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tun gegen die Benachteiligung von Frauen in Wirtschaft und Politik? Ist es noch zeitgemäß, Frauenquoten abzulehnen, wenn selbst CDU und Dax-Konzerne zu anderen Einsich- ten gekommen sind? »Aus der Zeit gefallen« Die Uneinigkeit drückt sich auch in den Umfragen aus. Mit dem Nein zu einer Jamaikakoalition­ hat die FDP ältere Stammwähler verprellt. PARTEIEN In der FDP schwelt ein Kulturkampf. Die einen streiten für eine moderne Klima- und Frauenpolitik, Die Wahl des Thüringer FDP-Vorsit- die anderen warnen davor, sich »linken« Strömungen anzubiedern. zenden ­ zum Mi- nisterpräsidenten mit den Stimmen der AfD ließ im abgelaufenen Jahr s war einer der seltsamsten Auftrit­te für Twitter« habe das geschrieben, sagte sie – als sie überhaupt erst mal als solche erkennt und Zweifel aufkommen, wie glaubwür- die FDP im Jahr 2020: Die ­scheidende wäre der Urheber einer, der nicht zur libera- annimmt«. Der Schlagabtausch offenbart ein dig sich die Liberalen nach rechts ab- E Generalsekretärin ,­ len Familie gehört. Dabei saß der Autor unter grundsätzliches Problem, mit dem die Libe- grenzen. Dabei war den Freien De- vom Parteichef vorzeitig zur Aufgabe ihre den Delegierten. Es war ihr Bundestagskolle- ralen in das Jahr der Bundestagswahl ziehen. mokraten unter Amtes gedrängt, verzichtete im Berliner ge , linksliberaler Innenpo- Sie sind sich nicht einig, wie sie zu den gro- 2017 ein furioses Comeback gelun- Kongresshotel Estrel auf eine offizielle Ab- litiker und Generalsekretär der Niedersach- ßen gesellschaftlichen Entwicklungen der gen. Mit 10,7 Prozent zogen sie, noch schiedsrede. Stattdessen meldete sie sich in sen-FDP. Kuhle hatte am Vorabend des Par- vergangenen Jahre stehen sollen. Das könnte vor Grünen und Linken, in den Bun- der allgemeinen Aussprache zu Wort, um teitags getwittert, er halte es für keine kluge auch in der kommenden Woche beim Drei- destag ein. Sie wirkten mit sich und sich in einer Grundsatzfrage zu positionieren. Strategie, »sich als armen Aussätzigen gegen königstreffen der FDP in Stuttgart deutlich ihrem Vorsitzenden im Reinen. Beim Vier Minuten und 39 Sekunden dauerte den bösen Zeitgeist zu gerieren«. Dann kam werden. kommenden Dreikönigstreffen hin- Teutebergs Rede, und vielen Delegierten der Satz zur Modernisierung. »Ja, wenn es Sind die Jugendlichen, die mit Fridays for gegen wird Lindner erklären müssen, sprach die Noch-Generalsekretärin mehr wirkliche Modernisierungstendenzen sind«, Future gegen den Klimawandel auf die Stra- warum die Partei in den Umfragen aus dem Herzen als ihr Nachfolger. Andere widersprach Teuteberg, ohne Kuhle beim ße gehen, eine Bewegung, mit der sich Libe- jetzt bei 6 Prozent gelandet ist. hingegen dachten anschließend: Gut, dass Namen zu nennen. rale verbünden sollten? Oder muss man sich In ihren guten Zeiten hatte die sie weg ist. Sie habe, sagte Teuteberg, in den »Aber im Moment gibt es auch eine gan- von ihrem Ökodirigismus abgrenzen und sie FDP den Anspruch, auf der Höhe des vergangenen Tagen irgendwo gelesen: Wer ze Menge Tendenzen, die nicht gut sind für als Wähler der Grünen verloren geben? Ver- Zeitgeists zu sein. Was der Begriff triktiven Kurs setzt, plädiert Kuhle Parteifreunde Es ist noch nicht lange her, da das Land modernisieren wolle, der müsse ein die Freiheit in unserem Zeitgeist, und denen bietet sich der Ruf nach dem starken Staat heute bedeutet, darüber herrscht für mehr Empathie und hat Anfang Teuteberg, Kuhle: wurde Lindner von führenden Jung- Als gehörte er nicht positives Verhältnis zu den Modernisierungs- müssen wir mutig entgegentreten.