DEMOKRATIE BRAUCHT QUALITÄT!

Beispiele guter Praxis und Handlungsempfehlungen für erfolgreiches Engagement gegen Rechtsextremismus

FES GEGEN RECHTS EXTREMISMUS Forum Berlin

Roland Roth

DEMOKRATIE BRAUCHT QUALITÄT!

Beispiele guter Praxis und Handlungsempfehlungen für erfolgreiches Engagement gegen Rechtsextremismus GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

ISBN: 978-3-86872-372-4

Impressum

Herausgegeben von: Nora Langenbacher Friedrich-Ebert-Stiftung Forum Berlin Projekt „Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus“ Hiroshimastraße 17 10785 Berlin www.fes-gegen-rechtsextremismus.de

Autor: Professor Roland Roth

Redaktionelle Bearbeitung: Dr. Angela Borgwardt Nora Langenbacher

Lektorat: Barbara Hoffmann

Fotos Umschlag: Theo Schneider/Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) Innen: Maurice Reisinger: S. 8, S. 34, S.44; S. 80; dpa Picture-Alliance GmbH: S.12; Peter Himsel: S. 22; Polizei Bayern: S. 41; dpa Picture-Alliance GmbH: S. 47; © 2010 Violence Prevention Network: S.49; Theo Schneider/MBR: S.56; Haus Abraham e.V.: S.59; VAJA e.V.: S.61; Bürger-Bündnis Wernigerode für Weltoffenheit und Demokratie: S.62; Foto: S.68 (aus rbb Abendschau vom 16.04.2008); Unternehmensgruppe Freudenberg: S.70; © www.netzwerk-courage.de: S.72; Ramona Behrend (ArcelorMittal Eisenhüttenstadt): S.74; PRIMA 2008, Konstantin Normann: S.76

Layout: Pellens Kommunikationsdesign GmbH

Druck: Wagemann-Medien, Berlin

© Friedrich-Ebert-Stiftung DEMOKRATIE BRAUCHT QUALITÄT!

INHALT

Vorwort ...... 5 Vorbemerkung ...... 6

1 Einleitung: Warum Demokratie Qualität im Engagement gegen Rechtsextremismus braucht ...... 8

2 Rechtsextremismus als Gefahr für Demokratie und Gesellschaft ...... 12 2.1 Konzepte und Diskussionslinien ...... 13 Rechtsextremismus ...... 14 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) ...... 16 Rassismus ...... 17 Antisemitismus ...... 18 Faschismus, Nationalsozialismus, Neofaschismus ...... 18 2.2 Erscheinungsformen des gegenwärtigen Rechtsextremismus ...... 19 Drei Ausprägungen ...... 19 Kennzeichen des Rechtsextremismus in Deutschland ...... 20

3 Die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus als zentrale Bestandteile der Arbeit für Demokratie ...... 22 3.1 Bilanz der Bundesprogramme ...... 23 „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ (AgAG) 1992–1997 ...... 23 Modellprogramme der rot-grünen Bundesregierung 2001–2006 ...... 25 Bundesprogramme seit 2007 ...... 26 Kontroversen um die Weiterführung der Bundesprogramme ...... 28 3.2 Weiterreichende Perspektiven für die Bundesprogramme ...... 29 Eckpunkte zur Ausgestaltung künftiger Programme ...... 29 Anregungen für eine neue Runde in der Qualitätsdebatte ...... 32

4 Gute Praxis bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus: Beispiele aus den Handlungsfeldern Staat, Zivilgesellschaft, Wirtschaft ...... 34 Untersuchungskonzeption ...... 35 Zur Auswahl der Beispiele ...... 36 4.1 Handlungsfeld Staat ...... 37 Der Staat als zentraler Akteur bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus ...... 37 Zur Rolle staatlicher Repression ...... 38 Auf dem Weg zu einer „integrierten“ staatlichen Strategie? ...... 41 Beispiele guter Praxis ...... 41 • Ausschöpfen der rechtlichen Möglichkeiten – Repressive Praxis der Polizeidirektion Passau, Bayern ...... 41 • Aufsuchende Polizeiarbeit – Polizeiliche Prävention im Rems-Murr-Kreis, Baden-Württemberg ...... 44 • Phantasievoller Einsatz gerichtlicher Mittel – Jugendrichter Andreas Müller am Amtsgericht Bernau, Brandenburg ...... 46 • Gefängnisarbeit mit rechtsextremen Straftäter/innen – Violence Prevention Network e.V., Brandenburg ...... 49 Gelingensfaktoren im Handlungsfeld Staat ...... 51 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

4.2 Handlungsfeld Zivilgesellschaft ...... 53 Zu den Besonderheiten zivilgesellschaftlichen Engagements ...... 53 Vorzüge und Grenzen zivilgesellschaftlicher Strategien gegen Rechtsextremismus ...... 54 Wege zu einer zivilgesellschaftlich orientierten Politik gegen Rechtsextremismus: das Beispiel Lokale Handlungsstrategien ...... 55 Beispiele guter Praxis ...... 56 • Mobile Beratungsteams – MBR Berlin und MBT „Ostkreuz“, Berlin ...... 56 • Interreligiöse Projekte – Abrahamhaus in Denkendorf und Stuttgart, Baden-Württemberg ...... 59 • Akzeptierende Jugendarbeit – VAJA in Bremen ...... 60 • Zusammenschluss von Bürger/innen – Bürger-Bündnis Wernigerode für Weltoffenheit und Demokratie, Sachsen-Anhalt ...... 62 Gelingensfaktoren im Handlungsfeld Zivilgesellschaft ...... 64 4.3 Handlungsfeld Wirtschaft ...... 66 Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen im Umgang mit Rechtsextremismus ...... 66 Handlungsmöglichkeiten der Unternehmen ...... 67 Beispiele guter Praxis ...... 68 • Boykott-Aktion – „Servicewüste für Nazis“ in Berlin-Friedrichshain ...... 68 • Engagement für Vielfalt – Unternehmensgruppe Freudenberg/Freudenberg Stiftung .....70 • Innovatives Bildungsprojekt – „Sozialkompetenz in der Ausbildung“ (SKA), Sachsen ...... 72 • Konsequente Umsetzung eines betrieblichen Handlungskonzepts – ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt, Brandenburg ...... 74 • Unternehmerisches Engagement und gezielte Integrationspolitik – „Aktionsgemeinschaft Kyritzer Gewerbe“ (AKG) und „Netzwerk Spätaussiedler“, Brandenburg ...... 76 Gelingensfaktoren im Handlungsfeld Wirtschaft ...... 77

5 Demokratie über Qualität gestalten und sichern – Zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ...... 80 Über die Abwesenheit einer notwendigen Gesamtstrategie ...... 81 Gelingensfaktoren guter Praxis in den Handlungsfeldern Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft ...... 82 Einige pragmatische Vorschläge zur Stärkung guter Praxis ...... 83 Handlungsempfehlungen für eine anspruchsvolle und angemessene Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ...... 86

Abkürzungen ...... 96 Literatur ...... 98 DEMOKRATIE BRAUCHT QUALITÄT! 5

Vorwort

Liebe Demokrat/innen,

„Demokratie braucht Demokrat/innen“, so bringt erfolgreichen Beispiele gibt es? Wie können sich ein vielzitierter Ausspruch Friedrich Eberts die Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft für Demo- Relevanz eines engagierten Eintretens mündiger kratie und gegen Rechtsextremismus engagieren Bürger/innen für unsere Gesellschaft auf den und welche Gelingensfaktoren fördern dieses? Punkt. Dieses ist besonders dann und dort un- Und was bedeutet das für eine zukünftige erfolg- verzichtbar, wo demokratische Werte missachtet, reiche Arbeit gegen Rechtsextremismus? Menschenrechte negiert und die Gleichwertigkeit Mit diesem Gutachten möchte das Projekt aller in Frage gestellt werden. Um der Gefahr „Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremis- entgegenzuwirken, die einerseits von der extre- mus“ des Forum Berlin der Friedrich-Ebert-Stif- men Rechten, andererseits von antisemitischen, tung die aktuelle Debatte über erfolgreiche Arbeit ras sistischen, fremdenfeindlichen und antide- für Demokratie und gegen Rechtsextremismus mokratischen Einstellungen in der Mitte der bereichern, nach guten Beispielen und nötigen Gesellschaft ausgeht, ist das entschiedene Enga- Rahmenbedingungen fragen und gesellschafts- gement aller gesellschaftlicher Akteure gefragt. politische Handlungsoptionen aufzeigen. Gute Arbeit gegen Rechtsextremismus gelingt im Unser herzlicher Dank gilt Roland Roth, Ganzen nur als gemeinsames und umfassendes der im Folgenden Gelingensfaktoren und Hand- Eintreten der Demokrat/innen für Demokratie. lungsempfehlungen für eine erfolgreiche Aus- Das kreative Engagement verschiedenster einandersetzung mit dem Rechtsextremismus Initiativen und Projekte von Bürger/innen, von herausarbeitet und diese an aus gewählten Praxis- Nichtregierungsorganisationen, von Unterneh- beispielen aus den Bereichen Staat, Zivilgesell- men und der Politik zeigt auf, dass es bereits eine schaft und Wirtschaft illustriert. Gedankt sei breite erfolgreiche Praxis in der Arbeit für Demo- ebenfalls allen weiteren Beteiligten, die zu dieser kratie und gegen Rechtsextremismus gibt. Ins- Publikation beigetragen haben. besondere die Bundesförderung hat dazu beige- tragen, dass sich in Deutschland gerade in der Nora Langenbacher Zivilgesellschaft ein hohes Maß an Professionali- Projekt „Auseinandersetzung tät und Kompetenz entwickeln konnte. mit dem Rechtsextremismus“ Doch was macht sie aus, die „gute Praxis Forum Berlin gegen rechts“? Welche Erfahrungen, Ansätze und Friedrich-Ebert-Stiftung 6 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Vorbemerkung

Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus professionelles und zivilgesellschaftliches Enga- lebt nicht von Heldentaten, auch wenn Zivil- gement gegen Rechtsextremismus förderte. courage hilfreich sein kann. Sie braucht das En- Solche Erfahrungen führten dazu, dass die gagement und die Klugheit der Vielen. Ganz in Auseinandersetzung mit den Handlungsmöglich- diesem Sinne ist die vorliegende Expertise für die keiten gegen Rechtsextremismus zu einem Friedrich-Ebert-Stiftung ein Gemeinschaftswerk, Schwerpunkt in meiner Lehre und in Praxissemi- auch wenn ich als Autor verantwortlich zeichne. naren an der Hochschule Magdeburg-Stendal Meine Überlegungen und Vorschläge gehen wurde. Dabei zeigte sich immer wieder, dass es zurück auf eine langjährige, praxisorientierte gerade auch in den neuen Bundesländern nicht und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit nur die oft beklagte Ignoranz, sondern auch viel zuweilen bestürzenden Erfahrungen in Sachsen- Engagement und durchaus kompetente Akteure Anhalt, dem Bundesland, in dem ich seit 1993 als für die Zusammenarbeit gegen Rechtsextremis- Hochschullehrer tätig bin. Ziemlich am Anfang mus gibt. In Sachsen-Anhalt machte sich vor standen die Magdeburger Herrentagsereignisse allem der Verein „Miteinander“1 einen Namen. von 1994, als am hellen Tag eine grölende Hor- Er hat das Engagement für Demokratie in diesem de junger Männer aus der rechtsextremen Szene Bundesland wesentlich geprägt. eine Gruppe von dunkelhäutigen Asylbewerbern Mit den 2001 aufgelegten Bundesprogram- durch die Magdeburger Innenstadt jagte. Als die men gegen Rechtsextremismus vervielfältigte sich Polizei schließlich einschritt, sperrte sie die Opfer diese Praxis vor allem in den neuen Ländern – oft ein und behandelte sie entwürdigend, sekundiert von konservativ geführten Landesregierungen nur von einem Polizeichef, der in der Verfolgungs- unwillig geduldet. Neben phantasievollen und an- jagd keine rassistischen Motive, sondern nur die gemessenen Projektansätzen gab es, wie gemein- Wirkung von „Sonne und Alkohol“ zu erkennen same Evaluationen für „Miteinander e.V.“ zeigten, vermochte. Er musste zurücktreten, und die Leug- höchst problematische Unternehmungen – oft nung, ein Problem mit einer rechtsextremen geboren aus einer phantasielosen Übertragung Szene zu haben, ist selbst in den ländlichen Regio- von westdeutschen und ausländischen Modellen nen Sachsen-Anhalts in den Folgejahren seltener auf eine gänzlich andere Wirklichkeit. So schei- geworden. Als die rechtsextreme DVU (Deutsche terten z.B. interkulturelle Ansätze schon deshalb Volksunion) bei den Landtagswahlen 1998 eine regelmäßig, weil es bei einem Anteil von durch- Rekordmarke von 12,9 Prozent erzielte und bei schnittlich unter zwei Prozent Zugewanderten an den unter 30-Jährigen zur stärksten Partei avan- der Gesamtbevölkerung in den meisten Regio- cierte, hatte das zur Folge, dass die schockierte nen an einer sichtbaren „anderen“ Kultur fehlte. neue Landesregierung mit beachtlichen Mitteln Die Verfestigung von Stereotypen war eine fast

1 Siehe die Website des Vereins „Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e. V.“ (http://www.miteinander-ev.de/index.php). DEMOKRATIE BRAUCHT QUALITÄT! 7

zwangsläufi ge Folge. Um Rechtsextremismus wir- auch häufi g gewalttätige Fremdenfeindlichkeit kungsvoll bekämpfen zu können, bedarf es somit wird endlich als eines der größten Probleme für einer gezielten Abstimmung der Projekte und die Zukunftsfähigkeit des Landes benannt. Der Maßnahmen auf den jeweiligen Kontext. Die Er- Verweis auf einen ominösen „Extremismus“ hilft fahrungen mit den Bundesprogrammen, ihren hier nicht weiter, gefragt ist die Auseinander- Verantwortlichen, mit der Programmsteuerung, setzung mit dem Rechtsextremismus. der wissenschaftlichen Begleitung und den fl an- Auch wenn es in Berlin erneut um das Profi l kierenden politischen Debatten markieren ein und die Fortsetzung der Bundesprogramme unter bis heute kontroverses Themenfeld, mit dem ich der neuen Regierungskoalition geht, stehen in mich seit vielen Jahren beschäftige. vorliegender Publikation die Landes- und Bun- Die fehlende Bereitschaft, die Modellpro- desprogramme nicht im Vordergrund. Der Fokus gramme als „lernende Programme“ mit einer richtet sich vielmehr auf die gute Praxis von Ini- starken Beteiligung der geförderten Projekte und tiativen und Projekten in Staat, Zivilgesellschaft ihrer Nutzer/innen anzulegen, ihre Erfahrungen und Wirtschaft – unabhängig davon, von wem öffentlich und kontrovers zu debattieren, wider- sie gefördert (oder behindert) werden und in wel- sprach nicht nur dem so häufi g proklamierten che Programme sie eingebettet sind. Insgesamt Programmziel der Demokratieförderung. Sie werden 13 Praxisbeispiele vorgestellt, die meines blockierte auch notwendige Lernprozesse. Über Erachtens besondere Beachtung verdienen. Dass allem schwebte ein Erfolgszwang, der jede Feh- es viel mehr davon gibt, versteht sich von selbst. lerfreundlichkeit vermissen ließ und nur noch Für die Kooperation und Unterstützung der „Hochglanz“ gestattete. Projektverantwortlichen durch ausführliche In- Dazu hat eine konservative Begleitmusik terviews und die großzügige Überlassung von erheblich beigetragen, die grundsätzliche Zwei- Materialien möchte ich mich ausdrücklich be- fel an der zivilgesellschaftlichen Projektarbeit danken. Mein Dank gilt auch in starkem Maße hegte. Das „überschätzte“ Phänomen Rechts- Jutta Aumüller und Frank Gesemann, mit denen extremismus sei bei der Polizei und dem Verfas- ich gemeinsam und weitgehend parallel an der sungsschutz doch in den besten Händen. Und Evaluation des Berliner Landesprogramms gegen überhaupt, so lautete die refl exartige Antwort, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitis- sei man ja gegen jeden Extremismus und die mus gearbeitet habe. Davon hat dieses Gutach- Programme seien „einseitig“. Auch wenn die ten profi tiert. Einige Überlegungen und Passagen Extremismus-Formel auf Bundesebene derzeit knüpfen direkt an die gemeinsame Arbeit an. mit der schwarz-gelben Regierung eine erstaun- Besonders hilfreich waren die Projektrecherchen liche Auferstehung erfährt, deutet sich selbst in von Karin Lenhart, die mir mit ihren Interviews den konservativ geführten neuen Bundesländern zahlreiche Zugänge zum Feld erschlossen hat. ein Umdenken an. Mit ihren immer dünner besie- Schließlich geht mein nachdrücklicher Dank delten Landstrichen haben sie nur eine Zukunft, an Nora Langenbacher für ihre ebenso geduldige wenn es ihnen gelingt, Zuwanderung zu ermögli- wie intensive Begleitung und Unterstützung die- chen. Wo gestern noch die Angst vor „Überfrem- ses Vorhabens. dung“ bedient wurde, wird heute eine neue Will- kommenskultur gefordert. Eine oft latente, aber Roland Roth, im Mai 2010 8 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

1

Einleitung Warum Demokratie Qualität im Engagement gegen Rechtsextremismus braucht WARUM DEMOKRATIE QUALITÄT IM ENGAGEMENT GEGEN RECHTSEXTREMISMUS BRAUCHT 9

1 Einleitung Warum Demokratie Qualität im Engagement gegen Rechtsextremismus braucht

An Studien über Rechtsextremismus herrscht mus. Er wendet sich in Worten und Taten gegen kein Mangel,2 auch wenn – noch und immer wie- Menschenrechte und Demokratie insgesamt, der – viele Fragen offen sind. Zudem haben wir attackiert ausgewählte Opfergruppen und unter- es mit einem Handlungsfeld zu tun, dessen Akteu- gräbt damit die normativen Grundlagen unseres re sehr beweglich sind und das damit schnellen Zusammenlebens. Veränderungen unterworfenen ist. Angesichts Rechtsextremismus stellt deshalb – so die der Fülle von Darstellungen und Analysen zum zweite Annahme – eine Herausforderung für die Rechtsextremismus fällt es zuweilen schwer, den gesamte Gesellschaft dar. Es geht nicht um eine Wald vor lauter Bäumen zu sehen. Zudem gibt es exklusive Angelegenheit einiger weniger Akteure schon lange eine große Zahl von Erklärungsan- in eingrenzbaren Lebensbereichen und -phasen – sätzen und -ebenen, die häufi g eher zur Unüber- etwa um aggressive junge Männer in ländlichen sichtlichkeit als zum Verständnis beitragen. Abwanderungsregionen, um die sich Jugendar- Es geht in dieser kleinen Expertise um gute beit und Polizei kümmern sollten. Rechtsextre- Handlungsansätze in der Auseinandersetzung mit mismus erfordert vielmehr das alltägliche Enga- Rechtsextremismus. Auch in dieser Hinsicht gibt gement in allen gesellschaftlichen Sphären und es bereits einen beachtlichen Erfahrungsschatz. in jeder Phase des Lebenslaufs. Abwertungen, Dennoch kommt es in regelmäßigen Abständen – Vorurteile, Stereotype, Ausgrenzungen, Diskrimi- vor allem bei Haushaltsberatungen – im Bund, nierungen und Diffamierungen3 sind subtile aber auch in den Ländern und Kommunen zu oder offene Begleiter unseres Alltagslebens und heftigen Debatten über die Notwendigkeit, die der Stoff, aus dem sich gruppenbezogene Men- Bedeutung, das Profi l und nicht zuletzt über die schenfeindlichkeit entwickeln kann. Wirkungen von Maßnahmen gegen Rechtsextre- Diese Grundannahmen werden von vielen mismus und verwandte Erscheinungen. Engagierten und Expert/innen geteilt. Die Wor- Eine zentrale Botschaft dieser Publikation ist te „integriert“, „ganzheitlich“ und „nachhaltig“ die Aufforderung zur nachhaltigen, d.h. dauer- fallen in der Debatte über Handlungsmöglichkei- haften, umfassenden und wirksamen Auseinan- ten gegen Rechtsextremismus häufi g. Ihre Um- dersetzung mit Rechtsextremismus. Denn es gibt setzung in die Praxis ist demgegenüber ungleich gute Gründe für die Annahme, dass es dabei auf schwerer. Diese Expertise soll dazu beitragen, den absehbare Zeit um eine wichtige politische Dau- Abstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit im eraufgabe geht, auch wenn aus heutiger Sicht Engagement gegen Rechtsextremismus zu verrin- kein neues „1933“ droht. Eingreifendes und an- gern. Es geht um eine angemessene, weder dämo- haltendes Engagement schulden wir auch den nisierende noch verharmlosende und vor allem Opfern rechtsextremer Gewalt, wenn wir weite- erfolgreiche, Menschenrechte und Demokratie re Opfer verhindern wollen. Denn hier liegt die stärkende Praxis in der Auseinandersetzung mit besondere Herausforderung des Rechtsextremis- Rechtsextremismus.

2 Nicht zuletzt die Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich in vorbildlicher Weise dieses Themas angenommen und stellt eine Fülle von grundlegenden Studien, Dokumentationen, aktuellen Analysen und Handlungsempfehlungen kostenlos zur Verfügung. 3 Einen Überblick über diese sozialpsychologischen Konzepte und mögliche Interventionsformen vermittelt die einführende Studie von Petersen/Six 2008, s. auch Beelmann/Jonas 2009. 10 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Qualität und gemeinsame Standards für Diese Beispiele machen deutlich, dass über gute Praxis sind gerade in einem Themenfeld Qualität in diesem Feld nicht ohne demokra- angesagt, das niemanden kalt lässt, sondern mo- tisch-menschenrechtliche Maßstäbe gesprochen ralische Abscheu und politische Ängste ebenso werden kann. Die Illusion, es ginge bei der Aus- provoziert wie das Bedürfnis, eine unangenehme einandersetzung mit Rechtsextremismus um mi- Wirklichkeit zu beschweigen oder zu ignorieren, nimal-invasive chirurgische Eingriffe an einem solange dies irgendwie möglich ist. Gerade den ansonsten gesunden Körper, führt in die Irre. vielen Engagierten fehlt es nicht an Kompetenz Alltagserlebnisse und demoskopische Umfragen und Leidenschaft. Zuweilen kommen dabei aber belehren uns darüber, dass gerade fremdenfeind- Augenmaß und Distanz zu kurz. liche Haltungen, an die Rechtsextreme zentral Dies gilt z.B. für die verbreitete Neigung, es anknüpfen, auch in der „Mitte der Gesellschaft“ mit den Bürger- und Menschenrechten gerade anzutreffen sind. Hinzu kommt eine Ausländer-, der politischen Gegner nicht so genau zu neh- Asyl- und Flüchtlingspolitik, die in vielen rechtli- men und polizeiliches Eingreifen in einem Um- chen und behördlichen Ausprägungen – wie z.B. fang und einer Weise zu fordern, die ansonsten Sammellager, Arbeitsverbote und Residenzpfl icht unerwünscht wäre und bürgerrechtlich zweifel- – als institutionalisierter Rassismus erfahren wird. haft ist. Eine große Schwierigkeit besteht offen- Dennoch wird die Reduzierung rechtsex- sichtlich darin, auch in der Auseinandersetzung tremer Handlungen und Einstellungen als über- mit Rechtsextremismus – jenseits des stets unab- greifendes Ziel all der Projekte und Maßnahmen dingbaren, auch repressiven Opferschutzes – auf leicht Zustimmung fi nden. Die Minimalanfor- Zivilität, Demokratie und Menschenrechte zu derung lautet, dass die Angebote mit Blick auf setzen. Zu häufi g dominiert ein Kampfvokabu- dieses Ziel nicht schaden („do no harm“-Regel). lar, das bereits Konzession an ein rechtsextremes Eine weitergehende Zielsetzung besteht in einer Politikverständnis enthält, das von der Unter- positiven Wendung der zunächst nur negativ scheidung von Freund und Feind lebt und dem bestimmten Absichten. Es geht schließlich dar- ein auf Vertreibung und Vernichtung zielender um, die jeweiligen Zielgruppen dauerhaft für De- Gewaltkern innewohnt.4 mokratie, Menschenrechte und zivile Umgangs- Die Qualität zivilgesellschaftlicher Strategien formen zu gewinnen. gegen Rechtsextremismus zeichnet sich gerade da- In der seit mehreren Jahrzehnten geführten durch aus, dass Zivilitätsnormen wie Gewaltfrei- Debatte über angemessene Formen der Auseinan- heit auch dann nicht außer Kraft gesetzt werden, dersetzung mit Rechtsextremismus gibt es einige wenn der Konfl iktgegner dies tut. Friedliche Sitz- Wegmarken. Erinnert sei nur an einen Sammel- blockaden gegen Naziaufmärsche sind in jüngster band aus den frühen 1980er Jahren, der sich un- Zeit zur „guten Praxis“ im Sinne entschlossenen ter dem Titel „Dem Faschismus das Wasser abgra- Engagements geworden, mit dem öffentliche Räu- ben“ (Hafeneger et al. 1981) mit neuen Formen me und zugleich zivile Normen verteidigt werden. der historisch-politischen Bildung auseinander- Zur „Entfeindung“ haben auch Entscheidungen setzte. Stiftungen, Bundesprogramme, Bildungs- wie die des Jugendrichters Andreas Müller im stätten und viele andere Institutionen und Initia- brandenburgischen Bernau beigetragen, der in der tiven haben sich verstärkt seit den 1990er Jahren Hochzeit der Nazi-Skins ein Verbot für Springer- in diesem Themenfeld bewegt. Mit diesem Enga- stiefel in seinen Verhandlungen und als Aufl age gement ist eine kaum mehr überschaubare Zahl für die Verurteilten im öffentlichen Raum durch- von Informationsmaterialien, Arbeitshilfen, Rat- gesetzt hat (siehe Kapitel 4.1). gebern, Handreichungen, pädagogischen Forma-

4 Zu diesem Themenfeld hat Micha Brumlik eine eindrucksvolle Analyse eines „Antifa“-Aufklebers aus der Autonomen Szene beigesteuert (vgl. Brumlik 1989). WARUM DEMOKRATIE QUALITÄT IM ENGAGEMENT GEGEN RECHTSEXTREMISMUS BRAUCHT 11

ten und bereichsspezifi schen Handlungsempfeh- Eine wesentliche Voraussetzung erfolgrei- lungen entstanden. Schwerpunkte liegen dabei chen Handelns gegen Rechtsextremismus dürfte auf der individuellen Ebene (Basisinformationen, das Zusammenwirken aller gesellschaftlicher Be- Orientierungs- und Argumentationshilfen, kon- reiche sein. Staatliches Handeln allein kann wenig krete Anregungen zu interkulturellem und zivil- ausrichten, wenn es an entsprechenden Initiati- couragiertem Handeln etc.) und auf pädagogi- ven in der Zivilgesellschaft fehlt oder rechtsex- schen Formaten.5 Zugenommen haben aber auch treme Tendenzen in der Wirtschaft geduldet oder die Handreichungen für institutionelle Akteure gar unterstützt werden. Umgekehrt sind die all- (bei Anmietungsversuchen und Demonstrations- täglichen Diskriminierungen und Abwertungen anmeldungen von Rechtsextremen, im Umgang bestimmter Bevölkerungsgruppen durch öffentli- mit NPD-Mandatsträgern etc.) und die systema- che und private Einrichtungen eine wesentliche tische Auseinandersetzung mit erfolgreichen Voraussetzung für die Entfaltung rechtsextremer Strategien in bestimmten Handlungsfeldern.6 Mobilisierungen. Deshalb können – trotz vielfäl- Solche Materialien und Informationen sind tiger Wechselwirkungen – Gelingensfaktoren für hilfreich, einige sogar unentbehrlich. Sie ermög- die Arbeit gegen Rechtsextremismus hinreichend lichen und erleichtern die Auseinandersetzung mit präzise nur bereichsspezifi sch benannt werden. rechtsextremen Einstellungen und Verhaltenswei- Es ist jedoch möglich, Handlungsempfehlungen sen. Darüber hinaus muss jedoch nach einer Ant- – auf dem Weg zu einer notwendig übergreifen- wort auf die Frage gesucht werden, was an den den, integrativen Strategie im Engagement gegen gesellschaftlichen Verhältnissen zu ändern wäre, Rechtsextremismus – auch bereichsübergreifend damit sich der Bedarf nach rechtsextremen Erleb- zu entwickeln. Konkret ist dieses Gutachten wie niswelten und ideologisierter Gewalt nicht weiter folgt aufgebaut: Zunächst werden aktuelle Kon- reproduziert. Die Rechtsextremismusforschung zepte und Deutungsangebote im Umgang mit setzt überwiegend auf eine Kombination von in- Rechtsextremismus dargestellt, die den themati- dividuellen, kollektiven und gesamtgesellschaft- schen Rahmen abstecken, sowie die Erscheinungs- lichen Ursachen.7 Ein Großteil der Handbücher formen des Rechtsextremismus – insbesondere in kümmert sich um Qualitätsanforderungen an In- Deutschland – kurz skizziert. Danach werden die terventionen auf der individuellen Einstellungs- Erträge der Bundesprogramme gegen Rechtsex- und Verhaltensebene, während die gesamtge- tremismus bilanziert, um zu einer konstruktiven sellschaftliche Dimension weitgehend ausgespart Weiterführung und Profi lierung der andauernden wird. Diskussion beizutragen. Anschließend werden Wenn nachfolgend von Qualität die Rede ist, ausgewählte Praxisbeispiele aus den Bereichen geht es vor allem um zwei Schwerpunkte: Zum Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft vorgestellt, einen werden Qualitätsanforderungen formuliert, die Handlungsmöglichkeiten und Gelingens- die sich aus konzeptionellen Überlegungen und faktoren sichtbar machen sollen und Grundlage vor allem aus bisherigen Erfahrungen mit den für eine Qualitätsdebatte sein können. Abschlie- Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus er- ßend werden die Ergebnisse beider Teilabschnitte geben. Zum anderen werden Beispiele guter Praxis in Thesen zusammengefasst, die als Anregungen in der Arbeit gegen Rechtsextremismus aus ver- für die aktuelle Diskussion in diesem Themenfeld schiedenen Gesellschaftsbereichen vorgestellt. dienen sollen.

5 Hier sei nur auf einige wenige handlungsorientierte Beiträge zur Zivilcourage (Meyer et al. 2004), zur politischen Bildung (Menke et al. 2003) und zum interkulturellen Lernen (Auernheimer et al. 1998) sowie auf einen aktuellen, übergreifenden Band zum Umgang mit Rechtsextremismus (Kulick/Staud 2009) verwiesen. 6 So z.B. die Handbücher der Friedrich-Ebert-Stiftung (vgl. Molthagen et al. 2008 und Molthagen/Korgel 2009). 7 Richard Stöss hat dazu ein komplexes Schaubild entworfen, das bei den individuellen Ursachen auf Sozialisation, Einstellun- gen, individuelles und kollektives Verhalten verweist, bei den gesamtgesellschaftlichen Ursachen antidemokratische Elemente in der politischen Kultur sowie politische, soziale und ökonomische Krisenerscheinungen integriert (Stöss 1989: 243). 12

2

Rechtsextremismus als Gefahr für Demokratie und Gesellschaft RECHTSEXTREMISMUS ALS GEFAHR FÜR DEMOKRATIE UND GESELLSCHAFT 13

2 Rechtsextremismus als Gefahr für Demokratie und Gesellschaft

2.1 Konzepte und Diskussionslinien dem Zusammenbruch der Sowjetgesellschaften sind wir weltweit in eine Phase beschleunigten Wer Strategien gegen Rechtsextremismus ent- gesellschaftlichen Wandels eingetreten, in der wickeln möchte, kommt ohne theoretische und sicher geglaubte soziale Ordnungen zuerst in empirische Grundannahmen nicht aus. Auf der Ost- und später auch in Westeuropa zur Dispo- Suche nach gesicherten und anerkannten Begrif- sition stehen. Globalisierung und Migration sind fen und Konzepten gerät man allerdings leicht zu Chiffren einer vor allem extern verorteten Ver- in einen Irrgarten. Immer wieder ist die unprä- änderungszumutung geworden. Es ist dieses tief- zise, inkonsistente, gelegentlich auch infl ationä- sitzende Krisengefühl, auf das die extreme Rech- re Verwendung des Begriffs „Rechtsextremismus“ te reagiert und ihre „Antworten“ anbietet. Diese beklagt worden (z.B. Winkler 2000: 39). Ein Blick sind in der Regel rückwärtsgewandt und reaktio- auf die Begriffs- und Forschungsgeschichte hilft när, weil sie nicht nur eine Entschleunigung des weiter, weil dabei deutlich wird, wie stark die sich Wandels versprechen, sondern die fi ktive Rück- wandelnden inhaltlichen Bestimmungen von kehr zu einer festen homogenen Ordnung: die Rechtsextremismus durch zeitgenössische Er- „Fremde“ ausschließende Solidarität einer „Volks- scheinungsformen, politische Kontroversen und gemeinschaft“ und eine national regulierte und Nutzungsversuche dieser Etikettierung geprägt abgeschottete, dem „eigenen Volk“ verpfl ichtete sind (Klärner/Kohlstruck 2006: 7ff.). Nationalökonomie. Ausländerfeindlichkeit, die Die bislang überwiegend auf Deutschland Anrufung nationaler Interessen gegen globale bezogenen Debatten über Rechtsextremismus Zumutungen und die Kritik des globalen Kapita- werden noch komplizierter, wenn berücksich- lismus gehören deshalb zu den „modernen“ Be- tigt wird, dass wir es – zumindest in den letzten standteilen rechtsextremer und rechtspopulisti- beiden Jahrzehnten – mit einer internationalen scher Mobilisierungen. Gegenstrategien müssen und in sich sehr komplexen Erscheinung zu tun solche Umbruch- und Krisenstimmungen ernst haben (Minkenberg 2008: 9f.). Dass eine inter- nehmen und demokratisch-menschenrechtlich national vergleichende Perspektive auch hilf- vertretbare Antworten geben. reich sein kann, wenn es um den Austausch von Die deutsche Debatte über die extreme Rech- Erfahrungen über erfolgreiche Gegenstrategien te ist von teilweise heftig geführten Kontroversen geht, fi ndet erst in den letzten Jahren verstärk- geprägt. Dies beginnt bereits bei den Begriffen. te Beachtung.8 Die Gleichzeitigkeit rechtsextre- Der Begriff „Rechtsextremismus“ hat sich zwar in mer und rechtspopulistischer Mobilisierungen jüngerer Zeit eingebürgert,9 wird aber auch mit in vielen Ländern Europas und den USA nach unterschiedlichen Begründungen zurückgewie- dem Ende des Ostblocks verlangt zeitgeschicht- sen, vor allem weil er durch die Defi nitionsmacht liche und gesellschaftsanalytische Erklärungen und Praxis des Verfassungsschutzes zu einseitig jenseits der nationalen politischen Kulturen. Mit geprägt sei oder das Problem unzulässig verharm-

8 Vgl. Spöhr/Kolls 2010; Bertelsmann Stiftung 2009 sowie das laufende Projekt „Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremis- mus“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin (http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/inhalt/proj.htm; 12.05.2010). 9 Aus diesem Grund wird der Begriff Rechtsextremismus auch in diesem Gutachten verwendet. 14 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

lose, indem nur der „rechte Rand“ in den Blick der Unterordnung des Bürgers unter die Staats- genommen werde. Ähnlich geht es dem Begriff räson ausgehen und die den Wertepluralismus „Rechtsradikalismus“, der diese Funktion bis An- einer liberalen Demokratie ablehnen und Demo- fang der 1970er Jahre hatte. Zusätze wie „neu“, kratisierung rückgängig machen wollen. Unter „neo“ oder „modern“ sollen auf Formverände- ‚Rechtsextremismus‘ verstehen wir insbesondere rungen im Erscheinungsbild des Rechtsextre- Zielsetzungen, die den Individualismus aufheben mismus aufmerksam machen, die selbst wieder wollen zugunsten einer völkischen, kollektivis- kritisch inspiziert werden.10 tischen, ethnisch homogenen Gemeinschaft in Ohne auf einzelne Kontroversen und For- einem starken Nationalstaat und in Verbindung schungsfragen einzugehen, sollen nachfolgend damit den Multikulturalismus ablehnen und ent- einige der prominenten Konzepte des Feldes in schieden bekämpfen“ (Jaschke 1994: 31). ihren jeweiligen Zugängen und Leistungen für Für die politische Auseinandersetzung sind die praktische Auseinandersetzung charakteri- vor allem zwei Merkmale des Rechtsextremismus- siert werden. konzepts wichtig: erstens die Unterscheidung Dabei wird deutlich, dass dieser Pluralis- zwischen Einstellungen und Verhalten und zwei- mus durchaus produktiv sein kann, wenn er tens eine differenzierte Sicht auf beide Bereiche. dazu genutzt wird, den für die jeweiligen loka- len und regionalen Verhältnisse angemessenen Rechtsextreme Einstellungen Deutungsrahmen zu wählen. Zudem legen die unterschiedlichen Konzeptionen jeweils beson- Rechtsextremismus beschreibt einerseits ein dere Veränderungsschritte und Interventionsfor- vielschichtiges Einstellungsmuster: „Der Rechts- men nahe. Auch diese Konkurrenz wirkt produk- extremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen tiv, wenn sie zur wechselseitigen Korrektur und verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeits- zu einer nüchternen Bilanz der Ergebnisse ein- vorstellungen darstellen. Diese äußern sich im gesetzt wird. politischen Bereich in der Affi nität zu diktatori- schen Regierungsformen, chauvinistischen Ein- Rechtsextremismus stellungen und einer Verharmlosung bzw. Recht- fertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Einer der einschlägigen Defi nitionsversuche macht Bereich sind sie gekennzeichnet durch antise- deutlich, dass Rechtsextremismus ein kompli- mitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinis- ziertes Phänomen darstellt: tische Einstellungen.“11 Diese können etwa aus „Unter ‚Rechtsextremismus‘ verstehen wir Angst vor Sanktionen bzw. wegen sozialer Uner- die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltens- wünschtheit latent bleiben oder sich in einer brei- weisen und Aktionen, organisiert oder nicht, die ten Palette von Verhaltensweisen ausdrücken, die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozia- von Gewalt und Terror, einer Protest- und Provo- len Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach kationspraxis von Bewegungen über jugendlich ethnischer Homogenität von Völkern verlangen geprägte Szenen und Erlebniswelten, diskrimi- und das Gleichheitsgebot der Menschenrechts- nierende Alltagspraxis bis zur Mitgliedschaft in Deklarationen ablehnen, die den Vorrang der Ge- rechtsextremen Organisationen und Parteien so- meinschaft vor dem Individuum betonen, von wie deren Wahl reicht (vgl. Stöss 2007: 27).

10 Die internationale Debatte hilft hier auch nicht weiter, weil sie – auch ohne Verfassungsschutzvorgabe – durch eine bunte Begriffsmischung gekennzeichnet ist: „Radical Right“, „Right-Wing Extremism“, „New Extreme Right“. Cas Mudde hat in einer Analyse des internationalen Sprachgebrauchs bereits in der ersten Hälfte der 1990er Jahre 26 unterschiedliche Defi nitio- nen entlang von 58 Kriterien gezählt (vgl. Mudde 1996: 229). Es dürften seither noch einige hinzugekommen sein. 11 So beschreiben Decker/Brähler 2006: 20 den Konsens einer größeren Gruppe von Forscher/innen in diesem Bereich. RECHTSEXTREMISMUS ALS GEFAHR FÜR DEMOKRATIE UND GESELLSCHAFT 15

In der Rechtsextremismusforschung herrscht und Erlebniswelten eröffnen und trotzdem Aner- Konsens darüber, dass entsprechende Einstellun- kennung vermitteln (vgl. Jäger 2003). gen wesentlich verbreiteter sind als rechtsex- Der „Kampf um die Köpfe“ ist zwar notwen- tremes Verhalten – und bestimmte Verhaltens- dig, aber er sollte mit bescheidenen Erwartungen weisen, wie z.B. die Mitgliedschaft in einer verbunden werden, weil er mit früh erworbe- rechtsextremen Partei, wesentlich seltener sind nen Einstellungsmustern rechnen muss, die nur als andere niedrigschwellige Formen, wie etwa die schwer verändert werden können. Häufi g sind Beteiligung an einschlägigen Demonstrationen Veränderungen nur – wie z.B. die Forschung zu oder das Tragen von Szene-Symbolen. Immerhin Aussteigern zeigt (vgl. Rommelspacher 2006) – auf stellen Einstellungen ein vergleichsweise dauer- dem Weg über einschneidende lebensweltliche haftes Potenzial von Rechtsextremismus dar, das Verunsicherungen, Gegenerfahrungen, persön- unter günstigen Bedingungen für entsprechende liche Krisen und lebbare Alternativen möglich. Aktionen mobilisiert werden kann.12 Zudem gehen Aufklärungsangebote meistens ge- Da Einstellungen ein mehr oder weniger rade an jenen bildungsfernen und sozial schlech- verfügbares und ausgeprägtes kognitives Element ter gestellten Gruppen vorbei, die am stärksten enthalten, richtet sich ein Großteil der pädago- auf rechtsextreme Parolen reagieren. gischen Anstrengungen zu Recht darauf, Einstel- Jede der Einstellungsdimensionen des lungsänderungen durch Argumente und Wissen Rechtsextremismus existiert auch unabhängig zu erzielen. Gleichzeitig sind Einstellungen aber von den anderen und verdient besondere Auf- eng mit Selbstkonzepten und Emotionen (Bin- merksamkeit. Die erheblichen Unterschiede in dungen, Sympathien/Antipathien, Wut etc.) ver- der Befürwortung einzelner Einstellungsdimen- bunden, die rein kognitive Angebote gewöhnlich sionen erinnern nicht nur daran, dass z.B. die nicht erreichen. Rechtsextreme Deutungen beto- breit vorhandene Fremdenfeindlichkeit nicht nen in der Regel starke Gefühle (Wut, Aggressio- mit rechtsextremer Einstellung gleichzusetzen ist, nen, Gemeinschaft etc.) und verbinden diese mit sondern verdeutlichen auch, wie sinnvoll es ist – diversen Aufwertungsangeboten („natürliche“ gleichsam präventiv – solche Einstellungsmuster Überlegenheit der eigenen Nation, übersteigerte aufzugreifen, bevor sie sich zu einem rechtsex- Männlichkeit, polare Geschlechterrollen etc.). tremen Weltbild verdichten. In der deutschen Die Anforderungen an pädagogische Forma- und mehr noch in der internationalen Debatte te werden umso größer, je festgefügter die Ein- fi nden sich Stimmen, die mit guten Argumen- stellungen sind und je mehr kognitiv nicht er- ten vorschlagen, den Terminus „Fremdenfeind- reichbare Anteile sie enthalten. Hier liegen die lichkeit“ differenzierter zu benutzen und davon besonderen Herausforderungen für die sozial- „Partikularismus“ im Sinne der Bevorzugung der pädagogische Arbeit mit rechtsextrem orientier- eigenen Gruppe13 und Vorbehalte gegen mehr ten Jugendlichen. Es braucht Angebote, die das Zuwanderung (immigration scepticism) auf der Lebensgefühl der Jugendlichen erreichen, ihre einen Seite und Rassismus auf der anderen zu Deutungen aufgreifen, alternative Sichtweisen unterscheiden.14

12 Diese Differenz gilt auch für andere Einstellungskomplexe und deren Mobilisierbarkeit. Politische Kampagnen zu Wahlen oder die Mobilisierung von Netzwerken für bestimmte Proteste stellen Versuche dar, Einstellungen in Handeln zu verwandeln. 13 Nunner-Winkler et al. 2005 haben auf sozialmoralische Unterschiede in der Dimension Partikularismus/Universalismus zwi- schen Ostdeutschen und Westdeutschen aufmerksam gemacht, die es zu berücksichtigen gilt, wenn Aussagen zum Themen- feld „Ausländer/innen“ bewertet werden. Mit der Bevorzugung der eigenen Gruppe müsse keineswegs die Abwertung der Fremdgruppe verbunden sein. 14 Rydgren 2008 kommt in einem 6-Länder-Vergleich zu dem Ergebnis, dass weniger Fremdenfeindlichkeit als solche, sondern vielmehr Vorbehalte gegen mehr Zuwanderung die Unterstützung von rechtsextremen Parteien bei Wahlen begünstigen. Diese Parteien seien besonders erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, das Thema Zuwanderung mit Kriminalität und sozialen Unruhen zu verknüpfen. 16 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Mit den Einstellungsdaten werden auch Be- mismus zugeschnitten waren, aber in der Aus- völkerungsgruppen sichtbar, die etwa bei rechts- einandersetzung mit rechtsextremen Bewegun- extremen Gewalttaten kaum vertreten sind. Junge gen weit weniger Wirkung entfalten können. Frauen und die ältere Generation insgesamt nei- gen sehr viel stärker zu rechtsextremen Einstel- Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit lungen,15 als ihre geringe Präsenz in den Zielgrup- (GMF) pen von Programmen gegen Rechtsextremismus vermuten lässt. Da sie als Sozialisationsinstanzen Die von Wilhelm Heitmeyer angestoßene Erwei- weit wirksamer sind als junge Männer, ist diese terung der Rechtsextremismusforschung um Vernachlässigung nicht zu rechtfertigen. zusätzliche Einstellungsdimensionen (vor allem Sexismus, Homophobie, Rassismus und Islamo- Rechtsextreme Verhaltensformen phobie – während die Abwertung von Obdachlo- sen, Behinderten und Langzeitarbeitslosen eher In der Auseinandersetzung mit den variablen als Konkretisierung des Sozialdarwinismus zu Verhaltensformen von Rechtsextremismus ist sehen ist) und ihre regelmäßige Beobachtung immer wieder eine starke Fixierung auf rechts- hat neue Akzente in der Präventionsdebatte ge- extreme Gewalt zu beobachten, die oft situativ setzt.16 ausgelebt wird. Dies ist, wenn es darum geht, Das Konzept der Gruppenbezogenen Men- potenzielle Opfer zu schützen, sicher berech- schenfeindlichkeit öffnet den Blick für men- tigt. Besondere Aufmerksamkeit erfahren auch schenfeindliche Entwicklungen insgesamt und die Wahlergebnisse von rechtsextremen Partei- stärkt menschenrechtliche Gegenpositionen, die en, die mit dem Zugang zu Ressourcen und be- im Alltagsleben Deutschlands nicht besonders sonderer medialer Präsenz verbunden sind. Es nachhaltig verankert sind (vgl. Addy 2003). Es kommt jedoch darauf an, die gesamte Aktions- knüpft zudem an internationale Debatten und palette im Blick zu behalten. Wenn in neuerer Praxisformen an, die eine breite Palette von Zeit von „modernem“ Rechtsextremismus die „hate crime“ (Hasskriminalität)17 und Rassismus- Rede ist, wird vor allem auf den Bedeutungsge- Ausprägungen in den Blick nehmen und damit winn bewegungsförmigen Engagements in der eine exklusive Fixierung auf Rechtsextremismus rechtsextremen Szene hingewiesen (z.B. Klärner/ vermeiden. Diese menschenrechtliche Horizont- Kohlstruck 2006; Minkenberg 2008). Sie hält erweiterung, die gerade für die politische Kultur damit Anschluss an die Praxis neuer sozialer Be- wie die politische Bildung sehr zu begrüßen ist, wegungen, deren Erfolgsmodell das zeitlich be- bringt jedoch in der analytischen Betrachtung grenzte, organisationsferne „projektorientierte“ auch Nachteile mit sich. Einige Dimensionen Engagement ist. Dies macht auf die Grenzen von der Einstellungsuntersuchungen zum Rechtsex- Gegenstrategien aufmerksam, die mit Organisa- tremismus bleiben zwar auch im GMF-Konzept tions- und Parteiverboten in erster Linie auf den erhalten (vor allem Antisemitismus und Frem- klassischen organisationsgeprägten Rechtsextre- denfeindlichkeit), auf die Dauerbeobachtung der

15 Die große Mehrzahl der empirischen Studien zeigt, dass rechtsextreme Einstellungen in allen Dimensionen bei den über 60-Jährigen stärker verbreitet sind als bei den unter 30-Jährigen (vgl. Decker/Brähler 2006: 50; Decker/Brähler 2008: 27; Stöss 2007: 69). Mit Blick auf die geschlechtsspezifi sche Verteilung ist das Bild weniger einheitlich. Während z.B. Stöss auf ein leicht höheres rechtsextremes Einstellungspotenzial bei Frauen aufmerksam macht (Stöss 2007: 69), weisen Decker/Brähler (2008: 26) auf niedrigere Werte bei Frauen hin. 16 Die „Deutschen Zustände“ erscheinen seit 2002 im jährlichen Rhythmus mit jeweils neuen thematischen Schwerpunkten (Heitmeyer 2002ff.). 17 Das Konzept entstammt der angloamerikanischen Kriminologie und bezeichnet Straftaten, die sich gegen Personen oder Per- sonengruppen mit bestimmten Merkmalen richten („Rasse“, Hautfarbe, Nationalität, Religion, Behinderung, Geschlecht, se- xuelle Orientierung etc.). Einzelne werden allein aufgrund dieser zugeschriebenen Zugehörigkeit zu Opfern von Gewalttaten, die gegen die gesamte soziale Gruppe gerichtet sind (vgl. Özsöz 2008). RECHTSEXTREMISMUS ALS GEFAHR FÜR DEMOKRATIE UND GESELLSCHAFT 17

für rechtsextreme Bewegungen besonders bri- ses Ansatzes. Es geht um eine privilegien- und santen Einstellungsdimensionen Verharmlosung statussichernde politische Praxis aus der „Mitte bzw. Unterstützung des Nationalsozialismus und der Gesellschaft“, nicht selten befördert durch Diktaturbefürwortung wird aber verzichtet. GMF eine Mobilisierung von Vorurteilen durch etab- ist deshalb keine Alternative zum Rechtsextre- lierte Akteure, Massenmedien und politische Eli- mismuskonzept, sondern eine sinnvolle Ergän- ten. Wenn breit in der Gesellschaft vorhandene zung und Erweiterung, besonders wo es – wie in fremdenfeindliche, rassistische und negativ klas- pädagogischen Zusammenhängen oder mit An- sifi zierende Einstellungen durch entsprechende erkennungs- und Gleichwertigkeitsaudits (vgl. politische Unternehmer19 aufgegriffen und poli- Amadeu Antonio Stiftung 2006 und 2008; Kleff/ tisch gebündelt werden, können – wie in einigen Seidel 2009) – um die Auseinandersetzung mit Ländern Europas – rechtspopulistische Bewe- diskriminierenden Einstellungen und alltägli- gungen entstehen und erfolgreich in politische chen Verhaltensweisen in herkunftsheterogenen Machtkämpfe eingreifen. Gesellschaften geht. Auch wenn negative Klassifi kationen der Mehrheitsgesellschaft und ihr „institutioneller Rassismus Rassismus“ bzw. ihre fehlende interkulturelle Öffnung wichtige Themen darstellen, trägt die- Die GMF-Untersuchungen können auch als se Forschungsrichtung mit sehr unterschiedli- Beitrag zu einer international expandierenden chen Konzepten dem Umstand Rechnung, dass Forschungsrichtung betrachtet werden, die sich wir es gerade in urbanen Zonen mit einer plu- länderübergreifend mit Konzepten wie Rassis- ralen, herkunftsheterogenen Bevölkerung zu mus, negativen Klassifi kationen, Diskriminierun- tun haben, deren Konfl ikte und Problemlagen gen, Ungleichwertigkeitskonzepten und mit der nicht mehr angemessen mit Sammelkategorien Dyna mik der Ab- und Ausgrenzungen unter den wie „Einheimische“ und „Zugewanderte“ bzw. gesellschaftlichen Bedingungen von Zu- und Ab- „Menschen mit Migrationshintergrund“ begriffen wanderung beschäftigt. Rassismus – verstanden werden können. Vielmehr entstehen unterschied- als „quasi biologisch“ begründete Abwertung liche Milieus und Gemengelagen, die quer zu die- und Ausgrenzung von Menschengruppen – ge- sen Zuschreibungen integrativ bzw. ausgrenzend hört dabei zu den klassischen ideologischen Ele- wirken können. Damit verbunden sind Einstel- menten von Faschismus und Rechtsextremismus, lungen, Akteursgruppen und politische Kon- die durch die weltweite Migrationsdynamik einen fl ikte, in denen z.B. Intoleranz, Abwertungen, neuen Schub erfahren haben. Während sich die Chauvinismus, Rassismus und Antisemitismus Debatte über Rechtsextremismus schnell auf Ein- kein Privileg der „Mehrheitsgesellschaft“ sind. stellungen und Taten radikaler Minderheiten In lokalen Fallstudien wird beispielsweise von eingrenzen lässt, ist mit der aktuellen Rassismus- „etablierten“ türkischstämmigen Selbstständigen debatte eine deutlich andere politische Perspek- und ihren Familien berichtet, die verächtlich auf tive verknüpft.18 ein deutschstämmiges Arbeitslosenmilieu in ih- Diskriminierungen und Ausgrenzungen rer Nachbarschaft herabblicken und ihm fehlen- durch die (einheimische) Mehrheitsgesellschaft de Disziplin und Moral vorwerfen (vgl. Neckel/ und ihre Institutionen stehen im Zentrum die- Soeffner 2008).

