Der Kulturlandschaftswandel in den Steinburger Elbmarschen

Sonderheft der Archäologischen Nachrichten aus Schleswig-Holstein

9 783000 585203 Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH)

2015

1925

1878 d el in en S teinburger E lbmarschen d schaftswan Der Kulturlan

N Der Kulturlandschaftswandel in den Steinburger Elbmarschen Der Kulturlandschaftswandel in den Steinburger Elbmarschen

4. Sonderheft der Archäologischen Nachrichten aus Schleswig-Holstein Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH)

herausgegeben von

Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein

Schleswig 2018 4 5

Impressum

Herausgeber des 4. Sonderheftes © Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH), Schleswig der Archäologischen Nachrichten www.archaeologie.schleswig-holstein.de aus Schleswig-Holstein

Redaktion Dr. Ulf Ickerodt Christian Weltecke

Erstellung und Bearbeitung der © ALSH (Umsetzung der Kartographie: AGIL – Büro für angewandte Archäologie/ Kulturlandschaftswandelkarte Thorsten Becker und Jana Frank) ()

Layout und Design Science Communication Lab (Layout und Satz Björn Schmidt) AGIL/Wiebke Rieck (www.agil-online.de) in Zusammenarbeit mit Initia Medien und Verlag UG, Sebastian Tramsen

Titelblatt © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. Cover-Design: Science Communication Lab (Manuel Reitz)

Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Fördermaßnahme »Innovationsgruppen für ein nachhaltiges Landmanagement«

Projekttitel »Regiobranding – Branding von Stadt-Land-Regionen durch Kulturlandschaftscharakteristika«

Herstellung Sterndruck, Schleswig Printed in

ISSN 2568-4450 ISBN 978-3-00-058520-3

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Herausgebers unzulässig. Das gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren verantwortlich. In Kooperation mit:

Schleswig, 2018. 6 7

Fokusregion Steinburger Elbmarschen

1

© DTK100 1:100000, GeoBasis-DE/ LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Kartendesign: © AGIL, Thorsten Becker (www.agil-online.de). 8 9

Landstellen unter Normal Null

2

© Digitales Geländemodell (DGM2), GeoBasis-DE/LVermGeo SH. © DTK100 1:100000, GeoBasis-DE/ LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Kartendesign: © AGIL, Thorsten Becker (www.agil-online.de). 10 11

77 Die Steinburger Elbmarschen aus Akteurssicht Von Landschaftsbesonderheiten und Lieblingsorten Thorsten Becker / Jana Frank / Markus Schaffert / Fabian Wenger

93 Räumliche Muster und Cultural Marker in den Steinburger Elbmarschen Falco Knaps / Ines Lüder

107 Glückstadt Die Gründungs- und Baugeschichte bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts Christian Boldt Inhaltsverzeichnis 117 Elemente der maritimen Kulturlandschaft Die Schleuse Kasenort und Fährverbindungen an der Stör und Au

12 Vorwort Matthias Bunzel

Ulf Ickerodt / Christian Weltecke 129 Die Entwässerung in der Hans-Peter Micheel 14 Das Projekt Regiobranding Branding von Stadt-Land-Regionen durch Kulturlandschaftscharakteristika 135 Windenergienutzung in den Elbmarschen damals und heute Daniela Kempa / Sylvia Herrmann Jürgen Ruge / Peter Huusmann

17 Leben und regionales Bauen in der Kulturlandschaft der 147 Ausblick Steinburger Elbmarschen Entwicklungsziele und -potenziale der Steinburger Elbmarschen Ressourcen erkennen und entwickeln Peter Huusmann / Beate von Malottky Beate von Malottky 155 Perspektiven einer planungsorientierten Denkmalpflege 31 Werkzeug Kulturlandschaftswandelkarte Ulf Ickerodt / Matthias Maluck Management und Vermittlung historischer und aktueller Raumbezüge 165 G Glossar Ulf Ickerodt / Christian Weltecke / Frank Andraschko / 167 Autorenliste Thorsten Becker / Jana Frank

49 Die Kulturlandschaftswandelkarte in der Anwendung: Das Praxisbeispiel Festung Friedrichsort mit Alt-Friedrichsort Barbara Westendorf / Bernward Völmicke / Matthias Wiegert

59 Räumliche Perspektiven Komparative Kartenanalyse als Beitrag zu Porträts-, Muster- und Szenarienbildung und Visioning zur räumlichen Entwicklung der Steinburger Elbmarschen Maddalena Ferretti / Jörg Schröder 12 13

2016 wurden bereits die ersten Vorarbeiten zur Kulturlandschaftswandelkar- te für den Kreis Steinburg in den Bereichen der Stadt Glückstadt sowie denen der Ämter Horst-, und Wilstermarsch erarbeitet. Die Ergebnisse wurden entsprechend der Projektfortschritte vorgestellt und diskutiert. Die durch die fachliche Erhebung und durch die Diskussion in der Region gewonnenen Ergebnisse werden in diesem Band vorgestellt. Neben der Verankerung dieses Wissens in der Region, dient die Aufbereitung der Projektinhalte in dieser Publikation auch der überregionalen Vermittlung. Die Methode und die darin enthaltenen Arbeitsschritte können als Blau- pause für ihre Anwendung in anderen Untersuchungsräumen, Regionen und Kreisen in Schleswig-Holstein benutzt werden. Hier gibt der Beitrag der Stadt Kiel (-> S. 49) erste Einblicke. Neben diesen praktischen Aspekten, ist die Kulturlandschaftswandel- Vorwort karte auch Grundlage für ein zweites Ziel, das im Rahmen von Regiobran- ding verfolgt wird. Am Beispiel der in der Metropolregion gelege- Die Kulturlandschaftswandelkarte ist ein Instrument, das ursprünglich nen Fokusregion Steinburger Elbmarschen soll modellhaft die Vorgehens- aus der historischen Geographie stammt. Es dient der Erfassung, Analyse weise eines Branding-Prozesses erarbeitet werden. In dessen Mittelpunkt und Visualisierung von Veränderung und Persistenz von Elementen unserer steht die Frage: Wie kann die identitätsstiftende Landschaftsgeschichte sys- historischen Kultur- und Naturlandschaften. Die Kulturlandschaftswandel- tematisch und glaubwürdig in einen regionalen Markenbildungsprozess ein- karte kann eine Vielfalt an Themen abdecken. Landschaftsräume, Topogra- gebracht werden? phie, Siedlungsmuster, landwirtschaftliche Nutzungen und beispielsweise Die vorliegende Publikation stellt den Kulturlandschaftswandel der Infrastruktur, werden in ihrem Entstehungs- und Entwicklungsprozess ab- Steinburger Elbmarschen auf Grundlage von historischem wie modernem gebildet. Kartenmaterial, Ergebnissen wissenschaftlicher Erhebungen sowie Einbli- Seit gut mehr als inzwischen 20 Jahren wird diese Visualisierungsmetho- cke regionaler Akteure im Projektrahmen von Regiobranding vor. Dabei de von Raumqualitäten in der archäologischen Denkmalpflege eingesetzt. geht es nicht um eine erschöpfende Beschreibung aller Facetten der Region, Wegbereiter der Einführung waren sicherlich die Kollegen Klaus-Dieter Klee- sondern um die Aktualisierung und Kontextualisierung historischer Raum- feld und Peter Burggraaff. bezüge und regionaler Charakteristika in Bezug auf eine sich immer stärker Das Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein ist froh darüber, dass wandelnde Kulturlandschaft. dieses Werkzeug nach inzwischen langjährigen Bemühungen jetzt erstmals Abschließend möchten wir uns zunächst bei allen Beteiligten bedanken. auch umfänglich in unserem Land eingesetzt werden kann. Ermöglicht hat Zu nennen sind die Mitarbeiter der Kreisverwaltung des Kreises Steinburg, dies das transdisziplinäre, vom Bundesministerium für Bildung und For- hier besonders Frau von Malottky und Herr Huusmann, sowie die Mitarbei- schung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt Regiobranding. Bereits an ter der Fa. AGIL – Büro für angewandte Archäologie, die mit der Herstellung dieser Stelle sei allen Beteiligten für ihren Einsatz gedankt, die dieses Projekt der Kulturlandschaftswandelkarte und dieser Publikation beauftrag worden und die Umsetzung der hierin enthaltenen Ziele ermöglicht haben. Ohne die- sind. Unser besonderer Dank gilt darüber hinaus allen Autoren der Beiträge sen Einsatz und die Förderung wäre dieser umfängliche Feldversuch nicht in dieser Publikation sowie Akteuren, die erst mit ihrem Engagement die Pro- möglich gewesen. jektarbeit in Forschung und Praxis möglich gemacht haben. Die ersten Bemühungen, die Kulturlandschaftswandelkarte einzusetzen, beschränkten sich in den Jahren vor dem Regiobranding-Prozess auf klein- flächige Analysen. Eine davon, Glückstadt, erwies sich mit der Beschränkung Ulf Ickerodt Christian Weltecke auf das Stadtgebiet als zu kleinteilig. Erst die Arbeit in der im Forschungs- projekt definierten Fokusregion Steinburger Elbmarschen konnte das wirk- Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) liche Potenzial aufzeigen. Neben der zweifelsohne vorhandenen fachlichen Bedeutung stehen die Möglichkeiten der Planung sowie der Bürgerbeteili- gung. Letzteres zielt sowohl auf die partizipative Erarbeitung der Kulturland- schaftswandelkarte (-> S. 77) als auch ihre Bedeutung als Vermittlungswerk- zeug, um die Bürger beim Erhalt und bei der Entwicklung der Kulturland- schaft teilhaben zu lassen. 14 15

welche Aspekte der Kulturlandschaft durch Außenstehende wahrgenommen werden (können) und wie sich diese zu einer Marke weiterentwickeln lassen (»Branding nach außen«). Die Steinburger Elbmarsch ist eine von drei Fokusregionen, in denen die Projektansätze in die Praxis umgesetzt werden. Dabei besteht hier die Be- sonderheit, dass die Landschaft geprägt ist von einem System aus Deich- und Entwässerungsanlagen, grünen Wiesen mit Milchvieh- und Weidewirtschaft, einer traditionellen Hauslandschaft und nicht zuletzt von den hier lebenden Menschen mit ihrer gemeinsamen Geschichte vom »Leben mit dem Wasser«. Die vorliegende Broschüre greift einige der Ergebnisse des Projektes Re- giobranding auf, um sie der breiten Öffentlichkeit näher zu bringen. Dazu haben verschiedene Disziplinen sowie wissenschaftlich und praktisch Arbei- tende beigetragen. Sie geben einen anschaulichen Überblick über die Beson- Das Projekt REGIOBRANDING derheiten dieser Kulturlandschaft und die Stärken der Region. Branding von Stadt-Land-Regionen durch Kulturlandschaftscharakteristika

Jede Kulturlandschaft hat individuelle Qualitäten und erzählt mit ihren Daniela Kempa Sylvia Herrmann prägenden Landschaftselementen und Nutzungen eine eigene Geschichte. Damit trägt Kulturlandschaft zur Lebensqualität bei und hat wesentlichen Projektleitung Regiobranding Einfluss auf die regionale Identität und das Image der Region. Diese Poten- ziale von Kulturlandschaft für die Positionierung und Entwicklung von Re- gionen im Stadt-Land-Kontext werden häufig noch nicht ausgeschöpft. Es stellt sich also die Aufgabe, kulturlandschaftliche Qualitäten als Kapital einer Region in Wert zu setzen, die Bevölkerung für diese Werte zu sensibilisieren und damit auch ein besseres Gleichgewicht der ländlichen Räume zu den städtischen Zentren herzustellen. Diese Aufgabe hat sich das Projekt »Bran- ding von Stadt-Land-Regionen durch Kulturlandschaftscharakteristika« ge- stellt. Die Kulturlandschaft kann dabei unterschiedliche Dinge beinhalten. Landschaftselemente und Landnutzungen, archäologische Stätten und bau- liche Strukturen tragen ebenso zum Wert der Landschaft bei wie das Kultu- rerbe, die Tier- und Pflanzenwelt oder Erholungsbereiche. Das Projekt wird im Rahmen von FONA (Programm Forschung für Nachhaltigkeit) als »Transdisziplinäre Innovationsgruppe im nachhaltigen Landmanagement« vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die Innovationsgruppe setzt sich aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von Universitäten und Forschungseinrichtungen, Praxis- partnerinnen und -partnern aus Landkreisen, Fachbehörden und Vereinen sowie einem Planungsbüro an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis zusammen. Regiobranding betrachtet regionale Identitäten als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Marken in Regionen. Diese Identitäten sind in ländlich ge- prägten Regionen häufig mit der Kulturlandschaft verknüpft. Daher werden zunächst Besonderheiten der Kulturlandschaften in den Regionen herausge- arbeitet und anschließend geprüft, ob sie zum Selbstverständnis der Regio- nen beitragen und damit für ein regionales Branding dienen können. So soll einerseits die eigenständige Identität, die die Menschen in der Region ver- bindet, gestärkt werden (»Branding von innen«). Andererseits wird geprüft, 16 17

Leben und regionales Bauen in der Kulturlandschaft der Steinburger Elbmarschen

Ressourcen erkennen und entwickeln

Beate von Malottky

Zusammenfassung schlüsselwörter

Die regionale Baukultur der Steinburger Elbmarschen steht untrennbar Regionale Baukultur mit der Lage der Region unter dem Meeresspiegel in Verbindung. Die was- Historische Ortskerne serbautechnischen Herausforderungen, die ertragreiche Landwirtschaft Steinburger Elbmarschen auf den fruchtbaren Marschböden sowie der florierende Handel über die Hauslandschaft Wasserwege ließen ab dem Mittelalter spezifische Siedlungen mit einer be- Fachhallenhaus sonderen bäuerlichen Hauslandschaft und charakteristischen Ortskernen Barghus entstehen. Diese können bei zukünftigen Entwicklungen als identitätsstif- Entwässerung tende Ressourcen genutzt werden. Kulturdenkmale

Einleitung

Charakteristische Landschaften mit ihren historisch gewachsenen Landnutzungsformen sowie ihrer regionalen Baukultur sind wichtige Anker in unserer schnelllebigen, von stetigen Veränderungen geprägten Gesell- schaft. Sie geben Halt und Orientierung, prägen das Heimatbewusstsein und üben eine hohe Anziehungskraft auf Menschen aus. Im Wettbewerb der Ge- meinden, Städte und Regionen nehmen diese weichen Standortfaktoren eine immer wichtigere Rolle ein, da die Attraktivität einer Region sehr stark von ihrem Wohn-, Freizeit- und Erholungswert bestimmt wird. Aber stimmen auch die Bewohner einer Region dieser Aussage zu? Wie wichtig ist ihnen ihre landschaftliche und gebaute Umgebung eigentlich wirklich? Was nehmen sie wahr und was schätzen sie wert? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das transdisziplinär ausgerichtete For- schungsvorhaben Regiobranding des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in der Metropolregion Hamburg seit Ende 2014. Die Auswer- tung einer Haushaltsbefragung im Untersuchungsgebiet der Steinburger Elbmarschen ergab, dass den Menschen in erster Linie eine ›gesunde‹ Um- gebung sowie eine gesundheitliche Versorgung wichtig sind. Danach folgen gut ausgebaute Verkehrswege, Nahversorgungs- und öffentliche Verkehrsan- gebote auf gleicher Stufe mit landschaftlicher Schönheit und Naherholung. 18 beate von malottky leben und regionales bauen in der kulturlandschaft der steinburger elbmarschen 19

G Setzungen des weichen Marschbodens aufzunehmen. Auf den Reetwiesen wuchs das Schilf für die Dachdeckungen. Auch der Ton für die Herstellung von Backsteinen und Dachziegeln ist eine regionale Ressource. In Glückstadt hat sich die Tradition der Ziegelherstellung bis in die Ge- genwart erhalten. Die Bautätigkeit sowie die Architektur und baukünstleri- sche Ausstattung der unterschiedlichen Gebäude spiegeln das gesellschaft- liche Abbild der jeweiligen Epochen wider. So erzählen die repräsentativen Renaissance-Rathäuser in Wilster 6 und vom wirtschaftlichen Aufschwung der Marschsiedlungen im 16. Jh. infolge der europaweiten Han- delsbeziehungen. Die hohe Planmäßigkeit, mit der man bei der Besiedlung 1 Marktplatz in Glückstadt. der Elbmarschen vorging, lässt sich beispielhaft am radial auf den zentralen

Marktplatz ausgerichteten Stadtgrundriss der einstigen dänischen Festung 4 Marschlandschaft in der Gemeinde Neben den Bildungsmöglichkeiten spielen für die Bewohner der Fokusregion Glückstadt ablesen (-> S. 108). Wie bereits die Landesherren des Mittelalters mit den charakteristischen Grüppen zur Entwässerung der Felder im die nachbarschaftliche Gemeinschaft, aber auch die Produktion von und die warb auch der Stadtgründer Glückstadts, Christian IV (1577-1648), nieder- Vordergrund und der durch einen Deich Versorgung mit regionalen Produkten eine große Rolle. ländische Siedler an, die ihre technischen Fähigkeiten des Wasserbaus aus geschützten Siedlung im Hintergrund. Der regionalen Baukultur und Denkmalpflege wie auch den kulturellen ihrer Heimat beim Land- bzw. Stadtausbau einbrachten. Die mit der Entwäs- Angeboten, der Tradition und Geschichte wurden im Vergleich zu den oben serung verbundene spezifische Bauweise charakterisiert die gesamten Elb- genannten Themen eine eher untergeordnete Bedeutung beigemessen. In marschen. den gezielt geführten Interviews sowie bei den Akteuren, die sich aktiv im Die Industrialisierung und Motorisierung veränderten ab Mitte des Forschungsvorhaben beteiligten, erhielten diese Inhalte wiederum eine hö- 19. Jhs. das Bau- und Nutzungsgefüge der historischen Innenstädte sowie das here Priorität. Von den im Projekt Befragten wurden die historischen Orts- Landschaftsbild der Elbmarschen maßgeblich. Wohn-, Handels- und Gewer- kerne mit ihren Marktplätzen und Kirchen sowie die Geschichte Glückstadts beflächen wuchsen über die alten Stadtgrenzen hinaus. Unbefestigte Wege 1 als besondere Merkmale der Region herausgestellt. Aber auch die G Haus- wurden für den Verkehr ertüchtigt bzw. neue Verkehrsführungen angelegt. landschaft der Elbmarschen mit ihren zwei Bauernhaustypen, dem Fachhal- Als technische Errungenschaften dieser Zeit gelten der Bau der Marschbahn lenhaus 2 mit ursprünglicher Durchgangsdiele und dem Barghus, 3 das nur einschließlich ihrer Bahnhöfe sowie die Errichtung des Nord-Ostsee-Kanals in der Wilstermarsch beheimatet ist, wurden als charakteristisch und identi- (bis 1948 Kaiser-Wilhelm-Kanal), dessen Stahl-Fachwerkbrücken bis heute tätsstiftend benannt (-> S. 97). wichtige Landmarken in der flachen weiten Landschaft darstellen. 2 Fachhallenhaus in Herzhorn. Das regionale bauliche Erbe gibt über seine einzelnen Objekte Aufschluss Entstehung der regionalen Baukultur über die Entstehung und Entwicklung der jeweiligen Kulturlandschaft. Es er- innert an die Leistung der vergangenen Generationen. In engem Zusammenhang mit der besonderen Hauslandschaft der Elb- marschen steht die gemeinsame Entstehungsgeschichte der Marschsied- Aktuelle Herausforderungen 5 Pumpenhäuschen in Honigfleth bei lungen durch die systematische Entwässerung ab dem 12. Jahrhundert, die Wilster. das Landschaftsbild der Region unter dem Meeresspiegel geformt hat. 4 Die In Fortsetzung der oben beschriebenen Entwicklungen orientierten ›gebaute‹ Landschaft zeichnet sich in der höher gelegenen Krempermarsch sich die Stadtplanungen im 20. Jh. am wachsenden Bedarf der Verkehrsinfra- überwiegend durch Straßensiedlungen mit linearen Graben- und Feldstruk- strukturen. So wurden zum Beispiel große Gewerbeparks verkehrsoptimiert turen ab. In der tiefer gelegenen und erst ab dem 16. Jh. umfänglich erschlos- an den Stadträndern angesiedelt. Der Wunsch nach neuen Eigenheimen im senen Wilstermarsch prägen das Landschaftsbild besiedelte Warften in Grünen veranlasste die Gemeinden und Städte an den Ortsrändern Einfa- Einzellage. Beiderseitig der Stör und an der schützen Flussdeiche mit milienhausgebiete auszuweisen. Diese mit den Altstadtkernen konkurrieren- Sperrwerken, Schleusen und Pumpenhäusern 5 das Land und die Siedlun- den Funktions- und Investitionsverlagerungen sind bei zu hohem Ungleich- gen vor Sturmfluten und Binnenhochwasser (-> S. 117 und 129). gewicht eine der Ursachen für die dortigen Leerstände. Die geografischen, klimatischen aber auch die jeweiligen technischen Der technische Fortschritt, der einen hohen Grad an industrieller Vorferti- 3 Barghus in . Voraussetzungen führten in der Vergangenheit zu der regional spezifischen gung und weite Transportwege von Bauteilen ermöglicht, führte und führt in Ausprägung der Baukultur. Der fruchtbare Marschboden brachte die wirt- Zusammenhang mit der Globalisierung zu einer Vereinheitlichung der Archi- schaftlichen Voraussetzungen für die technisch aufwendige Landgewinnung tektur. Es kommt zu einem schleichenden Verlust regionaler Besonderheiten. ab dem Mittelalter. Aufgrund der eingeschränkten Verkehrs- und Transport- Zudem stellen der demografische Wandel, der Strukturwandel in der 6 Altes Rathaus und Marktkirche in Wilster. wege war man auf die in der Region verfügbaren Baumaterialen angewie- Landwirtschaft sowie die Energiewende die Bewohner und Nutzer des länd- sen. Das Holz für die Errichtung der Wohn- und Wirtschaftsgebäude wurde lichen Raumes aber auch die Politik seit geraumer Zeit vor große Herausfor- über die Wasserwege antransportiert. Durch das sogenannte Flößen erhielt derungen. Der Bevölkerungsrückgang führt zu einer Ausdünnung von Ver- das Baumaterial bereits eine natürliche Konservierung. Die hölzernen Fach- sorgungsangeboten wie Schulen, Kindergärten, Öffentlicher Personen- und hallen- und Bargkonstruktionen waren und sind bis heute in der Lage, die Nahverkehr (ÖPNV), ärztlicher Versorgung und Nahversorgung. Der Versor- 20 beate von malottky leben und regionales bauen in der kulturlandschaft der steinburger elbmarschen 21

gungsrückgang befördert wiederum die Abwanderung gerade von jungen Ausblick Menschen und Familien. Die Gemeinden müssen sich in der Folge mit Leer- ständen und mangelnden Perspektiven für die Nachnutzung unter anderem Der Dialog mit den Akteuren im Regiobranding-Prozess bestätigt ein kulturlandschafts- und stadtbildprägender Gebäude auseinandersetzen. großes Interesse an der Weiterentwicklung der historischen Ortskerne und Nicht nur die kleineren Gemeinden stehen an einem Scheideweg, auch die Marschsiedlungen unter Berücksichtigung ihrer charakteristischen Merk- Landwirte sehen sich mit der Frage konfrontiert, ob sie ihren Betrieb an die male. So wurde von den Beteiligten unter anderem angeregt, die besondere nachfolgende Generation weitergeben können. Im Zeitraum von 1999 bis 2016 bäuerliche Hauslandschaft in ihrem Fortbestand gezielt durch Beratungsan- hat sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe um ca. 30% reduziert. gebote und Nachnutzungskonzepte zu fördern. In diesem Zusammenhang Die Tendenz hin zu mehr Leistungsfähigkeit und Menge hat die traditionell kommt der fachlichen Auseinandersetzung mit dem § 35 Baugesetzbuch geprägten betrieblichen Strukturen überholt. Insbesondere die Bauernhöfe (BauGB) eine hohe Bedeutung zu, da ein Großteil der erhaltenswerten Hö- in der Wilstermarsch, deren Produktionsflächen aufgrund der naturräumli- fe im Außenbereich liegt. Der § 35 des BauGB schränkt das Neubauen und chen Voraussetzungen ein Betriebswachstum nur begrenzt zulassen, sind in Nachnutzen von Gebäuden im Außenbereich ein, um diesen vor Zersiedlung ihrer Existenz bedroht. 7 Setzt sich dieser Prozess fort, ist langfristig die seit der Landschaft zu schützen. In den historischen Siedlungen der Elbmar- mehreren Jahrhunderten kultivierte Landschaft unter dem Meeresspiegel mit schen, die im Außenbereich liegen, können diese gesetzlichen Vorschriften 9 -> S. 22-23 ihren von Gräben durchzogenen Weideflächen und der einzigartigen Haus- gegebenenfalls zu Konflikten bei Umnutzungen oder baulichen Erweite- landschaft in ihrem Bestand gefährdet. Für viele Landwirte stellt seit einigen rungen führen. Auf der anderen Seite schützt dieser Paragraph gerade die Jahren die Nutzung bzw. Verpachtung von Flächen zur Erzeugung von erneu- »erhaltenswerten und das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäude«, 7 Bargscheune in Stördorf kurz vor dem Abbruch. erbarer Energie eine wirtschaftliche Alternative dar. Die damit verbundene da er Abweichungen und Erleichterungen für deren Erhalt und Umnutzung Überformung der Kulturlandschaft 8 der flachen Elbmarschen ist allerdings vorsieht, der Bestandsschutz bei einem Abriss jedoch verloren geht. Die ge- umstritten und wird in den Gemeinden kontrovers diskutiert (-> S. 136). zielte Aufklärung über die bau- und planungsrechtlichen Grundlagen sowie die Nutzung der Spielräume können den Gebäudebesitzern oder etwaigen Erfassung und Vermittlung der regionalen Baukultur Interessenten wichtige Impulse für alternative Nutzungskonzepte geben. Vor dem Hintergrund der steigenden Mietpreise in Hamburg und der An dieser komplexen Ausgangslage setzt das Projekt Regiobranding flächendeckenden Breitbandversorgung ab 2018 eröffnen sich für den Kreis an. Durch eine breite Einbindung sowie einen intensiven Austausch in Foren, Steinburg als Teil der Metropolregion Hamburg in der Zukunft neue Wohn- Workshops und Arbeitstreffen werden die Menschen vor Ort angeregt, ihre und Arbeitsperspektiven. Diese Entwicklung kann mit dazu beitragen, neue Region mit den eigenen Augen zu sehen und das, was Ihnen wert ist, zu er- Nutzer und Bewohner für die regionaltypischen Gebäude der Hausland- kennen, zu erhalten und weiterzuentwickeln. (-> S. 77) Eine wichtige Voraus- schaft der Steinburger Elbmarschen zu finden. 10 -> S. 24-25 setzung für das Erkennen und die Gestaltung des Kulturlandschaftswandels Der ländliche Raum ist für Menschen attraktiv, die Natur, Platz für Ge- ist die Stärkung der Innen- und Außenwahrnehmung der Region durch die staltung und Individualität suchen. Er bietet den Menschen einen Rückzugs- Vermittlung ihrer besonderen Werte. Hierfür kann die Einführung des digi- raum, die dem hektischen Treiben der verkehrsbelasteten Metropolen ent- talen Kulturlandschaftskatasters KuLaDig in Schleswig-Holstein im Rahmen fliehen wollen. des Forschungsvorhabens einen wichtigen Beitrag leisten. Voraussetzung dafür ist, dass die Infrastrukturen des täglichen Bedarfs Ein weiteres Vermittlungswerkzeug stellt die Kulturlandschaftswandel- sowie eine gute Anbindung an die Städte und Metropolen vorgehalten wer- karte dar (-> S. 31, 49 und 59). Auf den vorliegenden Kartenausschnitten 9 den. Neben den Städten, Gemeinden und Ämtern im Kreisgebiet hat nicht zu- 8 Erneuerbare Energienutzungsformen und bis 11 der Städte Glückstadt, Krempe und Wilster sind die Siedlungsentwick- letzt auch die Kreisstadt in diesem Zusammenhang für die gesamte Hochleitungstrassen in der Kremper- marsch. lungen in drei Zeitebenen dargestellt. Auf den Kartengrundlagen ist exem- Region eine Verantwortung. Denn nur mit gut vernetzten, funktionsfähigen plarisch der bisher erfasste Bestand der Kulturdenkmale abgebildet. Die und attraktiven Ortszentren kann auch das Leben in den Marschsiedlungen Darstellungen tragen dazu bei, die räumliche und zeitliche Einordnung der oder in den Dörfern auf der Geest langfristig erhalten und entwickelt werden. denkmalgeschützten Gebäude und Anlagen in die Siedlungsstrukturen der Die regionale Baukultur einschließlich ihrer Kulturdenkmale kann maß- Elbmarschen zu verstehen. geblich zur Entwicklung der Region beitragen, wenn das Bewusstsein dafür Es wird deutlich, dass die Kulturdenkmale vorwiegend in den wenig über- noch stärker in die Öffentlichkeit transportiert wird. Bisher liegt dieses Po- 11 -> S. 26-27 formten Siedlungsbereichen liegen, deren Entstehung vor der preußischen tential noch etwas im Verborgenen. Aber wenn die Menschen vor Ort die Landesaufnahme von 1878 einzuordnen ist. Die Kulturlandschaftswandel- Notwendigkeit und die Möglichkeiten der Mitgestaltung ihrer Umwelt für karte kann in öffentlichen Planungsverfahren von den Gemeinden, Ämtern sich erkannt haben, können sie diese Ressourcen für eine hohe und nachhal- und Planungsbehörden herangezogen werden, um Entwicklungen unter tige Lebensqualität nutzen. Wahrung ihrer regional wertvollen Bausubstanz gezielt zu steuern und einen bewussteren Interessensausgleich zu gewährleisten. 22 beate von malottky leben und regionales bauen in der kulturlandschaft der steinburger elbmarschen 23

Glückstadt 1878-2015: Siedlungsgenese und Kulturdenkmale

9 24 beate von malottky leben und regionales bauen in der kulturlandschaft der steinburger elbmarschen 25

Krempe/ 1878-2015: Siedlungsgenese und Kulturdenkmale

10 26 beate von malottky leben und regionales bauen in der kulturlandschaft der steinburger elbmarschen 27

Wilster 1878-2015: Siedlungsgenese und Kulturdenkmale

11 28 beate von malottky leben und regionales bauen in der kulturlandschaft der steinburger elbmarschen 29

LIteraturverzeIchnIs aBBILdungsverzeIchnIs

Ickerodt, u. 2017 Ein fachübergreifendes Kulturlandschaftskataster und Managementinstrument für Schles- aBBILdungsnummer BILdnachWeIs wig-Holstein – Das Projekt Regiobranding und das Kulturlandschaftsportal KuLaDig. In: Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein (Hrsg.), Denkmalpflege braucht Subs- tanz. Beiträge zur Denkmalpflege in Schleswig-Holstein 6 (2017) 161-173. Abb. 1 Glückstadt Destination Management GmbH, Fotograf: Helm matLoch, J. / BL aumann, c. / Böhm, B. / Bevölkerungsbefragung zur Kulturlandschaft im Projekt Regiobranding – Beschreibende Abb. 2 und 3 Beate von Malottky FerrettI, m. / h errmann, s. / k empa, d. / Ergebnisse aus den Fokusregionen Lübeck-Nordwestmecklenburg, Steinburger Elbmarschen knaps, F. / Lange, L. / Lüder, I. / und Griese Gegend-Elbe-Wendland. schaFFert, m. / s chILLer, d. / s teFFen- Abb. 4 Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein hagen-koch, p. / Wenger, F. 2016

Abb. 5, 6, 7 und 8 Beate von Malottky statIstIsches amt Für hamBurg und Statistische Berichte. Kreisergebnisse der Agrarstrukturerhebung Schleswig-Holstein schLesWIg-hoLsteIn 2017 2016 zur Agrarstrukturerhebung. [Online] Verfügbar unter: https://www.statistik-nord.de/ fileadmin/Dokumente/Statistische_Berichte/landwirtschaft/C_IV_Teil_1_S_Bodennutzung_ Abb. 9, 10 und 11 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. Agrarstruktur/C_IV_ASE2016_SH_SK.pdf [Abgerufen am 07.11.2017]. © Auszug Denkmalkataster, Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein 2017. © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. © DTK25 (2008) 1:25000, GeoBasis-DE/L VermGeo S H (www.L VermGeoS H.schleswig-holstein.de). Kartendesign: AGIL, Thorsten Becker, Jana Frank (www.agil-online.de) 30 31

Werkzeug Kulturlandschaftswandelkarte

Management und Vermittlung historischer und aktueller Raumbezüge

Ulf Ickerodt / Christian Weltecke / Frank Andraschko / Thorsten Becker / Jana Frank

Zusammenfassung schlüsselwörter

Die Kulturlandschaftswandelkarte ist ein Werkzeug zur Analyse und Iden- Kulturlandschaftswandel tifikation historischer und moderner Raumstrukturen. Sie unterstützt Zeitscheiben Denkmalpflege und Raumplanung bei der Evaluierung persistenter und Denkmalschutz dynamischer Strukturen. Ein zentrales Schlüsselkonzept ist dabei die Iden- Raumplanung tifikation und Berücksichtigung von Entwicklungspfadabhängigkeiten. Vermittlung Diese Entwicklungspfadabhängigkeiten ermöglichen als normativ nutzba- res Bezugssystem auch den Interessenausgleich mit anderen Fachgebieten, wie dem Naturschutz. Daneben kann die Kulturlandschaftswandelkarte auch als öffentlichkeitswirksames Vermittlungswerkzeug von regionaler Geschichte genutzt werden.

