Reaktionär, Rassistisch, Rechts

STUDIEN

SEBASTIAN FRIEDRICH UND BERND LINKE REAKTIONÄR, RASSISTISCH, RECHTS DIE ENTWICKLUNG DER ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (AFD) IN SACHSEN-ANHALT UND STENDAL SEBASTIAN FRIEDRICH UND BERND LINKE REAKTIONÄR, RASSISTISCH, RECHTS DIE ENTWICKLUNG DER ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (AFD) IN SACHSEN-ANHALT UND STENDAL

Erster Forschungsbericht aus dem Projekt Subjekt- und hegemonie theoretische Untersuchung des Rechtspopulismus & Entfaltung emanzipa- torischer Gegenmacht (PSUREG) in Sachsen-Anhalt, Landkreis Stendal

Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung SEBASTIAN FRIEDRICH lebt in Hamburg. Er promoviert an der Universität Duisburg-Essen zu Debatten über Arbeitslosigkeit, Arbeitsethos und Arbeitsunwilligkeit in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1973. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Sozialstaatsdiskurse, rechte Formierung, AfD, kritische soziale Arbeit, Migration und Arbeit, Diskursanalyse sowie Klassenanalyse. Homepage: www.sebastian-friedrich.net.

BERND LINKE ist Sozialwissenschaftler, lebt in Berlin und Sachsen-Anhalt und arbeitet seit Jahren zur Entwicklung der radikalen Rechten und der AfD. Er schreibt unter Pseudonym.

PROJEKTGRUPPE: Mario Candeias, Barbara Fried, Sebastian Friedrich, Christina Kaindl, Annemarie Kern, Max Lill, Martin Ling, Bernd Linke, Miriam Pieschke, Katrin Reimer-Gordinskaya, Catharina Schmalstieg, Karsten Schwarze, Elisabeth Seyer

IMPRESSUM STUDIEN 1/2018 wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung V. i. S. d. P.: Henning Heine Franz-Mehring-Platz 1 · 10243 Berlin · www.rosalux.de ISSN 2194-2242 · Redaktionsschluss: Mai 2018 Lektorat: TEXT-ARBEIT, Berlin Layout/Herstellung: MediaService GmbH Druck und Kommunikation Gedruckt auf Circleoffset Premium White, 100 % Recycling Inhalt

INHALT

Vorwort: Dem rechtspopulistischen Sog den Boden entziehen – transformative Forschung und Praxis von links organisieren (Projektgruppe PSUREG) �� 5

1 Reaktionäre Krisenverarbeitungen. Entstehung, Entwicklung und Strömungen der AfD (Sebastian Friedrich) �� 8 1.1 Ein gesellschaftliches Projekt formiert sich �� 8 1.2 Krise des Konservatismus �� 8 1.3 Krise des neoliberalen Kapitalismus �� 10 1.4 Krise der sozialen Sicherheit �� 12 1.5 Krise der parlamentarischen Demokratie �� 14 1.6 Die Entwicklung der AfD �� 16 1.6.1 Von der Gründung der AfD bis zur Bundestagswahl 2013 �� 16 1.6.2 Von der Bundestagswahl 2013 bis zu den Landtagswahlen im Sommer 2014 �� 17 1.6.3 Nach den Landtagswahlen im Sommer 2014 bis zur Spaltung im Juli 2015 �� 18 1.6.4 Comeback, weitere Rechtsentwicklung und neuerlicher Machtkampf �� 20 1.7 Fazit �� 24

2 Die AfD in Sachsen-Anhalt von ihrer Gründung bis zur Landtagswahl 2016 (Sebastian Friedrich) �� 28 2.1 Gründungsphase �� 28 2.2 Radikalisierung und Auftrieb bis zu der Landtagswahl im März 2016 �� 29

3 Auftreten und Parlamentspraxis der AfD Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl 2016 (Bernd Linke) �� 31 3.1 Zusammensetzung, Konstituierung und holpriger Start der Fraktion: März bis September 2017 �� 31 3.2 Bundesparteitag der AfD vom 30. April bis 1. Mai 2016 �� 33 3.3 Sonderlandesparteitag der AfD Sachsen-Anhalt am 21. Mai 2016 �� 34 3.4 Der Landtag als Bühne für einen «Kulturkampf von rechts»: das erste Jahr der AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt �� 34 3.4.1 Asyl, Migration, Integration und Islam �� 36 3.4.2 Positionierungen zu Geschlechtergerechtigkeit und Familienpolitik �� 39 3.4.3 Bildungs-, Kinder- und Jugendpolitik �� 40 3.4.4 Sozial- und Wirtschaftspolitik �� 41 3.4.5 Provokationen, Eklats und das Feindbild «Linksfaschismus» �� 43 3.4 Kontroversen um Kontakte zur extremen Rechten �� 45 3.5 Innere Querelen und «Säuberungen» im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 �� 48

4 Entwicklung der AfD im Landkreis Stendal (Bernd Linke) �� 53 4.1 Organisationsentwicklung �� 53 4.1.1 Allgemeine Entwicklung der Parteistruktur �� 53 4.1.2 Einbindung in die Strukturen der Gesamtpartei �� 53 4.2 Parteiarbeit und Themenagenda �� 54 4.2.1 Aktivitäten der Kreispartei �� 54 4.2.2 Entwicklung der inhaltlichen Ausrichtung �� 55 4.3 Wahlergebnisse und parlamentarische Arbeit �� 55 4.3.1 Überblick zu Wahlteilnahmen und -ergebnissen �� 55 4.3.2 Bisherige parlamentarische Arbeit �� 57 Vorwort

VORWORT: DEM RECHTSPOPULISTISCHEN SOG DEN BODEN ENTZIEHEN – TRANSFORMATIVE FORSCHUNG UND PRAXIS VON LINKS ORGANISIEREN

In Sachsen-Anhalt hat eine Gruppe verschiedener Nach dem ersten «AfD-Schock» haben wir uns al- Menschen von der Hochschule Magdeburg-Stendal, lerdings zu schnell von unserer Verunsicherung verab- vom Institut für Gesellschaftsanalyse (IfG) der Rosa- schiedet und uns wieder altbekannten Erklärungsan- Luxemburg-Stiftung, aus der Partei DIE LINKE und sätzen zugewandt. So reiht sich eine «Theorie» mehr aus Initiativen vor Ort einen Prozess begonnen, in dem oder weniger folgenlos an die nächste oder wird ge- das vorläufig als Rechtspopulismus bezeichnete Phä- gen eine der anderen diskutiert. Der Rechtspopu- nomen sowohl erforscht wird als auch zugleich Pra- lismus gilt dementsprechend als ein Aufstand der xisprojekte entwickelt werden sollen, die dazu beitra- Globalisierung(-sverlierer), als ein Produkt des rechten gen können, ihm langfristig den Boden zu entziehen. Kulturkampfes gegen Vielfalt und Antidiskriminierung, Nun wird sich, wer in Wissenschaft, Politik oder Bil- als Reaktion traditioneller Männlichkeit auf feministi- dung zum Thema Rechtspopulismus und -extremis- sche Errungenschaften, als Ausdruck eines spezifisch mus arbeitet, mit Recht fragen: Noch ein Forschungs- ostdeutschen Rassismus und der «Kolonisierung» des ansatz, noch ein Praxisprojekt? Wissen wir nicht (fast) Ostens, als Konsequenz der medialen Aufmerksam- alles und haben wir nicht zahlreiche eigenständige keitsökonomie, als Verdichtung längst vorhandener sowie spätestens seit 2001 auch staatlich geförder- Einstellungspotenziale, als Reaktion auf die Politik der te Praxisansätze «gegen rechts», die wir eher vertei- rechtskonservativen CDU (in Sachsen), der mittig-lin- digen oder ausbauen sollten? Sicherlich, das meinen ken CDU (im Bund), des Neoliberalismus, des Dritten auch wir, die wir seit Anfang der 1990er Jahre diese Wegs und so weiter und so fort. Auch die als sinnvoll Felder beackern. Aber gerade, weil wir die theoretische erachteten Gegenstrategien in Politik und Bildung be- und praktische Auseinandersetzung mit der radikalen wegen sich zwischen den Polen «Skandalisieren und Rechten gut kennen, meinen wir, dass eine andere Art Immunisieren» auf der einen und «Zuhören und Einbin- des kollektiven Forschens und Handelns wichtig ist. den» auf der anderen Seite. Wir haben deshalb gemeinsam begonnen, eine solche Angesichts der Vielzahl an Beschreibungen, Erklä- zu entwickeln. Neu ist unsere Herangehensweise da- rungsansätzen und Handlungsstrategien ist es unseres bei nicht im Sinne von (vermeintlicher) Innovation, sie Erachtens wichtig zu klären, über welche Dimensionen ist aber auch nicht altbekannt in dem Sinne, dass wir und Facetten des Phänomens in jedem einzelnen Fall uns mit der einen oder anderen Position identifizieren gesprochen wird. So können wir den größtmöglichen und nun für sie (mit-)streiten. Vielmehr möchten wir Nutzen aus jedem Beitrag ziehen und zugleich unnütze Denk- und Handlungsansätze miteinander verbinden, Debatten vermeiden, die immer dann entstehen, wenn die nach unserem Eindruck entweder isoliert vonein- unterschiedliche Beschreibungen oder Erklärungen ander bleiben oder teils sogar gegeneinander gerich- sich gar nicht auf denselben Gegenstandsbereich be- tet werden. Wir stellen also keine weitere Strategie den ziehen. Und auch insoweit wir selbst forschen, bemü- bereits existierenden Strategien an die Seite, sondern hen wir uns, bei der Untersuchung und Beschreibung versuchen selbst und laden dazu ein, unsere Kräfte in- zwischen Bewegung(en) bzw. Partei(en) einerseits und nerhalb der gesellschaftlichen Linken zu bündeln. Anhänger_innen bzw. Wähler_innen andererseits zu unterscheiden. DEBAT TEN UM DEN AUFSTIEG Außerdem streben wir an, die «Angebotsseite» des DES RECHTSPOPULISMUS IN DEUTSCH- Rechtspopulismus im Zusammenhang mit den Kon- LAND UND KONSEQUENZEN FÜR junkturen und der Krise des neoliberal regulierten High- UNSEREN ANSATZ Tech-Kapitalismus zu analysieren und die «Nachfra- Als in den 1990er und 2000er Jahren rechtspopulisti- geseite» hinsichtlich der gesellschaftlichen Position sche Parteien in Westeuropa Erfolge feierten, sorgte und Lebenslage der Subjekte und entsprechender Be- der Umstand, dass hierzulande lange Zeit kein solches gründungszusammenhänge. Insofern wollen auch wir Phänomen zu beobachten war, ebenso für Verwun- Antworten auf die Fragen nach dem «Wie» und «War- derung wie das plötzliche Entstehen einer solchen um» des raschen Aufstiegs des hiesigen Rechtspopu- Bewegung (Pegida und andere Gidas) und Partei (Al- lismus finden. Allerdings ist die zweite Konsequenz, ternative für Deutschland/AfD) in den 2010er Jahren. die wir aus diesem Vorwissen und aus der bisherigen Angesichts dessen dürften sich in der gesellschaftli- Forschung ziehen: Das zu begreifende Phänomen ist chen Linken alle einig sein, dass wir dem Rechtspopu- so heterogen und dynamisch, dass es sich eindeuti- lismus bisher nicht wirksam genug begegnet sind. Das gen Erklärungen entzieht. Deshalb bemühen wir uns, heißt: Weder haben wir das Phänomen hinreichend Veränderungen sowohl deskriptiv als auch analytisch verstanden noch verfügen wir bereits über die prakti- nachzugehen. schen Mittel, es wirksam einzudämmen oder ihm gar Hintergrund unseres Projekts war auch, dass reprä- den Boden zu entziehen. sentative Umfragen wie die Leipziger «Mitte-Studie»

5 Vorwort

(Decker u. a. 2016), die die Rosa-Luxemburg-Stiftung jener oben genannten Bedeutungen sichtbar, die die zusammen mit anderen Stiftungen gefördert hat, wich- Durchsetzung, der Aufstieg und die Krise des neolibe- tige Fragen unbeantwortet lässt. Auf Grundlage der ralen Projekts für die Menschen vor Ort hatten und ha- dort abgefragten «Einstellungen» können wir nicht ben, und somit auch Aspekte des «Resonanzbodens», wissen, welche Bedeutung dieses oder jenes Item für auf dem die AfD eine so hohe Zustimmung gewinnen die einzelnen Befragten hat. Wir erfahren nichts darü- konnte. ber, welche Relevanz diese Aussagen im Alltag haben Folgen wird auch eine Darstellung der Sichtweisen und auch nicht darüber, wie sich abgebildete rechte und Praxen derer, die sich als «Gesellschaftsgestal- Einstellungen im Alltagsverstand zum Teil mit progres- ter_innen» verstehen. Wir führen Interviews mit den siven Haltungen zu einem widersprüchlichen Gan- diversen parteipolitischen und zivilgesellschaftlichen zen verbinden können. Auch deshalb erhalten wir aus Institutionen links der Mitte, wobei uns interessiert, solchen Erhebungen kaum Hinweise, wie von links in welche Praxen in der Vergangenheit fruchtbar waren, rechte Diskurse eingegriffen werden kann, ohne rech- was nicht funktionierte und was vielleicht gar nicht te Parolen zu bedienen. Umfragen ergeben keine hin- erst versucht wurde. Denn der Erfolg der Rechten ist ja reichenden Handlungsperspektiven gegen rechts und nicht nur, aber auch ein Versagen der Mosaik-Linken: erst recht nicht für eine solidarische Gesellschaft. Relevante Institutionen wie Gewerkschaften, Partei- Daher wollen wir mit unseren Mitteln einen ande- en, aber auch zahlreiche «zivilgesellschaftliche» Grup- ren Ansatz versuchen: einen Ansatz, der Erkenntnisse pen haben sich über lange Zeit sowohl aus der Bear- zur Krise des Neoliberalismus mit hegemonietheoreti- beitung genannter Probleme zurückgezogen als auch schen Überlegungen zu deren politischer Bearbeitung aus deren Deutung in solidarischer Perspektive. Auch von «oben» und rechts verbindet; der diese Analyse dadurch entstand ein Vakuum, das rechten Deutungen von Bedingungen, unter denen Menschen kollektiv der wachsenden Entsolidarisierung und deren Verbrei- wie individuell Handlungsfähigkeit zu gewinnen su- tung und Akzeptanz Vorschub geleistet hat. chen, mit subjektwissenschaftlicher Analyse und For- In einer subjektwissenschaftlich angelegten For- schung zur Bedeutung dieser Krisen und politischen schung können Erkenntnisse zu Handlungsbegrün- Deutungsangebote für die Subjekte verbindet; und dungen – die notwendig sind, um Handlungslogiken der schließlich, von der Perspektive und Lebensreali- beispielsweise von Menschen zu rekonstruieren, die tät konkreter Menschen in der Untersuchungsregion die AfD wählen – nicht dadurch gewonnen werden, ausgehend, nach «generativen Themen» (Freire) und dass, wie angedeutet, Lebensbedingungen immer de- subjektiven Handlungsproblematiken fragt und deren taillierter gefasst werden – bis man am Ende bei den Bearbeitung in ideologischen Formen als potenziell Einzelnen landet. Denn zu ähnlichen Bedingungen widersprüchlich begreift und in progressive Praxen zu und Erfahrungen verhalten sich Menschen sehr unter- überführen trachtet. schiedlich. Sie sind unterschiedlich stark von gesell- Um diesem Anspruch gerecht zu werden, haben schaftlichen Veränderungen betroffen und verarbei- wir einen Praxis- und Forschungsprozess im Land- ten diese, selbst wenn sie mehr oder weniger identisch kreis Stendal im Norden Sachsen-Anhalts begonnen, sind, jeweils anders. der noch längst nicht abgeschlossen ist. Wir haben Um verstehen zu können, in welchem Sinn und aus uns dennoch entschieden, bereits vorliegende Ergeb- welchen Gründen Menschen beschließen, etwa durch nisse nach und nach zu veröffentlichen. Im Folgenden ihr Wahlverhalten Teil des rechtspopulistischen Pro- präsentieren wir nun erste Bestandsaufnahmen der jekts zu werden, müssen die Einzelnen mit ihren Sicht- Entwicklung der AfD im Bund, im Land Sachsen-An- weisen auf sich selbst und auf die Welt, in der sie leben, halt und in der konkreten Untersuchungsregion, dem zu Wort kommen. So kann nachvollzogen werden, Landkreis Stendal, und begreifen diese als Teil der welche Aspekte der Denk- und Handlungsmöglichkei- Analyse des rechtspopulistischen «Angebots», dem in ten im Rechtspopulismus für sie überhaupt relevant Sachsen-Anhalt bei den Landtagswahlen 24 Prozent waren, warum das der Fall war und welche Widersprü- und bei den Bundestagswahlen 2017 rund 20 Prozent che sich daraus möglicherweise ergeben. Insoweit der Wähler_innen ihre Stimme gegeben haben. dem so ist, stellen wir die Frage nach Ansätzen für soli- Folgen wird unter anderem eine Sozialraumanalyse, darisches Handeln, wo folglich auch linke Politik – jen- die lokale Gegebenheiten und den konkreten Nieder- seits von abstrakten, wenn auch richtigen Forderun- schlag übergreifender gesellschaftlicher Veränderun- gen nach sozialer Gerechtigkeit – dringend ansetzen gen rekonstruiert. Beispielhaft hierfür stehen Prozesse müsste. der Deindustrialisierung im Nachgang der «Wende», Mit unserem Projekt eines transformativen For - Privatisierungen und der Rückzug des Staates aus der schungsprozesses verfolgen wir den Anspruch, nicht Verantwortung für die Daseinvorsorge sowie soziale nur Erkenntnisse über die genannten Fragen und Wi- Dienste und Infrastrukturen, sozialräumliche Margi- dersprüche zu gewinnen, sondern «die Beforschten» nalisierungen, aber auch Kämpfe gegen damit verbun- im Prozess zu Akteuren der Erkenntnisproduktion und dene Zumutungen und Bewältigungsstrategien von von gesellschaftlicher Veränderung zu machen. Des- Menschen, die mit diesen und anderen Umbrüchen halb sind sogenannte Haustürgespräche ein wichti- umgehen müssen. Auf diese Weise werden Aspekte ges Element unseres Vorgehens (vgl. hierzu Steckner

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2017). Sie dienen dazu, einerseits das Feld zu eruieren die bundesweiten Haustürbefragungen der LINKEN und Personen zu finden, die gegebenenfalls für wider- bieten zahlreiche Inspirationen und haben die Bedeu- spruchsorientierte Interviews zur Verfügung stehen tung rassistischer Elemente des Alltagsverstandes könnten. Andererseits kommen wir in diesen Gesprä- deutlich gemacht. chen mit zahlreichen Menschen in Kontakt, die sich Der nun vorliegende erste Forschungsbericht re- an der Tür zwar durchaus rechter Deutungen bedie- konstruiert also zunächst die «Angebotsseite», die nen, aber keine verfestigten rechten Weltbilder vertre- Interessen und Strategien der rechtspopulistischen ten. Vielmehr sind sie, so die gemachten Erfahrungen, Formation im Bund, in Sachsen-Anhalt und im Land- durchaus offen für emanzipatorische Perspektiven kreis Stendal als Aspekte der Lebensbedingungen in und haben meist ein recht klares Bewusstsein davon, der Untersuchungsregion. Wenngleich das Phäno- dass die von der AfD angebotenen Lösungen für ihre men Rechtspopulismus auch vor dem Entstehen der Probleme letztlich nicht tragfähig sind. So treffen wir AfD in Deutschland virulent war, ist diese Partei doch Menschen, die jahrelang DIE LINKE wählten, dann wü- zu (s)einem wesentlichen organisatorischen und öf- tende AfD-Anhänger_innen wurden und nun hadern fentlichkeitswirksamen Knoten eines Netzwerkes der und überlegen, wie sie sich anders orientieren könn- extremen Rechten geworden. Deshalb scheint es ge- ten, aber kaum Ansatzpunkte für alternatives Handeln rechtfertigt, die «Angebotsseite» zunächst vermittels sehen. Sie sind teils sehr dankbar, über solche Alter- Beschreibung der heterogenen politisch-ideologi- nativen überhaupt einmal ins Gespräch zu kommen. schen Strömungen, die sich in der AfD in wechseln- Gleichzeitig treffen wir Menschen, denen der «Rechts- den Dominanzverhältnissen formieren, ihrer (sich wan- ruck» enorme Angst macht und die sich – weil sich delnden) Programmatik, ihrer Strategien im Parlament, nicht ins vermeintlich homogene Bild des nationalen ihres wahlkampftaktischen und alltagspolitischen Kollektivs passen – immer weiter zurückziehen. Auch Agierens sowie in ihrer bundesweiten und landesspe- sie haben Schwierigkeiten, sich mit anderen, denen es zifischen Entwicklung zu rekonstruieren. Letztlich geht ähnlich geht, zusammenzufinden. Dafür fehlen häufig es um die Fragen, welche (ggf. widersprüchlichen) In- die geeigneten Orte. teressen diese Partei vertritt und wie bzw. inwieweit Hier setzt das organisierende Moment unseres Pro- diese Interessen in der Kommunikation mit ihren An- zesses an. Die Tatsache, dass nicht nur die Rosa-Lu- hänger_innen und potenziellen Wähler_innen kommu- xemburg-Stiftung und die Hochschule Magdeburg- niziert wurden und werden. Hier also ein Anfang, alles Stendal daran beteiligt sind, sondern auch Menschen, Weitere wird folgen. die in Initiativen vor Ort aktiv sind, öffnet wertvolle Chancen. Ziel ist es, aus einem Forschungsprojekt zu- Die Projektgruppe, April 2018 nächst ein «Mitforschungs-Projekt» und letztlich ein «Selbstorganisierungs-Projekt» zu machen, in dem ge- LITERATUR meinsam an der Verbesserung der Lebenswirklichkeit Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar vor Ort gearbeitet wird, ohne das große Ganze aus den (Hrsg.) (2016): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und Augen zu verlieren. rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, Gießen. Teils profitieren wir von bereits vorhandenem Wis- Steckner, Anne (2017): «Die Asys müssen weg!» sen und Erfahrung. So lernen wir von Ansätzen des Warum die Linke mit den Leuten reden sollte, statt transformativen Organizing, wie sie überwiegend in über sie, in: LuXemburg 1/2017, S. 74–81, unter: den USA erfolgreich praktiziert werden (vgl. hierzu Wil- www.zeitschrift-luxemburg.de/ liams 2015). Aber auch hierzulande entstehen seit eini- kommunikationsstrategien-gegen-rechts/. gen Jahren – unter anderem von der Partei DIE LINKE Williams, Steve (2015): Den Wandel organisieren. angestoßen – Modellprojekte zur Organisierung in be- Eine Best-Practice-Studie zum Modell des nachteiligten Wohngebieten. Einige werden ebenfalls «Transformative Organizing», hrsg. von der Rosa- von der Rosa-Luxmeburg-Stiftung begleitet, andere – Luxemburg-Stiftung, Büro New York, unter: wie ein Organisierungsprojekt in Berlin-Lichtenberg – www.rosalux.de/publikation/id/1117/den-wandel- wird von der Stiftung maßgeblich mitgetragen. Auch organisieren/.

7 Reaktionäre Krisenverarbeitungen. Entstehung, Entwicklung und Strömungen der AfD

1 REAKTIONÄRE KRISENVERARBEITUNGEN. ENTSTEHUNG, ENTWICKLUNG UND STRÖMUNGEN DER AFD

Eine Analyse der Entstehung, der Entwicklung und Fall der AfD waren die beiden Themenfelder zentral, der Strömungen der AfD zeigt, dass die AfD seit ihrer die schon beim Aufbau der AfD den Konsens sicher- Gründung vor allem eines ist: eine rechte Sammlungs- ten: die Euro-Rettungspolitik und später die Flücht- partei, die verschiedene rechte Akteure bindet. Zwar lingspolitik. Mit beidem wird Angela Merkel assoziiert, dominierte in der Anfangszeit die Auseinandersetzung doch beide Themen sind bei der AfD nicht frei von Wi- um die Euro-Rettungspolitik der damaligen Bundes- dersprüchen. Bei der Europapolitik reicht das Spekt- regierung, doch an der Gründung waren im Wesentli- rum in der AfD von der Forderung «Raus aus EU und chen zwei Strömungen beteiligt: eine nationalneolibe- Euro» bis zu Vorschlägen, wie die Gemeinschaftswäh- rale und eine nationalkonservative. Im Verlauf kam eine rung und die Europäische Union zu reformieren sind. dritte Strömung hinzu: die völkische. Die AfD ist nur Zwar gibt es auch beim Thema Flucht und Migration zu verstehen, wenn wir uns zunächst die gesellschaft- unterschiedliche Vorstellungen (etwa was die Frage lichen Entwicklungen vergegenwärtigen, die den Auf- betrifft, wie viel Einwanderung aus ökonomischen Ge- stieg der Rechten begünstigten. sichtspunkten vertretbar ist), doch fanden die Akteure, die für strengere Asylkriterien und die Wiedereinfüh- 1.1 EIN GESELLSCHAFTLICHES PROJEKT rung von Grenzkontrollen eintreten, einen gemeinsa- FORMIERT SICH men Nenner. Die Klammer um beide Konsensthemen Die AfD steht nicht allein, auch wenn sich die Ausein- ist die Ablehnung Merkels und deren Credo von der andersetzung um die Rechtsentwicklung in Deutsch- Alternativlosigkeit ihrer Politik. An weiteren verbin- land häufig auf ihren rasanten Aufstieg konzentriert. In denden Themen mangelt es nicht. Die verschiedenen den vergangenen Jahren hat sich ein rechtes gesell- rechten Strömungen haben Überschneidungen beim schaftliches Projekt etabliert, das weit über die AfD hi- konservativen Familienbild und betonen alle die Be- nausgeht. deutung der «deutschen Leitkultur», die sie gegen ei- Gesellschaftliche Projekte umfassen in verschie- ne angebliche «Überfremdung» oder «Islamisierung» denen Zusammenhängen organisierte Gruppen, «die ins Feld führen. sich teils bewusst aufeinander beziehen, sich aber Neue gesellschaftliche Projekte formieren sich vor auch voneinander abgrenzen und sich selbst nicht als allem dann, wenn sich die alten in der Krise befinden. Teil eines ‹gemeinsamen Projekts› begreifen würden» Das lässt sich in Bezug auf die AfD feststellen für den (Buckel u. a. 2014: 46). Die unterschiedlichen Akteure liberalkonservativen Machtblock, der in den vergan- haben ähnliche Strategien und Zielvorstellungen, um genen Jahren und Jahrzehnten zunehmend Risse bedie von ihnen identifizierten Probleme zu lösen. Und sie kommen hat. Es sind vor allem vier gesellschaftliche eint das Ziel, diese Gesellschaft grundlegend verändern Entwicklungen, die den Aufstieg der AfD begünstig- zu wollen. Gesellschaftliche Projekte entstehen weder ten: die Krise des Konservatismus, die des Neolibera- von heute auf morgen noch nach einem vorgefertigten lismus, die der sozialen Sicherheit und die der Demo- Plan, sondern formieren sich allmählich – zum Beispiel kratie. über konkrete politische Initiativen, die sich als Lösung für bestimmte soziale, ökonomische oder politische Kri- 1.2 KRISE DES KONSERVATISMUS sen präsentieren (Bieling/Steinhilber 2000: 106). Das Ziel des Konservatismus, die bestehende Ordnung Die AfD spielt bei der Formierung der Rechten eine zu bewahren und vor als bedenklich wahrgenomme- entscheidende Rolle, denn sie bietet die Plattform, auf nen Veränderungen zu schützen, setzt Konservative der sich die unterschiedlichen Fraktionen und Akteure aufgrund gesellschaftlicher Dynamiken permanent sammeln und – öffentlich stark beachtet – ihre Positi- unter Druck. Es sind vor allem gesellschaftspolitische onen diskutieren. Die AfD ist damit sowohl Ausdruck Themen, die Konservative in Deutschland in den ver- der rechten Formierung als auch ihr Motor. Zu den Ak- gangenen Jahren und Jahrzehnten erheblich in die teuren des gesellschaftlichen Projekts zählen Medien, Bredouille gebracht haben: Eingewanderte wollten Intellektuelle, soziale Bewegungen, die Neue Rechte, mehr als leidlich geduldete «Gäste» sein, Frauen mehr fundamentalistische Christen, Burschenschafter, anti- als nur Ehefrauen, Schwule und Lesben mehr als nur feministische Organisationen, Rechtslibertäre, Adlige, Abweichung. Selbst die konservativen Unionspar- europäische Netzwerke und einzelne Kapitalfraktio- teien erkennen mittlerweile an, dass Deutschland ein nen. Es gibt zwischen den wesentlichen drei Strömun- Einwanderungsland ist. Die Mehrheit der Gesellschaft gen der Partei – der nationalkonservativen, der neo- spricht sich für die Gleichberechtigung der Geschlech- liberalen und der völkischen – Überschneidungen, ter aus und erkennt gleichgeschlechtliche Liebe mehr manchmal kommt es zwischen ihnen zu Bündnissen oder weniger als Normalität an (Antidiskriminierungs- oder einzelne Akteure versuchen, sie zu verbinden. stelle des Bundes 2017). Wichtig, um die unterschiedlichen Strömungen en- Diese gesellschaftlichen Entwicklungen wurden in ger zusammenzubringen, sind Konsensthemen. Im den vergangenen Jahren aber immer wieder heftig dis-

8 Reaktionäre Krisenverarbeitungen. Entstehung, Entwicklung und Strömungen der AfD

kutiert. Im August 2010 veröffentlichte Thilo Sarrazin Fernsehmoderatorin Eva Herman «Das Eva-Prinzip» sein Buch «Deutschland schafft sich ab», das sich weit veröffentlicht. Darin plädiert sie für eine klassische Rol- über eine Million Mal verkaufte. Das Buch ist nicht nur lenverteilung: Männer seien ihrer biologischen Veran- ein Pamphlet zur Rehabilitierung der in Deutschland lagung nach nicht für die Kindererziehung vorgesehen ins Abseits geratenen Intelligenzforschung, sondern (Herman 2006: 85), im Gegensatz zu Frauen, die sich zugleich ein erzkonservatives Plädoyer für die Stärkung auf ihre «natürlichen» Fähigkeiten besinnen sollten. der «deutschen Leitkultur». So warnt Sarrazin von der Frauen seien im Kern für emotionale Werte zustän- angeblich drohenden Vormachtstellung des Islam, vor dig, sie stünden für «weibliche Klugheit, mit der die einer vermeintlich um sich greifenden politischen Kor- Familie wieder ins Zentrum des Bewusstseins rückt» rektheit und vor «Deutschenfeindlichkeit», unter der (ebd.: 59). Das werde allerdings durch den Feminis- die Einheimischen zu leiden hätten, und betont die Vor- mus – «der herrschenden Ideologie» – verhindert. Die züge eines elitären Bildungssystems. Sarrazin verbin- Gesellschaft «hat sich die feministischen Glaubenssät- det in seinem Buch diverse Diskussionsstränge und ze einverleibt und benutzt sie nun als Alibi, um Frauen Fragen, die konservative Kreise schon seit geraumer aus der Familie zu reißen und sie auf den Arbeitsmarkt Zeit beschäftigen. zu treiben» (ebd.: 24). Ähnlich wie Sarrazin sieht Eva Mit der Veröffentlichung des Buches kamen die The- Herman nichts weniger als den Fortbestand der Gesell- men Integration von Eingewanderten und die Rolle des schaft gefährdet, wenn sie einleitend fragt: «Werden Islam dann auch in der politischen und medialen De- wir aussterben, wird unser Land in wenigen hundert batte an. Trotz eines von linker und liberaler Seite be- Jahren brachliegen?» (ebd.: 12). klagten gesellschaftspolitischen Rollbacks im Zuge Es gibt bei ihrem Buch und der damit verbundenen der Kontroversen bedeuteten deren Verlauf und ihr Kontroverse eine Gemeinsamkeit mit der «Sarrazin-De- letztliches Ergebnis aus konservativer Perspektive ei- batte» vier Jahre später. Herman mobilisierte genauso ne Niederlage. Der damalige Bundespräsident Christi- wie Sarrazin den konservativen Teil der Bevölkerung an Wulff (CDU) etwa bezog in der Diskussion um die und konnte bei Teilen der Unionsparteien das eine oder Stellung des Islam in Deutschland eindeutig Position, andere zustimmende Statement ernten. Aber die Rea- als er in seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit lität in Form von Gesetzen und Reformen sprach jen- 2010 davon sprach, dass auch der Islam zu Deutsch- seits der Symbolpolitik eine andere Sprache. Die Dis- land gehöre (Wulff 2010). Damit erzürnte er den rech- kussion um Hermans Buch fiel nämlich zusammen mit ten Flügel der Union: Vehement wurde auf die deut- einer deutlichen Wende in der Familienpolitik der CDU. sche «Leitkultur» gepocht, der sich die «islamische Die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Kultur» unterzuordnen habe. Tatsächlich aber sind sol- Leyen sorgte während ihrer Amtszeit zwischen 2005 che Stimmen wie die von Wulff immer leiser gewor- und 2009 durch mehrere Vorstöße für Unmut in den den, vor allem innerhalb der CDU. Vielmehr entstehen eigenen Reihen, da sie ein vergleichsweise moderni- neue Ausschlussmechanismen, wenn etwa Einwande- siertes Familienleitbild vertrat. So setzte sie etwa das rung nicht mehr per se abgelehnt wird, ökonomische gesetzliche Recht auf Krippenplätze durch. Nützlichkeitserwägungen aber umso mehr Gewicht Dass die Union ihre Frauen-, Familien- und Einwan- bekommen. derungspolitik modernisierte, ist zunächst wahlstrate- Genuin reaktionäre Positionen, die eine deutsche, gisch begründet: Die Merkel-CDU schielt mehr auf die auf Blut beruhende Identität beschwören, haben über gesellschaftliche Mitte als auf den rechten Rand. Auch Parteigrenzen hinweg jedoch einen Bedeutungsver- wenn die Union auf Bundesebene seit knapp 15 Jahren lust erlitten. Das zeigt letztlich auch die «Sarrazin-De- die stärkste Partei in allen Umfragen ist, hat sie ein Pro- batte»: Auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel da- blem: Sie ist in den Städten schwach. Gerade das ur- von sprach, dass «Multi-Kulti» gescheitert sei, hat sich bane Bürgertum hat sie an andere Parteien, zuvorderst an der Einwanderungspolitik nichts geändert: Ökono- die Grünen, verloren. Unterstützung erhält Merkel für misch nützliche Migration ist auch innerhalb der Uni- ihre Ausrichtung vom CDU-nahen Wahlforscher Mat- on grundsätzlich erwünscht (Friedrich 2011), und da- thias Jung (Birnbaum 2016). In einer Publikation der mit orientiert sie sich an den Forderungen, die von den Konrad-Adenauer-Stiftung begründet er die Orientie- führenden Wirtschaftsverbänden schon lange erhoben rung auf die Mitte: Die Union müsse sich mehr noch als werden. Vor allem Industrieunternehmen wünschen die anderen Parteien modernisieren, «da ihre Wähler- sich migrantische Arbeitskräfte, die sie für einen gerin- schaft aufgrund des überdurchschnittlichen Lebensal- geren Lohn ausbeuten können. Außerdem erhalten sie ters schneller ‹wegstirbt› (circa eine Million Wähler_in- für deren Anstellung nicht selten staatliche Zuschüsse, nen pro Legislaturperiode) als die der anderen Parteien. wenn etwa Ausbildungsplätze subventioniert werden Deshalb muss die Union zu jedem Zeitpunkt viel mehr (Friedrich/Pierdicca 2016). Wähler in mittleren Altersgruppen dazugewinnen, die In einem anderen zentralen Themenfeld ist ebenfalls naturgemäß stärker durch modernere Orientierun- eine Krise des alten Konservatismus auszumachen: in gen beeinflusst sind, wenn sie ihren Status quo an der der Frauen- und Familienpolitik. Auch hier war es ein Wählerfront erhalten will» (Jung 2015a). In einem Pa- Buch, das den Riss innerhalb der Konservativen ver- pier für die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung betont tiefte. Bereits im September 2006 hatte die damalige Jung (2015b): «Wenn die Union in der modernen poli-

9 Reaktionäre Krisenverarbeitungen. Entstehung, Entwicklung und Strömungen der AfD

tischen Mitte überzeugen will, dann darf sie insbeson- ist er sehr viel hartnäckiger denn als einfache gesell- dere nicht als die Partei der Ewiggestrigen verdächtigt schafts- oder wirtschaftspolitische Ideologie» (Schrei- werden, die versucht, mit den Antworten von gestern ner 2015: 8). die Probleme der Zukunft lösen zu wollen.» Spätestens mit der Wirtschaftskrise ab 2007 war der Die Diskussion um eine neue rechte Partei spitzte Neoliberalismus dann mit seinen eigenen Widersprü- sich nach der Übernahme der Regierungsverantwor- chen konfrontiert. Grundsätzlich gibt es in einer Struk- tung durch «Schwarz-Gelb» auf Bundesebene im Jahr turkrise zwei Möglichkeiten: Entweder modernisiert 2009 zu. Zusammen mit der wachsenden Unzufrieden- sich das Bestehende oder es findet ein Paradigmen- heit an der Basis der Union über die als zaghaft emp- wechsel statt. Auch wenn es kurze Zeit nach einem fundenen Reformversuche loderten bereits im gesam- Umschwung aussah, haben sich letztlich modifizierte ten Zeitraum des Parteivorsitzes Merkels immer wieder neoliberale Grundsätze durchgesetzt. Nicht nur im bür- Diskussionen um einen «Linkstrend» der CDU auf. gerlichen Feuilleton, in dem traditionell nach links und Konservative organisierten sich im Berliner Kreis, dem rechts ausgeschert werden darf, wurden bestimmte anfänglich auch die AfD-Mitbegründer Alexander Gau- Prämissen kurzfristig infrage gestellt, die in den Jah- land und Konrad Adam angehörten. Die CDU-Rechte ren zuvor gar nicht zur Diskussion gestanden hatten vermochte es allerdings unter Merkel nicht, ihre Positi- (Friedrich 2012). Selbst die deutsche Bundesregierung onen zu stärken – im Gegenteil: Seit Beginn ihrer Kanz- orientierte sich zumindest ansatzweise an nachfrage- lerschaft hat sich eine ganze Reihe von Konservativen orientierten Politikkonzepten: Sie akzeptierte zunächst aus Spitzenämtern zurückgezogen. Haushaltsdefizite, um die Konjunktur anzukurbeln, Während sich die Union also von ihrer Aufgabe als und glich damit die in der Krise sinkende Nachfrage Hüterin deutschen Brauchtums und der klassischen aus (z. B. mit der Verschrottungsprämie). Die im Jahr Rollenverteilung der Geschlechter weitgehend verab- 2009 beschlossene sogenannte Schuldenbremse zeig- schiedet und sich gesellschaftspolitisch erneuert hat, te allerdings, dass eine Erhöhung der Staatsausgaben formierten sich Rechtsaußen zunehmend Diskurse um nicht dauerhaft vorgesehen war. Einwanderung, die Integration von Migrant_innen, die Auch wenn die herrschende Finanz- und Wirt - Rolle der Frau und sexuelle Vielfalt, die die im Zuge der schaftspolitik sich schnell wieder entlang angebots- Modernisierung der Union entstandene Lücke zu fül- orientierter Grundsätze ausrichtete, wie die Fiskal- und len suchten. Offenbar gibt es eine beträchtliche An- Austeritätspolitik der EU verdeutlicht, wurden im Zuge zahl von Menschen, die über ein geschlossen rechtes der Euro-Krisen-Bekämpfung Differenzen offensicht- Welt- und Familienbild verfügen. Laut Sinus-Studien lich, nicht zuletzt zwischen der neoliberalen Politik der haben in Deutschland 23 Prozent der Bevölkerung eine EU und den stärker an nationalstaatlicher Souveränität konservative Grundorientierung (13 Prozent gelten als orientierten Nationalneoliberalen in Deutschland. «Die «Traditionelle», 10 Prozent als «Konservativ-Etablierte»; Auseinandersetzungen über das Krisenmanagement Sinus Sociovision o. J.). Viele Angehörige dieser «Mi- haben die Widersprüche innerhalb der herrschenden lieus» dürften sich im traditionellen Parteienspektrum Klassen, namentlich in der EU, enorm vertieft. In den nicht mehr adäquat repräsentiert sehen. Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen entzündet sich der Dissens vor allem an der Vergemeinschaftung 1.3 KRISE DES NEOLIBERALEN der Haftung für die Staatsschulden von Mitgliedsstaa- KAPITALISMUS ten der Eurozone» (Prokla-Redaktion 2016: 524). Die Krise von Konservatismus und politischer Reprä- Grundsätzlich stehen Unternehmen im Kapitalismus sentation fallen zusammen mit einer Krise des neolibe- in Konkurrenz zueinander, jahrzehntelang hatten große ralen Kapitalismus. Die neoliberale Spielart des Kapita- Teile des Kapitals jedoch eine Art politische Einheit ge- lismus wurde Ende der 1970er Jahre nach der ersten bildet und ihre Interessen gemeinsam artikuliert. Mitt- Weltwirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zur lerweile haben sich die Kapitalfraktionen zunehmend vorherrschenden Wirtschafts- und Vergesellschaf- ausdifferenziert und es treten divergierende Interes- tungsform (Harvey 2007). Die Neoliberalen der «ersten sen zutage (Sablowski 2008). Insbesondere die Wider- Generation» (etwa die Chicago Boys um Milton Fried- sprüche zwischen Konzernen, die auf europäischen man) wandten sich gesellschaftspolitisch gegen linke und globalen Märkten agieren, und Unternehmen, die Projekte (Beispiel Chile unter Allende) und wirtschafts- weiterhin eher an regionalen und lokalen Absatzmärk- politisch gegen staatliche Interventionen, insbesonde- te orientiert sind, werden hier für die Analyse der AfD re gegen einen nachfrageorientierten Keynesianismus. relevant. Mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher setzten sich Das global ausgerichtete Kapital kann in der Regel dann weltweit die Vorstellungen von Deregulierung, flexibler auf günstigere Standortbedingungen in an- entfesseltem Markt, Flexibilisierung und Globalisie- deren Ländern, Regionen und Kontinenten reagie - rung durch. Mittlerweile wird unter dem Begriff Neo- ren. Aus diesen unterschiedlichen Voraussetzungen liberalismus weit mehr gefasst als eine Strömung, die ergeben sich widerstreitende Interessenslagen. So sich im Kern für den freien Markt einsetzt. «Der Neo- profitiert ein exportorientierter Konzern vom europä- liberalismus ist längst zur Grundlage von Lebenssti- ischen Binnenmarkt ebenso wie vom – im Vergleich len geworden, anerkannt und angesagt. Als solche zur D-Mark – eher billigen Euro, weil der seine Wett-

