Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

KARL-HEINZ BRAUN

Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620

Originalbeitrag erschienen in: 550 Jahre Albert-Ludwigs-Universität. Freiburg: Alber, Bd. 2 (2007), S. 92-119 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620

KARL-HEINZ BRAUN

Erzherzog Albrecht von Österreich, der »Freigebige«, hatte in der Stiftungs- urkunde vom 21. September 1457 darauf hingewiesen, daß die zu gründende Universität der Stärkung der ganzen Christenheit dienen solle.' Seiner Stif- tung gab er die Aufgabe, sie solle »den brunnen des lebens« graben helfen, 2 »daruß von allen enden der weit unersyhlich geschöpfet müge werden, er- lüchtens wasser trostlicher und heilsamer weißheit, zu erlöschung des ver- derblichen fewers menschlicher unvernunft und blintheit«. Diesem Anliegen sah sich die Theologie in besonderer Weise verpflichtet, hatte doch Papst Ca- lixtus III. (1455-1458) 3 in seiner Genehmigungsbulle als Aufgabe der Univer- sität genannt: »ut [...] simplices rudiantur et fides catholica dilatetur« 4, Bil- dung und Unterweisung für die noch Unkundigen einerseits und Verbreitung des allgemein gültigen Glaubens andererseits.

Theologie gehörte in Freiburg nach dem Modell der Pariser Universität 3 als erste und vornehmste der oberen Fakultäten seit den Anfängen des Lehr- betriebs dazu. In den Matrikeln der Universität ist gleich nach dem Grün- dungsrektor »Mathaeus Hummell de Villingen« 6, einem Magister artium

1 Universitätsarchiv Freiburg: A 1/1506 (21.9.1457); H. Schreiber, Urkundenbuch der Stadt Frei- burg, Bd. 2, 447 f.; J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät der Universität Frei- burg im Breisgau (1460-1620). Freiburg i. Br. 1957, 10. 2 Zur biblischen Metaphorik von Brunnen bzw. Wasser vgl. etwa Psalm 35, 10: »quoniam tecum est fons vitae«; in der hebräischen Zählung 36, 11: »Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht.« G. Schwaiger, Calixtus III. (Alonso de Borja), in: LThK 3 2 (1994), 892-893: geboren 1378 in Canals bei Jätiva (Valencia), 1444 Kardinal, Papst 1455-1458. Zitiert nach J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 12. 5 Vgl. A. Gieysztor, Organisation und Ausstattung, in: Geschichte der Universität in Europa. Bd. 1: Mittelalter. Hg. W Rüegg. München 1993, 110: »Fakultäten als Untereinheiten einer Uni- versität im Sinn einer Fachdisziplin bzw. des Lehrkörpers eines Fachgebietes. An der Universität Bologna dagegen wurden die unterschiedlichen Fachgebiete selbst als universitates, bisweilen nochmals differenziert in italienische und außeritalienische wie z. B. universitas citramontanorum bezeichnet.« Die Matrikel der Universität von 1460-1656. Hg. H. Mayer. Freiburg i. Br. 1907, 2: geboren 1425 in Villingen, 1441 in Heidelberg immatrikuliert, in Pavia 1454 Dr. iur. can. und 1455 Dr. med., 1455 erzherzoglicher Rat, 1459 Heirat mit Margaretha, der Tochter des Frei- burger Schultheißen Johann Vogt, mehrere Male Rektor, gestorben 1477; P. Diepgen / E. T. Nauck,

92 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620 und Doktor der Medizin und des kanonischen Rechts, Johannes Pfeffer von Weidenberg als erster Ordinarius der Theologie genannt.' Rektor Hummel hatte diesen aus gemeinsamen Heidelberger Universitätsjahren gekannt und mit dessen Berufung nach Freiburg gleichzeitig die vom Erzherzog durchaus gewünschte Heidelberger Tradition mit bedacht. 8 Zum Zeitpunkt der feierli- chen Eröffnung am 6. April 1460 noch Lizentiat der Theologie, begann Pfeffer am 28. April 1460 mit den Vorlesungen, ließ sich jedoch am 6. Oktober noch in Heidelberg zum Doktor der Theologie promovieren.' Johannes Pfeffer stammte aus Weidenberg (Wydenberga), »natione Francus orientalis«, wie der Humanist Johannes Trithemius in seinem »Cata- Iogus illustrium virorum« 10 eigens vermerkte, und hatte seit 1434 in Heidel- berg studiert, eingetragen als »pauper« 11, damals wohl zwischen 16 und 18 Jahre alt. Pfeffers Promotion läßt sich auf den 1. Juli 1439 datieren. Im Som- mer 1447 war er Dekan der Artistenfakultät, während er gleichzeitig Theo- logie studierte, die er in den nächsten Jahren mit dem Lizentiat der Theologie abschloß. Nach der Priesterweihe erhielt er 1456 eine Prädikatur in der freien Reichsstadt Windsheim, bis er schließlich an die Freiburger Universität beru- fen wurde.

Hier in Freiburg — »wahrscheinlich im Münster« 12 - begann Johannes Pfeffer am 28. April 1460 die regulären Vorlesungen. Er las über das 1. Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus. 13 Spätestens mit den Pariser Statuten von 1335 wurden in solchen Sentenzenkommentaren die Zugangsweise und die Organisation vor-theologischer bzw. philosophischer und theologischer Fragestellungen und Inhalte zum Pflichtbereich universitärer Theologie ge- zählt. 14 Pfeffer war aus der Heidelberger Tradition damit vertraut geworden.

Die Freiburger medizinische Fakultät in der österreichischen Zeit. Mit einem Vorwort von Kurt Goerttler und acht Kunstdrucktafeln (= Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitäts- geschichte 16), Freiburg i. Br. 1957, 19-20; F. Rexroth, Die Gründung der Universität, in. Ge- schichte der Stadt Freiburg im Breisgau. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum »Neuen Stadtrechte von 1520. Hgg. H. Haumann / H. Schadek, Stuttgart 1996, 234. Ebd., 3, Nr. 1. Ähnliches gilt für weitere Inscribenten: ebd., 3-12. Ebd., 3, Nr 1: »recepit insignia doctoralia in universitate Heidelbergensi octava Michaelis«. " J. Trithemius, Opera historica, quotquot hactenus reperiri potuerunt, omnia. Hg. M. Freher, I, Frankfurt a. M. 1601, 167. " Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1553. Teil 1. Hg. G. Toepke. Heidelberg 1884, 203. 12 J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 15. F. Stegmüller, Repertorium Commentariorum in Sententias Petri Lombardi. Bd. 1. Würzburg 1948, 248; A. Füssinger, Johannes Pfeffer von Weidenberg und seine Theologie: Ein Beitrag zur Freiburger Universitätsgeschichte (= Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitäts- geschichte 12). Freiburg i.Br. 1957, 21-22. R. Imbach, Sentenzen, Sentenzenkommentare, in: LThIQ 9 (2000) 467-471 (Lit ); M. J. F. M. Hoenen, Marsilius of Inghen: Divine knowledge in late medieval thought (= Studies in the history of Christian thought 50). Leiden 1993; M. J. F. M. Hoenen, Neuplatonismus am Ende des 14. Jahr- hunderts. Die Prinzipien zum Sentenzenkommentar des Marsilius von lnghen, in: Marsilius von

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In der Einleitung zu diesem Vorlesungstyp" weist er auf die zum Erfas- sen der Theologie als einer »hochheiligen Wissenschaft« wichtige Disposition hin: »Primum eSt divinae gratiae praeveniens illustratio« 16 . Die Theologie lebe von der ihr vorausgehenden und ihr zuvorkommenden Zuwendung gött- licher Gnade, wie es in biblischen Erzählungen und Geschichten dargelegt werde. Mit metaphorischen Assoziationen von Licht und Erkenntnis weist er durchaus mit religiöser Wärme auf Grundvoraussetzungen auch einer schu- lisch-universitären Theologie hin: auf die Beziehung zu Gott selbst. Wenn Theologie Erkenntnis vermitteln wolle, bedürfe sie der göttlichen Erleuch- tung, mit der alle großen Geister ausgestattet wurden: ein Paulus in seinem Damaskuserlebnis (hier angegeben Apg 9, 3) ebenso, wie es ein Augustinus in seinen Confessiones (8, 12, 29) gestehe. Im Anschluß an diesen Teil (principium) erfolgten noch vor den einzel- nen Distinktionen einleitende Reflexionen über den Wissenschaftscharakter von Theologie. 17 Die präsentierten theologischen Inhalte formulierte er in Anlehnung an probate Autoren:" Ulrich von Straßburg," Thomas von Aquin, 2° Petrus von Tarantasia," Alexander von Hales, 22 Bonaventura, 23

Inghen: Werk und Wirkung: Akten des Zweiten Internationalen Marsilius-von-Inghen-Kongres- ses. Hg. S. Wielgus. Lublin 1993, 165-194, hier 189 (über dessen Orientierung an der Pariser Tradition). " Principium Commentarii Joannis Pfeffer de Wydenberg in primum librum Sententiarum: Uni- versitätsbibliothek Freiburg MS 160 (fol. 2"-6"); gedruckt: A. Füssinger, Johannes Pfeffer von Weidenberg und seine Theologie: Ein Beitrag zur Freiburger Universitätsgeschichte (= Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 12), Freiburg i. Br. 1957, 160-169, hier fol. 3' — f. 5" bzw. 163-167. 16 Ebd., fol 5' bzw. A. Füssinger, Johannes Pfeffer von Weidenberg, 166. 17 [Prooemium] 1. Utrum sacra theologia sit scientia etc; vgl. A. Füssingei Johannes Pfeffer von Weidenberg, 146. " A. Füssinger, Johannes Pfeffer von Weidenberg, 80. 19 F. B. Stammkötter, Ulrich von Straßburg, in: LThK 3 10 (2001) 359: Dominikanertheologe, ge- boren 1225, 1248-1254 Studium des Dominikanerordens in Köln, bis 1272 Lektor in Straßburg, dann Provinzial der deutschen Dominikanerprovinz, 1277 in Paris, wo er im selben Jahr gestorben ist. Ulrich greift vor allem auf Albertus Magnus und Pseudo-Dionysios Areopagites zurück, bis- weilen auch auf Aristoteles. 20 W. Kluxen, Thomas von Aquin, in: LThK3 9 (2000) 1509-1517: geboren 1225 auf Schloß Roc- casecca bei Neapel, 1244 Dominikaner, 1245 in Paris, 1248 zusammen mit Albertus Magnus in Köln, 1252 in Paris, 1259 Italien, 1265 in Rom, 1268 in Paris, 1272 in Neapel, 6. 12.1273 Abbruch aller Arbeiten, 7.3.1274 in Fossanova bei Terracina gestorben, 1223 heiliggesprochen, 1567 zum Doctor ecclesiae erhoben. Thomas strebte im Anschluß an die aristotelische Logik die Erhellung des Glaubensgebäudes mittels argumentativ zu konstruierender Begrifflichkeiten an. R. Aubert, Innocent V, in: DHGE 25 (1995) 1265-1266; J.-P. Merimie, Innocent V (Pierre de Tarentaise, bienheureux), DSp 7 (1971) 1773-1775: geboren 1224 in Tarentaise-en-Forez (Erz- bistum Lyon), Dominikaner, Studium in Paris, 1264 Provinzial, Lehrtätigkeit in Paris, 21.1.1276 Papst, gestorben 22.6.1276. " E. Gössmann, Alexander von Hales, in: LThK3 1 (1993) 362-364: geboren um 1185 in Hales, seit 1235 Franziskaner, Teilnahme am 1. Konzil von Lyon 1245, gestorben 1245 in Paris, »einer der größten Scholastiker (doctor irrefragabilis)«. " F. W. Bautz, Bonaventura, in: BBKL 1 (1990) 679-681; Bernardino de Armellada, Bonventura,

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Alexander von Alexandria, 24 Albertus Magnus, 25 Richard von Mediavilla 26 27 Diese wirkten noch vor der Mitte des 14. Jahrhun- und Gregor von Rimini. derts »im Sinne des Realismus«. 28 Theologen aus späteren Zeiten werden nicht genannt. Bemerkenswert ist sein bis in die systematische Theologie hinein verfolgtes pädagogisches Interesse: seine Präferenzen sind Verständ- lichkeit und Einsicht vor subtiler Spezialisierung, wie sie gerade der damals etablierten Scholastik zu eigen war. Auch seine Rezeption der von ihm prä- sentierten theologischen Lehrer geschieht auf diese Weise. Deutlicher als in der 1466 beendeten Sentenzenvorlesung konkretisierte sich Pfeffers »pasto- raltheologisches Interesse« in seinem »Directorium sacerdotale«, zwischen 1483 und 1485 gedruckt, das ebenfalls auf Vorlesungen zurückgehen dürfte. 29 13 noch erhaltenen Predigten. Weitere Zeugnisse seines Wirkens sind seine Diese in zeitgenössischer Beurteilung zu erfassen und zu würdigen, bliebe ein überfälliges Desiderat.

