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AKADEMIEGESCHICHTE

GRÜNDUNGSGESCHICHTE Johann Heinrich Lambert (1728 bis 1777)

DER BERÜHMTE MATHEMATIKER WAR GRÜNDUNGSMITGLIED DER BAYERISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IM JAHR 1759.

VON FRIEDRICH L. BAUER

ls sich 1758 unter der Ägide der Kurfürstlichen ARäte Johann Georg von Lori und Dominicus von Linprun in München ein Verein bildete, der die Gründung einer Kurfürstlichen Akademie der Wissenschaften zum Ziel hatte, war auch der vielseitige und weit gereiste, zu diesem Zeitpunkt in Augsburg ansässige Universalgelehrte Johann Heinrich Lambert an den Vereinszielen interessiert. Am 12. Oktober 1758 fand „eine vorbereitende Sitzung der Initiatoren des Plans einer Akademie“ (Franz Schnabel) statt. Im darauf folgenden Gründungsjahr 1759 stellte am 28. März, an seinem Geburts- tag, Kurfürst Max III. Joseph die Stiftungsurkunde aus.

Mathematiker unter den Gründungsmitgliedern

Johann Heinrich Unter den rund 60 Akademiemit- Lambert gliedern (und 16 Ehrenmitgliedern) (1728–1777). waren sieben, die als Mathematiker bezeichnet wurden, darunter, wie 1959 der Münchner Mathematiker Georg Faber (1877–1966) schreibt, „ein sonst nicht bekannter Mathe- [Ildephons Kennedy], endlich Jo- Georg Friedrich Brander (1713– matikprofessor [Johann Georg] hann Heinrich Lambert, [der] mit 1783), einen bedeutenden, schon zu Stigler, Lehrer am Kadetten- lebhafter Anteilnahme die Grün- seiner Zeit europaweit bekannten haus, ein Straßenbaukommissär dung der Münchner Akademie Augsburger Instrumentenbauer, [Castulus Riedl] und ein Benedik- unterstützt hatte“. Die von Faber dessen mathematische Instrumente, tiner [Candidus Werle], ferner zwei nicht durch Namensnennung darunter ein Vollkreis-Transpor- Pollinger Chorherren [Prosper Gewürdigten haben in der Mathe- teur und ein Proportionalzirkel, Goldhofer, Eugen Dobler] und ein matik keine Spuren hinterlassen. im Deutschen Museum Eingang Regensburger katholischer Prediger Übersehen hat Faber offenbar gefunden haben.