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bewerbsfähigkeit stärkt. Hingegen macht es für ein ausgerichteten Neoliberalen an der vorherrschenden Unternehmen, das für den Inlandsmarkt produziert, Ausprägung neoliberaler Politik – deren Vertreter wis- keinen eklatanten Unterschied, ob die Waren in Euro sen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Hege- oder D-Mark bezahlt werden. Aktuelle und erhellen- monie nur als europäische möglich ist – war bereits vor de Arbeiten zu den Widersprüchen zwischen den und der Gründung der AfD mit Namen wie Joachim Star- auch innerhalb der unterschiedlichen Kapitalfraktio- batty und Hans-Olaf Henkel, vor allem aber mit Bernd nen sind rar. Eine der wenigen Studien hierzu haben Lucke verbunden. Lucke hatte sich bereits vor der Par- im Jahr 2013 Frederic Heine und Thomas Sablows- teigründung darum bemüht, nationalneoliberale Volks- ki vorgelegt. Sie untersuchten die «Europapolitik des wirte zu vernetzen. deutschen Machtblocks und ihre Widersprüche» und Kurz vor der Bundestagswahl 2005 initiierte Lucke konnten erste Risse in diesem Machtblock ausfindig dann gemeinsam mit zwei Kollegen, den Professoren machen. Grundlage ihrer Analyse sind Positionspapie- für Volkswirtschaftslehre Thomas Straubhaar und Mi- re und Pressemitteilungen von Wirtschaftsverbänden chael Funke, den «Hamburger Appell». Dieser wurde zur Krisenpolitik, die zwischen Oktober 2009 und Ju- von mehr als 200 Personen aus der Wissenschaft un- li 2013 veröffentlicht wurden. Vor allem ein Verband terzeichnet und richtete sich gegen Wirtschaftspro- stach bei der Analyse heraus: Die Familienunterneh- gramme, die mittels der Ausweitung öffentlicher Aus- mer, früher Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Un- gaben die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbeln ternehmer (ASU). Die Familienunternehmer waren wollten. Stattdessen plädierten sie für die Senkung der einzige deutsche Verband, der sich während der der Arbeitskosten sowie einen strikten Sparkurs (Fun- Euro-Krise grundsätzlich gegen die Euro-Rettungs- ke u. a. 2005). Viele derjenigen, die den Appell unter- politik stellte. Er unterstützte zudem die Klage gegen schrieben, waren auch Teil des «Plenums der Ökono- den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) men», das im September 2010 federführend von Lucke vor dem Bundesverfassungsgericht und forderte den ins Leben gerufen wurde. Aus diesem Kreis entstand Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone (Heine/ im Februar 2011 eine Stellungnahme gegen den Plan Sablowski 2013: 28). Überdies verlangten Die Famili- der europäischen Finanzminister, einen dauerhaften enunternehmer «eine weitere Verschärfung der fiskal- Rettungsmechanismus einzurichten und den Euro- politischen Maßnahmen», wendeten sich gegen «jede Rettungsschirm auszudehnen. Eine Vergemeinschaf- Form von wirtschaftspolitischer Europäisierung» und tung der Schulden, zu diesem Zeitpunkt vor allem in bedienten sich «einer zum Teil rechtspopulistischen Bezug auf Griechenland im Gespräch, wurde strikt ab- Rhetorik» (ebd.: 31). gelehnt. Es folgten mehrere Aufsätze Luckes in der Doch weshalb diese Ablehnung der Euro-Rettungs- Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die diese Position un- politik? Heine und Sablowski gehen davon aus, dass terstrichen. Offensichtlich verfolgte er die Strategie, sich ein aktiver Teil dieser Unternehmen durch eine zu- die damals regierende schwarz-gelbe Bundesregie- nehmende europäische Integration verstärkter Kon- rung auf diskursiver Ebene zu überzeugen. kurrenz ausgesetzt und durch diese gefährdet sieht. Im Herbst 2011 unterstützten zahlreiche Volkswir- «Daher versuchen sie, diese durch verschiedene po- te – darunter auch Lucke – in einem offenen Brief einen litische (und rechtliche) Interventionen aufzuhalten» von Frank Schäffler initiierten Mitgliederentscheid der (ebd.). Die Fraktion der international agierenden Un- FDP, in dem über den weiteren Euro-Rettungskurs ab- ternehmen hingegen orientiert sich am europäischen gestimmt wurde. Die Entscheidung ging aus Sicht die- und außereuropäischen Markt. Sie erhofft sich von ser Ökonomen, die sich gegen eine «Haftungsunion» der europäischen Währungsunion und einer stabilen aussprachen, knapp verloren. Danach wurde der Ton EU bessere Chancen für eine globale Expansion. Ent- gegenüber Schwarz-Gelb schärfer. Vor allem in der sprechend setzen diese Unternehmen auf einen har- Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in Die Welt folgten Austeritätskurs und die – in ihrem Sinne – Verbes- ten weitere Aufsätze, und ein wiederum von Lucke ins serung der Standortbedingungen, was zum Beispiel Leben gerufenes «Protestbündnis» gründete sich im bedeutet, durch «Flexibilisierungen» die Arbeitsrechte Februar 2012. Mit dabei waren Henkel und Schäffler. einzuschränken und die Löhne zu senken (ebd.: 32). All diese Vorstöße durch Nationalneoliberale adres- Eine klar national ausgerichtete neoliberale Strö- sierten aber bis zum Sommer 2012 immer noch die Re- mung hat sich in Deutschland bis heute nicht in einer gierungsparteien CDU/CSU und FDP. Sowohl die Me- bestimmten Partei organisiert. Stattdessen wurde ver- dieninterventionen in Form von Interviews, Aufsätzen sucht, auf die bestehenden Parteien (vor allem CDU/ und mehreren offenen Briefen als auch der Mitglieder- CSU und FDP) Einfluss zu nehmen. In den vergange- entscheid in der FDP hatten zum Ziel, die bestehenden nen Jahren ist es vor allem die Kritik am Euro und an und regierenden Parteien von ihrem Kurs in der Euro- der EU-Rettungspolitik gewesen, die Nationalneolibe- Politik abzubringen. rale gegen die Regierung mobilisiert hat. Diese muss- Die Chancen dafür standen zu diesem Zeitpunkt alten wiederum einsehen, dass mit der Einführung des les andere als schlecht. Selbst die später durch die AfD Euro eine neue Qualität der europäischen Integration vertretene Forderung einer flexiblen Währungsunion erreicht wurde, die nicht ohne Weiteres wieder rück- und der damit zusammenhängende antizipierte Raus- gängig zu machen ist. Die Kritik der explizit national wurf Griechenlands aus dem Euro-Raum wurden in

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der schwarz-gelben Koalition durchaus diskutiert. So Raums, deren Zinsen sehr hoch waren, von Investo- sprach selbst die Kanzlerin im März 2010 im Bundes- ren zurückzukaufen, stimmte der deutsche Vertreter tag von einer möglichen Revision europäischer Verträ- als Einziger im 27-köpfigen EZB-Rat dagegen (Stützle ge, um ein Land aus dem Euro-Raum werfen zu kön - 2013: 333). Auch wenn Deutschland eine dominante nen. Im Sommer 2012 wurde der FDP-Vorsitzende und Rolle innerhalb der EU und der EZB spielt, musste sich amtierende Vizekanzler Philipp Rösler noch deutlicher die Bundesregierung dem EZB-Kurs anpassen. und legte – fleißig unterstützt durch die BILD-Zeitung – Die legendären Worte Wolfgang Schäubles Mitte Griechenland nahe, sich aus der Euro-Zone zu verab- Oktober 2012 vor der deutsch-singapurischen Indus- schieden. Griechenland stand tatsächlich kurz vor dem trie- und Außenhandelskammer («It will not happen Staatsbankrott, da die Zinsen auf seine Staatsanleihen that there will be a Staatsbankrott in Greece») und das drastisch in die Höhe geschossen waren. Im Nachhinein nachgeschobene Bekenntnis, dass Griechenland nicht sind Röslers Vorstöße im Juli und August 2012 aber als aus der Währungsgemeinschaft ausgeschlossen wer- taktische Manöver zu werten, denn auch der FDP-Chef den würde, markierten nur die Vollendung der neuen wird zu diesem Zeitpunkt schon gewusst haben, dass EZB-Zinsstrategie. Bereits im August und September die Europäische Zentralbank (EZB) den Ausschluss Grie- zeichnete sich also ab: Ein Ausschluss Griechenlands chenlands aus dem Euro nicht zulassen würde. war vom Tisch, und auch die Forderung nach einer fle- Hinter der Auseinandersetzung um die Rettungs- xiblen Währungsunion war mit der bestehenden Re- politik der Bundesregierung steht laut dem Politikwis- gierung nicht durchzusetzen. senschaftler Dieter Plehwe auch ein rechtsliberales Lucke und Co. dürften erkannt haben, dass ihre Stra- Europak onzept. Rechtsliberale verbinden Wirtschafts- tegie, über öffentlichen Druck auf die Union und FDP liberalismus mit Kulturkonservatismus und verknüp- einzuwirken, gescheitert war. Vor allem von der tradi fen ihre «Freiheitsideologie eng mit dem Konzept na- tionell wirtschaftsnahen FDP war kaum mehr etwas tionalstaatlicher Souveränität» (Plehwe 2016: 56). zu erwarten. Schäffler hatte sich weit aus der Deckung Vor allem wegen der Verabschiedung der Maast - gewagt und war gescheitert. Zudem wurde immer un- richter Verträge Anfang der 1990er Jahre sei ein Riss wahrscheinlicher, dass die FDP auch nach den Wahlen durch das wirtschaftsliberale Lager gegangen: Wäh- 2013 im Bundestag sitzen würde. Daraufhin gründe- rend für Rechtsliberale «Maastricht eine Gefahr für te Lucke gemeinsam mit rechten Kulturkämpfer_innen die nationale Stabilitätspolitik darstellte, weil der ein- wie Beatrix von Storch im September den Verein zur geschlagene Pfad der europäischen Integration die Unterstützung der Wahlalternative 2013, der wenige Sanktionsgewalt des Staates unterminiere, sahen die Monate später zur Etablierung der AfD führte. Dass bei Chefvolkswirte der Großbanken in Unterstützung der der Vereinsgründung nicht nur Nationalneoliberale da- Maastricht-Koalition die Gefahr eher in einem für wirt- bei waren, sondern auch von Storch samt ihrem Kam- schaftspolitische Rückfälle anfälligen nationalistischen pagnennetzwerk, zeigt, dass er von Anfang an darauf Denken» (ebd.: 57). ausgelegt war, eine rechte Sammlungspartei ins Leben Neoliberal sind beide Varianten, es geht nur um die zu rufen. Ausschlaggebend für das Bündnis dürfte die Frage, «auf welcher Ebene und in welcher Form die Einschätzung gewesen sein, dass weder eine rechts- für den möglichst wirtschaftsliberalen Kapitalismus liberale noch eine ausschließlich rechtskonservative erforderlichen Staatsfunktionen angeordnet werden» Partei in Deutschland langfristig Chancen hätte. (ebd.). Seit den 1990er Jahren wurden diverse rechtsliberale Thinktanks wie die bereits genannte Hayek-Ge- 1.4 KRISE DER SOZIALEN SICHERHEIT sellschaft gegründet (ebd.: 59) und die transnationale Ein Aspekt des Neoliberalismus ist die schwindende Zusammenarbeit vorangetrieben. Denn Rechtsliberale Zustimmung seitens der Bevölkerung zur aktuellen lehnen Europa nicht per se ab, vielmehr sollten «die po- Form des Kapitalismus. Das Institut für Demoskopie sitiven Elemente der Europäischen Integration» erhal- Allensbach fragte im Jahr 2012 vor dem Hintergrund ten bleiben (ebd.: 60). Entsprechend geht es nicht um der damals entstandenen Occupy-Wall-Street-Bewe- eine Auflösung der EU, sondern um eine konservative gung nach den Assoziationen zum Begriff Kapitalis- Reform. mus und verglich diese mit Werten aus dem Jahr 1992. Wesentliche Positionen, die Nationalneoliberale ver- Das Ergebnis: 1992 wurde mit Kapitalismus noch weit- traten, standen bis Sommer 2012 zur Diskussion. Doch aus mehr Positives verbunden als im Jahr 2012. Asso- die Hoffnungen von Lucke und Co., die Bundesregie- ziierten 1992 noch 48 Prozent der Befragten «Freiheit», rung würde ihren Empfehlungen folgen, sollten sich waren es 2012 nur noch 27 Prozent, an «Fortschritt» nicht erfüllen. Am 29. Juni stimmte der Bundestag dem dachten 1992 immerhin 69 Prozent, 2012 lediglich ESM zu, was eine herbe Niederlage für Frank Schäffler noch 38 Prozent. Dagegen stieg die gedankliche Ver- und seinen Flügel innerhalb der FDP bedeutete. Aber bindung zu «Ausbeutung» von 66 auf 77 Prozent. Au- es kam noch schlimmer: Wenige Tage später kündig- ßerdem stellte Allensbach in einer repräsentativen te EZB-Präsident Mario Draghi eine neue Praxis beim Befragung fest: 70 Prozent der Befragten sind der An- Kauf von Staatsanleihen an. Als am 2. August 2012 sicht, dass die Einkommensunterschiede zu hoch sind, die EZB dann tatsächlich beschloss, am sogenannten 65 Prozent sehen die Gefahr, sozial abzusteigen, als zu Sekundärmarkt Staatsanleihen von Staaten des Euro- groß an, 50 Prozent stimmen der Aussage zu, dass die

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Marktwirtschaft Egoismus und Ellbogenmentalität för- In seinem Buch «Die Abstiegsgesellschaft» spricht dert (Köcher 2012). Oliver Nachtwey (2016: 11) von Prozessen regressiver Während das Einverständnis mit dem Kapitalismus Modernisierung: «Sie verknüpfen häufig gesellschaftli- in der Bevölkerung also tendenziell sinkt, nimmt die so- che Liberalisierung mit ökonomischer Deregulierung. ziale Ungleichheit weltweit und eben auch in Deutsch- Horizontal, zwischen Gruppen mit unterschiedlichen land sichtlich zu. Das Deutsche Institut für Wirtschafts- sexuellen Orientierungen, zwischen den Geschlech- forschung (DIW) kommt nach Berechnungen auf Basis tern und in bestimmten Bereichen sogar zwischen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zu dem Er- Ethnien, wird die Gesellschaft gleichberechtigter und gebnis, dass zwischen 2000 und 2012 die real verfüg- inklusiver, vertikal geht diese Gleichberechtigung mit baren Haushaltseinkommen zwar um fünf Prozent größeren ökonomischen Ungleichheiten einher.» gestiegen sind, davon aber nur wenige profitieren: Gleichzeitig nehmen prekäre Beschäftigungsverhält- «Während die realen Einkommen der obersten zehn nisse – also befristete, niedrig entlohnte und von man- Prozent um mehr als 15 Prozent stiegen, stagnierten gelnder rechtlicher Absicherung geprägte Lohnarbeit – sie in der Mitte der Einkommensverteilung und waren zu, was nicht nur Teile der Arbeiterklasse betrifft. Dem in den unteren Einkommensgruppen sogar rückläufig. französischen Soziologen Robert Castel (2009: 32) zu- Im Ergebnis ist die Ungleichheit der verfügbaren Haus- folge existiert auch eine «gehobene Form von Preka- haltseinkommen in Deutschland bis zum Jahr 2005 rität» bei denjenigen, die gut bis sehr gut qualifiziert stark gestiegen und stagniert seitdem auf hohem Ni- sind. veau» (Goebel 2015 u. a.: 571). Parallel zu dieser Ent- Und zahlreiche Studien belegen, dass die Mitte wicklung hat laut DIW das Armutsrisiko zwischen 2000 schrumpft. Eine gemeinsam von der Bertelsmann- und 2009 zugenommen. Es sind vor allem Menschen Stiftung, dem DIW und der Universität Bremen im Jahr zwischen 25 und 35 Jahren immer mehr von Armut be- 2012 durchgeführte Untersuchung kommt zu dem Er- droht (ebd.). gebnis, dass seit 1997 der Anteil der «Mittelschicht» Und auch die Vermögensungleichheit wächst. Das an der Gesamtgesellschaft von 65 auf 58 Prozent ge- Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sunken ist. Als Mittelschicht werden dabei diejenigen schätzt den Anteil des reichsten Prozents der Bevöl- gefasst, die über 70 bis 150 Prozent des mittleren Ein- kerung am Nettovermögen aller privaten Haushalte in kommens verfügen. Den unteren und untersten Ein- Deutschland auf ein Drittel. Die reichsten zehn Prozent kommensschichten lassen sich dagegen heute fast der Gesellschaft besitzen zwischen 63 und 74 Prozent vier Millionen mehr Menschen zuordnen. An die Stelle des Nettogesamtvermögens (Westermeier/Grabka der Aufstiegsmobilität trete zunehmend die Gefahr des 2015: 123). Innerhalb der Euro-Zone ist in Deutschland sozialen Abstiegs, und die Sorgen um die wirtschaft- der Gini-Koeffizient und damit die Vermögensungleich- liche Situation innerhalb der Mittelschicht hätten sich heit am höchsten (Grabka/Westermeier 2014: 151 ff.). im Laufe der vergangenen zehn Jahre deutlich vergrö- Die subjektive Unzufriedenheit mit dem Kapitalismus ßert (Bertelsmann Stiftung 2012). hat also eine reale Grundlage – die Schere zwischen Bei Teilen der Mittelklassen entstand auf der Grund- Arm und Reich geht nicht nur gefühlt auseinander. Das lage dieser Entwicklung eine diffuse Ablehnung des zeigt: Das «goldene Zeitalter» des Kapitalismus, von Bestehenden bei gleichzeitigem Beharren auf Privi- dem der Historiker Eric Hobsbawm (1995: 285 ff.) mit legien. Doch nicht die gesellschaftlichen Verhältnis- Blick auf die wirtschaftliche Prosperitätsphase in den se stehen im Mittelpunkt der Kritik; stärker ist der Un- westlichen» Staaten sprach, ist vorbei. Und die Profit- mut darüber, nicht mehr die Rolle in der Gesellschaft raten sinken weltweit (Nachtwey 2016: 47 ff.). zu spielen, die man sich eigentlich ausgesucht und die Die bundesrepublikanische Nachkriegszeit war ge- man von Geburt an mithilfe der aufstiegsgewöhnten prägt von weitgehender Zustimmung zum demokrati- Eltern eingeübt hatte. schen Parlamentarismus, von eingebundenen Milieus, Eine Mischung aus dem bereits beschriebenen starken Gewerkschaften und einer sehr niedrigen Ar- «postdemokratischen Unbehagen» und Abstiegs- beitslosenquote. Doch auch damals war längst nicht ängsten kennzeichnet also die unzufriedene «Mitte». alles Gold, was glänzte. Denn auch wenn die keynesia Allerdings muss daraufhin nicht automatisch eine Ori- nische Wirtschafspolitik die ökonomische Ungleich- entierung nach rechts erfolgen, schließlich ist eine re- heit zwischen den Klassen abmilderte, baute sie Be- aktionäre Wende infolge politischen Unbehagens und nachteiligungen anderswo zugleich aus – zulasten von sozialer Bedrohungen kein Naturgesetz. Es ist ebenso Migrant_innen und von Frauen (ebd.: 40). Mit den er- möglich, dass die Unzufriedenheit zu einer stärkeren folglosen neoliberalen Versuchen, durch Deregulierun- Polarisierung führt und linken Kräften Auftrieb bringt, gen und Privatisierungen neue Märkte zu erschließen wie es teilweise in südeuropäischen Ländern zu beob- und auf diesem Wege ein erneutes Wachstum zu ver- achten ist. In Deutschland sieht das derzeit anders aus. stetigen, nahm aber der Druck auf die Arbeitenden zu. Hier war es die AfD, die die Krise des Sozialen und die Die Löhne sanken kontinuierlich, «Flexibilisierungen» Abstiegsängste aufgegriffen hat und damit an eine re- erhöhten die Konkurrenz zwischen den Erwerbstäti- aktionäre Krisenbearbeitung andocken konnte. gen, es etablierte sich ein umfangreicher Niedriglohn- Bereits in den Jahren vor der Gründung der AfD ha- sektor (ebd.: 98 ff.). ben Sozialwissenschaftler_innen immer wieder be-

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tont, dass Autoritarismus und Rassismus weit verbrei- gungsverhältnisse die Erosion der Mittelschichten – tet seien und man allgemein von einem Rechtstrend und bereiteten im oben beschriebenen Sinne den in der Mitte der Gesellschaft sprechen könne. Eine Boden für die AfD. Die Paradoxie bestehe nun darin, 2010 veröffentlichte Langzeitstudie etwa machte ei- dass die AfD den materiellen Ängsten mit einer wei- ne deutliche Zunahme «abwertender, menschen- teren Wettbewerbsintensivierung begegnen wolle feindlicher Einstellungen gegenüber verschiedenen (ebd.: 31). Zum anderen übernimmt die AfD den ge- schwachen Gruppen» aus, und zwar besonders bei sellschaftlichen Leistungsdiskurs, der sich in den ver- höheren Einkommensgruppen (Heitmeyer 2010). Die gangenen Jahren verschärft hat. Die Quintessenz: Die Forscher_innen sprachen hier von einer «rohen Bür- geschundene, leistungswillige Mitte scheint hier vor gerlichkeit». Es gebe «infolge von ökonomischen wie allem durch vermeintliche Leistungsverweigerer unter gesellschaftlichen Kriseneffekten deutliche Hinweise Druck geraten zu sein. Das Ressentiment gegen die, auf eine entsicherte wie entkultivierte Bürgerlichkeit» die es sich angeblich in der sozialen Hängematte be- (ebd.). Dieser «entsicherte» Teil der Mitte richte sei- quem machen, bedienen seit Mitte der 2000er auch ne Abwertung vornehmlich auf vermeintlich nutzlose gern Größen aus der Politik (Kemper 2011). Menschen und sei zudem fortschreitend islamfeind- Zumindest ein Teil der «Mitte» in der Krise ähnelt da- lich (ebd.). mit einem Radfahrer, so wie ihn Kurt Tucholsky vor fast Im November 2014 wies eine Studie von Andre- 100 Jahren beschrieb: Untertänig und respektvoll him- as Zick und Anna Klein (2014: 106) nach, dass ein Teil meln sie nach oben, geschwollen treten sie nach un- der Mittelklassen einen – wie sie es nennen – markt- ten – ein prägnantes Muster, wie reale Fragen reaktio- förmigen Extremismus befürwortet. Dieser habe drei när beantwortet werden. Komponenten: Erstens gebe es eine Art unternehme- rischen Universalismus, der die Leistungsideologie 1.5 KRISE DER PARLAMENTARISCHEN verallgemeinert. So stimmten beispielsweise 56 Pro- DEMOKRATIE zent der Befragten der Aussage zu, dass Menschen Die genannten gesellschaftlichen Entwicklungen ha- selbst für ihr Scheitern verantwortlich sind, wenn sie ben ein breites Spektrum von Nationalkonservativen einen Mangel an Eigenmotivation haben. Die zwei- bis extrem Rechten mobilisiert. Auch die sukzessive te Dimension ist die Wettbewerbsideologie, nach der Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie und gesellschaftlicher Fortschritt zuvorderst durch Konkur- die Angleichung der etablierten Parteien begünstigen renz und Wettbewerb entsteht. Drittens sind für den die Rechten. Es war Anfang der 1990er Jahre, als der marktförmigen Extremismus ökonomistische Grund- US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fu- haltungen charakteristisch: Ökonomische Kriterien kuyama (1992) das Ende der Geschichte ausrief. Seine werden zum Maßstab für die Bewertung von Men- Diagnose: Faschismus und Kommunismus seien glei- schen und Bevölkerungsgruppen. Zwar stimme nur chermaßen an den inneren Widersprüchen geschei- etwa jede sechste Person diesen drei Aspekten in ih- tert, übrig bleibe einzig der Liberalismus in Form von rer Gesamtheit zu (ebd.: 110), interessant ist aber, dass Marktwirtschaft und Demokratie. Heute, ein Viertel- diese Zustimmung doppelt so häufig bei Personen mit jahrhundert später, hält Fukuyama zwar an der These Abstiegsangst diagnostiziert wurde als bei jenen oh- fest, sein Hauptaugenmerk liegt mittlerweile aber auf ne: «Das Gefühl, durch die aktuellen Entwicklungen in etwas anderem: der Krise der Demokratie. Europa etwas verlieren zu können, geht also stark mit Nicht nur bei Fukuyama, auch bei vielen anderen in marktförmigem Extremismus als Gesamtphänomen Wissenschaft und Feuilleton ist diese ausgerufene Kri- einher» (ebd.: 111). Und weiter: «Die Partei AfD greift se seit Jahren ein Topthema. Sie berufen sich etwa auf das vorhandene wettbewerbspopulistische Potenti- die gesunkene Wahlbeteiligung: Gingen in der BRD der al offenbar als politisches Sprachrohr auf und scheint 1970er Jahre noch über 90 Prozent der Wahlberech- gerade diese ökonomisch menschenfeindliche Ver- tigten an die Urnen, lag die Wahlbeteiligung bei den bindung zu kanalisieren. Vor allem hier – bei Personen, beiden zurückliegenden Bundestagswahlen um die die mit den Argumenten der AfD sympathisieren – sind 71 Prozent. Auch die Bindung an etablierte Parteien marktförmiger Extremismus und Bedrohungsgefühle hat stark abgenommen: Seit 1990 hat sich sowohl bei besonders stark vertreten» (ebd.). der SPD als auch bei der CDU die Mitgliederzahl fast Dass ausgerechnet diese Bevölkerungsgruppe sich halbiert. In einer repräsentativen Umfrage der Freien von der AfD vertreten wähnt, ist nicht absurd, wie Da- Universität Berlin gaben 60 Prozent an, sie hielten die vid Bebnowski und Lisa Julika Förster in einer im Mai hiesige Staatsform für keine echte Demokratie, da der 2014 veröffentlichten Studie treffend erläutert haben. Einfluss der Wirtschaft zu stark sei (Schroeder/Deutz- Der Erfolg der Partei sei Resultat «der Wettbewerbsin- Schroeder 2015: 568 f.). tensivierung der letzten Jahrzehnte». Zum einen knüpft Die Abkehr von Parteiorganisationen und parla- die AfD an den Diskurs der Wettbewerbsfähigkeit des mentarischer Repräsentation sowie die Zweifel an der Standorts Deutschland an (Bebnowski/Förster 2014: Demokratie verweisen auf ein Phänomen, das Colin 30). Politische Maßnahmen wie die Agenda 2010 zur Crouch (2008) vor einigen Jahren als «Postdemokratie» «Flexibilisierung» des deutschen Arbeitsmarktes be- beschrieben hat. Dem britischen Politikwissenschaft- schleunigten durch den Ausbau prekärer Beschäfti- ler zufolge werden die demokratischen Institutionen

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zunehmend von den wirtschaftlichen Eliten ausge- teilen» (Schirrmacher 2011a). Wenige Monate später höhlt, auf die sich die Macht in wachsendem Maße legte Schirrmacher (2011b) nach und beklagte, die konzentriere. Die Kritik an den etablierten Parteien, der Demokratie verkomme mehr und mehr zu Ramsch. herrschenden Politik und in Teilen auch an den Medien Anlass für diese Einschätzung war die öffentliche Kri- kann als Reaktion auf eine sich abkapselnde Politiker- tik an der überraschenden Ankündigung des dama- klasse und die damit verbundenen Folgen interpretiert ligen griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Pa- werden. Diese treffe in nicht demokratisch legitimier- pandreou, ein Referendum über die Sparauflagen ten Gremien «über Nacht» weitreichende Entschei- abhalten zu lassen, die zuvor beim Euro-Gipfel in dungen, für die Jahre zuvor noch lange Parlamentsde- Brüssel beschlossen worden waren. Die Kritik an Pa- batten und gesellschaftliche Auseinandersetzungen pandreou zeige, so Schirrmacher, dass beim Macht- notwendig gewesen wären. Stattdessen begründe die kampf zwischen Ökonomie und Politik Letztere mas- politische Klasse ihre Entscheidungen nur allzu gern siv an Boden verloren habe. Fast verzweifelt fragte mit dem Verweis auf eine vermeintliche Alternativlo- er sich: «Sieht man denn nicht, dass wir jetzt Rating sigkeit. agenturen, Analysten oder irgendwelchen Banken- Das, was Crouch als ein Phänomen des Neolibera- verbänden die Bewertung demokratischer Prozesse lismus beschreibt, verstand der Politikwissenschaftler überlassen?» (ebd.). Johannes Agnoli als ein Grundprinzip der parlamenta- Auch wenn einige Linke sich von den Worten rischen Demokratie in kapitalistisch verfassten Gesell- Schirrmachers verzaubern ließen (Friedrich 2012), ist schaften. Bereits 1967 beschrieb er, dass die sozialen die Kritik letztlich eine konservative, die sich an den Widersprüche und die Klassenfrage in der parlamenta- schlimmsten Auswüchsen des Finanzmarktkapitalis- rischen Demokratie auf einen bloßen Interessensplura- mus abarbeitet. Schirrmacher machte sich keineswegs lismus reduziert würden. Dadurch würden die Parteien für eine Abkehr vom kapitalistischen Prinzip stark, nicht mehr die Interessen bestimmter Gruppen vertre- sondern für die Restauration der «sozialen Marktwirt- ten (was sich schon im Begriff der Volkspartei ausdrü- schaft» im Sinne Ludwig Erhards. cke). «Die Parteien trennen sich von der eigenen, ak- Es war der heutige AfD-Spitzenmann Alexander tuellen oder potentiellen gesellschaftlichen Basis und Gauland, der schon Anfang der 2000er Jahre in seinem werden zu staatspolitischen Vereinigungen» (Agnoli Buch «Anleitung zum Konservativsein» sehr ähnlich 1967: 33). Letztlich gehe es um die Machtkonkurrenz argumentierte. Damals noch CDU-Mitglied, grenzt er unterschiedlicher Führungseliten. Die Demokratie sei sich in seinem Essay von der Beschleunigung des glo- von einer «Involution» betroffen, der prozesshaften balisierten Kapitalismus ab. Er bedauert den «politisch- Rückentwicklung und Aushöhlung. Übrig bleibe eine philosophischen Stellungswechsel» der Wirtschaft, «Demokratie ohne demos» (ebd.: 44). Das Parlament nach dem suggeriert werde, dass ein Wirtschaftssub- sei «Transmissionsriemen der Entscheidungen poli- jekt auf Moral verzichten könne (Gauland 2002: 57). Er tischer Oligarchien» (ebd.: 68). Dadurch transformie- kritisiert auch den «Ökonomismus aller Lebensberei- re sich der Staat allmählich in einen autoritären Staat. che», der «vor Kultur und Familie, Religion und Heimat Demnach wird nicht der Parlamentarismus selbst zer- nicht Halt macht» (ebd.: 86). Daher sei alles, was das stört, denn formal existiert die Demokratie weiter, aber Tempo der Globalisierung verlangsame und diese ein- der Interessengegensatz ist blockiert. hege, gut und richtig: «Traditionen und Mythen, Glau- Hinter Crouchs und Agnolis Analysen steht eine ka- bensbekenntnisse und Kulturen, Ethnien und Grenzen» pitalismuskritische Position. Eine Kritik an der hiesigen (ebd.: 87). Schließlich bedeute Konservativsein «nicht, Form der Demokratie ist aber zunächst einmal weder an der Spitze des Fortschritts zu marschieren und alles links noch rechts. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich zu tun, was man tun kann, konservativ sein heißt be- nämlich, dass die gesellschaftliche Linke keineswegs wahren, verlangsamen, im Gleichgewicht halten und ein Copyright darauf hat. Auch Konservative haben dem Zeitgeist widerstehen» (ebd.: 91). sich in den vergangenen Jahren zunehmend mit die- Was Schirrmacher weiterhin umtrieb, war ein post- sem Thema befasst. demokratisches Unbehagen angesichts des Bedeu- So entspannte sich in den Jahren vor der Gründung tungsverlusts des Feuilletons. Es begründet sich in der der AfD im konservativen Feuilleton eine ausgiebige nicht ganz unberechtigten Befürchtung der intellektu- Debatte über den Einfluss der Wirtschaft auf die de- ellen Elite, zugunsten von ökonomischen «Sachzwän- mokratischen Institutionen. Es war vor allem Frank gen» und postulierter «Alternativlosigkeit» kaum noch Schirrmacher, der diese Debatte befeuerte. Der im Gehör in den wesentlichen Debatten zu finden. Über Jahr 2014 verstorbene Mitherausgeber der Frankfur- Nacht wird beschlossen, Milliarden für die Bankenret- ter Allgemeinen Zeitung schrieb im Sommer 2011 in tungen auszugeben, eine gesellschaftliche Auseinan- einem vielbeachteten Artikel, er beginne zu glauben, dersetzung im Vorfeld findet so gut wie nicht statt. An dass die Linke recht habe. Er kritisierte: Globalisierung einem ähnlichen Punkt setzt seit den 1980er Jahren «sollte ursprünglich nichts anderes bedeuten als welt- der sogenannte Rechtspopulismus an. Auch wenn der weiter freier Handel. Jetzt heißt es, dass Banken die Begriff wegen seiner Vieldeutigkeit nur eingeschränkt Gewinne internationalen Erfolgs an sich reißen und geeignet ist, die modernisierte Rechte zu beschreiben, die Verluste auf jeden Steuerzahler in jeder Nation ver- gibt es eine zentrale Überschneidung bei all jenen Pro-

15 Reaktionäre Krisenverarbeitungen. Entstehung, Entwicklung und Strömungen der AfD

jekten, die als rechtspopulistisch gelten: Sie alle beto- 1.6 DIE ENTWICKLUNG DER AFD nen, dass die gegenwärtige Demokratie nicht mehr Seit ihrer Gründung im Frühjahr 2013 hat die AfD viele funktioniere. Höhen und Tiefen und harsche interne Auseinanderset- Nach dem Politikwissenschaftler Sebastian Reinfeldt zungen erlebt. Eine Analyse der Entwicklung der Akteu- (2013: 33) «tritt rechter Populismus mit dem Ziel an, die re, der Themen, des medialen Auftretens und der öffent- politische und soziale Mitte zu erobern, politisch zu in- lichen Wahrnehmung der Partei ergibt eine Einteilung fizieren und somit eine etwas andere Denk- und Mach- in vier Phasen: Die erste Phase von der Gründung bis art des Staates durchzusetzen, besonders hinsichtlich zur Bundestagswahl im September 2013 ist geprägt von der demokratischen Verfahren und Prozesse». Rech- einer betont gemäßigten Programmatik, gepaart mit ei- ter Populismus ziele auf eine Politik der vermeintlichen nem relativ moderaten Auftreten. Während der zwei- Mehrheit gegen Minderheiten, der Politikstil sei autori- ten Phase, von der Bundestagswahl bis zu den Land- tär und vor allem, wenn es um Krisen geht, werde auf tagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg essentialisierende und kollektivierende Muster zurück- im August 2014, lässt sich eine allmähliche Rechtsver- gegriffen (ebd.). So etwa bei der EU-Finanzkrise: Rech- schiebung feststellen, die von denjenigen mit vorange- te grenzten sich ab gegen «die da oben», womit sie vor trieben wurde, die ihr später den Kampf ansagten. Die allem die Politikerklasse in Brüssel meinten, zugleich Kräfteverhältnisse hatten sich unumkehrbar verschoben positioniere sich der Rechtspopulismus auch gegen und die Flügel polarisiert, was spätestens ab Septem- «die da unten»: Migrant_innen, Menschen aus Südeu- ber 2014 in einem offen geführten Machtkampf mün- ropa oder auch Erwerbslose (ebd.: 35). dete, der die dritte Phase bestimmte. Im Juli 2015 kam Reinfeldt fasst die rechtspopulistische Demokra- es zur Spaltung, die kurzfristig den Untergang der AfD tiekritik folgendermaßen zusammen: «Es sind die da vermuten ließ. Doch im September 2015, dem Beginn oben, die uns schlecht regieren würden und dies da- der vierten Phase, konnte die Partei ein Comeback fei- rüber hinaus zu Unrecht täten, also ohne eine aus - ern. Es ging einher mit einer weitgehend ungebremsten reichende Legitimation. Denn sie würden die ‹über- Rechtsentwicklung und einem neuerlichen Kampf um wiegende Mehrheit› des Volkes nur unzureichend die Macht, den Frauke Petry verlor, weswegen sie und repräsentieren und eigentlich gegen ihren Willen einige Gefolgsleute die Partei verließen. regieren – so lautet die rhetorische Figur der Absto- ßung» (ebd.: 53). Eine Situation, die von postdemokra- 1.6.1 Von der Gründung der AfD tischem Unbehagen geprägt ist, eignet sich also da- bis zur Bundestagswahl 2013 zu, einen Dualismus zwischen «dem Volk» und «den Auf dem Gründungsparteitag der AfD im April 2013 in Politikern» aufzubauen. Dieser Dualismus, der die Berlin fanden sich Repräsentant_innen der national- ökonomischen Voraussetzungen der gesellschaftli- neoliberalen und der nationalkonservativen Strömung chen Machtverschiebungen gerade nicht zur Sprache in den ersten Reihen. Die Eröffnungsrede hielt Kon- bringt, ist ein wesentliches Merkmal rechtspopulisti- rad Adam, ehemals Feuilleton-Redakteur der Frank- scher Politik. furter Allgemeinen Zeitung sowie Chefkorrespondent Und genauso agiert die AfD. Dem Sozialwissen - und Kolumnist der Welt. Dass christlicher Fundamen- schaftler Horst Kahrs (2014) zufolge bedient die AfD er- talismus und damit die Politik von geschlechter- und folgreich eine populäre «Anti-Parteien-Stimmung: Die sexualpolitischem Rollback der AfD ins Stammbuch ‹Altparteien›, die ‹Systemparteien› seien alle ‹verfault›, geschrieben ist, wird klar, wenn man sich den Hinter- ‹korrupt›, auf jeden Fall nicht mehr auf der Seite des grund der Parteimitbegründerin Beatrix von Storch gesunden bürgerlichen Menschenverstandes». Die ansieht (Kemper 2016: 91). Sie war ebenfalls beim Parteien sollen mit ihrem Gezänk aufhören, stattdes- Gründungsparteitag dabei. Seit Jahren ist von Storch sen «soll der Expertensachverstand regieren, der pro- federführend in dem Kampagnennetzwerk «Zivile Ko- fessorale, der wirtschaftliche, der technokratische». alition», in dem verschiedene antifeministische Strö- Die Gegenüberstellung von «Volk» und «Politik» drückt mungen vereint agieren. Das Netzwerk betreibt unter sich nicht nur in der Forderung nach Volksentscheiden anderem die Seiten freie-welt.net, buergerkonvent.de und in der «Ablehnung der Altparteien» aus, sondern und familienschutz.de. Die «Märsche für das Leben» selbst im Parteinamen. So lehnt sich die Alternative für oder die Kampagne gegen Bildungsansätze, die an den Deutschland an die inflationäre Verwendung des politi- Schulen Aufklärung über sexuelle Vielfalt und Selbst- schen Schlagworts «alternativlos» an, das Merkel etwa bestimmung vorsehen, sind Beispiele seines reaktio- seit dem Jahr 2009 vermehrt verwendet. nären Mobilisierungsrepertoires. AfD-Initiator Bernd Lucke hat auf diesen Zusammen- Durch den Parteitag führte Alexander Gauland, zwi- hang bereits bei seiner Grundsatzrede auf dem AfD- schen 1987 und 1991 unter Walter Wallmanns Leiter Gründungsparteitag im April 2013 verwiesen. Letzt- der Hessischen Staatskanzlei, anschließend Herausge- lich richtet sich die Opposition gegen die verlautbarte ber der Märkischen Allgemeinen. In der ersten Reihe Alternativlosigkeit auch gegen den Diskurs der nicht saßen Joachim Starbatty, renommierter Professor für mehr veränderbaren, gestellten Weichen. Insofern ist Volkswirtschaften aus Tübingen, und Hans-Olaf Hen- die AfD auch eine rechte Antwort auf Fukuyamas Dik- kel, ehemaliger Präsident des Bundesverbands der tum vom Ende der Geschichte. Deutschen Industrie (BDI).