Ein kurzer Blick in die Geschichte der Theologischen Fakultät — dies gilt auch für die anderen Fakultäten Freiburgs — zeigt, wie bescheiden die Universität in ihren Anfangsjahren organisiert war. Zur feierlichen Eröffnung 1460 »stand den Studenten kein eigenes Gebäude zur Verfügung, das eingeweiht werden konnte, ja, es konnte nicht einmal eines geplant werden«. 30 Die Angehörigen der vier Fakultäten, Professoren wie Studenten, lebten in unterschiedlichen Häusern eine streng organisierte vita communis. Deren Regeln wie auch die seit den Anfängen des Vorlesungsbetriebes von Rektor Hummel erlassenen

in: LThK3 2 (1994) 570-572: geboren 1217 in Bagnoreggio (Viterbo), 1243 Franziskaner, neben anderen ist Alexander von Hales sein Lehrer, Thomas von Aquin 1257 sein Kollege, seit 1257 General seines Ordens, 1273 Kardinalbischof von Albano, 1274 auf dem Konzil von Lyon gestor- ben, 1482 heiliggesprochen, 1587 Kirchenlehrer W. A. Bienert, Alexandros von Alexandrien, in: LThI(' 1 (1993) 360: um 312 Patriarch von Alexandrien bis 328, gehörte auf dem Konzil von Nizäa 325 zu den Gegnern des Arius und seiner Anhänger, wahrscheinlich Verfasser der Schrift De anima et corpore zs G. Wieland, Albertus Magnus, in: LThK 3 1 (1993) 337-339: geboren um 1200 in Lauingen (Donau), 1223 Dominikaner in Padua, 1245 Mag. theol. in Paris, 1248-1254 in Köln, 1254-1257 Provinzial der deutschen Ordensprovinz, 1257-1260 Professor in Köln, 1260-1262 Bischof von Regensburg, 1270 in Köln, gestorben 1280,1622 seliggesprochen, 1931 heiliggesprochen und zum Kirchenlehrer erhoben, Patron der Naturwissenschaftler. 26 J. R. Söder, Richard von Mediavilla, in: LThK3 8 (1999) 1173: geboren uni 1249, englischer oder französischer Herkunft, Franziskaner, 1284 Lehrer in Paris, 1295 Provinzial der Francia, Orientie- rung an Bonaventura. 27 W. Eckermann, Gregor von Rimini, in: LThK 3 4 (1994) 1025: geboren 1305 in Rimini, Theo- logiestudium in Paris, Mag. theol. 1345,1357 Ordensgeneral der Augustinereremiten, gestorben 1358 in Wien, wirkungsgeschichtlich bedeutsamer Vertreter augustinischer Gnadenlehre. " A. Füssinger, Johannes Pfeffer von Weidenberg, 81. " J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 64. " I. Schroth, Von den alten Gebäuden der Universität: Freiburg und seine Universität: Festschrift der Stadt Freiburg im Breisgau zur Fünfhundertjahrfeier der Albert-Ludwigs-Universität. lig. Stadtverwaltung Freiburg. Freiburg i. Br. 1957,39-50, hier 39.

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Vorschriften regelten das Leben an der Universität und innerhalb der Stadt. 31 Illustriert gibt Jahrzehnte später das Statutenbuch des Collegium Sapientiae darüber Bescheid. 32 Die Philosophen bildeten die sog. Artistenfakultät. Ihr Besuch war für alle weiteren Studien grundlegend. Diese Fakultät, zahlenmäßig die größte, hatte 1460 von der Stadt Freiburg den sog. Dekaneihof in der Sattelgasse, heute Bertoldstraße, und schon drei Jahre später das Nachbarhaus »Zum Pfau- en« zugewiesen bekommen. 1493 trennten sich — auf Weisung des Landesfür- sten Sigmund — die Anhänger der via antiqua, Realisten oder Scotisten ge- nannt, und erhielten in einem weiteren Nachbarhaus »Zum Adler« eine nach ihrer Lehre ausgerichtete Einrichtung, während die sog. Pfauenburse die No- minalisten (via moderna) aufnahm. 33 Die Theologen lebten zunächst innerhalb der Klöster. Dort fanden auch ihre Vorlesungen und Disputationen statt. Stand der Fakultät als Auditorium zunächst ein größerer Raum bei den Franziskanern zur Verfügung, so wech- selte sie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu den Dominikanern. 34 Erst 1581 wurde aus früheren Häusern von Universitätsangehörigen ein Kolle- giengebäude eingerichtet, 35 in dem wichtige Funktionen wahrgenommen wer- den konnten. Darüber hinaus diente das Münster, dessen Pfarrei — nicht je- doch der Kirchenbau — 1464 der Universität inkorporiert worden war, 36 für bestimmte feierliche Anlässe der Universität. Dazu gehörten gewisse Gottes- dienste, bei denen die Mitglieder der Universität im Chorgestühl Platz neh- men durften; auch Festakte wie z. B. Promotionen fanden hier statt. Dafür hatte die Universität jährlich 10 Schilling für die Benutzung des Chorgestühls zu zahlen. Als die vier Fakultäten das Chorgestühl und die Universität die Kathedra finanzierten, wurden sie 1539 von dieser Gebühr befreit. 37 Grundsätzlich wurde das Münster Unserer Lieben Frau von den durch

31 Vgl. neuerdings D. Speck, Eine Universität für Freiburg: »... zu erlöschung des verderblichen fewres menschlicher unvernunft und blintheit ...«. Freiburg i. Br. 2006, 32-35. 32 Statuta Collegii Sapientiae. Satzungen des Collegium Sapientiae zu Freiburg im Breisgau, 1497. Mit einer Einführung hg. von Josef Hermann Beckmann. Lateinischer Text besorgt und ins Deut- sche übersetzt von Robert Feger, 2 Bde. Lindau 1957. " D. Speck, Eine Universität für Freiburg, 34: rekonstruierte Ansicht der Bursengebäude in der Bertoldstrage, 47-51: zur Differenzierung zwischen Bursen und Kollegien. " J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 39. " 1. Schroth, Von den alten Gebäuden der Universität, 41 -47. " Freiburg im Breisgau: Universität und Stadt 1457-1982: Katalog zur Ausstellung vom 21.10.-21.11.1982 im Colombischlößchen (--= Stadt und Geschichte. Neue Reihe des Stadtarchivs Freiburg i. Br. 3). Hgg. H. Ott / H. Schadek. Freiburg i. Br. 1982, 11-12 mit Hinweisen auf ein- schlägige Dokumente im Stadtarchiv (53). " J. Rest, Die Universitätskapelle im Freiburger Münster: Clemens Bauer, Felix Eckstein, Bern- hard Meier, Ernst Th. Nauck, Josef Rest, Aufsätze zur Freiburger Wissenschafts- und Universitäts- geschichte Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 22), Freiburg 1. Br. 1960, 120, Anm. 36: »und haben die vier Fakultäten die styll machen lassen und die Univer- sitet cathedrarn [...I«

96 Zur Geschichte der Theologischen Fakultat von 1460 bis 1620 den Stadtrat bestellten Münsterpflegern betreut und verwaltet. Ihnen war auch die Universität bezüglich ihrer Auftritte im Münster verpflichtet. Gleichzeitig stand sie noch einer zweiten Institution gegenüber, der sog. Prä- senz, einer Vereinigung von Geistlichen, die über gewisse Stiftungen ihre Gottesdienste am Münster versahen und dementsprechend mit gewissen Rechten ausgestattet waren. Deren Vorsitz übernahm 1505 der Münsterpfar- rer, wodurch die bisherigen Rivalitäten zwischen Universität und Präsenz zu- gunsten der Hochschule entschieden wurden.

Schon 1504 plante die Universität in dem seit 1498 vorangetriebenen Bau des Münsterchores eine eigene Kapelle mit Grablegen für Universitätsangehöri- ge.38 1513 konnte der Chor eingeweiht werden. Die Verantwortung oblag keineswegs speziell der Theologischen Fakultät, sondern der Universität als solcher.39 Da bis 1620 103 Rektorate von insgesamt 286 von Theologen einge- nommen wurden, mag eine faktische Nähe zwischen der Fakultät und dem Münster vorhanden gewesen sein, juridisch jedoch keineswegs. Johannes Joseph Bauer erklärte dieses »theologische« Übergewicht mit der für einen Rektor üblichen Zölibatsforderung, die erst von Papst Pius V. in einer Bulle vom 27. Oktober 1570 abgeschafft wurde. 4° Ganz befriedigt diese Antwort nicht, zumal der engagierte Theologe Jodocus Lorichius im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts noch neunmal das Rektorenamt jeweils üblich für ein Semester lang — bekleidete und damit die Statistik zugunsten der Theologi- schen Fakultät verschob, ohne daß die Zölibatsforderung noch berücksichtigt werden mußte.

Als Ausdruck gemeinsamer Glaubensüberzeugung und Religionspraxis dien- ten seit 1460 die verschiedenen Prozessionen durch die Stadt, z. B. an Weih- nachten, an Mariä Reinigung, an Ostern, zur Kirchweihe des Münsters, an Pfingsten, an Fronleichnam, an Mariä Himmelfahrt, an Allerheiligen sowie am Namenstag der heiligen Katharina, der Patronin der Artistenfakultät. Gleichzeitig manifestierte sich in ihnen eine sensible Binnendifferenzierung nicht nur im Gegenüber einer städtischen Repräsentanz, sondern auch inner- halb der universitären Einrichtungen selbst. »Soziale Ordnung wurde auch hier nicht bloß abgebildet, sondern konstituierte sich stets auf Neue.« 4' Wie wichtig z. B. die Zugehörigkeit der Priester erachtet wurde, zeigte der Protest der Universität gegen die Anordnung der Stadt (25.5. 1509), wonach die Kle-

" J. Rest, Die Universitätskapelle im Freiburger Münster, 116-118, hier 117: Senatsprotokoll vom 23. 4. 1504. " Erst 1813 wurden die Patronatsrechte der Universität aufgelöst. " Obwohl der erste Rektor Hummel seit 1459 verheiratet war und 12 Kinder hatte; vgl. J J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 32-33, Anm. 135. ai M. Fussel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis: Rang, Ritual und Konflikt an der Univer- sitat der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006, 297; vgl. auch 298, Anm. 1267.

97 Karl-Heinz Braun riker sich der Priestergruppe anzuschließen hatten und nicht innerhalb der verschiedenen Fakultäten mitgehen sollten. Der Senat wußte dieses zu ver- hindern, indem 'er für jene Geistlichen, die nicht in der Prozessionsordnung des Universitätscorpus mitschritten, eine Geldstrafe androhte.

Der universitäre Alltag innerhalb der Fakultät gestaltete sich nach einem we- sentlich einfacheren Ritual. Dabei überwog in den ersten Jahrzehnten die Schwierigkeit, überhaupt geeignete Universitätsprofessoren zu finden. Der zweite Theologieprofessor, Johannes Mösch aus Altheim, hatte sein 1450 in Wien begonnenes Studium 1469 mit dem Dr. theol. beendet und war seit 29. Juli des gleichen Jahres in Freiburg immatrikuliert worden:2 Schon ein halbes Jahr später, im Wintersemester 1469/70, übertrug man ihm das Amt eines Universitätsrektors, zwei Jahre später 1471/72 ebenso. Das theologische Dekanat verwaltete er 1473. Zwei Jahre später wechselte er als Domprediger nach , 1478 wurde er Pfarrer in Geislingen. Hinzu kamen 1469 der ebenfalls in Wien ausgebildete Magister Hiero- nymus Kälbeckere und der Straßburger Dominikaner Johannes Ortwin. 44 Sie hielten 1470 die biblischen Vorlesungen, während die Sentenzen von den Bac- calaurei formati Nikolaus Matz aus Michelstadte und Petrus Swarz (Nigri) vorgetragen wurden. 46 S(ch)warz aus Kaaden (Böhmen) gehörte dem Würz- burger Dominikanerkonvent an. Nach knapp zwei Jahren verließ er Freiburg, um sich am 27. März 1473 in Ingolstadt zu inskribieren. Später wird er in Salamanca und Montpellier weiterstudieren und sich in Ingolstadt und Buda-

42 Die Matrikel der Universität, 42, Nr. 11: gestorben 1499; J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 66. 43 Die Matrikel der Universität, 43, Nr. 16: in Freiburg inskribiert am 3.8.1469, Baccalaureus biblicus am 18.6.1470; J. I. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 66. " Die Matrikel der Universität, 48, Nr. 21: immatrikuliert 30.3.1471, Baccalaureus biblicus 1470, lic. theol. 1475, Dr. theol. 8.8.1475; W. Müller, Fünfhundert Jahre theologische Promotion an der Universität Freiburg im Breisgau (= Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitäts- geschichte 19), Freiburg i. Br. 1957, 55, Nr. 2; J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 66; F. Rapp, Ortwin, Johannes (OP), in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648: Ein biographisches Lexikon. Hg. E. Gatz unter Mitwirkung von Clemens Brodkorb. Berlin 1996, 512: geboren in Vendenheim bei Straßburg (Geburtsdatum unbekannt), 1449 Eintritt in das Straßburger Dominikanerkloster, 1469 dessen Lektor, 1476 Titularbischof von Modon, 1476-1512 Weihbischof in Straßburg, gestorben 1514.

4 ' Die Matrikel der Universität, 43, Nr. 13: immatrikuliert am 29. 7.1469 als »presbyter Magun- tinensis, bacc. in theologia formatusu; seit 1457 in Wien, 1459 Magister; J. J. Bauer, Zur Früh- geschichte der Theologischen Fakultät, 65, Anm. 345. „ Die Matrikel der Universität, 50; Nr. 7: immatrikuliert am 27.11.1471, »Frater Petrus Swarz de ordine predicatorum conventus Herbiplens. eiusd. dioec., bacc. formatus in theologia«; J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 66; U. Ragacs, Petrus Nigri, in: LThR. 3 8 (1999) 132: geboren um 1434 in Kaaden (Böhmen), 1474 einwöchige Missionspredigten vor Juden in Regensburg (1475 als Tractatus contra perfidos Judaeos in Esslingen erschienen), gestorben 1483 in Budapest.

98 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620 pest zu einem kenntnisreichen Hebraisten entwickeln." Mit seinem 1475/77 edierten Werk »Stern des Messias« schuf er die erste gedruckte hebräische Grammatik. Sie diente ihm jedoch nicht wie später dem gebildeten Huma- nisten Johannes Reuchlin, 48 der von 1470 bis 1473 in Freiburg studierte, 49 zum besseren Verständnis der Juden und der jüdischen Kultur; seine Arbeit reiht sich vielmehr in die lange Phalanx christlicher Adversus-Judaeos-Texte ein.

