Hessische Landeszentrale für politische Bildung

POLIS 43 Analysen – Meinungen – Debatten

Walter Mühlhausen Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Lehren aus der Vergangenheit für die Gestaltung der Zukunft

Polis43_U1.indd 1 27.07.2005 10:09:14 POLIS soll ein Forum für Analysen, Mei- nungen und Debatten aus der Arbeit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (HLZ) sein. POLIS möchte zum de- mokratischen Diskurs in Hessen beitragen, d.h. Anregungen dazu geben, wie heute möglichst umfassend Demokratie bei uns verwirklicht werden kann. Der Name POLIS erinnert an die große geschichtliche Tradition dieses Problems, das sich unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen immer wie- der neu stellt.

Politische Bildung hat den Auftrag, mit ihren bescheidenen Mitteln dazu einen Beitrag zu leisten, indem sie das demokratische Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger gegen drohende Gefahren stärkt und für neue Herausforderungen sensibilisiert. POLIS soll kein behäbiges Publikationsorgan für ausgereifte akademische Arbeiten sein, sondern ohne große Zeitverzögerung Materialien für aktuelle Diskussionen oder Hilfestellungen bei konkreten gesellschaftli- chen Problemen bieten.

Das schließt auch mit ein, dass Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, die nicht un- bedingt die Meinung der HLZ widerspiegeln.

Polis43_U1.indd 2 27.07.2005 10:09:14 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Inhalt

Vorwort: Renate Knigge-Tesche 3

Walter Mühlhausen: Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949. Lehren aus der Vergangenheit für die Gestaltung der Zukunft 5

1. Befreiung und Neubeginn im Zeichen der Besatzungsherrschaft 8 2. Die Entstehung der Hessischen Verfassung 26 3. Konflikt und Konsens in der Besatzungszeit 47

Zitierte und weiterführende Literatur 71 Bildnachweis 75 Autor 76 Polis 43

 Polis 43

 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Vorwort

Am 19. September 2005 vor 60 recht, aber auch das Recht und Jahren unterzeichnete der Obers­ die Pflicht zum Widerstand gegen te Befehlshaber der amerika- diktatorische Bestrebungen und nischen Streitkräfte in Europa, Verfassungsverletzungen – diese General Dwight D. Eisenhower, und andere Bestimmungen der die Proklamation Nr. 2, die Ge- hessischen Verfassung zeigen, burtsurkunde des Landes Hessen. dass ihre Mütter und Väter ein- In Artikel I hieß es: „Innerhalb der deutige Lehren aus der Vergan- amerikanischen Besatzungszone genheit gezogen hatten. Nicht werden hiermit Verwaltungsge- zuletzt kam auch der Bildung biete gebildet, die von jetzt ab als eine wichtige Rolle beim Aufbau Staaten bezeichnet werden; jeder der Demokratie zu. Das in der Staat wird eine Staatsregierung Verfassung verankerte Streben haben.“ Damit war „Groß-Hessen“ nach Chancengleichheit im Bil- aus der Taufe gehoben, welches dungswesen wurde in der Praxis – so die Proklamation weiter – die der inneren Neuorientierung er- Gebiete „Kurhessen und Nassau gänzt durch einen Geschichts- (ausschließlich der zugehörigen und Politischen Unterricht, der Exklaven und der Kreise Oberwe- die unmittelbare Vergangenheit sterwald, Unterwesterwald, Unter- nicht aussparte, sowie durch die lahn und Sankt-Goarshausen) und Einrichtung von Lehrstühlen für Hessen-Starkenburg, Oberhessen Politik an den Hochschulen. Da- und den östlich des Rheines ge- rin war Hessen für andere Länder legenen Teil von Rheinhessen“ wegweisend. umfasste. Ein gutes Jahr später, Als im April 1945 amerikanische am 1. Dezember 1946, trat die Truppen das heutige Hessen be- Verfassung des Landes „Hessen“ setzt hatten, der Krieg und damit – wie es nun offiziell genannt wur- auch die nationalsozialistische de – in Kraft. Eine breite Mehrheit Gewaltherrschaft beendet wa- der hessischen Bürgerinnen und ren, hätte niemand es für möglich Bürger hatte sich in einer Volksab- gehalten, dass binnen weniger stimmung für die Demokratie im als zwei Jahren die Basis für eine Lande ausgesprochen. stabile Demokratie geschaffen Die Annahme der Verfassung werden könnte. Zu verdanken ist bedeutete zugleich auch ein Be- dies jenen politischen Kräften kenntnis der Bevölkerung zu ei- der ersten Stunde, vor allem in ner konsequent sozialstaatlichen den beiden stärksten hessischen Polis 43 Zielsetzung der Landespolitik. Parteien SPD und CDU, welche Die Würde und Persönlichkeit sich unter Hintanstellung partei- des Menschen als Grundlage der licher Interessengegensätze dem Sozial- und Wirtschaftsordnung, Neuaufbau eines demokratischen das Recht auf Arbeit, das Streik- Gemeinwesens verpflichtet fühl-  Walter Mühlhausen

ten. Ihnen war nur zu bewusst, das Nazi-Regime. Mit dem histo- warum die Weimarer Republik ge- rischen Verfassungskompromiss scheitert und das Tor zur Diktatur legten sie den Grundstein zu dem geöffnet worden war. Viele von nunmehr 60 Jahre alten Land Hes- ihnen verband die gemeinsame sen. Erfahrung der Verfolgung durch

Renate Knigge-Tesche Leiterin des Referats III der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung Polis 43

 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Walter Mühlhausen Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Lehren aus der Vergangenheit für die Gestaltung der Zukunft

Im Sommer 1942, zum Ende des der Verhaftung durch die Ge- dritten Kriegsjahres, verfasste stapo. Seine Denkschrift war für der ehemalige Reichstagsab- die Widerstandsgruppe um den geordnete Ludwig Bergsträsser ehemaligen hessischen Innenmi- eine Denkschrift über den poli- nister Wilhelm Leuschner (SPD) tischen Neuaufbau für die Zeit bestimmt. Darin entwickelte er nach Hitler.1 Der Archivar und den Plan, wie die Diktatur des Historiker, vormals Mitglied der nationalsozialistischen Deutsch- liberalen Deutschen Demokra- land zum demokratischen Ver- tischen Partei (DDP), hatte sich fassungsstaat zurückverwandelt gegen Ende der Weimarer Re- werden könnte, wie die Demo- publik der SPD angeschlossen. kratie nach Hitler wieder lang- Von den Nationalsozialisten so- sam aufzubauen war und welche fort nach ihrer Machtergreifung verfassungsrechtlichen Bestim- als Mitarbeiter der Außenstelle mungen aus der Weimarer Zeit des Reichsarchivs in Frankfurt am man übernehmen sollte und wel- Main entlassen, leistete der mitt- che nicht. Stillschweigend ging lerweile in Darmstadt ansässige Bergsträsser von einer Restaura- Pionier der modernen Parteien- tion des parlamentarischen Sys­ forschung2 Kurierdienste zwi- tems in republikanischer Form schen sozialdemokratischen Emi- mit einem Präsidenten an der grantengruppen in Frankreich Spitze aus. Dieser Präsident sollte und Widerstandszirkeln im Reich. – das war die historische Lektion Er entging mehrfach nur knapp aus der unheilvollen Wahl des kai-

1 Die Denkschrift, auf der Bergsträsser 1947 handschriftlich notierte, dass er diese im Sommer 1942 verfasst habe, befindet sich in: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Nachlass Wilhelm Leuschner 45 (alte Signatur 4/8). Vgl. im Detail: Mühlhausen, Denkschrift.

2 1921 erschien seine grundlegende Studie: Ludwig Bergsträsser: Geschich- Polis 43 te der politischen Parteien, Mannheim/Berlin/Leipzig 1921. Sie erlebte noch zu seinen Lebzeiten, von ihm selbst aktualisiert, die 10. Auflage. Die 11. (und letzte) Auflage erschien dann unter Bearbeitung von Wilhelm Mommsen 1965, nach Bergsträssers Tod. Vgl. zu seiner Biographie die Einleitung zu seinem Ta- gebuch von 1945 bis 1948, veröffentlicht als: Bergsträsser, Befreiung, S. 10 ff.

Für ihn auch: Franz, Bergsträsser, S. 188 ff.  Walter Mühlhausen

tungskörperschaften, dachte er ein Mitbestimmungsrecht bei Ge- setzentwürfen zu. Die Rückkehr zu demokratischen Strukturen war aber nur die eine Seite, die Bergsträsser beleuchtete. Eben- so wichtig erschien ihm für die Stabilisierung einer zweiten Re- publik auf deutschem Boden die Erziehung der Bürger zur Demo- kratie: „So wichtig die […] Fragen der Organisation einer parlamen- tarischen Regierung sind, man wird sich darüber klar sein müs- sen, dass sie das Wesentlichste nicht betreffen. Man kann […] diese Regierung konstituieren, einsetzen, man hat damit allein noch keine Garantie für ihre Dau- er.“ Und er fährt fort: „Wenn der Staatsbürger bestimmenden An- teil an der Regierung des Staates hat, muss er hierzu erzogen wer- den. […] Das parlamentarische System wird in Deutschland [...] nur dann bestehen können, wenn man Staatsbürger vorbildet […]. Nur ein ausgedehntes staatsbür- gerliches Bildungswesen wird dem deutschen Volke die Grund- lage schaffen, auf der ein parla- mentarisches System auf lange Zeit bestehen und fruchtbar ar- Ludwig Bergsträsser (SPD), 1945–1948 Regierungspräsident von Darm­ beiten kann.“3 Das waren Worte stadt, 1946 Mitglied der Verfassungberatenden Landesversammlung zu einer Zeit, als der deutsche und 1946–1949 des Landtages. Widerstand noch hoffen durfte, Hitler beseitigen zu können. Die serlichen Feldherrn Paul von Hin- Pläne zum Umsturz waren Berg- denburg zum Reichspräsidenten strässer wohl in den Grundzügen im Frühjahr 1925 – allerdings bekannt; Leuschners Aufforde-

Polis 43 nicht mehr vom Volk, sondern rung, bereit zu sein und nach von Reichstag und Senat gewählt einem erfolgreichen Attentat werden. Dem Senat, bestehend Führungspositionen zu überneh- aus Vertretern der Selbstverwal- men, wurde von ihm bejaht. Doch

 3 Denkschrift Bergsträssers [siehe Anm. 1]. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 war er offensichtlich nicht in den Boden gingen? Wie vollzogen Zeitpunkt eingeweiht, wann sich Befreiung und Neuaufbau das Attentat ausgeführt werden im Zeichen der Besatzungsherr- sollte. Im Juli 1944 war Bergsträs- schaft? (Kap. 1). Die Demokra- ser ahnungslos.4 tiegründung in Hessen nach Bei einem erfolgreichen Putsch- dem Zweiten Weltkrieg weist im versuch gegen das Hitler-Regime Vergleich zu anderen Ländern hätte Bergsträsser wohl einen ho- Besonderheiten auf. Die Landes- hen Posten im Reichskultusmini- verfassung vom Dezember 1946 sterium erhalten. Doch dazu kam als gemeinsames Projekt der bei- es nicht. Deutschland musste den den stärksten Parteien SPD und Weg bis zur bitteren Kapitulation CDU zeichnet sich durch starke gehen, musste, seines Selbstbe- soziale und wirtschaftsdemokra- stimmungsrechts verlustig, to- tische Komponenten aus (Kap. tal darniederliegen, um aus den 2). Die ersten Nachkriegsjahre Trümmern des Krieges unter dem waren bis Ende 1950, aufbauend Schutzschirm der Siegermäch- auf diesem historischen Verfas- te eine neue stabile Demokratie sungskompromiss, geprägt von aufzubauen. An der Demokratie- einer durchweg erfolgreichen gründung hatte Bergsträsser als Zusammenarbeit von SPD und Mann der ersten Stunde, als Prä- CDU (Kap. 3). Bereits Ende 1946 sident der Regionalregierung in war der Grundstein für eine parla- Darmstadt, als Abgeordneter der mentarische Demokratie in Hes- 5 Verfassungberatenden Landes- sen gelegt. Das war 20 Monate versammlung in Hessen und als zuvor, beim Einmarsch der Ame- Mitglied des Parlamentarischen rikaner, keineswegs zu erwarten Rates in Bonn wesentlichen An- gewesen. teil. Er war damit sowohl Vater der Hessischen Verfassung als auch Vater des Grundgesetzes. Seine Denkschrift aus dem Jahr 1942 unter dem Titel „Wiederher- stellung“ hatte er mit den Wor- ten „Erfahrung lehrt“ begonnen. Welche Lehren zogen die Hessen aus der Geschichte, aus der Erfah- rung vom Untergang der ersten deutschen Demokratie 1933, als sie nach dem leidvollen Erlebnis von zwölf Jahren unmenschlicher Diktatur 1945 an den Aufbau der Polis 43 zweiten Republik auf deutschem

4 Mühlhausen, Denkschrift, S. 605. 5 Siehe für das Thema grundlegend: Mühlhausen, Hessen 1945–1950; zur Einfüh-

rung mit plastischen Quellen: Kropat, Stunde Null 1945/1947.  Walter Mühlhausen

1. Befreiung und Neubeginn im Zeichen der Besatzungsherrschaft

Von Ende März bis Anfang April und wehrlos ausgesetzt gewesen 1945 überrollten die amerika- war. In das Gefühl des Aufatmens nischen Truppen das heutige mischte sich Ungewissheit, was Hessen. Am 22. März 1945 setzten die nahe und ferne Zukunft brin- Einheiten der 3. US-Armee bei gen würde. Denn mit dem Ein- Oppenheim über den Rhein und marsch der Alliierten war nicht betraten damit erstmalig die Ge- nur die nationalsozialistische biete, die dann zu dem später Herrschaft beendet, sondern die aus der Taufe gehobenen Land Macht an die Siegermächte über- (Groß-)Hessen gehören sollten. gegangen. In Hessen hatten jetzt Keine drei Wochen später war das die Amerikaner das Sagen, die hessische Territorium komplett ihre Besatzungszone mit einem von amerikanischen Truppen dichten Netz von Militärregie- besetzt. Der Krieg war zu Ende. rungseinheiten überzogen.6 Das Empfinden der Deutschen in Die Besatzung aber war nicht diesem Moment war unterschied- ohne deutsche Politiker zu be- lich: Für diejenigen, die in dem wältigen. Umgehend nach dem nationalsozialistischen Unrechts- Einmarsch installierten die Mi- system aufgegangen waren und litärregierungen – zunächst in es bis zuletzt in tiefer Verblen- den Gemeinden und Kreisen dung gestützt hatten, brach eine – deutsche Behörden, geführt Welt zusammen; einige der loka- von unbelasteten Persönlich- len und regionalen nationalsozi- keiten. Mancher der jetzt auf ei- alistischen Größen wählten mit nen leitenden Verwaltungspos- ihrer Familie den Freitod. Dieje- ten gesetzten Deutschen war von nigen, die unter der Verbrecher- örtlichen geistlichen Würden- herrschaft gelitten, sie mehr oder trägern empfohlen worden – wie weniger aktiv bekämpft hatten, der Darmstädter Sozialdemokrat fühlten sich in diesem Moment Ludwig Metzger. Dieser hatte befreit. Allgemein war die Masse die letzten Kriegstage im Oden- der Bevölkerung froh über das wald verbracht, war kurz vor der Ende der Kampfhandlungen und Besetzung durch die Amerikaner vor allem erleichtert über das nach Darmstadt zurückgekehrt, Ende des Bombenkrieges, dem dessen nationalsozialistischer

Polis 43 man nun schon über Jahre hilf- Oberbürgermeister sich davon-

6 Zur amerikanischen Militärregierung in Hessen ausführlich: Emig/Frei, Office. Siehe demnächst auch: Walter Mühlhausen: Die amerikanische Militärregie- rung und der Aufbau der Demokratie im Nachkriegshessen (1945–1949), er- scheint 2005 im Band zum 60. Jahrestag der Gründung des Landes Hessen,

 hrsg. von Helmut Berding und Klaus Eiler. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Hinterlassenschaft des vom nationalsozia­ Trümmerwüsten verwandelt. Auch mittlere listischen Deutschland verursachten Welt­ Städte wie Gießen (unten links) und Fulda krieges: Das Bombeninferno hat einst blü­ (unten rechts ) sind stark zerstört worden. hende Innenstädte wie die Kassels (oben) in Polis 43

 Walter Mühlhausen

Oben: Der Einmarsch der Amerikaner voll­ zieht sich an vielen hessischen Orten ohne nennenswerten Widerstand, hier am 29. März in Frankfurt.

Unten: In der Nähe von Mainz setzen US- Soldaten in Landungsbooten mit ihrer Aus­ rüstung über den Rhein. Oben: Die amerikanische Armee hat die letzte große Hürde vor dem Marsch in das Herz Deutschlands genommen: den Rhein. Eine Behelfsbrücke bei Oppenheim sichert den Nachschub. Polis 43

10 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Einmarsch der US-Amerikaner in Gießen. Amerikanische Truppen in Fulda. Polis 43

Erschöpfte amerikanische Soldaten auf ihrem raschen Vormarsch durch Hessen. 11 Walter Mühlhausen

gestohlen hatte und sich dann waren vielfach nicht mehr auf selbst richten sollte. Metzger dem neuesten Stand. Auch die wurde sein Nachfolger. Der ame- Besetzung des leitenden Postens rikanische Kampfkommandant bei der Darmstädter Regional- rief ihn am Abend des 25. März, regierung erfolgte eher zufällig. einen Tag nach dem Einzug in die Metzger hatte Bergsträsser als Stadt, in das Schloss, in dem die Verbindungsmann zwischen Be- Amerikaner Quartier bezogen satzungstruppe und Stadtverwal- hatten. Es ging um die Besetzung tung gewonnen. Geraume Zeit der Leitung der Stadtverwaltung; später wurde dieser Leiter der Metzger erinnert sich: „Der evan- südhessischen Regionalregie- gelische Pfarrer Weinberger, bei rung. Wieder ging es sehr rasch dem ich morgens im Gottesdienst und recht unorthodox zu, wie war, und der katholische Pfarrer Bergsträsser es später schilderte: Michel hatten ihm auf Befragen „Einige Tage später war eine Be- meinen Namen genannt. Ich ver- sprechung zwischen Bürgermeis­ ließ das Schloss mit dem Auftrag, ter und mir auf der einen und die Leitung der Stadt als Bürger- dem Obersten und dem Major meister zu übernehmen.“7 auf der anderen Seite, wobei sie uns sagten, dass sie beschlossen Es gab auch einige, die sich aus hätten, für das Gebiet der Provinz Angst dem Auftrag der Amerika- Starkenburg eine Zivilregierung ner, vor der endgültigen Kapitu- einzusetzen. Wen wir vorschla- lation einen führenden Posten zu gen würden? Der Bürgermeister übernehmen, verweigerten. In nannte mich, sie stimmten zu, und Frankfurt fürchtete ein von deut- so übernahm ich am 14. April, als scher Seite vorgeschlagener und noch Krieg war, diese Aufgabe.“9 wohl auch von den Amerikanern akzeptierter Kandidat um seine Gewiss war Bergsträsser als Ver- Familie, die sich im noch nicht be- fasser der Parteiengeschichte freiten Teil des Reiches befand, und ehemaliger Reichstagsabge- ordneter kein unbeschriebenes sobald seine Ernennung dort be- Blatt, aber eine „Eignungsprü- kannt werden würde.8 Die ohne fung“ für eine solch exponierte weitreichende Nachforschungen Verwaltungsfunktion hatte er, erfolgte Berufung Metzgers war Mann der historischen Forschung keineswegs untypisch, ja eher und der Archivakten, gewiss nicht die Regel. Die weißen Listen der abgelegt. Aber wie viele andere, Militärbehörden mit den ver- die jetzt in herausragende Posi- trauenswürdigen Gegnern des tionen gelangten, wuchs auch er Nationalsozialismus, denen man mit der Aufgabe, sehr zur Zufrie- Polis 43 bestimmte Aufgaben in der Be- denheit der Amerikaner. satzungszeit zuweisen wollte,

7 Metzger, In guten und in schlechten Tagen, S. 80; vgl. Király, Metzger, S. 156. 8 Mühlhausen, IHK Frankfurt, S. 13. 9 So Bergsträsser 1957; wieder zitiert in: Bergsträsser, Befreiung, S. 15. 12 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Manch einer der recht schnell er seit 1930 inne gehabt hatte.11 Erwählten stellte sich als glatter Bis Anfang Mai 1945 hatten die Fehlgriff heraus: Einige der neu- Besatzungsbehörden in den grö- en Verwaltungsträger erwiesen ßeren Verwaltungsbezirken, den sich der Aufgabe nicht gewach- beiden preußischen Regierungs- sen. Andere wiederum boten bezirken Kurhessen und Nassau den Amerikanern Paroli, welche sowie dem Volksstaat Hessen, dann einen hartnäckigen neuen neue Verwaltungsspitzen instal- Verwaltungschef mitunter gern liert: In Kassel amtierte als Ober- aus dem Amt befördern wollten. und Regierungspräsident Fritz Die Gründe für einige spektaku- Hoch (SPD), in Wiesbaden der läre Wechsel der ersten Monate ehemalige Reichsrundfunkkom- in den oberen Verwaltungseta- missar Hans Bredow als Regie- gen lassen sich nicht immer exakt rungspräsident, dem bald Martin eruieren. In Frankfurt bestimmten Nischalke (SPD) folgen sollte, und die Amerikaner den im Büro der in Darmstadt Ludwig Bergsträs- Militärregierung wegen der He- ser (SPD) als Chef der Regierung rausgabe einer Zeitung vorspre- des Volksstaates Hessen. chenden Journalisten Wilhelm Hollbach kurzerhand zum neuen Die Frage, was mit den unglei- Oberbürgermeister. Doch schon chen Bezirken dauerhaft gesche- nach wenigen Wochen setzten hen sollte, war eng verknüpft mit sie ihn vor die Tür, weil er in ih- der Zoneneinteilung. Bereits im ren Augen die Anforderungen Herbst 1944 hatten die Vereinig­ nicht erfüllte. Es will aber schei- ten Staaten, die Sowjetunion nen, dass er zu oft Widerspruch und Großbritannien die Teilung angemeldet hatte, so dass er den Deutschlands in drei Zonen be- Amerikanern zu unbequem war.10 schlossen; auf der Konferenz von Doch in der Mehrzahl erwiesen Jalta im Februar 1945 vereinbar- sich die neuen Bürgermeister ten sie, auch Frankreich eine Zone als treffliche Wahl, insbesondere zuzuweisen, die aus Teilen der wenn die Besatzungsbehörden britischen und amerikanischen auf Politiker zurückgriffen, die Besatzungsgebiete bestehen soll- schon in Weimar Verantwortung te. Die Franzosen bekamen links- getragen hatten und Erfahrung rheinische Gebiete, darunter im politischen Verwaltungshan- Rheinhessen, zugesprochen. Ihre deln mitbrachten. Das gilt zum Forderung nach weiteren rechts- Beispiel für Wiesbaden, wo die rheinischen hessischen Bezirken, Amerikaner den ehemaligen die in der US-Zone lagen, stieß Oberbürgermeister Georg Krü- auf strikte Ablehnung der Ame- cke wieder einsetzten. Er war rikaner, die Frankreich lediglich Polis 43 1933 von den Nationalsozialisten vier nassauische Kreise östlich aus dem Amt gejagt worden, das des Rheins zubilligten: Ober­