Einleitung

Der Heraklit’sche Aphorismus πάντα ῥεῖ – alles fließt – ermöglicht ei- ne gute erste Annäherung an den häufig genutzten und fachlich dennoch schwer zu fassenden Begriff der Kulturlandschaft. Daneben steht ergänzend die Metapher des Palimpsestes. Palimpsest bezeichnet eigentlich antike oder mittelalterliche Manuskriptseiten, von denen der ursprüngliche Text oder Textteile entfernt wurden und die danach ein oder mehrmals überschrieben wurden. Hinzu kommt ein dritter Aspekt, der mit dem Begriff der Landschaft verbunden ist. Alexander von Humboldt (1769-1859) definiert Landschaft als Totalität aller Aspekte einer Region, wie sie vom Menschen wahrgenommen werden. Damit stehen drei Gesichtspunkte im Mittelpunkt, deren Berück- Glückstadt: historisch- sichtigung zentrale Eckpunkte eines nachhaltigen Kulturlandschaftsma- topografische Rekonstruktion nagements sind. Es geht – das Wort ist zugegebener Maßen sehr sperrig – um G Entwick- lungspfadabhängigkeiten, es geht um Relikte und andere persistente Struk- turen, die ehemalige Nutzung bezeugen, und es geht um die jeweils gegen- wärtige Wahrnehmung dieser Zusammenhänge, die über Nutzung, Erhalt oder Ausräumung entscheiden. Die Kulturlandschaftswandelkarte 1 ist das zentrale Werkzeug, über die diese Zusammenhänge nicht nur verdeutlicht werden, sondern über die Landschaftsentwicklung, -nutzung und touristi-

1 Die Kulturlandschaftswandelkarte am Beispiel Glückstadt: Die historisch-topografische Rekonstruktion beschreibt relative Geometrien und histo- rische Stadien der kulturlandschaftlichen Entwicklung in Form einer ›Landschaftsbiografie‹. 32 ulf ickerodt / christian weltecke / frank andraschko / thorsten becker / jana frank werkZeug kulturlandschaftswandelkarte 33

sche Inwertsetzung geplant werden können. Sie ist also Basis für die Entwick- mittelt werden. Diese umfassen insbesondere Verkehrsinfrastruktur, Acker- lung geeigneter, regional angepasster Managementkonzepte. Sie ermöglicht flächen und Siedlungsstrukturen. 2 Im Zuge der Auswertung werden die die Beteiligung der unterschiedlichen Sektoren, der Anwohner sowie ande- verschiedenen Kartenschnitte schließlich miteinander abgeglichen und ver- rer Akteure. Und nicht zuletzt stellt sie eine geeignete Diskussionsgrundlage deutlichen in der Analyse die Folgen von Raumwandel. bzw. ein geeignetes Vermittlungswerkzeug der sich in den lokalen und regio- Neben dem Ausbau der Infrastruktur zeichnen sich beispielsweise Indus- nalen Raumbezügen, Denkmalen und Kulturlandschaftsrelikten abzeichnen- trialisierungs- und Urbanisierungsprozesse sowie der Wandel in der Land- den Regionalgeschichte dar. wirtschaft ab. Zumeist stehen hinter den zu beobachtenden Veränderungen direkte oder indirekte dynamische Wirtschaftsansprüche. Aus Sicht eines Was soll erfasst werden? nachhaltigen Landmanagements und des Schutzes der historischen Kultur- landschaften wird dieser Wandel immer dann besonders in unser Bewusst- Jede Kulturlandschaft ist anders und hat individuelle Qualitäten und sein gerufen, wenn lieb gewonnene, also mit Emotionen aufgeladene Raum- Charakteristika. Über die sie prägenden Elemente und kennzeichnenden strukturen ›plötzlich‹ verschwinden. Unserer Wahrnehmung entgehen dabei Strukturen erzählt sie dem aufmerksamen Beobachter oder dem Kenner ih- allerdings zumeist die Räume, die außerhalb der Alltagsnutzung liegen. re Geschichte. Für den Bewohner, der vielleicht um die räumlichen Zusam- Dazu gehören zum Beispiel die Kulturlandschaften der Moore, die in der menhänge weiß, wird Landschaft bereits durch die alltägliche Nutzung zur älteren und jüngeren Vergangenheit immer wieder von land- oder forstwirt- Heimat. Sie stiftet also nicht nur Identität, sondern ist auch Ausdruck eines schaftlichen und sonstigen Nutzungsansprüchen, wie Torfabbau, Siedlungs- mit wirtschaftlichen und anderen Nutzungsansprüchen verbundenen regio- entwicklung oder Umbruch zu Ackerland, gefährdet und in ihrer Fläche und nalen Selbstverständnisses. Kulturlandschaft trägt so zur Lebensqualität bei. Funktion beschädigt oder völlig zerstört wurden. 3 Moore können auch als Allerdings sind diese Zusammenhänge nicht allen Akteuren, wie beispiels- Archivböden angesehen werden, die Informationen zur Kultur-, Landschafts- weise den Anwohnern oder Pendlern, gleichförmig bekannt. Auch reicht ein und Klimageschichte beinhalten. Aus Sicht des Natur- und Umweltschutzes nicht selten umfangreiches Faktenwissen um Einzelelemente nicht aus, um stellen sie zudem einen wichtigen CO2-Speicher und wertvollen Lebens- 2 -> S. 38 die eingangs skizzierten drei Wirkzusammenhänge richtig einzuschätzen raum für die nur darin lebenden Pflanzen- und Tierarten dar, die sich an die oder gar zu verstehen. Daher ist es wichtig, einen gemeinsamen Kenntnis- extremen Wasser- und Nährstoffhaushalte der Moore angepasst haben. Die stand herzustellen. Dieser ermöglicht es allen Interessierten, an der Weiter- wassergesättigten Torfböden besitzen darüber hinaus einzigartige Erhal- entwicklung der historischen Kulturlandschaften mitzuarbeiten. tungsbedingungen für organische Materialien, wie zum Beispiel Deutsch- Dazu müssen zwei verschiedene Aspekte verstanden werden. Neben dem lands zuletzt gefundene Moorleiche, das Mädchen »Moora« aus dem Uch- Wissen um Schutzgebiete, wie Natur- und Kulturdenkmale, Naturschutz- ter Moor in Niedersachen, uns vergegenwärtigt. Als reiche archäologische gebiete, Grabungsschutzgebiete usw., stehen die die Landschaft prägenden Fundplätze bieten (historisch intakte) Moore einen faszinierenden Einblick räumlichen Strukturen und Elemente. Das sind die vorhandenen histori- in unsere Geschichte von der nacheiszeitlichen Steinzeit bis ins vorindus- schen Ortskerne, landwirtschaftliche Strukturen sowie topografische Merk- trielle Zeitalter. Wenn sie von Landnutzungen verschont bleiben, stellen male. Sie schließen neben den Schutzgebieten und Denkmalen jedoch auch sie einen historisch bedeutsamen, naturnahen Landschaftsraum und iden- alle anderen persistenten Elemente und Strukturen mit ein. Um diese in ih- titätsstiftenden Bestandteil unserer norddeutschen Kulturlandschaft dar rem Landschaftsbezug bewerten zu können und ihre Bedeutung im räumli- (-> S. 80). chen G Wirkungsgefüge zu erkennen, müssen sie ebenso erfasst und einge- ordnet werden. Die Kulturlandschaftswandelkarte im Projekt Regiobranding

Hintergrund und Ziele Ausgehend von den beiden die jeweiligen Städte betreffenden Fallbeispie- len Glückstadt, Kreis Steinburg, und Meldorf, Kreis Dithmarschen, über die

Regionale Kulturlandschaftscharakteristika können Kernele- die Kulturlandschaftswandelkarte landesweit als Werkzeug für ein nachhal- 3 -> S. 38 mente lokaler, regionaler und überregionaler Markenbildung sein. Wie aber tiges Kulturlandschaftsmanagement auf Arbeitsebene ohne öffentliche Be- wird entschieden, was sich für eine Markenbildung eignet? Wer weiß, ob teiligung eingeführt wurde, wird im Rahmen des Projektes Regiobranding das vorhandene Potenzial wirklich ausgenutzt wird? Grundlage für ein ef- im Bereich der Steinburger Elbmarschen ein großflächiger Ansatz gewählt. fektives G Branding ist ein fachübergreifendes Wissen um die Qualitäten Diese Herausforderung stellt sich vor dem Hintergrund des Ausbaus der er- und Eigenschaften des jeweiligen Arbeitsgebietes. Um das Wissen über den neuerbaren Energien, welcher für die Elbmarschen prägend ist. Dank der Untersuchungsraum sowohl für fachliche als auch öffentliche Nutzerkreise Unterstützung durch das G Bundesministerium für Bildung und Forschung aufzubereiten, hat sich in der historischen Geographie die sogenannte Kul- (BMBF) kann dieser Ansatz, der ansonsten nicht realisierbar wäre, jetzt um- turlandschaftswandelkarte als ein Werkzeug entwickelt, das sich für die Vi- gesetzt werden. sualisierung der erhobenen Daten eignet. Somit ist in den Jahren 2016 und 2017 im fruchtbaren Zusammenwirken Da das primäre Ziel die Identifikation von persistenten Strukturen ist, mit dem Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein, dem Büro für an- müssen über die verschiedenen zur Verfügung stehenden historischen und gewandte Archäologie (AGIL) und dem Landkreis Steinburg eine entschei- modernen Kartenschnitte die spezifischen Raumnutzungsstrukturen er- dende Weiterentwicklung der Kulturlandschaftswandelkarte geglückt. Ihre 34 ulf ickerodt / christian weltecke / frank andraschko / thorsten becker / jana frank werkZeug kulturlandschaftswandelkarte 35

Werkzeugtauglichkeit kann im Rahmen des Forschungsprojekts mit seinen Zur Vereinheitlichung der unterschiedlichen Auflösungen der Karten- zahlreichen Projektpartnern auf seine Praxistauglichkeit und Übertragbar- werke und ihrer Inhalte erfolgt diese Analyse in einem Maßstab von 1:25.000 keit hin überprüft werden. und verwendet ein durch das Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein Ziel bleibt es, die Kulturlandschaftswandelkarte landesweit als Werkzeug festgelegtes Klassifikationssystem, welches erlaubt, historische und moder- für die Raumplanung und den Schutz von historischen Kulturlandschaften ne Strukturen in einer Datenbank zusammenzuführen. Das GIS ermöglicht zu etablieren. Neben den beiden erstgenannten Beispielen konnte noch wäh- anschließend, die verschiedenen zeitlichen Aufnahmen des Raumes zu rend der Projektlaufzeit die Übernahme dieses Werkzeugs durch das Stadt- vergleichen und ineinander gestaffelt darzustellen, sodass sowohl die Kul- planungsamt der Stadt Kiel erreicht werden (-> S. 49). Flankiert wird diese turlandschaftsgenese in ihrer Dynamik als auch deren Persistenz sichtbar Arbeit durch die Erforschung der für den Stadtteil namengebenden Festung wird. Hierdurch können einerseits Reliktzonen, andererseits aber auch dy- Friedrichsort im Rahmen einer Dissertation, die an der Universität Kiel be- namische Landschaftsbereiche identifiziert werden. Diese identifizierten treut wird. Inzwischen ist derzeit auch eine Masterarbeit an der Universität Räume werden mit den erfassten Natur- und Kulturdenkmalen, Orten von Hamburg in Arbeit, die den kulturlandschaftlichen Wandel um das Brenner- lokaler oder regionaler Bedeutung sowie mit bestehenden Schutzflächen moor bei Bad Oldesloe untersucht. verschnitten. Mittelfristiges Ziel ist es, den Landschaftswandel in einheitlicher Quali- Methodik tät über einen möglichst langen Zeitraum zu erfassen und diese Qualität mit Hilfe des festen Klassifikationssystems und fachlicher Expertise zu gewähr- 7 -> S. 39 4 -> S. 40-41 Die Entwicklung und Aufbereitung des Werkzeugs »Kulturlandschaftswan- leisten. Zugleich muss dieses System jedoch die Fähigkeit zur Erweiterung delkarte« ist mit den Namen Peter Burggraaff und Klaus-Dieter Kleefeld ver- und flexiblen Übersetzung in andere Bezugssysteme besitzen, um ein nach- bunden. Anhand der Auswertung von historischen und modernen Karten wer- haltiges und für die Öffentlichkeit zugängliches Werkzeug darzustellen. den die unterschiedlichen Landschaftsnutzungen einer Region ermittelt und in einer Kulturlandschaftsanalyse aufbereitet. Dies geschieht über den Ver- Darstellung von dynamischen und persistenten schnitt der unterschiedlichen, in den Kartenblättern erfassten Zeitscheiben. Kulturlandschaftscharakteristika Für die Analyse des Wandels der Steinburger Elbmarschen wurden hier- bei die digitalisierten Karten der Landesaufnahme des Herzogtums Holstein, Wie im Vorangegangenen bereits beispielhaft an der Entwicklung von die sogenannte Varendorfsche Karte von 1796, im Blattschnitt um Glückstadt, Siedlungs- und Moorflächen vorgestellt, ermöglicht die Kulturlandschafts- die Preußische Landesaufnahme von 1878 4 und deren Folgewerk, die Topo- wandelkarte einen Einblick in die Entwicklung verschiedenster Raumele- graphische Karte von 1925 5 verwendet. Dem gegenüber steht aktuelles Kar- mente und -strukturen. Die Stärke dieses Werkzeugs liegt hierbei in der Iden- tenmaterial, welches die moderne Digitale Topographische Karte (DTK) und tifizierung von langfristigen Entwicklungslinien, da die erfassten Inhalte in 6 5 -> S. 42-43 das Digitale Landschaftsmodell (DLM) der Jahre 2008 bis 2015 umfasst. Mit direkter Abhängigkeit zum verfügbaren und aufbereiteten Kartenmaterial Hilfe eines computergestützten Geoinformationssystems (GIS) können die in stehen. Im Kern geht es hier um die interpretierende Auswertung von his- diesen Karten verzeichneten Landschafts- und Flächennutzungsstrukturen torischen Geoinformationen, wie sie in den unterschiedlichen Karten zum quantitativ und qualitativ analysiert werden. Untersucht werden unter ande- Herstellungszeitpunkt festgelegt wurden. rem das Straßen- und Wegenetz, die Siedlungsstrukturen und Einzelelemente, Dabei gilt es verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. So müssen die wie Gebäude und deren Funktion – sofern verzeichnet – dazu landwirtschaft- gleichen Kulturlandschaftsausschnitte, die in den Karten unterschiedlichen liche Nutzflächen, wie Ackerland, Grünland und Forstbestände, sowie Moore Datums unverändert erscheinen, nicht zwangsläufig auch persistent sein. und Wasserflächen. Es ist durchaus möglich, dass Veränderungen auf Grund der jeweiligen Er- Besondere Herausforderungen ergeben sich hierbei durch die teils feh- fassungsschärfe nur nicht ersichtlich sind. Auch können zufällig gleich aus- lende Nordausrichtung und mangelnde Strecken- und Winkeltreue der sehende oder nach einer nicht durchdachten Systematik erfasste Elemente ältesten historischen Karten sowie durch die abweichenden Erfassungs- und Strukturen eine gleiche oder scheinbar gleiche Klassifikation erhalten, standards und -kriterien der darin dargestellten Elemente und Strukturen die deren reales Verhältnis allerdings eher verschleiert, als das sie es erklärt. im Vergleich zu den heutigen Karten und Daten. 7 Auch weisen manche Unwahrscheinlich oder vernachlässigbar sind derlei zu unterstellende 6 -> S. 44-45 Kulturlandschaftselemente heute eine solche Dynamik auf, dass auch mo- Veränderungen, wenn die untersuchten Elemente auch in ihrem ersicht- dernste Karten lediglich als Abbild ihres jeweiligen Datenerfassungsstandes lichen Gesamtkontext und dem der umliegenden Elemente als persistent verstanden werden können. Die digitalen topographischen Karten, Luft- erscheinen. Um die Kulturlandschaftsanalyse in solchen Fällen fachlich ab- bildaufnahmen und Landschaftsmodelle der Jahre 2008 bis 2015 zeigen bei- zusichern, können weitere quantitative und qualitative Informationen her- spielsweise hinsichtlich der Verteilung von Acker- und Grünlandflächen im angezogen werden. Bereich der Wilster und Kremper Marsch im Detail starke Abweichungen Beispielsweise erweitert die Einbindung eines hochauflösenden digitalen zueinander. So ist zur Aufbereitung der Daten in der Analyse ein kleinster Geländemodells die Analysemöglichkeiten der Kulturlandschaftswandelkar- gemeinsamer Nenner zu finden. te erheblich. Neben der Kontextualisierung von Kulturlandschaftselementen 36 ulf ickerodt / christian weltecke / frank andraschko / thorsten becker / jana frank werkZeug kulturlandschaftswandelkarte 37

mit Hilfe von topographischen Informationen, wie Höhen und Niederungen, system »Kultur. Landschaft. Digital« (www.kuladig.de). Dieses Portal wird ist es möglich, durch die Berechnung eines steilen Lichteinfalls auch kleine, bereits sehr erfolgreich vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) für die systematische Höhenunterschiede und damit selbst kleinteilige oder flache fach- und ämterübergreifende sowie bürgerbeteiligende Erfassung, Samm- Landnutzungsmuster herauszuarbeiten, wie sie die Entwässerungssysteme lung und Vermittlung von Daten zu Besonderheiten und Strukturen unse- der Elbmarschen darstellen. Auf Grundlage des Geländemodells können die rer sich stetig wandelnden Kulturlandschaften verwendet. Neben Nord- kleinen, engmaschigen Entwässerungsgräben in den landwirtschaftlichen rhein-Westfalen nutzen auch Hessen und Institutionen in Rheinland-Pfalz Nutzflächen der Marsch, sogenannte »Grüppen«, visualisiert und hinsicht- die Plattform. Daneben gibt es Kooperationen und Vernetzungen mit Hei- lich Verteilung und Zustand analysiert werden. 8 Diese Strukturen sind matverbänden, Museen, Bildungs- und sonstigen Kultureinrichtungen. In wiederum in den historischen Karten der Preußischen Landesaufnahme Schleswig-Holstein laufen bereits Unternehmungen zur Einführung. Eben- verzeichnet und stehen im Zusammenhang mit der Geländehöhe und Flä- so ist die Zusammenarbeit mit weiteren Bundesländern und Kooperations- chennutzung. Die Persistenz der Grüppen liegt nicht in ihrer Objektintegri- partnern geplant. tät, sondern in ihrer Nutzungskontinuität. Das bedeutet, dass die heutigen Grüppen nur strukturell identisch mit den historischen Vorgängern sind, da der für das 19. Jh. kartografisch belegte Zustand bereits durch Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen regelmä ßig verändert wurde. Die sich hieraus erge- bende Erneuerung ist allerdings notwendig, um die Funktionalität des Ent- wässerungssystems zu erhalten. 8 -> S. 39 Ein weiteres Beispiel räumlich-struktureller Kontinuität sind die Verläufe von Straßen und Kanälen, die mit Hilfe von historischen Eindeichungskar- ten in ihrer Genese kontextualisiert werden können, zumal sie auch heute noch häufig den topographischen oder in Mittelalter und Neuzeit künstlich erzeugten topografischen Gegebenheiten folgen (-> S. 96).

Nachhaltigkeit und Nutzung

Mit der multitemporalen Kulturlandschaftsanalyse werden die vom Wandel tendenziell unbeeinflussten, persistenten Strukturen visualisiert. Dies sind meist solche Bereiche, die wirtschaftlich wenig bis kaum ge- nutzt werden. Sie werden als besonders authentisch wahrgenommen, da sie heute verloren geglaubte Entwicklungsstadien widerzuspiegeln schei- nen. Ihre Qualität ergibt sich gewissermaßen aus der Polarität von ›Ver- gangenheit‹ zur durch moderne Urbanisierung und Infrastruktur gepräg- ten ›Gegenwart‹. 9 Sie können insbesondere als für Tourismus und andere Aktivitäten zu erschließendes Potenzial angesehen werden und damit neue, bisher nicht gesehene Aspekte zur Markenbildung und Daseinsfürsorge beisteuern. Damit bietet die Kulturlandschaftswandelkarte neben ihrer denkmalpflegerisch-qualifizierenden Fähigkeit ein konkretes Hilfsmittel für touristische und raumbezogene Planungsprozesse. Sie wird im Projekt Regiobranding als Vermittlungs- und Steuerungsmedium eingesetzt. Hierdurch trägt sie zur Verbesserung der regionalen Wertschöpfung bei: Neue Themen können schneller identifiziert und beispielsweise mit Förder- mitteln für Regionalentwicklung für Besucher und Nutzer zielgerichtet in Wert gesetzt und vermarktet werden. Darüber hinaus kann die Kulturland- schaftswandelkarte für die Besucherlenkung genutzt werden. Diese ist not- wendig, um der regionalen oder lokalen Zentrierung auf besondere Attrak- tionen, wie z.B. Glückstadt, vorzubeugen und andere, bisher nicht berück- sichtigte kulturlandschaftliche Werte besser hervorzuheben oder zu nutzen (-> S. 161, Tab. 2). Die Ergebnisse und das Werkzeug der Kulturlandschaftswandelkarte der

Steinburger Elbmarschen sollen nicht nur im Rahmen dieser Publikation 9 Ein Fluchthügel für das Vieh bei Sturmflut in Kolmar. Während diese in den historischen Karten in überflutungsgefährdeten Bereichen des Deich- zugänglich gemacht werden, sondern auch digital über das Informations- vor- und Hinterlands noch zahlreich verzeichnet sind, finden sie sich heute vergleichsweise selten in den Steinburger Elbmarschen. 38 ulf ickerodt / christian weltecke / frank andraschko / thorsten becker / jana frank werkZeug kulturlandschaftswandelkarte 39

Siedlungsentwicklung 1878-2015

2 Raumwandel im Beispiel: Die Entwicklung von Siedlungsflächen in den Zeitscheiben 1878, 1925 und 2015. 7 Die Varendorfsche Karte von 1796 im Ausschnitt um Neuenbrook. Selbst nach Entzerrung der historischen Karte ist diese nicht deckungsgleich mit modernen Kartenwerken.

Verlust von Mooren 1878-2015 Erhaltung von Grüppen

3 Noch vor 130 Jahren waren die Moorflächen bei Vaalerfeld, Kleve, und deutlich größer als heute. Ausgehend von 3212 ha im 8 Die Intensität und Gleichförmigkeit der Schattierung gibt Hinweise auf das Vorhandensein und den Zustand von systematisch angelegten Ent - Jahre 1878 sind 2015 nur noch 244 ha Moorflächen innerhalb der Fokusregion erhalten. Das entspricht einem Verlust von 92,4 %. wässerungsgräben. Zu erkennen sind gut ausgeprägte (dunkelrot) und nur noch schwach ausgeprägte (hellrot) Grüppen. 40 ulf ickerodt / christian weltecke / frank andraschko / thorsten becker / jana frank werkZeug kulturlandschaftswandelkarte 41

Wilster und Umland um 1878

4 42 ulf ickerodt / christian weltecke / frank andraschko / thorsten becker / jana frank werkZeug kulturlandschaftswandelkarte 43

Wilster und Umland um 1925

5 44 ulf ickerodt / christian weltecke / frank andraschko / thorsten becker / jana frank werkZeug kulturlandschaftswandelkarte 45

Wilster und Umland um 2015

6 46 ulf ickerodt / christian weltecke / frank andraschko / thorsten becker / jana frank werkZeug kulturlandschaftswandelkarte 47

LIteraturverzeIchnIs aBBILdungsverzeIchnIs

BurggraaFF, p 1988 Die Bedeutung alter Karten im Tätigkeitsbereich der Angewandten Historischen Geographie. aBBILdungsnummer BILdnachWeIs Auswertung und Erschließung historischer Landkarten. Archivberatungsstelle Rheinland, Archivheft 18 (1988) 175-202. Abb. 1 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. humBoLdt, a. von 1845-1862 Kosmos, Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. 5 Bände. Stuttgart-Tübingen. © DTK25 (2008) 1:25000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). (Nachdruck: hrsg. von Ottmar Ette und Oliver Lubrich. Frankfurt/Main 2004). Bearbeiterin: C. Mandok, ALSH 2012.

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Abb. 7 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. © Topographisch Militärische Charte des Herzogtums Holstein (1789-1796), GeoBasis-DE/ LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Kartendesign: © AGIL, Thorsten Becker.

Abb. 8 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. © Digitales Geländemodell (DGM2), GeoBasis-DE/LVermGeo SH. © DTK25 (2008) 1:25000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Kartendesign: AGIL, Thorsten Becker, Jana Frank (www.agil-online.de)

Abb. 9 F. Andraschko 48 49

Die Kulturlandschaftswandelkarte in der Anwendung

Das Praxisbeispiel Festung Friedrichsort mit Alt-Friedrichsort

Barbara Westendorf / Bernward Völmicke / Mathias Wiegert

Festung Friedrichsort Zusammenfassung schlüsselwörter mit Alt- Friedrichsort Als denkmalpflegerische Bewertungsgrundlage ist die Kulturlandschafts- Kiel wandelkarte mit ihrem historisch abgesicherten Bezugssystem eine ge- Festung Friedrichsort eignete Grundlage für die weitere fachübergreifende Planung. Sie wurde Alt-Friedrichsort im Rahmen der Vorbereitenden Untersuchung »Festung Friedrichsort mit Vorbereitende Untersuchung Alt-Friedrichsort« von der Stadt Kiel eingesetzt und liefert einen Über- Seefestung blick über Substanz und Strukturen, die von der Anlage und geschichtli- Stadtplanung chen Entwicklung des Stadtteils Alt-Friedrichsort mit der Festung Fried- Stadtentwicklungsprojekt richsort zeugen und bis heute vor Ort ablesbar sind. Hierdurch besteht für Landnutzungskarte die Stadtplanung die Möglichkeit, die verschiedenen Fachaspekte (Natur- Kulturlandschaftswandelkarte schutz, Küstenschutz, Denkmalschutz, Verkehrsplanung, Ökonomie usw.) in Relation zur historischen Genese des Untersuchungsgebiets zu setzen.

Einleitung

Im Norden des Kieler Stadtgebietes, an der engsten Stelle der Kieler För- de, befindet sich der Stadtteil Friedrichsort. 1 Diese strategische Lage ver- anlasste den dänischen König Christian IV hier ab 1631 eine Seefestung, die Festung Friedrichsort, zu bauen (-> S. 107). Nach dem Ende des deutsch-dänischen Krieges 1864 ging das zuvor ›däni- sche‹ Territorium an die Preußen über. Um die ehemals dänische Festung he- rum entwickelte sich zu dieser Zeit die Ortslage Alt-Friedrichsort. Es ist die Geburtsstunde eines militärisch- industriell geprägten Standorts. Wälle und Gräben der Festung standen nach dem Zweiten Weltkrieg als Entwicklungs- fläche für die Industrie zur Verfügung. Entsprechend fanden dort flächenhaf- te Ausdehnungen der industriellen Nutzung statt. Diese Expansion sorgte für

erhebliche Eingriffe in das Ensemble, so dass sich heute die Festung Fried- 2 Luftbild Festung Friedrichsort 2002. richsort 2 nur noch als Rudiment vergangener Zeiten zeigt. Eine öffentliche Nutzung erfährt die Festung derzeit nicht. Sie ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Dennoch ist die Festung ein bedeutendes Kulturdenkmal Schles- wig-Holsteins und zugleich Identitäts- und Geschichtsträger Kiels und der Förderegion. 1 Übersichtsplan mit Untersuchungsraum.

STADTPLANUNGSAMT Übersichtsplan 50 barbara westendorf / bernward völmicke / mathias wiegert die kulturlandschaftswandelkarte in der anwendung 51

Auch die einst prosperierende Industrie setzt sich heute mit den struktu- Überlieferungssituation in Landnutzungskarten dargestellt worden. Der Fo- rellen Herausforderungen des Standorts auseinander; Gebäude stehen zum kus lag auf den Zeitphasen, die für den Untersuchungsraum nennenswerte Teil leer. Neben den erheblichen strukturellen Veränderungen sowie den bauliche und strukturelle Veränderungen zur Folge hatten. fehlenden funktionalen Beziehungen in diesem Gebiet veranlasste dies die Entstanden sind vier Landnutzungskarten 4 bis 7 , anhand derer die Landeshauptstadt Kiel 2015 Vorbereitende Untersuchungen (VU) nach dem kulturlandschaftliche Entwicklung der Ortslage Alt-Friedrichsort zusam- Baugesetzbuch (BauGB) einzuleiten. Mit der VU sollen Beurteilungsgrund- men mit der Festung Friedrichsort beschreibbar ist. Kartiert wurden die lagen über die Notwendigkeit, Ziele und Durchführbarkeit einer Sanierung Land- bzw. Flächennutzungen der Zeit um das Jahr 1800 (Dänische Zeit), um sowie die sozialen, strukturellen und städtebaulichen Verhältnisse und Zu- das Jahr 1900 (Preußisch-Wilhelminische Zeit), um das Jahr 1935 (Weimarer sammenhänge gewonnen werden. Die VU bietet die Chance, die verschie- Republik-Drittes Reich) sowie der Nachkriegszeit bis 2016 (Nachkriegs- denen geschichtlichen Zeitschnitte‚ aufzuzeigen und daraus abgeleitet eine zeit-Gegenwart). Die Ermittlung der Landnutzung in den jeweiligen Zeitpha- Perspektive für diesen Stadtteil zu benennen. Die Geschichte des Gebiets soll sen dient als Voraussetzung für die Erstellung der Kulturlandschaftswandel- 4 -> S. 54 dabei unter Berücksichtigung der historischen Qualitäten sowie der denk- karte 1800-2016. 3 malpflegerischen Ziele in seiner räumlichen und baulichen Struktur und den Angewandt wurden dabei die in der Historischen Geografie entwickelte prägenden Elementen erkenn- und erfahrbar bleiben. Die Bearbeitung der Methoden zur historischen Kulturlandschaftsanalyse (-> S. 34), die jedoch VU erfolgt durch das Stadtentwicklungsbüro S.T.E.R.N. (Berlin). eigentlich auf größere Landschaftsausschnitte und den ländlichen Raum Vor diesem Hintergrund beauftragte die Landeshauptstadt Kiel in en- zugeschnitten sind. Beim Übertrag der Methoden auf ein Stadtviertel wie ger Abstimmung mit dem Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein Friedrichsort zeigte sich, dass der methodische Ansatz funktioniert, aber (ALSH) und dem Landesamt für Denkmalpflege (LD) als einen Fachbaustein auch neue Fragen aufwirft: der VU das Gutachterbüro Arcontor Projekt GmbH mit der Erstellung ei- So ist die Quellenlage umfangreicher und vielseitiger. Auch die Verände- ner Kulturlandschaftswandelkarte. Ziel ist es, Hinweise auf besonders aus rungen im Kartenbild und der Nutzungswandel sind feinteiliger und stetiger 3 -> S. 53 archäologischer, kulturhistorischer sowie bau- und kunstdenkmalpflegeri- zu verfolgen, ohne dass jede einzelne Veränderung für sich genommen eine scher Sicht schützenswerte Bereiche zu erhalten um somit die lokalen Cha- neue Entwicklung bedeutet. Die Festlegung einer Zeitphase orientiert sich rakteristika des Gebietes besser herausarbeiten zu können. deshalb an Zäsuren der lokalen oder überregionalen Geschichte, die sich Als gesamtdenkmalpflegerische Bewertungsgrundlage ist die Kulturland- nennenswert baulich niederschlagen. 5 -> S. 54 schaftswandelkarte hierbei mit ihrem historisch abgesicherten Bezugsys- Im Kartenbild ist außerdem das kulturlandschaftliche ›Inventar‹ auf- tem eine geeignete Grundlage für die weitere fachübergreifende Planung. Es grund des großen Maßstabes (z. B. 1:500 bzw. 1:1.000) nicht wie üblich durch besteht hierdurch für die Stadtplanung die Möglichkeit, die verschiedenen Linien-, Punkt-, und Flächenelemente, sondern allein durch Flächen wieder- Fachaspekte (Naturschutz, Küstenschutz, Denkmalschutz, Verkehrsplanung, zugeben. Dies beinhaltet: Gebäude und nicht bebaute Flächen ebenso wie Ökonomie usw.) in Relation zur historischen Genese des Untersuchungsge- Straßen, Wege, Alleen, Denkmale, aber auch Stützmauern, Zaunanlagen usw. biets zu setzen. Um aus unterschiedlichen Quellen und Informationsständen ein auswertba- Der Untersuchungsraum »Festung Friedrichsort/ Alt-Friedrichsort« 1 res Kartenbild mit Bezug auf den Wandel der militärisch und industriell ge- ist im August 2015 durch das damalige Ministerium für Inneres und Bun- prägten, urbanen historischen Kulturlandschaft zu erzielen, waren im Detail desangelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein in das Städtebauförde- Vereinfachungen vorzunehmen. Ein Beispiel dafür ist der Übertrag der Funk- rungsprogramm »Städtebaulicher Denkmalschutz« aufgenommen worden. tion eines Gebäudes auf die jeweilige Nutzungsart einer Grundstücksfläche. Sowohl die VU gesamt als auch deren Fachbaustein der Kulturlandschafts- Wurde demzufolge ein Gebäude durch Militär errichtet und entsprechend wandelkarte werden mit Mitteln aus dem Städtebauförderungsprogramm genutzt, ist auch dem Grundstück die Nutzung ›Militär‹ zugewiesen worden. gefördert. Änderte sich die Nutzung in einer späteren Zeitphase, so wurde für dieselben 6 -> S. 55 Geometrien z. B. die Nutzung ›Industrie- und Gewerbefläche‘ eingetragen. Die Kulturlandschaftswandelkarte Festung Friedrichsort Während die kulturlandschaftliche Entwicklung zunächst von den ältes- mit Alt-Friedrichsort – Methodik und Kartenbilder ten historischen Quellen und der zugrunde liegenden Topographie ( G Höft- land) bis in die Gegenwart hinein analysiert wurde, entstanden Kartenbild Die Kulturlandschaftswandelkarte erlaubt als Planungsinst- und Datenbank erst im Zuge einer vergleichenden Auswertung der Quellen rument zunächst einen kartographischen und damit schnell zugänglichen in umgekehrter Reihenfolge, d. h. ausgehend von den georeferenzierten Geo- Überblick über Substanz und Strukturen, die von der Anlage und geschicht- metrien der Gegenwart bis zurück in die älteste, durch Zeugnisse greifbare lichen Entwicklung des Stadtteils Alt-Friedrichsort mit der Festung Fried- Zeitphase. richsort zeugen und bis heute vor Ort ablesbar sind. Dabei ist die Kartierung das Ergebnis einer umfangreichen Datenerhebung, die raumbezogen in ei- nem Geoinformationssystem (GIS) hinterlegt ist. Auf der Grundlage historischer Quellen (Pläne, historische Karten, Fo-

tos, Schriftquellen usw.) und der Ereignisgeschichte sind dafür zunächst die 7 -> S. 55 wesentlichen Zeitphasen herausgearbeitet und losgelöst von der späteren 52 barbara westendorf / bernward völmicke / mathias wiegert die kulturlandschaftswandelkarte in der anwendung 53

Räumliche Gliederung des Untersuchungsraums in den 1980er Jahren Parkplätzen gewichen ist. Das Geländeniveau lässt hier annehmen, dass die Grundrisse als archäologisches Kulturdenkmal erhalten Hinsichtlich der Landnutzung sind vier wesentliche Bereiche zu un- geblieben sind. terscheiden, die sich in Friedrichsort herausgebildet haben, sich bis heute ge- Ebenfalls deutlicher als die Kulturlandschaftswandelkarte selbst zeigen genseitig bedingen und beeinflussen: die Festung Friedrichsort, das einstige die Landnutzungskarten, wie sich das Industrie- und Gewerbegebiet zwi- Kasernen- und heutige Wohnviertel sowie das Industrie- und Gewerbegebiet. schen Festung und ehemaligem Kasernenstandort zunächst in den 1930er Hinzukommt als vierter Bereich der Strand bzw. die Uferlinie mit Uferbefes- Jahren in den unbebauten Norden ausweitet und dann zunehmend gegen- tigungen, Anlegestellen und Leuchtturminsel. Ihrer Entstehung nach erfüll- über Festung und historischem Kasernenviertel an Bedeutung und Fläche ten sie unterschiedliche Funktionen für den Festungs- und Marinestandort gewinnt. Friedrichsort. Hier waren die vorhandenen Baulichkeiten neben den Kriegs- und unmit- Durch den Bedeutungsverlust von militärischer Festung und Kasernen- telbaren Nachkriegseinwirkungen vor allem den modernen Überformungen viertel auf der einen und den Flächen- und Geheimhaltungsbedarf von In- in der jüngsten Zeitphase ausgesetzt. Die militärische Nutzung der Festung dustrie und Militäreinrichtungen auf der anderen Seite hat sich im Laufe der blieb seit den 1950er Jahren auf den südlichen Bereich beschränkt. Westlich Jahrzehnte eine Trennung manifestiert, die inzwischen in zahlreichen struk- und nördlich der Festung zeigt die Kulturlandschaftswandelkarte eine star- turellen Barrieren innerhalb des Plangebietes ihren Ausdruck findet. ke Ausweitung des industriellen Geländes in die Landschaft und in noch vorhandene historische Bau- und Siedlungsstrukturen hinein. So wurde seit Zeitschnitte den 1960er Jahren das Industriegelände konsequent bis unmittelbar an die Festung herangeführt und die Teilzerstörung von Fortifikationen hingenom- Die älteste sichtbare Spur in die Vergangenheit ist bis heute durch die men. Noch heute sind Areale im nördlichen Teil der Festung fremdgenutzt Seefestung »Friedrichsort« mit ihrem Ursprung im 17. Jh. gegeben. Trotz und trotz denkmalpflegerischer Unterschutzstellung gefährdet. Dies gilt späterer Um- und Ausbauten des 19. und 20. Jhs. lässt sie im Kern noch im- insbesondere für Bereiche im nördlichen Festungsvorfeld oder im Festungs- mer die Strukturen der dänischen Zeit erkennen. Sie wird gegenwärtig nicht bereich selbst, deren archäologisches und baugeschichtliches Potenzial teils unmittelbar mit dieser Zeit verbunden, bildet aber den Ausgangspunkt der im Erdreich und teils obertägig noch vorhanden ist. Entwicklung Friedrichsorts und ist darüber hinaus festungsbaugeschicht- lich bedeutend und einzigartig. Neben der Festung selbst und vereinzelten Bereichen der erweiterten Fortifikation zählt der Garnisonsfriedhof auf den Sanderhöhen, im Kern ebenfalls aus der Mitte des 17. Jhs., zu den ältesten historischen ›Hotspots‹ in Alt-Friedrichsort. Das heutige Erscheinungsbild von Friedrichsort ist ohne Zweifel geprägt durch die großflächige Aufschließung als Kasernenstandort im 19. Jh., denen umfangreiche Angleichungen des Geländes vorausgegangen sind. Die syste- matisch im rechten Winkel angelegten, teilweise noch mit Kopfsteinpflaster befestigten Straßen zeugen ebenso davon, wie die Parzellierungen und vor- rangig nach ihrer Funktion angelegten und ausgerichteten Gebäude, die zum Teil unter Denkmalschutz stehen. Erkennbar ist bis heute, dass sie keine ge- schlossene Häuserzeile bilden, wie sie von Wohnvierteln der Zeit bekannt ist (»Gründerzeitviertel«). Vor dem Hintergrund der neuen Anforderungen an einen Marinestandort und veränderte Waffentechnik waren Funktionen aus dem begrenzten Raum der einstigen Befestigung auszulagern und das militärische Gelände auszuweiten. Über die schachbrettartig angeordneten Straßenzüge hinaus bewahren

die am südlichen Skagerrakufer erhaltenen Dienstwohngebäude, Villen und 3 Kulturlandschaftswandelkarte 1800- das ehemalige Marine-Lazarett zusammen mit den ufernahen Alleen und 2016 von Alt-Friedrichsort

gepflasterten schmalen Straßen den Charakter eines preußisch-wilhelmini- Zeitschnitt 1: um 1800 schen Marinestandortes. Was die Landnutzungskarten als analytische Vorarbeiten, nicht aber die Zeitschnitt 2: um 1900 Kulturlandschaftswandelkarte als Auswertung zeigen kann, sind neben klei- Zeitschnitt 3: um 1935

neren die beiden großen Fehlstellen in der Überlieferung der Erstanlage des Zeitschnitt 4: überwie- 19. Jhs.: die 1977 abgerissene »Admiral-Scheer-Kaserne«, die mit ihrer reprä- gend geprägt durch Nachkriegszeit und sentativen Fassade das gesamte Südufer dominierte und die Parzellen zwi- Gegenwart schen Hermann-Siemens-Straße und Falckensteiner Straße, deren Bebauung 54 barbara westendorf / bernward völmicke / mathias wiegert die kulturlandschaftswandelkarte in der anwendung 55

4 Landnutzungskarte Festung Friedrichsort mit Alt-Friedrichsort um 1800. Rekonstruktion des Naturraums und Übertrag historischer Quellen zur 6 Landnutzungskarte Festung Friedrichsort mit Alt-Friedrichsort um 1935. Die Landnutzung spiegelt die (zwischenzeitliche) Demilitarisierung Landnutzung in Dänischer Zeit im Untersuchungsraum (Festung, Friedhof, Gärten, Wege, Uferbefestigung). des Marinestandorts gemäß Versailler Vertrag wieder. Markant ist die Umnutzung der vormaligen Marineeinrichtungen mit Werkstätten des Reichskriegshafens zwischen ehemaligem Kasernenviertel und Befestigung als Industrie- und Gewerbeanlagen und ihre deutliche Ausweitung in Richtung Norden (grau).