16 Reaktionäre Krisenverarbeitungen. Entstehung, Entwicklung und Strömungen der AfD

Auch wenn bereits in der Gründungsphase Natio- Sarrazin vereinnahmen. Das kann uns viel Aufmerk- nalkonservative beteiligt waren, konnten rechte Kul- samkeit, Kritik der linken Presse und viel Zuspruch turkämpfer_innen zunächst wenig Einfluss geltend in der Bevölkerung einbringen», schrieb Lucke in ei- machen. So war das auf dem Gründungsparteitag be- ner Mail, aus der im Januar 2015 Der Spiegel zitierte schlossene, lediglich drei Seiten umfassende Bundes- (Amann/Pfister 2015). tagswahlprogramm ein weithin liberal-konservatives. Die strategische Ausrichtung nach rechts hat die Nationalkonservative Themen und Strömungen wur- entsprechenden Flügel gestützt und Rechte außer- den «nur begrenzt und in vieler Hinsicht vage formu- halb der Partei motiviert, sich in der AfD zu engagieren. liert» (Plehwe/Schlögl 2014: 28). Es wurde ein Einwan- Mitglieder extrem rechter und rechtspopulistischer derungsgesetz nach kanadischem Vorbild angemahnt, Kleinstparteien waren bereits vor September 2013 ver- ausdrücklich eine «qualifizierte und integrationswil- mehrt der AfD beigetreten. Die Spitzenkräfte der Par- lige Zuwanderung» befürwortet und eine Arbeitser- tei bemühten sich um Distanz. So verkündete Lucke laubnis für Asylsuchende gefordert. Überdies ging schon vor dem Gründungsparteitag, dass Aufnahme- es im Programm um die Notwendigkeit, Schulden- anträge ehemaliger Mitglieder von NPD und DVU pau- berge abzubauen und ein Steuerrecht im Sinne des schal abgelehnt würden (Stein 2013). Allerdings spiel- Kirchhof´schen Modells (das im Wesentlichen einen te eine andere rechte Partei in der Gründungsphase einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent vorsieht) ein- eine wichtige Rolle: Die Freiheit. Die «rechtspopulis- zuführen – eine Forderung, mit der 2005 noch die CDU tische Anti-Islam-Partei» (Niedermayer 2011) war bei in den Wahlkampf gezogen war. Wahlen wenig erfolgreich. Vielen Freiheit-Mitgliedern Auch bezogen auf das Thema Europa war das Pro- dürfte das Erscheinen der AfD auf der politischen Büh- gramm relativ gemäßigt: Man bejahte den gemeinsa- ne daher sehr gelegen gekommen sein. Bereits vor der men Binnenmarkt, gleichzeitig wurde die «Brüsseler Bundestagswahl 2013 traten viele von ihnen der AfD Bürokratie» abgelehnt und eine Reform der Europä- bei, insbesondere in den Landesverbänden Branden- ischen Union gefordert. Dem insgesamt gemäßigten burg und Mecklenburg-Vorpommern saßen sie in ein- Programm entsprechend verlief auch der Wahlkampf flussreichen Positionen (Häusler 2013: 70 f.). vergleichsweise zurückhaltend. Auf den Wahlplakaten Die explizite Öffnung der Partei nach rechts schlug war etwa zu lesen: «Der EURO ruiniert Europa. Auch sich im Europawahlkampf im Frühjahr 2014 noch nicht uns!», «Griechen verzweifeln. Deutsche zahlen. Ban- direkt nieder. So hieß es in der Präambel zum Pro- ken kassieren» oder «Ja zu Europa. Nein zu dieser Eu- gramm für die Wahlen zum Europaparlament, dass ro-Politik». Es gab auch eine Reihe von Plakaten, auf die Partei nicht europafeindlich sei. Auch wirtschafts- denen zwar keine klare Position bezogen, aber an rech- politisch wurde der bekannte nationalneoliberale Kurs te Stimmungen angeschlossen wurde. «Einwande- weitergeführt: mehr Eigenverantwortung und mehr rung braucht strikte Regeln!» hieß es etwa auf einem Wettbewerb, was konkret Privatisierungen und Dere- Plakat, ohne dass irgendwo erläutert wurde, worin die- gulierung bedeutet. se bestehen sollten. Gleichwohl hat sich die Rechtsten- Aufgrund der explizit nationalneoliberalen Ausrich- denz bereits damals auf einem Wahlplakat angedeutet, tung überrascht es nicht, dass insbesondere bis zu den auf dem sich die AfD unmissverständlich wohlstands Wahlen zum Europaparlament der Kontakt zwischen chauvinistisch positionierte: «Mut zur Wahrheit. Wir dem Verband Die Familienunternehmer und der AfD sind nicht das Weltsozialamt». Es war übrigens Horst eng war. Bereits bei einer Veranstaltung kurz vor der Seehofer, der vermutlich als Erster, nämlich im Okto- Bundestagswahl 2013 äußerte sich etwa Peer-Robin ber 2010 beim Deutschlandtag der Jungen Union, öf- Paulus, Leiter der Abteilung Politik und Wirtschaft des fentlich den Satz sagte: «Wir wollen nicht zum Sozial- Verbandes, freundlich über die neue Partei. Er machte amt für die ganze Welt werden» (Süddeutsche Zeitung, deutlich, CDU und FDP gegenüber fehle das Vertrauen 16.10.2010). und die damaligen Regierungsparteien würden dem Im Bundestagswahlkampf waren offen rassistische gesellschaftlichen Linkstrend nicht entschieden genug Töne selten zu hören, wenngleich sich gegen Ende entgegentreten, weshalb das Credo laute: «Wer eine der Wahlkampagne bereits eine Öffnung gegenüber gute CDU will, muss die AfD wählen» (Dorn 2013). An- rechts abzeichnete. Gleichzeitig tummelten sich mehr fang Mai 2014, kurz vor den Wahlen zum Europapar- und mehr Menschen innerhalb der AfD, die vorher ei- lament, hielt der Verband ein großes Treffen in Dres- ner rechten Partei angehört hatten. Diese fielen aber den ab. Prominenter Redner war Bernd Lucke, der zu noch nicht übermäßig auf. Doch das sollte sich bald Beginn des zweiten Tages – zur besten Zeit also – eine ändern. Stunde lang seine Euro- und Europakonzepte vorstel- len durfte. Keine andere Institution ging mit der AfD so 1.6.2 Von der Bundestagswahl 2013 bis früh auf Tuchfühlung. Anlässlich der Einladung erklär- zu den Landtagswahlen im Sommer 2014 te der Hauptgeschäftsführer der Familienunternehmer, Bereits Ende Juli 2013 hatte Lucke gegenüber seinen Albrecht von der Hagen: «Damit zeigen wir, wie unzu- Vorstandskollegen Adam und Gauland angesichts des frieden wir mit der jetzigen Bundesregierung sind», eher schleppend laufenden Wahlkampfs einen «Tabu- und fuhr fort: «Viele Fragen der AfD sind auch unsere bruch» angeregt. «Das machen wir, indem wir Herrn Fragen» (Pichler 2014).

17 Reaktionäre Krisenverarbeitungen. Entstehung, Entwicklung und Strömungen der AfD

In dem Programm für die Wahlen zum Europaparla- wie er sie sieht, weiter verkörpert. Und das wird mit der ment wurde versucht, den nationalkonservativen Flü- AfD nicht gehen» (Lachmann 2014a). Der Machtkampf gel stärker einzubinden, so etwa bei der Ablehnung zwischen Lucke und Henkel auf der einen und Petry, von Gender-Mainstreaming (Plehwe/Schlögl 2014: Höcke und Gauland auf der anderen Seite spitzte sich 31). Dennoch war programmatisch zu diesem Zeit - zu. Zentraler Streitpunkt im Winter 2014/15: die Hal- punkt noch keine fundamentale Verschiebung oder tung der Partei zu den Demonstrationen der «Patrioti- Themenerweiterung festzustellen. Die AfD konnte En- schen Europäer gegen die Islamisierung des Abend- de Mai sieben Prozent der abgegebenen Stimmen er- landes» (Pegida) in Dresden. zielen und somit sieben Abgeordnete ins Europapar- Die erste Pegida-Demonstration fand am 20. Oktober lament nach Straßburg schicken. Die bereits nach der 2014 statt. Wenige Tage zuvor hatten in der Dresdner Bundestagswahl begonnene Rechtsverschiebung Innenstadt Anhänger der in Deutschland verbotenen schlug sich dann in den Wahlprogrammen zu den Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ihre Solidarität mit den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sach- Kämpfen gegen den Islamischen Staat im kurdischen sen im Sommer 2014 nieder. Kobanê bekundet. Daraufhin hatte Lutz Bachmann ge- Ein vollkommen neues, in den Landtagswahl- meinsam mit Bekannten eine zunächst geschlossene kämpfen aber beliebtes Thema war innere Sicher - Facebook-Gruppe gegründet. Wie auf der Pegida-Seite heit. Vor allem in Sachsen und Brandenburg wurde auf Facebook zu lesen war, entstand aus diesem Kreis in rechtspopulistischer Law-and-Order-Manier gegen die Idee, «gemeinsam auf die Straße zu gehen, um ge- «Grenzkriminalität» Stimmung gemacht. Das Haupt- gen die Glaubens- und Stellvertreterkriege zu demons- augenmerk galt der sogenannten Ausländerkriminali- trieren, die Zug um Zug auf unseren friedlichen deut- tät (AfD Brandenburg 2014). Der nationalkonservative schen Boden gebracht werden» (Geiges u. a. 2015: 12). und der Rechtsaußenflügel konzentrierten sich voll auf Von Oktober bis Januar vervielfachte sich die Teilneh- die Wahlen in den drei ostdeutschen Bundesländern, merzahl der (fast) jeden Montag stattfindenden De- denn dort hatte die AfD bei den Bundestags- und Eu- monstrationen. Mitte Dezember waren es bereits über ropawahlen ihre stärksten Ergebnisse und waren die 10.000, im Januar sogar bis zu 20.000 Menschen. Da- Landesverbände deutlich rechtslastig. Bei einem er- nach ging es mit der Teilnehmerzahl bergab. Petry traf neut guten Abschneiden der Partei, so die Erwägung, sich mit Pegida, und Gauland bekundete öffentlich, er würde sich schlagartig die innerparteiliche Machtposi- sehe seine Partei als natürliche Verbündete dieser Be- tion der Rechten verbessern. So kam es dann auch: In wegung an (Lachmann 2014b). Insbesondere Henkel allen drei Bundesländern zog die AfD mit herausragen- vertrat die entgegengesetzte Auffassung, zunehmend den, in Thüringen und Brandenburg sogar zweistelli- auch Lucke. gen Ergebnissen in die Landtage ein. Die Erfolge bestä- Weitgehend unbeachtet von dieser Auseinander- tigten die programmatische Erweiterung nach rechts. setzung formierten sich auch christliche Fundamen- Von Anbeginn hatte es heftige Auseinandersetzungen talist_innen wie etwa der «Pforzheimer Kreis» und innerhalb der AfD gegeben, doch ab Mitte September der Arbeitskreis «Christen in der AfD». Auch die erz- 2014 bekriegten sich die Flügel mit offenem Visier. konservative «Lebensschutz»-Bewegung spielt hier eine Rolle. Die «Lebensschutz»-Bewegung betont die 1.6.3 Nach den Landtagswahlen im Zweigeschlechtlichkeit und sieht in der lebenslangen Sommer 2014 bis zur Spaltung im Juli 2015 monogamen Ehe von Mann und Frau das einzig ak- Während der rechte Flügel an Einfluss gewann, lös- zeptable Lebensmodell. «Dieses leiten sie aus ihrem te sich eine andere Strömung, die zumindest die An- christlichen Weltbild und der Bibel her und setzen sich fangsphase der AfD noch mitprägen konnte, langsam für einen Staat ein, der nach den Geboten Gottes ge- ab. Die auch in gesellschaftspolitischen Fragen liberal staltet sein sollte» (Jentzsch 2016: 106). Wenngleich Gesinnten kehrten zwischen Herbst 2013 und Sommer die Unionsparteien nach wie vor wichtiger Bezugs- 2014 der Partei den Rücken. Für Schlagzeilen sorgte im punkt dieser Bewegung sind, ist ein Teil der «Lebens- März etwa der Rücktritt der Pressesprecherin der AfD, schützer» mittlerweile in der AfD organisiert. Dieser Dagmar Metzger, die als liberale Galionsfigur galt. Flügel ist es auch, der systematisch gegen die recht- Auch die Diskussionen an der Parteispitze wurden liche Gleichstellung von Schwulen und Lesben zu Fel- heftiger. Hans-Olaf Henkel verkündete, in der AfD sei- de zieht. So unterstützte die AfD Baden-Württemberg en auch «Unvernünftige, Unanständige und Intole- Anfang Januar 2015 die dortigen Proteste sowie eine rante» versammelt (Spiegel Online, 20.9.2014). Hen- Petition gegen den Bildungsplan 2015, der die Akzep- kel richtete sich auch gegen diejenigen in der Partei, tanz sexueller Vielfalt umfasst. In einer Verbandsmittei- die sich beim Ukraine-Konflikt auf die Seite von Putin lung der AfD wurde der Plan als «pädagogische, mo- stellten und TTIP ablehnten. Den Gegenpart spielte zu- ralische und ideologische Umerziehungskampagne an nehmend Alexander Gauland, der Vorsitzende der AfD- allgemeinbildenden Schulen» attackiert (Korsch 2014: Fraktion im brandenburgischen Landtag. Henkel solle 2). Bezugnehmend auf die homophoben Demonstra- sich fragen, ob er noch in der richtigen Partei sei, ließ tionen in Frankreich im Sommer 2013, die unter dem Gauland Ende Oktober verlauten und fuhr fort, Henkel Motto «La Manif pour tous» («Die Demo für alle») stan- «möchte eine Partei, die die Werte von CDU und FDP, den, organisiert die «Initiative Familienschutz» in Stutt-

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gart seit 2014 gegen den Bildungsplan Demonstrati- dann in «Liberal-Konservative Reformer» (LKR) um, onen. An diesen beteiligten sich von Anfang an auch weil die «Aktion Lebensrecht für Alle» das Kürzel ALFA AfD-Mitglieder und hielten Redebeiträge (Demo für al- für sich beansprucht und vor Gericht den Namensstreit le 2014a u. 2014b). gewonnen hatte. Bei Landtagswahlen holte die Partei Anfang 2015 bliesen der nationalkonservative und zwischen 0,2 und 1,0 Prozent, bei den Bundestags- der völkische Flügel zum Angriff. Im März 2015 ver- wahlen im September 2017 trat die Partei nicht an. öffentlichten Björn Höcke und der Sprecher des AfD- Auf dem Essener Parteitag der AfD im Juli 2015 wur- Landesverbands Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, de neben Frauke Petry auch Jörg Meuthen zum AfD- die «Erfurter Resolution» (vgl. hierzu Kapitel 2 zur AfD Sprecher gewählt. Er war zu diesem Zeitpunkt ein weit- in Sachsen-Anhalt). Eine Gegenaktion ließ nicht lange gehend unbekanntes Gesicht und galt als Vertreter des auf sich warten. Unter anderem Hans-Olaf Henkel und gemäßigten bürgerlichen Flügels. Frauke Petry war die Joachim Starbatty initiierten die «Deutschland-Resolu- unangefochtene Führerin der Partei. Zwar verließen Tei- tion», die sich explizit gegen die Initiative von Höcke le des nationalneoliberalen Flügels die AfD und folg- und Poggenburg richtete: Wer die «Erfurter Resolu ten Lucke, doch die AfD bemühte sich darum, die wirt- tion» unterschreibe «will eine andere AfD, eine AfD der schaftsnahe Strömung nicht zu verlieren. Die Liaison flachen Parolen und der schrillen Töne» (Kölmel u. a. mit dem Familienunternehmerverband war zum Zeit- 2015). punkt der Spaltung bereits – zumindest auf offizieller Inmitten der Auseinandersetzungen zwischen Erfur- Ebene – beendet. Während Lucke noch auf dem «Fami- ter und Deutschland-Resolution wurde der Verdacht lienunternehmertag» im Mai 2014 die Hauptrede hielt, laut, Björn Höcke habe in der Vergangenheit unter wurde die AfD im April 2015 gar nicht eingeladen. Lutz Pseudonym für die NPD-nahe Publikation Volk in Be- Goebel, Präsident des Familienunternehmerverbands, wegung geschrieben. Der Soziologe Andreas Kemper äußert sich seit der Europawahl zunehmend scharf ab- hatte Texte von Björn Höcke mit denen eines Autors lehnend, wenn es um die AfD geht. So im September namens Landolf Ladig verglichen und erstaunliche Pa- 2014 in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Hier rallelen festgestellt. Kemper vermutete dahinter ein wiederholte er die Auffassung seines Hauptgeschäfts- Pseudonym Höckes: «Da gibt es so viele Überschnei- führers, die AfD stelle die richtigen Fragen, gebe «aber dungen in den Phrasen, in den Begrifflichkeiten, die die falschen Antworten» (Jahberg 2014). nur bei ihm und bei dem Ladig zu finden sind. Auch Warum dieser Kurswechsel? Erstens dürfte die AfD die ganze Ideologie, die würde Björn Höcke ohne wei- vielen im Verband schlicht zu rechts geworden sein, teres unterschreiben» (Exakt 2015). Aufgrund der Vor- insbesondere nach der Abspaltung der Lucke-Fraktion. würfe verlangte der AfD-Bundesvorstand von Höcke Zwar bestand anfänglich die Hoffnung, mittels der AfD eine eidesstattliche Versicherung, nicht Autor der Texte Druck auf die Union und die FDP aufbauen zu können, zu sein. Eine solche Versicherung gab er nicht ab, er- doch mit der zunehmenden Öffnung in Richtung völ- klärte aber, er habe «niemals unter einem Pseudonym kischer Kreise haben vor allem die eher gemäßigten für eine NPD-Zeitung geschrieben» (Höcke 2015). Die Kräfte im Verband von dieser Strategie abgelassen. Zustimmung für die AfD in bundesweiten Umfragen Zweitens sind im Verband sehr unterschiedliche Inte- sank und auch die beiden Wahlen in Hamburg (Februar ressen vertreten. Einige der sogenannten Familienun- 2015) und Bremen (Mai 2015) verliefen für die AfD ver- ternehmen, besonders in Süddeutschland, sind direkt gleichsweise enttäuschend. In Hamburg erreichte die auf den Markt außerhalb Deutschlands angewiesen Partei 6,1 Prozent, in Bremen zog sie mit 5,5 Prozent oder mittelbar, wenn sie etwa Zulieferer für die Autoin- nur knapp in die Bürgerschaft ein. dustrie sind. Eine Abschaffung des Euro oder ein Aus- Eine Entscheidung im Machtkampf zeichnete sich tritt aus der EU ist nicht in ihrem Sinne. Drittens dürf- für den außerordentlichen Parteitag in Essen ab, der ten selbst die Teile, die der AfD wohlgesonnen sind und vom 4. bis zum 5. Juli 2015 stattfand. Bereits im Vor- die Partei auch gern offen unterstützen würden, nicht feld hatten Frauke Petry und Bernd Lucke erklärt, nicht an einer Spaltung des Verbands interessiert sein. Weil mit der jeweils anderen Person an der Spitze zusam- sie verhindern wollen, dass sich zwei nebeneinander menarbeiten zu wollen. Bei dem denkwürdigen Partei- existierende Lobbyorganisationen gegenseitig schwä- tag musste Lucke dann eine schmerzhafte Niederlage chen, befinden sie sich aufgrund ungünstiger Kräfte- einstecken. Bei der Wahl des Parteivorstands erhielt er verhältnisse innerhalb des Verbands in der Defensive. lediglich 38,1 Prozent der Stimmen, Petry dagegen tri- Doch es irrt, wer glaubt, die Kontakte zwischen den umphierte mit 60 Prozent. Diesen Sieg verdankte sie reaktionären Teilen des Familienunternehmerverbands auch dem rechten Flügel um Höcke, der ihre Kandida- und der AfD seien gänzlich abgebrochen. Hier wirken tur unterstützt hatte. die Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft und die Nur wenige Tage später verließen Bernd Lucke und mit dieser eng kooperierende Friedrich-August-von- seine Getreuen die AfD und gründeten aus dem Kreis Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft als integ - des Weckrufs heraus eine neue Partei: die «Allianz für rierende Klammer. Die als Verein organisierte Gesell- Fortschritt und Aufbruch» (ALFA). Die ALFA hatte es schaft sowie die Stiftung setzen sich für marktradikale von Beginn an schwer, überhaupt wahrgenommen Ideen im Sinne des neoliberalen Vordenkers Hayek ein zu werden. Im November 2016 nannte sich die Partei (Kronauer 2016).

19 Reaktionäre Krisenverarbeitungen. Entstehung, Entwicklung und Strömungen der AfD

Parallel zur Spaltung in der AfD kam es auch zu ei- Um das Comeback der AfD im Herbst 2015 zu ver- nem Bruch innerhalb der Hayek-Gesellschaft. Nam- stehen, hilft ein Konzept weiter: das Gelegenheitsfens- hafte Mitglieder wie der FDP-Chef Christian Lindner ter. Die politische Debatte um Asyl und Geflüchtete und die Publizistin Karen Horn traten aus Protest ge- war für die AfD eine nahezu maßgeschneiderte Gele- gen die zunehmende Rechtsverschiebung der Hayek- genheit, ihre Inhalte bekanntzumachen. Sie konnte mit Gesellschaft aus. Der Einfluss der Familienunterneh- ihrer ablehnenden Position gegenüber Geflüchteten mer in der Hayek-Gesellschaft hat dadurch in jüngster bei den Teilen der Bevölkerung punkten, die ihre Res- Zeit sogar zugenommen. Dem von LobbyControl be- sentiments pflegten oder sich in der Debatte nicht an- triebenen Online-Lexikon «Lobbypedia» zufolge kam gemessen repräsentiert sahen. der Austritt der Liberalen dem Familienunternehmer- Auch innerhalb der AfD öffnete sich ein Gelegen- verband zugute: Im Rahmen der nach der Spaltung heitsfenster. Es war der Rechtsaußenflügel um Björn notwendigen Umstrukturierung «verstärkte der Verein Höcke, der nicht nur die polarisierte gesellschaftliche seine Präsenz in deren Leitungsgremien» (Lobbypedia Kontroverse für sich nutzen konnte, sondern auch 2016). den Umstand, dass nach dem Ausstieg der Gruppe Laut Wirtschaftswoche ist die Mitgliederzahl des um Lucke eine Neustrukturierung der Partei notwen- AfD-Mittelstandsforums seit Juli 2015 denn auch sta- dig geworden war. Auch wenn die Rechtsausrichtung bil geblieben (Fischer u. a. 2016). Nach der Spaltung bereits unter Lucke angelegt war, wirkten Lucke und hatten sich Frauke Petry und das Mittelstandsforum Henkel gewissermaßen als Korrektiv. Nun aber konn- mittels einer gemeinsamen Erklärung auch um den ten die radikalen Kräfte ungebremst rechts überholen. Verbleib der Unternehmer bemüht: «Die Wiederher- Mehr noch: Eine Zeitlang schienen sich konkurrieren- stellung der patriotisch/konservativen Ausrichtung der de Gruppierungen mit Rechtsaußen-Statements gera- AfD-Partei geht nicht zu Lasten wirtschaftsliberaler Po- dezu übertrumpfen zu wollen. sitionen, weil sie komplementär zu ihnen erfolgt» (Pet- Immer wieder war es Höcke, der im Herbst 2015 von ry/Müller 2015). sich reden machte. Mal brüllte er auf einer Demonstra- tion in Erfurt ins Mikrofon «Thüringer! Deutsche! 3.000 1.6.4 Comeback, weitere Rechtsentwicklung Jahre Europa, 1.000 Jahre Deutschland, ich gebe euch und neuerlicher Machtkampf nicht her», weshalb ihm vorgeworfen wurde, in Nazi- In den Wochen nach dem Showdown in Essen sah es jargon zu sprechen (Ivitz 2015). Mal brachte er sich we- kurz so aus, als würde die AfD in der Bedeutungslo- gen einer mitgebrachten drapierten Deutschlandfahne sigkeit versinken. Sie befand sich im Umfragetief: Al- in der Talkshow von Günther Jauch ins Gespräch. Vor le großen Wahlforschungsinstitute sahen sie zwischen allem aber sorgte seine Rede bei einem Kongress des drei und vier Prozent. Auch als Ende August die Solida- neurechten «Instituts für Staatspolitik» in Schnellroda rität mit Geflüchteten die öffentliche Stimmung prägte, in Sachsen-Anhalt für Aufsehen (Paul 2016: 33). gelang es der Partei nicht, sich medial in Szene zu set- Doch nicht nur Höcke, auch Personen aus anderen zen. Ende September war die AfD plötzlich aber wie- Parteiflügeln haben sich im Zuge der Debatte um Asyl der da. In Umfragen stiegen die Werte und es gelang und Geflüchtete durch Provokationen hervorgetan. So ihr auch, sich in der Debatte um Geflüchtete lautstark etwa Frauke Petry Ende Januar 2016, als sie gegenüber zu Wort zu melden. Gleichzeitig hatte Pegida in Dres- dem Mannheimer Morgen äußerte, die Grenzpolizei den wieder steigende Teilnehmerzahlen zu vermelden. müsse illegale Grenzübertritte verhindern und «notfalls Auch wenn das Verhältnis zwischen AfD und Pegida auch von der Schusswaffe Gebrauch machen» (Mack/ weiterhin nicht ohne Störungen verlief (Korsch 2016), Serif 2016). Die stellvertretende AfD-Vorsitzende Be- war im Herbst eine erneute Annäherung festzustellen, atrix von Storch legte kurz darauf noch einmal nach. zumal einer Zusammenarbeit nach der Abspaltung der Auf ihrer Facebook-Seite wurde sie gefragt, ob auch Gruppe um Lucke weniger im Weg stand als zuvor. Es Frauen und Kinder mit Waffengewalt am Grenzübertritt musste nicht mehr darum gestritten werden, ob die gehindert werden sollten. Sie bejahte zunächst, lenk- AfD Pegida-Ableger unterstützen solle. Sie organisierte aber später ein und gab an, doch nicht auf Kinder ten Demonstrationen gleich gemeinsam, so wie etwa schießen zu wollen (Zeit Online, 31.1.2016). Nach dem im Oktober 2015 in Magdeburg, wo rund 2.000 Men- gleichen Muster agierte auch Alexander Gauland, als schen gegen «Asylmissbrauch» und Angela Merkel er Ende Mai über den Fußballnationalspieler Jérôme marschierten. War im Winter 2014 Pegida ein Phäno- Boateng sagte: «Die Leute finden ihn als Fußballspie- men, das vor allem in Sachsen massenhaft Menschen ler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nach- mobilisieren konnte, exportierte die AfD das Konzept barn haben» (Wehner/Lohe 2016). Nach heftiger öf- nun erfolgreich aus dem Freistaat in andere Bundes- fentlicher Kritik – Gauland hatte nicht bedacht, dass in länder. So fanden sich in Erfurt im Oktober 2015 bei den Augen vieler Rechte verdiente Mitglieder der deut- der von der AfD organisierten «Mittwochsdemo gegen schen Fußballnationalmannschaft nicht kritisiert wer- Asylmissbrauch» sogar bis zu 8.000 Menschen ein. den dürfen – ruderte er zurück. Und siehe da: Der Schulterschluss mit der Straße scha- Dass die AfD sich in ihrem politischen Kalkül gleich- dete der AfD nicht. Im Gegenteil: Die Umfragewerte wohl zu bescheiden weiß, zeigt ein Blick auf die Land- stiegen kontinuierlich an. tagswahlen im Frühjahr 2016. Die Wahlkampfstra-

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tegien in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und land» stark und spricht sich gegen «Vereinigte Staa- Sachsen-Anhalt waren sehr verschieden. In den beiden ten von Europa» aus (AfD 2016: 16). Das impliziert die westlichen Bundesländern präsentierte sich die AfD Annahme, der deutsche Staat sei nicht souverän oder eher bürgerlich-konservativ, vor allem im Süden Sach- zumindest in seiner Souveränität gefährdet. Wer die sen-Anhalts hingegen zielte sie mehr auf Erwerbslose «fremden Mächte» sind, lässt die AfD im Vagen, womit und sozial Deklassierte. Entsprechend dominierten in sie Verschwörungstheorien unterschiedlicher Couleur bürgerlichen Landstrichen Wahlplakate mit wertkon- befördert. Eng mit der Forderung nach «Souveränität» servativem Inhalt (Familie, Kultur etc.) und Themen der verbunden ist die Ablehnung des Euro. Wurde in der inneren Sicherheit, während in Arbeiterbezirken vor al- Vergangenheit noch eine Reform der Gemeinschafts- lem sozialpolitische Fragen angesprochen wurden. währung angemahnt, plädiert die AfD jetzt dafür, «das In Rheinland-Pfalz kam die Partei auf 12,6 Prozent, Experiment Euro geordnet zu beenden» (ebd.: 18). in Baden-Württemberg auf 15,1 Prozent und in Sach- Und immer wieder geht es um das Themenfeld Ein- sen-Anhalt landete sie mit 24,2 Prozent auf Platz zwei – wanderung, Flucht und Migration, das in mehreren deutlich vor der LINKEN und der SPD. Damit war die Kapiteln des Parteiprogramms behandelt wird, etwa AfD bereits drei Jahre nach ihrer Gründung die er - wenn es um innere Sicherheit geht: Ein erheblicher An- folgreichste, sich rechts von den Unionsparteien und teil der Delikte im Bereich der Gewalt- und Drogenkri- der FDP positionierende Partei in der Geschichte der minalität gehe auf Ausländer zurück, worauf nur halb- Bundesrepublik. Die AfD konnte diese Wahlergebnis- herzig reagiert werde, so die Kritik. Daher müssten die se nicht zuletzt deshalb erzielen, weil es ihr gelungen Ausweisungsvoraussetzungen gesenkt und Abschie- war, die Landtagswahlen zu einer Abstimmung über behindernisse abgebaut werden. Zudem fordert die die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu machen. AfD die Wiedereinführung des Abstammungsprin- Neue Machtkämpfe zwischen Petry, dem NRW-Lan- zips bei der Staatsbürgerschaft, also die Rücknahme desvorsitzenden Marcus Pretzell auf der einen Seite der entsprechenden Reform aus dem Jahr 2000 (ebd.: sowie Gauland, Höcke und Meuthen auf der anderen 26). Die Vorstellung vom Staat als biologischer Ge- bahnten sich bereits während dieser Wahlkämpfe an. meinschaft, vom biologistisch definierten Volk und der Doch es geht nicht allein um Machtfragen. Die Strö- Nation feiern hier fröhliche Urstände. Nur folgerichtig mungen, die sich unter dem Dach der AfD zusammen- ist dann die Positionierung gegen «Masseneinwan- finden, haben in vielen Sachfragen große Differenzen, derung». Diese helfe auch nicht, um dem demografi- die im Zuge der Diskussionen um das Grundsatzpro- schen Wandel zu begegnen. Stattdessen müsse durch gramm im Frühjahr 2016 einmal mehr offensicht - eine «aktivierende Familienpolitik eine höhere Gebur- lich wurden. Kurz nach den Landtagswahlen im März tenrate der einheimischen Bevölkerung als mittel- und tauchte im Internet der Entwurf für ein Grundsatzpro- langfristig einzig tragfähige Lösung erreicht werden» gramm auf, der allerdings durch den Bundesvorstand (ebd.: 41). noch einmal überarbeitet wurde, was insbesondere Aufschlussreich ist auch der Abschnitt zu «Kultur, die sozialpolitischen Programmpunkte betraf (Fried- Sprache und Identität». Kultur sei die «zentrale Klam- rich 2016). Der Hintergrund: Manche in der Partei spre- mer, in der sich auch ein neues Politikverständnis se- chen sich mit Blick auf Wählerstimmen für ein stärker hen muss», Bildung, Kultur und Identität seien «für die sozialpolitisches Profil aus, andere sind für einen strikt Entwicklung der Gesellschaft von zentraler Bedeu- marktradikalen Kurs, manche sind für den Mindest- tung» (ebd.: 46). Unter Kultur versteht die AfD vor allem lohn, andere würden dagegen gern die Arbeitslosen- die «deutsche Kultur», die sich aus der Überlieferung und Unfallversicherung abschaffen. des Christentums sowie der wissenschaftlich-huma- Da es auch bei anderen Fragen, etwa in Bezug auf nistischen Tradition speise und sich am römischen geopolitische Strategien, Antisemitismus, Freihan- Recht orientiere (ebd.: 47). Der Rechtsaußenflügel der del oder die Familienpolitik, erhebliches Streitpoten- Partei, «Der Flügel», kritisiert diese Definition, da hier zial gibt, sind Konsensthemen, um die sich die un- die deutsche Kultur «klammheimlich in einer westli- terschiedlichen Fraktionen gruppieren lassen, umso chen Einheitskultur» aufgehoben werde. Entscheidend wichtiger. Ein solches Konsensthema war in der Grün- für diese Strömung sind vielmehr «die deutsche Spra- dungsphase der Partei die Kritik an der Euro-Rettungs- che, die deutsche Romantik, der deutsche Idealismus» politik der schwarz-gelben Bundesregierung. Doch das (Der Flügel 2016). Thema trug nicht: Spätestens seit Sommer 2015 spiel- Flügelübergreifende Einigkeit besteht indes in der ten Euro, EU und Euro-Rettung kaum noch eine Rolle. Ablehnung der «Ideologie des Multikulturalismus» Im September 2015 fand die AfD mit der Flüchtlings- (AfD 2016: 47). Und so befasst sich die AfD unter politik der Bundeskanzlerin dann ihre große konsens- der Überschrift «Kultur» dann nicht nur mit Maßnah- schaffende Klammer: Einigkeit bestand und besteht in men zum Erhalt der deutschen Sprache oder mit der der Ablehnung der in Deutschland praktizierten Asyl- Abschaffung der Rundfunkgebühren, sondern auch und Migrationspolitik. mit der Stellung des Islam in der bundesrepublikani- Der Parteitag in Stuttgart beschloss am 30. April und schen Gesellschaft. Die klare Botschaft: Der Islam ge- am 1. Mai 2016 das «Programm für Deutschland». Da- hört nicht zu Deutschland. Mehr noch: «In seiner Aus- rin macht sich die AfD für ein «souveränes Deutsch- breitung und in der Präsenz einer ständig wachsenden

21 Reaktionäre Krisenverarbeitungen. Entstehung, Entwicklung und Strömungen der AfD

Zahl von Muslimen sieht die AfD eine große Gefahr für da-Demonstrationen auftrat, sondern auch bemüht unseren Staat, unsere Gesellschaft und unsere Werte- ist, den rechten Flügel der AfD mit außerparlamenta- ordnung» (ebd.) rischen Kräften zu verbinden. Insbesondere Björn Hö- Das Bedrohungsszenario einer Islamisierung wird cke und André Poggenburg sind gern gesehene Gäs- sich in dieser Vehemenz kaum in den Parteiprogram- te in Schnellroda. Regelmäßig zu Gast am IfS ist auch men von CDU/CSU oder SPD finden lassen. Allerdings der Österreicher Martin Sellner, seines Zeichens Kopf bemüht sich auch die AfD, an die verbreitete Trennung der neurechten «Identitären Bewegung» (IB; abgeleitet von «guter Muslim» versus «schlechter Muslim» anzu- vom französischen Bloc Identitaire). Ihr Grundgedan- knüpfen, wenn sie betont, dass viele Muslime «rechts ke: Die europäische Bevölkerung werde ausgetauscht treu sowie integriert» leben und «akzeptierte und ge- durch Fremde; insbesondere gegen die muslimische schätzte Mitglieder unserer Gesellschaft» sind (ebd.: Einwanderung müsse sich die europäische Kultur ver- 49). Ferner will die AfD Koranschulen schließen (ebd.: teidigen. Die IB knüpft also an den in Europa weit ver- 55) sowie Minarette und den Muezzinruf verbieten las- breiteten antimuslimischen Rassismus an, einer spe- sen (ebd.: 50). Dass die AfD Maßnahmen gegen «den ziellen Form des Rassismus. Dabei steht «der Islam» Islam» so viel Platz einräumt, deutet darauf hin, dass für das grundsätzlich «Andere», das Frieden und Zu- der Strategiewechsel, den von Storch angeregt hatte, sammenhalt in Europa verhindere (Bruns u. a. 2016: in die Tat umgesetzt wurde. 86). Gemeinsam mit Kubitschek vom IfS und dem Ansonsten wird im «Programm für Deutschland» Chefredakteur der Zeitschrift Compact, Jürgen Elsäs- sichtbar, dass es sich bei der AfD um eine Sammlungs- ser, hat die IB die Kampagne «Ein Prozent für unser partei mit sehr verschiedenen Flügeln handelt. Dem Land» ins Leben gerufen. Sie präsentiert sich als «NGO Historiker Helmut Kellershohn (2016) zufolge kommen für Deutschland» und macht Stimmung gegen die hier alle drei in der Partei vertretenen ideologischen Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Hintergrund Strömungen – der Neonationalliberalismus, die christ- für den Namen der Kampagne: Wenn nur ein Pro- lich-konservative bis fundamentalistische Fraktion so- zent der Deutschen die Kampagne unterstützen wür- wie die völkisch-nationalistische – zu Wort. de, könne daraus ein schlagkräftiges Projekt werden. Trotz des gemeinsam beschlossenen Grundsatzpro- Auch wenn die AfD sich offiziell von der IB distanziert, gramms zeichnete sich nach dem Parteitag jedoch ein gibt es Verbindungen: An der Ein-Prozent-Kampag- erneuter Kampf um Ausrichtung und Macht ab. Auch ne beteiligt ist etwa Hans-Thomas Tillschneider, AfD- die Stimmung zwischen den beiden Vorsitzenden ver- Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt und Spre- schlechterte sich zusehends. Jörg Meuthen hatte bei cher der «Patriotischen Plattform» der AfD (Fugmann seiner Wahl zum zweiten Sprecher der Bundespartei 2016). Tillschneider ist es auch, der als prominenter im Juli 2015 zunächst als Gemäßigter gegolten, von AfD-Funktionär öffentlich die Abgrenzung der AfD zur dem erwartet wurde, er werde die wirtschaftsliberale IB kritisiert (Bensmann 2016). Seine «Patriotische Platt- und konservative Linie der Partei fortsetzen. Doch war form» solidarisierte sich im Juni 2016 denn auch mit er schnell zu einem Bündnis mit dem Rechtsaußenflü- der IB, als der Verfassungsschutz mitteilte, sie zu beob- gel bereit. Bereits kurz nach seiner Wahl zum Partei- achten, mit dem Bekenntnis «Wir sind [auch] identitär» sprecher soll es innerhalb des Bundesvorstands eine (Patriotische Plattform 2016). enge Zusammenarbeit zwischen Gauland und Meu- Die immer enger zusammenarbeitenden Gruppierun- then gegeben haben. Doch Meuthen rückte auch mit gen der völkischen Strömung pflegen ebenso zu ande- dem Flügel um Höcke enger zusammen. So trat er im ren Teilen der rechten Bewegung Kontakt. Das rechte Mai 2016 beim «Kyffhäuser-Treffen» der Rechtsaußen- Konglomerat befindet sich nicht nur in den Salons und strömung «Patriotische Plattform» als Redner auf. 1 in den Redaktionsstuben im Aufwind, sondern auch auf Meuthen ist ein Beispiel dafür, welchen Einfluss mitt- der Straße. Spätestens im Herbst 2014 ist deutlich ge- lerweile die Neue Rechte auf die AfD ausübt. Die Neue worden, dass diese Rechte den Charakter einer mobi- Rechte ist eine intellektuelle Strömung zur Erneuerung lisierungsfähigen sozialen Bewegung hat. Angesichts rechten Denkens, die sich in den 1960er Jahren ent- der sich ähnelnden Forderungen bei AfD und Pegida wickelt hat. Sie orientiert sich ideologisch an den Ide- ist eine starke inhaltliche Überschneidung festzustellen en der Konservativen Revolution bzw. des Jungkon- (Wiegel 2015). Zwar gab es nie eine offizielle Koopera- servatismus der 1920er Jahre und grenzt sich explizit tion zwischen Pegida und der AfD (Korsch 2016: 113), von den Neonazis ab. In Anlehnung an Konzepte der aber das Verhältnis zwischen Bewegung und Partei ist Neuen Linken fokussiert die Neue Rechte auf kulturelle dadurch geprägt, dass sie sich gegenseitig rhetorisch Hegemonie. Ihr Ziel ist die Hoheit über die herrschen- und organisatorisch «verstärken». den Diskurse, um so ein antiliberales und antiegalitäres Programm gesellschaftlich durchsetzbar zu machen.

