Der Fall Biberstein Und Die Evangelische Kirche Von Reiner Hering
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Der Fall Biberstein und die evangelische Kirche Von Reiner Hering Stolz stellt der Chef des Reichssicher- aber ganz und gar ein deutscher Natio- heitshauptamtes in gemütlicher Runde nalsozialist sein wollte. die bürgerlichen Berufe seiner Offiziere Der Lebensweg des Ernst Szymano- in den Einsatzgruppen vor. wski von der Kanzel in die Tötungsma- "Rechtsanwalt, Arzt, Wirtschaftsexper- schinerie - sicherlich ein extremes Bei- te, Opernsänger", zählt Heydrich auf spiel - lehrt, dass Kirchenmänner kei- und legt eine Kunstpause ein. "Und hier neswegs durch Amt, Würden und Bi- ist unser Prachtstück - Standartenfüh- belkenntnis vor dem Naziwahn gefeit rer Biberstein, ehemaliger lutherischer waren. Auch wenn sie nicht so konse- Pastor." quent wie Biberstein Sympathie in "Biberstein!" ruft Heydrich scherzend, Überzeugung und Überzeugung in "erzählen Sie uns doch mal von dieser blankes Morden umsetzten, so glaub- Organisation, die Sie gründeten, als Sie ten viele von ihnen doch heißen Her- die Kanzel verließen. Wie hieß sie zens an den Führer und sein neues noch?" Biberstein, auf einmal im Mittel- Reich und predigten gegen Juden und punkt, errötet. ",Die Bruderschaft der andere Untermenschen. Liebe'", antwortet er. "Und wie hat sie Geboren am 15. Februar 1899 in Hil- sich bewährt?" frotzelt einer der SS- chenbach im Kreis Siegen, hatte Männer. "Leider sehr schlecht", antwor- Szymanowski nach der Schulzeit zwei tet Biberstein gequält, "deshalb bin ich Jahre lang als Soldat im Ersten Welt- ja auch bei der SS gelandet." "Das krieg gekämpft. Evangelium verbreiten, was, Biber- In nur vier Semestern studierte er dann stein?" höhnt die Männerrunde. "Ach, evangelische Theologie, besuchte das ist hier gar nicht nötig", versucht sechs Monate ein Predigerseminar und Biberstein den Schulterschluss, "hier schloss seine Ausbildung mit einem sind wir alle Bekehrte zu einem neuen Vikariatsjahr ab. 1924 zum Pastor in Glauben." Kating berufen und von 1927 an in Kal- Ein evangelischer Pastor im engsten tenkirchen tätig, wurde er im Oktober Kreis der SS, der Eliteorganisation der 1933 zum kommissarischen Propst von Nationalsozialisten, deren Mitglieder Neumünster und wenig später dauer- Millionen von Menschen umbrachten - haft zum Propst von Bad Segeberg er- diese Szene stammt aus Gerald nannt. Greens Roman Holocaust, der durch Bereits am 19. Juli 1926 war er in die seine Fernsehverfilmung weltbekannt NSDAP eingetreten. Aktiv in der ihr wurde. Ein Geistlicher im Zentrum des nahe stehenden kirchenpolitischen Unmenschlichen? Eine Fiktion, denkt Gruppierung der Deutschen Christen, man. kämpfte der Propst nach 1933 rastlos Die Szene in Greens Roman basiert für das Werk seines Führers. 