Neue Sachlichkeit

Neue Sachlichkeit in in Dresden Neue Sachlichkeit in Dresden

Staatliche Kun s t s a m m l u n g e n D r e s d e n | G a l e r i e N e u e M e i s t e r H e r a u s g e g e b e n v o n B i r g i t D a l b a j e w a

M it einem Vorwort v o n U l r i c h B i s c h o f f u n d B e i t r ä g e n v o n S t e p h a n D a h m e , B i r g i t D a l b a j e w a , A n d r e a s D e h m e r , R u t h H e f t r i g , K at h a r i n a H o i n s , M aria Körber, J udith Kühnle, M at h i a s W a g n e r und anderen

S a n d s tein Verlag D r e s d e n Inhalt 6 Vorwort 114 neue Sachlichkeit und Alte Meister – ulrich Bischoff Rezeption und Transformation andreas Dehmer | Konstanze Krüger 8 Künstler 122 die Schüler von , 1927 bis 1933 9 leihgeber judith Kühnle

10 dank 130 Kunst als Waffe. Die »Asso« 12 Zur Einführung in Dresden, 1930 bis 1933 birgit Dalbajewa mathias Wagner

136 neue Sachlichkeit nach 1933? 20 1918 bis 1933. Dresdner Künstler im »Dritten Reich« deutsche und Dresdner birgit Dalbajewa | Ruth Heftrig Zeitgeschichte in Wort und Bild

Mit Unterstützung von mathias Wagner | Ruth Heftrig | 144 Studien zur Maltechnik Andreas Dehmer der Neuen Sachlichkeit in Dresden maria Körber

Neue Sachlichkeit in Dresden Künstler der Neuen Sachlichkeit 58 überhöhte Wirklichkeit um 1900. Voraussetzungen der Neuen 172 malerei und Zeichnung Sachlichkeit in Dresden Stephan Dahme | Birgit Dalbajewa | Andreas Dehmer | Birgit Dalbajewa Andreas Dehmer | Ruth Heftrig | Katharina Hoins | Judith Kühnle | Mathias Wagner 66 tradition und Handwerk. mit weiteren Beiträgen von Rolf Günther | Die künstlerische Ausbildung Michael Hering | Frizzi Krella | Claudia in Dresden nach 1900 Maria Müller | Matthias Müller | Karin Müller-Kelwing | Holger Peter Saupe | Medienpartner Andreas Dehmer | Birgit Dalbajewa Johannes Schmidt | Daniel Spanke | Stefan Voerkel | Rainer Wandel 76 »Die Wendung der Kunst zur krassen Gegenwärtigkeit«. Dresdner Malerei zwischen Expressionismus und 320 exkurs: Skulptur der Neuen Neuer Sachlichkeit, 1920 bis 1922 Sachlichkeit in Dresden mathias Wagner astrid Nielsen

88 »Für die soziale Idee begeistert«. 326 exkurs: Fotografie der 1920er Junge Dresdner Künstler in der zeit­ und 1930er Jahre in Dresden genössischen Rezeption um 1925 Agnes Matthias | Mit einem Beitrag birgit Dalbajewa von Wolfgang Hesse

98 die Dresdner Neue Sachlichkeit im Spiegel nationaler und internationaler anhang Entwicklungen: zwei wegweisende Ausstellungen 1925/26 335 autoren | Abkürzungen Stephan Dahme | Kati Renner 337 literatur 343 personenregister 104 rückkehr zu Ordnung und 349 bildnachweis Beschau­lichkeit. Zur Vielfalt 351 impressum der Positionen um 1928 birgit Dalbajewa Andreas Dehmer Ruth Heftrig Mathias Wagner inWort undBild Zeitgeschichte undDresdner Deutsche 1918 bis1933. und Ereignissesindgraugedruckt. sind schwarz, lokale und regionale Daten den. Überregionale Daten und Ereignisse statistischen Jahrbüchern der Stadt Dres Zeit lungskatalogen, Recherchen in zeitgenös tige Informationen lieferten außerdem die Dresdner Kunst der 1920er Jahre. Wich- und in deutschen zur Zeittafeln Veröffentlichungen auch wurden gewertet Aus- Stadtgeschichte. Dresdner zur wie so- Geschichte sächsischen und schen Publikationen und Datenbanken zur deut auf sich stützt Chronik vorliegende Die zeitungen sowie in den historischenden und in sowie zeitungen schriften und Tages- sischen Ausstel - - - Museen zu Berlin, Nationalgalerie). Berlin, zu Museen 1946 (Staatliche Gemäldes, 1920 des entstandenen Replik spricht, Rühle Otto Agitator Der Felixmüller: Conrad Adam. Rudolf und R. Arno 1915, um von Aufnahme Dresden, in Sarrasani Zirkus entworfene Littmann Max und Heilmann Jakob von Der

Titelblatt gestaltet von Hannah Höch. Hannah von gestaltet Titelblatt heraus; 1921 ab Zeitschrift eine auch gibt »Novembergruppe« Berliner Die

Aufnahme von E. von Aufnahme ab, dankt III. August Friedrich König sächsische Der

C.

G.

Donadini.

piègne. - Com in Alliierten den und Deutschland zwischen Waffenstillstandsabkommen 11. November scher Veranstaltungen genutzt. politi Bühne als auch1933 bis wurde größte Versammlungsort in Dresden und der Plätzen 5000 mit war Sarrasani kus Das 1911/12 errichtete Gebäude des Zir ner Schloss wird die rote Fahne gehisst. Dresd- dem Auf Frauen. und Männer für Wahlrechts allgemeinen der des Grundlage auf Nationalversammlung schen sächsi einer Einberufung zur Plan hält. ent- Landtages sächsischen des lösung Abschaffung der Monarchie und die Auf- als wichtigste politische Forderungen die die Volk«, sächsische das an klamation und (IKD) Albert Schwarz »Pro (MSPD). Rühle Otto von Führung der unter tes« Soldatenra- und Arbeiter- revolutionären USPD und zur Bildung eines und »Vereinigten MSPD zwischen Verhandlungen zungen kommt zu es im Zirkus Sarrasani Trotz unterschiedlicher politischer Zielset 10. November gibt sich auf das Jagdschloss Moritzburg. III. verlässt das Residenzschloss und be- August Friedrich König sächsische Der ren Arbeiter-undSoldatenrates«. - »Revolutionä eines Konstituierung dert. for Vorbild russischem nach terepublik Rä- einer Errichtung die und Revolution Weiterführungder bewaffnete die (IKD) Deutschlands Kommunisten tionalen auf der Otto Rühle als Führer der Interna- Gegenkundgebung, eine Fischhofplatz dem auf organisiert und ab menarbeit ten) lehnt ein erstes Angebot zur - Zusam Die USPD (Unabhängige Sozialdemokra einer Kundgebung auf dem Theaterplatz. ter- und Soldatenrates Groß-Dresden« in Proklamation eines gemeinsamen »Arbei Soldaten revolutionären den mit men Zusam Arbeiterrat. provisorischen nen ei (Mehrheitssozialdemokraten) MSPD In Dresden bilden führende Mitglieder der 1918tische Räterepublik«inDeutschland. proklamiert Karl Liebknecht die - »Sozialis später wenig aus, Republik« »Deutsche die Berlin in ruft Scheidemann Philipp Reichskanzler.wird FriedrichEbert klärt. er- Thronverzicht seinen offiziell vember 28. am er wo Exil, niederländische ins sich begibt und Deutschland lässt politische Führung. Kaiser Wilhelm II. ver die Soldatenräte und Arbeiter- tionäre In ganz Deutschland übernehmen revolu- 9. November der DresdnerGarnison. Soldaten protestierende durch Dresden in Arbeiterrats« und »Soldaten- rischen Demonstrationen. zu es kommt Chemnitz und Leipzig den, Dres- Städten sächsischen größten drei lösten Unruhen erfassen Sachsen. In den Die vom Kieler Matrosenaufstand ausge- 8. November Bildung eines proviso-

No ------den bevorstehenden Wahlen ausspricht. geht und sich gegen eine Beteiligung an - hervor Kräfte linksradikaler anderer und der Vereinigung des »Spartakusbundes« aus die KPD, der Gründungsparteitag 30. Dezember – 1. Januar 1919 weihnacht«). (»Blut Berlin in Straßenkämpfe Blutige 23./24. Dezember später dasSudetenland. Teilgrößten wird dem Deutschböhmens aus anerkannt, Tschechoslowakei ten Teilals wird gegründe- Böhmen neu der 22. Dezember festgelegt. 1919 Januar 19. der wird Reichsebene Als sammlung. Termin für die Wahlen auf Nationalver einer Einberufung die für Berlin in stimmt Reichsrätekongress Ein 16. – 21. Dezember Otto Griebelan. u. »Novembergruppe« wirken wollen. am Aufbau einer neuen Gesellschaft mit- die organisieren, Schriftsteller und cher Filmema- Komponisten, Architekten, ler, (bis 1931), in denen sich bildende Künst- »Novembergruppe« 1921) der (bis und Kunst« für »Arbeitsrates des Gründung November Kraft inDresden. der 1920er Jahre als stärkste bürgerliche Laufe im DVP die sich etabliert (DNVP) stehenden Deutschnationalen Volkspartei rechts weit der und (DDP) Partei sche Demokrati- DeutscheVolkspartei (DVP), Deutsche Parteien nationalliberalen ten gegründe- landesweit November im den Von Lagers. bürgerlichen des Stärkung hervorgehen. Sieger klare als zialisten aus der die gemäßigten So- in Sachsen, Neuwahl zum »Arbeiter- und Soldatenrat« 24. November org WrbaundHansPoelzig teil. Ge- Sterl, Robert Hofmann, von Ludwig nehmen Otto Gussmann, Richard Dreher, Rathaus Neuen im Sitzung der An den. Dres in Künstlerrates eines Gründung 16. November ter- undSoldatenrat«Sachsens. »Arbei- ausgerichteten bürgerlich nisten Kommu- der Sicht aus dem aus Austritt Otto Rühle erklärt einen Tag später und ihren Regierung dieser an Beteiligung hat. Die radikale Linke verzichtet auf eine hören und der seinen Sitz im Ständehaus ange- USPD und MSPD der Mitglieder regierung) für Sachsen, dem jeweils drei tes der Volksbeauftragten« - (Revolutions - »Ra des Gründung III. August Friedrich Königs sächsischen des Abdankung 13. November Aus Dresden gehören der