Charakteristisch für die ersten Jahre der Theologischen Fakultät war ein aku- ter Mangel an Dozenten. Er mußte bisweilen dadurch ausgeglichen werden, daß einzelne Professoren zusätzliche Lehrverpflichtungen wahrnehmen und damit täglich lesen mußten. 5° Zu diesen erheblichen Mehrbelastungen dürf- ten auch weniger attraktive Besoldungen hinzugekommen zu sein, so daß sich in den ersten Jahrzehnten ein rascher Wechsel der Lehrenden beobachten läßt. Ein Beispiel dafür ist Johannes Geiler von Kaysersberg. Er gehörte zu denen, die sich noch im ersten Studienjahr 1460 hatten immatrikulieren las- sen. 2 1445 in Schaffhausen geboren," ein Jahr darauf im elsässischen Am- merschweiher und später nach seiner Firmung in Kaysersberg aufgewach- sen, 53 hatte er 15jährig sein Studium in Freiburg begonnen und zügig durchgeführt, 54 so daß er am 3. Februar 1464 zum Magister promoviert wur-

" Petrus Nigri, Contra perfidos Judaeos de conditionibus veri Messiae. Mit Widmungsvorrede des Autors an Heinrich von Absberg, Bischof von Regensburg. Ess'ingen (bei Konrad Fyner) 1475; H. Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (13.-20. Jh.) (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 23, Theologie 497), Frankfurt a. M. 1994. K. 'Kienzier, Reuchlin, Johannes, in: BBKL 8 (1994) 77-80; S. Rhein, Reuchlin, Johannes, in: LThK3 8 (1999) 1134-1135: geboren 1455 in Pforzheim, Studium in Freiburg, Basel, Orkans und Poitiers, besonderes Interesse an der griechischen und hebräischen Sprache, 1482 im Dienst Graf Eberhards V. von Württemberg, 1485 Doctor legum in Tübingen, 1492 Verleihung der Adels- und Hofpfalzgrafenwürde in Linz (Donau), 1496 in Heidelberg, Anschluß an den dortigen Huma- nistenzirkel, 1500 Rückkehr nach Stuttgart, 1502-1513 Richter der Schwabischen Liga, 1520- 1521 Professor in Ingolstadt, 1521-1522 in Tübingen, setzte sich u.a. für den Erhalt jüdischer Schriften ein, gestorben 1522 in Stuttgart. " Die Matrikel der Universität, 46, Nr. 6: Immatrikulation 19. Mai 1470. 5° J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 66. " Die Matrikel der Universität, 7, Nr. 73: Immatrikulation 28. Juni 1460. 32 B. Rhenanus, loannis Geileri Caesaremontani primi contionatoris in aede sacrae maioris eccle- siae Argentoratensis vita: J. Wimpfeling / B. Rhenanus, Das Leben des Johannes Geiler von Kay- sersberg. Unter Mitarbeit von Dieter Mertens eingeleitet, kommentiert und hg von Otto Herding (= Jacobi Wimpfelingi opera selecta II, 1). München 1970, 89: »Ortus est Ioannes Geilerus in urbe Schafhusia antequam ab inclito Austriae ducatu descivisset anno gratiae M.cccc.xlv. decima sexta Martii die, patre Ioanne Geiler°, matre autem Anna Zubera.« " U. Israel, Johannes Geiler von Kaysersberg (1445-1510): Der Straßburger Münsterprediger als Rechtsreformer (= Berliner Historische Studien 27). Berlin 1997,50. « U. Israel, Johannes Geiler von Kaysersberg, 52: Johannes Geiler hatte zusammen mit Johannes Hunninger aus Pforzheim schwören müssen, daß sie zukünftig weder Hals- und Ärmelkragen

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de. 55 Geiler hatte sein Dekanat in der Artistenfakultät noch nicht beendet, da wechselte er 1471 als Professor an die Basler Universität und setzte gleich- zeitig dort sein. in Freiburg begonnenes Theologiestudium fort. 56 1475 wurde er zum Dr. theol. promoviert und als Professor angestellt. Während einer Predigt in Freiburg war Geiler angenehm aufgefallen, so daß der Rat der Stadt sich an den Senat der Universität wandte und ihn als Theologieprofessor er- bat. Seit Mai 1476 wirkte der 31jährige als theologischer Lehrer in Freiburg. Im Jahr darauf wählte man ihn zum Rektor der Universität. 57 Nach seinem Rektorat im Wintersemester 1476/77 wollte er während des Sommerseme- sters (30. Mai) die Würzburger Predigerkanzel der Freiburger Lehrkanzel vor- ziehen. Doch es kam anders. Seit 20. Januar 1478 predigte er im Straßburger Münster — und dies bis zu seinem Tod am 10. März 1510. Wimpfeling rühmte ihn als »Argentinensis ecclesiae tuba« 58 und wies damit nicht nur auf Geilers eindringliche Reformpredigten hin, sondern auch auf dessen Wirkung weit über die freie Reichsstadt hinaus. Trotz seines frühzeitigen Abgangs von der Freiburger Professur hatte sich Geiler stets als Magister verstanden, als uni- versitär ausgebildeter Lehrmeister, aus dessen reichem Wissensschatz eine Fülle markanter Predigten hervorgehen konnte: 59 als idealpraktische Aktuali- sierung und Umsetzung theologischer Differenzierungen.

Zu den markanten Professoren der Theologischen Fakultät gehörte Johannes Calceatoris (Sutor) Brisgoicus aus Broggingen (bei Herbolzheim). Seine Frei- burger Universitätsstudien (Immatrikulation 1499) 60 hatte er in Paris fort- gesetzt. Um 1500 präsidierte er dort bei den deutschen Studierenden. Durch den Freiburger Magister artium Johannes Caesar konnte er im Februar 1502 für die Theologische Fakultät in Freiburg angeworben werden. 61 Mit Brisgoi-

noch Schnabelschuhe tragen werden; denn mit dieser Mode hatten sie sich Privilegien des Adels angemaßt. " Seit diesem Wintersemester 1463/64 war auch Jakob Wimpfeling in Freiburg inskribiert (Die Matrikel der Universität, 29, Nr. 1) und besuchte Geilers Vorlesungen (U. Israel, Johannes Geiler von Kaysersberg, 53), woraus sich später eine lebenslange Freundschaft zwischen beiden entwik- kelte. 56 H. Mayer, Johannes Geiler von Kaysersberg, hauptsächlich in seinen Beziehungen zu Freiburg im Breisgau, in: Schau-ins-Land 23 (1896), 1-17. " U. Israel, Johannes Geiler von Kaysersberg, 61-62. " J. Wimpfeling / B. Rhenanus, Das Leben des Johannes von Kaysersberg, 57: »Argentinensis ecclesiae tuba, praesidium et pater pauperum, pustulatorum praecipua salus, constantissimus ec- clesiasticae libertatis propugnator, ultimarum voluntatum fere usque ad sanguinem defensor, Io- annis Gerson illustrator, nulli blandus adulator, non peccata nimium attenuans nec plus aequo exaggerans, in dicenda veritate nullius timens potentiam.« " Vgl. U. Israel, Johannes Geiler von Kaysersberg, 372-376 (Predigtverzeichnis); R. Voltmer, Wie der Wächter auf dem Turm: Ein Prediger und seine Stadt: Johannes Geiler von Kaysersberg (1445- 1510) und Straßburg (= Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte 4). Trier 2005. 60 Vgl. Die Matrikel der Universität, 136, Nr. 29. 61 1. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 72; V. Sack, Die Inkunabeln der Universitätsbibliothek und anderer öffentlicher Sammlungen in Freiburg im Breisgau und Umge-

100 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620 cus wird ein Vertreter des Pariser Nominalismus berufen, 62 der seine Vor- lesungen im Mai 1502 mit den Sentenzen nach Wilhelm von Ockham begann. Nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie 1503 63 wurde er 1504 zwei- ter Ordinarius neben Georg Northofer, 64 und nach dessen Ermordung im Frühjahr 1509 rückte er im darauffolgenden Jahr zum Prirnarius der Theo- logie vor. 65 Wegen seiner Französischkenntnisse war Johannes Brisgoicus für Johannes Geiler von Kaysersberg und für Jakob Wimpfeling zu einem not- wendigen Mitarbeiter bei der Herausgabe der volkssprachlichen Werke Jean Gersons geworden. 66 Wimpfeling selbst empfahl den Theologieprofessor Bris- goicus seinen Schülern Johannes Harst und Cosmas Wolf 67 nicht nur wegen dessen Lehre (doctrina), sondern mehr noch wegen dessen Lebensweise. Ein theologus integerrimus sei Brisgoicus, ein kraftvoll lauterer und reiner Mensch, womit Wimpfeling auf sein Programm der integritas, einer beson- ders für zukünftige Geistliche wichtigen ganzheitlichen Lebens- und Charak- tereigenschaft, hinwies. Für den gebildeten Theologen gipfelt sie in der inte- gritas christiana, die durch ein qualifiziertes Studium (integritas studii) erworben werden soll. 68 Als sich Erasmus 1529-1535 in Freiburg aufhielt, gehörte Brisgoicus zu seinem engeren Freundeskreis. Der Freiburger Profes- sor stellte dem großen Humanisten nicht nur seinen Garten zur Verfügung, sondern wirkte auch als dessen Beichtvater. 69 Brisgoicus stand mehrere Male der Universität als Rektor vor und hinterließ nach seinem Tod 1539 eine be-

bung 3 (= Kataloge der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau 2, Teil 3). Wiesbaden 1985, 1556; zu Johannes Cesar (Keiser) ebd., 1559 bzw. Die Matrikel der Universität, 86, Nr. 15. " P. G. Bietenholz, Johannes Brisgoicus, in: Contemporaries of Erasmus: A biographical register of the renaissance and . Bd. 1, A—E (= Desiderius Erasmus, Collected works suppl 1). Hgg. ders. / T. B. Deutscher. Toronto 1985, 202-203. 63 W. Müller, Fünfhundert Jahre theologische Promotion, 58, Nr. 49 (A F th. I, fol. 80"). " Die Matrikel der Universität, 86, Nr. 4: geboren 1454, Immatrikulation 1475 in Basel, in Tübin- gen 1477/78, Magister 1481, Immatrikulation in Freiburg 13.5.1487; J. J. Bauer, Zur Früh- geschichte der Theologischen Fakultät, 69-74: Northofer war Pnmarius der Theologischen Fakul- tät, als er am 16. April 1509 von Johann Gaudens von Blumeneck auf offener Straße ermordet wurde. J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultat, 74. 66 H. Kraume, Die Gerson-Übersetzungen Geilers von Kaysersberg: Studien zur deutschsprachi- gen Gerson-Rezeption (= Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 71). Zürich 1980, 81, vgl. auch 142; J. Wimpfeling, Briefwechsel, eingeleitet, kom- mentiert und hg von Otto Herding und Dieter Mertens (= Jacobi Wimpfelingi opera selecta III, 1). München 1990, 364-366, Nr. 117: Vorrede zur Quarta pars operum Johannis Gerson prius non impressa (Straßburg 1502) fol. P a, hier 365: »Deinde ex Gallica hngua in Latinum ab Alemanno (= Brisgoicus) traducti sunt.« 67 J. Wimpfeling, Briefwechsel, 471, Nr. 168: zu datieren Freiburg, zwischen 18.10. und 4.12.1504; Abdruck des Briefes: Jakob Wimpfelings Adolescentia, eingeleitet, kommentiert und hg von Otto Herding unter Mitarbeit von Franz Josef Worstbrock (= Jacobi Wimpfelingi opera selecta I). München 1965, 358-360, Nr. 103 c (in den Anmerkungen biographische Daten zu den beiden). 68 Vgl. 0. Herding, Einleitung: Jakob Wimpfelings Adolescentia, 133-135. 69 P. G. Bietenholz, Johannes Brisgoicus, in: Contemporaries of Erasmus, 203.

101 Karl-Heinz Braun sonders aus Pariser Drucken bestehende Bibliothek von 194 Werken. Deren Verzeichnis gibt trotz des Fehlens eigener Schriften interessante Aufschlüsse über die theologiSche Ausrichtung von Brisgoicus. Beachtliche Restbestände davon bewahrt die Freiburger Universitätsbibliothek.m

Von 1509 bis 1510 las der spätere und wohl bekannteste Luthergegner Johan- nes Eck71 an der Theologischen Fakultät, ein Frühbegabter wie Philipp Melan- chthon. Beide waren schon als Zwölfjährige in den Heidelberger Universitäts- matrikeln eingetragen. Eck, eigentlich Johannes Maier aus Egg (Eck) an der Günz, am 13. November 1486 geboren, war schon als Achtjähriger von sei- nem Onkel Pfarrer Martin Maier an die Lektüre von paganen wie christlichen Autoren der Antike herangeführt worden. Auch die tägliche Bibellesung hatte dazugehört. 72 Nach dem Besuch von zwei Semestern an der Universität Hei- delbere wechselte er ein Jahr später an die Universität Tübingen, wo er im Januar 1501 den Magister artium erlangte. Sein Theologiestudium hatte er in Köln begonnen, wechselte jedoch nach nur sieben Monaten nach Freiburg und ließ sich am 2. Juli 1502 an der Universität immatrikulieren. 74 Hier in Frei- burg erwarb sich Eck jenes Rüstzeug, das er später als scharfer Disputator gegen reformatorische Denkweisen einsetzen wird. In einem Brief an den Abt zu Ottobeuren Matthias Eckermann (1506) schwärmte der jugendliche Eck von Freiburgs blühender Universität, so daß er im Lehren eine Versiert- heit erlange und gleichzeitig lernend seinen Horizont erweitere, auch jenseits eingefahrener Schulwege!'