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Lamberts Herkunft widersprechendes Axiom ersetzen bereits 1737 an- könne, als Vorläufer von Nikolei gegebene, nicht abbrechende, aber Lambert, geboren am 26. August Lobatschewski (1792–1856) und konvergierende Kettenbruchent- e –1 1728 zu Mülhausen im Elsass, seiner nichteuklidischen Geome- wicklung für e +1 : das damals zur schweizerischen trie; mit seiner ‚Algebraischen Eidgenossenschaft gehörte, stammt Logik‘ von 1764 als Vorläufer des e –1 1 = aus einer verarmten hugenottischen Logikkalküls von Charles Boole e +1 1 2+ Flüchtlingsfamilie: Sein Vater ist (1815–1864) und Gottlob Frege 1 6+ Schneider; der junge Lambert, der (1848–1925); mit seinem Verfahren 1 10 + sich schon in der Stadtschule aus- der Bahnbestimmung von Kometen 1 14 + zeichnet, muss als Zwölfjähriger die (Insigniores orbitae cometarum 1 18 + Schule verlassen und kann später proprietates) als Vorläufer von ... aus Geldmangel nicht studieren. Er Wilhelm Olbers (1758–1840). wird Gehilfe seines Vaters und bil- Lambert ist auch philosophischen und zeigt, dass ihr Wert irrational det sich in unsystematischer Weise Fragen gewachsen: Seine Cosmolo- ist. Damit ist aber auch e irrational. aus für ihn erreichbaren Büchern. gischen Briefe von 1761 führten zu In gleicher Weise verfährt er in der Später arbeitet er als Buchhalter, einem jahrelangen Briefwechsel mit Arbeit mit dem originellen Titel dann als Privatsekretär und wird . Vorläufi ge Kenntnisse für die, so 1748 Hauslehrer beim Reichsgrafen die Quadratur und Rektifi kation des Peter von Salis in Chur, mit dessen Tätigkeit in Circuls suchen (in: Beyträge zum Kindern er 1756 bis 1758 Bildungs- Gebrauch der Mathematik und deren reisen unternehmen wird. Er wird 1758 und 1759, in der Gründungs- Anwendung, Theil II, Abschnitt I). Mitglied der Société scientifi que zeit der Kurfürstlichen Akademie, verfasst 1766, erschienen 1770, der Schweiz, erfi ndet einen ‚Per- ist Lambert wohnhaft in Augsburg. mit der von ihm aufgestellten nicht spektographen‘ (1752) und arbeitet Dank seiner ausgedehnten Reisen abbrechenden, aber konvergieren- an dem Werk Die freye Perspektive vermisst er München nicht, dessen den Kettenbruchentwicklung für – La perspective affranchie de Bewohner, wie er sich ausdrückt, tan x: l’embaras du plan géometrique, „erst an protestantische Gelehrte das 1759 in Zürich gedruckt wird gewöhnt werden mussten“. Leon- x tan x = und ihn weithin bekannt macht, hard Euler schlägt Lambert für die x 2 1– weil es das bis dahin führende Werk Berliner Akademie des preußischen x 2 3– von Brook Taylor (1685–1731) an Königs vor und setzt 1764 die x 2 5– Praktikabilität übertrifft. Lamberts Berufung von Lambert durch. x 2 praktischer Sinn – er schlug sich Lambert wird in Berlin auf einer 7– x 2 nieder „in Arbeiten über Photome- gut dotierten Stelle als Oberbaurat 9– ... trie (Photometria sive de mensura sesshaft. et gradibus luminis colorum et umbrae), Lambert’sches Cosinus- Das ‚Unendlich Kleine‘ Er schließt daraus, dass tan x irra- gesetz und Pyrometrie, über die tional ist für alle reellen, von Null Gewalt des Schießpulvers und über Im klaren Gegensatz zu Leonhard verschiedenen rationalen Werte von die Wirkungen einer Feuerspritze, Euler bezeichnet Lambert in einem x. Da aber tan 4 = l rational ist, kann über die beste Gestaltung eines Briefwechsel 1765/66 das ‚Unend- 4 und damit auch nicht rational Daches und wie man den Stoffabfall lich Kleine‘ als eine reine Fiktion. sein. Also ist irrational, ist wie e vermindern kann durch geschicktes Einige Jahre später publiziert Lam- durch keinen Bruch darstellbar. Zuschneiden von Hemden“ (sagt bert ein Ergebnis, das ihn berühmt Georg Faber) – ist nicht der des macht: die Irrationalität der Zahlen Lamberts klare Einsicht Tüftlers, sondern der eines vielsei- e und . tigen und scharfsinnigen Gelehrten, Adrien-Marie Legendre (1752– der in mannigfacher Weise als Zum Beweis für e, den er schon 1833) glaubte, die Beweisführung Vorläufer wirkt: in der erwähnten 1761 erzielt, 1767 vorgetragen und Lamberts anzweifeln zu müssen, ‚freyen Perspektive‘ als Vorläufer 1768 publiziert hat unter dem Titel und publizierte 1806 eine tech- des Geometers Gaspard Monge Mémoire sur quelqes proprié- nische Vereinfachung. Die sodann (1746–1818); durch seine Überle- tés remarquables des quantités verbreitete Ansicht, dass es Lam- gungen, ob man Euklids Paralle- transcendantes circulaires et berts Beweis an Strenge mangele, lenaxiom durch ein anderes, ihm logarithmiques, benutzt er die von wurde 1898 von Alfred Pringsheim