10 Bendix, Hauptstadt, S. 23 ff.

11 Glaser, Wiesbaden, S. 47 ff. 13 Walter Mühlhausen

westerwald, Unterwesterwald, Auch wenn die Amerikaner keines- St. Goarshausen und Unterlahn. wegs rundum glücklich mit der ei- Zu weiteren Konzessionen waren genen Juni-Entscheidung waren, sie nicht bereit und nahmen an- so wollten sie diese ohne Kenntnis dernorts konsequent den Rhein der Einstellung der Bevölkerung als Grenze: Die rechtsrheinischen nicht umwerfen. In diesem Mo- Mainzer Stadtteile Kastel (mit ment kamen die hessischen Initi- Amöneburg) und Kostheim fielen ativen zum Tragen. Bergsträsser unter Wiesbadener Obhut. Die wurde nicht müde im Werben für mit dem Zonenprotokoll geschaf- ein geeintes Hessen. Schon im Mai fene besatzungsrechtliche Glie- 1945 hatte er ein Memorandum an derung Deutschlands bestimmte die Militärregierung gerichtet, in die Ländergrenzen. Die Trennlinie dem er die Bildung einer Provinz zwischen französischer und ameri- Rhein-Main, bestehend aus dem kanischer Zone wurde schließlich Volksstaat Hessen, dem preu- zur dauerhaften Grenze zwischen ßischen Regierungsbezirk Wies- den später gegründeten Ländern baden (zuletzt Provinz Nassau) Hessen und Rheinland-Pfalz. Kurz und dem Aschaffenburger Main- nach der Einigung über die Zo- viereck, vorschlug. Diese Anre- nengrenzen verfügte die ameri- gung war zu diesem Zeitpunkt kei- kanische Militärregierung am 24. neswegs einzigartig. Sie gehörte Juni 1945 die Bildung von zwei in den Rahmen der deutschen Ländern in den hessischen Gebie- Bestrebungen, die totale Nieder- ten: Hessen-Nassau und Hessen lage zu einer territorialen Flur- (-Darmstadt). Sie ignorierte damit bereinigung zu nutzen, größere die schon bald nach Kriegsende Verwaltungseinheiten zu schaffen von hessischer Seite unterbrei- und insgesamt durch etwa gleich teten Vorschläge, die hessischen große Länder das künftige Reich Gebiete zu einem Land zu vereini- zu homogenisieren. Die Chance gen. Die Idee eines geeinten Hes- sollte nicht wieder wie 1918/19 bei sen konnte auf eine lange Traditi- der Republikgründung verpasst on zurückblicken, war in der Wei- werden. Eine der wesentlichen marer Republik intensiv diskutiert, Voraussetzungen hierfür war die aber nicht realisiert worden.12 Die Zerschlagung des übermächtigen „Groß-Hessen-Pläne“ besaßen an- Preußen. Dass Preußen nach dem gesichts des totalen Zusammen- Ersten Weltkrieg unangetastet bruchs 1945 ihre bislang größte geblieben war, erschien vielen Chance zur Verwirklichung, zumal rückblickend als schwere Belas­ politische, wirtschaftliche und tung von Weimar. Der Fortbe- historische Gründe für eine Ver- stand Preußens stand nach dem

Polis 43 einigung der hessischen Gebiete Zweiten Weltkrieg eigentlich nicht sprachen.13 mehr im Raum: Die Sieger wollten

12 Vgl. hierzu im Überblick: Franz, Hessengau, S. 59 ff.; Reuling, Reichsreform, S. 275 ff. 13 Vgl. en detail zur Landesgründung mit den entsprechenden Quellen: Mühlhau-

14 sen, Entscheidung. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 den Machtkomplex zerschlagen, was durch die Zoneneinteilung faktisch bereits erfolgt war. Offi- ziell lösten die Alliierten Preußen 1947 auf. Nach der Juni-Entscheidung in- tensivierte die hessische Seite ihre Groß-Hessen-Aktivitäten, auch Bergsträsser. Die Hand- lungsfähigkeit seiner Darmstädter Regierung wurde erschwert durch die anfangs ungeklärte Stellung der Kreise im Frankfurter Um- land, welche die Amerikaner zu einem weiteren Regierungsbezirk in Hessen-Nassau zusammenfas- sen wollten. Die Gebietsverluste ließen Bergsträsser zum Vorreiter einer Revision werden, da sein Hessen zu klein war, um in einem künftigen föderalen Deutsch- land selbstständig existieren zu können. Er sandte weitere Denk- schriften an die Militärregierung, in denen er die Idee eines Groß- Hessen unterbreitete. Er war nicht der einzige, der in dieser Sache vorstellig wurde, aber sicherlich zählte er zu denjenigen, deren Stimme aufgrund der exponierten Stellung bei den Amerikanern ei- niges Gewicht besaß. Erst als Umfragen der Besatzungs- macht eine breite Zustimmung für ein „Groß-Hessen“ ermittelt hatten, gaben die Amerikaner ihr Einverständnis. Der Weg zur Vereinigung war frei. Am 19. Sep- Die Geburtsurkunde des Landes Hessen: tember 1945 unterzeichnete Ge- Mit Proklamation Nr. 2 verkündet der ame­ neral Dwight D. Eisenhower, ame- rikanische Militärgouverneur Dwight D. Polis 43 rikanischer Militärgouverneur in Eisenhower am 19. September 1945 unter Deutschland, die Proklamation Nr. anderem die Gründung von Groß-Hessen. 2, die Geburtsurkunde des Landes Groß-Hessen, das aus den in der amerikanischen Zone liegenden

15 Walter Mühlhausen

Teilen der vormaligen preußischen die Amerikaner rein pragmatisch. Provinz Hessen-Nassau und des Die Entscheidung für Wiesba- ehemaligen Volksstaates Hessen den fiel aus zwei Gründen: Zum bestehen sollte. Nicht zum Land einen war die alte nassauische gehörten die hessischen Territo- Residenzstadt weit weniger zer- rien im französischen Besatzungs- stört als die anderen hessischen gebiet: Rheinhessen und die vier Großstädte, vor allem als Frank- nassauischen Kreise im Bezirk furt, in dieser Frage stärkster Montabaur. Der Name des neuen Konkurrent. Zum anderen wurde Landes „Groß-Hessen“ wurde mit die Militärregierungseinheit von Annahme der Landesverfassung Oberst James R. Newman, die ei- Ende 1946 offiziell in „Hessen“ ge- nige Wochen zuvor nach Wiesba- ändert. Es war eine Entscheidung, den gekommen war, wegen ihrer die von den Amerikanern unter bislang vorzüglichen Arbeit von Berücksichtigung deutscher Inte- den obersten Stäben der Ame- ressen gefällt wurde und daher rikaner zur amerikanischen Zen- von Dauer sein sollte. Denn dieses tralbehörde in Hessen bestimmt. im September 1945 durch einen Newmans Einheit war nach der Verwaltungsakt der Besatzungs- Einteilung in Zonen aus Neustadt macht geschaffene neue Land in der Pfalz, das nun unter franzö- blieb im Wesentlichen in seiner sische Obhut fiel, gekommen, wo Struktur erhalten, auch wenn Po- sie die erste deutsche Regional- litiker des Landes immer wieder regierung eingesetzt hatte. die Rückführung der zu Rhein- Nach der Bestimmung dieser Ein- land-Pfalz gehörenden vormals heit zur Landesmilitärregierung, hessischen Bezirke forderten. zum Office of Military Govern- Die Debatte um eine Länderneu- ment for Greater Hesse (OMGH), gliederung im Rahmen der Grün- war es ihre erste Aufgabe, eine dung der Bundesrepublik führte zivile Landesregierung zu bilden. 1948/49 ebenfalls zu keinem Er- Um eine langwierige Suche nach gebnis. Es waren gerade die Hes- Ministern zu vermeiden, hoff- sen, die den alliierten Auftrag in ten die Amerikaner, für die Mi- den Frankfurter Dokumenten vom nisterposten in Hessen Politiker 1. Juli 1948, wonach die Länder- aus der aufgelösten Neustädter grenzen zu überprüfen waren, zu Regierung zu gewinnen. Als Re- einer territorialen Revision nutzen gierungschef wurde der Sozial- wollten. Dafür ließ sich im Kreise demokrat Hermann Heimerich, der westdeutschen Länder aber 1928 bis 1933 Oberbürgermeis­ 14 keine Mehrheit gewinnen. ter von Mannheim, in Aussicht Doch zurück zum Herbst 1945. genommen, der Chef der Neu- Polis 43 Die mit der Bildung des Landes städter Regierung gewesen war. virulente Hauptstadtfrage lösten Er wurde fallen gelassen, weil es

14 Vgl. aus hessischer Sicht zur Länderneugliederung im Zuge der Weststaatgrün- dung: Mühlhausen, Länder zu Pfeilern, S. 113 ff.; im Überblick: Mühlhausen,

16 Hessen und der Weg, S. 33 ff. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 gegen ihn starke Widerstände aus Hessen gab, vor allem von den dortigen Sozialdemokraten, angeführt vom ambitionierten Bergsträsser, der aber auch nicht zum Zuge kommen sollte. Denn Newman glaubte sich aus diesem Dilemma nur befreien zu können, indem er eine parteipolitisch „neutrale“ Persönlichkeit mit der Regierungsbildung betraute. Sei- ne Wahl fiel auf den 67-jährigen Heidelberger Rechtsanwalt und Professor Karl Geiler, der aus dem Kreis der Neustädter vorgeschla- gen worden war. Geiler, einer der renommiertesten deutschen Die Regierung Geiler bei einer Kabinettsitzung; rund um den Tisch (im Wirtschaftsanwälte der Weimarer Uhrzeigersinn v. l.): Befreiungsminister Gottlob Binder (SPD), Innenmi­ Zeit, schien all die Eigenschaften nister Hans Venedey (SPD), Minister ohne Geschäftsbereich Werner Hil­ zu besitzen, die in den Augen der pert (CDU), Ministerpräsident Karl Geiler (parteilos), Landwirtschaftsmi­ Amerikaner für die Leitung eines nister Georg Häring (SPD), Finanzminister Wilhelm Mattes (parteilos). ersten Allparteienkabinetts erfor- derlich waren: Autorität, Kompe- sippt“, wie es im Sprachgebrauch tenz, Sachverstand und die nötige des Unrechtsregimes hieß.15 Sein Portion „Dickhäutigkeit“ – wie es Habitus, seine Universalität und in einem amerikanischen Bericht juristische Versiertheit prädesti- hieß. Er besaß das Renommee nierten ihn für eine Führungsrol- eines herausragenden Rechts- le im Nachkriegsdeutschland. anwalts und Universitätslehrers, Politik war jedoch kein Geschäft, der zwar nicht wie andere Politi- das ihm vertraut war und das er ker der ersten Stunde mit der Be- erlernt hatte. Der Kandidat war rechtigung auftreten konnte, das parteipolitisch nicht gebunden, andere Deutschland des aktiven was die Amerikaner als Vorteil Widerstands und der Emigration werteten, denn dadurch glaubten zu repräsentieren, der aber im- sie vermeiden zu können, dass merhin das nationalsozialistische sich eine der neu entstandenen Unrechtssystem entschieden ab- Parteien benachteiligt fühlte. Die gelehnt und unter ihm gelitten erste hessische Nachkriegsregie- hatte. Die Nationalsozialisten rung trat ihr Amt knapp ein halbes hatten ihn im Juli 1939 als Hono- Jahr nach der Befreiung vom na- rarprofessor von der Universität tionalsozialistischen Joch an. Am Polis 43 Heidelberg vertrieben, galt er 16. Oktober 1945 wurde Geiler – mit einem „jüdischen Mischling“ im Wiesbadener Landeshaus fei- verheiratet – doch als „jüdisch ver- erlich vorgestellt. Am Kabinetts­

15 Mühlhausen, Geiler und die Universität, S. 332 f. 17 Walter Mühlhausen

tisch saßen Fachleute und Par- der Wille zum gemeinsamen Auf- teivertreter unterschiedlichster bau über parteipolitische Fronten Couleur, vom Rechtsliberalen hinweg, zur Errichtung einer De- bis zum Kommunisten. Darunter mokratie auf soliden Pfeilern. Der waren Emigranten, Widerstands- Grundkonsens über Werte und kämpfer und ehemalige KZ-Häft- Ziele war das einigende Band, linge: der Buchenwald-Gefange- welches in den Zirkeln des Wider- ne Werner Hilpert16, nach dem standes, in den Konzentrationsla- Krieg lange Jahre Landesvorsit- gern, im Exil und in der Verfol- zender der CDU in Hessen, die gung entstanden war und bis in Sozialdemokraten Georg August die Nachkriegszeit erhalten blieb. Zinn, der als Ministerpräsident ab Die erste hessische Landesregie- 1950 für fast zwei Jahrzehnte die rung verstand sich in der Über- Geschicke des Landes prägen gangsphase als Scharnier zwi- sollte, und Hans Venedey, der aus schen dem Ende der Diktatur und dem Schweizer Exil gekommen dem Neuaufbau der Demokratie. war und als einer der wenigen Gleichwohl war sie belastet durch Sozialdemokraten der Einheits- ihre mangelnde demokratische partei das Wort redete (und da- Legitimation. Sie schöpfte ihre her bald ins politische Abseits Handlungsvollmacht aus dem geriet), oder der Kommunist Os- Besatzungsrecht, war direkt von kar Müller, der einige Jahre im KZ der Besatzungsmacht abhängig. Sachsenhausen gelitten hatte. Das musste nahezu zwangsläufig Obwohl im ersten hessischen zu Konflikten mit den auf Mitbe- Nachkriegskabinett ein breites stimmung drängenden neuen politisches Spektrum vertreten politischen Kräften führen, die war, herrschte dennoch am Re- sich allmählich wieder überall or- gierungstisch weitgehend Über- ganisierten. einstimmung in den Sachfragen, Der Demokratieaufbau vollzog wurden Beschlüsse einstimmig sich in jenen Bahnen, welche die oder zumindest mit großer Mehr- Amerikaner vorgaben. Die Deut- heit gefasst.17 Die Erinnerung an schen sollten langsam wieder an zwölf Jahre Diktatur überdeckte die Demokratie herangeführt wer- zunächst die parteipolitischen den. So waren parteipolitische Ak- Interessengegensätze. Aus dem tivitäten zunächst offiziell verbo- Gegeneinander vor 1933 wurde ten. Unmittelbar nach Kriegsende ein Miteinander im Dienst der De- hatten sich jedoch spontan so mokratie. Im zerstörten Deutsch- genannte Antifaschistische Aus- land nach einer menschenver- schüsse formiert, in denen Wider- achtenden Diktatur dominierte standsgruppen und Verfolgte des Polis 43

16 Für ihn einführend: Mühlhausen, Hilpert; jetzt umfassend: Pappert, Hilpert, S. 9 ff. 17 Das ist dokumentiert in der Edition: Die Kabinettsprotokolle/Kabinett Geiler; zur Bildung der Regierung Geiler vgl. dort die Einleitung, S. XVI ff.; siehe auch:

18 Mühlhausen, Neubeginn, S. 19 ff. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Nazi-Regimes agierten. Die Anti- ab 1949 unter deutscher Leitung fas waren Ausdruck des über die zum „Hessischen Rundfunk“ Parteigrenzen hinwegreichenden wurde. Dabei hatten die Ameri- Willens, den Neuaufbau gemein- kaner mit dem Ziel, „die Epoche schaftlich zu bewerkstelligen; sie des Staatsrundfunks aus der Zeit halfen – stillschweigend von den der Weimarer Republik und der Besatzungsbehörden geduldet NS-Diktatur“ zu beenden, auf – im eng begrenzten lokalen Rah- Selbstverwaltung des Rundfunks men bei der Bewältigung der drän- gedrängt. Das sahen die Hessen genden Aufgaben in den ersten ebenso und schufen ein Rund- Wochen nach der Befreiung und funkgesetz, das den Vertretern sorgten für die Aufrechterhaltung von gesellschaftlichen Instituti- von Ruhe und Ordnung. Sie lösten onen und Verbänden eine klare sich jedoch mit der Zulassung der Mehrheit im Rundfunkrat ein- Parteien rasch wieder auf. Ab Au- räumt.18 gust 1945 durften sich auf lokaler Ebene Parteien (wie auch Gewerk- Zunächst begegnete die Militär- schaften) wieder bilden. regierung den neuen politischen Organisationen mit einigem Miss- Die Gründung und Entwicklung trauen, überwachte durch ein von Parteien setzte die Her- umfassendes Zulassungsverfah- stellung einer demokratischen ren den Gründungsprozess und Öffentlichkeit voraus, vor allem hielt dauerhaft ein Kontrollsystem die Schaffung eines demokra- aufrecht. Zum Jahreswechsel tischen Pressewesens als un- 1945/46 hatte sich landesweit ein verzichtbarer Bestandteil plu- über die gesamte Besatzungszeit ralistischer Streitkultur. Zum 1. bestehendes Vier-Parteien-Sys­ August 1945 erschien als erste tem etabliert.19 Das war das Ziel lizenzierte deutsche Zeitung die der Amerikaner gewesen. „Frankfurter Rundschau“. Nach und nach folgten in den ande- Als erste waren die Sozialdemo- ren hessischen Städten weitere kraten und Kommunisten wieder Zeitungen, deren Herausgeber- zur Stelle. Sie knüpften organi- kollegien von den Amerikanern satorisch an die Zeit vor 1933 parteipolitisch ausgewogen an. Die SPD wehrte die kommu- – zunächst unter Einschluss der nistischen Angebote zur Bildung Kommunisten – besetzt wurden, einer Einheitspartei rigoros ab. weil sie eine parteilich-einseitige Für die KPD war die Bildung ei- Presse von vornherein ausschlie- ner sozialistischen Einheitspartei ßen wollten. Am 1. Juni 1945 eine historische Lektion: Um eine war bereits „Radio Frankfurt“ als „Wiederholung der Fehler von Sender der Militärregierung in 1918 zu vermeiden“, sollten die Polis 43 den Äther gegangen, der dann demokratischen Kräfte unter der

18 Kropat, Hessen 1945, S. 17. 19 Siehe hierzu und zur Parteiengründung im Überblick: Mühlhausen, Hessen 1945–1950, S. 74 ff. 19 Walter Mühlhausen

Führung einer geeinten Arbei- wo er im Jahre 1933 entgleist ist, terpartei gebündelt werden.20 und mit einem merkwürdigen Aber die Sozialdemokraten in Sinn für Tradition nimmt man Hessen standen hinter den Re- auch das gesamte Fahrpersonal solutionen des Jahreswechsels wieder, das damals die Entglei- 1945/46, mit denen die von Kurt sung verursachte“, polemisierte Schumacher geführte westzo- , einer der nale SPD die Bildung einer SED führenden Köpfe der hessischen unter Aufgabe sozialdemokra- CDU und später Bundesaußen- tischer Politik und Organisation minister, noch im November entschieden abwehrte. Die hes- 1947.22 Es würde der SPD kaum sischen Sozialdemokraten zogen gerecht werden, sie als alten schließlich einen scharfen Tren- Aufguss zu charakterisieren. Sie nungsstrich zur KPD, nachdem in zog die Lehren aus der Vergan- der sowjetischen Zone im April genheit vor allem in program- 1946 unter erheblichem Druck matischer Hinsicht. Für sie kam der Besatzungsmacht und der es ganz entscheidend darauf an, Kommunisten die Sozialistische die politische Demokratie durch Einheitspartei Deutschlands eine Wirtschaftsdemokratie zu (SED) aus SPD und KPD gebildet flankieren und abzusichern, eben worden war. Die Ablehnung der jetzt all das zu schaffen, was an Einheitspartei bedeutete aber wirtschaftspolitischen Reformen nicht gleichzeitig Ablehnung jeg- in der Republik von Weimar nicht licher Kooperation mit der KPD. gelungen war und was sie mitver- Mit den führenden Kommunisten antwortlich für deren Untergang in Hessen wie Walter Fisch, Leo von 1933 machte. Dazu gehörten Bauer und Oskar Müller glaubte in erster Linie inner- und überbe- ein Mann wie Bergsträsser zusam- triebliche Mitbestimmung, die menarbeiten zu können, wenn Sozialisierung der wichtigsten nicht die „Schreier“ da wären.21 Industriesparten und eine maß- Die KPD des Westens geriet je- volle Wirtschaftsplanung. doch mit zunehmender Dauer im- Im bürgerlichen Spektrum mer stärker in das Fahrwasser der zeigten sich fundamentale orga- Ost-Berliner SED-Parteiführung nisatorische Änderungen. Hier und verlor im sich verstärkenden entstanden zwei vollkommen Ost-West-Konflikt als Vasall Mos- neue Parteien. Die Zentrumspar- kaus zusehends an Reputation. tei überwand nun ihre konfessi- Dass die SPD organisatorisch onelle Einseitigkeit und trat aus das Alte wieder aufleben ließ, dem katholischen Turm heraus. war manch einem ein schlechtes Es gab christliche Politiker etwa Polis 43 Omen: „[...] man hat den Ein- in Frankfurt, welche die par- druck, der Zug fährt dort weiter, teipolitische Zerfaserung von 20 So in einem KPD-Grundsatzpapier zu Verfassungsfragen; in: Die Entstehung der Hessischen Verfassung, S. 324. 21 Bergsträsser, Befreiung, S. 130: Aufzeichnung vom 19. Mai 1946.