a. Otto Dix und und Dix Otto a. - - - 4. Januar 19. Januar 2. – 6. März Bildung der ersten sächsischen KPD- Aus der Wahl zur Deutschen Nationalver- Gründungkongress der »Kommunisti- Ortsgruppe in Leipzig. sammlung gehen die Sozialdemokraten schen Internationale« (Komintern) in Mos- als stärkste Partei hervor. Auch in Sach- kau. 5. Januar sen erhält die SPD die meisten Stimmen. Nach der Entlassung des Polizeipräsiden- 3. – 13. März ten Emil Eichorn (USPD) kommt es in 22. Januar Ein Aufruf zum Generalstreik durch die Berlin unter Führung des »Spartakusbun- Georg Gradnauer (SPD) bildet in Dres- »Spartakus-Gruppe« und den »Arbeiterrat des« zu Demonstrationen der Arbeiter- den eine neue sozialdemokratische Re- von Groß-Berlin« eskaliert in den »März­ schaft. Einen Tag später bilden Vertreter volutionsregierung ohne die USPD. unruhen« in Berlin. Bei den Kämpfen zwi- der USPD, der KPD (Rosa Luxemburg, schen den Spartakisten und den Regie- Karl Liebknecht) und revolutionärer Ge- Januar rungstruppen sterben 1200 Menschen. werkschaften einen »Revolutionsaus- Auflösung der Generaldirektion der »Kö- schuss« und erklären den »Rat der Volks- niglichen Sammlungen« in Dresden. Seit 23. März – 1. August beauftragten« für abgesetzt. Zu den Zielen Anfang 1919 unterstehen die »Staatlichen Räterepublik in Ungarn. der Aufständischen gehören die Kontrolle Kunstsammlungen« dem Ministerium des der Schlüsselindustrien (Stahl, Kohle, Fi- Kultus und öffentlichen Unterrichts, ab 7. April – 2. Mai nanzen), die Verhinderung der Wahlen zur 1921 dem Ministerium für Volksbildung. Räterepublik in München. Nationalversammlung und die Vollendung Blick in die Räume des Kraft-Kunst- der Novemberrevolution durch die Errich- Instituts mit dem »Siegerknaben« Ende Januar 12. April tung einer sozialistischen Räterepublik. von , um 1921. In Dresden wird die Künstlergruppe Demonstration von Kriegsteilnehmern auf Otto Dix: Bildnis des Dresdner 1919 Besetzung von öffentlichen Gebäuden. Museumsdirektors Paul Ferdinand »Dresdner Sezession – Gruppe 1919« dem Dresdner Theaterplatz, nachdem Die Übergangsregierung Ebert ruft zur Schmidt, 1921 (Staatsgalerie von Otto Dix, Conrad Felixmüller, Wilhelm bekannt geworden war, dass die Pensio- Gegendemonstration auf. Der neue Volks- Stuttgart). Heckrott, Constantin von Mitschke-Col- nen für Veteranen gekürzt werden sollen. beauftragte für Heer und Marine Gustav Plakat von Otto Dix lande, Otto Schubert, Lasar Segall und Im Anschluss formiert sich ein Protestzug Noske (SPD) ist für die Bekämpfung des zur 1. Ausstellung der dem Schriftsteller Hugo Zehder gegrün- zum Kriegsministerium. Als der sächsi- Aufstandes zuständig. Unterstützt wird »Dresdner Sezession – det. Später schließen sich Peter August sche Kriegsminister Gustav Neuring ein dieses Vorgehen durch die Wirtschaftsver- Gruppe 1919«. Böckstiegel, Ludwig Godenschweg, Gespräch ablehnt, dringt die aufgebrach- bände der deutschen Industrie. Gela Forster, Eugen Hoffmann, Walter te Menge in das Gebäude ein und über- Jacob, und Christoph Voll an. wältigt den Minister. Er wird in die Elbe 8. Januar wird Ehrenmitglied. geworfen und beim Versuch, an Land zu Nachdem Verhandlungen zwischen schwimmen, erschossen. Daraufhin wird Reichsregierung und USPD scheitern, 2. Februar in Sachsen der Belagerungszustand aus- kommt es zu bewaffneten Auseinander- Wahlen zur Sächsischen Volkskammer gerufen. setzungen zwischen linksradikalen (Landtag). Stärkste Fraktion wird die Kampfverbänden und Regierungstrup- SPD mit 42 von 97 Sitzen im Parlament April pen, die von reaktionären Freikorps un- (DDP: 22; USPD: 15; DNVP: 13; DVP: Umwandlung der Großherzoglichen terstützt werden. Am Tag darauf Ausru- 4 Sitze). Am 14. März wird Georg Grad- Kunsthochschule zu Weimar in das Staat- fung des Generalstreiks durch die Auf- nauer (SPD) zum ersten sächsischen liche Bauhaus unter der Leitung von Wal- ständischen. Deutschlandweit gibt es Ministerpräsidenten gewählt und bildet ter Gropius. Solidaritätsbekundungen. Die Kämpfe eine SPD-Minderheitsregierung. zwischen der SPD-geführten Reichsre- Mary Wigmans Auftritt in Dresden verhilft April/Mai gierung und den sozialdemokratischen ihr zum Durchbruch. Zu ihren Solotänzen 6. Februar I. Ausstellung der »Dresdner Sezession zählt auch »Spukhafte Gestalt (Vision III)« Landesregierungen auf der einen Seite Die verfassunggebende Nationalver- – Gruppe 1919« in der Kunsthandlung aus dem Zyklus »Visionen«, 1925. und den revolutionären Kräften unter Füh- sammlung konstituiert sich in Weimar. Emil Richter. Aufnahme von Charlotte Rudolph. rung von USPD, KPD und kommunisti- Friedrich Ebert (SPD) wird zum Reichs- schen Gewerkschaftsverbänden auf der präsidenten gewählt, Philipp Scheide- 7. Mai anderen Seite dauern bis in das Frühjahr mann (SPD) als Ministerpräsident mit der Übergabe des Entwurfs des Friedensver- 1919 an. In Dresden richten sich die von Kabinettsbildung beauftragt. Am 13. Feb- trags an das Deutsche Reich. Zu den Otto Rühle organisierten Proteste vor ruar übernimmt die »Weimarer Koalition« wichtigsten darin enthaltenen Bedingun- allem gegen die »bürgerliche« Politik der aus SPD, Zentrum und DDP die Regie- gen gehören die Anerkennung der allei- Mehrheitssozialisten. Beim Versuch, das rungsgeschäfte. nigen Kriegsschuld Deutschlands, große Redaktionsgebäude des SPD-Organs Gebietsabtrennungen, Verlust der Kolo- »Sächsische Volkszeitung« zu stürmen, 9. Februar nien, Abschaffung der Wehrpflicht, Ent- kommt es zum Zusammenstoß von Si- Wahl zur neuen Stadtverordnetenver- militarisierung des Rheinlandes und enor- cherheitswehr und Demonstranten, bei sammlung in Dresden. MSPD und USPD me Reparationszahlungen. dem zwölf Menschen getötet und über erringen zusammen eine knappe Mehr- 50 verwundet werden. Die USPD ver- heit. Erstmals werden auch zehn Frauen 12. Mai lässt daraufhin die sächsische Revoluti- ins Stadtparlament gewählt. Oberbürger- Ministerpräsident Philipp Scheidemann onsregierung. meister bleibt der seit 1915 amtierende weist in der Weimarer Nationalversamm- und seit Juni 1918 auf Lebenszeit im Amt lung die Bedingungen für den Friedens- 10. – 12. Januar bestätigte Liberale Bernhard Blüher, der vertrag als unannehmbar zurück. Blutige Niederschlagung des »Spartakus- diesen Posten bis 1931 innehat. aufstandes« in Berlin. Über 150 Men- 1. Juni In Dresden sind 21 838 Erwerbslose re- schen sterben. Gründung des »Kraft-Kunst-Institutes« in gistriert. Dresden unter künstlerischer Leitung von 15. Januar Sascha Schneider. 27. Februar – 10. März Politischer Mord an Rosa Luxemburg und Generalstreik in Mitteldeutschland. Karl Liebknecht durch Freikorps-Solda- 16. Juni ten. Die Nachricht löst schwere Unruhen Ultimatum der alliierten Siegermächte zur Der Dresdner Oberbürgermeister 28. Februar und bürgerkriegsähnliche Zustände in Die Malklasse von Richard Müller Annahme des Friedensvertrages. Bernhard Blüher in einem Gemälde Verabschiedung des »Vorläufigen Grund- vielen deutschen Städten aus. im Jahr 1921. Seit 1919 sind Frauen zum Studium von Hanns Hanner, 1932 gesetzes für den Freistaat Sachsen«. an der Dresdner Kunstakademie zugelassen. (Städtische Galerie Dresden – Kunstsammlung, Museen der Stadt Dresden).

