Eliten Um 630 Und Um 700. Beobachtungen Zur Politischen Desintegration Des Merowingerreichs Im 7
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STEFFEN PATZOLD Eliten um 630 und um 700. Beobachtungen zur politischen Desintegration des Merowingerreichs im 7. Jahrhundert Zwischen Mai 641 und Januar 646 richtete der Bischof Desiderius von Cahors einen Brief an seinen Amtsbruder Audoenus von Rouen.1 Das Schreiben ist kurz, in der kritischen Edition nimmt es nur eine halbe Druckseite in Oktav ein. Zu- nächst erinnerte Desiderius seinen Adressaten daran, dass sie sich schon lange nicht mehr gesehen hätten; um so mehr freue er sich, dass sich ihm nun die Ge- legenheit biete, wenigstens per Brief in Kontakt zu treten – ein Topos der Brief- literatur. Vor allem aber, fuhr Desiderius fort, wünsche er sich, dass Audoin ihm „jenen meinen Dado zugestehen“ möge, als der er sich ihm „in einzigartiger Liebe in der ersten Blüte meiner Jugend“ erwiesen habe.2 Die alte Zuneigung (pristina caritas) und ungeteilte Brüderlichkeit (indisiuncta fraternitas) sollten zwischen ihnen beiden Bestand haben – genauso wie die Zuneigung zu und die Bruder- schaft „mit Deinem, vielmehr unserem Eligius“.3 Durch Gebete, so Desiderius weiter, sollten sich alle drei Freunde gegenseitig Hilfe leisten: Dadurch sollten sie es sich verdienen, später einmal „gemeinsam am Hof des hohen Himmelskönigs“ zu leben, geradeso wie sie einst „Genossen“ (socii) am Hof des irdischen Herr- schers gewesen waren.4 Zwar hätten sie aus ihrem collegium schon seine beiden leiblichen Brüder verloren, schrieb Desiderius; doch hätten sie statt ihrer ja noch den ehrwürdigen Paulus und den nicht minder lobenswerten Sulpicius. Es folgen 1 Epistulae s. Desiderii Cadurcensis, ed. von Dag NORBERG (Acta Universitatis Stockholmiensis. Studia Latina Stockholmiensia 6), Stockholm 1961, Nr. I 11, S. 30; zu Desiderius vgl. DURLIAT, Jean: Les attributions civiles des évêques merovingiens: l’exemple de Didier, évêque de Cahors (630–655), in: AM 91 (1979), S. 237–254; HEINZELMANN, Martin: Bischof und Herrschaft vom spätantiken Gallien bis zu den karolingischen Hausmeiern. Die institutionellen Grundlagen, in: PRINZ, Friedrich (Hg.): Herrschaft und Kirche. Beiträge zur Entstehung und Wirkungsweise episkopaler und monastischer Organisationsformen (Monographien zur Geschichte des Mittelal- ters 33), Stuttgart 1988, S. 23–82, S. 73–80; zu Audoenus: SCHEIBELREITER, Georg: Audoin von Rouen. Ein Versuch über den Charakter des 7. Jahrhunderts, in: ATSMA, Hartmut (Hg.): La Neustrie: Les pays au nord de la Loire de 650 à 850. Colloque historique international, Bd. 1 (Beihefte der Francia 16/1), Sigmaringen 1989, S. 195–216. 2 Epistulae Desiderii, ed. von NORBERG, 1961 [Anm. 1], Nr. I 11, S. 30: […] illud peculiarius peroro ut, quem quondam in ipso flore primeuae iuuentutis unico mihi amore prebuisti, semper con- cedere digneris illum meum Dadonem. 3 Ibid.: Maneat pristina inter nos atque illum tuum, immo nostrum Elegium inconuulsa caritas, indis- iuncta, ut fuit quondam, fraternitas. 4 Ibid.: Mutuis nos iubemus praecibus, ut, quemadmodum in aula terreni principis socii fuimus, ita in illo superni regis caelesti palacio simul uiuere mereamur. 