20 22 Mühlhausen, Brentano, S. 70. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Weimar durch eine so genannte „Deutsche Aufbau-Bewegung“ „Sozialistische Einheitspartei“ eine Sonderstellung einnahm. aus Christen und Sozialisten, Sie wurzelte in einer missiona- namentlich aus den Resten von risch-ökumenischen Bewegung, SPD und KPD sowie den linken die sich selbst konservativ ver- Kräften im Zentrum überwinden ortete und ihr Schwergewicht wollten.23 Das erwies sich schon auf die Anwendung christlicher bald als illusorisch, wollten doch Prinzipen legte. Aber insgesamt die Sozialdemokraten ihre alte dominierten in der CDU jene Partei wieder aufleben lassen. Kräfte, welche die neue Partei zu Die Mehrzahl der alten Zentrums- einer fortschrittlichen, ja mode- politiker erblickte nach dem Na- rat links orientierten Volkspartei tionalsozialismus die Chance, zu formen gedachten, in der sich nun endlich die konfessionelle die ehemaligen Mitglieder des Gebundenheit der Zeit vor 1933 Zentrums sowie der linksliberalen zu überwinden und den Weg zu DDP zu Hause fühlen sollten. Die einer christlichen Sammlungs- CDU wollte die parteipolitische partei zu gehen. Die neue Christ- Zersplitterung des Bürgertums lich-Demokratische Union (CDU) der Weimarer Zeit für immer über- umfasste als überkonfessionelle winden und sah die enge Zusam- Sammlungsbewegung ganz un- menarbeit der fortschrittlichen terschiedliche Interessen. Zu Christen mit der Arbeiterbewe- ihr fanden zum einen Gruppen gung als Weg zu diesem Ziel. Es mit einem ausgesprochen so- war für viele Christdemokraten zialen oder gar sozialistischen historische Mission, Sorge dafür Profil wie in Frankfurt, wo unter zu tragen, dass die in der Repu- Führung von Intellektuellen wie blik von Weimar nur phasenweise Walter Dirks und Eugen Kogon existente Kooperation zwischen das Konzept eines „Sozialismus Bürgertum und Arbeiterbewe- aus christlicher Verantwortung“ gung dauerhaft wurde. Sie galt entwickelt wurde24, zum ande- als unerlässlich für das Funktio- ren aber auch solche mit konse- nieren und die langfristige Siche- quent wirtschaftsliberalen Zie- rung der Demokratie. Der Brü- len. Das äußerst heterogene Bild ckenschlag zwischen CDU und der lokalen CDU-Gründungen in SPD wurde von vielen zunächst Hessen komplettierte der Zirkel als kategorischer Imperativ der in Darmstadt, wo die von Maria eigenen Politik aufgefasst.25 Sevenich wesentlich geprägte

23 Etwa vom spiritus rector der Frankfurter CDU-Gründung, dem Journalisten

Walter Dirks; vgl. Rotberg, Linkskatholizismus, S. 108. Vgl. zu den einzelnen Polis 43 christdemokratischen Gründungen: Rüschenschmidt, Gründung. 24 Für die mehrfach dargestellte Frankfurter Gründung vgl. zuletzt Rotberg, Linkskatholizismus, insbes. S. 126 ff. 25 So Karl Heinrich Knappstein, Ministerialdirektor im hessischen Befreiungsmi- nisterium, in einem Artikel in den „Frankfurter Heften“ im Juni 1946; wieder

abgedruckt in: Die Entstehung der Hessischen Verfassung, S. 318. 21 Walter Mühlhausen

Das sozial ausgeprägte, ja gar bestimmung und Sozialisierung sozialistisch orientierte Element als „Solidarismus“ zu definieren verlor innerhalb der hessischen haben, als eine solidarische, de- CDU im Laufe der ersten Nach- mokratische Gemeinschaft, dem kriegsjahre an Bedeutung. Nach Gemeinwohl und dem sozialen vorn drängten soziale Pragmati- Ausgleich als zentralen Zielen ker und konservative Kräfte. Aber verpflichtet. die hessische CDU war und blieb Insgesamt rangierte die hes- in jener Zeit eine ausgesprochen sische CDU unter ihrem Vorsit- soziale Partei. Im Oktober 1947 zenden innerhalb beschrieb Erwin Stein, einer ih- der westdeutschen CDU auf dem rer profiliertesten Köpfe und seit linken Flügel. Im hessischen Par- Anfang 1947 hessischer Kultus- teiengefüge nahm sie eine Posi- minister, in den von den beiden tion links von den Liberalen ein. Frankfurter Parteigründern und Die Liberal-Demokratische Partei Vordenkern Eugen Kogon und (LDP), ab 1948 unter dem Namen Walter Dirks herausgegebenen Freie Demokratische Partei (FDP), „Frankfurter Heften“, dem Forum vereinte die beiden gegen Ende der christlichen Sozialisten, wo- der Weimarer Republik zur Bedeu- rum es der Mehrzahl der Christ- tungslosigkeit herabgesunkenen demokraten ging: „Nur durch liberalen Parteien. Das, was 1918 einen opfervollen Umbau der in der Revolutionszeit nicht ge- Gesellschaft und Wirtschaft kann lungen war, wurde jetzt geschaf- die soziale Gerechtigkeit wieder- fen: Endlich wurde die alte Idee hergestellt werden. Versagen wir von der einigen liberalen Partei uns dieser Ordnung [...], dann Wirklichkeit. Die LDP durchlief leben wir in der Vergangenheit in Hessen einen äußerst konflikt­ und treiben dem Untergang ent- reichen Gründungsprozess mit gegen. Diese Ordnung kann nur scharfen Kontroversen um den die eines Sozialismus sein, oder, künftigen Kurs zwischen einer wenn man das für viele auch heu- betont sozialliberalen und einer te noch unannehmbare Wort ver- dezidiert wirtschaftsliberalen meiden will, die des Solidarismus. Fraktion, der dann mit einem Sieg Das ist eine Gesellschafts- und des rechten Flügels endete, als Wirtschaftsordnung, die in einem der Hersfelder Landrat August- wohlgestuften sozialen Gefüge Martin Euler im Juni 1946 den nach sozialer Gerechtigkeit und Landesvorsitz übernahm. Einige sozialer Liebe ausgerichtet ist.“26 der bis dahin führenden Männer Den christlichen Sozialismus wird der LDP zogen sich daraufhin man wohl in Abgrenzung zum aus der Parteiarbeit zurück oder Polis 43 „Sozialismus“ der Nachkriegs- wurden ins Abseits gestellt. Die sozialdemokratie mit seinen Liberalen in Hessen standen mit Elementen Planwirtschaft, Mit- dem dezidiert wirtschaftslibe-

26 Erwin Stein: Die neue Schule. Pläne zur hessischen Schulreform, in: „Frankfurter

22 Hefte“ 10 (1947), S. 1016–1028, Zitat S. 1017. Vgl. dazu: Mühlhausen, Stein, S. 23 f. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 ralen Programm auf dem äußers­ meinden. Das passive Wahlrecht ten rechten Flügel der Parteien- setzte die Militärregierung auf 25 landschaft und führten später Jahre fest; die Amtszeit der neu- einen vehementen Kampf gegen en Mandatsträger sollte lediglich Verfassung und wirtschaftspo- zwei Jahre betragen. Die Besat- litische Neuordnung. Hessens zungsmacht behielt sich vor, ge- LDP präsentierte sich damit ins- wählte Kandidaten zu überprüfen gesamt ganz anders als die doch und gegebenenfalls die Wahl zu eher links von ihr angesiedelten annullieren und den Betreffenden (sozial-)liberalen Schwesterpar- aus dem Amt zu entfernen. Bei teien im deutschen Südwesten: den ersten Wahlen galt zunächst Sie wurde zu einem Sammelbe- eine Sperrklausel von 15 Prozent; cken konservativer Kräfte. sie wurde dann bei den Wahlen Die Formierung der Parteien wur- zur Verfassungsversammlung am de erheblich durch die Ankündi- 30. Juni 1946 auf fünf Prozent re- gung von Wahlen beschleunigt. duziert. Das amerikanische Demokratisie- Nur recht zögernd willigten die rungskonzept sah einen behut- deutschen Politiker ein, so rasch samen Aufbau demokratischer nach Kriegsende schon Wahlen Organe von unten nach oben abzuhalten. Bergsträsser hatte in vor. Zunächst wurde am 20. und seiner Denkschrift 1942 von einer 27. Januar 1946 in den Gemein- längeren Phase der Abstinenz von den mit bis zu 20.000 Einwoh- Wahlen geschrieben; der Aufbau nern gewählt. Bis zum November der Demokratie sollte „vorsichtig 1945 legte die Militärregierung und gemach“ (und zunächst ohne genaue Richtlinien fest, wel- Wahlen) erfolgen. Nach dem Ende che die deutschen Behörden in des Ersten Weltkriegs 1918 sei es die Gemeindewahlgesetze und angesichts separatistischer Strö- Wahlordnungen aufzunehmen mungen und einer starken links- hatten. Wählen durfte man mit 21 radikalen Bewegung, die auf ein Jahren. Aus politischen Gründen Rätesystem hingearbeitet hatte, wurden die nach dem Einmarsch notwendig gewesen, sobald als im Zuge der ersten Säuberung möglich zu wählen (was dann am Inhaftierten vom Wahlrecht aus- 19. Januar 1919 bereits geschah). geschlossen. Zudem durften Das könne nach der nationalsozi- sich jene nicht beteiligen, die vor alistischen Diktatur nicht in glei- dem 1. Mai 1937 in die NSDAP cher Weise umgehend erfolgen. eingetreten und Amtsträger ge- Die neue Reichsleitung habe erst wesen waren oder sich aktiv als den Boden für Wahlen zu ebnen Nationalsozialisten hervorgetan und dabei die Bevölkerung durch hatten, eben alle Personen, die umfassende erzieherische Maß- Polis 43 dem System gedient hatten. Das nahmen auf die Rückkehr der De- waren immerhin 8,1 Prozent der mokratie vorzubereiten. Soweit Wahlberechtigten in den Ge- Bergsträsser 1942.27

27 Mühlhausen, Denkschrift, S. 600 f. 23 Walter Mühlhausen

Zum Jahreswechsel 1945/46 er- fiel auf sonstige Gruppierungen schien es einigen hessischen und Splitterparteien. Politikern, darunter auch in vor- Durch diese ersten Wahlen fühl- derster Front dem Ministerprä- ten sich die Amerikaner ermutigt, sidenten, als viel zu früh, noch den Aufbau der Demokratie, die nicht einmal zehn Monate nach schrittweise wieder eingeübt wer- Kriegsende Wahlen durchzufüh- den sollte, auch auf Landesebene ren. Sie hielten – wie auch einige voranzutreiben. Erste Etappe auf Mitarbeiter der Militärregierung – dem Weg war der Beratende Lan- die Deutschen nach zwölf Jahren desausschuss, der am 26. Febru- Diktatur einfach noch nicht reif ar 1946 feierlich im Deutschen für ein demokratisches Votum. Theater zu Wiesbaden zu seiner Solche Bedenken beeindruck- ersten Sitzung zusammentrat.28 ten die Entscheidungsinstanzen Um die Zusammensetzung war es der Militärregierung nicht. Die zwischen Regierung und Parteien Wahlen sollten eine längerfris­ tige Politisierung einleiten und zuvor zu Auseinandersetzungen bei der in politischen Fragen gekommen. Die Regierung hat- weitgehend apathischen Bevöl- te sich auf eine paritätische Be- kerung politisches Bewusstsein setzung des Landesausschusses wecken. Darüber hinaus wollten durch die vier landesweiten Par- die chronisch an Unterbesetzung teien festgelegt. Doch schon im leidenden Militärbehörden suk- Dezember hatten SPD und kurze zessive Aufgaben an deutsche Zeit später auch die CDU durch- Stellen abgeben, um damit Per- blicken lassen, dass sie mit der sonal einzusparen und die Besat- Parität nicht mehr einverstanden zungskosten zu reduzieren. seien. Sie beanspruchten als ver- meintlich stärkere Parteien die Die hohe Wahlbeteiligung in den Mehrheit der Sitze. Geiler, dem Gemeindewahlen vom Januar, als es ohnehin am liebsten gewesen knapp 85 Prozent der Hessen zur wäre, wenn sich die Parteien un- Urne gegangen waren, bestärkte die Amerikaner, den Aufbau der tereinander auf einen Schlüssel Demokratie zu forcieren. Im April geeinigt hätten, wies solches Er- wählten die hessischen Land- suchen als Eingriff in seine Rech- kreise, Ende Mai die neun kreis- te entschlossen zurück. Auf einer freien Städte. Bei beiden Wahlen Besprechung der vier Parteien lag die SPD vorn (Landkreise 44,1 mit dem Regierungschef Mitte Prozent; Stadtkreise 41,2 Prozent), Januar 1946 kam man schließlich gefolgt von der CDU (38 Prozent überein, den Ausschuss paritä- /34,5 Prozent) und mit weitem Ab- tisch zu beschicken. Polis 43 stand von KPD (8,3 Prozent/11,5 Doch bis zur Eröffnungssitzung Prozent) und LDP (6,2 Prozent/9,8 sollte die hessische Politik in ihre Prozent). Der Rest der Stimmen erste schwere Krise stürzen, denn

28 Vgl. die Einleitung zur Edition: „...der Demokratie entgegengehen“, S. 6 ff.; sie- he hierzu und zum Folgenden auch: Lengemann, Hessen-Parlament, S. 20 ff. 24 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 die SPD wollte ihren Erfolg bei den ersten Gemeindewahlen im Januar 1946, als sie satte 44,5 Prozent eingefahren hatte, auch landespolitisch ummünzen. Sie forderte einen Wechsel an der Spitze des Kabinetts. Es war das erste Mal, dass eine Partei offen gegen die provisorische Regie- rung und damit auch gegen die Besatzungsmacht auftrat, die den sozialdemokratischen An- spruch aber sogleich abblockte. Deutlich wies die Militärregie- rung die SPD in die Schranken.29 Damit unterstrichen die Amerika- ner nochmals, wer das Sagen im Nachkriegsdeutschland hatte. Die Deutschen mussten sich noch in Geduld üben. Hatte die Besat- zungsmacht die eigene Autorität unterstrichen und Geiler den Rü- cken gestärkt, so löste die von der Wiesbadener Militärregierung angeordnete Entlassung von Kultusminister Franz Böhm eine schwere Regierungskrise aus. Offensichtlich hatte sich Oberst Newman von seinen Offizieren Der Vorhang der Demokra­ im Drängen auf Suspendierung tie öffnet sich: Erste Sitzung Böhms überrennen lassen. Das des Beratenden Landesaus­ zumindest gestand er mit dem schusses am 26. Februar Unterton des Bedauerns gegen- 1946 im „Deutschen Theater“ über Geiler ein, der wegen der (später „Hessisches Staatsthe­ Entlassung des ihm politisch sehr ater“) von Wiesbaden. Auf der nahe stehenden Ministers hoch Bühne die Landesregierung verstimmt war. Damit konnte der (oben) und auf den Zuschau­ Amerikaner Geiler von seinem errängen Hessens Bürger als in den Raum gestellten Rücktritt Beobachter (links). abbringen.30 Nach Überwindung Polis 43 29 Mühlhausen, Hessen 1945–1950, S. 148 ff. 30 Siehe: Die Kabinettsprotokolle/Ka- binett Geiler, dort die Einleitung S. L ff. und die entsprechenden Doku- mente. 25 Walter Mühlhausen

dieser Krise kam es zu keinen den“.31 Das Vorparlament mit sei- weiteren tief greifenden Ausei- nen 48 Mandatären, darunter nur nandersetzungen zwischen der fünf Frauen32, wirkte etwa beim Landesregierung und der Militär- Wahlgesetz zur Verfassungbera- regierung. Von diesen Querelen tenden Landesversammlung mit. unberührt blieb schließlich der Obwohl nur mit begrenzten Be- Landesausschuss, der als „Vorläu- fugnissen ausgestattet, stellte der ferin einer künftigen Volksvertre- Landesausschuss ein wichtiges tung“ – wie seine Rolle im Staats- Bindeglied zwischen der Landes- grundgesetz vom 22. November regierung und den Parteien dar. Er 1945 (Artikel 9) definiert wurde war zugleich Experimentier- und – lediglich beratende Funktion Übungsfeld des Nachkriegspar- besaß. Er sollte „vor Erlass wich- lamentarismus. Hier wurden die tiger Gesetze und vor Festlegung demokratisch-parlamentarischen des Haushaltsplans gehört wer- Spielregeln (wieder) eingeübt.33

2. Die Entstehung der Hessischen Verfassung

Am 30. Juni 1946 fanden die Wahlbeteiligung von 71 Prozent ersten landesweiten Wahlen in erzielten SPD 44,3 Prozent, CDU der noch jungen Geschichte des 37,3 Prozent, KPD 9,7 Prozent und Landes Groß-Hessen statt. Auch LDP 8,1 Prozent. Von den 90 Man- bei dieser Wahl offenbarte sich daten erhielten SPD 42, CDU 35, bereits eine über Jahrzehnte an- KPD 7 und LDP 6. Nur vier Frauen dauernde Vorherrschaft der sozi- (drei von der SPD und eine von aldemokratischen Partei im Land, der CDU)34 saßen im ersten de- gefolgt von der CDU und mit Ab- mokratischen Landesparlament stand von KPD und LDP. Bei einer nach 13 Jahren.

31 Staatsgrundgesetz in: Kropat, Stunde Null 1945/1947, S. 37. 32 Von der CDU Else Epstein und Maria Sevenich, von der KPD Lore Wolf und die später nachberufene Jo Mihaly sowie von der LDP Anne Bringezu; ihre Biogra- fien in: Langer (Hrsg.), Alibi-Frauen, S. 71 ff. 33 Die Protokolle der vier Sitzungen des Landesausschusses (mit insgesamt sechs

Polis 43 Sitzungstagen) sind abgedruckt in der Edition: „... der Demokratie entgegen- gehen“. 34 Neben Maria Sevenich (CDU) die Sozialdemokratinnen Anna Zinke, Grete Tee- ge und Elisabeth Selbert; ihre Biographien in: Langer (Hrsg.), Alibi-Frauen, S. 129 ff. und S. 275 ff. Vgl. zu Elisabeth Selbert, später als Abgeordnete des Par- lamentarischen Rates die Mutter des Gleichberechtigungsartikels im Grundge-

26 setz: „Ein Glücksfall für die Demokratie“, insbes. S. 61 ff. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Mit den Wahlen zur Verfassung- schuss dominierenden liberalen beratenden Landesversammlung Vorstellungen von Staat und Ge- trat das Verhältnis von Regierung sellschaft durchsetzen können. und Parteien in ein neues Stadi- Das machte die Formulierung um. Jetzt gab es ein demokra- einer eigenständigen Konzeption tisch legitimiertes Parlament, das der Verfassung umso dringlicher. Anspruch auf Mitbestimmung Die Aussicht auf eine Verfassung erhob, dessen Hauptaufgabe al- hatte die Diskussionen darüber lerdings in der Erarbeitung der innerhalb der einzelnen Par- Verfassung bestand. Erste Vorar- teien erheblich stimuliert. Am beiten hierzu hatte der von Minis­ weitesten gedieh die Debatte terpräsident Geiler im März 1946 innerhalb der Sozialdemokratie. eingesetzte Vorbereitende Ver- Als Anwalt einer sozialistischen fassungsausschuss geleistet. Zu Gesellschaftsordnung setzte Mitgliedern berief er die Minister sie auf eine neue Sozial- und Werner Hilpert, Hans Venedey Wirtschaftsordnung gemäß der und , den Chef Wirtschaftsdemokratie, jene aus der Staatskanzlei Hugo Swart, die den Weimarer Tagen über das Regierungspräsidenten Ludwig „Dritte Reich“ hinaus gerettete Bergsträsser und Fritz Hoch (bei- Konzeption, die sich auf drei Pfei- de SPD), den Frankfurter Ober- ler stützte: An erster Stelle stand bürgermeister Kurt Blaum, die ein umfassendes Mitbestim- Politiker Heinrich von Brentano mungsrecht der Arbeitnehmer. (CDU), Leo Bauer (KPD) und Ge- Hinzu kam die Änderung der ka- org Weinhausen (LDP) sowie die pitalistischen Eigentumsordnung Professoren Walter Jellinek aus durch Sozialisierung bestimmter Heidelberg und Otto Vossler aus Industrien, und zwar jener, die als Frankfurt. Das Expertengremium Steigbügelhalter des Nationalso- sollte die erforderlichen Vorar- zialismus fungiert hatten, jener, beiten für die eigentlichen Ver- die Monopolcharakter besaßen, fassungsberatungen leisten. Der und jener, denen als Schlüssel- im Juni verabschiedete Entwurf35 industrien in der Versorgung der war richtungweisend für die Lan- Bevölkerung zentraler Stellen- desversammlung, wenn er auch wert zukam. Dabei sollte das per- in wirtschaftspolitischer Hinsicht sonalistische Eigentum, das „er- für die SPD vollkommen unzurei- arbeitete Hab und Gut“, jedoch chend erscheinen musste. Die unangetastet bleiben. Die Wirt- Sozialdemokraten hatten sich mit schaftsdemokratie wurde abge- der Forderung nach Reformen rundet durch eine wenig konkre- in Richtung einer Wirtschaftsde- tisierte Produktionsplanung, die mokratie nicht gegen die im Aus- als Ordnungsfaktor den Rahmen Polis 43

35 Datiert 18. Juni; in: Die Enstehung der hessischen Verfassung, S. 173. Siehe hierzu und zum Folgenden vor allem die in dieser Edition abgedruckten Do- kumente mit der ausführlichen Einleitung; daneben einführend: Mühlhausen,

Hessen 1945–1950, S. 231 ff. 27 Walter Mühlhausen

der Gesamtwirtschaft abstecken eine Zehn-Prozent-Sperrklausel, sollte. die Möglichkeit des Verbots un- Die Sozialisierung war in Weimar demokratischer Parteien und ein ausgeblieben, die Mitbestim- in der Verfassung verankertes mung durch das Betriebsrätege- Widerstandsrecht bei offensicht- setz von 1920 nicht in der von der lichem Machtmissbrauch und bei Arbeiterbewegung gewünsch- Gefährdung der Grundrechte ten umfassenden Weise realisiert durch die Regierung gesehen. worden. Die unzureichende Um- Eine Zweite Kammer für Hessen setzung bzw. das Fehlen dieser lehnte die SPD ab; was sie im Reich – wie Bergsträsser 1942 wirtschaftspolitischen Reformen 36 wurden als mitentscheidend für bereits niedergelegt hatte den Untergang von 1933 ange- – für notwendig erachtete, war sehen, galten sie doch als un- auf Landesebene ebenso über- abdingbares Fundament eines flüssig wie ein Staatspräsident, der „psychologisch gesehen ein demokratischen Staatswesens. 37 Ein zweites Mal wollte man einen Hemmnis für die Einheit“ sei. solchen Fehler nicht begehen. All diese verfassungspolitischen Die entsprechenden Reformen Eckwerte bildeten nur den Rah- sollten unbedingt und unverzüg- men – denn: „Die Institutionen ei- lich in Angriff genommen wer- ner Verfassung mögen nun noch den. so musterhaft sein, sie bleiben Darüber hinaus bekannten sich doch ein totes Skelett, wenn nicht die Sozialdemokraten im Gro­ der Mensch sie mit Fleisch und ßen und Ganzen zum Geist der Blut erfüllt. Eine wesentliche Auf- Weimarer Verfassung, die nach gabe, an der keine moderne Ver- ihrem Verständnis in Grundzü- fassung vorbeigehen kann, wird gen durchaus beispielgebend es deshalb sein, den Menschen, sein konnte. Nicht die Weima- das Volk, mit diesen Institutionen rer Verfassung, sondern die in Verbindung zu bringen.“ So for- rücksichtslose Ausnutzung der mulierte , gemeinsam dort niedergelegten Toleranz mit Zinn Autor eines sozialdemo- gegenüber den Feinden der kratischen Verfassungsentwurfs Republik hatte in ihren Augen und später der Kronjurist der wesentlich zum Ende der De- bundesrepublikanischen SPD, in mokratie beigetragen. Die De- einem Vortrag im August 1946 mokratie war daher besonders die Notwendigkeit, einen Verfas- zu sichern und zu schützen: Als sungspatriotismus zu schaffen, geeignete Maßnahmen wurden die Bürger für die Verfassung zu

Polis 43 36 Vgl. oben die Einführung mit Anm. 1. Die Notwendigkeit einer Zweiten Kammer auf Reichsebene wiederholte Bergsträsser am 6. August 1946 vor der Landes- versammlung: „Für das Reich, für das Deutschland der Zukunft“ erschien der SPD eine solche Kammer „als Vertretung des deutschen Länderwesens eine Selbstverständlichkeit […], eine Notwendigkeit“; Die Entstehung der Hes- sischen Verfassung, S. 457.