Zentrale Denkfabrik der Neuen Rechten in Deutsch- 1 Am Kyffhäuserdenkmal veranstaltet die als völkisch und nationalistisch einge- land ist das «Institut für Staatspolitik» (IfS), das seinen stufte AfD-Gruppierung «Der Flügel» ihre Treffen. Ihre Führungsfiguren sind Björn Höcke und André Poggenburg, die bewusst rechtsextremistische und nationalso- Sitz auf einem «Rittergut» in Schnellroda in Sachsen- zialistische Bezüge in ihrem Sprachgebrauch herstellen. Es bestehen enge Über- Anhalt hat. Unbestrittene Führungsfigur des IfS ist schneidungen mit der «Patriotischen Plattform». Letztere ist ein Verein von Mitglie- dern des völkisch-nationalistischen Rechtsaußen-Flügels der Partei. Sie wird vom Götz Kubitschek, der nicht nur allenthalben bei Pegi- sachsen-anhaltischen Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider geleitet.

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In Anbetracht der Dynamik der letzten Jahre und te «Sprengpotenzial für die Einheit der Partei» und «für des offenkundigen Willens des rechten Parteiflügels, das Demokratieverständnis der AfD» (Bender 2017). die AfD zur Bewegungspartei umzubauen, ist zu ver- Der heillos zerstrittene AfD-Bundesvorstand leitete da- muten, dass die bisherigen Erfolge auf der Straße nicht raufhin mit Unterstützung einer Zweidrittelmehrheit die letzten sein werden. Regelmäßig stattfindende De- Mitte Februar ein Parteiausschlussverfahren gegen monstrationen und Kundgebungen, insbesondere in Höcke ein. Dagegen stimmten Alexander Gauland, mittelgroßen Städten in Ostdeutschland, zeugen da- Jörg Meuthen, André Poggenburg und Armin-Paul von. Obgleich sich weiterhin offizielle Akteure von ihm Hampel. Auf das Ergebnis bei den kurz darauf stattfin- distanzieren, ist als Teil der Bewegung ein militanter denden Landtagswahlen hat sich diese Auseinander- Flügel herangewachsen. setzung eher negativ ausgewirkt. Im März holte die So beklagen Nichtregierungsorganisationen und AfD im Saarland 6,2 Prozent, im Mai kam sie, vergli- staatliche Behörden übereinstimmend einen massi- chen mit den Ergebnissen im Jahr 2016, bei den Wah- ven Anstieg rassistischer Straftaten seit 2014. Im Jahr len in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen 2015 soll es fünfmal mehr rassistisch motivierte Straf- auf enttäuschende 5,9 bzw. 7,4 Prozent. taten gegen Flüchtlingsunterkünfte gegeben haben als Hinter dem Machtkampf in der AfD verbirgt sich ein im Vorjahr. Mehr als 1.000 solcher Straftaten wurden schwelender Konflikt zwischen Realos und Fundis. Die letztlich registriert, Dunkelziffer unbekannt (Amnesty Realos sind nicht unbedingt weniger rechts, blicken International 2016). Im August 2016 verständigten sich aber strategisch auf die Mitte, setzen auf Parlamenta- die AfD-Vorsitzenden auf einem Parteikonvent in Kas- rismus und wollen im Stile der FPÖ breite Schichten sel, jede weitere Eskalation (erst einmal) zu vermeiden. der Bevölkerung ansprechen. «Wir werden Realisten Immerhin standen im September die Landtagswahl in sein oder politisch irrelevant werden», sagte Petry in ei- Mecklenburg-Vorpommern sowie die Abgeordneten nem Zeitungsinterview im Januar 2017 (Meisner/Hof- hauswahl in Berlin an, und die Chancen auf gute Er- mann 2017). So sieht es auch die Junge Freiheit (JF). In gebnisse sollten nicht durch interne Streitigkeiten und Bezug auf Höcke schreibt sie, man dürfe sich nicht in eine Nähe zu Gewalttätern gefährdet werden. den «Krähwinkeleien politischer Romantik verzetteln». Nach den Wahlen, bei denen die AfD in Berlin «Zielpublikum einer Partei mit Gestaltungsanspruch 14,2 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern gar dürfen nicht die vielleicht vier bis fünf Prozent der Wäh- 20,8 Prozent erzielen konnte, ist die Partei stark wie nie. ler sein, die die Auffassungen eines Björn Höcke tei- Sie ist nunmehr in zehn von 16 Landtagen vertreten len könnten.» Zielpublikum seien «vierzig bis fünfzig und scheint sich bundesweit etabliert zu haben. Doch Prozent oder sogar noch mehr» (Paulwitz 2017). Und Anlässe für neue Wendungen im Machtkampf gibt es JF-Chef Dieter Stein (2017) weiß: «Nur mit einem Kurs immer wieder. Anfang des Jahres 2017, also ein gu- realpolitischer Vernunft hat sie eine echte Zukunfts- tes halbes Jahr vor der Bundestagswahl, eskalierte chance.» in der AfD erneut der Flügelkampf. Dabei wurde klar, Die Fundis hingegen setzen – um es mit den Worten dass es nicht allein um Personalfragen, sondern auch Höckes zu sagen – auf eine «fundamentaloppositionel- um die grundsätzliche Ausrichtung der Partei geht. le Bewegungspartei». Für sie sind die Parlamente nicht Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand wieder ein- mehr als eine Plattform – oder wie Höcke im November mal Björn Höcke, der Mitte Januar 2017 auf Einladung 2015 auf einer Tagung der neurechten Denkfabrik IfS der «Jungen Alternative»2 in Dresden eine vielbeach- meinte: Man solle sich in Anbetracht des einsetzenden tete Rede hielt. Das deutsche Volk sei das einzige der Staatsverfalls nicht mit Landtagsarbeit «überbeschäf- Welt, «das sich ein Denkmal der Schande in das Herz tigten». «Wir müssen, und da kann es nur eine deut- seiner Hauptstadt gepflanzt» habe (Der Tagesspiegel, liche und ganz klare Ansage geben, und das gilt für 19.1.2017). Vor allem die Bezeichnung «Denkmal der jeden Abgeordneten, und das gilt für jeden Mandats- Schande» hat für Unmut gesorgt. Das anschließende träger: Wir müssen raus auf die Straßen und aufklären, Zurückrudern Höckes wirkte einstudiert – natürlich al- aufklären, aufklären» (Paul 2016: 38). Mit diesem An- les nur ein Missverständnis. Die deutsche Grammatik satz steht Höcke nicht allein. Er weiß mehrere Tausend lässt durchaus Interpretationsspielraum: Hat nun die AfD-Mitglieder auf seiner Seite und hat mit Meuthen Schande ein Denkmal bekommen oder ist das Denk- und Gauland einflussreiche Verbündete. mal selbst eine Schande? Der Kontext verrät, dass der Das zeigte sich auch beim Bundesparteitag der AfD, AfD-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag Letz- der Ende April 2017 in Köln stattfand. Im Vorfeld be- teres meinte: Er forderte eine «erinnerungspolitische reitete Frauke Petry einen Antrag vor, wonach sich die Wende um 180 Grad», denn die «dämliche Bewälti- Partei für einen «realpolitischen» Kurs aussprechen gungspolitik» lähme Deutschland (ebd.). sollte. Das nahmen ihr viele Parteimitglieder übel. Auf- Doch so einfach kam er mit dem kalkulierten Tabu- grund des starken innerparteilichen Drucks erklärte bruch dieses Mal nicht durch: Die Kritik ebbte nicht, sie wenige Tage vor dem Parteitag, sich nicht als Spit- wie sonst üblich, nach wenigen Tagen ab – auch nicht innerhalb der AfD. Die zweite Vorsitzende Frauke Pe- try ging in einem parteiinternen Rundschreiben an al- 2 Die «Junge Alternative für Deutschland» (kurz JA) ist die 2013 gegründete und am 28. November 2015 durch den Bundesparteitag anerkannte Jugendorgani- le Mitglieder auf Konfrontationskurs. Die Rede enthal- sation der AfD.

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zenkandidatin für den anstehenden Bundestagswahl- genau dies mit Sorge. Das zeigt sich etwa beim The- kampf bewerben zu wollen. Auf dem Parteitag selbst ma Einwanderung, die von den völkischen Teilen kom- lehnte die Partei ab, ihren sogenannten Zukunftsantrag plett abgelehnt wird, während die anderen Fraktionen überhaupt zu behandeln. In seiner Rede griff ihr Mit- auf Zugangskriterien pochen, die den Interessen der vorsitzender Jörg Meuthen Petry frontal an, wofür er «deutschen Wirtschaft» entsprechen. großen Beifall erhielt. Anschließend widmete sich die Die größten Differenzen bestehen in wirtschafts- Partei dem eigentlichen Grund der Zusammenkunft: und sozialpolitischen Fragen. So herrscht bei der Frei- der Verabschiedung eines Wahlprogramms. Das Pro- handelspolitik alles andere als Einigkeit: Manche Strö- gramm dreht sich vor allem um innere Sicherheit, Ein- mungen in der AfD lehnen etwa TTIP strikt ab, während wanderung und Familie. Die AfD wendete sich in ihrem andere unter bestimmten Bedingungen diesem Ab- Wahlprogramm gegen die angebliche «ungeregelte kommen zustimmen würden. Es gibt unternehmer- Massenimmigration in unser Land und in unsere So- freundliche Positionen, zugleich existiert bei vielen der zialsysteme», will die Geburtenzahl erhöhen und die Anspruch, eine «Partei der kleinen Leute» zu sein. Ins- Steuern senken (AfD 2017). Als Spitzenkandidat_in- besondere die völkischen Kräfte innerhalb der AfD ver- nen wurden auf dem Parteitag in Köln Alexander Gau- suchen, der Partei ein sozialeres Antlitz zu verleihen. land und Alice Weidel gewählt. Gauland hatte bereits Angesichts der insgesamt kapitalfreundlichen Pro- im Vorfeld für diese Lösung geworben. Mit der Unter- grammatik, der engen Verbindungen zu «mittelständi- nehmensberaterin Weidel konnte so der als gemäßigt schen Unternehmen» und eines beträchtlichen Anteils geltende neoliberale Flügel miteingebunden werden. von Kleinbürger_innen an der sozialen Basis der AfD Rund um den Parteitag hatten Gerüchte über ei- dürfte das nicht ohne Streit ablaufen. ne mögliche Spaltung der Partei die Runde gemacht. Doch bei allen Widersprüchen innerhalb des rech- Das Journalistenportal Correctiv hatte mit Verweis auf ten Projekts herrscht in den Grundzügen Einigkeit: Al- Parteikreise berichtet, Petry und ihr Ehemann Marcus le Strömungen folgen der Ideologie der Ungleichheit. Pretzell hätten vor, nach dem Einzug der AfD in den Ob für das Kollektiv (vor allem bei der völkischen Strö- Bundestag die Partei zu spalten (Bensmann 2017). Bis mung) oder das Individuum (insbesondere bei den Na- zur Bundestagswahl gab es jedoch eine Art Burgfrie- tionalneoliberalen), für alle gilt die Überlegenheit des den zwischen den Gegnern. Petry hielt sich weitge- Stärkeren gegenüber dem Schwachen. hend aus dem Bundestagswahlkampf zurück und das Spielte die nationalneoliberale Strömung mit ihrer Duo Gauland und Weidel warb in unterschiedlichen Kritik an der Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung Rollen für Stimmen. Gauland sprach eher die Unzu- in den Jahren 2010 bis 2014 die Hauptrolle, konnten friedenen bzw. das Protestmilieu an, Weidel eher das sich spätestens seit 2015 die Vertreter_innen des völki- rechtskonservative bürgerliche Spektrum. Am Ende schen Flügels in den Vordergrund rücken. Die national- ging diese Strategie auf. Die AfD holte 12,6 Prozent der konservative Strömung, die in der Partei nach wie vor Stimmen und zog mit 94 Abgeordneten in den Deut- sehr stark vertreten ist, wirkt ob der Provokationspolitik schen Bundestag ein, in Sachsen holte sie sogar drei der Völkischen tendenziell blass. Zusehends gelingt es Direktmandate. Nur einen Tag nach der Wahl erklärte den radikalen Strömungen, die AfD nach rechts zu ver- Frauke Petry, zu diesem Zeitpunkt immerhin Vorsitzen- schieben. de der AfD, nicht der Bundestagsfraktion angehören zu Trotz allen Konfliktpotenzials ist aber nicht davon wollen. Sie verließ wie ihr Mann und Mitstreiter Mar- auszugehen, dass sich die Auseinandersetzungen zu cus Pretzell kurz darauf die AfD. einer Selbstdemontage ausweiten werden. Der Aus- stieg von Petry und Pretzell hat bisher nicht zu einer 1.7 FAZIT größeren Austrittswelle geführt. Wahrscheinlicher ist, Die AfD hat für das rechte Projekt die Funktion ei- dass die AfD als Integrationsmaschine für die drei Strö- nes Versuchslabors. Die Entwicklung der Partei wird mungen fungiert, zumal sie sich nicht zwingend auf zeigen, ob die verschiedenen Flügel der Rechten in einen Gesellschaftsentwurf festlegen muss. Vielmehr Deutschland zusammenarbeiten können und welche dürfte sich das «Modell Gauland» durchsetzen. In ei- der Strömungen die Führung innerhalb des rechten nem längeren Interview schwärmte er von seiner frü- Projekts übernehmen wird. Zudem steht die AfD vor heren Partei, als diese noch gut funktioniert habe: «In der Aufgabe, will sie als Partei auf Dauer existieren, das den Hochzeiten der CDU haben verschiedene Flügel – breite rechte Spektrum in Deutschland langfristig an der soziale, der konservative und der liberale – mitein- sich zu binden. ander gerungen» (Friedrich 2017). Entsprechend brau- Zugleich bergen die inneren Widersprüche eines che auch die AfD sowohl einen wirtschaftsliberalen Bündnisses von durchaus heterogenen Strömungen wie auch einen konservativen und sozialen Flügel. «Wir erhebliches Konfliktpotenzial. Während der völkische müssen lernen, dass diese Flügel zusammenwirken Flügel eng mit einer sich formierenden rechten außer- und dass sie gemeinsam ein Ganzes bilden. Die Flügel parlamentarischen Bewegung zusammenarbeitet, be- dürfen nicht gegeneinanderstehen» (ebd.). trachten die moderater auftretenden Kräfte aus dem nationalneoliberalen und nationalkonservativen Flügel Sebastian Friedrich

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27 Die AfD in Sachsen-Anhalt von ihrer Gründung bis zur Landtagswahl 2016

2 DIE AFD IN SACHSEN-ANHALT VON IHRER GRÜNDUNG BIS ZUR LANDTAGSWAHL 2016

2.1 GRÜNDUNGSPHASE te gewählt worden. Der Kommunalwahlkampf war für Am 5. April 2013 gründete sich als einer der letzten die AfD äußerst chaotisch verlaufen, was vor allem an Landesverbände die AfD Sachsen-Anhalt (Förster u. a. der Auswahl ihrer Kandidat_innen lag. So hatten Medi- 2016: 33). Der erste Vorsitzende war Michael Heen- enberichte über kriminelle Kandidaten die Runde ge- dorf. Der Ende 2016 verstorbene Magdeburger spiel- macht. Gegen mehrere Kandidaten waren Ermittlungs- te in der Gründungsphase der bundesweiten AfD ei- verfahren eingeleitet worden, unter anderem wegen ne entscheidende Rolle. Er war Mitgliederbeauftragter Gewalt- und Drogendelikten (Fricke 2014). Der bekann- der «Wahlalternative 2013», dem Vorgängerverein der teste Fall: Vor den Wahlen war herausgekommen, dass AfD, klapperte die Mitglieder der Wahlalternative im gegen den Magdeburger Spitzenkandidaten der AfD, ganzen Bundesgebiet ab und wählte die Länderbe - Jörg Alsleben, wegen Nötigung, Bedrohung und Kör- auftragten aus (Amann 2017: 51 f.). Vor diesem Enga- perverletzung ermittelt wurde. Außerdem soll er Me- gement war er bereits bei der PDS und später bei der dienberichten zufolge an den Himmelfahrtskrawallen CDU als Stadtrat aktiv (Bock/Honig 2013). Ihn trieb die in Magdeburg beteiligt gewesen sein (K. T. 2014). Bei Kritik an der Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung den Magdeburger Himmelfahrtskrawallen am 12. Mai zur Wahlalternative (Brost/Coen 2015). Kurze Zeit nach 1994 hatten Neonazis eine Gruppe von schwarzen der offiziellen Gründung der AfD geriet Heendorf mit Menschen stundenlang durch die Stadt gejagt. Verletzt der Partei in Streit. Im Bundesvorstand stellte er einen worden war dabei unter anderem der Algerier Farid Antrag auf die Abwahl Luckes und versuchte gar we- Boukhit, der viereinhalb Monate später seinen schwe- gen formaler Unregelmäßigkeiten, den Wahlantritt der ren Verletzungen erlag. AfD bei den Bundestagswahlen zu verhindern (Amann Bei den Gemeinderatswahlen 2014 holte die AfD 2017: 61). Auch in Sachsen-Anhalt geriet er zuneh- 2,5 Prozent der Stimmen und 34 Sitze. Bei den Kreis- mend mit seinen Parteifreunden in Streit. Heendorf tagswahlen und den Stadtratswahlen in den kreis- sah sich massiver Kritik ausgesetzt: So wurde vor allem freien Städten erzielte die AfD insgesamt 2,3 Prozent sein Führungsstil kritisiert (Bock/Honig 2013). Ende der Stimmen und 16 Sitze. Dort, wo die AfD flächen- Dezember trat er von seinem Posten zurück und kurze deckend antrat, holte sie insgesamt 4,3 Prozent. Bei Zeit später aus der AfD aus. den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Europa- Bei den Bundestagswahlen 2013 schnitt die AfD in parlament erhielt die AfD in Sachsen-Anhalt 6,3 Pro- Sachsen-Anhalt unterdurchschnittlich ab. Sie erhielt zent, bundesweit holte sie 7,1 Prozent. Sachsen-Anhalt landesweit 4,2 Prozent der gültigen Stimmen, bundes- war erneut das Bundesland im Osten, in dem die AfD weit aber 4,7 Prozent. Es war das schwächste Ergeb- mit Abstand am schwächsten abschnitt. Im gesam- nis der AfD in den neuen Bundesländern. Am besten ten Bundesgebiet erreichte die AfD bei beiden Wah- schnitt die AfD in Sachsen-Anhalt in den Wahlkrei- len jeweils nur in Bremen, Hamburg, Niedersachsen sen Dessau/Wittenberg (5,1 Prozent) und in Anhalt und Nordrhein-Westfalen ein schlechteres Ergebnis. (4,8 Prozent) ab. In Sachsen-Anhalt war die Partei am stärksten in den Am 21. Dezember wählte der Landesparteitag Arndt Wahlkreisen Dessau-Roßlau/Stadt (8,2 Prozent) sowie Klapproth aus Dessau-Roßlau zum neuen Vorsitzen- in Anhalt-Bitterfeld (8,1 Prozent). den. Er gewann knapp gegen Andreas Herning, eben- Nach den Wahlen kehrte bei der AfD in Sachsen-An- falls aus Dessau-Roßlau, der dann Landesschatzmeis- halt keine Ruhe ein. Auf kommunaler Ebene zerfielen ter wurde (ebd.). Die Streitigkeiten und Machtkämpfe Fraktionen. In Dessau-Roßlau gab es ab September innerhalb der Partei rissen auch unter dem neuen Lan- 2014 bis zur Spaltung der AfD im Sommer 2015 gar desvorsitzenden nicht ab. Klapproth konnte sich eben- einen Kreisverband und einen Stadtverband, die sich falls nicht lange als Vorsitzender halten. Auf Druck eini- gegenseitig nicht anerkannten (Brachert 2015). Auch ger Kreisvorsitzender, darunter André Poggenburg, die die Skandale rissen nicht ab. Der damalige Beisitzer im ihm Veruntreuung von Parteigeldern und satzungswid- Landesvorstand, Jobst von Harlessem, teilte auf Face- riges Verhalten vorwarfen, trat er zurück (Förster u. a. book eine Fotomontage, in der der US-Präsident Ba- 2016: 34). Nachdem Tobias Rausch kurze Zeit Interims- rack Obama am Galgen hing, weswegen der zurück- vorsitzender war, übernahm im Juni 2014 André Pog- treten musste (Eichler 2014). Auf Van Harlessems genburg den Landesvorsitz. Facebook-Seite verglich Landesvorstandsmitglied Kurz vorher hatten gleichzeitig zwei Wahlen statt- Dirk Hoffmann die Politik der israelischen Regierung im gefunden: Erstens hatten am 25. Mai bundesweit Gazastreifen mit dem Holocaust (O. N. 2014). Insge- Stimmberechtigte Abgeordnete für das Europapar- samt machte die AfD Sachsen-Anhalt in der Zeit von ih- lament gewählt. Zweitens hatten in einigen Bundes- rer Gründung bis Anfang 2015 vor allem durch interne ländern, darunter auch Sachsen-Anhalt, Kommunal- Streitigkeiten und Machtkämpfe von sich reden. Zwei wahlen stattgefunden. Dabei waren Vertretungen für Jahre nach der Gründung konstatierte das Antifaschis- Kreistage, Stadträte, Gemeinderäte und Ortschaftsrä- tische Infoblatt (2015a): «Inhaltliche, politische Arbeit

28 Die AfD in Sachsen-Anhalt von ihrer Gründung bis zur Landtagswahl 2016

zeigt die offiziell flächendeckend organisierte Partei gemacht und hatte mitteilen lassen, der Aufnahmean- dagegen bisher kaum.» Entsprechend war der Orga- trag sei abgelehnt worden. nisationsgrad der Partei sehr gering: Ende 2013 hatte Poggenburg hatte sich für die Mitgliedschaft Ko- die Partei nach eigenen Angaben knapp 240 Mitglie- sitzas und Kubitscheks eingesetzt. Auch die «Patrioti- der und verfügte über acht Kreisverbände (Bock/Honig sche Plattform» hatte sich mit ihnen solidarisiert und 2013). gleichzeitig eine Kampfansage abgegeben: «Die AfD wird entweder mit Götz Kubitschek sein oder sie wird 2.2 RADIKALISIERUNG UND AUFTRIEB gar nicht sein!» (Patriotische Plattform 2015). Die- BIS ZU DER L ANDTAGSWAHL IM MÄRZ ser Konflikt führte dazu, dass der völkische Flügel um 2016 Höcke mit dem Flügel um Lucke darüber diskutierte, Unter Poggenburg gab es zwar weiterhin Machtkämp- wie weit rechts die AfD stehen darf. Laut der Journa- fe in der AfD in Sachsen-Anhalt, diese beruhigten sich listin Melanie Amann (2017: 147 f.) war die Ablehnung allerdings etwas, was auch an der klaren Linie liegen der IfS-Größen Anlass für den völkischen Flügel, sich dürfte, die Poggenburg einschlug. «Inhaltlich wie per- zu organisieren. Demnach habe Götz Kubitschek Hö- sonell richtete sich der Landesverband unter Poggen- cke davon überzeugt, dass sich die Rechten in der AfD burg neu aus. Interne Kritiker zogen sich größtenteils sammeln müssten. Um festzustellen, wie stark die Ba- zurück. Poggenburg rückte den Landesverband deut- sis sei, so seine Argumentation, müsse eine Resoluti- lich nach rechts, verlor zunehmend Distanz zu Struktu- on her, die alle Mitglieder unterschreiben könnten. Für ren und Forderungen insbesondere der Neuen Rech- diese Resolution soll Kubitschek den ersten Entwurf erten» (Förster u. a. 2016: 34). stellt haben (ebd.: 148). Ein deutliches Anzeichen für die Rechtsentwicklung Die Verbindungen zwischen der AfD-Spitze in Sach- innerhalb der AfD in Sachsen-Anhalt hatte es bereits sen-Anhalt, dem völkischen Parteiflügel und der Neu- Anfang 2015 gegeben. Am 14. März 2015 hatte Pog- en Rechten wurden enger. Beim AfD-Landesparteitag genburg gemeinsam mit dem AfD-Rechtsaußen Björn in Ziegenhagen in der Altmark Mitte April 2015 posi- Höcke auf dem Landesparteitag der AfD Thüringen die tionierte sich der Landesverband offiziell am rechten «Erfurter Resolution» vorgestellt. Darin richteten sie Rand der Partei. Während in der Bundes-AfD der Streit sich gegen den Kurs der AfD, der sie vorwarfen, sich zwischen Lucke und Petry weiterging, setzte der Lan- an den Betrieb der etablierten Parteien anzupassen. desparteitag ein klares Signal, als er mit großer Mehr- Sie beklagten einen Umbau der AfD «zu einer tech- heit die «Erfurter Resolution» verabschiedete. Eingela- nokratisch ausgerichteten Partei» (Erfurter Resolution den war auch Ellen Kositza – nicht als Mitglied, sondern 2015) und kritisierten damit, ohne Namen zu nennen, als Referentin. Sie sprach auf dem Parteitag zum The- den Kurs von Bernd Lucke. Höcke und Poggenburg ma Familie (Schierholz 2015). betonten, dass die AfD eine «grundsätzliche, patrioti- Nach der Abspaltung der Lucke-Fraktion infolge des sche und demokratische Alternative zu den etablierten Parteitags im Juli 2015 befand sich die AfD im Umfra- Parteien» sei, eine «Bewegung unseres Volkes gegen getief. Um aus diesem herauszukommen, versuchte die die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehn- Bundes-AfD früh, mit ihrer Kritik an der Flüchtlingspoli- te (Gender Mainstreaming, Multikulturalismus und tik der Bundesregierung wieder Auftrieb zu bekommen. Erziehungsbeliebigkeit usf.)» (ebd.). Mehr noch: Die Sie entwickelte eine «Herbstoffensive»: Mit Infostän- AfD sei Teil einer «Widerstandsbewegung gegen die den, Demonstrationen und Gesprächen an der Basis weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identi- wollte die AfD wieder Fuß fassen. Vor allem in Sach - tät Deutschlands, als Partei, die den Mut zur Wahrheit sen-Anhalt nutzte die AfD – etwa ein halbes Jahr vor der und zum wirklich freien Wort besitzt» (ebd.). Am En- Landtagswahl – diese Kampagne. In Sachsen-Anhalt or- de folgte eine offene Kampfansage an die Gruppe um ganisierte die AfD ab Mitte Oktober 2015 zehn Demons- Lucke: Ziel der Resolution sei «die Sammlung aller auf trationen. Die größte fand in Magdeburg statt. An ihr eine echte Alternative zu den bestehenden Parteien nahmen etwa 2.000 Menschen teil (ebd.). Laut «Mitei- ausgerichteten Kräfte innerhalb der AfD» (Höcke/Pog- nander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in genburg 2015). Binnen einer Woche hatten 1.600 AfD- Sachsen-Anhalt e. V.» beteiligten sich an den Demons- Mitglieder die Resolution unterzeichnet, darunter auch trationen «alle Spektren der extremen Rechten bis hin Alexander Gauland. zu neonazistischen Hooligans» (Begrich/Barthel 2016). Doch nicht nur das Schriftstück und die Organisie- Die militärische Bezeichnung «Herbstoffensive» rung der Parteirechten stehen für die Rechtsverschie- nahmen einige in der AfD recht wörtlich. René Augus- bung der AfD in Sachsen-Anhalt (und der gesamten tin, Direktkandidat für die Landtagswahl, schrieb im AfD), auch die Entstehungsgeschichte ist brisant. We- Herbst 2015 auf Facebook davon, politische Gegner nige Wochen vorher war herausgekommen, dass El- an die Wand stellen zu wollen, was der Wahlkampflei- len Schenke, alias Ellen Kositza, sowie Götz Kubitschek ter Daniel Roi – offenbar vor allem aus taktischen Er- vom IfS die Mitgliedschaft in der AfD beantragt hatten. wägungen – kritisierte. Angesichts der Medien, die so Sie waren im Januar 2015 zunächst in die Partei aufge- etwas ausschlachten würden, «sollten wir grade jetzt nommen worden. Der Bundesvorstand der AfD hatte genau überlegen, wie wir Dinge formulieren» (Förster allerdings im Februar von seinem Vetorecht Gebrauch u. a. 2016: 35).

29 Die AfD in Sachsen-Anhalt von ihrer Gründung bis zur Landtagswahl 2016

Die AfD befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Antifaschistisches Infoblatt (2015b): «Die Stimme der Vorwahlkampf. Poggenburg stachelte diesen noch Bürger ist unser Programm!» – Die «Alternative für weiter an, als er in einer Art Weihnachtsansprache auf Deutschland» in Sachsen-Anhalt, in: Antifaschisti- Facebook schrieb: «Gerade in dieser Zeit ist es ange- sches Infoblatt 4/2015, unter: www.antifainfoblatt.de/ bracht, einmal über gemeinsame Werte, Verantwor- artikel/„die-stimme-der-bürger-ist-unser-programm tung für die Volksgemeinschaft […] nachzudenken» [31.3.2017]. (Begrich 2016). Er verwendete den Begriff «Volksge- Begrich, David (2016): Grüße an die Volksgemein- meinschaft», der allgemein mit der Ideologie des Na- schaft. Die AfD Sachsen-Anhalt im Vorwahlkampf, tionalsozialismus verbunden wird, und versuchte, die- unter: www.miteinander-ev.de/index.php?page=103& se Wortwahl damit zu rechtfertigen, dass der Begriff modaction=detail&modid=607 [31.3.2017]. bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und in der Begrich, David/Barthel, Michael (2016): Vom Euro Weimarer Republik gebräuchlich gewesen sei (ebd.). skeptizismus zur völkischen Bewegungspartei. Der Unter den Kandidat_innen für die Landtagswahlen programmatische Wandel der AfD, unter: www.mitei- waren einige unbeschriebene Blätter und kaum je- nander-ev.de/index.php?page=102&modaction=detai mand mit Politikerfahrung. Nur wenige konnten wie l&modid=616 [31.3.2017]. Robert Farle auf Parlamentserfahrung zurückgreifen. Begrich, David/Begrich, Pascal (2016): Volk – Farle war bis 1990 DKP-Mitglied gewesen. Seine Mo- Nation – Identität. Das Wahlprogramm der AfD tivation, sich in der AfD zu engagieren, war nach eige- Sachsen-Anhalt, unter: www.miteinander-ev.de/index. ner Auskunft der Konflikt zwischen Russland und der php?page=61&modaction=detail&modid=612 Ukraine. Gegenüber dem Spiegel sprach er mit Trä- [31.3.2017]. nen in den Augen von der Sorge, dass es wieder einen Bock, Michael/Honig, Steffen (2013): Alternative für Krieg in Deutschland geben könne (Amann 2017: 47). Deutschland stellt sich personell neu auf, in: Volks- Bei der Landesliste fällt außerdem auf, dass sich unter stimme, 24.12.2013. den 36 Kandidat_innen lediglich fünf Frauen befanden. Brachert, Steffen (2015): AfD kommt in Dessau- Außerdem waren unter den ersten zwölf Kandidaten Roßlau nicht zur Ruhe. Ende des Streits nicht in Sicht, «mindestens zehn Kandidaten, die die von Höcke und in: Mitteldeutsche Zeitung, 18.5.2015. Poggenburg initiierte Erfurter Resolution unterzeich- Brost, Marc/Coen, Amrai (2015): Wie wird aus Protest net» hatten (Förster u. a. 2016: 38). eine Partei?, in: Die Zeit, 11.4.2013. Die Rechtsausrichtung des Landesverbands mach- Eichler, Hagen (2014): Rücktritt bei der AfD nach te sich auch in seinem Wahlprogramm bemerkbar Facebook-Affäre, in: Volksstimme, 15.11.2014. (AfD Brandenburg 2015), das laut einer Studie der Förster, Julika/Geiges, Lars/Hensel, Alexander/ Otto-Brenner-Stiftung «im Wesentlichen von völki- Pausch, Robert (2016): Die AfD vor den Landtags- schen, nationalistisch-identitären und rechtspopulisti- wahlen 2016 – Programme, Profile und Potenziale, schen Inhalten und Rhetoriken getragen» ist (Förster OBS-Arbeitspapier Nr. 20, Frankfurt a. M., S. 33. u. a. 2016: 36). David und Pascal Begrich (2016) vom Fricke, Matthias (2014): Kriminelle unterwandern «Netzwerk Miteinander» kommen zu einer ähnlichen AfD, in: Volksstimme, 7.5.2014. Einschätzung: Das Programm «ankert in einem Poli- Höcke, Björn/Poggenburg, André (2015): Erfurter tikansatz, der Staat, Gesellschaft und Politik von den Resolution, unter: www.derfluegel.de/erfurter-resolu- Begriffen Volk, Nation und Identität her denkt. Alle po- tion/ [18.8.2016]. litischen Handlungsfelder werden diesen Begriffen un- K. T. (2014): Strafrechtlich vorbelasteter AfD- tergeordnet». Kandidat, in: Volksstimme, 28.5.2014. O. N. (2014): AfD-Vorstand distanziert sich vom Sebastian Friedrich Landesverband Sachsen-Anhalt, in: Mitteldeutsche Zeitung, 8.10.2014. LITERATUR Patriotische Plattform (2015): Erklärung der Patrioti- AfD Brandenburg (2015): Die Stimme der Bürger – schen Plattform: Die AfD wird entweder mit Götz unser Programm. Wahlprogramm zur Landtagswahl Kubitschek sein oder sie wird gar nicht sein, unter: am 13. März 2016, Potsdam. http://patriotische-plattform.de/blog/2015/02/21/ Amann, Melanie (2017): Angst für Deutschland. Die erklaerung-der-patriotischen-plattform-die-afd-wird- Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie entweder-mit-goetz-kubitschek-sein-oder-sie-wird- führt, wohin sie steuert, München. gar-nicht-sein/ [31.3.2017]. Antifaschistisches Infoblatt (2015a): Rechtsruck – Schierholz, Alexander (2015): Parteitag in Ziegen- Die AfD in den Landtagen und kommunalen Gremien, hagen. Die AfD will rechts überholen, in: Mitteldeut- in: Antifaschistisches Infoblatt 2/2015, unter: www. sche Zeitung, 19.4.2015. antifainfoblatt.de/artikel/rechtsruck-die-afd-den-landtagen-und-kommunalen-gremien [31.3.2017].

30 Auftreten und Parlamentspraxis der AfD Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl 2016

3 AUFTRETEN UND PARLAMENTSPRAXIS DER AFD SACHSEN-ANHALT NACH DER LANDTAGSWAHL 2016

3.1 ZUSAMMENSETZUNG, KONSTITU verfügte. Für viele war die AfD die erste Station ihres IERUNG UND HOLPRIGER START DER politischen Wirkens. Neun Abgeordnete waren zuvor FR AK TION: MÄRZ BIS SEPTEMBER 2017 bereits Mitglieder in anderen Parteien gewesen: vier in Bei der Landtagswahl 2016 in Sachsen-Anhalt holte der CDU, zwei in der SED, jeweils einer in der FDP, DKP die AfD 24,3 Prozent der Stimmen und zog als zweit- und im Neuen Forum. Andreas Mrosek, ehemaliges stärkste Fraktion und als stärkste Oppositionspartei CDU-Mitglied, war zudem 2002 für den DVU-Ableger in den Landtag ein. Dieses gute Ergebnis war überra- «Freiheitliche Deutsche Volkspartei» zur Landtagswahl schend: Es übertraf nicht nur die letzten Prognosen angetreten. Einen konfessionellen Hintergrund gaben der Forschungsgruppe Wahlen (18 Prozent), sondern lediglich fünf Personen an: evangelisch (drei), evan- auch die von Forsa (18 Prozent) und von INSA (19 Pro- gelikal (eine), römisch-katholisch (eine). Die Hälfte der zent) deutlich. Insgesamt 25 Kandidat_innen gelang Fraktionsmitglieder verfügt über einen Hochschulab- der Einzug ins Landesparlament,3 unter ihnen 15, die schluss. Entsprechend der Auskünfte zur vorherigen ein Direktmandat in ihren Wahlkreisen gewonnen hat- Berufsausübung waren die meisten der AfD-Abgeord- ten. Die übrigen zehn zogen über Listenplätze ein. Nur neten (elf) zuvor unternehmerisch bzw. selbstständig die CDU konnte mit 27 (-14) mehr Direktmandate ge- tätig, fünf hatten als Angestellte gearbeitet, vier in öf- winnen. Von den anderen Parteien holte lediglich DIE fentlichen Verwaltungen und Behörden bzw. als Beam- LINKE ein Direktmandat (-2), während die SPD ihres te, jeweils eine Nennung entfiel auf die Landwirtschaft, verlor. In den Landtag zogen insgesamt 30 Abgeordne- den IT-Bereich, die Hochschule und ein laufendes Stu- te der CDU, 25 der AfD, 16 der Partei DIE LINKE, elf der dium. Ein Abgeordneter, Daniel Roi, hatte zuvor bereits SPD sowie fünf der Grünen ein. Die Regierung wurde für die AfD gearbeitet, nämlich für die Landtagsfrakti- aus einer sogenannten Kenia-Koalition aus CDU, SPD on in Thüringen. Anlage 1 bietet eine Übersicht zu den und Grünen unter Ministerpräsident Rainer Haselhoff Fraktionsmitgliedern, ihren biografischen und politi- (CDU) gebildet. schen Hintergründen (laut eigenen Angaben gegen- Die Fraktionsgröße eröffnete der AfD unter anderem über dem Landtag von Sachsen-Anhalt) sowie zu ihren die Möglichkeit, eigenständig Gesetzentwürfe in die Funktionen in der Fraktion (Stand: April 2016). Ausschüsse zu überweisen (hierfür sind 24 Stimmen Sehr zeitig begann die AfD mit der Konstituierung nötig) sowie Untersuchungsausschüsse, Enquete- als neue Fraktion. Auf einem Treffen in Schopsdorf kommissionen oder Sondersitzungen des Landtags im Jerichower Land am 19. März 2016 verständigte einzuberufen (hierfür sind je 22 Stimmen nötig). Auf- sie sich darauf, dass Landesparteichef André Poggen- grund von Streitigkeiten und Machtkämpfen inner- burg auch die neue Fraktion anführen sollte. Er wurde halb der AfD-Fraktion (vgl. hierzu ausführlicher Kapitel mit 70 Prozent der Stimmen gewählt (Eichler 2016a). 3.5) kam es dazu, dass drei Abgeordnete diese im Ju- Gleich nach der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden kün- ni 2017 verließen: Gottfried Backhaus, Jens Diederichs digte André Poggenburg den Verzicht auf eine weitere und Sarah Sauermann. Zwei von ihnen blieben frak- Kandidatur zum Landesvorsitzenden an (Volksstimme, tionslos, Diederichs wechselte in die CDU-Fraktion. 21.3.2016). Dieser Vorgang war später Ausgangspunkt Dadurch entfallen künftig für die AfD einige der oben für einen innerparteilichen Disput.5 Den Posten des genannten parlamentarischen Interventionsmöglich- Parlamentarischen Geschäftsführers übernahm Da- keiten. niel Roi. Zudem wurden Matthias Büttner und Tobias Neben dem überraschenden Wahlergebnis fiel die Rausch zum ersten bzw. zweiten Vize bestimmt; Sarah AfD-Fraktion darüber hinaus durch ihre ungewöhnli- Sauermann, Oliver Kirchner und Matthias Lischke wur- che Zusammensetzung auf: Sie war jung und männ- den in den Fraktionsvorstand berufen (Volksstimme, lich dominiert. Abgesehen vom ältesten Landtagsab- 20.3.2016). geordneten Willi Mittelstädt (geb. 1947) waren von Diese Konstellation hielt jedoch nicht lange. Am den 25 Abgeordneten 13 nicht älter als 45 Jahre. Un- 29. November 2016 wurde in Gommern der Vorstand ter den zehn jüngsten Landtagsmitgliedern befanden der Fraktion neu gewählt. Er bestand anschließend nur sich allein acht aus der AfD und auch die einzigen vier, noch aus Poggenburg als Fraktionsvorsitzendem (mit die nach 1989 geboren worden sind. Mit Sarah Sauer- mann und Lydia Funke gab es zunächst lediglich zwei weibliche Abgeordnete in der AfD-Fraktion, was einem 3 Nach den ersten offiziellen Wahlergebnissen erhielt die AfD 24,2 Prozent der Frauenanteil von 8 Prozent entspricht.4 Nach dem Aus- Stimmen und 15 Direktmandate, sodass weitere neun Kandidat_innen über die Lis- te nachzogen. Aufgrund von fälschlicherweise auf die Partei «Allianz für Fortschritt tritt von Sarah Sauermann aus der Fraktion ist nur noch und Aufbruch» (ALFA) übertragene AfD-Stimmen erhielt diese letztlich 24,3 Prozent eine Frau übriggeblieben. der Stimmen. Dadurch standen ihr nun 25 Sitze zu, was den Verlust eines Mandates für DIE LINKE bedeutete. 4 Zum Vergleich: In der CDU-Fraktion lag der Frauenan- Auffällig ist zudem, dass beim Einzug in den Land- teil bei 12,5 Prozent (vier weibliche Abgeordnete), bei den LINKEN waren neun der tag keines der AfD-Fraktionsmitglieder über parlamen- 16 Abgeordneten Frauen und bei SPD und GRÜNEN etwa jeweils die Hälfte. 5 Vgl. dazu den 3. Sonderlandesparteitag der AfD Sachsen-Anhalt am 21. Mai 2016 und tarische Erfahrung jenseits der kommunalen Ebene Kapitel 3.2 der vorliegenden Studie.