Vereinfachte Farblegende der Land- nutzungskarten (Abb. 4 - 7)

Industrie- / Gewerbe- flächen

militärische Einrichtungen

Gewässer

Wohnen

öffentliche Einrichtungen

Strand

Historisches Relikt / Kulturdenkmal

Grünland / Freifläche

5 Landnutzungskarte Festung Friedrichsort mit Alt-Friedrichsort um 1900. Erkennbar ist vor allem der großflächig angelegte Marinestandort (blau) 7 Landnutzungskarte Festung Friedrichsort mit Alt-Friedrichsort 2016. Die Industrie- und Gewerbeanlagen sind vorherrschend. Das Wohnviertel zusammen mit der weiter militärisch genutzten, aber umgedeuteten Befestigung und dem Exerzierplatz im Nordwesten. (rot) mit öffentlichen Einrichtungen (orange) ist räumlich getrennt von Strand und der Befestigung, die nicht mehr zum Militärgelände (blau) gehört, sondern als kulturhistorisches Relikt (violett) von Westen und Norden fortschreitend durch das Industrie- und Gewerbegebiet (grau) beeinträchtigt wird. 56 barbara westendorf / bernward völmicke / mathias wiegert die kulturlandschaftswandelkarte in der anwendung 57

LIteraturverzeIchnIs aBBILdungsverzeIchnIs

BurggraaFF, p. / kLeeF eLd, k.-d. 1998 Historische Kulturlandschaft und Kulturlandschaftselemente. Angewandte Landschaftsökolo- aBBILdungsnummer BILdnachWeIs gie. Heft 20 (Bonn-Bad Godesberg 1998).

Abb. 1 und 2 Landeshauptstadt Kiel detLeFsen, n. 1978 Die Kieler Stadtteile nördlich des Kanals. Holtenau, Pries, Friedrichsort, Schilksee (Neumüns- ter 1978). Abb. 3 bis 7 © Landnutzungskarten, KLWK (ArcGIS von ESRI), Kartierung: Mathias Wiegert, Melanie Wiegert-Richter, Arcontor 2016. spIeLvogeL, J. / s chöneIch, g. 2004 Straßen, Wege und Plätze in Pries-Friedrichsort (Kronshagen 2004). 58 59

Räumliche Perspektiven

Komparative Kartenanalyse als Beitrag zu Porträts-, Muster- und Szenarienbildung und Visioning zur räumlichen Entwicklung der Steinburger Elbmarschen

Maddalena Ferretti / Jörg Schröder

Zusammenfassung schlüsselwörter

Ein Vergleich historischer und aktueller Karten zeigt für die Steinburger Bau- und Siedlungsentwicklung Elbmarschen ein extremes Maß an Kontinuitäten in der Gestalt von Sied- Historische Karten lungs-, Infra- und naturräumlichen Strukturen. Deren komparative Ana- Räumliche Porträts lyse ist Teil eines methodischen Vorgehens, um in Porträts-, Muster- und Musteranalyse Szenarienbildung räumliche Potenziale zu formulieren, die zu einer Wis- Szenarienbildung sensplattform und zu Leitbildern für Diskussionen und Entscheidungen Visioning zur räumlichen Zukunft der Elbmarschen beitragen.

Einleitung

Architektur und Städtebau beschäftigen sich mit dem Bauen und Planen für die Entwicklung von Lebensräumen, Gebäuden, Orten und re- gionalen Kontexten. Damit wird eine Vielzahl von Themen, Interessen und Akteuren angesprochen, die als sich überlagernde Systeme verschiedenster Maßstabsebenen und als Geflechte unterschiedlicher thematischen Stränge von Nutzungen und Bedeutungen verstanden werden können. Darin mani- festieren sich verschiedene räumliche, wirtschaftliche und soziale Transfor- mationsprozesse. Globale Trends beeinflussen nicht nur die Lebensräume, sondern auch die Paradigmen, Vorgehensweisen, Werkzeuge und Qualitäts- ansprüche der entwerfenden und gestaltenden Disziplinen. Der Anspruch auf aktive Beteiligung verschiedener Gruppen und Gemeinschaften an räumlicher Entwicklung und das Ziel der Nachhaltigkeit, abgeleitet aus ver- stärktem sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Bewusstsein, fordern Architektur, Städtebau und gestaltende Planung zu einer Aktualisierung und Neubestimmung ihres Beitrags zur räumlichen Entwicklung auf. Das Projekt Regiobranding bearbeitet Branding-Strategien für drei Fo- kusregionen - eine davon sind die Steinburger Elbmarschen - auf Grundlage räumlicher Inwertsetzung. Ausgehend von Impulsen der Forschungspart- ner wurde in einer Analysephase in transdisziplinärer Arbeit die Grundlage für eine Evaluierung der Fokusregionen erarbeitet, auch mit Schwerpunkt auf Bauen und Siedlungsentwicklung. Die Vertiefung der Analyse für einen gezielten Beitrag zur Diskussion räumlicher Perspektiven (visioning) stellt 60 maddalena ferretti / jörg schröder räumliche perspektiven 61

sich in den Zusammenhang aktueller Debatten über die Zukunft von Sied- Territoriale Sequenzen: Komparative Analyse lung und Landschaft, über die Rolle von Infrastrukturen, und insbesondere über Stadt-Land-Transformationen. In einer Weiterentwicklung etablierter Die geschichtliche Dimension ist in mehreren Bereichen ein wesentli- Werkzeuge von Architektur und gestaltender Planung wird in dem qualita- cher Aspekt der Porträtanalyse: in Untersuchungen einzelner Elemente und tiven Ansatz der Porträtanalyse von einer kontextbezogenen und maßstabs- - hier im Mittelpunkt - in der vergleichenden Analyse von historischen Karten übergreifenden Interpretation räumlicher Strukturen ausgegangen (cross- mithilfe der Kulturlandschaftswandelkarte. 1 | 2 | 3 Leitlinien der Karten- scale-approach). Mit der aus diesen beiden Schritten abgeleiteten Formulie- analyse ergeben sich aus dem Konzept der territorialen Porträts, sowie der rung von Mustern (patterns) und Szenarien werden Beiträge zum visioning übergeordneten Methodik der Analyse, insbesondere im Leitthema des Er- erarbeitet. In diesem Prozess wird die historische Dimension als Teil der mittelns von Wechselwirkungen zwischen Siedlungsstrukturen, Infrastruk- Ermittlung räumlicher Potenziale verstanden. Darüber hinaus geht es aber turen und naturräumlichen Strukturen. auch um methodische Innovation in Architektur, Städtebau und räumlicher Etablierte Lesarten des »Territoriums als Palimpsest« – wie von André Planung sowie ihren Beitrag zur Inwertsetzung von Kulturerbe und zur Defi- Corboz formuliert – untersuchen das wiederholte ›Überschreiben‹ von raum- nition des Kulturerbebegriffs in größeren räumlichen Maßstäben. strukturell und gesellschaftlich umrissenen Gebieten durch die Gestaltung von Siedlungen und Landschaften; sie zielen damit auf das Offenlegen von Porträtanalyse: Zooms 8,8 x 8,8 km Kontinuitäten in der Differenz verschiedener historischer Schichten. Demge- genüber stellen die Sequenzen zu den Steinburger Elbmarschen unmittelbar Eine Methode der architektonisch-stadtplanerischen Annäherung ist die hohe strukturelle Kontinuitäten dar: Diese werden durch Differenzen histo- Porträtanalyse. Sie basiert in diesem Fall auf der Auswahl und Auswertung rischer Transformation im Mikromaßstab betont und zeigen darin den spe- von 8,8 x 8,8 km großen Untersuchungsräumen. Diese werden hier als Zooms zifischen Ausdruck einer räumlichen Kapazität, um Wandel in Nutzungen, bezeichnet. Das Arbeiten mit Zoom-Ausschnitten zielt auf die Beschreibung Bedeutungen und räumlichen Relationen zu bergen. der aktuellen räumlichen Charakteristika sowie der wesentlichen Einfluss- 1 -> S. 66-67, Abb. 1 A-D faktoren und möglicher Potenziale für zukünftige Entwicklung. Diese ge- Auswahl der Karten: zeitliche Abfolge und Kartenquellen 3 -> S. 70-71, Abb. 3 A-D wählte Größe erlaubt die Analyse räumlich wirksamer Elemente in ausrei- chender Ausdehnung und Häufigkeit. Der komparative Ansatz setzt aktuelle räumliche Darstellungen mit Die im Rahmen von Regiobranding getroffene Auswahl der Zooms be- verschiedenen historischen Kartendarstellungen in Vergleich. Dabei werden rücksichtigt mit Neuenbrook 1 eine seit der mittelalterlichen und frühneu- Karten an entscheidenden neueren historischen Punkten verwendet: vor der zeitlichen Kolonisation fortgeführte integrierte Siedlungs-, Landschafts- und G Enclosure und der Industrialisierung im 19. und frühen 20. Jahrhundert Infrastrukturtypologie. Gleichzeitig wird der Rand zur Geest mit seinen an- mit den damit verbundenen Veränderungen in Flur- und Siedlungsformen, deren räumlichen Mustern sowie die neuen Elemente der Windenergieanla- sowie an zwei Punkten während des 20./21. Jahrhunderts. gen einbezogen. Der Zoom 2 stellt lineare Siedlungsstrukturen Die verwendeten Kartenquellen (-> S. 34) sind im Einzelnen: im Westen und Osten der Stör gegenüber. Weiterhin geht er auf den Raum • 1796, Varendorfsche Karte, Topographisch-Militärische Karte des Herzog- des Flusstals und der Mündung der Stör ein. Das Elbufer mit Glückstadt ist tums Holstein, 1:26.293; im Original farbig; in der Darstellung nicht exakt der dritte Zoom. 3 Er geht auf Themen wie die der Gründungsstadt ->( S. 107), georeferenziert, genordet und entzerrt, der Hafenanlage und Siedlungserweiterungen des 20. Jh. für Wohn- und In- • 1878, Topographische Messtischblätter, Karten der Preußischen Neuauf- dustriegebiete ein. nahme 1:25.000; im Original schwarz-weiß; in der Darstellung georeferen- In der Porträtanalyse werden die Themen Bau- und Siedlungsstruktur, In- ziert; als erste Wiedergabe von Siedlungserweiterungen auch kleinerer frastruktur und Naturraum zunächst als Schichten getrennt betrachtet. Zur zentraler Orte im Zuge der Industrialisierung, Anlagen von Infrastruktu- Ermittlung räumlicher Potenziale werden die Bewertungen der Schichten ren (Bahn) sowie Transformationen der Hofstellen, dann in einem G Mapping-Verfahren in der sog. portrait-map zur Bewertung • 1925, Topographische Karte, TK 1:25.000; im Original schwarz-weiß; in der wesentlicher räumlicher Charakteristiken zusammengeführt. Diese Zusam- Darstellung georeferenziert; mit wenigen Veränderungen gegenüber der 2 -> S. 68-69, Abb. 2 A-D menführung basiert neben der strukturell-kartographischen Analyse auf Ex- Karte von 1878, perteninterviews, Literaturrecherche, G räumlicher Wahrnehmungsanalyse, • 2015, ATKIS/ALKIS Daten, dargestellt in 1:25.000, mit präziser Angabe der Photographie und exemplarischen Identifikation und Analyse wesentlicher Gebäudeumrisse und Parzellenstruktur. Elemente. In einem weiteren Schritt des Mapping (vision-map) werden Inter- aktionsfelder räumlicher und sozio-ökonomischer Trends als Projektion für Für weitere Zeitschichten im 20. Jahrhundert wären Datenquellen erst zu die Zooms abgebildet. Diese Bewertung wird in den folgenden Schritten der erschließen. Für die räumliche Entwicklung könnten zwei Zeitpunkte inter- Patternanalyse und Szenarienbildung validiert und übertragen. Zusätzlich essant sein: tragen Entwürfe architektonischer und städtebaulicher G Testprojekte zur • die Siedlungserweiterungen nach 1945, insbesondere durch Ansiedlung weiteren Erkenntnis von Potenzialen bei. von Flüchtlingen, wohl in geringem Maß in den Zooms, 62 maddalena ferretti / jörg schröder räumliche perspektiven 63

• die Siedlungstransformation und -expansion v. a. in den 1980/90er Jahren Kriterien einer komparativen räumlichen Analyse für separierte Wohn- und Gewerbeareale, die parallel zur Flurbereinigung durchgeführt wurde; es scheint allerdings so, dass diese in die räumliche In der vergleichenden Raumanalyse der drei Zooms ist eine hohe Über- Struktur der Marschen nur wenig eingegriffen hat. einstimmung der drei Layer in Bedeutung und Durchgängigkeit räumlicher Formen im Verhältnis zu Brüchen zu hinterfragen, sowie insbesondere Per- Darstellung und Farbigkeit der Karten spektiven der Interaktion zwischen den Layern. Zunächst aber lassen die Siedlungsformen und Positionen der Gebäude, die Parzellenstruktur, das In den Karten wird eine über standardisierte topographische Informatio- Kanal- und Wegesystem ein zusammenhängendes räumliches Gerüst deut- nen hinausgehende Genauigkeit verwendet. Diese enthält z. B. Flurteilungen, lich erkennen, das den Charakter des Neulands auch heute noch ausdrückt. -struktur und -nutzung, genaue Form der Gebäudeumrisse, genaue Quer- Die Karten zeigen in ihrer jeweiligen inneren Logik unterschiedliche raum- schnitte von Gewässern und Kanälen sowie von Wegen, Plätzen und Stra- bezogene Darstellungen von strukturellen, figürlichen, funktionalen und auf ßen, sowie auch zusätzliche Informationen zu Einzelpunkten. Wesentliches Bedeutung bezogenen Informationen, die zeitlich und kulturell geprägt sind. Darstellungsmittel der Karten ist die Farbigkeit der Flächen. In einem ersten Es ist zu beachten, dass die jeweiligen Karten ursprünglich nicht für Zwecke Schritt wurden für die Karten von 1878 und 1925 Schraffur-Informationen zu der Denkmalpflege oder der Stadtplanung erstellt wurden. Diese Kontext- Flächennutzungen in Farbwerte verwandelt. Um eine kontinuierliche Les- abhängigkeit der Darstellung liegt unter Kritieriensets der Diskussion von barkeit der Karten herzustellen wurden dann die originalen Farbwerte der Denkmalwerten und von zukunftsbezogener städtebaulicher und räumli- Varendorfschen Karte von 1796 in angepasster Form für die Karten 1878 und cher Entwicklung. Ebenfalls ist in eine kritische Lesart der Karten einzube- 1925 verwendet, sowie mit kräftigerer Einfärbung für 2015, wobei auch auf ziehen, inwiefern Logiken in der historischen Sequenz durchgängig sind und eine Nähe zum Farbspektrum von Corine geachtet wurde. welche mögliche Rolle Brüche der Logik für die Gestaltung in der Zukunft

spielen können: Zum Beispiel kann für die verschiedenen Formen linearer 4 -> S. 72 Kartographische Themen: Siedlungs-, Infra- und naturräumliche Strukturen Dörfer die historische Mikro-Kapazität des Wandels als hohe Anpassungsfä- higkeit übergeordneter Raummuster eine zukünftige Flexibilität einrahmen. Die Kartendarstellung beschäftigt sich mit den Themen Siedlungs-, Eine kritische Lesart kann andererseits aber auch die signifikante Rolle ein- Infra- und naturräumlichen Strukturen. Diese wurden bereits in der Por- zelner Muster und Elemente wie auch die Rolle möglicher neuer zentraler trätanalyse eingeführt. Mittels dieser Themen – dargestellt in der Klassifi- Punkte in den Vordergrund rücken. Ähnlich kann die festgestellte Expan- zierung der Kulturlandschaftswandelkarten – sollen die Wechselwirkungen sion zentraler Orte verschiedener Größe - entweder meist aus Straßendör- zwischen diesen räumlichen Schichten wesentliche räumliche Merkmale fern entwickelt (Krempe, Süderau, Mittelpunkt von Neuenbrook, , ableiten. Für eine einheitliche Systematik wurden scheinbar ähnliche Defi- Wewelsfleth, Beidenfleth, Neuenkirchen) oder wie Glückstadt als städtische nitionen in historischen und aktuellen Karten hinterfragt und neubewertet. Expansion – kritisch hinterfragt werden: Hinsichtlich der Art und Form der Die Durchgängigkeit der Klassifizierung schärft dabei den Blick auf unter- Expansion (z.B. ausgedehnte Gewerbe- oder Wohnareale), sowie der Rolle schiedliche Aufnahmegenauigkeiten und Darstellungsschärfen. Sie folgen und Bedeutung von zentralen Orten für die Zukunft (Siedlungskonzentrati- erkennbar eher inhaltlichen Schwerpunktsetzungen als technologische on vs. Polyzentralität). Die Darstellung von regelmäßigen Baumreihen ent- Möglichkeiten: Dies ist z. B. in der Darstellung der Grüppen als wichtiges lang der Hauptwege in und zwischen den linearen Dörfern in der Varendorf- Strukturmerkmal sichtbar: als schematische Schraffur (1796) oder als präzi- schen Karte stellt ein interessantes Merkmal dar, ist möglicherweise aber ses Muster (1878, 1925), oder nur als Flurstücke (2015) ohne Information zu auch Darstellung einer räumlichen Vision, die zu diesem Zeitpunkt mögli- den Grüppen (-> S. 36, Abb. 8). cherweise nur diskutiert und nicht umgesetzt wurde. Über das Thema der in Karten stets eingebetteten, projektiven wie normativen Aussagen - und sei Die Darstellungen der Karten sind strukturiert in Flächenangaben, Linien- es durch Einfluss von Datenbasis und Wiedergabeprozessen - hinaus stellt angaben und Punktangaben, jeweils in den drei Schichten (layer): sich auch die Frage der maßstabsübergreifenden Analyse, um die Rolle von • Layer Siedlungsstrukturen: Siedlungsbereiche (i. d. R. gemischte Wohn- Raumstrukturen und -elementen in ihrer Mehrfachwirkung beschreiben zu und Wirtschaftsnutzungen), Gewerbe- und Industriebereiche, Einzelele- können. Die baulich-objektbezogene Maßstabsebene ist daher immer als mente wie z. B. Kirchen. Folie für die hier im Vordergrund stehenden Karten der Zooms miteinzube- • Layer Infrastrukturen: Straßen und Wege, Grüppen, Gräben und kleinere ziehen, ebenso wie der Verweis auf größere räumliche Zusammenhänge in Kanäle, Einzelelemente wie z. B. Schöpfwerke, historische Windmühlen. regionalen Maßstäben. • Layer naturräumliche Strukturen: Ackerland, Weideland, Baumreihen, Wasserflächen, Wald, Feuchtwiesen, aber auch Elemente wie z. B. Flucht- Relationale Patternanalyse und Explorative Szenarienbildung hügel für Weidetiere Für eine masstabsübergreifende Betrachtung wird in der Analyse eine vertiefte Patternuntersuchung mit der Porträtdarstellung und den dar- in enthaltenen komparativen Karten verbunden. 4 In einer Erneuerung des Ansatzes der »Mustersprache« von Christopher Alexander stellt die Patter- 64 maddalena ferretti / jörg schröder räumliche perspektiven 65

nanalyse die vielfachen Bezüge räumlicher Elemente gegenüber verschiede- ten in den Elbmarschen. Diese Erkenntnis kann – als übergeordnetes Ergeb- nen Maßstabebenen dar, die jeweils kulturelle und soziale Bezüge enthalten. nis der Analyse – einen wichtigen Impuls für die Steinburger Elbmarschen Bedeutung und damit Potenzialbestimmung der Muster werden damit qua- geben, um aktiv räumliche Zukunft zu planen. Bauen und Gestaltung in litativ erfassbar, präzisere Aussagen als rein statistische Angaben und Ver- räumlichen Maßstäben in den Steinburger Elbmarschen stellen sich damit teilungen sind somit möglich. Die Relevanz und die eingeschriebenen Mög- nicht nur als Manifestationen jahrhundertelanger Prozesse der Anreiche- lichkeiten der räumlichen Muster werden von den Bezügen abgeleitet, die rung und Schichtung dar. Vielmehr führt ein Verständnis der Elbmarschen figurative, materielle, funktionale und ideelle Komponenten aufweisen. als relationale Räume zu einem maßstabsübergreifenden und prozessorien- In einem weiteren Schritt bringt der in Regiobranding verwendete Sze- tierten Ansatz, der darauf abzielen sollte, räumliche Komplexität aktiv zu ge- narioansatz räumliche Prämissen in Bezug zu verschiedenen Maßstabsebe- stalten und in Handlungskonzepte zu bündeln. nen. Das Zeichnen und Verfolgen alternativer Entwicklungspfade wird mit Evaluierungsschritten und lokaler wie interdisziplinärer Expertise geschärft, um explorative Perspektiven als Ergebnis von Szenarienprozessen für Strate- gie- und Maßnahmendiskussionen bereitzustellen. Leitthemen eines regio- nalen Visioning für die Steinburger Elbmarschen sind z.B.: • Die Region als Dorf 5 verfolgt das Netzwerk linearer Siedlungen entlang der Wasserkanäle mit großer baulicher und funktionaler Vielfalt. In der engen räumlichen Verzahnung von Siedlungsstrukturen, Wegesystemen, Wassernetzen und landwirtschaftlichen Mustern liegt ein hohes Potenzi- al für eine multifunktionale und produktive Standortentwicklung, • Landstädte 6 betont mögliche Rollen verschiedener urbaner Zentren in dieser durchgehend vernetzen und erschlossenen Region, 7 5 -> S. 72 • Linienfiguren beschreiben Raumverbindungen, sowohl für die Vision 7 -> S. 73 eines ländlichen Raums als eigenständigen Lebens- und Arbeitsort, als auch für damit verbundene vielfältige Beziehungen zu größeren Zentren in der Metropolregion Hamburg.

Räumliche Perspektiven: Territorial Visioning als Erkenntnis- und Planungswerkzeug

Das gezielte Verwenden systematischer räumlicher Analysen in Regiobranding ist Ausdruck eines neuen Bewusstseins für die Paralleli- tät von Erkenntnis-, Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen in der räum- lichen Planung. Es hat in der Porträtanalyse einen geeigneten Rahmen für eine Aktualisierung des Arbeitens mit historischen und aktuellen Karten. Diese Karten sind Teil einer Auseinandersetzung mit Raum, die nicht allein auf die lokale räumliche Manifestierung globaler Trends setzt, sondern ins- besondere lokale räumliche und gesellschaftliche Entwicklungen in den Vor- dergrund rückt. Die Interaktionen zwischen diesen bisher stark getrennten Sichtweisen eröffnen auch neue Konzepte und Methodiken, um die Wech- selbeziehungen zwischen Siedlungs-, Infrastruktur- und naturräumlicher

6 -> S. 73 Entwicklung - die eigentlich in der räumlichen Struktur der Marsch einge- schrieben sind - neu zu entwickeln, sowie die Belange des Denkmalschutzes / Kulturerbes und des Naturschutzes aktiv bei der Entwicklung räumlicher Visionen zu berücksichtigen. Gleichzeitig weist die erstaunliche räumliche Kontinuität der Elbmarschen gerade nicht auf die Abwesenheit von Planung und Entscheidungen hin, sondern wird in den komparativen Karten als kon- tinuierlicher Ausdruck von inhärenten konzeptionell-planerischen Rahmen- werken und Instrumenten ablesbar. Diese Rahmenwerke der Planung und Entscheidung waren erkennbar aus Leitbildern für die räumliche Gestaltung von Siedlungen, Gebäuden und Freiräumen abgeleitet, also als bewusster Ausdruck kultureller und ökonomischer Entscheidungen der Gemeinschaf- 66 maddalena ferretti / jörg schröder räumliche perspektiven 67

Neuenbrook um 1796 Neuenbrook um 1925

1 a Komparative Kartenausschnitte: Zoom Neuenbrook um 1796. 1 c Komparative Kartenausschnitte: Zoom Neuenbrook um 1925.

Neuenbrook um 1878 Neuenbrook um 2015

1 b Komparative Kartenausschnitte: Zoom Neuenbrook um 1878. 1 d Komparative Kartenausschnitte: Zoom Neuenbrook um 2015. 68 maddalena ferretti / jörg schröder räumliche perspektiven 69

Wewelsfleth um 1796 Wewelsfleth um 1925

2 a Komparative Kartenausschnitte: Zoom Wewelsfleth um 1796. 2 c Komparative Kartenausschnitte: Zoom Wewelsfleth um 1925.

Wewelsfleth um 1878 Wewelsfleth um 2015

2 b Komparative Kartenausschnitte: Zoom Wewelsfleth um 1878. 2 d Komparative Kartenausschnitte: Zoom Wewelsfleth um 2015. 70 maddalena ferretti / jörg schröder räumliche perspektiven 71

Glückstadt um 1796 Glückstadt um 1925

3 a Komparative Kartenausschnitte: Zoom Glückstadt um 1796. 3 c Komparative Kartenausschnitte: Zoom Glückstadt um 1925.

Glückstadt um 1878 Glückstadt um 2015

3 b Komparative Kartenausschnitte: Zoom Glückstadt um 1878. 3 d Komparative Kartenausschnitte: Zoom Glückstadt um 2015. 72 maddalena ferretti / jörg schröder räumliche perspektiven 73

4 Methodikdiagramm Muster- und Szenarienbildung. 6 Landstädte.

5 Die Region als Dorf. 7 Linienfiguren. 74 maddalena ferretti / jörg schröder räumliche perspektiven 75

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Abb. 4, 5, 6 und 7 © Institut für Entwerfen und Städtebau, Leibniz Universität Hannover, Zeichnung: Maddalena Ferretti schröder, J./ FerrettI , m./ Lüder, I. 2016 Analyse Bau- und Siedlungsentwicklung in den Fokusregionen des Projekts Regiobranding. Projekt Regiobranding Arbeitspapier Nr. 07. Available online at: http://regiobranding.de/sites/default/ files/uploads/Regiobranding_Arbeitspapier07_Bau-und-Siedlungsentwicklung_0.pdf (accessed 18.09.2017). schröder, J. 2017a Towards an architecture of territories. In: Schröder, J./ Carta, M./ Ferretti, M./ Lino, B. eds. 2017: Territories—Rural-urban Strategies. Berlin 2017. p. 14–35. schröder, J. 2017B Mikro-Mega – Zwischen Architektur und Region, Stadt und Land. In: Schröder, J./ Danielzyk, R. eds.2017: Baukultur und Region. Neue Wege für Bauen und Planen als regionale Impulsgeber. Neues Archiv für Niedersachsen, 1/2017. Kiel/Hamburg 2017, p. 10–23. 76 77

Die Steinburger Elbmarschen aus Akteurssicht

Von Landschaftsbesonderheiten und Lieblingsorten

Thorsten Becker / Jana Frank / Markus Schaffert / Fabian Wenger

Zusammenfassung schlüsselwörter

Im Rahmen von sogenannten Werkstattgesprächen wurde Expertenwissen Partizipatives Mapping über Besonderheiten der Kulturlandschaft der Steinburger Elbmarschen Kulturlandschaftselemente zur Diskussion gestellt und durch lokales Wissen ergänzt. Darüber hinaus Lieblingsorte fanden Befragungen lokaler Akteure nach ihren Lieblingsorten und Lieb- Lieblingsaussichten lingsaussichtsplätzen statt, um dadurch Erkenntnisse über deren Wert- schätzung der eigenen Landschaft zu gewinnen.

Einleitung

Wissenschaftler/Innen stützen sich bei der Untersuchung von Landschaften häufig auf deren ›physisch greifbare‹ Bestandteile und versu- chen, diese zu inventarisieren bzw. zu quantifizieren. Dazu werden die land- schaftlichen Bestandteile erfasst, verortet, kategorisiert und ggfs. berechnet. So wird aus dem Ganzen, im vorliegenden Fall den Steinburger Elbmarschen, ein ›Katalog‹ von Landschafts- bzw. Kulturlandschaftselementen. Dieser kann beispielsweise vom Schöpfwerk über Grüppen und Gräben bis hin zu Wiesen und Weideflächen reichen und ein weites Spektrum an landschaftli- chen Bestandteilen führen. Ausgehend von diesem Katalog lässt sich – um im Bild zu bleiben – berechnen, wie viele Schöpfwerke in der Region vor- kommen, wie viele Kilometer an Gräben die Elbmarschen durchziehen oder wie groß der Anteil der Weideflächen an der gesamten Fläche des Untersu- chungsgebietes ist. Im Vergleich mit anderen Regionen kann somit rechne- risch nachgewiesen werden, welche Landschaftselemente in einem Gebiet häufiger als in anderen vorkommen, in welcher Kombination sie miteinan- der auftreten und ob sie möglicherweise gar eine regionale Besonderheit dar- 1 -> S. 84-85 stellen. Dieses Vorgehen ist für Projekte naheliegend, die wie Regiobranding nach kulturlandschaftlichen Besonderheiten suchen, um diese für die regio- nale Markenbildung zu nutzen. So wurden im Projektverlauf Flächenanteile und Standorte von Landschaftselementen ermittelt, die in Deutschland ins- gesamt vergleichsweise selten sind. 1 Von diesen sind in den Elbmarschen 78 thorsten becker / jana frank / markus schaffert / fabian wenger die steinburger elbmarschen aus akteurssicht 79

insbesondere Gewässerläufe, Salzwiesen sowie landwirtschaftliches Grün- liche Zusammenhänge zwischen Lieblingsorten bzw. -aussichten einerseits land (Wiesen bzw. Weiden) – mit mehr als doppelt so vielen Flächenanteilen und Landschaftselementen andererseits mittels Kartendarstellungen unter- – im bundesdeutschen Vergleich überrepräsentiert. sucht wurden. Eine solche Herangehensweise bietet folglich die interessante Möglich- Als Erfassungstechnik wurde auf den Workshops deshalb eine Form des keit, Landschaften vergleichend einzuordnen. Allerdings basiert sie auf dem sogenannten G partizipativen Mappings als eine Methode der kooperativen seltenen Gut von für ganz Deutschland verfügbaren Vergleichsdaten. Sie Landschaftsbewertung eingesetzt. Dazu wurden die Workshop-Teilnehmer beschränkt sich daher vor allem auf Elemente der unbebauten Landschaft aufgefordert, die in Tabelle 1 (-> S. 82) aufgeführten Fragen zu beantworten, und eine zwar überregional einheitliche, jedoch im Detail nicht erschöpfen- indem sie ihre Lieblingsorte und -aussichten sowie persönlich bedeutsame de Erfassung. Es werden bei dieser Vorgehensweise also nicht alle prinzipiell Kulturlandschaftselemente spontan in einer ausgedruckten Tischkarte mit denkbaren und möglicherweise bedeutenden Elemente der Elbmarschen be- Klebepunkte und Steckfähnchen lokalisieren und ggf. zusätzlich benennen. rücksichtigt. Es durften dabei pro Person auch Mehrfachnennungen abgegeben werden. Darüber hinaus weiß man heute, dass Wissenschaftler in ihren Berech- Die im Werkstattgespräch erfassten Daten wurden im Nachgang digitalisiert nungen mitunter zu Resultaten kommen, die die lokale Bevölkerung nicht und zu thematischen Karten ausgearbeitet. 4 | 5 teilt. So ist es denkbar, dass etwas, das rechnerisch als etwas Besonderes er- Im Abstand circa eines Jahres ist diese Methode zweimal auf Workshops scheint, für die Anwohner selbstverständlich ist. Umgekehrt können Land- in Glückstadt und Itzehoe eingesetzt worden, jedoch mit jeweils anderer schaftsbestandteile für die lokale Bevölkerung eine besondere Rolle spielen, Fragestellung und einer im Detail abweichenden Umsetzung. In Glückstadt deren Bedeutung sich nicht aus ihren Häufungen, Mengen oder Größen ab- kartierten die Workshop-Teilnehmer in mehreren Gruppen und jeweils im 2 -> S. 83 leiten lässt. Selbst wenn ein Landschaftsbestandteil unstrittig etwas Beson- intensiven Gespräch mit den Wissenschaftlern insgesamt 56 generelle kul- deres darstellen sollte – beliebt ist er deshalb noch lange nicht. Ob Land- turlandschaftliche Besonderheiten und Orte. Hierunter fallen folglich auch schaften und deren Teile schön wirken und wertgeschätzt werden, hängt in Elemente, die nicht als Lieblingsorte zu verstehen sind. So gelang durch den starkem Maße von der Wahrnehmung der jeweiligen Person oder der jewei- Austausch mit den Wissenschaftlern einerseits eine eingehende Kommuni-

ligen Einwohner einer Region ab. kation der Forschungsergebnisse. Andererseits konnten die Teilnehmer die- 4 -> S. 86-87 se reflektieren und zur qualitativen Erfassung von kulturlandschaftlichen Auch Landschaft liegt im Auge des Betrachters: Lokale Akteure kartieren Einzelelementen beitragen. Landschaftselemente, Lieblingsorte und -aussichten Im Folgejahr fand auf dem Workshop in Itzehoe eine erneute partizipa- tive Kartierung statt. Dieses Mal wurde der Fokus jedoch auf Lieblingsorte Für einen Markenbildungsprozess, der die Menschen vor Ort mit- und -aussichten gelegt. Die Teilnehmer kartierten eigenständig und im offe- nehmen möchte, ist es deshalb zentral, diese zu Wort kommen zu lassen nen Gespräch untereinander wie auch mit den Projektmitgliedern insgesamt und aktiv einzubeziehen. Dieses Anliegen wurde im Rahmen des Projekts in 51 verschiedene Lieblingsorte bei 75 Nennungen sowie 45 Aussichten bei 55 verschiedenen Workshops umgesetzt, an denen lokale G Akteure aus den Nennungen. Die ausgewählten Orte konnten mit einem beschreibenden Bereichen der Verwaltung, Politik, Privatwirtschaft und Verbände sowie in- Kommentar versehen werden. Die Digitalisierung dieser Punkte zur Ergän- teressierte Bürger teilnahmen. Diese Arbeitstreffen dienten zum einen dazu, zung der Kulturlandschaftswandelkarte erfolgte im Rahmen des Workshops das bisherige Expertenwissen über Besonderheiten der Kulturlandschaft der direkt vor Ort, unmittelbar auf den Programmpunkt folgend und konnte so Steinburger Elbmarschen zur Diskussion zu stellen und durch lokales Wis- von den interessierten Teilnehmern verfolgt werden (-> S. 34). sen zu ergänzen. Zum anderen wurden die Akteure nach Ihren Lieblingsor- ten und Lieblingsaussichten gefragt, um dadurch Erkenntnisse über deren »Am liebsten am Wasser« Elbdeich, Wilster, Moor und Fähren: 3 -> S. 83 Wertschätzung der Landschaft zu gewinnen. 2 | 3 Die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Auswertung Was sind jedoch Lieblingsorte und -aussichten im Projektverständnis? Lieblingsorte können alle Plätze in den Steinburger Elbmarschen sein, an Hinsichtlich der Auswertung ist zu bedenken, dass die aufgeführten denen sich die Teilnehmenden persönlich wohlfühlen oder die sie aus an- Elemente und deren zahlenmäßige Gewichtung zueinander in direkter Ab- deren Gründen besonders mögen. Gemeint sind somit konkrete Orte oder hängigkeit zu den Markierungen der teilnehmenden Akteure stehen. So wur- 5 -> S. 88-89 Plätze in der Landschaft. Als Lieblingsaussichten werden im Projekt solche den individuell beispielsweise unterschiedlich viele Orte und Kulturland- Plätze verstanden, die die Teilnehmer aufgrund der von dort möglichen und schaftselemente benannt. Ebenso waren weder die Fragestellungen noch subjektiv als schön und angenehm empfundenen Ausblicke und Blickbezie- die Teilnehmer der beiden Workshops gänzlich deckungsgleich. Letztlich hungen wertschätzen. kann die Datenerhebung nicht als repräsentativ für alle Bewohner des Krei- Eine detailreiche und konkrete Definition der beiden Begriffe wurde auf ses Steinburg gelten. Diese methodische Unschärfe schränkt die Vergleich- den Workshops bewusst nicht gegeben. Auf diese Weise sollte die Gefahr von barkeit und Allgemeingültigkeit der Beobachtungen zwar ein, erlaubt aber möglichen thematischen Beeinflussungen der Teilnehmer gering gehalten durch ihr offenes Format zugleich zwei Dinge. Zum einen können qualitative werden. Rückschlüsse, ob Zusammenhänge von Lieblingsaussichten und Informationen in einer kurzen Zeitspanne erhoben und zum anderen inter- -orten mit kulturlandschaftsbezogenen Aspekten denkbar sind, lassen sich essierte Akteure der Region aktiv in den Austausch mit den Wissenschafts- dennoch ziehen. Sie erfolgten in einem Auswertungsschritt, bei dem räum- partnern des Projekts einbezogen werden. 80 thorsten becker / jana frank / markus schaffert / fabian wenger die steinburger elbmarschen aus akteurssicht 81

