Die Große Gespenster-Vertreibung Der Diagnose Im Römer Sind Die Exorzisten Am Werk
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FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Frankfurt MITTWOCH, 15. MÄRZ 2017 · NR. 63 · SEITE 35 Hilfen nach Die große Gespenster-Vertreibung der Diagnose Im Römer sind die Exorzisten am Werk. Krebs Die Nazi-Lerche „Projekt Schmetterling“ Agnes Miegel wurde besteht seit zehn Jahren schon aus der Liste Wenn Patienten erfahren, dass sie Krebs haben, trifft sie das meist wie ein Schlag, der Goethe-Preisträger und sie geraten in einen Ausnahmezu- gestrichen. Einige stand. Jene, für die die Situation zu belas- tend ist, erhalten im Universitären Cen- weitere Verdächtige trum für Tumorerkrankungen an der Uni- versitätsklinik Hilfe von Psychoonkolo- könnten folgen. gen. Unter der Leitung von Bianca Senf ar- beiten dort insgesamt acht besonders aus- Von Hans Riebsamen gebildete Therapeuten. Ermöglicht wird ihre Arbeit vom Verein „Projekt Schmet- terling“, der gestern sein zehnjähriges Be- Die in Königsberg geborene Schriftstelle- stehen mit einer Feierstunde im Hotel In- rin Agnes Miegel ist nach dem Krieg tercontinental begangen hat. eine Heroine der Flüchtlinge und Vertrie- Zunächst gehe es darum, den Patienten benen aus den deutschen Ostgebieten ge- den Stress zu nehmen, sagt Senf. „Viele wesen. In manchem Briefmarkenalbum sind schon erleichtert, wenn wir ihnen steckt noch die Sondermarke mit ihrem klarmachen, dass sie zu ihren Gefühlen Porträt, herausgegeben von der Deut- stehen dürfen.“ Sie sollten sich nicht für schen Bundespost im Jahr 1979 aus An- ihre Angst, Sorgen oder Traurigkeit schä- lass ihres 100. Geburtstags. Erst zwei men. Im Gespräch wird die Erkrankung Jahrzehnte später dämmerte es zumin- keinesfalls verharmlost, wie die Psycholo- dest den Verantwortlichen in den vielen gin hervorhebt. Es gehe vielmehr darum, Kommunen, die eine Straße nach der Au- den Patienten Möglichkeiten für das Wei- torin benannt hatten, langsam, dass sie terleben zu eröffnen. „Wir entwickeln mit sich auf diese Weise einen braunen ihnen eine Art Navigationssystem.“ Fleck in die Stadt geholt hatten. Denn Dafür müssen die Patienten genau be- Agnes Miegel war eine Nationalsozialis- nennen, was ihnen Angst macht oder Sor- tin erster Güte. ge bereitet. Zusammen mit dem Therapeu- Nachdem die Nazis ranghohe Künst- ten werden dann Prioritätenlisten und ler wie Thomas Mann und Franz Werfel Strategien entwickelt, um mit den Belas- zum Austritt genötigt hatten, beriefen tungen umgehen zu können. Die einen sie wohlgefällige Verseschmiede und wüssten nicht, ob und wie sie Kindern und Heimatdichter in den Vorstand der preu- Angehörigen von der Erkrankung berich- ßischen Akademie der Künste, darunter ten sollten, andere müssten sich zwischen Agnes Miegel. Diese unterschrieb denn möglichen Therapien entscheiden, berich- auch neben 87 anderen streng arisch ge- tet Senf. Im Gespräch werde das Vorgehen sinnten Schriftstellern ein Gelöbnis treu- beraten. So bekämen die Patienten „wie- ester Gefolgschaft für Adolf Hitler. Die der die Zügel in die Hand“, fänden Halt. Verehrung des Führers nahm bei Miegel Das stärke ihre Lebensenergie und lege hymnische Ausmaße an: „Laß in deine Ressourcen frei. Die brauchen sie nach An- Hand, / Führer, uns vor aller Welt beken- sicht von Senf, um die schwierigste Aufga- nen, / Du und wir, / nie mehr zu tren- be zu bewältigen: „Mit der Bedrohung le- nen / stehen ein für unser deutsches ben zu lernen.