Deutschland

schwadroniert haben, dass hoffentlich Die Positionen, die sie vertritt, machen „bald eine Revolution ausbricht und dem sie unwählbar für den bürgerlichen Main - ganzen deutschen Politpack der Schädel Wandelnder stream, auch in der SPD. Sie geißelt die eingeschlagen wird“. Auswüchse des Kapitalismus, sie ver - Viehmann legte Einspruch ein, nun dammt das angeblich imperialistische Ge - muss das Amtsgericht entscheiden. Seinen Widerspruch baren der USA und predigt unbedingten Aufstieg in der angeblich friedlichen Pro - Pazifismus. Sie beherrscht den aufge - testbewegung hat all das nicht verhindert, Karrieren Sahra Wagenknecht scheuchten Furor der Linken, den sich die im Gegenteil: Viehmann gehört zum inne - SPD längst abgewöhnt hat. Zugleich aber ren Zirkel von „Pegida Deutschland“. soll Fraktionschefin der wirkt sie seltsam konservativ, mit ihrer im - Wie sehr bei Pegida die Grenzen zu Linken werden. Führt sie den mer gleichen, hochgesteckten Frisur, den stramm rechten Gruppen verschwimmen, Kampf gegen die SPD fort, streng geschnittenen Kleidern, der zuge - zeigen Ableger in Nordrhein-Westfalen, knöpften Art und gutbürgerlichen Bildung, Thüringen und Sachsen-Anhalt, die längst den begann? beinahe pflichtbesessen. von Neonazis dominiert werden. Oder Sie ist für ihr Arbeitsethos bekannt. Ein auch das Beispiel München. Dort hat sich ineinhalb Stunden lang hat Sahra Leben ohne Müßiggang. Schon als Kind im Frühjahr ein Pegida-Verein „zur Förde - Wagenknecht über Johann Wolfgang empfand sie Spielen als Zeitverschwendung, rung staatsbürgerlicher Anliegen“ gegrün - Evon Goethe gesprochen, den großen seichte Unterhaltung ist ihr zuwider. Wa - det. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe deutschen Dichter, den sie für so etwas wie genknecht taugt nicht als das übliche Feind - ermittelt jedoch gegen einen der Münchner einen frühen Parteigänger der Linken hält, bild der Konservativen, die linke Politiker Vorstände, Heinz Meyer, wegen des Ver - einen Antikapitalisten, seiner Zeit weit vo - wie sie gern als die Anwälte von Faulpelzen dachts auf Bildung einer terroristischen Ver - raus. Sie hat, um ihre These zu belegen, ansehen. Lange galt die ehemalige Stalinis - einigung. Meyer, der sagt, an der Sache sei viel aus dem „Faust“ zitiert, den sie als Ju - tin unter Reformern als nicht vermittelbar, „nichts dran“, hatte offenbar Kontakt zu gendliche auswendig konnte. Sie hat dafür aber nun ist sie ihre heimliche Hoffnung ge - Martin Wiese, einem notorischen Neonazi reichlich Szenenapplaus bekommen und worden. Gerade sie könnte die linken Par - und verurteilten Rechtsterroristen. geneigte Fragen aus dem Publikum, das teifreunde zu Pragmatismus erziehen, weil Auch sonst sind die Pegida-Anhänger sich prächtig unterhalten fühlte. Ein gelun - sie bei den Linken die größte Glaubwür - aus Bayern nicht zimperlich bei der Wahl gener Abend im Rathausfestsaal von Saar - digkeit hat. Weil sie die Letzte in ihrer Par - ihrer Führungsfiguren: Zum Vorstand des brücken, politisches Varieté. Unten sitzt tei ist, von der man Pragmatismus und faule Münchner Vereins zählen neben Meyer Oskar Lafontaine, ihr Mann. Er hat seine Kompromisse erwartet. Sie könnte. Aber ein ehemaliger NPD-Bundestagskandidat Armbanduhr abgenommen, um die Zeit das heißt noch lange nicht, dass sie das will. und eine alte Weggefährtin von Michael nicht aus dem Blick zu verlieren, wie er es Wer ist die echte Sahra Wagenknecht? Stürzenberger, Schlüsselfigur des islam - früher gemacht hat, wenn er selbst auf der Ist sie die überzeugte Linke, die sich eine feindlichen Blogs „Politically Incorrect“ Bühne stand und alle Aufmerksamkeit ihm