Grundsätzlich lassen sich die von den Akteuren in beiden Workshops bei Kasenort. Auffällig frei blieben hingegen weite Bereiche um Lägerdorf, kartierten Elemente in fünf Kategorien zusammenfassen. Dies sind 1. tech- Herzhorn und Nortorf. 5 Die Ursachen für solche leeren Bereiche sind nicht nisch-wasserbezogene, 2. natürlich-vegetationsbezogene, 3. historisch-sied- ohne Weiteres festzumachen. Sie können beispielsweise im Zusammenhang lungsbezogene, 4. topografische und zuletzt 5. weitere technische Elemente. mit der Abwesenheit von identifikationsfördernden oder dem Vorkommen 1. In der ersten Kategorie benannten die Akteure häufig Fähren, Deiche von potenziell störenden Kulturlandschaftselementen stehen. Solche und und das Deichvorland sowie Schleusen und Schöpfmühlen. Hierbei wurden andere Faktoren und Zusammenhänge sind jedoch erst durch künftige Aus- diese sowohl als allgemeine Kulturlandschaftselemente wie auch als Lieb- wertungen zu identifizieren und zu sichern. lingsorte angesprochen. Namenhaft sind darunter die Fähre Kronsnest an der Krückau als »kleinste Fähre Deutschlands«, die Fähre Else an der Stör und Die Akteurssicht im Kontext der wissenschaftlichen Analyse und Kultur- die Bootstour Aukieker an der Wilster Au. Mit acht Markierungen häufiger landschaftswandelkarte als alle anderen Lieblingsorte genannt ist das Schleusenwerk bei Kasenort (-> S. 118). Mehrfach markiert waren zudem die Störschleuse, die historische In der Quintessenz zeigt sich, dass die meisten der genannten und kar- Schöpfmühle in Honigfleth nahe Wilster, der Hafen in Glückstadt und Bie- tierten Orte und Landschaftselemente im näheren und weiteren Zusam- lenberg sowie verschiedene Fahrradtouren auf Deichen und an Gewässern. 4 menhang der vielfältigen Mensch-Wasser-Beziehungen stehen, welche cha- 2. Als natürlich-vegetationsbezogene Elemente wurden häufig Moore be- rakteristisch für die Steinburger Elbmarschen sind. Wenig verwunderlich nannt, gefolgt von Heideflächen und Gewässern. Unter den Lieblingsorten erscheint es demnach, dass Elemente wie Elbe, Stör und Wilster Au, Deiche, findet sich beispielsweise das Herrenmoor bei Kleve als ältestes Moorna- Deichvorland, Schleusen und Fähren besonders häufig markiert bzw. ge- turschutzgebiet im Kreis Steinburg mit nahegelegener Aussicht auf das Hei- nannt wurden. Bei den Marschen handelt es sich um eine historisch gewach- debiotop, welches heute noch im Übergangsbereich zur Geest erhalten ist. sene, seit dem Mittelalter durch die Hollerkolonisation schrittweise erschlos- Nicht erwähnt worden ist hingegen das Torfabbaugebiet im Breitenburger sene und künstlich urbar gemachte Kulturlandschaft. Moor östlich von Lägerdorf, welches heute die einzige größere Moorfläche In einer einst durch saisonale Überschwemmungen und ausgedehnte im Bereich der Krempermarsch darstellt. Nennungen von Gewässern umfas- Moore geprägten Landschaft, die in weiten Teilen auf Höhe oder unterhalb sen Splethe, Störschleife, Wilster Au und Siethwender Au sowie die Holler- des Meeresspiegels liegt und erst durch intensiven Deichbau flächig nutzbar wettern. In Einzelfällen wurden des Weiteren eine Baumreihe am Mühlen- gemacht werden konnte, ist das Wasser auch heute noch zentraler Faktor der weg und eine über 650-jährige Stieleiche in Brunsholt benannt. Landschaftsentwicklung und -nutzung. Noch immer sind die umfassenden 3. Die dritte Kategorie fasst historisch-siedlungsbezogene Strukturen und landwirtschaftlichen Nutzflächen durchzogen von engmaschig, linear und Elemente zusammen. Mehrfach als bedeutsames Landschaftselement mar- systematisch angelegten Entwässerungsgräben, den sogenannten Grüppen. kiert wurden beispielsweise die Kreidegruben bei Lägerdorf – und das ob- Über diese wird das Wasser in die Wetterungen, größere Gräben und Bäche gleich in dem gesamten, durch ein Zementwerk geprägten Bereich zwischen geleitet und von dort wiederum in die Flüsse, namentlich Stör und Elbe. Lägerdorf und Rethwisch keine Nennung eines Lieblingsortes fällt. Das un- Auch rechnerisch kommt diesen Elementen eine markante Bedeutung weit westlich davon gelegene Neuenbrook ist jedoch als typisches Marsch- zu. Deutschlandweit fallen größere Fließgewässer auf circa 0,29 % der Lan- hufendorf eingezeichnet worden. Unter den Lieblingsorten finden die his- desfläche. Solche Wasserläufe nehmen in der Fokusregion im Vergleich zum torischen Ortskerne, Kirchen, Rathäuser und Märkte in Glückstadt, Wilster, Bundesdurchschnitt mit 0,78 % jedoch einen mehr als doppelt so großen Krempe, Beidenfleth und Süderau besondere Erwähnung. Weitere genannte Flächenanteil ein. Zusammen mit den landschaftsprägenden Gräben und Orte sind zudem St. Margarethen und , in denen sich auch Lieblings- Bächen ab 3 m Breite, welche circa 829 ha ausmachen, erreichen die Gewäs- aussichten finden. serläufe sogar einen Flächenanteil von 2,6 % an der Gesamtfläche der Stein- 4. Als häufigstes topographisches Element ist mehrfach Deutschlands burger Elbmarschen. tiefste Landstelle bei Neuendorf-Sachsenbande markiert worden, welche Wiesen und Weiden hingegen sind in Deutschland nicht selten – sie kom- 3,54 Meter unter Normal Null gelegen ist. Als Lieblingsort ist sie interessan- men auf 18,4 % der Bundesfläche vor. Der Anteil von Wiesen und Weiden in ter- und irrtümlicherweise jedoch in der westlich angrenzenden Gemeinde der Fokusregion ist aber fast dreimal so groß (51,6 %) als der Bundesdurch- lokalisiert worden. So zeigt sich darin beispielhaft die Not- schnitt. Ackerland hingegen fällt mit 32,8 % sehr nahe an das bundesweite wendigkeit des Austausches der Wissenschaftler und der Informationsgeber, Mittel von 33,7 %. Diese Elemente sind mitunter Resultat der topografischen um Richtigkeit oder Intention des Inhalts zu reflektieren. Weiterhin wurden Besonderheit der Steinburger Elbmarschen und ihrer Kulturlandschafts- die Geestkante bei Kleve und Blickpunkte bei und , bei werdung im Laufe der Zeit. Historische Karten vom Ende des 19. Jhs. und welchen die Teilnehmer den »Blick in die Weite« schätzen, genannt. Anfang des 20. Jhs. zeigen diesbezüglich eine einst klare Aufteilung der land- 5. Sonstige technische Elemente umfassen die Atomkraftwerke (AKW) wirtschaftlichen Nutzflächen im Marschland westlich und östlich der Stör. Brunsbüttel und in jeweils mehrfacher Nennung. Als ein weiterer Die insgesamt tiefer gelegene Wilstermarsch war dominiert von Grünland- Lieblingsort wurde sogar ein Hotel in Brokdorf genannt. flächen, wohingegen das Ackerland aufgrund trockenerer Böden in der hö- Mehr noch als die Lieblingsorte verorteten die Akteure ihre Lieblingsaus- heren Krempermarsch angelegt wurde. Tendenziell hat sich dies bis heute so sichten im Bereich der Elbdeiche (mit Blick auf die Elbe), entlang der Geest- erhalten, Grünland und Ackerland weisen jedoch eine wesentlich gemisch- kante (mit Blick in die Marsch) sowie an Stör, Wilster und am Schleusenwerk tere Verteilung auf. 82 thorsten becker / jana frank / markus schaffert / fabian wenger die steinburger elbmarschen aus akteurssicht 83

Moore, welche seitens der Workshopteilnehmer als bedeutsames Kultur- landschaftselement und in mehreren Fällen zudem als Lieblingsorte benannt worden sind, verzeichnen im Gegensatz zu Grün- und Ackerland eine mar- kant rückläufige Entwicklung. Die historischen Karten belegen, dass Moore wie jene bei Vaalerfeld, Kleve, Breitenburg und Altenmoor in den letzten 130 Jahren stark geschrumpft sind (-> S. 33, Abb. 3). Die einstige Verbreitung von Mooren in den Steinburger Elbmarschen bezeugen heute noch zahlreiche Orts- und Gemeindenamen. Auch abseits der Kartierung von Landschaftselementen, Lieblingsorten und -aussichten lassen sich Kulturlandschaftselemente aus der Akteurssicht fassen und mit den Analysen der Wissenschaftspartner vergleichen. Wie im Beitrag von F. Knaps und I. Lüder vertieft (-> S. 93), unterstreicht die Aus- wertung der 2015 im Rahmen des Projekts Regiobranding durchgeführten Haushaltsumfrage die Bedeutung der Themen Wasser und Wind, landwirt- schaftliche Nutzung und Siedlungsstrukturen mit historischem Bezug in der Wahrnehmung der Befragten. Eben jene Wahrnehmung jedoch ist ein zentrales qualitatives Element zur Reflexion und Erweiterung quantitativer Landschaftsanalysen. Umgekehrt vermögen Forschungsergebnisse Konstan- ten und Dynamiken zu fassen und so Konsens und Perspektiven zu schaffen. Deutlich wird somit, wie wichtig interdisziplinäre Forschung in Vernetzung mit praxisnahen Menschen und deren Erfahrungen für das komplexe Ver- ständnis einer Kulturlandschaft ist.

2 Workshopteilnehmer setzen Lieblingsorte.

Workshop (Ws), teILneh- zu BeantWor- durchgeFührt von ort / d atum merzahL tende Frage

WS. 1, Glückstadt, 29 »Nennen Sie (spontan) Leibniz-Universität 15.03.2016 kulturlandschaftliche Hannover: F. Wenger Besonderheiten in (Institut für Umwelt- Ihrer Region« planung), M. Schaffert (Geodätisches Institut)

WS. 2, Itzehoe, 34 »Markieren Sie auf Archäologisches Landes- 28.02.2017 dem ausliegenden amt Schleswig-Holstein: Kartenwerk Ihre per- Christian Weltecke, sönlichen Lieblingsorte AGIL, Büro für ange- und –aussichten in der wandte Archäologie: Region. Benennen oder J. Frank, T. Becker. beschreiben Sie diese kurz.«

1 Tabelle 1 3 Akteure im Gespräch. 84 thorsten becker / jana frank / markus schaffert / fabian wenger die steinburger elbmarschen aus akteurssicht 85

Seltene Landnutzungsklassen in den Steinburger Elbmarschen

1 86 thorsten becker / jana frank / markus schaffert / fabian wenger die steinburger elbmarschen aus akteurssicht 87

Workshop Itzehoe 28.02.17: Lieblingsorte

4 88 thorsten becker / jana frank / markus schaffert / fabian wenger die steinburger elbmarschen aus akteurssicht 89

Workshop Itzehoe 28.02.17: Lieblingsaussichten

5 90 thorsten becker / jana frank / markus schaffert / fabian wenger die steinburger elbmarschen aus akteurssicht 91

LIteraturverzeIchnIs aBBILdungsverzeIchnIs

BroWn, g. / r aymond, c.m. 2014 Methods for identifying land use conflict potential using participatory mapping, In: Landscape aBBILdungsnummer BILdnachWeIs and Urban Planning 122 (2014) 196-208.

Abb. 1 © GeoBasis-DE/BKG, 2014. hermes, J. / aLBert, c . / Assessing the aesthetic quality of landscapes in Germany. Submitted to Ecosystem Services. © DLM-DE 2009/BKG, 2009. von haaren, c. (under revI sIon) © Geobasisdaten/LGLN, 2015, LAIV-MV, 2015. © Landschaftstypen/BfN, 2011, basierend auf Hermes et al. (under revision). Bearbeiter: F.C. Wenger, IUP 2016. kühne, o. 2011 Die Konstruktion von Landschaft aus Perspektive des politischen Liberalismus: Zusammen- hänge zwischen politischen Theorien und Umgang mit Landschaft. Naturschutz und Land- schaftsplanung 43, 6 (2011) 171–176. Abb. 2 und 3 Ines Lüder stemmer, B. / dIedrI ch, B. 2017 Kooperative Landschaftsbewertung in der räumlichen Planung - Planbare Schönheit ? In: Abb. 4 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. Landschaftsästhetik und Landschaftswandel (Wiesbaden 2017) 283-302. © Kreis Steinburg 2017. © DTK100 1:100000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Kartendesign: AGIL, Thorsten Becker, Jana Frank (www.agil-online.de) Wenger, F.c. 2016 Landnutzung und Landschaftselemente in den Fokusregionen des Projektes Regiobranding. Projekt Regiobranding – Arbeitspapier Nr. 03. www.regiobranding.de (ergänzt am 05.05.2017). Abb. 5 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. © Kreis Steinburg 2017. © DTK100 1:100000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Kartendesign: AGIL, Thorsten Becker, Jana Frank (www.agil-online.de) 92 93

Räumliche Muster und Cultural Marker in den Steinburger Elbmarschen

Falco Knaps / Ines Lüder

Zusammenfassung schlüsselwörter

Der Beitrag stellt anhand der drei Themenfelder Wasser und Wind, Land- Kulturlandschaftliche Charakteristik wirtschaft und Siedlungsstruktur die kulturlandschaftliche Charakteristik Regionale Identität der Steinburger Elbmarschen sowie Managementansätze zur Gestaltung Wandel des kulturlandschaftlichen Wandels dar. Gestaltung Wasser und Wind Landwirtschaft Siedlungsstruktur

Einleitung

Im Forschungsprojekt Regiobranding werden die prägenden und identitätsstiftenden Merkmale von regionalen Kulturlandschaften unter- sucht. Hierbei wird Kulturlandschaft als komplexes Resultat aus dem regio- nalspezifischen Zusammenspiel sozioökonomischer, kultureller, strukturel- ler und natürlicher Faktoren verstanden. Zu ihr gehören daher natürliche Elemente und ökosystemare Voraussetzungen ebenso wie bauliche Struktu- ren, historische Entwicklungen und Traditionen, Ortsnamen und regionale Bezeichnungen, regionalökonomische Verflechtungen und nicht zuletzt die handelnden Akteure. Darauf aufbauend werden in Regiobranding Mög- lichkeiten für ein Kulturlandschafts-Branding und somit Potenziale für eine regionale Strategiebildung identifiziert. Dieser Beitrag stellt die landschaftliche Eigenart sowie Ansätze zur Ge- staltung des Wandels in den Steinburger Elbmarschen (siehe zur Abgren- zung des Untersuchungsraums 1 ) dar. Er basiert auf einer Zusammenfüh- rung von verschiedenen fachspezifischen Ergebnissen: Die Projektbeteilig- ten aus Architektur und Städtebau analysierten die regionalen Strukturen 1 -> S. 6-7 und baulichen Elemente in ihrem kulturlandschaftlichen Zusammenhang als räumliche Muster und Potenziale. Parallel dazu führten Projektbeteilig- te aus der Umweltplanung zahlreiche Einzelinterviews mit Privatpersonen und Akteuren. Das Ziel war dabei, Kulturlandschaftsmerkmale zu ermitteln, die Bestandteile G regionaler Identität sind. Diese sogenannten G Cultu- ral Marker sind Merkmale, die als regionaltypisch, unverwechselbar oder als besonders ästhetisch wahrgenommen werden und/oder für emotionale Bindungen wie Heimatgefühl, Stolz oder Liebe stehen. Die Ergebnisse der 94 falco knaps / ines lüder räumliche muster und cultural marker in den steinburger elbmarschen 95

Interviewauswertung wurden in unterschiedlichen Formaten mit den Pra- Im Folgenden werden jeweils zunächst die räumlichen Muster und an- xispartnern und regionalen Akteuren diskutiert und durch deren Wissen und schließend die Cultural Marker dieser Themenfelder vorgestellt. Im letzten Handeln ergänzt. Dieses transdisziplinäre und schrittweise Vorgehen bei der Abschnitt des Beitrags werden daraus abgeleitete Handlungsansätze darge- Generierung von Forschungsergebnissen ist eine Besonderheit des Projektes legt. Regiobranding. Es trägt dazu bei, zukunftsweisende und praktikable Lö- sungen für den Umgang mit der Ressource Land zu finden und umzusetzen Wasser und Wind (-> S. 161, Tab. 2). Sehr charakteristisch und strukturgebend für die teilweise unter dem Die Kulturlandschaft der Steinburger Elbmarschen Meeresspiegel liegende Kulturlandschaft der Steinburger Elbmarschen sind das dichte Netz und die schwach reliefierte Topographie des Entwässerungs- Ein Charakteristikum der Region ist ihre historische Genese als künst- systems. 2 Dieses ist das regionalspezifische Produkt der Besiedlung und liche, vom Menschen geschaffene Kulturlandschaft. Seit dem Mittelalter eig- Bewirtschaftung und wird erst durch die Eindeichung möglich. Die Instand- nen sich Menschen das Land an und gestalten es entsprechend ihrer Erfor- haltung dieses Systems aus Entwässerung und Deichen ist Grundvoraus- dernisse und Möglichkeiten. Die bis heute prägenden historischen Zusam- setzung für eine kontinuierliche Nutzung. Diverse wasserbauliche Anlagen menhänge zeigt beispielhaft das Marschhufendorf Neuenbrook auf seiner wie z. B. Schleusen und Pumpenhäuser sind als kulturlandschaftsprägende -> Fläche von 3x7 km: Eine Einheit aus Feld-, Entwässerungs- und Siedlungs- Elemente mit ihrer Nutzung verbunden ( S. 17 und 117). In diesem Gefüge 2 -> S. 100 strukturen, bei der die landwirtschaftlichen Höfe entlang der Straße aufge- bilden die Flüsse Elbe und Stör sowie der Nord-Ostsee-Kanal die räumlichen reiht sind (-> S. 24-25, Abb. 10 und S. 66-67, Abb. 1 A-D). Grenzen. Zudem werden sie wirtschaftlich und infrastrukturell genutzt und Heute finden in der Region zahlreiche Veränderungsprozesse statt. Die- stellen gleichzeitig als wichtige naturnahe Erholungsräume soziale und tou- se stehen im Zusammenhang mit dem landwirtschaftlichen Strukturwan- ristische Anziehungspunkte dar. del, dem Ausbau der Verkehrs- und Energieinfrastruktur, der Digitalisierung Viele industrielle Bauten, die im Zusammenhang mit Wasser und Wind und der demographischen Entwicklung. Nicht zuletzt beeinflussen auch der stehen, sind als Landmarken in den flachen Elbmarschen weithin wahr- Klimawandel und die hieraus resultierende Notwendigkeit für nachhaltiges nehmbar. 3 So wird das Wasser für die Kühlung im Kernkraftwerk Brokdorf Handeln die Beantwortung der drängenden Fragen zur kulturlandschaftli- verwendet. Bis die historischen Windmühlen die elektrischen Pumpen er- chen Entwicklung. Mit der Lage zwischen dem stark wachsenden, suburba- setzten, wurde der Wind für die Entwässerung des Landes genutzt. Heute nen Verflechtungsraum der Metropolregion Hamburg und der touristisch ge- wird mittels Windenergieanlagen Strom erzeugt (-> S. 135). Diese Anlagen nutzten Nordseeküste ist zusätzlich eine unklare Entwicklungsperspektive bringen mit ihrer Vertikalität und Größe einen vollkommen neuen Maßstab verbunden. Durch die Transformation dieser räumlichen und funktionalen in die Landschaft. Darüber hinaus sind Stromtrassen zur Verteilung der Zusammenhänge ändern sich wesentliche Grundlagen der Kulturlandschaft. Energie ein stark prägendes Strukturelement, das andere kulturlandschaft- 3 Entwässerungssystem und Windenergie- anlagen in den Steinburger Elbmarschen. Dieses kann sowohl räumliche Charakteristika als auch die gesellschaftliche liche Strukturen überlagert. 4 Bedeutung dieser Raumstrukturen betreffen. Als Ankerpunkte regionaler Das Zusammenspiel aus historischen Landschaftsbezügen und gegen- Identität erfahren sie eine symbolische Aufladung und damit gesellschaft- wärtiger Entwicklungsdynamik spiegelt sich auch in der Wahrnehmung der liche Relevanz, oder sie geraten in Vergessenheit. Diese Polarität stellt eine Kulturlandschaft als Referenzpunkt regionaler Identität wider. Konkrete Cul- Herausforderung, aber auch eine Chance für Innovation dar: Beides betont tural Marker des Themenfeldes Wasser und Wind sind einerseits Merkmale die Notwendigkeit für die Gestaltung dieses Wandels. der physisch-materiellen Landschaft. Die zahlreichen Fließgewässer, das Im Rahmen von Regiobranding soll ein solcher Gestaltungsraum er- historisch gewachsene Entwässerungssystem, einschließlich der Sperr- und forscht werden. Dies geschieht z. B. durch das Zusammenführen der diszip- Schöpfwerke, sowie Deiche und Moorgebiete gelten als typisch und werden linären Einzelergebnisse. Hierdurch konnten drei Themenfelder festgestellt wegen ihrer besonderen Ästhetik wertgeschätzt. Andererseits sind mit der werden, die sich als relevant für die Steuerung des Branding-Prozesses er- besonderen Entstehungsgeschichte der Kulturlandschaft auch immateriel- wiesen. Deren Elemente und Praktiken besitzen einen historischen Bezug le Merkmale von Bedeutung. Relevante Aspekte sind beispielsweise die Ge- und unterliegen gleichwohl einer hohen Dynamik: schichte der künstlichen Entwässerung und Urbarmachung durch holländi- • Die Elemente Wasser und Wind sind die wichtigen natürlichen Ressour- sche Einwanderer (Hollerkolonisation) oder niederdeutsche Ortsnamen, die cen und Infrastrukturen, auf diese historischen Besonderheiten verweisen. Als weitere charakteristi-

• die landwirtschaftliche Nutzung ist die wesentliche Form des Boden- sche Merkmale in diesem Themenfeld werden moderne Energieinfrastruk- 4 -> S. 100 gebrauchs, turen empfunden, wenngleich es diesbezüglich unterschiedliche Wertungen • die Siedlungsstrukturen haben sich in Abhängigkeit von den topogra- gab. Besonders Windenergieanlagen werden teilweise als positive neue Form phischen Rahmenbedingungen Entwässerung und Landwirtschaft sehr von Identität gesehen, aber auch als überprägende Elemente, die sich nega- regionalspezifisch entwickelt. tiv auf identitätsstiftende Merkmale der Region auswirken. 96 falco knaps / ines lüder räumliche muster und cultural marker in den steinburger elbmarschen 97

Landwirtschaft Wohnwirtschaftsgebäuden charakterisiert. Diese sind mit variierender Ge- radlinigkeit und Dichte in der Krempermarsch vor allem in linearen Siedlun- In den Elbmarschen sind lange, schmale Streifenfluren mit dazwischen- gen und in der Wilstermarsch vor allem als Streusiedlungen angeordnet. 8 liegenden Entwässerungsgräben typisch. 5 Den Hofstellen waren die land- Siedlungserweiterungen für Wohnen und Einzelhandel an den Ortsrändern wirtschaftlichen Flächen direkt benachbart zugeordnet. Die Landgewinnung sind mitverantwortlich für Leerstände und Funktionsverluste der Ortsmit- durch Eindeichung in den Marschen hat sich etappenweise vollzogen und ten. Sie sind zudem oftmals gekennzeichnet durch Formen einer Funktions- wurde durch die lohnende landwirtschaftliche Nutzung der ertragreichen architektur, die den öffentlichen Raum und den landschaftlichen Bezug sel- Böden befördert oder angeregt. Dies kann heute noch in der Landschaft un- ten berücksichtigen. ter Zuhilfenahme der Kulturlandschaftswandelkarte abgelesen werden, da Die vielen kulturlandschaftsprägenden Gebäude und Kulturdenkmale die eingedeichten Flächen über eine jeweils eigene Geometrie der Entwässe- legen ein Zeugnis des früheren Reichtums der Region ab. Hierzu gehören rungsgräben und der Flurstücke verfügen. 6 neben den Kirchen, Rathäusern und Bürgerhäusern auch die historischen Die landwirtschaftliche Nutzung spielt in den Elbmarschen immer noch Wohnwirtschaftsgebäude der Hofstellen. 9 Neben dem in Norddeutschland eine große Rolle. Während in Schleswig-Holstein der Anteil der landwirt- typischen Fachhallenhaus mit Durchgangsdiele und Erntelagerung im Dach schaftlichen Fläche bei ca. 70 % liegt, wird in den Steinburger Elbmarschen gibt es in der Wilstermarsch mit dem Barghaus einen eigenen Gebäudetyp 5 -> S. 99 ein Anteil von fast 80 % erreicht. 7 Auch die Bauten der Landwirtschaft (-> S. 16). Dieses Charakteristikum ist im Zusammenhang mit der Einführung prägen in hohem Maße die Kulturlandschaft. Zu nennen sind vor allem die der Milch- und Käseproduktion entstanden. Der Gebäudetypus zeichnet Hofstellen mit ihren historischen Wohnwirtschaftsgebäuden und deren bau- sich durch erdlastige Erntelagerung im zentralen Bargraum aus. Die Gebäu- lichen Erweiterungen und Veränderungen. Prägend sind jedoch auch Bau- de stehen häufig erhöht auf Warften, welche zum Teil noch von Wassergrä- 8 -> S. 101 ten für die aktuelle landwirtschaftliche Produktion, welche die landschaftli- ben umschlossen sind. Charakteristisch ist auch der die Bauten umgebende chen Zusammenhänge verändern. Beispielsweise stehen Mastanlagen meist Baumbestand. Dieser dient als Windschutz und sorgt mit seinen Wurzeln für nicht mehr in einem Bezug zu den gewachsenen Siedlungsstrukturen oder trockene Keller. moderne Silos wirken als Landmarken und bilden ein weithin sichtbares Mit Blick auf die Siedlungsstruktur sind es vor allem die Ortskerne von Objekt in der Topographie. Diese Entwicklungen verändern die landschaftli- Wilster, Krempe und Glückstadt mit ihren zahlreichen historischen Einzel- chen Zusammenhänge genauso wie der landwirtschaftliche Strukturwandel bauwerken sowie die unterschiedlichen Dorfformen (u. a. lineare Marschhu- selbst. So mussten dadurch bedingt bereits viele Betriebe aufgegeben wer- fendörfer), die identitätsstiftend wirken. Durch die Verbindung mit der Re- den. In der »Integrierten Entwicklungstrategie der LAG AktivRegion Stein- gionalgeschichte erfolgt auch hier eine zusätzliche symbolische Aufladung: burg 2014-2020« wurde ermittelt, dass sich zwischen 1990 und 2012 die An- So werden diese Strukturen z. B. im Kontext der Geschichte Glückstadts zahl der landwirtschaftlichen Betriebe im Kreis Steinburg von 2200 auf 1150 und der besonderen Planung als Reißbrettstadt durch den dänischen Kö- 9 Erhöht liegende Marschenhöfe mit verringert, also fast halbiert, hat. Die landwirtschaftlichen Flächen werden nig Christian IV gesehen oder mit der früheren Bedeutung der Region als Entwässerungsgraben in den Steinburger weiterhin bewirtschaftet, jedoch tragen aufgegebene Höfe und leerstehende wichtigem Handelsstandort verknüpft. Darüber hinaus werden die landwirt- Elbmarschen.

6 -> S. 102-103 Gebäude sowohl zur Veränderung der Funktionalitäten und des historisch schaftlichen Höfe als Referenzpunkte regionaler Identität wahrgenommen. gewachsenen Landschaftsbildes als auch der Dorfgemeinschaften bei. Sie werden als Ergebnis spezieller Bodeneigenschaften und daraus folgender Auch die Landwirtschaft und deren besonderen Ausprägungen in den Anbauschwerpunkte gesehen und wertgeschätzt. Marschen werden als Cultural Marker wahrgenommen. Die gebietsspezifi- schen und historisch gewachsenen Schwerpunkte sind die Grünlandnutzung Ansätze zur Gestaltung des Wandels in der Wilstermarsch, der Ackerbau in der Krempermarsch und der Gemüse- bau um Glückstadt. Sie werden jeweils als regionaltypische Nutzungsformen Die Untersuchungsergebnisse zeigen deutlich, dass wesentli- angesehen und mit positiven Emotionen, wie z. B. Heimatgefühl, verknüpft. che G räumliche Muster der historischen Zusammenhänge noch vorhanden Besonders das Bild freilaufender Kühe auf den Weiden der Wilstermarsch sind, die Kulturlandschaft prägen und als identitätsstiftend angesehen wer- wird wertgeschätzt und als Komponente regionaler Identität erachtet. Ne- den (beispielhaft dargestellt in 10 ). Gleichzeitig verändern sich die räumli- ben den Anbauarten wird auch den damit verbundenen Produkten eine Ei- chen, funktionalen und symbolischen Zusammenhänge und damit wesentli- genart zugeschrieben, beispielsweise dem Wilstermarschkäse aber auch mo- che Grundlagen der Kulturlandschaft und der regionalen Identität. Es stellt dernen, regionalen Milchprodukten. sich nun die Frage, wie eine selbstbewusste Kulturlandschaftsentwicklung

gestaltbar ist, die charakteristische räumliche Muster weiterbaut und somit 10 -> S. 99 Siedlungsstruktur weiterhin Identität stiftet. Dazu werden folgende Handlungsansätze vorge- schlagen. 7 -> S. 101 Neben dem erst im 17. Jh. gegründeten Glückstadt (-> S. 107), den namen- Die Naherholungs-, Aufenthalts- und Infrastrukturqualitäten der Gewäs- gebenden Marktstädten Wilster und Krempe sowie den kleineren Orten, ser können gestärkt werden, um somit lokale Wertschätzung zu erhöhen. Ein welche schon früh entlang der Flüsse auf den Uferwällen entstanden sind, weiterer Ansatz ist, ein umsetzbares Konzept zu entwickeln, das die Erträ- wird die Siedlungsstruktur vor allem durch das flächendeckende, lockere ge der regionalen Windenergienutzung an die Entwicklung der Kulturland- und dezentrale Netz der landwirtschaftlichen Hofstellen mit ihren typischen schaft koppelt. Das Aktualisieren dieses historisch in anderer Form bereits 98 falco knaps / ines lüder räumliche muster und cultural marker in den steinburger elbmarschen 99

da gewesenen Zusammenhanges kann dazu beitragen, bestehende Unsi- cherheiten im Umgang mit dem Thema Windenergie abzubauen. Windener- gie und die Relevanz der Region als ›Energiedrehscheibe‹ können sich nach und nach als Teil einer neuen regionalen Identität entwickeln. Die Handlungsoptionen bezüglich der Landwirtschaft liegen in der Stär- kung ihrer Bedeutung und Öffentlichkeit. Dies kann durch den Erhalt und die Entwicklung regionaler Produkte und deren Vermarktung sowie mittels einer Multifunktionalität der Hofstellen durch beispielsweise das Etablieren von Hofläden oder Ferienwohnungen erreicht werden. Trotz der baulichen, rechtlichen, sozialen und funktionalen Herausfor- derungen wird als Potenzial die Weiterentwicklung der dezentralen Sied- lungsstruktur der Marschenhöfe mit ihrem Gebäudebestand gesehen. Die- ses Alleinstellungsmerkmal wird als regionale Ressource begriffen, welche Grundlage für eine lebendige und bewohnte Marsch sein kann. Jene kann neue Bewohner anziehen, welche wiederum neue Nutzungen, Netzwerke und Ideen mitbringen und dadurch Innovation befördern. Gleichzeitig ist die Stärkung der Orts- und Stadtkerne und die damit verbundene Qualifi- zierung des öffentlichen Raums und der Funktionalitäten ein wesentliches Handlungsfeld. Sie kann mit einem stärkeren Bezug der Orte zur Landschaft und den Gewässern sowie zu der landwirtschaftlichen Nutzung verbunden werden. Insgesamt wird die Etablierung einer erneuerten regionalen Baukul- tur als Chance gesehen, um Lebensqualität und Attraktivität von Orten in den Elbmarschen zu befördern, den Landschaftswandel im Ausgleich der In- teressen zu gestalten und um – auch durch bessere Planungsprozesse beim Bauen – regionale Identität zu sichern und zu stärken. Eine zukunftsfähige, charakteristische und identitätsstiftende Kulturland- 5 Schafbeweidung auf den für die Steinburger Elbmarschen typischen, schmalen Flurstreifen. schaftsentwicklung in den Steinburger Elbmarschen erscheint trotz – oder gerade wegen – andauernder Prozesse des Wandels möglich. Denn hiermit sind nicht nur Risiken, sondern auch Potenziale verbunden. In dem Span- nungsfeld von historischer Entwicklung und aktueller Dynamik liegen Mög- lichkeiten für Innovation. Das Bewusstsein für die historischen Zusammen- hänge ist für die Gestaltung des Wandels ebenso wichtig, wie das Einbeziehen und Verstehen der aktuellen Transformationen und Trends. Eine solche Pers- pektive eröffnet Denk- und Handlungsräume, die jenseits von Verlustängsten und einer Musealisierung von Kulturlandschaft liegen. Die oben genannten Entwicklungspotenziale stellen einen Startpunkt für den Branding-Prozess der Steinburger Elbmarschen dar.