31 Auftreten und Parlamentspraxis der AfD Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl 2016

100 Prozent gewählt), Robert Farle als Parlamentari- Poggenburg, der wegen Ämterhäufung in die Kritik schem Geschäftsführer und drei Stellvertretern Pog- geraten war, vom Posten des Fraktionsvorsitzenden genburgs: Oliver Kirchner, Tobias Rausch und Matthias abzuziehen. Er sollte die Position des Landtagsvize- Lehmann. Daniel Roi, Widersacher Poggenburgs, fiel präsidenten übernehmen. Die Ablehnung dieses Vor- mit 13 zu 12 Stimmen gegen Robert Farle durch und habens durch die anderen Fraktionen (Bock 2016b) gehört seitdem nicht mehr dem Vorstand an. Zwei Pos- bezeichnete Poggenburg als Ausdruck eines «Parteien- ten wurden ganz gestrichen (Mitteldeutscher Rund- kartells», das «sich gegen die AfD zusammentut und funk 2016a). parlamentarische Gepflogenheiten außer Kraft setzt, Für spätere Debatten sorgte zudem der formale Vor- um ihren Merkel-Kurs fortzusetzen» (Volksstimme, gang der Konstituierung der Fraktion. Nach einem ei- 5.7.2016). Letztlich nominierte die AfD-Fraktion Wil- gens dafür anberaumten Treffen am 19. März 2016 li Mittelstädt als Kandidaten für das Amt des Landes- kam die AfD-Fraktion am 31. März erneut zu einer kon- vizepräsidenten, wobei die anderen Fraktionen auch stituierenden Sitzung zusammen und sicherte sich da- diesen in einem ersten Anlauf Anfang September 2016 durch Fraktionszulagen für den Monat März in Höhe mit 37 zu 43 Stimmen durchfallen ließen. Am Monats- von 138.104,50 Euro (Kranert-Rydzy 2016). Im Dezem- ende wurde Mittelstädt jedoch aufgrund dessen An- ber 2016 war es dann ausgerechnet die AfD, die den kündigung, bei jeder Sitzung erneut kandidieren zu anderen Parteien mit Blick auf die Fraktionsgelder und wollen, mit 46 zu 32 Stimmen bei drei Enthaltungen Funktionszulagen eine «maßlose Selbstbedienungs- gewählt (Bock 2016c). mentalität» und Verfassungswidrigkeit vorwarf (Mittel- Ob ihrer Größe vergleichsweise unproblematisch deutscher Rundfunk 2016b). gestaltete sich dagegen die Besetzung der Ausschüs- In den ersten Wochen konstituierten sich ebenfalls se. In drei Ausschüssen (Arbeit, Soziales und Integra- die Gremien des Landtages, in denen auch die AfD ihre tion; Inneres und Sport; Landesentwicklung und Ver- Vertretungsansprüche hatte. So stand der Fraktion auf- kehr) übernahm die AfD den Vorsitz. grund ihrer Größe zum Beispiel ein Vorschlagsrecht für die Besetzung des Postens eines Landtagsvizepräsiden- Tabelle 1: AfD-Abgeordnete in den Landtags ten zu. Dessen Wahl am 12. April 2016 wurde zum ers- ausschüssen in Sachsen-Anhalt im April 2017 ten Test für den Umgang der anderen Parteien mit der AfD im Landtag. Während DIE LINKE, beschloss, keinen Ausschuss AfD-Mitglied AfD-Kandidaten zu wählen, stellten die anderen Fraktio- Ältestenrat Willi Mittelstädt Arbeit, Soziales und Integra- Ulrich Siegmund (Vorsitz), nen diese Entscheidung ihren Abgeordneten frei. tion Oliver Kirchner, Marcus Spiegelberg Von der AfD vorgeschlagen wurde zunächst Daniel Bildung und Kultur Gottfried Backhaus, Hans-Thomas Rausch, der sich nur der CDU vorstellte (Volksstimme, Tillschneider 10.4.2016). Dass aufseiten der CDU zum Teil wenig Bundes- und Europaangele- Hans-Thomas Tillschneider (Stellv.), Berührungsängste gegenüber der Rechtsaußenpartei genheiten sowie Medien Daniel Rausch, Tobias Rausch, Ulrich Siegmund bestanden, zeigt die anschließende Wahl, die zu einer Ernährung, Landwirtschaft Hannes Loth (Stellv.), ersten Belastungsprobe für die laufenden Koalitions- und Forsten Gottfried Backhaus, Daniel Roi verhandlungen wurde. Während CDU-Kandidat Har- Finanzen Robert Farle, Tobias Rausch, dy-Peter Güssau6 (47 Ja-Stimmen, 35 Nein-Stimmen, Jan Wenzel Schmidt 5 Enthaltungen) sowie AfD-Kandidat Daniel Rausch Inneres und Sport Hagen Kohl (Vorsitz), Thomas Höse, Mario Lehmann (46 Ja-Stimmen, 34 Nein-Stimmen, 7 Enthaltungen) im Landesentwicklung und Andreas Mrosek (Vorsitz), ersten Wahlgang die nötige Mehrheit erreichten, vo- Verkehr Matthias Büttner, Willi Mittelstädt tierten nur 39 Parlamentarier_innen für und 44 gegen Petitionen Jens Diederichs, Volker Olenicak, den LINKEN-Kandidaten Wulf Gallert (vier enthielten Sarah Sauermann sich). Erst nach einer Krisensitzung der Fraktionsfüh- Recht, Verfassung und Jens Diederichs, Hagen Kohl, rungen erhielt Gallert im zweiten Wahlgang die benö- Gleichstellung Hannes Loth Umwelt und Energie Lydia Funke, Andreas Gehlmann, tigten Stimmen (45 Ja-Stimmen, 33 Nein-Stimmen, Volker Olenicak 9 Enthaltungen; Bock 2016a). Rauschs Amtszeit dau- Wirtschaft, Wissenschaft Matthias Lieschke (Stellv.), erte allerdings nur wenige Wochen oder genau ge- und Digitalisierung Hannes Loth, Alexander Raue nommen nur sieben Minuten: Seine erste und einzi- Unterausschuss Rech- Robert Farle gen Sitzungsleitung am 1. Juni 2016 überforderte ihn nungsprüfung offenbar auch aufgrund des Verhaltens seiner eigenen Wahlprüfungsausschuss Jens Diederichs, Hagen Kohl, Hannes Loth Fraktion so sehr, dass die Sitzung unterbrochen wer- 15. Parlamentarischer Matthias Büttner (Stellv.), den musste und unter anderer Leitung fortgesetzt wur- Untersuchungsausschuss 3 Tobias Rausch, Jan Wenzel Schmidt de. Am Folgetag trat Rausch offiziell aus «persönlichen Parlamentarische Kontroll- Volker Olenicak Gründen» zurück (Förtsch 2016). kommission Im Verlauf des Sommers 2016 wurde die Besetzung Quelle: Landtag von Sachsen-Anhalt, Ausschüsse & Gremien dieses Postens erneut zum Thema in der AfD: In einer Zeit ständiger innerparteilicher und persönlicher Auseinandersetzungen gab es Überlegungen, André 6 Am 1. September 2016 löste Gabriele Brakebusch ihn in diesem Amt ab.

32 Auftreten und Parlamentspraxis der AfD Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl 2016

Debatten gab es im Zuge der Gremienbesetzungen noch an, über 100 Bewerbungen für die neu zu beset- unter anderem um den Sitz der AfD in der Parlamen- zenden Stellen zu haben, waren bis Mai noch nicht ein- tarischen Kontrollkommission, deren vorrangige Auf- mal zehn Stellen besetzt (Volksstimme, 4.5.2016). Of- gabe es ist, den Verfassungsschutz zu überwachen. fiziell begründet wurde dies unter anderem mit dem Auch für diesen Posten wurde zunächst André Pog- hohen Zeitaufwand für die Vorbereitungen der Parla- genburg vorgeschlagen; eine Entscheidung, die ins- mentsarbeit und die Einrichtung der Büros, worunter besondere aufgrund der fehlenden Distanzierung Pog- die Durchsicht der Bewerbungsunterlagen gelitten genburgs von der «Identitären Bewegung» kritisiert habe (Ellrich 2016). Die Wochenzeitung Die Zeit be- wurde. Letztlich zog dieser seine Kandidatur zuguns- schrieb die Probleme so: «Es gibt unter Deutschlands ten von Daniel Olenicak zurück, der im ersten Wahl- Akademikern einfach zu viele Menschen, die sich da- gang mit 48 von 86 Stimmen gewählt wurde, obwohl ran stören, die AfD in ihrem Lebenslauf stehen zu ha- er selbst durch antisemitische Äußerungen und seine ben» (Machowecz 2016). Der im April noch für das Nähe zur Reichsbürgerbewegung aufgefallen ist. Auf Amt des Fraktionsgeschäftsführers vorgesehene Hart- seiner Facebook-Seite teilte Olenicak etwa ein Foto mut Wiest, ein parteiloser Diplomingenieur aus Staß- von Angela Merkel mit dem Untertitel «Verräterin Mer- furt und gemeinsam mit den AfD-Politikern Tobias kel gefährdet den Frieden in Europa. Rücktritt der zio- Rausch und Matthias Büttner Mitglied in der dortigen nistischen US-Agentin» oder ein Bild der Gruppe «BRD Fraktion der «Unabhängigen Wählergemeinschaft» Pseudostaats-Regierung». Kritik an Israel als «Kriegs- (UWG) Salzland, zog seine Zusage noch vor dem ers- treiber» begründete er später damit, Mitleid für die Op- ten Arbeitstag zurück. Den Posten übernahm später fer gehabt zu haben. «Die Angriffe fand ich wirklich der ehemalige Pornodarsteller Ronny Kumpf. Ansons- schrecklich, dafür gibt es keine Entschuldigung» (Eich- ten war und ist teilweise wenig über die Beschäftigten ler 2016b). Auch an Mahnwachen und einer Pegida- bekannt. Demonstration hatte er laut eigenen Angaben teilgenommen. Darauf angesprochen, wiegelte Poggenburg 3.2 BUNDESPARTEITAG DER AFD ab: «Das ‹Verbreiten› über Facebook [sei] so eine Sache VOM 30. APRIL BIS 1. MAI 2016 für sich» (Volksstimme. 6.7.2016). Im selben Interview In der Zeit, in der sich die AfD-Landtagsfraktion in stellte Olenicak jedoch die Möglichkeit in den Raum, Sachsen-Anhalt konstituierte und aufgrund ihres dass sowohl Angela Merkel als auch Bundespräsident Wahlergebnisses entsprechend selbstbewusst agier- Joachim Gauck Spitzel der Staatssicherheit der DDR te, rang die AfD auf Bundesebene um ein Grundsatz- gewesen sein könnten. Bezüglich der Souveränität der programm. Der fünfte AfD-Bundesparteitag, der vom BRD sprach er über «Umstände, die zu denken geben: 30. April bis 1. Mai 2016 in Stuttgart stattfand, sollte für Wenn US-Kasernen von deutschen Soldaten bewacht eine gemeinsame programmatische Grundlage sor- werden und deutsche Kasernen vom privaten Wach- gen. Von zentraler Bedeutung war daher das Auftreten dienst, fragt man sich, wo die Prioritäten liegen» (ebd.). der unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Par- Aufsehen erregten zudem die Auswahl, die schlep- tei. Wie schon im Zuge des Essener Parteitags ein Jahr pende Einstellung und hohe Fluktuation der Mitarbei- zuvor, der zur Spaltung der Partei geführt hatte, wur- ter_innen in der AfD-Fraktion. So sorgte insbesondere den auch hier scharfe personelle und inhaltliche Aus- der Abgeordnete Jan Wenzel Schmidt für Schlagzei- einandersetzungen geführt, die sich diesmal auch ge- len, als er Stefan Träger, NPD-Kandidat bei der Bundes- gen Frauke Petry richteten. Ihre Warnungen vor einem tagswahl 2009, als Mitarbeiter einstellte. Schmidt ver- Rechtsruck konterte Poggenburg mit der Kritik, dass wies auf den «mehr als glaubhaften» Ausstieg Trägers solche Drohungen «charakterlich bedenklich» und aus der rechten Szene und sprach davon, jeder sollte «Lucke-Manier» seien (Eichler 2016e). Über 1.400 Sei- eine zweite Chance erhalten, «wieder im demokrati- ten umfassten die Änderungsanträge zum Leitantrag, schen System anzukommen». Unterstützung erhielt mit denen sich unter anderem auch die sachsen-anhal- er von Roi und Poggenburg, die erklärten, «niemanden tinische AfD in die Debatte einbrachte. bis zum Jüngsten Tag verteufeln» bzw. nicht «für eine Poggenburg tat sich beispielsweise mit der Forde- Jugendsünde» lebenslang stigmatisieren zu wollen rung nach einem gelockerten Waffenrecht und der Ab- (Eichler 2016c). schaffung von Islamprofessuren an deutschen Hoch- Dies war nicht die einzige bewusste Grenzaufwei- schulen hervor. Außerdem forderte er ein Bekenntnis chung von AfD-Kadern gegenüber der extrem rechten zur Beibehaltung des Mindestlohns als auch zur öf- Szene. Aufsehen erregte auch die Bewerbung von Pe- fentlichen Kinderbetreuung. Daniel Roi drang hinge- gida-Frontfrau Kathrin Oertel, die Poggenburg als sehr gen auf eine Änderung der Präambel von «Wir sind passende Bewerberin, als «politisch engagiert und Liberale und Konservative» hin zu «Wir sind selbstbe- ganz nah bei uns» beschrieb (Eichler 2016d). Auch Ale- wusste Patrioten» (ebd.). Auch der Islamwissenschaft- xander Gauland pflichtete ihm bei und erklärte, er «hät- ler Hans-Thomas Tillschneider, ebenfalls ein Stratege te keine Einwände gegen [deren] Einstellung» (Eich- des rechtsnationalen AfD-Flügels um den Thüringer städt 2016). Insgesamt schien die Fraktion allerdings Landeschef Björn Höcke, brachte sich in die Debat- Schwierigkeiten zu haben, geeignetes Personal in ge- te um den Islam ein. Am Entwurf für das Programm wünschter Qualität zu finden. Gab man Anfang April der Bundespartei soll er nach Angaben von Parteispre-

33 Auftreten und Parlamentspraxis der AfD Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl 2016

cher Christian Lüth nicht mitgewirkt haben, dennoch ter), Andreas Mrosek (2. Stellvertreter), Yvonne Sturm meint der Direktor des Zentrums für Islam und Recht (Schatzmeisterin), Frank Pasemann (stellv. Schatz- an der Universität Erlangen-Nürnberg, Mathias Rohe, meister), Lisa Lehmann (Schriftführerin), Hans-Thomas Tillschneiders Handschrift in einem aus Niederbayern Tillschneider (Beisitzer), Mario Lehmann (Beisitzer) so- eingebrachten Gegenantrag erkannt zu haben. Dort wie Martin Reichard (Beisitzer) (Kunze 2016). Yvonne heißt es: «Solange der Bau und Betrieb von Moscheen Sturm trat am 2. Juli 2016 zurück und warf der Partei in nicht nur dem gemeinsamen Gebet, sondern auch der einer öffentlichen Auseinandersetzung Satzungsbruch Verbreitung der auf die Beseitigung unserer Rechts- und fehlende Professionalität vor. Sie ebenso wie Ron- ordnung gerichteten islamischen Lehre dient, ist er zu ny Kumpf und Frank Pasemann hätten als Beschäftig- untersagen. Dem können auch abweichende Beteue- te der Landtagsfraktion laut Bundessatzung nicht auch rungen islamischer Geistlicher nicht entgegenstehen, Mitglieder des Landesvorstands sein dürfen. Poggen- denn der Koran lässt zur Erreichung seiner Ziele gegen- burg sprach diesbezüglich öffentlich von «Interessen- über Außenstehenden auch Lüge und Täuschung zu» konflikten» und einer zu «hohen Arbeitsauslastung», (Clasmann 2016). die Sturm zum Rücktritt bewegt hätten (Bock 2016e). Von den meisten Beobachter_innen wurde der Par- Für Sturm rückte später Arno Bausemer in den Lan- teitag als weiterer «Rechtsruck» gewertet. Neben dem desvorstand nach. Dieser wurde Stellvertreter des nun Bekenntnis, dass der Islam nicht zu Deutschland ge- neuen Schatzmeisters Frank Pasemann. höre und die «deutsche Leitkultur» dem Multikultura- lismus vorzuziehen sei, findet sich im «Programm für 3.4 DER LANDTAG ALS BÜHNE FÜR Deutschland» auch die Absage an die «Vereinigten EINEN «KULTURKAMPF VON RECHTS»: Staaten von Europa». Insgesamt spricht aus dem Pro- DAS ERSTE JAHR DER AFD IM L ANDTAG gramm ein deutlich gefestigtes, biologistisches und VON SACHSEN-ANHALT völkisches Verständnis von Staat, Gesellschaft und Nach der Phase der Konstituierung und der innerpar- Kultur. Poggenburg indes konterte, keinen Rechtsruck teilichen Umstrukturierungen begann die AfD mit ih- erkennen zu können, da man sich ja nicht «das Einrei- rer parlamentarischen Arbeit und übertraf ihr Gebaren ßen aller bestehenden Moscheen ins Programm ge- im Wahlkampf nochmals. Insgesamt ist festzuhalten, schrieben» habe (Volksstimme, 4.5.2016). dass die AfD das Parlament vorwiegend als Bühne für Selbstinszenierungen versteht und als Ort für strategi- 3.3 SONDERLANDESPARTEITAG DER AFD sche Diskursverschiebungen nutzt. Auf ihr erstes Wir- SACHSEN-ANHALT AM 21. MAI 2016 kungsjahr zurückblickend sprechen Vertreter_innen Kurz nach dem Bundesparteitag kam auch die AfD in des Vereins «Miteinander» davon, dass die Rechts- Sachsen-Anhalt zu einem Parteitag zusammen, der am partei einen Prozess «politischer Selbstradikalisierung 21. Mai 2016 in Eisleben stattfand. Unter anderem die durchlaufen» habe, sodass «nicht mehr von einer nati- Vorgänge um die Ämterverteilung waren Ausgangs- onal-konservativen Partei, sondern von einer völkisch- punkt für einen innerparteilichen Disput, der hier aus- nationalistischen Partei» gesprochen werden müsse getragen wurde. (Miteinander e. V. 2017). Dem Gestus einer Partei in Gleich nach seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden der Fundamentalopposition verschrieben, präsentierte im März 2016 hatte André Poggenburg angekündigt, sich die AfD durch ihr Auftreten, ihre Sprache und die auf eine weitere Kandidatur zum Landesvorsitzenden feindliche Art der Ansprache der anderen Parteien ganz verzichten zu wollen. Bis zum Sonderparteitag hatte im Sinne einer Anti-Establishment-Partei, die als einzi- er sich diese Entscheidung jedoch offengehalten. Nun ge den «wahren Willen des Volkes» artikuliert. trat er trotz des Vorwurfs, hiermit einen «klaren Wort- Während sich die AfD-Abgeordneten selbst als bruch» (Robert Farle) zu begehen, an und konnte sich «Kümmerer» inszenierten, versuchten sie immer wie- mit 110 zu 52 Stimmen gegen seinen Widersacher, der, die politische Konkurrenz als «Altparteien» und den Wittenberger Dirk Hoffmann, durchsetzen. Pog- «volksfern» zu diskreditieren. Bezeichnend ist diesbe- genburg sprach danach von einem «spürbaren Mit- züglich der Umstand, dass dem vitalen Agieren im Ple- gliedervotum» und hob hervor, dass die Landespartei num ein teilweise nur mäßiges Weiterverfolgen vieler durch die Wahl trotz «linksfaschistischer Elemente» Themen in der anschließenden Ausschussarbeit ge- und «Medienhetze» für die Bundespartei den «Schritt genübersteht. In Einklang mit dieser Form der Selbst- hin zu einer nationalen Volkspartei gemacht» und sich darstellung ist auch die Strategie der gezielten Provoka- zum «respektierten und geschätzten Vorreiter» entwi- tion, die im Grunde bei fast jeder Gelegenheit gesucht ckelt habe (Bock 2016d). Für Aufregung auf diesem wurde und immer wieder deutliche Grenzverschie - Parteitag sorgte zudem die Nichtentlastung von Lan- bungen des bisherigen politischen Diskurses mit sich desschatzmeister Alexander Raue aufgrund fehlender brachte. Ganz offensichtlich wurde neben dem me- Unterlagen. Von der sich anschließenden Debatte wur- dialen Echo dabei auch darauf abgezielt, den Bereich den Pressevertreter_innen allerdings ausgeschlossen. des «Sagbaren» offensiv nach rechts zu erweitern und Den neuen Landesvorstand, dem keine expliziten Begriffe einer völkischen Gedankenwelt und Formulie- Poggenburg-Kritiker_innen mehr angehörten, bilde- rungen wie «Altparteien», «Gesellschaftsexperimente» ten neben ihm selbst: Ronny Kumpf (1. Stellvertre- oder «Völkerwanderung» in der Debatte zu etablieren.

34 Auftreten und Parlamentspraxis der AfD Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl 2016

Bis auf wenige Ausnahmen konzentrierten sich die Sehr unterschiedlich fiel das Redeverhalten inner- Ausführungen der AfD auf den Themenkomplex Asyl halb der Fraktion aus. Laut Parlamentsprotokollen wa- und Migration sowie auf die von ihr als «Genderwahn» ren mit fast der Hälfte aller Beiträge die wichtigsten bezeichnete Gleichstellungspolitik. Fixiert auf ihre Redner: Robert Farle, André Poggenburg, Hans-Tho- Identitätsthemen nutzten die Abgeordneten jeden An- mas Tillschneider, Jan Wenzel Schmidt und Daniel Roi. lass, um insbesondere ihrer Ablehnung der praktizier- Auch im Hinblick auf den allgemeinen Stil und die Hef- ten Flüchtlingspolitik Ausdruck zu verleihen, die sie als tigkeit der verbalen Attacken und Provokationen zeig- verschwenderische «Gesellschaftsexperimente» kriti- ten sich Unterschiede zwischen Scharfmachern wie sieren, die zulasten anderer Haushaltsposten und der Poggenburg und Tillschneider und eher «gemäßigte- «einheimischen» Bevölkerung gingen. Dabei zeigt sich ren» Redner_innen. Bei manchen Themen, zum Bei- die Partei mit ihren Vorschlägen und Beiträgen oftmals spiel der Behindertenpolitik, schien es keine klare Li- vollkommen unbeeindruckt von rechtlichen und ande- nie zu geben, sodass einzelne Redebeiträge und das ren institutionellen Festlegungen und Rahmenbedin- Abstimmungsverhalten der AfD zum Teil für Überra- gungen – seien es parlamentarisch-rechtliche Zustän- schungen bei Dritten sorgten. Es muss jedoch heraus- digkeiten oder die Menschenrechte. gestellt werden, dass es sich bei diesen Differenzen Laut Parlamentsdokumentation des Landtags (PA- zumeist um graduelle Unterschiede auf der Ebene der DOKA)7 brachte sich die AfD in den ersten eineinhalb Präsentationsweise handelte. Wirklich große inhaltli- Jahren mit 58 Anträgen, 36 Änderungs- und Alterna- che Differenzen ließen sich nicht feststellen. Vielmehr tivanträgen, zwei Gesetzentwürfen sowie fünf Großen trat die Fraktion im parlamentarischen Gebaren weit- und 468 Kleinen Anfragen in die Parlamentsarbeit ein. gehend geschlossen auf. Drastische Begriffe und Ar- Zum Vergleich: DIE LINKE, als wesentlich kleinere Op- gumentationen wurden aus den eigenen Reihen nicht positionspartei, kommt im selben Zeitraum auf 81 An- kritisiert oder infrage gestellt, sondern auch von den träge, 64 Änderungs- und Alternativanträge, sieben eher «gemäßigt» auftretenden Personen mitgetragen. Gesetzentwürfe sowie sechs Große und 388 Kleine Über das Mittel der (Kleinen und Großen) Anfragen Anfragen. Auch die Anzahl der Kleinen Anfragen er- holte die AfD in erster Linie Informationen zu den The- höhte sich erst im Laufe der Zeit von 162 im Jahr 2016 men Asyl, Integration und Migration, Förderung von (LINKE: 167) auf 306 im Jahr 2017 (LINKE: 221) (Stand: Initiativen und Projekten gegen Rechtsextremismus August 2017). oder für Gleichstellung ein sowie zur Kriminalitäts- Inhaltlicher Fixpunkt der parlamentarischen Initi- entwicklung oder zu einzelnen Vorfällen wie sexuelle ativen der AfD ist ein politisches Programm, in des - Belästigungen an bestimmten Orten. So gab es zum sen Zentrum die Begriffe Volk, Nation und Identität Beispiel Anfragen zu «Ausweisfälschungen bei Asyl- stehen. In den Bereichen Bildung, Behindertenpolitik bewerbern», zur «Konversion als Mittel der Asyler- und Justiz offenbarte die Partei ihre Vorstellung von zwingung», zur «Straffälligkeit von EU-Bürgern aus einer «leistungsfähigen» Gesellschaft. Sie entwickel- der Volksgruppe der Sinti und Roma» oder zur «Zah- te vergleichsweise wenig eigene Initiativen im Feld lung von Zuschüssen vom Land Sachsen-Anhalt oder der Wirtschafts- und Sozialpolitik, reagierte vielmehr untergliederten Organisationen für Fahrten zu Ge- auf entsprechende Anträge anderer Fraktionen. Häu- gendemonstrationen bei rechten Veranstaltungen». fig thematisiert wurden die Affäre um Beraterverträge Ganz konkret zielten Anfragen auf Informationen zur des Wirtschaftsministeriums unter dem ehemaligen Finanzierung von «sozialen Projekten» wie «Break the SPD-Minister Felgner (hier regte die AfD die Einset- Silence» und das «Bündnis gegen Rechts» in Des - zung eines Untersuchungsausschusses an), Wahlfäl- sau-Roßlau, dem Ring Politischer Jugend oder dem schungen in Stendal oder, ein Klassiker im rechtspo- Miteinander e. V., der der AfD ein besonderer Dorn im pulistischen Milieu, die Rundfunkgebühren, deren Auge zu sein scheint. Darüber hinaus wurden viele re- Verträge die AfD aufkündigen will. Viel Raum nahm an- gionalspezifische oder auf Regionen eingegrenzte Fra- sonsten die Abarbeitung an den Feindbildern der AfD gen gestellt, die ganz unterschiedliche Themen aufgrif- ein: Wo es ging, diskreditierte sie die «Altparteien», ins- fen, die gerade vor Ort relevant erschienen. besondere LINKE, SPD und Grüne, oder Initiativen und Anders als bei den Anträgen wurde mit Fragen, zum Organisationen gegen Rechtsextremismus oder Dis- Beispiel zu den Gebieten Soziales, Gesundheit, Um- kriminierung; also all jene, die sich gegen Politik und welt oder Infrastruktur, ein breiteres Themenspektrum Programmatik der AfD richten und/oder ihr diamet- bearbeitet. Aktuelle Debatten beantragte die AfD bis- ral entgegenstehen. Fast schon in der Art einer parla- her siebenmal, und zwar zu folgenden Themen (bzw. mentarischen Anti-Antifa-Arbeit wurde versucht, über unter folgenden Titeln): «Steuerverschwendung für Kleine Anfragen Informationen und Erkenntnisse zu ‹Multi-Kulti› um jeden Preis», «Linksextremismus im Struktur, Partnern, Aktionen oder Finanzen alternativer politischen Diskurs», «Selbstbedienungsmentalität Projekte oder antifaschistischer Initiativen in Erfahrung bei Funktionszulagen stoppen», «Verfall der demokra- zu bringen. Sehr oft drehten sich die Anfragen aber tischen Kultur in Sachsen-Anhalt», «Zweifelhafte Ver- auch um sehr spezifische Themen in einzelnen Regio- nen, die für die dort ansässigen Abgeordneten gerade von aktueller Relevanz waren. 7 Vgl. http://padoka.landtag.sachsen-anhalt.de/starweb/PADOKA/index.htm.

35 Auftreten und Parlamentspraxis der AfD Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl 2016

gabe von Beraterverträgen», «Zunehmende Verrohung senschaftler Tillschneider kommentierte die zitierten und Gewalttaten» sowie «Unregelmäßigkeiten bei Einschätzungen und Reisewarnungen damit, dass es Wahlen in Sachsen-Anhalt». Als große Bühne nutzte nicht darum ginge, «dass wir Deutschen in Afghanis- die AfD das Parlament vor allem mit ihren Anträgen, tan Urlaub machen wollen, sondern […] dass wir die die im Plenum diskutiert wurden und deren zentrale Afghanen […] dorthin zurückschicken, wo sie hingehö- Argumentationsmuster anhand von Zitaten im Folgen- ren, nämlich in ihr Heimatland» (Landtag von Sachsen- den dargestellt werden. Anhalt – Stenografischer Bericht 7/17: 91). Thomas Höse führte dann weiter aus: 3.4.1 Asyl, Migration, Integration und Islam Sie haben recht, in Afghanistan ist es gefährlich, in Die Flüchtlingspolitik war das zentrale Themenfeld der Deutschland aber auch. Es gibt in Afghanistan wie auch AfD-Fraktion im Landtag. Ihre diesbezüglichen The- in Deutschland Entführungen und Vergewaltigungen, To- sen und Argumente brachte sie aber nicht nur in die te und Verletzte durch islamische Sprengstoffattentäter einschlägigen Debatten ein. Vielmehr gelang es den und es gibt hier wie dort Millionen Moslems und Tausende Redner_innen fast immer, einen Bogen zum Themen- Moscheen und Muezzinrufe, die durch die Städte hallen. bereich Asyl und Migration zu schlagen und jede be- Es gibt verschleierte Frauen und Schariapatrouillen. […] liebige Debatte mit ihren rassistischen und kulturalisti- Brücken, Straßen, Brunnen und Schulen werden in beiden schen Thesen aufzuladen. So oft wie möglich wurden Ländern mit deutschem Geld finanziert. Also bitte, wo ist dabei Asylbewerber_innen mit pauschalen und diffa- der Unterschied? (Ebd.: 96 f.) mierenden Unterstellungen belegt, indem zum Bei- Die Delegitimierung von Fluchtursachen unternahm spiel die Legitimität von Fluchtursachen mit dem auch Ulrich Siegmund, der befand, dass «die allerwe- Zusatz «sogenannt» in Zweifel gezogen wurde. Maß- nigsten Asylbewerber» schutzbedürftig seien, denn nahmen der Integration und kulturellen Vielfalt wur- wer es in Kauf nehmen würde, «durch vier, fünf, sechs den abgelehnt und der Schutz einer als homogen und oder teilweise sogar sieben sichere Herkunftsländer» statisch verstandenen nationalen Kultur ins Zentrum zu reisen, in denen kein Krieg und kein Terror herr - gerückt. Migrant_innen und vor allem Muslime wur- sche, «der muss sich auch gefallen lassen, dass man den zum Sicherheitsrisiko und zur existenziellen Be- ihn nicht mehr als wirklichen Kriegsflüchtling bezeich- drohung von Staat und Gesellschaft stilisiert, der nur net, sondern als ganz normalen Einwanderer, als Wirt- mit einer sehr restriktiven Einwanderungspolitik bzw. schaftsmigrant. Das ist so» (Landtag von Sachsen-An- durch konsequente Abschiebungen und Grenzschlie- halt – Stenografischer Bericht 7/20: 95). ßungen zu begegnen sei. Das «Asylchaos», seine Folgen und Fluchtursachen der «große Austausch» Gleich der erste Antrag, den die neue Fraktion ein- Auch der AfD-Antrag zum Verbot von Kinderehen, der brachte, griff das Thema «sichere Herkunftsländer» mit Verweis auf Forderungen des Kinderschutzbundes auf und verschaffte der AfD die erhoffte Aufmerksam- und der SOS-Kinderdörfer vorgetragen wurde, offen- keit: Ihre Forderung, die Maghreb-Staaten als «siche- bart die rassistische Denkstruktur eines Kampfes der re Herkunftsländer» einzustufen, begründete sie unter Kulturen: Poggenburg sprach von einer «regelrechten anderem damit, dass so «wirksam gegen den Asyl- Überschwemmung unseres Landes und Rechtsstaa- missbrauch der Einwanderer aus diesen Ländern vor- tes mit fremder Religion, Kultur und Tradition im Zu- gegangen» werden könne und eine solche Einstufung ge der Zuwanderungswelle», die aus «völlig fremden dem «Schutz der Bevölkerung vor deren hoher Kri- und auch unverständlichen Kultur- oder auch Unkul- minalität» und der Frauen, «die oftmals Ziele von se- turkreisen» und «in vielen Bereichen zu einer absolu- xistischen Übergriffen werden», diene (Landtag von ten Unvereinbarkeit von einheimischen und fremden Sachsen-Anhalt – Drucksache 7/72). Selbst die CDU Grundwerten» führe (Landtag von Sachsen-Anhalt – distanzierte sich deutlich und bezeichnete den An- Stenografischer Bericht 7/11: 77 f.). Die aktuelle trag als rassistisch (Volksstimme, 2.6.2016). Im Zuge Rechtspraxis, die Straftatbestände «scheinbar nicht der Debatte forderte der AfD-Abgeordnete Gehlmann verfolgt, wenn sie von Ausländern verübt werden», Haftstrafen für Homosexuelle in Deutschland: Auf sei für ihn «Beihilfe zum Kindesmissbrauch» (ebd.). die Ausführungen von Henriette Quade (LINKE), dass Sein Kollege Oliver Kirchner nannte Roma-Ehen in ei- demjenigen, der in den Maghreb-Staaten «Homosexu- nem Atemzug mit dem Scharia-Recht und bezeichnete alität offen auslebt», «eine Gefängnisstrafe» drohe, rief «Kinderehen, Verwandtenehen oder Polygamie» pau- Gehlmann laut Protokoll dazwischen: «Das sollten wir schal als «Bestandteile der islamischen Gesellschaft», in Deutschland auch machen!» (Eichler 2016 f.). Gehl- die man sich «importiere» (ebd.: 86 f.). Für ihn stehe manns Versuch, das Protokoll ändern zu lassen, schei- «ein Staat, der es zulässt, Kinderehen gesellschaftsfä- terte. hig zu machen, […] auf der Vorstufe dazu, pädophile Ein besonders dreistes Beispiel für die Verharmlo- Menschenrechtsverletzungen salonfähig zu machen» sung von Fluchtursachen boten auch die Redebeiträ- (ebd.). ge zu einem weiteren Antrag, in dem es um den Stopp Ein wie zu erwarten ähnlicher Tonfall prägt den AfD- von Abschiebungen nach Afghanistan ging. Islamwis- Antrag «Maßnahmenplan zur sofortigen Erhöhung des