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(1850–1941) zurückgewiesen: „Im Kettenbruch von William Broun- Das gilt auch kurz vor dem 250- übrigen ist Legendre von der klaren cker (1620–1684) konvergieren jährigen Jubiläum noch. und tiefen Einsicht Lambert’s, daß gleich schlecht: mit n Gliedern Betrachtungen der fraglichen Art gewinnt man asymptotisch nur etwa Mathematiker in den ohne die nöthigen Convergenz- 10log n Dezimalstellen (logarith- Anfangsjahren der Akademie Beweise eigentlich werthlos sind, mische Konvergenz), während der sehr weit entfernt“. Pringsheims Lambert’sche Kettenbruch damit Somit zurück zur Münchner Akade- Lob für Lambert ist überschwäng- 10log(3 – √8) · n = 0.765... · n mie. Lambert, der als auswärtiges lich: „Die Lambert’sche Arbeit Dezimalstellen gewinnt (lineare Mitglied aufgeführt ist, war unter giebt also das erste und auf längere Konvergenz). den der Mathematik und Astrono- Zeit hinaus auch das einzige Bei- mie zugehörigen Gründungsmit- spiel einer nach heutigen Begriffen Praktische Anwendungen gliedern der einzige, dessen Namen wirklich strengen Entwicklung in den gängigen Nachschlagewer- gewisser Funktionen in conver- Anschließend an Eulers bahnbre- ken noch zu fi nden ist. Auch im gierende Kettenbrüche“. chende Arbeiten führt Lambert Verlauf der nächsten Jahrzehnte 1765 den Übergang von der sphä- fehlten unter den Namen der Kettenbruch für 4 rischen zur ebenen Geometrie in ordentlichen Akademiemitglieder Strenge durch, und studiert 1770 bedeutende und berühmte Mathe- Mit Kettenbrüchen war Lambert die Analogien zwischen trigonome- matiker ihrer Zeit. Dies mag für die vertraut, und es gelang ihm 1770, trischen und Hyperbel-Funktionen. erste Zeit teilweise damit erklärt für die Umkehrung der Tangens- Er legt auch großes Gewicht auf werden, dass sich die Universität Funktion einen Kettenbruch Näherungsformeln und verfasst Ta- bis 1802 in Ingolstadt, danach bis herzuleiten, der für 200 Jahre in felwerke. Seine Praxisnähe bewährt 1826 in Landshut befand, bevor sie seiner Konvergenzgeschwindig- sich besonders in der Kartographie: nach München kam. keit unter den Kettenbrüchen mit In Beyträge Theil III, 1772 führt Bildungsgesetz nicht übertroffen er eine fl ächentreue Abbildung der Auswärtige Mitglieder wurde. Aus der gewöhnlich James Kugeloberfl äche auf die Ebene ein, nach der Reform von 1808 Gregory (1638–1675) zugeschrie- die als ‚Lamberts Azimutal-Pro- benen Reihe, der sie nach Knopp jektion‘ jahrzehntelang in Dierckes Die nach einer Reform 1808 vorge- „1671 gefunden, die aber erst 1712 Schulatlas Verwendung fand und nommene Aufnahme einer Vielzahl bekannt gemacht wurde“, wegen der durch die Flächentreue korrespondierender (‚auswärtiger‘) bedingten, besonders in Polnähe Mitglieder brachte zwar u.a. die x 3 x 5 x 7 x 9 auftretenden Verzerrungen zu man- Mathematiker Lazare de Carnot, arctan x = x – + – + – + ... 3 5 7 9 cherlei Erstaunen führte. Flächen- Carl Friedrich Gauß, Joseph de La- treue Abbildungen sind aber von grange, Pierre de Laplace, Gaspard gewinnt er durch einen Eukli- großer Bedeutung in der wissen- Monge de Peluse, Johann Wilhelm dischen Teileralgorithmus einen schaftlichen Kartographie und Pfaff in die Akademie; „aber diese Kettenbruch haben auch vielfaches theoretisches hatten mit der Akademie nicht mehr Interesse gefunden. zu tun, als dass ihre Namen das x arctan x = Mitgliederverzeichnis zierten“ (Ge- x 2 1+ Das rechte Bild eines Gelehrten org Faber). Zu bedenken ist ferner, 4 . x 2 3+ dass 1818 die Mathematisch-natur- 9 . x 2 5+ Lambert starb zu Berlin am 25. Sep- wissenschaftliche (‚Mathematisch- 16 . x 2 7+ 25 . x 2 tember 1777. Georg Faber schreibt physikalische‘) Klasse unter dem 9+ ... 1959: „Lambert war in Licht und Sekretär Karl Ehrenbert von Moll, Schatten das rechte Bild eines einem Mineralogen, insgesamt nur dessen numerische Qualität bis ans Gelehrten des 18. Jahrhunderts, sechs ordentliche Mitglieder hatte. Ende des 20. Jahrhunderts in der der über Gott und die Welt und Literatur, auch bei Oskar Perron alles mögliche schreibt, aber nicht Keine mathematischen (1880–1975), nicht genügend von einem Katheder aus doziert. „Nordlichter“ hervorgehoben wurde. Für x = l Unter den rund 2500 Mitgliedern, liefern Reihe und Kettenbruch den welche die [Münchner] Akademie Bis 1859 traten an bedeutenden Wert 4 . Die Leibniz-Reihe und der, in den zweihundert Jahren ihres Mathematikern nur Charles wie schon 1777 Leonhard Euler Bestehens hatte, fi ndet sich kein Babbage, John , Gustav (1707–1783) zeigte, gleichwertige zweiter seinesgleichen“. Peter Lejeune Dirichlet und Martin