28 37 Bergsträsser ebd., S. 457. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 begeistern und in einen engen pagandaerfolg verschafft und und lebendigen Kontakt mit den seine Bewegung in den Kreisen demokratischen Institutionen zu der antidemokratischen Rechten bringen.38 hoffähig gemacht. Als stabili- Die CDU setzte andere Schwer- sierendes, einen ungehemmten punkte als die SPD. Eine Ände- Parlamentarismus eingrenzen­ rung der Eigentumsordnung des Institut war eine Zweite Kam- wollte sie nur in eng begrenzten mer sowohl auf Reichs- wie auch Fällen zulassen, wie überhaupt auf Landesebene vorgesehen. soziale und wirtschaftliche Re- Stein hielt an der vom Rat der formen für die CDU nachrangige Volksbeauftragten, der revolu- Bedeutung besaßen. Weitaus tionären Übergangsregierung, wichtiger und gemeinhin zen- im November 1918 verordneten traler war die christliche Ausge- und erstmals bei den Wahlen zur staltung der Verfassung. Bereits Nationalversammlung im Januar in den Mai-Tagen 1946 hatte Er- 1919 praktizierten Verhältnis- win Stein, führender Staats- und wahl fest, obwohl sie sich in sei- Verfassungsrechtler der Lan- nen Augen als „Kind der Revolu- despartei, die grundlegenden tion von 1918“ in der Weimarer Verfassungsvorstellungen der Republik nicht gänzlich bewährt Christdemokraten zu Papier ge- hatte. Das Verhältniswahlsystem, bracht. In seinen „Gedanken zur so die allgemeine Kritik nach künftigen Verfassung“39 manifes­ 1945, habe nach dem Sturz des tierten sich die Verfassungsvor- Kaiserreiches die Neugründung stellungen eines von Humanis- von Parteien in der Republik mus und Christentum geprägten begünstigt, einer Vielzahl von Mannes, der aus der Geschichte Parteien den Weg in den Reichs- die Konsequenzen ziehen wollte. tag geebnet und damit die Re- Stein formulierte hier bereits die gierungsbildung erschwert. Es Notwendigkeit, den neuen Staat habe somit für Funktionsstö- in die Völkerfamilie, in eine neue rungen des Parlamentarismus europäische oder gar globale gesorgt und letztlich zu dessen Ordnung zu integrieren. In dem Untergang beigetragen. Auch Wissen um die fatale Wirkung der Sozialdemokrat Bergsträsser des Volksentscheides gegen hatte in seiner Denkschrift von den Young-Plan 1929 sollten die 1942 in gleichlautender Kritik plebiszitären Elemente auf au- am Verhältniswahlsystem, für ihn ßergewöhnliche Verfassungsän- der typische deutsche Fehler, derungen beschränkt werden. noch eine Rückkehr zum Mehr- Die Beteiligung an der Kampag­ heitswahlsystem mit Einerwahl- ne gegen diesen Reparations- kreisen der Kaiserzeit gefordert, Polis 43 plan hatte Hitler einen immen- allerdings mit einer gerechteren sen Popularitätsschub und Pro- Wahlkreisgeometrie als vor

38 Ebd., S. 253. 39 Die Entstehung der Hessischen Verfassung, S. 78 ff. 29 Walter Mühlhausen

dem Ersten Weltkrieg.40 So weit nur vage umrissen. Recht eigent- wollte Stein in seinen Bedenken lich während der Verfassungsbe- gegenüber dem Verhältniswahl- ratungen konkretisierte die CDU system nicht gehen. Er plädierte ihre Vorstellungen: Dem 30-köpfi­ für ein begrenztes Notverord- gen „Landesrat“ mit achtjähriger nungsrecht und postulierte den Amtszeit sollten neben Oberbür- Schutz der Demokratie, sprach germeistern und Landräten auch darüber hinaus von einer völligen Vertreter der Gewerkschaften, Gleichordnung von Staat und der Kirchen und der Universitä­ Kirche als der idealen Form ih- ten angehören. Seine Funktion rer Trennung. Über diese Punkte war im Wesentlichen die des herrschte weitgehend Einigkeit Kontrolleurs des Parlaments; in den christdemokratischen Rei- Gesetzesvorlagen sollten durch hen, auch in der Forderung nach die Zweite Kammer gehen und christlicher Simultanschule und bei einer Ablehnung nur dann Betonung des Elternrechts, was Rechtskraft erlangen, wenn der die Möglichkeit von Privatschu- Landtag wiederum mit Zweidrit- len offen ließ. Von einigen Christ- telmehrheit den Einspruch des demokraten wurde ursprünglich Landesrates abwehrte. So sollte neben dem Ministerpräsidenten das christdemokratische Modell auch ein Staatspräsident ange- der konstitutionellen Demo- dacht. In der Forderung nach kratie im Gegensatz zur reinen einer Zweiten Kammer kam die Mehrheitsdemokratie eventuelle Furcht vor einer ungebremsten Maßlosigkeiten des Parlaments Parlamentsherrschaft zum Tra- (und der Parteien) verhindern, gen, die in ihren Augen Hitlers die nach christdemokratischem Machtübernahme 1933 erst er- Verständnis das Ende der Wei- möglicht hatte. Weniger wichtig marer Demokratie eingeläutet erschien der Staatspräsident. hatten. Hier fand die Angst vor Dieser spielte insgesamt kaum Untergrabung der Demokratie eine Rolle, tauchte aber in den durch totalitäre Parteien ihren Verfassungsberatungen wieder Niederschlag. Bei einigen in der aus der Versenkung auf, gera- CDU spielte in dieser Forderung de zu dem Zeitpunkt, als die sicherlich auch die Angst vor Zweite Kammer abgelehnt wur- einer sozialistischen Mehrheit de. Der Staatspräsident scheint eine Rolle. Für die Mehrzahl war wohl nicht mehr als die Funktion dieses Konzept keineswegs ne- eines Tauschobjektes gehabt zu gativ angelegt. Es sollte Schutz haben, um die Zweite Kammer vor schrankenlosen Mehrheits- zu sichern. Diese blieb zunächst entscheidungen bieten. Hier Polis 43 40 Mühlhausen, Denkschrift, S. 601. Dabei konnte sich Bergsträsser einen kleinen Seitenhieb gegen das 1919 eingeführte Frauenwahlrecht nicht verkneifen, an dem „trotz schlechter Erfahrungen“ nicht gerüttelt werden dürfe – eine Anspie- lung darauf, dass in der ersten Republik Frauen weniger als Männer zur Urne gegangen waren und dabei im Vergleich zu den männlichen Wählern mehr die konservativen Parteien gewählt hatten. 30 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 spiegelte sich jene Furcht vor gelegten Staatsaufbau die christ- einem ungebremsten Parlamen- demokratischen Orientierungs- tarismus wider, von dem auch marken. die bürgerlich-liberalen Ver- Die KPD verwarf jegliche Be- fassungsschöpfer 1919 beseelt strebungen konstitutioneller waren, als sie gegen die Intenti- Demokraten als Ansätze einer onen der SPD mit einem starken, konservativen Restauration und plebiszitär gekürten Reichsprä- bekannte sich vorbehaltlos zum sidenten ein Gegengewicht zum zentralistischen Staat mit rei- Parlament geschaffen hatten. ner Mehrheitsdemokratie. Das Der von den christdemokra- demokratisch-parlamentarische tischen Außenseitern Ulrich No- Bekenntnis der KPD überraschte ack und Paul Kremer vorgelegte doch. Das galt ebenso für den „Königsteiner Entwurf einer kon- einleitenden Satz im Abschnitt stitutionellen Demokratie“41, eine über die wirtschaftlichen Rechte von hohem Pathos durchsetzte und Pflichten in einer vor den Denkschrift, war par excellence Verfassungsberatungen heraus- die Umsetzung des Gedankens gegebenen programmatischen einer möglichst weiten Macht- Flugschrift: „Die Verfassung verteilung in Verfassungsnormen muss das Privateigentum garan- und setzte in Abwehr von einer tieren.“42 Lediglich Monopole reinen Mehrheitsdemokratie ein sowie Vermögen und Unterneh- doch recht kompliziertes System men, die dem allgemeinen Wohl von Gewaltenteilung, mit dem des Volkes schadeten, sollten in Recht und Freiheit insbesondere Gemeineigentum überführt wer- auch gegen diktatorische Bestre- den. Das waren für Kommunisten bungen einer parlamentarischen doch recht ungewöhnliche Töne, Mehrheit gesichert werden aber sie entsprachen dem Ziel, sollten. Da war auch zu lesen von sich für die anderen Parteien als einem Staatspräsidenten, vom Partner zu empfehlen. Dazu war Volk auf sieben Jahre gewählt, als ein Bekenntnis zur parlamenta- „sichtbare Verkörperung des Ei- rischen Demokratie unverzicht- genwesens“. Offensichtlich hatten bar. Dabei wollten sie Sondervoll- die Autoren bei der Amtsdauer machten oder Notverordnungen Anleihe an Weimar genommen, vermeiden, wie sie in Weimar denn der direkt vom Volk ge- durch den „berüchtigten“ Artikel wählte Reichspräsident amtierte 48 verankert worden waren, der sieben Jahre. Auch wenn der Regierung und Reichspräsident Königsteiner Entwurf in den wei- ermächtigt hatte, zur Wieder- teren Beratungen der Union kei- herstellung von Sicherheit und ne entscheidende Rolle spielte, Ordnung einzelne Grundrechte Polis 43 so finden sich in dem dort nieder- zu suspendieren.43 Mit der Ab-

41 Die Entstehung der Hessischen Verfassung, S. 260 ff. 42 „Offener Brief“ der KPD, zitiert bei: Mühlhausen, Hessen 1945–1950, S. 243. 43 Die Entstehung der Hessischen Verfassung, S. 325 und S. 334. 31 Walter Mühlhausen

lehnung solcher umfassender die Verhinderung einer reinen Vollmachten für die Regierung Parlamentsherrschaft. Die Zwei- ging auch die SPD konform, die te Kammer, von der CDU zu- ein solches Recht ausschließlich nächst nur recht vage umrissen, dem Landtag zubilligen wollte findet sich bei der LDP detailliert – Erkenntnis aus der Tatsache, beschrieben. Es sollte ein Senat dass in Weimar das Parlament sein, dessen 33 Senatoren sich bei der Notverordnungspraxis aus verschiedenen gesellschaft- weitgehend (zumeist aber auch lichen Institutionen rekrutierten. gewollt) außen vor geblieben Seine Funktion entsprach den war. In Weimar hatte die Sozi- Vorstellungen der Christdemo- aldemokratie stets ein engeres kraten: ein Einspruchsrecht in Korsett für die Anwendung von der Gesetzgebung, welches das Artikel 48 eingefordert. Ein ent- Parlament nur mit Zweidrittel- sprechendes Ausführungsgesetz mehrheit zurückweisen konnte. war aber nie geschaffen worden, Einen Staatspräsidenten, zwei- so dass Reichspräsident und te Hauptstütze konstitutioneller Reichsregierung weitgehend frei Demokraten, lehnten die Libe- und nahezu unbegrenzt auf den ralen grundsätzlich ab. Notstandsartikel als legislative Die kurze Zusammenschau der Kurzstrecke zurückgreifen konn- Verfassungsvorstellungen zeigt, ten. Dieses Notstandsrecht sollte dass genügend Zündstoff für nun in die Hände des Parlaments kontroverse Debatten vorhanden gelegt werden. war. Einigkeit herrschte bei allen Die programmatischen Aussa- Parteien im Streben nach einer gen der LDP waren die Bele- parlamentarischen Demokratie. bung alter liberaler Grundsätze, Und einig waren sie auch, dass bei denen ganz oben die freie die Grundrechte unveräußerlich Wirtschaft und die freie Persön- waren. Über die definitive Ausge- lichkeit standen. In einer liberal staltung der Demokratie gingen organisierten Wirtschaft war die Meinungen auseinander. Hier eine Vergesellschaftung nur die musste im parlamentarischen allerletzte Möglichkeit. Dem Diskurs der gemeinsame Weg Staat kam bei alledem lediglich gefunden werden. die neutrale Funktion des Re- Am 15. Juli 1946 gegen 16 Uhr gulators zu: Nur in Fällen, wo eröffnete der CDU-Abgeordnete die Wirtschaftsfreiheit und der Siegfried Ruhl als Alterspräsident Wettbewerb aufgehoben wor- im Realgymnasium für Jungen in den waren oder das Gemein- der Wiesbadener Oranienstraße Polis 43 wohl gefährdet schien, sollte er das erste demokratische Nach- über besondere Gerichte bei kriegsparlament Hessens, das angemessener Entschädigung später dann in der Gewerbe- eingreifen. In das Bild einer Ver- schule und im Stadtschloss der fassung unter dem Primat der nassauischen Herzöge, dem heu-

32 freien Entfaltung gehörte auch tigen Sitz des Landtages, seine Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Beratungen abhielt.44 Die Verfas- sungsdebatten waren zunächst von dem Willen der vier Parteien geprägt, eine von allen getra- gene Verfassung zu schaffen. Das speiste sich vor allem aus den Erfahrungen vor 1933, als man sich im gegenseitigen Kampf zer- fleischt hatte. Die gemeinsame Er- fahrung von Widerstand und Ver- folgung sorgte für ein erhöhtes Maß an Kompromissbereitschaft. Doch mit zunehmender Dauer traten grundsätzliche program- matische, allerdings keineswegs unüberbrückbare Unterschiede Verfassungsschöpfung im Lichte der Öffentlichkeit: Der Präsident der in den Vordergrund. Die Streit- Verfassungberatenden Landesversammlung, Otto Witte (SPD), spricht punkte kreisten um den Wirt- bei der ersten öffentlichen Sitzung des hessischen Verfassungsparla­ schaftsbereich, vor allem um die ments am 5. September 1946 in Wiesbaden. Sozialisierung, die für die SPD ei- nen zentralen Punkt der Neuord- nung darstellte. Eine Eigentums- der SPD in diesen Verhandlungen änderung wollte die CDU aber und Vorsitzender des zentralen nur in einem sehr begrenzten Verfassungsausschusses, davon Maß akzeptieren. Zweiter Kon- gesprochen, dass die SPD in der fliktherd war der Staatsaufbau, angenehmen Situation sei, „mit insbesondere das von der CDU jeder der anderen Fraktionen gewünschte Zweikammersystem. eine Mehrheit bilden zu können“ Damit stieß sie bei der SPD auf – „theoretisch“ zumindest, wie er glatte Ablehnung. Die SPD sah für die CDU einigermaßen beru- 45 der wachsenden Verhärtung der higend hinzufügte. Fronten einigermaßen gelassen Dieses „theoretisch“ sollte jedoch entgegen, war sie doch als einzige bald auch praktisch demonstriert Partei in der komfortablen Lage, in werden, und zwar in dem Mo- drohenden Kampfabstimmungen ment, als der Gesprächsfaden mit jeder der anderen Parteien zwischen Sozialdemokraten und zusammengehen zu können. Sie Christdemokraten abgerissen konnte ihren Partner wählen. Und war. Zusammen mit der KPD sie scheute sich nicht, das auch brachte die SPD die weitgehend zu artikulieren. Bereits zu Beginn identischen Ziele im wirtschafts- der Verfassungsberatungen hat- und sozialpolitischen Bereich Polis 43 te Bergsträsser, führender Kopf gegen CDU und LDP durch. Die

44 Vgl. auch Lengemann, Hessen-Parlament, S. 39 ff. 45 Am 6. August vor dem Plenum; Die Entstehung der Hessischen Verfassung,

S. 463. 33 Walter Mühlhausen

ganze Situation der Kampfab- Kommunisten und Sozialisten stimmungen sorgte bei der CDU, getragene Entwurf trotz einer aber auch bei der SPD für einiges satten Mehrheit von 309 gegen Unbehagen. Die Christdemo- 249 Stimmen in der französischen kraten mussten auf die stärkste Nationalversammlung im Refe- Partei zugehen, wenn sie mitge- rendum vom Mai 1946 mit 53 stalten wollten. In der Sozialde- Prozent abgelehnt worden. Frank­ mokratie wiederum machte sich reich schwebte den hessischen Angst breit, mit den wegen der Sozialdemokraten als negatives Politik im sowjetisch besetzten Lehrstück vor Augen; die „franzö- Teil Deutschlands immer mehr sischen Verhältnisse schrecken“, in Misskredit geratenen Kom- hatte Bergsträsser mit dem Unter- munisten identifiziert zu werden. ton von Sorge und Unsicherheit Mit ihnen zu koalieren drohte zu bereits vor den Beratungen der einer innerparteilichen Belastung Landesversammlung in sein Ta- zu werden. Darüber hinaus be- gebuch geschrieben.46 Und wenn fürchtete die SPD, dass eine allein die Verfassung im Referendum von ihr und der KPD getragene durchfallen würde, drohte sogar Verfassung nicht die notwendige ein Aufschub der demokratischen Mehrheit in der von den Ameri- Regierungsbildung. Denn genau kanern vorgeschriebenen Volks- in diesem Moment höchster sozi- abstimmung erhalten würde. Die aldemokratischer Selbstzweifel, beiden linken Parteien besaßen als die Zeichen auf Konfrontation zwar in der Landesversammlung mit der CDU standen, ließ die Mi- mit 49 Mandaten (gegenüber 41 litärregierung wissen, dass eine von CDU und LDP) eine ausrei- Regierung nur nach vorheriger chende Mehrheit, doch stand das Annahme der Verfassung durch vermeintliche „Linksbündnis“ mit das Volk demokratisch gebildet 54 Prozent an Wählerstimmen auf werden konnte. Solche Mittei- relativ tönernen Füßen. Die So- lung verstärkte das Unbehagen zialdemokraten waren unsicher, der SPD. Schließlich wollten die ob eine Verfassung – in Kampf- Sozialdemokraten als führende abstimmungen gegen CDU und Kraft in Hessen endlich auch den LDP durchgepaukt – dann wirk- Regierungschef stellen, war doch lich von der Bevölkerung in der ihr erster Griff nach der Macht im Volksabstimmung angenommen Februar 1946 recht kläglich ge- werden würde. scheitert. Dass eine Parlamentsmehrheit In dieser Situation, als die CDU eben nicht unbedingt Garant für ganz ausgeschaltet zu werden Wählermehrheit in einer Volksab- drohte, präsentierten ihre bei- Polis 43 stimmung sein musste, hatte das den Abgeordneten Erwin Stein Plebiszit über die Verfassung in und Karl Kanka am 28. Septem- Frankreich bewiesen. Denn dort ber den so genannten „Vollrad- war der im Wesentlichen von ser Entwurf“, ein auf 118 Artikel

46 Bergsträsser, Befreiung, S. 135: Tagebuchaufzeichnung vom 30. Mai 1946. 34 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 gestutztes „Organisationsstatut“, Am 30. September, während der auf dessen Basis man sich mit zweiten Lesung, handelten inner- den Sozialdemokraten zu einigen halb von vier Stunden je drei Ver- hoffte. Das Papier klammerte die treter von SPD (Ludwig Bergsträs- zwischen den beiden Parteien ser, Christian Stock und Friedrich vorhandenen Streitpunkte ein- Caspary) und CDU (Erich Köhler, fach aus. Das war der allerletzte Georg Stieler und Karl Kanka) Versuch der CDU, unter Zurück- im stillen Kämmerlein den histo- stellung der konfliktbeladenen rischen Verfassungskompromiss Felder doch noch zu einer Über- aus.47 Wo traf man sich? Die SPD einkunft mit der SPD zu kommen, akzeptierte Beschneidungen des für die es auf beiden Seiten ge- Sozialisierungsartikels, der auch nügend Potential gab. Denn nach in der eingegrenzten Form den wie vor dominierte bei SPD und Christdemokraten noch erheb- CDU der unbedingte Wille, dem liche Bauchschmerzen bereite- Wahlvolk eine von einer breiten te. Die in Hessen bedeutende Mehrheit getragene Verfassung chemische Industrie fiel aus dem zur Abstimmung zu präsentieren. Katalog der Sofortsozialisie- Die Mehrzahl der Mandatsträger rung heraus, die damit noch die aus beiden Reihen war sich be- Betriebe des Bergbaus, der Ei- wusst, dass dabei auch Abstriche sen- und Stahlindustrie und der an eigenen Zielvorstellungen zu Energieerzeugung sowie Ver- machen waren. Aber für die SPD kehrsbetriebe betraf. Bei der um- war der Vollradser Entwurf kein strittenen Zweiten Kammer fand gangbarer Weg aus der Krise, man schließlich die salomonische wenngleich der Vorschlag, sich Kompromissformel in Artikel 155, mit einem solchen Organisati- dass ein weiteres aus demokra- onsstatut zu begnügen, bei den- tischen Wahlen hervorgehendes jenigen Sozialdemokraten auf Organ gemäß Artikel 123 (Abs. 2) Sympathie stieß, die unbedingt aufgebaut und in das Verfahren den Ausgleich mit der CDU an- der Gesetzgebung eingeschaltet strebten. Die Mehrzahl der Sozi- werden könne. Im Grunde war aldemokraten wollte sich auf eine der Artikel überflüssig, denn sol- verkürzte Verfassung aber nicht ches war ohnehin nach Artikel 123 einlassen. Wenn das Papier auch möglich: „Eine Verfassungsände- nicht das Fundament eines Kom- rung kommt dadurch zustande, promisses sein konnte, so saßen dass der Landtag sie mit mehr als doch einen Tag, nachdem Stein der Hälfte der gesetzlichen Zahl und Kanka ihr Organisationssta- seiner Mitglieder beschließt und tut präsentiert hatten, SPD und das Volk mit Mehrheit der Ab-