10 Zusammenspiel der Marschenhöfe, Land- und Energiewirtschaft in den Steinburger Elbmarschen. 100 falco knaps / ines lüder räumliche muster und cultural marker in den steinburger elbmarschen 101

Gewässernetz Landwirtschaftliche Flächen

2 Gewässernetz der Steinburger Elbmarschen. 7 Landwirtschaft in den Steinburger Elbmarschen: Grünland (hell) und Ackerland (dunkel).

Industrie, Gewerbe und Energie Siedlungsareale

4 Steinburger Elbmarschen: Stromtrassen, Windkraftanlagen, Industrie und Gewerbe. 8 Siedlungstrukturen in den Steinburger Elbmarschen: Gebäude (Schwarzplan). 102 falco knaps / ines lüder räumliche muster und cultural marker in den steinburger elbmarschen 103

Die historische Eindeichung der Marsch

6 104 falco knaps / ines lüder räumliche muster und cultural marker in den steinburger elbmarschen 105

LIteraturverzeIchnIs aBBILdungsverzeIchnIs

BundesstIFtung BaukuLtur (hg.) 2016 Baukulturbericht 2016/17. Stadt und Land. Berlin. aBBILdungsnummer BILdnachWeIs [https://www.bundesstiftung-baukultur.de/sites/default/files/medien/78/downloads/ bbk_bkb-2016_17_low_1.pdf; 27.09.2017]. Abb. 2 © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. Bearbeiterin: I. Lüder 2017. FaBer, k. / o sWaLt, p. (hg.) 2013 Raumpioniere in ländlichen Regionen. Neue Wege der Daseinsvorsorge, (Leipzig 2013).

Abb. 3 Ines Lüder FerrettI, m. / k naps, F. / Lüder, I. 2016 Wandel gestalten – Perspektiven für die Steinburger Elbmarschen. Vortrag Statuskonferenz Forschungsprojekt Regiobranding – Branding von Stadt-Land-Regionen durch Kulturland- schaftscharakteristika, Hamburg, 20.07.2016. [http://www.regiobranding.de/content/ Abb. 4 © Amtliches Liegenschaftskatasterinformationssystem (ALKIS), Geobasis-DE/LVermGeo SH 2017 statuskonferenz; 27.09.2017]. (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. Bearbeiterin: I. Lüder 2017. Lüder, I. 2017 Regiobranding - Innovative Perspektiven für regionale Kulturlandschaften. In: Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg et al. (Hg.): Innovationen auf dem Land - Planerische Impulse für Bauten, Orte und Regionen. Stuttgart. S. 84-90. Abb. 5 Ines Lüder [https://mlr.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mlr/intern/dateien/PDFs/ Online-Publikation_Innovationen_Land.pdf; 27.09.2017]. Abb. 6 © Eindeichungskarte nach Lutz Orlowski. In: Rainer Naudiet, Krückau-, Pinnau-, Störsperrwerk (Münsterdorf 1975). pInto-correIa, t. / k rIstensen, Linking research to practice: The landscape as the basis for integrating social and ecological © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. L. 2013 perspectives of the rural Landscape and Urban Planning, 120, 248-256. © DTK100 1:100000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Kartendesign: AGIL, Thorsten Becker, Jana Frank (www.agil-online.de)

regIonnord; egeB Wirtschaftsförderung 2014: Integrierte Entwicklungsstrategie der LAG AktivRegion Steinburg 2014 – 2020. [http://www.leader-steinburg.de/images/Strategie/2015-02-18_IES_ Abb. 7 © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. AktivRegion_Steinburg_2014-2020.pdf; 27.07.2016]. Bearbeiterin: I. Lüder 2017. stephenson, J. 2008 The cultural values model: an integrated approach to values in landscapes. Landscape and Abb. 8 © Amtliches Liegenschaftskatasterinformationssystem (ALKIS), Geobasis-DE/LVermGeo SH 2017. urban planning, 84(2), 127-139. © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. © DTK100 1:100000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Bearbeiterin: I. Lüder 2017.

Abb. 9 und 10 Ines Lüder 106 107

Glückstadt

Die Gründungs- und Baugeschichte bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts

Christian Boldt

Zusammenfassung schlüsselwörter

Am 22. März 1617 unterzeichnete der dänische König Christian IV die Ur- Baugeschichte kunde, die Glückstadt das Stadtrecht verleihen sollte. Glückstadt wurde Glückstadt nach Idealstadtentwürfen der Antike und der italienischen Renaissance Stadtentwicklung auf dem Reißbrett entworfen und mitten in die von Sturmfluten geplagte Sephardische Juden Wildnis gesetzt. Nach einem anfänglichen Aufschwung durch die großzü- Christian IV. Festungsarchitektur gige Förderung der Stadt durch den dänischen König und die Glaubens- Festungsstadt flüchtlinge überschatteten die kriegerischen Auseinandersetzungen im Idealstadt Verlauf des 30jährigen Krieges die gewünschte weitere Entwicklung zu ei- Planstadt ner Handelsmetropole an der Elbe. Glückstadt wurde eine Festungs- und Verwaltungsstadt, die heute noch als Stadtdenkmal viele Touristen anzieht.

Die Toleranzstadt

Schleswig-Holstein ist ein prägnantes Beispiel für die wechselhafte Judenpolitik der jeweiligen Obrigkeiten im Heiligen Römischen Reich Deut- scher Nation. Während in Kiel die Landesherren gezielt versuchten, Juden aus der Stadt herauszuhalten, wurden sie seit Anfang des 17. Jhs. in die zu dieser Zeit in königlichen sowie Gottorfer Teil zersplitterten Herzogtümer geradezu eingeladen, sich anzusiedeln. Dahinter steckten vor allem ökono- mische Motive. So entschied sich der dänische König Christian IV 1614 – von 1460 bis 1864 war die Grafschaft Holstein in Personalunion mit dem König- reich Dänemark verbunden – an der südlichen Grenze seines Reiches eine befestigte Stadt anzulegen. Wiederholt fuhr Christian IV von Krempe und von aus in die hinaus, um einen geeigneten Platz für seine Gründung auszusuchen. Der Winkel zwischen Elbstrom und Störmündung schied aus, weil dort der Fluss für die Reichweite der Festungsgeschütze zu breit war. Diesen Nachteil wies das Gelände bei der Einmündung des Rhins in die Elbe nicht auf. Um dort eine Siedlung anlegen zu können, musste das Areal mit Deichbauten gesichert werden. Dazu waren diplomatische Schritte notwendig, denn zum Herrschaftsbereich des dänischen Königs zählte nur 108 christian boldt glückstadt 109

das Gebiet nördlich des Rhins. Auf der anderen Uferseite regierte der Pin- Als Transportwege für Waren wurden über zwei Jahrhunderte hinweg neberger Graf Ernst III. 1615 waren sich dann beide Feudalherren einig. Der hauptsächlich die zahlreichen Wasserläufe in der Marsch benutzt. Die Wege König stellte den bewährten Deichbaumeister Eggert Sperforke, nach dem nach Elmshorn und zur Störmündung bei Ivenfleth wurden erst 1866/67 und der Sperforkenweg in Glückstadt benannt ist, als technischen Leiter ein. Am 1904 befestigt, lange nachdem 1845 ein Eisenbahnanschluss gelegt worden 12. März 1615 begannen die Erdbewegungen für den Neuen Deich auf der Stre- war. cke vom Vereinigungspunkt des Alten Deichs mit dem Stördeich bei Ivenfleth Der westlich an die Schleusen angrenzende Teil der Rhinmündung wurde längs der Stör und der Elbe bis zum Rethövel. zum Hafen ausgebaut; das Markt-Fleth als zentrale Be- und Entwässerungs- Im Frühjahr 1616 wurde mit dem Bau der Stadt begonnen und schon am anlage angelegt. Es durchschnitt die Stadt und teilte sie in zwei Hälften. 1620 22. März 1617 verlieh Christian IV (*1577 †1648) der kleinen Elbsiedlung das wurde das mit Kanonen bestückte G Blockhaus im Elbwatt errichtet und Stadtrecht, den programmatischen Namen Glückstadt und als Wappen die durch einen Wall mit der Stadt verbunden. Es sicherte den Hafen. Glücksgöttin Fortuna. Zu dieser Zeit wohnten nur etwa 25 Familien in der Fast 1000 Soldaten errichteten die Wälle, die G Bastionen und das Au- neuen Stadt. Um weitere Siedler für die junge Stadt zu gewinnen, stattete ßenwerk.1623 wurde westlich des Markt- G Fleths im sog. »Neuen Werk« die Christian IV Glückstadt mit weitreichenden Privilegien aus, wie der freien ersten Straßen abgesteckt, ein Entwässerungssystem angelegt und der Hafen Religionsausübung seiner Einwohner. Diese sollten die Ansiedlung für Neu- bis zum »Jungfernstieg« verlängert. Der neue Stadtteil setzte die radiale An- bürger attraktiver machen. lage nicht fort, wohl weil die gedachte sechseckige Anlage für eine Festung Vergleichbar mit der 1621 durch den Gottorfer Herzog Friedrich III (*1597 ausreichte, aber der geplanten Handelsstadt nicht genügend Raum bot. So †1659) angelegten Friedrichstadt wurde Glückstadt zur ›Toleranzstadt‹. Im entstand die Situation, dass der östliche Teil nur ungenügend an den Hafen

1 Der restaurierte Jüdische Friedhof zeugt Gegensatz zu Friedrich gelang es Christian, die als äußerst tüchtig gelten- angebunden war. Die Bebauung der »Königstraße« bis zur »Reichenstraße« noch heute vom Erbe der Sepharden in den portugiesischen Juden, die G Sepharden, als Siedler anzuwerben. Der (Judenstraße), der »Schlachterstraße«, der »Großen Deichstraße« und »Am Glückstadt. Stadtgründer lockte sie mit Privilegien wie der genannten Religionsfreiheit Hafen« wurde bis 1627 im Wesentlichen abgeschlossen. 3 Bis 1645 war der und – einmalig zu dieser Zeit im christlichen Europa – Sitz und Stimme restliche Teil des »Neuwerks« bebaut. Mit ca. 550 Häusern hatte Glückstadt im Rat der Stadt. An den Sepharden, zu denen alle Juden der iberischen einen Stand erreicht, der erst Mitte des 19. Jhs. übertroffen wurde. Halbinsel gehörten, bestand besonderes Interesse, denn sie pflegten enge 3 -> S. 114 Kontakte zu den Zentren der Alten und der Neuen Welt. Von 1619 an zogen Glückstadt als dänischer Nordseehafen Kaufleute, Ärzte, Münzmeister, Naturwissenschaftler und andere Gelehrte in die Stadt. Warum aber baute Christian IV eine Stadt in den sumpfigen, mücken- Heute erinnert noch der 2014/15 aus Mitteln des Landesamtes für Denk- verseuchten und von Sturmfluten geplagten Elbmarschen, zumal der Bau malpflege aufwändig restaurierte Jüdische Friedhof in der Pentzstraße an die Unsummen an Geld und Material verschlang? ersten jüdischen Siedler in Glückstadt. 1 Mit seinen zahlreichen Gräbern Aus der Frühgeschichte Glückstadts kann geschlossen werden, dass han- gehört er zu den bedeutendsten sephardischen Friedhöfen in Deutschland. dels- und machtpolitische Ziele dafür ausschlaggebend waren. Zu dieser 1651-1925

1651-2008 1651-2008 1880-2008 Zeit war Dänemark noch eine bedeutende nordeuropäische Macht. Chris-

1719-1789 1719-1925 1719-1789 1651-1789 1719-17891719-1789 1836-2008 1756-1756 1651-1789 tian IV galt als König von Dänemark und Norwegen als sehr wohlhabender 1756-1756 1719-1789 1756-1789 1651-1789 Die Festungsstadt und ihre Bauplanung 1719-1789 1752-1789 1651-1789 1719-1756 und einflussreicher Fürst. Der dänische Herrschaftsverband erstreckte sich 1651-1789 1789-2008 1651-1789 1756-1836 1651-1836 1651-1898 1836-1898 1651-20081651-2008 1651-2008 1651-2008 Die Gestalt der Stadt stellt etwas Besonderes dar, denn die Anlage bildete von Norwegen im Norden bis zu den königlichen Anteilen von Schleswig und 1651-1789 1836-1836 1719-1756 1836-1836 1719-1756 1836-2008 1756-2008 1719-1836 1836-2008 1651-1789 1756-1789 1719-1836 1836-2008 1719-1756 ein halbes regelmäßiges Sechseck. Darin schlug sich das Ideal einer radialen Holstein im Süden. Weite Teile des heutigen Schwedens (Bohuslän, Jämtland, 1651-1925 1719-1756 1756-2008 1756-1789 1719-2008 1651-1789 1651-1898 1789-1836 1719-1925 1651-1651 1719-1756 1719-1925 1756-17561651-1789 1836-2004 1836-1836 Stadtkonzeption im Sinne der Renaissance nieder. Der Markt lag im Zent- Harjedalen, Halland, Schonen und Blekinge) gehörten dazu. Die Hauptstadt 1719-1789 1719-1898 1880-1925 1719-1836 1651-2008 1651-1651 1836-1836 1719-1789 1836-1880 1756-2008 1756-1836 1789-1836 1719-1789 2 1651-1836 rum des Radius. Direkt am Markt entstanden auch die Kirche, deren Bau Kopenhagen lag in der Mitte des sichelförmigen Gebildes. Dazu zählten noch 1719-1756

1719-1789 1756-1836 1719-1789 1651-1651 1719-1789 1719-1789 1719-1789 1836-1836 1836-1836 1719-1789 der König bereits 1617 angeordnet hatte, und das Rathaus. Vom Markt führ- die Ostseeinseln Öland, Gotland und Ösel sowie die Atlantikinseln Island, 1789-2008 1719-1756 1719-1789 1719-1789 1719-1898 1756-1756 1756-1789 ten 12 Straßen zu den Festungswällen, die durch Bastionen besonders ver- Grönland und die Faröer. Die Verbindungen und damit der Zusammenhalt 1719-2008 stärkt wurden. Mit den radial verlaufenden Ring- und Wallstraßen wurden der verschiedenen Glieder des dänischen Imperiums wurden über die See- Kulturlandschaftsanalyse Glückstadt, Kr. Steinburg Historische Topografie die Straßen untereinander verbunden. Das Straßensystem hatte vorrangig wege von Nord- und Ostsee hergestellt. Dänemark verfügte über eine große Sta2nd: Janua->r 201 2 S. 113 Erfassung und Entwurf: Claudia Mandok M. A. eine militärische Funktion. Es stellte sicher, dass die Festungswälle schnell Flotte an Kriegs-und Handelsschiffen und an der Ostsee lag seit dem Mittel- Legende Brücke Park Handwerk und Wirtschaftsgebäude und direkt vom Markt aus erreichbar waren. Markt und Straßen ließen aber alter eine Vielzahl von Häfen im Machtbereich des dänischen Königs und Regulierung Wasserstand Deich Plangarten Siel Bastion; Ravelin; Stadttor öffentliche Gebäude auch dem Handel noch Raum. Die Hauptachse der Stadt wurde von der Gro- konnte die Versorgung Norwegens, das auf Getreidelieferungen angewiesen Befestigungsanlage Markt Glacis Straße Schlossanlage Mole; Landungsbrücke ßen Kremper Straße gebildet, die durch das Kremper Tor über die für lange war, und der Residenz Kopenhagen sicherstellen. Herrschafts- und Staatswesen Gewässer religiöse Einrichtungen Friedhof Zeit einzige befestigte Zufahrtsstraße, den Steindamm, zur Festung Krempe An der Nordsee verfügte der dänische König im Gegensatz dazu nur über führte. Die Straßenbefestigung hatte also eine mehr der Verteidigung die- den sehr abgelegenen Hafen von List auf Sylt, der für die damals modernen nende Funktion, als dass sie dem Handel nützen sollte. Truppen sollten sich Schiffe mit ihrem größeren Tiefgang geeignet war. Der königliche Anteil der schnell zwischen den beiden Festungsstädten Krempe und Glückstadt bewe- Herzogtümer Schleswig und Holstein besaß keinen weiteren für Seeschiffe gen können, um im Falle eines Angriffes sich gegenseitig Entsatztruppen zu geeigneten Nordseehafen, denn Husum und Tönning gehörten zum Anteil bringen. der Gottorfer Herzöge und die Zufahrten der alten Häfen von Itzehoe und 110 christian boldt glückstadt 111

Krempe waren für die damaligen Schiffe zu flach oder schwer zugänglich. tians über die Elbe zog die kaiserlichen Truppen nach und Mitte Juli 1627 Aus diesem Grund stoppte er auch das Unterfangen, die Festungsstadt Kr- erreichte der Krieg auch die bis dahin verschont gebliebenen Herzogtümer. empe weiter zu einer Handelsstadt auszubauen (1598-1602). Ein gut gelege- Der Herzog von Waldstein (Wallenstein) übernahm als Oberbefehlshaber ner Hafen mit Zugang zur Nordsee wurde aber immer wichtiger seit sich die den jütischen Feldzug. Itzehoe und die Breitenburg fielen nach kurzer Be- Spannungen mit Schweden verstärkten, das den Øresund und damit die Ver- lagerung, Rendsburg nach zwei Wochen. Holstein, Schleswig und Jütland bindung zwischen Ost- und Nordsee sperren konnte. Dies zeigte sich auch waren bald in der Hand der ›Kaiserlichen‹. Die junge Festung Glückstadt gerade im 17. Jh., indem es viele kriegerische Auseinandersetzungen mit dem hielt der Belagerung jedoch stand und wurde nach dem Frieden von Lübeck Erzfeind gab. Während des 30-jährigen Krieges war die Stadt Stade im heuti- 1629 zum Zentrum der dänischen Aktivitäten in Schleswig-Holstein und gen Niedersachsen zudem zeitweilig in schwedischer Hand (1628–1636) und als deutsche Residenz des Königs Operationsbasis seiner Politik gegenüber damit in der Lage, den Schiffsverkehr nach Glückstadt erheblich zu behin- dem deutschen Reich. dern. Nach einer kurzen dänischen Besatzungszeit eroberten die Schweden Im Jahr 1633 wurde das Schloss »Glücksburg« in Glückstadt direkt am Ha- Stade 1643 endgültig zurück und erhielten sie zusammen mit dem Erzbis- fen und der Elbe als Zeichen der Herrschaft des dänischen Königs errichtet. tum Bremen im Westfälischen Frieden von 1648 auch offiziell zugesprochen. Das Hauptfahrwasser der Elbe führte vorbeifahrende Schiffe direkt an der Stade wurde schwedischer Regierungssitz der Herzogtümer Bremen und Stadt und somit am Schloss vorbei. Leider musste das prächtige Gebäude Verden. wegen Einsturzgefahr bereits im Jahr 1708 abgerissen werden, aber die ho- Ein weiterer Grund für eine Stadtneugründung an der Elbe lag im wach- hen Beamten sorgten bis zum Beginn des 18. Jhs. mit einigen Stadtpalais, wie senden Handel über die Nordsee. Ein neuer dänischer Hafen, der daran teil- das noch heute erhaltene Brockdorff-Palais zeigt, 4 für Ersatz. Als Rest der nahm, lag ganz im Sinne der merkantilistischen Politik, die Christian IV ver- Schloss-Anlage blieb der ehemalige Wirtschaftshof direkt am Hafen, auf des- 4 Das Brockdorff-Palais, erbaut 1630. Heute ist hier das Detlefsen-Museum unterge- stärkt betrieb, um die Handelsbilanz zu verbessern. sen Gelände heute das »Provianthaus« steht. bracht mit seiner umfangreichen Samm- lung zur Geschichte Glückstadts und der holsteinischen Elbmarschen. Elbfestung und dänische Machtpolitik Die weitere Bau- und Stadtentwicklung

Sprachen die genannten Gründe für die Anlage einer Handelsstadt, wie- 1639 beschloss Christian IV eine Erweiterung der Stadt nach Süden. sen die machtpolitischen Interessen des Königs im Süden seines Reiches Das Stadtgebiet sollte auf dem stark angewachsenen Rhin-Watt in einer un- auf eine Elbfestung hin. Sie sollte zum einen gegen Hamburg gerichtet sein, regelmäßigen Blockstruktur um die doppelte Fläche erweitert werden. Fünf dessen Landesherr der König Christian IV als Herzog von Holstein nominell Segmente waren außerhalb des Deiches geplant. noch war. Die reiche Handelsstadt hatte sich allerdings schon unter seinen Der Plan von 1651 aus dem Danckwerth’schen Atlas 5 zeigt den Planungs- Vorgängern weitgehend verselbstständigt. Sie strebte danach, sich ganz von stand von 1640-48 und lässt eine bereits bestehende, detailliert wiederge- ihrem Landesherren zu lösen und eine Reichsstadt zu werden, die unmittel- gebene Bebauung entlang des Hafens erkennen. Im Gegensatz zu der eher bar dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation unter- kleinteiligen, geschlossenen Bauweise nördlich des Hafens stehen hier nur stand. Das wollte und konnte der reiche und unternehmende Renaissance- großflächige Solitäre. Die Baublöcke auf dem Rethövel (auf der Karte »Redt fürst Christian IV nicht zulassen. Zum anderen sollte die Festung zusammen Höwell«) sind nur als Konturen angedeutet und setzen sich als projektierte mit Krempe das Herzogtum Holstein sichern und als Basis für die eigene Erweiterung deutlich von der perspektivischen Darstellung der bestehen- Expansionspolitik dienen. Beiderseits der Elbe lagen nur relativ schwache den Stadt ab. Die Anbindung der neuen Stadtteile erfolgte über Brücken auf Territorialstaaten (Grafschaft Schauenburg-Pinneberg, Erzbistum Bremen, Höhe des Jungfernstieges und des Fleths. Der Rhin sollte östlich als Befes- Bistum Verden, Herzogtum Lüneburg). Christian IV wollte sich als protes- tigungsgraben um den Rethövel geleitet werden. An der Aufweitung beim 5 -> S. 114 tantischer Herrscher auf deren Kosten eine starke Stellung gegen den Kaiser Zusammenfluss von Rhin und Schwarzwasser war die »Rhyn Schantz« zur im deutschen Reich aufbauen. Dies war auch der Grund, warum die erste landseitigen Verteidigung vorgesehen. Der Befestigungswall war bis an das Bauperiode 1625/26 ihr gewaltsames Ende fand. Denn im Dreißigjährigen Elbufer heran geplant, wobei ähnlich des nördlich des Hafens gelegenen Krieg (1618–1648) benutzte Christian IV seine starke Stellung in den Herzog- Neuwerks die G Kurtinen und Bastionen zugleich vor Hochwasser schützen tümern zu weitgreifenden Annexionen. Er versuchte sich in norddeutschen sollten. Der erneute Krieg mit Schweden (1643-45) unterbrach den weiteren protestantischen Domstiften (Bremen, Verden, Osnabrück, Halberstadt) Ausbau, der 1648 schließlich ganz gestoppt wurde. Es wurden von nun an nur festzusetzen. Anfang der 1620er Jahre hatte er sein politisches Ziel erreicht noch die Befestigungsanlagen verstärkt und repariert. Im Jahr 1656 war ein und im Niedersächsischen Kreis eine neue, starke Position aufgebaut. Da- erheblich verkürzter Festungsgürtel fertiggestellt. mit war er auf der Höhe seiner Macht und ließ sich auf das Kriegsabenteuer, Wegen des Schutzes, den die Festung bot, und um die Stadt zu fördern, den Kaiserlichen Krieg – wie er in der Landesgeschichte heißt – ein. wurde 1649 die Regierungskanzlei für Schleswig-Holstein von Flensburg nach Im April 1625 wurde er zum Kriegsoberst des Niedersächsischen Kreises Glückstadt verlegt, mit der später eine Reihe höchster Gerichte verbunden gewählt und stellte eine Truppe mit knapp 30.000 Fußsoldaten und 8.000 war. Die Beamten, die Soldaten und Offiziere der Garnison mit dem Leibre- Reitern auf. Sein Vorstoß in das mittlere Niedersachsen endete mit der Nie- giment Königin und der hier stationierten Kriegsflotte waren die wichtigsten derlage gegen die kaiserliche Streitmacht unter Tilly bei Lutter am Baren- Stützen der Glückstädter Wirtschaft. Sie prägten lange das gesellschaftliche berg im Harzvorland am 17. August 1626. Der überstürzte Rückzug Chris- Leben in der Stadt. 112 christian boldt glückstadt 113

Während der Napoleonischen Kriege wurde die Stadt 1813/14 erneut und dieses Mal erfolgreich bis zur Kapitulation belagert. Als Folge des Kieler Frie- dens mussten die Festungswerke geschleift werden. Die Glückstädter mach- 1651-1925 ten das Beste draus und gestalteten sie zu einem englischen Park um. Die 1651-2008 Anlagen bestimmen das Stadtbild bis heute. 1651-2008 1880-2008 1845 begann mit dem Anschluss an die Eisenbahn für Glückstadt ei- 1719-1789 1719-1925 ne neue Zeit. In der Hochindustrialisierungsphase siedelten sich mehre- 1719-1789 1651-1789 1719-17891719-1789 re Großbetriebe an, die allerdings auf die Arbeitskraft der Häftlinge in den 1836-2008 1756-1756 1651-1789 Strafanstalten zurückgriffen. Daher gab es in Glückstadt kaum offene Stellen 1756-1756 1719-1789 1756-1789 1651-1789 für Arbeiter, nennenswerter Bevölkerungszuwachs blieb aus und für Woh- 1719-1789 1752-1789 1651-1789 nungsbau in größerem Umfang gab es keinen Bedarf. So hat die Industriali- 1719-1756 sierung in Glückstadt ohne Urbanisierung stattgefunden. Somit blieb glück- 1651-1789 licherweise viel historische Bausubstanz erhalten, die in der Ära von Bürger- 1789-2008 1651-1789 1756-1836 meister Dr. Bruhn mit Städtebauförderungsmitteln des Bundes saniert und 1651-1836 1651-1898 1836-1898 modernisiert werden konnte und jetzt als ›Stadtdenkmal‹ einschließlich des 1651-20081651-2008 1651-2008 1651-1789 1651-2008 1836-1836 archäologischen Erbes, unter Schutz steht. 1719-1756 1836-1836 1719-1756 1836-2008 1756-2008 1719-1836 1836-2008 1651-1789 1756-1789 1719-1836 1836-2008 1719-1756

1651-1925 1719-1756 1756-2008 1756-1789 1719-2008 1651-1789 1651-1898 1789-1836 1719-1925 1651-1651 1719-1756 1719-1925 1756-17561651-1789 1836-2004 1836-1836 1719-1789 1719-1898 1880-1925 1719-1836 1651-2008 1651-1651 1836-1836 1719-1789 1836-1880 1756-2008 1756-1836 1789-1836 1719-1789 1651-1836 1719-1756

1719-1789 1756-1836 1719-1789 1651-1651 1719-1789 1719-1789 1719-1789 1836-1836 1836-1836 1719-1789 1789-2008 1719-1756 1719-1789 1719-1789 1719-1898 1756-1756 1756-1789

1719-2008

Kulturlandschaftsanalyse Glückstadt, Kr. Steinburg Historische Topografie Stand: Januar 2012

Erfassung und Entwurf: Claudia Mandok M. A.

Legende

Brücke Park Handwerk und Wirtschaftsgebäude Regulierung Wasserstand Deich Plangarten Siel Bastion; Ravelin; Stadttor öffentliche Gebäude Befestigungsanlage Markt Glacis Straße Schlossanlage Mole; Landungsbrücke

2 Kulturlandschafts- Herrschafts- und Staatswesen Gewässer wandelkarte von Glückstadt, Januar 2012. religiöse Einrichtungen Friedhof 114 christian boldt glückstadt 115

LIteraturverzeIchnIs

BoLdt, ch. (hg.) 2017 Die Geschichte der Jüdischen Gemeinde Glückstadt 1619 bis 1915. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Detlefsen-Museum 2017, (Glückstadt 2017).

BoLdt, ch. (hg.) 2017 Festung Glückstadt. Vorträge anlässlich des 200. Jahrestages der Belagerung Glückstadts 1813/14. Sonderpublikation der Detlefsen-Gesellschaft Glückstadt e.V., (Glückstadt 2017).

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aBBILdungsverzeIchnIs 3 Stadtplan von 1836, gez. Von Capitain W. v. Thalbitzer.

aBBILdungsnummer BILdnachWeIs

Abb. 1 Norbert Meinert, 2015.

Abb. 2 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2012. © Auszug Gebäude und Flurstücke, Amtliches Liegenschaftskatasterinformationssystem (ALKIS), Geobasis-DE/LVermGeo SH 2012. Bearbeiterin: C. Mandok, ALSH 2012.

Abb. 3 Stadtarchiv Glückstadt, Plansammlung.

Abb. 4 Walter Worm, 2009.

Abb. 5 Stadtarchiv Wilster, Doose’sche Bibliothek.

5 Glückstadt mit der geplanten Erweiterung südlich des Hafens, erstellt von Johannes Mejer (Danckwerth’scher Atlas von 1652). 116 117

Elemente der maritimen Kulturlandschaft

Die Schleuse Kasenort und Fährverbindungen an der Stör und Wilster Au

Matthias Bunzel

Zusammenfassung schlüsselwörter

In diesem Beitrag werden maritime Aspekte des Wandels in der Kultur- Schleuse landschaft der Steinburger Elbmarschen vorgestellt. Bei den porträtierten Fähren Objekten handelt es sich um die Schleuse Kasenort und mehrere Fährver- Stör bindungen, von denen heute nur noch eine existiert. Wilster Au und Marsch Maritime Landschaft Unterelbe Naherholung Bürgerschaftliches Engagement Einleitung Inwertsetzung

Die Steinburger Elbmarschen werden durch den Verlauf der Stör strukturiert und wesentlich geprägt. Aus dieser engen Verbindung zwischen dem Wasserlauf der Stör und ihren Nebengewässern mit den Marschenland- schaften ergaben und ergeben sich neben vielfachen Nutzungsmöglichkeiten allerdings auch immer wieder Herausforderungen für das alltägliche Leben. An der Mündung der Wilster Au in die Stör, dort wo die G Schleuse Kasen- ort die Schnittstelle dieser beiden Flüsse darstellt, bestand der Bedarf einer zuverlässigen Entwässerung der Wilster Marsch und zugleich auch die Not- wendigkeit, die Hochwasserstände der Stör fernzuhalten, um das Marsch- land ungehindert bewirtschaften zu können. Für die Schifffahrt wiederum war zugleich eine Regulierung der Wasserstände erforderlich, um die Stadt Wilster auf dem Wasserweg zu versorgen und dort Handel treiben zu können. Die Schleuse Kasenort, die zugleich auch eine Brückenüberführung über die Wilster Au darstellt, ist Zeugnis der vielfachen Nutzungsanforderungen, die mit diesem Ort in Verbindung stehen. Nicht nur wegen ihrer prägnanten Baulichkeit, sondern auch wegen ihrer Aussagekraft hinsichtlich des Um- gangs mit den natürlichen Gegebenheiten vor Ort ist sie heute ein geschütz- tes Kulturdenkmal. Die Stör als zentraler Wasserlauf der Steinburger Elbmarschen bildet die Nahtstelle zwischen Wilster- und Krempermarsch. Um den Austausch zwischen diesen beiden Landschaften zu gewährleisten, war (und ist) ent- weder das Vorhalten von Brücken oder die Unterhaltung von regelmäßigen, zuverlässigen Fährverbindungen erforderlich. Da im Unterlauf der Stör – unterhalb von Itzehoe – der Bau von Brücken aufgrund der zunehmenden Gewässerbreite höhere bauliche Anforderungen stellt und somit auch einen Schleuse Kasenort[362]

118 matthias bunZel elemente der maritimen kulturlandschaft Die Gesamtanlage Schleuse Kasenort ist einer119seits ein Bauwerk für wasserwirtschaftliche Belange (Ent- wässerung der Marsch und Wasserweg)8, anderseits größeren Kostenfaktor als im vergleichsweise schmalen Oberlauf der Stör Im Vergleich zur vorherigen Tunnelschleuse wurde das neue Bauwerk wiede- ist das im Stördeich gelegene Schleusenunterhaupt dargestellt hätte, gibt es unterhalb von Itzehoe bzw. Heiligenstedten erst seit rum ein Stück weiter nördlich, also noch etwas weiter vom ursprünglichen Bestandteil der Hochwasserschutzlinie, bis 1974 (Abdämmung Stör) im Landesschutzdeich, seither in der Fertigstellung der Straßenbrücke im Verlauf des Störsperrwerks im Jahr Mündungsverlauf der Wilster Au entfernt, angelegt. (siehe die heutige Lage der Mitteldeichlinie. 1980 eine feste Störquerung. Davor existierten auf diesem Flussabschnitt fünf auf 3 ) Die Schleuse befindet sich im Eigentum der Stadt Wilster und erfüllt Die Schleusenanlage mit • Schleusenhäuptern: Unterhaupt an der Einmün- Fährverbindungen. Die weiter im Oberlauf der Stör gelegenen ehemaligen nach wie vor wichtige Funktionen für die Entwässerung der Wilster-Marsch dung in die Stör, Oberhaupt in der Wilster Au, Fährverbindungen bei Münsterdorf, Breitenberg, Grönhude und Breitenburg sowie für die Befahrbarkeit der Wilster Au durch Wasserfahrzeuge. Seit 1995 • Schleusenkammer, 129 m lang, durch Verwallung liegen außerhalb des Betrachtungsraumes dieser Publikation und werden existiert mit dem Förderverein Wilster Au und Schleuse e.V. zudem eine un- eingefasst und • Klappbrücke 4 deshalb hier nicht behandelt. Von ihnen ist heute nur noch die Störfähre terstützende Institution. Neben der Belebung der Wilster Au als Lebensader ist in dieser Form ein einmaliges Bauwerk in Nord- ELSE zwischen und Beidenfleth, ungefähr auf halber Höhe zwi- der Wilster-Marsch engagiert sich diese ehrenamtliche maritime Initiative deutschland und steht unter Denkmalschutz.