“ Land.“ Den Betroffenen Hoffnung zu geben Nazi-Dichterin: Agnes Miegel, hier bei der Verleihung des Goethe-Preises mit Oberbürgermeister Friedrich Krebs, sang gerne das Hohelied auf den Führer. Fotos F.A.Z. „Wir werden ein nationalsozialisti- und ihren Willen zur Krankheitsbewälti- scher Staat sein – oder wir werden nicht gung zu fördern sind auch die Ziele des sein“, dozierte die Miegel schon 1934. Werk „Krakauer Begrüßung“ von 1944, meinhin als Schriftsteller der inneren Vereins „Projekt Schmetterling“, wie der Am Ende war der Nazi-Staat dahin, aber eine musikalische Hommage an seinen Emigration gilt. Dagegen identifizierte Vorsitzende Bernhard Läpke gestern sag- die Miegel war immer noch eine angese- Freund Hans Frank, Chef des General- sich der Goethe-Preisträger von 1941, te. Das Motto laute: „Mit der Diagnose hene Dichterin. Erst ein halbes Jahrhun- gouvernements und als solcher berüch- der von Anfang an völkisch-nationale Krebs hin zum Leben“. Schaffen wolle dert nach dem Untergang des „Dritten tigt als „Schlächter von Polen“. Auch die und von Hitler hochgeschätzte Schrift- man dies mit positiven Erlebnissen – für Reichs“ wurde den Deutschen klar, dass deutsche Niederlage ließ den Komponis- steller Wilhelm Schäfer, sehr wohl mit Patienten ebenso wie für die Spender. sie lange einer Nazi-Hofdichterin die ten nicht klüger werden, noch im Juni der nationalsozialistischen Ideologie Der Verein organisiert verschiedene Ehre erwiesen hatten. Stadt für Stadt 1945 rechtfertigte er Hitlers Antisemitis- und wirkte willig mit im NS-Kulturbe- Veranstaltungen von Konzerten über wurden schließlich die Schilder der mus: „Das Weltjudentum ist ein Problem trieb. Theateraufführungen bis zu Golfturnie- Agnes-Miegel-Straßen abmontiert. & zwar ein Rassenproblem, aber nicht All diese Namen dürften nun bald aus ren. In diesem Jahr beteiligt er sich zum In Frankfurt musste zwar keine nur ein solches, & es wird noch einmal der Preisträger-Liste verschwinden. Viel- Beispiel Ende Mai am „Duck-Race“ des Li- Agnes-Miegel-Straße umbenannt wer- aufgegriffen werden, wobei man sich Hit- leicht werden die Anhänger der großen ons Clubs auf dem Main und organisiert den. Dafür steht der Name bis heute in lers erinnern wird & ihn anders sehen.“ Reinigung ja irgendwann sogar auf die zwei Golfturniere im September, eines auf der Liste der Goethe-Preisträger. Die Ein viel kleinerer Fisch in literari- Idee kommen, den Nazi-Oberbürger- Hof Hausen in Hofheim, das andere auf Führer-Lerche, die so gut den Nazi-Ton scher und politischer Hinsicht ist dage- meister Friedrich Krebs aus der Liste der Gut Wissmannshof im nordhessischen flöten konnte, war nämlich 1940 mit den gen der deutsch-schweizerische Schrift- Frankfurter Stadtoberhäupter zu entfer- Staufenberg. Aus den Einnahmen und Preisträger: Erwin Guido Kolbenheyer (links) war ein echter Nazi, Hans Carossa Goethe-Preis der Stadt Frankfurt ausge- steller Hermann Stegemann, Goethe- nen. Am Ende bliebe dann nur noch Spenden wird dann die