70 Vgl. U. Obhof, Der Freiburger Theologe Johannes Brisgoicus: Zeitschrift des Breisgau-Ge- schichtsvereins Schau-ins-Land 116 (1997) 193-197; V. Sack, Die Inkunabeln der Universitäts- bibliothek Freiburg im Breisgau 3, 1556 (Register); zu seinen Stiftungen: StiftungsUrkunden aka- demischer Stipendien und anderer milden Gaben an der HochSchule zu Freyburg im Breisgau von 1497 bis 1842, chronologisch geordnet, mit Summarien, Registern und Anmerkungen versehen, sammt den neuem Verfügungen über das StipendienWesen, auf Anordnung des akademischen Senats herausgegeben. Hg. F. X. Werk. Freiburg i. Br. 1842, 100-114. " H. Smolinsky, Eck, Johannes (eigentlich Johannes Maier, Mayer), in: LThK 3 3 (1995) 441-443: geboren am 13.11.1486 in Egg (Eck) an der Günz, 1498 Studium in Heidelberg, Tübingen, Köln und Freiburg, 1508 Priesterweihe in Straßburg, 1510 Theologieprofessor und Vizekanzler an der Universität Ingolstadt, Kanonikus in Eichstätt, gestorben 10.2.1543 in Ingolstadt. " R. Bäumer, Johannes Eck und Freiburg. Zum 500. Geburtstag des einflußreichen Theologen der Freiburger Universitat, in: FDA 106 (1986) 21-41, hier 27. " G. Toepke, Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1553. Teil 1. Heidelberg 1884, 429: 19.5.1498; 472: 14.10.1509: Melanchthons Inskription als »Philippus Swartzerd de Brethenn Spir. dyoc.« " Die Matrikel der Universität, 146, Nr. 11: »Johannes Mayer artium mgr. Tuwingens. Secunda Julii«, " Johannes Eck an Matthias Ackermann, Abt zu Ottobeuren, Freiburg, 3.6.1506: Johannes Eck, Briefwechsel, hg und übersetzt von Vinzenz Pfnür, Nr. 2: http://ivv7srv15.uni-muenstercle/ mnkg/pfnuer/Eckbriefe/N002.htm: »[...] ad florentissimum Friburgense gymnasium adipiscende scientie gratis me contuli, in quo dum vitam agerem velut in Scoa auf Lytio id semper studii animo insedit meo, ut et docendo agilitatem et discendo doctrinam consequerer omnifariam.«

102 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620

Zum Lizentiaten wurde er im Juli 1509 und zum Doktor am 22. Oktober 1510 promoviert. 76 Dazwischen lag seine Priesterweihe am 13. Dezember 1508 in Straßburg, auch hier mit 22 Jahren noch viel zu jung, doch mit Dis- pens des Apostolischen Stuhles wurde sie ihm gestattet. Eck scheint in Freiburg eine beachtliche Bildung erfahren zu haben und war sich dessen auch bewußt. Rückblickend, in seiner »Schutzred Kindtlicher Unschuld« 1540, begründete er seine theologische Kompetenz mit dem Hin- weis auf seine Freiburger Universitätslehrer: Georg Northofer, Johannes Bris- goicus und den Dominikaner Johannes Wincke1. 77 Und diese stellte er den Tübingern Konrad Summenhart/ 8 Wendelin Steinbach," Jakob Lemp 8° und Paulus Scriptoris 81 zur Seite. 82 Dennoch läßt sich Ecks theologischer Werde- gang mit seinen universitären Abschlüssen nur peripher erfassen. Wegen einer Attacke gegen die der via antiqua verbundenen Studenten der Adlerbur- se hatte Eck sogar vom Senat der Universität Hausarrest verordnet bekom-

76 W. Müller, Fünfhundert Jahre theologische Promotion, 58, Nr. 52. " Die Matrikel der Universität, 122, Nr. 17: »Frater Johannes Winckel de Hallis ordinis predica- torum Magdeburgens. dioces. XI. Julii«, verwaltete 1502, 1503, 1505, 1507, 1509, 1511, 1511/12 das Dekanat der Theologischen Fakultät; W. Müller, Fünfhundert Jahre theologische Promotion, 57, Nr. 32: 1495 Lizentiat, 1495 Doktor der Theologie, gestorben 1512; J J. Bauer, Zur Früh- geschichte der Theologischen Fakultät, 71, Anm. 386, 183; P. Johannes Winckel las von 1501 ver- mutlich bis zu seinem Tod 1512. H. Feld, Summenhart, Konrad, in: LThK 3 9 (2000) 1117: 1458 in Calw geboren, seit 1472 Stu- dium in Heidelberg und Paris, seit 1478 an der Artistenfakultät und seit 1484 an der Theologischen Fakultät in Tübingen, gestorben 1502 in der Benediktinerabtei Schuttern, Vertreter der via anti- qua und Konziliarist. " H. Feld, Steinbach, Wendelin, in: LThK 3 9 (2000) 947: 1454 in Butzbach geboren, dort Eintritt in den Konvent der Brüder vom Gemeinsamen Leben, 1477 in deren Stift zu Urach, 1481 Studium und 1486 Lehrtätigkeit an der Universität Tübingen (via moderna), 1510-1517 Vorlesungen über das gesamte Corpus Pauhnum, gestorben 1519 in Tübingen. " Hg. H. Hermelink, Die Matrikeln der Universität Tübingen. Bd. 1. Stuttgart 1906, 40, Nr. 4, H. Hermelink, Die theologische Fakultät in Tübingen vor der Reformation 1477-1534. Tübingen 1906, 83: »Ein Schüler des Konrad Summenhart ist Jakob Lemp aus Steinheim an der Murr, der erste Typus des eingesessenen schwäbischen Gelehrten, der nie über die heimatliche Hochschule hinauskam«; 166: über Lemps Verbindung von Theologie und Kanonistik; 199 (Biogramm): Im- matrikulation in Tübingen Mai 1482, Magister artium 1486, Dr. theol. Juli 1500, kurz vorher Dr. decretorum in der Juristenfakultät, elfmal Rektor; vgl. auch Johannes Reuchlin, Briefwechsel 2: 1506-1513. Hg. M. Dall'Asta / G. Dörner. Stuttgart 2003, 318-332, Brief Nr. 206: Reuchlin an Jakob Lemp, Stuttgart, 1.8.1512. " R. Decot, Scriptoris, Paulus, in: LThK 3 9 (2000) 357-358: geboren um 1462 in Weil der Stadt, seit etwa 1585 Franziskaner, Studium in Mainz, Lektor und Guardian, 1492-1501 in Tübingen, Vertreter der via antiqua, »wobei er in wichtigen Lehren (Trinität, Moral, Buße) durchaus origi- nelle und >moderne< Ansichten hatte. Als gefeierter Prediger geißelte er Misstände der religiösen Lebens und der Kirche«, daher Versetzung nach Basel, später in Wien, Rom und Heilbronn. Auf dem Weg zu einer Professur nach Toulouse starb er 1505 in Kaysersberg. 82 Diese Präsentation gibt Eck in der Auseinandersetzung mit Osiander in »Schutzred Kindtlicher Unschuld (1540) fol. L IV": »Wer seind deine preceptores gewesen in der Theologey: du kanst kam anzaygen: Ich kann dir die meinen nennen [...1 die hab ich all gehört inn Theologia lesen und disputiren«, in: R. Bäumer, Johannes Eck und Freiburg, 38.

103 Karl-Heinz Braun men." Eine ausschließliche Fixierung auf die in seinem Studentenhaus, der Pfauenburse, gelehrte nominalistische Schule ist bei ihm später nicht nach- weisbar. Seine Wertschätzung der oben genannten Theologen bestätigt dieses Bild.

Nicht unerwähnt bleiben soll Ecks Begegnung mit dem Humanismus in Frei- burg, jedoch weniger innerhalb des theologischen Lehrbetriebes. Humanisten lehrten nicht nur, sondern trugen ihre Lehre als Erkenntnisse in ihre Lebens- weise hinein, und sie ließen andere, auch Scholaren, daran teilhaben. Begeg- nungen mit dem Juristen Ulrich Zasius," bei dem er jahrelang Vorlesungen besuchte und den er in seinem »Chrysopassus« als Meister und Lehrer be- zeichnete," oder dem ebenfalls mit der Universität verbundenen Kartäuser Gregor Reisch" belegen dies. Reisch, der mit seiner »Margarita philosophica«, 1503 in Freiburg gedruckt, nachhaltigen Eindruck auf Humanisten ausübte," vermittelte auch Eck ein beachtenswertes Spektrum spätmittelalterlicher Er- kenntnisse." Darüber hinaus pflegte Eck freundschaftliche Kontakte zu re- formorientierten oberrheinischen Humanisten wie Jakob Wimpfeling, Beatus

" E. Iserloh, Johannes Eck (1486-1543): Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe (= Katho- lisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 41). Münster 1981, 10 (Se- natsprotokoll vom 28.10.1507). " A. Hollerbach, Zasius, Ulrich, in: LThK3 10 (2001) 1386: in 1461 geboren, Freiburger Stadtschreiber und Professor der Juristischen Fakultät der Universität, gestorben 1535 in Freiburg; Die Matrikel der Universität, 138, Nr. 5: Immatrikulation 1481 in Tübingen, in Freiburg am 11.11.1499, 1501 Dr. legum, 1506 ord. Professor, sieben Mal Dekan der juristischen Fakultät. " J. Eck, Chrysopassus III, XII fol. G »Ulricus Zasius noster in legali sapientia preceptor«, vgl. auch V, LXXXIII, ders., Replica, fol. 55'; R. Bäumer, Johannes Eck und Freiburg, 38. " D. Mertens, Humanisten in Freiburg: Das Ende des Zeitalters Maximilians: Die Wirkung Lu- thers. Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau. Bd. 2: Vom Bauernkrieg bis zum Ende der habs- burgischen Herrschaft. Hgg. FL Haumann / H. Schadek. Stuttgart 1994, 14: »Wenngleich Reisch als Kartäuser höchstens privat in der Kartause, nicht aber an der Universität lehrte, so war er als Prior dennoch der Universität mittelbar verbunden dank dem Willen zweier Stifter: Konrad Ar- nolt von Schorndorf übertrug dem jeweiligen Kartäuserprior die Auswahl der Stipendiaten — sechs Magister, die Theologie studieren wollten — für die dann so benannte »Domus Carthusiana«, und Johannes Kerer, der Stifter des »Collegium Sapientiae«, bestimmten den Kartäuserprior zu einem der drei Exekutoren seiner großen Stiftung«; H. Vorgrimler, Reisch, Gregor, OCart (seit 1496), in: LThK2 8 (1963) 1152: geboren 1470 in Balingen, 1489 Mag. artium in Freiburg, 1503 bis kurz vor seinem Tod Prior der Freiburger Kartause, gestorben 1525 in Freiburg. e Vgl. Jakob Wimpfeling an Jakob Spiegel (Schlettstadt, nach dem 18.2.1519): Jakob Wimpfeling, Briefwechsel, 833-836, Brief Nr. 339: »Quis in omni philosophia et in divinis literis acutior Gre- gorio Rieschio Carthuasiano quo nedum alioqui consultore usus est [...1« (hier 835). " L. Andreini, Introduzione, in: Gregorius Reisch: Margarita philosophica nova (= Analecta Car- tusiana 179). Salzburg 2002, XII bzw. XCIII über dessen Margarita philosophica: »Reisch consegnö ai posteri un manuale scolastico ancorato alla tradizione encidopedica medievale, che ebbe una straordinaria fortuna editoriale dal momento che i tempi per le »rivoluzioni scientifiche« non erano ancora completamente maturi.«

104 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620

Rhenanus/ 89 Sebastian Brant, 9° Jakob Sturm 91 oder zu gelehrten Geistlichen wie Johannes Geiler von Kaysersberg. 92 Mit diesem verband sich bei Eck ein leidenschaftliches Engagement für das Predigen, das ihm als eine Fortführung seiner theologischen Kompetenz für die religiöse Praxis erschien. Zeitlebens wollte er »ain schulmayster« bleiben«, 93 mit literarischem Wissen gestärkt, stets darauf bedacht, innerhalb des universitären Lehrbetriebs wirken zu kön- nen: »vivere in gymnasio literario et mori«. 94

Wie Eck mit exegetischen Vorlesungen umgegangen ist, hat Heribert Smolin- sky gezeigt. 95 In seinen früheren Schriften (z. B. im Aggäuskommentar) ging es Eck um eine in formaler Hinsicht humanistisch beeinflußte philologische Texterschließung, die jedoch keine Auswirkungen auf theologische Inhalte hatte. 96 In den späteren Werken wie z. B. in seiner Exegese des Buches Exodus konzentrierte er sich auf die Vorgaben traditioneller Theologie, darin in deut- licher Distanz zum Humanismus." Ecks lebens- und kirchengeschichtliche Entwicklung wurde durch »drei Bezugspunkte« bestimmt: durch seine »Ein- bindung [...] a) in die bayerische Kirchenpolitik; b) die päpstliche Politik und ihre Vertreter, mit denen er engen brieflichen Kontakt pflegte; c) seine Positi- on als Theologieprofessor in Ingolstadt«. 98 Diese Faktoren lassen ihn wir-

P. Walter, Beatus Rhenanus (Beat Bild), in: LThIQ 2 (1994) 110: geboren 1485 in Schlettstadt, 1503-1507 Studium in Paris, 1507 Herausgeber in Schlettstadt und Straßburg, 1511 in Basel, Mitarbeiter des Erasmus von Rotterdam, 1528 nach der Reformation in Basel Rückkehr nach Schlettstadt, gestorben 1547 in Straßburg. 9° S. S. Tschopp, Brant, Sebastian, in: LThK 3 2 (1994) 634: geboren 1457 in Straßburg, 1475 Stu- dium der Jurisprudenz in Basel, 1489 Dr. iur., 1496 Professor, 1500 Ruckkehr nach Straßburg, 1503 Stadtschreiber, 1521 gestorben. F. Brendle, Sturm, Jakob, in: LTh1Q 9 (2000) 1061: geboren 1489 in Straßburg, Theologiestudi- um in Freiburg, 1517-1523 Sekretär des Straßburger Dompropstes, Stettmeister, gestorben 1533. 92 Vgl. R. Bäumer, Johannes Eck und Freiburg, 38-39. 93 J. Eck, Schutz red Kindtlicher unschuld, in: Johannes Eck im Streit der Jahrhunderte. Hg. E. Iser- loh. Münster 1988, 12. " J. Eck, Replica (1543), fol. 55", in: Johannes Eck. Hg. E. Iserloh, 12. " H. Smolinsky, Reform der Theologie? Beobachtungen zu Johannes Ecks exegetischen Vorlesun- gen an der Universität Ingolstadt, in: Papsttum und Kirchenreform: Festschrift Georg Schwaiger. Hgg. M. Weitlauff / K. Hausberger. St. Ottilien 1990, 333-349; hier zitiert nach H. Smolinsky, Im Zeichen von Kirchenreform und Reformation: Gesammelte Studien zur Kirchengeschichte in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Hgg. K.-H. Braun / 13. Henze / B. Schneider. Münster 2005, 363-380. 96 H. Smolinsky, Reform der Theologie, 378. 97 Ebd., 379: »Gegenüber seinem [Ingolstädter] Vorgänger Georg Zingel, dessen Exegese der Spra- che wenig, dem Urtext so gut wie gar keine und der begrifflichen Zergliederung viel Aufmerk- samkeit widmete, war Eck trotzdem ein großer Fortschritt. Im Verhältnis zu seinem Gegner Mar- tin Luther fehlte ihm aber der theologische Ansatz, der den Text aus sich heraus zum Sprechen brachte.« " H. Smolinsky, Die Reform der Kirche in der Sicht des Johannes Eck, in: Johannes Eck. Hg. E. Iserloh, 155-173; hier zitiert nach H. Smolinsky, Im Zeichen von Kirchenreform und Reforma- tion, 105-123, 122.