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Abschiebedrucks und der Rückführungszahlen». Um von verantwortungslosen «Gesellschaftsexperimen- keine weitere Redezeit für rassistische Tiraden zur Ver- ten», «unzähligen sexuellen Übergriffen» und der «Be- fügung zu stellen, lehnten in einer einmaligen und ge- drohung unserer Sicherheitslage durch unkontrollierte schlossenen Reaktion alle Fraktionen den Antrag ab Masseneinwanderung teils – ich sage extra ‹teils› – voll- und verzichteten auf eigene Beiträge. Allerdings hat- kommen wert- und kulturfremder Menschen» (Land- ten Alexander Raue und Robert Farle bereits zuvor die tag von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht Möglichkeit genutzt, ihren Vorurteilen und Stigmatisie- 7/12: 42). Nach eigener Aussage nicht «fremdenfeind- rungen Ausdruck zu verleihen. Besonders Raue schwa- lich», sondern «höchstens fremdenkritisch» warnte er dronierte von «Bürgern», die «eine wachsende Zahl von an anderer Stelle vor der Überwindung des «National- ins Land strömenden Personen mit verfassungsfeindli- staates durch eine multikulturelle Gesellschaft oder gar chen Religionsauslegungen und Ideologien erdulden» einen Vielvölkerstaat» sowie vor der «Entstehung eth- müssten und genötigt würden, «Geld für deren luxuri- nischer, religiöser und sprachlicher Parallelgesellschaf- öse Unterbringung bereitzustellen», und von «unzähli- ten» (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografischer gen Straftätern», die «auf der Asylfahrkarte» eingereist Bericht 7/21: 44 f.). Das System der Sozialversicherun- seien und die wie eine «Kriminalitätslawine» die «ein- gen drohe zu kollabieren, es bestünde «Rekordkrimi- heimische» Bevölkerung «verletzen, bestehlen, berau- nalität», Terror sei «nicht mehr [ein] nur theoretisches ben und verunsichern»; durch den Familiennachzug Lebensrisiko»; zudem sinke das Leistungsniveau an könnten «aus 2 Millionen sogenannten Flüchtlingen Schulen und Hochschulen sowie in der Wirtschaft leicht 10 Millionen Menschen» werden, die «teils oh- (ebd.). ne jegliche Qualifikation und Nutzen für unsere Gesell- In der Debatte zum AfD-Antrag «Staatsangehörig- schaft» seien; zudem, so das eingeübte Narrativ, stün- keitsrecht nicht aufweichen – Wahlrecht für Auslän- den die dafür aufgewendeten Gelder in Konkurrenz zu der nicht erweitern» wurde Poggenburgs Nähe zum Ausgaben und Investitionen in Bildung, Wissenschaft Gedankengut der Neuen Rechten und ihrer Idee vom und Familienpolitik (ebd.). Neoliberale Nützlichkeitska- «großen Austausch», die für viele Beobachter_innen tegorien und das Schüren von Sozialneid vermengen schon lange feststand, deutlich: sich hier mit rassistischen Stereotypen – eine bereits im Was gegenwärtig tatsächlich stattfindet, ist eine geplante Wahlkampf häufig bemühte Figur. Umstrukturierung des deutschen Volkes. Nein, das ist kei- Viele Beiträge der AfD drehten sich folglich um ge- ne Verschwörungstheorie, sondern leider Tatsache. Aus flüchtete Menschen als Kostenfaktor. So führte beider nach Sprache, Kultur und Geschichte deutschen Mehr- spielsweise Farle in der Haushaltsdebatte für die Jahre heitsbevölkerung soll eine multikulturelle Gesellschaft ohne 2017/18 aus: einheitliche Sprache, Tradition und damit Identität gemacht Etwa 200 Millionen Euro gehen in diesen Bereich, wenn werden. (Landtag von Sachsen-Anhalt 2017a) ich beide Jahre betrachte. Wenn ich die Meinung vertre- Poggenburg persönlich halte es mit Jürgen Elsässer: te, dass die Hälfte dieser Ausgaben berechtigt ist, weil es «Wenn die Regierung das Volk austauschen will, dann sich um Leute handelt, von denen man, wenn man fünf Au- muss das Volk die Regierung austauschen» (ebd.). Die gen und zwei Hühneraugen zudrückt, sagen kann, sie sol- angebliche Dramatik und vor allem die Verantwortlich- len bleiben und aus ihnen kann etwas werden, dann sind es keit für diese Situation fasste AfD-Kollege Lehmann so aber immer noch 50 Prozent, von denen man sicher sagen zusammen: «Der Staat besteht aus den drei Elementen kann, dass sie zur Ausreise verpflichtet sind. Nur, das dau- Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Nach die- ert bei unseren Behörden immer noch viel zu lange. (Land- ser Drei-Elementen-Lehre spricht man nicht mehr von tag von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht 7/14: 21) einem Staat, wenn eines dieser Elemente nicht mehr Bedrohungsszenarien und die Rede von der Einwande- erkennbar ist» (Landtag von Sachsen-Anhalt – Steno- rung in Sozialsysteme enthält auch der von Daniel Roi grafischer Bericht 7/20: 9). Alle drei Elemente, so Leh- vorgebrachte Antrag zur Altersfeststellung unbegleite- mann weiter, seien von den «Altparteien» längst ver- ter minderjähriger Flüchtlinge. Dem Zitat «Du kannst raten worden: «Damals hat Frau Merkel im Alleingang nicht immer 17 sein» folgten Pauschaldiffamierungen die Grenzkontrollen in unserem Staat mit einem Hand- und Bezüge zu der Vergewaltigung und Tötung einer streich aufgehoben und alle an der Koalition Beteilig- Freiburger Studentin (Landtag von Sachsen-Anhalt – ten sind zu Mittätern geworden» (ebd.). Mittäterschaft Stenografischer Bericht 7/17: 79 f.). «Konkrete verbind- wird bei passender Gelegenheit fast allen gesellschaftliche Maßnahmen» für eine «medizinische Altersfest- lichen Institutionen unterstellt. So begründete zum stellung» seien gefragt, da «im großen Stil geflunkert» Beispiel Tillschneider seine Ablehnung eines relativ un- werde; es gelte, das «Asylchaos» «mit gesundem Men- spektakulären Antrags zur Schenkung der Schlosskir- schenverstand» aufzulösen und zu verhindern, dass che Wittenberg an die Evangelische Kirche damit, dass «Wirtschaftsmigranten aus allen Erdteilen unser Asyl- das ganze Streben der Evangelische Kirche in Deutsch- recht ausnutze, da ein großer Teil der Zuwanderer kei- land (EKD) darauf gerichtet sei, eine Politik gegen «die nen Asylanspruch hat» (ebd.). Interessen des eigenen Volkes» mit einer «pseudoreli- Fremdheit und Gefahr dominierten auch die Aus- giösen Legitimation» zu versehen, und «statt gegen die führungen Poggenburgs in der Aktuellen Debatte zum Islamisierung Widerstand zu leisten, fördert sie selbst Thema innere Sicherheit im Oktober 2016. Er sprach noch die Islamisierung. […] Statt gegen die Zerstörung

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unseres Volkes durch Massenmigration Widerstand gen reproduziert. Der Islam habe, so die Ausführungen zu leisten, verdient die Kirche daran, und zwar nicht Tillschneiders, «anders als das Christentum nie geschlecht» (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografi- lernt, die Sphäre des Staates von der Sphäre der Religi- scher Bericht 7/21: 126). on grundsätzlich und nachhaltig zu trennen» (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht 7/22: Islamisierung und die Absage an die Integration 89 ff.). Die Idee der kriegerischen Eroberung der nicht Mit zwei Gesetzentwürfen zum Verschleierungsver- islamischen Welt würde dem Islam zugrunde liegen bot setzte die AfD das Thema Islam auf die Agenda und werde mit der modernen «Massenmigration, mit der Parlamentsdebatten. Dabei stellte Hans-Thomas dem Eindringen orientalischer Muslime in unsere Städ- Tillschneider gleich zu Beginn klar, was die Motivati- te» auf «verhängnisvolle Weise praktisch» (ebd.). Als on hinter diesem Vorhaben sei, die Sebastian Striegel Träger dieser «Islamisierung» benannte Tillschneider von den Grünen im Anschluss an dessen Ausführun- wahllos ganz unterschiedliche Islamverbände als «halb gen «Islamophobie in Reinkultur» nannte. «Und der islamistische, halb ethnisch-kulturelle Lobbyorganisa- Islam, werte Kollegen, gehört mit Sicherheit nicht zu tionen»; der DITIB (Türkisch-Islamische Union der An- Deutschland», so Tillschneider, der den entsprechen- stalt für Religion) bescheinigt er, «weit gefährlicher als den Satz von Bundespräsident Host Köhler dann auch etwa die sogenannten Reichsbürger» zu sein; auch von als «den dümmsten und zugleich gefährlichsten Satz», der «Parallele zwischen Rechtsextremismus und mili- der «jemals in der politischen Geschichte der Bundes- tantem Islamismus» war die Rede (ebd.). republik Deutschland geäußert wurde», bezeichnete Die Debatte über eine von der AfD beantragte Kom- (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Be- mission zur Stärkung direkter Demokratie sorgte für richt 7/7: 58 ff.). Der Islam sei «uns» «zutiefst fremd» heftige Auseinandersetzungen und gab der AfD Ge- und größtenteils «mit unserem Wertesystem und un- legenheit, ihrer Einschätzung wiederholt Ausdruck zu serer Lebensordnung schlechthin unvereinbar»; wäh- verleihen, dass in ihren Augen Integration weder mög- rend hier, so führte er aus, durch Freiheit und Sittlich- lich noch sinnvoll sei. Entrüstung brach in den Reihen keit regulierte Geschlechterverhältnisse vorherrschen der AfD aus, als Eva von Angern (DIE LINKE) für ihre würden, greife «der Islam» auf die Verbannung der Fraktion die Forderung nach einem Wahlrecht für al- Frau aus der Öffentlichkeit zurück (ebd.). Tillschneider le Personen bekräftigte, die fünf Jahre in Deutschland beteuerte, er wolle diese der islamischen Kultur «eige- leben. Eine «Katastrophe» nannte dies Poggenburg, nen Antworten auf uralte Fragen» nicht abwerten, er wenn «alle Menschen, die hier leben, einbezogen sind, wolle aber auch nicht, «dass diese Einstellung hier Fuß also auch Asylbetrüger, Dokumentenfälscher, abge- fasst und sich hier ausbreitet» (ebd.). Der Schleier sei lehnte Asylantragsteller und illegal hier lebende Men- somit «Ausdruck von Integrationsverweigerung», die schen» (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografi- man mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen scher Bericht 7/11: 13). In die gleiche Richtung ging ein müsse; Toleranz, so Tillschneider, sei «die letzte Tugend Beitrag Robert Farles, der von Angern als «Feind un- einer untergehenden Gesellschaft»; was es brauche, serer Verfassung» bezeichnete, wenn sie sage, dass sei nicht mehr «suizidale Toleranz, sondern ein starker «egal woher er kommt, egal ob er unsere deutsche Wille zur Selbstbehauptung»; dazu gehöre auch die Sprache spricht, egal ob er in diese Gesellschaft inte- Bekämpfung der Islamverbände als «politische Geg- griert ist und fünfmal weiter egal –, soll die gleichen ner» (ebd.). Dass der Anteil der muslimischen Bevöl- Rechte ausüben wie das Volk» (ebd.). In einer späteren kerung in Sachsen-Anhalt sehr gering sei, würde sei- Debatte ergänzte Mario Lehmann zu diesem Thema: ne Argumentation nicht entkräften, sondern stelle eine «Es wäre Verrat an unserem deutschen Volk, das Wahl- «einmalige Chance» dar, der «Islamisierung» frühzeitig und Staatsbürgerrecht an jeden hereingeholten Antän- zu begegnen. Die geforderten Verschleierungsverbo- zer und an jede Ficki-Ficki-Fachkraft zu verschenken» te seien daher nur Teil eines Maßnahmenpakets, das (ebd.: 17). auch ein Minarettverbot sowie ein Ende der doppelten Staatsbürgerschaften vorsehe (ebd.). Bei der Wieder- Asylpolitik der AfD vorlage des Antrags erneuerte Oliver Kirchner diese Ar- Der AfD-Antrag «Asylkrise bewältigen – Maßnahmen gumentationen und urteilte: zum Schutz vor Terror, Kriminalität und Kostenexplosi- Die Vollverschleierung gehört in Gänze verboten, da sie on» listet in 22 Punkten dezidierte «Änderungsforde- nicht nur frauenfeindlich ist, sondern auch ein Integrati- rungen» der Partei zum Thema Asylrecht auf, die nicht onshemmnis darstellt. Sie gehört genauso verboten wie nur das stereotype Bild vom «massenhaften Asylmiss- Staatsverträge mit islamischen Lobbyistengruppen und brauch» in allen Facetten reproduzieren, sondern auch Hasspredigten in Moscheen auf deutschem Boden. Der Is- die Selbstverständlichkeit, mit der die AfD Grundrech- lam gehört nun einmal nicht zu Deutschland. Er hat es nie te infrage stellt, gut dokumentieren. Hier finden sich und, ich denke, er wird es auch nie. (Landtag von Sachsen- neben dem Vorschlag eines sofortigen Aufnahme- Anhalt – Stenografischer Bericht 7/21: 133) stopps auch Forderungen nach der Errichtung von Auch in dem deutlich antimuslimischen AfD-Antrag Grenzsicherungsmaßnahmen, einer verschärften «Organisierten Islamismus bekämpfen – Religionsfrie- Residenzpflicht, der Beseitigung fast aller Abschie- den sichern» wurden Stereotype und Pauschalisierun- behemmnisse, einem Verbot des Familiennachzugs

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oder nach der Abschaffung der doppelten Staatsbür- Echte Vielfalt ist durchaus etwas Erhaltenswertes. Die Viel- gerschaft. Rechtliche Probleme sah Einbringer Farle falt der Pflanzen- und Tierarten etwa. Die Vielfalt der politi- keine, da es «keinen Vorrang individueller Menschen- schen Meinungen. Die Vielfalt der Völker dieser Erde, die rechte gegenüber den Rechten der Völker» gebe; für nach ihren ganz eigenen Kulturen und Gesetzen leben. Das ihn eine «weit verbreitete und rechtsirrige Doktrin» alles ist echte Vielfalt. Zu dieser Vielfalt bekennen wir uns. (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Be- Diese Vielfalt ist historisch gewachsen. Sie ist authentisch, richt 7/19: 36). sie hat Würde und Stil. Wenn Sie aber von Vielfalt sprechen, dann meinen Sie etwas ganz anderes. Dann meinen Sie 3.4.2 Positionierungen zu Geschlechter Multikulti und Gender. Sie meinen also gerade die Aufhe- gerechtigkeit und Familienpolitik bung aller kulturellen und geschlechtlichen Identitäten und Ein weiteres zentrales Thema, das Partei und Fraktion aller tradierten Normen. Wenn Sie von Vielfalt sprechen, der AfD immer wieder bespielten, war die von ihr als dann meinen Sie – so Kleine-Hartlage in seinem Standard- «Genderwahn» bezeichnete Gleichstellungspolitik. Der werk über die Sprache der BRD – ‹einen engen Meinungs- Familienbegriff der AfD ist ein deutlich völkischer und korridor, gesäumt von stereotypen Phrasen und bewacht der Begriff des Geschlechts ein entsprechend biologis- von einer ganzen Armee offizieller und inoffizieller Mei- tischer. Die AfD tritt mit ihrer Familienpolitik an, dem nungszensoren, die mit leidenschaftlichem Denunzianten- von ihr heraufbeschworenen Bedrohungsszenario aus ehrgeiz darüber wachen, dass Vielfalt und Toleranz hinrei- geringer Geburtenrate im «eigenen Volk», «Gender- chend gepriesen werden.› Ich gebe Ihnen die Garantie: Ich wahn» und gleichzeitiger «Masseneinwanderung» zu werde Ihre Vielfalt niemals preisen. Im Gegenteil gestehe begegnen und weitere «Gesellschaftsexperimente» zu ich offen: Ich kann dieses süßliche falsche Gerede von Viel- beenden. falt und Toleranz und das ganze Regenbogentralala nicht Im September 2016 brachte die Fraktion den Antrag mehr hören und sehen. (Landtag von Sachsen-Anhalt – «‹Aktionsprogramm für die Akzeptanz von Lesben, Stenografischer Bericht 7/16: 41) Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, Transsexuellen Am 8. März 2018 durfte dann auch Lydia Funke zum und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTTI)› sofort Thema im Rahmen einer von der SPD beantragten De- beenden – Familien mit Kindern fördern statt sexuel- batte «Frauenrechte und Gleichstellung weiter voran- ler Minderheiten!» ein. Poggenburg und Tillschneider bringen» sprechen. Zunächst klärte auch sie nochmals sprachen von einem «groß angelegten gesellschaftli- darüber auf, dass «Genderisierung, Sexismus-Debat- chen Umpolungs- und Umwertungsprogramm», mit te, Femen-Aktivismus und schließlich die Frauenquo- dem «für eine vermeintliche Besserstellung von weni- te» Begrifflichkeiten wären, «die den Grundzügen der ger als 5 Prozent der Bevölkerung 95 Prozent der Be- Frauenbewegung nicht einmal im Ansatz gerecht wer- völkerung ideologisch bedrängt und gegängelt» sowie den können», bevor sie eine Lobeshymne auf die DDR- Kinder mit «Abweichungen des normalen Sexualle- Frauensozialisation anstimmte (Landtag von Sachsen- bens» konfrontiert und überfordert werden (Landtag Anhalt – Stenografischer Bericht 7/21: 31 f.). Mehrfach von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht 7/10: sprach sie von der «Avantgarde der Ostfrau», die sie – 59 ff.). Tillschneider zitierte den katholischen Philo- mit Verweis auf eine DDR-Enzyklopädie – anhand von sophen Robert Spaemann mit seiner Formulierung vier «Bestimmungen» charakterisierte: «Ohne dass «Fehlern der Natur», korrigierte sich – darauf ange- diese Aufgabenfelder als Belastung apostrophiert wor- sprochen – aber und sprach von «Normabweichung. den wären: Mutter, Hausherrin, Gefährtin des Mannes Krankheit ist zu stark» (ebd.: 76). Zudem kommentierte und Erwerbstätige» (ebd.). Ebenfalls mit Bezug auf er einen LINKEN-Antrag zur Gleichstellung an Hoch- diese DDR-Publikation erläuterte sie die Notwendig- schulen, der Gegenstand derselben Sitzung war: Der keit, dass zur «Erhaltung des Volkes in jeder Ehe mehr Antrag ignoriere «die freie Entscheidung von Frauen», als zwei Kinder geboren werden» müssten; die «deut- «ihre akademische Karriere nicht bis zur letzten Stu- sche Frauenbewegung», so Funke, sei für den Bevöl- fe treiben zu wollen», und rufe außerdem «sozialen kerungsschwund verantwortlich (ebd.). In fast schon Stress» unter Männer hervor (ebd.: 26 ff.). Tillschneider nationalsozialistischem Duktus führte sie weiter aus: forderte die Umwidmung aller Gender-Professuren in Eine konsequente Stärkung der Frauenrechte bedarf ei- solche für «ordentliche Universitätsfächer» und die Ab- ner verbindlichen Familienpolitik als Unterbau, um die Frau schaffung der Gleichstellungsbeauftragen, die «nichts weiterhin als in allen Teilen ebenbürtiges Mitglied der Ge- Besseres zu tun haben, als zu verhindern, dass Männer sellschaft neben dem Manne zu etablieren; denn in ihrem trotz bester Qualifikation auf Professorenstellen beru- Schoße liegt das Schicksal einer Welt, das Glück kommen- fen werden» (ebd.). Nicht die Geschlechterrollen, son- der Generationen und das Schicksal des deutschen Volkes. dern die «Gender-Politik» sei «ein Zwangssystem, von (Ebd.: 33) dem wir uns emanzipieren müssen» (ebd.). In der zwei- Einen Überblick zum Geschlechter- und Familienbild ten Beratung des Antrags im Dezember 2016 nutz- der AfD bietet ein Papier gegen Frühsexualisierung, te Tillschneider die erneute Auseinandersetzung zum das unter Federführung Sachsen-Anhalts als interfrak- Thema LSBTTI dazu, seinen Begriff von «Vielfalt» vor tionelles Positionspapier der AfD-Landtagsfraktionen dem Hintergrund der neurechten Theorie des Ethno- im November 2016 veröffentlicht wurde (vgl. Poggen- pluralismus darzulegen: burg u. a. 2016). Darin bekennt man sich «ohne Ein-

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schränkung zu der in Artikel 6 des Grundgesetzes fest- herausragende Leistung fahrenlassende Massenuniversi- geschriebenen Pflicht des Staates, Ehe und Familie in tät. Wir dagegen wollen genau in die andere Richtung. Wir besonderer Weise zu schützen». Unter Familie wird wollen Klasse statt Masse. Wir wollen die deutsche Univer- ausschließlich die «Verbindung aus Mann und Frau, sität zu ihrer alten Größe und Weltgeltung zurückführen. aus der Kinder hervorgehen» verstanden, ausgestat- (Ebd.: 53) tet mit der «naturgegebenen Aufgabe», Kinder zu er- Der Bologna-Prozess sei ein «Programm, um die deut- ziehen, und damit die «Keimzelle der Gesellschaft» und sche Universität und vor allem die Geisteswissenschaft Garant für den «Erhalt unseres Volkes, unseres Staa- an die Kandare zu legen»: Die «deutsche Universität» tes und unserer Nation» zu sein (ebd.). In diesem Sinne und gerade «die deutsche Geisteswissenschaft» als bekennen sich die Unterzeichner_innen zu dem Recht «starkes Stück deutscher Kultur» sei durch die Um- der Eltern, Kinder nach eigenen Wertvorstellungen zu strukturierung im Zuge dieses Prozesses nach einem erziehen; dem Recht eines Kindes auf Mutter und Va- aus der «angelsächsischen Tradition herkommenden ter, Mann und Frau; seinem Schutz vor «Frühsexuali- Muster […] ins Mark getroffen», seither würden «zeit- sierung» sowie einem Unterricht, der intakte Familien geisthörige Wissenschaftsfunktionäre» und die Politik statt «Triebbefriedigung» als «primäres Lebensziel» der «Altparteien» die Gestaltungsfreiheit an den Uni- propagiere (ebd.). Sie wenden sich gegen «scham- versitäten einschränken (ebd.: 52 ff.). Bemerkenswert und persönlichkeitsverletzende Inhalte in Wort, Bild an dieser Argumentation ist, dass die «Zersetzung», die und Ton» in Kita und Schule; staatliche Eingriffe in die laut Tillschneider die «deutsche Kultur» bedrohe, an- «natürlichen Vorstellungen, die sich unsere Kinder von geblich von außen an sie herangetragen wurde – ein Familienleben und Geschlechterrollen bilden»; das Ad- immer wieder von der AfD gebrauchtes rhetorisches optionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare und ge- Mittel, wenn es darum geht, die «deutsche Kultur» als gen die Diskriminierung sexueller Minderheiten bzw. ihrem Wesen nach homogen zu beschwören. «Gerade gegen die «herrschende ‹Antidiskriminierungspolitik›» im Bildungswesen, das auf das Engste mit der Kultur (ebd.). eines Landes verknüpft ist, gilt, dass es umso stärker ist, je entschlossener es zu sich selbst steht» (ebd.). Da- 3.4.3 Bildungs-, Kinder- und Jugendpolitik rauf angesprochen, dass die AfD mit ihrer Ablehnung Wo sich die entsprechenden Anlässe boten, erneuerte der Geschlechterforschung ja selbst die Freiheit der die AfD ihre allgemeine Kritik am bestehenden Hoch- Wissenschaft beschneide, antwortete Tillschneider schul- und Bildungswesen, die sich zum Teil mit der knapp, «Gender-Mainstreaming» sei «keine Wissen- Ablehnung der Gleichstellungspolitik deckt und dar- schaft […], Gender-Mainstreaming ist ein einziger gro- auf zielt, Ausrichtung und Strukturen der Bildungsland- ßer Karnevalsumzug» (Landtag von Sachsen-Anhalt – schaft einer autoritären und elitären «Wende um 180 Stenografischer Bericht 7/14: 100 ff.). Grad» zu unterziehen. Den diesbezüglichen Ausfüh- Deutlicher als beim Thema Hochschulen traten die rungen liegt eine nationalistische Denkstruktur zugrun- elitären und autoritären Ideen Tillschneiders in Debat- de, in deren Zentrum die «deutsche Identität» und die ten zum allgemeinen Zustand des Bildungssystems «Nationalbildung» stehen. Deutlich ist auch die Absa- hervor. Er führte aus, dass dessen «wahre Krise» «keine ge an das gesellschaftliche Projekt der Inklusion, auch Krise der Finanzierung und der Unterrichtsversorgung, wenn hier zum Teil unterschiedliche Positionen vertre- sondern eine Krise der Mentalität» sei (Landtag von ten werden. Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht 7/19: 13 ff.). Insbesondere der Scharfmacher Tillschneider mel- Was fehle, sei der Wille zu Leistung und Wettstreit, zu- dete sich wiederholt zum Thema Bildung zu Wort. In dem vermisst er die Vermittlung von «Pflicht und Dis- der Debatte um bessere Arbeitsbedingungen an den ziplin» (ebd.). In einer bildungspolitischen «Wende um Hochschulen im Oktober 2016 bekräftigte Tillschnei- 180 Grad» gelte es daher, der Jugend «Lust auf Leis- der den von der AfD bereits mehrfach geäußerten tung» zu machen: «Wir müssen denjenigen, der viel er- Vorwurf, dass die Stellen an den Hochschulen nach reicht hat, ehren, und denjenigen, der weniger erreicht Geschlecht und nicht nach Qualifikation vergeben hat, anspornen, hart an sich zu arbeiten. Wir müssen würden (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografi- den Ehrgeiz der Jugend wecken» (ebd.). Wenig ver- scher Bericht 7/11: 52 ff.). «Im Moment» sei aber «das wunderlich auch mit Blick auf die Aussagen zur Befä- größte Problem der Universität, dass sich an ihr viel zu higung von Studierenden ist, dass Tillschneider für die viele tummeln, die dort fehl am Platz sind». Den Alt- Dreigliedrigkeit im Schulsystem plädierte. Neben die- germanisten Gerhard Wolf zitierend sprach Tillschnei- sen am Leistungsbegriff orientierten Ausführungen der davon, dass unter der studierenden Hälfte eines machte er auch die nationalistische Komponente stark. Jahrgangs 50 Prozent «einem akademischen Studium Man dürfe nämlich nicht vergessen, dass «Bildung im- nicht gewachsen» seien (ebd.). Den anderen Parteien mer auch Nationalbildung ist»: warf er vor, dass sie eine Massenuniversität wollten, Nur wenn dem so ist, wenn die Schule ein gesundes Nati- und stellte dem sein eigenes Bild von einer «deutschen onalgefühl vermittelt, nur wenn die Schüler stolz auf sich Universität» gegenüber: selbst und ihr Land sein wollen, streben sie auch herausra- Was Sie wollen, ist der Marsch in eine durchideologisierte, gende Leistungen an und treten in jenen heilsamen Wett- überdimensionierte, fettwabernde und jeden Anspruch auf streit, von dem ich gesprochen habe. Die Null-Bock- und

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die Scheiß-Deutschland-Mentalität sind zwei Seiten einer «die Sozialpädagogik-Juristerei die Oberhand gewon- Medaille. (Ebd.: 15) nen» habe, und meinte: «Eine Gesellschaft bekommt Alles Übel im Bildungssystem, so Tillschneider, wür- immer die Verbrecher, die sie verdient» (Landtag von de letztlich in der «Kulturrevolution und der Emanzi- Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht 7/11: 75). pationsideologie der 68er» wurzeln, sie seien für den Diederichs war es auch, der den Antrag «Internatslö- «hohle[n] Individualismus, die Destruktion der Familie, sung für Schulschwänzer» vorbrachte. Etwas mäßiger die Missachtung von Wettstreit, Fleiß und Disziplin und im Ton wird dort ein Jugendhilfeinternat mit teils ge- die Anfeindung unserer Nationalkultur» verantwortlich schlossener Abteilung, teils offener Jugendhilfe vorge- (ebd.). Die AfD bereite die notwendige «Konterrevolu- schlagen, das anders als die Sanktion des Beuge- und tion» vor: «Wir werden noch gründlicher durch die In- Ersatzarrests die Unterrichtsversorgung erfüllen soll. stitutionen marschieren als die 68er und dann werden Bildungsminister Tullner verwies in seiner Reaktion auf wir ein Bildungssystem aufbauen, das an die besten den Antrag darauf, dass dieser Arrest wegen nicht ge- Traditionen und die Glanzzeit unseres Volkes anknüpft» zahlter Geldbußen und nicht wegen Schulschwänzens (ebd.: 16). verhängt werde und auch darauf, dass die Idee nicht Das Weltbild der AfD bietet, wenig überraschend, zuletzt mit Blick auf das Grundgesetz fraglich sei. Den auch keinen Platz für Inklusion. Tillschneider führte mit Alternativantrag der LINKEN, der auf pädagogische Blick auf ein geplantes Konzept für Förderschulen aus, statt Disziplinarmaßnahmen setzte, kommentierte «die AfD-Fraktion bekennt sich zu Erhalt und Ausbau Poggenburg mit der Behauptung, dass dies «Anarchie des Förderschulwesens und spricht sich in unmissver- hervorrufen» würde. «Die Linken» wären ja aber eh dar- ständlicher Weise gegen das Gesellschaftsexperiment an interessiert, Jugendliche «auf der Straße abhängen» Inklusion aus», und begründete dies unter anderem zu lassen: «Besser kann der Weg in den Linksextremis- damit, dass die «normal begabten Kinder» davon nicht mus und in die Antifa nicht geebnet werden. Wir ver- profitieren würden, da «die behinderten Kinder» den stehen Ihre Gedanken» (Landtag von Sachsen-Anhalt – Unterricht «aufhalten und dafür sorgen, dass das Ni- Stenografischer Bericht 7/15: 87). veau sinkt» (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografi- scher Bericht 7/9: 61 f.).8 3.4.4 Sozial- und Wirtschaftspolitik An den Schulen bräuchte es weder diskriminierungs- Die Positionen der AfD-Fraktion zur Sozial- und Wirt- freie Bildung noch Schulsozialarbeit, die von der AfD schaftspolitik kamen weniger in eigenen Anträgen zum in Reaktion auf einen entsprechenden Antrag als nutz- Ausdruck, sondern zeigten sich vor allem in Reden und los und möglicherweise schädlich beschrieben wur- Reaktionen auf Vorhaben der anderen Fraktionen. Da- de: «Jeder Cent des sachsen-anhaltischen Steuerzah- bei wurde sowohl der neoliberale Common Sense be- lers ist zu schade, um ihn für so etwas Überflüssiges dient als auch die herrschende Wirtschafts- und Han- wie Schulsozialarbeit rauszuschmeißen»; sie sei ein delspolitik kritisiert. Einzige Konstante waren – wenig «Sumpf», den es auszutrocknen gelte, und eine «Sozi- überraschend – Bezüge und Vergleiche zu den Kosten alindustrie», getragen von einem «Typus des Sozialar- für die Versorgung geflüchteter Menschen. Im Grunde beiters», der «politisch wohl eher dem linken Spektrum genommen stellen sie den Kern der Sozial- und Wirt- zuneigt»; «problematische Schüler brauchen keinen schaftspolitik der AfD-Fraktion dar: Alles Übel auch im Schulsozialarbeiter, sie brauchen Autoritäten und klare Wirtschafts- und Sozialsystem lasse sich so erklären. Maßstäbe»; der Schule als einem «Ort der politischen Wo Finanzmittel fehlten, wo das «eigene Volk» zu kurz Indoktrination, der Zeitverschwendung, der Gleich- komme, machte die AfD Ausgaben für Asylsuchende macherei und der Pflege eines linksversifften Lebens- oder Gleichstellungsprogramme geltend, die diesen gefühls» erteilte die AfD «eine Absage» (Landtag von Konkurrenz machen würden. Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht 7/10: 56). Eigene Vorhaben stellte zum Beispiel ein Antrag zur Eine ähnliche Einstellung bewiesen Jens Diede- Ablehnung der angeblichen Abschaffung des Bargelds richs, Justizvollzugsbeamter, und Mario Lehmann, dar. Sowohl Antragstext als auch Rede waren nahezu Kriminalhauptkommissar, mit einem Antrag, das Ju- wortgleich von der Fraktion in Thüringen übernommen gendstrafrecht für Heranwachsende aufzuheben. Sie worden. Der Antrag diente in erster Linie dazu, ein po- sprachen von einer «Kuscheljustiz», die die Opfer ver- puläres Thema zu besetzen und eine Erzählung vom höhne und in der sich die Jugendlichen aus ihrer Ver- «Angriff der Altparteien auf unser Bargeld» zu entfal- antwortung ziehen könnten und in der sich die Attes- ten und Feindbilder zu bedienen (Landtag von Sach- tierung «unzureichender Reife» von der Ausnahme zur sen-Anhalt – Drucksache 7/73). Im August 2016 ent- Regel entwickelt habe. Als positives Gegenbeispiel standen dann zwei weitere Anträge mit Blick auf die wurde Ronald Schill, «Richter Gnadenlos», Begründer Außenhandelsbeziehungen. Im ersten wurde eine der Schill-Partei und zeitweise Innensenator von Ham- Ablehnung der Handelsabkommen TTIP, TISA sowie burg, genannt. Dieser hatte Anfang der 2000er Jahre CETA gefordert. Begründet wurde dies mit intranspa- im Wahlkampf mit Abschreckung durch harte Stra- fen geworben; so unter anderem mit freiwilligen Kas- trationen oder strafrechtlichen Sanktionen für Eltern 8 Der AfD-Abgeordnete Kirchner äußerte auch anderslautende Positionen, so etwa Zuspruch für Anträge der LINKEN zu den Belangen von Menschen mit Be - mit straffälligen Kindern. Lehmann fügte hinzu, dass hinderung.

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renten Verhandlungen sowie sinkenden Standards in Ideologie» und bei der «sogenannten Willkommens- den Bereichen Arbeits-, Sozial-, Umwelt-, Daten- und kultur, also bei der Subventionierung der Asyl- und Verbraucherschutz sowie möglicherweise deregu- Integrationsindustrie»; dann könne auch Kindern und lierten öffentlichen Dienstleistungen. Um die Soziale älteren Mitbürgern «finanziell unter die Arme» gegrif- Marktwirtschaft Ludwig Erhards, die «bestens dazu fen werden (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenogra- geeignet [ist], Wohlstand zu schaffen und zu sichern», fischer Bericht 7/22: 19 ff.). Eine zentrale Rolle in sei- zu erhalten, solle der Nationalstaat die Möglichkeit be- ner Aufrechnung spielten unbegleitete minderjährige halten, hier Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein Flüchtlinge, die «pro Nase 60.000 Euro [kosten]» wür- selbstbestimmtes Leben auch für jene ermöglichten, den. Bei der eigenen Bevölkerung werde «geknausert, «die aus eigener Kraft kein genügendes Auskommen aber für diejenigen, bei denen man noch nicht einmal erwirtschaften können» (Landtag von Sachsen-An- das Alter richtig festgestellt hat, gibt man für 2017 und halt – Drucksache 7/280). Abgelehnt wurden auch die 2018 98,5 Millionen Euro für etwa 1.400 Personen aus» Sanktionen gegenüber Russland, das es «nicht alleine (ebd.). Diese Menschen, so Farle, «wären bei ihren Fa- in der Hand [habe], ob die Minsk-Vereinbarungen er- milien in ihrer Heimat wirklich besser aufgehoben. Die füllt werden» (Landtag von Sachsen-Anhalt – Druck- haben eine Familie» (ebd.). Ähnlich seinem Kollegen sache 7/286). Weder russische noch ukrainische Maß- Tillschneider forderte er für die Asyl- und Integrations- nahmen seien zielführend, vielmehr müsse der für alle politik eine «Wende um 180 Grad» hin zu einer «Ver- Beteiligten – auch für Mitteldeutschland – schädliche abschiedungskultur für nicht Anspruchsberechtigte Zustand beendet werden und an die Stelle der Straf- und eine Willkommenskultur für unsere einheimischen maßnahmen müsse der Weg des Dialogs treten (ebd.). Kinder» (ebd.: 23 f.) Auch dem «linken Vereinswesen», Zum Thema Hartz IV positionierte sich bereits in einer «Hydra staatlich alimentierter, selbst ernannter der ersten Parlamentssitzung Ulrich Siegmund: Trotz Antifaschisten und Volkserzieher», müsse man den grundsätzlicher Zustimmung zu weiten Teilen eines Geldhahn zudrehen (ebd.) – auch dies ein Topos, der LINKEN-Antrags gegen Rechtsverschärfungen im von der AfD bei jeder Gelegenheit bedient wurde. SGB II lehnte er ein Ende der Sanktionspraxis dennoch Interessanterweise – und hier zeigt sich die Ambi- ab (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografischer valenz und Unbestimmtheit der AfD-Positionierun- Bericht 7/5: 115). Für ihn sei dies eine «Respektlosig- gen – kam Tillschneiders Kollege Tobias Rausch in ei- keit gegenüber der Gebergesellschaft» bzw. der «wert- nem Beitrag zur Rentendebatte bis fast zum Schluss schöpfenden Gesellschaft und dem Mittelstand»: «Es ohne diese Vorwürfe aus. Er lobte Otto von Bismarck, kann nicht im Sinne unserer Sozialpolitik sein, dass dem klar gewesen sei, dass «ein Volk und eine Nation die generelle Ablehnung eines vermittelten Jobs, bei- nicht durch Ungleichbehandlung bei der Rentenpolitik spielsweise weil die Arbeit einfach keinen Spaß ge- benachteiligt werden darf» (Landtag von Sachsen-An- macht hat, vollkommen sanktionsfrei bleibt» (ebd.). halt – Stenografischer Bericht 7/21: 15 ff.). Seine Partei Ein mit Blick auf das Schüren von Sozialneid und würde die Ost-West-Angleichung der Rente, die für ihn Konkurrenz «klassisches» Argumentationsmuster und die AfD eine historische Verantwortung darstelle, zeigte auch der Abgeordnete Tobias Rausch bei der in zwei Stufen und nicht, wie der Bund, in sieben er- von der LINKEN beantragten Debatte zu Kinderarmut. reichen wollen. Rausch beschwerte sich – im Wider- Er sprach von einem dramatischen «Scheitern der Alt- spruch zu anderen Äußerungen seiner Fraktion – auch parteien in der Kinder- und Familienpolitik», rechnete über den Niedriglohnsektor und sprach gar von einer am Beispiel der Stadt Halle die Kosten für die «soge- «neoliberalen Ausbeutungspolitik» (ebd.). Letztlich nannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen» aber beklagte auch er die Ausgabe von Steuergeldern vor und beklagte unter anderem: «Jeder Steuer-Eu- in Milliardenhöhe für den «EU-Zentralismus», für «ma- ro, der für die sogenannte Integration von meist jun- rode Banken» oder «für Millionen von Fremden» durch gen Männern aus fernen Ländern ausgegeben wird, die «Altparteien»: «Jeder Steuereuro, der nicht für uns kann nicht mehr für die einheimische Bevölkerung und ausgegeben wird, kann nicht mehr für unsere einhei- damit auch nicht mehr für die eigenen Kinder ausge- mische Bevölkerung und nicht mehr für die Bekämp- geben werden» (Landtag von Sachsen-Anhalt – Ste- fung der Altersarmut ausgegeben werden» (ebd.). nografischer Bericht 7/10: 12 f.). Als Forderungen for- Wenig an der Seite der «hart Arbeitenden» zeigte mulierte er die Einführung eines Landeskindergelds, sich die AfD wiederum in der Debatte um die gesetz- den kostenlosen Besuch von Kindereinrichtungen ab liche Krankenversicherung. Nach einer sehr allgemei- dem vierten Lebensjahr und die Schaffung steuerlicher nen Fürsprache für eine Bürgerversicherung lehnte Ul- Anreize für Arbeitgeber für die vermehrte Einstellung rich Siegmund letztlich die paritätische Finanzierung von Eltern (ebd.). ab und begründete dies immer wieder mit Belastun- Auch der Ex-DKPler Farle machte die seiner Mei- gen für die Unternehmen: Es sei nicht zielführend, nung nach falsche Prioritätensetzung bei der Verga- «die gesamte Kostenproblematik im Gesundheitssys- be der umfangreichen Mittel aus dem EU-Sozialfonds tem durch Parität zu lösen»; dem Mittelständler sei es für die schleppende Bekämpfung von Kinder- und Al- nicht zuzumuten, «dass er für die gesamten Missstän- tersarmut verantwortlich, die ein Kernanliegen der AfD de in unserem Gesundheitssystem aufkommen muss» sei. Sparen könne man bei «der Förderung der Gender- (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Be-