psychoonkologi- (Mitte) ging in die innere Emigration, und Hans Pfitzner blieb uneinsichtig. Adolf Hitler übrig. Ihn aus der Liste der zeichnet worden. Aber erst jetzt hat der Preisträger von 1935, der die nationalso- sche Betreuung an drei Standorten geför- Magistrat auf Antrag der Römer-Frakti- deutschen Kanzler auszuradieren, liegt zialistische Machtergreifung damals be- allerdings nicht in der Macht der Frank- dert: an der Frankfurter Universitätskli- on und auf Beschluss der Stadtverordne- es Agnes Miegel ähnlich ergangen wie nügt, um das zu erkennen: 1934 wurde grüßte. Als Schriftsteller ebenfalls als furter Namensstreicher. nik, der Mainzer Universitätsmedizin und tenversammlung Agnes Miegel aus dem vor zwei Jahren Paul von Hindenburg, zum Beispiel Hans Pfitzner ausgezeich- drittklassig einzustufen ist der 1937 mit Und dann ist da ja auch noch das Pro- den Asklepios-Kliniken in Nordhessen. Verzeichnis der Goethe-Preisträger ge- der als Ehrenbürger der Stadt Frankfurt net, deutscher Komponist und Verfasser dem Goethe-Preis ausgezeichnete Erwin blem mit dem Internet. Das vergisst Entstanden ist das „Projekt Schmetter- strichen. Formell aberkannt wird der aus der Liste entfernt wurde. Wahr- politischer und theoretischer Schriften Guido Kolbenheyer, ein in der Wolle ge- auch jene nicht, die die Frankfurter aus ling“ schon im Jahr 2000 auf Initiative der Dichterin der Preis allerdings nicht, und scheinlich muss auch der im Hinblick und Frankfurt dadurch verbunden, dass bräunter Nationalsozialist, der vom Füh- ihren Ehrenlisten entfernt haben. Viel- ehemaligen CDU-Stadtverordneten Karin die 10 000 Reichsmark, die sie damals er- auf seine Verdienste ohnehin etwas frag- er am Hoch’schen Konservatorium stu- rer ebenfalls zum „Gottbegnadeten“ er- leicht sollte die Stadtregierung zumin- Meulenbergh. Zunächst wurden zwei Stel- hielt, fordert die Stadt auch nicht zu- würdige Ehrenbürger Bruno Schubert diert hatte. Kurz vor Kriegsende im Au- hoben wurde und auch nach dem Krieg dest einmal mit Wikipedia darüber ver- len für Psychoonkologinnen an der univer- rück. Das wäre nur zu ihren Lebzeiten bald daran glauben. Der hat zwar keine gust nahm ihn Hitler in die Liste der uneinsichtig blieb. handeln. Am Ende aber werden alle Be- sitären Frauenklinik geschaffen und über möglich gewesen, heißt es im Magistrats- braune Flecken auf der politisch weißen „Gottbegnadeten“ auf, die nicht zur Schwieriger zu beurteilen ist der Fall mühungen um politische Hygiene wohl Jahre mit insgesamt 500 000 Euro finan- bericht. Weste, aber er unterhielt Schwarzgeld- Wehrmacht eingezogen werden durften. von Hans Carossa, Goethe-Preisträger nichts nützen. Denn Agnes Miegel war ziert. Als an der Uniklinik ein Zentrum für Immerhin ist das Miegel-Gespenst konten in der Schweiz, wie sich nach sei- Pfitzner steht zwar künstlerisch weit von 1938, der sich zwar 1941 zum Präsi- nun einmal Goethe-Preisträgerin, eben- die onkologische Behandlung gegründet endlich vertrieben – beziehungsweise ge- nem Tod herausgestellt hat. unter Richard Wagner, aber er hatte mit denten der nationalsozialistischen „Eu- so wie Friedrich Krebs Oberbürgermeis- werden sollte, entschlossen sich die Betei- strichen. Die Entnazifizierung wird sie- Aber auch bei den