sich in dieser Rücksicht der einzige Spinosa am meisten nähern dürfte, müsste wohl alles Mittler seyn.7 Solche »Mittler« seien aber unter den Philosophen und vorzüglich unter den Künstlern zu fi nden. Denn Künstler sind eigentlich nichts anderes als »Mittler«. Ein Mittler, schreibt Friedrich Schlegel in diesem Sinne, […] ist derjenige, der Göttliches in sich wahrnimmt, und sich selbst vernichtend Preis giebt, um dieses Göttliche zu verkündigen, mitzutheilen, und darzustellen allen Menschen in Sitten und Th aten, in Worten und Werken. Erfolgt dieser Trieb nicht, so war das Wahrge- nommene nicht göttlich oder nicht eigen. Vermitteln und Vermitteltwerden ist das ganze höhere Leben des Menschen, und jeder Künstler ist Mittler für alle übrigen.8 Es sei mir erlaubt, hier noch ein paar Zeilen von Friedrich Schlegel zu zitieren, weil sie es meiner Meinung nach ermöglichen, besser zu verstehen, was Cohen nicht annehmen wollte – und auch, was für ein Verhältnis bei den Frühroman- tikern zwischen Kunst und Religion bestand: Der geheime Sinn des Opfers ist die Vernichtung des Endlichen, weil es endlich ist. Um zu zeigen dass es nur darum geschieht muss das Edelste und Schönste gewählt werden; vor allen der Mensch, die Blüthe der Erde. Menschenopfer sind die natürlichsten Opfer. Aber der Mensch ist mehr als die Blüthe der Erde; er ist vernünftig, und die Vernunft ist frey und selbst nichts anders als ein ewiges Selbstbestimmen ins Unendliche. Also kann der Mensch nur sich selbst opfern, und so thut er auch in dem allgegenwärtigen Heiligthum von dem der Pöbel nichts sieht. Alle Künstler sind Decier, und ein Künstler werden heißt nichts anderes als sich den unterirdischen Gottheiten weihen. In der Begeisterung des Vernichtens off enbart sich zuerst der Sinn göttlicher Schöpfung. Nur in der Mitte des Todes entzündet sich der Blitz des ewigen Lebens.9 Friedrich Schlegel zufolge war Spinoza ein solcher »Künstler«: »pantheistisch« sei er gewesen, weil er Gott – oder eher »Göttliches« – überall in der Natur gesehen habe. Er habe dieses »Göttliche« verkündigen, mitteilen und darstellen wollen. Schlegel und den Romantikern zufolge ist also die Kunst nichts ande- res als der Trieb, den Menschen das »Göttliche« mittels eines Werks zu zeigen, zu verkündigen oder mitzuteilen. Auch wenn ein Kunstwerk seiner Natur nach immer inadäquat oder unangemessen bleiben müsse, denn es sei endlich, nicht unendlich, enthalte es die Darstellung, die Verkündigung vom »Göttlichen«, vom Unendlichen. Dies ist die Auff assung der Kunst – und auch der Religion – welche 196 Myriam Bienenstock · Hermann Cohens Heine und der Kampf um Spinoza schon Anfang des 19. Jahrhunderts als eine »spinozistische« Konzeption verbreitet wurde: Man fi ndet sie bei Friedrich Schlegel, aber auch bei vielen