Beihefte Der Francia Bd. 16,1 1989
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Jahrhundert berichtet , da ß in der ecclesia S.Petri de r Bischofsstad t nebe n zwe i Fraue n Köni g Chlotharsl . auc h di e beiden unglückliche n Merowinge r Childeric h II. und Dagober t IL ruhen . De r vir sanctus selbst habe si e dort bestattet 1. Scho n di e gelehrten geistlichen Historiker de s siècle de Loui s XIV haben diese r Ansich t widersprochen 2. Tatsächlic h konnt e ma n die Gebein e Childerich s IL, seine r gleichfall s ermordete n Gemahli n Bilihil d (un d wahrscheinlich diejenigen seine s Sohnes) 165 6 bei einer Öffnung de r Gräber in Saint- Germain-des Prés identifizieren. Fü r de n i m Spätherbs t 67 5 i n de r Lauconis silva zusammen mit seiner schwangeren Frau ums Leben gebrachten König läßt sich nicht ohne weiteres ein e Verbindung zu r Bischofskirch e vo n Rouen herstellen. Sieh t man von der vagen, durch nichts beweisbaren Möglichkeit ab, daß Audoin den Leichna m des Getötete n i m Verlau f de s nac h de m Mor d ausbrechende n innenpolitische n Chaos nac h Rouen in Sicherhei t brachte , s o konnt e nu r di e örtlich e Näh e de r Mordstelle eine n derartigen Schrit t verständlich machen . Seitde m di e Lauconis silva aber nich t meh r a m Oberlau f de r Somme gesucht, sonder n be i Lognes , unwei t Chelles an der Marne lokalisiert wird3, ist auch dieses Argument hinfällig geworden . Darüber hinau s ha t ma n sic h au f ein e Aussag e Vacandard s gestützt , de r seinerseit s auf ein e verstümmelte Nachricht i n der Vita Lantberti ninwies 4. Mit dem Begräbni s Dagoberts IL ha t nu n Audoi n überhaup t nicht s z u tun . Jene r fan d sein e letzt e Ruhestätte i m Ardennenkloste r Stenay , i n desse n Umgebun g e r a m 23 . Dezembe r 679 erschlagen worde n war 5. Warum tauch t de r Nam e de s Bischof s vo n Rouen nun be i de n Thronwirren de s 1 Vit a alter a S.Dadoni s ve l Audoeni episcopi , AA S S AugustIV, c.5 , 41, S.819; dazu E.VACANDARD , Principaux écrit s sur S . Ouen d u VIIe a u XVIIe siècle, in: Analecta Bollandiana20 (1901 ) S. 166, sowie Wilhelm LEVISON, in : MGH S S rer. Merov. 5 (1910) S. 549f. und DERS., in : WATTENBACH-LEVISON , Deutschlands Geschichtsquelle n im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger . 1 . Heft: Di e Vorzeit von de n Anfängen bi s zur Herrschaf t de r Karolinger , Weimar 1952 , S. 128 mit Anm. 307. 2 S o vor alle m Dom BOUILLART , Histoire de Saint-Germain des Prez, Paris 1656 ; vgl. Henri STEIN , L a mort de Childéric II, in: Le Moyen Ag e 12 (1908) S. 302ff. 3 STEI N (wi e Anm. 2) S. 308 f . 4 E. VACANDARD, Vie de Saint Ouen, évêque de Rouen (641-684), Paris 1902 , S . 268, Anm. 1 und 2. Die Vita Lantbert i abbati s Fontanellensi s e t episcop i Lugdunensis , hg . von Wilhel m LEVISON , MGH S S rer. Merov.5 (1910 ) c.5, S.61 2 berichte t vo n de r Tötung de s Königs , seiner Fra u un d seine s Sohne s und schließt mit den Worten: quorum corpora prenominatus maximus. .., wa s schon Mabillon in seiner Ausgabe de r Vit a durch : sacerdos Audoenus sepelivit ergänzte . Doc h bleib t dies e Ergänzun g gan z ungewiß. 5 E r wurde dort später al s Märtyrer verehrt. Sein Kult verbreitete sic h im Elsaß und i n Lothringen; vgl. Ulrich NONN , in : Lexiko n de s Mittelalters3 (1986 ) col.430. 