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Ohm hinzu; unter den ordentlichen Aufschwung nach dem 30 korrespondierende Mitglieder Lamberts fl ächentreue Mit gliedern fi ndet sich jedoch Akademiejubiläum 1859 aufgenommen. Heute hat die Ma- Azimutal-Projektion. weiterhin, trotz der Bemühungen thematisch-naturwissenschaftliche Aus: Diercke Schulatlas, des Königs Max II., kein einziger Diese für das Ansehen der Mathe- Klasse der Bayerischen Akademie 71. Aufl ., S. 37 (1931). der ‚Nordlichter‘, dessen Name als matik unbefriedigende Situation der Wissenschaften 86 lebende Mathematiker überragende Geltung ändert sich jedoch ziemlich rasch ordentliche Mitglieder, darunter hat. Der sonst um die Wissenschaft nach dem Jubiläumsjahr 1859; von ein Dutzend Mathematiker und hochverdiente König hatte nicht die den Professoren der Mathematik an Informatiker. richtigen Berater für die Mathe- den Münchner Universitäten wer- matik; er versäumte es auch, Gauß, den 1861 Ludwig von Seidel, 1870 Der Autor ist em. o. Professor für dem er bereits 1853 den Maximi- Ludwig Otto Hesse, 1877 Gustav Mathematik und Informatik an der lians-Orden verliehen hatte, in Bauer ordentliche Mitglieder, des TU München und o. Mitglied der die Walhalla zu bringen. München weiteren 1892 Walther von Dyck, Mathematisch-naturwissenschaft- lag selbst damals noch nicht in 1895 Ferdinand von Lindemann, lichen Klasse der Bayerischen einem Brennpunkt der mathema- 1898 Alfred Pringsheim, 1899 Au- Akademie der Wissenschaften. tischen Kultur. rel Voß. Bis 1900 werden außerdem ● ● ● ● ● ●

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