18 Über den aktuellen Diskussionsstand in Deutschland und die Schwierigkeiten, bruchlos an andere europäische und nordame- rikanische Konzepte anzuschließen, informiert ein Sammelband von Melter und Mecheril 2009. 19 Das Konzept „politisches Unternehmertum“ kommt aus der US-Bewegungsforschung. Es geht davon aus, dass es in Gesell- schaften Konfl iktlinien und Themen gibt, die durch ressourcenstarke Akteure (Medienunternehmer, charismatische Persön- lichkeiten etc.) aufgegriffen, politisch sichtbar gemacht und genutzt werden können. Primäres Ziel dieser Akteure ist die Steige- rung von Macht, Einfl uss und Erträgen. Sie können vor allem dann erfolgreich sein, wenn die klassischen Akteure politischer Interessenvermittlung (Parteien, Gewerkschaften, Verbände) schwach sind und/oder brisante Themenfelder unbearbeitet lassen. 18 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Antisemitismus Im Unterschied zu vielen anderen Ländern, die nach dem Ende des Kalten Krieges ebenfalls Obwohl Antisemitismus ein klassisches Einstel- einen Aufschwung rechtsextremer und rechts- lungsmerkmal des Rechtsextremismus darstellt, populistischer Strömungen erlebten, steht gibt es genügend Anlass, sich seinen vielfälti- Rechtsextremismus in Deutschland auch heute gen aktuellen Erscheinungsformen auch jenseits noch weitgehend im Banne des Nationalsozialis- der rechtsextremen Szene zu widmen. Neuere mus. In dem Land, in dem der Nationalsozialis- vergleichende Studien zu Vorurteilen in Europa mus mit verheerenden Folgen an der Macht war, weisen darauf hin, dass sich das Ausmaß von An- scheint rechtsextreme Politik mit gesellschaft- tisemitismus in den einzelnen Ländern Europas licher Resonanz bislang nur als revisionistische stark unterscheidet – von vergleichsweise nied- Anknüpfung an die Vorstellungswelten der Nazis rigen Niveaus in Großbritannien und den Nieder- möglich zu sein. Trotz all der aktuellen Verweise landen bis hin zu weit überdurchschnittlichen in (von Hartz IV bis zur Globalisierung), jugend- Portugal, Spanien, Polen, Ungarn und Russland.20 kulturell aufgemotzten Werbestrategien (von der Nicht bekannt ist demgegenüber, inwieweit bei- Schulhof-CD bis zu Musikevents) und modern be- spielsweise deutschstämmige Zuwander/innen wegten Aktionsformen spielen Geschichtsrevisi- aus der GUS oder Osteuropa antisemitische Ein- onismus (Proteste gegen die Wehrmachtsausstel- stellungen mitbringen. Dass Formen des Antise- lung, Aufmärsche zu „nationalen“ Gedenktagen, mitismus und religiös geprägte Vorurteile auch Mobilisierungen für Heroen der Nazi-Zeit, Rück- bei in Deutschland lebenden jungen Migrant/in- griff auf die Symbolwelten der Nazis etc.) und der nen aus muslimischen Herkunftsländern häufi ger Rekurs auf zentrale Politikkonzepte des National- anzutreffen sind, wird nicht nur aus der Praxis der sozialismus („Volksgemeinschaft“, geschlossene Sozialarbeit berichtet, sondern auch in einer re- Großraumwirtschaft) für den aktuellen Rechts- präsentativen empirischen Studie bekräftigt.21 extremismus in Deutschland eine wichtige und vermutlich unverzichtbare Rolle. Dazu gehört Faschismus, Nationalsozialismus, neben der Anrufung einer völkisch verstandenen Neofaschismus Volksgemeinschaft vor allem das Bekenntnis zur Gewalt als einer zentralen und legitimen Politik- Politische Szenen und Projekte, die heute mit form (vgl. Wildt 2008: 14ff.; Reichardt 2002). „antifaschistischem“ Selbstverständnis von „Na- Von den historischen faschistischen Bewe- zis“ und „Faschos“ sprechen, geraten leicht in gungen der Zwischenkriegszeit hat der aktuelle den Verdacht der Realitätsverfehlung. Auch Rechtsextremismus ein weiteres Merkmal über- wenn dieser Vorbehalt im Einzelfall berechtigt nommen: die „soziale Beweglichkeit in veränder- sein mag, sollten weder der Realitätsgehalt noch ten historischen Konstellationen“ (Schieder 1983: die Legi timität vernachlässigt werden, die – vor 10). Sie lässt sich heute am erstaunlich schnellen dem Hintergrund der historischen Faschismus- Organisations- und Strategiewandel im rechts- forschung22 – grundsätzlich in dieser Perspektive extremen Lager beobachten.23 Dass heute „Aus- liegen. länder“ im Alltag vielfach die Stelle von Juden

20 Hierzu bieten Daten: The Pew Global Attitudes Project 2008; ADL 2009; Universität Bielefeld/Amadeu Antonio Stiftung 2009; siehe auch den Überblick in FRA 2009. 21 Bei antisemitischen Vorurteilsbekundungen weisen junge Muslime mit 15,7% die höchsten Zustimmungswerte auf, während einheimische Jugendliche mit 5,4% und Nichtmuslime mit Migrationshintergrund mit 7,4% deutlich besser abschneiden (Brettfeld/Wetzels 2007: 275). 22 Nicht alle Autor/innen gehen so weit wie Wippermann: „Faschismus global ist nicht Vergangenheit, er stellt eine gegenwärtige und weltweite Gefahr dar“ (Wippermann 2009: 14). Aber der aktuelle Aufschwung von Frühformen des Faschismus wird auch von anderen Historiker/innen betont (vgl. Paxton 2006). 23 Dies wird in neueren Lokalstudien besonders deutlich (vgl. Borchert 2004; Klärner 2008; Thein 2009). RECHTSEXTREMISMUS ALS GEFAHR FÜR DEMOKRATIE UND GESELLSCHAFT 19

als „Gemeinschaftsfremde“ eingenommen ha- 2.2 Erscheinungsformen des ben, also Fremdenfeindlichkeit den weiterhin gegenwärtigen Rechtsextremismus virulenten Antisemitismus überlagert und er- gänzt, ändert nichts an den politischen Grund- Rechtsextremismus tritt in Deutschland und mustern – zumal Ausländerfeindlichkeit bereits Europa in verschiedenen Erscheinungsformen im historischen Nationalsozialismus eine wichti- auf, die von subkulturellen Milieus über sozia- ge Rolle spielte. Der Rekurs auf NS-Symbole und le Bewegungen bis zu rechtspopulistischen und entsprechende Kleidermoden ist deshalb keine rechtsextremen Parteien reichen. Die Konturen Marginalie oder pubertäres Imponier- und Pro- und das jeweilige Machtpotenzial dieser poli- vokationsgehabe, sondern verweist auf Konti- tischen Strömung sind von Land zu Land sehr nuitäten und aktuelle Anleihen im grundlegen- unterschiedlich und unterliegen schnellen Ver- den Politikverständnis von wichtigen Segmenten änderungen. In einigen Ländern, wie in Öster- der rechtsextremen Szene. Gäbe es nicht entspre- reich, der Schweiz und Italien haben es rechts- chende Strafandrohungen für Propagandade- populistische und rechtsextreme Gruppierungen likte, die zu immer neuen Camoufl agen nötigen, immerhin bis in Koalitionsregierungen geschafft könnten diese Kontinuitätslinien, so ist zu ver- oder durch die Tolerierung von Minderheitenre- muten, noch weitaus stärker öffentlich sichtbar gierungen (Dänemark) Einfl uss ausüben können. werden. Davon sind wir in der Bundesrepublik aktuell Die vorgestellten Konzepte tragen gemein- weit entfernt. Der „cordon sanitaire“24 ist hier sam zum Verständnis dessen bei, was wir aktuell bislang höchstens in einigen Kommunen gefähr- als extreme Rechte wahrnehmen und erleben. Es det. Aber es gibt keine Garantie, dass sich die ge- ist nicht sinnvoll, sie in öffentlichen Debatten sellschaftlichen Rahmenbedingungen und Gele- vorschnell gegeneinander auszuspielen, denn sie genheiten für Rechtsextremismus künftig nicht beleuchten unterschiedliche Realitätsausschnitte, verbessern werden und es in dieser Szene Grup- denen an konkreten Orten unterschiedliche Be- pierungen bzw. Führungsfi guren geben wird, die deutung zukommt. In Regionen, in denen Zu- ihre politischen Chancen künftig besser zu nut- wanderung und Migrationshintergrund in der zen verstehen. Dann könnte auch die politische Zusammensetzung der Bevölkerung keine große Quarantäne löchrig werden. Rolle spielen, dürften jene Formen gruppenbe- zogener Abwertung und Menschenfeindlichkeit Drei Ausprägungen wenig Brisanz gewinnen, die sich in urbanen Zu- wanderungsmilieus entwickeln können. Wo sich Vergleichende Studien unterscheiden zwischen vor allem traditionelle Akteure zusammenfi nden, drei Ausprägungen des gegenwärtigen Rechtsex- dürfte das Thema Faschismus eine größere Rolle tremismus: Parteien, soziale Bewegung, Milieu spielen als in „modernen“, jugendlich geprägten bzw. Subkultur (vgl. Minkenberg 1998). Am rechtsextremen Erlebniswelten. meisten Beachtung fi ndet in der Regel der Erfolg Die Aufforderung, den vorhandenen kon- auf Parteiebene. Rechtsextreme und rechtspopu- zeptionellen Pluralismus als Erkenntnischance listische Parteien haben in einigen EU-Ländern zu begreifen, ist nicht mit einem Plädoyer für bei Wahlen mehr als ein Viertel der Stimmen Beliebigkeit zu verwechseln. Es geht um die An- auf sich vereinen können. Fast überall existiert gemessenheit der Konzepte für das Verständnis Rechtsextremismus als subkulturelles Milieu. Öf- der Entwicklungen in der jeweiligen Stadt und fentliche Beachtung fi nden auch noch Aufmär- Region. sche, Demonstrationen und Protestaktionen, die

24 Gemeint ist die strikte Weigerung von allen anderen politischen Akteuren, mit der extremen Rechten zu kooperieren. Im parlamentarischen Raum geht es dabei z.B. um die generelle Absage, deren Anträge oder Wahlvorschläge zu unterstützen oder mit ihnen Koalitionen einzugehen. 20 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

zum Handlungsrepertoire sozialer Bewegungen überall und fl ächendeckend, sondern vor allem gehören. Weniger sichtbar sind dagegen Milieus, in zahlreichen ländlichen Regionen, aber auch die durch gemeinsame Musik- und Kleidungssti- in Großstädten wie Dortmund. Zu den aktiven le, Symbole und Mentalitäten, Freizeitangebote Bewegungsorganisationen zählen vor allem die und andere alltägliche Gesellungsformen gebil- „freien Kräfte“, Kameradschaften und „autono- det werden. Meist interessieren solche Szenen men Nationalisten“, die zentral auf sichtbare nur, wenn von ihnen Provokationen und Straf- Proteste setzen. Auf Machtdemonstrationen und taten ausgehen (von Propagandadelikten bis zu Identitätsstiftung durch Protest und Aufmärsche Gewalttaten). Besonders Bewegungspolitik ist setzt heute auch die NPD, die sich seit 1996 unter von der Existenz solcher Milieus abhängig, weil dem Vorsitz von Udo Voigt in Richtung „Bewe- sie eine wichtige Grundlage wiederholter und er- gungspartei“ gewandelt hat. Die Jugendorgani- folgreicher Protestmobilisierungen darstellen. sation der Partei „Junge Nationaldemokraten“ Jede dieser Ausprägungen hat eigene Hand- (JN) bildet häufi g das Scharnier zu den „freien lungslogiken und Entfaltungsbedingungen. Par- Kräften“ und zu den lokalen Subkulturen ver- teiförmige Zusammenschlüsse müssen sich in schiedenster Ausprägung. Die größte Attraktion der Konkurrenz mit anderen Parteien und in scheint dabei heute jugendlich geprägten Erleb- Parlamenten bewähren und sind damit abhängig niswelten zuzukommen, zu denen auch sozial von den jeweiligen Wahl- und Parteiensystemen. bewegte „Kampferfahrungen“ gehören können Die Mobilisierungsstärke von Bewegungen hängt (vgl. Glaser/Pfeiffer 2007). von Themen, Anlässen und organisierenden Be- Zentral für rechtsextreme Bewegungen ist es, wegungsunternehmern ab, aber auch von der ihre Agenda immer wieder durch Protestereignis- Stärke der Gegenmobilisierungen und anderen se öffentlich zu machen, die eigene Anhänger- sozialen Bewegungen. Milieus stehen in Konkur- schaft zu mobilisieren bzw. zu erweitern und die renz mit alternativen Angeboten der Gesellung, politischen Gegner einzuschüchtern. Gemessen mit Vereinen und kommerziell geprägten Szenen. an ihrer eher bescheidenen Anhängerschaft ge- Rechtsextreme Milieus können als „normal“ be- lingt dies der rechtsextremen Szene gegenwärtig handelt, aber auch mit einem Stigma belegt und in einem erstaunlichen Maße.25 ihre Anhänger/innen mit sozialer Ächtung kon- Weniger spektakulär sind dagegen die par- frontiert werden. lamentarischen Erfolge. Sie halten sich, wie das „Superwahljahr 2009“ gezeigt hat, glücklicher- Kennzeichen des Rechtsextremismus in weise in Grenzen. Aber wir haben es auch nicht Deutschland mit einer wenig sichtbaren, nach innen gerich- teten Subkultur zu tun, sondern mit einer Bewe- Verglichen mit anderen Ländern liegt der Schwer- gungsszene, die vielfältige Handlungsmöglich- punkt des Rechtsextremismus in Deutschland keiten anbietet.26 Von dieser Bewegungsszene, auf der Ebene einer sozialen Bewegung. Bewe- ihren Aktionen und ihrer Veralltäglichung sind gungsstrukturen gibt es in Deutschland nicht zudem erhebliche negative Sozialisationswirkun-

25 Im Jahre 2008 zählte die Bundesregierung in ihren Antworten auf kleine Anfragen – eher untertreibend – insgesamt 103 Aufmärsche mit einer Gesamtzahl von 23 600 Beteiligten, 2009 waren es 137 Aufmärsche mit rund 35 600 Beteiligten. Musik- veranstaltungen der extremen Rechten bieten einen weiteren Anhaltspunkt für das Protestgeschehen. 2008 gab es ungefähr 135 RechtsRock-Konzerte und 28 Liederabende mit zusammen ca. 20 000 Teilnehmenden. 17 Konzerte wurden aufgelöst, 20 verboten. Im Jahre 2009 verzeichnete die Bundesregierung etwa 130 RechtsRock-Konzerte und 37 Liederabende mit zusammen fast 17 000 Teilnehmenden. 19 Konzerte wurden aufgelöst, 24 verboten. Bei einem Personenpotenzial, das für 2008 mit rund 30 000 Personen angegeben wurde, haben wir es also mit einer durchaus bemerkenswerten Mobilisierungsdichte zu tun. 26 „Über die Verszenung der Organisationsstrukturen werden locker strukturierte, punktuelle, temporäre, weniger verbindliche, ‚projektförmige’ und medial vernetzte Integrationsofferten und Mitmachforen angeboten (z.B. ‚freie Kameradschaften’ oder Internetplattformen), die gerade für die Jüngeren leichter zugängliche Anknüpfungspunkte liefern als die traditionell zentralis tisch ausgerichteten und stark hierarchisierten Mitgliedsorganisationen extrem dogmatischer Ausrichtungen“ (VAJA/Möller 2007). RECHTSEXTREMISMUS ALS GEFAHR FÜR DEMOKRATIE UND GESELLSCHAFT 21

gen zu erwarten. Sie sind dort umso größer, wo „autonome Nationalisten“ und politische Netz- es für junge Menschen keine alternativen loka- werke, denen zuweilen der Brückenschlag zur len Erlebniswelten gibt und zivilgesellschaftliche organisierten extremen Rechten gelingt. Die in- Akteure zu schwach sind bzw. keine Alternativen tensive Nutzung der Internetkommunikation anzubieten haben. Nicht wenige von jenen, die sorgt für überregionale Vernetzungen und Mobi- sich zu Beginn der 1990er Jahre als Jugendliche lisierungen. an den pogromartigen Angriffen auf Asylbewer- Trotz ihrer modernen Bewegungspolitik ist berunterkünfte beteiligten, betreiben heute die die extreme Rechte in der Bundesrepublik stärker Infrastruktur (Kneipen, Klamottenläden, Musik- als in anderen Ländern vergangenheitsfi xiert und vertriebe etc.) der bewegten extrem rechten damit politisch radikaler, d.h. ihr harter Kern be- Szene. Gerade die in den letzten Jahren erfolg- wegt sich in der Gedankenwelt des Nationalso- reichste Partei im rechtsextremen Lager, die zialismus (Revisionismus, Symbolik, historische NPD, verfügt über Kommunal- und Landespar- Mobilisierungsanlässe) und seinen Politikkonzep- lamentarier/innen, die rund zehn Jahre jünger ten (Freund/Feind, maskuline Gewalt, Opfermy- sind als die der Konkurrenzparteien. Außerdem thos, Volksgemeinschaft):27 Der Weg der NPD zu entstehen rechtsextrem dominierte Regionen, in einer von Neonazis dominierten Partei ist hier- denen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit für symptomatisch. Dass ihre Vertreter/innen an als „Normalität“ hingenommen oder aktiv unter- manchen Orten erfolgreich als biedere „Küm- stützt wird. merer“ auftreten und als solide Mittelständler/in- Anders sieht es auf der Straße aus. In unschö- nen oder Trainer/innen der Fußballjugend An- ner Regelmäßigkeit zeigt sich die rechtsextreme erkennung fi nden, sollte über den strategischen Szene erstaunlich mobilisierungsfähig. Sie hat Charakter solcher „Normalisierungsanstrengun- „ihre“ Gedenktage, wie z.B. die Jahrestage der gen“ nicht täuschen. Ethnopluralistische, zivilere Bombardierungen Magdeburgs oder Dresdens. neu-rechte und rechtspopulistische Positionen In der Regel sind zwar die Gegendemonstratio- sind in Deutschland demgegenüber zur Zeit ver- nen deutlich stärker, aber die rechtsextremen gleichsweise schwach vertreten. Ob es den vor Auf märsche unterstreichen Bekennertum und allem anti-muslimisch auftretenden „Bürgerbe- Machtwillen. Diese Stärke als soziale Bewegung wegungen“ vom Typus „PRO NRW“ bzw. „PRO beruht auf den weniger sichtbaren Milieubil- DEUTSCHLAND“ gelingen wird, einen gemäßig- dungen, die solche regelmäßigen Mobilisierun- ten rassistischen Populismus auf der politischen gen erst ermöglichen. Zu diesen Milieus gehören Bühne dauerhaft zu etablieren, lässt sich aktuell Musikszenen, Festivals, Treffs, Kameradschaften, nicht absehen.28

27 Für diese Einschätzung sprechen auch die Daten der Verfassungsschutzberichte. Der Anteil der „systemfeindlichen“ Rechtsex- tremist/innen (Subkulturen, Neonazis und nach 1996 auch die NPD) am gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzial hat sich demnach zwischen 1993 von 12 % bis 2007 auf 70 % erhöht (vgl. Stöss 2009: 7). 28 Vgl. hierzu die Beiträge in Häusler 2008 – aktuelle Informationen bietet die Expertise von AK Ruhr/LAGA NRW 2010. 22 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

3

Die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus als zentrale Bestandteile der Arbeit für Demokratie DIE BUNDESPROGRAMME GEGEN RECHTSEXTREMISMUS 23

3 Die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus als zentrale Bestandteile der Arbeit für Demokratie

3.1 Bilanz der Bundesprogramme und ehemaligen Vertragsarbeiter/innen, Verfol- gungsjagden auf ausländisch aussehende Men- In der Bundesrepublik wurde die rechtsextreme schen u.a.m.), die in den ersten Jahren des ver- Herausforderung nach der deutschen Vereini- einten Deutschlands bis zum „Asylkompromiss“ gung nicht nur durch beachtliche Gegenmobi- von 1993 teilweise pogromartigen Charakter mit lisierungen aus der Zivilgesellschaft (erinnert sei mehreren Dutzend Todesopfern annahmen.29 nur an die Zeit der Lichterketten), sondern auch Sie waren Teil eines heftigen migrationspoliti- mit einer Fülle von unterschiedlichen staatlichen schen Konfl ikts über die verstärkte Zuwanderung Programmen und Maßnahmen beantwortet. Im Asylsuchender nach der Maueröffnung („Das staatlichen Bereich kam einerseits in der Tradi- Boot ist voll!“). tion der „wehrhaften“ bzw. „streitbaren“ De- Die damalige Bundesregierung unter Kanzler mokratie ein Arsenal von repressiven Praktiken Helmut Kohl reagierte mit einem „Aktionspro- (Organisationsverbote, Verfolgung von Propa- gramm gegen Aggression und Gewalt“ (AgAG), gandadelikten, Verfassungsschutz, Demonstra- das sich zentral an aggressionsbereite Jugendliche tions- und Versammlungsverbote etc.) zum Ein- wandte. Das ausschließlich an die neuen Bun- satz, andererseits wurde von einer breiten Palette desländer und die Berliner Ostbezirke adressier- präventiver und pädagogischer Maßnahmen Ge- te Modellprogramm wurde 1992 vom Bundes- brauch gemacht, die von der politischen Bildung ministerium für Familie, Senioren, Frauen und und Demokratieerziehung bis zur Erlebnispäda- Jugend (BMFSFJ) gestartet und bis 1997 vom gogik, von öffentlich geförderten mobilisieren- Bund fi nanziert. Erreicht wurden – je nach An- den Netzwerken der Zivilgesellschaft bis zur „ak- gaben – zwischen 6 500 und 8 000 Jugendliche. zeptierenden“ Jugendarbeit reichen. Besonders Einige der zunächst 124 Projekte in 30 Schwer- starke präventive Impulse sind von zwei Gene- punktregionen wurden danach von den beteilig- rationen von Bundesprogrammen ausgegangen: ten Ländern weiter gefördert. Mit dem Fokus „ag- dem Aktionsprogramm gegen Aggression und gressive Jugendliche“ ist das Modellprogramm Gewalt (AgAG) und den Modellprogrammen der der täterorientierten sekundären und tertiären rot-grünen Bundesregierung. Prävention (siehe Info-Kasten Prävention) zu- zuordnen.30 Gleichzeitig ging es – zentrale Vor- „Aktionsprogramm gegen Aggression und aussetzung für eine professionelle problemgrup- Gewalt“ (AgAG) 1992–1997 penorientierte Arbeit – um die Übertragung von „bewährten“ westlichen Jugendhilfestrukturen Auslöser der ersten Programmphase war eine Welle und pädagogischen Formaten (Streetwork, offe- von fremdenfeindlichen und rassistischen Mo- ne Jugendarbeit etc.) auf die neuen Bundesländer bilisierungen (Brandanschläge auf Asylbewerber- sowie die Qualifi zierung des sozialpädagogischen unterkünfte, auf Wohnungen von Migrant/in nen Personals vor Ort.

29 Einige dieser Mobilisierungen und ihre lokalen Rahmenbedingungen analysiert Karapin 2007. 30 Die wissenschaftliche Begleitung betonte allerdings, dass es „für die Arbeitsansätze der Projekte […] charakteristisch [sei], dass sie die gesamte Bandbreite der Jugend- und Jugendsozialarbeit umfassen“ (Bohn 1997: 61) bzw. für die lokale Jugendarbeit insgesamt vorbildliche „offene, gemeinwesenorientierte und netzwerkbezogene Arbeitsformen“ entwickelt haben (Böhnisch et al. 1997: 14). 24 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Zum positiven Erbe des ansonsten heftig Die Einbettung „akzeptierender“ Jugend- kritisierten AgAG-Modellprogramms gehören arbeit in das AgAG-Programm war jedoch mit differenzierte Konzepte zur sozialpädagogischen bleibenden Hypotheken verknüpft. Dazu gehört Arbeit mit aggressiven, fremdenfeindlichen, die Befürchtung, in Zeiten knapper öffentlicher rechtsextremen Einstellungen nahestehenden Mittel Täter zu begünstigen und die Opfer zu Jugendlichen (Sport- und Fan-Projekte, Street- vernachlässigen. Zweifel an der Wirksamkeit und work, soziokulturelle Arbeit, erlebnispädagogi- die Angst vor nicht-intendierten Folgen kommen sche Projekte, Arbeit mit straffälligen Jugendli- hinzu. Dies hat bis heute zu anhaltenden Konfl ik- chen etc.).31 ten und zur Randständigkeit der täterorientierten Tertiärprävention erheblich beigetragen.32

PRÄVENTION

Meist wird in der Debatte über Programme gegen Rechtsextremismus die in der Kriminalprävention und Gesundheits- förderung übliche Unterscheidung zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention übernommen. • Primärprävention zielt demnach darauf ab, mittels struktureller, gruppenbezogener und individueller Maßnahmen Bedingungen zu schaffen, um Rechtsextremismus schon im Vorfeld zu verhindern (vgl. Frindte/Preiser 2007). Dazu gehören u.a. die Gründung lokaler Netzwerke für Demokratie und Toleranz, Angebote der politischen Bildung oder Jugendkulturprojekte. • Sekundäre Prävention richtet sich gezielt an Risikogruppen, um deren Orientierungen und Verhaltensweisen vor- beugend zu beeinfl ussen (vom Mitternachtssport bis zu Anti-Aggressionstrainings) und alternative Orientierungen und Verhaltensweisen anzubieten. • Tertiärpräventionp richtet sich an rechtsextreme Gewalttäter/innen,Gewalttäter/innne Mitglieder rechtsextremer Vereinigungen und SzSzenegänger/innen,ene eggänger/innen, um sie aus ihrem UmfeldUmfeld zu lösen unundnd von künkünftigenft Straftaten abzubringen. Dazu zählt die Arbeit mimitt veverurteiltenrurteie ltten SStraftäter/innentrt aftäter/innen in der Haft,Haft, wie sie z.B. das BerlinerBerline Violence Prevention Network leistet (siehe Kapi- tetell 4.4.1).1). AbAberber aauchuch didiee AnAngebotegebote der verschiedenen AussteiAussteigerprogrammegerprogr gehören in diese Rubrik. QuQuerer zuzu dieserdieser ggrobenrobeb n UnterscheidungUntersscheidung lliegeniegen ddieie jeweijeweiligenligen AnsatzAnsatzpunktep und konkreten Strategien. So wird in der K Kriminalpräventionrimiinalpprääventn ion z.zz.B.B.B zzusätzlichusätzllich zwzzwischenischen täterorientierten, situasituationsbezogenent und opferbezogenen Strategien unterschieden u ntterschiedene ((vgl.vgl.l BBMI/BMJMI/BMJ 22006:006:6 6667ff.).67fff.). OpOpferbezogeneferbezogene PrimärprPrimärpräventionä besteht zum Beispiel in der allgemeinen AufklärungAufklärung ppotenziellerotenzieller OpOpfergruppenfergruppen üüberber mömmöglichegliche GeGefahrenfahren (et(etwaw über lokale Angstzonen). Eine opferbezogene SSekundärpräventionekundärprävention bibietetetet zz.. B. TTrainings-rainings- unundd SeSSelbstverteidigungskurselbbstveerteie digungskur für gefährdete Personengruppen an, während eineeine ttertiäreere tiärä e PrPräventionsstrategieävenntionnssstrrategie aann dederr BeBetreuungetreuunng unundd BeBeratungraatut ng von Opfern ansetzt.

31 In dieser Tradition „akzeptierender Jugendarbeit“ steht auch das Bremer Projekt „VAJA“, das in Kapitel 4.2 des vorliegenden Gutachtens beschrieben wird. 32 Verglichen mit der Ausgangslage, einer Welle von gewaltsamen fremdenfeindlichen Mobilisierungen und Anschlägen in ganz Deutschland mit der Beteiligung breiter Bevölkerungskreise und einer medialen und politischen Flankierung aus der „Mitte der Gesellschaft“ und von dominierenden Teilen der politischen Elite, die von handlungsbereiten jüngeren Menschen als Ermutigung verstanden werden konnte, die „Asylantenfl ut“ durch eigene Aktionen einzudämmen, lässt sich der Zuschnitt des AgAG-Programms soziologisch als erstaunliche, politisch-professionell vorangetriebene Problemverkleinerung und -verschie- bung beschreiben, die allerdings in der Soziologie sozialer Probleme nicht ungewöhnlich ist. Übrig geblieben sind aggressive Ostjugendliche, die es in einer vereinigungsbedingten Umbruchsituation durch die Ausdehnung „bewährter“ westlicher Ein- richtungen und Mittel der Jugendsozial- und Jugendarbeit zu zivilisieren galt. Interessant ist, dass die begleitenden Evaluationen diese Problemverschiebung mit ihrem Fokus auf professionelle und ins- titutionelle Umsetzungsprozesse in der Jugendarbeit verstärkt und nicht korrigiert haben. Sozialräumliche und biografi sche Entwicklungen wurden nicht systematisch untersucht, aber ihre gewaltreduzierende Wirkung behauptet (Bohn 1997: 68). So kann es geschehen, dass ein Programm als „erfolgreich“ beschrieben wird, während es in dessen Laufzeit, wie in Magdeburg, zu massiven gewalttätigen Konfl ikten und fremdenfeindlichen Übergriffen kommt. Kader der rechtsextremen Szene beschreiben es rückblickend als ihre politisch „beste Zeit“, als sie über „eigene“, d. h. AgAG-fi nanzierte Jugendclubs verfügten (Albrecht et al. 2007: 198ff.). Dieser Hinweis auf unintendierte Programmfolgen aus einer späteren Lokalstudie sollte nicht zu vorschnellen Verallgemeinerungen verleiten. Über die längerfristigen Wirkungen und Nebenfolgen an anderen Orten wissen wir zu wenig.

DIE BUNDESPROGRAMME GEGEN RECHTSEXTREMISMUS 25

Modellprogramme der rot-grünen Mit den fi nanziell vergleichsweise gut aus- Bundesregierung 2001–2006 gestatteten Bundesprogrammen war zunächst ein politisch bedeutsamer Anerkennungseffekt Eine Welle von gewaltförmigen Mobilisierun- verbunden. Er galt nicht nur dem Thema, son- gen, die Stabilisierung rechtsextremer Milieus dern auch den Engagierten. Bis ins sprichwört- und eine erneut anwachsende Zahl rechtsextrem lich „letzte Dorf“ und seine Schule drang die Bot- motivierter Gewalttaten machte bereits Ende schaft, dass es notwendig und legitim ist, etwas der 1990er Jahre deutlich, dass mit dem AgAG- gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremis- Programm und seinen Ansätzen keine nachhal- mus zu unternehmen und jene Gruppen zu un- tige Problemlösung gelungen war. Die rot-grüne terstützen, die in diesem Sinne handeln. Wichtig Bundesregierung beschloss im Jahr 2000 deshalb waren konzeptionelle Neuerungen. Einmal ab- weitere Modellprogramme mit einer weitgehend gesehen vom Bundesprogramm „Soziale Stadt“ neuen Ausrichtung, die auf Defi zite des Vorgän- (mit Quartiersmanagement, der Mobilisierung gerprogramms antwortete. lokalen Sozialkapitals etc.) stellten die Program- Zu ihren hervorstechenden Besonderheiten me aus dem Jahr 2000 den ersten Großversuch gehörte die zivilgesellschaftliche Orientierung. dar, bürgerschaftliches Engagement mit staat- Ungewöhnlich war bereits die Einbettung der lichen Mitteln für bestimmte Ziele zu fördern. staatlich fi nanzierten Programme in ein „Bünd- Unterstützt werden sollten in erster Linie lokale nis für Demokratie und Toleranz gegen Extremis- Initiativen und Netzwerke, die sich für Zivilcou- mus und Gewalt“. Für dessen Gründung hatten rage und Demokratie stark machen. Die zivil- sich zwar die einschlägigen Bundesministerien gesellschaftliche Orientierung der Programme, engagiert, aber Ende 2002 waren ihm bereits d.h. Rechtsextremismus und Fremdenfeindlich- etwa 900 Gruppen und Einzelpersonen beige- keit eher als Problem der politischen Kultur und treten. Auch in die Umsetzung der Programme nicht als abweichendes Verhalten in einer be- wurden zivilgesellschaftliche Akteure einbezo- stimmten Lebensphase („gewaltbereite Jugend- gen, vor allem Stiftungen, die sich in diesem Feld liche“) zu betrachten, bedeutete eine program- hervorgetan hatten (z.B. Stiftung Demokratische matische Weiterentwicklung, die Anschluss an Jugend, Amadeu Antonio Stiftung). Die Stärkung die wissenschaftliche Debatte hielt. Positiv zu der demokratischen Zivilgesellschaft war das bewerten ist auch die große Fülle von zusätzli- zentrale Programmziel, das u.a. durch politische chen Initiativen, Projekten und Maßnahmen, Bildung, Beratung von Initiativen und Vereinen die durch die Bundesprogramme in diesem ge- sowie deren Vernetzung erreicht werden sollte. sellschaftlichen Problembereich ermöglicht wor- Am Ende der Modellfi nanzierung 2006 hatte der den sind. Allen Programmen war zudem gemein- Bund in der Zeit von 2001 bis 2006 rund 4 500 sam, dass sie auf die Stärkung bzw. Entwicklung Projekte, Initiativen und Maßnahmen mit etwa einer demokratischen Kultur setzten, politische 192 Millionen Euro gefördert: „Dabei entfallen Bildung als Schwerpunkt auswiesen und über- auf den Programmteil ENTIMON rund 65 Mil- wiegend lokal orientiert waren (u.a. durch die lionen Euro, auf den Programmteil CIVITAS Mobilisierung lokaler Öffentlichkeit, Gemeinwe- rund 52 Millionen Euro und auf den Programm- senarbeit, kommunale Kooperationsstrukturen, teil XENOS 75 Millionen Euro aus Mitteln des Vernetzung lokaler Akteure). Europäischen Sozialfonds, die durch zusätzliche Die rot-grünen Bundesprogramme haben er- Kofi nanzierung in Höhe von 87 Millionen Euro heblich dazu beigetragen, zwei zentrale Formate ergänzt werden“ (BMFSFJ 2006: 4).33 zu profi lieren, die seither als unverzichtbar gel-

33 Zu den Details dieser Einzelprogramme und ihrer Umsetzung gibt es eine Fülle an Literatur – vgl. den Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung (BMFSFJ 2006). Meine begleitende Sicht auf die Programme fi ndet sich u.a. in Roth/Benack 2003 sowie Roth 2003 und 2006. 26 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

ten können, wenn es um zivilgesellschaftliche Regie genommen. Dies wurde besonders in der Mobilisierung und Demokratieentwicklung geht: kommunalen Zuständigkeit für die „Lokalen Ak- mobile Beratung und Opferberatung. Sie sind tionspläne“ (LAPs) deutlich, aber auch in der Neu- heute als notwendige Infrastruktur für zivilgesell- ausrichtung der Beratungsarbeit, die ebenfalls in schaftliche Strategien gegen Rechtsextremismus staatliche „Obhut“ genommen werden sollte. In weitgehend anerkannt und haben eigene Quali- welchem Umfang und mit welchen Folgen diese tätsstandards für ihre Arbeit entwickelt.34 umstrittene Neuorientierung gegriffen hat, wird (vermutlich 2011) mit Vorlage der abschließen- Bundesprogramme seit 2007 den Evaluationsberichte deutlicher werden. Alle Programmteile wurden nun auch für die Unter dem Eindruck rechtsextremer Wahlerfol- westlichen Bundesländer geöffnet. In der Folge ge, einer Welle von spektakulären Gewaltakten deutet sich eine gegenläufi ge Entwicklung an. und durch massiven öffentlichen Druck gelang Während die neuen Bundesländer weitgehend es 2006 trotz erheblicher politischer Widerstän- versucht haben, ihre bewährten zivilgesellschaft- de, in der Großen Koalition Bundesprogramme lichen Strukturen in der Beratung zu erhalten, gegen Rechtsextremismus und fremdenfeind- haben die westlichen Bundesländer eher staat- liche Gewalt fortzuführen und zu entfristen. liche Beratungsstrukturen errichtet (meist bei Auch wenn die Programmnamen „Civitas“ und den Innenministerien und im Verbund mit den „Entimon“ verschwunden sind, wurden einige Verfassungsschutzämtern). Der Kontrast wird der institutionellen und konzeptionellen Ansätze besonders deutlich mit Blick auf das 2009 verab- der rot-grünen Programmphase aufgenommen schiedete „Bayerische Handlungskonzept gegen und fortgesetzt – nun unter den Titeln „Vielfalt Rechtsextremismus“, das zivilgesellschaftliche tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demo- Akteure nicht einbezieht und stattdessen die Be- kratie“ und „kompetent. für Demokratie – Bera- ratungsaufgaben direkt in die Hand von Innen- tungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“. Das ministerium und Verfassungsschutz legt. seit 2007 laufende Programm „Vielfalt“ umfasst Wie stark und einfl ussreich der zivilgesell- drei Schwerpunkte: Lokale Aktionspläne in der schaftliche Initiativenanteil an den kommunal Verantwortung der Kommunen; Förderung von verantworteten Lokalen Aktionsplänen ist bzw. innovativen Modellprojekten in mehreren The- wie prägend Kommunalverwaltung und -politik menclustern und schließlich die forschungs- im Einzelfall gewirkt haben, variiert sicherlich und evaluationsgestützte Vernetzung auf Bun- von Ort zu Ort.35 desebene. Auch wenn zentrale Begriffe erhalten Wurden bislang vor allem die innovativen geblieben sind, wurde die Auseinandersetzung Aspekte der Bundesprogramme in diesem Feld mit Rechtsextremismus nun stärker in staatliche betont,36 die in der aktuellen Förderperiode aller-

34 In Kapitel 4.2 werden zwei Berliner Beratungsprojekte vorgestellt. 35 Die vorliegenden Zwischenberichte der wissenschaftlichen Begleitung zu den LAPs lassen nicht erwarten, dass der Endbericht etwas zu diesem Streitpunkt aussagen kann. Die bisher gewählte Gegenüberstellung Kommune und Zivilgesellschaft ist zu undifferenziert, um den Besonderheiten lokaler Leistungserbringung durch freie Träger im Rahmen der institutionellen Sub- sidiarität Rechnung zu tragen (vgl. ISS/Camino 2009: 20ff.). Je nach Ausrichtung und Angebotsstruktur können solche Träger entweder als quasi-staatliche Dienstleister, als Sozialunternehmen oder als zivilgesellschaftliche Akteure betrachtet werden. Zuweilen handelt es sich auch um hybride Organisationen, die Elemente aller drei Sektoren kombinieren. Ähnlich diffe- renziert wäre auch zu fassen, was in diesem Zusammenhang Kommune meint: die Kommunalverwaltung, das kommunale Vertretungsorgan und/oder die lokale Bürgerschaft. Seit die Direktwahl der Bürgermeister/innen aus dem deutschen Süden kommend auch von anderen Bundesländern eingeführt wurde, ist zudem der Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin als eige- nes Machtzentrum zu betrachten, wenn es um die lokale politische Agenda geht. 36 Im europäischen Vergleich können die Bundesprogramme – trotz aller Einschränkungen – als „gute Praxis“ gelten (vgl. Schel- lenberg 2009: 226). Zu den Einschränkungen zählt Schellenberg ihre Orientierung an befristeten Modellen, die nur wenig Aussicht auf Weiterführung und breite Umsetzung haben. Auffällig sei auch der Mangel an Koordination, Auswertung und Kontinuität in diesem Feld. Zudem erscheint Schellenberg der Fokus „Rechtsextremismus“ zu eng, um dem zugrunde lie- genden Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gerecht zu werden. Xenophobe und islamophobe Einstellungen gerieten deshalb eher an den Rand der Aufmerksamkeit (ebd.). DIE BUNDESPROGRAMME GEGEN RECHTSEXTREMISMUS 27

dings deutlich schwächer ausfallen dürften, so nen sinnvollen Rahmen für die professionelle sind einige Defi zite hervorzuheben, die auch die Bearbeitung eines anhaltenden Problems. Qualität der Programme beeinträchtigen: • Politik im „Blindfl ug“: Es fehlen bis heute • Es gibt bisher keinen ernsthaften Versuch auf kontinuierliche Lageanalysen und Versuche, Bundesebene, zu einem übergreifenden, inte- die Wirkungen der eigenen Anstrengungen grierten Konzept gegen Rechtsextremismus ernsthaft zu bilanzieren.37 Die jährlichen Ver- zu kommen. Vielmehr sind die Modellpro- fassungsschutzberichte können dies nicht er- gramme des Bundesministeriums für Familie, setzen, weil sie die Einstellungsebene ebenso Senioren, Frauen und Jugend Teil eines unko- vernachlässigen wie die alltäglichen Diskrimi- ordinierten Nebeneinanders von unterschied- nierungserfahrungen von Betroffenen – ganz lichen und unverbundenen Ressortpolitiken abgesehen von den für ein präzises Lagebild (Innenministerium, Arbeitsministerium, Bun- unzulänglichen Polizeistatistiken, die als zen- desministerium für Verkehr, Bau und Stadt- trale empirische Quelle genutzt werden. Eu- entwicklung; Bildungsministerium, Justiz- ropäische Institutionen und Netzwerke, wie ministerium, Bundeszentrale für politische die Europäische Kommission gegen Rassismus Bildung etc.), von repressiven und präventiven und Intoleranz (ECRI), die Europäische Stelle staatlichen sowie zivilgesellschaftlichen Stra- zur Beobachtung von Rassismus und Frem- tegien geblieben. Dies belegen auch die weni- denfeindlichkeit (EUMC) bzw. die Agentur der gen Überblicksversuche, wie die Antwort der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) Bundesregierung auf eine Große Anfrage von und das Europäische Netzwerk gegen Rassis- 2002 (Bundesregierung 2002), der Bericht ei- mus (ENAR) mahnen seit Jahren eine solide ner interministeriellen Koordinierungsgruppe Berichterstattung in den Bereichen Antisemi- unter Mitwirkung der Länder und der kommu- tismus, Rassismus und Diskriminierung an. nalen Spitzenverbände von 2007 (Koordinie- Symptomatisch ist der von zentralen Akteuren rungsgruppe 2007) und der Aktionsplan gegen dieses Feldes als völlig unzulänglich eingestuf- Rassismus von 2008 (BMI 2008) eindrucksvoll. te „Nationale Aktionsplan der Bundesrepublik Wir haben es mit Programmteilen, aber nicht Deutschland zur Bekämpfung von Rassismus, mit einem Programm zu tun, das strategischen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Ansprüchen genügen könnte. darauf bezogene Intoleranz“ (BMI 2008), mit • Die horizontale Zersplitterung wird durch die dem die Bundesrepublik im Oktober 2008 anhaltende Unsicherheit verstärkt, wie im ver- eine UN-Verpfl ichtung „erfüllte“ – allerdings tikalen Gefüge föderaler Zuständigkeiten die ohne eigene Lageanalyse, Programm oder politische Aufgabe der Rechtsextremismusprä- Handlungsverpfl ichtungen (vgl. Follmar-Otto/ vention sinnvoll zu ordnen wäre. Die offi zielle Cremer 2009).38 Philosophie von Modellprogrammen, wonach • Es fehlt nach wie vor an systematischen Ver- der Bund Projekte anschiebt und die Länder suchen, aus den Modellprogrammen für den Bewährtes übernehmen, mag zuweilen sogar Alltag von Regelinstitutionen zu lernen (z.B. gegriffen haben, aber sie bietet auf Dauer kei- obligatorische kommunale Kinder- und Ju-

37 Diesen Mangel können die verdienstvollen empirischen Studien von Stiftungen wie der Friedrich-Ebert-Stiftung oder die wesentlich von der Freudenberg Stiftung fi nanzierten „Deutschen Zustände“ nicht beheben. Im politischen Tagesgeschäft werden „externe“ wissenschaftliche Lageanalysen immer wieder abgewehrt und abgewertet. Die Erfahrungen mit den The- men Jugend, Armut oder bürgerschaftliches Engagement machen deutlich, wie hilfreich möglichst unabhängig erstellte, aber „auto risierte“ kontinuierliche Lageberichte des Bundes sein können. 38 Immerhin weist der „Nationale Aktionsplan“ vier Säulen aus, die eine Ausarbeitung verdienten: Menschenrechtspolitik sowie Menschenrechtserziehung, Unterstützung der Zivilgesellschaft und Stärkung der Zivilcourage, Förderung der Integration von Migrantinnen und Migranten sowie Maßnahmen, die auf die Täter und deren Umfeld zielen. 28 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

gendbeteiligung oder demokratische Schul- sätzen gehören das kommunale Wahlrecht kultur). Solche Transferperspektiven wurden für Zugewanderte aus „Drittstaaten“ und die lediglich im XENOS-Programm des Bundesmi- Verankerung der Kinderrechte im Grund- nisteriums für Arbeit und Sozialordnung am gesetz. Mit Begriffen wie „Bürgerkommune“ Ende der ersten Förderphase mit einiger Ener- oder „Bürgerdemokratie“ wird ein demokrati- gie betrieben. scher Erneuerungsbedarf signalisiert, der noch • „Projektitis“: Die anhaltende, meist jährliche weitgehend ohne konzeptionelle Antwort ge- Befristung der Maßnahmen wurde und wird blieben ist. Immerhin haben einige Kommu- von vielen Engagierten als permanente Gefähr- nen partizipatorische Haushalte erprobt. Die dung von guten Praxisansätzen, Kompetenzen negativ wie positiv aufgestauten Beteiligungs- der Beschäftigten und des Vertrauens der An- und Demokratieansprüche verdienen eigene gesprochenen erlebt – und teilweise durch de- Anstrengungen auch auf Länderebene. Lokale gressive Finanzierungsvorgaben noch gestei- und regionale Demokratie-Audits, wie sie seit gert. Die Distanz zu den Regelangeboten wird Jahren in anderen Ländern (in der Bundesre- dadurch noch befestigt. Seit 2006 gibt es mit publik bisher nur in einigen Kommunen) üb- der Entfristung der Programme zwar so etwas lich sind, könnten weiterhelfen.39 Eine solche wie die Anerkennung einer Daueraufgabe, dies Demokratie-Initiative, die sich darum küm- hat aber die projektorientierte Finanzierung mert, wie Vielfalt, Toleranz und Menschen- und Abwicklung in den Bundesprogrammen rechte im demokratischen Alltag systematisch nicht ausgehebelt. Sie begünstigt automatisch gestärkt werden können, dürfte gegenwärtig größere Akteure, die in der Lage sind, sich auf den größten gemeinsamen Nenner aller Pro- die jeweiligen Förderbedingungen fl exibel ein- grammakteure, aber auch weit darüber hinaus zustellen und Unwägbarkeiten fi nanziell und bilden.40 personell abzufedern. Dies kann durchaus zur Qualitätssteigerung führen, aber kleinere zivil- Kontroversen um die Weiterführung der gesellschaftliche Akteure haben keine realisti- Bundesprogramme sche Chance. • Die positiven demokratischen Impulse der Die aktuelle Debattenlage über die Weiterfüh- Programme und der gesamten Debatte über rung der Bundesprogramme ist widersprüchlich. Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemi- Einerseits scheint es zunächst gelungen, die als tismus, Fremdenfeindlichkeit sind bislang thematische Erweiterung (Linksextremismus, is- nicht konzeptionell aufgegriffen worden. Si- lamischer Fundamentalismus) angekündigte Um- cher fehlt es in der Auseinandersetzung mit widmung der Bundesprogramme zu vermeiden. Rechtsextremismus nicht an positiven, kon- Mit dem Rückgriff auf die „Extremismus-Formel“, sensfähigen Formeln für eine gestärkte Demo- die bereits die Debatten der letzten Jahre begleitet kratie. Die Betonung liegt dabei zunehmend hat, drohen andererseits neue Weichenstellun- auf „gelebter“, „erfahrener“ und „alltäglicher gen, die sich auf die bisherige Ausrichtung der Demokratie“. Es brauchte allerdings mutige Programme in folgenden Dimensionen auswir- Schritte, um den Abstand zwischen solchen ken könnten: demokratischen Idealen und politischen All- tagserfahrungen zu verringern und dabei die • Politische Instrumentalisierung demokratische Qualität in allen Lebensberei- Die Fokussierung auf Rechtsextremismus war chen zu verbessern. Zu den vielfältigen An- im „bürgerlichen Lager“ stets umstritten, der

39 Diese Praxis wurde in jüngerer Zeit u. a. vom International Institute for Democracy and Electoral Assistance (IDEA) befördert – vgl. http://www.idea.int. 40 Es könnte allerdings sein, dass solche weitreichenden Ansprüche weit jenseits des Möglichkeitshorizonts von Modellprogram- men liegen. DIE BUNDESPROGRAMME GEGEN RECHTSEXTREMISMUS 29

notwendige Kampf gegen alle Formen von • Problemmarginalisierung Extremismus wurde immer wieder betont. Die „Extremismus-Formel“ wurde immer wie- Die Zweifel an der wissenschaftlichen Vali- der dazu genutzt, unerwünschte Erscheinun- dität und den Erträgen der „Extremismus- gen als soziale Probleme an die „Ränder“ einer forschung“ sind in den letzten Jahren nicht ansonsten „gesunden Mitte der Gesellschaft“ geringer geworden. Es dominiert ihr politisch- zu verlagern. Gerade die pädagogische Arbeit ideologischer Gebrauchswert, der im Wesentli- gegen Rechtsextremismus geht – in Überein- chen in der Selbstvergewisserung einer „politi- stimmung mit den meisten Einstellungsunter- schen Mitte“ besteht, in der großes Gedränge suchungen – in der Regel vom Gegenteil aus. herrscht. Ob es Sinn macht und möglich ist, Bestimmte fremdenfeindliche, rassistische und die vielfältigen Erscheinungsformen, die mit andere vorurteilsgeladene bzw. diskriminie- dem Extremismusbegriff erfasst werden, in ei- rende Haltungen gehören vielfach zur Nor- nem gemeinsamen Bundesprogramm zu bear- malität in der Mitte der Gesellschaft. Gerade beiten, scheint auch für deren Protagonisten hier gilt es anzusetzen, wenn sich solche Ein- offen.41 stellungen nicht zu rechtsextremen Weltbil- dern verdichten und radikalisieren sollen. • Autoritäre Rückbildung und „Verstaatlichung“ der Zivilgesellschaft • Realitätsverfehlung „Demokratie stärken“ gehört zu den Konsens- Mit der Extremismus-Perspektive deutet sich formeln der Bundesprogramme und darüber eine Realitätsverleugnung an, die nicht nur hinaus. Dass sich dahinter sehr unterschiedli- die Unterschiede zwischen den „Extremis- che Demokratievorstellungen verbergen, dürf- men“ einebnet, sondern einen Phantom- te mit der Extremismus-Debatte deutlicher schmerz kurieren will. Dies gilt besonders für zutage treten. Mit ihrer zivilgesellschaftlichen die am meisten von rechtsextremen Aktivi- Orientierung knüpften die Bundesprogram- täten heimgesuchten ländlichen Regionen. me an die Vision einer „starken Demokratie“ Wer die angewachsene Konfrontationsgewalt an, in der eine lebendige Zivilgesellschaft ih- zwischen rechtsextremen und eher linken ren eigenen „Verfassungsschutz“ betreibt und Gruppierungen in überwiegend urbanen Kon- rechtsextreme Fehlentwicklungen mit staat- texten verstehen will, darf über die Mängel in licher Unterstützung korrigiert. Die Protago- der staatlichen Rechtsextremismusbekämp- nisten der Extremismus-Formel stehen dage- fung nicht schweigen. gen für eine etatistisch verkürzte, „schlanke“ Demokratie, in der sich die gewählten politi- schen Eliten vor demokratisch unzuverlässi- 3.2 Weiterreichende Perspektiven für gen Bürgerinnen und Bürgern durch repressi- die Bundesprogramme ve Institutionen und Praktiken schützen. Die staatsanwaltlichen und politischen Auseinan- Eckpunkte zur Ausgestaltung künftiger dersetzungen um die Dresdner Blockade-Auf- Programme rufe gegen den Aufmarsch der Neonazis am 13. Februar 2010 oder die erfolgreiche Berliner Diese Bewertung der zivilgesellschaftlichen Pro- Sitzblockade am 1. Mai 2010 verdeutlichen gramme gegen Rechtsextremismus und ihrer das Aufeinanderprallen dieser gegensätzlichen allmählichen „Verstaatlichung“ hat mindestens Demokratievorstellungen. zwei Konsequenzen: Ein schlichtes „Weiter so“

41 Dies ist der Tenor der Bundestagsdebatte vom 9.2.2010 (BT-Protokoll S.1820ff.) über die Weiterführung der Programme. Selbst die bayerische Landesregierung, die sehr nachdrücklich auf Extremismusbekämpfung setzt, hat bislang lediglich ein Hand- lungskonzept gegen Rechtsextremismus vorlegen können. 30 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

ist auf Dauer wenig hilfreich. Ein Verzicht auf die tremismus zu sensibilisieren und als Partner/in- öffentliche Unterstützung von Initiativen, die auf nen für zivilgesellschaftliche Gegenstrategien zu eine demokratische, an Zivilität orientierte Repa- gewinnen. Gezielte Anreize durch die staatliche ratur der Zivilgesellschaft zielen, wäre fahrlässig. Förderpolitik können dabei hilfreich sein. Die Die Rückkehr zu einer vor allem staatlich-repres- organisierte Zivilgesellschaft wird in beträchtli- siven Rechtsextremismusbekämpfung dürfte sich cher Höhe durch öffentliche Mittel unterstützt. rasch als unzulänglich erweisen. Einerseits muss Warum nutzen Bund, Länder und Kommunen der Kampf gegen den Rechtsextremismus un- diese Mittel bislang kaum, um sie mit zusätzli- bedingt auch mit zivilgesellschaftlichen Mitteln chen Anregungen und Anreizen zu verbinden, geführt werden und dafür den zivilgesellschaft- sich in die Auseinandersetzung mit Rechtsex- lichen Akteuren langfristig eine unterstützende tremismus einzubringen – etwa durch Qualifi zie- Infrastruktur zur Seite gestellt werden. Anderer- rungsangebote für Trainer/innen oder durch die seits aber können solche Programme alleine ange- Öffnung der Vereine für Migrant/innen? sichts des Problemdrucks keine Erfolgsgeschichte Die Modellprogramme des Bundes haben werden, so dass eine bloße Fortschreibung von staatliche Institutionen in der Regel nicht als Modellprogrammen für sich genommen keine Problemstifter, sondern – wenn überhaupt – als hinreichende Perspektive bietet. Hält man an Beitrag zur Lösung in den Blick genommen. Dies dem Ziel fest, dass der Rechtsextremismus durch verkennt nicht nur das Gewicht des „institutio- politische Maßnahmen und Überzeugungspro- nellen Rassismus“, d.h. der diskriminierenden, gramme eingedämmt werden soll, bedarf es kom- oft gesetzlich gestützten Praktiken von Behör- plexerer Politikansätze. den im Umgang mit nichtdeutschen Einwoh- Es ist zu wünschen, dass von der aktuellen ner/innen und „Menschen mit ungesichertem Programmphase stärkere Impulse in Richtung Aufenthaltsstatus“. Kommunen, die der Integra- eines institutionellen Wandels ausgehen. Dies tionspolitik einen zentralen Stellenwert beimes- gilt sowohl für das normative Gerüst („Zivilität“) sen, gehen deshalb daran, die interkulturellen schwacher Zivilgesellschaften wie für die staatli- Kompetenzen ihrer Beschäftigten zu fördern, chen Einrichtungen und wirtschaftlichen Orga- verstärkt Menschen mit Migrationshintergrund nisationen,42 die wesentliche Lern- und Praxis- einzustellen und ihre Ausländerbehörden „kun- felder politischer Alltagssozialisation darstellen. denfreundlich“ umzugestalten. Auf Dauer sind gute Modelle nicht genug. Wichtig ist auch die Sensibilisierung der Zivilgesellschaftliche Strategien gegen Polizei. Opferberatungsstellen beklagen häufi g, Rechtsextremismus sollten stärker als bisher die dass Opfer rechtsextremer Gewalt gar nicht erst etablierten Strukturen und Organisationen der zur Polizei gehen oder sogar bei der Polizei er- Zivilgesellschaft einbinden. So sind z.B. Sport- neut diskriminiert und durch den Polizeibesuch vereine, Feuerwehren, Gesangsvereine wichtige nur ein weiteres Mal zum Opfer werden. Orte, wo sich Zivilgesellschaft bildet und ent- Die Einbindung staatlicher Stellen und öf- faltet. Einige Vereine und Jugendverbände, wie fentlicher Einrichtungen ist von grundsätzlicher die Deutsche Sportjugend, die Landjugend und Bedeutung, bilden sie doch einen entscheiden- die Feuerwehrjugend (vgl. dsj 2009; Simon et al. den Kontext für die Entfaltung von Zivilgesell- 2009) bieten bereits refl ektierte Programme, in de- schaft. Sie sind wichtige Verhinderer oder aber nen sie betonen, wie wichtig und aussichtsreich (unfreiwillige) Verstärker bei der Herausbildung es ist, die Multiplikator/innen der organisierten rechtsextremer Szenen. So gibt es etwa wichtige Zivilgesellschaft für das Problem des Rechtsex- Einsichten über die Verbreitung von Rechtsex-

42 Hinweise zu den Möglichkeiten des wirtschaftlichen Engagements fi nden sich im entsprechenden Abschnitt des Projekteteils (siehe Kapitel 4).