22 23 20./21. Juni 1. Januar 22. April Das Kabinett Scheidemann tritt zurück. Edmund Kesting gründet in Dresden sei- Rücktritt des sächsischen Ministerpräsi- Bildung einer neuen Reichsregierung von ne Kunstschule »Der Weg«. denten Georg Gradnauer und seines In- SPD und Zentrum unter Führung von nenministers Karl Otto Uhlig. Gustav Bauer (SPD). 10. Januar Inkrafttreten der Bestimmungen des Ver- 4. Mai 28. Juni sailler Vertrages. Wilhelm Buck (SPD) wird neuer Minister- Unterzeichnung des Friedensvertrages präsident einer sozial-liberalen Koalition von Versailles, in dem Deutschland die 19. Januar in Sachsen. Alleinschuld am Krieg anerkennt. Im Ver- »Dadaistische Soiree« im Haus der Dresd- sailler Vertrag wird zugleich die Satzung ner Kaufmannschaft mit Richard Huelsen- 6. Juni des Völkerbundes angenommen und in beck, Johannes Baader und Raoul Haus- Reichstagswahl. Verluste der »Weimarer Kraft gesetzt. mann. Laut Augenzeugen endet der Koalition«. Bürgerliches Minderheitenka- Abend mit einer wilden Prügelei. Die Pres- binett aus Zentrum, DDP und DVP unter 8. August se reagiert empört, die jungen Künstler – Constantin Fehrenbach (Zentrum). Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen vor allem Otto Dix und – sind zwischen Regierungstruppen und de- begeistert und versuchen, Dada in Dres- 21. Juni monstrierenden Arbeitern werden in den einzuführen. Die sächsische Regierung löst alle Arbei- Chemnitz 50 Menschen getötet und 80 terräte auf. verletzt (»Chemnitzer Blutbad«). 1. Februar Dresdner Zeitungen machen Der spätere Maltechnik-Lehrer Filmplakat zu »Das Cabinet In Dresden wird eine Flugverbindung 30. Juni – 25. August im Januar auf die »Dadaistische der Dresdner Kunstakademie, des Dr. Caligari«, Entwurf von 11. August nach Berlin eingerichtet. Erste Internationale Dada-Messe in Ber- Soiree« aufmerksam. Kurt Wehlte, wirbt für die »Weg­ Erich Ludwig Stahl und Otto Arpke, schule« von Edmund Kesting. 1920. Reichspräsident Friedrich Ebert unter- lin. Unter dem Titel »45 % Erwerbsfähig!«

zeichnet die Weimarer Verfassung. 1920 26. Februar zeigt Otto Dix das Bild »Die Kriegskrüp- Uraufführung des Films »Das Cabinet des pel«, das später von Paul Ferdinand 1. September Dr. Caligari« von Robert Wiene. Schmidt für das Dresdner Stadtmuseum Paul Ferdinand Schmidt wird neuer Di- angekauft wird. 1937 fällt es der Aktion In der Buchhandlung Dr. Otto rektor der Städtischen Sammlungen Februar »Entartete Kunst« zum Opfer und gilt seit- Burchard in Berlin findet im Sommer Dresden. Bis zu seiner Entlassung im Gründung der Nationalsozialistischen her als verschollen. 1920 die »Erste Internationale Januar 1924 kauft er wichtige Werke der Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in Dada-Messe« statt. modernen und zeitgenössischen Kunst München. 19. Juli – 7. August für die Stadt an. II. Kongress der Kommunistischen Inter- 13. – 16. März nationale (Komintern) in Petrograd. Herbst Kapp-Lüttwitz-Putsch. Die Reichsregie- Berufung des Bildhauers Karl Albiker, der rung flieht über Dresden nach Stuttgart. 14. August – 12. September Maler Richard Dreher und Oskar Ko- Der Aufruf zum Generalstreik durch Par- VII. Olympische Spiele in Antwerpen. koschka sowie des Architekten Hans teien und Gewerkschaften vereitelt den Deutsche Sportler sind nicht eingeladen. Poelzig an die Dresdner Kunstakademie. Putschversuch. In Dresden besetzen die Die im Frühjahr eingeleiteten Reformen protestierenden Arbeiter am 15. März das 13. September Das Mitglied der »Dresdner Sezes- werden fortgeführt. An die Stelle der Un- Telegrafenamt auf dem Postplatz. Die Ernst Jüngers überarbeitetes Kriegstage- sion – Gruppe 1919« Lasar Segall ter-, Mittel- und Meisterklassen treten die Reichswehr rückt vom Zwinger her gegen buch »In Stahlgewittern« erscheint. in seinem Atelier, 1919. von den Professoren geführten Einzel- die Demonstration vor. Bei den Kämpfen schulen, der einheitliche Lehrplan wird werden 56 Menschen getötet und über Herbst zugunsten einer individuellen Anleitung 200 verletzt. Eine verirrte Kugel schlägt Der Architekt Heinrich Tessenow wird durch den jeweiligen Lehrer aufgegeben. in die Gemäldegalerie ein und trifft Ru- Nachfolger von Hans Poelzig an der Nach der grundsätzlichen Zulassung von bens’ Gemälde »Bathseba im Bade«. Dresdner Akademie. »Damen« schreiben sich im Wintersemes- Daran entzündet sich die »Kunstlump«- ter 1919/20 erstmals drei Frauen an der Debatte zwischen /John 1. Oktober Akademie ein (Irena Rabinowicz, Erika Heartfield und Oskar Kokoschka. Der Maler (Abb. S. 201) Scherffig und Ilse Wandolleck). wird zum Präsidenten der Preußischen 25. März Akademie der Künste gewählt. 6. Oktober Rücktritt der Reichsregierung. Hermann Erste sozialliberale Koalition (SPD, DDP) Müller (SPD) bildet ein neues Kabinett 26. Oktober in Sachsen unter Führung Georg Grad- aus SPD, DDP und Zentrumspartei. Verabschiedung der neuen Sächsischen Zum 10-jährigen Berufsjubiläum nauers (SPD). Verfassung, die am 1. November in Kraft von Mary Wigman treffen sich März – April tritt. Zwei Tage später Auflösung des namhafte Tänzerinnen, 1930. 7. November Arbeiter-Kämpfe in Mitteldeutschland und Landtages. Gastspielauftritt der Tänzerin Mary Wig- im Ruhrgebiet (»Rote Ruhrarmee«), die man im Haus der Kaufmannschaft in von der Reichswehr niedergeschlagen Oktober Dresden. werden. Im Vogtland scheitert der Versuch Erste Russische Kunstausstellung in der des kommunistischen Arbeiterführers Max Galerie Van Diemen in Berlin. Beteiligt sind 18. November Hoelz, mit bewaffneten Truppen eine so- unter anderen El Lissitzky und Naum Gabo. Im Rahmen des Untersuchungsaus- zialistische Räterepublik zu errichten. schusses zum Kriegsverlauf propagiert Oktober/November Hindenburg im Reichstag die »Dolchstoß- Frühjahr III. Ausstellung der »Dresdner Sezession legende«. Mary Wigman eröffnet in Dresden ihre – Gruppe 1919« in der Galerie Arnold, in Schule für modernen Bühnentanz, aus der Otto Dix erstmals seine Kriegskrüp- der viele erfolgreiche Tänzer und Choreo- pel-Bilder in Dresden zeigt. grafen hervorgehen, darunter die eben- falls in Dresden wirkende Gret Palucca. 14. November Landtagswahlen. Die SPD bleibt stärkste Kraft, aber das sozialdemokratische La- ger hat keine Mehrheit. Bildung einer Minderheitsregierung von SPD und USPD unter Wilhelm Buck.