105 Karl-Heinz Braun kungsgeschichtlich zu dem bekanntesten Kontroverstheologen" auf altgläu- biger Seite aufsteigen. In Freiburg selbst hatte man die Berufung Ecks nach Ingolstadt bedau- ert. Als er die Universitätsstadt am 31. Oktober 1510 verließ, begleiteten ihn noch Universitätsangehörige, Freunde und Geistliche bis nach Waldkirch. 10° Wolfgang Capito,lm damals noch Magister artium, widmete ihm zum Ab- schied ein Gedicht, ebenso Urbanus Rhegius, 102 der ihm zusammen mit Bal- thasar Hubmeierl 03 nach Ingolstadt folgen sollte. Alle drei Genannten werden sich später der reformatorischen Bewegung anschließen. Auch der in Freiburg lernende und lehrende Johannes Eck war noch nicht jener Theologe, der 1519 Luther in der Leipziger Disputation in die Enge treiben wird. 1°4 Noch 1517 stand Eck mit in einem guten, wenn auch nicht engen Verhält- nis. 1°5 Im oberdeutschen Zinsstreit wandte sich Eck im Frühjahr 1515 an seine früheren Universitäten, die er besucht hatte, Heidelberg, Tübingen, Köln, In- golstadt und Freiburg. Die Freiburger Theologische Fakultät sollte ebenfalls die Position Ecks stärken.'° 6 Doch wollte Eck nicht nur akademische Foren — so wandte er sich z. B. auch an die Universitäten Paris und Bologna — mit seinem Diskussionsbeitrag erreichen, sondern mehr noch die Öffentlichkeit hinter seine Argumentation bringen. 107 Die Theologen Freiburgs standen Ecks ge-

" Zum Begriff vgl. H. Smolinslcy, Kontroverstheologie, in: LThK3 6 (1997) 333-335. R. Bäumer, Johannes Eck und Freiburg, 40. 101 B. Moeller, Capito (Köpfel), Wolfgang, in: LThK' 2 (1994) 932: geboren ca. 1481 in Hagenau, Studium in Ingolstadt, Heidelberg und Freiburg (Dr. theol. 1515), 1512-1515 Prediger in Bruchsal, 1515-1520 im Baseler Münster, 1520 im Mainzer Dom, 1523 Propst des Thomasstiftes zu Straß- burg, engagierter Vertreter der Reformation, gestorben 1541 in Straßburg. 102 M. Liebmann, Rhegius, Urbanus (Urban Rieger), in: LThK 3 8 (1999) 1155: geboren 1489 in Langenargen am Bodensee, Studium in Freiburg und Ingolstadt, 1517 zum Poeta laureatus ge- krönt, 1519 Priesterweihe, 1520 Dr. theol. in Basel, 1520-1521 als Schüler Ecks Domprediger in Augsburg, 1524 Prediger in St. Anna zu Augsburg, 1525 Heirat, 1530 als Superintendent nach Braunschweig-Lüneburg berufen, gestorben 1541 in Celle. 1°1 C. Windhorst, H. (Hiebmair), Balthasar, in: LThK 3 5 (1996) 296-297: geboren um 1485 in Friedberg bei Augsburg, Theologiestudium in Freiburg 1503-1512, u.a. bei Johannes Eck, 1512 Dr. theol. Ingolstadt, Professor und Prorektor ebd., 1516 Domprediger in Regensburg, 1519 enga- gierter Vertreiber der Juden, 1521 Pfarrer in Waldshut (Hochrhein), Anschluß an die Täuferbewe- gung, 1525 Flucht mit seiner Frau nach Zürich, später in Nikolsburg (Mähren), 1528 in Wien als Ketzer verbrannt. 1°4 E. Iserloh, Johannes Eck (1486-1543), in: Katholische Theologen der Reformationszeit. Bd. 1. Hg. ders. Münster 1984, 71: »Dabei bleibt die Frage, ob er aus Verantwortung für die Einheit sich genügend um seine Gegner bemüht hat oder — etwa in Leipzig — sie nicht vielmehr durch seine Schärfe erst zu häretischen Konsequenzen getrieben und auf den Irrtum festgelegt hat.« 1°0 E. Iserloh, Johannes Eck (1486-1543): Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe. Münster 1981, 22. 106 Theologische Fakultät Freiburg an Eck, Freiburg, 26.5.1515: http://ivv7srv15.uni-muen- stende/mnkg/pfnuer/Eckbriefe/NO22.html. 107 J. P. Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit 1513-1515. Münster 1997, 128-129.

106 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 162 lehrter Weitschweifigkeit distanziert gegenüber, 108 beurteilten sie nur verhal ten nach grundsätzlichen Erwägungen und verwiesen letztlich auf das in Ron tagende Laterankonzi1 109 und auf Papst Leo X. 110 Noch stärker wurde Eck von Juristen Zasius kritisiert: »Du bist nämlich ein Mensch, dem, wo immer da Seelenheil oder eine rechtliche Wahrheit zur Debatte steht, das Füllhorn nu so überquillt, doch nicht mit solchem, das für eine ernsthafte Sache tauge' würde. Wenn es aber hart auf hart kommt, wird nicht darauf geachtet, wi gelehrt, sondern wie wahr Du schreibst.« in Auch mit seiner inhaltlichen Kri tik hatte Zasius seinen ehemaligen Schüler keineswegs verschont. Trotz eine versöhnlichen Briefschlusses des juristischen Lehrers, der darüber hinau empfohlen hatte, in dieser Rechtsangelegenheit des Sachverhaltes wegei nicht nur Theologen, sondern vor allem Juristen um Rat zu fragen: Das Ver hältnis zwischen beiden war empfindlich gestört. Zum einen, weil Zasius Gutachten eine für ihn ungewöhnliche Oberflächlichkeit zeigte, zum andern weil gerade darin Ecks juristische Kompetenz in Frage gestellt worden wann Eck konterte — darin einig mit dem Tübinger Theologen Konrad Summen hart —, daß ein reiner Theologe schon durch sein jeder anderen Wissenschaf überlegenes Fachgebiet, wozu ja das göttliche wie das natürliche Recht gehöre bloß juristischen Überlegungen mit ihrer Binnenproblematik weit überleger sei. Freilich, so gestand auch Eck, sei ein gelehrter Kanonist mit seiner theo. logischen Versiertheit in seiner Beurteilung hilfreicher als ein bloßer Theo. loge.

Während der Reformationsjahre positionierte sich die Freiburger Theologi- sche Fakultät eher zurückhaltend. Das liegt zum einen daran, daß wir für die Zeit bis 1521 keine Unterlagen über die theologische Lehrtätigkeit besitzen; 11 Publikationen der Freiburger Theologieprofessoren von damals liegen kein( vor. Zum andern lassen sich im humanistisch-reformorientierten Klima aix Oberrhein zunächst durchaus gewisse Sympathien für Martin Luthers Anlie- gen beobachten. 114 Das traf auch für die beiden theologischen Ordinarien zu Johannes Brisgoicus, der 36 Jahre von 1503 bis 1539 las, und Georg Wäge- ui' Vgl. Theologische Fakultät Freiburg an Eck, Freiburg, 26.5.1515: »Pauca quaedam dicta ac propositum nobis casum censimus.« 1" N. H. Minnich, 5. Lateranense V, in: LThK3 6 (1997) 670-671: einberufen am 18 7.1511, Ta gungszeit 3.5.1512 — 16.3.1517. 1 " J. P. Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, 168-169. 11 Ulrich Zasius, Joanni Egkio theologo, 28. 2. 1515, in: J. P. Wurm, Johannes Eck und der ober- deutsche Zinsstreit, 159. 112 Zum Kontext: J. P. Wurm, Johannes Eck und der oberdeutsche Zinsstreit, 157-168. 113 J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 78. 114 Ulrich Zasius an , 16.2.1520, in: W. Hagenmaier, Das Verhaltnis der Univer- sität Freiburg i.Br. zur Reformation: Untersuchungen über das Verhalten der Universität und dis Einstellung einzelner Professoren und Studenten gegenüber der reformatorischen Bewegung in den Jahren 1517-1530 (Diss. phil. Freiburg 1968), 12.

107 Karl-Heinz Braun lin,'" der zunächst als Extraordinarius von 1510 bis 1512 und als zweiter Ordinarius bis 1531 las. Der Jurist Ulrich Zasius schrieb noch am 16. Februar 1520 an Zwingli: »In unserer Gegend gibt es viele Lutheraner, darunter auch Theologen«. 116 Er selbst, der Luthers Ansichten über die Bedeutung des Glau- bens, der göttlichen Gnade sowie der Buße durchaus teilte, lehnte jedoch eine reformatorische Beseitigung der über Jahrhunderte gültigen Rechtsvorstel- lungen der Papstkirche ab."' Unter den Freiburger Theologen, die sich der Reformation Martin Luthers öffneten, sind zu nennen: der aus dem elsässischen Hagenau stam- mende Wolfgang Capito, der 1515 in Freiburg zum Dr. theol. promoviert wurde und als Propst des Straßburger St. Thomasstiftes nach 1523 endgül- tig zur Reformation übertrat, oder Matthäus Zelt"' ebenfalls ein Elsässer, der seit 5. Oktober 1509 die Bibelvorlesungen übernommen hatte — Ezechiel 1-12 und Apostelgeschichte 1-10 119 — und sein Theologiestudium im Sep- tember 1511 als Bakkalaureus der Sentenzen abgeschlossen hatte. Nach sei- nem Rektorat im Wintersemester 1517/18 wurde er Leutpriester in St. Lo- renz in Straßburg und wandte sich der Reformation zu. Als Prediger hatte er einen bedeutenden Anteil an der Verbreitung der Reformation. 12° Seine Frau Katharina, geb. Schütz, die er 1523 heiratete, begleitete als »Kirchen- mutter« sein protestantisches Engagement, 121 auch über seinen Tod 1548 hinaus. Jakob Sturm, ein Schützling und Schüler Jakob Wimpfelings, der seit 1504 in Freiburg studierte, stellte sein theologisches Wissen als Sekre- tär des Straßburger Dompropstes ebenfalls in den Dienst der Straßburger Reformation. Ein weiterer Reformator, besonders für Esslingen, wurde Jakob Otter, der ehemalige Sekretär des Straßburger Münsterpredigers Johannes Geiler von Kaysersberg, der sein Freiburger Theologiestudium (seit 1510) 1517 mit dem Lizentiat abschloß und 1518 Pfarrer in Wolfenweiler südlich von Frei- burg wurde. 1522 predigte er im evangelischen Sinn in Kenzingen, und die vorderösterreichische Regierung erwirkte daraufhin seine Entlassung. Seit

1 " Die Matrikel der Universität, 111, Nr. 64: Immatrikulation am 29.10.1493, Mag. artium 1496/ 97, Bacc. bibl. 14.5.1506, Dr. theol. 30.8.1513, Rektor der Universität in den Semestern 1512, 1518, 1519/29, 1522, 1524/25, 1526/27, 1527; J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät. 116 W. Hagenmaier, Das Verhältnis der Universität Freiburg i. Br. zur Reformation, 169, Anm. 41: »Multos nostra provinica Lutheranos fovet, theologos etiam [...]« 117 W. Hagenmaier, Das Verhältnis der Universität Freiburg i.Br. zur Reformation, 133 bzw. 218, Anm. 15. 118 Die Matrikel der Universität, 147, Nr. 30; W. Müller, Fünfhundert Jahre Theologische Pro- motion, 58, Nr. 62. I" J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 188. "° M. Lienhard, La percee du mouvement evangelique ä Strasbourg: Le rale de la figure de Mat- thieu Zell (1477-1548), in: Un temps, une ville, une Reforme: La Reformation ä Strasbourg. Hg. ders. Aldershot 1990, 85-98. "1 B. Henze, Zell, Matthäus und Katharina, in: LThK' 10 (2001) 1416-1417.