konservative Maske zugelegt hat? Oder (PI), der seine Leser ebenfalls mit immer gehörte. Jetzt sitzt er im Halbdunkel, erste eine Konservative, die mit linken Thesen rabiateren Methoden aufwiegelt. Reihe, dritter Platz von links, wo er für die Karriere gemacht hat? In dieser Woche rief PI zur Jagd auf meisten Zuhörer so gut wie unsichtbar ist. Sie spielt mit diesem Widerspruch. Sie „das Monster“ auf. Jeder In der kommenden Woche soll Wagen - zitiert nicht Marx, um ihre marxistischen Bürger solle jeden Tag um Punkt 18 Uhr knecht zur Fraktionsvorsitzenden der Thesen zu rechtfertigen, sondern die ärgs - mit Trillerpfeifen oder Hupen „Merkel Linken gewählt werden, neben Dietmar ten Kritiker des Marxismus, die Helden ih - muss weg!“ skandieren. Ihren „Wider - Bartsch, dem Vertreter des Reformflügels. rer politischen Gegner. Sie hat Ökonomie stand“ stellten die PI-Macher dabei in die Sie sollen die Partei im in eine studiert, die Grundlagen der Volkswirt - Tradition des Hitler-Attentäters Claus neue Zukunft führen, nachdem Gregor schaftslehre, die Wissenschaft, die eigentlich Schenk Graf von Stauffenberg. Wie dieser Gysi im Juni seinen Rückzug vom Frak- erklärt, warum Kapitalismus funktioniert, stünden „wir“ heute vor der Frage: „Wol - tionsvorsitz angekündigt hat; eine Zukunft, und sie macht sich Ludwig Erhards Ver - len wir zusehen, wie uns die politische die auch die Möglichkeit einschließt, dass sprechen vom „Wohlstand für alle“ zu eigen, Führung zerstört?“ sich die Linke auf Bundesebene als mög - wenn sie eigentlich Sozialismus predigt. Es Von einer „massiven verbalen Aufrüs - licher Koalitionspartner empfiehlt. ist eine Masche, die sie perfektioniert hat: tung“ der islamfeindlichen Szene spricht Es geht dabei auch um das Vermächtnis die radikale Linke, die sich gutbürgerlich der bayerische Verfassungsschutz. Besorg - ihres Mannes. Versteht sie die SPD als mög - gibt. Das hat sie auch jenseits der treuen niserregend sei, dass Rechtsextremisten lichen Partner einer gesamtlinken Koali - Klientel der Linkspartei salonfähig ge - mit ihren „Hasskampagnen“ zusehends zu tion, wie die Reformer in ihrer Partei hof - macht, wenn auch nicht unbedingt wählbar. bislang unbescholtenen Bürgern durch - fen? Oder noch immer als Todfeind, der Gemessen an den extrem linken Posi - drängen. Auch von diesen könnten „frem - wund geschossen werden muss? Zehn Jah - tionen, die sie vertritt, Außenseiterposi - denfeindlich motivierte Gewalttaten aus - re nachdem Oskar Lafontaine die SPD im tionen, hat sie überraschend viele Fans. gehen“. Der Schulterschluss zwischen Streit verließ, um mit einer neuen, gesamt - Nach ist Sahra Wagenknecht rechtsextremistischen Parteien und zorni - deutschen Linkspartei Rache an den alten derzeit die profilierteste Linke in Deutsch - gen Bürgern treibt fast alle Verfassungs - Genossen zu üben, ist ihre Wahl zur Frak - land, the real deal, wenn man links wählen schutzämter um. Das Bundesamt will nun tionsvorsitzenden auch die Chance für die möchte. In deutschen Talkshows gehört deutschlandweit Rädelsführer von NPD, Linke, endlich eine Antwort auf diese Fra - sie zu den häufigsten Gästen. Die „Bild“- Die Rechte, III. Weg und anderen aufsu - ge zu finden. Diese Chance heißt Sahra Zeitung kürte sie jüngst zur Talkshow- chen und versuchen, die Szene zu verun - Wagenknecht. Sie ist längst eine eigene königin Deutschlands. Aus ihrem Vortrag R E S

sichern. „Da kommt etwas auf uns zu“, Marke, die ihre Partei und ihr Amt über - über Goethe hat sie inzwischen eine kleine I A K

sagt ein hochrangiger Verfassungsschützer, strahlt, eine Frau, die in kein Schema passt. Deutschlandtournee gemacht. G N I N