24 25 Andreas Dehmer | Birgit Dalbajewa Fragt man nach den Charakteristika einer Schu­ natiker der Form und der Linie […]. Sie suchen le oder einer Richtung in einem lokalen Kunst­ das Monumentale, die große Linie und ihren Überhöhte Wirklich- zentrum, stellt sich naturgemäß die Frage nach Rhythmus, eine bedeutende über die Wirklich­ den Wurzeln, nach spezifischen Voraussetzun­ keit sich erhebende Idee. […] Unter den Künst­ keit um 1900. gen, die zu Sonderentwicklungen oder bestimm­ lern, die sich vor dem Impressionismus in eine Voraussetzungen ten Merkmalen führen können. Das können weg­ eigene Ideenwelt flüchten, sind Eigenbrötler von bereitende Leistungen einer Vorgängergenera­ echt sächsischer Zähigkeit und Programmatik«, der Neuen Sachlich- tion sein, in anderen Fällen auch Konstellationen, resümierte der Direktor der Dresdner Gemälde­ keit in Dresden die eher im Widerspruch oder in der Abgrenzung galerie Hans Posse 1928.3 gewisse Tendenzen begünstigen. Beziehungs­ So wurde Sascha Schneiders Werk als »Mo­ gefüge, in denen bestimmte künstlerische Reak­ numentalisierung dämonischen Weltgeschehens« tionen entstehen, sind in ihrer Vielfalt als Ganzes charakterisiert, Richard Müller »Größe in Hol­ kaum zu erfassen, zumal gerade im 20. Jahr­hun­dert bein’scher Vertiefung bis ins Kleinste« beschei­ eine Region nicht abgeschlossen betrachtet wer­ nigt und Hans Unger »träumte von einer neuen den kann, sondern im Kontext landes- und euro­ Renaissance, vom Kultus schöner Frauen […] paweiter Entwicklungen gesehen werden muss. und kühler Marmorarchitektur«.4 In ihren Figu­ Um die künstlerische Situation und den Stand renkompositionen waren diese Künstler maß­ der Malerei- und Zeichenausbildung in Dresden geblich geprägt von einem weltabgewandten zu beschreiben, ist es jedoch möglich, beispiel­ Traumgefilde der Sehnsüchte, Mythologien und haft einige Lehrer- und Künstlerpositionen her­ des Unterbewussten. Ein solcher Hang zum auslösen, die in Dresden sowohl stilistisch als Fantastischen, der einem kühlen Dokumentaris­ auch inhaltlich maßgebliche Anregungen für jene mus der Weimarer Republik zunächst grund­ beginnenden Künstler boten, die vor dem Ersten legend zu widersprechen scheint, zieht sich – Weltkrieg ihr Studium aufgenommen und ab durchaus in dieser Tradition wurzelnd – auch 1920 ausgeprägt realistische Positionen bezo­ durch zahlreiche realistische Dresdner Positio­ gen bzw. einen von der strengen Zeichnung nen der 1920er Jahre. Beispielhaft hierfür ste­ geprägten Verismus hervorgebracht hatten. So hen Werke von Hilde Rakebrand, Carl Friedrich existierten in der sächsischen Residenzstadt um Treber, Woldemar Winkler oder Willy Wolff (vgl. 1900 bemerkenswert eigenständige, von Künst­ Abb. S. 288 f., 307, 314 f., 317 – 319). Doch vor lern in München oder Darmstadt, Wien oder allem in ihrer Bildniskunst und Figurencharakte­ anderen Städten deutlich zu unterscheidende ristik hatten diese Dresdner Jugendstil-Maler ei­ Positionen der Stilkunst und des Symbolismus. 1 nen Grad an Realismus in der Darstellung er­ reicht, der auch jenseits von Idealisierung und trockenem Naturalismus nachhaltig wirken sollte. »Fanatiker der Form und der Linie« Gemeinsame Qualitäten dieser eigensinnigen Bildschöpfer lagen darin, Geschmack, Mode Zur vorletzten Jahrhundertwende waren Erotik und Neuerungen jener zerrissenen Zeit sehr wohl und Eleganz, Mythologie und Religion, Abgrün­ aufgenommen und verarbeitet zu haben, ohne de und Apotheosen in bedeutungsvoller Stilisie­ jedoch davon erfasst, deren Epigonen oder gar rung gerade beim konservativen Großbürgertum eklektisch geworden zu sein. Ihnen gemein war im Deutschen Reich en vogue. Ob als Symbo­ ein formaler und inhaltlicher Ehrgeiz, den An­ lismus, Neuidealismus oder Jugendstil bezeich­ spruch einer Ideen- oder Gedankenmalerei nicht net, hatten sich mit diesen Spielarten ein neues in einer Orientierung am breiten Publikumsge­ Weltverständnis und eine neuartige Formen­ schmack, sondern fernab einer süßlich-kitschi­ sprache Bahn gebrochen: Eine idealisierte, oft gen Salonkunst zu erfüllen. Diese Ernsthaftigkeit, vom Gegenstand unabhängige Farbe füllte eine gerade auch in der grafischen Gegenstands­ betont genaue und harte Umrisszeichnung aus, präzision, ließ die »Fanatiker der Form und der atmosphärische Auflösung des Raumes wurde Linie« – auch durch ihr mehrheitliches Wirken bewusst und konsequent vermieden. an der Dresdner Akademie – wiederum zu Vor­ Insbesondere die Linienkunst von bildern einer jungen Künstlergeneration werden, wirkte unmittelbar – wie in Leipzig auf Otto Grei­ zu den Wegbereitern der nach dem Ersten Welt­ ner, Georg Kolbe und andere – auf Grafiker und krieg einsetzenden Neuen Sachlichkeit. Maler in Dresden wie Richard Müller, Sascha Schneider, Hans Unger und Oskar Zwintscher 1 Vgl. dazu den Beitrag beider Autoren über »Alter und Ju­ sowie eine ganze Generation nachfolgender, gend« – Maler der Stilkunst in Dresden um 1900, in: Galerie naturalistischer Heimatkunst verpflichteter Lo­ Neue Meister Dresden 2010, S. 277 f., sowie Andreas Dehmer, Malerei des Fin de Siècle in der Dresdener Galerie, Dresden kalgrößen. Erstere vier – apologetisch auch als 2010. 2 Kuno von Hardenberg, Zeichnungen von Hans Un­ eine »Phalanx der Starken« bezeichnet 2 – bilde­ Abb. 1 ger – Dresden, in: Deutsche Kunst und Dekoration 61: 1928, Richard Müller S. 405 – 409, hier S. 405. 3 Posse 1928, S. 21 f. 4 Harden­ ten seit den mittleren 1890er Jahren überaus Stillleben mit Totenkopf | 1902 | Öl auf Leinwand | berg 1928 (wie Anm. 2). individuelle Handschriften heraus: »Es sind Fa­ 60 × 43,5 cm | Museum Bautzen, Inv.-Nr. 4136

58 Im Zuge einer Rückkehr zur Wirklichkeit in ei­ gemälde »Barmherzige Schwester« von 1898/ Abb. 2 nem spätimpressionistisch geprägten Realis­ 1899 (Abb. S. 116) ankündigte, wurde in den Oskar Zwintscher Bildnis der Gattin des Künstlers | 1902 | mus und zu betont malerischen Positionen (nach folgenden Jahren konsequent bestätigt – eine Öl auf Leinwand | 200 × 100 cm | einer Phase expressionistischer und kubo-futu­ auf die Spitze getriebene, auch durch den Ein­ SKD, Galerie Neue Meister, Gal.-Nr. 2335 ristischer Experimente) verschwand dieser ver­ satz altmeisterlicher Maltechnik erzielte Reali­ gleichsweise kurze Höhepunkt einer Dresdner tätstreue, die von Kritikern nicht selten unter Stilkunst bald wieder von der Bildfläche. Der dem Etikett eines exakten, trockenen oder gar Reformgeist der Jahrhundertwende bahnte sich »unerbittlichen Naturalismus« abgehandelt wur­ in künstlerischen Experimenten wie dem Expres­ de. 9 Nicht zufällig waren es weniger die Gen­ sionismus der »Brücke«-Künstler auch andere reszenen, als vielmehr Müllers Por­träts, die Aus­ Wege. Die Neuerungen des Formenvokabulars zeichnungen erhielten und Aufträge nach sich der Jugendstil-Malerei aber waren ganz offenbar zogen; hier mündete die Genauigkeit der Zeich­ noch nicht ausgeschöpft. nung in einem scharf charakterisierenden Rea­ lismus – der auch die frühen Selbstporträts des Otto Dix kennzeichnet, in denen er mit der For­ »Proto-Neue Sachlichkeit« mensprache des Jugendstils experimentierte.10 Eine solche suggestive Minutiösität bestimmt Der spätere Direktor der Bremer bzw. Hambur­ nicht minder Müllers Darstellung eines Ateliers ger Kunsthalle, Gustav Pauli, schätzte im Rück­ in der Dresdner Akademie von 1907 (Abb. S. 73), blick auf seine Zeit als Bibliothekar an der Kunst­ die durch seine harte Modellierung der Figuren akademie von 1894 bis 1899 die Situation im und Gegenstände sowie deren Maßstab im Dresdner Kunstleben wie folgt ein: »Unter den Raum eine symbolische Aufladung erfährt. Die­ älteren Schülern der Akademie zeichneten sich se Wirkung erreichen – stärker noch als die in damals die dekorativ begabten Maler Oskar der Nachfolge Klingers geschaffenen Radierun­ Zwintscher und Hans Unger aus, der Maler und gen mit Tier- und Figurenszenen voller »billige[r] Graphiker Richard Müller und Sascha Schnei­ und spießerische[r] Erotik« 11 – vor allem auch der. Mit ihnen allen bin ich damals oft zusam­ Müllers Stillleben, wie bereits das 1902 gemalte mengekommen. Schneider erregte Aufsehen »Stillleben mit Totenkopf« (Abb. 1). In einer spä­ durch seine großen tiefsinnig motivierten Kom­ teren Version zum Atelierbild von 1907, »Zei­ positionen männlicher Akte. Er gehörte zu den chenklasse in der Akademie« von 1920 (Galerie glühenden Bewunderern Max Klingers, deren Neue Meister, Gal.-Nr. 3141), ist eine solche es in Dresden viele gab […]. Müller erregte die »Natura Morta« mit Gipstorso, Malutensilien und Bewunderung seiner Lehrer durch scharf beob­ Firnisflaschen eingefügt: bedeutungsschwer als achtete und sehr säuberlich ausgeführte Natur­ Memento mori angelegt und dabei doch ein studien. In der Spätzeit des Impressionismus Stück Realität, scheinbar ohne Kommentar ob­ erschien er als ein Vorläufer jener Richtung, die jektiv geschildert. Hier wird ersichtlich, dass heute unter dem schulmeisterlich trockenen Na­ nicht allein Müllers genaue Zeichnungskunst, men der ›Neuen Sachlichkeit‹ aktuell geworden wie auf der Grundlage der Erinnerungen von ist. Eben diese Richtung scheint der Sonderbe­ George Grosz immer wieder beschrieben, für gabung des sächsischen Stammes zu entspre­ die nachfolgenden Künstler von Bedeutung ge­ chen. Sie hatte damals einen älteren Vertreter wesen ist, sondern ebenso ein »Dresdner Ding- in dem Grafen Reichenbach und gipfelte später Surrealismus«, wie ihn Sigrid Walther im Werk in dem sehr sächsischen Otto Dix.« 5 Als »Proto- seines Schülers Willy Wolff erkannte. 12 Neue Sachlichkeit« deklarierte Fritz Schmalen­ Das frühe Œuvre von Oskar Zwintscher zeigt bach diese Formensprache, zu deren Vertretern gleichermaßen offensichtlich, dass einhergehend er unter anderen Georg Lührig, Richard Müller, mit der scharf gezogenen Umrisslinie als dominie­ Hans Unger und Oskar Zwintscher zählte. In rendem Gestaltungselement ebenso die foto­ »ihrer übertriebenen zeichnerischen Gegen­ grafisch wirkende Tiefenschärfe bis zur feinsten standspräzision« hätten ihre Werke »eine ver­ Falte getrieben werden konnte. Gerade Zwint­ blüffende Ähnlichkeit mit den Bildern der zwan­ scher vermittelte zudem entscheidende Impulse, zig Jahre jüngeren Strömung«. 6 Raum und Tiefe im Bild – insbesondere in der 5 Gustav Pauli, Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten, Tübin­ gen 1936, S. 132 f. Von Woldemar von Reichenbach besitzt Richard Müller prägte seit seiner Berufung als Porträtmalerei – so weit wie möglich zurückzu­ die Galerie Neue Meister ein delikat ausgeführtes Interieur Professor 1903 über drei Jahrzehnte hinweg in nehmen. Das Bildnis seiner Gattin von 1902 (Gal.-Nr. 2316 A). 6 Schmalenbach 1973, S. 81 – 85. der Dresdner akademischen Aus­bildung – na­ (Abb. 2) zeigt besonders deutlich, wie bewusst 7 Von 1903 bis 1935 lehrte Müller an der Kunstakademie vor allem Radierung und Zeichnung; vgl. dazu auch den fol­ mentlich im Zeichnen – zahlreiche Künstler. Von und wohlkonstruiert der Maler die folienhafte genden Beitrag, bes. S. 71 – 75. 8 Löffler 1999, S. 101. Max Ackermann, Otto Dix und George Grosz Flächigkeit des Bildes betont, indem er scharfe 9 Ebd., S. 72. 10 Vgl. beispielsweise das »Selbstbildnis bis Rudolf Bergander, ob sie wollten oder nicht: Abgrenzungen und Kontraste bildet und die ein­ mit Nelke« (1912) im Detroiter Institute of Art und das ver­ schollene »Selbstbildnis vor Landschaft mit Felsen, Bergwie­ Keiner von ihnen konnte seiner handwerklichen zelnen Bildgründe – hier nur Vorder- und Hin­ se und Meer« (1913); s. dazu auch Schmidt 1978, S. 16 – 23. Virtuosität gleichgültig gegenüberstehen. 7 Auch tergrund – nahezu ohne Zwischenraum knapp 11 Löffler 1999, S. 58. 12 Sigrid Walther, in: AK Dresden 2000, S. 9. Zu Grosz’ Er­innerungen an Müller s. den fol­ Fritz Löffler bezeichnete ihn als »Vorläufer der hintereinander legt. Mit zeittypischem Raffinement, genden Beitrag, S. 72 f. Bewegung«. 8 Was sich mit Müllers erstem Öl­ das Ornament ebenso flächenbetonend einge­