108 Zur Geschichte der Theologischen Fakultat von 1460 bis 1620

1532 in Esslingen, löste Otter Ambrosius Blarer 122 ab, 1536 war er sogar Un- terzeichner der Wittenberger Konkordie. Gestorben ist er 1547 in Esslin- gen. 123 Matthäus Alber aus Reutlingen inskribierte sich in Freiburg am 1. Juni 1521. Er hatte sein Studium in Tübingen im November 1513 begonnen und 1518 als Magister artium beendet. Nach seiner Priesterweihe in Konstanz war er als Kaplan und Prediger in seiner Heimatstadt angestellt (1519/20). Seine höchste theologische Profilierung erlangte er am 8. August 1521 mit dem Baccalaureatus sententiarum, 124 weiter kam er nicht. Als Anhänger und Ver- fechter der Lehre Luthers wechselte er 1521 auf die soeben vom Rat seiner Heimatstadt Reutlingen errichtete Prädikatur. Hier überzeugten seine »Schriftauslegungen« nicht nur die Bürger, sondern auch »den überwiegen- den Teil der Geistlichkeit für die Reformation«, 125 so daß im August 1524 mit der Einführung einer deutschen Messe (ohne Meßkanon und mit Austeilung der Kommunion unter beiderlei Gestalt) praktisch die Reformation einge- führt wurde. 1525 konnte er sie vor dem Reichsregiment verteidigen. Inner- halb der protestantischen Auseinandersetzungen wandte sich Alber gegen Zwinglis Abendmahlsverständnis und hielt treu zu Luther, der die Reutlinger zu Beginn des Jahres 1526 eigens vor Zwingli warnte.' 26 1530 wurde über Alber die Reichsacht verhängt, 1531 dessen Berufung vom Reichskammerge- richt abgelehnt und der Prozeß gegen ihn 1532 nach dem Nürnberger An- stand beigelegt. 127 Dem Bildersturm in Reutlingen stand Alber reserviert ge- genüber, verhindern konnte er ihn nicht. Da das sog. Augsburger Interim, ' 28 eine reichsrechtliche Übergangsregelung, welche die Protestanten bis zu einer Konzilseinigung (mit Ausnahme von Laienkelch und Priesterehe) auf die bis- herige Theologie und Liturgie verpflichtete, in den Reichsstädten durch- geführt wurde, mußte der Reformator Matthäus Alber am 4. Juli 1548 die Stadt verlassen. Er fand in Württemberg Aufnahme, wo er 1549 Stiftsprediger

122 B. Moeller, Blarer, Ambrosius, in: LThK3 2 (1994) 517: geboren vermutlich 1492 in Konstanz, Studium in Tübingen, Benediktiner in Alpirsbach bis 1522, reformatorischer Prediger 1534-1538 im Herzogtum Württemberg, nach 1548 in der Schweiz, 1551-1559 Pfarrer in Biel, gestorben 1564 in . 123 B. Henze, Otter (Other), Jakob, in: LThK 3 7 (1998) 1218: geboren um 1485 in Lauterburg, 1505-1507 Studium in Heidelberg, 1510 in Freiburg, 1517 Lic. theol. ebd., gestorben 15.3.1547 in Esslingen. 124 Die Matrikel der Universität, 250, Nr. 9; M. Becht, Alber, Matthäus, in: LThK 3 1 (1993) 325: geboren 4.12.1495 in Reutlingen, 1521 Pfarrer in Reutlingen, 1524 führte er mit der Bürgerschaft die Reformation in Reutlingen ein, 1549 Stiftsprediger in Stuttgart, 1563 erster evangelischer Abt des Klosters Blaubeuren, gestorben 1.12.1570. 1" M. Brecht / H. Ehmer, Südwestdeutsche Reformationsgeschichte: Zur Einführung der Refor- mation im Herzogtum Württemberg 1534, Stuttgart 1984, 64. 126 Ebd., 115. 127 Vgl ebd., 152. '" J. Burkhardt, Interim, in: LThK3 5 (1996) 559.

109 Karl-Heinz Braun in Stuttgart und Generalsuperintendent wurde. Als erster evangelischer Abt von Blaubeuren (1563) ist er 1570 gestorben.

Neben denen, die sich später der Reformation zuwandten, gab es ,auch Frei- burger Theologen, die mit Entschiedenheit diese ablehnten. Zu ihnen gehörte der Franziskaner Thomas Murner, der am 27. März 1506 zum Doktor der Theologie promoviert wurde, 129 sich danach an anderen Universitäten weiter- bildete und in Basel 1519 den Dr. iur. utr. erwarb. 13° Der vielseitig gebildete Humanist verband seine reformorientierten Vorstellungen mit einer beacht- lichen Virtuosität in den schriftstellerischen Darstellungsformen. Ein ebenfalls profilierter Theologe war Melchior Fattlin, 1490 in Troch- telfingen (Hohenzollern) geboren. Er hatte sich 1508 in Freiburg immatriku- liert, war 1514 zum Priester geweiht worden und wirkte bis 1518 als geschätz- ter Prediger am Freiburger Münster. Seine theologische Promotion fand am 19. Oktober 1518 statt. 131 Auf Wunsch des Konstanzer Bischofs Hugo von Hohenlandenberg wurde Fattlin am 5. November 1518 Weihbischof. Als sol- cher agierte er entschieden gegen die reformatorischen Aufbrüche, 1542 wur- de er sogar von Bischof Johann von Weeze zum Statthalter in Konstanz er- nannt. Da der Diözesanbischof sein Rücktrittsgesuch von 1543 nicht annahm, blieb er bis zu seinem Tod am 25. Oktober 1548 in dieser Funktion. 132 Und schließlich wäre mit Johannes Fabri einer der bekannten Theologen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu nennen. Nach einem Jahr an der Tübinger Universität hatte er sich am 26. Juli 1509 in Freiburg als Priester inskribiert. 133 Zwar studierte er auch Theologie, doch beeindruckte ihn die Persönlichkeit des Juristen Ulrich Zasius weit mehr, so daß er sich diesem Lehrer anschloß und unter dessen Ägide 1511 zum Doktor beider Rechte pro- moviert wurde. 1513 bestellte ihn der humanistisch gebildete Baseler Bischof Christoph von Utenheim zu seinem Offizial. Trotz dieser Tätigkeit, die er bis Anfang 1518 ausübte, studierte Fabri 1515 ein weiteres Jahr an der Universität Basel, bis er schließlich von Bischof Hugo von Hohenlandenberg 1518 zu sei- nem Generalvikar ernannt wurde. In diesem arbeitsreichen Amt, das der bi- schöflichen Verwaltung der 1835 Pfarreien mit etwa 15.000 Priestern diente, wurde er direkt in die reformatorischen Auseinandersetzungen in Zürich, das

J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 139, Anm. 740. Murner fehlt in den Matrikeln der Freiburger Universität. 1" H. Smolinsky, Murner. Thomas, in: LThK 3 7 (1998) 540-541: geboren vermutlich 1475, 1490 Franziskaner-Konventuale, 1494 Priester, nach dem Freiburger Studium in Köln, Paris, Rostock, Krakau, Prag, Wien, Trier, Basel (1519 Dr. iur. utr.), 1524 flieht er vor der Reformation aus Straß- burg, 1525 wegen des Bauernkrieges nach Luzern, seit 1533 Pfarrer in Oberehnheim (Obernai), gestorben 1537. "1 Die Matrikel der Universität, 181, Nr. 37. '32 Red., Fattlin (Vattlin), Melchior, in: Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648• Ein biographisches Lexikon. Hg. Erwin Gatz, Berlin 1996, 179. '33 Die Matrikel der Universität Freiburg im Breisgau, 188, Nr. 33.

110 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620 damals zur Konstanzer Diözese gehörte, hineingezogen. Gleichzeitig arbeitete er an einem größeren Werk gegen Martin Luther, das er 1522 in Rom voll- endete. 1524-1530 sollte er Koadjutor des Bischofs von Wiener Neustadt, 1530-4541 Administrator dieses Bistums und schließlich von 1530 bis zu sei- nem Tod 1541 Bischof von Wien sein. 134

Die Einstellung der Freiburger Professoren gegenüber der Reformation wurde durch die Verpflichtung, das Wormser Edikt vom 25. Mai 1521 bekannt zu machen," nach außen manifest. Es lag nicht unbedingt in ihrem Interesse. Trotz aller Zurückhaltung des Senats bei der Publizierung und trotz des Pro- testes des Rektors und der Professoren gegen die im Publikationsmandat vom 26. Mai erlassenen Drohungen wurde schließlich das kaiserliche Edikt am 5. September an einem Portal des Münsters und der Universität angeschlagen. Im Gegensatz zu den universitären Leitungsgremien stellte sich der Rat der Stadt Freiburg entschieden hinter das Edikt und zeigte drei Angehörige der Universität an: den seit 6. April 1521 studierenden Würzburger Kanoniker Sigmund Fuchs, 136 den Vorstand der Adlerburse Thomas Sporer 137 und den aus Augsburg stammenden Priester Alexander Hopfer. 138 Die von Tom Scott im Anschluß an Johannes Joseph Bauer formulierte Vermutung,'" wonach Magister Uldaricus Rockenburger zur Erfüllung seiner Promotionsbedingung im November 1521 statt der Sentenzen die Erklärung der vier Evangelien vortragen durfte, muß nicht reformatorisch gedeutet wer- den. Es entsprach damals humanistischem Allgemeingut, den Evangelien als den herausragendsten (und normierten) Quellentexten einen Vorrang vor einer systematisch-analytischen Erklärung der Sentenzen zu geben — ein An- liegen, das besonders in die reformatorische Theologie Eingang gefunden, jedoch auch bei konfessionellen Theologen in gewisser Hinsicht beachtet wur- de. 140

134 J. Weissensteiner, Fabri, Johann, in: Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648: Ein biographisches Lexikon. Hg. Erwin Gatz, Berlin 1996, 175- 177; K.-H. Braun, Johann Fabri und Michael Helding: Zwei katholische Theologen aus Oberschwa- ben im Umfeld Karls V. und Ferdinands I., in: Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach 29 (2006) (Sonderheft Oberschwaben, Österreich und das Reich) 35-44. 135 W. Hagenmaier, Das Verhältnis der Universität Freiburg i. Br. zur Reformation, 14. 136 Die Matrikel der Universität, 250, Nr. 53 137 Die Matrikel der Universität, 168, Nr. 38: Inskription 27.2.1506; seit 11.10.1523 »prepositus contubernii aquile«. 136 Die Matrikel der Universität, 244, Nr. 50: Inskription 17.7.1520: »Alexander Kopfbirannus Hopfler dioc. Augustensis sacerdos«. 1 " T. Scott, »Lutherische Opinionen« wider den »waren cristenlichen Glauben«: Freiburg und die Reformation, in: Geschichte der Stadt Freiburg im Breisgau. Bd. 2: Vom Bauernkrieg bis zum Ende der habsburgischen Herrschaft. Hgg. H. Haumann / H. Schadek. Stuttgart 1994, 38; J. J. Bauer, Zur Fruhgeschichte der Theologischen Fakultät, 125 [nicht 121, wie Scott, 514 angibt]. 140 Vgl. auch K.-H. Braun, Pugna spiritualis, 155 uber den ausgeprägt katholisch-konfessionellen

111 Karl-Heinz Braun

Insgesamt ist in der Theologischen Fakultät Freiburgs eine beachtliche Zu- rückhaltung festzustellen. Die Theologie exponierte sich nicht. Sie erklärte sich für rechtgläubig, wollte sich jedoch nicht allzu sehr in die kirchenpoliti- schen Auseinandersetzungen einmischen. Freilich hatte auch der Theologe Georg Wägelin lutherische Schriften beim Senat abgegeben 1" und sich der Vorschrift gebeugt, dennoch sträubte sich die Theologische Fakultät gegen staatliche oder bischöfliche Gutachten, die antiprotestantisch ausfallen soll- ten. Ulrich Zasius, zunächst einer der markanten Befürworter der Reformati- on, beschrieb die Situation am 4. Juni 1523: »Bei Privatgelehrten stehen Lu- thers Lehren (noch) hoch im Kurs, aber Stadt und Universität verurteilen ihn. Wenn Luthers Anhänger in unserer Gegend seine Lehren etwas eifriger ver- breiten, werden sie gequält, mißhandelt und verjagt. « 142 Als der Konstanzer Bischof Hugo von Hohenlandenberg am 23. Januar 1524 die Freiburger Theologische Fakultät um ein Gutachten über die Lehren des Zürcher Reformators Ulrich Zwingli bat, unterstützte dies der Senat der Universität, wollte jedoch das Urteil der Theologen selbst nochmals überprü- fen. 143 Am 1. April forderte der Stadtrat Freiburgs erneut das Gutachten ein und wies eigens darauf hin, daß der Freiburger Theologe Matthäus Stähelin, der schon am 1. Februar 1515 die Bibelvorlesung mit Deuteronomium 11-34 und Römerbrief 9-16 gelesen hatte, das Gutachten unterschreiben solle; an- dernfalls müsse er aus der Universität ausgeschlossen und der Stadt verwiesen werden.'" Das Gutachten selbst wurde am 7. April vom Senat dankbar appro- biert und später im Gutachten des Johannes Fabri (vermutlich) weiterverwen- det. 145

Trotz mancher verhaltenen und zugleich auch schweigsamen Sympathie für reformatorische Aufbrüche, spätestens während der Umsetzung des Wormser Edikts vom 26. Mai 1521, das über Martin Luther die Reichsacht verhängte und dessen Lehre verbot, distanzierten sich auch namhafte Exponenten der Universität wie der Jurist Ulrich Zasius von der reformatorischen Bewegung. Treibende Kraft für diese antilutherische Richtung in Freiburg war der Stadt- rat. Was die Freiburger Theologenausbildung in den ersten Jahren des

Theologieprofessor Jodocus Lorichius, der in seinem Christlichen Laienspiegel (1593) gerade die Bibel als Urform für Orthodoxie und Orthopraxie erklärt! 441 W. Hagenmaier, Das Verhältnis der Universität Freiburg i. Br. zur Reformation, 14. 142 W. Hagenmaier, Das Verhältnis der Universität Freiburg i. Br. zur Reformation, 23 bzw. 175, Anm. 95: »Lutheri doctrine aput privatos litteratos valent, et quidem vegete; sed utraque res pu- blica, et civium et nostra, eum darnnat. Torquentur, castigantur, expelluntur, qui a Luthero stant in Provincia nostra, si forte vehementius eius doctrina diffament« (Amerbachkorrespondenz II, Nr. 923, S. 430). 143 W. Hagenmaier, Das Verhältnis der Universität Freiburg i. Br. zur Reformation, 24 bzw. 176, Anm. 102 (Senatsprotokoll vom 4.2.1524). 144 W. Hagenmaier, Das Verhältnis der Universität Freiburg i. Br. zur Reformation, 24. 145 W. Hagenmaier, Das Verhältnis der Universität Freiburg i. Br. zur Reformation, 25.