„wir müssen versuchen, es zu stoppen.“ Sie wirkt wie eine jüngere Margaret That - N E H

Maik Baumgärtner, Maximilian Popp, cher, aber sie redet wie . Wa - : * Bei der diesjährigen Verleihung des Ordens „Wider den O T

Jörg Schindler, Wolf Wiedmann-Schmidt O genknecht ist ein wandelnder Widerspruch. tierischen Ernst“ im Januar in Aachen. F

40 43 / 3125 Es verschafft ihr Sympathien. Eine Büh - ne, auch jenseits des üblichen Publikums der Linken. Und Flexibilität. Vor zwei Wochen ist Wagenknecht auf Schloss Johannisberg im Rheingau zu Gast. Sie hält wieder eine ihrer Goethe-Lesun - gen. Goethe als Antikapitalist. Der Saal ist gefüllt mit Damen und Her - ren der besseren Gesellschaft, Weinfest- publikum, große Autos, gut geschnittene Anzüge, hochgeschlossene Blusen. Ihr Gastgeber stellt sie als Bildungsbür - gerin vor, als Dr. Wagenknecht. Er nennt ihre akademischen Titel und kommt am Schluss auf die Note ihrer Doktorarbeit zu sprechen. „Magna cum laude“, sagt er. Spä - testens von diesem Moment an hat sie den gesamten Saal hinter sich. „Sie genießt eine hohe Glaubwürdigkeit bei Leuten, die politisch woanders ste - hen“, sagt ihr Parteifreund . „Eher bürgerlich denkende Menschen fin - den Wagenknecht toll.“ Das macht sie einerseits zu einer gefährlichen Gegnerin der SPD, aber zugleich auch zu einer poten ziellen Partnerin, mit der man sich zeigen kann. Wenn man Ralph Niemeyer fragt, was seine Exfrau wirklich will, muss er nicht lange überlegen. Mit Wagenknecht verbin - det ihn eine lange, bewegte Geschichte. 16 Jahre lang war er mit ihr verheiratet. Zu - sammen haben sie Krisen erlebt. Aus sei - nen Seitensprüngen gingen drei uneheliche Kinder hervor. Das Paar ließ sich 2013 scheiden, aber trotz aller Krisen haben sie bis heute den Kontakt gehalten. Niemeyer lebt jetzt in Schwäbisch Gmünd. Er sagt, dass er wieder geheiratet hat, aber auf Wa - genknecht lässt er bis heute nichts kom - men, auf seine „müagF“, meine über alles geliebte Frau, wie er sie nannte. Für eine Koalition mit der SPD, glaubt Niemeyer, ist es 2017 zu früh. Er könnte sich vorstellen, dass Wagenknecht einen anderen Plan hat, einen großen Genie - streich. „Für Sahra geht es erst einmal da - rum, die SPD übernahmereif zu schießen“, sagt Niemeyer. „Dann wird sie, vielleicht irgendwann nach der nächsten Bundestags - wahl, die SPD übernehmen.“ Es ist eine irre Idee, die Feldherrnfanta - sie eines Mannes, der noch immer stolz darauf ist, einmal mit Sahra Wagenknecht verheiratet gewesen zu sein. Aber viel - leicht hat seine Fantasie auch einen realis - tischen Kern: Was Wagenknecht auszeich - net, ist ihre Konsequenz. Sie wird bei ihren Positionen bleiben und der SPD schaden, so gut sie kann. Wenn es nach ihr geht, bleibt die Linke die Partei Lafontaines. Kürzlich hielt Wagenknecht im Bundes - tag eine Rede zur Flüchtlingskrise, keine große Rede, aber Niemeyer mochte sie. Er schickte ihr eine SMS: „Tolle Rede“, schrieb er, „Du bist die Bundeskanzlerin Politikerin Wagenknecht*: „Bundeskanzlerin der Herzen“ der Herzen.“ Marc Hujer

DER SPIEGEL 43 / 3125 41