60 krassen Dokumentarismus oder einer magisch verfremdeten Wirkung einer gegenstandsge­ treuen Wirklichkeitsschilderung führen. Der Schritt ist formal oft nicht groß, erscheint aber umso gewaltiger, da Zwintschers Kompo­ sitionen lebensabgewandte Themen aufnehmen, die Neuerung der jungen Künstler nach dem Ersten Weltkrieg aber im Blick auf die unge­ schönte Lebensrealität der Arbeiter liegt. Idea­ lisierte und »nackte« Realität, Idylle und Alltag werden mit vergleichbaren Mitteln vorgeführt – ein Topos, der sich mit dem Kategorisierungs­ versuch in einen rechten und einen linken Flügel von Malern durch die gesamte Geschichte der Neuen Sachlichkeit zieht: Zwintschers elegante Dame steht vor einer Tür; Dix’ rührige Eltern sit­ zen – in der späteren Version seines Elternbild­ nisses von 1924 (Sprengel Museum Hannover) noch deutlicher – unmittelbar vor der Rücken­ lehne des genau geschilderten Sofas und einer gemusterten Wand. Auf den Begriff der Folie als formales und psychologisches Mittel, wie ihn Wilhelm Waetzoldt 1908 verwendet hatte, ver­ wies in diesem Zusammenhang Erhard Fromm­ hold, um das Werk des Freitaler Malers Her­ mann Lange zwischen Zwintscher und Dix zu verorten.13 Oskar Zwintschers Porträtkunst, wie sie im »Bildnis einer Dame mit Zigarette« (Abb. 3) ein­ drucksvoll zutage tritt, verdient der besonderen Erwähnung. Zu dem Grad an Realismus, den er durch zeichnerische Genauigkeit erreicht, ohne in »Trockenheit« oder »Kleinlichkeit« 14 zu verfal­ len, existiert wenig Vergleichbares. Dass Zwint­ scher damit insbesondere auch jüngere Künstler beeindruckte, die naturalistischen Richtungen Abb. 3 setzt, zeigt Zwintscher seine Frau in schlichter folgten, lässt sich an einem Bild seines Schülers Oskar Zwintscher Eleganz auf einer Art Proszenium, dessen Tiefe Carl Walther ablesen. Gleichwohl der 1880 ge­ Bildnis einer Dame mit Zigarette | 1904 | Öl auf Leinwand | 82 × 68 cm | auf ein Minimum begrenzt ist, und erreicht da­ borene Leipziger zu Beginn seines Studiums an SKD, Galerie Neue Meister, Gal.-Nr. 2690 durch Modernität und eine suggestive Intensität der Kunstakademie 1902 zu Richard Müller kam, in der bildfüllenden Darstellung. Diese Auffas­ und nur von 1904 bis 1905 bei Zwintscher in sung des Bildraums, das Bekenntnis zu Linea­ die Lehre ging, spürt man die unmittelbaren rität und Flächigkeit, bildete sich in der Stilkunst Auswirkungen jenes Kontakts in einem Gemälde in verstärktem Maße heraus und ist als formales (Abb. 4), das etwa 20 Jahre später entstand und Motiv in verschiedensten Ausprägungen etwa eine bemerkenswerte Kreuzung aus Jugendstil bei Otto Dix, Franz Lenk, Wilhelm Heckrott oder und Neuer Sachlichkeit darstellt. Ernst Holzhäuser (vgl. Abb. S. 189, 264, 238, Ähnlich nachhaltigen Eindruck übte eine akri­ 245) nachzuvollziehen – und zwar geradezu an­ bisch und streng linear ausgeführte Landschaft tithetisch umgesetzt namentlich in Bildnissen und Oskar Zwintschers, einer Aussage des Dix-Schü­ Interieurdarstellungen aus dem Arbeitermilieu. lers Rudolf Bergander zufolge, auf junge Künst­ Zwintscher, der seit 1903 als Lehrer an der ler in den 1920er Jahren aus. Das bereits 1904 Abb. 4 Carl Walther 13 Erhard Frommhold, Hermann Lange – ein zu Unrecht Kunstakademie in Dresden tätig war, vermied – als Zwintscher zum Professor an der Dresdner Frau mit Zigarette | 1926 | Öl auf Leinwand | 77 × 70 cm | vergessener­ Maler, in: Barbara Funk u. a., Nun tu’ ein Fens­ – wie die Alten Meister und Meister des 19. Jahr­ Akademie ernannt wurde – auf der Großen Kunst­ Historisches Museum Bamberg, Inv.-Nr. 586 ter auf … Leben und Werk des Freitaler Malers Hermann hunderts (etwa die Nazarener) – in seiner sorg­ ausstellung Dresden präsentierte und hochge­ Lange. 1890 – 1939, Dresden 1995, S. 30. Ähnlich formuliert bereits in seiner Rezension: Eine Ausstellung rings um Os­ fältig mit spitzem Pinsel ausgearbeiteten Malerei priesene Bild »O wandern, o wandern!« (Abb. 5) kar Zwintscher im Albertinum, in: Bildende Kunst, 1982, atmosphärische Wirkungen. Die Strukturen des war nach seinem frühen Tod aus der Gedächt­ S. 440 – 443, hier S. 442. 14 Löffler 1999, S. 58, Richard Pinselstrichs wurden unterdrückt, die Malfläche nisausstellung 1916 in die Gemäldegalerie ge­ Müller betreffend. Markante Bildnisse von Zwintscher aus 15 der Zeit um 1900 befinden sich in der Galerie Neue Meister geschlossen. Das überdeutlich Dargestellte er­ langt. (Gal.-Nr. 2335 E und 3740). 15 Zwintschers Bedeutung langte so eine magisch-symbolische Überhö­ Andere Künstler der älteren Jahrgänge blie­ für die Dresdner Malerei der 1920er Jahre wurde bereits hervorgehoben von Joachim Uhlitzsch, Oskar Zwintscher, hung. Diese formalen und technischen Metho­ ben in den 1920er Jahren von den jüngsten Leipzig 1984, bes. S. 3 und 13 f. den konnten dann – noch gesteigert – zu einem Entwicklungen nicht unbeeinflusst, adaptierten

62 Hermann Glöckner

g l ö c k n e r * 21. Januar 1889 in Cotta bei Dresden g l ö c k n e r † 10. Mai 1987 in Berlin/West

1904 – 07 Lehre als Musterzeichner | 1904 – 11 Abendkurse an der Dresden | 1923 – 24 Studium an der Dresdner Kunstakademie bei Otto Gussmann