112 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620

16. Jahrhunderts geboten hatte, war theologische Reflexion, die sowohl für die Anliegen der Reformation als auch für die (reformorientierte) Sicherung des alten Glaubens verwandt wurde. Freiburgs Theologische Fakultät wurde auf diese Weise nicht zum Austragungsort reformatorischer Auseinandersetzun- gen. Auch mit dem eindeutig katholischen Profil, das Mitte der 20er Jahre selbstverständlich war, exponierten sich die Theologen ungern. Erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts oder noch eindeutiger nach dem Ende des Konzils von Trient 1563 wird Theologie mit einem deutlichen Schub eines konfessio- nellen Selbstbewußtseins gelehrt.

Nicht unerwähnt bleiben soll Erasmus von Rotterdam. Er hatte Mitte April 1529 das ruhige katholische Freiburg dem reformatorisch aufgewühlten Basel vorgezogen. 146 Zunächst wohnte er im Haus zum Walfisch, im September 1531 bezog er das Haus Zum Kind Jesu (Schiffgasse 7). Offizielle Berührungs- punkte zur Universität gab es zunächst keine. Wie bei Humanisten üblich, so kommunizierte auch Erasmus nicht mit Institutionen, sondern bevorzugte einzelne gelehrte Persönlichkeiten. Auch in Freiburg bildete sich eine Gruppe humanistisch gesinnter Gelehrter um ihn, den sie als ihr Vorbild erkannten.lv Zu ihnen gehörten der ihm seit 1518 persönlich bekannte Jurist Ulrich Zasi- us,'48 der Theologe Johannes Brisgoicus, der Poetikprofessor Heinrich Loriti Glareanus 149 oder der Baseler Domkanoniker Ludwig Baer, 15° beide ebenfalls aus Basel nach Freiburg emigriert, und andere.

146 Vgl. Erasmus an Willibald Pirkheimer, Freiburg, 9.5.1529: »Endlich habe ich die Scholle ge- wechselt, der Rauraker ist Breisgauer geworden 1...]«: Erasmus von Rotterdam, Briefe. Ver- deutscht und hg von Walther Köhler. 3., erweiterte Auflage von Andreas Flitner. Mit 8 Abbildun- gen. Darmstadt 1986, 460-465; vgl. auch Erasmus an Willibald Pirkheimer, Freiburg, 15.7.1529, ebd., 467-471: »Hier in Freiburg ist bisher alles nach Wunsch gegangen« (468). 147 L. E. Halkin, Erasmus von Rotterdam: Eine Biographie. Zürich 1989 (Erasme parmi nous [Paris 1987]), 274-275; N. Pinet, Erasme ä Fribourg d'apre's sa correspondance (avril 1529 — avril 1532) (Lic. phil. masch. Liege [1969]); N. Piroton, Erasme ä Fribourg d'apres sa correspondance (avril 1532 — avril 1535) (Lic. phil. masch. Liege 119731). 148 Vgl. Erasmus an Willibald Pirkheimer, Freiburg, 15.7.1529, in: Erasmus von Rotterdam, Brie- fe, 470-471. 149 W. Horn, Glareanus, Heinrich Loriti, in: LThK 3 4 (1995) 662-663; T. Miller, Glarean(us), in: BBKL 23 (2004) 530-537: geboren 1488 in Mollig bei Glarus, Studium in Köln, Magister artium, 1512 Dichterkrönung auf dem Kölner Reichstag durch Kaiser Maximilian I., gestorben 1563. °° F. J. Gemmert, Das Basler Domkapitel in Freiburg, in: Schau-ins-Land 84/85 (1966/67) 125- 159; hier 129, 131-132; P. G. Bietenholz, Ludwig Baer, in: Contemporaries of Erasmus: A biogra- phical register of the renaissance and reformation. Bd. 1: A—E Desiderius Erasmus, Collected works suppl. 1). Hgg. ders. / T. B. Deutscher. Toronto 1985, 84-86: Baers Vater aus Zabern (Elsaß) hatte in Basel das Bürgerrecht erworben, Ludwig Baer studierte in Pans, 1500 Theologiestudium, 1511 Dr. theol., 1513 Theologieprofessor in Basel, 1518 Propst in St. Peter in Basel, 1526 Mitglied des Baseler Domkapitels, seit 1529 in Freiburg (Herrenstraße 31), eine Theologieprofessur an der Freiburger Universität lehnte er strikt ab, gestorben 1554; im Chorumgang des Münsters bestattet; N. Eisele, Das Basler Domkapitel im Freiburger Exil (1529-1628): Studien zum Selbstverständnis einer reichskirchlichen Institution (= Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 49). Freiburg i. Br. 2004.

113 Karl-Heinz Braun

Für Erasmus war die Freiburger Universität »nicht unberühmt«, doch seinen »Reform«-Vorstellungen 151 entsprach sie nicht. Das galt auch für die Theologie, bei • der er bisher eine gewisse Strahlkraft vermißte. 152 Erasmus unterrichtete in seinem Freiburger Haus zwei junge Scholaren. Er ließ sie bei sich wohnen, ohne daß diese — wie es seit 1498 vom Senat der Universität vorgeschrieben war — oder gar er selbst immatrikuliert waren. Die Stadt wie auch die Universität verhielten sich jedoch in dieser Angelegenheit ihrem berühmten Zeitgenossen gegenüber nobel zurückhaltend. 153 Der Wunsch nach einer Immatrikulation an der Freiburger Universität ging von Erasmus selbst aus. Er hatte Anfang August 1533 den zu seinem Freundeskreis gehörenden Theologieprofessor Johannes Brisgoicus um Auf- nahme gebeten, so daß dieser ihm wenige Tage darauf die Statuten vorlegte und ihm den Eid darauf abnahm. Als Immatrikulationsdatum ist der 5. Au- gust 1533 eingezeichnet: »Desiderius Erasmus Roterodamus theologiae pro- fessor«. 154 Gleichzeitig wurde sein Haus unter die privilegierten, steuerbefrei- ten Wohnhäuser der Universität eingetragen. Die offizielle Aufnahme des Erasmus als Theologieprofessor und consi- liarius facultatis theologiae fand jedoch keine Konkretionen. Er wollte zwar zum Wohl der Universität seinen bekannten Namen zur Verfügung stellen, eine Bürde jedoch nicht auf sich laden. Vorlesungen hat er keine gehalten. Die Theologische Fakultät wie auch die gesamte Universität glaubten in ihm einen zukünftigen einflußreichen Fürsprecher bei König Ferdinand, der ihn auch nach Freiburg geladen und empfohlen hatte, 155 zu erhalten und waren damit höchst zufrieden: »gaudet universitas«, vermerkt das Protokoll vom 11. Ok- tober überschwenglich. 156 Bis 1535 sollte Erasmus in Freiburg seine letzte kreative Arbeitsphase finden. Rückblickend wird er aus Basel voller Begeisterung über Freiburg schreiben: »In Freiburg ist eine berühmte Universität, alle Art von Studien blüht; ich lebte auch nicht ungern im Gebiete König Ferdinands, dessen be- sondere Gunst ich vielfach erfahren durfte.« 157 Inwieweit Erasmus diese

"1 H. Mayer, Erasmus in seinen Beziehungen zur Universität Freiburg, in: Zeitschrift der Gesell- schaft für Beförderung der Geschichts- und Altertums- und Volkskunde von Freiburg, dem Breis- gau und den angrenzenden Landschaften 23 (1907) 287-302. 152 Ebd., 293: Erasmus an Pietro Bembo, 25.3.1530: »Friget hic magis quam vellem theologia, sed ut spero brevi efflorescet.« 153 H. Mayer, Erasmus in seinen Beziehungen zur Universität Freiburg, 296-297. 154 Die Matrikel der Universität Freiburg im Breisgau, 285, Nr. 26; zum Datum 5.8.1533: ebd., Einleitung, XL. 1" H. Mayer, Erasmus und seine Beziehungen zur Universität Freiburg, 287; zu Ferdinand I. und Erasmus von Rotterdam vgl. A. Kohler, Ferdinand I., 1503-1564: Fürst, König und Kaiser. Mün- chen 2003, 56: Ferdinand kam über seine Tante Erzherzogin Margarete »mit der Ideenwelt des Erasmus von Rotterdam in Berührung, der seitdem (...1 auf den jungen Habsburger großen Ein- fluß ausüben sollte«, obwohl Erasmus es abgelehnt hatte, als dessen Erzieher tätig zu sein. 156 Vgl. Die Matrikel der Universität Freiburg im Breisgau, Einleitung, XLI. 1 " Erasmus an Peter Tomiczki, Basel, 31.8.1535, in: Erasmus von Rotterdam, Briefwechsel, 567.

114 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620

Gunst auch für die Universität Freiburg nutzen konnte, muß offen bleiben, und ebenso, wie Erasmus' literarisches und kommunikatives Wirken auf Stadt und Universität gewirkt hat. Bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts wird Erasmus gerade in Ita- lien zunehmend attackiert und schließlich von Papst Paul IV. 1559 auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. 158 Dennoch leben viele seiner Gedanken weiter, selbst in Zeiten des Konfessionalisierungsprozesses. Verhalten, keines- wegs direkt, werden Anliegen des' Erasmus weitergegeben, selbst bei einem entschieden konfessionellen Theologen wie dem Freiburger Jodocus Lorichi- us. 159

Dieser ist der engagierteste Repräsentant unseres Untersuchungszeitraums. Aus Trarbach an der Mosel stammend, dort 1540 als Bürgermeistersohn ge- boren, folgte er einigen Verwandten an die Freiburger Universität. Der von 1561 bis 1570 in Freiburg lehrende Christoph Caseanus (Cassianus) war der bedeutendste unter ihnen. Er hatte den väterlichen Namen Käs bzw. Kes nach seiner Immatrikulation am 30. August 1549 in Casianus geändert. Lorichius ist ebenfalls eine latinisierte Version von (Lur-)Käs.' 6° Sogar drei weitere Brü- der von Jodocus studierten an der Freiburger Universität.' 61 Diese und andere Verwandte und Bekannte aus Trarbach besaßen ihren Lebenskontext im Um- feld des Collegium Pacis, sie bildeten etwa ein Drittel der 60 Stipendiaten jener Zeit. 162 Jodocus Lorichius hatte sich am 3. Dezember 1562 »als dioec. Trevir. laicus« unter dem ersten Dekanat seines Onkels Christoph Cassian immatri- kulieren lassen. Zügig folgten seine Promotionen zum Baccalaureus artium am 27. Juni 1564 und zum Magister am 12. Februar 1566. Ab dem Wintersemester 1568/69 hielt er die Vorlesung über Poesie 163 und setzte gleichzeitig sein Theologiestudium fort. Die Universität zeigte ein lebhaftes Interesse an ihm, so daß sie ihn bereits ein Jahr später von seiner Vorlesungspflicht dispensierte. Den Baccalaureus biblicus erhielt er am 8. Februar 1572 durch Balthasar

'" K. Ganzer, Die religiösen Bewegungen im Italien des 16. Jahrhunderts. Münster 2003, 10-12; S. Seidel Menchi, Erasmo in Italia 1520-1580. Torino 1987; dies., Erasmus als Ketzer: Reformation und Inquisition im Italien des 16. Jahrhunderts (=.- Studies in medieval and reformation thought 49). Leiden 1993. 159 K.-H. Braun, Der Freiburger Theologieprofessor Jodocus Lorichius (1540-1612): Spuren des Humanismus bei einem konfessionellen Theologen, in: FDA 124 (2004), 41-60. 1" K.-H. Braun, Pugna spiritualis, 43: Es sei dahingestellt, ob Christoph Casean ein Onkel des Jodocus Lorichius (Stephan Ehses) oder ein Vetter von ihm war (Hubert Knaupp). 1" Ebd., 44: davon aus der ersten Ehe seines Vaters Henricus Caseanus, aus der zweiten Ehe Simon und Burkhard, die sich in gewisser Distanz zu ihrem Halbbruder Lorichius nannten; Jodocus war deren ältester Bruder. 162 H. Knaupp, Jodocus Lorichius, 56. 163 Ebd., 28.

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Hagmann, die beiden nächsten Promotionen (Baccalaureus sententiarum am 7. November 1572, Baccalaureus formatus am 4. Dezember 1573) durch Cas- par Neubeck. Eigentlich wollte Lorichius den im Februar 1574 an ihn ergan- genen Ruf, Prediger in Colmar zu werden, annehmen. Die an ihm interessier- te Universität stellte ihm jedoch eine attraktivere Anstellung in Aussicht, die sich ihm bereits in den Sommermonaten eröffnete, als sein Lehrer Caspar Neubeck als Bischof nach Wien berufen wurde.'" Nach seiner Lizentiatspro- motion am 25. Juni wurde er am 27. Juli 1574 165 zum Doktor der Theologie ernannt. Bereits am 15. Juli hatte ihn der Senat der Universität »probeweise für ein Jahr« mit der Supplierung der Vorlesungen Neubecks beauftragt. Dem Fakultätsrat der Theologischen Fakultät gehörte er seit dem 25. November an, einen Monat später empfahl ihn die Universität als offiziellen Nachfolger. Die erzherzogliche Zustimmung wurde am 8. Februar gegeben, so daß Lorichius am 25. Juli 1575 als dauerndes Mitglied in den Senat aufgenommen werden konnte.'" Lorichius begann als dritter Universitätsprofessor neben Christoph Eh- ner, der am 19. Januar 1575 167 verstarb, und Marcus Tegginger, der sich 1578 entpflichten ließ,'" so daß er bereits 1578 als Primar der Theologischen Fa- kultät bestimmte Vorlesungen zu präsentieren hatte. 169 Mehr als 30 Jahre wirkte Lorichius als Universitätslehrer, leitete 21mal (21 Semester) als Dekan die Theologische Fakultät und stand neun Semester der Universität als Rektor vor. Nach seiner Emeritierung am 7. Januar 1605 plante er sich in das Freiburger Kartäuserkloster zurückzuziehen, sah sich jedoch in Ermangelung anderer geeigneter Persönlichkeiten gezwungen, das Collegium Pacis zu leiten, so daß er sich erst im Februar 1610 in die Johannes- kartause (Dreisamtal) zurückziehen konnte. Am 29. September 1612 verstarb er.