DIE BUNDESPROGRAMME GEGEN RECHTSEXTREMISMUS 31

tremismus in Schulen, die u.a. zeigen, dass es an deren Opfer der Fall ist. Im Rahmen eines Xenos- den Schulen, die eine ausgeprägt demokratische Sonderprogramms „Ausstieg zum Einstieg“ un- Schulkultur haben, weitaus weniger rechtsextrem terstützt das Bundesministerium für Arbeit und So- eingestellte Jugendliche gibt (vgl. Hormel/Scherr ziales mit einer Gesamtsumme von 7 Mio. Euro im 2004). Eine Schlüsselfunktion könnten auch Zeitraum von 2009–2013 insgesamt 18 Initiativen die kommunalen Spitzenverbände einnehmen, und Vereine, die den Ausstieg junger Menschen indem sie etwa einschlägige Weiterbildungsan- aus der rechten Szene fördern und neue Ideen gebote für Bürgermeister/innen und Gemeinde- entwickeln, wie dieser Ausstieg mit dem Einstieg rät/innen anbieten, welche rechtlichen und in Arbeit verknüpft werden kann. Ein solches administrativen Mittel sie gegen rechtsextreme Sonderprogramm ist prinzipiell zu begrüßen, Umtriebe aufbieten können. doch sollte auch die Opferberatung und -hilfe Trotz der anhaltenden Konjunktur des The- eine entsprechende Unterstützung erfahren. mas Familie fehlt weitgehend die Auseinander- Die Unterstützung von Initiativen gegen setzung damit, dass Familien bei der Erziehung Rechtsextremismus – etwa durch kleinere und zu Toleranz und sozialer Kompetenz sowie bei mittlere Unternehmen, die Kammern, den ört- der Bildung ziviler und demokratischer Orientie- lichen Mittelstand usw. – ist noch völlig unter- rungen bei Jugendlichen eine zentrale Bedeutung entwickelt, auch wenn im Kontext von Xenos und große Verantwortung haben (vgl. Oepke einige Erfahrungen gesammelt und gute Beispie- 2007). Es gibt noch immer wenig Hilfsangebote le entwickelt werden konnten. Die Einfl ussmög- für Eltern, deren Kinder in die rechtsextreme Sze- lichkeiten von Arbeitgeber/innen auf ein ziviles ne abdriften, wenig Sensibilisierungs- und Prä- Anforderungsprofi l ihrer Belegschaften, die Mit- ventionsangebote. Studien belegen außerdem, wirkung in örtlichen Initiativen, die bewusste Be- dass bei rechtsextremen Gewalttäter/innen sich schäftigung von Migrant/innen können wichtige häufi g schon früh Störungen im Sozialverhalten Handlungsfelder sein, gilt doch Erwerbsarbeit – zeigen (vgl. Wahl 1999), die aufmerksame, auf- neben Bildung – als die wichtigste gesellschaft- geklärte Eltern, unterstützt durch kompetente liche Integrationsquelle. Diversity Management, Erziehungsberatungsstellen, identifi zieren und Gender Mainstreaming, Corporate Social Respon- bearbeiten könnten. sibility und andere Konzepte werden zwar breit Mit dem AgAG-Programm setzte ein proble- debattiert und in den Xenos-Projekten ist auch matischer Umgang mit Tätern und Opfern ein, eine beachtliche Kreativität sichtbar geworden, dessen dominante Täterfi xierung bis heute an- aber viele Unternehmen zögern, stärkere Verant- hält. Das Interesse an den Tätern und die Sorge wortung für die Verfassung der Zivilgesellschaft für die Täter erscheint erheblich größer als es für zu übernehmen.

EINSCHÄTZUNG ZUM STATUS DER MODELLPROGRAMME

Peter Rieker, im Deutschen Jugendinstitut (DJI) für die Gesamtevaluation der Programme verantwortlich, kommt zu einem eingeschränkt positiven Fazit der Leistungen der Bundesprogramme. Sie böten „ein Experimentierfeld zur Entwicklung neuer Ansätze und zur Übertragung existierender Ansätze auf andere Kontexte und Arbeitsfelder. Sie haben damit die unverzichtbare Funktion, innovative Entwicklungen zu fördern sowie die im Programmkontext gesammelten Erfahrungen hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Ansätze zu dokumentieren“ (Rieker 2009: 178). Drängende Zukunftsfragen wie die Gestaltung des Zusammenlebens in der Einwanderungsgesellschaft, der Umgang mit Vielfalt können so allerdings nicht bearbeitet werden: „Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen muss an zentralen gesell- schaftlichen Orten geführt werden und die Ergebnisse dieser Diskussionen müssen in den verbindlichen Curricula sowie im Pfl ichtprogramm von Aus-, Fort- und Weiterbildung Berücksichtigung fi nden“ (Rieker 2009: 178). Modellprogramme seien hierfür ungeeignet. 32 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Ruhige professionelle Kleinarbeit wird nicht noch in den Anfängen. Besonders im Bereich der genügen, selbst wenn entsprechende Wahlergeb- Primärprävention (siehe Info-Kasten Prävention) nisse oder Skandale und Gewaltakte gelegentlich gibt es größere Überschneidungen zwischen den Rückenwind verschaffen. Nicht zuletzt dürfte die verschiedenen Präventionsformen. Einige ver- Nachhaltigkeit von Projekten und Maßnahmen dienen besondere Beachtung: davon abhängen, ob das Thema Rechtsradika- • Förderung von Selbsttätigkeit, Kompetenz- lismus einen Weg aus der politischen Nischen- bewusstsein, Partizipation und Selbstwirksam- und Randständigkeit fi ndet. Als gelegentlich keitserfahrungen gelten sowohl in der Gesund- heroischer „Kampf gegen Rechts“ und ambitio- heitsförderung als auch in der Rechtsextremis- nierte Modellpraxis allein kann dies kaum ge- musbekämpfung als wichtige Erfolgsbedingun- lingen, aber vielleicht als Engagement für eine gen in der Primär- und Sekundärprävention. angemessene öffentliche Infrastruktur, für mehr Selbstorganisation, zivilgesellschaftliche Zu- Demokratie und Toleranz gerade auch in jenen sammenschlüsse, Selbsthilfe und soziale Bewe- Institutionen, die unser Alltagsleben prägen und gungen gelten in beiden Feldern als wichtige damit als Lernprogramm für die nachwachsende Erfolgsfaktoren. Generation wirken. • Partizipativen, auf Freiwilligkeit beruhenden Ansätzen gebührt der Vorrang vor verpfl ich- Anregungen für eine neue Runde in der tenden oder gar repressiven Maßnahmen. In Qualitätsdebatte der Präventionspraxis selbst sollten bereits die positiven Ziele der Programme (demokratische Wissenschaftlich unterstützte Fachdebatten, Kultur, soziale Anerkennung, Mitbestimmung Qualitätssicherung, z.B. durch Qualitätsdialoge, etc.) erfahrbar werden. und partizipative Formen der Evaluation ermög- • Längerfristigen und begleitenden Formaten lichen eine „lernende“ Programmentwicklung, gebührt der Vorrang, wenn es nicht nur um die auf Erfahrungen mit den verschiedenen For- Informationen und Anregungen, sondern um maten wie auf veränderte Kontexte zu reagieren individuelle Einstellungsveränderungen und in der Lage ist. Diese Formen der Qualitätssiche- praktische Handlungsalternativen geht. Auf rung sind im Kontext der Bundesprogramme solche offenen, nachfrageorientierten Zeitper- bislang zu wenig genutzt worden.43 Das Instru- spektiven kommt es besonders an, wenn es mentarium ist aus anderen Evaluationsbereichen um demokratische Zugewinne in der lokalen bekannt, sein Einsatz scheint entweder am Auf- und regionalen politischen Kultur geht. wand oder am Kontrollinteresse zu scheitern. • Komplexe, mehrere Präventionsebenen und Wichtig ist es, dabei den Prozessnutzen von Eva- -formate kombinierende Strategien sind aus- luationen (z.B. die erhöhte Aufmerksamkeit für sichtsreicher als Präventionsprogramme, die bestimmte Aspekte in der praktischen Arbeit – nur auf einen bestimmten Interventionstypus vgl. Patton 1998) auf die Ziele von Programmen setzen. Erfolg versprechend sind passgenaue, abzustimmen. verhaltens- und kontextorientierte Angebote Auch wenn sich bestimmte Standards aus der und Formate, die auf die jeweiligen Zielgrup- Präventionsforschung (z.B. Blindversuche und pen, institutionellen Kontexte und Lebens- Kontrollgruppendesigns) nicht einfach auf die bereiche zugeschnitten sind. Evaluation von Programmen gegen Rechtsextre- Die Erfahrungen aus zehn Jahren Modellpro- mismus übertragen lassen, steckt die kontextsen- grammen verdienen eine intensive sekundäre sible Entwicklung von Evaluationsinstrumenten Aufbereitung. Hilfreich wäre zum einen eine und Qualitätsstandards in diesem Handlungsfeld Meta-Evaluation, die zusätzlich die internatio-

43 Vielmehr dominiert oft eine formelhafte Antragstellung und Berichterstattung, die mit Hilfe von abstrakten, aber elaborierten Zielhierarchien Qualität eher suggeriert als erzielt. Eine Folge ist, dass sich gelegentlich die Ergebnisberichte von LAP-Projekten nicht von den Anträgen unterscheiden lassen. DIE BUNDESPROGRAMME GEGEN RECHTSEXTREMISMUS 33

nalen Erfahrungen in der Bekämpfung von setzung mit dem Bewegungscharakter des Na- Rechtsextremismus aufarbeitet und zu Hand- tionalsozialismus vor 1933 und die Bedeutung lungs empfehlungen verdichtet. Zum anderen zivilgesellschaftlicher Einrichtungen und Verei- soll ten gezielt Transferperspektiven für die Re- nigungen für die Ausbreitung bzw. Eindämmung gelbereiche (Kindergarten, Schule, Ausbildung, dieser Bewegung sein – natürlich stets eingedenk of fene Jugendarbeit, Kommunalverwaltung etc.) der Binsenweisheit, dass sich Geschichte nicht ausgearbeitet werden, um die Ergebnisse gelun- wiederholt. gener Projektarbeit zu sichern und sie institu- Es herrscht heute Einigkeit darüber, dass man tionellen Akteuren zugänglich zu machen. die Qualität des Engagements gegen Rechtsextre- Insgesamt fällt auf, dass die Chancen der mismus nicht allein an einer abnehmenden Zahl Begleitforschung weniger in einer kritisch-selbst- entsprechender Straf- und Gewalttaten oder an kritischen Bilanz der gemachten Erfahrungen ausbleibendem Wahlerfolg rechtsextremer Par- gesehen werden als in Hochglanz-Erfolgsge- teien ablesen kann – auch wenn diese Faktoren schichten. Gerade weil die Auseinandersetzung (neben anderen) sehr wohl Ausdruck dafür sein mit aktuellen Formen des Rechtsextremismus können, dass Projekte und Maßnahmen gegen ein solch hoch emotionalisiertes und moralisch Rechtsextremismus ihre gewünschte Wirkung aufgeladenes, mit zahlreichen politischen Fall- entfalten. Unklar ist hingegen nach wie vor, stricken bestücktes Aktionsfeld darstellt, fallen anhand welcher Kriterien man Erfolge in dieser nüchterne Betrachtungen von Wirkungen und Arbeit messen kann. Es gibt zwar mittlerweile Nebenwirkungen so schwer. in Deutschland einen großen Erfahrungsschatz Nachteilig scheint zudem, dass die Evalua- in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsex- tionsbestände ausländischer Programme gegen tremismus – insbesondere seit Einführung der Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemi- Bundesprogramme unter der rot-grünen Bundes- tismus, wenn überhaupt, nur selektiv rezipiert regierung. Es fehlt aber an verallgemeinerbaren worden sind. Erkenntnissen über externe und interne Erfolgs- Der infl ationäre Gebrauch der Vorsilbe faktoren.44 „neo“ dürfte dazu beigetragen haben, dass die Das Interesse an solchen Qualitätskriterien gerade in jüngster Zeit beachtlichen Erträge der hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen. historischen Faschismusforschung bislang zu we- In einzelnen Handlungsfeldern (institutionelle nig Eingang in die Auseinandersetzung mit dem Beratung und Opferberatung) existieren bereits aktuellen Rechtsextremismus fanden, obwohl lokale und regionale Qualitätszirkel, -handbü- gerade in Deutschland rechtsradikale Mobili- cher und -kataloge. Besondere Beachtung verdie- sierungen ohne einen revisionistischen Bezug nen dabei Bewertungen und Vorschläge, die aus auf Hitler-Deutschland schwer vorstellbar sind. internationalen Vergleichen gewonnen wurden Dass zudem der historischen Gedankenwelt des (vgl. Art 2007; Bleich 2007; Bertelsmann 2009). Nationalsozialismus kaum neue Elemente hin- Ihre verallgemeinernde Zusammenschau und zugefügt, sondern allenfalls die verschiedenen Bewertung steht jedoch aus. Strömungen der Konservativen Revolution und der NS-Bewegung nachgespielt werden, macht „There is no single and immediate measure dieses verbreitete Desinteresse an der histori- that could do away with the societal and political schen Forschung noch unverständlicher. Von threat originating from the radical right” besonderem Interesse dürfte die Auseinander- (Kösemen 2009: 556)

44 Dirk Wilking, seit vielen Jahren in der Mobilen Beratung Brandenburgs tätig, kommt für die ländlichen Regionen zu dem Ergebnis: „Einheitliche Rezepte gibt es derzeit nicht, auch ein Methodenbuch scheint mir noch in weiter Ferne […] Wir müs- sen noch viel entwickeln“ (Wilking 2009: 24). 34 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

4

Gute Praxis bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus: Beispiele aus den Handlungsfeldern Staat, Zivilgesellschaft, Wirtschaft GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 35

4 Gute Praxis bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus: Beispiele aus den Handlungsfeldern Staat, Zivilgesellschaft, Wirtschaft

Untersuchungskonzeption ternselbsthilfe (Stadtteilmütter, Eltern-AG etc.) mit dem Ziel einer demokratischen Erziehung, Parallel zu den vielfältigen Erklärungsansätzen die soziale Kompetenzen und Anerkennung und Untersuchungsebenen hat sich eine breite mit Toleranz, dem Abbau von Vorurteilen und Palette von Interventionsformen entwickelt, die prosozialem Verhalten verbindet.47 In der Kri- von Informations-, Erziehungs- und Bildungs- minalprävention richten sich polizeiliche „Ge- initiativen bis zu breiter angelegten staatlichen fährderansprachen“ nicht zuletzt an die Eltern Programmen reichen, wie sie bereits vorgestellt von Jugendlichen, die zur rechtsextremen Szene wurden. Es fällt nicht leicht, die Vielfalt der Pro- gezählt werden. Im Bereich Rechtsextremismus jekte und Interventionsformen übersichtlich gibt es zudem Beratungsangebote für und Selbst- und inhaltlich angemessen zu sortieren. Nach- hilfegruppen von Eltern, deren Kinder in die folgend wird ein gängiges Dreisektorenmodell rechtsextreme Szene abgedriftet sind. gewählt, das zwischen Staat, Wirtschaft und Zi- Schließlich verdiente noch die Sphäre der vilgesellschaft unterscheidet. Die Akteure im je- Öffentlichkeit besondere Aufmerksamkeit, die weiligen Handlungsfeld unterliegen dabei den mit einer eigenen Infrastruktur (Versammlungen, unterschiedlichen Funktionserfordernissen und Veranstaltungen, alte und neue Medien etc.) zwi- Handlungsimperativen dieser Bereiche. Die da- schen den Sektoren vermittelt, eigene öffentliche mit verbundenen zentralen Fragen lauten:45 Räume markiert, die Wahrnehmung und Kritik • Was leisten Akteure aus Staat, Wirtschaft und von Entwicklungen in den verschiedenen Ge- Zivilgesellschaft in der Auseinandersetzung sellschaftsbereichen ermöglicht und schließlich mit Rechtsextremismus? an der Erzeugung der „öffentlichen Meinung“ • Welche besonderen Handlungsbedingungen mitwirkt. Dass den klassischen Medien (von der gelten in den jeweiligen Sektoren für das The- Tagespresse bis zum Fernsehen) für die Wahrneh- menfeld Rechtsextremismus? mung und Bearbeitung sozialer Probleme eine • Welche Gelingensfaktoren lassen sich für gute wichtige Rolle zukommt, ist gerade für das The- Arbeit in den jeweiligen Sektoren identifi zie- menfeld Rechtsextremismus häufi g betont wor- ren? den. Über die besonderen Fallstricke im media- Eigentlich gehörte analytisch noch ein vier- len Umgang mit Rechtsextremismus ist häufi ger ter Bereich dazu, nämlich die Gemeinschaften nachgedacht worden (vgl. Schellenberg 2005). bzw. Familien.46 Familien sind auch in der all- Engagierte Journalist/innen haben entscheidend gemeinen Präventionspolitik zu einem wich- dazu beigetragen, aktuelle Entwicklungen sicht- tigen Fokus öffentlichen Handelns geworden. bar zu machen, zu skandalieren und auf öffent- Zu den Aktionsfeldern gehören die präventive liche Debatten zu drängen. Gleichzeitig leidet Erziehungsberatung und neue Modelle der El- auch die Medienberichterstattung über rechts-

45 Es versteht sich von selbst, dass eine begrenzte Auswahl von gelungenen Beispielen hierauf keine belastbaren Antworten geben kann. Es geht um Anregungen für einen weiteren Wachstumsring in der Qualitätsdebatte. 46 Sozialpolitisch orientierte Analysen dieses Viersektorenmodells bietet der Sammelband von Evers/Olk 1996. 47 In Irland sind z.B. „Family Resource Centres” in die lokale Integrations- und Antirassismuspolitik einbezogen – vgl. Lynam 2007. Dies ist der deutschen Modellförderung für Mehrgenerationenhäuser und den lokalen Bündnissen für Familien bislang nicht bekannt. 36 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

extreme Vorfälle unter den bekannten Struktur- • Hybride Organisationen problemen des Mediensektors (Konzentration Um bei dem Beispiel Parteien zu bleiben: Sie auf spektakuläre Ereignisse, geringe Tiefenschär- können als Organisationsformen betrachtet fe in der Berichterstattung etc.). Unterhalb dieser werden, die in unterschiedlichen Mischungen etablierten Öffentlichkeitssphäre hat sich längst zivilgesellschaftliche und staatliche Logiken ein wenig übersichtliches Feld digitaler Kom- miteinander kombinieren und in schwächerer munikation ausgebreitet, das auch intensiv von Form auch als Wirtschaftsunternehmen auf- Rechtsextremen genutzt wird (Internetseiten, treten. Als freiwillige Mitgliedsorganisationen Handykommunikation, YouTube, Schüler VZ, gehören sie zum zivilgesellschaftlichen Asso- Twitter etc.) und u. a. zu Debatten über die Sper- ziationswesen. Als Zusammenschlüsse, die rung entsprechender Seiten geführt hat.48 Personal für Funktionen in Regierungen und Wie jedes Ordnungsmodell hat auch die im öffentlichen Dienst stellen, unterliegen sie Unterscheidung von Markt, Staat und Zivilgesell- stärker staatlichen Imperativen, zumal als Par- schaft offensichtliche Unschärfen und Schwä- teien in der Regierung. chen. Es trennt zuweilen analytisch Dinge, die eigentlich zusammengehören. Einige dieser Pro- Nachfolgend soll die dominante Logik als Zu- blemzonen seien vorab benannt: ordnungsmerkmal für die präsentierten Projekte gewählt werden, ohne Überschneidungen mit • Intersektorale Kooperation anderen Bereichen zu ignorieren. Häufi g wirken heute Akteure aus mehreren Bereichen zusammen. Das bekannteste Beispiel Zur Auswahl der Beispiele dürfte die staatliche Förderung zivilgesellschaft- licher Aktivitäten sein, wie sie im Zentrum der Nachfolgend werden einige gute Beispiele aus rot-grünen Bundesprogramme stand. drei Handlungsfeldern präsentiert.49 Bei dieser notwendig begrenzten und hoch selektiven Aus- • Hybride Praxisformen wahl ging es um folgende Gesichtspunkte: Oft treffen wir auf Aktivitäten, die Handlungs- • thematische und regionale Vielfalt, logiken aus verschiedenen Sektoren kombi- • eine Mischung von prominenten und weithin nieren. Ein typisches Beispiel ist das Medien- unbekannten Beispielen, imperium des politischen Unternehmers und • um exemplarische Versuche, im Rahmen der Verlegers Gerhard Frey, der zwischen 1971 jeweiligen berufl ichen und bürgerschaftlichen und 2009 die rechtsextreme Partei „Deutsche Möglichkeiten zur Überwindung, zumindest Volksunion“ führte. Er blieb der zentrale Fi- aber zur Eindämmung von Rechtsextremis- nanzier der bei ihm schließlich hoch verschul- mus beizutragen und deten Partei, die gleichzeitig als wichtiger • um die Aufhellung von Interventionsberei- Werbeträger und Vertriebsweg für seine Druck- chen, die bislang weniger Beachtung gefunden erzeugnisse anzusehen ist. haben.

48 Erste Informationen zu diesem Themenfeld bietet die Netzseite der Bundeszentrale für politische Bildung „Rechtsextreme und Medien“ (www.bpb.de/themen/TIFY6W.html). 49 Mit schlechten Beispielen ließen sich Bände füllen. Sie reichen etwa im polizeilichen Bereich von der Weigerung, bei rechtsex- tremen Übergriffen überhaupt tätig zu werden, der Vernachlässigung aller Hinweise auf den rechtsextremen Hintergrund einer Tat bis hin zur Verfolgung der Opfer und der duldsamen „Nachsicht“ gegenüber den Täter/innen. Die Veröffentlichungen der Opferberatungen sind prall gefüllt mit Beispielen polizeilichen und richterlichen Fehlverhaltens (vgl. etwa die aktuelle Ausga- be Nr. 29 vom Frühjahr 2010 der „Informationen der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt“ aus Sachsen-Anhalt). Vor einigen Jahren wurde in Brandenburg zu einer ungewöhnlichen Tagung mit dem Titel „Gegen die Wand – Zum pädagogischen Scheitern zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ eingeladen. Leider ist der Tagungsband nie erschienen, denn die Beteiligten hatten durchaus den Eindruck, von den Negativbeispielen mehr für ihre alltägliche Arbeit lernen zu können als von den vielen „best practice“-Berichten. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 37

Gute Beispiele sind nicht mit „best practice“ lichen Darstellungen zu überprüfen. Einige der zu verwechseln. Projekte und Ansätze als solche Projektorte konnten auch besucht werden oder auszuzeichnen, würde umfangreiche verglei- waren aus anderen Arbeitszusammenhängen be- chende Studien voraussetzen, die zugleich die kannt. jeweiligen Wirkungen, aber auch die Erfolgs- und Transferbedingungen in den Blick nehmen. Auf sie kann diese Expertise nicht zurückgrei- 4.1 Handlungsfeld Staat fen. „Gute Praxis“ bedeutet auch nicht, dass die Beispiele zur uneingeschränkten Nachahmung Der Staat als zentraler Akteur bei der empfohlen werden – selbst wenn dies möglich Bekämpfung von Rechtsextremismus wäre. Es handelt sich zum einen um Antwor- ten auf spezifi sche lokale und regionale Lagen. In der Auseinandersetzung mit der extremen Ob sie an anderen Orten taugen, wäre erst noch Rechten spielt staatliche Politik stets eine ge- zu klären. Zum anderen loten einige der ausge- wichtige Rolle. Das Spektrum reicht von gesetz- wählten Beispiele die Möglichkeiten ihres Fel- geberischen und repressiven Maßnahmen über des in einer Weise aus, die an individuelle und verschiedene Formen der Prävention bis hin zu konzeptionelle Grenzen führt. So viel Courage einer Rahmenpolitik, die auf die Stärkung von und Leidenschaft lassen sich nicht konzeptionell Demokratie, Toleranz und Vielfalt gerichtet ist. einplanen. Zentrale Akteure der ausgewählten Die Veränderung von gesellschaftlichen Kontex- Beispiele zeichnen sich überwiegend durch eine ten, die zur Beschränkung der Resonanz rechts- Kombi nation von Eigenschaften aus, die seit extremer Politik führen, kann dem Bereich der Max Webers berühmter Rede „Politik als Beruf“ Primärprävention (siehe Info-Kasten Prävention) (1919) gerne im politischen Raum beansprucht zugerechnet werden. Im Folgenden wird auf die werden: Leidenschaft für die Sache, Verantwor- Aufgaben des Staates als zentraler Akteur pro- tungsgefühl und Augenmaß – eine eher seltene blematisierend eingegangen, bevor mit einzel- und schwierige Kombination. nen Fallstudien Ansätze guter Praxis vorgestellt Mit „informierter Willkür“ wäre das Aus- und Gelingensfaktoren herausgearbeitet werden. wahlprinzip für die Projekte und Arbeitsansätze In der politischen Kultur der Bundesrepublik wohl am besten beschrieben: informiert, weil ich kommt dem Staat somit eine zentrale Aufgabe mich vorab um eine Übersicht über das jeweilige zu, wenn es um die Auseinandersetzung mit dem Handlungsfeld bemüht habe; willkürlich, weil Rechtsextremismus geht. Bereits im Grundgesetz letztlich zufällige Begegnungen und Eindrücke, angelegt, durch die frühen Parteienverbotsur teile die Erreichbarkeit der Projektträger u.a.m. eine des Bundesverfassungsgerichts bekräftigt, durch Rolle bei der Auswahl gespielt haben. Erarbeitet ein besonderes politisches Strafrecht50 fl ankiert wurden die Projektprofi le vor allem mithilfe von und mit der Institution des Verfassungsschutzes verschriftlichten Materialien aus unterschiedli- als staatliche Behörde auf Bundes- und Landes- chen Quellen (Aufsätze, Selbstdarstellungen, ebene bewehrt, wurde die institutionell veran- Konzeptpapiere, Vorträge, Zeitungsberichte, wo kerte Leitidee der „streitbaren“ bzw. „wehrhaften vorhanden auch wissenschaftliche Studien etc.). Demokratie“ zum Dreh- und Angelpunkt für die Mit Beteiligten aus jedem der Beispiele wur- Auseinandersetzung mit politischem „Extremis- de zudem ein persönlicher Kontakt hergestellt mus“. War es nach Kriegsende eine große Portion (durch Interviews, E-Mails etc.), um die schrift- Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung

50 In seinem Wunsiedel-Urteil vom 4.11.2009 (1 BvR 2150/08) hat das Bundesverfassungsgericht noch einmal nachdrücklich die Möglichkeit des Gesetzgebers bekräftigt, weitgehende Grundrechtseinschränkungen im Kampf gegen Neonazismus vorzuneh- men. Im Kontrast zur gleichsetzenden Extremismus-Formel hebt das höchste Gericht dabei den einzigartigen Charakter des Nationalsozialismus hervor. 38 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

und ihrer politischen Verführbarkeit, die Angst als gefestigte Demokratie. Sie sei zunehmend vor „Weimarer Verhältnissen“, so hat sich vor al- von aktiven Demokrat/innen bevölkert, die den lem unter dem Eindruck des Kalten Krieges und Schutz der demokratischen Verfassung auch in in der Auseinandersetzung mit dem Kommunis- ihre eigene Hände nehmen könnten.53 mus ein System der „inneren Sicherheit“ entwi- Die dominante Rolle der Repression wird ckelt, das legitime politische Betätigung in einen auch in einem aktuellen europäischen Länder- eng interpretierten Rahmen der „freiheitlich-de- vergleich betont: „Der Umgang mit dem Rechts- mokratischen Grundordnung“ zwängte, jenseits extremismus ist in den von uns untersuchten dessen staatliche Repression (von Parteien- und Ländern stark durch repressive Maßnahmen ge- Organisationsverboten bis zu Berufsverboten kennzeichnet. Durch repressive Gesetzgebungen für deren Mitglieder) als legitim erachtet wur- können Grenzen des Akzeptierbaren markiert de.51 Bis zu den politischen Reaktionen nach den werden“ (Schellenberg 2010: 95).54 Die Bekämp- Anschlägen auf die New Yorker Zwillings türme fung des Rechtsextremismus erhält dadurch und das Pentagon vom 11. September 2001, die einen rechtlichen Rahmen, das Recht auf Sicher- im proklamierten „Krieg gegen den Terror“ zu heit und körperliche Unversehrtheit von poten- massiven Einschränkungen von Bürgerrechten ziellen Opfergruppen wird bekräftigt und das in vielen westlichen Demokratien führten (vgl. staatliche Gewaltmonopol gegen eine Gruppie- Wilson 2005), war die Bundesrepublik mit die- rung behauptet, die für sich in Anspruch nimmt, sem staatlich geprägten Demokratieschutz durch auch Gewalt und Einschüchterung für ihre Ziele strafbewehrte gesetzliche Einengungen und ge- zu nutzen.55 heimdienstliche Überwachung des politischen Gleichzeitig betonen Beobachter/innen wie Spektrums im Kreis der westlichen Demokratien staatliche Vertreter/innen die Grenzen repressi- eher ein Sonderfall. ver Strategien: • Sie müssen sich selbst in einem rechtsstaatli- Zur Rolle staatlicher Repression chen Rahmen bewegen, der Bürger- und Frei- heitsrechte prinzipiell respektiert. Dies gilt Über den Sicherheitsnutzen und die bürgerrecht- auch für den Umgang mit rechtsextremen Ak- lichen Kosten dieses staatlich repressiv gestütz- teuren. ten, „wehrhaften“ Demokratieverständnisses ist • Sie sind notwendig selektiv, d.h. sie können viel gestritten worden.52 Ihm wohnt ein Miss- nur einen Teil der unerwünschten Handlungs- trauen gegen Bürger/innen inne, deren politi- weisen erfassen und erreichen das „Hellfeld“, sche Rechte im Zweifel zur Dispositionsmasse während das Dunkelfeld unberührt bleibt. Es geraten, wenn es die „Staatsräson“ – und sei es ist auch eine Frage der Polizeipräsenz, ob be- nur das zuständige Innenministerium – verlangt. stimmte Übergriffe wahrgenommen und ver- Internationalen Beobachter/innen gilt die Bun- folgt werden. Zudem gibt es vielfältige Formen desrepublik spätestens seit den 1960er Jahren der Einschüchterung, alltäglichen Diskriminie-

51 Zu Konzept und Geschichte der „wehrhaften Demokratie“ und zur Formel „freiheitliche demokratische Grundordnung“ vgl. Denninger 1975 und Jaschke 1991. Auf vordemokratische Ursprünge eines Verfassungsschutzes, der in der Praxis als Staats- schutz agiert, hat nachdrücklich Ridder 1984 aufmerksam gemacht. 52 Vgl. die affi rmative Darstellung von Klump 2004 und die zugespitzte Kritik von Narr 2009 in der Auseinandersetzung mit neueren Urteilen des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache. 53 Bereits die Protestmobilisierungen für die Pressefreiheit anlässlich der „Spiegel-Affäre“ von 1962 gelten hierfür als eindrucks- voller Beleg, während gleichzeitig demokratiegefährdende Dimensionen staatlichen Handelns stärker in den Blick gerieten. Solche Zweifel wurden in den 1970er Jahren stärker, als – mit einer deutlichen Fixierung auf „Linksextremismus“ und die terroristische Praxis der „Roten Armee Fraktion“ – das staatliche System „innerer Sicherheit“ ausgebaut wurde. 54 Zu den untersuchten Ländern gehören – neben Deutschland – Großbritannien, Irland, Polen, Frankreich und Spanien. 55 Wie bei terroristischen Aktionen zielen auch gewaltbereite rechtsextreme Akteure auf das „Herz des Staates“. Sie stellen das staatliche Gewaltmonopol in Frage und höhlen dessen Sicherheitsversprechen an die Bürger/innen aus, das seit der frühbür- gerlichen Philosophie eines Thomas Hobbes zur zentralen Legitimation des modernen Staates geworden ist.

GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 39

rung und unzivilen Verhaltens, die unterhalb denfeindlicher Gewalt bemühen sich vor al- staatlich-repressiver Eingriffsschwellen liegen. lem die Opferberatungen um die solidarische • Sie sind in der Regel reaktiv, d.h. sie reagie- Vertretung der Geschädigten. ren auf rechtsextreme Aktionen und bemühen Umso mehr muss das deutliche Schwergewicht sich um Schadensbegrenzung. Aus präventiver repressiver Antworten auf rechtsextreme Heraus- Sicht kommen sie zu spät, weil „das Kind erst forderungen erstaunen. Die Hauptarbeit sollte in den Brunnen gefallen sein muss“. stattdessen, darin sind sich die meisten Beobach- • Sie haben keinen oder nur sehr begrenzten ter/innen einig, auf präventiven Maßnahmen Einfl uss auf Gesinnungen, die bei Hasskrimi- liegen. Sie erfordern jedoch längerfristige und nalität ein treibender Faktor sind. kontinuierliche Anstrengungen, um Wirkungen • Die Wirkungen repressiver Eingriffe sind in der entfalten zu können. Mit kriminalpräventiven Regel begrenzt und häufi g mit unerwünschten Konzepten geht die Polizei gelegentlich selbst Nebenfolgen verknüpft. Dies gilt zum einen diesen Weg und verknüpft sozialarbeiterische für die allenfalls begrenzte generalpräventive und polizeiliche Aufgaben.57 Wirkung von Strafverfolgung auf eine Szene, Der beobachtbare Einfl uss repressiver Stra- die sich gerne selbst als verfolgte Widerständ- tegien auf die Entwicklung rechtsextremer ler gegen „das System“ phantasiert. Zum an- Gruppierungen und Milieus weist ambivalente deren gibt es gute empirische Gründe, an der Züge auf. Die Verbotspraxis und die Pönalisie- resozialisierenden Wirkung von Haftstrafen rung, d.h. die Strafbarkeit rechtsextremer Pro- zu zweifeln. Unter Umständen ist auch bei pagandadelikte kann einerseits zur Steigerung rechtsextrem motivierten Straftäter/innen das der individuellen Nachteile und Risiken beitra- Gegenteil der Fall, etwa wenn die rechtsextre- gen und damit die Hürden und Kosten erhöhen, me Szene die von „ihren“ Einsitzenden domi- die mit einem Engagement in dieser Szene ver- nierten Haftanstalten als ihre „Schulungsstät- bunden sind. Aber Objekt der Kontrolle sind im ten“ betrachten kann.56 Falle des Rechtsextremismus nicht rational han- • Sie stoßen nicht zur Bearbeitung der Ursachen delnde Gruppierungen, sondern Gesinnungs- vor und können diese auch nicht ersetzen – gemeinschaften, die aus Ablehnung und Verfol- es sei denn, man begriffe staatliche Duldsam- gung auch Bestätigung ziehen können. Deshalb keit gegenüber menschenverachtenden Ver- dürfte die Abschreckungswirkung eher im Vor- haltensweisen selbst als eine Ursache für sich feld spürbar werden – allerdings nur dann, wenn ausbreitende rechtsextreme Gewalt (was in die rechtlichen und polizeilichen Möglichkeiten bestimmten Phasen pogromartiger Mobilisie- auch genutzt werden. Das ist jedoch gerade in rungen wie in Rostock-Lichtenhagen, als unter den am meisten betroffenen Regionen oft nur dem Beifall einer grölenden Menge Brände in sehr eingeschränkt der Fall. Erinnert sei hier an einer Ausländerunterkunft gelegt wurden, si- die Serie von Vorfällen in Sachsen-Anhalt (ver- cherlich der Fall war). bunden z.B. mit Ortsnamen wie Halberstadt, • Die Opfer von Gewalt bleiben bei repressiven Pretzien, Pömmelte), die durch eine Mischung Strategien zumeist randständig. Selbsthilfe- von polizeilichen Unterlassungen, Ignoranz der organisationen wie der „Weiße Ring“ oder lokalen Politik, staatsanwaltschaftlicher Untätig- Konzepte wie der Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) keit und gerichtlicher Verharmlosung gekenn- versuchen hier ein Gegengewicht zu schaffen. zeichnet waren. Sie sind inzwischen auch Ge- Im Kontext von Rechtsextremismus und frem- genstand eines Untersuchungsausschusses des

56 Die Arbeit des weiter unten dargestellten Violence Prevention Network (siehe Kapitel 4.1) versucht, dieser Gefahr entgegen- zutreten. 57 Dies zeigt etwa das Beispiel der Aufsuchenden Polizeiarbeit im Rems-Murr-Kreis (siehe Kapitel 4.1). 40 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Landtags geworden.58 Oft fehlt es – vor allem im – Repressionserfahrung politischen Nutzen zu ländlichen Bereich – zudem schlicht an den per- ziehen. Der demokratische Charakter des politi- sonellen und professionellen Ressourcen für eine schen Systems wird in Zweifel gezogen, staatliche effektive Kontrollstrategie. Neutralität angemahnt und der Täter- in einen Dass es auch Anlass zu der Vermutung gibt, Opferstatus verkehrt.60 Repression ist auch der Beamte der Kontrollinstanzen teilten zuweilen Stoff, aus dem die extrem rechte Szene Märtyrer rassistische und fremdenfeindliche Einstellun- und Helden konstruiert. gen, ist zuletzt im Zusammenhang mit dem noch Zudem lässt sich die Entwicklung und immer ungeklärten gewaltsamen Tod des aus Si- schnelle Abfolge von rechtsextremen Gruppie- erra Leone stammenden Oury Jalloh in einem rungen und Parteien in der Nachkriegsgeschichte Dessauer Polizeigewahrsam im Januar 2005 mit als immer wieder neue Camoufl age betrachten, reger internationaler Anteilnahme (z.B. in Jah- um sich entlang der Verbotsgrenzen und darüber resberichten von Amnesty International) debat- hinaus bewegen zu können – etwa durch die tiert worden. Die anhaltend hohe Zahl von ge- Nutzung von Zahlencodes, weil das öffentliche waltsamen rassistischen und fremdenfeindlichen Tragen nationalsozialistischer Symbole strafbar Übergriffen in Deutschland hat immer wieder ist. Rechtsextreme Kader haben sich entspre- internationale und europäische Organisationen chend in Fragen des Versammlungsrechts oder auf den Plan gerufen, die nicht nur die Schutzga- von Propagandadelikten professionalisiert. Auch rantie gegenüber gefährdeten Bevölkerungsgrup- die jugendkulturell geprägten Szenen erwiesen pen anmahnen, sondern Polizeireformen, wie sich in den letzten Jahrzehnten als erstaunlich z.B. ihre interkulturelle Öffnung anmahnen.59 anpassungsfähig, wie die immer wieder aktua- Repression kann gerade bei jenen Gruppie- lisierten Kataloge mit szenetypischen Codes, rungen der rechtsextremen Szene nur begrenzt Symbolen, Markennamen und Outfi ts verdeut- erfolgreich sein, die aus ihrer „Verfolgung“ poli- lichen. Wie in anderen Lebensbereichen auch, tisches Selbstbewusstsein, gesteigerte Bedeutsam- provozieren Verbote nicht unbedingt einen Ab- keit und politische Handlungsenergien schöpfen. schied von Überzeugungen, sondern die Suche „Widerstand“ und „Gegenwehr“ gehören zu den nach neuen Wegen, sie zum Ausdruck zu brin- klassischen Legitimationsformeln ungezügelter gen. Repression wird so unfreiwillig zur Innova- rechtsextremer Gewalt. Immer wieder lassen sich tionsquelle für die rechtsextreme Szene, solange unterschiedliche strategische Versuche beobach- sie in der Lage ist, darauf strategisch zu antwor- ten, aus der eigenen – als illegitim dargestellten ten.61 Besonders strittig sind die Folgen des um-

58 Internationale Organisationen wie Amnesty International (AI) oder die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (ECRI) haben in ihren jährlichen Berichten immer wieder auf Mängel im polizeilichen Umgang mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik hingewiesen. Trotz guter Ansätze ist die Menschen- rechtsbildung in der Polizei noch deutlich verbesserungsbedürftig. Zudem fehlen unabhängige Beschwerdeinstanzen, wie sie z.B. in Österreich geschaffen wurden, die eine lösungsorientierte Thematisierung solcher Defi zite in der Polizeikultur fördern könnten. So lautet das Fazit eines Insiders in einer gründlichen Studie für das Deutsche Institut für Menschenrechte (vgl. Schicht 2007). 59 Die Bundesregierung hat auf diese Problematik reagiert und ihr unter der Überschrift „Sensibilisierung von Polizei- und Justiz- personal“ im „Nationalen Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlich- keit, Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz“ vom Oktober 2008 ein eigenes Kapitel gewidmet (BMI 2008: 109ff.). Die Lektüre vermittelt den Eindruck, hier seien bereits die notwendigen Schritte getan und alles zum Besten bestellt. Es fehlt nicht nur eine quantifi zierende Beschreibung der Reichweite und der Wirkungen der beschriebenen Sensibilisierungsmaßnahmen, sondern auch jeder Hinweis auf weiterreichende Vorhaben und Ziele (z.B. die Erhöhung des Anteils von Menschen mit Mig- rationshintergrund in der Polizei). 60 Wie das weiter unten präsentierte Passauer Beispiel besonders drastisch zeigt (siehe Kapitel 4.1). 61 Diese nichtintendierte Dynamik belegt eine lokale Fallstudie von Klärner 2008. Systematisch untersucht wurde die Wirkung von Repression auf rechtsextreme Gruppen in einem Projekt des Forschungsverbunds Desintegrationsprozesse mit dem Titel „Repression und Reaktion“ (Minkenberg/Erb 2006), dessen Ergebnisse demnächst veröffentlicht werden.

GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 41

fangreichen Einsatzes von V-Leuten in rechts- tischen Bewertung der eingesetzten repressiven extremen Führungsgremien, seit daran ein Par- Strategien, ihrer Umsetzung und Wirkungen. Für teienverbotsverfahren gegen die NPD 2003 schei- die präventiven Modellprogramme des Bundes terte.62 liegen hierzu immerhin einige Materialien vor. Politisch weniger umstritten, aber praktisch nicht selten unzulänglich und halbherzig ist der Beispiele guter Praxis polizeiliche Opferschutz. Die gerade von rechts- extremen Gewalttäter/innen ideologisch legiti- mierten und praktisch gesuchten asymmetrischen Täter-Opfer-Konstellationen, also die Konzentra- tion auf Überlegenheitssituationen und beson- ders verletzbare Opfergruppen (Migrant/innen, Behinderte, Obdachlose etc.) gibt der staatlichen Sicherheitsgarantie zusätzliches Gewicht. Neben der Generalprävention kommt der Spezialprä- vention mit Blick auf potenzielle Opfergruppen deshalb erhebliches Gewicht zu. Dies gilt nicht nur für die unmittelbare Polizeiarbeit, sondern für die gesamte Kette der Strafverfolgung (Staats- anwaltschaften, Gerichte, Gefängnisse etc.).63

Auf dem Weg zu einer „integrierten“ staatlichen Strategie? Ausschöpfen der rechtlichen Möglichkeiten – In der Auseinandersetzung mit den Bundespro- Repressive Praxis der Polizeidirektion Passau65 grammen gegen Rechtsextremismus ist bereits deutlich geworden, dass sich staatliches Han- Die Messerattacke am 13. Dezember 2008 auf deln in diesem Feld nicht auf Repression und Alois Mannichl, den damaligen Leiter der Poli- Kriminalprävention beschränkt. Umso mehr zeidirektion Passau, vor dessen Wohnhaus in ist eine „integrierte Strategie“ zu wünschen, die Fürstenzell erregte bundesweites Aufsehen. Die repres sive, pädagogische und präventive Inter- Tat konnte auch bis Ende April 2010 nicht auf- ventionen in diesem Feld verknüpft, aber auch geklärt werden, aber es ist davon auszugehen, die Grenzen der jeweiligen Interventionsformen dass dieser Gewaltakt im Zusammenhang mit erkennt. Obwohl es auf beschreibender Ebene dem konsequenten Vorgehen der Passauer Polizei solche Versuche gibt,64 kann von einem strate- gegen die rechtsextreme Szene zu sehen ist. Ein gisch ausgerichteten Konzept nicht gesprochen genauer Blick auf die eingesetzte Strategie, ihre werden. Dazu fehlt es nicht zuletzt an einer kri- Risiken und Nebenwirkungen dürfte lohnen.

62 Vgl. BVerfG, 2 BvB 1/01 vom 18.3.2003 – zur heftigen, immer wieder neu auffl ammenden Debatte um das Für und Wider eines NPD-Verbots vgl. Leggewie/Meier 2002. 63 Zwei der ausgewählten Beispiele sind hier besonders instruktiv. Die polizeiliche Prävention im Rems-Murr-Kreis zielte von Anbeginn darauf, der staatlichen Sicherheitsgarantie auch für die Migrant/innen und Asylsuchenden in der Region Geltung zu verschaffen. Dass auch im gerichtlichen Alltag Opferschutz eine praktisch folgenreiche Maxime sein kann, verdeutlicht das Vorgehen des Jugendrichters Andreas Müller in Bernau (siehe Kapitel 4.1). 64 Erstmals in der Antwort der Bundesregierung von 2002, dann im „Zweiten periodischen Sicherheitsbericht“ (BMI/BMJ 2006) und zuletzt im „Nationalen Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlich- keit, Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz“ (BMI 2008). 65 Grundlage der Darstellung sind vor allem zahlreiche Presseberichte, deren Angaben in einem Telefoninterview mit Alois Mannichl am 20.1.2010 geprüft wurden. 42 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Die Stadt Passau selbst gilt nicht als ein musste den Satz löschen und der NPD-Mann Schwerpunkt der rechtsextremen Szene Bayerns, wurde wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe aber die – inzwischen abgerissene – Nibelungen- verurteilt. halle der Stadt war ein Anziehungspunkt für Diese Ereignisfolge66 macht einen Eskala- rechtsextreme Veranstaltungen. Auch Mannichls tionsprozess deutlich, in dem Alois Mannichl als nahegelegener Wohnort ist nicht so ruhig und Leiter der Polizeidirektion zum zentralen Feind friedlich, wie Presseberichte über den Anschlag der rechtsextremen Szene dieser Region avan- es nahelegten. Der etwa 30 Personen starke NPD- cierte. Dabei handelte der Polizeichef aus seiner Kreisverband nutzte eine Gaststätte in Fürsten- Sicht konsequent im Sinne seiner Zuständigkei- zell als regelmäßigen Treffpunkt. Mit einer Serie ten. Seine Devise lautete: „Mit Kreativität und von Aktionen wurde gerade im Jahr 2008 deut- Hartnäckigkeit alle rechtlichen Möglichkeiten lich, dass die rechtsextreme Szene der Region ausschöpfen.“ Ihre praktische Umsetzung be- sich nicht mit heimlichen Treffen in Hinterzim- schreibt Mannichl beispielhaft in verschiedenen mern bescheiden wollte. So fand in Fürstenzell Veröffentlichungen folgendermaßen: am 8. März 2008 eine Demonstration unter dem • Er geht bei geplanten rechtsextremen Ver- Motto „Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung, anstaltungen in Gasthäusern warnend auf die Versammlungsrecht für alle – mehr Demokratie Wirt/innen zu, um sie darauf hinzuweisen, wagen – Hände weg von der NPD“ statt, an der was auf sie zukommen würde, nämlich massi- sich 50 Personen beteiligten, um gegen den „Re- ve Polizeipräsenz („Hundertschaften vor dem pressionsdruck“ des Staates gegen die Partei zu Lokal“). Dort, wo sich Rechtsextreme versam- demonstrieren. Am 8. Mai folgte ein Trauer- meln, sei auch mit Gegendemonstrant/innen marsch mit Mahnwache unter dem revisionis- zu rechnen, die dann vor Ort aufeinanderpral- tischen Motto: „8. Mai 1945 – Der Krieg war vor- len. Was werden wohl die übrigen Gäste dazu bei, doch das Morden ging weiter. Gedenken an sagen? Im Ergebnis konnten die Wirt/innen die Opfer des alliierten Terrors und der Vertrie- davon überzeugt werden, den Rechtsextremen benen“ am dortigen Kriegerdenkmal mit 40 Teil- keinen Versammlungsraum zur Verfügung zu nehmenden. stellen. Am Ende gab es in Passau kein Lokal Einschneidend war die Beerdigung des pro- mehr, das sie noch aufnehmen wollte. minenten Rechtsextremen Friedhelm Busse am • Laut Versammlungsgesetz müssen alle Ver- 26. Juli 2008 in Passau, zu der sich 90 Perso- sammlungen angemeldet werden. Also gibt es nen zusammenfanden. Nach der Niederlegung die Möglichkeit, das Versammlungsrecht „ver- der Reichskriegsfl agge mit Eisernem Kreuz und nünftig anzuwenden“. Zwei Ansätze kamen Hakenkreuz auf den Sarg kam es zu Festnahmen vor allem zum Einsatz. Die vom Anmelder zu und einer spontanen Demonstration gegen die benennenden Ordner müssen „zuverlässig“, „Willkür der Polizei“. Die Auseinandersetzung d.h. sie dürfen nicht einschlägig vorbestraft ging weiter. Anlässlich einer Gedenkveranstal- sein. Nach einer Überprüfung wurden belaste- tung der Stadt zum Volkstrauertag am 16.11.2008 te Ordner abgelehnt. In der Konsequenz waren veröffentlichte der NPD-Kreisvorsitzende von Pas- einzelne Versammlungen nicht durchführbar, sau einen Internetbeitrag mit der Behauptung, weil 18 von 20 Ordnern abgelehnt werden Polizeidirektor Mannichl habe auf den Gräbern konnten. Bei ihrer Anfahrt zu den Versamm- der toten Soldaten herumgetrampelt. Mannichl lungen werden die Teilnehmenden kontrol- beantragte noch am gleichen Tag per einstwei- liert. Wer sich „friedlich“ versammeln will liger Verfügung beim Amtsgericht die Entfer- (oder eine Beerdigung besucht), brauche keine nung der Textpassage und bekam Recht. Die NPD Waffen. Alle Anreisenden mit Bewaffnung, ob

66 Sie ist auf dem gemeinsam vom Bayerischen Verfassungsschutz und der Landeszentrale für politische Bildung betriebenen Informationsportal „Bayern gegen Rechtsextremismus“ dokumentiert (www.bayern-gegen-rechtsextremismus.de) – ein sicht- bares Element des im Januar 2009 verabschiedeten „Bayerischen Landeskonzepts gegen Rechtsextremismus“. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 43

Schlagring oder Messer, werden für die Dauer Er betrachtet sich als jemanden, der nicht anders der Veranstaltung in Gewahrsam genommen. kann. Er sei schon immer so gewesen und habe Auch diese Maßnahme führte in einigen Fäl- seit 2004/2005 als Polizeichef von Passau diesen len zum Abblasen der Versammlung. Ansatz in die Tat umsetzen können. Er sieht sich Mannichl begründet sein Vorgehen als Verpfl ich- von seinen Vorgesetzten unterstützt. Auch inn- tung gegenüber den Bürger/innen, die ein Recht erhalb der Polizei bestehe Einigkeit, aber es habe darauf hätten, gegen Extremismus von links oder auch „Anfeindungen“ von Seiten der Kolleg/in- rechts geschützt zu werden, wobei er den Rechts- nen und der Bevölkerung gegeben. Ihm sei z.B. extremismus als das deutlich größere Problem vorgehalten worden, sich nur wichtig machen zu ansieht. wollen. Er glaubt, dass es „geistige Brandstifter“ Er sagt von sich, dass er nichts Außerge- waren, die den Anschlag auf ihn mitzuverant- wöhnliches macht, sondern nur seinen Job als worten hatten. Polizeichef erledigt. Aber er beschreibt auch die Mannichls konsequenter Einsatz von poli- heftigen Anfeindungen aus der rechtsextremen zeilich-repressiven Mitteln gegen die rechtsextre- Szene, die Hetze im Internet, die Demonstra- me Szene fand die Unterstützung des lokalen tionen und verbalen Angriffe gegen seine Per- „Runden Tisches gegen Rechts“, der poli tischen son, darunter Flugblätter mit dem Motto „Der Spitze der Stadt und der Landesregierung. Soli- Schlächter von Passau“. Mannichl wurde von der daritätsdemonstrationen nach dem Anschlag und rechtsextremen Szene mit Strafanzeigen über- andere öffentliche Reaktionen machen deutlich, zogen (u. a. wegen Nötigung), ist aber auch selbst dass Mannichls Strategie in der Region durchaus gegen sie juristisch vorgegangen (Verleumdungs- populär ist. Inzwischen arbeitet er als leitender klagen, Anzeigen wegen übler Nachrede etc.). Kriminaldirektor im Polizeipräsidum Straubing Seine Strategie beschreibt er so: „Mit Kreativität und ist damit ranghöchster Kriminalpolizist und Hartnäckigkeit alle rechtlichen Möglichkei- Niederbayerns.Wenige Wochen nach dem An- ten ausschöpfen.“ Und er kann stolz darauf ver- schlag verabschiedete die Bayerische Landes- weisen, alle Prozesse gewonnen zu haben. regierung – mehr als zehn Jahre nach anderen Der Preis für das konsequente Engagement Bundesländern – ihr erstes „Handlungskonzept ist hoch. Mannichl betont, es müsse jedem klar gegen Rechtsextremismus“ mit einen deutlichen sein, was es bedeute, sich mit den Rechtsextremen Schwerpunkt im repressiven Bereich.67 Es setzt, anzulegen. Das gelte auch für die Angehörigen. darin dem Passauer Polizeichef folgend, auf die Er habe sich häufi ger gefragt, ob er dies seiner Abschreckungswirkung von repressiven Strate- Familie antun könne. Seit dem Anschlag stellt er gien, ohne hinreichend auf deren zivilgesell- sich die Frage verstärkt, aber seine Kinder leben schaftliche und kulturelle Einbettung zu achten, nicht mehr in Passau. Er stellt heraus, man dürfe die Mannichl in seiner Region durchaus gesucht nicht zimperlich sein und müsse Stehvermögen hat.68 Ob so die beabsichtigte politische und so- haben, um diese Herausforderung anzunehmen. ziale Ächtung des Rechtsextremismus greifen Das sei nichts für Leute mit schwachen Nerven. kann, mag bezweifelt werden.