CDU wieder am Verhandlungs- stimmenden zustimmt.“ Mit Hilfe Polis 43 tisch. von Artikel 155 konnte die CDU

47 Vgl. im Überblick zu dieser Vereinbarung: Mühlhausen, Kompromiß, S. 66 ff. Das SPD/CDU-Kompromisspapier in: Die Entstehung der Hessischen Verfas- sung, S. 964 ff. 35 Walter Mühlhausen

ihr Gesicht wahren. Im kulturpo- arbeit die anstehenden Probleme litischen Teil machte die SPD Zu- gemeistert werden konnten. geständnisse in Bezug auf Kon- Der Kompromiss war allerdings fessionsschulen. Vom Prinzip der nur möglich geworden, weil zwi- Schulgeld- und Lernmittelfreiheit schen Sozialdemokraten und an allen Schulen rückte die SPD Christdemokraten Übereinstim- nicht ab; lediglich bei den Hoch- mung in grundlegenden Punkten schulen konzedierte sie den Weg- bestand. Dieses damit geschnür- fall der Lernmittelfreiheit. te Bündnis der beiden stärksten Während die SPD-Fraktion rela- hessischen Parteien hatte schon tiv rasch und ohne großes Mur- bald seine erste Bewährungspro- ren der Übereinkunft zustimmte, be zu bestehen. Denn die ameri- bedurfte es eindringlicher Mah- kanische Militärregierung hatte nungen der christdemokratischen bei der Verfassungsverabschie- Führung, um die Fraktion für den dung ein Wort mitzureden.48 Die Kompromiss zu gewinnen. Aber Amerikaner hatten es bis dahin da das Paket nur als Ganzes an- tunlichst vermieden, direkt in genommen werden konnte und die Verfassungsarbeit einzugrei- keine Veränderungen mehr zuge- fen. Sie hatten aber beratend zur lassen wurden, musste die CDU- Seite gestanden und sicherlich Fraktion einwilligen. Mit der Zu- auf informellem Wege versucht, stimmung der beiden Fraktionen den Deutschen eigene Vorstel- am Abend des 30. September lungen und Wünsche näher zu 1946 war der Kompromiss abge- bringen. Das schlug sich jedoch segnet; er wurde der Landesver- kaum in den überlieferten Akten sammlung am nächsten Morgen nieder. Zu finden ist in den ame- präsentiert. Die in allerletzter Mi- rikanischen Papieren jener Zeit nute geschlossene Übereinkunft die hohe Zufriedenheit mit dem überraschte die beiden kleinen hessischen Entwurf. Allerdings Parteien. Der Entwurf auf der Ba- erregte die in Artikel 41 festge- sis der SPD/CDU-Vereinbarung schriebene Sozialisierung indus- wurde dann in Zweiter Lesung am trieller Leitsektoren mit Annahme 2. Oktober mit 69 Ja-Stimmen bei der Verfassung den Widerspruch elf Enthaltungen angenommen. der Besatzungsmacht. Denn Diese richtungweisende Über- eine Vergesellschaftung passte einkunft zwischen SPD und CDU so ganz und gar nicht in das Bild war zum einen ein Produkt der von der liberalen Wirtschaftsord- Notzeit, getragen von der über nung, welche die Amerikaner im die Parteigrenzen hinaus strah- besetzten Deutschland aufbauen lenden Einsicht, dass nur durch wollten. So setzten sie alles da- Polis 43 eine breite politische Zusammen- ran, die Sozialisierungsvorschrift

48 Für die bis in die Regierungszentrale in Washington hineinreichende ameri- kanische Diskussion über die Landesverfassung: Mühlhausen, Hessen 1945– 1950, S. 265 ff.; die amerikanischen Dokumente hierzu in: Die Entstehung der Hessischen Verfassung, S. 1061 ff. 36 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 der Verfassung in eine unverbind- von SPD, CDU und KPD für die liche Kann-Bestimmung abzu- Verfassung, die sechs Vertreter schwächen. Mit diesem Drängen der LDP dagegen. stieß die Militärregierung jedoch Die Landesverfassung zeichnet auf eine geschlossene Front von sich durch eine konsequente Hin- SPD, CDU und KPD. Nur die Li- wendung zum Sozialstaat aus. So beralen scherten aus dieser Pha- umfasst sie neben den klassischen lanx aus. Der versuchte Eingriff Menschen- und Freiheitsrechten der Amerikaner in die Arbeit des auch soziale Grundrechte.50 Im ersten demokratisch gewählten Gegensatz zur Weimarer Verfas- Nachkriegsparlamentes ließ bei sung gelten die Grund- und Men- einigen Christdemokraten sogar schenrechte, von denen manche Gedanken keimen, überhaupt in der hessischen Verfassung neu gegen die Verfassung zu stim- formuliert wurden, als unantast- men, um der Besatzungsmacht zu bar. Darüber herrschte bei den demonstrieren, dass man solches Parlamentariern Einigkeit. Die nicht hinzunehmen bereit sei. Sozial- und Wirtschaftsordnung Wenn die Demokratie wirklich beruht gemäß Artikel 27 auf der Bestand haben sollte, dann muss- Anerkennung der Würde und der ten die Deutschen eigenverant- Persönlichkeit des Menschen. Das wortlich entscheiden können.49 war eine fundamentale Wende Es war von den Hessen äußerst im deutschen Verfassungsrecht, geschickt, herauszustreichen, stand damit doch die soziale Ach- dass ein restriktiver Eingriff der tung des arbeitenden Menschen Besatzungsmacht in eine von der im Zentrum. Das Recht auf Arbeit überwältigenden Mehrheit der wird proklamiert und verpflichtet gewählten deutschen Vertreter den Staat zur Politik der Vollbe- getragene Verfassung dem de- schäftigung. Für alle Angestell- mokratischen Gedanken einen ten, Arbeiter und Beamten wurde Bärendienst erweisen würde. ein einheitliches Arbeitsrecht zur Damit wurden die Amerikaner Pflicht gemacht. Das Streikrecht in ihrem demokratischen Sen- ist anders als in der Weimarer dungsbewusstsein empfindlich Verfassung (und auch im späteren getroffen. Verfassungsschöpfer Grundgesetz) in der Hessischen und Militärregierung einigten Verfassung verankert. Darüber sich schließlich darauf, den Arti- hinaus erklärt sie – einmalig in kel 41 einer besonderen Volksab- der deutschen Verfassungsge- stimmung zu unterziehen. Damit schichte – die Aussperrung für war der Weg für die dritte Lesung rechtswidrig, galt sie doch den der Verfassung frei: Am 29. Ok- Parlamentariern als ein „unsitt- tober stimmten 82 Abgeordnete liches Kampfmittel“, wie das einer Polis 43

49 Bergsträsser, Befreiung, S. 189: Aufzeichnung über ein Gespräch mit Brentano am 24. Oktober 1946. 50 Vgl. zur Einordnung der Verfassung auch Kropats Einleitung zur Edition: Entna- zifizierung – Mitbestimmung – Schulgeldfreiheit, S. 23 f. 37 Walter Mühlhausen

später aber wieder ausgehöhlt worden war. Garantiert wird auch ein zwölftägiger Mindesturlaub (Artikel 34). Besonders hervor- gehoben wird in der Landesver- fassung zudem das Streben nach Chancengleichheit im Bildungs- wesen. Stärker als andere Landes- verfassungen der Nachkriegszeit unterstreicht die hessische den demokratischen Gedanken und erhebt den Widerstand gegen diktatorische Bestrebungen oder gegen Verfassungsverletzungen zur Bürgerpflicht: Jeder Hesse hat die Aufgabe, den Bestand der Verfassung zu schützen. Eine besondere Rolle im Schutz der Landesverfassung kommt dem Staatsgerichtshof zu. Als Folge des gewollten Abbaus zentralis- tischer Elemente wurde auf Lan- desebene ein Staatsgerichtshof geschaffen, der zum einen darü- ber zu befinden hat, ob Gesetze verfassungskonform sind, und – vollkommen neu in der Verfas- sungsgeschichte – zum anderen aber auch bei Verletzung von Grundrechten durch die öffent- liche Gewalt von jedem Bürger angerufen werden kann. Auch das Bekenntnis zum Gesamtstaat Landtagswahl und Volksabstimmungen am 1. Dezember 1946: ist in der Hessischen Verfassung Blick in ein Wahllokal. besonders ausgeprägt. Insge- der CDU-Abgeordneten auf den samt geht die Landesverfassung Punkt brachte.51 Festgeschrie- mit ihren wirtschafts- und sozial- ben wurde der Achtstundentag politischen Regelungen weit über (Artikel 31), der zwar als alte For- das Maß hinaus, das später im derung der Arbeiterbewegung bundesrepublikanischen Grund-

Polis 43 in der Revolution 1918 realisiert, gesetz verankert wurde.52

51 Karl Kanka vor dem Verfassungsausschuss am 17. September 1946; Die Entste- hung der Hessischen Verfassung, S. 719. 52 Zur (vornehmlich juristischen) Würdigung der Verfassung vgl. die einzelnen Beiträge in: 50 Jahre Verfassung. Dazu auch: 30 Jahre Hessische Verfassung. 38 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Die Volksabstimmungen über einen herben Rückschlag hinneh- „Ja“ oder „Nein“: In einer Verfassung und Artikel 41 fan- men. Nicht unwesentlich zu die- Volksabstimmung ent­ den am 1. Dezember 1946 statt. sem schlechten Abschneiden hat- scheiden sich die Hessen Sowohl die Hessische Verfassung ten Hirtenbriefe der katholischen am 1. Dezember 1946 für als auch der Sozialisierungsarti- Bischöfe in Hessen beigetragen, die Landesverfassung kel erzielten in den Volksabstim- in denen sie kurz vor den Land- und für die Sofortsoziali­ mungen eine satte Mehrheit: tagswahlen und den Volksabstim- sierung in Artikel 41. Die Verfassung wurde mit 76,8 mungen über Verfassung und Prozent und Artikel 41 mit 72 Sozialisierungsartikel von einem Prozent angenommen. Bei den schmerzlichen Verfassungskom- gleichzeitig stattfindenden ers­ promiss sprachen und Stellen ten Landtagswahlen festigte sich in der Verfassung zu erkennen der Trend: Die SPD blieb mit 42,7 glaubten, die „bedenklich an die Prozent stärkste Kraft. Während Art des totalen Staates erinnern“ die KPD mit 10,7 Prozent ein we- würden.53 Das war unbotmäßige nig spektakuläres Ergebnis er- Wortwahl. Wenngleich die CDU zielte, galten die 15,7 Prozent für diese Querschüsse, die ihre Klien­ die LDP schon fast als eine Sensa- tel gehörig verunsicherten, nur tion, hatte sie doch damit ihr Er- als unsinnig missbilligen konnte, Polis 43 gebnis vom Juni fast verdoppelt. so hatte sie doch bitter zu regis- Die CDU musste mit 30,9 Prozent trieren, dass zahlreiche bürgerli-

53 Das Zitat aus der erweiterten Kanzelverkündigung des Bischofs von Limburg;

Kropat, Stunde Null 1945/1947, S. 148. 39 Walter Mühlhausen

Erste und letzte Seite der che Wähler ihr wegen der Koope­ man hatte sich auf dem Stimm- Hessischen Verfassung ration mit der SPD den Rücken zettel zwischen einem einfachen mit den Unterschriften gekehrt hatten. Das zeigte sich in „Ja“ oder „Nein“ zu entscheiden. von Ministerpräsident der Analyse der Ergebnisse der Die Mandatsverteilung – SPD 38, Karl Geiler und den Mi­ Volksabstimmungen: Die Anzahl CDU 28, LDP 14 und KPD 10 – ließ nistern. unkorrekter Stimmzettel bei bei- Raum für Spekulationen, doch den Volksabstimmungen (12,8 war durch den Verfassungskom- Prozent bei der Verfassung; 13 promiss die Große Koalition aus Prozent bei Artikel 41) lag gerade SPD und CDU vorgezeichnet. in den christdemokratischen Do- Zum Ministerpräsidenten kürten mänen über dem Durchschnitt. die Koalitionäre am 20. Dezember So waren die ungültigen Wahl- 1946 mit 58 von 87 abgegebenen

Polis 43 zettel bei den beiden Volksab- Stimmen den Darmstädter Sozial- stimmungen stiller Protest von demokraten Christian Stock, ei- CDU-Wählern, denn es ist kaum nen im Kaiserreich politisch groß anzunehmen, dass jeder achte gewordenen alten Haudegen der Wähler irrtümlich unkorrekt seine Arbeiterbewegung, der bereits Stimme abgegeben hatte, denn 1919/20 Mitglied der Weimarer

40 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Nationalversammlung gewesen Demokratischer Meilen­ war.54 stein: Mit einer Flaggen­ Stock konnte bereits auf eine lan- hissung auf dem Dach ge politische Karriere zurückbli- des Landtagsgebäudes wird die Eröffnung des cken. Wenn das oft strapazierte ersten hessischen Land­ und allzu leichtfertig bei Biogra- tages am 19. Dezember phien von Sozialdemokraten ver- 1946 kundgetan. wandte Wort, dass der Protago- nist von ganz unten gekommen sei, wirklich seine Berechtigung besitzt, dann bei der Beschrei- bung von Stocks Lebensweg: Der Proletariersohn, aufgewachsen in ganz ärmlichen Verhältnissen, erlernte ein Handwerk und stieg schon im Kaiserreich zum lokalen Funktionär der Sozialdemokratie auf. Er war der typische Vertreter seiner Generation von Parteige- nossen, die – sozialisiert im wil- helminischen Reich – in jungen Jahren durch ein aufopferungs- volles Engagement für die Sozi- aldemokratie noch vor dem Ers­ SPD, spielte aber in der Landes- ten Weltkrieg in die Dienste der politik im ersten Halbjahr 1946 Bewegung traten und in der ers­ noch keine herausragende Rolle. ten Demokratie auf deutschem In den Vordergrund trat er als Mit- Boden in politische Ämter ge- glied der Verfassungberatenden langten. 1933 wurde er kurzzeitig Landesversammlung. Er gehörte in KZ-Haft genommen und muss- zu den drei Sozialdemokraten, die te sich dann als Tabakwarenhänd- den Verfassungskompromiss aus- ler durchschlagen. gehandelt hatten. Der Name des Nach dem Ende des Zweiten Welt- 62-jährigen Sozialversicherungs- krieges trat Stock wie seine zwölf fachmannes tauchte allerdings in Jahre unterdrückte Partei sofort den Spekulationen um den künf- wieder in die politische Verant- tigen Ministerpräsidenten nach wortung, um am Bau eines neu- den Wahlen am 1. Dezember en demokratischen Deutschland 1946 zunächst nicht auf. Erst ganz mitzuwirken. Innerhalb der Partei am Ende der Personaldiskussion wurde er zwar schnell über die wurde Stock ins Spiel gebracht Polis 43 Landesgrenzen hinaus bekannt und von seiner Partei auf den und zählte auch zum engeren Kandidatenschild gehoben. Seine Führungszirkel der südhessischen erste Regierungserklärung vom 6.

54 Vgl. zu seiner Biografie: Mühlhausen, Stock 1910–1932; siehe auch: Mühlhau-

sen, Geiler und Stock, S. 91, sowie Schmidt, Stock, S. 14 ff. 41 Walter Mühlhausen

19. Dezember 1946: Der Direktor der Landesmilitärregierung, Oberst James R. Newman, lässt es sich nicht nehmen, auf der konstituierenden Sitzung des ersten hessischen Nachkriegslandtages zu sprechen. Staffelübergabe im Nachkriegshessen: Der ­Januar 1947 nahm der Landtag mit erste (von den Amerikanern eingesetzte) den Stimmen der Koalition gegen Ministerpräsident Karl Geiler (l.) und sein die der KPD, bei Enthaltung der gewählter Nachfolger Christian Stock im LDP an. Mit der Vereidigung der Dezember 1946. Minister am darauf folgenden Tag war die erste parlamentarisch ge- chen. Da wir alle aber nicht wis- wählte und verfassungsmäßig ge- sen, was wir von solchen Verspre- bundene Regierung des Landes chungen zu halten im Stande sein Hessen verankert. Damit war Hes- werden, sehen wir davon ab.“55 sen bereits 14 Monate nach seiner In der Tat: Die Politik der Nach- Gründung zum demokratischen kriegsjahre ist vor dem Trümmer- Verfassungsstaat geworden. feld zu sehen, das die Diktatur zu In seiner Regierungserklärung verantworten hatte. Hinterlassen hielt sich der neue Ministerprä- hatten die Nationalsozialisten sident mit konkreten Verspre- auch eine ungemein schwierige chungen zurück: „Die Zeit ist aus wirtschaftliche und soziale Lage. den Fugen [...] Es wäre billig, Ih- Dies ist einen kleinen Exkurs 56 nen, meine Abgeordneten, und wert. dem hessischen Volke heute Das Land war zerstört, die Groß- städte lagen zu Dreiviertel in

Polis 43 große Versprechungen zu ma-

55 Regierungserklärung vom 6. Januar 1947; in: Entnazifizierung – Mitbestimmung – Schulgeldfreiheit, S. 58. 56 Die nachfolgenden Angaben basieren im Wesentlichen auf den vom Hessischen Statistischen Landesamt herausgegebenen statistischen Mitteilungen „Staat und Wirtschaft in (Groß-) Hessen“ 1946 ff. Auf Einzelnachweis wird verzichtet. 42 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

„Hier arbeitet die Stadt­ verwaltung“ – Wetzlar im März 1945: Frauen und Kinder bei der Trümmer­ beseitigung.

Schutt und Asche. In dieses zer- störte Land strömten immer mehr Menschen. Die hessische Bevöl- kerung stieg bis zur Volkszäh- lung im September 1950 auf 4,32 Millionen; das waren 825.000 mehr als 1939. Insgesamt lebten zu diesem Zeitpunkt 720.000 Flüchtlinge und Vertriebene in Hessen, die Folge einer „Völker- wanderung“ – so stand in einer regierungsoffiziellen Broschüre 1949 mit vollem Recht –, „die in der Geschichte Europas und der Welt ihresgleichen sucht“.57 Al- lein 1946 waren 400.000 Vertrie- bene nach Hessen gekommen. Diese Bevölkerungsexplosion wirkte sich vornehmlich auf dem Wohnungsmarkt aus. Während sich 1939 – rein statistisch gese- Polis 43 Auch Frankfurt räumt auf: Bürgereinsatz hen – 3,6 Personen eine Normal- zur Trümmerbeseitigung im Oktober 1946. wohnung geteilt hatten, lag die

57 Stock in seiner Einleitung zu einer Schrift über die Flüchtlingsfrage 1949; zitiert bei: Kropat, Stunde Null 1945/1947, S. 217. 43 Walter Mühlhausen

durchschnittliche Wohnraum- sanken teilweise auf die Hälfte der belegung 1950 trotz intensiver Ernte des vorangegangenen Jah- Bautätigkeit vor allem nach der res, die wegen mangelnden Saat- Währungsreform bei 4,8 Per- gutes und Dünger sowieso schon sonen. Der Bevölkerungszuwachs ziemlich mager ausgefallen war. verschärfte die ohnehin schon Die permanente Versorgungskri- dramatische Ernährungslage.58 se ließ den Schwarzmarkt blühen, Schmalhans war Küchenmeister wo Tauschhandel, überteuerte im Nachkriegsdeutschland. Die Preise und die amerikanische Zi- Rationen blieben weit unter dem garette als Währung das Bild be- Existenzminimum und sanken im stimmten. Der Schwarzmarkt war Juli 1946 offiziell auf magere 1058 ein Produkt des ungleichmäßigen Kalorien. Doch auch die jedem Verhältnisses von Warenangebot nach den Lebensmittelkarten zu- und -nachfrage. Die Bevölke- stehenden spärlichen Portionen rung übte sich im Improvisieren. an Fett, Milch, Fleisch – im Sep- Der Ernährungslage entspre- tember 1947 ganze 100 Gramm chend stieg bis zum Jahre 1948 Fleisch wöchentlich – gelangten die Kriminalitätsrate, vor allem nicht immer zur Verteilung. Hes- beim einfachen Diebstahl. Wirt- sen konnte sich nicht selbst ver- schaftlich ging es erst langsam sorgen und war auf Lieferungen aufwärts. Der Index der industri- aus anderen Ländern angewie- ellen Produktion bewegte sich sen. Nach amerikanischen Schät- 1946 im Vergleich zu 1936 auf 31 zungen erhielt der Normalver- Prozent, steigerte sich (1947: 38 braucher im Sommer 1947 900 Prozent; 1948: 57 Prozent; 1949: Kalorien zugeteilt. Angesichts 83 Prozent) aber bis 1950 in etwa der Unterversorgung sank die auf das Niveau des Vergleichs- Widerstandsfähigkeit der Bevöl- jahres aus der Vorkriegszeit. Erst kerung, nahmen die Krankheits- mit der Währungsreform am 20. fälle – besonders bei Alten und Juni 1948, die den bereits ange- Kindern – zu. Arzneimittel aber laufenen Aufschwung förderte, fehlten. Doch nicht genug. Ein verbesserte sich die Situation. strenger Winter 1946/47 und eine Die anfängliche Euphorie über außergewöhnliche Trockenheit das neue Geld, das einen wahren im Sommer 1947, „fast an Natur- Kaufrausch auslöste, wich bald katastrophen grenzende Einwir- der Ernüchterung angesichts des kungen“ – wie es in einem Wirt- enormen Preisauftriebs und einer schaftsbericht hieß59 –, sorgten raschen Steigerung der Lebens- für weitere Rückschläge. 1947 haltungskosten auf 150 Prozent fuhren die hessischen Bauern (Ende des Jahres 1948 im Ver-

Polis 43 eine Missernte ein. Die Hektarer- gleich zum Mittelwert von 1939). träge von Getreide und Gemüse 40 Mark „Kopfgeld“ (im August

58 Siehe zur Ernährungslage nach dem Krieg im Detail am Beispiel der Stadt Frankfurt: Heibel, Hungertuch, insbes. S. 99 ff.