1" J. Weissensteiner, Neubock (Neubeck), Johann Kaspar, in: Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648. Hg. E. Gatz, 499-500: geboren um 1545 in Freiburg, Studium an der Universität, 1565 Priesterweihe, 1570 Dr. theol., 1569 Theologieprofes- sor, 1574 Hofprediger von Kaiser Maximilian II, 1574 Bischof von Wien, 1575 Bischofsweihe, 1583 Rat von Kaiser Rudolf II., am 18. 8. 1594 in Wien gestorben und im Stephansdom beigesetzt. 165 W. Müller, Fünfhundert Jahre theologische Promotion, 61, Nr. 122. 166 II. Ruth, Das Personen- und Ämtergefüge der Universität Freiburg (1520-1620). (Diss. phil. masch. Freiburg i. Br. 2001): http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/299: II. Biogramme, 61. 167 Die Matrikel der Universität Freiburg im Breisgau, 316, Nr. 67: Christoph Eliner aus Meßkirch, Immatrikulation 17.10.1538, Magister artium 1542/43, anschließend Theologiestudium, Dr. theol. 1553 in Padua, seit 1553 Consiliarius fac. Theol., 1556 Extraordinarius theol., Primarius 1559, zwölfmal Rektor der Universität, Stipendienstifter, gestorben 1575. 168 P. L. Surchat, Tettinger (Tegginger), Marcus, in: Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648. Hg. E. Gatz, 692: geboren 1540 in Radolfzell, seit 1553 Studium in Freiburg, 1556 Magister artium, 1559 Prof. für höhere Dialektik, 1562-1566 Pfarrer von Ehingen, 1565 Weihbischof in Basel, 1567 Bischofsweihe in Dele'mont, 1568 Romreise, Dr. theol. in Bologna, 1568 Propst des Kollegiatsstiftes St. Theobald in Thann und 1575 von St. Martin in Colmar, gestorben 20.2. 1600 in Freiburg. 169 Vgl. K.-H. Braun, Pugna spritualis, 29.

116 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620

Als »optirne meritus« für die wissenschaftliche Theologie wie für die Theologische Fakultät rühmt ihn die Kartäuserchronik in ihrem Nachruf."' In beachtlichem Maß gilt dieses Verdienst auch für sein Engagement gegen- über der Universität überhaupt. Noch heute gibt der universitäre Archiv- bestand davon Zeugnis. Über die Verwaltungs- und Beratungsgremien hinaus sammelte er Akten, registrierte Vorgänge, entwarf Statuten und verwaltete Stiftungen, 171 dies auch in seiner Eigenschaft als Quästor: Dabei handelte es sich um ein 1565 erstmals erwähntes Amt zur Verwaltung und Organisation von Stiftungen und Stipendien der Fakultät.'" Von besonderem Informationswert ist seine zusammengefaßte Darstel- lung von Beschlüssen und Ergebnissen des Senats, »multo labore«, wie er diese Arbeit selbst charakterisierte. In diesem »Index generalis« sind alle Vorschrif- ten, Gepflogenheiten und Praktiken des universitären Lebens festgehalten: von der Wahl des Rektors über die üblichen Inskriptionsmodalitäten, vom Vor- lesungsbetrieb bis hin zu Disziplinarfragen; Vorsichtsmaßnahmen während einer Pest (»observanda in hoc miserabili eventu«) 173 werden ebenso erörtert wie Krieg und Aufruhr. Verhaltensweisen gegenüber Häretikern oder Juden werden erwogen, die Privilegien der Universität festgehalten, zuletzt die Be- gräbnisfeierlichkeiten für Angehörige der Universität einheitlich geregelt. 174 Von unglaublicher Schaffenskraft gibt auch sein theologisches CEuvre Zeugnis. Das Schriftenverzeichnis des Freiburger Theologieprofessors zählt 52 Monographien, darunter einige mehrere hundert Seiten starke Werke. Der Foliant »Thesaurus theologiae« 175 enthält alle Merkmale seines theologi- schen Denkens und die damit verbundenen Inhalte, die zu vermitteln waren. Die Tatsache, daß die meisten seiner Werke nicht nur in den (vorder-) öster- reichischen und benachbarten Bibliotheken nachzuweisen sind, sondern auch in den Bibliotheken europäischer Metropolen und darüber hinaus vorhanden sind, zeigt, daß Lorichius mit seinen bearbeiteten Themen auf breites Inter- esse stieß und mit einer vorschnellen Einordnung als Provinztheologe keines- wegs erfaßt werden kann. Der Erfolg seiner theologischen Reflexionen lag

1 " Ebd., 30. 171 Vgl. H. Ruth, Das Personen- und Ämtergefüge der Universität Freiburg (1520-1620). Diss. phil. masch. Freiburg 2001: http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/299: II. Biogramme, 60-61. l" J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der Theologischen Fakultät, 38. 17 Index generalis. In Literas, Acta & Scripta Academiae huius Friburgensis. Ab eiusdem exordio, usque ad finem Anno 1600. Multo labore collectus, & conscriptus a Jodoco Lorichio S. Theologiae Doctore & Professore eiusdem, in Acad. Sac., ab anno 1574: Universitätsarchiv Freiburg A 23/24; vgl. auch H. Ruth, Das Personen- und Ämtergefüge der Universität Freiburg. III, 17-21,23-60. 174 UAF A 4/23; H. Ruth, Das Personen- und Ämtergefüge der Universität Freiburg. III, 6-16. 175 J. Lorichius, Thesaurus novus utriusque theologiae theoricae [sic!]'et practicae. Ex scriptura sacra, SS. Concilüs , iure canonico, doctoribus Ecclesiae, alijsque Theologis, Canomstis, historicis, varijsque scriptoribus optimis ac probatissimis conscriptus. Et instar Lexici Theologici ordinatißi- me ac luculentißirne (ut facile poßit inveniri quod quaeritur) digestus, Freiburg i. Br. 1609, 2 1621.

117 Karl-Heinz Braun zweifellos in deren Ausrichtung auf die religiöse Praxis. Die von ihm deutlich focussierte Schnittstelle zwischen Orthodoxie und Orthopraxie traf nicht nur die Anliegen der nachtridentinischen katholischen Kirche, sondern auch jenes (früh-) neuzeitliche Interesse, Theologie als Anthropologie in die Lebenswelt der Gläubigen zu übersetzen. Zweifellos gehört Jodocus Lorichius zu den nachhaltigsten Freiburger Theologen. In der theologischen Durchdringung steht er mit seinen Gedanken wie ein intellektuell erfahrener Pate an der Seite eines Sozialdisziplinierungs- prozesses, der die gesellschaftlich-soziale Richtung des theologischen Konfes- sionalisierungsprozesses darstellte. Von besonderer historischer Bedeutung sind seine noch erhaltenen au- tographen Vorlesungsmanuskripte aus den Jahren 1595-1599. 176 Mit dieser Vorlesung kam Lorichius den Vorschriften der »Novae Constitutiones et De- creta Facultatis Theologiae Friburgensis. Ad reformationem Theologici studii et alia« vom Februar 1578 177 nach. In ihnen sollte den zukünftigen Geistlichen ein inhaltliches Wertesystem vermittelt werden, das sie in ihrer Valenz nicht nur zu rezipieren, sondern auch zu internalisieren hatten. 178 Heribert Smolin- sky hat zu Recht darauf hingewiesen, daß spätestens mit solchen Vorlesungen das universitäre Theologiestudium auf die konkrete Pfarrerausbildung aus- gerichtet war. Nicht mehr die zweckfreie Reflexion des Studiums in der Ver- winkelung je neuer Differenzierungen und spekulativer Kontrastierungen war gefragt, sondern die zielgerichtete Vermittlung einer in die Lebenswelt hineinwirkenden Theologie. 179 Darin folgte selbst diese gänzlich konfessionell aufgeladene Theologie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dem Anlie- gen eines religiösen Humanismus, wie er von Erasmus von Rotterdam oder Jakob Wimpfeling am Oberrhein propagiert worden war. 180 Diese in Freiburg eingeschlagene Richtung, die auch Vorgaben der Konstanzer Diözesansynode umsetzt, lässt sich auch anderswo nachweisen, z. B. bei dem »Humanisme devot« eines Frafflis de Sales 181 ebenso wie bei den Jesuiten 182 .

'" Universitätsbibliothek Freiburg, Hs 262. 1 " Die ältesten Statuten der theologischen Fakultät in Freiburg. Fortsetzung: Die Statuten vom Jahre 1578. Hg. J. König, in: FDA 22 (1892) 1-40. 1 " Zum Kontext: K.-H. Braun, Pugna spiritualis, 66-67. 19 H. Smolinsky, Der Humanismus an Theologischen Fakultäten des katholischen Deutschland, in: Der Humanismus und die oberen Fakultäten (= Mitteilung 14 der Kommission für Humanis- musforschung). Hgg. G. Keil / B. Moeller / Winfried Trusen. Weinheim 1987, 21-42, 36: Smolin- sky wertet das als »langsame(s) Eindringen des Humanismus in die Katholisch-theologischen Fakultäten«. 180 Zur Differenzierung vgl. K.-H. Braun, Der Freiburger Theologieprofessor Jodocus Lorichius (1540-1612): Spuren des Humanismus bei einem konfessionellen Theologen, in: FDA 124 (2004) 48-49, 54-56, 58-59. '" M. Tietz, Saint Franwis de Sales' »Traite de l'amour de Dieu« (1616) und seine spanischen Vorläufer Cristäbal de Fonseca, Diego de Estella, Luis de Granada, Santa Teresa de Jesüs Maria Mainzer Romanistische Arbeiten 10). Wiesbaden 1973, 93. 182 Vgl. K.-H. Braun, Pugna spiritualis, 67.

118 Zur Geschichte der Theologischen Fakultät von 1460 bis 1620

Daß Lorichius in seine Reflexionen auch Ergebnisse anderer universitä- rer Wissenschaftsbereiche mit einbezog, zeigen nicht nur seine Schriften, son- dern auch die unter seinem Vorsitz geführten Disputationen. Am deutlichsten wird dies bei seiner 1577 durchgeführten Disputation »De fuga pestis«. Hier werden medizinische Erkenntnisse als moraltheologische Grundierung einge- baut. Auch hier steht Lorichius am Beginn einer neueren Entwicklung. »Den Nahtstellen, an denen theologische Fragestellungen mit der außertheologi- schen Geisteswelt Berührung haben, wird viel mehr Beachtung geschenkt wie zuvor. «183

Wozu Lorichius seine Hörer letztlich anleitete, war ein bewußtes Nachdenken über religiöse und gesellschaftliche Normen und Gepflogenheiten. Dies ge- schah seiner Meinung nach über eine intellektuell engagierte Auseinander- setzung mit deren konfessionellen Vorgaben. Der einzelne wird zur (inneren) Auseinandersetzung angeleitet, zunächst mit sich selbst und seinen eigenen Wahrnehmungen, die in Richtung einer selbstverständlichen kirchlichen Or- thopraxie zu steuern sind. »Lorichius geht es um den Transfer allgemeingül- tiger (konfessioneller) Theologie in die gelebte Bestätigung und deren inner- liche Bekräftigung. Eine bloß äußerliche religiöse Aufladung ohne sakrale Fundierung ist für ihn defizitär. Dazu beruft er sich auf biblische Zeugnisse. »Diß Volck ehret mich mit seinen Leffzen, aber ihr Hertz ist weit von mir«, zitiert er in seinem Christlichen Laienspiegel Mt 15, 8 bzw. Jes 29,13. 184 Dabei kommt es ihm nicht auf kontroverse Diskussionen an; die konfessionelle Aus- richtung hat in geistlicher Weise zu geschehen: Lernfähigkeit gilt darum als reflektierte Einsehbarkeit und gleichzeitig als Bereitschaft, sich selbst mit al- len Eigenkräften in das religiöse und gesellschaftliche Miteinander eines kon- fessionellen Kirchen- und Staatswesens einzufügen. Die äußeren Bedingun- gen dazu hatte der konfessionelle Staat zu gewährleisten.

Spätestens mit Lorichius wird mit dem Attribut »provinziell« die Freiburger Theologische Fakultät nicht mehr adäquat erfaßt. 185 Unser Freiburger Theo- logieprofessor wird weit über die Landes- und Reichsgrenzen gelesen, da er neue Entwicklungsebenen zu erklären versteht, die von Interesse und Belang für Obrigkeiten wie für deren Untertanen sind. Mit Lorichius wird ein offi- zieller Repräsentant der Theologischen Fakultät zu einem differenzierten Ver- mittler eines breiten theologischen wie religionspraktischen Weges, der gera- de durch den Rückgriff auf Quellen der bisherigen Kirchengeschichte eine argumentative Plausibilität der katholischen Konfession verbreiten konnte.

183 W Müller, Fünfhundert Jahre theologische Promotion, 53 (zum Kontext 53-54). 184 K.-H. Braun, Pugna spiritualis, 358. "5 J. Köhler, Die Universität zwischen Landesherr und Bischof: Recht, Anspruch und Praxis an der vorderösterreichischen Landesuniversität Freiburg (1550-1752) (= Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit 9). Wiesbaden 1980,252-253.

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Und gerade darin wirkte er als authentischer Vertreter einer nachtridenti- nischen Theologie. Was er — durchaus in Versöhnung mit der Innerlichkeit eines gewissen' oberrheinischen Humanismus ebenso wie mit italienischen Frömmigkeitsrichtungen des 16. Jahrhunderts — gleichzeitig lehrte, war die theologische Aussage, daß erst die internalisierte Beziehung der Gläubigen zu Gott Religiosität bedeute und erfasse.

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