67 Angekündigt wird ein verstärkter Schutz von Polizeibeamten (Rechtsschutz, Prozesskostenübernahme), erwogen werden Straf- verschärfungen bei Angriffen auf Polizist/innen und ein verbesserter Informationsaustausch zwischen Justizvollzugsanstalten, Polizei und Justiz nach Haftentlassungen von Rechtsextremisten. Musikgruppen der rechtsextremen Szene und ihre Veran- staltungen sollen mit Verboten belegt, Kommunen über ihre ordnungs- und verfahrensrechtlichen Möglichkeiten aufgeklärt werden. Auch die Ankündigung, polizeiliche Präventivmaßnahmen wie Gefährderansprachen, Meldeaufl agen, Ortsverbote und Gewahrsammaßnahmen intensiver zu nutzen, liest sich wie eine Referenz an die Praxis des Passauer Polizeipräsidenten. Ergänzend gibt es Informations-, Beratungs- und Bildungsangebote. Neben der starken kriminalpräventiven und repressiven Ausrichtung fällt auf, dass weder die Opfer rechtsextremer Gewalt noch zivilgesellschaftliche Akteure in diesem Programm eine hervorgehobene Rolle spielen. In diesem Sinne handelt es sich um ein etatistisches, durch die Landespolitik defi niertes und staatlich kontrolliertes Programm. 68 Auf die Bedeutung kultureller Faktoren für die Wirkung von repressiven Strategien hat z.B. Minkenberg 2003 aufmerksam gemacht. 44 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Repressive Polizeistrategien bedürfe zivilge- Polizist/innen, die vor rechtsextremen Aktionen sellschaftlicher Unterstützung. Aber selbst wenn an der Haustür klingeln, um Jugendliche – auch sie gegeben ist, kann Repression zur Eskalation mit Hilfe ihrer Eltern – von einer Teilnahme ab- und Radikalisierung der rechtsextremen Szene zubringen, sind zu einem umstrittenen Marken- beitragen und die agierenden Polizisten selbst zur zeichen der Polizeiarbeit im Südwesten Deutsch- Zielscheibe rechtsextremer Aktionen machen. Es lands geworden. Solche „Gefährderansprachen“ braucht offensichtlich auch zivilgesellschaftliche und andere kriminalpräventive Mittel sind sehr Ansätze, die von sozialer Ausgrenzung bis zur früh in einem Landkreis erprobt und entwickelt Gegenmobilisierung reichen können. Einzig auf worden, in dem krisenfi xierte Rechtsextremis- die Ruhe- und Ordnungswünsche in der Bevöl- mustheorien gar kein Problem erwarten lassen. kerung oder die kommerziellen Interessen von Der Rems-Murr-Kreis ist ein wirtschaftlich star- Dienstleistern zu setzen, bringt die Gefahr mit ker Flächenlandkreis im ohnehin ökonomisch sich, dass polizeilich-repressive Strategien selbst prosperierenden Südwesten, mit einer geringen als „überzogen“ und „provokativ“ wahrgenom- Zahl von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfän- men werden – und zwar nicht nur in der rechts- ger/innen, großem sozialen Zusammenhalt und extremen Szene, sondern auch in Teilen der Bür- einem vielfältigen Vereinsleben, zudem mit einer gerschaft. Die Enttäuschung, die Alois Mannichl für Baden-Württemberg sehr niedrigen Zahl an angesichts gelegentlich halbherziger Unterstüt- Eingewanderten (vgl. Held et al. 2008; Simon et zung nach dem Anschlag in einigen Interviews al. 2009: 99ff.). zum Ausdruck gebracht hat, deutet zumindest In den 1990er Jahren bildete sich jedoch auch in diese Richtung. eine sehr aktive Skinheadszene heraus, die zu Trotzdem lässt das Verhalten des Passauer einem beachtlichen Anstieg rechtsextremer, an- Polizeipräsidenten erkennen, welche Handlungs- tisemitischer und fremdenfeindlicher Straftaten spielräume selbst in einem rechtlich so einge- in dieser Region beitrug. Zwei Höhepunkte lagen grenzten Feld wie dem der polizeilichen Repres- im Jahr 2000, als am 30. August ein Asylbewer- sion existieren. berheim in Waiblingen in Brand gesteckt und am 11. November ein griechischstämmiger Bürger in Aufsuchende Polizeiarbeit – Schorndorf von Skinheads lebensgefährlich ver- Polizeiliche Prävention im Rems-Murr-Kreis, letzt wurde. Der Landkreis hatte sich zu einem Baden-Württemberg69 regionalen Zentrum der Skinheadszene mit ent- sprechenden Musikveranstaltungen, Treffen etc. in Baden-Württemberg entwickelt. Die zuständige Polizeidirektion in Waiblin- gen reagierte im Mai 2001 mit einem eigenen mehrdimensionalen Präventionskonzept, das nicht nur die öffentliche Debatte beruhigen und die negativen Imagewirkungen dämpfen, sondern auch gezielt auf das angewachsene Bedrohungs- potenzial reagieren sollte. „In der Innenwirkung nehmen rechtsextremistische und fremden- feindliche Straftaten sowie das Verhalten rechtsex- tremer Organisationen und diesen Organisationen nahestehende Personengruppen – insbesondere die sog. ‚Skinheadszene’ – maßgeblichen Einfl uss

69 Die Darstellung beruht u.a. auf schriftlichen Darstellungen und Telefoninterviews mit Frau Renate Sonnet (Polizeidirektion Waiblingen) im Januar 2010 sowie umfangreichen Materialien, die sie dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 45

auf das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung. Vor desprogramms „Jugend für Vielfalt, Toleranz und allem ausländische Mitbürgerinnen und Mitbür- Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Frem- ger fühlen sich durch Straftaten und Übergriffe denfeindlichkeit und Antisemitismus“ sind Bei- aus dem rechtsextremistischen und fremden- spiele dafür, dass es durchaus gelungen ist, die feindlichen Spektrum bedroht und gefährdet.“70 zunächst vorwiegend polizeiliche Präventions- Neben einer erstaunlich breiten Palette von arbeit in den zivilen und politischen Bereich primärpräventiven Einzelmaßnahmen (Informa- auszuweiten und weitere Mitstreiter/innen zu tions- und Aufklärungsmaßnahmen innerhalb fi nden. und außerhalb der Polizei, aber vor allem mit Schü- Die beschriebenen Einzelmaßnahmen von ler/innen und Verantwortlichen der Sportjugend, KOREX sind für sich genommen wenig spekta- Ausstellungen, Schulprojekttage und -wochen, kulär. Eindrucksvoll ist schon die Dauer und Angebote von Anti-Gewalt-Trainings für Schüler/ Dichte der Angebote, ebenso die Fähigkeit, über- innen, Videoclips, Ideenwettbewerbe, intensive regionale Programme verschiedener Träger für Öffentlichkeitsarbeit etc.) gehörte u.a. die Verhin- die lokalen Zwecke zu nutzen und anzupassen. derung von Brennpunkten mit festen rechtsex- Völlig überraschend dürfte jedoch sein, dass diese tremen Strukturen durch konsequente Strafver- Angebotspalette einer polizeilichen Präventions- folgung und Kontrolldruck, die Einrichtung von arbeit entspringt, der es gelingt, wichtige Akteure runden Tischen und spezialisierten Netzwerken der Region zu gewinnen und sie zu vernetzen. mit kommunalen Verantwortungsträgern, Ju- Fast zehn Jahre später sitzen die Beamt/innen der gendhilfe und betroffenen Personen sowie die KOREX in Begleitausschüssen und politischen Kooperation mit Vereinen und Bildungsträgern Fachgremien. zu den Eckpfeilern des Präventionskonzepts. Die Benennung von Rechtsextremismus als Institutionelles Herzstück war die Einrich- regionales Dauerproblem war zu Beginn der Prä- tung von KOREX (Koordinierungs- und Infor- ventionsarbeit durchaus heikel, weil die Bereit- mationsstelle gegen Rechtsextremismus und schaft der lokalen Meinungsführer/innen gering Fremdenfeindlichkeit) bei der Polizeidirektion war, diese Perspektive zu teilen. Denn die rechts- Waiblingen, die eng mit dem Landratsamt und extrem aktiven Jugendlichen sind zumeist keine dem staatlichen Schulamt in Waiblingen koope- „Verlierertypen“, sondern wohlintegriert und in riert. Zu den Aufgaben der drei Polizeibeamten der örtlichen Gemeinschaft akzeptiert. Sie haben der KOREX gehören neben der Strafverfolgung Arbeit oder einen Ausbildungsplatz und man auch die Informationssammlung und Auswer- fragt sich, warum rechtsextremes Gedankengut tung, die Fortbildung und Schulung aller Poli- bei ihnen auf fruchtbaren Boden fällt. zeibeamtinnen und -beamten der Polizeidirek- Zu den Verstärkern dieser lokal weitgehend tion sowie die Mitarbeit in lokalen Netzwerken. integrierten rechtsextremen Jugendmilieus wer- Bundesweite und Landesprogramme, wie z. B. die den die Duldsamkeit der lokalen Bevölkerung „Ausstiegshilfe Rechtsextremismus“ des Landes- gegenüber rechtsextremen Äußerungen, auch kriminalamts Baden-Württemberg, wurden in ihr Ignorieren („Gibt es bei uns nicht“, „Die sind der Region intensiv genutzt und umgesetzt. Über nicht von hier“) und ein alltäglicher Rassismus das Aussteigerprogramm werden gefährdete Ju- gezählt, der den aktiven Jugendlichen den Ein- gendliche gezielt angesprochen, um sie zu einer druck vermittelt, ihr Handeln sei legitim. Ent- Abkehr von der rechten Szene zu bewegen. scheidend sei, so das Ergebnis einer empirischen Fachbeiräte des Landratsamtes, regelmäßige Studie, ein ausgeprägter Lokalismus als Reaktion Jugendkulturwochen („Bunt statt Braun“) und auf globale Herausforderungen: „Lokale und seg- ein „Lokaler Aktionsplan“ im Rahmen des Bun- mentäre Orientierungen verbunden mit starker

70 So die Lageanalyse im „Präventionskonzept der Polizeidirektion Waiblingen gegen ‚Rechtsextremismus und Fremdenfeind- lichkeit’“ vom 9.5.2001, S. 2. 46 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Familien- und Cliquenbindung stellen einen Beobachter/innen der Entwicklung sind sich Cocktail dar, der die Ausbreitung und Akzeptanz einig, dass die einstmals von Skinheads domi- rechtsextremistischen Gedankenguts begünstigt“ nierte Szene inzwischen differenzierter und we- (Held et al. 2008: 167). niger sichtbar agiert. Auch die Gewaltereignisse Die Arbeit der Polizeidirektion Waiblingen sind rückläufi g. Mit dem vom Kreisjugendring reicht weit über den üblichen kriminalpräven- koordinierten Lokalen Aktionsplan (LAP) hat tiven Rahmen hinaus, indem sie nicht nur ein der Landkreis eine weitere Chance, in die Zivilge- breites Spektrum von der Primär- bis zur Tertiär- sellschaft hinein präventiv zu wirken. Seine zen- prävention anbietet (siehe Info-Kasten Präven- tralen Zielsetzungen konzentrieren sich nicht auf tion). Es geht nicht nur darum, wie in der Pas- die rechtsextreme Szene, sondern auf die Stärkung sauer Polizeistrategie, vorwiegend externen der Zugewanderten und eine verbesserte Integra- Akteuren lokale Handlungsräume durch fi ndige tionsbereitschaft in der Aufnahmegesellschaft.71 Eingriffe zu entziehen. Hier ist die lokale Ge- Die polizeiliche Präventionsarbeit im Rems- meinschaft selbst der Adressat, der offensichtlich Murr-Kreis weist u.a. folgende Kennzeichen auf: polizeilich vermittelter Aufklärung und Aktivie- institutionell abgesicherte, intensive, vielfältige rung bedarf. und kontinuierliche Arbeit, ressort- und bereichs- Bereits in den ersten Jahren von KOREX übergreifende „vernetzte“ Zusammenarbeit, poli- wurde den Beamt/innen bewusst, dass bestimm- tische Verankerung des Themas in Schulen, Kom- te Teile ihrer Arbeit (von schulischen Projekt- munen und im Landkreis, Thematisierung des wochen bis zu den Ausstiegshilfen) eigentlich in Alltagsrassismus und Parteinahme für die Opfer. die Hände von Pädagog/innen und Sozialarbei- Zudem wurde von Anbeginn auf Evaluation bzw. ter/innen gehören. Dass in diesem Landkreis die wissenschaftliche Begleitung der eigenen Arbeit Polizei Aufgaben übernimmt, die an anderen Or- großer Wert gelegt. ten von Bürgervereinen, Stiftungen oder Akteu- Dass es schließlich aus der Polizeiarbeit her- ren der Kommunalverwaltung erledigt werden, aus gelungen ist, zusätzlich zivile und politische ist ungewöhnlich und aus der Einsicht geboren, Trägerstrukturen zu aktivieren, wie z.B. den Kreis- dass allein repressive Mittel im Rems-Murr-Kreis jugendring als Koordinierungsstelle für den LAP, nicht ausreichen, um den Betroffenengruppen bekräftigt die Einschätzung der KOREX-Arbeit als Schutz zu gewähren und Sicherheit in der Region ebenso außergewöhnliche wie „gute Praxis“. Hier zu garantieren. Gleichzeitig fehlte es offensicht- hat einmal die Polizei mit präventiven Mitteln zur lich in der regionalen Zivilgesellschaft zunächst Zivilisierung einer Zivilgesellschaft beigetragen. an Bereitschaft, sich dieser, von den eigenen Jugendlichen ausgehenden, Herausforderungen Phantasievolle Gerichtsarbeit – zu stellen. Jugendrichter Andreas Müller, Amtsgericht Durch die konsequente und offene Benen- Bernau, Brandenburg72 nung des Problems Rechtsextremismus ist es der Polizei offensichtlich im Laufe der Zeit gelun- Dass es im Rahmen der geltenden Gesetze die gen, die bei einigen lokalen Akteuren auffällige Möglichkeit gibt, mit gerichtlichen Mitteln Zei- Neigung zu Leugnung oder Verharmlosung auf- chen gegen Rechtsextremismus zu setzen und zubrechen. Ebenso beispielhaft und keineswegs die Gewalttätigkeit der Szene einzudämmen, un- selbstverständlich ist die konsequente Orientie- terstreicht die Arbeitsweise des Bernauer Jugend- rung an der Situation der Opfer, für deren Sicher- richters Andreas Müller, die auch überregionale heit sich die Polizei verantwortlich sah. Beachtung gefunden hat. Bald nachdem Müller

71 Als Ziele des Lokalen Aktionsplans im Rems-Murr-Kreis werden auf dem Projektfl yer ausgewiesen: „Die Offenheit der Aufnah- megesellschaft erhöhen. Die Integration von jungen Menschen mit Migrationshintergrund verbessern. Fremdenfeindlichkeit abbauen und die Zivilgesellschaft stärken. Politische Beteiligung besonders von jungen MigrantInnen fördern.“ 72 Neben den genannten schriftlichen Beiträgen stützt sich die Darstellung auf Telefoninterviews mit Andreas Müller im Februar/ März 2010. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 47

Der Bernauer Jugendrichter agierte also nicht als „Richter Gnadenlos“ einzig nach der Devise „schnellere Verfahren, härtere Urtei- le“. Ihm ging es mit seiner harten Gangart um Sig nale an eine Straßenschlägerszene, die sich rechtsextremer Symbole bediente. Zusammen mit den kreativen Weisungen und „ungewöhnli- chen“ Maßnahmen, mit denen er die besonders am Erziehungsgedanken orientierten Möglich- keiten des Jugendstrafrechts nutzte, aber auch mit zahlreichen Informationsveranstaltungen an Schulen bewirkte Andreas Müller eine nachhal- tige Verunsicherung der lokalen rechtsextremen Szene. Bereits zwischen 1998 und 2002 war in der Region ein Rückgang von Gewaltdelikten zu beobachten. Bei Wegzügen von Szenegrößen war gelegentlich zu hören: „Ich ziehe weg aus Ber- nau, weil der Müller hier tätig ist.“ Andreas Müller hat sich gegen populäre Vor- schläge gewendet, das Jugendstrafrecht zu ver- schärfen (vgl. Müller o. J.). Er setzt stattdessen auf eine schnelle und die Motive des Täters bzw. der Täterin aufhellende Gerichtsarbeit, von der dann auch präventive Wirkungen ausgehen kön- nen. Mit einem plötzlichen Gesinnungswandel 1998 seine Arbeit in Bernau begann, machte er in Gerichtsverhandlungen rechnet er jedenfalls durch einige spektakuläre Urteile und Aufl agen nicht. „Es ist nicht möglich, mit strafrechtlichen auf sich aufmerksam. Er sorgte dafür, dass Ge- Mitteln das in der Gesellschaft verankerte rechts- walttaten nach kürzester Zeit zur Hauptverhand- radikale Gedankengut einzudämmen“ (Müller lung führten, wobei fremdenfeindliche Gesin- 2007: 87). nungen nicht nur zur Sprache kamen, sondern Den eigentlichen Mangel sieht er in der auch beim Strafmaß berücksichtigt wurden. noch immer zu geringen Aufmerksamkeit für die Springerstiefel wurden als Waffen geächtet, An- Belange der Opfer. Er setzt sich für eine Veranke- geklagte standen in Strümpfen vor Gericht und rung des Opferschutzes im Grundgesetz ein und erhielten als Aufl age, diese Stiefel auch im Alltag entwickelt konkrete Verfahrensvorschläge, wie nicht zu tragen. Die kooperationsbereite örtliche z. B. die Verknüpfung von Strafverfahren mit ei- Polizei wurde angewiesen, solche Aufl agen auch ner zivilrechtlichen Entschädigung der Opfer in durchzusetzen, um gegen lokale Angstzonen vor- einem Verfahren. Die Straftäter/innen müssten zugehen. In gravierenden Fällen verhängte Rich- sich dann umfassend mit den Folgen ihres Tuns ter Müller auch bei Ersttäter/innen Haftstrafen beschäftigen und den Opfern bliebe ein zweites ohne Bewährung. Rechtsextrem motivierte Straf- Verfahren erspart. Dazu gehört auch die weitere täter/innen, denen er Lernprozesse zubilligte, be- Betreuung der Täter/innen im Jugendstrafvoll- kamen die Aufl age, in pädagogischer Begleitung zug, soweit dies von ihnen gewünscht wird. KZ-Gedenkstätten zu besuchen, um sich über die Auch wenn der Bernauer Jugendrichter be- Folgen ihrer Gesinnung klar zu werden. Manche tont, „Einzelkämpfer“ zu sein, fügt sich sein Vorge- von ihnen mussten auch themenbezogene Auf- hen in eine breiter angelegte Brandenburger Praxis sätze schreiben. ein und erhält damit landespolitischen Rückhalt. 48 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Die Bernauer Praxis passt in den Handlungs- Richter Andreas Müller betrachtet seine rahmen des „Toleranten Brandenburgs“, der ins- be reits zwischen 1998 und 2002 erzielten Erfolge gesamt als erfolgreich eingeschätzt wird, wenn mit gemischten Gefühlen. Er ist stolz auf seinen es um die Zurückdrängung rechtsextremer Ge- Beitrag, eine Schlägergemeinschaft, die sich an walttaten geht. die rechtsextreme Szene angelagert hatte, mit Eine elementare Voraussetzung war es, dem erheblichem richterlichen Krafteinsatz und so- politischen Hintergrund von Straftaten beson- zialer Kreativität aufzulösen. Die aktive Unter- dere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ent- stützung durch die lokale Polizei war eine ent- sprechende Anhaltspunkte müssen seither sofort scheidende Gelingensbedingung. Seither hat er den Schwerpunktstaatsanwaltschaften gemeldet vor allem Propagandadelikte zu verhandeln. Die werden. Durch eine intensive Kooperation von lokale rechtsextreme Szene hat sich gewandelt Staatsanwaltschaften, Gerichten, Gefängnissen und ist „ziviler“ geworden. Sie hat ihren „Marsch (dort vor allem Anti-Aggressionstrainings, Täter- durch die Institutionen“ angetreten. Er wird es Opfer-Programme, Violence Prevention Net- demnächst, so seine Einschätzung, mit smarten work), Aussteiger-Hilfen, wie dem Bernauer Ver- jungen, rechtsextrem sozialisierten Rechtsan - ein „Sprungbrett“, und Mobiler Beratung ist es wält/in nen zu tun haben, die ihre fremdenfeind- gelungen, die Zahl rechtsextremer Gewalttaten liche Gesinnung so zu verpacken wissen, dass sie in Brandenburg in den letzten Jahren – gegen strafrechtlich nicht belangt werden können. den Bundestrend – zu reduzieren.73

„TOLERANTES BRANDENBURG“

Mit dem 1997 gegründeten „Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“ und der 1998 verabschiedeten, 2005 weiterentwickelten Landeskonzeption „Tolerantes Brandenburg“, die von einer eigenen Koordi- nierungsstelle umgesetzt wird, hat Brandenburg eine Beratungs- und Netzwerkstruktur aufgebaut, die zum Vorbild für die rot-grünen Bundesprogramme und weitere Programme auf Landesebene wurde. Ihre präventiven, zivilgesellschaftlichen Säulen sind vor allem die vom Verein „Opferperspektive“ getragene Opferberatung,74 die 1998 regional verankerten Mobilen Beratungsteams (MBT), die seit 2006 vom Verein „demos – Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenbera- tung“ getragen werden, und die 1992 in Brandenburg etablierten Regionalen Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugend- arbeit und Schule (RAA).75

Flankiert wird diese staatlich-zivilgesellschaftliche Praxis durch kriminalpräventive Strategien, für die eigene Einsatzgrup- pen bei der Polizei gebildet wurden. In der MEGA („Mobile Einsatzeinheiten gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit“) sind besonders ausgebildete Kräfte aktiv, die durch offensive Kontrolltätigkeit einen „hohen Verfolgungsdruck gegenüber gewaltbereiten Gruppierungen der ‚rechten Szene’ im örtlichen Bereich“ (Kandt 2007: 232) aufrechterhalten können. Eine zweite ergänzende kriminalpräventive Strategie verfolgt TOMEG („Täterorientierte Maßnahmen gegen extremisti- sche Gewalt“), die personenorientierten sozialen Druck im Nahraum aufbauen, um kriminelle Karrieren zu unterbrechen und Ausstiege aus rechtsextremen Gewaltszenen zu erleichtern. Beide Einsatzstrategien sind in die „Sicherheitsoffensi- ve“ des Landespräventionsrates, aber auch in regionale Ansätze, wie etwa dem „Konzept zur Zurückdrängung der rechts- extremen Szene im Landkreis Dahme-Spreewald“, eingebettet.

73 Der Verfassungsschutzbericht 2008 weist für Brandenburg einen Rückgang rechtsextrem motivierter Gewalttaten von 3,65 auf 2,8 je 100 000 Einwohner/innen aus, während alle anderen östlichen Bundesländer für diesen Zeitraum zum Teil beachtliche Steigerungsraten aufweisen (BMI 2009: 41). 74 „Das Konzept der parteilichen Beratung von Opfern rechtsextremer Gewalt wurde ab 1998 im Rahmen der RAA Brandenburg von einer Gruppe antifaschistischer Aktivisten entwickelt, die dem Verharmlosen und Verschweigen von Rechtsextremismus in den 1990er Jahren die praktische Solidarität mit den Opfern entgegensetzen wollten“ (John 2008: 61). 75 Zur innovativen Arbeit der RAA in den neuen Bundesländern und den Brandenburger Projekten bis 1995 vgl. RAA 1995. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 49

fängnissen durch – ein Versuch der Gewaltprä- vention und Resozialisation unter besonders schwierigen Bedingungen. Haftanstalten gelten als besonders hinder- lich, wenn es um die Sozialintegration von Ju- gendlichen geht. Kommt es zur Konzentration von Straftäter/innen mit rechtsextremen Tat- hintergrund, muss mit einer Gruppenbildung und entsprechenden ideologischen Verfesti- gungen gerechnet werden.77 Es mangelt nicht an Konzepten zur Arbeit mit rechtsextremen Gewalttäter/innen.78 Das Spek- trum reicht von „Boot-Camps“ über verschiede- ne Spielarten der „Konfrontationspädagogik“ bis zu „Sozialen Trainingskursen“ und verpfl ichten- den „Anti-Aggressions-Trainings“. Was kurzfris- Gefängnisarbeit mit rechtsextremen tig imponiert, entfaltet zumeist keine längerfris- Straftäter/innen – Violence Prevention tige Wirksamkeit, wie einschlägige Evaluationen Network e.V., Brandenburg76 vor allem aus den USA deutlich machen.79 Das vom Violence Prevention Network seit 2002 mit Haftstrafen stehen am Ende einer Kette repres- Förderung der Bundeszentrale für politische Bil- siver Maßnahmen. Was in einer Haftanstalt dung (vgl. Dovermann 2009) entwickelte und in passiert, ist hoheitliche staatliche Angelegen- Schulungen für das Anstaltspersonal bzw. Quali- heit. Ob und in welcher Weise ein Gefängnis zur fi zierungen für Trainer/innen im Rahmen ihrer Problemlösung durch die Resozialisierung sei- „Verantwortungspädagogik“ angebotene „An- ner Insassen beitragen kann oder ob es eher als tigewalt- und Kompetenztraining“ (AKT) weist „Schule des Verbrechens“ funktioniert, ist auch einige Besonderheiten auf, die für dessen Erfolg im Kontext rechtsextremer Straftäter früh disku- ausschlaggebend sein dürften. tiert worden. Besonders Brandenburg erwarb sich Die Verantwortungspädagogik grenzt sich in den ersten Nachwendejahren mit einer grö- von Konzepten ab, die durch Konditionierung mit ßeren Zahl einsitzender rechtsextremer Gewalt- dem Ziel der Affektkontrolle stabile Verhaltens- täter den zweifelhaften Ruf, mit einigen seiner änderungen anstreben. Sie setzt stattdessen auf Gefängnisse „Volkshochschulen“ für die extreme eine biografi sch orientierte politische Bildung, die Rechte anzubieten. Die Landesregierung reagier- auf das „Herstellen von Empathievermögen durch te nach einigen Skandalen. Hinterfragen und Refl ektieren des Bisherigen, Seit mehreren Jahren führt das Violence Pre- d.h. auf kognitiven und emotionalen Erkennt- vention Network e.V., ein Team von Ex pert/in- nisgewinn“ zielt.80 Voraussetzung sei die – im nen der Präventions- und Bildungsarbeit, das Zwangsrahmen Haftanstalt nur begrenzt mögli- Projekt „Verantwortung übernehmen – Abschied che – freiwillige Teilnahme, denn Empathie und von Hass und Gewalt“ in Brandenburger Ge- Refl exion ließen sich nicht erzwingen. Intensive

76 Die Darstellung stützt sich neben den umfangreich vorhandenen Materialien und Projektevaluationen auf mehrere persönli- che Gespräche mit Helmut Heitmann, zuletzt im März/April 2010. 77 Zu den theoretischen und wissenschaftlichen Grundlagen solcher Einschätzungen vgl. Kühnel 2006. 78 Eine kritische Übersicht bieten Kohlstruck/Krüger/Krüger 2009. 79 Eine gründliche Aufarbeitung von internationalen Evaluationen im Bereich der Gewaltprävention bietet das „Düsseldorfer Gutachten“ (Landeshauptstadt Düsseldorf 2002). 80 Die Zitate beziehen sich, wenn nicht anders ausgewiesen, auf die Präsentationen auf der umfangreichen Internetseite des Ver- eins (www.violence-prevention-network.de). 50 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Beziehungsarbeit sei gefordert, um biografi sche Entwicklungsziele sind der Transfer des Konzepts Lernprozesse zu ermöglichen. Selbstverständlich in den ambulanten Bereich (Sekundärpräven- werde dabei auf demütigende Formen der Anti- tion) und auf junge Erwachsene in Haftanstalten. Gewalt-Arbeit verzichtet. Konkret geht es für die Seine räumliche Ausdehnung auf weitere Bun- Straftäter um vier- bis fünfmonatige, zweimal desländer ist bereits vorangeschritten. wöchentlich stattfi ndende Trainingskurse in der Der Verein legt Wert auf Transparenz, Qua- Vollzugsanstalt. Wer dies möchte, kann auf das litätssicherung und externe Evaluationen. Ent- Angebot eines Stabilisierungscoachings nach der sprechende Berichte stehen auf der Internetseite Haft zurückgreifen. zur Verfügung. So fi ndet sich dort die Evaluation Die Trainingskurse bestehen aus einer Mi- eines fünfjährigen Modellprojekts (2001–2006) schung von biografi scher Refl exion, der Ausein- „Präventive Arbeit mit rechtsextremistisch ori- andersetzung mit der Tat, den eigenen Rechtfer- entierten Jugendlichen in den Justizvollzugsan- tigungsmustern und dem Opfer, beinhalten aber stalten des Landes Brandenburg“ (Lukas/Lukas auch eine Beschäftigung mit der Einbettung in 2007), das in 14 Trainingsgruppen 112 jugend- Milieus und Freundschaftskreise bzw. der Ein- liche Teilnehmer/innen erreichte. Ausführlich beziehung von Angehörigen und „Ankerperso- werden darin konzeptionelle Überlegungen und nen“. Anti-Gewalt-Arbeit und politische Bildung die Entwicklung der einzelnen Programmelemen- werden auf der Erfahrungsgrundlage der Jugend- te präsentiert. Die Wirkungen werden jedoch nur lichen in einem Setting von maximal acht Teil- vorsichtig beschrieben, weil es in einer Evaluati- nehmer/innen und zwei Trainer/innen entfaltet. on kurz nach Abschluss des Projekts noch nicht Im Stabilisierungscoaching geht es um die möglich war, den üblichen Maßstab der Legalbe- erfolgreiche Re-Integration, besonders um das währung anzulegen (Lukas/Lukas 2007: 59ff.).81 Konfl ikt- und Beziehungsverhalten, die Vorberei- Die Bilanz der Projektleitung selbst fällt nach tung auf Gefährdungssituationen, aber auch um eigenen Erfahrungen sehr positiv aus. Während die Stabilisierung der Beziehung zu den Angehö- die Rückfallquote von jugendlichen Straftäter/in- rigen und zentralen Bezugspersonen. nen, die eine Jugendstrafe in Haft verbüßen, bei In allen pädagogischen Kontexten, auch in 78 Prozent liegt, falle sie nach den ersten Erfah- den parallelen Angeboten zur Kompetenzerwei- rungen des Brandenburger Projekts besonders bei terung für das Personal der Haftanstalten, ist Jugendlichen, die das Betreuungsangebot nach das Konzept dem Ziel verpfl ichtet, die Selbst- der Haft in Anspruch nehmen, deutlich günsti- lernkompetenz der Beteiligten zu stärken. In ei- ger aus (Heitmann/Korn 2007: 241). Gegenwär- nem Vorläufer-Projekt „De-Radikalisierung und tig werden die Voraussetzungen geschaffen, um Re-Integration von extremistisch gefährdeten genauere Informationen über die Langzeiteffekte jugendlichen Gewaltstraftätern“ wurden auch der Trainings zu gewinnen, die zu den am we- Elemente der zertifi zierten Qualifi zierung für den nigsten erhobenen Dimensionen in der Präven- Arbeitsmarkt integriert und ambulante Hilfen bei tionsforschung gehören (Beelmann 2008: 74ff.). Jugendstrafverfahren etc. angeboten. Die Rückfallzahlen werden umstritten blei- Es gehört zu den bemerkenswerten Ver- ben, denn man hat mit dem Programm nur „Frei- diensten des Netzwerks, dass es sein zunächst willige“ und damit vermutlich überproportional auf rechtsextreme Straftäter/innen zugeschnit- Ausstiegswillige erreicht. Und es handelt sich um tenes Konzept inzwischen auch für die Zielgrup- ein Modellprogramm mit begrenzter Reichweite pe fundamentalistisch gefährdeter jugendlicher und Laufzeit.82 Mit Blick auf das insgesamt über- Gewaltstraftäter/innen modifi ziert hat. Weitere zeugende Konzept, die intensive Betreuung wäh-

81 Zur begrenzten Aussagekraft dieses üblichen Indikators vgl. Kohlstruck/Krüger/Krüger 2009: 92f. 82 Kohlstruck/Krüger/Krüger sprechen sich zwar grundsätzlich gegen Maßnahmen aus, die sich in Jugendhaftanstalten aus- schließlich an rechtsextreme Jugendliche wenden, aber sie geben dem Projekt des Violence Prevention Network gute Erfolgs- aussichten – weniger weil es pädagogisch besonders elaboriert sei, sondern weil es durch seine Anlage die Entwicklung von Schuldgefühlen begünstige, die ein wichtiger Schutzfaktor vor Wiederholungen sind (Kohlstruck/Krüger/Krüger 2009: 97f.). GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 51

rend und nach der Haft sowie die fl ankierenden • Verpfl ichtung gegenüber den Angebote an das Gefängnispersonal, die Ange- (potenziellen) Opfern hörigen bzw. Bezugspersonen, ist dem Violence An erster Stelle steht der Schutz und die Sen- Prevention Network nur zu wünschen, dass seine sibilität gegenüber den Opfern von Hasskri- „Verantwortungspädagogik“ in großem Maßstab minalität, von rechtsextremer und fremden- und auf Dauer Einzug in die Jugendhaftanstal- feindlicher Gewalt. Gute Polizeiarbeit fängt da ten fi ndet, um ihren erzieherischen Anspruch an, wo der besondere menschenverachtende, auch mit dieser schwierigen Zielgruppe einzu- die Menschenwürde und Integrität verletzen- lösen. Es ist davon auszugehen, dass von einem de Charakter solcher Taten wahrgenommen entsprechend angepassten Konzept auch ältere und zum Maßstab des Handelns genommen Straftäter/innen im Bereich der Vorurteils- und wird. Indem auf diesen politischen Diskrimi- Hasskriminalität profi tieren könnten.83 nierungskontext aufmerksam gemacht und öffentlich hingewiesen wird, können sekun- Gelingensfaktoren im Handlungsfeld Staat däre Viktimisierungen vermieden werden.84 Sie treten stets dann auf, wenn den Opfern in Die genaue Betrachtung der dargestellten Bei- ihrem Nahraum oder durch Personen des Kri- spiele lässt Rückschlüsse auf Gelingensfaktoren minaljustizsystems die Anerkennung verwei- für erfolgreiche staatliche Arbeit gegen Rechts- gert wird, als zufällige „beliebige“ Angehörige extremismus zu. Auffällig ist eine phantasievolle einer „Feindgruppe“ attackiert worden zu sein. und vielfältige Praxis in einem Bereich, in dem Dringend erforderlich ist eine obligatorische sonst zu oft die strikte Rechtsbindung als Aus- Aus- und Weiterbildung, die nicht nur über rede für Nullachtfünfzehn-Lösungen herhalten rechtsextreme Ideologien und Symbole infor- muss. Deutlich geworden ist auch, dass es ohne miert oder Straftatbestände aufklärt, sondern großes persönliches Engagement sehr schwer auch Empathie und Sensibilität mit den Op- ist, etwas zu bewegen. Die Öffnung nach außen fergruppen erlebbar macht. kann frische Luft und neue Ideen in Anstalten und Behörden bringen. • Verhinderung von „Angsträumen“ Die nachfolgend genannten Gelingensfak- Gute Polizeiarbeit bekräftigt den Anspruch toren sind refl exiv zu verstehen. Einige der be- aller auf die Nutzung öffentlicher Räume, auf schriebenen Praxisbeispiele enthalten auch Ele- Bewegungsfreiheit und Freiheit von Angst. Sie mente, die vermutlich nicht in jedem Fall als lässt es nicht zu, dass bestimmte, vor allem gute Praxis gelten können. Natürlich werden die „schwache“ Bevölkerungsgruppen in ihren gewählten polizeilichen und juristischen Stra- Freiheitsrechten eingeschränkt und dadurch tegien immer auch stark durch die jeweilige re- ausgegrenzt werden, wie dies z.B. durch die gionale politische Kultur geprägt. Schon deshalb „Besetzung“ von städtischen Räumen durch kann nicht erwartet werden, dass sie überall auf Rechtsextreme bzw. die damit verbundene Er- die gleiche Weise funktionieren. Dennoch kön- richtung von Angsträumen geschieht. Da sol- nen einige Thesen für einen übergreifenden che durch Beleidigungen, Bedrohungen und Qualitätsrahmen in diesem Handlungsfeld for- Gewaltakte geschaffenen Angstzonen meist muliert werden. nur von Menschen aus potenziellen Opfer-

83 Nach Auskunft des Vereins stehen gegenwärtig vor allem fi nanzielle Hürden einer Ausweitung des Konzepts im Sinne eines Regelangebots im Wege. 84 Hans Joachim Schneider präsentiert einige Anhaltspunkte, die verdeutlichen, weshalb z.B. die Opfer fremdenfeindlicher Ge- walt häufi ger bei der Polizei und vor Gerichten erneut mit feindseligen Reaktionen rechnen müssen: Bei 15 Prozent der deutschen Polizeibeamten gebe es verfestigte fremdenfeindliche Vorurteilsneigungen, die Strafverfolgungsintensität sei bei fremdenfeindlichen Straftaten schwach ausgeprägt, selbst schwere Hassverbrechen würden als „Jugendsünden“ behandelt und der fremdenfeindliche Charakter der Taten werde von vielen Richtern und Staatsanwälten kaum beachtet (Schneider 2006: 48f.). 52 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

gruppen wahrgenommen werden, denn in der • Vermeiden von Märtyrerfi guren und Regel werden nur sie direkt bedroht, bedarf anderer Effekte zur Mobilisierung von es besonderer sozialer Empathie und entspre- Anhänger/innen chender Aufklärungsarbeit. Es gehört zur politischen Klugheit, den Be- wegungscharakter rechtsextremer Mobilisie- • Polizeiarbeit und Strafverfolgung mit rungen im Auge zu behalten und unbeabsich- demokratisch-rechtsstaatlichen Mitteln tigte Formen der Zuarbeit durch staatliche Es geht darum, jede Sonderbehandlung und Repression zu vermeiden. Dies beginnt bei der Rechtsverkürzung im Umgang mit Rechtsex- Bestätigung autoritärer Erwartungshaltungen tremen zu vermeiden. Die Beispiele zeigen, und endet bei Eskalationsspiralen. Repressive dass Ordnungsrecht, Versammlungsgesetze, Praktiken können auch zur Produktion von Strafrecht oder Strafprozessrecht genügend „Helden“ und „Märtyrern“ beitragen und da- Möglichkeiten bieten, um angemessen und mit Anhänger/innen mobilisieren helfen. Das aktiv gestaltend auf rechtsextreme Heraus- Beispiel der stiefelfreien Amtsgerichtssitzung forderungen zu reagieren. Die naheliegende im Amtsgericht Bernau macht deutlich, dass Parole „Keine Freiheit für die Feinde der Frei- auch unkonventionelle Maßnahmen dabei heit“ führt auch im Umgang mit Rechtsextre- helfen können, einschüchternde kämpferische men im öffentlichen Raum in die Irre. Unter Selbstinszenierungen zu unterbinden. demokratischen Vorzeichen gilt noch stets (im Rahmen der oben gemachten Einschränkun- • Kooperation mit zivilgesellschaftlichen gen, die sich aus einem konsequenten Opfer- Ak teuren schutz ergeben), dass sich die Stärke einer De- Allen Beispielen ist gemeinsam, dass die Ak- mokratie nicht zuletzt darin zu beweisen hat, teure um die Grenzen rein repressiven Agie- dass sie in der Lage ist, auch mit ihren erklärten rens wissen und auf unterschiedliche Art Gegnern demokratisch-menschenrechtlich zu (durch Kooperation mit anderen Institutionen verfahren. und zivilgesellschaftliche Initiativen oder ver- stärkte öffentliche Aufklärung) versuchen, prä- • Schaffen von freiwilligen Angeboten ventiv zu wirken. Prävention beginnt schon und posi tiven Anreizen für den Ausstieg bei Gefährderansprachen und Informations- von Täter/innen, aber nicht ohne die veranstaltungen für potenziell Betroffene. Das Thematisierung der rechtsextremen Motive Baden-Württemberger Beispiel zeigt, dass die Es gilt, die Dämonisierung der Täter/innen zu Polizei zuweilen kommunalpolitische und vermeiden und ihnen eine Chance zur Reso- zivilgesellschaftliche Aufgaben übernimmt, zialisierung zu verschaffen. Oft handelt es sich wenn die lokale Gemeinschaft rechtsextreme ja um Jugendliche mit erheblichen Sozialisa- Tendenzen leugnet oder ignoriert. Allerdings tions-, Bildungs- und Anerkennungsdefi ziten. bedarf es dafür besonderer Kompetenzen in In dieser Situation können entsprechende sozialer Vernetzung und Gemeinwesenarbeit. schulische und berufl iche Bildungsangebote Eine solche Art aufsuchender Polizeiarbeit helfen. Gerade die Ausschöpfung der erziehe- kann unter den Bedingungen verbreiteter rischen Mittel bietet besondere Chancen, die politischer Ignoranz der eigentlich Zuständi- mit dem Jugendstrafrecht zur Verfügung ge- gen vorübergehend sinnvoll sein. Es ist jedoch stellt werden. keine Dauerlösung. Es kommt letztlich darauf Ohne politische Auseinandersetzung wird man an, Kommunen und zivilgesellschaftliche Ak- bei politisch motivierten Straftäter/innen kei- teure mit in die Verantwortung zu nehmen. ne Erfolge erzielen. Welche Möglichkeiten und freiwillige Angebote selbst im Knast entwickelt werden können, ist deutlich geworden. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 53

• Entwicklung von gemeinsamen sie aber auch abbauen helfen. Die positive Rede Leitlinien und Leitbildern der verschiedenen von Zivilgesellschaft macht trotz dieser Ambiva- staatlichen Institutionen lenz Sinn, wenn gemeinsame Normen im Spiel So wichtig der Mut der Wenigen ist, rechts- gehalten werden: Es geht um Zivilität, d.h. Ge- extremen Herausforderungen aktiv zu begeg- waltfreiheit, Toleranz, akzeptierender Umgang nen, so wichtig ist es, dass dieses Handeln mit anders Denkenden, Lebenden und Aussehen- innerhalb der verschiedenen staatlichen In- den, gewaltfreie Formen des Konfl iktaustrags, in stitutionen verstanden und unterstützt wird: Maßen auch um Solidarität. Fortbildung, Debatte, Erfahrungsaustausch Heute gehören auch Gestaltungsspielräume und die Formulierung einer gemeinsamen und demokratische Mitwirkung zum normati- Linie sind hierfür zentrale Schritte. Auch staat- ven Kernbestand des bürgerschaftlichen Enga- liche Behörden beruhen auf einer Kooperation gements. In diesem normativen Sinne ist Zivil- von Menschen mit eigenen Sichtweisen und gesellschaft immer in Bewegung, kommt ihren Überzeugungen. Das „Tolerante Brandenburg“ Ansprüchen mehr oder weniger nahe, ist nicht ist ein Beispiel für eine refl ektierte Verknüp- zuletzt im Sinne demokratischer ziviler Substanz fung von repressiven und präventiven staat- stärker oder schwächer. Darüber geben allerdings lichen Handlungsstrategien. die Bereichszahlen der Freiwilligensurveys keine Auskunft. Wir kennen vordemokratische, gespal- tene, „schlechte“ Zivilgesellschaften mit geschlos- 4.2 Handlungsfeld Zivilgesellschaft senen Organisationen, betrieben von Leuten, die unter sich bleiben wollen und sich von anderen „Die Pfl icht zur Bekämpfung von Rassismus, abgrenzen (religiöse Sekten, Eliteclubs etc.). Mit Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus solchen dunklen Seiten der Zivilgesellschaft (is- obliegt [...] nicht allein der staatlichen Seite. lamistische Vereinigungen mit Hasspredigern an Zivilgesellschaftliches Engagement auf allen der Spitze, rechtsextreme Kameradschaften etc.) Ebenen ist hier nicht minder von Nöten ist stets zu rechnen und ein realistischer Blick und wird deshalb von der Bundesregierung angezeigt. Auch Rechtsextreme verfolgen zuneh- ausdrücklich gefördert und unterstützt“ mend zivilgesellschaftlich orientierte Strategien (BMI 2008: 4). (von Kinderfesten bis zur Hausaufgabenhilfe, von Heimatvereinen bis zu Fußballmannschaf- Zu den Besonderheiten ten) und greifen damit, vermutlich ohne dies zivilgesellschaftlichen Engagements zu wissen, auf das Repertoire faschistischer Be- wegungen in der Zwischenkriegszeit zurück. Vor Zivilgesellschaftliches Engagement in Vereinen, diesem Hintergrund ist eine zivilgesellschaftliche Initiativen, Nachbarschaften, Stiftungen und so- Mobilisierung, die auf die Stärkung von Zivilität zialen Bewegungen kann mit beachtlichen Zah- setzt, umso dringlicher. len aufwarten. Nach den Ergebnissen der Frei- Zivilgesellschaftliche Einrichtungen und willigensurveys sind in der letzten Dekade 30 bis bürgerschaftliches Engagement können als Lern- 40 Prozent der Bevölkerung in diesem Feld aktiv orte von Zivilität – altmodisch gesprochen von (Gensicke et al. 2006; Gensicke 2010). Obwohl „Bürgertugenden“ – wirken. Ob sie dies leisten, das Engagement freiwillig ist, sind „reale“ Zivil- hängt zum einen von der Binnenstruktur der gesellschaften keine Idealwelt, in der Freiheit, Zivilgesellschaft selbst ab. Ihre Fähigkeit zur Gleichheit und Geschwisterlichkeit den Ton an- Selbstkorrektur wird zum anderen durch eine geben. Machtverhältnisse und soziale Ungleich- demokratische Öffentlichkeit und die Offenheit heit spielen auch hier eine Rolle, teilweise als zivilgesellschaftlicher Einrichtungen gestärkt. Auswirkung wirtschaftlicher und staatlicher Ein- Sie ermöglichen eine Konfl iktkultur, eine Bereit- fl üsse, teilweise befestigen zivilgesellschaftliche schaft zum Dissens und zum zivilen Austrag von Vereinigungen diese Ungleichheiten. Sie können Konfl ikten. 54 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Vorzüge und Grenzen zivilgesellschaftlicher fes sionelle Stiftungen (z.B. Amadeu Antonio Strategien gegen Rechtsextremismus Stiftung, Zentrum Demokratische Kultur, Freu- denberg Stiftung, Forum Menschenrechte, Zen- Der Rekurs auf Zivilgesellschaft in den rot-grünen tralrat der Juden). Mit den Programmen von 2001 Bundesprogrammen von 2001 beruhte auf einer bis 2006 erfuhren all diese zivilgesellschaftli- Neugewichtung dieses Bereichs. Dabei wurde chen Gruppen Anerkennung und zuweilen auch auf positive Erfahrungen aus den 1990er Jahren Finanzierung. Trotz eines Booms an Bürgerstif- zurückgegriffen, als vor allem in den alten Bun- tungen war die Kehrseite der staatlichen Förde- desländern eine Fülle von Mobilisierungen gegen rung eine – gerade für kleine Akteure – erhebliche rechtsextreme Attacken auf Asylbewerber/innen Staatsabhängigkeit, die bis heute anhält, auch und Migrant/innen stattfanden, die in der Regel wenn die Programme seit 2007 kleinere zivilge- die Beteiligung an rechtsextremen Mobilisierun- sellschaftliche Akteure nur noch vermittelt über gen um ein Mehrfaches übertrafen. Es entstanden Modellprojekte, kommunal administrierte Lokale bereits in dieser Phase eine Fülle von Bündnissen Aktionspläne und Beratungsnetzwerke fördern. und Zusammenschlüssen, eine Gegenbewegung Zivilgesellschaftliche Strategien gegen mit neuen Aktionsformen (Schutz von Asylbe- Rechtsextremismus lassen sich als Versuch ver- werberunterkünften, Lichterketten etc.).85 Auch stehen, Zivilgesellschaft zu „reparieren“ (civil re- in Ostdeutschland kam es zu Gegenmobilisierun- pair), d. h. ihre zivilen Normen gegen ihre Infra- gen, aber sie blieben insgesamt weitaus schwä- gestellung zu stärken. Es geht dabei vor allem um cher. Da die Geschichte dieser Mobilisierungen weiche Interventionsformen und längerfristige und Gegenmobilisierungen noch nicht geschrie- Ziele: Lern- und Bildungsprozesse, Einstellungen, ben ist, wissen wir wenig über deren Dynamik.86 Überzeugungen, Anerkennung und Ächtung, um Die Stabilität vieler lokaler Bündnisse war Alltagspraktiken und Alltagshandeln. Damit sind jedoch begrenzt. Als die rot-grüne Regierung sie notwendig längerfristig angelegt, erfordern nach einer Serie von fremdenfeindlichen und Erfahrungslernen und sind kontextsensibel. Sie antisemitischen Anschlägen im Jahr 2000 zum basieren auf der Hoffnung, dass der praktische „Aufstand der Anständigen“ aufrief und selbst zu alltägliche Lernort Zivilgesellschaft stark genug Straßendemonstrationen und Bündnissen mobi- ist, um Gegenerfahrungen und informelles Ler- lisierte, ging es um eine Wiederbelebung der akti- nen etc. zu ermöglichen.87 Selbst wenn wir einmal ven Zivilgesellschaft. Ihre staatliche Ermutigung unterstellen, dass die „schlechten“ Einstellungen und programmatische wie fi nanzielle Unterstüt- weitgehend außerhalb der Zivilgesellschaft ge- zung schien zudem eine logische Konsequenz bildet werden (in Familien, Kitas, Schulen etc.), aus den geringen präventiven Wirkungen des müssen wir davon ausgehen, dass es auch zivil- Vorgängerprogramms zu sein. Dass vor allem zi- gesellschaftliche Verstärker dieser Einstellungen vilgesellschaftliche Akteure in den neuen Bundes- gibt (Abwertung von Ausländer/innen in der ländern gefördert wurden, lag an der Erfahrung Alltagskultur, von Rechtsextremen unterwander- einer vergleichsweise schwächer ausgebildeten te „Heimatvereine“), die aus diesen Zusammen- demokratischen Zivilgesellschaft im Osten, deren schlüssen heraus, aber auch durch wechselseitige demokratische Infrastruktur es zu fördern galt. Kriitk korrigiert werden können. Zudem engagierten sich in der Bundesre- Deutliche Grenzen zivilgesellschaftlicher publik in Sachen Rechtsextremismus überregio- Strategien bestehen beim Schutz von potenziel- nal wirksame Themenanwälte (u.a. Prominente, len Opfergruppen (Zivilcourage, Aktion „Not- Journalist/innen von Qualitätszeitungen, die eingang“ etc.), wenn es z.B. gilt, Straftaten zu einschlä gige Internetseiten betreiben) und pro- verhindern. Eine weitere ergibt sich aus einer spe-

85 Einen Überblick bieten Rucht/Heitmeyer 2008: 589f. 86 Eine erste Bilanz zog Kleger 1996, instruktiv sind auch die Fallstudien von Karapin 2007. 87 Die neuere Forschung zu Bildungsprozessen stützt im Übrigen grundsätzlich diese Vermutung und betont das Gewicht informeller Lernprozesse (vgl. Düx et al. 2008), besonders die Selbstsozialisation in Gleichaltrigengruppen (vgl. Rauschenbach et al. 2006). GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 55

zifi schen Ressourcenschwäche zivilgesellschaft- seligkeiten von zentraler Bedeutung ist. Eine of- licher Akteure. In der Regel verfügen sie nicht fene, vielfältige und demokratische Stadt- bzw. oder nur begrenzt über professionelle Arbeits- Gemeindekultur, aktive Mitwirkungs- und Ge- kräfte und müssen somit auf freiwilliges Engage- staltungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und ment setzen. Dies steht nicht immer in der Form, Bürger sowie die Entwicklung einer integrierten Intensität und Dauer zur Verfügung, wie es ein Handlungsstrategie sind wesentliche Vorausset- anspruchsvolles Projekt eigentlich erforderte. zungen für ein Erfolg versprechendes und glaub- Außerdem muss stets mit dem Eigensinn der würdiges Engagement gegen Rechts (vgl. Strobl Freiwilligen gerechnet werden. et al. 2003; Strobl/Lobermeier 2009)88. „Eine Fragt man danach, ob es mithilfe der zivil- Strategie gegen Rechtsextremismus ist nur noch gesellschaftlich orientierten Bundes- und Landes- als integriertes Konzept denkbar, in das Elemente programme gelungen ist, dem gesellschaftlichen der Sozialarbeit genauso einfl ießen wie Aspekte Problem Rechtsextremismus etwas Wirksames der Vernetzung und der Moderation von demo- entgegenzusetzen, fällt das Urteil kritisch aus. kratischen Diskursen. Es geht um die Entwick- Trotz konjunktureller Schwankungen und be- lung demokratischer Gemeinwesen insgesamt“ achtlicher regionaler Teilerfolge ist immer wieder (Korgel 2009: 252). festzustellen, dass rechtsextreme Einstellungen, Lorenz Korgel (2009: 253ff.) hat zehn Gelin- Milieus und Gewalttaten in manchen Regionen gensbedingungen für eine kommunale Strategie ansteigen. Zivilgesellschaftliche Programme al- zur Stärkung der demokratischen Zivilgesell- lein können solche Entwicklungen offenbar schaft herausgearbeitet: nicht verhindern. Allerdings sind rein repressive (1) Stärkung der Zivilgesellschaft durch Einbe- Strategien wie Organisationsverbote, Ahndung ziehung ihrer „Umwelten“ (Staat und Wirt- von Propagandadelikten oder Demonstrations- schaft), verbote ebenso wenig erfolgreich. Ein bescheide- (2) Entwicklung von integrierten Konzepten ner Maßstab erscheint eher angemessen: die Frage (Problemlage, Leitbild, Ressourcen, Ziele, nämlich, inwieweit die Initiativen und Pro gramme Maßnahmen, Qualitätskriterien), zur Förderung bürgergesellschaftlicher Initiativen (3) Unterstützung einer Partizipationskultur, gegen Rechts dazu beigetragen haben, Schlim- (4) Gestaltung von Schulen und Kitas als Lern- meres zu verhindern, d.h. einen wirksamen Bei- orte einer demokratischen Praxis, trag zur Einhegung und Begrenzung dieses gesell- (5) Nutzung von zivilgesellschaftlichen Bünd- schaftlichen Problems geleistet haben. nissen als kritische Impulsgeber für die Kom- munalpolitik, (6) Zusammenbringen von Kompetenzen in Wege zu einer zivilgesellschaftlich Fachnetzwerken, orientierten Politik gegen (7) Nutzung der Interessen von Wirtschaftsun- Rechtsextremismus – das Beispiel Lokale ternehmen und -verbänden, Handlungsstrategien (8) Verknüpfung mit der Integrationspolitik und Entwicklung einer Kultur der Antidis- Es gehört zu den Grunderkenntnissen vieler wis- kriminierung, senschaftlicher Studien, dass der lokale Raum für (9) Entwicklung von Konzepten der (Re-)Demo- die Förderung von Demokratie und Toleranz, die kratisierung öffentlicher Räume und Strate- Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft gien gegen „Angsträume“ und sowie die Bekämpfung von Rechtsextremismus (10) Organisation einer qualifi zierten Beratung und anderen Formen gruppenbezogener Feind- und Begleitung.