schen Itzehoe und dem Störsperrwerk, übrig geblieben. Die Fähre ELSE ist u.a. auch für die Instandsetzung der Schleuse. Die Erhaltung der Schleusen- Schon vor 1925 gab es eine Schleuse Kasenort, Eigen- nach wie vor ein vitales Element der hiesigen maritimen Kulturlandschaft; funktion und des Status der Wilster-Au als schiffbares Gewässer I. Ordnung tum der Auschleusenkommune: LW 4,00 m, Sohle auf NN-2,71 m, das Unterhaupt mit 3 Stemmtorpaaren die vier heute nicht mehr existierenden Linien sind als Indizien für den Kul- sind vorrangige Vereinsziele. (Ǟ Kästchen), das Oberhaupt mit 1 Stemmtorpaar turlandschaftswandel in der Region aufschlussreich. 1 In funktionaler Hinsicht ist das Zusammenspiel von Ober- und Unter- (Öffnung zur Schleusenkammer hin). 1925/26 wird d3ie ba->uf äS.ll i124g gewordene Anlage erneuert. Die Regie- 1 Zeichnung aus dem Bauplan haupt der Schleuse von besonderer Bedeutung, um einen Schleusungsvor- vom 10.05.1935. rung verlangt zwar einen Neubau mit gleich bleiben- 2 Die Tore sind mit neuen Be- gang zu erläutern. Wenn der Wasserstand in der Stör höher ist als der in der der Breite, aber letztlich wird die Durchfahrt 7,00 m schlägen versehen und mit Die Schleuse Kasenort Edelstahlplatten verstärkt und breit, so wie es die Stadt Wilster von Anfang an bean- Wilster Au, findet eine Schleusung von Wasserfahrzeugen statt. Dabei wer- abgedichtet worden. tragt hatte.9 3 1957 ersetzt durch eine Die Schleuse Kasenort markiert die Mündung der Wilster Au in die den die Tore des Oberhauptes geschlossen. Der Wasserstand in der Schleuse sturmflutsichere Anlage als Schleuse Kasenort, Unterhaupt 2. Deichsicherheit. 1 Stör. Die von der Wilster Au durchflossene Wilster Marsch ist aufgrund ihrer entspricht in dieser Phase dem in der Stör, sodass Schiffe in die Schleuse 4 „Rund /6 des Gesammtnie- derschlagsgebietes ist Räum- außerordentlich tiefen Lage (tiefste Landstelle: 3,54 m unter Normalnull) in einfahren können. Daraufhin werden die Tore des Unterhauptes geschlossen land, das die Vorflut in der Hauptwettern findet.“ besonderer Weise der Gefahr von Überflutungen ausgesetzt. Bis ins 19. Jh. hi- und das Wasser über Schotten in die Au abgelassen. Sobald der Wasserstand 5 Propellerpumpen, Ehrhardt & Sehmer. nein war die Wilster Au jedoch zugleich auch der wichtigste Versorgungsweg in der Schleuse auf das Niveau der Wilster Au gesunken ist, werden die To- 6 Tiefbauarbeiten: Ing. Bau , Wilster, in der Umgebung. re des Oberhauptes geöffnet, und die Schiffe können ihre Fahrt in Richtung Kosten: 1,259 Mio. DM. 1 -> S. 123 7 Claus Hinrich Christensen, 4 Die Quellenlage lässt dem Historiker Manfred Koch zufolge den Rück- Wilster fortsetzen. Baujahr: 1925/26 1768–1841, Ingenieur des 1962 werden neue Stahltore eingebaut. Die Flügel Königs; aus einem Vortrag von schluss zu, dass bis ins Jahr 1436 hinein kein Schleusenbauwerk an der Mün- Die zwischenzeitlich erforderlichen Erneuerungs- und Instandsetzungs- des inneren Stemmtorpaars im Unterhaupt und im Jörn Meiners, Kiel, nicht Stemmtorpaar des Binnenhaupts erhalten je Tor ein datiert. dung der Wilster Au in die Stör existierte. Die Allerheiligenflut dieses Jahres arbeiten wurden in zwei Abschnitten durchgeführt. In den Jahren 1999/2000 Füllschütz von 2,5 m2 Durchflussöffnung. Die bisheri- 8 Stand 1958: die in Wilster gen Umläufe zum Füllen der Schleusenkammer (in gelegene Futtermittelfabrik er- brachte jedoch schwere Wasserschäden in der Wilstermarsch mit sich. Diese erfolgte die Renovierung des Oberhauptes. Im Jahr 2017 konnte als zweiter trockener Zeit dienen sie auch der Bewässerung) hält Rohstoffe auf dem Wasser- werden dicht gemacht. weg, in Wilster sind 19 Binnen- waren wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die Deiche der Wilster Bauabschnitt mit der Renovierung des Unterhauptes begonnen werden, die Querschnitt: LW 7,00 mm schiffer beheimatet; Stand 7,00 m 5 1999: in Wilster sind keine In- Au niedriger als die der Stör waren. Aus diesem Grund musste die Einmün- mit der Neuerrichtung eines Schöpfwerkes zudem wesentliche Umbaumaß- Sohlenhöhe: NN-3,20 m dustrie- oder Gewerbebetriebe Verschlüsse: Stemmtore: mehr ansässig, die noch auf den dung der Wilster Au in die Stör durch eine Schleuse gesichert werden. Das nahmen beinhaltet. Dieses neu einzubauende Schöpfwerk ist nicht nur für 2 Fluttor- Transportweg „Wasser“ ange- paare10 wiesen wären (letzter Transport Vorgängerbauwerk der heutigen Anlage wurde nördlich von der natürlichen die Trockenlegung der Schleuse 2018 bei der weiteren Sanierung notwendig. 1 Ebbetorpaar, 1975, zur Rumflether Mühle), außer Betrieb hingegen soll gemäß Dorfent- Mündung der Wilster Au in die Stör angelegt (siehe die historische Lage Es wird auch dazu beitragen, künftig besser auf Binnenhochwasser durch wicklungsplan die Kleinschiff- fahrt (Boote und kleine Fahr- auf 2 ) und als Tunnelschleuse durch den Deich hindurch konzipiert, sodass Regenfluten reagieren zu können. Anschließend werden dann die Stemmtor- 4 -> S. 125 gastschiffe) erhalten bleiben. 9 Die Stadt hatte auch erreicht, die Durchfahrthöhe für Kähne nach oben begrenzt war. Auch wenn dieses paare und das Schleusenwärterhäuschen erneuert, bis die Maßnahme vor- 1 Großkampener Schleuse: Längsschnitt durch das Auslaufbau- dass die Wilsterau letztlich als werk. Wasserlauf I. Ordnung einge- Bauwerk als Nadelöhr galt und ein Hemmnis für die Schifffahrt und mithin aussichtlich 2019 abgeschlossen werden kann. 2 Auslauf der Entwässerungsanlage Kampritt. stuft wurde (Begründung: die 3 Außentief der Entwässerungsanlage Kampritt. Schifffahrt stehe an Bedeutung für die regionale Wirtschaft darstellte, dauerte es bis in die 1920er Jahre, bis Auf diese Weise wird die Schleuse Kasenort 5 gut gerüstet sein, um auch 4 Überblick Bereich Schleuse Kasenort. vor der Entwässerung!), womit 5 Schleuse Kasenort, Fluttorpaare: in der Bildmitte der linke Flügel die Unterhaltungspflicht durch ein Schleusenneubau realisiert wurde. zukünftig wesentliche Funktionen innerhalb der maritimen Kulturlandschaft des 1. Stemmtorpaares, in geöffneter Stellung; am linken Bild- den Staat feststand. rand, unterhalb der Bildmitte, der obere Abschluss des rechten 10 Bis 1961 hölzerne Tore; be- Obwohl die Fertigstellung des Kaiser-Wilhelm-Kanals, heute der an Wilster Au, Stör und Unterelbe wahrnehmen zu können. Denn abgesehen Torflügels des 2. Stemmtorpaares. reits 1951 musste das eine Tor- 6 Schleuse Kasenort: „Schleusenkammer“ zwischen Oberhaupt paar erneuert werden (Kosten- Nord-Ostsee-Kanal, sich negativ auf die Wasserqualität und Schiffbarkeit der davon, dass sie als Kulturdenkmal selbst ein aussagekräftiges Element die- und Unterhaupt der Anlage. 6 aufwand 10.400,– DM). Wilster Au ausgewirkt hatte, wurde einem Neubau-Projekt für ein weiteres ser Landschaft ist, trägt sie auch mit der Gewährleistung der Schiffbarkeit Vierteljahrhundert offenbar keine gesteigerte Priorität gegeben. Erst die Ha- der Wilster Au zur Nutzung und Entwicklung eben dieser Kulturlandschaft 2 -> S. 124 varie des Segelschiffs Pirat, welche zur Folge hatte, dass die Fluttore nicht bei. Auch wenn die Handelsschifffahrt sich mittlerweile von der Wilster Au 281 mehr geschlossen werden konnten und die Stadt Wilster unter erheblichen zurückgezogen hat, ist der Fluss nach wie vor ein attraktiver Anlaufpunkt für Überflutungen zu leiden hatte, brachten wieder Bewegung in diese Proble- die Freizeitschifffahrt. Dies zeigt sich nicht zuletzt an dem Kasenorter Hafen, matik. den die Seglervereinigung Wilster in unmittelbarer Nähe der Schleuse un- Im Jahr 1925 wurde letztlich ein neues Schleusenbauwerk mit einer Stra- terhält, und am Liegeplatz des »Aukiekers« in der Schleusenkammer, der für ßenbrücke als Ersatz für die damalige Tunnelschleuse errichtet. Das neue Gruppenausfahrten auf der Wilster Au zur Verfügung steht. Die Funktionen 5 Klappbrücke der Schleuse Kasenort, 2017. Bauwerk erhielt eine 129 Meter lange Kammer mit einer Hubhöhe von 1,70 der Schleuse und das Naherholungspotenzial der näheren Umgebung sind Meter. Die neue, offene Anlage wurde für Schiffe mit einem Tiefgang von bis somit aufs engste miteinander verwoben. Die wirtschaftliche, touristische zu 1,00 Meter und einer Länge von bis zu 20 Metern ausgelegt. Es handelt und kulturlandschaftliche Bedeutung dieses ›Point of Interests‹ (-> S. 80) wür- sich dabei um dasselbe Bauwerk, das auch heute noch, inzwischen unter de noch mehr steigen, wenn in naher Zukunft eine Reaktivierung der nahege- Denkmalschutz stehend, den Übergang der Wilster Au in die Stör markiert. legenen Schleusengaststätte gelingen könnte. 120 matthias bunZel elemente der maritimen kulturlandschaft 121

Fährverbindungen am Unterlauf der Stör wurde nicht mehr verlängert. Die Fährstraße auf Borsflether Seite ist auch heute noch gut erkennbar. Die frühere Anlegestelle der Fähre auf dieser Seite Von den fünf Fährlinien in den Steinburger Elbmarschen dienten drei Per- der Stör wird heute vom Sport-Schipper Verein Borsfleth, der den Hafen im sonenfähren mit Ruderbooten und zwei Seilfähren zum Übersetzen von Vieh Störloch – das ist der ehemalige Mündungsbereich der Stör vor der Begra- und Wagen bzw. später auch Kraftwagen. Wie bereits oben erwähnt existiert digung im Zuge des Sperrwerksbaus – betreibt, als G Slipanlage genutzt. 6 heute nur noch eine der beiden Seilfähren, die Störfähre ELSE (Beidenfleth). Zu dieser gibt es mehrere Publikationen. Über die aufgegebenen Linien der Uhrendorfer Fähre Ivenflether, Wewelsflether, Uhrendorfer und Hodorfer Fähre existiert hinge- gen vergleichsweise wenig Literatur. Besonders hervorzuheben ist daher der Die Entwicklung der Uhrendorfer Fähre verlief relativ ähnlich wie die Überblick von Herbert Karting, auf die sich die folgende Ausführung stützt. der Ivenflether Fähre. Sie kann noch etwas weiter in die Vergangenheit, bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Als kirchliche Fähre sollte sie Ivenflether Fähre gewährleisten, dass Uhrendorfer Bauern den Gottesdienst auf dem gegen- überliegenden Störufer besuchen konnten. Sie war anfangs als kostenlose Die Ivenflether Fähre im Mündungsgebiet der Stör verband Ivenfleth Verbindung vorgesehen. Eine spätere Konzession zur Erhebung von Beför- auf dem Südost- und Störort auf dem Nordwestufer miteinander. Diese Linie derungsgebühren aus dem Jahr 1705 sorgte fortan für Auseinandersetzun- existierte bis ins Jahr 1926. Erste Belege für ihre Existenz fallen in die Zeit gen zwischen privaten Fährbetreibern und der jeweiligen Obrigkeit. Auch in des Dreißigjährigen Krieges. Der Betrieb dieser Fähre erfolgte jeweils in ei- Uhrendorf gab es ein Gasthaus, das vom jeweiligen Fährpächter bzw. seiner 6 Der ehemalige Anleger der Wewelsflether Fähre in Borsfleth (Blickrichtung We- nem Pachtverhältnis. Die Betriebserlaubnis war ein königliches Privileg. Die Familie mit betrieben wurde. Die Fährverbindung wurde 1937 eingestellt und welsfleth) wird heute als Slipanlage vom Zeitspanne, für die dieses Privileg (die sog. ›Fährgerechtigkeit‹) erworben das Grundstück verkauft. Das Gasthaus erlitt im Zuge der Sturmflut 1962 Sportschipperverein Borsfleth genutzt. wurde, war von Fall zu Fall unterschiedlich. Dies konnte teils ein Zeitraum schwere Schäden und musste in der Folge abgerissen werden. von wenigen Jahren oder auch Jahrzehnten sein; zum Teil gelang es den In- habern sogar, die Pachtbewilligung auf Lebenszeit zu erhalten. Die Vergabe Beidenflether Fähre dieser Lizenz erfolgte im Laufe der Zeit vermutlich nach unterschiedlichen Methoden. Zum Teil war es üblich, sie zu ersteigern. Auch kam es im Laufe Die erste urkundliche Erwähnung der noch verkehrenden Beidenflether der Zeit zu der Konstellation, dass die Fähre von einem angestellten Fähr- Fähre lässt sich auf das Jahr 1588 datieren. Es wird angenommen, dass es mann betrieben wurde, wobei die jeweiligen Lizenzinhaber als Arbeitgeber sich hierbei anfangs um eine reine Personenbeförderung handelte. Vermut- des Fährmannes auftraten. Lange existierte auf der Störorter Seite, also der lich wurde auch das Fährhaus in Beidenfleth bereits vom ersten Fährmann nordöstlichen Flussseite, auch ein Fährhaus, das von den Fährleuten mitbe- mitbetrieben. Lange Zeit wurde die Konzession zum Betrieb der Fähre inner- trieben wurde – sofern diese die hierfür erforderlichen gesonderten Privi- halb der Familie von Generation zu Generation weitergegeben. 1935 übernah- legien innehatten. Im Juni 1926 wurde die Linie aufgehoben, nachdem sich men Alfred und Elsa Wiegleb, geb. Ralfs, die Fähre und die Wirtschaft. Auf kein solventer Interessent zur Übernahme der Pacht mehr gefunden hatte. Elsa Wiegleb geht der Name ELSE des heutigen Fährschiffs zurück. 7 Alfred Das Fährhaus wurde danach noch verschiedentlich als privates Wohnhaus Wiegleb stellte 1940 einen neuen, größeren Fährprahm in Dienst, der bis in genutzt, jedoch nach der Sturmflut von 1962 im Zuge von Deichbegradigung das Jahr 2005 in Betrieb war. Nachdem er im Jahr 1968 verstorben war, über- und Sperrwerksbau abgerissen. nahm sein Neffe Erwin Kolz die Fähre und den benachbarten Werftbetrieb, den Wiegleb zwischenzeitlich gegründet hatte. Anders als die Wewelsflether Wewelsflether Fähre Fähre wurde die Verbindung in Beidenfleth im Zuge des Sperrwerkbaus an der Störmündung nicht eingestellt. Doch auch sie hatte unter den infolge

Mit dem Betrieb der Wewelsflether Fähre verband sich seitens des Königs dessen geänderten Rahmenbedingungen zu leiden. 7 Das heutige Fährschiff ELSE ist seit 2007 ein herausgehobenes Interesse, denn hier hatte er eine Zollstelle errichtet, Von 1982 bis 2005 wurde die Fähre von dem Fuhr- und Lohnunternehmen in Betrieb. um vom ein- und ausgehenden Warenverkehr in den Steinburger Elbmar- Timm betrieben. Die Firma Timm hatte ein Interesse an der Erhaltung der schen zu profitieren. Bis mindestens zurück in die 1840er Jahre ist belegt, Linie, da ihr Maschinenpark auf diesem Wege auch die Kundschaft in der Kr- dass in Wewelsfleth eine Prahmfähre, also eine Seilzugfähre, zum Einsatz empermarsch weiterhin schnell erreichen konnte. Nachdem der Betrieb der kam. Um 1870 herum wurde der hölzerne Prahm durch ein eisernes Fahrzeug Fähre dennoch zunehmend unrentabler war, wurde die Linie 2005 kommu- ersetzt. Analog zu Störort gab es auch hier eine Gastwirtschaft, die von der nalisiert und an die Betreibergesellschaft Fähre Else UG verpachtet. Zur Ent- jeweiligen Betreiberfamilie der Fähre mit unterhalten wurde. 1910 und 1956 scheidungsfindung, wie mit der Fähre weiter verfahren werden sollte, wurde wurden wiederum neue stählerne Prahmfähren in Dienst gestellt. Das Fahr- ein Nutzungskonzept mit Wirtschaftlichkeitsrechnung in Auftrag gegeben. zeug von 1956 war das letzte, das diese Linie bediente. In den 1970er Jahre er- Dieses Konzept kam zu dem Ergebnis, dass der Bau eines neuen Fährschiffes hielt sie durch die Industrialisierung der Steinburger Elbmarsch noch einmal einer Sanierung des bisherigen Fahrzeugs eindeutig vorzuziehen sei. Dem- einen wesentlichen Bedeutungszuwachs. Sie wurde durch die Eröffnung der entsprechend wurde auch verfahren und 2007 wurde die neue ELSE offiziell nahegelegenen Straße über das Störsperrwerk am 13. November 1980 jedoch in Dienst gestellt. Seither unterstützt der Förderverein »Störfähre Else e.V.« schlagartig obsolet; der ohnehin Ende des Jahres auslaufende Pachtvertrag ihren Betrieb und ihre Unterhaltung durch die Organisation von Spendenak- 122 matthias bunZel elemente der maritimen kulturlandschaft 123

tionen, durch Öffentlichkeitsarbeit und Einwerbung von Spenden. Analog zu den Aktivitäten des Fördervereins Wilster Au und Schleuse zeigt sich auch hier die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für die Er- und Un- terhaltung von historischen Strukturen als vitale Bausteine der maritimen Kulturlandschaft.

Hodorfer Fähre(n)

Von aus betrachtet bestanden zwei Möglichkeiten, die Stör mit ei- ner Fähre zu überqueren. Zum einen gab es die Verbindung nach Groß Kam- pen auf der westlichen Seite des Langen Racks, zum anderen die »Holler’sche Fähre«, die Hodorf mit Stördorf auf der Nordseite des Störbogens verband. Seit wann diese Verbindungen bestanden, ist bisher nicht eindeutig ermittelt. Die Fähre nach Groß Kampen wurde 1908 in Verbindung mit dem Hodorfer Fährhaus von Nicolaus von Holdt gepachtet. Es ist anzunehmen, dass die Gastwirtschaft dabei die Haupteinnahmequelle darstellte, da mit der Fähre selbst nur sehr geringe Einnahmen erwirtschaftet wurden. Infolge des Aus- baus der Beidenflether Fähre 1935 ließ die Nutzung dieser Verbindung so weit nach, dass sie nicht mehr kostendeckend zu betreiben war. Nicolaus von Holdt beantragte die Stilllegung der Fähre und wurde Ende Oktober des Jahres 1935 aus dem Pachtvertrag entlassen. Die »Holler’sche Fähre« von Hodorf nach Stördorf war nach der lang- jährigen Betreiberfamilie benannt. Auch hier bestand die Verbindung zu einer kleinen Gastwirtschaft, die von den Fährleuten mit betrieben wurde. Dennoch waren die Einkünfte aus dem Betrieb von Fähre und Gaststube als Haupterwerb nicht ausreichend, sodass die Familie Holler zudem auch in der Landwirtschaft und Fischerei tätig war. Nach dem Zweiten Weltkrieg er- lebte die Linie noch eine kleine Blüte, da sie für die Heimatvertriebenen in Hodorf eine gute Anbindung nach Wilster darstellte, bevor diese Mitte der 1950er-Jahre eingestellt wurde.

Fazit

Bei beiden noch existierenden Objekten, Schleuse Kasenort und Fähre ELSE, die in diesem Beitrag vorgestellt wurden, konnte die »Arge Mariti- me Landschaft Unterelbe« sowohl die erforderlichen Nutzungskonzepte als auch die unverzichtbaren Fördervereine in der Region finanziell und ideell unterstützen. Daran zeigt sich die zentrale Bedeutung von netzwerkartigen, kooperativ angelegten Institutionen für die Inwertsetzung der Potenziale von maritimen Kulturlandschaften wie den Steinburger Elbmarschen.

Historische und moderne Fährverbindungen entlang der Stör

1 Von den ehemals fünf Fährverbindungen in den südlichen Steinburger Elbmarschen existiert heute lediglich noch die Fähre ELSE (Beidenfleth – Bahrenfleth). Schleuse Kasenort[362]

Die Gesamtanlage Schleuse Kasenort ist einerseits ein Bauwerk für wasserwirtschaftliche Belange (Ent- wässerung der Marsch und Wasserweg)8, anderseits ist das im Stördeich gelegene Schleusenunterhaupt Bestandteil der Hochwasserschutzlinie, bis 1974 (Abdämmung Stör) im Landesschutzdeich, seither in der Mitteldeichlinie. Die Schleusenanlage mit • Schleusenhäuptern: Unterhaupt an der Einmün- dung in die Stör, Oberhaupt in der Wilster Au, • Schleusenkammer, 129 m lang, durch Verwallung eingefasst und • Klappbrücke 4 ist in dieser Form ein einmaliges Bauwerk in Nord- deutschland und steht unter Denkmalschutz.

Schon vor 1925 gab es eine Schleuse Kasenort, Eigen- tum der Auschleusenkommune: LW 4,00 m, Sohle auf NN-2,71 m, das Unterhaupt mit 3 Stemmtorpaaren (Ǟ Kästchen), das Oberhaupt mit 1 Stemmtorpaar (Öffnung zur Schleusenkammer hin). 1925/26 wird die baufällig gewordene Anlage erneuert. Die Regie- 1 Zeichnung aus dem Bauplan vom 10.05.1935. rung verlangt zwar einen Neubau mit gleich bleiben- 2 Die Tore sind mit neuen Be- der Breite, aber letztlich wird die Durchfahrt 7,00 m schlägen versehen und mit Edelstahlplatten verstärkt und breit, so wie es die Stadt Wilster von Anfang an bean- abgedichtet worden. tragt hatte.9 3 1957 ersetzt durch eine 124 matthias bunZel elemente der maritimen kulturlandschaft 125 sturmflutsichere Anlage als 2. Deichsicherheit. Die historische Schleuse Schleuse Kasenort, Unterhaupt 1 4 „Rund /6 des Gesammtnie- derschlagsgebietes ist Räum- land, das die Vorflut in der Hauptwettern findet.“ 5 Propellerpumpen, Ehrhardt & Sehmer. 6 Tiefbauarbeiten: Ing. Bau Looft, Wilster, Kosten: 1,259 Mio. DM. 7 Claus Hinrich Christensen, Baujahr: 1925/26 1768–1841, Ingenieur des 1962 werden neue Stahltore eingebaut. Die Flügel Königs; aus einem Vortrag von des inneren Stemmtorpaars im Unterhaupt und im Jörn Meiners, Kiel, nicht Stemmtorpaar des Binnenhaupts erhalten je Tor ein datiert. 2 Die Lage der alten Schleuse Kasenort (»Tunnelschleuse«) vor 1925. Füllschütz von 2,5 m2 Durchflussöffnung. Die bisheri- 8 Stand 1958: die in Wilster gen Umläufe zum Füllen der Schleusenkammer (in gelegene Futtermittelfabrik er- hält Rohstoffe auf dem Wasser- Die moderne Schleuse trockener Zeit dienen sie auch der Bewässerung) werden dicht gemacht. weg, in Wilster sind 19 Binnen- Querschnitt: LW 7,00 mm schiffer beheimatet; Stand 7,00 m 5 1999: in Wilster sind keine In- Sohlenhöhe: NN-3,20 m dustrie- oder Gewerbebetriebe Verschlüsse: Stemmtore: mehr ansässig, die noch auf den 2 Fluttor- Transportweg „Wasser“ ange- paare10 wiesen wären (letzter Transport 1 Ebbetorpaar, 1975, zur Rumflether Mühle), außer Betrieb hingegen soll gemäß Dorfent- wicklungsplan die Kleinschiff- 4 Aufbau und Technik der heutigen Schleuse Kasenort. fahrt (Boote und kleine Fahr- gastschiffe) erhalten bleiben. 9 Die Stadt hatte auch erreicht, 1 Großkampener Schleuse: Längsschnitt durch das Auslaufbau- dass die Wilsterau letztlich als

3 Die Lage der heutigen Schleuse Kasenort (seit 1925). werk. Wasserlauf I. Ordnung einge- 2 Auslauf der Entwässerungsanlage Kampritt. stuft wurde (Begründung: die 3 Außentief der Entwässerungsanlage Kampritt. Schifffahrt stehe an Bedeutung 4 Überblick Bereich Schleuse Kasenort. vor der Entwässerung!), womit 5 Schleuse Kasenort, Fluttorpaare: in der Bildmitte der linke Flügel die Unterhaltungspflicht durch des 1. Stemmtorpaares, in geöffneter Stellung; am linken Bild- den Staat feststand. rand, unterhalb der Bildmitte, der obere Abschluss des rechten 10 Bis 1961 hölzerne Tore; be- Torflügels des 2. Stemmtorpaares. reits 1951 musste das eine Tor- 6 Schleuse Kasenort: „Schleusenkammer“ zwischen Oberhaupt paar erneuert werden (Kosten- und Unterhaupt der Anlage. 6 aufwand 10.400,– DM).

281 126 matthias bunZel elemente der maritimen kulturlandschaft 127

LIteraturverzeIchnIs aBBILdungsverzeIchnIs

Bardua, s. 2017 Alte Verbindung zur Außenwelt. In: Geschäftsstelle der Metropolregion Hamburg (Hg.), aBBILdungsnummer BILdnachWeIs Industriekultur am Wasser. 131 Denkmale der Industriegeschichte – Katalog 2017 (Hamburg 2017) 128-129. Abb. 1 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. kartIng, h. 2000 Fähren über die Stör. In: Alexander Ritter/Peter Fischer i.A. d. Steinburger Heimatverbandes © Messtischblätter der Preußischen Landesaufnahme (1877-1915) 1:25000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH. (Hg.), Steinburger Jahrbuch 2001 (Itzehoe 2000) 42-82. © DTK25 (2008) 1:25000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Kartendesign: AGIL, Thorsten Becker, Jana Frank (www.agil-online.de) koch, m. 2000 Die Schleuse Kasenort. In: Alexander Ritter/Peter Fischer i.A. d. Steinburger Heimatverban- des (Hg.), Steinburger Jahrbuch 2001 (Itzehoe 2000) 197-204. Abb. 2 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. © Messtischblätter der Preußischen Landesaufnahme (1877-1915) 1:25000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). koLz, s. 2010 Beidenfleth an der Stör – Fähre und Werft. In: Alexander Ritter/Peter Fischer i.A. d. Steinbur- Kartendesign: AGIL, Thorsten Becker, Jana Frank (www.agil-online.de) ger Heimatverbandes (Hg.), Steinburger Jahrbuch 2011 (Itzehoe 2010) 136-140.

Abb. 3 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. marzIan, k.p. 1983 Zur Geschichte der Beidenflether Fähre. Ein Beitrag zur Geschichte der Kremper- und Wils- © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. termarsch. In: Steinburger Heimatverband (Hg.), Steinburger Jahrbuch 1984 (Itzehoe 1983) © DTK25 (2008) 1:25000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). 238-263. Kartendesign: AGIL, Thorsten Becker, Jana Frank (www.agil-online.de) scharnWeBer, W. 2006 Kreis Steinburg. Reisebilder. 2. Aufl. (Bremen 2006). Abb. 4 © Stadelmann, Den Fluten Grenzen setzen 2. Dithmarschen und Elbe/Elbmarschen, Inseln Trischen und Helgoland (Husum 2010) 281. stadeLmann, r. 2010 Den Fluten Grenzen setzen. Bd. 2., Dithmarschen und Elbe/Elbmarschen, Inseln Trischen und Helgoland. S. 281.(Husum 2010). Abb. 5 Beate von Malottky

Abb. 6 Ludger Walterbusch

Abb. 7 Beate von Malottky 128 129

Die Entwässerung in der Wilstermarsch

Management und Vermittlung historischer und aktueller Raumbezüge

Hans-Peter Micheel

Zusammenfassung schlüsselwörter

Ein Großteil der Flächen in der Wilstermarsch liegt unterhalb des Meeres- Entwässerungssystem spiegels. Um diese Elbmarschen urbar zu machen ist eine künstliche Ent- Bedeichung wässerung notwendig. Dazu wurde von den Erstbesiedlern, den holländi- Elbmarschen schen Kolonisten, ein System aus Deichen, Gräben und Wettern angelegt Wilstermarsch und mit Hilfe von Wind- und später elektrisch betriebenen Mühlen das holländische Kolonisten Wasser abgepumpt.

Die Entstehung der Wilstermarsch

Die frühgeschichtliche Besiedelung der Wilstermarsch im Elbe-Ur- stromtal begann an den hohen Uferrändern der Elbe, Stör, der Bekau und der Wilster Au. Die Elbe hat durch ihre Zufuhr von Sinkstoffen zum Aufbau ho- her Uferränder maßgebend beigetragen und damit eine Besiedlung ermög- licht. Durch ihre Nebenflüsse, die bis zur Gegenwart G Tidenflüsse geblieben sind, ist die Bildung hochgelegener und damit siedlungsfähiger Uferstreifen landwärts in die Marsch getragen worden. Die großräumige Erschließung durch die holländischen Kolonisten erfolgte Anfang des 12. Jhs. Von entschei- dendem Einfluss auf die Gestalt der Elbmarschen sind die Veränderungen in der Unterelbe gewesen, weil infolge der beiderseitigen G Bedeichung ein geschlossenes Strombett geschaffen und die Tidegrenze weit stromaufwärts verlagert wurde. Eine weitere Phase des Deichbaus fand zwischen dem 13. und 15. Jh. statt. Mit den Neu-Bedeichungen des 16. und 17. Jhs. wurde dann der erste Elbdeich zwischen der Wilstermarsch und Dithmarschen gebaut. Danach begann man erst mit der Entwässerung der niedrigen Landflächen.

Die Wasserstände

Nachdem die Wilstermarsch in den folgenden Jahrhunderten nach und nach eingedeicht wurde, stellte man fest, dass sich das Wasser im Hinter- land sammelte. Die holländischen Siedler, die als Entwässerungsfachleute 1 Das Wasser und die Wilstermarsch: Der Landwirt reinigt (kleit) den Graben. 130 hans-peter micheel die entwässerung in der wilstermarsch 131

bekannt waren, mussten etwas dagegen tun, um das Land urbar zu machen. Die Anlage des Entwässerungssystems Die unterschiedlichen Wasserstände in den Gewässern der Region waren da- bei eine große Herausforderung. Auf der topographischen Landkarte der Wilstermarsch ist zu erkennen, 2 5 Anhand der schematischen Darstellung kann man feststellen, dass die wie die Karte mit feinen Linien in Rechtecken durchzogen ist. Betrachtet Laufgraben 7 Wasserstände des Nord-Ostsee-Kanals und der Wilster Au erheblich von den man dies noch etwas genauer, so sind diese rechteckigen Ländereien, bis auf 6

5 Elbe Stör der Nordsee, der Elbe und der Stör abweichen. Der Nord-Ostsee-Kanal, bis wenige Ausnahmen, alle in eine (Fließ)Richtung gezogen worden. Die dama- Nordsee

Wettern 4 Grüppe Grüppe Grüppe Laufgraben Nord-Ostsee 1948 Kaiser-Wilhelm-Kanal, wurde künstlich angelegt. Das heißt, seine Fluss- ligen holländischen Kolonisten haben an diesen Stellen zwischen den Land- Kanal Wilster Au 3 3,62 MThm 6,51 MThm 6,51 MThm betthöhe wurde den vorhandenen Landhöhen angepasst. Die Flussbetthöhe stücken G Grüppen gezogen, damit das landwirtschaftlich genutzte Feld ent- 4,95 MThm 4,20 MThm 2 der Wilster Au, in der ursprünglichen Entstehung ein Priel, ist natürlich ge- wässert werden konnte. 6 1 0,5 0,50 m 80% wachsen. Das Flussbett der Wilster Au wurde in den zurückliegenden Jahren 80 % der Landfläche der Wilstermarsch liegt unter dem Meeresspiegel; Wilster Au 0

PN die Wilstermarsch schon mal ausgebaggert, aber dennoch liegt dieses Bett höher als das Land innerhalb der Marsch gibt es aber Höhenunterschiede von zwei bis vier Me- Grüppe Wettern Laufgraben Wilster Au 2 -> S. 132 an der Wilster Au. Wie ist das zu erklären? tern. Der beste Wirkungsgrad einer Schöpfmühle liegt bei einer Steighöhe Über tausende von Jahren hat der natürliche Fluss links und rechts an von zwei Metern. Somit haben sich die Landwirte geholfen, indem sie meh- 6 -> S. 132 seinen Uferrändern Sedimente angeschwemmt und abgelagert und dadurch rere Mühlen hintereinander setzten, um das Wasser aus dem Land zu schöp- das Landniveau gehoben. Gleichzeitig hat sich das übrige Land der Wilster- fen. 7 marsch durch die Entwässerung erheblich gesenkt. Mit der Entwässerung Die Größe der entwässerten Ländereien wurde so eingeteilt, dass diese wurde dem teilweise torfigen Marschboden das Wasser entzogen, so dass es durch den Bauern mit Pferd und Pflug an einem Tag gepflügt werden konn- zu Setzungen kam. ten. Die Entwässerung wird noch heute durch das vor tausend Jahren festge- legte Grabensystem durchgeführt. Die Technik des Entwässerungssystems Selbstverständlich wurden durch die Gebietsreformen hier und da Verän- derungen am Land und an dem Grabensystem vorgenommen, dennoch ist, 3–4 Meter NN Die Wilstermarsch ist von drei Seiten von Wasser umgeben, an der vier- so zeigen es die Kartenaufzeichnungen, die historische Landeinteilung die ten Seite liegen Moore und zudem entwässert die angrenzende Geest in die gleiche geblieben. Durch die geraden Gräben war die Entwässerung im Land 7 -> S. 133 Marsch. Deshalb ist der durchschnittliche Wasserspiegel so hoch, dass ohne ei- übersichtlich und gut kontrollierbar und die Reinigung der Wasserläufe war

3 Mühlen an der Wettern. ne ständige Entwässerung der größte Teil des Marschenlandes völlig versump- gegenüber gewundenen Gräben auch leichter. Alle Wasserläufe wurden in fen, teilweise sogar überfluten würde. Nur den wenigsten Bewohnern ist wohl der Vergangenheit von den Marschbewohnern mit der Hand sauber gehalten. klar, dass ohne diese Entwässerung ihnen bei jeder normalen Flut das Wasser Der Bauer und seine Knechten waren im Herbst und Winter tagelang damit bis an die Knie oder gar buchstäblich ›bis zum Halse‹ stehen würde. beschäftigt, die Gräben und Wettern zu kleien. 1 Links und rechts an der G Wettern stehen zahlreiche Schöpfmühlen, 3 deren Förderschnecken, auch als G archimedische Schrauben bezeichnet (-> S. 136), aus dem feinen, schnurgeraden Netzwerk von Gräben das Wasser in die Wettern hinaufpumpen, die an solchen Tagen fast bis zur Deichkro- Parzellierung, Grüppen ne gefüllt sind. Über ein Meter oder mehr beträgt dann der Abstand vom und Wettern Wasserspiegel der Wettern zur Höhe der umgebenden Wiesen. Es wird in der Landschaft deutlich erkennbar, wie die Wilstermarsch im wahrsten Sinne des Wortes ›unterm Wasserspiegel‹ liegt. Bei Ebbe werden dann die Schleusen, Siele oder Schotten, die den Lauf der Wettern gegen Au, Stör und Elbe an den Deichen abschließen, geöffnet, und das Wasser kann über ein natürliches Gefälle in die Flüsse ablaufen. Bei Flut müssen diese Abflüsse sorgfältig geschlossen werden, da sonst selbst die Wetterndeiche überlaufen würden. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die hölzernen Schöpfmühlen dann mehr und mehr durch stählerne Windturbinen 4 ersetzt, die bis in die 1960er Jahre im Einsatz waren (-> S. 136). Die Erfindung und der Einsatz des Elektromotors veränderte die An- triebstechnik enorm. Die Landwirte in der Wilstermarsch brauchten nicht mehr auf den Wind zu warten. Durch einen Knopfdruck wurde der E-Mo- tor in Betrieb genommen und die Schneckenwelle in den strombetriebe-

4 Eine stählerne Windturbine bei der nen Schöpfwerken setzte sich in Betreib. Diese Entwicklung in der künstli- Entwässerung. chen Entwässerung machte das Arbeiten in der Landwirtschaft erheblich leichter.