Hermann Glöckners gegenständliche Gemälde der 1920er Jahre markieren in Dresden einen Randbereich der Neuen Sachlichkeit hin zum Konstruktivismus. Was Franz Roh 1926 für die niederrheinischen Maler Seiwert, Hoerle und Arntz konstatierte, könnte auch für Glöckner gelten, dass er nämlich eine »Mittelstufe zwischen abstrakter Aufteilung und Gegenständlichkeit anstrebt, in gewisser Kreuzung sozusagen von Konstruktivismus und neuer Dinglichkeit« (F. Roh, in: Das Kunstblatt 10:1926, S. 365). Glöckners reduzierte Figurenbilder und Architekturmotive rücken die Komposition und Tektonik von Fläche und Raum in den Fokus und vermögen den Blick auf diesen Aspekt auch für Werke anderer Dresdner Künstler, etwa Kretzschmar oder Heck- rott, zu schärfen. Bereits Hartlaub beobachtete in seiner Einlei- tung zum Katalog der Mannheimer Ausstellung 1925: »beachtet man den konstruktiven Zug, den die heutige Wirklichkeitskunst nicht weniger betont, als die Kubisten oder Futuristen von gestern, so ergibt sich viel Gemeinsames« (AK Mannheim 1925, o. S.). Jene Luftleere, die oft als charakteristisch für die Arbeiten der Neuen

Kirche in Dittersbach mit Mast (I) chen Malerei reflektiert. Das Gemälde »Weiser« 28.9.1934 | Rötel | 63,6 × 47,5 cm | von 1927, dem Jahr der ersten Einzelausstellung SKD, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 1989 – 446 des 38-jährigen Glöckner in der Galerie Hart- berg in Berlin, reduziert die Szenerie eines Strandbads mit Fliesenweg und Bogenbrücke gegenüber vorbereitenden Zeichnungen weiter Sachlichkeit beschrieben worden ist, erscheint zu Farbflächen. Die Senkrechten und Waage- bei Glöckner zu einer neuen Qualität gesteigert, rechten im Bild folgen einer strengen Geome­ indem er etwa in seinen Dachlandschaften geo- trie, die schon den Schüler und den Muster- metrische Flächen aneinandersetzte, »als wären zeichner Glöckner faszinierte. KH die leeren Räume zwischen den Dächern weg- gelassen und die einzelnen Giebel eng zusam- Literatur: Hermann Glöckner zum 100. Geburtstag. Gemälde, Zeichnungen, Tafeln, Collagen, Abdrucke, Faltungen und plasti- mengerückt« (Johannsen 2010, S. 183). sche Arbeiten, AK Albertinum Dresden, Staatliche Galerie Mo- Technisch-geometrische Motive wie Stadtan- ritzburg Halle 1989, hg. v. W. Schmidt u. a., Dresden 1989 | sichten, Strommasten oder Schornsteine faszi- Hermann Glöckner, Raum, Zeit, Figur. Ein Dresdner Beitrag zur Moderne, AK Ulmer Museum 1991, hg. v. B. Reinhardt u.a., Ulm nierten nicht nur Glöckner, sondern gehörten 1991 | Hermann Glöckner für Dresden, AK Leonhardi-Museum auch zum Bildrepertoire vieler Künstler der Zeit. 2003, Dresden 2003 | C. Dittrich, Glöckner: Gemälde und Zeich- Glöckner fügte den bildwürdigen Gegenstän- nungen, 1904 – 1945, Dresden 2010 | A. Johannsen, Gestaltete Umwelt: Naturbegriff und Landschaftsdarstellung bei Hermann den den – in seinen Arbeiten meist leer bleiben- Glöckner, in: Dresdener Kunstblätter 3: 2010, S. 180 – 190 Kopf einer jungen Frau Weiser 1927 | Mischtechnik auf Pappe | 22 × 17,5 cm den – Weiser hinzu, der durch die Funktionsstö- 1927 | Öl auf Leinwand | 60 × 49 cm | SKD, Galerie Neue Meister, Inv.-Nr. 90/13 rung den Verweischarakter der gegenständli- SKD, Galerie Neue Meister, Inv.-Nr. 76/07

210 Otto Griebel aber ist die Figur des Seemanns eine gängige Personifikation männlicher Libido. Während das

g r i e b e l offenkundige sexuelle Begehren in vergleichba- g r i e b e l * 31. Mai 1895 in Meerane/Sachsen ren Bildern meist in der triebhaften Begegnung † 7. Juli 1972 in Dresden von Matrose und Dirne dargestellt wird, finden 1909 Lehre als Dekorationsmaler | 1909 – 11/12 das maskulin-kantige, holzschnittartig-emotions- Besuch der Königlichen Zeichenschule lose Gesicht und der muskulöse Körper des in Dresden | 1911/12 – 15 und Frühjahr 1919 Seemanns ihr weibliches Gegenstück in einer Studium an der Kunstgewerbeschule bei Josef Goller | Herbst 1919 – Frühjahr 1922 anthropomorphen Felsformation des Hinter- Studium an der Dresdner Kunstakademie grundes, indes das exotische Freudenmädchen bei Robert Sterl noch auf einer Terrasse wartet. Klar und über- zeugend hat Griebel die kernige Figur des Hei- zers modelliert und formatfüllend ins Bild ge- setzt, sodass sich die physische Vitalität des Mannes geradezu aufdrängt. Ausführlich wid- Zurückgekehrt aus dem Ersten Weltkrieg, nahm mete er sich der Wiedergabe der vom Ruß ge- Griebel sein Studium an der Kunstgewerbe- schwärzten Haut und den zahlreichen Tattoos schule wieder auf und studierte im Frühjahr 1919 (darunter auch die Signatur des Künstlers), die noch ein Semester in der Klasse für Glasmalerei das Seefahrer- und Abenteurermilieu illustrieren. bei Josef Goller, bevor er im Herbst desselben Der Arbeitslose Einige Jahre später hielt sich Griebel für ein paar Jahres an die Akademie wechselte. Die ver- 1921 | Aquarell über Feder, Tusche | 23,5 × 18 cm | Wochen in Hamburg auf, wo er in St. Pauli tat- Städtische Galerie Dresden – Kunstsammlung, schiedenen Stationen seiner Ausbildung ließen Museen der Stadt Dresden, Inv.-Nr. 1958 – 59/189 sächlich Vorlagen für Tätowierer zeichnete. vor allem Griebels zeichnerische Begabung klar »Der Sonntagnachmittag« und »Der Arbeits- hervortreten, die das bildnerische Fundament lose« gehören in die Reihe der sozialkritischen seines gesamten Werkes ist. Kurz nach dem Milieuschilderungen und markieren Griebels Zweiten Weltkrieg von Fritz Löffler zu seiner Hinwendung zu einem betont anklägerischen künstlerischen Arbeit befragt, bezeichnete sich Verismus. In überwiegend als Aquarell und Zeich- Griebel daher in erster Linie auch als Zeichner nung ausgeführten Bildern, von denen die meis- und Aquarellist – und soweit sich sein Werk trotz ten nur aus alten Reproduktionen bekannt sind, der empfindlichen, kriegsbedingten Verlusteheu - werden die prekären Lebensverhältnisse der te noch überblicken lässt, hat er diese beiden Arbeiterschaft geschildert, die Schrecken des Techniken in der Tat bevorzugt. Krieges verdeutlicht und die Entlarvung des bie- Der kraftvolle malerische Realismus seines deren Bürgers vorgeführt. Das Antlitz der Zeit Lehrers Robert Sterl hat bei ihm keine nennens- in der körperlichen und seelischen Verfassung werten Spuren hinterlassen. Auch der formale des Menschen dingfest zu machen – diesem und ideelle Expressionismus der »Dresdner Se- Anliegen folgt auch die Darstellung der Artisten zession – Gruppe 1919« hat Griebel kaum be- und der beiden nackten Dirnen (S. 214 f.), die das einflusst. Stattdessen setzte er sich in der un- Themenspektrum um die populären Motive Zir- mittelbaren Nachkriegszeit mit den Möglichkeiten kus und Halbwelt erweitern. Im Unterschied zur der Abstraktion auseinander und beschäftigte ätzenden Schärfe eines Grosz oder Dix neigte sich mit den Ideen der synästhetischen Wahr- Griebel in der illustrativen Ausschmückung und nehmung. Zur selben Zeit versuchte er gemein- der ausgewogen kultivierten Farbgebung seiner sam mit Dix, Kurt Günther und dem Komponis- Bilder mitunter zur dekorativ gestalteten Anek- ten Erwin Schulhoff, Dada in Dresden einzu­ dote: »Ist die Linie von Dix mit bewußter Härte führen. Diesen Bemühungen war jedoch kein Der Sonntagnachmittag geladen, seine Farbe voll jäher Grausamkeit, so großer Erfolg beschieden. Die im Januar 1920 1920 | Grafit | 43 × 31,5 cm | Städtische Galerie Dresden – fehlt es Griebel nicht an turnerischer Sicherheit, Kunstsammlung, Museen der Stadt Dresden, von Johannes Baader, Richard Huelsenbeck Inv.-Nr. 1958 – 59/188 die seinen bitter humoristischen Absichten treff- und Raoul Hausmann in Dresden veranstaltete lich zustatten kommt« (Schmidt 1924, S. 372). »Dadaistische Soiree« – im Wesentlichen eine In der Figur des selbstbewussten Arbeitslo- Kunst- und Publikumsbeschimpfung – ließ er- der Collage und Fotomontage neue formale Im- sen kündigte sich auch schon ein Bildtyp an, der wartungsgemäß die meisten Anwesenden ver- pulse, die in den Bildern der jungen Dresdner später in der proletarisch-revolutionären Kunst stört zurück und wurde von der lokalen Presse ihren Niederschlag fanden. eine wichtige Rolle spielen sollte: der »Proleta- geschmäht. Aber das von den Dadaisten betrie- »Der Schiffsheizer« ist das einzige erhaltene rier« als optimistisch stimmender Hoffnungsträger bene, aggressive Infragestellen der Normen der Gemälde Griebels vom Beginn der 1920er Jahre. bürgerlichen Gesellschaft, die Lust an der scho- Das Motiv entstammt dem Kreis der Matrosen- nungslosen Obduktion der Zeitverhältnisse im und Hafenszenen, die auch bei Dix in dieser Zeit Bild bereitete auch in Dresden den Boden für häufig und auffallend ähnlich vorkommen. Es Verismus und Neue Sachlichkeit, der hier zuerst verkörpert männlich griffige Vorstellungen von Der Schiffsheizer von Dix, Griebel und Felixmüller beschritten wur- Abenteuer, Freiheit und Unabhängigkeit gegen- 1920 | Öl auf Spanplatte | 58 × 40,5 cm | de. Darüber hinaus vermittelten die Techniken über gesellschaftlichen Konventionen. Vor allem Privatsammlung