88 Rainer Strobl und Olaf Lobermeier haben auf der Grundlage eigener Untersuchungen zehn Punkte angeführt, „die für eine erfolgreiche Vernetzung wichtig sind“: (1) Ressourcen für dauerhaftes Engagement, (2) positive Ausrichtung, (3) langfristige Orientierung, (4) Arbeitsteilung, (5) moderierendes Vorgehen, (6) formale Regeln, (7) Integration, (8) sichtbare Aktivität, (9) politischer Grundkonsens, (10) Kultur der Anerkennung (Strobl/Lobermeier 2009: 22ff.). 56 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Zu diesen Gelingensbedingungen ist darüber setzung mit dem Rechtsextremismus:89 Dazu hat hinaus noch ein Engagement für Opfer rechts- besonders die zivilgesellschaftliche Orientierung extremer Gewalt zu zählen, das deren Hand- der rot-grünen Bundesprogramme beigetragen. lungsfähigkeit stärkt und die Empathiefähigkeit Nach 2006 kam es einerseits zu einer Aufwertung der „Mehrheitsgesellschaft“ fördert. einer integrierten lokalen Praxis, als Lokale Ak- Lokale Initiativen und Mobilisierungen ge- tionspläne (LAPs) zu einer eigenen Fördersäule gen rechtsextreme und fremdenfeindliche Vor- des Bundesprogramms „Vielfalt“ wurden. Ande- kommnisse und Akteure gibt es in großer Zahl rerseits war dies mit einer kontroversen Akzent- und in vielfältigen Formen. Oft handelt es sich verschiebung in Richtung Kommunalverwaltung um spontane anlassbezogene Initiativen, die und kommunale Entscheidungsträger, d.h. einer nach kurzer Zeit wieder einschlafen. Gelegentlich „Verstaatlichung der Zivilgesellschaft“ (Roth geben sie sich festere Strukturen, etwa als einge- 2006) verbunden. Ob sich diese Befürchtung ins- tragener Verein, und sind längere Zeit aktiv. Dies gesamt bestätigt hat und welche Folgen sich dar- ist vor allem dann der Fall, wenn sie zu Trägern aus ergeben haben, wird erst mit der Vorlage des und Anbietern von Veranstaltungen, Schulun- Endberichts der Programmevaluation (vermut- gen und Projekten werden, für die sie öffentliche lich 2011) genauer zu beantworten sein. Mittel in Anspruch nehmen. Mit diesen Vereins- strukturen gehen häufi g auch Professionalisie- Beispiele guter zivilgesellschaftlicher Praxis rungen einher, wenn bestimmte Aufgaben, wie z.B. die Opfer- oder die Gemeinwesenberatung auf Dauer gestellt werden. Beispiele hierfür sind überregional tätige Vereine wie „Miteinander e.V.“ in Sachsen-Anhalt oder das „Kulturbüro Sachsen e.V.“, die in ihren Bundesländern wichtige Trä- ger von Bundes- und Landesprogrammen gegen Rechtsextremismus geworden sind. Auch in ihrer Trägerschaft stehen die lokalen Initiativen gegen Rechtsextremismus sehr un- terschiedlich da. Das Spektrum reicht von respek- tablen Vereinigungen, die von Bürgermeister/in - nen und Teilen der kommunalen Honoratior/in- nen getragen werden und sich selbst in der politi- schen Mitte verorten, bis zu Jugendinitiativen aus dem „bunt-alternativen“ Spektrum, die zu- Mobile Beratungsteams – meist nur schwer öffentliche Anerkennung und MBR Berlin und MBT „Ostkreuz“90, Berlin Unterstützung fi nden. Gelegentlich werden sie sogar als das – verglichen mit der „ordentlichen“ Neben der Opferberatung gehören mobile Bera- rechtsextremen Szene – größere „Problem“ wahr- tungen zu den zentralen institutionellen Errun- genommen und entsprechend behandelt. genschaften der rot-grünen Bundesprogramme. Es gibt vermutlich kaum einen Bereich, der Solche spezialisierten Beratungsstrukturen kön- so intensiv in Evaluationen, wissenschaftlichen nen jene Kompetenzen und Erfahrungen vermit- Studien, Handlungsplänen und Ratgebern bear- teln, die es möglich machen, auf lokale Problem- beitet wurde, wie die kommunale Auseinander- lagen in Sachen Rechtsextremismus angemessen

89 Eine kleine Auswahl aus der Fülle der Literatur mag hier genügen (z.B. Strobl et al. 2003; Lynen von Berg et al. 2007; Palloks/ Steil 2008); eine gute Übersicht bietet das Handbuch der Friedrich-Ebert-Stiftung von Molthagen/Korgel 2009. 90 Die Darstellung stützt sich auf eine gemeinsam mit Jutta Aumüller und Frank Gesemann verfasste aktuelle Programmevalua- tion für den Integrationsbeauftragten des Landes Berlin. Sie steht auf der Internetseite des Integrationsbeauftragten zur Verfü- gung (www.berlin.de/lb/intmig/). GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 57

zu reagieren. Dauerbeobachtung, Erfolgskontrol- Gemeinwesen, insbesondere Islamophobie und le und Unabhängigkeit sind nur einige der Merk- die politische Ideologisierung von Religion. Im male, auf die sich die Beratungsteams beziehen. Zentrum stand dabei der Moscheebau-Konfl ikt in Immer mal wieder kommt es zu Kontroversen Pankow-Heinersdorf und seine Aufarbeitung. Auf über die angemessenen Wege und Leitbilder sol- den ersten Blick entfernt sich dieser Schwerpunkt cher Beratung. Das Berliner Beispiel ist interes- aus dem üblichen Themenrahmen von Mobilen sant, weil hier unterschiedliche Ansätze in einer Beratungen gegen Rechtsextremismus, aber er Stadt betrieben werden. behandelt nicht nur eine besondere Spielart von Mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsex- Fremdenfeindlichkeit, sondern kehrt zurück zu tremismus (MBR Berlin) und dem Mobilen Bera- einem historischen (und wieder hochaktuellen) tungsteam „Ostkreuz“ (MBT „Ostkreuz“) verfügt Grundkonfl ikt von Zivilgesellschaften, nämlich Berlin über zwei qualifi zierte, weit über die Lan- die Neutralisierung und Überwindung von reli- desgrenzen hinaus anerkannte Beratungsteams, giösen Spaltungslinien. Leitbild des MBT Ost- die zur demokratischen Entwicklung der Stadt kreuz ist die offene, begleitende und moderieren- beitragen sollen. Der Senat von Berlin hat sich de Unterstützung von Verständigungsprozessen nicht zuletzt auch aus politischen Gründen im Gemeinwesen. Zielgruppe sind in erster Linie für die Fortführung und Absicherung von zwei Multiplikator/innen und Akteure mit Handlungs- mobilen Beratungsteams entschieden, was zu- spielräumen in ihrem jeweiligen Feld. Ein weite- nächst zu Schwierigkeiten der sozialräumlichen rer Schwerpunkt ist das Coaching von Schulen Ab grenzung und inhaltlichen Konkurrenz ge- und Einrichtungen zur Berufsorientierung, um führt hat. In den letzten Jahren gibt es allerdings auch im Bereich der berufl ichen Bildung einen deutliche Anzeichen für eine stärkere Arbeitstei- wertschätzenden Umgang mit Vielfalt, Demo- lung und Profi lbildung der beiden mobilen Be- kratiekompetenz und verantwortlicher Partizi- ratungsteams. Das MBR Berlin konzentriert sich pation zu ermöglichen. zum einen auf die traditionellen Schwerpunkt- Damit werden zwei wichtige demokratieför- bezirke Lichtenberg, Pankow, Friedrichshain, dernde Strategien sichtbar: Treptow-Köpenick und seit 2007 auch Neukölln, • die Verbesserung der Fähigkeit zum demokra- während das MBT „Ostkreuz“ über das Teilpro- tieförderlichen Konfl iktaustrag und jekt „Polis* – Bezirkliche Koordinierungsstelle • die Schaffung von institutionellen Passungen gegen demokratiegefährdende Phänomene und im Bereich des Übergangsmanagements im Rechtsextremismus Marzahn-Hellersdorf“ nur in Sinne von „civicness“. einem Bezirk stärker verankert ist. Der vom MBT Ostkreuz praktizierte, offen mode- Interessanter und bedeutsamer ist allerdings, rierende Ansatz aufsuchender Demokratieförde- dass beide Teams mit unterschiedlichen Theorie- rung, der die Aktivierung von zivilgesellschaftli- bezügen und konzeptionellen Schwerpunkten chem Engagement, die Organisation möglichst arbeiten. umfassender Beteiligungsprozesse und die Schaf- Das Mobile Beratungsteam (MBT) „Ostkreuz“ fung von „geschützten Räumen“ für breit ange- ist thematisch breit aufgestellt. Mit Verweis auf legte Kommunikationsprozesse zum Ziel hat, eig- das Heitmeyer’sche Konzept der Gruppenbezo- net sich vor allem, um komplexe Problemlagen genen Menschenfeindlichkeit (GMF) (siehe Er- und divergierende Interessen lokaler Akteure in läuterungen in Kapitel 2) greift das MBT ein ethnisierten, religiös aufgeladenen Konfl iktkon- breites Spektrum von Konfl ikten in der Einwan- stellationen produktiv zu bearbeiten. Der Kon- derungsgesellschaft auf. Der Bezug zu Rechts- fl ikt um den Moscheebau in Pankow-Heinersdorf extremismus und Fremdenfeindlichkeit ist im zeigt, dass zu den Gelingensbedingungen dieses Kontext einer breiten menschenrechtlichen Ansatzes vor allem engagierte Bürger/innen, aber Orientierung nur ein Thema unter mehreren. eben auch professionelle Berater/innen aus dem Seit 2007 kümmert sich das MBT besonders um Bereich der Demokratieförderung und erfahrene ethnisierte und konfessionalisierte Konfl ikte im Moderator/innen von Gemeinwesenprozessen 58 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

gehören. Zentrale Elemente und Ergebnisse der pläne und Handlungskonzepte. Die Entwicklung Intervention durch das MBT Ostkreuz waren die kommunaler Handlungsstrategien auf entspre- Organisation und Moderation „vertrauensvoller chende Nachfrage und in enger Zusammenarbeit Dialogprozesse“, die ergebnis- und gemeinwe- mit Bezirksämtern schlägt hierbei eine wichtige senorientierte Bearbeitung und Berücksichti- Brücke zwischen Politik und Verwaltung sowie gung der verschiedenen lokalen Anliegen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Von besonderer Konfl iktlinien im Rahmen von Zukunftswerk- Bedeutung ist zudem, dass in der Arbeit der MBR stätten und die Institutionalisierung des bürger- Berlin verschiedene Regelinstitutionen und -an- schaftlichen Engagements in Gestalt eines Bür- gebote (Schule, Jugendarbeit, Sportvereine etc.) gervereins. Es gibt erste Ansätze einer vertieften systematisch in den Blick genommen werden, Auswertung und Refl exion der Erfahrungen in sodass hier die Anregungsfunktion der Projekt- Pankow-Heinersdorf (Stiftung SPI 2009; Nauditt/ arbeit besonders sichtbar wird. Die MBR Berlin Wermerskrich 2009), die Chancen und Grenzen trägt zudem mit Veranstaltungen und Veröffent- dieses Arbeitsansatzes sind allerdings noch nicht lichungen in hohem Maße zu einer intensiveren ausgelotet. Diskussion über Qualitätsstandards in der Arbeit Im Vergleich mit dem MBT Ostkreuz nimmt gegen Rechtsextremismus bei, die auch bundes- die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ weit Beachtung fi nden. (MBR Berlin) einen „klassischen“ Ausschnitt zi- Die von der MBR – meist in Kooperation mit vilgesellschaftlicher Entwicklungen in den Blick. anderen Akteuren – entwickelten Empfehlungen Sie fungiert als Erstkontaktstelle für Bürger/in- und Handreichungen haben sich bewährt und nen, für Verwaltungen und Organisationen der helfen dabei, konkrete Beratungserfahrungen Zivilgesellschaft, wenn sie Probleme mit Rechts- für ein breiteres Publikum von Interessierten zu- extremismus und Antisemitismus wahrnehmen gänglich zu machen. Solche Empfehlungen und und bearbeiten wollen. Die MBR arbeitet mit Handreichungen gibt es u.a. zum Umgang mit einem Konzept von Zivilgesellschaft, wie es den rechtsextremen Organisationen im Wahlkampf rot-grünen Bundesprogrammen und dem Ber- (2006), mit rechtsextremen Besucher/innen bei liner Landesprogramm zugrunde liegt. Rechts- Veranstaltungen (2007), mit rechtsextremen An- extremismus, so die Annahme, kann durch die mietungsversuchen von öffentlich-rechtlichen weitere Demokratisierung der Zivilgesellschaft, Veranstaltungsräumen (2008), zum Handeln aber auch der umgebenden politischen und gegen Rechtsextremismus in Berliner Schulen wirtschaftlichen Institutionen zurückgedrängt (2008), zur Auseinandersetzung mit Rechtsex- werden. Deshalb beschränkt sich die MBR nicht tremen in kommunalen Gremien (2008) oder auf die Beratung zivilgesellschaftlicher Akteure, zum Umgang mit rechtsextremer Infrastruktur sondern hat sich im Projekt „Auseinanderset- mit dem Titel „Ladenschluss jetzt!“ (2009).91 Als zung mit Rechtsextremismus in kommunalen großer Erfolg der Beratungstätigkeit der MBR Gremien Berlins“ auch mit den Auswirkungen kann die gemeinsame Erklärung der Berliner Be- rechtsextremer Präsenz in den Bezirksverordne- zirksbürgermeister/innen vom 18. Januar 2010 tenversammlungen befasst und bei der praxis- gewertet werden, in der sie sich zu einer gemein- orientierten Weiterentwicklung von Handlungs- samen Praxis im Umgang mit rechtsextremen strategien mitgewirkt. Anmietungsversuchen, Raumnutzungen oder Zu den Stärken des Ansatzes gehören die rechtsextremen Wirtschaftsunternehmen nach Verknüpfung von Rechtsextremismuspräven- folgendem Motto verpfl ichten: „In unseren Rat- tion und Demokratieförderung auf der Grund- häusern, auf Straßen und Plätzen unserer Bezirke lage von Sozialraum- und Kommunalanalysen haben antisemitische, rassistische und antide- sowie im Rahmen lokaler integrierter Aktions- mokratische Äußerungen und Organisationen

91 Die Empfehlungen und Handreichungen können auf der Internetseite des MBR eingesehen werden (www.mbr.de). GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 59

keinen Platz“.92 Die MBR ist auch immer wieder Hinterhuber 2009). Dialoginitiativen zwischen als Projektträger in anderen Themenfeldern aktiv Christen und Juden oder Christen und Muslimen und ansprechbar. sind zahlreicher, wie z.B. eine Studie zu entspre- Die unterschiedlichen konzeptionellen An- chenden Ansätzen in Baden-Württemberg zeigt sätze der beiden Mobilen Beratungsteams stellen (vgl. Schmid et al. 2008). Die Bedeutung sol- eine besondere Bereicherung in einer Einwan- cher Trialog-Initiativen für die Bekämpfung von derungsstadt wie Berlin mit ihren vielfältigen Rechtsextremismus dürfte – auch wenn sich das Herausforderungen und Konfl iktlinien dar. Es Gros der Initiativen aus anderen Motiven gebildet könnte gut sein, dass die Wahl zwischen kon- hat – kaum zu überschätzen sein. Antisemitismus frontativen und moderierenden Interventions- gehört traditionell zum Kernbestand rechtsex- formen sehr viel mit den jeweiligen Konfl iktthe- tremer Weltbilder, reicht aber, wie judenfeind- men, Konfl iktniveaus und Konfl ikttypen zu tun liche Signale aus arabisch-palästinensischen Zu- haben. Eine entsprechende Spezialisierung von wanderergemeinschaften zeigen, weit über diese Beratungsteams erweitert die kommunale Hand- Szene hinaus. Islamfeindliche Äußerungen sind lungspalette. zur Chiffre für Fremdenfeindlichkeit geworden und haben z.B. in den „Pro-Parteien“ eine politi- sche Form gefunden. Eine neu-heidnische Oppo- sition gegen christliche Traditionen („Odin statt Christus“) gehört zu den identitätsstiftenden Ritualen und Symbolwelten einer Strömung der extremen Rechten, die damit an entsprechende Strömungen im Nationalsozialismus anschließt. Interreligiösen Dialogen und der Anerken- nung religiöser Vielfalt kann eine wichtige Rolle zukommen, um das demokratische Potenzial in den Religionsgemeinschaften zu stärken und re- ligiöse Spaltungslinien in sozialen Konfl ikten zu vermeiden (vgl. Allievi 2009). Dass dies auch in der Bundesrepublik notwendig ist, belegen der Kopftuch-Streit und eine Serie von Konfl ikten Interreligiöse Projekte – um Moscheebauten, die zunächst rechtspopu- Abrahamhaus in Denkendorf und Stuttgart, listischen Gruppenbildungen anregten, die als Baden-Württemberg93 „ Pro-Parteien“ inzwischen fest in das rechtsex- treme Milieu integriert sind (vgl. Häusler 2008). Interreligiöse Projekte sind bislang in der Aus- So ruft auch die NPD als rechtsextremer Bewe- einandersetzung mit Rechtsextremismus ver- gungsunternehmer, nach dem überraschenden gleichsweise selten, aber ein bemerkenswerter „Erfolg“ einer Kampagne in der Schweiz, im Versuch, religiöse Toleranz und wechselseitiges Frühjahr 2010 auf ihren Internetseiten zum Verständnis zu praktizieren. Immerhin verweist Kampf gegen Minarette auf. eine neuere Studie auf mehr als 50 Initiativen Die kleine Initiative, von der hier exempla- in der Bundesrepublik, die sich dem „Abraha- risch die Rede ist, verdeutlicht die Chancen und mischen Trialog“ zwischen Juden, Christen und Bedingungen Abrahamischer Trialoge, die oft Muslimen verschrieben haben, indem sie an den unabhängig oder am Rande der kirchlichen und gemeinsamen religiösen Ursprung erinnern (vgl. religiösen Institutionen entstehen. Das „Haus

92 Nachzulesen auf www.mbr.de. 93 Die Darstellung stützt sich auf Gespräche mit Meinhard Tenné (2009 bzw. März 2010) und Dr. Reiner Strunk (März 2010), die auch interne Unterlagen (Vorträge etc.) zur Verfügung gestellt haben. 60 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Abraham e.V.“ im Kloster Denkendorf bei Stutt- ham ein neues Dach in der Stiftung „Stuttgarter gart imponiert nicht zuletzt durch seine Initia- Lehrhaus“ und konnte am 7. Februar 2010 in toren Hakan Turan (als muslimischer Sprecher), Stuttgart erneut eröffnet werden. Reiner Strunk (als christlicher Sprecher) und Die praktisch eher kurze Geschichte des allen voran Meinhard Tenné. Der jüdische Vor- Denkendorfer Versuchs wirkt wenig spektakulär. standssprecher des Vereins, der als Kind mit sei- Was ist gut daran? Grundlegend ist es die Orien- nen Eltern aus Deutschland vertrieben wurde, tierung am Diskurs und an der Deliberation in hatte sich zunächst in Israel eine Existenz aufge- einem Feld, das gerne mit apodiktischen Über- baut und kam in späteren Jahren aus berufl ichen zeugungen beackert wird. Sich im Austausch mit Gründen nach Deutschland zurück. Das „Haus anderen monotheistischen Religionen infrage Abraham“ ist für ihn nicht nur eine Chance zur stellen zu lassen, neue Perspektiven aufzuneh- vorurteilsfreien interreligiösen Begegnung, die men oder auch nur die Erfahrung zu machen, Möglichkeit, Fremdheiten abzubauen, sondern dass es auch anders geht, gehört zu den besonde- auch der Versuch, wie er es emphatisch aus- ren Leistungen des Ansatzes. Er bietet damit das drückt, ein weiteres „1933“ zu verhindern. stärkste Gegengift gegen Pro-Parteien, die mit Von der ersten Idee, die von dem christli- der Angst vor einer anderen Religion Politik zu chen und dem muslimischen Vorsitzenden des machen versuchen. Dass es von Menschen wie Vereins Christlich-Islamische Gesellschaft Stutt- Herrn Tenné verabreicht wird, die eine besonde- gart bereits 1998 an den damaligen Vorstands- re biografi sche Glaubwürdigkeit besitzen, spricht sprecher der Israelitischen Religionsgemeinschaft für deren Wirksamkeit. Beiläufi g berichtet Tenné, Württembergs herangetragen wurde, dauerte dass viele der Trialog-Abende zunächst wesent- es bis 2007, als der Verein „Haus Abraham“ im lich durch gemeinsames Kochen geprägt waren. Kloster Denkendorf einen ersten Ort für interre- Hätte man mit interreligiösen Themen angefan- ligiöse Begegnungen fand. „Die Idee des Hauses gen, hätte dies leicht in Streit münden können. Abraham wird von Menschen getragen, die sich Zumindest für religiöse Menschen können Tria- dem Gedanken des friedlichen Miteinanders der loge als Weg zur Immunisierung gegen religiös Religionen und der Toleranz verbunden füh- motivierte Feindbilder angesehen werden. len.“94 Dabei geht es nicht nur um wechselseitige Duldung, sondern um Verständnis und Anerken- Akzeptierende Jugendarbeit – VAJA in Bremen95 nung, um die Respektierung der Unterschiede und den Abschied von Alleinvertretungsansprü- Die Debatte über die sozialpädagogische Arbeit chen. Alltagserfahrungen mit unterschiedlicher mit rechtsextrem orientierten jungen Menschen, Religiosität sollen refl ektiert, Vorurteile überprüft, aber auch die Diskussion über Ausstiegshilfen Unsicherheiten und Ängste geklärt und aus- für diese Szene ist von heftigen Kontroversen ge- grenzende Haltungen durch Begegnungen über- prägt. Unstrittig ist, dass Kader und organisierte wunden werden, lauten die zentralen Leitlinien Rechtsextreme durch pädagogische und sozial- interreligiöser Bildung. Diesen Zielen diente in pädagogische Arbeit kaum zu erreichen sind. Für Denkendorf eine Serie von Seminaren, Veran- die Arbeit mit „Organisierten“ sind Ausstiegs- staltungen, Angeboten an Schulen, Publikatio- wünsche Voraussetzung, die durch biografi sche nen und immer wieder alltägliche Begegnungen. Umbrüche, Druck aus dem familiären Nahbe- Nachdem Mitte Dezember 2009 das Kloster Den- reich, negative Erfahrungen in der Szene oder kendorf schließen musste, fand das Haus Abra- – in Einzelfällen – durch verschärfte polizeiliche

94 Zitiert nach dem Redemanuskript von Meinhard Tenné „Entstehungsgeschichte der Stiftung ‚Stuttgarter Lehrhaus’“ vom 7.2.2010. 95 Grundlage der Darstellung sind mehrere persönliche Begegnungen mit dem VAJA-Team in den vergangenen Jahren und zu- letzt ein Telefoninterview mit Dennis Rosenbaum im Januar 2010. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 61

den, weil sie nicht zu einer Aufl ösung, sondern unbeabsichtigt zu einer Stabilisierung der lokalen rechtsextremen Szene beitrugen, indem öffent- liche Treffmöglichkeiten vorgehalten wurden. Diese Kritik verdichtete sich in dem harten Dik- tum „Glatzenpfl ege auf Staatskosten“. Gegen die grundsätzliche Ablehnung wurde immer wieder betont, dass • Arbeit mit rechtsextrem orientierten jungen Menschen prinzipiell erfolgreich möglich ist, wenn sie professionell betrieben wird und ent- sprechende sozialpädagogische Standards ein- gehalten werden, • es zur „akzeptierenden“ Arbeit keine Alternati- ve gibt, weil Jugendliche mit entsprechenden Einstellungen auch in gemischten Gruppen und Schulklassen, d.h. fast überall anzutreffen sind, • es sich Jugendbildung und Jugendarbeit zu leicht machen, wenn sie diese schwierige und anspruchsvolle Zielgruppe meiden und nur präventive Arbeit im Vorfeld betreiben, • Programme gegen Rechtsextremismus ihre Repression befördert werden können.96 Oft bie- zentrale Zielgruppe verfehlen, wenn sie auf die ten erst Hafterfahrungen einen Ansatzpunkt für Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendli- entsprechende Interventionen, wie z.B. die Ar- chen verzichten. beit des Violence Prevention Networks deutlich Faktisch gibt es eine Reihe von Vereinen und Pro- macht (siehe Kapitel 4.1). jekten, die seit vielen Jahren zumeist mit hoher Ausgangspunkt für den Streit über den Sinn Fachlichkeit mit dieser schwierigen Zielgruppe und die Notwendigkeit von gezielter Arbeit mit arbeitet.97 rechtsextrem orientierten Jugendlichen waren Einer der profi liertesten und ältesten Träger die Erfahrungen mit dem AgAG-Programm der in diesem Feld ist der 1992 gegründete „Verein 1990er Jahre. Kritisch gesehen wurde zum einen zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit e. V. die faktische Bevorzugung von rechtsextrem ori- (VAJA)“ in Bremen. Sein 2007 vorgelegtes über- entierten Cliquen im Aufbau von Jugendräumen arbeitetes Konzept zur aufsuchenden Arbeit mit – ein Dilemma, in das zielgruppenorientierte rechtsextrem und menschenfeindlich orientier- Programme geraten, wenn es nicht eine entspre- ten Jugendlichen wurde mit dem „Deutschen chende Grundförderung in der Jugendarbeit gibt. Kinder- und Jugendhilfepreis 2008“ ausgezeich- Zum anderen wurden Zweifel an der Reichweite net (vgl. VAJA/Möller 2007). und Wirksamkeit der sozialpädagogischen Arbeit Angesichts der weiten Verbreitung von men- mit diesen Gruppen geäußert. Einige Projekte schenfeindlichen Einstellungen, allen voran von und Einrichtungen waren z.B. geschlossen wor- Fremdenfeindlichkeit, orientiert sich das Konzept

96 Zu den Ausstiegsmotiven, die zugleich einen vertieften Einblick in die Dynamik rechtsextremer Milieus ermöglichen, vgl. Rommelspacher 2006; informativ auch Schauka 2009. 97 Vgl. die auf Berlin konzentrierte aktuelle Analyse von Ansätzen und Projekten in diesem Feld von Kohlstruck et al. 2009 und eine entsprechende „Spurensuche“ in Sachsen-Anhalt (vgl. Simon 2005). 62 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

an jenen Faktoren, die eine Distanz zu solchen matisch befördert werden (Gulbins et al. 2007). Einstellungsmustern begünstigen. Dazu gehören Die Nähe zu guter offener Jugendarbeit in Pro- • „verlässliche und emotional positive Bezie- blemquartieren ist unverkennbar. Die komplexe hungen zu den Eltern, und anspruchsvolle Anlage des Projekts signali- • sinnstiftende Schulerfahrungen mit der Mög- siert zugleich, dass kurzfristige Einstellungsände- lichkeit zum Aufbau von Selbstwert, rungen nicht zu erwarten sind. Es geht vielmehr • politische und gesellschaftliche Teilhabemög- um die Entwicklung biografi scher Alternativen lichkeiten, und längerfristige Veränderungen, die sich gegen • extremismus-, ausgrenzungs- und gewaltdis- den schnellen Zeit- und Projektrhythmus sper- tanzierende Haltungen des sozialen Umfelds, ren, wie er z.B. in den Modellprogrammen des u. a. auch der Peers, der Betroffenen, Bundes und Länder die Regel ist. • die Entdeckung biographisch neuartiger Quellen von Selbstwerterleben und Aner- kennung außerhalb rechtsextrem (und men- schenfeindlich) geprägter Cliquen und Sze- nen, insbesondere im Bereich von Arbeit und Beruf(sausbildung) sowie im Rahmen einer i.d.R. gegengeschlechtlich emotional tiefge- henden Partnerschaft, • die Verfügbarkeit über öffentlichen Raum und die Vermeidung territorialer Konfl ikte, Zusammenschluss von Bürger/innen – Bürger- • den Zugewinn an personaler Kompetenz, vor Bündnis „Wernigerode für Weltoffenheit und allem in Hinsicht auf Affektkontrolle, Refl exi- Demokratie“, Sachsen-Anhalt99 onsvermögen und Empathie, • die Entwicklung gewaltferner männlicher An vielen Orten, in denen rechtsextreme Grup- Identität sowie pierungen besonders aktiv aufgetreten sind, ha- • die Distanz zu Gewaltakzeptanz überhaupt“ ben sich Bürgerbündnisse gebildet, die bereits (VAJA/Möller 2007: 5). seit Jahren – lange vor und unabhängig von den Zugehörigkeit, Partizipation und Anerkennung durch den Bund geförderten Lokalen Aktionsplä- sind zentrale Ziele einer Integrationsarbeit, die nen – engagiert sind. Wernigerode im Harz bietet methodisch Elemente von Streetwork, Einzelfall- mit seinen etwa 33 000 Einwohner/innen hierfür hilfe, Projektangeboten und Gemeinwesenarbeit ein gutes Beispiel.100 kombiniert. Als längerfristige Beziehungsarbeit Das Bürger-Bündnis Wernigerode für Welt- angelegt, scheut sie nicht die Auseinanderset- offenheit und Demokratie wurde bereits am zung mit rechtsextremem Gedankengut, sondern 15. März 2001 unter Beteiligung der demokra- setzt Grenzen und zeigt Alternativen auf.98 Vor- tischen Lokalparteien und anderer gesellschaft- liegende Erfahrungsberichte machen beispielhaft licher Kräfte gegründet. Anlass waren vor allem deutlich, dass solche Distanzierungen nicht nur ausländerfeindliche Übergriffe auf Studierende möglich sind, sondern durch gezielte Angebote der örtlichen Hochschule Harz. Wernigerode war und cliquenbezogener Jugendarbeit auch syste- zu diesem Zeitpunkt eines der Zentren rechts-

98 Lebendige Einblicke in die Praxis der aufsuchenden Arbeit mit Cliquen in Bremer Stadtteilen vermitteln die Beiträge von Gulbins/Rosenbaum 2009 und 2009a sowie mit dem Schwerpunkt Mädchenarbeit (Stewen 2009). 99 Die Darstellung stützt sich auf mehrere Begegnungen und Gespräche mit dem langjährigen Sprecher des Bündnisses Peter Lehmann und eigene Lokalstudien in Wernigerode. 100 Die Darstellung greift weitgehend auf eigene Erfahrungen in der Region (u.a. in einem Miteinander-Projekt gegen lokale Angstzonen „No Place For Fear“) und einen Bericht zurück, den Peter Lehmann, Sprecher des Bürger-Bündnisses „Wernigerode für Weltoffenheit und Demokratie“, dem Autor zur Verfügung gestellt hat. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 63

extremer Aktivitäten in Sachsen-Anhalt. In der Stimmabgabe für rechtsextreme Parteien warn- kommunalen Landschaft gab es im Umfeld von ten. Ein eigenes Landesprogramm gegen Rechts- Tankstellen und Parkplätzen Angstzonen, die extremismus, wie es bereits 1998 das Nachbar- von entsprechend martialisch auftretenden Ju- land Brandenburg verabschiedet hatte, gibt es bis gendlichen kontrolliert wurden. Mehrfach war heute nicht, obwohl das Bundesland seit einigen ein alternativer Jugendclub überfallen und teil- Jahren die rote Laterne trägt, wenn es um die weise zerstört worden. Die örtliche Gastronomie Zahl der rechtsextremen Gewalttaten pro Kopf der kleinen Fachwerkstadt sorgte sich schließlich der Bevölkerung geht. Immerhin arbeitet die um den Tourismus und die Kommunalpolitiker/in- Integrationsbeauftragte des Landes aktuell an nen um das Image bei auswärtigen Studierenden. einem zukunftsorientierten Integrationskonzept, Bei der Gründung wurde eine gemeinsame das auch neue Impulse für die Arbeit gegen Erklärung verabschiedet, die bis heute Grundla- Rechtsextremismus verspricht. ge der Aktivitäten des Bürger-Bündnisses Werni- Bis heute ist das Bürger-Bündnis Wernigero- gerode geblieben ist. Darin werden Freiheit und de kein Verein geworden, sondern ein loser und Toleranz beschworen, aber der lokale Rechtsex- informeller Zusammenschluss von Bürger/innen tremismus mit keinem Wort erwähnt – vermut- geblieben, die sich in ihrer Stadt (und darüber lich zunächst um im bürgerlichen Milieu nicht hinaus) für Demokratie und Toleranz einsetzen abschreckend zu wirken. Die Schirmherrschaft und sich gegen Rechtsextremismus und Frem- übernahm der Oberbürgermeister der Stadt. Auch denfeindlichkeit engagieren. Sie wollen „Gesicht Honoratioren wie der Rektor und der Kanzler zeigen“ und sind durch enge Kommunikation zu der Hochschule Harz sowie der Superintendent schnellem Handeln bereit und fähig. Unterstützt des Kirchenkreises Halberstadt beteiligten sich. werden vor allem Aktivitäten von anderen Grup- Zentraler Ansprechpartner und die „Seele“ des pen und Initiativen; Eigenveranstaltungen sind Bündnisses ist seither Peter Lehmann, ein lang- kaum vorgesehen. jähriges Mitglied des Kreistages. Ein Sprecher- Zu den thematisch breit gestreuten Aktio- kreis wurde bei der Gründung auf Zuruf gebildet nen und Aktivitäten der letzten acht Jahre ge- und blieb über die Jahre fast unverändert tätig. hören u.a. eine Ausstellung zum Verhältnis von Etwa 120 Bürger/innen, die beim Bürger-Bündnis Deutschland zur „Dritten Welt“, die „Aktion Not- ihre E-Mail-Adresse hinterlegt haben, erhalten eingang“, eine öffentliche Diskussion nach den Informationen sowie Einladungen zu Veranstal- Anschlägen vom 11. September, verschiedene frie- tungen, Aktionen und Fortbildungen. Bereits im denspolitische Aktionen, gemeinsame Feste für Mai 2001 wurde von einer Projektgruppe an der alle Bürger/innen, Musikveranstaltungen unter Hochschule ein Sticker „Augen gegen Gewalt“ dem Motto „Konzerte gegen Gewalt – für Tole- entworfen, der zum gemeinsamen Symbol des ranz“, Ausstellungsprojekte und immer wieder Bürger-Bündnisses wurde. Informationsveranstaltungen zu Antisemitismus Das Bürger-Bündnis ist seit seiner Gründung und aktuellen Erscheinungsformen des Rechtsex- Mitglied des Netzwerks für Demokratie und tremismus in der Region (u.a. zu neonazistischen Toleranz in Sachsen-Anhalt, das die Landes re- Musikgruppen und Codes, Ideologien der neuen gierung vor einigen Jahren angeregt und ge- Rechten), aber auch zu anderen Themen. fördert hat, um dem Vorwurf der Untätigkeit zu Beachtlich ist die Zahl und das Spektrum entgehen. Seit die CDU den Landesvater stellt, von Aktionen gegen Rechtsextremismus. Sie rei- beschränkte sich das „arme“ Bundesland – jenseits chen von einer Unterschriftensammlung gegen der Kofi nanzierung der Mittel aus Bundespro- Ausländerfeindlichkeit, die auf entsprechende grammen – im Wesentlichen auf kostengünstige Schmierereien in der Stadt reagierte, über eine Kampagnen („Hingucken!“) und Vernetzungs- Spontandemonstration, mit der die Verteilung plattformen, deren praktische Funktion lange der berüchtigten Schulhof-CD der NPD vor ei- Zeit darin bestand, vor Wahlen parteiübergrei- nem Gymnasium verhindert wurde, bis zur fend Aufrufe zu verabschieden, die vor der symbolischen Aktion „Braunen Kehricht aus der 64 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Stadt fegen“, mit der Bürger/innen gegen eine Auf der Habenseite des Bürger-Bündnisses genehmigte Demonstration der NPD protes- steht sicherlich das langjährige kontinuierliche tierten. Mit der Aktion „Querstellen“ bewegten Engagement einer Gruppe von zivilgesellschaft- sich die Aktiven noch etwas weiter in Richtung lichen Akteuren, die zur lokalen politischen ziviler Ungehorsam, als sich im September 2007 Öffentlichkeit – gerade auch von unbequemen das Bürger-Bündnis an Protesten in Quedlinburg Themen – beitragen und sie für übergreifende gegen eine NPD-Demonstration beteiligte. De- Themen öffnen. Die Einbindung in lokale Elite- ren Marsch durch die Innenstadt auf den Markt strukturen dürfte die gemeinsame Arbeit sicher- konnte verhindert werden. lich erleichtert haben. Indem sich Menschen aus An einer Großdemonstration der regionalen der „Mitte der Gesellschaft“ versammeln, tragen „Antifa“ am 27. Mai 2006 in Wernigerode wollte sie – wenn auch zuweilen halbherzig – zur An- sich das Bürger-Bündnis allerdings nicht beteili- erkennung von gesellschaftlichen Problemlagen gen, aber es wurde aktiv, indem es sich als Ge- bei. In der Abfolge der Proteste lässt sich eine waltschlichter mit weißen Bändern und Schleifen Steigerung in Richtung „ziviler Ungehorsam“ anbot. Am Abend zuvor fand ein Friedensgebet beobachten, d.h. die engagierten Bürger/innen in der Sylvestrikirche und eine Mahnwache auf werden mutiger. Zudem haben sie Brücken zur dem Marktplatz statt. Unter dem Motto „Hin- radikaleren Antifa-Opposition gebaut. gucken!“ bewegte sich das Bürger-Bündnis am Anfänglich wurde Rechtsextremismus eher 23. Juni 2007 erneut „zwischen den Fronten“, als nicht beim Namen genannt, um nicht als Nest- Teilnehmer/innen einer Antifa-Demo und NPD- beschmutzer zu gelten und die Honoratior/innen Gegendemonstration in der Innenstadt von Wer- nicht abzuschrecken. Das fallweise Engagement nigerode aufeinandertrafen. hat deutliche Grenzen, wenn es um längerfristige In den letzten Jahren ist die rechtsextreme Entwicklungen geht (z.B. von der Kameradschaft Gewalt in Wernigerode zurückgegangen. Die ins Parlament), die veränderte integrierte Strate- militante Straßenszene der „Wernigeröder Ak- gien nahe legen könnten. tionsfront“ löste sich 2005 auf und kam da- mit einem Verbot zuvor. Ihr Anführer Michael Gelingensfaktoren im Handlungsfeld Schäfer, Student der Politikwissenschaft, suchte Zivilgesellschaft Schutz in der NPD und gründete einen „Stütz- punkt“ der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN). Aus den beschriebenen zivilgesellschaftlichen Ini- 2007 zog er für die NPD zusammen mit einem tiativen und Projekten können in einem ersten weiteren Mitstreiter in den Kreistag des Land- Schritt folgende Merkmale einer erfolgreichen Ar- kreises Harz ein, zwei Jahre später wurde er auch beit gegen Rechtsextremismus identifi ziert werden. Stadtrat in Wernigerode. Im Kreistag fi el Schäfer durch Provokationen und Diffamierungen auf, • Stärkung der aktiven Bürgerschaft ging es ihm nach eigenen Aussagen doch darum, Allen Projekten ist die Wahrnehmung aktiver den „volksfremden“ Charakter der „Blockpar- Bürgerschaft gemeinsam. Dies setzt das Be- teien“ zu entlarven. Als JN-Bundesvorsitzender wusstsein und die Erfahrung voraus, dass En- gehört er zu den jungen intellektuellen Kadern gagement zählt. Das Gemeinwesen ist kein der Partei. Dass die NPD-Fraktion unter seiner Schicksal, sondern es kann gestaltet werden. Es Leitung rein quantitativ mit ihren parlamenta- braucht positive Selbstwirksamkeitserfahrun- rischen Initiativen zwischen 2007 und 2009 die gen, Sichtbarkeit und öffentliche Anerkennung, aktivste politische Kraft des Kreistags war (Weber damit Engagement gegen Rechtsextremismus 2010: 76), passt in diese jugendliche Erneuerung nicht als individuelles Querulantentum oder der NPD. Aber ihre Wahlerfolge fi elen dennoch politisch randständig erfahren wird. Das Akti- bescheiden aus. Selbst die Mitgliederentwicklung vitätsspektrum kann von Unterstützung und der NPD war in diesem Zeitraum rückläufi g. Beteiligung an einmaligen Ereignissen bis zum GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 65

dauerhaften kontinuierlichen Engagement in schwellige Events (z.B. Sportveranstaltungen, Vereinen und Bündnissen reichen. Mitternachts- und Straßenfußball) können dazu beitragen, Berührungsängste abzubauen • Anerkennung von Pluralität als Quintessenz und breitere Koalitionen zu ermöglichen. Es bürgerschaftlicher Politik geht um Vertrauen und Kontakte, die Brücken Zivilgesellschaftliches Engagement setzt auf zwischen unterschiedlichen Milieus bauen (in die Anerkennung von Pluralität und die Fä- der Sprache von Robert Putnam um „bridging higkeit, die Schnittmengen gemeinsamer In- social capital“) und Solidarität ermöglichen. teressen fi nden zu können. Zunächst sind Interessen stets individuell, Betroffenheiten • Einfordern und Praktizieren von Zivilität und Sorgen eine persönliche Angelegenheit. Zivilität ist Voraussetzung, Medium und Ziel Erst im Engagement mit Anderen – mit anders bürgerschaftlichen Engagements. Dies scheint denkenden, anders lebenden, anders gläubi- nur auf den ersten Blick trivial, denn zahlreiche gen, anders aussehenden Menschen – können Akteure, die in der Zivilgesellschaft unterwegs Gemeinsamkeiten herausgefunden werden. sind, ignorieren zivile Standards. Zivilität heißt Das eigene Interesse kann sich dabei verän- heute in unseren Breiten u.a. Toleranz, Aner- dern und über sich selbst „aufgeklärt“ werden. kennung von Vielfalt, Respekt und Gewaltfrei- Gutes Engagement ist dadurch gekennzeich- heit. Gerade auch in der Auseinandersetzung net, sich auf solche Lernprozesse in der Koope- mit rechtsextremen und fremdenfeindlichen ration und Auseinandersetzung mit anderen Gruppierungen können zivilgesellschaftliche Akteuren einzulassen. Akteure durch ihr Handeln Zivilität auch in Informelles Lernen im Engagement fi ndet auch schwierigen Situationen stärken. Dies schließt und gerade in politischen Initiativen statt, wenn die soziale Ächtung unzivilen Verhaltens eben- sie sich aktiv um Lernchancen und -impulse so ein wie die Überprüfung der eigenen Hand- kümmern. Dies ist in der Regel einfacher, wenn lungsansätze, ob sie wirklich zur Stärkung der man sich in homogenen sozialen Milieus bewegt. Zivilgesellschaft beitragen oder nur neue Ab- Umso mehr kommt es darauf an, die Chance zu und Ausgrenzung, soziale Gräben und Vorur- steigern, die Vielfalt lokaler Milieus sichtbar zu teile begünstigen. machen und zu erleben. An Orten, wo von Viel- falt kaum die Rede sein kann, bedeutet zivilge- • Ermöglichung von religiöser Vielfalt sellschaftliches Engagement womöglich auch, Religiösen Orientierungen wohnt eine grund- sich für Einfl üsse, Impulse, Ideen und Kulturen legende Ambivalenz inne. Sie sind eine beson- zu öffnen, die von außen kommen. dere Quelle von Vorurteilen und Abwertun- gen, bieten aber gleichzeitig eine Grundlage • Engagement für eine inklusive für interreligiöse Verständigungsprozesse. Das Bürgergesellschaft besondere Gewicht, das heute Warnungen vor Gute Praxis zeichnet sich dadurch aus, dass be- einem gefährlichen Islamismus, aber auch vor nachteiligte, randständige, artikulationsschwa- islamophoben Mobilisierungen der extremen che und partizipationsferne Personen und Rechten zukommt, verdient besondere An- Gruppen gestärkt werden, um sich zivilge- strengungen. Dies gilt auch für antisemitische sellschaftlich zu engagieren. So wichtig das Einstellungen. Engagement lokaler Honoratior/innen auch sein mag – es dürfen sich keine Honoratio- • Herstellen von Öffentlichkeit und renvereine herausbilden, die ihre Vorstellung Transparenz von Bürgerlichkeit zur Barriere für Jüngere Zivilgesellschaftliches Engagement braucht und Initiativen aus anderen Milieus werden Transparenz und Öffentlichkeit. Gute Praxis lassen. Gerade gemeinsame Feste und niedrig- besteht immer wieder darin, Öffentlichkeit für 66 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

lokale Ereignisse und Entwicklungen zu schaf- • Aufbau einer eigenständigen professionellen fen. Dies gilt für das eigene Engagement eben- Infrastruktur so wie mit Blick auf die Ziele, Symbolwelten Zum Gesamtbild zivilgesellschaftlichen En- und neue Strategien rechtsextremer Akteure gagements gegen Rechtsextremismus gehört zu informieren. heute auch die Praxis hochprofessioneller101 Gruppen und Initiativen, die seit Jahren eh- • Wahrnehmen von Fehlentwicklungen und renamtlich oder über verschiedene Programme Förderung der Fähigkeit zur Selbstkorrektur fi nanziert in diesem Feld tätig sind. Sie bilden Wenn sich zivilgesellschaftliche Akteure ge- eine eigenständige organisatorische Infra- gen rechtsextreme und fremdenfeindliche struktur in diesem Themenfeld, deren Selbst- Bestrebungen wenden, ist die Fähigkeit zur bewusstsein auch daran zu erkennen ist, dass Selbstkorrektur von Bedeutung. Diese bedarf sie sich öffentlich und kritisch mit staatlichen zusätzlicher Anstrengungen, Aufmerksamkeit Vorgaben und Vorhaben auseinandersetzen. und Aktivitäten – etwa wenn sich Sportvereine Dies gilt besonders für die Bereiche Opferbera- und Jugendfeuerwehren mit rechtsextremen tung und mobile Beratung. Orientierungen in der eigenen Mitgliedschaft auseinandersetzen. Dazu gehört auch, auf Fehlentwicklungen innerhalb der Zivilgesell- 4.3 Handlungsfeld Wirtschaft schaft zu reagieren. Gesellschaftliche Verantwortung • Entwicklung von Beziehungen zu Staat und von Unternehmen im Umgang Wirtschaft auf gleicher Augenhöhe mit Rechtsextremismus Das Ideal einer selbstbewussten und autono- men Zivilgesellschaft darf nicht dazu führen, Die breit geführte Debatte über die gesellschaft- die Bedeutung der vielfältigen Austauschbe- liche Verantwortung von Unternehmen erreicht ziehungen und Abhängigkeiten in Richtung bislang nur selten das Themenfeld Rechtsextre- Staat, Wirtschaft und Gemeinschaften zu un- mismus. Zwar gibt es durchaus engagierte Un- terschätzen. Wichtig sind Beziehungsmuster ternehmen und Unternehmensstiftungen, die „auf gleicher Augenhöhe“, die den Eigensinn sich schon seit Jahren in diesem Feld engagieren, der zivilgesellschaftlichen Sphäre wahren. aber es gehört sicherlich nicht zu den bevorzug- ten Aktionsfeldern von Corporate Citizenship • Verstärkte externe Unterstützung für (CC) und Corporate Social Responsibility (CSR). demokratisch „schwache“ Zivilgesellschaften In den letzten beiden Dekaden ist im Zuge von Gerade „schwache“ Zivilgesellschaften in Ge- beschleunigten ökonomischen Globalisierungs- bieten ohne gewachsene Engagementstruktur prozessen – fl ankiert von Privatisierungen und benötigen Unterstützung von außen – sei es Deregulierungen – ein Bedeutungs- und Macht- durch überregionale Stiftungen und Vereine, zuwachs des Wirtschaftssektors für die gesell- sei es durch Unternehmen und Verbände oder schaftliche Entwicklung festzustellen. Dieser hat durch staatliche Programme. Die Unterstützer dazu beigetragen, dass Unternehmen verstärkt können zivilgesellschaftliches Engagement ein gesellschaftspolitisches Mandat als „gute Bür- vor Ort nicht ersetzen, aber sie können es ins- ger“ wahrnehmen, zumindest wahrnehmen soll- pirieren, erleichtern und ermöglichen. ten (vgl. Crane et al. 2008). Neben dieser gesellschaftspolitischen De- batte gibt es auch sehr handfeste ökonomische

101 Dies gilt nicht unbedingt für die Bezahlung oder die Anstellungsverhältnisse. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 67

Argumente, warum Unternehmen in den Abbau „modernen“ Arbeitnehmer/innen wird erwar- von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremis- tet, dass sie mit Vielfalt umgehen und in her- mus „investieren“ sollten: kunftsheterogenen Gruppen arbeiten können. • In den am meisten betroffenen Regionen ist Genau dies ist aber von Rechtsextremen kaum Rechtsextremismus zu einem zentralen Zu- zu erwarten. kunftsproblem geworden. Dies gilt besonders Bei ortsansässigen kleinen und mittleren Un- für die am meisten von Abwanderung betrof- ternehmen, die für lokale und regionale Märk- fenen ostdeutschen Bundesländer. Zugespitzt te produzieren, stellt sich die Situation ambi- formuliert, lässt sich dort eine Abwärtsspirale valenter dar: beobachten, die von fremdenfeindlichen Ein- • Die rechtsextreme Szene verfügt über ein ei- stellungen und Vorfällen angetrieben wird. Sie genes Segment von Gewerbetreibenden (Sze- prägen ein negatives Image der Region und ne-Läden, Kneipen, Versandhandel etc.), von wirken als Standortnachteil. Dies gilt beson- denen die bewegungspolitische Infrastruktur ders für die Ansiedlung von Unternehmen, betrieben wird. die eine international zusammengesetzte Be- • Politische „Neutralität“ erscheint als Tugend, legschaft haben und für transnationale Märkte um Kundenschwund und Umsatzrückgang zu produzieren. Mangelnde Ausbildungs- und Be- vermeiden, wenn rechtsextreme Einstellun- schäftigungschancen begünstigen die Abwan- gen in der eigenen Kundschaft stark verbreitet derung von besser qualifi zierten jungen Men- sind. Zudem drohen Imageschäden bei einer schen. Diese Abwanderer/innen bilden zugleich Problembenennung. auch jene gesellschaftliche Gruppe, die sich an Dies sind sicherlich keine hinreichenden Fakto- der rechtsextremen Szene ihrer Heimatregion ren, die erklären könnten, weshalb Unterneh- am stärksten stört und gegen sie aktiv wird. men in der Auseinandersetzung mit Rechtsextre- Durch ihren Weggang können sich solche Sze- mismus und Fremdenfeindlichkeit kaum präsent nen weiter verfestigen und die nächste Win- sind. Auf der Ebene der Bundesprogramme spie- dung in der Abwärtsspirale ist erreicht. Zu- len Unternehmen lediglich im Teilprogramm wanderung scheidet unter den gegenwärtigen „Xenos“ eine wichtige Rolle, die aber in der Regel Bedingungen als Gegenmittel weitgehend aus, auf das Thema berufl iche Bildung begrenzt ist. da Arbeitskräfte aus anderen Ländern nicht in eine tendenziell fremdenfeindliche Region Handlungsmöglichkeiten der Unternehmen ziehen wollen. Besonders Großunternehmen brauchen aber ein tolerantes gesellschaftliches Im Prinzip verfügen Unternehmen über eine brei- Klima, um erfolgreich zu sein (vgl. Bussmann/ te Palette von Handlungsmöglichkeiten, von de- Werle 2004 und 2004a). Dies gilt aber auch für nen im Folgenden einige benannt werden sollen. kleine Gewerbetreibende mit „falscher“ Haut- Unternehmen können innerbetriebliche farbe, wie z.B. eine Serie rechtsextremer Über- Vereinbarungen erarbeiten und mit der Vertre- fälle auf Döner- und Asia-Imbissbuden in den tung der Beschäftigten verabschieden, die jede neuen Bundesländern gezeigt hat (vgl. Bürk- Form von Diskriminierung verbietet. Mit dem Matsunami/Selders 2005). Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) • Auf ideologischer Ebene müssen Unterneh- gibt es dafür auch eine weitreichende rechtliche men in Regionen mit einer starken rechtsex- Grundlage. Entscheidend dürfte die Unduldsam- tremen Szene zudem damit rechnen, dass ein keit gegenüber rechtsextremen Vorfällen sein, die „national-sozial“ gestimmter rechtsextremer zusätzlich durch positive Leitbilder unterstützt Antikapitalismus vorhanden ist. Was nicht in werden kann. die Vorstellungswelt einer national begrenz- Vorgesetzte können ihre Vorbildfunktion da- ten, völkisch bestimmten Großraumwirtschaft für nutzen, Zeichen zu setzen, was wiederum dazu passt, muss mit Anfeindungen rechnen. beitragen kann, dass fremdenfeindliche und an- • Auch betriebswirtschaftlich stellen dominant dere diskriminierende Äußerungen unterbleiben rechtsextreme Milieus ein Problem dar. Von und Fehlentwicklungen kommuniziert werden. 68 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Unter dem Titel „diversity management“ Beispiele guter Praxis sind eine Fülle von innerbetrieblichen Werkzeu- gen entwickelt worden, die zur Akzeptanz und Wertschätzung von Vielfalt beitragen können. Unternehmen können auf Abnehmer/in- nen und Kund/innen wirken, indem sie ethisch eindeutige Signale senden, entsprechende Anfor- derungen an Zulieferer/innen stellen und ihre zivilgesellschaftlichen Partner einbinden. So hat z.B. im Mai 2010 der Geschäftsführer von Veolia als Hauptsponsor des F.C. Hansa Rostock ein konsequentes Vorgehen des Vereins gegen „Ge- walt, Ausländerfeindlichkeit und rechtsradikale Tendenzen“ bei den Fans gefordert und mit dem Ausstieg gedroht. Unternehmen können als „gute Bürger/in- nen“ nach außen in die Gemeinde und Region wirken, indem sie interkulturelle Veranstaltun- gen und Aktionen unterstützen, die zu mehr Of- Boykott-Aktionen – „Servicewüste für Nazis“ fenheit für Fremde führen. in Berlin-Friedrichshain103 Wichtig sind regionale und nationale Vernet- zungen von engagierten Unternehmen, die schon Aktionen von Gewerbetreibenden, besonders in durch diese Praxis signalisieren, was erwünschte der Hotellerie und Gastronomie, die ihre Leistun- Orientierungen in ihren Unternehmen sind. gen offen rechtsextrem auftretenden Kund/in- Die nachfolgend präsentierten Beispiele ma- nen vorenthalten, gibt es inzwischen in einigen chen deutlich, dass es mehr Engagement von Bundesländern (Sachsen, Baden-Württemberg, Unternehmen in diesem Feld gibt, als gemeinhin Brandenburg etc.).104 Die Friedrichshainer „Initi- öffentlich wahrgenommen wird.102 Oft wird es gemeinsam mit Betriebsräten und den zuständi- ative gegen Rechts“ in Berlin geht mit ihrer Ende gen Gewerkschaften vorangebracht. Dies muss 2008 gestarteten, provokativen Aktion „Service- nicht weiter verwundern, da das Engagement Wüste für Nazis“ einen Schritt weiter, indem sie gegen Rechtsextremismus zur politischen Kul- selbst aktiv auf das örtliche Gewerbe zugeht und tur der Gewerkschaften gehört, auch wenn das es für Boykott-Aktionen zu gewinnen versucht. Handlungsfeld durchaus steinig ist. Schließlich Vorausgegangen war dieser Bürgerinitiative eine sind Gewerkschaftsmitglieder keineswegs im- Reihe von rechtsextremen Übergriffen auf Mig- mun gegen rechtsextreme Einstellungen und ei- rant/innen, Lesben und Schwule sowie vermeint- nige Gruppen liegen in ihren Einstellungswerten lich Linke im Kiez. sogar über dem Durchschnitt der Bevölkerung Aufgabe war es, die Zivilgesellschaft in ei- (vgl. Zeuner et al. 2007). nem Bezirk zu mobilisieren, dem durch eine hohe Fluktuation in der Bewohnerschaft die „or- ganisch gewachsenen Strukturen“ gemeinsamen