1934 bis jedoch auf Fakten. Der Romanfigur 1935 war er Kreisschulungsleiter der liegt das Leben Ernst Bibersteins zu- NSDAP und Beisitzer im Kreisgericht grunde. Vor 1941 hieß der SS-Mann der Deutschen Arbeitsfront. Auf einer Ernst Szymanowski. Der evangelische Parteiversammlung im November 1934 Pastor und Propst von Kaltenkirchen erklärte er auch, wer Deutschlands Un- änderte seinen Namen, weil er ihm zu glück sei: "Der Jude, ob Marxist oder "polnisch" erschien, wie er sagte, er gleich in welcher Schattierung, ist im- mer das verderbenbringende Übel der Dann kam er im Juni 1942 nach Russ- Völker gewesen. Wo nur der geringste land, wo er das Einsatzkommando 6 Anlass besteht, sein verderbenbringen- der Einsatzgruppe C anführte. Statt des Gift auszustreuen, wird es gerade- MGs setzt Biberstein lieber Gaswagen zu gründlich besorgt." ein. Bald hielt es Szymanowski nicht länger Diese vier besonderen Einsatzgruppen, im kirchlichen Dienst. Er strebte mitten A bis D, waren ein Jahr zuvor auf Be- in den NS-Staat und wechselte ins fehl Himmlers gebildet worden. Sie be- Reichsministerium für kirchliche Ange- gleiteten die Wehrmacht nach Osteuro- legenheiten. So war der nächste Schritt pa, um dort Juden, Sinti und Roma und für ihn keine Grenzüberschreitung, andere Bürger zu ermorden, die von sondern folgerichtig. Am 1. August der SS als "minderwertig" oder "poli- 1936 trat Szymanowski der SS bei, tisch gefährlich" kategorisiert worden Mitgliedsnummer 1300292. Der Reichs- waren. Die meisten Offiziere dieser führer SS, Heinrich Himmler, beförderte Einsatzgruppen zählten gleich Biber- ihn sogleich zum Untersturmführer. stein zu den Akademikern - auch hierin Schnell machte der zielstrebige bleibt Gerald Greens Roman der Wirk- Szymanowski Karriere und brachte es lichkeit treu. Fast alle von ihnen waren, bis zum Obersturmbannführer. Auch wie der amerikanische Historiker Raul dem von Himmler gegründeten Verein Hilberg in seinem Standardwerk Die Lebensborn trat er bei und unterstützte Vernichtung der europäischen Juden dessen bizarres Programm. feststellt, "in den Dreißigern und streb- Als Verbindungsmann zur Geheimen ten zweifellos nach Macht, Ruhm und Staatspolizei in einer herausragenden Erfolg". Position angestellt, löste er sich immer Nach einem Jahr als Leiter der Ein- mehr von der Amtskirche. In einem satzgruppe C in Taganrog erhielt Bi- Fragebogen zur Ergänzung der Partei- bersteins Einheit den Befehl zum ris- akte betonte er 1937, im Besitz eines kanten "Bandeneinsatz". Kurz danach germanischen "Jul-Leuchters" zu sein. schied er aus dem Terrorkommando Im darauf folgenden Jahr trat Szyma- aus und wechselte zurück nach Berlin nowski aus der Kirche aus, vier Jahre in den sicheren "Innendienst". später meldete er auch den Austritt Es hatte einige wenige protestantische seiner drei Kinder. Seine Konfession Stimmen gegen den NS-Staat gege- gab er fortan mit "gottgläubig" an. ben. Der Pastor und Judaist Walter Sieben Monate nach dem Einfall deut- Windfuhr, obwohl deutschnational ein- scher Truppen in Polen wurde Szyma- gestellt, gehörte dazu. Er schrieb im nowski zur Wehrmacht an die West- Spätsommer 1933: "Im und am Natio- front einberufen. Doch schon nach ei- nalsozialismus hat das evangelische nem halben Jahr zog ihn der Reichsbe- Kirchentum Pleite gemacht. In dem Au- vollmächtigte für die innere Verwaltung genblick, als die SA durch das Turm- ab und teilte ihn dem Chef der Reichs- portal einzog, um die Kirche zu sicherheitspolizei und des Sicherheits- 'erobern', floh Gott hinten aus der Sak- dienstes zu. Im August 1941 wurde er ristei Tür. Nun hat er sich in die Syna- nach Oppeln als Leiter der dortigen goge