212 der künftigen Gesellschaft. An seiner persönli- chen politischen Haltung ließ Griebel niemals

g r i e b e l Zweifel aufkommen. 1919 trat er in die KPD ein, g r i e b e l 1922 schloss er sich der »Novembergruppe« und 1924 der »Roten Gruppe« an und unter- stützte linksgerichtete Kulturverbände wie die »Internationale Arbeiterhilfe« (IAH). 1930 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der Dresdner »Asso«. Seine künstlerischen Fähigkeiten stellte er konsequent in den Dienst der Partei. Er zeich- nete Illustrationen für kommunistische Zeitschrif- ten (»Die Rote Fahne«, »Die Rentenquetsche«, »stoss von links« und andere) und trat als Schnell­ zeichner auf politischen Veranstaltungen auf. Außerdem entwarf er Bühnenbilder und Requi- siten für die Dresdner Agit-Prop-Gruppen »Rote Truppe Strzelewicz« und »Rote Raketen«. Ende der 1920er Jahre unternahm Griebel den Ver- such, parteipolitische Agitation und Kunst in einem großen »Historienbild« miteinander zu verbinden, und malte »Die Internationale« (Abb. S. 131) – ein künstlerisch wenig überzeugendes Bild, das thematisch der Parteilinie folgte, des- sen formaler Schematismus der statisch anein- ander gereihten Arbeiterfiguren aber schon von den Zeitgenossen bemängelt wurde. Das im Februar 1945 verbrannte »Selbstbild- nis in der Kneipe« von 1926 erinnert in vielerlei Hinsicht an Dix’ »An die Schönheit« (1922/Abb. S. 191). Hier wie dort inszenierte sich der Künst- ler inmitten des bürgerlichen Amüsierbetriebs als distanziert kritischer Beobachter der Gesell- schaft. Mit festem Blick nimmt der Maler das Publikum als Adressaten seines »Unbehagens an der bürgerlichen Welt« (Griebel 1986, S. 137) ins Visier. Motivisch, stilistisch und atmosphä- risch erfüllte dieses Bild in Griebels Schaffen der 1920er Jahre am ehesten die Kriterien einer um suggestive Objektivität bemühten Malerei der Neuen Sachlichkeit. MW

Literatur: Schmidt 1924 | AK Dresden 1965 | Otto Griebel. Male­ rei. Zeichnung, Graphik, AK Museum der bildenden Künste Leip- zig 1972, Leipzig 1972 | Schmidt 1973 | Griebel 1986 | Œuvre- verzeichnis Otto Griebel (1895 – 1972), unveröff. Ms., erarbeitet von Matthias Griebel, 1994.

Selbstbildnis in der Kneipe 1926 | Technik und Maße unbekannt | verbrannt am 13. 2. 1945 | Repro aus: AK Deutsche Kunst, Kunstpalast Düsseldorf, 1928, Nr. 258

Zirkusbild Zwei Frauen 1925 | Öl auf Leinwand | 87,5 × 91 cm | 1924 | Aquarell auf Karton | 63,8 × 45 cm | The George Städtische Museen Zwickau, Economou Collection, Canal Station Inc., Athen Kunstsammlungen, Inv.-Nr. 1929/914

215 Curt Großpietsch George Grosz

(eigentlich Georg Ehrenfried Groß) g r o s z p i e t s c h s s * 21. Juni 1893 in Leipzig † 26. September 1980 in Dresden 26. Juli 1893 in Berlin g r o * † 5. Juli 1959 in Berlin 1905 – 09 Lehre als Dekorationsmaler im väter­lichen Betrieb und Kurse an der Kunst­ 1909 – 12 Studium an der Kunstakademie gewerbeschule in Leipzig | 1909 Bewerbung in Dresden bei Robert Sterl und Raphael an der Kunstakademie Dresden, 1911 Immatri­ Wehle, Richard Müller und Osmar Schindler kulation, Studium bis 1922, unter anderem (Sommer 1912 beurlaubt) bei Raphael Wehle, Richard Müller, Robert Sterl und Oskar Zwintscher (Militärdienst 1914 – 19), 1919 – 22 Meisterschüler von Otto Gussmann

Vielleicht ist George Grosz einer der bekann- testen, in jedem Fall einer der provokativsten Künstler der letzten Jahre des deutschen Kai- serreichs und der Weimarer Republik. Sein Werk, häufig auf Themen der Großstadt bezo- gen, ist eng mit der Metropole Berlin verbunden. Weniger bekannt ist jedoch, wie wichtig und prägend auch seine Ausbildungszeit an der Die Großmutter denen Ölgemälde zeigt sich der Künstler in satt Kunstakademie in Dresden von 1909 bis ein- 1922 | Radierung | 14,7 × 20 cm | SKD, Kupferstich- aufgetragener Farbe vor einem dunklen Vorhang. schließlich 1912 war. Mit dem Ziel, die Techniken Kabinett, Inv.-Nr. A 1963 – 93 Seine rechte Gesichtshälfte wird von natürli- der Bildkomposition zu lernen und einer jener chem Licht erhellt. Die Physiognomie ist neutral großen Historienmaler zu werden (Grosz 1955, gehalten, auch der Blick wirkt unbestimmt. S. 61), studierte er in der sächsischen Residenz Die grotesken Zeichnungen von Curt Großpietsch Dass Großpietsch bis in die 1960er Jahre die berühmten Historien- und Porträtmaler des ziehen sich durch alle Werkphasen hindurch. Der hinein ein »verkannter Künstler« war, verwundert 19. Jahrhunderts und wurde von Richard Müller, Erste Weltkrieg, den er schwer verwundet über- angesichts seiner Umtriebigkeit in der Dresdner Osmar Schindler und Robert Sterl ausgebildet. lebt hat, findet nur indirekten Eingang in seine Kunstszene. Er versteckte sich nicht im Atelier, Besonders das exakt-mühsame Abzeichnen der Bildwelten. Zurück an seinem Studienort Dres- sondern war aktives Mitglied der Künstlergrup- Gipsabgüsse in der Zeichenklasse von Müller, den sind es aber auch alltägliche Beobachtun- pe »Die Schaffenden«, engagierte sich im Vor- in der »mit militärischer Strenge, Malstock und gen, die ihn fesseln. »Diese frühe Graphik, wie stand der Dresdner Kunstgenossenschaft und einem Dutzend tödlich spitzer Kreidestifte« re- ›Fabrikmädchen‹, ›Annäherung‹, ›Ein Opfer‹, ›Die war das einzige SPD-Mitglied der Dresdner giert wurde (Grosz 1955, S. 56), waren ihm zwar Großmutter‹, zeigt deutlich den Anteil des Künst- »Asso«. Nachträgliche Ausblendungen lassen zuwider, schulten jedoch seine zeichnerischen lers am Dresdner Veris­mus, sein sensibles Re- seine Position im »Dritten Reich« heute nur er- Fähigkeiten. Sein anschließendes Studium an agieren auf die katastrophale Zeitstimmung der ahnen. RH der Kunstgewerbeschule in Berlin absolvierte Inflation« (L. Fischer, in: AK Regensburg 1983, er von 1912 bis 1917 bei Emil Orlik mit kriegs- S. 11). Die verknöcherte, Kekse essende alte Literatur: AK Dresden 1965 | Curt Großpietsch, AK Ostdeutsche bedingten Unterbrechun­gen. In der Folge ent- Galerie Regensburg 1983/1984, Regensburg 1983 | Curt Groß- Frau im Rollstuhl begleitet der gierige Blick eines pietsch, 1893 – 1980. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Radierun- standen zahlreiche Kriegskrüppel-, Soldaten- und auf der Brücke herumlungernden Mannes. Die gen, AK Kunstsammlung Gera, Otto-Dix-Haus 2000, Gera 2000 Infanteristenbilder. Bereits während dieser Zeit Selbstbildnis Freude an der Überzeichnung von Figuren, die trat der Maler, Zeichner, Illustrator, Satiriker und Ecce Homo das emsig arbeitende Proletariat dazu verdon- um 1934 | Öl auf Leinwand | 54 × 40 cm | am stärksten bei dem aus dem Bild herausbli- Karikaturist George Grosz, wie er sich seit 1916 1919/20 | Tuschfeder | 52,5 × 38,5 cm | nert, die »Klassenschranke« selbst zu errichten Privatbesitz Hermsdorf Sammlung Karsch/Nierendorf ckenden Gnom zu beobachten ist, scheint ge- selbst nannte, mehrfach in der Kunstszene in Er- (AK Berlin 1977, S. 4/114 – 115, Kat.-Nr. 4/6). genüber sozialkritischer Anklage zu überwiegen. scheinung. Die Verhaftung während des Sparta- Ein Armutszeugnis einer Gesellschaft, die selbst Anders verhält es sich in einer Gruppe von kusaufstandes 1919 und sein Eintritt in die KPD, den Kriegsinvaliden, der sein Leben für das Land Gemälden, die ab der Spätphase der Weimarer anschließende Anklagen und Verurteilungen we- seinen rigorosen und provokativen Sujets, seinen riskiert hatte, auf die andere Seite der Mauer, auf Republik entstand: Hier verliert sich das grotes- gen Gotteslästerung, Beleidigung der Reichs- gesellschaftskritischen, oftmals kompromisslos- die untere Ebene der Gesellschaft abschiebt. ke Element. Ein oder zwei Selbstbildnisse hat wehr und anderer unsittlicher künstlerischer und karikierenden Darstellungen ein Vorbild gewe- Bezeichnenderweise wurde eben dieses Bild Großpietsch 1935 und 1936 in Dresdner Aus- verbaler Äußerungen sind nur einige Beispiele, sen sein. Im Vergleich zu beiden gilt er jedoch 1925 auf der Dresdner Ausstellung »Die neue stellungen gezeigt, die sich aufgrund fehlender die Leben und Werk des bedeutenden Kritikers als der Politischere, als »der Satiriker unter den Sachlichkeit« unter dem Titel »Magistratsbeam- Katalogabbildungen allerdings nicht eindeutig der Weimarer Zeit und Chronisten der zuweilen Veristen« (AK Berlin 1974, S. 30). So erscheint ter für Kriegsbeschädigtenfürsorge« gezeigt. identifizieren lassen. Bei dem um 1934 entstan- abgründigen Großstadtrealität prägten. 1921 im Bild »Grauer Tag« das gut situierte Bis Mitte der 1920er Jahre wurde Grosz’ Schaf- Grosz gilt als einer der Hauptvertreter des deutschnationale Beamtentum in Gestalt eines fen von zahlreichen schonungslosen und de- Dada sowie der Neuen Sachlichkeit. Seinen wohlgekleideten Winkeladvokaten mit Gesichts- maskierenden Zeichnungen und Illustrationen späteren Kollegen Otto Dix und Otto Griebel mag schmiss und strengem Zwicker vor einer Mauer. dominiert. Erst 1925 tritt er mit einem eindrucks- er künstlerisch, in seiner veristischen Schärfe, Eine Persiflage der herrschenden Klasse, die vollen Ölgemälde, dem »Porträt des Schriftstel-