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richt 7/11: 26). Natürlich ließ auch er die Möglichkeit für Ihre linken Sozialpädagogen», die über diese Verei- nicht ungenutzt, den Bogen zur Flüchtlingspolitik zu ne «den vollen ideologischen Zugriff auf unsere Kinder schlagen, und sprach von einer «massiven Belastung» und Jugendliche ausüben können» – ein «Sumpf», den des Gesundheitssystems durch Flüchtlinge (ebd.). In es «in Zukunft trockenzulegen» gelte (ebd.). Für ihn dieselbe Richtung gingen auch die Ausführungen des und die AfD sei die «Bekämpfung der linkslastigen Ge- gesundheitspolitischen Sprechers der Fraktion in der walt und der muslimischen Gewalt» Programm (ebd.: Debatte um die Verbesserung der Gesundheitsver- 64). In seiner verschwörerischen Argumentation be- sorgung von Migrant_innen. Siegmund bezeichnete reits angelegt und kein unbekanntes Erklärungsmuster den Großteil der Geflüchteten als Wirtschaftsflücht- im Umkreis von AfD, Pegida und Co., erneuert er auch linge und warnte davor, «unser auf unserer harten Ar- den Vorwurf der Verquickung von «Linksextremismus» beit basierendes Sozialsystem bis zur Erschöpfung zu und Parteien wie LINKE, SPD oder Grüne. Auf Nach- strapazieren» (Landtag von Sachsen-Anhalt – Steno- frage von Dorothea Frederking (Grüne) warf Lehmann grafischer Bericht 7/20: 96). Während die «wirklich» ein: «Ich musste zum Beispiel im Wahlkampf keine schutzbedürftigen Frauen und Kinder «noch in den Antifa-Truppen losschicken, die meine Plakate aufhän- Bombenkellern Aleppos» säßen, würden wir «hier die gen und Flyer von mir verteilen und die Plakate anderer jungen Männer durchfüttern und gesundheitlich ver- Leute herunterreißen» (ebd.: 65). sorgen» (ebd.). In eine ähnliche Richtung ging auch Tillschneider, der mit Götz Kubitschek argumentierte und mit Blick 3.4.5 Provokationen, Eklats und das Feindbild auf die Rede von Sebastian Striegel (Grüne) davon «Linksfaschismus» sprach, dass aus all den Morden seit 1990 jene 182 mit Sehr großen Raum nahmen – wie bereits mehrfach er- «angeblich» rechtem Hintergrund «herausgegriffen» wähnt – Angriffe auf die politischen Gegner ein. Dabei und «politisch instrumentalisiert» würden. Deshalb sei ging es der AfD jedoch weniger um eine Benennung auch Kubitscheks Statistik legitim, der danach frage, von Verantwortlichkeiten, sondern um diffamierende wie viele Deutsche durch Migranten ermordet worden und feindselige Abwertungen, insbesondere der lin- seien. «Weshalb, so frage ich, darf man Ausländer, die ken Parteien und Organisationen. LINKE, SPD, Grüne von Deutschen ermordet werden, herausgreifen und und auch zivilgesellschaftliche Vereine und Initiativen politisch mit ihnen argumentieren, aber dies nicht um- sowie «die Antifa» werden zur eigentlichen Bedro- gekehrt tun?» (ebd.: 67). Um den vermeintlich notwen- hung der Gesellschaft und der Demokratie stilisiert, der digen Schutz der «Deutschen» als Opfergruppe ging es «Linksextremismus» werde nicht nur verharmlost, son- auch in einem AfD-Antrag zur Neufassung des Volks- dern auch staatlich subventioniert. Folgerichtig kam es verhetzung-Paragrafen im April-Plenum. in diesem Zusammenhang auch immer wieder zu Rela- Wellen in den Medien schlug Jan Wenzel Schmidt tivierungen rechter Gewalt. mit seinem Debattenbeitrag zum Antrag der LINKEN Beispielgebend war die Debatte im Oktober 2016 zur Landesförderung zivilgesellschaftlicher Arbeit im über einen Antrag der LINKEN zur Bedrohung durch November 2016. Durch den Antrag sollte die Arbeit Rechtsextremismus. Daniel Raue hätte lieber über den von Vereinen wie dem Landessportbund und vieler an- «Linksextremismus» gesprochen und begründete dies derer, die von Landesmitteln abhängig sind, trotz ver- unter anderem mit der «Connewitzer Terrorzelle», die zögerter Bereitstellung der Mittel durch die Landes- ganze Stadtteile in Leipzig verwüsten würde (Landtag regierung gesichert werden. Während Schmidt, fast von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht 7/12: erwartbar, von «links-grünen Partikularinteressen» 57). Auch Jan Wenzel Schmidt, der keinen Hehl aus sprach, die das eigentliche Motiv hinter dem Antrag seiner Nähe zur extremen Rechten macht, sprach von seien, wurde er schnell drastischer und kassierte einen Verharmlosung linker Gewalt und führte Statistiken zur Ordnungsruf dafür, dass er die LINKE als verlänger- Sachbeschädigung an. Geradezu «ausgrenzend und ten «Arm der Vereinsmafia» bezeichnete (Landtag von rassistisch» fand es Mario Lehmann, dass der Antrag Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht 7/15: 51). den Fokus auf die Opfer des Rechtsextremismus lege Die LINKE, so Schmidt weiter, versuche ihren «Vorfeld- und so alle «anderen Opfergruppen» «zweitrangig» be- organisationen den Zugang zum staatlichen Honigtopf handle; das «rechte Schreckgespenst» werde durch zu sichern»; als eine solche bezeichnete er auch explizit «links-grün orientierte Vereine, Initiativen und Netz- den Verein Miteinander, der «eine Art Arbeitsbeschaf- werke» heraufbeschworen, die in den letzte Jahren fungsmaßnahme für links-grüne Weltverbesserer» «wie Pilze aus dem Boden geschossen» seien (ebd.). sei (ebd.). Hatte ihm die erstmalige Verwendung des Als Beleg dienten ihm die Erhöhung der Zuwendungen Begriffs «Vereinsmafia» noch einen Ordnungsruf des unter anderem für den Kinder- und Jugendring oder LINKEN-Vizelandtagspräsidenten Wulf Gallert einge- Miteinander e. V. Da diese «anscheinend noch immer bracht, hatte Schmidt es im Februar 2017 beim AfD- nicht genug» bekämen, sei es aus Sicht der LINKEN, so Antrag «Keine staatliche Unterstützung von Extremis- Lehmann weiter, natürlich «schade, wenn das rechte ten» unter dem Vizepräsidenten seiner eigenen Partei Schreckgespenst verdampfen würde» (ebd.). Diese Art leichter. Ohne Rüge sprach er mehrmals von «Vereins- von Projektförderungen seien Steuergeldverschwen- mafia» und einer angeblichen «Desinformationskam- dung in Form von «Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen pagne», die den Linksextremismus überdecken solle

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(Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Be- allen möglichen Maßnahmen, um diese Wucherung am richt 7/20: 72). deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden. (Ebd.: 40) Einen der größten Eklats verursachte André Pog- Im AfD-Antrag «Ablehnung politisch motivierter Ge- genburg während der von der AfD beantragten Aktu- walt» führte Lehmann diesen Gedanken weiter aus und ellen Debatte zum Thema «Linksextremismus im politi- sprach von dem Böllerwerfer als einem «sprengstoff- schen Diskurs». Hintergrund für diese Initiative stellten werfenden Kriminellen» und den Demonstrant_innen zwei Vorfälle dar, an denen Poggenburg selbst betei- als «herangekarrten organisierten und linksfaschis- ligt gewesen war. Zum einen war Poggenburg mit wei- tischen Oury-Jalloh-Demonstranten» (Landtag von teren Gefolgsleuten am Rande einer Demonstration Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht 7/20: 103). zum Gedenken an Oury Jalloh aufgetreten. Ein weite- Für ihn wirke es rer Vorfall hatte sich an der Universität Magdeburg am ganz stark so, als ob wir aus der Geschichte nichts gelernt 12. Januar 2017 ereignet. Dort hatte die «Campus Al- haben und uns wieder in der Zeit von Fritz Weineck, dem ternative» zu einem Vortrag des Biologieprofessors Ge- kleinen Trompeter befinden, der 1925 in Halle zu Tode kam, rald Wolf zum Thema Gender-Forschung eingeladen. in einer Zeit, als unterschiedliche politische Meinungen oft- Protest, Sitzblockaden und ein Böllerwurf hatten letzt- mals mit Mord und Totschlag auf den Straßen ausgetragen lich zum Abbruch der Veranstaltung geführt. Neben worden sind. (Ebd.) dem Professor und den Abgeordneten Poggenburg Dass die AfD hier Bezug zum Tod eines Aktivisten der und Schmidt hatten sich auch Mitglieder der Neonazi- Linken sucht, ist bezeichnend und passt zu ihrer Vorlie- partei Die Rechte, der «Identitären Bewegung» und ein be für die Märtyrerrolle. mit Quarzhandschuhen bewaffneter AfD-Referent da- Die Ausführungen Sebastian Striegels von den Grü- zugesellt (Schierholz/Eichker 2017). Nach Poggenburg nen zum «Naziproblem» in Bitterfeld und seinen Ver- belege insbesondere der letzte Vorfall «die Einfluss- weis auf die dortigen Wahlergebnisse nahmen mehrere nahme von Linksextremisten» auf den politischen Dis- AfD-Abgeordnete zum Anlass, ihre Empörung kundzu- kurs durch «Ausgrenzung und Gewalt gegenüber un- tun und von «Nazikeule» zu sprechen: Mit dem «Nazi- liebsamen Positionen, Parteien und Mandatsträgern» vorwurf» würde insbesondere die LINKE «legitime Kri- (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Be- tik an der Islamisierung» bzw. «alles, was Ihnen nicht in richt 7/20: 38). Den schon aufgebauschten, aber ver- den Kram passt», systematisch «niederknüppel[n]», so gleichsweise harmlosen Antragstext übertraf Poggen- Tillschneider (Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenogra- burg mit seinen Ausführungen bei Weitem. Zunächst fischer Bericht 7/12: 50). Er forderte, «in ähnlicher Wei- empörte er sich darüber, dass er bei der Beobachtung se», wie es Victor Klemperer in seinem Buch «LTI» ge- der Oury-Jalloh-Demonstration mit Slogans wie «Na- tan habe, den «Jargon der Weltoffenheit [zu] sezieren zi Poggenburg» beschimpft worden sei; «urplötzlich», […]. Denn nirgendwo in dieser Republik sammelt sich so Poggenburg, sei die Demonstration, «die übrigens so viel Ignoranz wie unter dem Begriff der Weltoffen- mit mehreren Fahnen der Antifa verziert war», aufge- heit und nirgendwo so viel Intoleranz wie hinter dem brochen und «einige schwarz vermummte, aber auch Begriff der Toleranz» (ebd.: 63). Sichtlich empört zeigte schwarz pigmentierte Krawalltouristen strömten auf sich auch der Ex-DKPler Farle über den «Nazivorwurf»: uns zu» (ebd.). Vor dem «wüsten Geschrei» und den Für ihn sei ein Nationalsozialist ein Mensch, der «den Handgreiflichkeiten dieses «Linksfaschismus» seien Faschismus verharmlost, der die Vernichtung und die sie in «nahezu letzter Sekunde» durch eine Polizeiein- brutale Zerstörung von Menschenleben verharmlost. heit gerettet worden (ebd.). Diese hatte im Übrigen Ein Faschist ist, wer die Meinungsfreiheit abschafft»; von einer völlig friedlichen Demonstration berichtet. die AfD hingegen wolle Meinungsfreiheit, direkte De- In den folgenden Ausführungen Poggenburgs häuf- mokratie und ein Ende der «Denkverbote, die es in die- ten sich dann NS-Begriffe: Die Teilnehmenden an der ser Gesellschaft mittlerweile gibt» (ebd.: 68). An die an- Demonstration bezeichnete er als «zusammengekarr- deren Fraktionen richtete er die Frage: ter, arbeitsscheuer und linksextremer Pöbelmob» und Denn aus welchem Grund diffamieren Sie uns als rechts- mit Blick auf die Vorgänge in Magdeburg führte er aus: radikal oder rassistisch und versuchen, in der Gesellschaft «Linksextreme Lumpen sollen und müssen von deut- eine Spaltung durchzuführen? Sie werfen uns vor, Hass zu schen Hochschulen verbannt und statt eines Studien- predigen. Aber was predigen Sie eigentlich die ganze Zeit? platzes lieber praktischer Arbeit zugeführt werden»; Das muss endlich einmal aufhören! Wir müssen die Gewalt man würde heute wieder Zustände erleben, «die denen auf allen Seiten bekämpfen. Demokratie setzt Meinungs- in der Weimarer Republik nicht ganz unähnlich sind»; freiheit voraus. (Ebd.) nötig sei daher eine «politische Neubesinnung»; «links- Um ihrer Rolle als ausgegrenzter Partei mehr Gehör zu extreme Elemente» müssten die klare Ansage erhalten, verschaffen, beraumte die AfD unter dem Titel «Verfall dass sie nicht zu unserer Gesellschaft gehörten (ebd.: der demokratischen Kultur in Sachsen-Anhalt» eigens 39). Weiter hieß es: eine Debatte an. Dabei führte Poggenburg die Nicht- Unser Deutschland muss, auch vor dem Hintergrund ge- Berücksichtigung der AfD oder ihrer Vertreter_innen schichtlicher Verantwortung, wieder ein freies, friedliches bei Veranstaltungen oder auch Absagen wegen einer und diskursoffenes Deutschland werden. Nehmen Sie die entsprechenden Teilnahme als Beleg für ein grundle- linksextreme Bedrohung ernst und beteiligen Sie sich an gendes «Demokratiedefizit» an. Er befürchte, «mehre-

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re der hier anwesenden anderen Fraktionen und Par- fehlten. Die AfD hatte bereits im Vorfeld ihre Ablehnung teien haben sich mit antidemokratischen Äußerungen damit begründet, dass Lüddemann ungeeignet sei, da bereits schuldig gemacht», allein dadurch, dass sie ei- sie Positionen vertrete, die nicht grundgesetzkonform ne mit 24,3 Prozent gewählte «volks- und bürgernahe seien. Hintergrund war die Einladung von Olivia Jones Partei, die Alternative für Deutschland, einfach nicht zu zu einer Lesung aus ihrem Buch in der Landtagskanti- den demokratischen Parteien zählen wollen» (Landtag ne. Lüddemann, so Poggenburg, habe in dieser Veran- von Sachsen-Anhalt – Stenografischer Bericht 7/15: staltung zur «Frühsexualisierung» davon gesprochen, 19). Die anderen Fraktionen nutzten die Debatte, um «den Familienbegriff aufzuweichen», was gegen Arti- der AfD den Spiegel vorzuhalten und sie mit ihren eige- kel 6 des GG gerichtet sei – ein selbstredend nicht nur nen antidemokratischen und menschenverachtenden rechtlich gesehen unhaltbarer Vorwurf. Äußerungen zu konfrontieren. Nicht unerwartet machte das bei der AfD jedoch wenig Eindruck. Angespro- 3.4 KONTROVERSEN UM KONTAKTE chen auf die Äußerungen zum Waffengebrauch an der ZUR EXTREMEN RECHTEN Grenze reagierte etwa Tillschneider mit der Gegenfra- Immer wieder sorgten einige AfD-Protagonist_innen ge: «Ich frage Sie: Wofür hat denn der Bundesgrenz- auch nach den Wahlen durch fehlende Distanz zur schutz seine Waffen? Seien Sie doch wenigstens kon- extremen Rechten für Schlagzeilen, wie etwa durch sequent und stellen Sie den Antrag, dass alle Waffen Kontakte zur extrem rechten und offen völkisch-nati- des Bundesgrenzschutzes durch Wasserpistolen er- onalistischen «Identitären Bewegung», die im Laufes setzt werden» (ebd.: 27). des Jahres 2016 mehr und mehr in den Fokus der Öf- Auch außerhalb des Plenarsaals versuchte die AfD fentlichkeit und auch des Verfassungsschutzes ge- zu provozieren und suchte die Konfrontation. So nah- riet. Trotz dieser Debatten nahm der Abgeordnete Jan men zum Beispiel an der Feier zum Gedenken an das Wenzel Schmidt Mitte April 2016 als Ehrengast an ei- Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 an der Gedenkstel- ner Demonstration der «Identitären Bewegung» in le für Henning v. Tresckow in Magdeburg auch Vertre- Wernigerode im Harz teil. Anders als die übrigen Teil- ter der AfD teil, die versuchten, den Widerstand zu ver- nehmer_innen weigerte er sich nicht, den Medien - einnahmen. Den AfD-Kranz mit der Aufschrift «Es lebe vertreter_innen Fragen etwa zu der Behauptung, es das heilige Deutschland» erläuterte Fraktionschef An- gebe einen «großen Austausch» der deutschen Be- dré Poggenburg damit, dass dies die letzten Worte von völkerung, zu beantworten. Schmidt führte aus: «Die Stauffenbergs vor seiner Erschießung gewesen seien; Bevölkerung wird ja in dem Sinne ausgetauscht, dass sie zeigten sein patriotisches Denken; es gebe Men- sie eben durch diese Asylbewerber ersetzt werden schen, die Deutschland abschaffen wollten, und dies soll. Sie wird gar nicht mehr angeregt zur Reproduk- wäre auch eine Gefahr (Volksstimme, 20.7.2016). Pog- tion der eigenen Bevölkerung hier in Deutschland» genburgs Twitter-Kommentare kurz nach dem Amok- (Mitteldeutscher Rundfunk 2016d). Eine Nähe zur neo- lauf in München vom 22. Juli 2016 lösten bundesweit nazistischen Szene, wie sie einige Verfassungsschutz- Diskussionen aus: «Merkel-Einheitspartei: danke für behörden ausmachen, sah er «definitiv nicht in Sach- den Terror in Deutschland und Europa!» sowie «Mün- sen-Anhalt» (ebd.). Mit dem Auftritt seines Kollegen chen: Unser Mitgefühl den Hinterbliebenen und Ver- konfrontiert, versuchte Partei- und Fraktionschef Pog- letzten, unser Abscheu den Merklern und Linksidioten, genburg zu beschwichtigen: die Mitverantwortung tragen» (Mitteldeutscher Rund- Es gibt keine direkte Zusammenarbeit zwischen der AfD funk 2016c). Sachsen-Anhalt und den Identitären. Wir beobachten na- Auch eine Banalität wie die Empfehlung des Minis- türlich diese Bewegung auch. Sicherlich werden da auch teriums für Justiz und Gleichstellung, Olivia Jones’ Themen angesprochen, wo wir auch sagen, die müssten Kinderbuch «Keine Angst in Andersrum» in Schulen mal angesprochen werden. Aber einen direkten Schulter- und Kitas in Sachsen-Anhalt zu lesen, nahm die Partei schluss gibt es nicht. (Ebd.) zum Anlass, die Broschüre des Ministeriums, in dem Auch der Abgeordnete Tillschneider, der der «Patrio- die Lektüreempfehlung zu finden war, auf Facebook in tischen Plattform» angehört, scheute den Kontakt zur die Nähe von Kindesmissbrauch zu rücken und selbst «Identitären Bewegung» nicht. Ebenfalls im April 2016 Aufgaben dazu zu dichten: «Wie kann ich als Kind Sex traf er sich zu einem Austausch mit Vertreter_innen haben?» oder «Schreibe Deine 7 erotischen Szenarien der «Identitären Bewegung» aus Halle. Bei dem Ge- mit einem Erwachsenen auf!». Unter dem Deckmantel spräch sei es um das Zusammenspiel zwischen AfD der Toleranz, so der Vorwurf, würden Kinder dazu ge- und «Identitärer Bewegung» sowie um Möglichkeiten bracht, über Sex nachzudenken. «Da sagen wir: Wehret patriotischen Widerstands innerhalb und außerhalb den Anfängen» (Eichler 2016g). Es folgte eine Anzeige des Parlaments gegangen (vgl. Du bist Halle 2016). der Travestiekünstlerin wegen Volksverhetzung. Eine Vor allem die «Identitären» aus Halle waren in der Ver- Reaktion bzw. eine weitere Eskalation erfolgte im No- gangenheit durch Aktionen aufgefallen: So hatten sie vember. Eigentliche eine Formalität, scheiterte Cornelia zum Beispiel ein Wahllokal für die Probewahl von Mi- Lüddemann zunächst bei der Wahl zur Stellvertretung grant_innen in Halle zugemauert, Bürgerversammlun- der Grünen in der Parlamentarischen Kontrollkommissi- gen zur Unterbringung von Flüchtlingen gestört und in on, da ihr offensichtlich auch die Stimmen der Koalition Halle-Neustadt ein Banner mit der Aufschrift «Stoppt

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den großen Austausch» an einem Hochhaus befestigt Landesverbandes und auch nicht im Auftrag der Frak- (ebd.). Zudem beschäftigt Tillschneider Chris Wiede- tion» gesprochen. Tillschneiders Forderung bezüglich mann in seinem Wahlkreisbüro. Der Lehramtsstudent Bachmann tat er als «Einzelmeinung» und «politische ist Vorstandsmitglied der «Patriotischen Plattform» und Provokation» ab (Kissmann 2016b). Zur Bewegung als gehört der Halle-Leobener Burschenschaft Germania solcher bekannte sich Poggenburg später explizit: «Mit an, die im neonazistischen und neurechten Milieu gut der Form des Protestes, den Bürgern auf der Straße, vernetzt ist. Zudem ist sie Mitglied des rechten Dach- erklären wir uns solidarisch»: «In Deutschland ist eine verbands der Deutschen Burschenschaft und der Bur- Islamisierungsgefahr gegeben. Da spricht uns Pegida schenschaftlichen Gemeinschaft und im Umfeld der aus dem Herzen» (ebd.). sogenannten Kontrakultur aktiv. Dort trat Tillschneider Die auch in der Bundespartei geführte Diskussion auch zu einem Stammtisch zum Thema «Parlament mündete 2016 letztlich in einen Beschluss des Bun- und Straße – gemeinsamer Widerstand?» auf. desvorstands noch unter Petry, der Auftritte von AfD- Im Juni 2016 plädierte er beim Kyffhäusertreffen des Politiker_innen bei Pegida-Demonstrationen untersagt. rechtsnationalen AfD-Kreises «Der Flügel» für Bünd- Den rechten Parteiflügel ließ dies jedoch relativ unbe- nisse mit «Bürgerbewegungen und Widerstandsgrup- eindruckt. Während Björn Höcke auf das Schiedsge- pen»; dabei nannte er neben Pegida, den Burschen- richt zur Klärung setzte und verlautbarte, dass «die Zeit schaften und anderen rechten Gruppierungen wie «Ein über viele Parteibeschlüsse schnell hinweg» gehe und Prozent» auch die «Identitäre Bewegung» (Sachsen- einen Pegida-Organisator zu einer Demonstration in Anhalt Rechtsaußen 2016). In Wien nahmen zeitgleich Thüringen einlud, sprach auch Tillschneiders «Patrio- die beiden Vorstandsmitglieder der «Patriotischen tische Plattform» von einem «Rückschritt», der «dem Plattform», Dubravko Mandic und Felix Koschkar, an Geist der AfD seit dem Essener Parteitag» widerspre- einer Demonstration der «Identitären Bewegung» teil che (Süddeutsche Zeitung, 28.5.2016). Dort hatte sei- (Patriotische Plattform 2016). nerzeit auch Petrys Lebensgefährte Marcus Pretzell Die Nähe zur Neuen Rechten, insbesondere der von der AfD als «Pegida-Partei» gesprochen (Steiner «Identitären Bewegung», war bereits im Wahlkampf 2015). Dass sich Ende Mai 2016 – wie oben bereits er- deutlich geworden: Im März 2016 hatte die «Initiative wähnt – ausgerechnet Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel Ein Prozent» im Rahmen der Landtagswahlen «Wahl- bei der Fraktion bewarb und Poggenburg die Bewer- beobachtungen» organisiert. In Sachsen-Anhalt wa- bung sehr begrüßte, verdeutlicht ebenfalls, wie wenig ren für deren Durchführung vor allem der Wiener Mar- sich die Landeschefs für den Beschluss interessierten. tin Sellner, Simon Kaupert, Philipp Stein und weitere Auch Gauland erklärte, er «hätte keine Einwände ge- führende Köpfe der «Identitären Bewegung» verant- gen die Einstellung» Oertels (Eichstädt 2016). Poggen- wortlich gewesen. Anschließend hatten Sellner und burg revanchierte sich für den Zuspruch aus Branden- Stein im Wahlstudio des Compact-Magazins auf der burg, indem er dem wegen seiner Äußerungen über Wahlparty der AfD im Magdeburger Event- und Ta - Fußballnationalspieler Jérôme Boateng («Die Leute fin- gungscenter ETC Bericht erstattet. Weitere Gäste der den ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Sendung waren Götz Kubitschek, Björn Höcke, André Boateng nicht als Nachbarn haben») in die Kritik gera- Poggenburg, Hans-Thomas Tillschneider und Jan Wen- tenen Gauland beipflichtete: Es seien leider Vorbehal- zel Schmidt. Kaupert hatte derweil live aus dem Stu- te gegen Ausländer in der Bevölkerung zu verspüren. dio und von der Wahlparty getwittert (Sachsen-Anhalt «Festzustellen, dass das so ist, muss einfach erlaubt Rechtsaußen 2016). sein» (Volksstimme, 31.5.2016). Nach den Wahlen war Tillschneider der erste AfD- Reibungslos verliefen diese Vorgänge letztlich je- Mandatsträger, der im Mai 2016 als Redner auf einer doch nicht. Die Umtriebe einiger AfD-Abgeordneten Pegida-Demonstration auftrat. In einer Lobeshymne und das wenig entschiedene Verhalten Poggenburgs auf die Bewegung sprach er davon, dass sie «Großar- führten schließlich zu einer öffentlichen Konfrontati- tiges für unser Vaterland geleistet» habe, und bekräf- on. Aus der Basis und aus dem Umfeld der Gegenspie- tigte, dass sich der Islam nicht in «unserer Heimat» ler_innen Poggenburgs innerhalb der Fraktion heraus «breit machen» dürfe (Kissmann 2016a). Vielmehr sei (u. a. Daniel Roi) entstand das Positionspapier «Ruf der es die «Pflicht jedes Deutschen», sich gegen die «Is- Vernunft aus Sachsen-Anhalt», das als offener Brief lamisierung des Abendlandes» zu wehren. «Pegida», am 20. Juni 2016 publiziert wurde. Den Namen Pog- so Tillschneider, «habe den Boden für die neue Islam- genburg suchte man unter den 25 Erstunterzeichnern politik der AfD bereitet» (ebd.). Die diversen Rechts- und weiteren 30 Unterzeichnern vergebens. Dafür fin- bewegungen und die AfD beschrieb er als Teil einer den sich die Namen von 16 AfD-Landtagsmitgliedern «großen Bewegung» und forderte deren Zusammen- (Roi, Funke, Diederichs, Büttner, Mrosek, Sauermann, arbeit ein: «Reichen wir uns die Hand» (ebd.). Höhe- T. Rausch, Farle, Lieschke, Loth, Olenicak, Raue, Mit- punkt seines Auftritts war schließlich die Forderung, telstädt, Gehlmann, Siegmund und D. Rausch) sowie Lutz Bachmann das Bundesverdienstkreuz zu über- von 12 der 14 Kreisvorsitzenden und von zwei Vizelan- reichen (ebd.). Zwei Tage später distanzierte sich Pog- desvorsitzenden. Darin bekräftigt die Landesbasis den genburg zwar von Tillschneider, jedoch nur vorsichtig Wunsch, «Volkspartei» und nicht «Schmuddelkind der von Pegida. Tillschneider habe «nicht im Auftrag des AfD» sein zu wollen; um sich «langfristig zu verwur-

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zeln», fordern sie die «politische Spannbreite, die wir vorstand zur Prüfung weiterleitete. Auch Tillschneider uns in Essen und Stuttgart gegeben haben», ein. «Ver- bediente sich dieser Strategie, sprach von einer syste- lassen wir diese Spannbreite nach links oder rechts, matischen Stimmungsmache gegen die «Patriotische dann verlieren wir genau das, was unsere Daseinsbe- Plattform» und kam zu dem Schluss, «dass es das Bes- rechtigung ausmacht» (Roi u. a. 2016). Weiter heißt es te ist, dieser Attacke den Wind aus den Segeln zu neh- in diesem Papier: men, indem wir sie in der Umarmung ersticken und Wir wollen keine Verschmelzung mit Organisationen, die selbst unterzeichnen»: «Mit unserer Zustimmung zu als Auffangbecken für Extremisten fungieren, sie in ihren der Erklärung haben wir Schadensbegrenzung betrie- Reihen dulden oder zumindest ihr Verhältnis zu diesen ben. Manchmal ist es in der Politik leider notwendig, so nicht eindeutig geklärt haben. Wir wollen auch selbst kein zu handeln» (Bock 2016f). An den Zielen und der Aus- Auffangbecken für ehemalige Netzwerke der NPD sein. Wir richtung der «Patriotischen Plattform» habe sich «nicht wollen keine enge Zusammenarbeit mit Gruppen, die sich das Geringste geändert» (ebd.). selbst noch nicht gefunden haben. (Ebd.) Mit Tillschneider solidarisch zeigte sich Partei- und Kritisiert wird auch die «Identitäre Bewegung», die Fraktionschef Poggenburg hingegen im Laufe eines «nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz beobachtet weiteren Eklats. Als das Zentralkomitee der deutschen [wird]. Sie ist somit eine schwer einzuschätzende Ge- Katholiken (ZdK) beschloss, keine AfD-Politiker_innen fahr für unsere bürgerliche Mitte. Daher sollten wir uns zum Katholikentag 2016 in Leipzig einzuladen, quittier- davor hüten, die Tür aufzustoßen, ohne einen kritischen te dies Tillschneider mit dem Vorwurf an das ZdK, ei- Blick auf die Akteure zu bewahren» (ebd.). Auch die ne «zügellose Masseneinwanderung» zu fördern und «Patriotische Plattform» um Tillschneider wird kritisiert: sich damit gegen «die Schöpfung» zu erheben: «Völ- «Wir lehnen entschieden ab, dass eine Organisation ker sind Gedanken Gottes; niemand hat das Recht, sie wie die Patriotische Plattform den Anschein erweckt, bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen» (Kissmann/Bock für die Mehrheit der AfD zu sprechen, und unsere Gren- 2016b). Er lehne es ab, dass «die verschiedensten Kul- zen aufweicht»; «die PP [Patriotische Plattform] will eine turen dieser Welt zu einem grauen Einheitsbrei ver- Wächterfunktion ausführen, sie manifestiert sich der- schmelzen»; die katholische und die evangelische Kir- zeit jedoch als ‹Anti-Petry-Bündnis›. Wir brauchen keine che seien «vollkommen dem linksliberalen Zeitgeist» Partei innerhalb der Partei, die unsere im Volk beliebte erlegen. Landeschef Poggenburg stützte dies: Es sei Bundesvorsitzende destabilisiert» (ebd.). nicht im Sinne des Christentums, wenn sich «Völker in Insgesamt dürfte es sich jedoch eher um einen stra- Multi-Kulti auflösten», «sonst würden wir uns in geleb- tegischen und in Teilen innerparteilichen und perso- tem Kommunismus wiederfinden» und «das wollen wir nenbezogenen Konflikt gehandelt haben. Denn große nicht. Wir wollen nicht alles miteinander vermischen» inhaltliche und programmatische Brüche wurden nicht (ebd.). geltend gemacht. Zudem gehörte ein Teil der Unter- Die Nähe zum «Flügel» und die Eskapaden der bei- zeichner_innen auch zu den Erstunterzeichner_innen den «Ausreißer» Tillschneider und Schmidt wurden – der «Erfurter Resolution» vom März 2015, mit der eben wie dargestellt – ansonsten eher hingenommen oder jener «Flügel» begründet wurde, der die Plattform für sogar unterstützt. Wenn Distanzierungen erfolgten, so eine national-konservative bis völkische und neurechte lediglich aus strategischen Gründen und keineswegs Strömung innerhalb der AfD darstellt. Die AfD in Sach- aufgrund inhaltlicher Differenzen. Folglich konnte Till- sen-Anhalt bzw. ihre maßgeblichen Protagonist_innen schneider auch ohne Widerspruch aus den Reihen sei- lassen sich genau dort verorten. Neben Björn Höcke ner Fraktion im Landtag formulieren, dass die Neue und André Poggenburg (später auch Alexander Gau- Rechte «eine Strömung im politischen Spektrum [sei], land) als damalige Landesvorsitzende unterzeichneten die sich im Rahmen der freiheitlich-demokratischen auch Lydia Funke, Alexander Raue, Daniel Roi sowie Grundordnung bewegt» (Landtag von Sachsen-Anhalt Hans-Thomas Tillschneider die Resolution. Poggen- 2017b). Ähnliches belegen auch die veröffentlichen burg versuchte, sich auf die Seite der Kritiker_innen zu Chatprotokolle von AfD-Politiker_innen (vgl. hierzu Ka- schlagen; er unterstrich, dass niemand einen «Schul- pitel 3.5), unter ihnen zum Beispiel die Äußerungen terschluss» mit der «Identitären Bewegung» wolle und Poggenburgs: «Deutschland den Deutschen», «Erwei- beteuerte: «Wenn jemand so verstanden wurde, war terung der Außengrenzen» oder «Wir distanzieren uns das ein Missverständnis» (Eichler/Bock 2016). Wenig weder von IB [Identitäre Bewegung] noch von Pegida» solidarisch griff er dazu auch Daniel Roi an: «Dass Da- (Tagesschau 2017). niel Roi wohl als Initiator fungiert, ist auch deshalb be- Nachdem Björn Höcke in einer Rede in Dresden am merkenswert, weil er selbst mit Leuten von der Identi- 17. Januar 2016 vom Holocaust-Mahnmal als «Denk- tären Bewegung Kontakt haben soll. Seine Bedenken mal der Schande» und von einer «dämlichen Bewälti- beziehungsweise sein Aufruf wirken da ein wenig ver- gungspolitik» gesprochen hatte, geriet der AfD-Rechts- fehlt» (Volksstimme, 6.7.2016). außen stark unter Druck. Die AfD Sachsen-Anhalt Nicht wegen des Inhalts, sondern der «Art und Wei- nahm das nicht zum Anlass, sich zu distanzieren, son- se der Veröffentlichung» brachte Roi das Vorgehen dern für öffentliche Solidaritätsbekundungen. Zwar im August 2016 eine Rüge des Landesvorstands ein nannte Poggenburg die Rede «unglücklich und nicht (Kissmann/Bock 2016a), die er jedoch an den Bundes- zielführend», zeigte sich aber zufrieden, dass zunächst

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von einem Ausschlussverfahren abgesehen und Höcke burg vor, Büttner zu decken. So war etwa in der Volks- nur die «gelbe Karte» gezeigt wurde: «Eine Volkspar- stimme zu lesen, dass sich die Frau bereits vor der An- tei muss in der Lage sein, auch einmal Randpositionen zeige «einer Person» anvertraut habe: «Sie hat zu mir auszuhalten» (Bock 2017a). Indirekt kritisierte er Petry: gesagt: ‹Sie werden sehen, die werden sagen, dass ich «Es wird versucht, die AfD auf Einheitslinie zu bringen. schlechte Arbeit mache, und mich entlassen.› Das ha- Das lehne ich ab» (ebd.). Als das Verfahren doch ein- be ich nicht verstanden, sie war fachlich top» (ebd.). geleitet wurde, sprach sich die Landtagsfraktion ein- Im Januar 2017 begab man sich dann offiziell auf die stimmig gegen einen Ausschluss Höckes aus. Auch Suche nach «Maulwürfen» und drohte mit dem Aus- Tillschneider und seine «Patriotische Plattform» stellten schluss aus der Fraktion. Dass Daniel Roi gemeint war, sich offen gegen den Bundesvorstand. bestätigte auch er selbst. Er erneuerte öffentlich seine Kritik und gab selbst an, dass er die Kündigung kritisiert 3.5 INNERE QUERELEN UND und das Handeln des Vorstands hinterfragt habe. Einen «SÄUBERUNGEN» IM VORFELD Beschluss über die Ordnungsmäßigkeit der Kündigung DER BUNDESTAGSWAHL 2017 bezeichnete er als Zwang, sich komplett auf eine Seite Dem insgesamt zunächst recht geschlossenen Bild, stellen zu müssen: «Das war Diktat und Maulkorb zu- das die AfD-Fraktion in inhaltlicher Hinsicht bzw. im gleich», «Kritik und Nachfragen waren nicht mehr ge- Plenum selbst zeigte, standen immer wieder aufflam- duldet» (Kissmann/Bock 2017a). Roi wurde vorgewor- mende Konflikte innerhalb der Fraktion und der Partei fen, ein internes Papier einer Fraktionssitzung an die gegenüber, die zum Teil auch öffentlich ausgetragen frühere Mitarbeiterin weitergegeben zu haben. Was wurden. Dementsprechend schwankten die Verlaut- folgten, waren eine Krisensitzung mit den Kreisvorsit- barungen zwischen Selbstbewusstsein auf der einen zenden und sogar ein Angebot zur «Hilfe» von Bunde- und Abrechnungen auf der anderen Seite. Angespannt schefin Frauke Petry, das Poggenburg aber deutlich ab- zeigte sich vor allem das Verhältnis zwischen André lehnte. Zwischenzeitlich war in einem Kommentar der Poggenburg und Daniel Roi, der jedoch immer weiter Volksstimme sogar vom «Kontrollverlust des Vorsitzen- an Einfluss verlor. den» die Rede (Volksstimme, 1.2.2017). Letztlich ge- Im November 2016 strotzte man auf dem Landespar- stand Roi einen Fehler ein, übte aber nochmals scharfe teitag noch vor Stärke, verwies auf eine Verdopplung Kritik an Personen und Klima in der Fraktion und wurde der Mitgliederzahl im Laufe des Jahres 2016 von 300 nach siebenstündiger Krisensitzung doch nicht ausge- auf rund 600 und schwor die Mitgliedschaft ein: «Wir schlossen (Kissmann 2017c). sind Oppositionsführer» (Bock 2017b). Wenn man Chaotische Zustände herrschten auch auf dem Lan- sich «durch und durch als Patrioten» verstehen würde, desparteitag im März 2017, der sich eigentlich den könnte man «den gleichen Sieg erringen wie ein Do- Listenvorschlägen für die Bundestagswahl 2017 wid- nald Trump in Amerika» (Rath 2016). Gleichzeitig wur- men sollte. Wurde zunächst vor «Grabenkämpfen» und den erste Kritiker, allen voran Roi, weiter entmachtet «persönlichen Streitigkeiten» gewarnt, dominierten und der Vorstand der Fraktion neu gewählt (vgl. hierzu diese schnell die Versammlung. Schon zu Beginn deu- Kapitel 3.1). tete sich ein Lagerkampf an. So war selbst die Wahl Zwei Monate später stritt man sich dann wieder öf- des Protokollführers durch eine Kampfabstimmung fentlich, und auch Ausschlussverfahren standen im zwischen der Poggenburg-Kritikerin Lydia Funke und Raum. Hintergrund war die Anzeige einer ehemaligen dem Poggenburg-Vertrauten Robert Farle geprägt. Fraktionsmitarbeiterin gegen den AfD-Abgeordneten Kurioserweise gab es mit 79 zu 79 Stimmen und vier Matthias Büttner wegen versuchter Vergewaltigung Enthaltungen dann nicht nur einen Patt, sondern auch bzw. sexueller Nötigung. Am 16. November 2016 war zu viele abgegebene Stimmen (143 stimmberechtigte Büttner gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin zu einem Mitglieder; Bock 2017c). interfraktionellen Treffen von AfD-Wirtschaftspolitikern Besonders emotional wurde die Debatte um zuvor nach Erfurt gereist. Dort soll er ein gemeinsames Dop- öffentlich gewordene Chatprotokolle geführt. Poggen- pelzimmer gebucht und versucht haben, sich der Frau burg wertete die gegen ihn und seine Getreuen gerich- gegen ihren Willen sexuell zu nähern. Den Umstand, teten Inhalte als konspirative Zusammenrottung und dass die Fraktionsmitarbeiterin ihre Anzeige an dem Pakt mit der Presse, um «mit System Umstürze herbei- Tag erstattete, an dem sie aus der Probezeit entlassen zuführen. Das ist subversives Verhalten. Das geht mir wurde, nutzte Poggenburg im Dezember, indem er da- ganz gewaltig auf die Ketten. Das geht nicht so weiter» von sprach, dass der Zeitpunkt der Anzeige «schon (Bock 2017c). Auch Jan Wenzel Schmidt beschwerte etwas komisch» anmute und sie nach der Kündigung sich und unterstellte ein «unterirdisches Niveau» und «aufgebracht und enttäuscht» gewirkt habe (Kissmann «Antifa-Methoden» (ebd.). Roi verteidigte die Gruppe 2016c). Später verdichteten sich die Hinweise darauf, als «Verbündete», die aus rund 60 Mitgliedern, darun- dass Poggenburg bereits im November von den Vor- ter vielen Landtagsabgeordneten und Kreisvorsitzen- würfen erfahren hatte, weil die Mitarbeiterin das Ge- den, bestanden haben soll (ebd.). Die Gruppe soll sich spräch mit ihm gesucht hatte (Kissmann 2017b). zum Sturz von Poggenburg ausgetauscht haben. Vor allem Daniel Roi brachte immer mehr Details zu Nach dem Parteitag forderte Poggenburg Daniel Roi den Vorgängen an die Öffentlichkeit und warf Poggen- (Anhalt-Bitterfeld), Lydia Funke (Burgenlandkreis), Dirk