zurückgezogen als in die einzige Staatspolizeistelle versetzt, jetzt unter gottesdienstliche Stätte, wo das Ha- seinem neuen Namen Ernst Emil Hein- kenkreuz nicht regiert." rich Biberstein. Dort organisierte er die Viele protestantische Geistliche gingen Deportation der einheimischen Juden. den Pakt mit dem NS-Regime ein. Al- 2 lein in Hamburg gehörte etwa die Hälfte zweijährigem Verfahren, dass die Ein- der Pastoren zumindest zeitweise den satzgruppen und die Sicherheitspolizei Deutschen Christen an, ungefähr zehn für den Mord an über zwei Millionen Prozent waren sogar Mitglieder der Menschen verantwortlich waren. Biber- NSDAP. In der bayerischen Landeskir- stein selbst gab die Zahl der von sei- che waren etwa vierzehn Prozent der nem Kommando erschossenen Män- Geistlichen Parteigenossen. ner, Frauen und Kinder mit "zwei bis Als der Pfarrer Wilhelm Beye, Mitbe- drei Tausend" an. Sie wurden entweder gründer der Deutschen Christen und erschossen oder in speziell gebauten SA-Kämpfer, von Reichsbischof Müller Lkws vergast. Er habe die Vernichtung im Januar 1934 als Bischof der evange- durch "Gaswagen bevorzugt, weil die lisch-lutherischen Landeskirche einge- Gesichter der Toten nicht verzerrt wa- führt wurde, standen uniformierte Nati- ren". onalsozialisten im Braunschweiger Vom Chefankläger in Nürnberg, dem Dom Spalier. Das Gotteshaus, Grable- Amerikaner Robert W. Kempner, ist ge Heinrichs des Löwen, war von den Bibersteins Selbstverständnis überlie- neuen Machthabern (gegen den nur fert: "Da er nach seiner eigenen Aus- schwachen Protest der Kirche) zum sage noch am unsichtbaren Altar seiner "Staatsdom", zur "Wallfahrts- und Wei- eigenen Religion betete, wurde er ge- hestätte der Nation" erklärt worden. fragt, ob er versucht habe, den vor dem Franz Tügel, Hamburger Landesbischof Tode Stehenden Zuspruch und Trost von 1934 bis 1945, war 1931 NSDAP- zu bieten. Mitglied geworden. Sein bayerischer Seine Antwort war, dass man, da der Kollege Hans Meiser hatte ganz im Bolschewismus den Atheismus predig- Sinne der NS-Propaganda bereits 1926 te, 'keine Perlen vor die Säue werfen vor der "Blutmischung mit einer frem- sollte'. Er habe gegen das Gebot der den Rasse" gewarnt. Im Februar 1939 Liebe nicht verstoßen. erklärten fünf protestantische Kirchen, Biberstein wurde nachgewiesen, den darunter die der Kerngebiete der Re- Befehl zur Ermordung von 65 Men- formation in Thüringen und Sachsen, schen gegeben und deren Ausführung dass Juden keine Mitglieder werden selbst überwacht zu haben. Auch ist könnten und dass Juden, die evange- bewiesen, dass unter seiner Führung lisch geworden waren, keinen An- weitere Massenmorde begangen wor- spruch mehr auf Amtshandlungen hät- den sind. Dennoch erklärte er vor dem ten. Die Landeskirchen von Sachsen, Gericht: "Im Bezug auf alle Anklage- Nassau-Hessen, Schleswig-Holstein, punkte fühle ich mich vor Gott und mei- Thüringen, Mecklenburg, Anhalt und nem Gewissen nicht schuldig." Lübeck hoben im Dezember 1941 "jeg- liche Gemeinschaft mit Judenchristen" Am 8. April 1948 wurde er zum Tode auf. Sie waren entschlossen, so hieß durch den Strang verurteilt, drei Jahre es offiziell in den kirchlichen Amtsblät- später wandelte man das Urteil in le- tern, "keinerlei Einflüsse