196 Georg Scheibelreite r späten 7 . Jahrhunderts auf , sobal d die Katastrophe des Königsmordes eingetreten ist, um al s eine Art Gralshüte r de s fränkischen Reiche s di e Würde de s merowingische n Hauses durc h ein e von ihm vorgenommene Bestattun g gleichsa m z u wahren? Es is t einfach, dabe i auf den erbaulichen Charakter einer Lebensbeschreibung des Heiligen zu verweisen, deren Verfasser keine n Ehrgeiz hat, tatsachengetreu z u schreiben, un d dem dara n gelege n ist , auc h di e pietas de s heilige n Manne s i n helle m Licht e erscheinen z u lassen . Da s dürft e abe r z u weni g sein , u m de n bal d einsetzende n Mythos jene s Manne s z u begreifen , i n de m ma n ei n stabilisierende s Elemen t de r merowingischen Herrschaft , ein e ausgleichend e Kraf t i m Auseinanderstrebe n de r Reichsteile, ein e letzt e Instan z un d eine n ruhende n Po l »i n de r Erscheinunge n Flucht« z u sehe n meinte . Konnte e s ein e derartig e Haltun g i n jene r extre m vo n Parteigegensätze n un d kurzlebigen Zweckallianze n bestimmte n Epoch e de s Frankenreiche s überhaup t geben? Wa r e s möglich , sic h vo n al l dem freizuhalte n un d doc h sein e Stellun g al s Metropolit unangefochte n z u behaupten ? Könne n wi r un s abe r auc h ei n Bil d vo n den Begebenheite n machen , ode r zeige n un s selbs t di e zeitnahe n Quelle n nu r da s Schema vom heilige n Mann , wi e e s den bekannte n christlich-literarische n Kriterie n entsprach, un d de m freilic h alle s irdisch e Treibe n zweitrangi g sei n mußte ? Di e wenigen Hinweise auf sein Leben verdanken wir Audoin selbst: sie finden sic h in der von ihm verfaßten Vita seines Freundes Eligius, die zwar im 8 . Jahrhundert verfälsch t wurde, abe r genu g a n echte r Substan z erhalte n hat . Di e Vita l Audoin i biete t i n dieser Hinsich t leide r nich t allzuvie l vo m Schem a Abweichendes , hingege n is t di e ungefähr zeitgleich e Vit a Filibert i ein e Hilf e be i de r Frag e nac h de m historische n Audoin vo n Rouen6. Sonstige historiographisch e un d diplomatisch e Nachrichte n können zwa r noc h de n eine n ode r de n andere n Baustei n zu r Erkenntni s diese r bedeutenden Gestal t liefern, doc h lassen sie in ihrer Dürftigkeit un d Fragwürdigkei t kaum ahnen , da ß hinter ihne n ei n Mann steht , der ei n lebendiges Abbild de r Kräft e und Strömunge n de s 7 . Jahrhunderts war . Man ha t i n de r bisherige n Forschun g di e Bedeutung Audoin s nich t unterschätzt . Selbst di e spärliche n Hinweis e zeige n ei n weitverbreitete s Ansehe n un d ein e aner - kannte Stellung des Bischofs in Königsnähe7. Man kann auch in den Fehler verfallen , Audoin zu r führende n Gestal t de s Reiche s z u stilisiere n un d de n Bischofsho f i n Rouen als desse n eigentliche s Zentru m ansehen 8. Ein e Biographi e i m moderne n Sinne wir d sic h abe r kau m gebe n lassen . Doc h selbs t be i de m Versuch , di e Geschichte de s spätmerowingische n Reiche s u m di e Perso n Audoin s aufzubauen , muß ma n erkennen , wi e seh r ma n au f di e allgemei n al s gesichert geltende n Kennt - nisse der Kirchengeschichte , de r Verfassungs- un d Sozialgeschicht e angewiese n ist 9. 6 Zu m ganze n Vitenkomple x Audoin s vgl . LEVISO N (wi e Anm . 1) S . 548 ff . Di e Vit a Filibert i stamm t noch au s de m 8 . oder de m frühe n 9.Jh . 7 Friedric h PRINZ , Frühe s Mönchtu m im Frankenreich . Kultu r un d Gesellschaf t i n Gallien , de n Rheinlanden un d Bayer n i m Spiege l der monastischen Entwicklun g (4.-8 . Jh.), München-Wie n 1965 , S.498, un d DERS. , Askes e un d Kultur . Vor - un d frühbenediktinische s Mönchtu m a n de r Wieg e Europas, München 1980 , S . 83. 8 Rol f SPRANDEL , De r merowingisch e Ade l un d di e Gebiet e östlic h de s Rheins , Freibur g i.Br . 195 7 (Forschungen zu r oberrheinische n Landesgeschichte , 5 ) S . 49. 9 Da s zeigt sich in extremem Maße bei der Monographie VACANDARD S (wie Anm. 4), der oft au f Audoin überträgt, wa s fü r gan z ander e Verhältnisse herausgearbeite t wurde .