« Kultur- für eine liberale Partei, oder sollte die FDP aber nun Uneinigkeit. Der Altlibe- 2020 ein Flüchtlingslager auf Lesbos zur liberalen Familie liberalen vorgeworfen, gegen sein tendenzen unserer Zeit haben. »Jemand bei kämpfe, sagte sie, könne nur bestehen, »wer in der Coronakrise umdenken? Und was rale Gerhart Baum sieht, 88-jährig, besucht. Immer wieder muss Kuhle eigenes Leitbild zu verstoßen. Als seine Partei »aus der Zeit gefallen«, sich auch in der eigenen Partei gegen im Frühjahr 2019 Schülerinnen und weil sie vielen fortschrittlichen Be- den Vorwurf wehren, er kuschle­ mit Schüler auf den Straßen für einen­ wegungen skeptisch gegenüberstehe. dem linken Zeitgeist. Neulich sagte besseren Klimaschutz demonstrier- Die Liste der Verfehlungen, die er er im : »Wer sich heutzu- ten, entschied sich Lindner für eine seiner Partei vorhält, ist lang: »Skep- tage für Diversität, für die Gleichbe- Attacke gegen Fridays for Future. sis im Hinblick auf den Klimawandel, rechtigung von Mann und Frau ein- »Das ist eine Sache für Profis«, sagte die Einführung von Elektromobilität, setzt, der ist nicht links, sondern der er in einem Interview. Auch die Iko- Europaskepsis, Skepsis gegenüber ist professionell, weil das heute ein- ne der Bewegung griff er an: »Anders dem Staat und seinen notwendigen fach Stand der Dinge ist.« als Greta Thunberg meint, gibt es Schutzaufgaben, Flüchtlingsskepsis, Kuhle und dem Sozialexperten aber nicht die alleinige Wahrheit und Skepsis gegenüber Regierungshan- Vogel geht es darum, die Partei vor den einen Weg zum Klimaschutz.« deln in der Coronakrise.« den Fehlern der Vergangenheit zu Mittlerweile hat sich der Partei- Den Zeitgeist positiv zu beset- bewahren. 2013 flog die FDP aus chef umgestellt. Seit Anfang des Jah- zen – das versuchen die FDP-Vor- dem Bundestag, auch weil sie als res meidet er solche Ausfälle. Als das standsmitglieder Konstantin Kuhle kaltherzig wahrgenommen wurde. Coronavirus im Frühjahr Deutsch- und Johannes Vogel. Der 31-jähri- Unter Lindner erarbeitete die Partei land erreichte, stützte die FDP-Frak- ge Niedersachse und der 38-jähri- ein neues Leitbild. Mit »Mut, Opti- tion im Bundestag zunächst viele ge Nordrhein-Westfale – beide sind mismus, Weltoffen­heit, Empathie Maßnahmen der Regierung, auch auch Generalsekretär ihres jeweili- und Lösungsorientierung« sei es ge- wenn gen Landesverbands – haben einen lungen, in einem von »allen Partei- sie dem Staatsskeptizismus der Aufsatz geschrieben, der vor dem mitgliedern« getragenen Kraftakt Liberalen eigentlich entgegenstan- Dreikönigstreffen in einer deutschen 2017 in den Bundestag zurückzu- den. Im September zollte Lindner Tageszeitung erscheinen soll. Es geht kehren, heißt es darin. den Klimaaktivisten Respekt für für sie um strategische Fragen: Wie Auch für den nordrhein-westfäli- ihre Corona-konformen Demonst- weit stellt sich die FDP den Realitä- schen Landesvorsitzenden Joachim rationen mit Maske und Abstand – ten? Wie agiert sie in der Klimafrage, Stamp ist dies ein zentraler Satz. Durch worauf ihm in den sozialen Medien welche liberalen Angebote macht Stamp warnt, Wahlen könnten durch Lindners sofort linksgrüne Kuschelei vorge- sie? Ängste und Ressentiments gewon- worfen wurde. Es war vielleicht kein Zufall, dass nen werden »oder umgekehrt durch Wandlung­ Auch im zweiten Shutdown schal- Kuhle und Teuteberg die Debatte Hoffnungen und zukunftsweisende sehen tete der FDP-Chef – im Unterschied um den Zeitgeist eröffneten. In der Projekte«. Die FDP, so der stellver- manche den zur AfD – nicht auf Totalopposition. Migrationspolitik sind die beiden tretende NRW-Ministerpräsident, sei konservativen Seine Kritik wirkt sachlicher als frü- in ihrer Fraktion schon öfter unter- als »konsequente Fortschrittspartei her. Das liegt auch daran, dass er Vorsitzender Lindner schiedlicher Meinung gewesen. Wäh- gefordert, die zukunftsorientierte Flügel manche Reden im Bundestag nicht rend Teuteberg auf einen eher res- Perspektiven formuliert«. geschwächt. mehr frei hält. Während Lindner frü-

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»Aus der Zeit gefallen«

PARTEIEN In der FDP schwelt ein Kulturkampf. Die einen streiten für eine moderne Klima- und Frauenpolitik, die anderen warnen davor, sich »linken« Strömungen anzubiedern.