44 59 Zitiert bei: Mühlhausen, Geiler und Stock, S. 14. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Schwarzmarkt: Razzia in Frankfurt (wohl 1947). Die Blicke der Abge­ führten zeugen nicht von besonderer Aufgeregt­ heit oder gar Angst. Eini­ ge Jahre zuvor während der Diktatur wäre ein Abtransport durch die Polizei von tiefer Furcht und blankem Entsetzen der Abtransportierten begleitet gewesen.

Überprüfung von vermeintlichen Schwarz­

markthändlern durch die Wiesbadener Polis 43 Mangelwirtschaft: Nicht nur Nahrung, auch Polizei. Heizmaterial fehlt. Kinder plündern einen Kohletransporter am Frankfurter Ostbahn­ hof.

45 Walter Mühlhausen

Wiederaufbau aus Trüm­ mern: Die zerstörten Opel-Werke in Rüssels­ heim bei Kriegsende 1945 ...

... 15 Monate später, im Juli 1946, verlässt als ers­ tes Auto der Nachkriegs­ produktion der Opel Blitz das Werk. Polis 43

46 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 gab es nochmals 20 DM für jeden) erlaubten „der Bevölkerung keine großen Sprünge“, resümierte der Kasseler Polizeipräsident.60 Erst 1949 begann sich das Lohn- und Preisgefüge allmählich zu nivel- lieren und zu stabilisieren. Angesichts dieser hier nur grob geschilderten Rahmenbedingun­ gen musste Politik in jenen Tagen pragmatisch auf die täglichen Erfordernisse ausgerichtet sein, um ein halbwegs geordnetes und gesichertes Leben für die er- schöpften Menschen zu gewähr- leisten. Ministerpräsident Stock war Realist genug, um zu sehen, dass es im zweiten Jahr nach versuchen, jedem Einzelnen das 20. Juni 1948: Endlich 61 Kriegsende nicht die Zeit war, das nackte Leben zu garantieren.“ wird – wie hier in Fulda Bild einer segensreichen Zukunft Es ist angesichts dieser Rahmen- – das lang ersehnte neue zu malen. Es ging schlicht um das bedingungen schon erstaunlich, Geld ausgegeben. Zu­ Notwendigste, wie Stock zu Be- was an politischen Reformen in nächst gibt es pro Kopf 40 ginn seiner Amtszeit herausstell- den ersten Nachkriegsjahren ge- D-Mark, später erhält je­ te: „Wir müssen zunächst einmal leistet wurde. der nochmals 20 D-Mark.

3. Konflikt und Konsens in der Besatzungszeit

Trotz der Schwere der Last, wel- tige Scheidung hinarbeiteten, vor che die erste demokratische allem nach der Bildung der Bun- Nachkriegsregierung geschultert desregierung im September 1949 hatte, hielt die zum Jahreswech- erheblich an Boden gewannen, sel 1946/47 geschlossene Regie- als die CDU unter ihrer Galions- rungsehe von SPD und CDU über figur die Re- die gesamte Legislaturperiode gierung und die SPD unter ihrem – auch wenn die Partner manche Parteivorsitzenden Kurt Schuma- Klippe zu umschiffen hatten und cher die Opposition im ersten obwohl die Kräfte innerhalb bei- deutschen Bundstag bildete. Polis 43 der Parteien, die auf eine vorzei- Trotz einiger Konfliktfelder und

60 Kropat, Stunde Null 1945/1947, S. 209. 61 In seiner Regierungserklärung am 6. Januar 1947; Entnazifizierung – Mitbestim- mung – Schulgeldfreiheit, S. 58. 47 Walter Mühlhausen

rativer Kreis Pläne für ein neues demokratisches Deutschland entworfen hatte.63 Andere wa- ren für eine kurze oder längere Zeit in Haft gewesen, einige po- litisch kalt gestellt worden, im- mer in der Gefahr, in die Mühlen des Unrechtsregimes zu geraten. Diese Erfahrungen prägten, ver- banden dauerhaft über die Par- teigrenzen hinweg. Über diesen persönlichen Aspekt hinaus: Die Kooperation von SPD und CDU war eben nicht allein aus der Not der Zeit geboren, sondern grün- dete sich zum einen in der tiefen Leidensgefährten im KZ immer häufiger aufbrechender Überzeugung, die Fehler von Buchenwald, Mitstreiter Differenzen zwischen den Koa- Weimar, den bis hin zur Diffamie- im Nachkriegshessen: litionsparteien herrschte am Ka- rung und zur Gewalt ausufernden Werner Hilpert (CDU), binettstisch ein hohes Maß an parteipolitischen Kampf jenseits hessischer Finanzminis­ Übereinstimmung. „In Loyalität eines politischen Ehrenkodex, ter (l.), und Hermann L. und gegenseitigem Vertrauen“, nicht zu wiederholen, zum an- Brill (SPD), Staatssekre­ so erinnert sich Kultusminister deren in der bitteren Erfahrung tär und Chef der Staats­ Stein, „leiteten die Minister ihre von zwölf Jahren Unrecht sowie kanzlei. Ressorts. Die Kabinettssitzungen in dem unbedingten Willen zum waren sachlich und auch bei Mei- gemeinsamen Wiederaufbau der nungsverschiedenheiten frei von Demokratie. persönlichen Auseinanderset- Auch im parlamentarischen Le- zungen. Dazu trugen einmal die ben blieben die extremen Kon- leidvollen Erfahrungen der Kabi- flikte aus. Die Erfahrung von nettskollegen in der Nazizeit bei. Diktatur, Verfolgung und Wi- Sie schätzten die gemeinsame derstand, die ein Teil der Abge- Verantwortung, das Verbindende ordneten des ersten hessischen höher als das Trennende. Wogen Landtages während der NS-Zeit waren schnell geglättet.“62 Mit gemacht hatte, trug zu einem Werner Hilpert (CDU) als Finanz- betont fairen Stil in der parlamen- minister und (SPD) tarischen Auseinandersetzung, als Chef der Staatskanzlei agier- zu einem sachlichen politischen ten in der hessischen Regierung Diskurs bei, auch wenn die Inte- zwei Männer, die gemeinsam ressen unterschiedlich lagen. Der Polis 43 im KZ Buchenwald gelitten und Respekt vor dem politischen Wi- dort einem Volksfrontkomitee dersacher bewirkte einen weit- angehört hatten, das als konspi- gehenden Verzicht auf Polemik

62 Stein, Stock, S. 287. 63 Pappert, Hilpert, S. 21 ff.; Overesch, Brill, S. 287 ff. 48 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 in den Landtagsdebatten.64 Das servativen hessischen LDP/FDP hieß allerdings nicht, dass die nicht zur Debatte. Nun, die Koa- Arbeit im Parlament, in der Werk- lition war so vital, dass sie einige statt der Demokratie, von ste- „Bewölkungen“ ertragen konn- tiger Harmonie und Gleichklang te.67 Zu Beginn des Jahres 1950 gekennzeichnet war. hatten sich, so schreibt Kultusmi- Neben Differenzen in Sachbe- nister Stein, die über der Koalition reichen waren es personalpo- schwebenden „Gewitterwolken“ litische Fragen, die das Koaliti- zwar verzogen, doch stand immer onsklima eintrübten. Die wohl noch „die Sonne […] hinter den 68 schwerste Krise folgte nach den Wolken“. Das koalitionsinterne Kreistagswahlen im Mai 1948, als Klima wurde zum Ende hin merk- die in einer Koalitionsvereinba- lich kühler. rung festgeschriebene Auftei- Obwohl das Kabinett Geiler po- lung sämtlicher Landratsposten litisch äußerst heterogen be- zwischen SPD und CDU von ein- setzt war und die nachfolgende zelnen Gliederungen beider Par- SPD/CDU-Koalition einige Krisen teien in den Kreisen torpediert zu meistern hatte, brachten die wurde, so dass es schon eines ersten beiden Nachkriegsregie- Kraftaktes der Parteispitzen be- rungen einige richtungweisende durfte, um die Koalition am Leben Reformen auf den Weg – immer zu erhalten.65 Auch wenn führen- mit Blick auf das verhängnisvolle de Christdemokraten es mitunter Scheitern von 1933. Das Bestre- als „vergebliche Liebesmühen“ ben, Lehren aus der Vergangen- bezeichneten, an der Koalitionsre- heit zu ziehen, führte unweiger- gierung festzuhalten66, so blieben lich zu der Frage: Was sollte mit sie bei der Stange, auch und vor denen geschehen, die als Toten- allem in dem Bewusstsein, dass gräber der Republik und als Stüt- nach einer Sprengung der Koaliti- zen und Nutznießer des Unrechts- on die eigene Partei wohl auf die regimes fungiert hatten? Das ist Oppositionsbänke verbannt wor- ein grundlegendes Problem von den wäre. Andererseits war die Gesellschaften im Umbruch von Sozialdemokratie auf die CDU als der Diktatur zur Demokratie. Partner angewiesen, denn für sie Im Zentrum einer Abrechnung mit stand eine Koalition mit der KPD dem nationalsozialistischen Sys­ oder gar mit der auf dem äußers­ tem stand die Entnazifizierung. ten rechten Flügel stehenden kon- „Who was a Nazi?“ lautete der Ti-

64 Vgl. die Einleitung von Kropat zu: Entnazifizierung – Mitbestimmung – Schul- geldfreiheit, S. 41.

65 Mühlhausen, Hessen 1945–1950, S. 516 ff. Polis 43 66 So der CDU-Fraktionsvorsitzende Heinrich von Brentano in einem Brief an Kul- tusminister Stein vom 21. Januar 1948; Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesba- den, Nachlass Erwin Stein 27. Vgl. auch Mühlhausen, Brentano, S. 79 f. 67 So Brentano vor dem Landtag am 14. August 1947; zitiert ebd. 68 So Stein an Ministerpräsident Stock, 28. Januar 1950; Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Nachlass Christian Stock 95; vgl. Mühlhausen, Stein, S. 40. 49 Walter Mühlhausen

Oben links: Eine lokale nationalsozialistische Größe wird verhaftet: Der Oben rechts: Der „einfachste“ Teil der Ent­ NSDAP-Kreisleiter von Offenbach (3. v.r.) wird wenige Wochen nach nazifizierung: Amerikanische Soldaten Kriegsende von US-Soldaten abgeführt. fahren triumphierend ein Hitler-Bildnis auf ihrem Jeep durch Fulda.

Ein kleines Symbol der „Entnazifizierung“: Die in der sogenannten Pogrom­ nacht vom 9. November 1938 weitgehend unzer­ stört gebliebene, von den Nationalsozialisten dann zweckentfremdete und beschädigte Synagoge in Bad Nauheim wird auf Befehl des amerika­ nischen Ortskomman­ danten wieder hergerich­ tet. Die Instandsetzungs­ arbeiten müssen Natio­ nalsozialisten verrichten. Bereits am 27. April 1945 hält ein amerikanischer

FeldrabbinerPolis 43 den ersten Gottesdienst. Das Foto dokumentiert dieses Er­ eignis.

50 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 tel eines Handbuches der Militär- regierung. War allein diese Frage nur schwerlich zu beantworten, so war es noch schwieriger, die ak- tiven Nationalsozialisten auch der gerechten Strafe zuzuführen.69 In den ersten Monaten der Besat- zung hatten die Militärbehörden öffentliche Verwaltungen und Wirtschaftsunternehmen von ak- tiven Nationalsozialisten gesäu- bert und die führenden Köpfe des Regimes – soweit man ihrer habhaft wurde – inhaftiert. Allein im Internierungslager Darmstadt, das im Herbst 1946 in deutsche Zuständigkeit überging, waren auf dem Höhepunkt bis zu 28.000 NS-Funktionäre in Gewahrsam, freilich nicht nur aus Hessen. 1945/46 wurden in Hessen ein Viertel der leitenden Angestell- ten in der privaten Wirtschaft und mehr als die Hälfte der Beamten aus politischen Gründen ent- lassen. Die umfangreichen Ent- lassungen in den Verwaltungen durch die Amerikaner boten die Chance zu einem grundle- genden personellen Neuanfang im öffentlichen Dienst, die von den hessischen Verantwortlichen genutzt wurde. In der ersten Zeit aber erwies es sich als schwie- rig, geeigneten Ersatz für die va- kanten Stellen zu finden: „Wir ha- ben allmählich niemanden mehr. Der Personalmangel wird immer Dilemma des Verwaltungsauf- Gesetz Nr. 8 der amerika­ schlimmer“, notierte Bergsträs- baus, dass das Personal zugleich nischen Militärregierung ser im März 1946 in sein Tage- fachlich qualifiziert und politisch zur Entnazifizierung der buch.70 Damit unterstrich er das einwandfrei sein musste. Die Wirtschaft vom 26. Sep­Polis 43 tember 1945. 69 Vgl. zur Entnazifizierung im Detail: Schuster, Entnazifizierung. Einen sehr guten Einstieg bietet die Einleitung von Kropat zu: Entnazifizierung – Mitbestimmung – Schulgeldfreiheit, S. 224. Siehe differenziert zu den Auswirkungen der Entna- zifizierung: Kropat, Entnazifizierung und Reform.

70 Unter dem 18. März 1946; Bergsträsser, Befreiung, S. 103. 51 Walter Mühlhausen

Worte dokumentieren zugleich rauf abzielte, die kleinen nomi- die Verärgerung über personal- nellen Parteigenossen nach einer politische Entscheidungen der finanziellen Sühne wieder in ihren Militärregierung, die für die deut- Beruf, aus dem sie von den Ame- sche Seite oft unverständlich wa- rikanern entfernt worden waren, ren, beruhten sie doch mitunter zu bringen, damit sie über die be- auf persönlichen Differenzen und rufliche Integration den Weg in lagen abseits des unabdingbaren die demokratische Gesellschaft personellen Revirements im Zuge fänden. Nur zu gut war Zinn wohl der Entnazifizierung, der sich in Erinnerung, dass die Republik die Deutschen sehr wohl stellen von Weimar von breiten Kreisen wollten. im konservativen Bürgertum und Die Amerikaner dachten formalis­ in der kommunistischen Arbei- tischer als die Deutschen in der terbewegung abgelehnt worden Beurteilung, wer nun ein Nazi war. und dass die Demokratie auch Sie nahmen die Parteizugehörig- daran zerbrochen war. Das sollte keit zum grundlegenden Maß- sich mit den Millionen von Mitläu- stab und ließen jeden erwachse- fern nicht wiederholen. Wie sollte nen Deutschen den berühmt-be- dieser kleine Parteigenosse, der rüchtigten Fragebogen ausfüllen. Mitläufer, der vielleicht nur aus Demgegenüber wollten die Deut- purem Opportunismus, in der schen die individuelle Schuld Sorge um den Erhalt seiner Ar- überprüfen, und das mit gutem beit, ohne den Hauch einer inne- Grund, denn viele Nutznießer ren Überzeugung in die NSDAP des Nationalsozialismus hatten ja eingetreten war, denn für die gar nicht das braune Parteibuch neue Demokratie gewonnen wer- besessen. Karl Geiler betonte den, wenn diese nur Strafe oder bei zahlreichen Gelegenheiten, Berufsverbot für ihn bereit hielt wie wichtig seiner Regierung die und er andererseits mit ansehen Aufgabe sei, das nationalsozialis- musste, dass die glühenden Na- tische Erbe abzustreifen und eine tionalsozialisten noch ihrer Ver- „geistig-seelische Umformung handlung harrten? Die Amerika- unseres Volkes herbeizuführen“. ner aber zogen hier nicht mit. Das war für ihn eine Erziehungs- Das im Wesentlichen von ame- aufgabe, „wie sie kaum in einer rikanischen Vorstellungen ge- Zeit uns auferlegt war“.71 Sein prägte „Gesetz zur Befreiung Justizminister Georg August Zinn von Nationalsozialismus und präsentierte im Dezember 1945 Militarismus“, das am 5. März einen Gesetzentwurf zur Entnazi- 1946 vom Länderrat der ameri- fizierung, der auf der einen Seite kanischen Zone verabschiedet Polis 43 die Aktivisten und Nutznießer wurde, hielt zur Eingruppierung des Nationalsozialismus konse- der Betroffenen fünf Kategorien quent zur Rechenschaft ziehen (Hauptschuldige, Belastete, Min- wollte, auf der anderen Seite da- derbelastete, Mitläufer und Ent-

52 71 Ansprache am 8. Februar 1946; vgl. Mühlhausen, Geiler und Stock, S. 57. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 lastete) bereit. Hierüber hatte herige Praxis der Massenan- eine deutsche Spruchkammer zu klage, die sich nun auch in dem entscheiden. Die Entnazifizierung neuen Gesetz niederschlug, zu war damit in ein neues Stadium überwinden. Es lag im Interesse getreten: Die Deutschen wurden der Deutschen, die Starrheit des nun in die Verfahrensabwicklung von den Amerikanern diktierten eingeschaltet, gleichzeitig aber Schematismus zu überwinden. die starren Kategorien der Ame- Doch die Hessen mussten stets rikaner festgeschrieben. Von den erfahren, dass die Amerikaner in Hessen etwa 3,3 Millionen Mel- auf konsequente Durchführung depflichtigen fielen 950.000 un- pochten und sich Modifikationen ter das Gesetz. gegenüber wenig aufgeschlos- Angesichts der Fülle von Ver- sen zeigten, ja sogar auf dem fahren waren die Gerichte über- Höhepunkt der Auseinanderset- lastet, so dass die Hauptverant- zungen den Deutschen drohten, wortlichen, die man eigentlich zur die ganze Angelegenheit wieder Rechenschaft ziehen wollte, erst in die eigenen Hände zu nehmen. viel später vor die Spruchkammer Dies gab General Clay auf einer gestellt und dann oft rein gewa- Tagung des Länderrats im No- schen wurden. Bald machte nicht vember 1946 zu verstehen. ohne Berechtigung das bekannte Unbeirrt forderten die deutschen Wort von den Kleinen, die ge- Verantwortlichen, das Verfahren henkt würden, und den Großen, zu vereinfachen, um die Haupt- die man laufen lasse, die Runde. schuldigen zur Rechenschaft Es kursierten spöttische Witze, ziehen zu können, und nicht den die so oder ähnlich in den Berich- kleinen Mitläufer. Das Drängen ten der Militärregierung zu finden auf Modifikation hatte mit Nach- waren: „Was ist der Unterschied sicht gegenüber den schuldigen zwischen einem Fischernetz und Nationalsozialisten nichts zu tun; der Entnazifizierung? Beim Fi- wer jahrelang wie Hilpert und Brill schernetz schlüpfen die Kleinen im KZ gelitten hatte, wer wie Stein durch, bei der Entnazifizierung seine Frau verloren hatte, als sie die Großen.“ – die zum evangelischen Glauben Auch wenn zwei Amnestien die konvertierte Jüdin – sich 1943 an- Zahl der Betroffenen erheb- gesichts der bevorstehenden De- lich reduzierten und nur noch portation und des sicheren Todes etwa 175.000 Personen vor die durch die Gaskammer in den Frei- Spruchkammern mussten, so tod gestürzt hatte72, der wollte entwickelte sich die Entnazifizie- keine Weißwaschung, sondern rung in der Folgezeit zu einem Gerechtigkeit. Die Hessen waren Polis 43 Dauerthema der Kabinettsbe- fest entschlossen, die Rädelsfüh- sprechungen. In der Regierung rer der nationalsozialistischen herrschte Einmütigkeit, die bis- Gewaltherrschaft und ihre Hel-

72 Vgl. Mühlhausen, Stein, S. 22. 53 Walter Mühlhausen

fershelfer zur Verantwortung zu der auf Befehl eines Vorgesetzten ziehen, ihren Einfluss in Staat und oder einer übergeordneten Insti- Wirtschaft endgültig zu beseiti- tution gehandelt hatte, nicht von gen und sie zur Wiedergutma- der Verantwortlichkeit für sein chung zu verpflichten. Mit ihren Tun entbunden war. So wurden Mahnungen zur Modifikation fan- auf der Basis dieses Gesetzes den die Deutschen aber erst spät bis 1950 über 200 Verfahren im Gehör bei der Besatzungsmacht, Zusammenhang mit der Reichs- die zunächst lediglich Verfahrens- pogromnacht 1938, als die Sy- änderungen erlaubt hatte. Erst im nagogen gebrannt hatten, ab- Frühjahr 1948, als die Amerikaner geschlossen und die Täter einer im Zuge des Ost-West-Konfliktes gerechten Strafe zugeführt.73 Die die Entnazifizierung, die ohnehin zunächst in der ersten Zeit von weitgehend abgeschlossen war, den Strafverfolgungsbehörden beendet sehen wollten, kam es zu engagiert geführten und von der einschneidenden Änderungen. Öffentlichkeit mit großem Inte- Auch die Deutschen wollten das resse verfolgten Verfahren sollten leidige Kapitel abschließen; der auch Zeugnis ablegen, dass die anfängliche Enthusiasmus war Deutschen zu einer geistigen, dahin. Zu diesem Zeitpunkt waren moralischen und juristischen Aus- die Kleinen vor Gericht gestellt einandersetzung mit der NS-Ver- und bestraft worden. Die Großen gangenheit fähig waren. Doch am kamen erst jetzt an die Reihe und Ende der Besatzungszeit wurde mit vergleichsweise milden Stra- das Verständnis für die Täter grö- fen davon. ßer. Wie bei der Entnazifizierung Einen ähnlichen Weg nahm auch galt: Je später die Täter vor Ge- die Strafverfolgung von Tätern. richt gestellt wurden, desto ge- 74 Neben einer besonderen Betreu- ringer fielen die Strafen aus. ung der Opfer des Nationalso- Die Abrechnung mit der Vergan- zialismus, unter anderem durch genheit war die eine Seite, die einen im Juni 1946 eingerichteten Rückkehr zur Demokratie die an- Fürsorgefonds, wandte sich die dere. In der Analyse der Vergan- Landesregierung auch der Süh- genheit, in dem Bestreben, die ne, der Verfolgung der Täter, zu. Lehren aus dem Scheitern der Schon im Mai 1946 verabschie- Weimarer Republik zu ziehen, dete sie ein Gesetz, nach dem galten sozial- und wirtschafts- eine Verjährung von Straftaten politische Reformen – mehr oder während der NS-Herrschaft, die minder konkretisiert, mehr oder aus politischen, rassistischen und minder tief greifend – über alle religionsfeindlichen Gründen be­ Parteigrenzen hinweg als uner- Polis 43 gangen worden waren, ausdrück- lässlich für ein dauerhaft demo- lich aufgehoben wurde. Im Gesetz kratisches Deutschland. Einige hieß es weiterhin, dass derjenige, dieser Reformen konnten aller-