5 Die Parzellierung landwirtschaftlicher Nutzflächen im Bereich Großwisch in der modernen topographischen Karte und dem digitalen Geländemodell. 132 hans-peter micheel die entwässerung in der wilstermarsch 133

7

6

5 Elbe Stör Nordsee

4 Nord-Ostsee Kanal Wilster Au 3 3,62 MThm 6,51 MThm 6,51 MThm 4,95 MThm 4,20 MThm 2

1 3–4 Meter 0,5 0,50 m 80% 0 NN

PN die Wilstermarsch 7 Das Entwässerungssystem bei großen Landhöhen im Profil. 2 Schematische Darstellung der Meer- und Flusswasserstände. Die Skizze zeigt die Wasserstände (blau gezeichnet) der Nordsee, der Elbe, der Stör, des Nord-Ostsee-Kanals und der Wilster Au und das Land (grün gezeichnet). Die Abkürzung MThm steht für den mittleren Tidenhub eines Gewässers pro Meter.

Laufgraben LIteraturverzeIchnIs

detLeFsen, d. 1891 Geschichte der holsteinischen Elbmarschen - Entstehung der Elbmarschen, Band I / in Kap. I, Seite 23- 27 und Kap. II, Seite 32- 42, (Glückstadt 1891).

Wettern Grüppe Grüppe Grüppe Laufgraben

aBBILdungsverzeIchnIs

aBBILdungsnummer BILdnachWeIs

Abb. 1, 2 und 3 Archiv Hans-Peter Micheel

Abb. 4 Archiv. Fa. Köster Wilster Au

Abb. 5 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. © Digitales Geländemodell (DGM2), GeoBasis-DE/LVermGeo SH. © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. © DTK25 (2008) 1:25000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Grüppe Wettern Kartendesign: AGIL, Thorsten Becker, Jana Frank (www.agil-online.de) Laufgraben Wilster Au

Abb. 6 und 7 Archiv Hans-Peter Micheel 6 Schematische Darstellung des holländischen Entwässerungssystem. 134 135

Windenergienutzung in den Elbmarschen damals und heute

Jürgen Ruge / Peter Huusmann

Zusammenfassung schlüsselwörter

Die Nutzung der Windenergie war und ist eine prägende Landnutzungs- Windenergienutzung form in den Steinburger Elbmarschen. Während früher die Entwässerung Entwässerung im Vordergrund stand, wird die Windenergie heute zur Stromgewinnung Regionalplan Windenergie genutzt. Nutzungskonflikte mit den Erhaltungszielen der historischen Energiewende Kulturlandschaft können durch sinnvolle Bürgerbeteiligungen minimiert Akzeptanz werden.

Die Entwässerung der Marschen durch die Schöpfmühlen

Die Nutzung des Windes zur Sicherung einer guten Bewirtschaftung der Ländereien gibt es in den Elbmarschen bereits seit vielen Jahrhunderten und ist eng mit deren Besiedelung verbunden. Die im Entwässerungswesen erfah- renen Holländer hatten insbesondere im 12. und 13. Jh. die tieferliegenden, zu- vor oft überfluteten Marschgebiete durch ein verzweigtes System aus Grüp- pen, Gräben und Wettern in fruchtbares Land verwandelt. Doch mit der Zeit sackte der moorige und torfige Boden unregelmäßig ab und behinderte den natürlichen Wasserabfluss. Ebenfalls nach holländischem Vorbild schafften dann bald Schöpfmühlen Abhilfe, von denen das Wasser aus den niedrigen Gräben mittels Schaufelrädern in die höher gelegenen Wettern gehoben wur- de. Die Zahl solcher Mühlen war zunächst noch überschaubar, was u. a. ein überlieferter Bericht verdeutlicht, wonach es im Jahr 1570 Widerstand gegen diese ersten Windmühlen gab (»dat nemandt Watter-Möllen Bauwen lathen schall« – Beschluss der Schleusenkommune Hollerwettern) und 1571 von einer ersten Pumpmühle beim Wirtshaus Dukunder an der Wilster-Au bei Averfleth berichtet wurde. In der Folgezeit stieg die Zahl der Windmühlen vor allem in der Wilster- 1 -> S. 140-141 marsch stark an. 1 Ob es sich dabei, wie es im Zusammenhang mit einem Chronikbericht über eine Sturmflut vom Februar 1747 heißt, tatsächlich um 900 Windmühlen gehandelt hat, von denen beim Sturm 400 umgeworfen sein sollen, oder ob es nur die häufig kolportierte Anzahl von maximal 350 136 jürgen ruge / peter huusmann windenergienutZung in den elbmarschen damals und heute 137

le auf der Agenda. Nachdem Bund und Länder Fördermöglichkeiten ange- Schöpfmühlen war, 2 mit denen die Wilstermarsch entwässert wurde – in je- dem Fall bestimmten die Schöpfmühlen über Jahrhunderte das Landschafts- boten hatten, stieg auch bundesweit das Interesse an einer wirtschaftlichen bild der Marschen (-> S. 129). Nutzung der Windenergie deutlich an. Im Kreis Steinburg fand dieses Interesse zuerst in dem sog. Windtest-Gut- achten vom März 1993 seinen Ausdruck. Unter Berücksichtigung der Aspekte Windbockmühlen, Holländermühlen und Windturbinen Windpotenzial, Netzanbindungsmöglichkeit, bestehende Richtfunkstrecken, Eine deutlich effizientere Entwässerung mit Windmühlen wur- Baurecht sowie Natur- und Landschaftsschutz wurde eine Planungshilfe für de durch das Ersetzen des Schaufelrades durch eine sog. archimedische ein abgestimmtes Vorgehen bei den anstehenden Genehmigungsverfahren Schraube bewirkt. Diese Optimierung hatte sich der in der Wilstermarsch geschaffen. Die Bestimmung des gutachterlich festgestellten Windpotenzi- geborene Zimmermann Johann Holler bei seinem Aufenthalt in Holland zu als wurde auf einer Höhe von 30 Metern gemessen, da eine entsprechende eigen gemacht und ab 1770 auch in die Elbmarschen eingeführt. Von diesem Narbenhöhe seinerzeit Stand der Technik war. Die einzelnen Flächen wur- Schöpfmühlentyp existierten zum Ende des 19. Jhs. noch gut 300 Stück. Sie den in fünf Eignungsstufen eingeordnet und kartographisch dargestellt. Zu- wurden seit etwa 1910 jedoch zunehmend durch die sich selbst im Wind dre- sammenfassend wurde für das Kreisgebiet ein mögliches Potenzial von 300 henden stählernen Windturbinen ersetzt, von denen die letzten noch bis in bis 740 Megawatt (MW) installierte Leistung vorhergesagt. Ende 1993 gab es im Kreis Steinburg lediglich sieben Windenergieanla- die 1960er Jahre ihren Dienst taten. 3 In deutlich geringerer Zahl, aber dennoch als typische, landschaftsprä- gen (WEA), von denen einzelne eine maximale Leistung von 150 KW hatten. gende Besonderheit wahrgenommen, kamen bereits im 16. Jahrhundert die Zeitungsüberschriften wie »Die Marsch ist voller Energie« (Norddeutsche 2 Schöpfmühle Honigfleth. vor allem zum Mahlen von Getreide eingesetzten Bockwindmühlen vor, bei Rundschau, 16.6.1993), »Bei der Windenergie im Kreis Steinburg: Euphorie ja denen sich die eigentliche Mühle auf einem stabilen hölzernen Stützge- – aber nicht übertrieben« (Wilstersche Zeitung, 29.10.1993), »Landrat sieht in stell befand. So sind auf der 1568 vom Hamburger Maler und Kartographen der Windenergie als »geschenktem Rohstoff« neue Chancen« (Wilstersche Melchior Lorich erstellten Elbkarte entsprechende Windmühlentypen u. a. Zeitung, 24.12.1993) oder »Windkraftanlagen fallen überall auf fruchtbaren bei den Orten St. Margarethen, Brokdorf und Bielenberg (Kollmar) zu iden- Boden« (Norddeutsche Rundschau, 29.12.1993) dokumentieren die vorwie- gend positive Aufnahme des Windgutachtens. tifizieren. 4 In den folgenden Jahrhunderten wurde dieser Mühlentyp dann auch in »Wind – Energiequelle der Wilstermarsch« titelt auch das Tourismusbüro den Elbmarschen durch die Holländermühlen ersetzt, wie dies in der Son- des Amtes Wilstermarsch eine der im Jahre 2000 errichteten Informations- derform einer Holländer-Galeriemühle heute noch in der 1872 erbauten tafeln der »Land unter-Tour«. In Sichtweite eines Windparks mit einer Nar- Mühle »Aurora« in Wilster zu sehen ist. benhöhe von 68 Metern wird allerdings nicht nur darauf hingewiesen, dass mit etwa 70 Anlagen dieser Bauart der Strombedarf des Kreises Steinburg ge- deckt werden könne, sondern es werden ebenso die vorhandenen Bedenken, Nutzung der Windenergie zur Stromgewinnung diese Anlagen könnten die Landschaft zu stark verändern, erwähnt. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts spielt die direkte Windenergienutzung für 3 Windturbine, Fotoaufnahme aus den 1960er Jahren. die Entwässerung kaum noch eine Rolle. Diese Aufgabe wird durch leistungs- Energiewende und Ausbau der erneuerbaren Energien stärkere, elektrisch betriebene Schöpfwerke übernommen, die bis heute ge- nutzt werden. Indirekt steht die vollzogene Abkehr von der Nutzung des Win- Zu einer Abwägung zwischen Kriterien wie Abstand zu Wohnbebauung des durch Schöpfmühlen hin zu elektrisch betriebenen Schöpfwerkspumpen bzw. Siedlungen, Natur-, Denkmal-,Landschafts- und Deichschutz sowie den allerdings auch für den steigenden Bedarf an Strom. Die Bereitstellung elekt- gemeindlichen und landesplanerischen Interessen, war es auch in dem 2009 rischer Energie wird seit dieser Zeit in weiten Teilen der Bevölkerung als eine vorgelegten und Anfang 2010 vom Kreistag verabschiedeten »Kreiskonzept wesentliche Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung angesehen. Windenergie Steinburg« gekommen. Trotz vereinzelter Unterschiede der im Die Bereitstellung des Stromes für die Aufgabe der Entwässerung macht in Kreistag vertretenen Fraktionen in den bewertenden Stellungnahmen zu dem Zusammenhang natürlich nur einen kleinen Teil aus, verdeutlicht aber bestimmten Flächen war es das fraktionsübergreifende Ziel, möglichst vie- den gesellschaftlichen Prioritäten- und Wertewandel in der Nachkriegszeit. le Flächen für die Windkraftnutzung auszuweisen und in den Regionalplan In den an Rohstoffen eigentlich armen Steinburger Elbmarschen stellte zu übernehmen. Die Entscheidung über die Ausweisung von Flächen für die die politische Entscheidung, dort Atomkraftwerke zu errichten, eine wichti- Windenergienutzung lag und liegt letztendlich bei der Landesplanung, auch ge Zäsur dar. Mit ihnen sollte die Stromversorgung für die Entwicklung des wenn die Stellungnahmen der Kreisgremien in der planerischen Abwägung ein wichtiger Baustein sind. 4 -> S. 142-143 Wirtschaftsraums Brunsbüttel und der Metropolregion Hamburg gesichert werden. Gegen die Stromgewinnung durch die seit den 1960er Jahren errich- Lange Bestand hatten die im Jahre 2010 getroffenen Beschlüsse über die teten Atomkraftwerke gab es bald auch in der Wilstermarsch eine Gegenre- Eignung von Flächen zur Nutzung für die Windenergie jedoch nicht. Auslö- aktion. In deren Folge kommt es verstärkt zu Überlegungen zur alternativen, sendes Ereignis für eine erneute Beschäftigung mit der sog. »Teilfortschrei- Ressourcen schonenden Stromgewinnung. Seit Ende der 1980er Jahre steht bung des Regionalplans IV – Windenergie« war die Atomreaktorkatastrophe nicht nur in den Elbmarschen zunehmend die Windnutzung als Energiequel- am 11. März 2011 im japanischen Fukushima, die in Deutschland dazu führte, 138 jürgen ruge / peter huusmann windenergienutZung in den elbmarschen damals und heute 139

dass in zuvor nicht erreichter Einigkeit alle politisch relevanten Kräfte den Beschluss fassten, aus der Atomenergienutzung auszusteigen. Ein weiteres Ziel dieser Energiewende ist es, die Nutzung von fossilen Energieträgern stark zu reduzieren, um der globalen Erwärmung entgegenzuwirken. We- sentliche Elemente dieser Wende sind deshalb der Ausbau der erneuerbaren Energien, verbunden mit dem Aufbau von Energiespeichern und einer Stei- gerung der Energieeffizienz. Die vorhandenen Windkraftanlagen im Kreis Steinburg produzierten 2011 bereits knapp 300 MW Strom, was etwa zehn Prozent der landesweiten Leistung entsprach. Trotzdem setzten sich die politischen Kreisgremien für weitere knapp 500 Hektar Windeignungsflächen bei der anstehenden Teil- fortschreibung der Regionalpläne ein. 5 Seit 2015 ist die Landesplanung dabei, die Windenergieplanung in Schles- wig-Holstein neu auszurichten. Hintergrund ist ein Urteil des Oberverwal- tungsgerichtes in Schleswig, in dem die Teilfortschreibungen der Regional- pläne für zwei Eignungsgebiete wegen Abwägungsfehlern für unwirksam erklärt wurden. Mit der neuen Teilfortschreibung soll sichergestellt werden, 6 Windpark in der Gemeinde Beidenfleth. dass genügend geeignete Flächen für die Windenergienutzung im Land zur Verfügung stehen, um die Energiewende und den Klimaschutz voranzubrin- gen. Gleichzeitig sollen aber auch große Teile des Landes von der Windener- gienutzung freigehalten werden. Außerhalb der Vorranggebiete ist daher die Windenergienutzung ausgeschlossen (-> S. 155). Auch wenn der Ausbau der Windenergie noch von einer breiten Bevölke- rungsmehrheit getragen zu werden scheint, wird die von einzelnen Gemein- den und Bürgern vorgebrachte Ablehnung der inzwischen bis zu 200 Meter hohen Windkraftanlagen größer. Ebenso werden die zum Transport des Windstroms errichteten oder im Bau befindlichen Stromtrassen mitsamt den dazu gehörenden Konverterstationen und Umspannwerken von Bürgern kritisch gesehen. Die Sicherung der Akzeptanz für den zukünftigen Ausbau der Windener- gie mit der entsprechenden Energieinfrastruktur 6 wird davon abhängen, ob es gelingt, diese Landnutzungsform in die Kulturlandschaft zu integrieren und Nutzungskonflikte insbesondere mit dem Natur- und Denkmalschutz durch enge Abstimmung und geeignete Planungsinstrumente, wie der Kul- turlandschaftswandelkarte (-> S. 31), möglichst zu vermeiden. Ausgleichs- zahlungen für Windkraftanlagen könnten analog zu dem Erwerb von Natur- schutzflächen auch für andere Schutzgüter, z. B. den Erhalt und die Entwick- lung der historischen Kulturlandschaften, eingesetzt werden. Ziel sollte es sein, dass die identitätsprägenden Strukturen und Alleinstellungsmerkmale der historischen Kulturlandschaft der Elbmarschen erfasst, vermittelt und durch die Windkraftnutzung auch zukünftig nicht überformt werden. Durch die intensive Beteiligung der Bürger im Forschungsprojekt Regiobranding konnten diese Besonderheiten im Zuge von Workshops für die Elbmarschen ermittelt werden und stehen als Grundlage für weitere Planungsprozesse zur Verfügung (-> S. 77).

5 Windeignungsflächen Steinburger Elbmarschen gemäß Regionalplan Windenergie 2012. 140 jürgen ruge / peter huusmann windenergienutZung in den elbmarschen damals und heute 141

Historische Mühlen und Schöpfwerke

1 142 jürgen ruge / peter huusmann windenergienutZung in den elbmarschen damals und heute 143

4 Ausschnitt aus Kopie der Elbkarte von Melchior Lorich mit Bockwindmühlen bei St. Margarethen, Brokdorf, Bielenberg (Kollmar) und weiteren Orten zu beiden Seiten der Elbe. 144 jürgen ruge / peter huusmann windenergienutZung in den elbmarschen damals und heute 145

LIteraturverzeIchnIs aBBILdungsverzeIchnIs amt WILstermarsch (hg.) 2000 Wilstermarsch – Land unterm Meeresspiegel. Informationstafeln für Erlebnis- und Informati- aBBILdungsnummer BILdnachWeIs onspunkte in der Wilstermarsch mit »Land unter-Tour«. Öffentliche Maßnahme der Dorfent- wicklung. (= 20 Infotafeln der »Land unter-Tour« mit Karte und Erläuterungen) Wilster 2000. Abb. 1 © Auszug Kulturlandschaftswandelkarte, Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) 2017. © Auszug Denkmalkataster, Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein 2017. BoLLand, J. (hg) 1985 Die Hamburger Elbkarte aus dem Jahre 1568 gezeichnet von Melchior Lorichs. Mit einer © Digitales Landschaftsmodell (ATKIS-DLM), GeoBasis-DE/BKG 2014. Einleitung über den Zweck der Karte und die Tätigkeit von Melchior Lorichs in Hamburg von © DTK100 1:100.000, GeoBasis-DE/LVermGeo SH (www.LVermGeoSH.schleswig-holstein.de). Jürgen Bolland (= Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Ham- Kartendesign: AGIL, Thorsten Becker, Jana Frank (www.agil-online.de) burg, Bd. 8). 3. Auflage. (Hamburg 1985).

Abb. 2 und 3 Archiv Dr. Jürgen Ruge Jensen, W. 1984 Chronik des Kirchspiels St. Margarethen zugleich eine Geschichte der südwestlichen Wilster- marsch. (Glückstadt 1913, Nachdruck: Wilster 1984). Abb. 4 Kartenbeilage, Bolland, J. (HG) 1985.

krause, d. 2007 Wilstermarsch und Wilster. Streifzug durch das Land unterm Meeresspiegel. (Wilster 2007). Abb. 5 Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein: Regionalplan für den Planungsraum IV - Teilfortschreibungen der Regionalpläne Wind 2012 nIendorF, m.o. 1990 Heimatbuch der Gemeinde Dammfleth. (Dammfleth 1990).

Abb. 6 Beate von Malottky nIendorF, m.o. 1992 Nortorf in der Wilstermarsch. (Nortorf 1992).

BIeLenBerg, k. 1925 Das Entwässerungswesen. In: Heimatbuch des Kreises Steinburg. Band 2. Glückstadt 1925. S. 297-332. poppendIeck, r. 1986 Die Kremper- und Wilstermarsch, ihre Wirtschaftsform und landschaftliche Erscheinung (= Archiv für Agrargeschichte der Holsteinischen Elbmarschen. Beiheft 2). Engelbrechtsche Wildnis 1986. schröder, p. 1925 Die Organisation der Wilstermarschentwässerung. In: Heimatbuch des Kreises Steinburg. Band 2. Glückstadt 1925. S. 333-343.

WIndtest kaIser-WILheLm-koog gmBh Untersuchung des Windpotentials und Flächenfindung für Windparks im Kreis Steinburg. (Kaiser-Wilhelm-Koog 1993).

WIttstock, W. 1982 Die Marsch – die Landschaft, aus der Wilster wuchs. In: Jutta Kürz (Hg.):700 Jahre Stadt Wils- ter. Skizzen aus der Geschichte einer alten Marschenstadt. Wilster 1982. S. 9-18, (Wilster 1982). kreIs steInBurg Kreiskonzept Windenergie Steinburg 2009/2010 [Online] Verfügbar unter: http://www. steinburg.de/fileadmin/download/buerger-service/dienststellen-ansprechpartner/dezernat-1/ kreisbauamt/planung-wirtschaftsfoerderung-tourismus-bauaufsicht-und-denkmalpflege/ windenergie/kreiskonzeptentwurf-2009/textteil/Kreiskonzept_Schlussfassung_-_Textteil.pdf [Abgerufen am 14.11.2017].

InnenmInIsterIum des Landes Regionalplan für den Planungsraum IV – Fortschreibung 2005 [Online] Verfügbar unter: schLesWIg-hoLsteIn: http://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/L/landesplanung_raumordnung/ Downloads/regionalplaene/planungsraum4/Download/regionalplan_planungsraum4.pdf?__ blob=publicationFile&v=3 [Abgerufen am 14.11.2017].

InnenmInIsterIum des Landes Regionalplan für den Planungsraum IV - Teilfortschreibungen der Regionalpläne Wind 2012 schLesWIg-hoLsteIn: [Online] Verfügbar unter: https://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/L/ landesplanung_raumordnung/Downloads/teilfortschreibungen_regionalplaene/ planungsraum4/karte_planungsraum4.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [Abgerufen am 14.11.2017]. 146 147

Ausblick – Wandel gemeinsam gestalten in den Steinburger Elbmarschen

Beate von Malottky / Peter Huusmann

Zusammenfassung schlüsselwörter

Jede Kulturlandschaft hat individuelle Qualitäten und Alleinstellungs- Wandel merkmale, die zu der besonderen Eigenart einer Region führen. Diese wei- Regionalentwicklung chen Standortfaktoren üben einen hohen Einfluss auf unser Wohlbefinden Digitalisierung und unsere Lebensqualität aus. Im Forschungsvorhaben Regiobranding Entwicklungspotenziale werden gemeinsam mit den Bewohnern der Fokusregion Steinburger Elb- Vernetzung marschen Strategien entwickelt, die Wertschöpfung und Wettbewerbsfä- Zukunftsbilder higkeit der Region zu stärken.

Wo stehen wir?

Die Steinburger Elbmarschen sind, wie auch schon in den vorheri- gen Beiträgen dieser Publikation deutlich wurde, ein Musterbeispiel für die Kultivierung von Naturräumen durch den Menschen. Die in weiten Teilen rein künstlich angelegte Landschaft im einstigen Urstromtal der Elbe wurde seit dem Mittelalter dem Wasser abgerungen und fortwährend an die gesell- schaftspolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen angepasst. Ohne die- se Wandlungsfähigkeit und ohne die in den Elbmarschen notwendige stetige Entwässerung der unter dem Meeresspiegel liegenden Flächen wäre diese Kulturlandschaft nicht überlebensfähig. 1 Auf Grund der gemeinsamen Ver- antwortung für die Sicherung der Existenz ist die Verbundenheit der Bewoh- ner ihrer Heimat gegenüber sehr hoch. Zu den Herausforderungen des Landschaftserhalts vollzogen sich in den Elbmarschen in den vergangenen Jahren die gesellschaftspolitischen Prozes- se des demografischen Wandels, des Strukturwandels in der Landwirtschaft 1 -> S. 151 und der Energiewende besonders rasant. Der hohe Veränderungsdruck auf das Landschaftsbild durch die Errichtung von Anlagen der erneuerbaren Energieerzeugung und des Energietransfers auf der einen Seite sowie der Rückgang von Einwohnerzahlen, landwirtschaftlichen Betrieben und Infra- strukturen auf der anderen Seite lösten Zukunftssorgen aus. Das Forschungsvorhaben Regiobranding des BMBF bot den Bewoh- nern der Elbmarschen die Möglichkeit, sich gemeinsam mit Verbundpart- nern aus der Wissenschaft und Praxis diesen aktuellen Herausforderungen 148 beate von malottky / peter huusmann ausblick – wandel gemeinsam gestalten in den steinburger elbmarschen 149

im ländlichen Raum zu stellen und Handlungsansätze für ein nachhaltiges in den historischen Kontext zu integrieren. Qualitätvoll gestaltete Ortskerne Landmanagement zu entwickeln. Dabei standen und stehen in der Fokusre- mit Identitätsbezug sorgen für eine hohe Aufenthaltsqualität und Zufrieden- gion der Steinburger Elbmarschen folgende Fragen im Vordergrund: heit bei den Bewohnern. Traditionelle Bau- und Handwerkstechniken sowie • Wie kann sich die Kulturlandschaft der Elbmarschen weiterentwickeln, regional spezifische Baumaterialien und Formen können Inspiration für das ohne dass dabei die charakteristischen und identitätsprägenden Struktu- zeitgemäße Bauen im Bestand geben. Die Kenntnisse über nachhaltige Bau- ren verloren gehen? weisen und handwerkliche Fähigkeiten gewinnen in diesem Zusammenhang • Was verbindet die Bürger mit ihrer Region und wie wollen sie bzw. wir in wieder an Bedeutung. Der flächendeckende Anschluss der Elbmarschen an der Zukunft dort leben? das Glasfasernetz ist eine große Chance für die Nachnutzung ehemaliger landwirtschaftlicher Höfe als ›Wohn- und Arbeitsinseln‹. Die Eigentümer erhaltenswerter und kulturlandschaftsprägender Gebäude sollen darüber Lehrgang Ausblick: Wo wollen wir hin? y hinaus über Beratungsangebote motiviert werden, in die regionale Baukul- i p h a u s a l o t k r

T Zertifizierte/r Natur- und a x o n M

M Die Beschäftigung mit diesen Fragestellungen ermöglicht den Projekt- tur zu investieren. Ein Netzwerk aus ›Kümmerern‹ vermittelt perspektivisch e v t e a Landschaftsführer/in mit B beteiligten eine Art Standortbestimmung vorzunehmen, aus der sich Ziele leerstehende Resthöfe an Interessenten. Kulturlandschaftsmodul und Entwicklungspotenziale für die Region ableiten lassen. Für die Stein- burger Elbmarschen zeichnen sich auf der Grundlage der Anregungen und Abschluss Organisatorisches Vorzeigeregion der Energiewende Der Abschluss ist anerkannt durch den Bundesweiten Arbeitskreis Rückmeldungen der Bürger und Akteure im Regiobranding-Prozess für der staatlich getragenen Bildungsstätten im Natur- und Umwelt - Anmeldeschluss und Anmeldung schutz (BANU). Die erfolgreiche Teilnahme am Lehrgang wird durch Senden Sie Ihre schriftliche Anmeldung bitte bis zum das anvisierte Jahr 2030 folgende Zukunftsbilder ab: Die Wilstermarsch entwickelt sich derzeit zur Drehscheibe der Ener- ein Zertifikat des Bildungszentrums für Natur, Umwelt und ländliche 25. September 2017 mit dem beiliegenden Formular an das Räume des Landes Schleswig-Holstein mit dem Titel „Zertifizierte/r Bildungszentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume giewende in der Bundesrepublik. Das birgt das große Potenzial, neue Innova- Natur- und Landschaftsführer/in (ZNLF) für die AktivRegionen des Landes Schleswig-Holstein Pinneberger Marsch und Geest sowie Steinburg“ bescheinigt. Hamburger Chaussee 25 | 24220 Flintbek tionen im Energiesektor anzustoßen und für das Regionalmarketing des Krei- 3 -> S. 151 Voraussetzungen hierfür sind die Teilnahme an allen drei ZNLF- T 04347 704-785 | F 04347 704-790 Wissenstransfer Unterrichtsblöcken, die Anfertigung einer lehrgangsbegleitenden ses zu nutzen. Die Entwicklung von innovativer und nachhaltiger Technik für Hausarbeit sowie eine erfolgreiche praktische und schriftliche Teilnahmebeitrag Prüfung. Die Lehrgangsgebühr beträgt 800 € inklusive Übernachtungs- und Verpflegungskosten zzgl. einer Prüfungsgebühr von 50 €. Das Wissen um die eigene Herkunft ist eine wichtige Voraussetzung für die die Energieerzeugung, -speicherung und -verteilung bietet neue Arbeitsper- Kulturlandschaftsmodul Der Betrag wird in drei Raten gezahlt und jeweils separat in Das Kulturlandschaftsmodul erhält ein eigenes Zertifikat, ist aber Rechnung gestellt. Eine Ermäßigung auf den Teilnahmebeitrag Gestaltung der Zukunft. Bis 2030 sollen daher die Vielfalt, Weite und Histo- spektiven für das Kreisgebiet. Darüber hinaus wird die Speichermöglichkeit nicht Gegenstand der ZNLF-Prüfung. Es bezieht sich auf die „Kultur- ist nicht möglich. landschaft Steinburger Elbmarschen”. rie der Elbmarschen in ihrer Gesamtheit erkannt, digital erfasst und nach- der Energie den Wirkungsgrad der Windenergienutzung erhöhen und damit Mit Ihrer schriftlichen Anmeldung und der Bestätigung durch das Bildungs- zentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume ist Ihre Anmeldung verbindlich Termine und Sie verpflichten sich zur Zahlung der Gesamtkosten Ihres Seminarplatzes. haltig erfahrbar sein. Mit dem Bewusstsein über und die Identifikation mit gegebenenfalls den Bedarf von Windenergieanlagen an Land regulieren. Das Der ZNLF-Lehrgang umfasst 70 Unterrichtsstunden, überwiegend an Eine Abmeldung ist nach Antritt des Lehrgangs nicht mehr möglich. Mit Ihrer Wochenenden. Das Kulturmodul umfasst ca. 21 zusätzliche Stunden. schriftlichen Anmeldung erkennen Sie unsere allgemeinen Geschäftsbedingungen Für die AktivRegionen den Kulturlandschaften der Elbmarschen kann der Raumwandel in der Re- Ziel für die Elbmarschen ist eine in die Kulturlandschaft ausgewogen inte- 1. Modul: an. Näheres dazu unter: www.bnur.schleswig-holstein.de – Teilnahmebedingungen ger Marsch und

. Pinneber V g Fr., 24.11. – So., 26.11.2017 gion gezielt und partizipativ gestaltet werden. Wind, Wasser und die offene grierte und von den Bewohnern akzeptierte Windkraftnutzung. Für mehr Tagungsorte u e . Geest sowie Steinbur Ellerhoop (ohne Übernachtung) Tagungsorte und Exkursionsziele in den Kreisen Pinneberg und

2. Kulturlandschaftsmodul: Steinburg; ein Seminartag findet im Bildungszentrum für Natur, e d l r A Landschaft mit ihrer charakteristischen Baukultur können über das erhöhte Akzeptanz können z.B. sichtbare Stromzähler der regionalen Öko-Stromge- W Fr., 16.03.2018, BNUR, Flintbek, Umwelt und ländliche Räume in Flintbek statt. k Sa., 02.06. – So. 03.06.2018 November 2017 bis September 2018 öffentliche Interesse als wertvolle regionale Ressourcen erschlossen werden. winnung im öffentlichen Raum sorgen. Die Einrichtung eines norddeutschen i o n a l p r

Wilster (ohne Übernachtung) e g , R 3. Modul: Die ersten Schritte sind mit der Erstellung und Veröffentlichung der Beiträge Energieinformationszentrums im stillgelegten Kernkraftwerk Brokdorf böte

Mi., 18.04. – So., 22.04.2018 d e r u n g ö r

Barmstedt (mit Übernachtung) t s f sowie der Kulturlandschaftswandelkarten in dieser Publikation eingeleitet. Raum für Wissensvermittlung und Innovation.

Abschlussmodul: t s c h a f i r Sa., 01.09. – Mo., 03.09.2018 Bildungszentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume W Die Einführung und Fortschreibung des digitalen Kulturlandschaftskata- Barmstedt (mit Übernachtung) des Landes Schleswig-Holstein Hamburger Chaussee 25 | 24220 Flintbek e : g b sters KuLaDig in Schleswig-Holstein kann, wie bereits in Nordrhein-West- e l s i t

i t Regionale Landwirtschaft und Produkte

T 04347 704-780 | F 04347 704-790 T o s

www.bnur.schleswig-holstein.de o t

F falen erfolgreich erprobt, maßgeblich zur Stärkung der regionalen Identität beitragen. Mit der Digitalisierung darf aber das Erzählen der Geschichte und Das gestiegene Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein unserer Gesell- 2 Flyer des ZNLF-Lehrgangs. von Geschichten durch die Menschen nicht verloren gehen. Durch geschulte schaft äußert sich unter anderem in dem Wunsch nach regionalen, saiso- Landschaftsführer kann das Wissen über die Kulturlandschaft lebendig ver- nalen Lebensmitteln sowie artgerechter Tierhaltung. Der Qualitätsanspruch mittelt werden. Für die Steinburger Elbmarschen wurde daher im Rahmen an die Lebensmittel wächst gegenüber dem rein gewinnorientierten Quan-

von Regiobranding in Zusammenarbeit mit dem Bildungszentrum für Na- titätsdenken. Dieser Trend gibt den kleineren landwirtschaftlichen Famili- 4 -> S. 152 tur, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein für die Ausbildung von enbetrieben und den nachfolgenden Generationen wieder eine wirtschaftli- Landschaftsführern ein spezifisches Kulturlandschaftsmodul erarbeitet. 2 che Perspektive. 3 Geschickte Marketing- und Vertriebsstrategien, die den direkten Bezug zwischen der Landwirtschaft und der Kulturlandschaft der Regionale Baukultur als Ressource Elbmarschen herstellen, können diese Entwicklungen unterstützen und mit dafür sorgen, dass im Jahr 2030 nach wie vor Kühe auf den tief liegenden ent- Die Menschen werden zukünftig durch die fortschreitende Digitalisie- wässerten Weiden grasen. 4 Darüber hinaus wird bereits überlegt, welche rung und digitale Vernetzung immer weniger ortsgebunden sein. Dadurch lokalen Ressourcen die Landschaft neben den landwirtschaftlichen Produk- können sie sich ihren Lebensmittelpunkt unabhängiger auswählen. Neue ten noch bereit hält und wie diese für den Markt erschlossen werden können. Vertriebs- und Arbeitsmöglichkeiten, innovative Wohnformen sowie die zu- Gedanklich kommen hierfür natürliche Vorkommen oder nachwachsende nehmende autonome Mobilität eröffnen für die charakteristischen Gebäude Rohstoffe wie Ton, Reet oder Weidengewächse in Frage. und Siedlungen der Elbmarschen vielfältige, generationsübergreifende Nut- zungsperspektiven. Neben der Inwertsetzung der erhaltenswerten Bausubs- tanz gilt es auch neue anspruchsvolle Architektur und Freiraumplanungen 150 beate von malottky / peter huusmann ausblick – wandel gemeinsam gestalten in den steinburger elbmarschen 151

Slow-Culture-Region

Die Natur- und Wasserflächen der G ›Slow-Culture-Region‹ Elbmarschen bieten abwechslungsreiche Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten für die Be- wohner oder Touristen, die Entschleunigung suchen. Das Thema des Was- sers in der Region, ob Flüsse, künstliche Wasserläufe, Häfen oder das ›Land unter Normalnull‹‚ soll nach den Vorstellungen der Akteure durch Maßnah- men wie etwa Wassersäulen an der tiefsten Landstelle und Wilster, Wasser- taxis, schwimmende Ferienhäuser, Freizeit-Knoten-Punkte mit Gastronomie am Wasser oder Aussichtsplattformen in Wert gesetzt werden. Mobilität gibt es in vielfältiger Form im Angebot: Leihfahrräder, Kanus, G SUP-Boards, 5 G Segways oder G autonome Fahrzeuge mit Anschluss an das überregionale Verkehrsnetz. Die Metropole Hamburg oder die Nordsee können stressfrei in weniger als einer Stunde Fahrtzeit erreicht werden. 5 -> S. 152 Über einen Kreativwettbewerb wird die tiefste Landstelle Deutschlands in Szene gesetzt und agiert durch den wachsenden Bekanntheitsgrad der Elbmarschen als Pendant zur Zugspitze. 6 Zwischen den beiden Superlati- ven existiert im Jahr 2030 eine gelebte Partnerschaft.