102 Darauf hat bereits 1993 mit vielen Beispielen hingewiesen (vgl. Petry 1993). 103 Grundlage der Darstellung ist u.a. ein Interview mit der Mitbegründerin der Initiative, Frau , im März 2010. 104 Populär wurde diese Verhaltensform, nachdem die Reaktion des Geschäftsführers des Dresdner Hotels Holiday Inn, Johannes L. Lohmeyer, auf die Buchungsanfrage von zwei Mitarbeitern der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag im Oktober 2007 publik wurde. Er schrieb u.a.: „Da Sie in unserem Hause nicht willkommen sind, und ich es auch meinen Mitarbeitern nicht zumuten kann, Sie zu begrüßen und zu bedienen, haben wir die Reservierungsagentur gebeten, die Buchung zu stornieren.“ Sollte die Stornierung nicht möglich sein, würden, so Lohmeyer, entsprechende Umsätze als Spende an die Dresdner Synagoge weitergeleitet (zitiert nach MBR 2008: 45). GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 69

Handelns abhanden zu kommen drohten, so die rechtsextremen Gruppen besucht, die in entspre- Einschätzung einer der Initiator/innen, Canan chendem Outfi t für ihre Sache warben und Besu- Bayran, die selbst ihr Anwaltsbüro im Kiez hat. cher/innen anpöbelten, die nicht in ihr Weltbild Nach einem gezielten rechten Übergriff auf ein passten. Inzwischen beteiligt sich der Betreiber alternatives Café sprach die Initiative unter dem der Bier-Meile an der Initiative und lässt sich von Motto: „Der Kiez wehrt sich“ Ladenbetreiber/in- den Sicherheitsfi rmen vertraglich zusichern, keine nen und Kneipenbesitzer/innen an und bat um rechtsextrem gesinnten Ordner/innen anzustellen. deren klares, sichtbares Bekenntnis gegen Rechts- Es geht der Initiative auch darum, die gesell- extremismus. In der Folge hingen in mehr als schaftliche Verantwortung der kleinen Gewerbe- 80 Prozent der Läden und Kneipen des Viertels treibenden einzufordern und wechselseitige So- Plakate mit dem Aufdruck „Kein Kiez für Nazis“. lidarität zu fördern. „Sie können dazu beitragen, Damit sollte auch auf den Schutz aufmerksam dass sich Migrant/innen hier wohler fühlen. Au- gemacht werden, den man potenziellen Op- ßerdem gibt es auch viele Ladenbesitzer/innen, fern rechter Übergriffe in diesen Einrichtungen die selbst einen Migrationshintergrund haben gewähren wollte. Vor allem ist die Aktion auch – und für die ist es wichtig, dass sie hier ohne darauf angelegt, potenzielle Täter/innen aus der Gefahr ihr Geschäft betreiben können,“ erklärt rechtsextremen Szene abzuschrecken und auszu- Canan Bayram, Mitbegründerin der Initiative grenzen. und damalige SPD-Abgeordnete im Berliner Ab- Die Initiative besteht aus einem breiten geordnetenhaus.105 Bündnis aus Vertreter/innen von Jugendiniti- Vor eine unerwartete Herausforderung sah ativen, Kirche, Bezirk, Sanierungsgebieten und sich die Initiative gestellt, als im Februar 2009 einigen Einzelpersonen und ist weiterhin sehr der Thor-Steinar-Laden „Tromsö“ in Friedrichs- aktiv. Sie verteilt z.B. kostenlos Aufkleber für La- hain eröffnet wurde. Mehrere Demonstrationen, denfenster mit der Aufschrift „Für Nazis keine Flyer-Aktionen, Veranstaltungen mit Gewerbe- Happy Hour“, informiert Laden- und Kneipen- treibenden und eine Plakataktion hatten nicht besitzer/innen über rechtsextreme Zeichen und den gewünschten Erfolg gebracht. Die Initia- Symbole und stellt ein Info-Paket zur Verfügung, tive reagierte schließlich mit dem Aufstellen das Betreiber/innen über die Möglichkeiten auf- eines Protestcontainers vor dem Laden mit der klärt, unerwünschten Gästen den Zutritt zu ver- Aufschrift: „Kein Kiez für Nazis!“ Neben Hinter- weigern. grundinformationen zur Marke „Thor Steinar“ Übergreifendes Ziel ist es, zur sozialen Aus- wurde auf dem Container auch die Geschichte grenzung und Ächtung von extrem rechtem Ver- des Hauses (das u.a. der SA als Folterkeller ge- halten in einem Bezirk beizutragen, der zu den dient hatte) und eine Chronologie von Naziakti- am meisten von gewaltsamen Übergriffen mit vitäten in Friedrichshain präsentiert. rechtsextremer bzw. fremdenfeindlicher Moti- Was zuvor bereits bei einem Geschäft mit vation betroffenen Stadtteilen Berlins gehört. beliebten rechtsextremen Labels in einem nahe- Dabei gilt Berlin-Friedrichshain als kulturell gelegenen Einkaufscenter möglich war, gelang vielfältiger und eher „links“ geprägter Bezirk, auch hier: Nach Gesprächen mit dem Vermieter in dem dennoch viele Rechtsextreme leben und sprach dieser die Kündigung aus. der zudem häufi g Anziehungspunkt für Gruppen In einem anderen Fall war bereits im Vorfeld von „Freizeitnazis“ aus anderen Bezirken ist. ruchbar geworden, ein neu eröffnender Laden Es gibt, teilweise wechselnd, mehrere feste könnte „Nazi-Klamotten“ verkaufen. Nachdem Treffpunkte im Kiez, von denen immer wieder die Initiative den Vermieter darauf hingewie- rechte Übergriffe ausgehen. Die im Sommer ab- sen hatte, musste der Ladenbetreiber schriftlich gehaltene „Bier-Meile“ wurde z.B. verstärkt von bekräftigen, dies zu unterlassen. Mitglieder der

105 „Klar, die Aktion ist provokant“, taz vom 23.11.2008. 70 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Initiative und Gewerbetreibende in der Nachbar- nandersetzung mit Rechtsextremismus geht.109 schaft schauen gelegentlich zur Kontrolle vorbei. Dabei hatte die Stiftung mit ihrem Schwerpunkt Die Erfahrungen solcher Initiativen gegen Nazi- in der Integration von Kindern und Jugendli- Läden hat die Mobile Beratung gegen Rechtsex- chen aus Zuwandererfamilien bereits wichtige tremismus Berlin in einer Handreichung mit dem Akzente gesetzt, ging es ihr doch nicht nur um Titel „Ladenschluss jetzt“ zusammengetragen einen „Kampf gegen ...“, sondern um die Stär- (vgl. MBR 2009). Dass diese Strategie nicht ohne kung jener Zielgruppe, die sich Rechtsradikale Risiken ist, zeigten im Frühjahr 2010 nächtliche als vorrangiges Hassobjekt ausgesucht haben: die Aktionen von Rechtsextremen gegen linke Läden jungen Migrant/innen. Dabei sind die Konzep- und Einrichtungen in anderen Berliner Bezirken. te der Stiftung – im Unterschied zum Gros der Berliner Bezirksbürgermeister/innen haben An- Initiativen in diesem Feld – grundsätzlich nicht fang 2010 gemeinsam das Vorgehen gegen die defi zitorientiert. Vielmehr setzen sie auf die Res- Ausbreitung und Normalisierung rechtsextremer sourcen der Zugewanderten, die Stärkung ihrer Lebenswelten in ihren Bezirken begrüßt und sich Kompetenzen, sowie die Entwicklung einer lo- selbst dazu verpfl ichtet, öffentliche Einrichtun- kalen Bürgergesellschaft, die Zugehörigkeit, An- gen konsequent rechtsextremen Akteuren zu erkennung und Zukunftsperspektiven vermittelt. verweigern.106 Bereits 2002 hat die Freudenberg Stiftung damit begonnen, lokale Modelle zu entwickeln, die dort, wo die Bildungsbenachteiligung am größ- ten ist, „Hoffnungsinseln“ schaffen sollen.110 „Ein Quadratkilometer Bildung“ in Berlin-Neu- kölln, getragen von einem breiten Verbund von Stiftungen, öffentlichen und zivilgesellschaftli- chen Akteuren, gehört wohl aktuell zu den be- kanntesten Ansätzen in diesem Feld. Dabei geht es der Stiftung nicht nur um neue Wege gegen Bildungsbenachteiligung. Integrale Bestandteile des Konzepts sind auch Demokratieerziehung und lokale Demokratieentwicklung. Ein Blick auf die lange Veröffentlichungsliste der Stiftung macht deutlich, wie erfolgreich sie sich um „Inno- vationslücken“ staatlicher Integrations-, Enga- Engagement für Vielfalt – Unternehmensgruppe gement- und Demokratiepolitik gekümmert hat Freudenberg/Freudenberg Stiftung107 und wissenschaftliche Expertise für praxisnahe Fragestellungen mobilisieren konnte. Die 1984 gegründete Freudenberg Stiftung108 ist Schon vor Gründung der Stiftung hat sich heute einer der großen und wichtigen zivilge- das in Weinheim (Baden-Württemberg) ansässi- sellschaftlichen Akteure, wenn es um die Ausei- ge, weltweit operierende Familienunternehmen

106 Am 18. Januar 2010 erklärten sie, alle rechtlichen und politischen Möglichkeiten, „wie etwa Mietklauseln zur Verhinderung rechtsextremer Wirtschaftsunternehmungen oder eine entsprechende Vergabepraxis öffentlich-rechtlicher Räume“ nutzen zu wollen (dokumentiert auf www.mbr-berlin.de). 107 In die Darstellung sind Informationen eingefl ossen, die Frau Buchta-Noack und Frau Fath (Unternehmenskommunikation Freudenberg & Co) in Gesprächen und E-Mails im Februar 2010 zur Verfügung stellten. 108 In der Satzung verankerte Stiftungszwecke: Förderung von Wissenschaft, Erziehung und Bildung sowie Stärkung des fried- lichen Zusammenlebens in der Gesellschaft. 109 So beteiligt sich die Stiftung auch an der Finanzierung des Heitmeyer-Projekts „Deutsche Zustände“. 110 Die Angaben beziehen sich weitgehend auf die Internetseite der Stiftung www.freudenbergstiftung.de, hier die Rubrik Lokale Modelle. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 71

Freudenberg in diesem Feld betätigt.111 In den Deutschen Bahn AG, der Deutschen Telekom 1960er und 1970er Jahren kümmerte sich das und bei der Lufthansa.113 Das Familienunterneh- Unternehmen intensiv um die Integration seiner men Freudenberg setzt dabei nicht auf steue- ausländischen Beschäftigten, schaffte die Sam- rungsorientierte und mit Kennzahlen versehene melunterkünfte ab und legte Qualifi zierungs- Handlungskonzepte, sondern auf pragmatische und Förderprogramme auf. Seit 1979 hat die Vorbildwirkung. Firma den Aufbau des Prototyps RAA (Regionale Diese Strategie soll ein Beispiel verdeutlichen: Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit Im Juni 2007 sind 27 Manager/innen des Wein- und Schule) unterstützt, seine Verbreitung und heimer Unternehmens nach Wurzen gefahren, überregionale Vernetzung gefördert. Heute ge- um zwei Tage bei der Renovierung eines Hauses hören RAAs in zahlreichen Bundesländern zur für Demokratie mitzuhelfen, das dort vom „Netz- verlässlichen Infrastruktur für interkulturelle Ini- werk für Demokratie und Kultur“ (NDK) einge- tiativen und die Auseinandersetzung mit Rechts- richtet wurde. Wurzen galt zu diesem Zeitpunkt extremismus (wie z.B. im Kontext des „Toleran- als rechtsextreme Hochburg Sachsens, als erste ten Brandenburg“). „national befreite Zone“ mit entsprechenden Auch wenn die Unternehmensgruppe Freu- Gewalttaten, aber auch einer überdurchschnitt- denberg (33 000 Beschäftigte in 52 Ländern) im lichen NPD-Wählerschaft. Die Führungskräfte Hinblick auf ihre Produkte und Marken (Dichtun- wollten sich in ihrem jährlichen Management- gen, Schmierstoffe, Trennmittel, Vliesstoffe etc.) Team-Programm dieses Mal mit einem Work- nicht mit kritischen Konsument/innen rechnen camp für gelebte Demokratie in der sächsischen muss, für die sie ein entsprechend progressives Provinz einsetzen – auch eine Möglichkeit, den Image benötigen würde, hat sich das Unterneh- Teamgeist zu stärken.114 Stiftung und Unterneh- men in seinen Leitsätzen in besonderer Weise men sind dem Wurzener Demokratieprojekt seit innerbetrieblicher Vielfalt und Toleranz ver- Jahren verbunden und immer wieder eingesprun- pfl ichtet. gen, wenn andere Finanzierungen ausblieben. „Als Familienunternehmen fühlen wir uns Gäbe es eine solche Firmenphilosophie dem Wohl unserer Mitarbeiter und ihrer per- fl ächendeckend und praxisrelevant, wäre Rechts- sönlichen Entwicklung verpfl ichtet. Wir lehnen extremen ein wichtiger Alltagsbereich entzogen. jede Form von Diskriminierung und persönlicher Ende 2009 konnte das Netzwerk sein 10-jähriges Herabsetzung ab. Wir zeigen und verlangen Ver- Bestehen feiern. Es hat für seine demokratieför- ständnis und Respekt im Umgang miteinander. dernde Gemeinwesenarbeit mit einem dichten Wir sorgen für eine kulturell vielfältige Arbeits- Programm an Lesungen, Konzerten, Kino und welt, in der Mitarbeiter verschiedenster Länder Bildungsreisen nicht nur überregionale Anerken- in Teams ihre Fähigkeiten zur Erhöhung unserer nung erfahren und Auszeichnungen bekommen, Kompetenz einbringen und so gleichzeitig unsere sondern auch vor Ort eine Alternative gegen den Unternehmenskultur bereichern.“112 Durchmarsch der extremen Rechten etablieren Ähnliche Leitsätze, um die sich eine eigene können, inzwischen sogar mit Würdigung der Beratungsbranche zum Thema „diversity ma- kommunalen Spitze. nagement“ entwickelt hat, gibt es z.B. bei der

111 Die Motive und Etappen des Engagements der Firma Freudenberg zeichnet Petry 2008 nach. 112 Vgl. http://www.freudenberg.de/ecomaXL/index.php?site=FCO_DE_leitsaetze (zuletzt abgerufen am 7.1.2010). 113 Weitere Hinweise fi nden sich auf der Seite http://www.migration-boell.de/web/diversity/48_165.asp. 114 Zur Resonanz vgl. „Manager mörteln gegen Rechts“, Financial Times Deutschland vom 3.8.2007; „Einsatz für gelebte Demo- kratie. Führungskräfte tauschen Laptop gegen Hammer und Schaufel“, Weinheimer Nachrichten vom 18.6.2007. 72 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Kompetenzen wie Lern- und Kommunikations- vermögen, Konfl iktlösungs- und Teamfähigkeit sowie ein offener Umgang mit Menschen unter- schiedlicher kultureller und sozialer Hintergrün- de sind neben fachlichen Kenntnissen zentraler Bestandteil einer jeden berufl ichen Qualifi kati- on“, heißt es im Flyer des Projekts. Das „Netzwerk für Demokratie und Coura- ge“ (NDC) besteht seit 1999 und ist in elf Bun- desländern sowie in Frankreich und Belgien ak- tiv. Das Hauptangebot besteht aus eintägigen Bildungsveranstaltungen („Projekttagen“), in denen jeweils ein thematischer Bildungsbau- stein vermittelt wird. Inzwischen ist eine ganze Reihe solcher Bildungsbausteine erarbeitet und erprobt worden. Im SKA-Projekt werden konkret Innovatives Bildungsprojekt – zehn Bildungsbausteine ausgewiesen, die u.a. „Sozialkompetenz in der Ausbildung“ (SKA), Vorurteile, Konfl iktlösungen, Teamfähigkeit, Me- Sachsen115 dienkonsum, Diskriminierung, Sexismus, Demo- kratie und Mitbestimmung zum Thema haben. Die Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft Die Projekttage werden von zwei „Teamenden“ (IHK und HWK) und der DGB Sachsen tragen des NDC durchgeführt. Dabei handelt es sich um gemeinsam ein aus ESF-Mitteln des Sächsischen ehrenamtlich116 engagierte junge Leute, in der Wirtschafts- und Arbeitsministeriums geförder- Regel ehemalige Teilnehmer/innen von Projekt- tes dreijähriges Projekt, das zu Beginn des Jahres tagen, die sich in einer einwöchigen Schulung 2009 gestartet wurde. Es will in der Ausbildung thematisch und methodisch vorbereitet haben. durch eine Folge von Projekttagen soziale Kom- Regelmäßige Auswertungstagungen tragen zur petenzen und zivile Tugenden fördern. Damit ist Überprüfung und Modifi kation der einzelnen Bil- es „Courage – Werkstatt für demokratische Bil- dungsbausteine bei. Langjährig Teamende kön- dungsarbeit“ gelungen, auch in der berufl ichen nen in einer weiteren Qualifi zierung zertifi zierte Bildung ein Format zu verankern, das sie bereits „Trainerinnen bzw. Trainer der Erwachsenbil- erfolgreich in der außerschulischen Jugendbil- dung“ werden. Sie organisieren die Schulungen dung und in der Kooperation mit Schulen („Pro- und Auswertungen der Teamenden. Dieses Kon- jekttage“) entwickelt und erprobt hat. zept verbindet den Nutzen einer weitgehenden Die Förderung von Sozialkompetenz gilt als Standardisierung und Modularisierung von Bil- insgesamt erfolgreichster Präventionsansatz bei dungsbausteinen mit einer permanenten Qua- Gewaltbereitschaft (Beelmann 2008: 72). Gleich- litätssicherung (gestützt auf obligatorische Aus- zeitig gehört Sozialkompetenz, besonders „inter- wertungen durch die Teilnehmenden und ein acting in heterogeneous groups“, zu den von der sich ständig erneuerndes Team). Gleichzeitig er- OECD benannten drei Schlüsselkompetenzen laubt der Verzicht auf einen großen Stamm von des neuen Jahrhunderts (OECD 2009: 7). An bei- Hauptamtlichen, dass die eigentliche pädago- de Einsichten knüpft das SKA-Projekt an: „Soziale gische Arbeit immer wieder von jungen Leuten

115 Die Darstellung stützt sich u.a. auf Gespräche mit Frau Susann Rüthrich, der Geschäftsführerin von „Courage – Werkstatt für demokratische Bildungsarbeit e.V.“ Dresden, im Januar/Februar 2010. 116 Es wird jedoch eine kleine Aufwandsentschädigung gezahlt, die entgangene Verdienstmöglichkeiten teilweise kompensiert. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 73

betrieben wird. Dieses Prinzip des „peer-to-peer Mit den Bildungsbausteinen werden zwar learning“ kombiniert mehrere Vorzüge. Die pä- defi nierte Inhalte angeboten, aber die Kombina- dagogische Vermittlung durch (fast) Gleichaltri- tion und Schwerpunktsetzung sowie ihre jewei- ge stößt auf weniger Widerstände, wirkt glaub- lige Anpassung erfolgt durch die regionalen und würdiger, fördert symmetrische Lernsituationen lokalen Kooperationspartner/innen. So antwor- und altersgemäße Darstellungsformen, greift auf tet ein Träger aus dem Muldental auf die Frage gemeinsame lebensweltliche Erfahrungen und nach den Zielen, die er mit dem SKA-Projekt ver- altersspezifi sche Entwicklungsaufgaben zurück bindet: und erleichtert die Suche nach altersgemäßen ge- „Das Bildungs- und Sozialwerk Muldental sellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten. ist ein regional verankerter freier Bildungsträger Nun ist der Weg, über verbesserte Sozialkom- im ländlichen Raum. Derzeit besuchen 336 Aus- petenzen bei Auszubildenden die Bereitschaft zu zubildende unsere Einrichtung in Tanndorf. Die rechtsextremen Orientierungen und Mitglied- vorwiegend sozial benachteiligten Jugendlichen schaften zu reduzieren, nicht neu. Besonders kommen aus unterschiedlichen familiären Ver- im Rahmen des Xenos-Programms hat es bereits hältnissen und erfahren oft wenig Anerkennung. einige Projekte gegeben, die in diese Richtung Demokratiefeindliche Organisationen und ‚Freie gegangen sind.117 Dennoch ist das SKA-Projekt Kräfte’ sehen in diesem Personenkreis potenzielle mit einer neuen Qualität verbunden, weil es Mitstreiter für ihre Ideologie. Mit dem SKA-Pro- den Status eines Modellprogramms in wichti- jekt verfolgen wir das Ziel, schon im Vorfeld prä- gen Dimensionen hinter sich gelassen hat. Da- ventiv auf die Mädchen und Jungen in der Über- für spricht einmal die breite Trägerschaft durch gangsphase von Schule zum Beruf einzuwirken. die Arbeitsmarktparteien und die Unterstützung Wir wollen für das Thema rechte Gewalt sensi- durch die Landesregierung. Das Projekt hat zwar bilisieren und Alternativen aufzeigen. Zudem se- eine begrenzte Laufzeit, konnte aber bereits im hen wir in diesem Projekt die Möglichkeit, wenn ersten Projektjahr eine solide regionale Veran- Auszubildende die Funktion des Multiplikators kerung erreichen. Angestrebt wird eine enorme übernehmen, in gruppendynamische Prozesse Breitenwirkung: Etwa 13 300 Jugendliche, 600 eingreifen zu können.“ Ausbildende und Sozialpädagog/innen sollen er- Diese und andere Äußerungen machen deut- reicht, 160 Multiplikator/nnen im Projektverlauf lich, wo in den Ausbildungsstätten der Schuh be- qualifi ziert werden. sonders drückt.118 Die langjährigen Erfahrungen Projekttage gehören zwar zu den klassischen im Umgang mit Rechtsextremismus und Frem- Formen der Kurzzeitpädagogik, aber dieses For- denfeindlichkeit versetzen die Courage-Werkstatt mat soll mehrmals pro Jahr über den gesamten in die Lage, darauf angemessen einzugehen. dreijährigen Ausbildungszeitraum eingesetzt wer- den und so eine eigene Qualität gewinnen.

117 Einen Eindruck von der Breite der im Xenos-Programm in der ersten Runde geförderten Schwerpunkte vermitteln z.B. Hein- rich 2004 und Peters et al. 2005. In der aktuellen Förderperiode bietet z.B. das „Bildungsteam Berlin-Brandenburg e.V.“ im Rahmen des Projekts „Vielfalt und soziale Gerechtigkeit – Durch Diversity Horizonte erweitern“ eine Folge von sechs jeweils dreitägigen Trainings an, die sich mit ähnlichen Themen befassen, allerdings stärker am Konzept der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ orientiert sind (www.bildungsteam.de/bbb_vielfalt.html). 118 Kürzlich wurde eine nicht repräsentative, aber aussagekräftige Studie über die Einstellungen von Auszubildenden in Sachsen vorgelegt, die die besondere Affi nität dieser Gruppe für rechtsextreme Einstellungen eindrucksvoll belegt hat (vgl. Nattke 2009). 74 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

len und konnten gute Ergebnisse in der Ausbil- dung aufweisen“ (Nicolaus 2004: 49). Die Ent- scheidung von EKO Stahl fand nicht nur Beifall, aber der internationale Konzern wollte durch den Rauswurf das Problem nicht einfach loswerden, sondern hat sich seither auf mehreren Ebenen in- tensiv engagiert. So veröffentlichte die Geschäfts- führung im August 1998 einen „Aufruf gegen Gewalt und Rechtsextremismus, für Toleranz“, den Anfang 1999 bereits 37 Unternehmen der Region unterzeichnet hatten. Im gleichen Jahr veranstalteten Geschäftsführung und Betriebsrat ein Kulturfest in Eisenhüttenstadt mit 2 000 Teil- nehmer/innen unter dem Motto: „Fest(e) gegen Konsequente Umsetzung eines betrieblichen Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Handlungskonzepts – ArcelorMittal Gewalt“. Auf einem „Fest für Vielfalt“ wurde im Eisenhüttenstadt, Brandenburg119 Mai 2002 eine „Betriebsvereinbarung über part- nerschaftliches Verhalten“ vorgestellt, in der es Wenn es darum geht, „betriebsintern gegen mög- heißt: liche Rechtsextremisten klar Kante zu zeigen“, ist „Geschäftsführung und Betriebsrat stimmen EKO Stahl Eisenhüttenstadt, heute Teil von Ar- darin überein, dass Verstöße gegen die Men- celorMittal, nicht nur nach Ansicht des SPD-Ar- schenwürde und Verletzung von Persönlichkeits- beitsministers des Landes Brandenburg, Günter rechten Dritter durch Mitarbeiter von EKO, auch Baaske, beispielgebend. Er hatte das Unterneh- wenn sie außerhalb der Arbeitszeit und im priva- men 2005 bei einer externen Fraktionssitzung ten Umfeld der Mitarbeiter erfolgen, das Ansehen besucht. EKO Stahl war einige Jahre zuvor in die des Unternehmens bei nationalen wie internati- Schlagzeilen geraten. Ende 1997 waren der Wirt onalen Kunden bzw. Lieferanten und Vertreter/ und der Koch eines Restaurants in Eisenhütten- innen des politischen, kulturellen und regiona- stadt von drei Jugendlichen als „Ausländer“ an- len Umfeldes herabsetzen und EKO schweren gepöbelt und körperlich attackiert worden. Zwei Schaden zufügen [...]. Das gilt insbesondere bei der Jugendlichen waren Auszubildende bei EKO Diskriminierung wegen Abstammung, Herkunft, Stahl, dem mit heute rund 3 000 Beschäftigten Nationalität, Hautfarbe, Religion durch die Betei- größten Arbeitgeber in der strukturschwachen ligung an oder die Unterstützung von ausländer- Region Ostbrandenburg. Sie wurden zu einer feindlichen Aktivitäten oder Aktionen.“ zweijährigen Jugendstrafe bzw. zu einer Bewäh- Im Mai 2007 tritt ArcelorMittal Eisenhütten- rungsstrafe verurteilt. EKO kündigte einem der stadt der „Charta der Vielfalt“121 bei und wirbt da- Auszubildenden sofort, der andere konnte seine für bei regionalen Unternehmen. Ein Jahr später Lehre beenden, wurde aber – entgegen der übli- vermittelt ein umfassendes Schulungsprogramm chen Praxis – nicht übernommen.120 Beide waren der gesamten Belegschaft den Verhaltenskodex zuvor im Unternehmen „nicht negativ aufgefal- (Code of Conduct) und die Arbeitsordnung der

119 Die Darstellung stützt sich wesentlich auf Informationen und Materialien, die Dr. Herbert Nicolaus (Manager Internal Com- munication von ArcelorMittal) Anfang Februar 2010 zur Verfügung gestellt hat. 120 Der Fall hat Eingang in die didaktische Literatur gefunden (vgl. Reinhardt 2006). Die Darstellung stützt sich in Teilen auf die dort aufbereiteten Materialien. 121 Die Charta wurde nach französischem Vorbild im Dezember 2006 auf Initiative der Unternehmen Daimler, Deutsche Bank, Deutsche BP und Deutsche Telekom im Bundeskanzleramt ins Leben gerufen. Ende 2009 gehörten der Initiative mehr als 700 Unternehmen und Institutionen an. Sie ist damit eines der größten thematischen Unternehmensnetzwerke. Im Zentrum steht der ökonomische Nutzen von Diversity, der Wirtschaftsfaktor Vielfalt: „Technologie, Talente und Toleranz – Die drei großen T gelten als entscheidende Standortfaktoren der Zukunft. Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist nur möglich, wenn alle drei Faktoren erfüllt sind“ (vgl. www.vielfalt-als-chance.de). Koordiniert wird die Initiative von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 75

Firma, die ein diskriminierungsfreies Arbeitsum- • Senkung der Krankenrate und Unfallquoten feld garantieren. Es folgt ein Pilotprojekt „Sozi- (Motivation) ales Lernen in der berufl ichen Ausbildung“ mit • Verbesserte Kundenorientierung und höheres Auszubildenden in sozialen Einrichtungen, um Dienstleistungsniveau ihre soziale Kompetenz zu fördern. • Gesteigertes Außen-Image des Unternehmens Bereits zuvor hatte die Firma sich im inter- • Zugang zu neuem Arbeitskräftereservoir kulturellen Jugendaustausch mit Frankreich und • Verbesserter Umgang mit zunehmender Inter- Polen engagiert und sich an einer Jugendkonfe- nationalisierung.“ (Nicolaus 2009) renz „Vielfalt und Toleranz in der Ausbildung“ Um diese ökonomischen Chancen zu nutzen, be- im Dezember 2007 in Dortmund beteiligt. Im darf es jedoch einer positiven Gestaltung gesell- Zusammenhang mit diesen vielfältigen Aktionen schaftlicher Vielfalt und den Schutz vor ungerecht- und Initiativen hat ArcelorMittal ein Handlungs- fertigter Benachteiligung und Diskriminierung. konzept entwickelt. Dazu gehören: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), • Mobilisierung der Gesellschaft, d.h. selbst die das am 18. August 2006 in Kraft getreten ist, trägt Initiative ergreifen bzw. Aktionen und Initia- diesem Erfordernis Rechnung und wird von vielen tiven fördern, die Vielfalt fördern; Unternehmen inzwischen als Chance angesehen. • Ausgestaltung einer entsprechenden nachhal- Ein Unternehmensvertreter hebt dafür fol- tigen Unternehmenskultur sowie eines Unter- gende Erfahrungswerte und Maßstäbe hervor: nehmensleitbilds; Das Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit • Prävention vor allem durch Ausbildung und Er- muss Teil des gesamten bürgerschaftlichen En- ziehung und das Unternehmen als Sozialisati- gagements (CSR) des Unternehmens sein:122 die onsumfeld nutzen; Unternehmensförderung von Vereinen, Projek- • Ächtung von Gewalt durch Ausgrenzung und Be- ten und Initiativen wird an Diskriminierungsver- strafung, wenn die anderen Mittel versagen. bot und Toleranz gebunden. Um diese Ziele zu verwirklichen, hat das Unter- Es braucht defi nierte Ziele und verbindliche nehmen zahlreiche Netzwerke und Bündnisse Regeln, Feedback- und Controlling sowie perso- aufgebaut oder ist ihnen beigetreten. Neben den nelle und materielle Ressourcen. Nötig ist auch regionalen Unternehmensbündnissen sind dies ein kontinuierlicher Prozess mit Partner/innen das Landes- und Bundesnetzwerk „Unternehmen in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die Partner der Jugend“, der Landespräventionsrat Unternehmensführung muss sich klar positio- Brandenburg, der Beirat des Bündnisses für De- nieren. Eindeutige innerbetriebliche Regelungen mokratie und Toleranz, die bereits angesproche- sind unerlässlich. ne „Charta der Vielfalt“ und die Aktion Courage In den letzten Jahren ist es zu keinen weite- Eisenhüttenstadt. ren fremdenfeindlichen Vorkommnissen gekom- Vielfalt, Gleichstellung und Toleranz gehö- men, an denen Mitarbeiter/innen des Betriebs ren zu den „Unternehmenswerten“ des Konzerns, beteiligt waren. Der Anteil der Beschäftigten mit denn sie sind ein immer bedeutsamerer Faktor im Migrationshintergrund ist bislang allerdings ge- gesellschaftlichen Zusammenleben und „tragen ring. Das internationale Unternehmen versucht heute maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg verstärkt, durch das Werk in Eisenhüttenstadt des Unternehmens bei“ (Nicolaus 2009). Für den die Netzwerke zu den osteuropäischen Märkten ökonomischen Nutzen führt der Leiter der inter- zu verbessern. Das bürgerschaftliche Engagement nen Kommunikation folgende Faktoren an: musste – nicht nur in diesem Feld – unter dem • „Arbeitnehmer in einem diskriminierungsfrei- Eindruck der Krise zurückgefahren werden, doch en Arbeitsumfeld sind produktiver, motivierter, hält das Unternehmen an seinen Zielsetzungen kreativer, leistungsfähiger und innovativer fest.

122 Die Konturen des gesamten bürgerschaftlichen Engagements des Unternehmens, das u.a. vier Stiftungen in der Region ge- gründet und sich stark in der Kommunal- und Regionalentwicklung der Region engagiert hat, fi nden sich in der EKO Stahl- Fallstudie bei Tech 2006. 76 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

als unliebsame Konkurrenz zum Sündenbock für negative Entwicklungen (Abwanderung etc.) ge- macht wurden. „Hausgemachte“ Probleme, wie z.B. die räumliche Separierung, kamen in Witt- stock hinzu. Aber im Grunde steht die Stadt für viele Gemeinden in ähnlichen ländlichen Regio- nen. Obwohl sie dringend Zuwanderung bräuch- ten, um die anhaltenden Bevölkerungsverluste zu kompensieren, fehlt die Bereitschaft bei einer Mehrheit der örtlichen Bevölkerung, die Aufnah- me von Migrant/innen als Chance zu begreifen. Die Abwärtsspirale dreht sich weiter. In dieser Situation meldete sich die nahe- Unternehmerisches Engagement und gezielte gelegene Kleinstadt Kyritz (Hansestadt mit rund Integrationspolitik – „Aktionsgemeinschaft 10 000 Einwohner/innen) zu Wort und versi- Kyritzer Gewerbe“ (AKG) und „Netzwerk cherte, dass alle Aussiedler/innen der Region in Spätaussiedler“, Brandenburg123 Kyritz willkommen seien. Die Grundlage bot eine bemerkenswerte breit getragene lokale In- Der Mord an einem jugendlichen Spätaussiedler itiative, die sich gezielt für die Ansiedlung und in Wittstock/Dosse im Mai 2002 gehört zu den Integration von Zuwanderern einsetzt. Die lokale spektakulären Fällen fremdenfeindlich motivier- Wirtschaft spielte dabei eine Vorreiterrolle. Be- ter Gewalttaten. Drei Jugendliche hatten ihr Op- reits 1992 hatte sich die „Aktionsgemeinschaft fer mit einem Feldstein erschlagen. Dieser Vor- Kyritzer Gewerbe e.V.“ (AKG) als Interessenge- fall war der traurige Höhepunkt einer Serie von meinschaft der kleinen und mittleren Betriebe gewalttätigen Übergriffen von lokalen Jugendli- vor Ort gegründet. Ihr langjähriger Geschäfts- chen auf zugewanderte jugendliche Aussiedler, führer wurde Jürgen Plän, der seit 2000 als Un- die sich zunehmend zur Wehr setzten. Nicht nur ternehmensberater – teils selbstständig (HCP – Boulevardmagazine befürchteten eine „Spirale Handwerk Consult Plän), teils angestellt – in der der Gewalt“. Region arbeitete und immer wieder feststellte, Eine wichtige Voraussetzung für diese Kon- dass Fachkräfte in den Betrieben fehlten. fl iktsituation war eine verfehlte Zuweisungs- und So entwickelte er die Projektidee, Arbeitslose Ansiedlungspolitik im Umgang mit deutschstäm- ganz gezielt für die Bedürfnisse des lokalen und migen Aussiedler/innen. Auch den ländlichen regionalen Arbeitsmarkts bzw. die konkreten Er- und wirtschaftlich schwachen Regionen des Os- fordernisse in den Betrieben fi t zu machen. Sei- tens, wie Ostprignitz-Ruppin, waren ihre Kontin- ne zentrale Frage: „Wie kann es uns gelingen, gente zugewiesen worden. Die Aussiedler/innen mit Leuten von hier die Unternehmen zu be- mussten – oft gegen ihren Willen – drei Jahre am dienen?“ Dazu zählte er selbstverständlich auch Ort bleiben, bevor sie zu Verwandten und Bekann- Migrant/innen, vor allem auch Spätaussiedler/ ten in den reicheren Süden oder Westen der Re- innen. „Mein Anliegen war, möglichst viele Spät- publik aufbrechen durften. Bei regionalen Arbeits- aussiedler hier reinzukriegen“, auch um sie vor losenquoten von über 20 Prozent hatten gerade Ort zu halten, wenn nach drei Jahren ihre Re- die Neuankömmlinge kaum Chancen auf dem sidenzpfl icht abgelaufen ist. Schließlich hat Jür- Arbeitsmarkt. Die Motivation der Zugewanderten, gen Plän das Thema Integration in der AKG zu sich unter diesen Bedingungen in die lokale Ge- seinem Schwerpunkt gemacht. Die Beteiligung meinschaft zu integrieren, blieb ebenso gering wie an Erwerbsarbeit stellt auch aus seiner Sicht ein die Offenheit der Ansässigen für die Neuen, die zentrales Integrationsmittel dar. Dazu hat er mit

123 Die Darstellung stützt sich einerseits auf Telefoninterviews mit Frau Natalie Schmidt (Flämmchen e.V.) und Herrn Jürgen Plän (Fachkräfteverbund der Kleeblattregion) im Januar 2010. Andererseits war es möglich, bei einem früheren Ortsbesuch an einer Sitzung des Netzwerks Spätaussiedler teilzunehmen. GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 77

mehreren Beschäftigungsträgern zusammenge- Im Jugendbereich hält die Stadt seither ein arbeitet, aber auch eigene Projekte berufl icher ungewöhnlich breites und differenziertes Ange- Qualifi zierung mit Landes- und EU-Förderung bot an Jugendräumen bereit, das insgesamt einer mit auf den Weg gebracht. Regionale Vernetzung konfl iktträchtigen Konkurrenz um knappe Res- („Fachkräfteverbund der Kleeblattregion“) und sourcen in der Freizeit entgegenwirkt. Der Prozess grenzüberschreitende Projekte bringen zusätz- der Integration in das örtliche Vereinsleben hat liche Impulse. Zu den entwickelten Formaten bereits 2004 eingesetzt, als der erste jugendliche zählen in die Qualifi zierungsangebote integrierte Aussiedler Mitglied der freiwilligen Feuerwehr Deutschkurse, aber auch Russischunterricht, um wurde. Gleichzeitig hatte die Kommune akzep- die Sprachkompetenzen der nachwachsenden tiert, dass die Neubürger/innen die Gelegenheit Generation nicht zuletzt mit Blick auf die osteu- suchen, unter sich Erfahrungen auszutauschen ropäischen Märkte zu erhalten. und eigene Unterstützungsnetzwerke aufzubau- Das Ankurbeln regionalwirtschaftlicher Ak- en, indem sie Räumlichkeiten für einen neuen tivitäten und der unternehmerische Blick auf Verein zur Verfügung stellte. Bereits mit Beginn die besonderen Potenziale der Aussiedler/innen des verstärkten Zuzugs von Spätaussiedler/innen (Sprachkompetenzen, aber auch nicht zertifi zier- nach Kyritz ab 2003 hatte die Kommune über te handwerkliche und technische Qualifi katio- ihre Wohnungsbaugesellschaft eine integrations- nen) wäre weniger auffällig, wäre die AKG nicht hemmende räumliche Konzentration der Zuwan- zu einer treibenden Kraft geworden, die örtliche derer verhindern können. Gemeinschaft auf diesem Wege mitzunehmen. Ein gezieltes Übergangsmanagement, in dem Als sich die Stadt Kyritz im Herbst 2004 am Schulen und regionale Wirtschaft kooperieren, Wettbewerb „Erfolgreiche Integration ist kein Jobpaten aktiv werden, eine gezielte Kompetenz- Zufall. Strategien kommunaler Integrationspoli- feststellung eingesetzt und IT-Qualifi kationen tik“ der Bertelsmann Stiftung und des Bundes- vermittelt werden, gehören zu den Meilensteinen ministeriums des Innern beteiligte, betrieb die dieser aktiven arbeitsmarktbezogenen Integrati- Kommune bereits seit dem Signal von 2002 eine onspolitik, für die umfangreiche externe Unter- gezielte Zuwanderungs- und Integrationspolitik, stützung (Bosch Stiftung, STATTwerke e.V., RAA in die sie alle relevanten Akteure der Region ein- Brandenburg etc.) gewonnen werden konnte. bezieht. Ihr zentrales „Instrument“ ist das „Netz- In der Kombination von unternehmerischem werk Spätaussiedler“, das am 18. November 2003 Engagement und kluger aktiver kommunaler In- gegründet wurde. Das Netzwerk, an dem sich alle tegrationspolitik kann Kyritz für sich beanspru- lokalen Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft chen, gute Qualität im Umgang mit Vielfalt in und öffentlichen Einrichtungen beteiligen, die in einem sehr schwierigen Umfeld zu bieten. diesem Feld tätig sind, trifft sich regelmäßig im Rathaus unter Vorsitz des Bürgermeisters oder sei- Gelingensfaktoren im Handlungsfeld Wirtschaft ner Amtsleiterin. Neben spezifi schen Angeboten für Spätaussiedler/innen zielt die Netzwerkarbeit Im Folgenden werden einige Gelingensfaktoren bislang weitgehend erfolgreich auf präventives benannt, die sich angesichts der beschriebenen Konfl iktmanagement, eine verstärkte Akzeptanz Beispiele für das Engagement der Wirtschaft ge- von Zuwanderern in der Kommune und auf die gen Rechtsextremismus formulieren lassen. Förderung von Selbstorganisation und bürger- schaftlichem Engagement. Erfolge sind u.a. die • „Null Toleranz!“ – Konsequentes Vorgehen Gründung des Selbsthilfevereins von Spätaus- gegen fremdenfeindliche Äußerungen siedler/innen „Flämmchen e.V.“ und das erfolg- und diskriminierende Haltungen von reiche Management (moderierte Aussprache mit Mitarbeiter/innen den betroffenen Jugendlichen) eines größeren Politische Neutralität, die im betrieblichen lokalen Konfl ikts im Sommer 2005, in den auch Alltag und in Betriebsverfassungen ein hohes jugendliche Aussiedler/innen involviert waren. Gut darstellt, kann gegenüber Rechtsextremis- Ausgangspunkt waren Provokationen von Ju- mus nicht gelten. Denn hier geht es nicht um gendlichen aus der Region. eine beliebige politische Meinung, sondern 78 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

um Einstellungen und Verhaltensweisen, die gültig ist dabei, ob stärker ökonomische Stand- das friedliche Zusammenleben und -arbeiten ortargumente oder die politische Verantwortung gefährden. Gute Praxis beginnt da, wo Un- für das Gemeinwesen ins Spiel gebracht werden. ternehmen ihre Zurückhaltung aufgeben und Für die Resonanz und Reichweite betrieblicher rechtsextreme bzw. fremdenfeindliche Hal- Strategien dürfte die Zusammenarbeit zwischen tungen, Äußerungen und Verhaltensweisen in Betriebsleitung und den Interessenvertretun- ihren Unternehmen nicht hinnehmen.124 Mit gen der Beschäftigten von ausschlaggebender dem neuen AGG existiert auch ein rechtlicher Bedeutung sein. Es braucht in diesem Feld ein Rahmen, der dazu genutzt werden kann, diese partnerschaftlich orientiertes Vorgehen, das auf Grenze zu ziehen. Aber auch schon zuvor war einem möglichst breiten Konsens beruht. über Betriebsvereinbarungen oder entspre- chende Klauseln in Ausbildungs- und Arbeits- • Willkommenskultur für Mitarbeiter/innen verträgen diese Möglichkeit gegeben. Diese mit Migrationshintergrund und internationale „Null Toleranz“-Maxime wirkt umso überzeu- Unternehmen gender, wenn das Unternehmen deutlich Unternehmen aus dem Ausland und Men- macht, dass Mitarbeiter/innen entsprechende schen mit Migrationshintergrund verdienen Verhaltensgrenzen auch außerhalb des Betrie- die besondere Aufmerksamkeit und öffentli- bes einhalten müssen. che Unterstützung der zuständigen Kammern bzw. Unternehmensverbände, aber auch der • Unterstützung einer wertschätzenden Gewerkschaften.126 Vielfalt im Betrieb Verbote und Strafandrohungen alleine genü- • Einbettung betrieblicher Strategien in das gen nicht. Es kommt darauf an, in den Unter- Gemeinwesen nehmen präventive und kommunikative Stra- So wichtig und grundlegend betriebliche Stra- tegien einzusetzen, die zur wechselseitigen tegien sind, ihre Grenzen sind offensichtlich, Anerkennung und Wertschätzung vielfältiger wenn Rechtsextremismus und Fremdenfeind- Beschäftigungsgruppen beitragen können. Das lichkeit als „weiche Standortfaktoren“ ins Spektrum der Maßnahmen und Angebote ist Spiel kommen (vgl. Bussmann/Werle 2004 groß und wird u.a. im Kontext von Diversity und 2004a). Hier braucht es Vernetzungen Management durchbuchstabiert. Es kann von mit dem Gemeinwesen, um das spezifi sche Unterstützungsaktionen des Managements für Gewicht des Unternehmens für die Entwick- regionale Initiativen, dem „Seitenwechsel“ von lung einer lokalen und regionalen Agenda in Beschäftigten, über die Schulung von Betriebs- die Waagschale zu legen. Warum sollten nicht rät/innen und Vertrauensleuten bis zu inter- auch Unternehmen Maßnahmeträger von kulturellen Firmenfesten reichen.125 Wichtig ist, Lokalen Aktionsplänen sein oder solche ent- dass vor allem auf den verantwortlichen Ebe- wickeln? Die Beispiele aus Eisenhüttenstadt nen des Betriebs die Wertschätzung von Viel- und Kyritz verdeutlichen, wie wichtig diese falt als wichtige Ressource des Betriebes ver- Einbettung betrieblicher Strategien in das Ge- deutlicht und als wesentliches Element der meinwesen sein kann und Unternehmen auch Firmenphilosophie ausgewiesen wird – gleich- für die Kommune eine treibende und tragen-

124 Eine Berlin-Brandenburger Initiative hat einen plakativen Aufkleber entwickelt, der im Betrieb angebracht werden kann: „Ras- sismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus haben in unserem Betrieb keinen Platz! Wir tolerieren keine diskriminieren- den Äußerungen oder körperlichen Angriffe, zum Beispiel wegen Hautfarbe, Religion, Nationalität oder sexueller Orientie- rung! Wir stehen für Gleichbehandlung und Achtung der Menschenwürde ein!“ (siehe www.handeln-statt-wegsehen.de). 125 Die Berlin-Brandenburger „Initiative gegen Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus“ mit dem Motto „Handeln statt wegsehen“, an der sich u. a. DGB, ver.di und HBB beteiligen, hat ein 10-Punkte-Programm formuliert, das für den betrieblichen Alltag sicherlich hilfreich ist (Titel der Broschüre: „Aktiv in Betrieb & Schule“). Aufschlussreich sind bereits die Überschriften: „1. Sensibilisieren Sie Ihr Umfeld. 2. Informieren Sie sich. 3. Beziehen Sie deutlich Stellung. 4. Verankern Sie ein menschen- rechtsorientiertes Grundverständnis. 5. Seien Sie solidarisch mit den Opfern. 6. Ermuntern Sie andere zu widersprechen. 7. Setzen Sie ein Zeichen gegen rechtsextreme Gewalt. 8. Unterstützen Sie bürgerschaftliches Engagement. 9. Vernetzen Sie sich. 10. Nutzen Sie rechtliche Möglichkeiten“ (siehe www.handeln-statt-wegsehen.de). 126 Interessante Vorschläge entwickelt ein Forschungsbericht über „Fremdenfeindliche und rechtsextreme Übergriffe auf Imbiss- buden im Land Brandenburg“ (Bürk-Matsunami/Selders 2005). GUTE PRAXIS BEI DER BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS 79

de Rolle spielen können. Regionale Netzwerke chen zivilgesellschaftlichen Akteuren anderer- bieten zusätzliche Ressourcen und Unterstüt- seits machen das Potenzial sichtbar, das in sek- zungsstrukturen.127 torenübergreifender Zusammenarbeit liegt. Es gilt, dieses Themenfeld für die Debatten über • Bildung, Ausbildung und Weiterbildung als Corporate Citizenship und Corporate Social zentrale Felder für eine Politik der Vielfalt Responsibility weiter zu erschließen. Verknüpfungen in Richtung Bildung und überbetriebliche Ausbildung, aber auch das • Verknüpfung von überregionalen Engagement öffentlicher Betriebe versprechen Vernetzungen und konkreten besonderen Nutzen. Populäre Konzepte wie Handlungsansätzen kommunale Bildungslandschaften oder Über- Überregionale Vernetzungen und Kooperatio- gangsmanagement sind ein Indiz dafür, dass nen geben Initiativen gegen Rechtsextremismus in solchen Kooperationen besondere Poten- von Unternehmen die besondere Chance, dass ziale liegen – wie auch das sächsische Beispiel ihr Handeln nicht als ertragsorientiert und be- zeigt. Die Sichtbarkeit von Unternehmen in triebsfi xiert oder regional borniert wahrgenom- diesem Feld scheint von besonderem Wert, men wird. Zudem besteht so die Möglichkeit, in macht es doch deutlich, mit welchen sozialen die Unternehmenswelt selbst hineinzuwirken. Kosten ein Engagement in der rechtsextremen Wichtig ist, dass die Kooperationen zwischen Szene verbunden sein kann. Unternehmen und ihren Verbänden einerseits und den staatlichen Stellen und zivilgesell- • Einbeziehen von Kund/innen und NGOs in eine Politik der Vielfalt schaftlichen Akteuren andererseits mit kon- kreten Handlungsansätzen unterlegt sind. Bloß Es ist für die Entwicklung des Handlungsfel- symbolische Bekenntnisse ermüden. Die Ziele des Wirtschaft strategisch bedeutsam, dass sollten konkret und überzeugend sein.128 Kund/innen und kritische Beobachter/innen ihre Ansprüche an Firmen artikulieren. Dies • Unterstützung einer positiven beginnt bei Aktionen gegen Unternehmen Antidiskriminierungsinitiative der und ihre Produkte aus dem rechtsextremen Unternehmen Umfeld. Es kann aber auch dazu führen, dass Große Kontroversen gibt es in und zwischen ein Unternehmen als „guter Bürger“ gefordert Unternehmen, wie mit dem europäischen, wird. Buy- und Boykott gehören im Umgang nun auch in der Bundesrepublik umgesetzten mit Rechtsextremismus zu dem Handlungsre- Antidiskriminierungsrecht umzugehen ist. pertoire, über das aktive und mündige Kon- Während es einen üblichen Trend gibt, jede sument/innen bzw. Kund/innen jenseits von rechtliche Verpfl ichtung zurückzuweisen und betrieblichen und gewerkschaftlichen Akti- stattdessen auf freiwillige Beiträge zu verwei- onsmöglichkeiten verfügen. sen, wird in einigen der Unternehmen, die • Partnerschaften zwischen Unternehmen sich gegen Rechtsextremismus engagieren, das und NGOs AGG als hilfreich angesehen. Vieles spricht Die vielfältigen Partnerschaften zwischen dem dafür, die betriebliche Antidiskriminierungsar- Unternehmen Freudenberg, aber auch der beit konsequent mit der Auseinandersetzung Freudenberg Stiftung einerseits und zahlrei- gegen Rechtsextremismus zu verknüpfen.