73 Kropat, Hessens Weg, S. 186 f.

54 74 Vgl. im Überblick: Kropat, Kristallnacht, S. 247 ff. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 dings nur in Ansätzen verwirkli- cht werden, weil zum einen der anfängliche programmatische Konsens zwischen SPD und CDU zerbrach und zum anderen die Besatzungsmacht restriktiv eingriff. Beispielhaft verlief die Geschichte des hessischen Be- triebsrätegesetzes.75 Das im Mai 1948 vom Wiesbadener Landtag mit den Stimmen von SPD, CDU und KPD verabschiedete Gesetz sicherte den Betriebsräten um- fassende soziale, personelle und wirtschaftliche Mitbestimmungs- rechte. Dabei hatten sich die bei- den Regierungsparteien weit- gehend geräuschlos auf dieses Gesetz geeinigt, wenngleich die CDU die Mitbestimmungsrechte doch ein wenig mehr einge- schränkt sehen wollte. An den wirtschaftlichen Rechten der Ar- beitnehmervertreter entzündete sich nachfolgend eine Auseinan- dersetzung zwischen den hes- sischen Politikern und der ame- rikanischen Besatzungsmacht. Im Vorfeld der Verabschiedung hatte der Fraktionsvorsitzende der CDU, Heinrich von Brentano, die amerikanischen Widerstän- de voraussehend, geraten, das Gesetz am besten doch gleich so zu formulieren, dass es der Mili- tärregierung keine Handhabe zur Ablehnung biete. Denn wenn Abschied von US-Militärgouverneur Lucius das Gesetz nicht die Genehmi- D. Clay am 9. Mai 1949: Ministerpräsident gung der Amerikaner finden Stock (l.) überreicht dem scheidenden Ge­ würde, wäre dies eine Blamage neral (r.) ein Bild; im Hintergrund James R. für den Landtag.76 Auch wenn Newman. Polis 43 sich hinter solchen Ausflüchten der Versuch verbarg, die eige-

75 Vgl. Mühlhausen, Hessen 1945–1950, S. 343 ff.

76 Mühlhausen, Brentano, S. 80. 55 Walter Mühlhausen

ßen- bis zum Kriegsministerium, schalteten sich in die Diskussi- onen ein, wie auf das Gesetz zu reagieren sei. Die amerikanischen Akten zum hessischen Betriebsrätegesetz füllen ganze Regalmeter. Es ging dabei um nicht weniger als um die Frage: Wenn die Deutschen die Demokratie wieder lernen sollten, konnte dann ein demo- kratisch entwickeltes Gesetz so einfach abgelehnt werden? Die Amerikaner wollten unbedingt den Rücktritt der doch recht gut funktionierenden Koalition ver- meiden. Das SPD/CDU-Bündnis sollte nicht durch eine übereilte Aktion in Gefahr gebracht wer- den. Bei einer Ablehnung hätte sie möglicherweise zur Dispositi- on gestanden. Vorsicht war geboten, zumal das Betriebsrätegesetz durch die öffentliche Diskussion ei- nen solchen Stellenwert erhal- ten hatte, dass die Amerikaner die Aktion mit den Hessen ab- sprechen mussten. Langwie- rige Verhandlungen zwischen Besetzten und Besatzern waren die Folge, in denen die deut- Der Amerikaner und der nen Interessen an einem nicht sche Seite alles unter den be- Verfassungsvater: James zu weit reichenden Mitbestim- sonderen Bedingungen einer R. Newman und Ludwig mungsgesetz zu kaschieren, so Besatzungsherrschaft Mögliche Bergsträsser. waren seine Befürchtungen nicht in die Waagschale warf und die unbegründet. Das Kabinett be- Grenzen eigenverantwortlicher schritt den von Brentano anemp- Politik auslotete. Ministerpräsi- fohlenen Weg der Selbstzensur dent Stock drohte gar mit Rück- Polis 43 nicht. Die Amerikaner erblickten tritt, und die Gewerkschaften in weitreichenden Mitbestim- spielten ernsthaft mit Gedanken mungsrechten eine Beschnei- an einen Generalstreik. Am 11. dung der unternehmerischen August 1948 einigten sich Clay Freiheit. Auch die Regierungs- und Stock auf die salomonische

56 spitzen in Washington, vom Au- Lösung, das Gesetz zwar zu ge- Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 nehmigen, die zentralen Artikel Steigbügelhalter der National- über die wirtschaftlichen Rech- sozialisten gewesen. Diese In- te der Betriebsräte aber bis zur terpretation teilten auch einige Konstituierung der Bundesrepu- Christdemokraten, die allerdings blik zu suspendieren. Diese Lö- in der Sozialisierung nicht so sung eröffnete Stock die Chance, weit wie die SPD gehen wollten. ohne Gesichtsverlust im Amt zu Hatte sich die Landesversamm- bleiben. Das Kabinett folgte der lung erfolgreich gegen amerika- Entscheidung. Stocks Worte vor nische Einwirkungsversuche bei dem Landtag führten die einge- der Formulierung des Artikels 41 schränkten Souveränitätsrechte zur Wehr gesetzt, so suchten die nochmals vor Augen, wenn er Amerikaner eine Ausführung der eingestand: „Vergessen wir auch Verfassungsbestimmung zu ver- in dieser Stunde nicht, dass wir hindern. Doch für das Scheitern ein von einer Militärmacht be- der Sozialisierung war die Besat- setztes Land und in unseren zungsmacht nicht allein verant- Handlungen nicht vollkommen wortlich. Die CDU, die 1946 mit frei sind. [...] Politik ist die Kunst einigen Bedenken der Sozialisie- des Möglichen.“77 Zwar wurden rung im Verfassungskompromiss nach der Etablierung der Bun- zugestimmt hatte, wollte später desregierung die suspendierten von einer Umsetzung der Sozia- Artikel im April 1950 in Kraft ge- lisierung nichts mehr wissen. Die setzt, doch das bundeseinheit- Christdemokraten ließen keine liche Betriebsverfassungsgesetz Zweifel daran, dass Artikel 41 blieb weit hinter den hessischen die Grenze der eigenen Zielvor- Regelungen zurück. Als Bun- stellungen im Bereich der Wirt- desgesetz überwölbte es das schaftsorganisation bedeutete. Landesgesetz. So blieb das hes- Demgegenüber stellte die Ver- sische Gesetz nur Makulatur. fassungsbestimmung für die SPD Die Hessen hatten hier die Erfah- lediglich den Ausgangspunkt rung machen müssen, dass trotz für eine wirtschaftliche Neuord- Verfassung und Landtagswahlen nung dar. Das vom sozialdemo- deutsche Politik durch die Inte- kratischen Wirtschaftsminister ressen der Besatzungsmacht be- Harald Koch verfochtene Modell grenzt war. Diese spielten auch der Sozialgemeinschaften, mit beim Scheitern der Sozialisie- dem die sozialisierten Betriebe rung eine Rolle.78 Die SPD wollte in eine neue Unternehmensform in der Erkenntnis der engen Ver- gegossen werden sollten, stieß flechtung von NSDAP und Groß- auf Ablehnung bei der CDU, fand

industrie die Monopole brechen. aber auch in den Reihen der SPD Polis 43 Die Großindustrie war für sie der keine ungeteilte Zustimmung.

77 Zitiert bei: Mühlhausen, Hessen 1945–1950, S. 385. 78 Zur hessischen Sozialisierung vgl. einführend: Mühlhausen, Hessen 1945–1950, S. 426 ff., und (zu) detailliert Heiden, Sozialisierungspolitik; siehe auch zuletzt den Überblick bei: Kropat, Wirtschaftsminister Harald Koch. 57 Walter Mühlhausen

Die Liberalen bliesen zur Gegen- keitsstaatlicher Mentalitäten und offensive und entfachten einen des Untertanengeistes, die Aus- umfangreichen Gutachterkrieg. merzung der alten autoritären Die Besatzungsmacht entzog den und republikfeindlichen Büro- Deutschen kurzerhand das Verfü- kratie der Weimarer Zeit und des gungsrecht über die von der So- Nationalsozialismus, an deren zialisierung betroffene Eisen- und Stelle eine volksnahe Verwaltung Stahlerzeugung sowie über den treten sollte. „Der Geist der De- Kohlebergbau. Jetzt betraf die So- mokratie“ sollte auch in die Amts- zialisierung nur noch ganz wenige stuben einziehen, wie es Stock in Betriebe. Das Gesetz über die So- seiner ersten Regierungserklä- zialgemeinschaften war so in sei- rung am 6. Januar 1947 prägnant nen Grundfesten erschüttert. Im formulierte.80 Amerikaner und Oktober 1950 kam es zum Eklat: Deutsche gingen einig, dass im Bei Stimmengleichheit stürzte das bildungspolitischen Bereich eine Gesetz im Landtag. Den Ja-Stim- grundlegende Reform vonnö- men von SPD und KPD stand die ten war. Sie teilten die Meinung, gleiche Anzahl von Nein-Stimmen dass im deutschen Schulsystem von CDU und FDP gegenüber.79 ein hohes Maß an Mitverantwor- Was folgte, war ein lästiger recht- tung für die NS-Diktatur begrün- licher Hickhack, bevor die Sozia- det war. Im Zentrum der von den lisierung in der wirtschaftlichen Amerikanern forcierten „Reeduca­ Aufschwungphase im Zeichen tion“ stand – als prägender So- der sozialen Marktwirtschaft end- zialisationsort außerhalb des El- gültig zu Grabe getragen wurde. ternhauses – die Schule, die als Soweit zu den wirtschafts- und so- zentrales Steuerungsinstrument zialpolitischen Reformen, die vor für die Erziehung zur Demokratie allem von der Sozialdemokratie begriffen wurde. Während nun verfochten wurden. die Besatzungsmacht zuvorderst Gemeinsam war Deutschen und auf eine organisatorische Neue- Amerikanern die Forcierung ei- rung drängte, auf Überwindung ner geistig-moralischen Erneu- des althergebrachten dreiglied- erung, die Erziehung der Deut- rigen deutschen Schulsystems, schen zu demokratisch geschul- setzte der christdemokratische ten Bürgern. Eine Erziehung im Kultusminister Stein und mit ihm demokratischen Geiste wurde die hessische Landesregierung als wahrhafte Denazifizierung den Schwerpunkt auf eine innere des Volkes gesehen, wie es Mi- Reform. Steins Triebfeder waren nisterpräsident Stock einmal auf hierbei Christentum und Huma- den Punkt brachte. Zur geistigen nismus. Diese Rückbesinnung Polis 43 Erneuerung zählte im weitesten war das Resultat seiner Analyse Sinne auch der Abbau obrig- des Nationalsozialismus, den er

79 Die entscheidende Sitzung am 25. Oktober 1950 ist abgedruckt in: Entnazifi- zierung – Mitbestimmung – Schulgeldfreiheit, S. 209 ff. 80 Abgedruckt ebd., S. 59. 58 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Eintracht trotz Meinungs­ verschiedenheiten: James R. Newman, Di­ rektor der Militärregie­ rung in Hessen, und der hessische Kultusmini­ ster Erwin Stein im Juni 1947.

als Produkt einer fundamentalen den Staat und das öffentliche Krise des überlieferten Normen- Leben mit christlicher Substanz und Wertesystems, als Resultat erfüllen, werden wir die Säku- des Verfalls sittlicher Grundwerte larisierung unserer gesamten sah.81 Daraus leitete er die For- Lebensbereiche überwinden.“82 derung zur Erziehung in christ- Die eindringliche Mahnung zu lichem und humanistischem einer christlichen Rückbesin- Polis 43 Geist ab. Steins Movens war eine nung fand ihren sichtbarsten tiefe Religiosität: „Nur wenn wir Niederschlag im Schulgebets-

81 Vgl. Zilien, Bildung, S. 56.

82 So Stein 1950; vgl. (auch zum Folgenden): Mühlhausen, Stein, S. 41 ff. 59 Walter Mühlhausen

erlass vom Mai 1947, nach dem Diese Erkenntnisse hatte Berg- der Unterricht mit einem Gebet strässer schon während des oder einem geistigen Lied zu Krieges formuliert. Seine Vor- beginnen und zu beenden war. stellungen vom Bildungswesen Damit überspannte Stein in den im neuen Deutschland hatte er Augen des Koalitionspartners in einer weiteren Denkschrift für den Bogen, aber der Erlass war Leuschner mit dem Titel „Wis- ihm so wichtig, dass er der SPD senschaftsprobleme“ niederge- mit Sprengung des Kabinetts legt.84 In diesem Memorandum drohte, falls diese im Landtag aus dem Jahr 1943 setzte er sich mit der KPD für Aufhebung des sehr kritisch mit dem Bildungsbe- Erlasses stimmen würde. An die- reich auseinander. Es muss heute ser Frage wollte die SPD aber befremdlich wirken, dass er eine nicht die bis dahin doch recht staatliche Lenkung der Wissen- gut funktionierende Koalition schaft forderte. Ausgangspunkt platzen lassen. war dabei die Einschätzung, dass Steins zentrales Interesse galt die Wissenschaft in der Weima- vor allem dem Geschichts- und rer Republik im „unerträglichen dem Politischen Unterricht, die Maße frei vom Staate“ gewesen er als Träger der moralischen, sei. Die Freiheit der Wissenschaft geistigen und politischen Erzie- habe seinerzeit dazu geführt, hung des Kindes definierte und dass ausgerechnet die gegen als Medium zur Ausmerzung den Staat eingestellten Kräfte in nationalsozialistischen Gedan- den Wissenschaftsinstitutionen kengutes, das sich als hartnäckig ungehindert ihrem Treiben nach- erwies. Nach einer im November gehen konnten. Das könne nicht 1946 von der Militärregierung in so bleiben, denn von einem Be- Marburg durchgeführten Umfra- amten, „auch von einem wissen- ge unter Schulkindern hielten schaftlichen“, müsse man ver- immerhin noch 51 Prozent den langen, dass er sich zumindest Nationalsozialismus für eine im „nicht gegen den bestehenden Grunde gute, allerdings schlecht Staat“ stelle. Solche Forderung ausgeführte Idee. Dies war kaum speiste sich aus der Analyse der verwunderlich, da Sozialisation deutschen Universitäten in der und Erziehung der Befragten Weimarer Republik, als das Ver- ausschließlich im „Dritten Reich“ unglimpfen der Demokratie und stattgefunden hatten.83 Das Er- der Demokraten Einzug in die gebnis unterstrich die Notwen- Hörsäle gehalten hatte, wo Pro- digkeit einer tief greifenden in- fessoren tosenden Beifall ern- haltlichen Neuorientierung. teten, wenn sie das republika- Polis 43

83 Abgedruckt bei Kropat, Stunde Null 1945/1947, S. 295; vgl. Mühlhausen, Hes- sen 1945–1950, S. 477. 84 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, NL Leuschner 45. Vgl. zum Folgenden: Mühlhausen, Denkschrift, S. 603 ff., dort auch die nachfolgenden Zitate aus

60 der Denkschrift. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 nische Staatsoberhaupt und die neue Republik in rüdester Weise mit Hohn und Spott übersäten.85 Trotz ihres hohen wissenschaft- lichen Ansehens war die deut- sche Universität in Weimar nicht zum Hort der Demokratie gewor- den, schon gar nicht zu einem Zentrum des Widerstandes ge- gen den aufkommenden Natio- nalsozialismus. Viele Universitäts- lehrer hatten sich in den Dienst der Bewegung gestellt und sich nach 1933 mit dem nationalsozi- alistischen Staat identifiziert. Von daher erklärt sich Bergsträssers Forderung nach staatlicher Ein- flussnahme auf die Universitäten. Zu einer umfassenden struktu- rellen Hochschulreform kam es nach 1945 allerdings in Hessen nicht, obwohl das Ansehen der Universitäten schwer gelitten hatte und die Öffentlichkeit so- wie auch die Politik ihnen mit einem berechtigten erheblichen Misstrauen entgegentraten. Die Landesregierung schöpfte als Konsequenz aus dem Versagen der Universitäten gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie die Forderung nach einer De- Zwei Darmstädter Sozialdemokraten unter sich: Regierungspräsident mokratisierung der universitären Ludwig Bergsträsser (l.) und Ministerpräsident Christian Stock, die beide Strukturen und nach einem (zu- schon in der Weimarer Republik Parlamentserfahrungen gesammelt ha­ mindest teilweisen) Revirement ben und die wesentlich die Hessische Verfassung prägen. des Lehrkörpers; denn es war doch ein Unterschied, so Stein am senschaft oder der Menschheit Beginn seiner Amtszeit vor dem im besonderen Grade verant- Landtag, „ob ein kleiner Beam- wortlicher Hochschullehrer die ter unter den Daumenschrauben Würde seines hohen Amtes und der Partei seine Mitgliedschaft seiner Universität durch Nachge- Polis 43 erklärt oder ob ein der Wis- ben gegenüber dem leichtesten

85 Siehe etwa die Aufzeichnungen des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann über von ihm besuchte Vorlesungen in Marburg 1919; Heinemann, Wir müssen Demokraten sein, S. 208. 61 Walter Mühlhausen

Druck preisgegeben hat.“86 sei. Es habe nicht „den Zweck, Nachsicht gegenüber den Uni- Unteroffiziere und Offiziere vor- versitäten und den Professoren zubilden, sondern Staatsbürger war fehl am Platz. In dem Bestre- […]: Kriege sind nur eine Seite der ben, eine Demokratisierung der Geschichte und nicht eine sehr Hochschulverfassung und eine lehrreiche“.89 Viel stärker müssten zumindest teilweise Erneuerung Fragen von Politik und Wirtschaft des Lehrkörpers durchzusetzen, Beachtung finden, sollten Kunst führte die Landesregierung ei- und Literatur in die Geschichte nen konsequenten Kampf. Die einbezogen werden. Er betrach- Universitäten hielten dagegen tete es als vordringlich, unmittel- und verließen letztlich als Sieger bar über die jüngste Geschichte das Feld.87 aufzuklären. So hoffte er nach Zentralen Stellenwert hatte Berg- dem Krieg – allerdings vergeb- strässer in seiner Kriegsdenk- lich –, die Akten der Nürnberger schrift der Neuorganisation der Kriegsverbrecherprozesse um- höheren Schulen beigemessen, gehend nach deren Abschluss die ausschließlich auf die Hoch- publizieren zu können. Bereits schule vorbereiten sollten. Denn 1943 hatte er in der Denkschrift er erblickte den Kardinalfehler über Wissenschaftsprobleme ge- darin, dass der Übergang von der fordert, „sofort die Archive der Schule zur Hochschule zu schroff NSDAP und ihrer Gliederungen sei, ein viel zu abrupter Sprung und Formationen zu sichern“ und von der „autoritären Gestaltung sie auch sofort durch geeignete des Unterrichts zur geistigen Wissenschaftler zu bearbeiten, Selbstständigkeit“.88 Daher emp- um über die Schuld des Hitler- fahl er, dass in den letzten Jahr- Deutschlands aufzuklären und gängen des Gymnasiums einzel- dadurch die neue demokratische ne Unterrichtsfächer zugunsten Regierung von den Hypotheken allgemeiner, das selbstständige des alten Regimes zu entbin- Denken fördernde Themen zu- den.90 Für ihn war das die histo- rücktreten sollten. Eine wichtige rische Lektion aus den Versäum- Funktion bei der Herausbildung nissen in der Revolution von 1918 eines demokratisch geschulten und den ersten Jahren der Wei- Mitbürgers wies der Historiker marer Republik, als die republika- Bergsträsser dem Fach Geschich- nische Regierung mit dem Erbe te zu, welches einer grundle- des Hohenzollernreiches belastet genden Revision zu unterziehen worden war, weil sie – wider bes-

86 Landtagsrede vom 19. März 1947 in: Entnazifizierung – Mitbestimmung – Schul-

Polis 43 geldfreiheit, S. 127. 87 Vgl. zur Hochschulpolitik insbesondere: Kropat, Konflikt. Dazu auch der ent- sprechende Abschnitt über die Hochschulreform in: Entnazifizierung – Mitbe- stimmung – Schulgeldfreiheit, S. 115 ff. 88 Mühlhausen, Denkschrift, S. 604. 89 Ebd., S. 604.