216 217 blick darstellt. Jener große Schriftsteller und Satiriker, der für Grosz eben ganz besonders g r o s z g r o s z auch Gleichgesinnter und Freund war: Im Port- rät Max Herrmann-Neißes wird deutlich, worum es in den Bildnissen von Grosz ging. Es ist das Erfassen des Typischen, des Charakteristischen und Individuellen, was mitunter – noch mehr in seinen Zeichnungen und Illustrationen – in zü- gelloser Zuspitzung, Übertreibung und Karikie- rung endete und das Unverkennbare in seinem Œuvre ausmacht. Mit den Bildnissen ab 1925 entsteht eine Reihe neusachlicher Porträts wie jene von Max Schmeling, des Schriftstellers Walter Mehring und auch 1927 eine zweite Fas- sung des Porträts seines Freundes Max Herr- mann-Neiße, die sich heute im Museum of Mo- dern Art in New York befindet. Seine meist gro- tesk-sarkastischen und gesellschaftskritischen Motive wie in »Die Stützen der Gesellschaft« oder »Sonnenfinsternis«, beide aus dem Jahr 1926, weichen in den Bildnissen nur kurzzeitig einer gemäßigteren, scheinbar weniger sozial- kritischen Ausdrucksform. Grosz selbst begriff sich offenbar als »journa- listischer Tageszeichner« (Ein neuer Naturalis- mus?? Eine Rundfrage des Kunstblatts, in: Das Kunstblatt 6:1922, S. 382 f.) und wurde bereits von seinen Zeitgenossen zum »sozialen Refor- mator« stilisiert. Er verzichtete größtenteils be- wusst auf eine plastisch-modellierende Schraf- fur mit Tiefenwirkung zugunsten einer messer- scharfen Kontur. Seine Dresdner Zeichenlehre, die ihm zu jener vortrefflichen zeichnerischen Präzision verhalf, sowie das Studium seiner gro- ßen Vorbilder Hogarth und Brueghel (vgl. Der Cicerone 19:1927, S. 123 – 125) erlaubten ihm, ganze Bildgeschichten mit nur wenigen Strichen und einer bis auf die wesentlichen Umrisslinien vereinfachenden Bildanlage zu erzählen. Da- durch konnte Grosz in kürzester Zeit politische oder gesellschaftliche Ereignisse rezipieren und mit seinem bizarr-skurrilen Zeichenstil gegen die »Schönmalerei« rebellieren. Ob Paris, wo er mehrmals verweilte, oder Berlin: Koketterie und Eleganz des Großstadtlebens waren dem virtu- osen Dandy Grosz, der sich selbst gern den Grauer Tag (Magistratsbeamter lers Max Herrmann-Neiße« in der von Hartlaub zeitgenössischen Modekonventionen hingab, Porträt des Schriftstellers lich wie die Soldaten lange Zeit in völliger Iso- emigrieren, wo er 1938 die amerikanische für Kriegsbeschädigtenfürsorge) organisierten Mannheimer Ausstellung zur Neu- willkommenes Motiv, seinem dialektischen Ver- Max Herrmann-Neiße lation lebt, amüsiert sich daher umso mehr mit Staatsbürgerschaft erlangte. Kurz nach seiner 1921 | Öl auf Leinwand | 115 × 80 cm | 1925 | Öl auf textilem Bildträger | 100 × 101 cm | Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, en Sachlichkeit als Maler wieder in Erscheinung. hältnis zwischen der Bewunderung einer ame- Kunsthalle Mannheim, Inv.-Nr. M 1070 seinem geringen Auskommen in den Freuden- Übersiedlung nach Berlin 1959 starb er an Inv.-Nr. B 97 Der kleine verwachsene Körper, im Kontrast zu rikanisiert-modernen, mitunter durchaus impo- häusern und Spelunken. Getrieben von revolu- den Folgen einer durchzechten Nacht. JK dem höchst wachen und zynisch-klugen Geist santen Dekadenz der Avantgarde einerseits und tionären wie auch humanistischen Visionen ei- des Berliner Satirikers, wird von Grosz in schar- der verhassten großbürgerlichen Daseinsform ner besseren und sozial gerechteren Welt, kri- Literatur: Grosz 1955 | Tendenzen der Zwanziger Jahre: 15. Euro­ päische Kunstausstellung, AK Nationalgalerie Berlin u. a. 1977, fer Realistik und nahezu schamlos in Nahsicht mit ihren Klassengegensätzen und perversen tisierte Grosz in seinem umfangreichen Œuvre Berlin 1977 | George Grosz. Berlin – New York, AK Nationalga- als Charakterstudie dokumentiert. Neiße saß Abseitigkeiten andererseits, Ausdruck zu verlei- mit emphatischer Kompromisslosigkeit und ve- lerie Berlin, Kunstsammlung NRW Düsseldorf, Staatsgalerie dem Künstler unzählige Male Modell in seinem hen. In satirischer Zuspitzung erscheinen seine ristischer Hitzigkeit jene eklatante Diskrepanz Stuttgart 1994/95, hg. v. P.-K. Schuster, Berlin 1994 | George Grosz. Neue Sachlichkeit und Realismus 1921 – 1945, AK Ga- Atelier. Das belegt eine beachtliche Anzahl von durch die Großstadt flanierenden oder in Bars zwischen der zunehmend kapitalistischen Lohn- lerie Fred Jahn München 2007, München 2007 | George Grosz. Skizzen, in denen der Maler nüchtern und sach- und Bordells verweilenden Bohemiens, Kokot- sklaverei der herrschenden Klasse und dem Kunst als Sozialkritik. Zeichnungen, Aquarelle und Druckgrafiken, lich im Halbprofil die in sich zusammengesun- ten, Dandys. Auch die Figur des Matrosen immer weiter verelendenden Proletariat. 1933, AK Saarlandmuseum Saarbrücken 2007/08, Saarbrücken 2007 kene, knöchrige Erscheinung mit markanter Ni- (S. 220), Symbol progressiven Gedankenguts, kurz nach der Machtübernahme der Nationalso- ckelbrille, modischen Gamaschen und Scharf- der Freiheit und der Unabhängigkeit, der ähn- zialisten, musste Grosz ins Exil nach New York

218 219 Dresden war in den 1920er Jahren eines der wichtigsten Zentren der Neuen Sachlichkeit und des Verismus in Deutschland. Die Dresdner Kunstakademie prägte eine ganze Generation von Künstlern – von Otto Dix, George Grosz, Otto Griebel, Bernhard Kretzschmar, , Wilhelm Lachnit bis Rudolf Bergander, Curt Querner und Willy Wolff. In kühler Distanz und messerscharfer Präzision beschrie- ben die Maler ihre Wirklichkeit. Bissige Ironie stand altmeisterlicher Eleganz gegenüber. Werke von über 70 Künstlern, zum Teil bislang nahezu unbekannte Positionen von überraschender Qualität, sind in diesem Kompendium zusammengeführt. Das großzügig bebilderte Buch bietet erstmals einen Überblick über die facettenreiche Kunst- strömung in den Jahren der Weimarer Republik bis 1933.

S a n d st e i n