552 STEFFEN PATZOLD weitere Aufforderungen zu gegenseitiger Gebetshilfe. Der Brief schließt mit ei- nem Segenswunsch. Das kurze Schreiben wirft ein Schlaglicht auf einen einflussreichen Freundes- kreis im Gallien des früheren 7. Jahrhunderts. Ihm gehörten an: Desiderius von Cahors und seine Brüder Rusticus und Syagrius, außerdem Dado-Audoenus von Rouen, Paulus von Verdun und schließlich, als ältester, Sulpicius von Bourges. Diese Gruppe von Freunden ist in den Quellen ungewöhnlich gut dokumentiert: Außer diesem und einem guten Dutzend weiterer Briefe verfügen wir über hagio- graphisch-biographische Quellen zu Desiderius selbst, zu Eligius, zu Audoenus und zu Sulpicius.5 Geboren in den 80er und 90er Jahren des 6. Jahrhunderts, hatten sich diese Männer am Hof Chlothars II. kennengelernt und dort gemein- sam Karriere gemacht: Der älteste, Sulpicius, war bereits vor 626/627 ins Bi- schofsamt aufgestiegen.6 Im April 630 wurde Desiderius, der zuvor als Thesaurar unter Chlothar II. und Dagobert I. tätig gewesen war, Bischof von Cahors.7 Seine älteren Brüder – Rusticus und Syagrius – waren damals schon tot, hatten aber ebenfalls bei Hof Karriere gemacht: Rusticus war schon als junger Mann für die geistliche Laufbahn bestimmt worden, amtierte dann zunächst als Archidiakon in Rodez und hatte anschließend unter Chlothar II. die abbatia regalis basilicae bzw. die abbatia palatini oratorii inne8 – also die Leitung der Hofgeistlichkeit. Irgend- wann zwischen 614 und 626 wurde er Bischof von Cahors.9 Sein Bruder Syagrius hatte zunächst ebenfalls palatii Francorum ministeria ausgefüllt, bevor er den co- mitatus von Albi und die iudicaria potestas über Marseille erhielt.10 Einige Jahre jünger dürften Audoenus und Eligius gewesen sein: Audoenus diente bei Hof als referendarius, Eligius als monetarius. Im Jahr 641 wurden beide am selben Tag, dem 13. Mai, zu Bischöfen geweiht – Eligius für Noyon, Audo- enus für Rouen.11 Der Bischof Paulus von Verdun schließlich ist unter allen Mit- gliedern dieses engeren Freundeskreises am schlechtesten dokumentiert: Eine Vita hat sich für Paulus nicht erhalten; immerhin lässt sich aus den Gesta der Bischöfe von Verdun aus dem frühen 10. Jahrhundert erschließen, dass eine Vita Pauli 5 Vita Desiderii Cadurcae urbis episcopi, ed. von Bruno KRUSCH (MGH SRM 4), Hanno- ver/Leipzig 1902, S. 547–602; Vita s. Eligii, in: ibid., S. 634–741 (nur in Auszügen); Vita Au- doeni, ed. von Wilhelm LEVISON (MGH SRM 5), Hannover/Leipzig 1910, S. 536–567; Vita Sulpicii episcopi Biturigi, ed. von Bruno KRUSCH (MGH SRM 4), Hannover/Leipzig 1902, S. 364–380. 6 Zu Sulpicius: MOCCHEGIANI CARPANO, Claudio/PLATELLE, Henri: Sulpicio, vescovo di Bour- ges, in: Bibliotheca Sanctorum 12 (1969), Sp. 62ff. 7 HEINZELMANN: Bischof, 1988 [Anm. 1], S. 75 mit Anm. 259; vgl. dazu die zwei Urkunden Dagoberts I. für Desiderius, die inseriert sind in die Vita Desiderii, ed. von KRUSCH, 1902 [Anm. 5], c. 13, S. 571f.; c. 14, S. 572f. (danach auch MGH DD Merov. 37 und 38). 8 Vita Desiderii, ed. von KRUSCH, 1902 [Anm. 5], c. 1, S. 563, Z. 19; c. 2, S. 564, Z. 13f. 9 Ibid., c. 7, S. 567. 10 Ibid., c. 1, S. 564, Z. 1ff. 11 Vita Eligii, ed. von KRUSCH, 1902 [Anm. 5], lib. II, c. 2, S. 696. .