127 Einen systematischen überbetrieblichen Ansatz bietet das Handlungsprogramm der im März 2009 gegründeten „Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg“. Im Handlungsfeld Wirtschaft schlägt es u. a. die öffentliche Auszeich- nung von Unternehmen vor, „die die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aktiv unter- stützen“, aber auch Fortbildungen und die Teilnahme an Runden Tischen (siehe www.buendnis-toleranz.de). 128 Ein gutes Beispiel ist die Resolution der IHK Potsdam vom 28. November 2007 „Wirtschaft gegen Rechtsextremismus“. Der Aufruf an die Unternehmer/innen der Region, „in ihren Unternehmen bereits ersten Ansätzen rechtsextremen Denkens und Handelns mutig und entschlossen entgegen zu treten“ wird mit einer sehr spezifi schen Begründung unterlegt: „Insbesondere der bereits vorhandene Fachkräftemangel, der sich in den kommenden Jahren noch verstärkt, wird eine völlig neue Dimension auch der Zuwanderungspolitik hervorrufen. Diese Entwicklung im Sinne des wirtschaftlichen Wachstums zu begleiten und damit – auch über neue Einfl üsse und Blickwinkel – die Wirtschaft zu fördern, gehört zu den zentralen Aufgaben der IHK Potsdam.“ 5

Demokratie über Qualität gestalten und sichern – Zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus DEMOKRATIE ÜBER QUALITÄT GESTALTEN UND SICHERN 81

5 Demokratie über Qualität gestalten und sichern – Zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus

„Kein vernünftiger Mensch tut so, als stünden ebenfalls gestiegen. Gelegentlich übernimmt die wir im Jahr 1933. Keiner sollte aber auch so tun, Polizei sogar präventive Aufgaben, die eigentlich als sei der Rechtsradikalismus nur ein Problem von eine Angelegenheit von Politik und Bürgerschaft 0,5 Prozent der Bevölkerung. Es geht um die Ver- wären. führbaren, die Modernisierungs- und Vernetzungs- Dennoch sind wir von der von Peter Glotz verlierer, ihre Wut und ihre Angst. An die Stelle von geforderten Gesamtstrategie noch immer weit Ersatzhandlungen muss eine Gesamtstrategie entfernt. Ihm ging es in seinem Beitrag um einen treten“ (Peter Glotz 2001: 13). „Masterplan“, der auf die Ursachen der rechtsex- tremen und rechtspopulistischen Erfolge zielt. Er verweist u. a. auf globalisierungsbedingte Depri- Über die Abwesenheit einer notwendigen vationen, die durch eine soziale Grundsicherung Gesamtstrategie abzufedern wären. Noch vor dem später geschei- terten NPD-Verbotsverfahren sieht er darin eine Was Peter Glotz auf einer Herbsttagung der Sozia- „Ersatzhandlung“, die den gewalttätigen Alltags- listischen Bodensee-Internationalen im Jahr 2000 rassismus nicht tangieren wird, und setzt sich forderte, hat auch eine Dekade danach nichts an stattdessen für verstärkte politische Bildung ein. Aktualität verloren. Die Bundesprogramme und Im Rückblick drängt sich die Diagnose auf, die vielen Anstrengungen auf Länder- und kom- dass es der Rechtsextremismusbekämpfung in munaler Ebene haben unser Wissen und unsere Form von Bundesprogrammen nicht gut bekom- Praxis um Handlungsansätze, pädagogische For- men ist, in einer Nische des BMFSFJ angesiedelt mate und Eingriffsmöglichkeiten enorm erwei- zu sein. Die gesellschaftliche Produktion von Un- tert. Die zivilgesellschaftlichen Mobilisierungen gleichheit und Ausgrenzung ist derweil beschleu- und Bürgerbündnisse haben die öffentliche Auf- nigt vorangeschritten. Erneut droht eine Flucht merksamkeit erhöht und vielerorts eine lokale in Ersatzhandlungen, die „Entschlossenheit“ si- politische Kultur entstehen lassen, die mit der gnalisieren sollen. Die populärste ist die Wieder- Praxis des Beschweigens und Verdrängens ge- belebung der „Extremismus-Formel“. Dieses au- brochen hat. An vielen Orten funktionieren die toritäre Relikt des Kalten Krieges und der Angst politische Isolierung und soziale Ächtung offen vor den demokratisch unzuverlässigen Bürger/ auftretender Rechtsextremer. Deutlich zugenom- innen war ja nie völlig verschwunden und hat men hat auch die Zahl der Unternehmen, die nicht zuletzt im Verfassungsschutz ein höchst ak- Vielfalt als Ressource und Voraussetzung ihres tives institutionelles Gedächtnis. Geschäftserfolgs begreifen und sich gegen Dis- Nun soll „entschlossen“ gegen Rechts- und kriminierungen innerhalb und außerhalb des Linksextremismus sowie islamischen Fundamen- Betriebs wenden. Die Bereitschaft von Polizei, talismus gekämpft werden. So, als wäre es eine Staatsanwaltschaften und Gerichten, genauer Sache der verschiedenen „Extremismen“, sich hinzuschauen, wenn es um rechtsextreme und wechselseitig zu verstärken,129 und es brauchte fremdenfeindlich motivierte Übergriffe geht, ist nur siegfriedhaften Mut, diesen mehrköpfi gen

129 Dass es auch eine Eskalations- und Konfl iktdynamik zwischen rechtsextremen Akteuren und ihren politisch sehr breit ge- fächerten Gegner/innen bis hin zu engagierten Polizist/innen gibt (siehe den „Fall“ Mannichl), soll damit nicht ignoriert werden. Allerdings wäre es völlig verfehlt, hierin die Ursache für rechtsextreme Gewalt zu vermuten. 82 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Drachen Extremismus mit einem Streich zu ent- che Konsistenz- und Umsetzungsansprüche mit haupten. Es macht wenig Sinn, über die Ange- einer solchen Gesamtstrategie sinnvoll zu ver- messenheit von Ersatzhandlungen nachzuden- binden sind und ob sich dafür überhaupt strate- ken. Sie haben allerdings sehr reale Wirkungen. giefähige gesellschaftliche Akteure fi nden lassen. Im konkreten Fall ist die Schwächung der Aus- einandersetzung mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu befürchten (vgl. Hafen- Gelingensfaktoren guter Praxis eger et al. 2010). Für eine aussichtsreiche Debatte über eine Aus den Beispielen guter Praxis in den Handungs- zukünftige Gesamtstrategie im Glotz’schen Sin- feldern Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft ne fehlt gegenwärtig zumindest auf Bundesebe- konnten Gelingensfaktoren herausgearbeitet wer- ne der politische Resonanzboden. An Vorschlä- den, die in der Arbeit gegen Rechtsextremismus gen und Impulsen in diese Richtung mangelt es Erfolg versprechend sein können. nicht. Dabei könnte zunächst offen bleiben, wel-

HANDLUNGSFELD STAAT

• Verpfl ichtung gegenüber den (potenziellen) Opfern, • Verhinderung von „Angsträumen“, • Strafverfolgung mit demokratisch-rechtsstaatlichen Mitteln, • Schaffen von freiwilligen Angeboten und positiven Anreizen für den Ausstieg von Täter/innen, Thematisierung rechts- extremer Motive, • Vermeiden von Märtyrerfi guren und anderer Effekte, die zur Mobilisierung von Anhänger/innen der extremen Rechten beitragen, • Zivilgesellschaftliche Öffnung polizeilicher Praxis, • Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, • Entwicklung von gemeinsamen Leitlinien und Leitbildern der verschiedenen staatlichen Institutionen.

HANDLUNGSFELD ZIVILGESELLSCHAFT

• Stärkung der aktiven Bürgerschaft, • Anerkennung von Pluralität als Quintessenz bürgerschaftlicher Politik, • Engagement für eine inklusive Bürgergesellschaft, • Ermöglichen von religiöser Vielfalt, • Einfordern und Praktizieren von Zivilität, • Herstellen von Öffentlichkeit und Transparenz, • Wahrnehmen von Fehlentwicklungen und Förderung der Fähigkeit zur Selbstkorrektur, • Entwicklung von Beziehungen zu Staat und Wirtschaft auf gleicher Augenhöhe, • Verstärkte externe Unterstützung demokratisch „schwacher“ Zivilgesellschaften, • Aufbau einer eigenständigen professionellen Infrastruktur. DEMOKRATIE ÜBER QUALITÄT GESTALTEN UND SICHERN 83

HANDLUNGSFELD WIRTSCHAFT

• „Null Toleranz!“ – Konsequentes Vorgehen gegen fremdenfeindliche Äußerungen und diskriminierende Haltungen von Mitarbeiter/innen, • Unterstützung einer wertschätzenden Vielfalt im Betrieb, • Willkommenskultur für Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund und internationale Unternehmen, • Einbettung betrieblicher Strategien in das Gemeinwesen, • Bildung, Ausbildung und Weiterbildung als zentrale Felder für eine Politik der Vielfalt, • Verknüpfung von überregionalen Vernetzungen und konkreten Handlungsansätzen, • Unterstützung einer positiven Antidiskriminierungsinitiative der Unternehmen, • Einbeziehen von Kund/innen und NGOs in eine Politik der Vielfalt, • Partnerschaften zwischen Unternehmen und NGOs.

Einige pragmatische Vorschläge zur pationsoffensiven gefragt, die mehr Alltagsde- Stärkung guter Praxis130 mokratie ermöglichen. Es braucht hierfür eine lokale und regionale Infrastruktur, weil ein po- • Ein bescheidener integrativer Ansatz: Ein integ- litisches Dauerengagement durch die Erforder- riertes Handlungskonzept gegen Rechtsextre- nisse moderner Lebensweisen immer unwahr- mismus wird es so rasch nicht geben, aber es scheinlicher wird.131 Bleiben solche Schritte wäre bereits viel gewonnen, wenn diese Ausei- aus, droht die Anrufung der Demokratie in der nandersetzung stärker in eine allgemeine Anti- Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus diskriminierungspolitik eingebettet wäre, um zur Leerformel zu werden. eine Politik der Vielfalt zu unterstützen. Ein solcher Ansatz ist auch entscheidende Voraus- • Empowerment: Ein wichtiger Tätigkeitsschwer- setzung dafür, dass die Impulse aus Modellpro- punkt sollte die Unterstützung der Selbstorga- grammen und guter Praxis in Regelstrukturen nisation von Betroffenen- und potenziellen eingebracht werden können. Opfergruppen sein. Die Kooperation mit Mi- grantenverbänden und Flüchtlingsinitiativen • Unterstützung von neuen Beteiligungs- und En- ist hier vorrangig. Aus den USA, aber auch gagementformen: Es ist nicht zu erwarten, dass aus Dänemark liegen praktische Erfahrungen die Parteien jene politische Inklusionskraft vor, wie solche Formen der Unterstützung zurückgewinnen, die sie lange Zeit hatten. („organizing“ etc.) dazu beitragen können, Auch wenn die Parteien und ihre internen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein- Anstrengungen zu „Werkstätten der Demo- zudämmen. Potenzielle Opfergruppen müssen kratie“ (SPD) weiterhin von Bedeutung sind, in ihrer eigenständigen Artikulations- und Or- gilt es gleichzeitig, neuen projektorientier- ganisationsfähigkeit gestärkt werden, um die ten und themenspezifi schen Politikmustern, Bedingungen für eine Kommunikation auf Au- wie z.B. Bürgerforen und -initiativen, stärker genhöhe zu schaffen. Rechnung zu tragen. Zusätzlich sind Partizi-

130 Diese und weitere Vorschläge sind Ergebnis einer vor allem in der SPD geführten Debatte über die Aufgaben einer möglichen Bundesstiftung, die nicht den Zwängen der Modellprogramme des BMFSFJ ausgesetzt wäre (vgl. Roth 2008). Mit den anhaltenden Finanzkrisen haben solche institutionellen Vorschläge deutlich weniger Realisierungschancen als noch vor einigen Jahren. 131 Erik Amna 2010: 199ff. hat dafür das interessante Leitbild des „stand-by citizen“ formuliert, der prinzipiell bereit und fähig ist, aktiv zu werden, wenn es als notwendig und wichtig erachtet wird. Um vom „stand-by“ zum „aktiven“ Modus zu gelangen, braucht es eine informierende und mobilisierende Infrastruktur mit entsprechenden Beteiligungsangeboten. 84 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

• Nachhaltige Sicherung einer zivilgesellschaftlich nicht die Empfänger/innen, Fördersummen getragenen, weitgehend unabhängigen Infrastruk- und Projektbeschreibungen (nicht nur) loka- tur in der Arbeit gegen Rechtsextremismus: ler Fonds ins Internet stellen und mit einer öf- Dazu gehören vor allem Kompetenzzentren, fentlichen Rechenschaftspfl icht verknüpfen? Vernetzungseinrichtungen, Beratungsnetzwer- ke und Opferberatungsstellen. Wenn die Ar- • Professionelle Organisations- und Trägerberatung beit gegen Rechtsextremismus erfolgreich sein (zum Umgang mit Rechtsextremismus in den soll, ist eine längerfristige Perspektive unab- Medien, in Parlamenten, in Betrieben, überbe- dingbar. Biografi sche Lern- und Bildungspro- trieblichen Ausbildungsstätten, Schulen, Ju- zesse brauchen ebenso wie Gegenerfahrungen gendverbänden, Vereinen, in der Polizei, vor ihre Zeit. Die längerfristige Sicherung einer Gericht etc.): Der sozialräumliche Fokus der unabhängigen und angemessen ausgestatte- Mobilen Beratungsteams sollte durch weitere, ten regionalen Infrastruktur in der Auseinan- bereichsspezifi sche Beratungskompetenzen er- dersetzung mit Rechtsextremismus stellt eine weitert werden, die Konzepte für Standardsitu- zentrale Aufgabe dar. ationen bereithalten und sie bedarfsorientiert vermitteln können. Zu all diesen Alltagsberei- • Förderung zivilgesellschaftlicher Akteure und In- chen gibt es eine Fülle von Handreichungen, itiativen, die in der Lage sind, gegen rechts- Vorschlägen und Praxiskonzepten. Es fehlt extreme und fremdenfeindliche Akteure und jedoch eine übergreifende Stelle, an der sie Aktionen zu mobilisieren und rechtsextreme zusammenkommen, vorgehalten und regel- Landnahmen zu verhindern: Unabdingbar mäßig überprüft werden. Neben der Einzel- ist dabei die Bereitstellung entsprechender beratung könnten bereichsspezifi sche Wei- Ressourcen (Wissen, Projektmittel, Qualifi zie- terbildungsangebote zur Verbreitung guter rungs- und Vernetzungsangebote etc.), wie es und bewährter Handlungsansätze beitragen. in Ansätzen der Bundes- und Landesprogram- Neben den bereits benannten Beratungsberei- me der Fall ist. Die Erfahrung mit den vorhan- chen braucht eine dezentrale und vielfältige denen Förderlandschaften legen allerdings Projektelandschaft eine professionelle soziale eine Entbürokratisierung nahe. Die Förderpro- Unternehmensberatung, die zudem verlässlich gramme sind in der Regel auf große Träger mit über Förderwege und Fördermöglichkeiten in- entsprechenden professionelle Kompetenzen formiert. Diese Funktion kann innerhalb der zugeschnitten. Zivilgesellschaftliche Initiati- MBTs gestärkt werden, ist aber auch als eigen- ven, die auf Freiwilligkeit und bürgerschaftli- ständiges Angebot einer Clearing- und Bera- ches Engagement setzen, haben oft weder das tungsstelle zu Fördermöglichkeiten und Orga- Know-how noch die Bereitschaft, sich auf das nisationsentwicklung denkbar. Abrechnungswesen einzustellen. Hier sind an- dere, unbürokratische Förderformate gefragt, • Interventionsfonds für besonders betroffene und die für diese Zielgruppe angemessen sind und bedrohte Regionen: Es gehört zu den Eigentüm- nicht zusätzliche Barrieren aufbaut. Dies sollte lichkeiten der gegenwärtigen Situation, dass es jedoch nicht mit einem Mangel an Transpa- rechtsextremen Gruppierungen (allen voran renz und Kontrolle verbunden sein.132 Warum der NPD und den „freien Kameradschaften“,

132 Es ist häufi g darauf hingewiesen worden, dass auch der Dritte Sektor bislang insgesamt zu wenig Wert auf Transparenz und öffentliche Verantwortung (accountability) legt. Dies ist keine Frage eines generalisierten Misstrauens. Noch schneiden Nicht- regierungsorganisationen in der Wertschätzung und Vertrauenswürdigkeit erheblich besser ab als staatliche bzw. staatsnahe Vereinigungen oder Unternehmen (vgl. GPRA 2010). Es geht vielmehr um die Steigerung der gesellschaftlichen Anerkennung von Initiativen, Projekten und Vereinen durch selbstgewählte Formen der öffentlichen Rechenschaftslegung, die sich auch positiv auf deren Tätigkeit und deren Unterstützung auswirken dürfte. DEMOKRATIE ÜBER QUALITÄT GESTALTEN UND SICHERN 85

aber auch der rechtsextremen Kulturszene) • Wissenschaftspool und Förderprogramm: Die immer wieder gelingt, in gezielt ausgewählten wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Räumen beachtliche Terraingewinne zu erzie- Rechtsextremismus ist – gemessen an der len und sich dort als einfl ussreicher zivilgesell- politischen Brisanz des Themas – in der Bun- schaftlicher Akteur zu platzieren. Die Ressour- desrepublik nur schwach institutionalisiert cen der rechtsextremen Szene sind nicht groß und zumeist ein Nebenthema akademischer genug, um in der Fläche erfolgreich zu sein. Beschäftigung. Neben all den „Exzellenzin- Schon um der Signal- und Vorbildwirkung itiativen“ sollte es möglich sein, einen For- solcher Landnahmeversuche etwas entgegen- schungstopf einzurichten, um praxisnah die zustellen, bedarf es kurzfristiger Gegenreaktio- wissenschaftliche Auseinandersetzung mit nen, für die Ressourcen (Beratung, Personal drängenden Problemen des Themenfelds zu und Finanzmittel) bereitgehalten werden soll- befördern. Gezielte Evaluationen der eigenen ten. Maßnahmen und ihre planvolle wissenschaft- liche Nutzung könnten eine neue Qualität im • Maßnahmeförderung: In der Modellförderung Theorie/Praxis-Transfer bedeuten. Hilfreich des Bundes, aber auch von Stiftungen und frei- wären auch regelmäßige Ergebniskonferenzen en Trägern sind eine Reihe von Maßnahmen zum Forschungsstand in Sachen zeitgenössi- und Formaten erprobt worden (z.B. die Pro- scher Rechtsextremismus, den aufgelaufenen jektschultage des NDC, Betzavta etc.), die sich Kontroversen und offenen Fragen. Erträge der hinreichend bewährt haben, um in der Fläche historischen Faschismusforschung, die in jün- angewendet zu werden. In diesem Förderbe- gerer Zeit erheblichen Aufschwung genommen reich geht es nicht so sehr um innovative oder hat, verdienen es sicherlich, in die aktuelle De- neue Ansätze, sondern um die Verbreitung und batte aufgenommen zu werden. Wenn dies im Qualitätssicherung eingespielter Formate.133 Rahmen der Bundesstiftung gefördert werden kann, ist dem europäischen und internationa- • Innovationstopf: Unabhängig von der Regelför- len Austausch zum Thema eine Chance einzu- derung sollte ein Innovationstopf eingerich- räumen, auch wenn der wechselseitige Nutzen tet werden, der neue Wege und Experimente jeweils zu überprüfen wäre. unterstützt, deren Evaluation und – bei Erfolg – Weiterempfehlung im Sinne guter Praxis för- • Lageberichte: Die „Deutschen Zustände“ (Heit- dert. Ein solcher Innovations- und Experimen- meyer 2002ff.), die Einstellungsuntersuchun- tierfonds ist schon angesichts der schnellen gen der Friedrich-Ebert-Stiftung (z.B. Decker/ Veränderungsgeschwindigkeit in der rechts- Brähler 2006; 2008) und – mit großen Ein- extremen Szene angesagt. Zudem lassen sich schränkungen auch die Verfassungsschutz- noch zahlreiche Verknüpfungen mit Hand- berichte bzw. die Polizeiliche Kriminalstatis- lungsfeldern denken, die bislang nur wenig in tik – bieten zwar regelmäßige Informationen die Auseinandersetzung mit Rechtsextremis- zur Entwicklung des Rechtsextremismus in mus einbezogen sind (kommunale Integrati- Deutschland, dennoch fehlt es an einer umfas- onspolitik, Demokratielernen, Familien- und senden Zusammenschau und Auswertung der Erziehungsberatung, Freiwilligenagenturen, vorliegenden Datenbestände, wie sie z.B. in Arbeit mit neuen Zielgruppen wie Senior/in- den Opferberatungsstellen, in wissenschaftli- nen und junge Familien etc.) chen Studien oder beim EUMC (European Mo-

133 Zu diesen Formaten zählen vor allem aktivierende Formen der Auseinandersetzung mit Vorurteilen, Diskriminierung bzw. Toleranz und Vielfalt, wie z. B. „Blue Eyes – Brown Eyes“, die Projekttage des Netzwerks für Demokratie und Courage, „Mitein- ander“ – Betzavta oder das Programm „Achtung (+) Toleranz“ – vgl. hierzu die Evaluation und Übersichten in Lynen von Berg/ Roth 2003, Uhl et al. 2004, Glaser/Schuster 2007 und Petersen/Six 2008. 86 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

nitoring Center on Racism and Xenophobia) Gerichten im Umgang mit rechtsextrem moti- und anderen Einrichtungen gesammelt wer- vierten Straftaten, Internationale Kooperatio- den. Eine solche, nach Möglichkeit regional nen mit Schwerpunkt Nachbarländer und EU. differenzierte Datenbasis könnte zur Versach- lichung der Debatten erheblich beitragen. Handlungsempfehlungen für • Politikempfehlungen und Praxishandreichungen: eine anspruchsvolle und angemessene Ein zentraler Mangel der bisherigen Modell- Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus förderpraxis ist der weitgehende Verzicht, aus den gemachten Erfahrungen Vorschläge für Dieser Schlussabschnitt dient einem bescheide- eine präventive Politik in zentralen Hand- nen Ziel. Es geht darum, zusammenfassend jene lungsfeldern zu entwickeln. Dies mag an der Eckpunkte zu benennen, die über die Qualität der spezifi schen Ressortanbindung und an födera- Arbeit gegen Rechtsextremismus entscheiden. len Denk- und Handlungsgrenzen liegen. Eine Dabei ist die gute Praxis, die im Kontext der bis- Stiftung müsste weder auf die horizontale noch herigen Programme und Initiativen verwirklicht die vertikale Aufgabenzersplitterung Rücksicht werden konnte und die in ihrem Bestand immer nehmen, sondern könnte Policy-Papers vor- wieder gefährdet ist, ein zentraler Bezugspunkt. legen, die sich um Zuständigkeiten zunächst Ein zweiter sind wünschenswerte und notwen- nicht kümmern müssen. Solche Politikempfeh- dige Weiterentwicklungen und neue Impulse, lungen sind bereits heute in zahlreichen Fel- die über die bisherigen Programme hinausgehen dern mit dem Fokus Rechtsextremismus und und in diesem Text bereits angesprochen wur- Demokratieförderung denkbar und möglich den. Folgende Aufgaben und Perspektiven sind (und in Ansätzen vorhanden), so z.B. in der in der weiteren Auseinandersetzung mit Rechts- Eltern- und Erziehungsberatung bezogen auf extremismus von zentraler Bedeutung: soziale Kompetenzen und positive Erziehungs- stile,134 Demokratie- und Toleranzlernen in 1. Die unerwartete Konjunktur rechtsextremer Orien- vorschulischen Erziehungs- und Bildungsein- tierungen und Politik hat das Engagement gegen richtungen, Eckpunkte einer demokratie- und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutsch- toleranzfördernden Schulkultur (Menschen- land zu einer wichtigen politischen Daueraufgabe rechtsbildung, interkulturelle Kompetenzen werden lassen. Es gibt keine Entwarnung, auch etc.), Berufl iche Bildung und „diversity“ im wenn der rechtsextreme Aufschwung kein Selbst- betrieblichen Alltag, Kommunale Integrations- läufer ist. Es gilt, nicht nachzulassen in der Ausein- politik als präventive Praxis, Demokratie- und andersetzung mit einer extremen Rechten, die gegen Toleranzförderungen in Vereinen (Feuerwehr, Demokratie und Menschenrechte mobilisiert. Kultur- und Sportvereine etc.), Leitlinien einer Der Aufschwung der extremen Rechten Medienberichterstattung, die sich als Beitrag in den letzten beiden Jahrzehnten ist eine ak- zu einer demokratischen Alltagskultur ver- tuelle deutschlandweite sowie internationale steht, Handlungsstrategien im Umgang mit Erscheinung. Die theoretischen Deutungen Rechtsextremen in Parlamenten (kommunal dieses unerwarteten Phänomens, schließlich und auf Landesebene), Erinnern, Aufarbeiten war das „Ende der Geschichte“ oder eine alter- und Nicht-Vergessen im Seniorenbereich als nativlose Ausbreitung westlicher Demokratie Beitrag zur Rechtsextremismusprävention, Be- verheißen worden, gehen in unterschiedliche ratung von Polizei, Ermittlungsbehörden und Richtungen: Während neuere historisch ver-

134 Ein gelungenes Beispiel für eine sorgfältig evaluierte Kombination von Eltern- und Kindertrainings im Vorschulalter bietet die Erlangen-Nürnberger Entwicklungs- und Präventionsstudie (vgl. BMFSFJ 2004; Kabakci-Kara 2009). DEMOKRATIE ÜBER QUALITÄT GESTALTEN UND SICHERN 87

gleichende Studien135 betonen, die „Epoche erfolge rechtsextremer Parteien, Demonstrati- des Faschismus“ sei keineswegs beendet und onen, Gewalttaten etc.) befi ndet sich jedoch einige aktuelle gesellschaftliche Krisenerschei- der Rechtsextremismus auf einem „unaufhalt- nungen begünstigten dessen Revitalisierung, samen“ Durchmarsch. Gerade bekennendes heben politikwissenschaftliche und soziologi- öffentliches Handeln ist eine Option für über- sche Studien136 dagegen die neuen Elemente schaubare radikale Minderheiten geblieben, des gegenwärtigen Rechtsextremismus her- die mal weniger, mal mehr Resonanz erzielen vor. Trotz vieler historischer Zitate sei „Opas und Einfl uss ausüben können – nicht zuletzt Nazismus“ tot. Diese Kontroverse macht auf durch Hasskriminalität, die zur Ängstigung die beobachtbare Vielfalt und Wandlungsfä- potenzieller Opfergruppen beiträgt. Rechts- higkeit des gegenwärtigen Rechtsextremismus extremismus ist zu einem Strukturproblem in aufmerksam, der einerseits revisionistisch an Gesellschaften mit größeren Bevölkerungsver- diskreditierte historische Traditionen und Vor- schiebungen (Einwanderung/Abwanderung) bilder anschließt, aber andererseits aktuelle in Phasen mit enormen gesellschaftlichen Probleme in zeitgemäßen Formen und Mobi- Strukturbrüchen und wachsenden sozialen lisierungen aufgreift. Ungleichheiten geworden. Gleichzeitig stellt Die besondere politische Brisanz des er nicht nur eine Reaktionsbildung auf „Um- Rechtsextremismus besteht in seiner grundle- bruchsgesellschaften“138 dar, sondern ist auch genden Frontstellung gegen Menschenrechte Ausdruck von aktuellen Demokratiedefi ziten und Demokratie.137 Bereits kleine Geländege- bzw. einer „postdemokratischen“ Konstellati- winne in der Anfeindung und Ausgrenzung on (Crouch 2008)139, von der er mit seinen au- von bestimmten Bevölkerungsgruppen be- toritären Angeboten zu profi tieren versucht. schädigen die demokratische Substanz von Die Zukunftschancen des Rechtsextre- Gesellschaften. Einige Einstellungselemente mismus sind nicht prognostizierbar. Der Auf- der extremen Rechten, wie völkischer Nationa- schwung der extremen Rechten hat im letzten lismus, Autoritarismus, Fremdenfeindlichkeit, Jahrzehnt von globalisierungs- und kapitalis- Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, An- muskritischen Stimmungslagen profi tiert. Sie tiziganismus reichen zudem bis in die „Mitte hat darauf mit entsprechenden Angeboten der Gesellschaft“. Weder auf der Einstellungs- reagiert.140 Die von vielen Aktiven gehegte ebene noch auf der Handlungsebene (Wahl- Befürchtung, mit den gegenwärtigen Finanz-

135 Vgl. vor allem Paxton 2006: 252ff. und Wippermann 2009, aber auch Bauerkämper 2006: 193ff. 136 So die vergleichenden Studien von Kitschelt 1995, Mudde 2007 und Minkenberg 2008. 137 Hierin liegt ein gewichtiger Unterschied zu den meisten politischen Strömungen, die in gleichsetzender Absicht in den großen Sack „Linksextremismus“ gestopft werden – zur Geschichte des Linksradikalismus seit der Studentenbewegung vgl. Haunss 2008. In der Ablehnung von Demokratie und Menschenrechten dürfte die Nähe zwischen Rechtsextremismus und bestimm- ten Spielarten des „islamischen“ Fundamentalismus größer sein. Ob dies rechtfertigt, sie als Spielarten eines „neuen Extremis- mus“ hinzustellen, wie dies in einer aktuellen Publikation über Großbritannien geschieht, sei dahingestellt (Eatwell/Goodwin 2010). 138 Auch wenn es zu den Merkmalen moderner Gesellschaften gehört, dass sie sich ständig verändern, lassen sich im Rückblick deutlich Phasen schneller und tief greifender Umbrüche von solchen verlangsamten, gelegentlich sogar blockierten Wandels unterscheiden. Für den Aufschwung faschistischer Bewegungen in der Zwischenkriegszeit hat der Historiker Charles Maier eindrucksvoll diese historische Phase beschleunigten gesellschaftlichen Wandels porträtiert (vgl. Maier 1980). Die These vom beschleunigten Wandel bestätigt auch eine neuere Studie zu den Wahlerfolgen rechtspopulistischer Parteien, wobei für dieses Handlungsfeld zusätzlich Politik- und Parteienverdrossenheit eine verstärkende Rolle spielt (vgl. Binder 2005). 139 Crouch bezeichnet damit eine Entwicklung, in der zwar Regierungen noch durch Wahlen gebildet werden, aber alle anderen Elemente demokratischer Kultur (politische Öffentlichkeit, engagierte Bürgerschaft, Parteienwettbewerb entlang politischer Pro- gramme und Alternativen etc.) allmählich verkümmern und durch mediale Inszenierungen und Lobbyismus ersetzt werden. 140 „2003 waren 85 Prozent der Rechtsextremisten kapitalismuskritisch, 91 Prozent globalisierungskritisch und 54 Prozent an- tikapitalistisch eingestellt“ (Stöss 2008: 61). Richard Stöss macht in diesem Zusammenhang auch darauf aufmerksam, dass die überwiegende Mehrheit der kapitalismus- und globalisierungskritisch Eingestellten keine rechtsextremen Orientierungen aufweisen. 88 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

krisen könnten sich die Mobilisierungsbedin- Im Unterschied zu einigen EU-Ländern, gungen für die extreme Rechte schlagartig ver- die wie z.B. Großbritannien vor allem auf Re- bessern, hat sich bislang nicht bestätigt. Ihre pression setzen, besteht in der Bundesrepub- interne Mobilisierungsschwäche, besonders lik weitgehend Konsens darüber, dass es einer der aktuell desaströse Zustand der NPD, hat möglichst abgestimmten, „ganzheitlichen“ dazu sicherlich beigetragen. Da die Krisenfol- Kombination von präventiven, pädagogischen gen für viele Menschen bislang nicht in ihrem und repressiven Strategien bedarf.142 Allerdings Alltag zu spüren sind, sollte dieser Zwischen- ist die Entwicklung umfassender Handlungs- befund aber nicht beruhigen.141 strategien in der Bundesrepublik noch wenig fortgeschritten. 2. Um auf das besondere Profi l des Rechtsextremis- In ihrer Antwort auf eine große Anfrage mus in Deutschland zu antworten, bedarf es um- entwickelt die Bundesregierung ein Profi l, das fassender Strategien und vielfältiger Praxisformen, im „Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung die neben repressiven Einhegungen vor allem auf von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Anti- die Korrekturfähigkeit einer demokratischen Zivil- semitismus und darauf bezogene Intoleranz“ gesellschaft und auf zivile Gegenmobilisierungen vom Oktober 2008 wieder aufgenommen wird. setzen und diese fördern. Es werden vier Säulen ausgewiesen: Sollten diese Lageeinschätzungen zutref- • Menschenrechtspolitik sowie Menschen- fen, werden die Grenzen einer ausschließlich rechtserziehung, repressiv ausgerichteten Politik im Umgang • Unterstützung der Zivilgesellschaft und Stär- mit Rechtsextremismus deutlich. Der gegen- kung der Zivilcourage, wärtige Rechtsextremismus in Deutschland • Förderung der Integration von Migrant/in- agiert wesentlich als soziale Bewegung erfolg- nen, reich (siehe Kapitel 2.2). Parteien kann man • Maßnahmen, die auf die Täter/innen und verbieten, bewegungsförmige Mobilisierun- deren Umfeld zielen. gen nicht – es sei denn, man stellte zentrale Bei diesem „Aktionsplan“ handelt es sich aber Bürgerrechte zur Disposition. Bewegungen eher um eine unverbundene Ansammlung von kann man in erster Linie mit Gegenbewe- Überschriften für einzelne Maßnahmen und gungen, reduzierten Gelegenheiten zur Agi- Konzepte, die bereits umgesetzt werden bzw. tation, mit der Verweigerung öffentlicher abgeschlossen sind – nach dem Motto: Wir Räume und sozialer Anerkennung und mit tun etwas. Dem Plan ist der Charakter einer der Schwächung ihres gesellschaftlichen Re- Leistungsbilanz im Rahmen internationaler sonanzbodens begegnen. Da Gewalt keine Verpfl ichtungen eigen. Zentrale Voraussetzun- Randerscheinung rechtsextremer Aktionen gen für einen Aktionsplan fehlen jedoch: ist, sondern integraler Bestandteil des Politik- • eine detaillierte Lageanalyse (Motive, Aus- verständnisses, kommt dem Schutz potenziel- maß, Formen und Folgen von Rassismus), ler Opfergruppen eine besondere Bedeutung • strategische Handlungskonzepte mit ent- zu. Die Auseinandersetzungen mit dem his- sprechend konkreten Zielsetzungen, torischen Nationalsozialismus, historische • Etappen bzw. Meilensteine ihrer Umset- politische Bildung, Gedenkstättenarbeit etc. zung, ist wegen des revisionistischen Grundzugs • Monitoring und Wirkungsanalysen, der extremen Rechten in Deutschland auch • Selbstverpfl ichtung zur regelmäßigen Bericht- weiterhin dringend nötig. erstattung über die Umsetzung.143

141 Vgl. Heitmeyer 2010 und Köhler 2009. 142 Dieses Bekenntnis fi ndet sich auch im „Zweiten periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung“ (BMI/BMJ 2006). 143 Zur breiten Kritik am Aktionsplan vgl. ENAR 2009 und Follmar-Otto/Cremer 2009. DEMOKRATIE ÜBER QUALITÄT GESTALTEN UND SICHERN 89

Auch wenn die konkrete Auseinandersetzung Kontextbedingungen und Gelegenheitsstruk- mit rechtsextremen Akteuren und Aktionen turen positiv verändert wurden. Allerdings vor allem im lokalen Raum stattfi ndet, neh- entscheiden Entwicklungen auf diesen Inter- men Bundes- und Landespolitik erheblichen ventionsebenen womöglich sehr viel stärker Einfl uss auf die Dynamik von Rechtsextremis- über die politischen Konjunkturen des Rechts- mus. Ihnen kommt daher eine zentrale Rolle extremismus als gezielte Programme.145 Drin- zu, in der sie den Resonanzboden des Rechts- gend nötig wäre eine alle Interventionsebenen extremismus verringern oder dessen Entfal- berücksichtigende, integrierte Sichtweise und tungschancen erheblich beschneiden kann. Politikformulierung. In der Bundesrepublik dominieren jedoch bislang noch immer Son- Dabei lassen sich analytisch drei Ebenen der derprogramme und Projekte. Intervention unterscheiden: • Kontexte. Auf einer primären Ebene geht 3. Eine an den Ursachen von Rechtsextremismus an- es um die politische Beeinfl ussung der setzende Politik gegen Rechtsextremismus muss auf gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, jene gesellschaftlichen Kontexte Einfl uss nehmen, die zur Ausbreitung oder Eindämmung die zur Ausbreitung, aber auch zur Eindämmung von Rechtsextremismus beitragen. von Rechtsextremismus beitragen können. Es geht • Gelegenheitsstrukturen. Auf der sekundären um Schutzfaktoren und politikfeldübergreifende Ebene geht es um die Auseinandersetzung Präventionsansätze. mit institutionellen Praxisformen, die in In der vergleichenden Rechtsextremis- besonderer Weise zur gesellschaftlichen musforschung gibt es einige gut bestätigte, Akzeptanz von Rechtsextremismus und fast triviale Befunde, die auf gesellschaftliche zu seiner Ausbreitung oder Zurückdrän- Erfolgs- bzw. Misserfolgsbedingungen146 für gung beitragen. rechtsextreme Mobilisierungen aufmerksam • Direkte Auseinandersetzung. Auf tertiärer machen und durch gezielte staatliche Politik Ebene geht es um die unmittelbare beeinfl usst werden können: Auseinandersetzung mit rechtsextremen • Bildung fördern: Rechtsextremismus ist eine Ideo logien und Deutungsmustern,144 Er- Option, zu der Bildungsverlierer/innen in lebniswelten und Handlungsstrategien besonderem Maße greifen. Die Reduzierung durch zielgerichtete Programme sowie von ungleichen Bildungschancen kann veränderte Routinen und Regelangebote. erheblich zur Prävention von Rechtsex- tremismus beitragen. Will man versuchen, Wenn wir über die Eindämmung von Rechts- das Niveau extrem rechter Einstellungen in extremismus sprechen, müssen wir deshalb West- und Ostdeutschland signifi kant abzu- vielfältige Interventionsebenen und Politikfel- senken, legen einige Autor/innen massive der in den Blick nehmen und uns nicht allein Investitionen in Bildung nahe (vgl. Bühler auf die Programme konzentrieren, die sich der et al. 2005: 337). Vorrangig geht es um die direkten Auseinandersetzung mit Rechtsex- Überwindung der sozialen Selektivität. Aber tremismus widmen, wie dies auf Bundesebene auch das Lerngeschehen selbst sollte vom weitgehend geschieht. Solche gezielten Pro- Modell der „Belehrung“ Abschied nehmen gramme sind dennoch unbedingt nötig, u. a. und sich stärker als bisher an Formen des auch weil wir nicht warten können, bis die selbstregulierten Lernens orientieren. Eine

144 Ein gutes Beispiel für die Interpretation rechtsextremer Ideologiefragmente als Elemente von Deutungsmustern in rechtsex- tremen Bewegungen bieten Erb/Kohlstruck 2009. 145 Auf dieses Dilemma, trotz guter Programme nur begrenzte Wirkungen zu erzielen, verweist Dovermann 2009. 146 Kontextbedingungen dürfen nicht mit Kausalitätsaussagen auf individueller Ebene verwechselt werden. Wenn z.B. von einer größeren Resonanz rechtsextremer Angebote bei Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen die Rede ist, unterstellt dies keineswegs, dass Bildungsbenachteiligung notwendig zu Rechtsextremismus führt. 90 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

stärkere Öffnung der Schulen und eine de- denfeindliche Einstellungen deutlich niedri- mokratische Schulkultur werden als weitere ger. Sie sinken noch einmal dort, wo Vielfalt Schutzfaktoren ins Spiel gebracht. von den zentralen lokalen Akteuren als • Soziale Sicherungen erhalten: Ausgebaute, in- Quelle des Wohlstands angesehen und integ- klusive Sozialstaaten, auch eine europäische rationspolitisch bekräftigt wird. Dazu gehört Sozialpolitik reduzieren erheblich die Anfäl- auch der Abbau von institutionellen Diskri- ligkeit für rechtsextreme Hassparolen und minierungen und die Unduldsamkeit gegen- Ausgrenzungen. über Ausgrenzungen, die Personengruppen • Regionale Ungleichheiten reduzieren: Abstei- ausbürgern und verächtlich machen. Viele gende und von Abwanderung betroffene Großstädte haben sich schon vor etlichen Regionen weisen erhebliche höhere Zustim- Jahren auf diesen Weg begeben. Aber erst in mungswerte zu rechtsextremen Einstellun- jüngster Zeit haben der Bund und die Länder gen auf als prosperierende Ballungsräume. nachgezogen. Erst die massiven demografi - Die Rückbesinnung auf die „alte“ Verfas- schen Probleme, besonders die Entvölke- sungsnorm gleichwertiger Lebensverhältnis- rung ganzer Landstriche und die Abwande- se ist hier hilfreich. rung der jüngeren Bessergebildeten, haben • Mehr Demokratie wagen: Diese Empfehlung hier ein Umdenken eingeleitet. So hat sich ist mehr als eine nostalgische Erinnerung an der Ausländerbeauftragte Sachsens erstmals Willy Brandt. Sie fi ndet sich auch im SIREN- 2010 deutlich für eine „Willkommenskul- Report „Roads to Right-Wing Populism – tur“ und den Abbau von Diskriminierungen and back“ als Empfehlung an die EU.147 Aber für Zugewanderte (z.B. die Abschaffung der sie ist zugleich ein Ratschlag für die Bundes-, Residenzpfl icht) ausgesprochen. Auch der Landes- und die kommunale Ebene. Nicht Innenminister Sachsen-Anhalts proklamier- von ungefähr wird gelebte und erfahrene te jüngst „Zukunft braucht Zuwanderung“. Demokratie als ein entscheidender Schutz- Das Zuwanderungsgeschehen spielt – an- faktor gegen Rechtsextremismus angesehen ders als zu Beginn der 1990er Jahre – heu- – beginnend in Kindereinrichtungen und te in der Bundesrepublik nicht zuletzt we- Schulen, aber dort nicht endend. Das Bran- gen der EU-Asyl- und Flüchtlingspolitik an denburger Demos-Institut, das für die mobile den Außengrenzen der Gemeinschaft nicht Beratung im Lande zuständig ist, arbeitet z.B. mehr die zentrale Rolle. Stärker ins Gewicht mit der Grundannahme „Rechtsextremismus fallen Konfl ikte, die Folge des Integrations- ist dort stark, wo demokratische Strukturen geschehens bereits Zugewanderter sind (z.B. schwach sind!“ Schlagwortartig formuliert: Moscheebau-Konfl ikte). In der Ethnisierung „Wer eine gute Partizipationserfahrung ge- sozialer Desintegrationsprozesse dürfte die macht hat, ist für den Rechtsradikalismus/ größte Herausforderung liegen. Die Unter- Rechtsextremismus gleichsam rettungslos stützung rechtsextremer Parteien wächst in verloren“ (Gessenharter 2010: 42). vielen Ländern mit der Zahl der Arbeitslo- • Vielfalt als Chance begreifen. In den urbanen sen. Allerdings spielt die Zahl der am Ort Räumen mit einem hohen Anteil an Men- lebenden Zuwanderer keine mobilisierende schen mit Migrationshintergrund sind frem- Rolle für eine rechtsextreme Stimmabgabe.

147 Die ländervergleichende Studie kommt zu dem Ergebnis: „Making the various spheres of life more democratic and actively searching for ways to enhance the control people have over their lives by empowering them to directly infl uence conditions that impact on their living situations seems to be crucial in this respect. Consequently, the impact assessment of European- level policies should include a consideration of their effect on the actual scope of policy-making at local, regional and national level. Scope for decision-making and support needs to be given to initiatives that aim at empowering people to infl uence their living situation” (Flecker/Kirschenhofer 2004: 34). DEMOKRATIE ÜBER QUALITÄT GESTALTEN UND SICHERN 91

Offensichtlich gibt es mehr Anhaltspunkte heit kommt es dabei weniger an. Entschei- für die Kontakt- als die Konkurrenzhypo- dend ist vielmehr, ob die Deutungsangebote these.148 auf Zustimmung treffen. Die große Resonanz bestimmter Einstellungsdimensionen – wie 4. Es gilt, Gelegenheiten für rechtsextreme Mobili- Fremdenfeindlichkeit, Autoritarismus, Rassis- sierungen zu reduzieren, ihnen öffentliche Räume mus und nationaler Chauvinismus, aber auch streitig zu machen und sich mit deren Agenda of- Demokratieverdruss –, die sich zu extrem rech- fensiv zu beschäftigen. ten Weltbildern verdichten können, aber auch Von Gelegenheitsstrukturen sozialer Be- unabhängig davon existieren, legen es nahe, wegungen sprechen wir immer dann, wenn es Rechtsextremismusbekämpfung in einen er- um günstige bzw. ungünstige Mobilisierungs- weiterten Zusammenhang zu stellen: Diskri- bedingungen geht. Eine klassische Dimension minierung, Vorurteil, Abwertung und Aus- ist z.B. die Geschlossenheit oder die Spaltung grenzung von sozialen Gruppen – oder positiv von politischen Eliten im Umgang mit rechts- gesagt: Respekt, Toleranz, Vielfalt, Demokratie, extremen Parteien oder in einem bewegungs- Menschenrechte. Besonders Fremdenfeind- nahen Themenfeld. So hat etwa die Bereit- lichkeit und Rassismus gehören heute zu den schaft in einigen europäischen Parlamenten, Einstellungsmustern, die in der Bundesrepub- mit der extremen Rechten zu kooperieren, in lik – je nach Studie149 – gesellschaftlich mehr- der Regel deren gesellschaftliche Akzeptanz heitsfähig sind bzw. von großen Minderheiten und die ihrer Agenda gesteigert. Wo deren geteilt werden. Isolierung, d.h. der „cordon sanitaire“, funk- Die Gewaltexzesse der ersten Jahre des tionierte, sind solche Effekte nicht eingetre- vereinten Deutschland bieten ein Negativbei- ten. Zu den Gelegenheitsstrukturen von – vor spiel, welche Eskalationsdynamik möglich ist, allem gewaltförmigen – Mobilisierungen ge- wenn politische Eliten und Medien auf die hören an zentraler Stelle der polizeiliche und Mobilisierung von Vorurteilen setzen („Das juristische Umgang mit Protest. Wenn Verbote Boot ist voll!“, „Asylantenfl ut“) und damit und Aufl agen von den Akteuren als inkonsis- fremdenfeindliche und rechtsextreme Mobi- tent und eher duldsam erfahren werden, tra- lisierungen begünstigen. Umgekehrt können gen sie zur Ermutigung bei. Im Falle rechtsex- besonders Großstädte mit hoher Zuwande- tremer Mobilisierungen drohen ausschließlich rung und einer gezielten Integrationspolitik repressive Strategien zudem, ein kämpferi- (wie z.B. Frankfurt am Main, München, Nürn- sches Selbstbild der Akteure („Widerstand“, berg oder Stuttgart) darauf verweisen, dass bei „Opfer“ etc.) zu befestigen und so zur ideolo- ihnen die Resonanz rechtsextremer Akteure gischen Selbststilisierung beizutragen. Es geht relativ gering geblieben ist. neben den Gelegenheitsstrukturen aber auch Politisch bedeutet dies: Gelegenheitsstruk- um „weichere“ Faktoren wie die Deutung von turen für rechtsextreme Mobilisierungen lassen sozialen Problemen. Soziale Bewegungen bie- sich nachhaltig beeinfl ussen. So könnte z.B. ten mit ihren Überzeugungen Diagnosen und eine wirksame Antidiskriminierungspolitik Antworten auf soziale Missstände. Auf Wahr- und die Überwindung von Formen des institu-

148 Zu diesem Ergebnis kommt Rydgren 2008, der es nicht bei Aggregatdaten belässt, sondern diesem Zusammenhang auf der Ebene der Wohngebiete nachgeht. Arzheimer 2009: 273 macht auf den moderierenden Effekt sozialstaatlicher Sicherungs- systeme aufmerksam. Sie können bei einem hohen Niveau dafür sorgen, dass Zuwanderung nicht automatisch zur stärkeren Unterstützung extrem rechter Parteien führt. 149 In der letzten Erhebung zu rechtsextremen Einstellungen von 2008 kommen Decker und Brähler in Sachen Ausländerfeind- lichkeit zu dem Ergebnis: „Allen der Fragen stimmt knapp die Hälfte der Ostdeutschen zu und ein Drittel der Westdeutschen“ (Decker/Brähler 2008: 20). 92 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

tionellen Rassismus (von der Residenzpfl icht sismus und Demokratieablehnung.150 Hinzu bis zum verweigerten Wahlrecht, von der kommen aktuelle Ausprägungen wie Globali- schulischen Benachteiligung bis zur Schlech- sierungskritik, Antiamerikanismus oder Anti- terstellung auf dem Arbeitsmarkt) einen kaum kapitalismus. Was für oder gegen die Konstruk- zu überschätzenden Beitrag zur Eindämmung tion solcher Einstellungsbündel spricht, kann von Rechtsextremismus darstellen. in unserem Zusammenhang vernachlässigt werden. Wichtig ist jedoch die Einsicht, dass 5. Rechtsextreme Vorstellungswelten sind komplexe einzelne Einstellungsdimensionen bis weit in Gebilde. Die Aufgabe besteht nicht nur darin, sol- die „Mitte“ der Bevölkerung reichen und ih- che Einstellungsmuster in ihrem Zusammenspiel nen jeweils auch gesonderte Aufmerksamkeit aufzugreifen, sondern es liegt auch nahe, gezielt zuteil werden sollte. Konkret bedeutet dies, an einzelnen Einstellungselementen anzusetzen. dass es in der politischen Auseinandersetzung Dies gilt besonders für Fremdenfeindlichkeit und nicht nur um Rechtsextremismus gehen kann, Rassismus, ebenso für Antisemitismus. Um dies sondern Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, An- erfolgreich zu tun, sollte auf die Drohung mit der tisemitismus und andere Formen der Diskrimi- Keule Rechtsextremismus verzichtet werden, um nierung eigene Anstrengungen verdienen. den Blick für alltägliche Formen des Vorurteils und Diese Blickerweiterung in Richtung An- der Diskriminierung zu schärfen und in der politi- tidiskriminierung und gelebte Vielfalt ist aus schen Praxis zu beantworten. mehreren Gründen angesagt: Ohne auf die unterschiedlichen Ausdeu- • Der angstfreie und produktive Umgang mit tungen solcher Begriffe wie Rechtsextremis- Vielfalt ist eine Schlüsselkompetenz in mo- mus, Rechtsradikalismus oder extreme Rechte dernen Gesellschaften.151 Wer diese Fähigkeit einzugehen, ist allen Defi nitionen gemeinsam, nicht erworben hat, muss mit zusätzlichen dass wir es mit einem zusammengesetzten Ge- biografi schen Hürden in allen Lebensberei- bilde zu tun haben. Die Befürwortung einer chen und entsprechend reduzierten Lebens- rechtsautoritären Diktatur, ein überzogenes Na- chancen rechnen. tionalgefühl (Chauvinismus), Ausländerfeind- • Fremdenfeindlichkeit und andere Formen lichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus der vorurteilgesteuerten Abwertung von und die Verharmlosung des Nationalsozialis- Menschengruppen gehören zu den Themen mus gehören nach einem Konsens verschiede- der radikalen Rechten, bei denen sie zuwei- ner Forschungsgruppen zu den Kernbestand- len auf gesellschaftliche Mehrheiten und teilen rechtsextremer Ideologie (vgl. Decker/ die Zuarbeit aus Politik und Zivilgesellschaft Brähler 2006: 20f.). Nur wer defi nitionsgemäß hoffen (können). allen Einstellungsdimensionen zustimmt, • Politisch diffuse Orientierungen in Richtung kann als rechtsextrem gelten. Andere Studi- Fremdenfeindlichkeit oder Autoritarismus er- en integrieren nach dem klassischem Vorbild leichtern den Einstieg in rechtsextreme Sze- der Studie zur „autoritären Persönlichkeit“ nen. Sie erhalten dort ihren ideologischen von einer Forschungsgruppe um Theodor W. „Feinschliff“152. Gleichzeitig sind solche dif- Adorno den Autoritarismus, aber auch Ras- fusen Orientierungen auch der Stoff, auf den

150 Auf die inzwischen häufi g vergessene zentrale Bedeutung der Faschismuserfahrung für moderne Gesellschaftstheorien, beson- ders die der Frankfurter Schule, machen zwei neuere Studien aufmerksam (vgl. Ziege 2009; Salzborn 2010). 151 So die OECD-Initiative DeSeCo (Defi nition and Selection of Competencies), die auch den theoretischen Hintergrund für die internationalen PISA-Vergleichsstudien lieferte. Neben „interacting in heterogeneous groups“ zählt sie noch „using tools in- teractively“ und „acting autonomously“ zu den Kernkompetenzen (vgl. OECD 2009: 7). 152 Vorhandene diffuse Orientierungen, die sich zunächst in einem „Rohzustand“ befi nden, werden im Laufe der Zeit „feinge- schliffen“. Mit diesem Bild beschreibt Becker 2006 die Wirkungen rechtsextremer Milieuangebote (Musik, Stammtischparolen, gemeinsame Erlebnisse) auf passive Einsteiger/innen. DEMOKRATIE ÜBER QUALITÄT GESTALTEN UND SICHERN 93

pädagogische und sozialpädagogische Gegen- Schüler/innen aus bildungsfernen Schichten angebote eingehen müssen und können. im deutschen Bildungssystem sichtbar ge- • Diskriminierende Vorteile fi nden sich auch macht. Diese Praxis widerspricht zentralen bei Bevölkerungsgruppen, die als Zugewan- menschenrechtlichen Verpfl ichtungen, die derte keine Affi nität zu Rechtsextremismus sich aus internationalen Vertragswerken er- und Fremdenfeindlichkeit aufweisen. Dies geben, die Regierungen der Bundesrepublik gilt z.B. für bestimmte Ausprägungen des unterzeichnet haben (z.B. der Wirtschafts- Antisemitismus oder die Orientierung an au- und Sozialpakt oder die Kinderrechtskon- toritären Familienbildern und Geschlechts- vention). Ähnliche Diskriminierungsprofi le stereotypen. lassen sich auch im Ausbildungsbereich und • Im Unterschied zu rechtsextremen Erschei- auf dem Arbeitsmarkt identifi zieren. nungsformen, die inzwischen weithin Auf- In den Handlungsansätzen fällt nicht nur die merksamkeit gefunden und politische Ant- weitgehende Fixierung auf Rechtsextremis- worten hervorgebracht haben, tun sich mus und die Vernachlässigung der Einstel- Verantwortliche in der Bundesrepublik of- lungs- und Verhaltensbestandteile auf, die fensichtlich schwer, Formen der alltäglichen nicht in dieser Weise politisch zugespitzt sind. und strukturellen Diskriminierung als Her- Es werden auch wichtige Faktoren nicht sys- ausforderung aufzugreifen. Die entsprechen- tematisch in die Präventionsdebatte einbezo- de Antidiskriminierungsgesetzgebung und gen. Dazu gehört vor allem der Umgang mit die Berichterstattung über Rassismus sind Integration, Migration und Fremdenfeindlich- erst spät, unzulänglich und auf Druck in- keit. Während sich zahlreiche Kommunen seit ternationaler Verpfl ichtungen (EU, UN etc.) Jahrzehnten um Chancengerechtigkeit bemü- umgesetzt worden. Ihre praktisch-institutio- hen, ist die Debatte auf Bundesebene durch nelle Ausgestaltung steht noch am Anfang eine lang andauernde Weigerung geprägt, sich und lässt sehr zu wünschen übrig. überhaupt mit der Realität auseinanderzuset- • Unter diesen Umständen droht die Debatte zen, dass die Bundesrepublik ein Einwande- über Rechtsextremismus zur Verdrängung rungsland ist. Dies ist erst in den letzten Jah- gravierender institutioneller Diskriminie- ren – oft halbherzig – der Fall, ironischerweise rungen und Menschenrechtsverletzungen in einer Situation, in der die Bundesrepublik beizutragen. Ein erschreckendes Beispiel sich eher in Richtung negativer Wanderungs- waren die unwilligen und diskriminieren- bilanzen entwickelt. Die damit verbundene den Reaktionen auf den Besuch des UN- Erfahrung der Diskriminierung und fehlenden Sonderbeauftragten für Menschenrechte Anerkennung ist in verschiedenen Untersu- in Deutschland.153 Dass die Bundesrepub- chungen eindrucksvoll belegt worden. Nach lik zum Objekt einer Inspektion geworden einer aktuellen europäischen Vergleichsstudie war, die systematische Menschenrechtsver- glauben nur elf Prozent der in Hamburg und letzungen im Bildungsbereich untersucht, Berlin befragten Muslime, dass sie von Deut- löste Empörung und ungläubiges Staunen schen ebenfalls als solche betrachtet werden. aus. Dabei hatten nicht zuletzt die PISA- Nur ein Viertel der Befragten identifi ziert sich Studien eine menschenrechtlich nicht hin- mit Deutschland, aber immerhin 70 Prozent nehmbare Diskriminierung von Kindern mit der Stadt, in der sie wohnen (OSI 2009). mit Migrationshintergrund, aber auch von