Faktor Mensch

Ohne die engagierten und glücklichen Menschen in der Region wären diese Zukunftsbilder nur Gedankenspiele. Für die Umsetzung der Ideen braucht es nicht nur jetzt, sondern auch perspektivisch gesehen, begeiste- 1 Deichlandschaft in der Wilstermarsch. rungsfähige, motivierte Menschen, die sich ehrenamtlich für ihre Heimat einsetzen. Aus diesem Grund dürfen wir nicht vergessen, das Vereinsleben und die Traditionen zu fördern, die Jugend mit einzubeziehen und ihnen rechtzeitig Verantwortung zu übergeben. Ebenso wichtig ist es, die neuen Bewohner in das örtliche Gemeinschaftsleben zu integrieren und den sozi- alen Zusammenhalt zu stärken, aber auch den Blick von außen zuzulassen. Neben den individuellen Möglichkeiten, die der ländliche Raum bietet, ist die gelebte nachbarschaftliche Gemeinschaft ein hohes Gut, das nicht verlo- 6 Hinweisschild an der A 23 an der Abfahrt Itzehoe Mitte/Wilster. ren gehen darf. Die Weite der Landschaft der Elbmarschen, die Vielfalt der Möglichkeiten und die Offenheit der Menschen bieten eine Plattform für je- den Lebensentwurf. Hier gibt es ›Raum für Zukunft‹.

3 Tag des offenen Hofes. 152 beate von malottky / peter huusmann ausblick – wandel gemeinsam gestalten in den steinburger elbmarschen 153

LIteraturverzeIchnIs

ForschungsproJekt regIoBrandIng Dokumentation des Visionsworkshops in den Steinburger Elbmarschen, 26. Juni 2017

kreIs steInBurg Workshop »Region Wilster und Wilstermarsch 2030 - Zukunft gestalten im Kreis Steinburg«, 3. November 2017

aBBILdungsverzeIchnIs

aBBILdungsnummer BILdnachWeIs

Abb. 1 Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein

Abb. 2 Bildungszentrum für Natur, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein, Fotos von egeb Wirt- schaftsförderung und Regionalpark Wedeler Au e.V.

4 Weideflächen auf dem Stördeich bei Borsfleth in der Krempermarsch. Abb. 3 und 4 Beate von Malottky

Abb. 5 © Unterelbe Tourismus e.V.

Abb. 6 Michael Ruff

5 Wasser und Freizeit. 154 155

Perspektiven einer planungsorientierten Denkmalpflege

Management und Vermittlung historischer und aktueller Raumbezüge

Ulf Ickerodt / Matthias Maluck

Zusammenfassung schlüsselwörter

Durch die immer stärkere Veränderung von historischen Kultur- und Stadt- Planungsorientierte Denkmalpflege landschaften nimmt die Gefahr zu, dass sie ihre Eigenheiten und damit ih- Denkmalpflegemanagement ren historischen Wert verlieren. Das archäologische Erbe ist als elementa- Interessensgebiete rer und konstituierender Bestandteil stark davon betroffen. Nur durch die Planung frühzeitige Beteiligung bei Planungen und Maßnahmen sowie die Nutzung Raumordnung von integrativen Managementinstrumenten kann den neuen Herausfor- derungen begegnet werden. Die planungsorientierte Denkmalpflege setzt daher auf eine frühzeitige Beteiligung auf allen Planungsebenen und die passende Aufbereitung archäologischer Belange für die unterschiedlichen, daraus resultierenden Anforderungen.

Einleitung

Der Mensch hat immer schon durch sein Handeln die Umwelt beein- flusst und zu der ihn umgebenden Landschaft gestaltet. Zuerst als Wildbeu- ter vornehmlich durch die Jagd in der Alt- und Mittelsteinzeit; später, als er sesshaft wurde und begann, Landwirtschaft und Viehzucht zu betreiben, hat sich der Einfluss auf die Landschaft noch verstärkt. Im Zuge von Anpas- sungsprozessen entstanden zunehmend auch neue Lebensräume. Diese, wie etwa G Heidelandschaften und G Hudewälder, stufen wir heute als ökolo- gisch außerordentlich wertvoll ein. Seit der industriellen Revolution im 18. und 19. Jh. hat sich der menschengemachte Landschaftswandel noch einmal stark beschleunigt. Der Charakter der Anpassungsprozesse veränderte sich zunehmend. Es kommt zu den heute als Umweltzerstörung und Klimaverän- derung bezeichneten Entwicklungen. Die archäologische Forschung und Denkmalpflege kann mit ihren be- weglichen, den Funden, und den unbeweglichen Denkmalen, den Befunden, diesen Prozess nachzeichnen. Dieses macht die archäologischen Sachquel- len einerseits so wertvoll. Andererseits geraten diese Relikte menschlichen Kulturschaffens selber immer stärker unter Druck. Seit der Industrialisie- rung und besonders seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Zahl obertägig 156 ulf ickerodt / matthias maluck perspektiven einer planungsorientierten denkmalpflege 157

sichtbarer archäologischer Denkmale, wie Grabhügel, Großsteingräber und turlandschaftsschutz. Der nachhaltige Umgang mit den Kulturgütern und Burgen, aber auch die der im Boden verborgenen archäologischen Kultur- -landschaften wird allerdings heute immer anspruchsvoller und ist mit den denkmale und anderer historischer Kulturlandschaftselemente durch die traditionellen Instrumenten der Denkmalpflege kaum mehr zu bewältigen. sich intensivierende Landnutzung und den sich immer weiter erhöhenden Flächendruck erheblich verringert. 1 Denkmale und nicht denkmalrechtlich Ziele und Instrumente einer planungsorientierten Denkmalpflege geschützte Elemente von besonderem Wert bilden aber eine charakteristi- sche landschaftliche Eigenart ab. Ihr spezifisches Zusammenspiel stellt da- Ein Lösungsansatz bietet die frühzeitige Berücksichtigung des archäo- mit eine eigene, regionale oder lokale Qualität des Raums dar, das als Allein- logischen Erbes auf allen öffentlichen Planungsebenen, von der Raumord- stellungsmerkmal erhaltenswert ist. nungspolitik bis zur Bauleitplanung, um Auswirkungen auf das archäolo- Ein Beispiel für neue Herausforderungen beim Erhalt von historischen gische Erbe zu mindern oder bestenfalls ganz zu vermeiden. So muss ar- Aspekten heutiger Kulturlandschaften stellt dabei die sogenannte Energie- chäologische Denkmalpflege etwa im Rahmen der Landesplanung zu einer wende dar, mit der sich auch die archäologische Denkmalpflege des Lan- flächendeckenden Darstellung und Begründung der lokalen und regionalen des Schleswig-Holstein seit Jahren immer intensiver beschäftigen will und Erfordernisse und Maßnahmen beitragen, wenn sie den Zielen des Denkmal- muss. Die Kulturlandschaft wird dabei auf sehr unterschiedliche Weise schutzes und denen des Schutzes der historischen Kulturlandschaften ge- verändert. Neben dem Anbau von Energiepflanzen 2 oder der Errichtung recht werden will (-> S. 161, Tab. 1 ). von Windkraftanlagen und Solarparks entstehen auch erhebliche Eingriffe Vor diesem Hintergrund hat das Archäologische Landesamt Schles- im Zusammenhang mit dem Bau von Energieleitungen wie Erdkabeln oder wig-Holstein (ALSH) bereits vor etlichen Jahren den Schritt zur planungs- 1 -> S. 159 Hochspannungsleitungen. Dabei stellt sich für alle Akteure des Kulturerbe- orientierten Denkmalpflege gemacht und diesen Ansatz zunehmend u. a. 3 -> S. 160 managements die Gretchenfrage: Ab welchem Veränderungspunkt verlieren auch in dem Projekt Regiobranding weiterentwickelt. Dabei werden alle unsere historischen Kulturlandschaften mit ihren Kultur- und Naturdenk- relevanten Rechtsnormen und -gebiete genutzt. Neben dem Denkmalschutz- malen ihre Einzigartigkeit und damit ihren wissenschaftlichen Wert und ih- gesetz steht insbesondere das Bundesraumordnungsgesetz (ROG), das Lan- ren Zeugniswert? 3 desplanungsgesetz (LaplaG) und das Baugesetz (Bau G B). Sie fordern alle zu einer Berücksichtigung kulturhistorischer Belange auf. Allerdings verlangt Grundlagen und Rahmenbedingung eines nachhaltigen der hier skizzierte planungsorientierte Ansatz von der archäologischen Kulturlandschaftsschutzes Denkmalpflege des Landes auch einen Perspektivwechsel, der weg vom rein fachwissenschaftlichen hin zum managementorientierten Blick auf das ar- Vor diesem Hintergrund sind die für den Kulturlandschaftsschutz zu- chäologische Erbe führt (-> S. 161, Tab. 2 ). ständigen Behörden vermehrt gezwungen, sich mit den wachsenden Rau- Für den Kulturlandschaftsschutz bedeutet das konkret mit Blick auf die mansprüchen auseinanderzusetzen. ›Denkmalpfleger‹ sind dabei nur ein Arbeit des ALSH, dass analog zum Naturschutz geeignete Daten für Planun- Akteur unter vielen, miteinander konkurrierenden Interessengruppen. Ihre gen und Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Bewertung Schutzgüter, in diesem Fall das archäologische Erbe als Teil der historischen dieser Daten basiert, um gerichtsfest zu sein, auf nachvollziehbaren Stan- Kulturlandschaften, stehen neben Windenergieanlagen, aber auch der Ent- dards und Kriterien wie dem Denkmalwert, dem Zeugniswert usw. Als Trä- wicklung von Wohngebieten, dem Straßenbau oder der landwirtschaftlichen ger öffentlicher Belange (TöB) kann und muss sich das ALSH aktiv an allen Nutzung. Um daher im Sinne einer Nachhaltigkeit das Ziel des Kulturland- Planungsebenen und an allen, archäologische Denkmale betreffenden Maß- schaftsschutzes durch einen angestrebten Interessensausgleich zu erreichen, nahmen beteiligen. Wichtigstes Werkzeug ist die Umweltverträglichkeits-

2 -> S. 160 müssen Politik, Planung, Wirtschaft, Naturschutz und Denkmalpflege aktiv prüfung. Um die Qualität dieser Arbeit zu verbessern, wurden im Rahmen zusammenarbeiten, wie es im »Integrierten Energie- und Klimakonzept für des Regiobranding-Projektes die für Planungsverfahren zur Verfügung Schleswig-Holstein« umrissen wird. stehenden Werkzeuge weiter entwickelt. Dies sind als Vermittlungswerkzeug Allgemein gesprochen, basiert der archäologisch-denkmalpflegerische das Kulturlandschaftskataster (www.kuladig.de), als Analysewerkzeug die Kulturlandschaftsschutz auf vier Aspekten, die hausintern und in der Öffent- Kulturlandschaftswandelkarte (-> S. 31 und 49) und der Bereich der Bürgerbe- lichkeitsarbeit unter der Bezeichnung die vier großen Es firmieren. Es geht teiligung. In der Nachhaltigkeitsprüfung erfolgt die fachliche Bewertung der um das Erfassen, Erforschen, Erzählen und, auch durch die damit verbunde- lang-, mittel- oder kurzfristigen Auswirkungen von Vorhaben auf die Funkti- ne Stärkung des Bewusstseins, um die Kulturlandschaftsqualitäten und das onsfähigkeit des kulturlandschaftlichen-kulturellen Erbes. Potenzial des archäologischen Erbes, um das Erhalten als Ziel des Denkmal- Eine frühzeitige sachgerechte Information von Vorhabenträgern ist dabei schutzes. Die Forschung, Landesaufnahme, die Denkmalliste sowie die Do- ein wichtiger Eckpfeiler bei der Wahrnehmung der Trägerschaft öffentlicher kumentation von archäologischen Denkmalen, die nicht G in-situ erhalten Belange durch das ALSH. Dafür müssen Planungsträger aber auch Geneh- werden können, bilden weitere wichtige Grundlagen der Verwaltungstätig- migungsbehörden und Bauaufsichten in die Lage versetzt werden, anhand keit ›Denkmalpflege‹. eines einfachen Hilfsmittels zu entscheiden, ob die archäologische Denk- Denkmalschutz und Denkmalpflege sind die primären Ziele und daher malpflege zu beteiligen ist oder nicht. Dafür hat das ALSH das Konzept der im Denkmalschutzgesetz (D SchG S H) geregelt. Sie reichen von der Objek- archäologischen Interessensgebiete entwickelt, bei denen eine Beteiligung tebene bis hin zu dem auch in anderen Gesetzesnormen geregelten Kul- immer dann angezeigt ist, wenn ein Vorhaben innerhalb eines Interessensge- 158 ulf ickerodt / matthias maluck perspektiven einer planungsorientierten denkmalpflege 159

bietes liegt. Interessensgebiete übersetzen komplexe fachliche Aussagen zu üblich sind, ist bei archäologischen Denkmalen nur sehr begrenzt möglich. Denkmalen und Informationen der Landesaufnahme zu Fundstellen in eine Einmal zerstört sind sie verloren und nicht in ihrer ursprünglichen Echtheit einfach zu lesende G Gebietskulisse. Hierdurch soll z. B. vermieden werden, wieder herstellbar. Ihr Wert, vor allem bei unbeweglichem Kulturgut, ist zu- dass Fundstellen und Denkmale ›übersehen‹ werden. Durch eine rechtzeiti- meist wesentlich an ihre in-situ-Lage und die weiteren Bezüge des Standorts ge Beteiligung des ALSH können daher, z. B. im Vorfeld großer Bauvorhaben, gebunden. fachliche Aussagen getroffen, der Belang des archäologischen Erbes abge- Über die formale, gesetzlich geregelte Ebene des Denkmalschutzes hin- prüft und der sich aus diesem Belang ergebende Arbeitsrahmen rechtzeitig aus bietet der Ansatz der planungsorientierten Denkmalpflege weitere, in- und umfänglich eingeplant werden. Dieser Rahmen reicht von der Wahr- formelle Möglichkeiten auf die Entwicklung von Kulturlandschaften Einfluss nehmung des Umgebungsschutzes von archäologischen Kulturdenkmalen auszuüben. Die Herausarbeitung von Alleinstellungsmerkmalen von Land- durch Auflagen und Verbote bis hin zur sogenannten Rettungs- oder Verur- schaften und deren Einbeziehung in die lokalen Entwicklungsplanungen sachergrabung. benötigen weitergehende Instrumentarien. Diese erfolgen über Projekte wie Jenseits der rechtzeitigen Beteiligung an sich bedeutet aber die Einbezie- das in diesem Band vorgestellte Regiobranding oder in der Vergangenheit hung archäologischer Belange in politischen Programmen und dann auf der über Lancewad und Lancewadplan. Auch die im Rahmen des Unesco-Wel- Ebene der Raumordnung, also beim Landesentwicklungsplan oder den Regi- terbeantrags für Haithabu und Danewerk erarbeitete, mit allen Akteuren ab- onalplänen, denkmalpflegerisch einen erhöhten Aufwand, da entsprechen- gestimmte Managementplanung, die Projekte zur Freiraumplanung in den de Vorleistungen erforderlich sind. Dabei müssen vorhandene Daten zum Gemeinden und der Ideenwettbewerb für Landschaftsplaner verdeutlichen archäologischen Erbe in raumordnerisch relevante Größenordnungen und wie breit das Repertoire von Instrumenten für Kulturerbemanager sein kann. Aussagen etwa bezüglich Vorrang oder Ausschluss von anderen Nutzungs- Grundsätzlich befindet sich die planungsorientierte Denkmalpflege weiter ansprüchen übertragen werden. im Aufbau und in der Entwicklung. Auf politischer Ebene wurde die archäologische Denkmalpflege etwa in dem bereits angeführten »Integrierten Energie- und Klimakonzept für Schleswig-Holstein« berücksichtigt. Hier wird das übergeordnete, aber abs- trakte, politische Ziel der energiepolitischen Wende mit den konkreten Zie- len des Denkmal- bzw. Kulturlandschaftsschutzes verbunden. Um diese Ziele auf Ebene der Raumordnung einzubringen, gilt es fol- gendes zu bedenken. Bei der Ausweisung von Vorranggebieten für die Win- denergiegewinnung können die fachlichen Interessen des archäologischen Kulturlandschaftsschutzes eingebracht werden. Geschieht dies nicht, dann gilt entsprechend der Vorrang der anderen Nutzung gegenüber dem archäo- logischen Umgebungsschutz auch für das spätere Genehmigungsverfahren. Um daher auf der obersten Planungsebene verwertbare Angaben zum archäologischen Erbe zur Verfügung stellen zu können, bereitet das ALSH zurzeit als lead partner das vom Interreg Ostseeprogramm geförderte Projekt BalticRIM mit 12 anderen Partnern vor. Das Projekt zielt darauf ab, das maritime und marine Kulturerbe frühzeitig bei der Aufstellung von Rau- mordnungsplänen einzubringen. Das Projekt bezieht sich dabei konkret auf die Aufstellung maritimer Raumordnungspläne, die nach der EU-Richtlinie 2014/89/EU bis 2021 von allen Ländern gefordert werden. Auf jeder nachfolgenden Ebene wird der planerische Maßstab immer klei- ner, bis schließlich in der Bauleitplanung und bei Einzelmaßnahmen sehr lo- kale und fundstellenbezogenen Abwägungen getroffen werden. Im Hinblick auf die Bewertung von Planungs- und Projektvorhaben muss dabei auch be- achtet werden, dass weitere erhebliche Auswirkungen durch geplante Minde- rungsmaßnahmen, wie beispielsweise Lärmschutz an Autobahnen oder ein G landschaftspflegerischer Begleitplan, zuungunsten des archäologischen Erbes entstehen können. Um solche Auswirkungen zu mindern oder ganz zu vermeiden ist neben konkreten Maßnahmen zu prüfen, ob nicht verträg- lichere Projektalternativen gewählt werden können oder gar ganz auf das Vorhaben verzichtet werden kann. Dieser Verzicht wird als »Nullvariante«

bezeichnet. Eine spätere Kompensation von negativen Auswirkungen durch 1 Beschädigte Substanz eines Grabhügels auf einer landwirtschaftlich genutzten Fläche. Die kantige Form entstand erst durch ein modernes Land- Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, wie sie bei ökologischen Schutzgütern wirtschaftsfahrzeug. 160 ulf ickerodt / matthias maluck perspektiven einer planungsorientierten denkmalpflege 161

pLanungsraum gesamtpLanung FachpLanung pLanungs- archäoLogIsche zIeLaussage (LandschaFts- massstaB am Bsp. s chLesWIg-hoLsteIns pLanung)

Land Landesraumord- Landschaftsprogramm 1 : 500 000 Zielvorgaben, kulturlandschaftliche Einhei- nungsprogramm bis 200 000 ten oder charakteristische Landschaftsräu- me, Interessensgebiet, Grabungsschutzge- biet

Reg. Bezirk Regionalplan Landschaftsrahmen- 1 : 50 000 großräumige arch. Denkmale, Denkmalen- Region plan bis semble, Grabungsschutzgebiete Kreis 1 : 25 000

Gemeinde Flächennutzungsplan Landschaftsplan 1 : 10 000 (F-Plan) bis 1 : 5 000 Denkmalensemble, arch. Denkmale, Objekte der Landesaufnahme Teil des Bebauungsplan Grünordnungsplan 1 : 2 500 Gemeindegebiets (B-Plan) bis 1 : 1 000

1 Tabelle 1: Unterschiedliche, die archäologische Denkmalpflege betreffende Steuerungsinstrumente und ihre Planungsebenen nach Riedel (1997, 184). Diese werden um die zu vermittelnde archäologische Qualität ergänzt, die von abstrakten Zielaussagen bis hin zur Objektebene reichen.

2 Luftbildaufnahme (2017) vom Krummwall, Teil der denkmalgeschützten archäologischen Grenzlandschaft Haithabu-Danewerk. Der Mais, ange- baut als Energiepflanze für Biogas, überformt das Denkmal.

phase arBeItsschrItt arBeItsgrundLage zIeL

1 Landschaftserfassung • historische Karten Kulturlandschaftswandelkarte • Inventare und Kataster (Landesaufnahme, Denk- • qualifizierende Darstellung der archäologisch-historisch geographi- mallisten von Natur und schen Gesamtqualität einer Region Kulturdenkmalen) • Systematisierung der zur Verfügung stehenden Informationen • Bodeneingriffskartierung • zielgruppenorientierte Aufbereitung des archäologisch-historischen • Archivauswertung (Bau- Wissens (z. B. Raumplanung, Tourismus) akten usw.) • Grundlage zur Sensibilisierung für den nachhaltigen Umgang mit dem kulturellen Erbe

2 Leitbildentwicklung • Workshops Themenfindung • Expertengespräche • Schulungen • Ermittlung der lebensweltlichen Rahmenbedingungen (Wirtschaft, Schutzgebiete usw.) • Berücksichtigung der Ziele unterschiedlicher Interessensgruppen

3 Leitbildevaluierung • Workshops Prüfung der Umsetzbarkeit • Expertengespräche • Abwägung von und Entscheidung für Ziele • Machbarkeitsstudien

4 Leitbildverankerung • Leitbilder / Narrative Umsetzung • Entwicklungsziele • politisch verankerte • Raumplanung (in den Planungsebenen gemäß Tab. 1) Förderziele • Tourismusprojekte (über Förderinstrumente wie Leader, Interreg) • Denkmalschutz (über denkmalrechtliche Entscheidungen).

2 Tabelle 2: Arbeitsphasen bei der Entwicklung von Leitbild-gesteuerten integrierten Managementstrategien im archäologischen Kulturlandschaftsmanage- ment. Diese basieren in Phase 1 auf dem Erfassen und Erforschen und sollen in Phase 4, dem Erzählen, für Erhalt und nachhaltigen Umgang sorgen. 3 Visualisierung einer durch Energieinfrastruktur transformierten Landschaft. 162 ulf ickerodt / matthias maluck perspektiven einer planungsorientierten denkmalpflege 163

LIteraturverzeIchnIs aBBILdungsverzeIchnIs archäoLogIsches Landesamt Merkblatt Archäologische Interessensgebiete.(Schleswig 2015). aBBILdungsnummer BILdnachWeIs schLesWIg-hoLsteIn (hrsg.) 2015

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G gLossar

akteure Bezeichnet sowohl in den Entwicklungs- und Handlungsprozess eines Brandings involvierte Entscheidungsträger sowie Personen im weiteren Umfeld der Planung und Umsetzung. Pro- jektinteressierte Personen, wie etwa die Teilnehmer eines Workshops, werden somit ebenfalls Glossar / Autorenliste als Akteure verstanden.

archImedIsche schrauBe Förderschnecke zum Heben von Wasser als Teil einer Schöpfwindmühle.

autonome Fahrzeuge Fahrzeuge, die mit intelligenten Fahrerassistenzsystemen ausgerüstet sind, die in der mittel- baren Zukunft die Leistungen des Fahrers ganz oder größtenteils ersetzen können.

BastIon, BasteI, BoLLWerk Ein aus dem Wall hervorspringendes, zur Feindseite spitzwinkliges, häufig fünfeckiges Schwer- punkt-Festungswerk. Im Endausbau war die Festung Glückstadt von zwölf Bastionen umgeben.

BedeIchung Einschließung eines Stück Landes oder eines Ufers durch einen Deich.

BLockhaus Mit Kanonen bestücktes Festungsgebäude. Das armierte Blockhaus stand am Kopf der Glück- städter Nordermole, einer doppelten Pfahlreihe, die mehr als 30 m weit in die Elbe hinaus- reichte. Es diente der Verteidigung des Hafens und der Festung gegen Angriffe von der Elbe her. 1647 wurde es abgetragen.

BmBF Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das bMbF unterstützt innovative Projekte und Ideen in der Forschung durch gezielte Förderprogramme. Im Zentrum der Förderung stehen dabei der Innovationsgrad und die Verwertbarkeit der Forschung. Das Verbundprojekt regiobranding zeichnet sich durch sein transdisziplinäres Vorgehen, praxisnahe Vernetzung und nachhaltige Zielsetzung aus (www.bmbf.de).

BrandIng Prozess einer Markenbildung. Im Projekt regiobranding werden Landschaftsqualitäten und identitätsstiftende Landschaftsgeschichte systematisch untersucht, herausgestellt und im öffentlichen Austausch reflektiert und kommuniziert.

cuLturaL marker Kulturlandschaftsbezogene Referenzpunkte regionaler Identität.

encLosure Europaweiter Prozess der Aufteilung von gemeinschaftlich bewirtschafteten Flächen, zuneh- mender räumlicher Einhegungen und damit verbundenen siedlungsstrukturellen Änderungen v.a. im 17.-19. Jahrhundert, ähnlich der Verkoppelung. Dieser Prozess ist in der Marsch fast nicht erkennbar.

entWIckLungspFadaBhängIgkeIt Die räumliche Eigenart des archäologisch-kulturlandschaftlichen Erbes, das sich aus linearen, flächigen und punktuellen räumlichen Strukturen zusammensetzt, ist das Produkt eines ein- zigartigen historischen Entwicklungsprozesses. Dieser Entwicklungsprozess resultiert aus dem Zusammenspiel naturräumlicher Bedingtheit und den unterschiedlich intensiven wirtschaftli- chen, politischen oder religiösen Nutzungen eines spezifischen Raumes durch die Zeit. Die Er- mittlung und Analyse der hierin enthaltenen determinierenden historischen Einflussfaktoren ermöglicht das Verständnis von Kausalitätsketten, die wiederum sowohl Bewertungskategorie für denkmalrechtliche Entscheidungen sein können als auch eine gewissen Anschlussfähigkeit an Naturschutzziele ermöglichen.

FLeth/FLeet Ursprünglich war dies die Bezeichnung eines natürlichen Wasserlaufs in den Elbmarschen. Später jedoch auch für künstlich angelegte Wasserwege gebräuchlich. In Glückstadt diente der Markt-Fleth zur Be- und Entwässerung der Stadt und war ein zentrales städtebauliches Element, da er die Stadt in einen westlichen und östlichen Teil trennte.

geBIetskuLIsse Begriff aus der Raumplanung, der ein durch Fachsichten, wie z.B. Archäologie oder Natur- schutz, abgegrenztes Gebiet bezeichnet.

graBen/grüppen Vom Menschen ausgehobene linear verlaufene Entwässerungsrinne. 166 glossar / autorenliste 167

hausLandschaFt Eine Hauslandschaft beschreibt eine Landschaft mit einer gemeinsamen Ausprägung setzung Unter Setzung versteht man die Senkung eines Bauwerks oder von Teilbereichen aufgrund bäuerlicher Haus- und Hofformen, wie beispielsweise die Haustypen des Barghuses und des unzureichend tragfähiger Bodenbeschaffenheit. Fachhallenhauses in den Elbmarschen, die auf die spezifischen wirtschaftlichen, klimatischen, geografischen und materiellen Voraussetzungen der Besiedlung zurückgehen. sLIpanLage Eine schräge Ebene, auf der Boote vom Land in das Wasser gelassen werden können. Dazu können Schienen und darin fahrende Schienenwagen (auch Slipwagen genannt) genutzt wer- heIdeLandschaFten Bezeichnung für einen (kulturhistorischen) Landschaftstyp, der durch Sträucher mit immer- den, in denen das zu wassernde Schiff befestigt wird. Der Schienenwagen wird dann mit einer grünem, harten Laub geprägt ist. Typische Pflanze ist das Heidekraut (Calluna Vulgaris). Winde ins Wasser gefahren, bis das Schiff aufschwimmt. Wenn keine Schienen vorhanden sind, wird die Slipanlage mit Kraftfahrzeugen und Anhängern (Trailern) befahren. Das Schiff wird dann vom Trailer aus zu Wasser gelassen. höFtLand Küstenvorsprung, aufgebaut aus Strandwallfolgen und daraus gebildetem Haken (aktiv wach- sender Strandhaken). sLoW-cuLture Megatrend, der auf Entschleunigung setzt. hudeWäLder Wälder, die durch Beweidung und häufigen Holzeinschlag genutzt wurden. sup-Board Modifiziertes Surfbrett zur Ausübung der wachsenden Trendsportart ‚Stand Up Paddling‘ (Stehpaddeln). In-sItu Lateinischer Fachbegriff in verschiedenen Disziplinen, hier in der Archäologie, der bedeutet, dass der Fund oder Befund, z. B. ein archäologisches Denkmal, sich am ursprünglichen Ort befindet und somit der historische Raumbezug noch erhalten ist. testproJekte Hier als architektonische und städtebauliche exemplarische Konzeptbildungen für konkrete Situationen und Aufgaben als Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses zu verstehen. kurtIne Gradliniger Wallabschnitt zwischen zwei Bastionen. tIdeFLuss Ein Fluss oder ein Flussabschnitt der mit dem Meer verbunden ist und unter dem Einfluss der Tide (Ebbe und Flut) einen wechselnden Wasserstand hat. Im untersten Abschnitt befindet LandschaFtspFLegerIscher Stellt die Maßnahmen dar, die umzusetzen sind, um die Eingriffe von Bauvorhaben in Natur sich Brackwasser, stromaufwärts kann auch Süßwasser vorherrschen. BegLeItpLan (kurz LBp) und Landschaft zu kompensieren. Der lbP ist zur Genehmigung des Bauvorhabens erforderlich.

Wettern Angelegter künstlicher Entwässerungskanal mit überwiegend geradem Verlauf und einem mappIng-verFahren Selektive Überlagerung thematischer Kartographie als Beitrag zur räumlichen Strategiebildung. seitlichen Wall. partIzIpatIves mappIng Überbegriff für Methoden bei der nicht nur Wissenschaftler, sondern z.B. auch die Öffentlich- WIrkungsgeFüge Beschreibt das naturgesetzlich geregelte Zusammenwirken der Elemente, wie Wasser, Luft keit oder Teilnehmer eines Workshops an der Erstellung von Karten mitwirken. Dies kann auf oder Bodenart, und naturräumliche Faktoren, wie z.B. Morphologie, Klima oder Biotope im unterschiedliche Art und Weise umgesetzt werden. Geoökosystem. räumLIche muster Bau- und Siedlungsstrukturen in ihren räumlichen, funktionalen und symbolischen kulturland- schaftlichen Zusammenhängen. räumLIche potenzIaLe Strategische Handlungsfelder für die Gestaltung und Inwertsetzung von räumlichen Mustern. autorenLIste räumLIche WahrnehmungsanaLyse Empirisch-wahrnehmungspsychologische, semiotische und philosophisch-ästhetische Metho- dik zur Beschreibung individueller und gesellschaftlicher Muster von Raumwahrnehmung. dr. Frank a ndraschko Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie Universität Hamburg Edmund-Siemers-Allee 1 regIonaLe IdentItät Kollektives Wissen über die Eigenart und Typik einer Region, das auf individueller Ebene inter- 20146 Hamburg nalisiert und mit positiven Emotionen (Heimatgefühl, Stolz, Gefühle persönlicher Zugehörig- [email protected] keit) verknüpft werden kann.

thorsten Becker m .a. agil – Büro für angewandte Archäologie schLeuse Bauwerk zur Regulierung von Niveauunterschieden zwischen Flussläufen. Mit der Niveaure- Postfach 1115 gulierung wird zum einen die durchgehende Schiffbarkeit der durch die Schleuse verbunde- 21391 Reppenstedt nen Wasserläufe gewährleistet. Zum anderen ermöglicht die Regulierung der Wasserhöhen Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie Universität Hamburg die Nutzung und Bewirtschaftung der umliegenden Ländereien. Eine Schleuse besteht aus Schlüterstraße 51 Schleusenkammer, Ober- und Unterhaupt. Das Oberhaupt begrenzt die Schleuse in Richtung 20146 Hamburg des Flussoberlaufs bzw. der Quelle, das Unterhaupt stellt den Abschluss des Bauwerks in [email protected] Richtung des Flussunterlaufs bzw. der Mündung dar. Die Kammer ist der Zwischenraum der beiden Häupter, worin sich das Wasserfahrzeug für die Zeit der Schleusung befindet und mit gezielter Öffnung und Schließung der Tore in den beiden Häuptern die Niveauregulierung chrIstIan BoLdt m.a. Detlefsen-Museum durchgeführt wird. Am Fleth 43 25348 Glückstadt [email protected] segWay Elektrisch angetriebenes Transportmittel mit zwei Rädern auf einer Achse, auf der sich eine Person stehend fortbewegen kann. matthIas BunzeL m.a. arge Maritime Landschaft Unterelbe GbR Kirchenstieg 30 sephardIm Als Sephardim bezeichnen sich die Juden und ihre Nachfahren, die bis zu ihrer Vertreibung 21720 Grünendeich 1492 und 1513 auf der Iberischen Halbinsel lebten. [email protected] 168 glossar / autorenliste 169

dr. maddaLena FerrettI Architektin dr. Jürgen r uge Am Steindamm 1 Institut für Entwerfen und Städtebau 25554 Landrecht Abteilung Regionales Bauen und Siedlungsplanung [email protected] Leibniz Universität Hannover Herrenhäuserstr. 8 30419 Hannover [email protected] dr.-Ing. markus schaFFert Geodätisches Institut Leibniz Universität Hannover Nienburger Str. 1 Jana Frank m .a. agil – Büro für angewandte Archäologie 30167 Hannover Postfach 1115 [email protected] 21391 Reppenstedt Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie Universität Hamburg Edmund-Siemers-Allee 1 20146 Hamburg proF. dIpL. Ing. Jörg s chröder Architekt und Stadtplaner [email protected] Institut für Entwerfen und Städtebau Abteilung Regionales Bauen und Siedlungsplanung Leibniz Universität Hannover pd dr. syLvIa herrmann Leibniz Universität Hannover Herrenhäuserstr. 8 Institut für Umweltplanung 30419 Hannover Herrenhäuser Straße 2 [email protected] 30419 Hannover [email protected] BernWard vöLmIcke Stadtplanungsamt Kiel Fleethörn 9 peter huusmann Kreis Steinburg 24103 Kiel Bauamt-Kreisentwicklung [email protected] Karlstraße 13 25524 Itzehoe [email protected] chrIstIan WeLtecke m.a. Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (alSH) Brockdorff-Rantzau-Straße 70 24837 Schleswig dr. uLF Ickerodt Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (alSH) [email protected] Brockdorff-Rantzau-Straße 70, 24837 Schleswig [email protected] dIpL.-Ing. FaBIan c aesar Wenger, m .sc. bis 06/2017 Mitarbeit im Projekt Regiobranding als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Leibniz Universität Hannover/Institut für Umweltplanung Seit 07/2017 Projektmanager dr. danIeLa kempa Leibniz Universität Hannover [email protected] Institut für Umweltplanung Herrenhäuser Straße 2 30419 Hannover BarBara WestendorF Stadtplanungsamt Kiel [email protected] Fleethörn 9 24103 Kiel [email protected] FaLco knaps m.sc. Doktorand am Institut für Umweltplanung der Leibniz Universität Hannover und wissen- schaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt Regiobranding Institut für Umweltplanung Herrenhäuser Str. 2 dr. mathIas WIegert Arcontor Projekt GmbH 30419 Hannover An der Oberburg 10 [email protected] 38162 Cremlingen/Destedt [email protected]

dIpL.-Ing. archItektIn Ines Lüder 2015/2016 Mitarbeit im Projekt Regiobranding als Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Leibniz Universität Hannover. Seit 2016 Stipendiatin im Promotionsprogramm »Dörfer in Verantwor- tung – Chancengerechtigkeit in ländlichen Räumen sichern« (Leibniz Universität Hannover, Universität Vechta, Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/ Holzminden/Göttingen) [email protected]

Beate von m aLottky Untere Denkmalschutzbehörde Kreis Steinburg Viktoriastraße 16-18 25524 Itzehoe [email protected] matthIas maLuck Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein (alSH) Brockdorff-Rantzau-Straße 70 24837 Schleswig [email protected]

hans peter mIcheeL Krumwehl 45 25554 Wilster [email protected]