s war einer der seltsamsten Auftrit­te für ßen gesellschaftlichen Entwicklungen der die FDP im Jahr 2020: Die ­scheidende vergangenen Jahre stehen sollen. Das könnte E Generalsekretärin Linda Teuteberg,­ auch in der kommenden Woche beim Drei- vom Parteichef vorzeitig zur Aufgabe ihre königstreffen der FDP in Stuttgart deutlich Amtes gedrängt, verzichtete im Berliner werden. Kongresshotel Estrel auf eine offizielle Ab- Sind die Jugendlichen, die mit Fridays for schiedsrede. Stattdessen meldete sie sich in Future gegen den Klimawandel auf die Stra- der allgemeinen Aussprache zu Wort, um ße gehen, eine Bewegung, mit der sich Libe- sich in einer Grundsatzfrage zu positionieren. rale verbünden sollten? Oder muss man sich Vier Minuten und 39 Sekunden dauerte von ihrem Ökodirigismus abgrenzen und sie Teutebergs Rede, und vielen Delegierten als Wähler der Grünen verloren geben? Ver- sprach die Noch-Generalsekretärin mehr bietet sich der Ruf nach dem starken Staat für aus dem Herzen als ihr Nachfolger. Andere eine liberale Partei, oder sollte die FDP in der hingegen dachten anschließend: Gut, dass Coronakrise umdenken? Und was tun gegen sie weg ist. Sie habe, sagte Teuteberg, in den die Benachteiligung von Frauen in Wirtschaft vergangenen Tagen irgendwo gelesen: Wer und Politik? Ist es noch zeitgemäß, Frauen- das Land modernisieren wolle, der müsse ein quoten abzulehnen, wenn selbst CDU und positives Verhältnis zu den Modernisierungs- Dax-Konzerne zu anderen Einsichten ge- tendenzen unserer Zeit haben. »Jemand bei kommen sind? Twitter« habe das geschrieben, sagte sie – als Die Uneinigkeit drückt sich auch in wäre der Urheber einer, der nicht zur libera- den Umfragen aus. Mit dem Nein zu einer len Familie gehört. Dabei saß der Autor unter ­Jamaikakoalition hat die FDP ältere Stamm- den Delegierten. Es war ihr Bundestagskolle- wähler verprellt. Die Wahl des Thüringer ge Konstantin Kuhle, linksliberaler Innenpo- FDP-Vorsitzenden Thomas Kem­merich litiker und Generalsekretär der Niedersach- zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen sen-FDP. Kuhle hatte am Vorabend des Par- der AfD ließ im abgelaufenen Jahr Zweifel teitags getwittert, er halte es für keine kluge aufkommen, wie glaubwürdig sich die Libe- Strategie, »sich als armen Aussätzigen gegen ralen nach rechts abgrenzen. Dabei war den den bösen Zeitgeist zu gerieren«. Dann kam Freien Demokraten unter Christian Lindner der Satz zur Modernisierung. »Ja, wenn es 2017 ein furioses Comeback gelungen. Mit wirkliche Modernisierungstendenzen sind«, 10,7 Prozent zogen sie, noch vor Grünen und widersprach Teuteberg, ohne Kuhle beim Linken, in den Bundestag ein. Sie wirkten Namen zu nennen. mit sich und ihrem Vorsitzenden im Reinen. »Aber im Moment gibt es auch eine gan- Beim kommenden Dreikönigstreffen hinge- ze Menge Tendenzen, die nicht gut sind für gen wird Lindner erklären müssen, warum die Freiheit in unserem Zeitgeist, und denen die Partei in den Umfragen jetzt bei 6 Pro- müssen wir mutig entgegentreten.« Kultur- zent gelandet ist. kämpfe, sagte sie, könne nur bestehen, »wer In ihren guten Zeiten hatte die FDP den sie überhaupt erst mal als solche erkennt und Anspruch, auf der Höhe des Zeitgeists zu annimmt«. Der Schlagabtausch offenbart ein sein. Was der Begriff heute bedeutet, darü- grundsätzliches Problem, mit dem die Libe- ber herrscht aber nun Uneinigkeit. Der Alt- ralen in das Jahr der Bundestagswahl ziehen. liberale Gerhart Baum sieht, 88-jährig, seine Sie sind sich nicht einig, wie sie zu den gro- Partei »aus der Zeit gefallen«, weil sie vie- len fortschrittlichen Bewegungen skeptisch gegenüberstehe. Die Liste der Verfehlungen, die er seiner Partei vorhält, ist lang: »Skepsis im Hinblick auf den Klimawandel, die Ein- Durch Lindners ­ führung von Elektromobilität, Europaskep- Wandlung sehen sis, Skepsis gegenüber dem Staat und seinen notwendigen Schutzaufgaben, Flüchtlings- manche den skepsis, Skepsis gegenüber Regierungshan- konservativen Flügel deln in der Coronakrise.« Vorsitzender Lindner Den Zeitgeist positiv zu besetzen – das geschwächt. versuchen die FDP-Vorstandsmitglieder

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