153 Zu den Umständen dieses Besuchs im Frühjahr 2006 und den Schwierigkeiten, eine menschenrechtliche Perspektive auf das Thema Bildung zu etablieren vgl. Overwien/Prengel 2007. 94 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

6. Die gezielte öffentliche Auseinandersetzung mit dieser pädagogischen Formate haben sich in- rechtsextremen Einstellungen und Verhaltenswei- ternational bewährt und sind mehrfach evalu- sen ist unverzichtbar. Hier liegen die Aufgaben iert worden, andere werden weiter eingesetzt, spezifi scher Programme und Maßnahmen gegen obwohl ihr Nutzen in Zweifel gezogen worden Rechtsextremismus. ist. Die Zahl der Ansätze hat sich seit 2002 Die Auseinandersetzung mit den unter- deutlich erhöht, wobei folgende Tendenzen zu schiedlichen Erscheinungsformen von rechts- beobachten sind: extremen Einstellungen und Verhaltensweisen • Der Schwerpunkt liegt heute stärker auf Er- ist alles andere als einfach. Dies liegt schon fahrungslernen, auf pädagogischen Konstel- an der Palette der Verhaltensweisen, um die lationen, die Selbsterfahrung und Selbstre- es geht. Parteien brauchen andere Antworten fl exion ermöglichen. Dies widerspricht nicht als Kameradschaften, eine Nazirock-Veranstal- der Einsicht, dass es auch darauf ankommt, tung ist etwas anderes als der Protestmarsch immer neue Wissensbestände für wechseln- gegen eine Wehrmachtsausstellung. Auch die de Zielgruppen aufzubereiten (Informati- Anerkennungs- und Aufwertungsangebote, onen über die Ideologien rechtsextremer die z.B. in der Anrufung einer rassisch homo- Gruppierungen, über ihre Codes, Symbole genen Volksgemeinschaft liegen, lassen sich und Kleiderordnungen, über ihre histori- in der Regel nicht mit der Kraft der besseren schen Vorbilder etc.). Argumente aus dem Feld schlagen. Vielmehr Hinzu kommt, dass bestimmte Formen des braucht es glaubwürdige Alternativen, die Erfahrungslernens niedrigere soziale und Bil- oft nur schwer demonstriert werden können. dungsbarrieren aufweisen. Damit sind sie für Rechtsextremismus lebt stark von der Inten- wichtige Zielgruppen leichter zugänglich. Rol- sität der Gefühle seiner Anhänger/innen: von lenspiele, theaterpädagogische Ansätze, Trai- der Wut, „Opfer“ zu sein, über die fi ktive Ge- nings etc. versprechen zudem mehr Nachhal- borgenheit in der „Kameradschaft“ bis hin zu tigkeit, weil sie stärker mit den Erlebniswelten den entgrenzten Machtgefühlen, die sich ein- der Zielgruppen verbunden werden können. stellen, wenn anderen Furcht und Schrecken Im Kontext des voranschreitenden Prä- eingejagt und in Gewaltakten bestätigt werden ventionsdenkens gewinnen frühe, vorschuli- kann. Es geht auch um solche Bauchgefühle, sche Konzepte an Bedeutung. Alle Instanzen die für die Mobilisierungsbereitschaft zentral der Primärerziehung (Eltern, Kindereinrich- sind. tungen) geraten in den Blick, wenn es um den Mit Blick auf die gängige Unterscheidung Erwerb basaler sozialer Kompetenzen, von zwischen Einstellungen und Handlungen las- Empathie und moralischer Sensibilität geht. sen sich zunächst Konzepte unterscheiden, die Als besonderer Schutzfaktor werden zudem auf Überzeugungen, d.h. auf Deutungsmuster, Selbstwirksamkeitserfahrungen betont, die Vorurteile, politische Weltbilder etc. Einfl uss nicht zuletzt durch erfolgreiche Beteiligungs- nehmen wollen. Hierzu gehört das weite Feld erfahrungen vermittelt werden. Gefördert pädagogischer und sozialpädagogischer Kon- werden sollen Kompetenzen, die in vielfältiger zepte, die den Schwerpunkt der meisten Pro- Weise nützlich sein können, aber eben auch gramme gegen Rechtsextremismus bilden. In als Schutzfaktoren im Umgang mit rechtsex- einer Expertise von 2002 hatte Kurt Möller tremen Gedankenwelten wirken können. Be- bereits 17 Praxiskonzepte identifi ziert, die von sonders wichtig ist der Einsatz in Programmen historischer Bildung, Demokratie- und Tole- und Veränderungszonen, in denen versucht ranzerziehung, der frühen Vermittlung sozia- wird, progressive Antworten auf die neuen He- ler Kompetenzen und moralischer Urteilskraft rausforderungen zu geben und die Beteiligten über Mediation und Streitschlichtung bis zur darin zu bestärken, neue Wege zu suchen und Erlebnispädagogik reichen (vgl. Möller 2002). zu gehen. Entlang des Lebenslaufs geht es z.B. Ihre Strategien bewegen sich zwischen Wis- um den Ausbau von Elternprogrammen zur sensvermittlung und Erfahrungslernen. Einige Überwindung autoritärer Erziehungsformen, DEMOKRATIE ÜBER QUALITÄT GESTALTEN UND SICHERN 95

um die Vermittlung von partizipativen, sozia- Programme von erheblicher Bedeutung für die len Kompetenzen, von moralischer Urteilskraft Arbeit gegen Rechtsextremismus. und empathiestärkender Vorschulerziehung und Bildung (durch beteiligungsorientierte Kita- 7. Die besondere Herausforderung besteht darin, Verfassungen und frühe Selbstwirksamkeitser- Rechtsextremismus als Daueraufgabe zu begreifen fahrungen durch Mitbestimmung), um eine und gezielte institutionelle Reformen und Verände- demokratische Schulkultur und selbstregu- rungen in diese Richtung anzupacken. Dies ist mit liertes Lernen, um lokale Bildungslandschaf- Modellprogrammen und Projekten allein nicht zu ten154 statt Anstaltsschulen, um die Öffnung erreichen. der Schulen ins Gemeinwesen, um die Aner- Ein Großteil der Praxis gegen Rechtsex- kennung und Förderung informellen Lernens tremismus vollzieht sich in Projekten und Mo- im bürgerschaftlichen Engagement (Beispiel: dellprogrammen, während die Regelbereiche Service-Learning), um das Übergangsmanage- weitgehend unangetastet geblieben sind. Aber ment Schule/Beruf als lokale Aufgabe, um die genau dort wäre anzusetzen, wenn nicht nur Verantwortlichkeit der Älteren und Alten für einige wenige Menschen in Sonderprogram- den Zustand von Zivilgesellschaft und Demo- men, sondern die große Zahl in ihren regulä- kratie und einen demokratischen Generatio- ren Einrichtungen erreicht werden sollen. Un- nenvertrag. strittig sind z.B. die präventiven Wirkungen Es gehört zu den Vorzügen solcher Ansät- einer demokratischen Schulkultur, die zudem ze der Primärprävention, dass sie in der Regel lernfördernd wirken kann. Nötig sind auch in verschiedenen Dimensionen hilfreich sind. Bildungsprozesse, die auf Vielfalt, Respekt und Gesellschaftliche Teilhabe und Selbstwirksam- Anerkennung ausgerichtet sind, d.h. der Rea- keitserfahrungen stärken nicht nur die Resili- lität einer herkunftsheterogenen Gesellschaft enz gegenüber Rechtsextremismus, sie fördern gerecht werden. Kommunen, die ihre Gesund- auch Wohlbefi nden und Gesundheit. Nicht heitseinrichtungen und andere Regeldienste der Mehrfachnutzen stellt ein Problem dar, interkulturell öffnen und für ihre vielfältige sondern unerwünschte Nebenfolgen. Bevölkerung fi t machen, sind ein Gebot der Für die tertiäre Ebene, d.h. die direkte Stunde. Die Liste wünschenswerter Verände- Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, rungen im gesellschaftlichen Normalbetrieb ist kommt neben den repressiven Strategien155 in den letzten Jahren immer länger geworden. vor allem den Bundesprogrammen des BMFSFJ Dies verweist zunächst auf institutionelles Be- eine besondere Rolle zu. Die im Jahr 2000 be- harrungsvermögen, gesellschaftliche Blocka- schlossenen und seit 2001 praktizierten, 2003 den und Rückentwicklungen, die durch den heftig angefeindeten und seit 2006 ohne zeit- Stachel Rechtsextremismus erfahrbarer gewor- liche Befristung fortgesetzten Bundesprogram- den sind. Aber diese aktuelle Liste der Verän- me haben unbestreitbare Verdienste. Die aus- derungswünsche gäbe es nicht ohne eine Fülle führliche Analyse in Kapitel 3 zeigt, dass nach von konkreten Projekten und Initiativen in zehn Jahren jedoch auch die konzeptionellen allen Lebensbereichen, die sich phantasievoll Grenzen überdeutlich sind. Dennoch ist das im Hier und Heute für die Verwirklichung von Fortführen und die Weiterentwicklung dieser Demokratie und Menschenrechten einsetzen.

154 Exemplarisch z.B. das BMFSFJ-Projekt „Elternbeteiligung und Gewaltprävention in kommunalen Bildungs- und Erziehungs- landschaften“. 155 Hierzu zählen auf Bundesebene besonders Organisations- und Parteienverbote sowie strafrechtliche Regelungen und ihre Umsetzung. Auf sie wird hier nicht näher eingegangen. Die meisten wissenschaftlichen Beobachter/innen gehen davon aus, dass die repressiven Möglichkeiten in der Bundesrepublik systematisch ausgereizt, wenn auch nicht immer konkret umgesetzt sind. Während das Bundesverfassungsgericht in seinem Wunsiedel-Urteil vom 4.11.2009 die Möglichkeit des Gesetzgebers bekräftigt hat, der NS-Propaganda Grenzen zu setzen, hat es im Kontext des abgewiesenen NPD-Verbotsverfahrens Hürden defi niert, die durch die vorherrschende Verfassungsschutzpraxis nicht überwunden werden können. 96 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Abkürzungen

ADL Anti-Defamation League AgAG Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 AKG Aktionsgemeinschaft Kyritzer Gewerbe AKT Antigewalt- und Kompetenztraining BMFSFJ Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BMI Bundesministerium des Innern BMJ Bundesministerium der Justiz CC Corporate Citizenship CSR Corporate Social Responsibility DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DVU Deutsche Volksunion ECRI European Commission against Racism and Intolerance (Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz) ENAR European Network Against Racism (Europäisches Netzwerk gegen Rasismus) ESF Europäischer Sozialfonds EUMC European Monitoring Center on Racism and Xenophobia (Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit) FRA European Agency for Fundamental Rights (Agentur der Europäischen Union für Grundrechte) GMF Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit GUS Gemeinschaft unabhängiger Staaten (Nachfolgestaaten der Sowjetunion) HWK Handwerkskammer IDEA International Institute for Democracy and Electoral Assistance IHK Industrie- und Handelskammer JN Junge Nationaldemokraten KOREX Koordinierungs- und Informationsstelle gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit LAP Lokaler Aktionsplan MBT Mobiles Beratungsteam MBR Mobile Beratung MEGA Mobile Einsatzeinheiten gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit ABKÜRZUNGEN 97

NDC Netzwerk für Demokratie und Courage NDK Netzwerk für Demokratie und Kultur NGO Non-Governmental Organization (Nichtregierungsorganisation) NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NS Nationalsozialismus OECD Organisation for Economic Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) RAA Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule SKA Sozialkompetenz in der Ausbildung TOA Täter-Opfer-Ausgleich TOMEG Täterorientierte Maßnahmen gegen extremistische Gewalt VAJA Verein zur Förderung akzeptierender Jugendarbeit e. V. 98 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Literatur

Addy, David Nii (2003): Diskriminierung und Rassismus. Internationale Verpfl ichtungen und nationale Herausforderungen für die Menschenrechtsarbeit in Deutschland. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. ADL [Anti-Defamation League] (2009): Attitudes toward Jews in seven European countries. New York. AK Ruhr/LAGA NRW (Arbeitskreis gegen rechtsextreme Tendenzen bei Jugendlichen/Landesarbeitsge- meinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen Nordrhein-Westfalen) (2010): Rechtspopulis- mus in Gestalt einer „Bürgerbewegung“. Struktur und politische Methodik von PRO NRW und PRO Deutschland. Neufassung 2010. Essen: Amt für zentralen Service. Albrecht, Peter-Georg et al. (2007): Wir und die anderen: Gruppenauseinandersetzungen Jugendlicher in Ost und West. Wiesbaden: VS Verlag. Allievi, Stefano (2009): Confl icts over Mosques in Europe: Policy Issues and Trends – NEF Initiative on Religion and Democracy in Europe. London: Network of European Foundations. Amadeu Antonio Stiftung (2006): Refl ektieren. Erkennen. Verändern. Was tun gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Berlin: Amadeu Antonio Stiftung. Amadeu Antonio Stiftung (2008): „Die Juden sind schuld“. Antisemitismus in der Einwanderungsgesell- schaft am Beispiel muslimisch sozialisierter Milieus. Berlin: Amadeu Antonio Stiftung. Amna, Erik (2010): Active, Passive, or Stand-by Citizens? Latent and Manifest Political Participation. In: ders. (Hrsg.): New Forms of Citizen Participation. Normative Implications. Baden-Baden: Nomos, S.191–203. Art, David (2007): Reacting to the Radical Right. Lessons from Germany and Austria. In: Party Politics (13) 3, S.331–349. Auernheimer, Georg et al. (1998): Interkulturelles Lernen. Arbeitshilfen für die politische Bildung. : Bundeszentrale für politische Bildung. Arzheimer, Kai (2009): Contextual Factors and the Extreme Right Vote in Western Europe, 1980–2002. In: American Journal of Political Science 2 (53), S.259–275. Bauerkämper, Arnd (2006): Der Faschismus in Europa 1918–1945. Stuttgart: Reclam. Becker, Reiner (2006): Der „Feinschliff“. Persönliche Beziehungsnetzwerke und ihre Bedeutung in der Verfestigung rechtsextremistischer Orientierungen. In: Neue Praxis 3, S.285–307. Beelmann, Andres (2008): Evaluation und Qualitätssicherung, in: BMI (Hrsg.): Theorie und Praxis ge- sellschaftlichen Zusammenhalts. Berlin: BMI, S.65–92. Beelmann, Andreas/Jonas, Kai J. (Hrsg.) (2009): Diskriminierung und Toleranz. Psychologische Grund- lagen und Anwendungsperspektiven. Wiesbaden: VS Verlag. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2005): Strategien gegen Rechtsextremismus. Band 1: Ergebnisse der Recherche & Band 2: Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2009): Strategies for Combating Right-Wing Extremism in Europe. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Binder, Tanja (2005): Die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien – eine Folge von Modernisierungs- prozessen? Berlin: WZB (SP IV 2005–203). Bleich, Erik (2007): Hate Crime Policy in Western Europe: Responding to Racist Violence in Britain, Germany, and France. In: American Behavioral Scientist (51) 2, S.149–165. Bleich, Erik/Hart, Ryan K. (2008): Quantifying Hate: The Evolution of German Approaches to Measuring ‚Hate Crime’. In: German Politics (17) 1, S.63–80. LITERATUR 99

BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2004): Soziale Kompe- tenz für Kinder und Familien. Ergebnisse der Erlangen-Nürnberger Entwicklungs- und Präventions- studie. Berlin: BMFSFJ. BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2006): Abschlussbericht zur Umsetzung des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextre- mismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“. Berlin (Download unter: www.entimon.de). BMI – Bundesministerium des Innern (2008): Nationaler Aktionsplan der Bundesrepublik Deutsch- land zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene In toleranz. Berlin: BMI. BMI – Bundesministerium des Innern (2009): Verfassungsschutzbericht 2008. Berlin: BMI. BMI/BMJ – Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) (2006): Zweiter perio- discher Sicherheitsbericht. Berlin: Bundesregierung. Borstel, Dierk (2005): Community Coaching – ein Ansatz der kommunalen Demokratieentwicklung. In: Migration und Soziale Arbeit 1, S.49–53. Borstel, Dierk (2009): Rechtsextremismus vor Ort erkennen und couragiert handeln – Ergebnisse des Modellprojekts „Sozialraumanalyse zum Zusammenleben vor Ort“ am Beispiel der Stadt Wernige- rode. In: Landeszentrale, S.25–39. Böhnisch, Lothar/Fritz, Karsten/Seifert, Thomas (Hrsg.) (1997): Die Wissenschaftliche Begleitung. Er- gebnisse und Perspektiven. Das Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt. Band 2. Münster: Votum. Bohn, Irina (2007): Das Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt. Ein vorläufi ges Fazit über Praxis und Erfolge eines Sonderprogramms. In: BMFSFJ (Hrsg.): Evaluation der sozialpädagogischen Praxis. Materialien zur Qualitätssicherung in der Kinder- und Jugendhilfe QS 11. Bonn: BMFSFJ, S.61–71. Borchert, Ralf (2004): „…bisschen was Derberes“. Rechtsextremismus und Zivilgesellschaft am Beispiel Weimar. Jena: Glaux Verlag. Braun, Stephan/Geisler, Alexander/Gerster, Martin (Hrsg.) (2009): Strategien der extremen Rechten. Hintergründe – Analysen – Antworten. Wiesbaden: VS Verlag. Brettfeld, Karin/Wetzels, Peter (2007): Muslime in Deutschland – Integration, Integrationsbarrieren, Religion sowie Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und politisch-religiös motivierter Gewalt. Ergebnisse von Befragungen im Rahmen einer multizentrischen Studie in städtischen Lebensräu- men. Hamburg/Berlin: Universität Hamburg/Bundesministerium des Inneren. Brumlik, Micha (1989): Autonome: Gewaltbereitschaft als verbindendes Gefühl. In: Heitmeyer, Wilhelm/ Möller, Kurt/Sünker, Heinz (Hrsg.): Jugend – Staat – Gewalt. Politische Sozialisation von Jugend- lichen, Jugendpolitik und politische Bildung. Weinheim und München: Juventa, S.175–189. Bürk-Matsunami, Thomas/Selders, Beate (2005): Fremdenfeindliche und rechtsextreme Übergriffe auf Imbissbuden im Land Brandenburg. Potsdam: Ms. Bundesregierung (2002): Bericht über die aktuellen und geplanten Maßnahmen und Aktivitäten der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt (BT-Drucksache 14/9519). Burschel, Friedrich (Hrsg.) (2010): Stadt – Land – Rechts. Brauner Alltag in der deutschen Provinz, Berlin: Karl Dietz Verlag. Bussmann, Kai-D./Werle, Markus (2004): Fremdenfeindlichkeit und rechte Gewalt: Standortnachteil Ost, In: Neue Kriminalpolitik (16) 3, S.96–99. Bussmann, Kai-D./Werle, Markus (2004a): Kriminalität – Standortfaktor für betriebliche Entscheidun- gen? In: Neue Kriminalpolitik (16) 3, S.90–95. 100 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Crane, Andrew/Matten, Dirk/Moon, Jeremy (2008): Corporations and Citizenship, Cambridge: Cambridge University Press. Crouch, Colin (2008): Postdemokratie. Frankfurt/M: Suhrkamp. Decker, Oliver/Brähler, Elmar (2006): Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihre Ein- fl ussfaktoren in Deutschland. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. Decker, Oliver et al. (2008): Ein Blick in die Mitte. Zur Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen in Deutschland. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. Decker, Oliver/Brähler, Elmar (2008): Bewegung in der Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutsch- land 2008 mit einem Vergleich von 2002 bis 2008 und der Bundesländer. Berlin: Friedrich-Ebert- Stiftung. Denninger, Erhard et al. (Hrsg.) (1977): Freiheitliche demokratische Grundordnung. Materialien zum Staatsverständnis und zur Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik, Frankfurt/M.: Suhrkamp Deutsche Sportjugend (dsj) (Hrsg.) (2009): Eine Frage der Qualität: Vereine & Verbände stark machen – zum Umgang mit Rechtsextremismus im und um den Sport. Frankfurt/M.: dsj. Deutscher (2009): Neuausrichtung der bisherigen Bundesprogramme gegen Rechtsextremis- mus. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten u.a. Fraktion DIE LINKE (BT-DS 17/162). Berlin: BT-Drucksache 17/364 vom 23.12.2009. Dovermann, Ulrich (2008): Politische Bildung für extremistische Straftäter – ein Projekt der bpb im Jugendstrafvollzug, in: BMI (Hrsg.): Theorie und Praxis gesellschaftlichen Zusammenhalts. Berlin: BMI, S.177–197. Dovermann, Ulrich (2009): Wieso bringen die vielen Projekte so wenig?. In: Kulick/Staud, S.138f. Düx, Wiebken et al. (Hrsg.) (2008): Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement. Eine empirische Studie zum informellen Lernen im Jugendalter. Wiesbaden: VS Verlag. Eatwell, Roger/Goodwin, Metthew J. (Hrsg.) (2010): The New Extremism in 21st Century Britain, London/New York: Routledge. Eatwell, Roger/Mudde, Cas (Hrsg.) (2009): Western Democracies and the New Extreme Right Challenge, London/New York: Routledge (zuerst 2004). ECRI (European Commission against Racism and Intolerance) (2009): ECRI-Bericht über Deutschland (vierte Prüfungsrunde), Strassbourg. Edelman, Murray (1988): Erzeugung und Verwendung sozialer Probleme. In: Journal für Sozialforschung, 2 (28), S.175–192. Erb, Rainer/Kohlstruck, Michael (2009): Die Funktionen von Antisemitismus und Fremdenfeindschaft für die rechtsextreme Bewegung. In: Braun et al. 2009, S.419–439. ENAR (European Network Against Racism) (2009): Racism in Germany. ENAR Shadow Report 2008, Brüssel: ENAR. Evers, Adalbert/Olk, Thomas (Hrsg.) (1996): Wohlfahrtspluralismus: vom Wohlfahrtsstaat zur Wohl- fahrtsgesellschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag. Flecker, Jörg/Kirschenhofer, Sabine (2004): Roads to Right-Wing Populism – and Back. The SIREN Policy Recommendations Report. Wien: Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt. Follmar-Otto, Petra/Cremer, Hendrick (2009): Der Nationale Aktionsplan der Bundesrepublik Deutsch- land gegen Rassismus. Stellungnahme und Empfehlungen. Berlin: Deutsches Institut für Men- schenrechte. FRA [European Agency for Fundamental Rights] (2009): Anti-Semitism – Summary overview of the situation in the European Union 2001–2008, Wien. FES (Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin) (Hrsg.) (2006): Neue Entwicklungen des Rechtsextremis- mus. Internationalisierung und Entdeckung der sozialen Frage. Dokumentation einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung am 9. Dezember 2005. Berlin: FES (http://library.fes.de/pdf-files/bueros/berlin/03632.pdf; 12.05.2010). LITERATUR 101

Frindte, Wolfgang/Preiser, Siegfried (2007): Präventionsansätze gegen Rechtsextremismus. In: Aus Poli- tik und Zeitgeschichte 11, S.32–38. Frölich, Margrit et al. (Hrsg.) (2007): Zivilgesellschaftliche Strategien gegen die extreme Rechte in Hes- sen. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel. Gensicke, Thomas/Picot, Sibylle/Geiss, Sabine (2006): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999–2004. Wiesbaden: VS Verlag. Gensicke, Thomas (2010): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 – 2004 – 2009. Kurzbericht des 3. Freiwilligensurveys (Monitor Engagement Ausgabe Nr. 2). Berlin: BMFSFJ. GPRA (Gesellschaft Public Relations Agenturen) (2010): GPRA-Vertrauensindex Februar 2010 (http://prreport.de/aktuell/gpra-vertrauensindex/februar-2010/; 25.04.2010). Gessenharter, Wolfgang/Fröchling, Helmut (Hrsg.) (1998): Rechtsextremismus und Neue Rechte in Deutschland. Neuvermessung eines politisch-ideologischen Raumes. Opladen: Leske+Budrich. Glaser, Michaela/Schuster, Silke (Hrsg.) (2007): Evaluationen präventiver Praxis gegen Rechtsextremis- mus. Positionen, Konzepte und Erfahrungen. Halle: DJI. Glaser, Stefan/Pfeiffer, Thomas (Hrsg.) (2007): Erlebniswelt Rechtsextremismus. Menschenverachtung mit Unterhaltungswert. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. Glotz, Peter (2001): Gesamtstrategie statt Ersatzhandlungen. Anmerkungen zum Kampf gegen den Rechtsextremismus. In: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 1–2, S.9–13. Grell, Britta et al. (2009): Hate Crime Monitoring and Victim Assistance. Warschau/Berlin: Nigdy Wiecej/Opferperspektive. Greven, Thomas/Grumke, Thomas (Hrsg.) (2006): Globalisierter Rechtsextremismus? Die extremistische Rechte in der Ära der Globalisierung. Wiesbaden: VS Verlag. Gulbins, Guido et al. (2007): „Denn sie wissen nicht, was sie tun“? Evaluation aufsuchender Arbeit mit rechtsextrem und menschenfeindlich orientierten Jugendlichen. In: deutsche jugend (55) 12, S.526–534. Gulbins, Guido/Rosenbaum, Dennis (2009): Integration statt Hass. Einblicke in die Praxis Akzeptierender Jugendarbeit anhand biografi scher Ausschnitte zweier rechtsextrem orientierter Jugendlicher. In: Jugendhilfe (47) 1, S.36–42. Gulbins, Guido/Rosenbaum, Dennis (2009a): „Die können ja leben, aber nicht hier!“ Erfahrungen aus der Arbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen. In: Unsere Jugend (61) 2, S.62–75. Hafeneger, Benno/Paul, Gerhard/Schoßig, Bernhard (Hrsg.) (1981): Dem Faschismus das Wasser abgra- ben. Zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus. München: Juventa. Hafeneger, Benno et al. (2010): Folgenreiche Realitätsverleugung: Extremismusbekämpfung“. In: Praxis Politische Bildung 1 (14), S.69–73. Häusler, Alexander (Hrsg.) (2008): Rechtspopulismus als „Bürgerbewegung“. Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und kommunale Gegenstrategien. Wiesbaden: VS Verlag. Haunss, Sebastian (2008): Antiimperialismus und Autonomie – Linksradikalismus seit der Studenten- bewegung. In: Roth/Rucht, S.447–473. Heinrich, Gudrun (Hrsg.) (2004): Qualitätssicherung und Nachhaltigkeit in der Arbeit gegen Rechtsex- tremismus. Rostock: Universität Rostock. Heinrich, Gudrun (2008): Die NPD als Bewegungspartei. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegun- gen, (21) 4, S.29–38. Heitmann, Helmut/Korn, Judy (2007): Präventionsarbeit mit rechtsextremistisch orientierten Jugend- lichen im Jugendstrafvollzug. In: Schoeps et al., S.237–241. Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.) (2002–2009): Deutsche Zustände. Folge 1–7. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.) (2010): Deutsche Zustände. Folge 8. Berlin: Suhrkamp. Held, Josef et al. (2008): Rechtsextremismus und sein Umfeld. Eine Regionalstudie und die Folgen für die Praxis. Hamburg: VSA. 102 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Hinterhuber, Eva Maria (2009): Abrahamischer Trialog und Zivilgesellschaft. Eine Untersuchung zum sozial- integrativen Potenzial des Dialogs zwischen Juden, Christen und Muslimen. Stuttgart: Lucius & Lucius. Hormel, Ulrike/Scherr, Albert (2004): Bildung für die Einwanderungsgesellschaft. Perspektiven der Aus- einandersetzung mit struktureller, institutioneller und interaktioneller Diskriminierung. Wiesba- den: VS Verlag. ISS (Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik)/Camino (2009): Gesamtbericht zum Berichtszeitraum 01.01.2008 – 31.08.2009 der Wissenschaftlichen Begleitung in Programmsäule 1: „Entwicklung integrierter lokaler Strategien“ (Lokale Aktionspläne) im Programm „Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“. Frankfurt/M.: ISS. Jäger, Johannes (2003): Strategien gegen rechtsextreme Orientierungen. In: Soziale Arbeit 4, S.122–130. Jaschke, Hans-Gerd (1991): Streitbare Demokratie und innere Sicherheit. Opladen: Westdeutscher Verlag. Jaschke, Hans-Gerd (1994): Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Opladen: Westdeutscher Verlag. John, Dominique (2008): Opferperspektive Brandenburg. In: RAA Brandenburg, S.59–63. Kabakci-Kara, Funda (2009): Eltern- und Kindertraining für Familien türkischer Herkunft. Evaluation einer selektiven Präventionsmaßnahme. Erlangen/Nürnberg: Diss. (www.opus.ub.uni-erlangen.de/opus/volltexte/2009/1448). Kandt, Klaus (2007): Polizeiliche Maßnahmen gegen Rechtsextremismus in Brandenburg. In: Schoeps et al., S.230–236. Karapin, Roger (2007): Protest Politics in Germany. Movements on and Right since the 1960s, University Park: The Pennsylvania University Press. Kitschelt, Herbert (1995): The Radical Right in Western Europe. A Comparative Analysis, Ann Arbor: Michigan University Press. Klärner, Andreas (2008): Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit. Selbstverständnis und Praxis der extre- men Rechten. Hamburg: Hamburger Edition. Klärner, Andreas/Kohlstruck, Michael (2006): Rechtsextremismus – Thema der Öffentlichkeit und Gegenstand der Forschung. In: dies., S.7–41. Klärner, Andreas/Kohlstruck, Michael (Hrsg.) (2006): Moderner Rechtsextremismus in Deutschland. Hamburg: Hamburger Edition & Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Kleff, Sanem/Seidel, Eberhard (2009): Diversity. Ideologien der Ungleichwertigkeit in der Einwande- rungsgesellschaft. Berlin: Thesenpapier Berliner Beratungsnetzwerk. Kleger, Heinz 1996: Bürgerbewegungen gegen Fremdenhass. In: Berliner Debatte. Initial, 1 (7), S.55–72. Klein, Anna/Hüpping, Sandra (2008): Politische Machtlosigkeit als Katalysator der Ethnisierung von Verteilungskonfl ikten. In: Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.): Deutsche Zustände. Folge 6. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S.73–94. Klein, Ludger (2007): Die Demokratie braucht die Zivilgesellschaft. Plädoyer für eine integrierte Strate- gie gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung. Klump, Andreas (2004): Freiheit den Feinden der Freiheit? Die Konzeption der streitbaren Demokra- tie in Deutschland – demokratietheoretische Grundlagen, Praxis, Kritik und Gegenkritik. In: BMI (Hrsg.): Extremismus in Deutschland, Berlin: BMI, S.338–389. Koch, Reinhard/Pfeiffer, Thomas (Hrsg.) (2009): Ein- & Ausstiegsprozesse von Rechtsextremisten. Braun- schweig: Arbeit & Leben Niedersachsen. Köhler, Timm (2009): Die extreme Rechte als Gewinner der Krise? Auswirkungen der Finanz- und Wirt- schaftskrise für Demokratie und Gesellschaft. Zusammenfassung einer Vortrags- und Diskussions- veranstaltung. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. Kösemen, Orkan (2009): Strategies against the Radical Right in Europe. In: Bertelsmann Stiftung, S.547–557. Kohlstruck, Michael/Krüger, Daniel/Krüger, Katharina (2009): Was tun gegen Rechte Gewalt? Forschungs- bericht der Arbeitsstelle Jugendgewalt und Rechtsextremismus am Zentrum für Antisemitismus- forschung der TU Berlin. Berlin: Landeskommission gegen Gewalt. LITERATUR 103

Koordinierungsgruppe gegen Rechtsextremismus (2007): Handlungsempfehlungen gegen Rechtsextre- mismus (Beschluss vom 29.6.2007) (verschiedene Internetversionen). Korgel, Lorenz (2009): Zivilgesellschaftliche Gegenwehr stärken: Gemeinwesenentwicklung und (Re-)De- mokratisierung des öffentlichen Raums. In: Molthagen/Korgel, S.251–267. Kühnel, Wolfgang (2006): Bewältigungsmuster und Gruppenprozesse im Jugendstrafvollzug, in: Institut für interdisziplinäre Konfl ikt- und Gewaltforschung (Hrsg.): Forschungsverbund Desintegrations- prozesse. Abschlussbericht. Bielefeld: IKG, S.283–305. Küpper, Beate/Zick, Andreas (2010): Religion and Prejudice in Europe: New Empirical Findings – NEF Initiative on Religion and Democracy in Europe. London: Network of European Foundations. Kulick, Holger/Staud, Toralf (Hrsg.) (2009): Das Buch gegen Nazis. Rechtsextremismus – Was man wis- sen muss, und wie man sich wehren kann. Köln: Kiepenheuer & Witsch, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Landeshauptstadt Düsseldorf (Hrsg.) (2002): Düsseldorfer Gutachten. Empirisch gesicherte Erkenntnis- se über kriminalpräventive Wirkungen. Düsseldorf: Landeshauptstadt. Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt (Hrsg.) (2009): Rechtsextremismus im Alltag: Hingucken und Einmischen! Dokumentation der Landeskonferenz des Netzwerks für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt am 19. November 2009. Magdeburg: LZpB. Leggewie, Claus/Meier, Horst (Hrsg.) (2002): Verbot der NPD oder Mit Rechtsradikalen leben. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Lukas, Veronika/Lukas, Helmut (2007): Evaluation des Modellprojekts „Präventive Arbeit mit rechts- extremistisch orientierten Jugendlichen in den Justizvollzugsanstalten des Landes Brandenburg“. Berlin: social.consult. Lynam, Siobhan (2007): A Strategy Guide for Community Development Projects, Family Resource Centres & Partnerships. Supporting the Implementation of the National Action Plan Against Racism and towards the EU Year of Intercultural Dialogue 2008. Dublin: Pobal/NCCRI. Lynen von Berg, Heinz/Roth, Roland (Hrsg.) (2003): Maßnahmen und Programme gegen Rechtsextre- mismus wissenschaftlich begleitet. Opladen: Leske + Budrich. Lynen von Berg, Heinz/Palloks, Kerstin/Steil, Armin (2007): Interventionsfeld Gemeinwesen. Evalua- tion zivilgesellschaftlicher Strategien gegen Rechtsextremismus. Weinheim: Juventa. MBR – Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (2006): Integrierte Handlungsstrategien zur Rechtsextremismusprävention und -intervention bei Jugendlichen. Hintergrundwissen und Emp- fehlungen für Jugendarbeit, Kommunalpolitik und Verwaltung. Berlin: MBR. MBR – Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (2008): Handlungsräume. Umgang mit rechts- extremen Anmietungsversuchen von öffentlich-rechtlichen Veranstaltungsräumen. Berlin: MBR. MBR – Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (2009): Ladenschluss jetzt! Kommunale Handlungsstrategien im Umgang mit rechtsextremer Infrastruktur. Berlin: MBR. Melter, Claus/Mecheril, Paul (Hrsg.) (2009): Rassismuskritik. Band 1: Rassismustheorien und -forschung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. Menke, Barbara et al. (Hrsg.) (2003): Ermutigung zur Zivilcourage. Beiträge der politischen Bildung zu einer Kultur der Anerkennung und Vielfalt. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag. Meyer, Gerd et al. (Hrsg.) (2004): Zivilcourage lernen. Analysen – Modelle – Arbeitshilfen. Bonn: Bun- deszentrale für politische Bildung. Minkenberg, Michael (1998): Die Erneuerung der radikalen Rechten in westlichen Demokratien: USA, Frankreich und Deutschland im Vergleich. In: Gessenharter/Fröchling, S.253–279. Minkenberg, Michael (2003): Repressionsstrategien gegen Rechtsradikalismus und Gewalt. In: For- schungsjournal Neue Soziale Bewegungen (16) 4, S.31–42. Minkenberg, Michael (2008): The Radical Right in Europe. An Overview. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. 104 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Minkenberg, Michael/Erb, Rainer (2006): Repression und Reaktion. Wirkung von Repression auf rechts- radikale Gruppen. In: Institut für interdisziplinäre Konfl ikt- und Gewaltforschung (Hrsg.): For- schungsverbund Desintegrationsprozesse. Abschlussbericht. Bielefeld: IKG, 189–207. Möller, Kurt (2002): Pädagogische und sozialarbeiterische Ansätze zur Bearbeitung von Rechtsextremis- mus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt vor dem Hintergrund von Anerkennungszerfall und Des- integrationsprozessen. Esslingen/Bielefeld (Ms.). Mohr, Irina/Molthagen, Dietmar (Hrsg.) (2007): Der Aufstand der Zuständigen. Was kann der Rechts- staat gegen Rechtsextremismus tun? Ergebnisse einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung am 20. März 2007. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin (http://library.fes.de/pdf-files/do/04878.pdf; 12.05.2010). Molthagen, Dietmar/Klärner, Andreas/Korgel, Lorenz/Pauli, Bettina/Ziegenhagen, Martin (Hrsg.) (2008): Lern und Arbeitsbuch gegen Rechtsextremismus – Handeln für Demokratie. Bonn: Dietz Verlag. Molthagen, Dietmar/Korgel, Lorenz (Hrsg.) (2009): Handbuch für die kommunale Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin. (http://library.fes.de/pdf-files/do/06431.pdf; 12.05.2010). Mudde, Cas (1996): The War of Words Defi ning the Extreme Right Party Family. In: West European Politics (19) 2, S.225–248. Mücke, Thomas/Heitmann, Helmut/Korn, Judy o.J.: Verantwortung übernehmen – Abschied von Hass und Gewalt. Arbeit mit fundamentalistisch gefährdeten jugendlichen Gewaltstraftätern mit Mi- grationshintergrund innerhalb des Jugendstrafvollzugs. Das Curriculum der Trainingskurse. Berlin: Violence Prevention Network. Müller, Andreas (2007): Überlegungen zum Umgang mit Rechtsextremismus im Strafverfahren. In: Mohr/Molthagen, S.87–94. Müller, Andreas o.J.: Jugendstrafrecht und „Vollzug zwischen Helfen und Strafen“: Brauchen wir neue staatsanwaltliche und jugendrichterliche Möglichkeiten? Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. Narr, Wolf-Dieter (2009): Die „fdGO“ als Waffe. Keine Freiheit den Feinden der Freiheit? In: Cilip. Bürgerrechte und Polizei, (93) 2, S.53–60. Nattke, Michael (2009): Rechtsextreme Einstellungen von BerufsschülerInnen. Eine empirische Unter- suchung. Dresden: Heinrich Böll Stiftung Sachsen. Nauditt, Kristina/Wermerskirch, Gerd (2009): Rechtsextremismus und Moscheenkonfl ikt. Verände- rungsarbeit in extremen Spannungsfeldern. In: OrganisationsEntwicklung, 3, S.31–39. Neckel, Sighard/Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.) (2008): Mittendrin im Abseits: ethnische Gruppenbezie- hungen im lokalen Kontext. Wiesbaden: VS Verlag. Nicolaus, Herbert (2004): Prävention von Rechtsextremismus als unternehmerische Aufgabe – am Bei- spiel der EKO Stahl GmbH. In: Kursiv. Journal für politische Bildung, 3, S.48–57. Nicolaus, Herbert (2009): Aktivitäten gegen Rechtsextremismus, für Vielfalt und Toleranz von Unter- nehmen. ArcelorMittal Eisenhüttenstadt: Ein Praxisbeispiel. Eisenhüttenstadt: ArcelorMittal. Nunner-Winkler, Gertrud/Nikele, Marion/Wohlrab, Doris (2005): Partikularismus und Ausländerfeind- lichkeit in Ost- und Westdeutschland. In: Leviathan (33) 2, S.149–181. OECD (2009): 21st Century Skills and Competences for New Millenium Learners in OECD Countries (Education Working Papers No.41). Paris: OECD. Oepke, Maren (2007): Von Haus aus rechtsextrem? Zur Bedeutung innerfamilialer Transmissionswir- kungen bei rechtsextremen Orientierungen. In: Jahrbuch Jugendforschung, 7. Ausgabe. Wiesbaden: VS Verlag. Özsöz, Figen (2008): Hasskriminalität. Auswirkungen von Hafterfahrungen auf fremdenfeindliche jugendliche Gewalttäter. Freiburg im Breisgau: MPI für ausländisches und internationales Strafrecht (Forschung aktuell 40). LITERATUR 105

Overwien, Bernd/Prengel, Annedore (Hrsg.) (2007): Recht auf Bildung. Zum Besuch des Sonderbericht- erstatters der Vereinten Nationen in Deutschland. Opladen: Verlag Barbara Budrich. Palloks, Kerstin/Steil, Armin (2008): Von Blockaden und Bündnissen. Praxismaterial zur Auseinander- setzung mit Rechtsextremismus im Gemeinwesen. Weinheim/München: Juventa. Patton, Michael Quinn (1998): Die Entdeckung des Prozessnutzens. Erwünschtes und unerwünsch- tes Lernen durch Evaluation. In: Heiner, Maja (Hrsg.): Experimentierende Evaluation. Weinheim, S.55–66. Paxton, Robert O. (2006): Anatomie des Faschismus. München: DVA. Peters, Jürgen/Hoffmann, Hans/Schmode, Udo (Hrsg.) (2005): Handeln gegen rechts. Xenos – Berichte aus der Praxis, Hamburg: VSA. Petersen, Lars-Eric/Six, Bernd (Hrsg.) (2008): Stereotype, Vorurteil und soziale Diskriminierung. Theo- rien, Befunde und Interventionen. Weinheim/Basel: Beltz. Petry, Christian (1993): Wer Ausländer diskriminiert, schadet der deutschen Wirtschaft. In: Kahane, Anetta/Torossi, Eleni (Hrsg.): Begegnungen, die Hoffnung machen. Freiburg: Herder, S.191–2007. Petry, Christian (2008): Gastarbeiter, Ausländer, Mitarbeiter. Vielfalt und Integration am Beispiel des Unter- nehmens Freudenberg in Weinheim. In; Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.): Deutsche Zustände. Folge 6. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S.273–281. Petry, Christian (2010): Religion und Demokratie. Fünf Thesen zu einem Stiftungsprojekt. In: BBE- Newsletter 3/2010. RAA – Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule Neue Länder (Hrsg.) (1995): Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Handbuch zu interkulturellen Projekten der RAA in den neuen Bundesländern. Berlin: RAA Neue Länder. RAA – Regionale Arbeitsstellen für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (Brandenburg (Hrsg.) (2008): 10 Jahre Tolerantes Brandenburg – für eine starke und lebendige Demokratie. Potsdam: Koordinierungsstelle Tolerantes Brandenburg. Rauschenbach, Thomas/Düx, Wiebken/Sass, Erich (Hrsg.) (2006): Informelles Lernen im Jugendalter. Vernachlässigte Dimension der Bildungsdebatte. Weinheim und München: Juventa. Reichardt, Sven (2002): Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squad- rismus und in der deutschen SA. Köln/Weimar/Wien: Böhlau. Reinhardt, Sibylle (2006): Unterricht gegen „rechts“ – geht das? Der Fall EKO-Stahl. Vorschlag für eine Fallstudie zur Auseinandersetzung Lernender mit Ausländerfeindlichkeit in: Gesellschaft – Wirt- schaft – Politik, 3. Ridder, Helmut (1984): Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung. In: Azzola, Axel et al.: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Alternativkommentar). Band 2. Neuwied und Darmstadt: Luchterhand, S.1408–1494. Rieker, Peter (2007): Fremdenfeindlichkeit und Bedingungen der Sozialisation. In: Aus Politik und Zeit- geschichte, Nr. 37, S.31–38. Rieker, Peter (2009): Rechtsextremismus: Prävention und Intervention. Weinheim/München: Juventa. Rieker, Peter/Glaser, Michaela/Schuster, Silke (Hrsg.) (2006): Prevention of Right-Wing Extremism, Xenophobia and Racism in European Perspective. Halle: DJI. Rommelspacher, Birgit (2006): „Der Hass hat uns geeint“. Junge Rechtsextreme und ihr Ausstieg aus der Szene. Frankfurt/M.: Campus. Roth, Roland/Benack, Anke (2003): Bürgernetzwerke gegen Rechts – Evaluierung von Aktionsprogram- men und Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Berlin: Friedrich- Ebert-Stiftung (www.fes.de/buergergesellschaft). Roth, Roland (2003): Gegenfeuer oder Strohfeuer? Die Programme gegen Rechtsextremismus und Gewalt. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, (16) 4, S.20–30. 106 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Roth, Roland (2006): Abschied von der Zivilgesellschaft. Kritische Anmerkungen zur zweiten Runde der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. In: Forschungsjour- nal Neue Soziale Bewegungen, (19) 4, S.6–15. Roth, Roland (2008): Ideen für eine Bundesstiftung zur Demokratieförderung und Rechtsextremismus- prävention. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 4 (21), S.115–121. Roth, Roland (2009): Handlungsoptionen zur Vitalisirung von Demokratie. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung (Download: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-DF8A8405-AECD555D/bst/ xcms_ bst_dms_29175_29176_2.pdf). Roth, Roland/Rucht, Dieter (Hrsg.) (2008): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch. Frankfurt/New York: Campus Verlag. Rucht, Dieter/Heitmeyer, Wilhelm (2008): Mobilisierung von und für Migranten. In: Roth/Rucht, S.573–592. Rydgren, Jens (2003): Meso-level Reasons for Racism and Xenophobia. Some Converging and Diverging Effects of Radical Right Populism in France and Sweden. In: European Journal of Social Theory, 1 (6), S.45–68. Rydgren, Jens (2008): Immigration sceptics, xenophobes or racists? Radical right-wing voting in six West European countries. In: European Journal of Political Research (47), S.737–765. Salzborn, Samuel (2010): Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne. Sozialwissenschaftliche Theorien im Vergleich. Frankfurt/New York: Campus. Schauka, Frank (2009): Abkehr von rechtsextremistisch motivierter Gewalt. Einsichten von Strafgefan- genen. Potsdam: AWO Landesverband Brandenburg. Schellenberg, Britta (2005): Rechtsextremismus und Medien. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42, S.39–45. Schellenberg, Britta (2008): Strategien gegen Rechtsextremismus in Deutschland. Analyse der Gesetz- gebung und Umsetzung des Rechts. München: CAP. Schellenberg, Britta (2009): Country Report Germany. In: Bertelsmann, S.179–248. Schellenberg, Britta (2009a): Strategien zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Europa. München: CAP. Schellenberg, Britta (2010): Rechtsradikalismus in Europa: Trends, Themen und Gegenstrategien. In: Spöhr/Kolls, S.79–100. Schicht, Günter (2007): Menschenrechtsbildung für die Polizei. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte. Schieder, Wolfgang (Hrsg.) (1983): Faschismus als soziale Bewegung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schmid, Hansjörg/Akca, Almila Ayse/Barwig, Klaus (2008): Gesellschaft gemeinsam gestalten. Islami- sche Vereinigungen als Partner in Baden-Württemberg. Baden-Baden: Nomos. Schmitz, Adelheid/Häusler, Alexander (2008): Aktiv für eine vielfältige, soziale und demokratische Stadt – kommunale Strategien gegen die extreme Rechte. In: Häusler, S.241–257. Schneider, Hans Joachim (2006): Hass-Gewalt-Delinquenz junger Menschen. In: BMJ (Hrsg): Hasskrimi- nalität – Vorurteilskriminalität. Projekt Primäre Prävention von Gewalt gegen Gruppenangehörige – insbesondere junge Menschen. Band 1, Berlin: BMJ, S.43–82. Schneider, Helmut/Stange, Waldemar/Roth, Roland (2009): „Kinder ohne Einfl uss? Eine Studie des ZDF zur Beteiligung von Kindern in Familie, Schule und Wohnort in Deutschland 2009“. Mainz: ZDF 2009 (Download: http://unternehmen.zdf.de/fileadmin/files/Download). Schubarth, Wilfried/Stöss, Richard (Hrsg.) (2000): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutsch- land. Eine Bilanz. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. Schulte, Axel (2006): Diskriminierung als soziales Problem und politische Herausforderung. In: Nicklas et al., S.369–380. Simon, Titus (Hrsg.) (2005): Spurensuche. Fachliche und politische Konsequenzen für die Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen – abgeleitet aus der zurückliegenden Praxis in Sachsen-Anhalt. Magde- burg, Verlag Erich-Weinert-Buchhandlung. LITERATUR 107

Simon, Titus et al. (2009): Es wächst nicht einfach Gras darüber. Rechtsextremismus in den ländlichen Räumen. Berlin: Bund der Deutschen Landjugend. SOR-SMC (Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage) (Hrsg.) (2010): Rechtsextremismus in der Ein- wanderungsgesellschaft. Exjugoslawen, Russlanddeutsche, Türken, Polen. Berlin: SOR-SMC. Spöhr, Holger/Kolls, Sarah (Hrsg.) (2010): Rechtsextremismus in Deutschland und Europa. Aktuelle Ent- wicklungstendenzen im Vergleich. Frankfurt/M.: Peter Lang. Staud, Toralf (2005): Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Stender, Wolfram (2008): Der Antisemitismusverdacht. Zur Diskussion über einen „migrantischen Anti- semitismus“ in Deutschland. In: Migration und Soziale Arbeit 3/4, S.284–290. Stewen, Isabell (2009): Zwischen rechter Selbstdefi nition und Stöckelschuhen. Ein Ausschnitt aus der Aufsuchenden Jugendarbeit mit Mädchen in rechtsextrem und menschenfeindlich orientierten Gruppen. In: Betrifft Mädchen 1, S.36–40. Stiftung SPI (2009): Herausforderungen und Chancen von lokalen Konfl ikten in der Einwanderungsge- sellschaft. Dialogstrategien für ein gleichberechtigtes Miteinander. Berlin: SPI. Stöss, Richard (1989): Die extreme Rechte in der Bundesrepublik. Entwicklung, Ursachen, Gegenmaß- nahmen. Opladen: Westdeutscher Verlag. Stöss, Richard (2003): Möglichkeiten und Grenzen der Evaluierung von persuasiven Programmen. In: Lynen von Berg/Roth, S.95–100. Stöss, Richard (2007): Rechtsextremismus im Wandel. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung (2. aktualisierte Aufl age). Stöss, Richard (2008): Rechtsextremismus und Kapitalismuskritik (Arbeitshefte aus dem Otto-Stammer- Zentrum Nr. 9 – neu). Berlin: FUB. Stöss, Richard (2009): Die extreme Rechte in Deutschland. Entwicklungen – Potenziale – Ursachen. Berlin: FUB. Strobl, Rainer/Lobermeier, Olaf (2009): Die Problemstellung: Rechtsextremismus in der Kommune. In: Molthagen/Korgel, S.15–22. Strobl, Rainer/Würtz, Stefanie/Klemm, Jana (2003): Demokratische Stadtkultur als Herausforderung. Stadtgesellschaften im Umgang mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Weinheim/ München: Juventa. Tech, Daniel (2006): Flexicurity und beschäftigtenorientierte Unternehmensstrategie im Betrieb. Düs- seldorf: edition der Hans-Böckler-Stiftung. The Pew Global Attitudes Project (2008): Unfavourable Views of Jews and Muslims on the increase in Europe. Washington, D.C. Thein, Martin (2009): Wettlauf mit dem Zeitgeist – Der Neonazismus im Wandel. Eine Feldstudie. Göttin- gen: Cuvillier Verlag. Violence Prevention Network (2009): Praktische Arbeit mit rechtsextremistisch gefährdeten Jugend- lichen. Fachtagung am 18. und 19. Dezember 2009. Tagungsdokumentation. Berlin: Violence Pre- vention Network. Uhl, Katrin/Ulrich, Susanne/Wenzel, Florian M. (Hrsg.) (2004): Evaluation politischer Bildung. Ist Wirkung messbar? Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Universität Bielefeld/Amadeu Antonio Stiftung (2009): Europäische Zustände. Ergebnisse einer Studie über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Europa. Präsentation der Studie am 13. Novem- ber 2009 in Berlin. Material für die Pressekonferenz mit Kurzbericht zur Studie, Berlin. VAJA/Möller, Kurt (2007): Distanz(ierung) durch Integration. Aufsuchende Arbeit mit rechtsextrem und menschenfeindlich orientierten Jugendlichen. Konzept, Praxis, Evaluation. Bremen: VAJA. 108 GUTACHTEN IM AUFTRAG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Wahl, Klaus (Hrsg.) (1999): Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsextremismus. Drei Studien zu Tatverdächtigen und Tätern, Berlin. Weber, Thomas (2010): Anti-Parlamentarier im Parlament. Die rechtsextreme NPD im Kreistag des Landkreises Harz. Magdeburg: OvG-Universität (MA-Arbeit). Wildt, Michael (2007): Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deut- schen Provinz 1919 bis 1939. Hamburg: Hamburger Edition. Wildt, Michael (2008): Geschichte des Nationalsozialismus, Göttingen. Vandenhoek & Ruprecht. Wilking, Dirk (2009): Rechtsextreme Interventionen in Verein, Kirche, Feuerwehr – Welche Gegen- strategien hat die Zivilgesellschaft im ländlichen Raum? In: Landeszentrale, S.18–24. Wilson, Richard Ashby (Hrsg.) (2005): Human Rights in the ‘War On Terror’. Cambridge u.a.: Cam- bridge University Press. Winkler, Jürgen R. (2000): Rechtsextremismus. Gegenstand – Erklärungsansätze – Grundprobleme. In: Schubarth/Stöss, S.38–68. Wippermann, Wolfgang (2009): Faschismus. Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Darm- stadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft. Zeuner, Bodo et al. (2007): Gewerkschaften und Rechtsextremismus. Münster: Westfälisches Dampfboot. Ziege, Eva-Maria (2009): Antisemitismus und Gesellschaftstheorie. Die Frankfurter Schule im amerika- nischen Exil. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

ISBN: 978-3-86872-372-4 www.fes-gegen-rechtsextremismus.de