62 90 Ebd., S. 606. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 seren Wissens – nicht die Schuld tischen Kontext in den Vorder- des Kaiserreiches am Weltkrieg grund schob. Wie fortschrittlich eingestanden, nicht mal eine Of- ein solcher Lehrplan, der die fensive der Ehrlichkeit in Sachen Behandlung des Nationalsozialis- Kriegsschuld initiiert hatte. mus und seiner geschichtlichen „Angelpunkt der Schulreform“ Wurzeln zur Aufgabe machte, zu war für Bergsträsser ein eigen- diesem Zeitpunkt war, wird deut- ständiges Fach Staatsbürgerkun- lich, wenn man daran erinnert, de, denn ein breites staatsbür- dass zur gleichen Zeit, als die gerliches Bildungswesen habe Hessen neue Wege beschritten, die Grundlage zu schaffen, auf von Freiburger Historikern 1947 dem ein parlamentarisches Sys­ ein Vorschlag für Richtlinien des tem reifen und bestehen kön- Geschichtsunterrichts publiziert ne.91 Diese Zielsetzung blieb bei wurde. Darin wurde für die Be- ihm Konstante seines politischen handlung der Zeit nach 1914, „de- Handelns auch in der Nachkriegs- ren historische Probleme noch zeit. Als Regierungspräsident von sehr vielfach ruhig-objektiver Klä- Darmstadt erhob er im Oktober rung durch die wissenschaftliche 1945 den staatsbürgerlichen Un- Forschung bedürfen“, ein „mög- terricht (später Politischer Unter- lichst nüchtern-sachlicher Bericht richt genannt) zum Pflichtfach mit unbestreitbarer Tatsachen“ emp- zwei Wochenstunden ab dem 7. fohlen. Sie wollten also eine rein Schuljahr. Alle strukturellen Maß- faktische Darstellung der neue- nahmen seien jedoch ohne neue ren Geschichte, nicht erörternd ideelle Werte unwirksam, ohne und nicht beurteilend – bissiger den „Geist der Humanität, des Zu- (und treffender) Kommentar zu sammenlebens aller Menschen, solchen Vorschlägen von Ludwig der Toleranz, des Idealismus“ Bergsträsser in seinem Tagebuch: – kurz und knapp: „Humboldt ge- „Sie wollen offenbar nicht an den gen Hindenburg und Hitler, das dreckigen Hindenburg heran. ist die Parole.“92 Voller Blödsinn.“93 Gerade mit dem Sozialdemo- Zu den Bestrebungen, Kennt- kraten Bergsträsser wusste sich nisse der jüngsten Geschichte zu Kultusminister Stein einig. Ein vermitteln und ein Geschichts- neuer Geschichtsunterricht wur- bewusstsein zu fördern, gehörte de in Hessen angeordnet, der auch der Erlass des hessischen auch die jüngste, die unmittel- Kultusministeriums vom Dezem- bare Vergangenheit aufgriff und ber 1949 zur Einführung von Geschichte nicht mehr nur als Gedenktagen an den Schulen: Abfolge von Herrschern defi- Danach sollte im Jahr 1950 an Polis 43 nierte, sondern den sozialpoli- Eduard Mörike (75. Todestag),

91 Bergsträsser in seiner Denkschrift „Wiederherstellung“; siehe oben Anm. 1. 92 So in seiner Denkschrift „Wissenschaftsprobleme“; Zitat auch bei Mühlhausen, Denkschrift, S. 604. 93 Bergsträsser, Befreiung, S. 304: Eintragung vom 21./22. Mai 1948. 63 Walter Mühlhausen

Johann Sebastian Bach (200. To- fessor über Innen- und Außenpo- destag) und Conrad Ferdinand litik liest, von jedem aufgeschlos- Meyer (150. Geburtstag) sowie senen und unserer Zeit innerlich auch an Reichspräsident Fried- verbundenen Studierenden auf- rich Ebert (25. Todestag) als dem gesucht wird. Die akademische ersten demokratischen Staats­ Jugend soll nicht neben der Po- oberhaupt in der deutschen Ge- litik aufwachsen und im Politiker schichte gedacht werden. einen Feind des Geistes und der Neben dem neuen Curriculum Wissenschaft sehen. Sie soll er- für den Geschichtsunterricht kennen, dass der künftige Rich- legte Hessen besonderen Wert ter, der Studienrat und der Arzt auf einen Politischen Unterricht in ihre hohe Aufgabe nur erfüllen bewusster Abkehr von der alten können, wenn sie den politischen Staatsbürgerkunde, die system- und gesellschaftlichen Erschei- konform und nicht systemkritisch nungen in Vergangenheit und angelegt war. Politischer Unter- Gegenwart Verständnis entge- richt besaß als Ziel den mün- genbringen und wenn sie schon digen, politisch sensiblen Bür- von Jugend auf versuchen, die 95 ger, die Entwicklung zur „sozial Welt zu verstehen.“ gerichteten Persönlichkeit“, wie Die Hessen erkannten die Zei- es in den Richtlinien des neuen chen der Zeit; sie betraten hier Faches vom August 1948 hieß.94 Neuland in der Umsetzung ei- Politische Bildung in der Schule ner gegenwartsbezogenen po- setzte politische Schulung in den litischen und sozialen Erziehung. Universitäten voraus. Wegberei- Hier hinein spielten auch die tenden Charakter im Nachkriegs- Bestrebungen, einen Verfas- deutschland besaß die vom Wies- sungspatriotismus zu erwecken. badener Kabinett im April 1948 Kultusminister Stein als einer der beschlossene Errichtung von Väter der hessischen Verfassung Lehrstühlen für Politik, was zu die- wusste nur zu genau, dass eine sem Zeitpunkt einzigartig in den Verfassung lediglich geschrie- Westzonen war. Stock verkünde- benes Recht war und dass sie vor te am 18. Mai 1948 anlässlich der allem „gelebt“ werden musste. Hundertjahrfeier der Frankfurter Per Erlass verfügte er 1948, dass Paulskirchenversammlung die in allen Schulen Hessens der Errichtung von Politiklehrstühlen Verfassungstag am 1. Dezember an den drei hessischen Hoch- feierlich zu begehen sei.96 Dies schulen Frankfurt, Marburg und geschah mit Blick auf die Erfah- Darmstadt: „Wir wünschen […], rungen in der ersten Republik, dass der Hörsaal, in dem ein Pro- wo die Verfassungsfeiern auf Polis 43

94 Vgl.: Kropat, Schulreform, S. 554. Die Lehrpläne vom 21. August 1948 in: Schulte, Schule, S. 134. 95 Zitiert bei: Mühlhausen, Geiler und Stock, S. 119 f. Vgl. zur Errichtung der Lehr- stühle detailliert: Mohr, Entstehung.

64 96 Erlass vom 10. November 1948; vgl. Mühlhausen, Stein, S. 28. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 mangelnde Resonanz getroffen beit, ebenso mit der Verankerung waren. In der in verschiedene der Schülermitverwaltung97, wel- Milieus segmentierten Weima- che die Maßnahmen zur demo- rer Gesellschaft, die zudem in kratischen Bildung in der Schule Demokraten, Monarchisten und abrundete. Hier war Hessen Vor- – mittendrin – Vernunftrepubli- reiter und für die Westzonen bei- kaner gespalten war, hatte es spielgebend.98 nicht gelingen können, einen Den unbestreitbaren Erfolgen auf partei- und klassenübergreifen- den Feldern der „inneren Neu- den Verfassungspatriotismus zu orientierung“ der Schule stand implementieren. Der 11. August, jedoch ein Versanden schulor- der Tag, an dem Reichspräsi- ganisatorischer Planungen ge- dent Friedrich Ebert 1919 im genüber.99 Der Beginn der hes- thüringischen Schwarzburg die sischen Bemühungen fiel genau Verfassung unterzeichnet hatte, in die Zeit, als von amerikanischer war nicht zum Nationalfeiertag Seite auf eine grundlegende erhoben worden. Die Veranstal- Umwälzung des dreigliedrigen tungen an diesem Tag waren Schulsystems gedrängt wurde. nur für den demokratischen Teil Ausgangspunkt hierfür war eine der Gesellschaft zur republika- amerikanische Delegation von nischen Heerschau genutzt wor- Schulexperten, die nach Ab- den; die Republikgegner hatten schluss ihrer Mission durch das diesen Tag und die Feiern tun- besetzte Deutschland einen lichst gemieden. Bericht vorlegte, der als Basis Geleitet waren die Hessen in ihren für die Schulpolitik der Besat- Bemühungen um inhaltliche Neu- zungsmacht in der Folgezeit zu orientierung in der Schule von sehen ist. Die als „Zook-Report“ der Erkenntnis, dass politische bekannt gewordene Stellung- Bildung die Grundlagen schaffe nahme konzentrierte sich in der für die Heranbildung von demo- Kritik auf die Dreigliederung des kratisch geschulten, mit sozialen Schulwesens, auf die auf vier Jah- und politischen Kompetenzen re limitierte gemeinsame Grund- ausgestatteten Bürgern. Und be- stufe sowie auf die lehrerfixierte reits 1942 hatte Bergsträsser zur Vermittlung althergebrachter, zentralen Forderung für den Be- mit akademischer Tradition be- stand der Demokratie erhoben, frachteter Lerninhalte. Das drei­ dass eine politische Bildung im gliedrige Schulsystem sollte Dienste der Demokratie greifen überwunden und eine Einheits- müsse. Mit den Erlassen zum schule mit sechsjähriger Grund- Geschichts- und Politischen Un- und sechsjähriger Aufbaustufe terricht leistete Hessen Pionierar- geschaffen werden. Das war nicht Polis 43 97 Erlass über die Schülermitverwaltung vom 14. September 1948 in: Schulte, Schule, S. 140. 98 Vgl. Kropat, Schulreform, S. 553. 99 Vgl. Fedler, Anfänge, insbes. S. 26 ff. Im Überblick mit einigen Dokumenten:

Schulte, Schule. 65 Walter Mühlhausen

Die Landesregierung bei einer Besprechung mit der amerikanischen Militärverwaltung 1947; vorn v.r.: Erwin Stein (Kultusminister, CDU), Christian Stock (Minister­ präsident, SPD), Werner Hilpert (Finanzminister, CDU), Gottlob Binder (Befreiungsminister, SPD); dahinter v.r.: Hein­ rich Zinnkann (Innenmi­ nister, SPD), Harald Koch (Wirtschaftsminister, SPD), Karl Lorberg (Land­ wirtschaftsminister, CDU) und Josef Arndgen (Arbeitsminister, CDU). Nicht zu sehen ist Justiz­ minister Georg August Zinn (SPD).

weniger als ein radikaler Umbau finiert wurde. Nur in den ersten des gesamten deutschen Schul- vier Jahren der Grundstufe sollte wesens.100 Auch das hessische es gemeinsamen Unterricht ge- Kultusministerium wollte eine ben; in den Klassen 5 und 6 eröff- neue Schule, war allerdings nicht nete sein Modell die Möglichkeit bereit, so weit zu gehen wie die zu besonderen Sprachkursen in Amerikaner. Steins Projekt der Latein oder Englisch. Die Stein- differenzierten Einheitsschule schen Vorhaben entsprachen lag nur in den groben Zügen auf damit nicht den Vorgaben der der Linie amerikanischer Vorstel- Amerikaner. Aber nicht nur die lungen; beim genauen Hinsehen Besatzungsmacht rieb sich in der aber war in seiner elastischen Folgezeit an den Plänen Steins, Einheitsschule eine Tendenz zur auch der Koalitionspartner setzte Polis 43 Gliederung festzustellen, wobei auf eine Reform im US-amerika- Chancengleichheit als Förde- nischen Sinne. Insgesamt waren rung von Begabten und nicht als aber innerdeutsche Widerstände gleicher Unterricht für alle de- verstärkt zu vernehmen: So stell-

100 Kropat, Schulreform, S. 548. 66 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949 te die Militärregierung im März tion im besatzungspolitischen 1948 nach einer Umfrage unter Recht, aber Dekrete der Militärre- Lehrern fest, dass die Mehrheit gierung würden eben Keime des fast gegen jede Neuerung war, beginnenden demokratischen Le­ wie sie in Steins Plänen zum Aus- bens ersticken. Hier vertrat Stein druck kam. Man prognostizierte pointiert den Standpunkt, dass vielfältige Widerstände bei einer eine Schulreform den parlamen- Umsetzung der ministeriellen Re- tarischen Weg und nicht den des formvorschläge.101 Angesichts besatzungspolitischen Oktrois zu der geringen Fortschritte ging gehen habe. Damit traf er die un- die Militärregierung im Sommer ter demokratischem Sendungs- 1948 in die Offensive und ver- bewusstsein angetretene Besat- langte ultimativ die Umsetzung zungsmacht an empfindlicher ihrer Vorgaben durch das Kultus- Stelle. ministerium. Als nun die Amerikaner im Sommer Stein musste die Erfahrung ma- 1948 auf Umsetzung ihrer Vorstel- chen, dass ein von einer Sieger- lungen drängten, konterte Stein, macht besetztes Land in seinen dass er dies freiwillig nicht durch- Wirkungs- und Entfaltungsmög- führen werde, sondern nur auf lichkeiten nicht frei handeln konn- ausdrücklichen Befehl hin.103 Nun te. Schon im März 1947 hatte er – die Militärregierung, deren Ge- in seiner großen Rede zur Hoch- duld wohl überstrapaziert worden schul- und Bildungspolitik vor war, gab den Befehl und forderte dem Landtag treffend die einge- Taten. Am 9. August traf dann die schränkten Handlungsmöglich- amerikanische Anweisung beim keiten deutscher Politik unter der hessischen Ministerpräsidenten Besatzungsherrschaft umrissen: ein, in der die Militärregierung „Unsere heutige Demokratie [voll- kurz und knapp verfügte, dass zieht] sich unter der Bedingung keine Schüler, die in das fünfte der Besetzung unseres Landes Schuljahr kamen, zur Mittelschule durch fremde Mächte. Nur in den oder zur Höheren Schule kommen Schranken, die uns diese Mächte durften. Die Anweisung bedeute- setzen, können wir uns frei bewe- te konkret die Verlängerung der gen.“102 Gegenüber der Militär- Grundstufe schon mit Datum des regierung verteidigte Stein seine 1. Oktober 1948, dem Beginn des Position und sprach ihr sogar das nächsten Schuljahres. Stein muss- Recht ab, Befehle in Schulfragen te schon alle Register der poli- zu geben. Sie sei zwar aufgrund tischen Kunst ziehen, um sich der der bedingungslosen Kapitula- Ausführung des amerikanischen Polis 43 101 Bericht der Informationsabteilung der amerikanischen Militärregierung in Hessen vom 15. März 1948; vgl. Mühlhausen, Hessen 1945–1950, S. 471. 102 Landtagsrede Steins vom 19. März 1947; in: Entnazifizierung – Mitbestimmung – Schulgeldfreiheit, S. 130. 103 So Stein gegenüber einem Vertreter der Landesmilitärregierung am 26. Juli 1948; vgl. hierzu und zum Folgenden: Mühlhausen, Stein, S. 38 ff. 67 Walter Mühlhausen

Befehls zu widersetzen. Es sollte ter nicht konsequent den Rücken gelingen. Dass die Ergebnisse am stärkte, überhaupt wenig kultus- Ende der ersten Legislaturperi- politische Initiative zeigte. Zudem ode doch ambivalent ausfielen, räumte auch die SPD der Schul- lag zum einen an den auf Tradi- politik im Vergleich zur wirtschaft- tion bedachten schulpolitischen lichen Neuordnung keine Priorität Standesorganisationen, die einen ein. Es war schon symptomatisch steten Kampf für das überkom- für die Haltung der hessischen mene dreigliedrige deutsche Sozialdemokratie, wenn Minister- Schulsystem und gegen jegliche präsident Stock intern im Herbst Neuerung führten, und an den be- 1949 unwidersprochen den Satz sonderen Bedingungen in einem von sich geben konnte: „Ein neues besetzten und von der Militärre- Schulgesetz ist gar nicht so wich- gierung abhängigen Land. Mit- tig, danach fragen nur ein paar verantwortlich war jedoch auch, Lehrer.“104 dass die CDU dem eigenen Minis­

So zeigte sich die hessische Ge- rückkehrten, welches sie in der schichte in den Jahren der Besat- Zeit der Diktatur, um ihr Leben zung als eine Zeit des politischen bangend, aus politischen oder Aufbruchs mit dauerhaften Re- rassistischen Gründen hatten formen, aber auch mit geschei- verlassen müssen – wie etwa der terten Reformversuchen. Wenn- 1938 emigrierte spätere ameri- gleich die Militärregierung die kanische Außenminister Henry Handlungsmöglichkeiten deut- A. Kissinger, der nach dem Zwei- scher Politik begrenzte, so konnte ten Weltkrieg eine Spionageab- sich der Aufbau der Demokratie wehrabteilung an der hessischen nur unter dem Schutzschirm der Bergstraße leitete. Die US-Mili- Amerikaner so rasch vollziehen. tärregierungsoffiziere wussten Die Besatzungsoffiziere waren ungefähr, wo sie hinkamen, sie zum Teil Politikprofessoren und wussten (zumindest in groben Wirtschaftswissenschaftler, die Zügen), was sie in Deutschland auf ihre neue Aufgabe intensiv erwartete. Sie wussten, dass es vorbereitet worden waren. Un- in Deutschland bereits einmal Polis 43 ter ihnen gab es auch emigrierte eine Demokratie gegeben hatte, Deutsche, die in das Land zu- an die man anknüpfen, dass es in

104 Auf einer Sitzung des Bezirksparteivorstandes der SPD Hessen-Süd am 29. Oktober 1949; zitiert bei Mühlhausen, Hessen 1945–1950, S. 463. Dezidiert auch Schmidt, Stock, S. 379: „Stock war kein Bildungspolitiker.“ 68 Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Deutschland überzeugte Demo- kraten gab, mit denen der Neu- aufbau der Demokratie in Angriff genommen werden konnte. Trotz unterschiedlicher Ansichten in Detailfragen und trotz einiger Konflikte zwischen Besatzungs- macht und deutschen Politikern, gab es dennoch Konsens in der Zielrichtung: Es ging um die Er- richtung einer stabilen Demokra- tie, um ein „Nie-Wieder-Hitler“. Aus den einstigen Feinden wur- den bald Mitstreiter im Dienste der Reorganisation eines demo- kratischen Gemeinwesens. Ganz entscheidend für den Erfolg des Demokratieaufbaus im Nach- kriegshessen war, dass die Deut- schen nach den Erfahrungen mit dem Scheitern der ersten deut- schen Republik die richtigen Leh- ren aus der Vergangenheit zogen, gemeinsam an die Neugestaltung gingen und dabei das Trennende hintanstellten. So hielt trotz Kon- frontation von CDU und SPD im ersten Deutschen und trotz wachsender Differenzen in der Landespolitik die SPD/CDU- Koalition bis zum Ende der Legis- laturperiode 1950. Danach wurde die SPD/CDU-Koalition zu Grabe Georg August Zinn (SPD), 1945–1949 hessischer Justizminister, 1950– getragen. Die SPD regierte allein; 1969 hessischer Ministerpräsident. für die CDU begann eine mehr als drei Jahrzehnte währende Opposition. Die Staffelübergabe im Dezember 1950 von Stock an den neuen Ministerpräsidenten

Georg August Zinn, der eine Polis 43 neue Generation von Parteipoli- tikern verkörperte, markierte ei- nen Einschnitt in der hessischen Geschichte. Zu diesem Zeitpunkt war die unmittelbare Not über- 69 Walter Mühlhausen

wunden und der Grundstein für Angesichts dieser Situation, nach eine erfolgreiche Demokratie ge- den Verwerfungen der Diktatur, legt, wenngleich die Folgelasten in einem am Boden liegenden des Krieges das Land noch Jahre Land, bedrückt durch die im- drückten und die Integration der mensen Folgelasten des Krieges, Neubürger – die große sozialpo- kann es nicht hoch genug einge- litische Leistung der Nachkriegs- schätzt werden, dass in kürzester gesellschaft – erst in einem müh- Zeit der Grundstein für ein er- samen Prozess gelingen sollte. folgreiches und von der Bevöl- Erwin Stein hat rückblickend die kerung nahezu uneingeschränkt Rahmenbedingungen des De- befürwortetes Demokratiemo- mokratieaufbaus drastisch be- dell gelegt, das Fundament schrieben: „Heute ist die müh- eines neuen demokratischen selige Arbeit aus dem Ruin von und freiheitlichen Rechtsstaates 1945 fast vergessen. Damals geschaffen wurde. lagen die Städte in Trümmern. Die Menschen litten Hunger und hausten in Notwohnungen oder Baracken. Flüchtlingsströ- me ergossen sich in das Land. Die Kriegszerstörungen und die Demontagen hatten zu einem unvorstellbaren Substanzver- lust geführt. Die Wirtschaft stag­ nierte.“105 Polis 43

105 Erwin Stein: Gleichheit vor Freiheit, in: „Das Parlament“, Nr. 16 vom 20. April

70 1985. Demokratischer Neubeginn in Hessen 1945–1949

Zitierte und weiterführende Literatur

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Bildnachweis:

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Politisches Wirken und Ideale eines hessischen Nachkriegspoliti- Polis 43 kers, Marburg 2004: S. 59, 66. Verfasser: S. 39.

Bildrecherche und -auswahl: Walter Mühlhausen

Bildbearbeitung: Ole Höpfner, Heidelberg 75 Walter Mühlhausen

Der Autor:

Dr. Walter Mühlhausen (*1956 in Eichenberg/Nordhessen), Promotion 1985 an der Universität/Gesamthochschule Kassel, dort 1983–1986 wissenschaftlicher Mitarbeiter, seit 1986 stellvertretender Geschäfts- führer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg; Lehrbeauftragter an der Universität Mannheim und u.a. Mitglied der Kommission für Politische und Parlamentarische Ge- schichte des Landes Hessen beim Hessischen Landtag. Veröffentlichungen vor allem zur hessischen Landesgeschichte, da- runter neben zahlreichen Aufsätzen: Hessen 1945–1950 (1985); „... die Länder zu Pfeilern machen ...“. Hessens Weg in die Bundesrepublik Deutschland 1945–1949 (1989); Christian Stock 1910–1932 (1996); Karl Geiler und Christian Stock (1999). Als Herausgeber: Ludwig Bergsträs- ser – Befreiung, Besatzung, Neubeginn. Tagebuch des Darmstädter Regierungspräsidenten 1945–1948 (1987); Kommunalpolitik im Ersten Weltkrieg. Die Tagebücher Erich Koch-Wesers 1914 bis 1918 (1999 mit G. Papke); Hessische Streiflichter. Beiträge zum 50. Jahrestag des Landes Hessen (1995 mit K. Böhme); Einheit und Freiheit. Hessische Persönlichkeiten und der Weg zur Bundesrepublik Deutschland (2000 mit B. Heidenreich). Polis 43

76 POLIS ist eine Publikationsreihe der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (HLZ). Redaktion: Renate Knigge-Tesche Gestaltung/Satz: G·S Grafik & Satz, Mühltal Druck: Dinges & Frick, Wiesbaden Auflage: 4000 © Wiesbaden 2005

ISBN 3-927127-61-2

Schriftliche Bestellungen an die HLZ: Taunusstraße 4–6, 65183 Wiesbaden, Telefon (0611) 32-4053, Fax (0611) 32–4055, E-Mail: [email protected]

Polis43_U1.indd 3 27.07.2005 10:09:14 In der Reihe POLIS sind erhältlich:

Nr. 27 Mechtild M. Jansen (Hrsg.) Hessen engagiert Freiwilliges soziales Engagement in Hessen

Nr. 31 Wolfgang Benz Gedenkstätten und Erinnerungsarbeit Ein wichtiger Teil unserer politischen Kultur

Nr. 34 Mechtild M. Jansen, Christian Welniak (Hrsg.) Politik am Ende oder am Ende Politik? Neue Formen politischen Zusammenseins in Jugendkulturen

Nr. 36 Angelika Ehrhardt, Mechtild M. Jansen Gender Mainstreaming Grundlagen – Prinzipien – Instrumente

Nr. 37 Jürgen Kerwer, Uli Knoth, Lothar Scholz (Hrsg.) Veränderte Lebenswelten! Was wird, wenn alles anders wird?

Nr. 38 Mechtild M. Jansen, Susanna Keval (Hrsg.) Religion und Migration Die Bedeutung von Glauben in der Migration

Nr. 39 Bernd Heidenreich, Sönke Neitzel (Hrsg.) Der Bombenkrieg und seine Opfer

Nr. 40 Mechtild M. Jansen, Susanna Keval (Hrsg.) Die multireligiöse Stadt Religion, Migration und urbane Identität

Nr. 41 Mechtild M. Jansen, Mechthild Veil (Hrsg.) Familienpolitiken und Alltagspraxis

Nr. 42 Bernd Heidenreich, Sönke Neitzel (Hrsg.) Der militärische Widerstand gegen Hitler – der Beitrag Hessens zum 20. Juli 1944

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