Frauentausch im Eis

Nach dem Wechsel der besten Anschieberinnen hofft der Bob-Verband, dass Frieden und Erfolg zu seinen Teams zurückkehren

München - Bis ist es noch weit, 5000 Flugmeilen sind es, wenn man die Strecke vom Flughafen Frankfurt/Main aus misst, fast 300 Tage, wenn man die Zeit bis zur Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele 2010 rechnet. Aber natürlich bereiten sich die Athleten längst auf das Großereignis an Kanadas Westküste vor. An diesem Mittwoch beispielsweise lässt die Bob-Olympiasiegerin bei einem Ausrüster in München Maß nehmen für die Olympia-Kleidung. Die 34- Jährige bringt ein neues Teammitglied mit, Janine Tischer, 25, vormals Anschieberin der zweimaligen WM-Zweiten , 26. Die wird dafür künftig in Schwung gebracht von Romy Logsch, 27, die mit Kiriasis zweimal Weltmeisterin war.

Der Frauentausch in den beiden besten deutschen Frauen-Bobs ist das Ergebnis eines Streits, der im vorigen Winter derart eskalierte, dass der Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD) kurz vor der WM in Lake Placid Romy Logsch nach Hause schickte, "aus disziplinarischen Gründen", wie es hieß, und dabei ein bescheideneres sportliches Abschneiden in Kauf nahm. Als Dritte holten Martini/Tischer die einzige Medaille für den erfolgsgewohnten BSD. Titelverteidigerin Kiriasis, die wegen des verletzungsbedingten Ausfalls ihrer zweiten Anschieberin , 26, notgedrungen auf die eher unerfahrene Patricia Polifka, 24, für die Fahrt durch den Eiskanal zurückgreifen musste, landete gar nur auf dem siebten Rang.

"Jeder weiß, dass der siebte Platz nicht meinem Potential entspricht", sagt Sandra Kiriasis, "aber das war kein Weltuntergang." Das Ergebnis hat sie abgehakt, worüber sie sich aber noch heute aufregen kann, mehr als drei Monate nach dem Eklat in Nordamerika, ist der Eindruck, den der Zwist mit Logsch in der Öffentlichkeit hinterlassen hat. In einigen Meldungen hieß es damals, sie, Kiriasis, habe ihre Mitfahrerin aus dem Bob geworfen und nach Hause geschickt: "Das hat mich schon getroffen, dass ich als die Böse dargestellt wurde", sagt sie.

Dabei beteuert Sandra Kiriasis, bis zuletzt alles getan zu haben für ein möglichst gedeihliches Miteinander. "Ich wollte nicht die Ober-Mutti sein, die immer nur schimpft. Aber ich will Erfolg und arbeite entsprechend diszipliniert und konzentriert." Was sie von Logsch zuletzt nicht mehr behaupten wollte: "Romy hat große Probleme mit ihrem Zeitmanagement. Sie war nie pünktlich, das erschwert natürlich eine effiziente Arbeit. Und irgendwann staut sich das so auf, dass man es leid ist." Zwar habe es am Rande der Weltcups in Nordamerika noch etliche Aussprachen gegeben, auch im Beisein von Trainern. Aber das Verhältnis war offensichtlich nicht mehr zu retten. Wegen der WM sei Kiriasis zwar bereit gewesen, mit Romy Logsch noch einmal in einen Schlitten zu steigen. Letztlich habe diese dann gesagt, es gebe kein Zurück mehr.

Der Streit im Team Kiriasis wirkte sich zu allem Übel auf eine andere Mannschaft aus: Nachdem Logsch, die als stärkste Anschieberin des BSD gilt, plötzlich frei wurde, bekundete Cathleen Martini ihr Interesse an der Schubkraft der ehemaligen Diskuswerferin: "Ich dachte, es kann doch nicht sein, dass unsere beste Anschieberin bei der WM nur zuschaut", sagt sie. Doch der Verband lehnte ab, um nicht noch mehr Unruhe in der deutschen Mannschaft aufkommen zu lassen. Der Schaden war da freilich schon angerichtet. Martinis Stammanschieberin Tischer fühlte sich unfair behandelt durch die angedachte Zurücksetzung. "Ich war sehr enttäuscht. Ich bin trotz etlicher Verletzungsprobleme immer angetreten, weil Cathleen ja niemand anderen hatte." Nach der WM reifte in Tischer der Entschluss zu wechseln, seit ein paar Tagen gehört sie offiziell zu Kiriasis" Team. Dort hat sie kein Alleinstellungsmerkmal mehr wie bei Martini, aber der internen Konkurrenz mit Berit Wiacker stellt sie sich. Die Anschieberinnen haben sich bereits zusammengesetzt. "Jede weiß, dass nur eine fahren kann bei Olympia", sagt Wiacker, "aber wir haben uns geschworen, dass es nicht so ein Theater geben wird wie im vorigen Winter. Nächste Saison dürfte in jedem Fall ruhiger werden."

Auch für BSD-Sportdirektor Thomas Schwab ist die Affäre mit dem nun vollzogenen Frauentausch erledigt. Zumal die bis zum Dienstag noch urlaubende Romy Logsch "ihre Sünden eingestanden hat und auch die Verhaltensweise des Verbandes nachvollziehen konnte", wie er sagt. Schwab sieht für den Olympia-Winter sogar einen Vorteil in der Umbesetzung der Teams, wegen des obligatorischen Gewichtslimits im Bobsport: "Im Team von Sandra Kiriasis muss niemand mehr abnehmen, und bei Cathleen Martini kann Romy Logsch ihr übliches Wettkampfgewicht behalten." Auch Martini sieht das so: "Das Gewicht ist jetzt besser ausbalanciert." Sie muss ihren Schlitten künftig nicht mehr extra beschweren. Die Pilotin kennt die Vorwürfe gegen ihre neue Mitfahrerin, aber sie sagt: "Ich will ohne Vorurteile an die Sache rangehen." Alle Beteiligten sind bemüht, sich nach dem turbulenten Winter nun in Ruhe auf Olympia vorzu bereiten. Bloß Sandra Kiriasis fällt es wohl noch etwas schwer, ihren Frieden zu machen, so aufgewühlt wie sie über die vergangene Saison spricht. Aber bis Vancouver ist es ja noch ein gutes Stück.

Joachim Mölter – sueddeutsche.de – 20.05.2009