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Hoffmann (Wittenberg) und Yvonne Sturm (Harz) dazu Harz Ronald Bischoff, ein ehemaliger Stasi-Offizier, auf, ihre Parteiämter abzugeben: «Sie haben vollkom- und für den Wahlkreis Börde/Jerichower Land Andre- men versagt, auch in ihrer Funktion als Kreisvorsitzen- as Kühn ins Rennen gingen (Volksstimme, 28.5.2017). de. Sie sollten jetzt den Anstand und die Charakter- Kühns Kandidatur wurde im Juli 2017 zurückgezogen, stärke haben, von ihren Ämtern zurückzutreten» (Bock sodass dort letztlich kein AfD-Direktkandidat aufge- 2017d). Sie hätten «das Ansehen und die Ordnung der stellt wurde. Er hatte auf Facebook die Wehrmacht Partei geschädigt» und müssten zurücktreten (ebd.). im Zweiten Weltkrieg verherrlicht (Kissmann 2017a). Zudem brachte Poggenburg Neuwahlen für die bereits Ebenfalls im Juli 2017 gab Lydia Funke den Kreisvorsitz nominierten Direktkandidaten ins Spiel: Armin Friese, freiwillig auf. Auch in der Fraktion kam es zu Umstruk- (Harz), Wolfgang Rehfeldt (Börde/Jerichower Land) turierungen, durch die Kritiker_innen ihre Posten verlo- und Kay-Uwe Ziegler (Anhalt) (ebd.). Auch Verfahren ren. Die neue Verteilung stellte sich dann wie folgt dar. vor dem Landesschiedsgericht wurden angestrebt sowie Gegner_innen im Umfeld der Fraktion bestraft: So Tabelle 2: AfD-Abgeordnete in den Landtags verlor unter anderem die Mitarbeiterin Yvonne Sturm ausschüssen in Sachsen-Anhalt im August 2017 ihren Job bei der Fraktion (ebd.). Die betroffenen Kreisvorsitzenden und Kandidat_in- Ausschuss AfD-Mitglied nen werteten Poggenburgs Umgang mit den öffentlich Ältestenrat Willi Mittelstädt (Stellv. Vorsitz), Robert Farle, Oliver Kirchner, gewordenen Chatprotokollen als willkommene Chan- André Poggenburg ce, «unliebsame Leute» auf dem Landesparteitag kalt- Arbeit, Soziales und Ulrich Siegmund (Vorsitz), zustellen (Kissmann/Bock 2017b). Zudem bestritten Integration Oliver Kirchner, Jan Wenzel Schmidt sie, dass es rechtlich möglich sei, bereits bestätigte Bildung und Kultur Jan Wenzel Schmidt, Marcus Spie- gelberg, Hans-Thomas Tillschneider Kandidat_innen neu wählen zu lassen, und sprachen Bundes- und Europa Tobias Rausch (Stellv. Vorsitz), von «Stalinismus» und einem «Nordkorea-Stil» (Bock angelegenheiten sowie Daniel Rausch, Ulrich Siegmund 2017e). Medien Schlussendlich kam es doch noch zur Nominierung Ernährung, Landwirtschaft Hannes Loth (Stellv.), der Listenkandidat_innen, die eigentlich Thema des und Forsten Willi Mittelstädt, Daniel Roi Parteitags gewesen war. Spitzenkandidat wurde der Finanzen Robert Farle, Tobias Rausch, Alexander Raue 47-jährige Martin Reichardt aus dem Kreisverband Inneres und Sport Hagen Kohl (Vorsitz), Thomas Höse, Harz. Der frühere Bundeswehroffizier und leitende An- Mario Lehmann gestellte soll bereits Mitglied der SPD, der Republika- Landesentwicklung und Andreas Mrosek (Vorsitz), ner und der FDP gewesen sein. Er wolle sich beson- Verkehr Matthias Büttner, Willi Mittelstädt ders für an den Rand gedrängte Menschen einsetzen Petitionen Hannes Loth, Volker Olenicak, Lydia Funke und bezeichnete die Agenda 2010 und Hartz IV als «po- Recht, Verfassung und Hagen Kohl, Mario Lehmann, litische Verbrechen» (Bock 2017f). Er bekräftigte aber Gleichstellung Thomas Höse auch: «Wir sind die Partei der Deutschen», und pro- Umwelt und Energie Lydia Funke, Andreas Gehlmann, phezeite: «In einigen Jahren werden wir die deutsche Volker Olenicak, Volkspartei sein» (ebd.). Die weiteren «aussichtsrei- Wirtschaft, Wissenschaft Matthias Lieschke (Stellv.), und Digitalisierung Hans-Thomas Tillschneider, chen» Plätze besetzten Frank Pasemann (Magdeburg), Alexander Raue Matthias Büttner (Stendal), der Landtagsabgeordnete Unterausschuss Robert Farle Andreas Mrosek (Dessau-Roßlau) und Uwe Gewiese Rechnungsprüfung (Burgenlandkreis). Damit folgten die Mitglieder trotz Wahlprüfungsausschuss Thomas Höse, Hagen Kohl, der Querelen vorab komplett den Empfehlungen des Mario Lehmann Landesvorstands. Spitzenmann Reichardt positionier- 15. Parlamentarischer Matthias Büttner (Stellv.), Andreas Untersuchungsausschuss 6 Gehlmann, Marcus Spiegelberg te sich auch gleich zur Causa Höcke und nannte ei - Parlamentarische Kontroll- Volker Olenicak nen Ausschluss «unangemessen». Die Partei benötige kommission Björn Höcke: «Er spricht viele Dinge sehr pointiert und 16. Parlamentarischer Matthias Lieschke (Vorsitz), klar an» (Bock 2017g). Da wegen der Debatten nur fünf Untersuchungsausschuss 7 Volker Olenicak, Daniel Roi Listenkandidat_innen gewählt werden konnten, fand Ausschuss zur Überprüfung Oliver Kirchner der Abgeordneten auf eine Mitte April 2017 ein weiterer Parteitag in Badebron Tätigkeit für den Staats statt. Dort kam es zur Erweiterung der Liste um Ronny sicherheitsdienst der DDR Kumpf (Magdeburg), Ronald Bischoff (Harz), Christian Enquete-Kommission Robert Farle (Stellv. Vorsitz), Hecht (Harz), Sven Schöndube (Magdeburg) und Jens Stärkung der Demokratie Oliver Kirchner, Daniel Roi Lange (Mansfeld-Südharz; Kissmann 2017d). Quelle: Landtag von Sachsen-Anhalt, Ausschüsse & Gremien In den Monaten vor der Bundestagwahl 2017 wurden die angekündigten Konsequenzen zum Teil (und Insbesondere der Juni 2017 wurde noch einmal zu ei- mit Verzögerungen, weil es durch einen Rücktritt zeit- nem turbulenten Monat für die Partei. Als Folge des weilig kein arbeitsfähiges Landesschiedsgericht gab) schlechten Klimas und der ständigen Querelen und umgesetzt. Unliebsame Direktkandidaten wurden auf «Säuberungen» lichteten sich die Reihen der Landtags- Wahlveranstaltungen ausgetauscht, sodass für den fraktion. In den ersten Tagen des Monats traten gleich

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drei Abgeordnete aus der AfD-Fraktion aus. Für ihre schen Tönen in Erscheinung getreten waren. Während kritischen Äußerungen teilweise von ihren Funktionen Poggenburg mit einer Nachricht «Deutschland den und Sprecherposten abgesetzt, kehrten zunächst Sa- Deutschen» Schlagzeilen machte, fielen andere mit rah Sauermann und dann auch Gottfried Backhaus so- Formulierungen wie «volksfeindliche Medien», «Mu- wie Jens Diederichs der Fraktion den Rücken (Volks- selmanenglaube», «Erweiterung der Außengrenzen» stimme, 6.6.2017). Letzterem gelang die Aufnahme in und Plänen «nach der Machtübernahme» auf (Fuchs/ der CDU-Fraktion, nachdem er auch aus der Partei aus- Middelhoff 2017). Auch wurde von Waffenscheinen getreten war (Volksstimme, 13.6.2017). und «Zusammenhalt! Mit Waffen und ohne» in einem Poggenburg sprach von «persönlichen Befindlich- Deutschland als bald «zweitem Afghanistan» schwad- keiten» und kritisierte das «Auskotzen» bei den Me- roniert (ebd.). Die daraufhin von Innenminister Stahl- dien (Kissmann/Bock 2017c). Dass durch Postenän- knecht ins Spiel gebrachte Beobachtung der Landes- derungen Gegner_innen mundtot gemacht worden AfD durch den Verfassungsschutz wurde trotz deren seien und es «Säuberungen» gegeben habe, bezeich- «extremistischer und verfassungsfeindlicher Positio- nete er als «Blödsinn» (ebd.). Als wären die Austrit - nen» von Verfassungsschutzchef Jochen Hollmann te nicht schon genug an negativer Aufmerksamkeit, abgelehnt, der dies jedoch als «Warnschuss» verstan- sorgte eine weitere Chat-Veröffentlichung für Auf- den wissen wollte (Volksstimme, 8.8.2017). Trotz die- regung und bundesweite Kritik, auch seitens des ser hohen Wellen und der Kritik aus der Bundes-AfD Bundestags, an der AfD in Sachsen-Anhalt und ins- stellte sich der Landesvorstand «ausdrücklich und besondere an André Poggenburg: Geleakte Whats- einstimmig» hinter Poggenburgs Äußerungen (Volks- App-Protokolle brachten den Landesvorsitzenden und stimme, 29.6.2017). auch zwei Beamte (einen Bundespolizisten und einen Zöllner) in Bedrängnis, weil sie dort mit nationalisti- Bernd Linke

50 Auftreten und Parlamentspraxis der AfD Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl 2016

LITERATUR Förtsch, Anja (2016): AfD-Politiker Daniel Rausch: Der Bock, Michael (2016a): Gallert fällt im ersten Anlauf Sieben-Minuten-Mann, in: Mitteldeutsche Zeitung, durch, in: Volksstimme, 13.4.2016. 2.6.2016, unter: www.mz-web.de/mitteldeutschland/ Bock, Michael (2016b): Poggenburg gerät in die Sack- landespolitik-sachsen-anhalt/ruecktritt--afd-politiker- gasse, in: Volksstimme, 23.6.2016. daniel-rausch--der-sieben-minuten-mann-24162210 Bock, Michael (2016c): Mittelstädt ist Vizepräsident, [30.11.2017]. in: Volksstimme, 30.9.2016. Fuchs, Christian/Middelhoff, Paul (2017): «Mit Bock, Michael (2016d): Poggenburg gewinnt Macht- Waffen und ohne», in: Die Zeit, 29.6.2017. kampf, in: Volksstimme, 23.5.2016. Kissmann, Christopher (2016a): AfD-Politiker fordert Bock, Michael (2016e): Streit in der AfD spitzt sich zu, Allianz mit Pegida, in: Volksstimme, 11.5.2016. in: Volksstimme, 5.7.2016. 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Bock, Michael (2017e): Kandidaten gehen auf AfD- Kissmann, Christopher (2017c): Roi bleibt in der AfD- Chef los, in: Volksstimme, 11.4.2017. Fraktion, in: Volksstimme, 3.2.2017. Bock, Michael (2017f): Landes-AfD kürt Spitzenkandi- Kissmann, Christopher (2017d): Poggenburg teilt daten, in: Volksstimme, 26.3.2017. gegen Gegner aus, in: Volksstimme, 15.4.2017. Bock, Michael (2017g): AfD-Spitzenkandidat greift Kissmann, Christopher/Bock, Michael (2016a): Bundesvorstand an, in: Volksstimme, 5.4.2017. Landesvorstand watscht Spitzenmann ab, in: Volks- Clasmann, Anne-Beatrice (2016): Die AfD verschiebt stimme, 6.8.2016. ihren Fokus. Weg vom Asyl, hin zum Islam, in: Volks- Kissmann, Christopher/Bock, Michael (2016b): Till- stimme, 18.4.2106. schneider verunglimpft Christen, in: Volksstimme, Du bist Halle (2016): AfD-Landtagsabgeordneter 27.5.2016. spricht vor rechter Bewegung aus Halle, unter: https:// Kissmann, Christopher/Bock, Michael (2017a): AfD- dubisthalle.de/afd-landtagsabgeordneter-spricht-vor- Spitze droht mit Rausschmiss, in: Volksstimme, rechter-bewegung-aus-halle [30.11.2017]. 28.1.2017. Eichler, Hagen (2016a): AfD schaltet Wahlkampf- Kissmann, Christopher/Bock, Michael (2017b): Streit modus aus, in: Volksstimme, 22.3.2016. in der AfD eskaliert, in: Volksstimme, 6.4.2017. Eichler, Hagen (2016b): Internet-Hetze holt AfD-Mann Kissmann, Christopher/Bock, Michael (2017c): ein, in: Volksstimme, 2.6.2016. Poggenburg: «So geht das einfach nicht», in: Volks- Eichler, Hagen (2016c): AfD-Politiker stellt einstigen stimme, 8.6.2017. NPD-Mann ein, in: Volksstimme, 22.4.2016. Kranert-Rydzy, Hendrik (2016): Zuschüsse für Frakti- Eichler, Hagen (2016d): Pegida-Mitgründerin sucht onen im Landtag. AfD sichert sich weitere 138.000 Nähe der AfD, in: Volksstimme, 31.5.2016. Euro, in: Mitteldeutsche Zeitung, 30.3.2016. Eichler, Hagen (2016e): Poggenburg auf Distanz zu Kunze, C. (2016): Alter und neuer Landeschef: André Petry, in: Volksstimme, 29.4.2016. Poggenburg, unter: https://afd-lsa.de/allge- Eichler, Hagen (2016f): Schwulenfeindlicher mein/2016/05/alter-und-neuer-landeschef-andre- Zwischenruf ist amtlich, in: Volksstimme, 21.6.2016. poggenburg/ [30.11.2017]. 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Landtag von Sachsen-Anhalt – Drucksache 7/37 Landtag von Sachsen-Anhalt – Drucksache 7/72

51 Auftreten und Parlamentspraxis der AfD Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl 2016

Landtag von Sachsen-Anhalt – Drucksache 7/280 Mitteldeutscher Rundfunk (2016c): AfD Chef Landtag von Sachsen-Anhalt – Drucksache 7/286 Poggenburg erntet Shitstorm für Tweet, unter: www. Landtag von Sachsen-Anhalt – Drucksache 7/889 mdr.de/sachsen-anhalt/afd-chef-poggenburg-erntet- Landtag von Sachsen-Anhalt – Drucksache 7/1044 shitstorm-fuer-tweets-100.html [30.11.2017]. Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/5 Mitteldeutscher Rundfunk (2016d): Interview mit Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/7 André Poggenburg, unter: www.mdr.de/nachrichten/ Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/9 identitaere-bewegung-im-harz-100_zc-fd08c406_ Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/10 zs-950f04ff.html [6.4.2017]. Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/11 Patriotische Plattform (2016): WIR SIND IDENTITÄR!, Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/12 unter: https://archive.is/zZkjh [30.11.2017]. Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/14 Poggenburg, André, u. a. (2016): «Magdeburger Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/15 Erklärung zur Frühsexualisierung», unter: http://www. Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/16 afdfraktion-lsa.de/wp-content/uploads/2016/11/ Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/17 Fruehsexualisierung.pdf [30.11.2017]. Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/19 Rath, Marc (2016): Poggenburg will Sieg wie Trump, Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/20 in: Volksstimme, 12.11.2016. Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/21 Roi, Daniel u. a. (2016): «Ruf der Vernunft aus Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/22 Sachsen-Anhalt», unter: www.mz-web.de/ Landtag von Sachsen-Anhalt – Stenograf. Bericht 7/73 blob/24261838/ Machowecz, Martin (2016): Wir sind dagegen!, in: c4150eade02621b677a6c10d16afce81/d-afd- Die Zeit, 8.9.2016. 200616-data.pdf [1.2.2018]. Miteinander e. V. (2017): Kulturkampf von rechts. Ein Sachsen-Anhalt Rechtsaußen (2016): AfD Sachsen- Jahr AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt, Magde- Anhalt, neonazistische Burschenschaften und Identi- burg. täre Bewegung, unter: https://lsa-rechtsaussen.net/ Miteinanderaktuell, unter: www.miteinander-ev.de/ afd-sachsen-anhalt-neonazistische-burschen- index.phb?action=download&id=528v. schaften-und-identitaere-bewegung/ [30.11.2017]. Mitteldeutscher Rundfunk (2016a): Poggenburg Schierholz, Alexander/Eichler, Hagen (2017): AfD- bleibt AfD-Fraktionschef, unter: www.mdr.de/ Auftritt an Uni Magdeburg. In problematischer Gesell- sachsen-anhalt/landespolitik/wiederwahl-poggen- schaft, in: Mitteldeutsche Zeitung, 17.1.2017. burg-afd-fraktion-100.html [30.11.2017]. Steiner, Thomas (2015): Die AfD stellt sich neu auf: Mitteldeutscher Rundfunk (2016b): Zulagen: Frakti- «Wir sind die Pegida-Partei», in: Badische Zeitung, onen werfen AfD Augenwischerei vor, unter: www. 6.7.2015. mdr.de/sachsen-anhalt/landespolitik/streit-funktions- Tagesschau (2017): Faktenfinder v. 21.6.2017, unter: zulagen-landtag-100.html [30.11.2017]. http://faktenfinder.tagesschau.de/inland/afd- leaks-101.html [30.11.2017].

52 Entwicklung der AfD im Landkreis Stendal

4 ENTWICKLUNG DER AFD IM LANDKREIS STENDAL

4.1 ORGANISATIONSENTWICKLUNG Scheiben gingen zu Bruch. Der Kreisverband setze 4.1.1 Allgemeine Entwicklung der Parteistruktur 500 Euro Belohnung aus. Eine Belohnung in gleicher Nach eigenen Angaben wurde der Kreisverband der Höhe wurde auch im Januar 2017 für Hinweise zu ei- AfD Stendal am 19. Februar 2014 gegründet. Die Grün- nem Sprayer, der zahlreiche «Fick die Kripo»-Sprüherei- dung fand damit fast ein Jahr nach der Gründung des en in Stendal platziert hatte, ausgesetzt. Die nächsten Landesverbands Sachsen-Anhalt sowie deutlich nach Angriffe auf das Büro mit zerstörten Scheiben folgten der Parteigründung und nach der Bundestagswahl im September 2016, mit Sprühereien «Fuck Nazis» im 2013 statt, gleichzeitig aber unmittelbar vor den Wah- März 2017 (auch hier versprach man 600 Euro Beloh- len zum Europaparlament und den Kommunalwahlen nung für Hinweise) sowie mit Teerfarbe und Sprüherei- im Landkreis Stendal am 25. Mai 2014. Bei Facebook – en Ende April 2017, wobei die AfD von einem Schaden bis heute zentrales Medium des Verbands – wurde ei- in Höhe von 20.000 Euro sprach (AfD Stendal FB). ne eigenes Profil Mitte Juni 2014 unter www.facebook. In regelmäßigen Abständen informierte die Par- com/afd.stendal/ angelegt. Erst zum Jahresende 2016 tei über Neueintritte, bei denen es sich vor allem um ging die eigene Homepage unter afd-stendal.de online. männliche und im Durchschnitt recht junge Menschen Zu den Mitgliedern der ersten Stunde gehörten unter handelt, die zuvor nicht Mitglied einer anderen Partei anderem die heutigen Aktivposten aus Stendal und gewesen waren. Öffentlichkeitswirksame Parteiwech- Tangermünde Dietrich Gehlhar (seither Kreisvorsitzen- sel vollzogen Ulrich Siegmund, der zuvor CDU-Mit- der), Matthias Büttner sowie Vater und Sohn Andreas glied gewesen war, und Arno Bausemer, der im Janu- und Ulrich Siegmund. In einem AfD-Post zur «Feier» des ar 2016 von der FDP aus übertrat. Vor allem im Zuge über einjährigen Bestehens hieß es am 26. April 2015: der Landtagswahlen stieg im März 2016 die Anzahl der Wir sind Bürger aus allen Teilen der Gesellschaft und aus Mitglieder auf schätzungsweise über 30 an (ebd.). allen Altersgruppen; und doch vereint uns etwas: Die Liebe Am 18. März 2017 wurde ein regionaler Ableger des zu unserer Heimat, das Unverständnis über die Handlun- AfD-Jugendverbands «Junge Alternative» in einem gegen unserer Regierung und der Wille, selbst mit anzupa- samt-altmärkischen Kreisverband gegründet. Als «ak- cken. Dies wird über Generationen hinweg die letzte Chan- tive Patrioten» wolle man «die Rückkehr zu Recht und ce sein, unsere kulturelle Identität zu erhalten und ihrer Ordnung in Deutschland und besonders in der Altmark Historie entsprechend weiterzuentwickeln. Wir sprechen stärken» (ebd.). Mit Jan Wenzel Schmidt, Frank Pase- unverblümt die Wahrheit aus und lassen uns nicht den mann und Martin Reichardt als Gästen wurde Arno Mund verbieten! […] Egal wo Du herkommst, egal wie alt Bausemer zum Vorsitzenden sowie Matthias Fritze zu Du bist und egal was Du gelernt oder studiert hast. Bei uns seinem Stellvertreter gewählt (ebd.). zählt der Mensch. (AfD Stendal FB) Auf dem Kreisparteitag nach dem ersten eigenen 4.1.2 Einbindung in die Strukturen Wahlantritt kamen Ende November 2015 16 Mitglieder der Gesamtpartei zusammen. Einstimmig wiedergewählt wurde Dietrich Mit zunehmender Festigung der Kreisstruktur wuchs Gehlhar aus Tangermünde als Kreisvorsitzender. Dar- auch die Einbindung des Kreisverbands in Strukturen über hinaus wurden Stefan Brinkmann als Schriftfüh- der Gesamtpartei. Waren es zu Beginn vor allem me- rer, Matthias Büttner als stellvertretender Vorsitzender, diale und einzelne praktische Begleitungen von Wahl- Christopher Opitz als Kassenwart und Ulrich Siegmund kämpfen in den benachbarten Bundesländern (u. a. in als Beisitzer/Presseverantwortlicher in den Vorstand Wittenberge während der Landtagswahl 2014 in Bran- gewählt. Später wurde, auch um dem Mitglieder - denburg), steigerte sich dies zunehmend. Bereits 2015 wachstum Rechnung zu tragen, der Vorstand um An- war man Gastgeber eines Landesparteitags gewesen, dreas Siegmund (Organisationsbeauftragter) und Su- der am 18. April in Ziegenhagen in der Nähe von Sten- sanne Schubert (Beisitzerin) erweitert. Statt Brinkmann dal stattgefunden hatte. Auch die Mitglieder aus Sten- fungiert aktuell Burkhard Jochemzyk als Schriftführer dal reisten zu Parteitagen. Zum ersten Mal dokumen- (AfD Stendal I). tiert wurde die Reise zum Parteitag in Hannover Ende Während zunächst Privaträume für die Treffen ge- November 2015. Die Teilnahme am Stuttgarter Partei- nutzt wurden, gelang es im Zusammenhang mit dem tag im Mai 2016 mit drei Vertretern (Büttner, Bausemer Wahlerfolg bei den Landtagswahlen 2016 und der fi- und Siegmund) wurde durch ein «Selfie» mit Alexander nanziellen sowie strukturellen Stärkung durch den Mit- Gauland festgehalten (ebd.). gliederzuwachs, eigene Räumlichkeiten zu mieten. Auffällig war die Zurückhaltung in Hinblick auf die Das Abgeordnetenbüro von Ulrich Siegmund und die meisten innerparteilichen Turbulenzen. Weder die Kreisgeschäftsstelle in der Stendaler Innenstadt wur- Querelen um Bernd Lucke noch der Streit zwischen den im April 2016 bezogen und offiziell am 1. Juli 2016 den Flügeln in den Jahren 2015 und 2016 wurden eingeweiht. Als Büromitarbeiter beschäftigte Sieg- kommentiert. Erst im Februar 2017 gab es eine Positio- mund Matthias Büttner. Bereits zwei Wochen später nierung, als der Stendaler Kreisverband zusammen mit wurde das neue Büro erstmals Ziel eines Angriffs und allen anderen Kreisverbänden in Sachsen-Anhalt eine

53 Entwicklung der AfD im Landkreis Stendal

Erklärung verabschiedete, die den Bundesvorstand dikalisierenden Personen in der Öffentlichkeit. Gegen- aufforderte, «das Parteiausschlussverfahren gegen seitige «Besuche» wurden im Unterschied dazu wohl Björn Höcke zurückzunehmen und die Partei einheit- als weniger problematisch empfunden: Sowohl Sym- lich in den Bundestagswahlkampf zu führen. Ziel muss pathisant_innen als auch die Gründungsmitglieder der es sein, ein möglichst gutes Wahlergebnis für die AfD Bürgerbewegung Altmark nahmen an späteren AfD- zu erzielen, damit endlich Politik für unser deutsches Veranstaltungen teil und bekundeten mehrmals ihre Volk gemacht wird» (ebd.). Sympathien für die Partei (vgl. hierzu Brahms 2016a u. In den Landesstrukturen ist die Partei seit 2016 durch Presseservice Rathenow 2016). Arno Bausemer und Matthias Büttner vertreten. Nach So kamen zum Beispiel auch Gäste aus diesen Rei- den Zerwürfnissen im Landesvorstand rückte Arno hen zu einer größeren Veranstaltung, die die Partei im Bausemer als stellvertretender Schatzmeister für die Zuge des Landtagswahlkampfs auf die Beine stellte: zurückgetretene Yvonne Sturm nach. Nach Teilnah- Am 25. Februar 2016 begrüßte man das Bundesvor- men an Veranstaltungen der «Jungen Alternative» standsmitglied Georg Pazderski in Tangermünde. Auf rückte die Kreis-AfD durch Matthias Büttner auch per- dem Elbe-Ausflugsdampfer «Präsident» sprach er – sonell in die Landesstrukturen der «Jungen Alternati- nach eigenen Angaben vor 120 Besucher_innen – über ve» auf, als er am 25. November 2017 in deren Landes- die europäische Sicherheits- und Außenpolitik. Zu- vorstand gewählt wurde (ebd.). gleich diente die Veranstaltung auch als Wahlkampf- auftritt für den Direktkandidaten zur Landtagswahl, 4.2 PARTEIARBEIT UND THEMENAGENDA Ulrich Siegmund, der 2016 über die Liste in den neuen 4.2.1 Aktivitäten der Kreispartei Landtag einzog. Ab der Jahresmitte 2015 lud die Stendaler AfD zu öf- Um dem Versprechen der Bürgernähe öffentlich- fentlichen Veranstaltungen ein. Den Auftakt mach- keitswirksam nachzukommen, trat Siegmund in den te am 17. Juni 2015 eine Veranstaltung mit dem Titel ersten Monaten nach der Wahl auch mit einigen öf- «Asylbewerberheime und Bürgerbeteiligung». Als Gäs- fentlichen Bürgersprechstunden in Erscheinung, ein te waren Steffen Schroeder, Landeschef der «Jungen Angebot, das jedoch nach und nach einschlief. Neben Alternative» in Sachsen-Anhalt, der Brandenburger JA- Infoständen wurden andere Gelegenheiten genutzt, Landeschef Jean-Pascal Hohm sowie die AfD-Funkti- sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, so unter anderem onäre Daniel Roi und André Poggenburg geladen. Un- bei zwei Stendaler Firmenläufen, bei denen die Kreis- ter den Gästen war auch Andreas Kalbitz, Mitglied des AfD eine eigene Staffel ins Rennen schickte. Geplant Landesparlaments Brandburg. Anlässlich der Wieder- war auch die Teilnahme André Poggenburgs und Ul- holungswahl zur Stendaler Stadtratswahl trat die AfD rich Siegmunds an einer Podiumsdiskussion «Check- auch mit einer Aktion in der Stendaler Innenstadt in Er- point Demokratie» im Theater der Altmark in Sten- scheinung: Gemeinsam mit Landeschef Poggenburg dal – die Schauspielerin Renan Demirkan hatte im und einem halben Dutzend Sympathisant_innen trug September 2016 «zum Gespräch über Demokratie und man symbolisch die «Demokratie zu Grabe» – ausge- Rassismus» eingeladen. Nach Kontroversen unter den stattet mit einem schwarzen Sarg und Schildern mit Organisator_innen über die AfD-Teilnahme wurde die- der Aufschrift «Wahlbetrüger abwählen» schaffte es se kurzfristig abgesagt – worauf im Anschluss in der die Aktion bis in die MDR-Nachrichten «Sachsen-An- AfD gern mit dem «Märtyrer-Narrativ» Bezug genom- halt heute» (ebd.). men wurde (Brahms 2016b). Die aufkommenden Proteste gegen die Flüchtlings- Seit September 2016 erprobt die Kreis-AfD ein neu- politik der Bundesregierung wurden zunächst vor ales Aktionsformat in ihrer Geschäftsstelle, sogenann- lem medial begleitet und dadurch unterstützt. Als sich te Bürgerstammtische: Am Vormittag jedes ersten auch in Stendal eine flüchtlingsfeindliche Bewegung Sonntags im Monat kommen Mitglieder und Sym- formierte, hielt sich der Kreisverband jedoch weitge- pathisant_innen zusammen, um sich über politische hend zurück. Die rassistische Bürgerbewegung Alt- Themen auszutauschen. Im Februar 2017 hieß es, mark veranstaltete am 25. Oktober 2015 einen großen man sei mit 32 Besucher_innen an seine räumlichen Aufmarsch. Als Unterstützer fungierten «Bürgerbe- Grenzen gestoßen. Ähnlich gut besucht soll auch ein wegte» aus dem brandenburgischen Havelland sowie Sommerfest im Juni 2017 gewesen sein. Im August Personen aus flüchtlingsfeindlichen und extrem rech- 2017 fand der Stammtisch zum ersten Mal außer- ten Zusammenschlüssen aus Sachsen-Anhalt, unter halb der Kreisstadt in Tangerhütte statt. Auch die Ver- anderem von Magida, der NPD, aus dem Umfeld der anstaltungsreihe der Landtagsfraktion mit dem Titel Kameradschaften und Autonomen Nationalisten sowie «Fraktionsdialog» machte Station im Landkreis Sten- Sympathisant_innen der «Identitären Bewegung». Ei- dal: Oliver Kirchner (1. stellv. Fraktionsvorsitzender nige Mitglieder, darunter auch Matthias Büttner, tauch- und Sprecher für Arbeit, Soziales und Integration) und ten zu Beginn der Veranstaltung an deren Rand auf, Ulrich Siegmund (gesundheitspolitischer Sprecher) beteiligten sich dann aber nicht am anschließenden informierten am 28. Juni 2017 in Tangermünde zu Fra- Marsch durch die Stadt. An den weiteren Aufmärschen gen der Gesundheits-, Familien- und Bildungspolitik nahmen sie ebenfalls nicht teil und vermieden damit sowie zu den Themen Asyl und Innere Sicherheit (AfD ein gemeinsames Auftreten mit diesen sich weiter ra- Stendal FB).

54 Entwicklung der AfD im Landkreis Stendal

4.2.2 Entwicklung der inhaltlichen Ausrichtung Drastisch in der Wortwahl traten einzelne Mitglie- Die Themen, die die Kreis-AfD vor allem in den sozi- der vor allem in den sozialen Netzwerken auf. Ein be- alen Netzwerken aufgriff, spiegeln den Grundtenor sonderes Beispiel bot Arno Bausemer, der unter ander Gesamtpartei wider. Zu Beginn standen vor allem derem einen Prozess gegen einen 34-jährigen Iraner die Rundfunkgebühren sowie die Themen Sicher - wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen heit, Europa und Euro-Rettung mit einer starken Kri- auf der AfD-Facebook-Seite am 23. Februar 2016 fol- tik an den Krisenländern im Vordergrund. Vereinzelt gendermaßen kommentierte: «Dieses Schwein gehört wurde auch auf die Themenbereiche Asyl und Migra- lebenslang weggesperrt, und zwar in den dreckigsten tion sowie «Frühsexualisierung» und Gender Bezug Knast von Teheran! Wenn man den Artikel richtig liest, genommen. Kritisch betrachtet wurden auch das Er- dann wurde dieser Untermensch ja von seiner Anwäl- neuerbare-Energien-Gesetz und auch der eingeführte tin sogar noch zur Lüge vor Gericht angestiftet. Einfach Mindestlohn. Zu diesem äußerte man: «Die AFD for- nur widerlich.» Er war es auch, der in Schönhausen/ dert die Abschaffung vom Mindestlohn, besonders in Elbe zusammen mit Matthias Büttner und Jan Wen- Sachsen-Anhalt sind Arbeitsplätze gefährdet! Wäh- zel Schmidt vor Kanonen vor dem Bismarck-Museum rend viele um Ihren Job bangen, verhandelt Merkel posierte. Später unterstützte die AfD in einem Post am schon nützliche Schlupflöcher für Presse und CDU» 11. August 2016 auch die Wiederaufstellung eines Ge- (ebd.). Geteilt wurden vor allem Beiträge aus großen denksteins für die Wenck-Armee (ein Wehrmachtsver- und anerkannten privaten und öffentlichen Medien- band, der Hitlers letzte Hoffnung zur Befreiung Berlins anstalten. Zuweilen bediente man sich aber auch bei sein sollte, an der Elbe gegen die Rote Armee kämpfte der Jungen Freiheit oder bei dem Sender RT (ehemals und sich dann westlich der Elbe den Amerikanern er- Russia Today). Wirklich eigene Äußerungen waren sel- gab) in Schönhausen mit den Worten: «Ein Land, das ten. Medial begleitet wurden auch die Arbeit und die seiner gefallenen Soldaten nicht mehr gedenkt, ist am Äußerungen der Europaparlamentarier_innen, vor al- Ende» (AfD Stendal FB). lem von Bernd Lucke und Beatrix von Storch. Großen Raum nahm als lokales Thema vor allem der Stendaler 4.3 WAHLERGEBNISSE UND Wahlbetrug ein und auch die aufkommende Pegida- PARLAMENTARISCHE ARBEIT Bewegung wurde wohlwollend reflektiert (ebd.). 4.3.1 Überblick zu Wahlteilnahmen In der ersten Jahreshälfte 2015 wurden auf der Face- und -ergebnissen book-Seite zunehmend auch eigene Verlautbarungen Noch bevor es Kreisstrukturen der AfD im Landkreis durch Pressesprecher Ulrich Siegmund veröffentlicht. Stendal gab, fanden 2014 die Europawahlen statt. Zu dem breiten Themenspektrum gehörte: Euro-Ret- Dabei erhielt die Partei in Stendal 2.132 bzw. 5,3 Pro- tung, Fracking, die Sommerzeit, der Ausbau der A14, zent der Stimmen (Statistisches Landesamt 2014). Bei aber auch Themen des Tierschutzes. Ab der zweiten der Stadtrats- und Kreistagswahl in Stendal 2014 trat Jahreshälfte 2015 verschob sich der Fokus hin zu einer sie nicht an. Aufgrund einer Fälschung der Briefwahl deutlichen Kritik an der Flüchtlingspolitik und zu Wer- durch ein CDU-Mitglied wurde eine Wiederholung der bung für die Protestveranstaltungen der AfD «gegen Stadtratswahl nötig, die der Kreis-AfD die erste Chan- das Politikversagen», zu denen der Landesverband in ce zu einem eigenen Wahlantritt bot.9 Im Februar 2015 Sachsen-Anhalt aufrief. Gäste bei diesen Demonstra- verkündete man, bei den Wahlen, die am 21. Juni 2015 tionen waren unter anderem Björn Höcke, Alexander stattfinden sollten, mit zwei Kandidaten anzutreten. Gauland, Frauke Petry und Andreas Kalbitz. Auch der Der beruflichen Tätigkeit Ulrich Siegmunds geschul- Ton gegenüber den anderen Parteien wurde zuneh- det (er hat ein Unternehmen gegründet, das Raumbe- mend schärfer und die Wortwahl in Hinblick auf das duftungen anbietet), verteilte die AfD duftende Flyer Themengebiet drastischer. So sprach man in einem im Stadtratswahlkampf. Zudem brachte sie es in die Statement am 13. Januar 2016 von einem «suizidären landesweiten Nachrichten mit der bereits erwähnten Selbstvernichtungskurs» durch die Flüchtlingspolitik. Aktion, die «Demokratie zu begraben». Zur Wahl tra- Mit den näher rückenden Landtagswahlen verschob ten der damals 24-jährige Informatiker Matthias Bütt- sich der Fokus dann verständlicherweise auf Spen - ner sowie der 28-jährige Vertriebsleiter Tom Klein an. denaufrufe und auf Aufrufe, sich an der Materialvertei- Im Wahlkampf versprachen sie frischen Wind, Bürger- lung zu beteiligen. Die Wahlen bezeichnete man in ei- nähe und Heimatverbundenheit und sprachen sich für nem Post am Wahltag, dem 13. März 2016, als «unsere direkte Demokratie, Tier- und Umweltschutz, Schul- Chance, einen neuen und besseren Weg einzuschla- denabbau und eine «humanitäre Asylpolitik» aus. Am gen. Es ist wieder Zeit, die eigenen Gesetze einzuhal- Ende reichte das Ergebnis von 612 bzw. 2 Prozent der ten, den europäischen Frieden zu bewahren und eine Stimmen (Landkreis Stendal 2015), das mit einem Politik zum Wohle des deutschen Volkes zu gestalten» Dutzend Mitgliedern und Sympathisant_innen auf ei- (ebd.). Nach dem Einzug der AfD in den Landtag rich- ner Garagenparty gefeiert wurde, für den Kandidaten tete sich die Arbeit der Kreis-AfD vor allem auf die me- Matthias Büttner, um in den Stendaler Stadtrat einzu- diale Begleitung landespolitischer Themen und auf die Auftritte des Stendaler AfD-Abgeordneten Ulrich Sieg- mund (ebd.). 9 Vgl. hierzu auch https://de.wikipedia.org/wiki/Stendaler_Wahlbetrug.

55 Entwicklung der AfD im Landkreis Stendal

ziehen, dem er seither angehört (AfD Stendal FB). Das lich und schied mit nur 317 Stimmen (8,7 Prozent) und beste Ergebnis erreichte die AfD in einem Wahllokal im dem damit schlechtesten Ergebnis aller Bewerber_in- Stendaler Stadtteil Stadtsee mit 5 Prozent. Über seine nen vor der Stichwahl aus (Statistisches Landesamt physische Präsenz in der Kommunalvertretung ist das 2017a). Engagement von Matthias Büttner bisher jedoch nicht Am 21. Januar 2017 läutete die AfD in der gesam- hinausgegangen. Er entfaltete keinerlei eigene Aktivi- ten Altmark dann die Vorbereitungen für die Bundes- täten, sondern nahm lediglich an den Sitzungen und an tagswahlen 2017 ein. Die beiden Kreisverbände in der der Abstimmung über Anträge anderer Fraktionen teil. westlichen und östlichen Altmark kürten den Stendaler Die erste große Wahl stand mit den Landtagswah- Matthias Büttner, der sich «mit ganzem Herzen» für sei- len am 16. März 2016 an. Im Wahlkampf wurde plaka- ne «Heimat und für unser deutsches Vaterland» einset- tiert und regelmäßig zu Spenden aufgerufen und auch zen wollte, in Bismark im Landkreis Stendal zu ihrem dazu, Beschädigungen zu melden sowie Täter auf «fri- Direktkandidaten im Wahlkreis 66 Altmark. Er erhielt scher Tat» zu stellen und das Geschehen zu fotografie- 28 von 30 möglichen Stimmen auf der Versammlung ren. Lediglich in einem der drei Wahlkreise, im Land- beider Kreisverbände. Auf dem chaotischen Wahlpar- kreis Stendal, stellte man mit dem Tangermünder Ulrich teitag in Badebron wurde Büttner Ende März 2017 hin- Siegmund einen Direktkandidaten. Die beiden anderen ter Martin Reichhardt und Frank Pasemann auf den Wahlkreise blieben von der AfD unbesetzt. Prominente- dritten Platz der Liste der Landes-AfD für die Bundes- re Unterstützung erhielt Siegmund unter anderem bei tagwahlen und damit auf einen aussichtsreichen Platz einer Wahlkampfveranstaltung in Tangermünde von gewählt. Kommentar der Kreis-AfD: «Jetzt werden wir dem Berliner AfD-Funktionär Georg Pazderski. Auch im die Ärmel hochkrempeln und den Linkspopulisten und ostelbischen Schönhausen wurde eine Veranstaltung Rechtsbeugern eine gesunde Portion Patriotismus ent- abgehalten, die zu Kandidaten und Programm der AfD gegenstellen!» (AfD Stendal FB). informieren sollte. Brandenburgische Unterstützung Der Wahlkampf wurde aufwendiger als sonst ge- kam kurz vor der Wahl auch in Form eines Besuchs von führt: So wurden Plakate geklebt und verschiedene Andreas Kalbitz, der in einem Stendaler Hotel zum The- Besuche abgestattet, so unter anderem bei der ge- ma «Asylchaos» sprach und dabei nach eigenen Anga- gen einen Windparkbau gerichteten Bürgerinitiative ben von 30 Besucher_innen empfangen wurde. «Pro Jeetzetal» und einer Stendaler Grundschule. Ne- Im Landkreis Stendal erhielt die AfD 5.459 und da- ben einem Wahlkampfmobil, einer Schwalbe und einer mit 25 Prozent der Stimmen, im Landkreis Havel- Simson 51 in blau kam in der Schlussphase des Wahl- berg-Osterburg 5.524 Stimmen (24,2 Prozent) und im kampfes auch noch ein VW-Polo in «AfD-Blau» zum Landkreis Jerichower Land/Wahlkreis Genthin bekam Einsatz. Sogar ein Flugzeug-Werbebanner für die AfD sie 6.271 Stimmen (25,2 Prozent). Dort war auch Ul- war in den drei Tagen vor der Wahl am Himmel über rich Siegmund angetreten und als Direktkandidat mit Stendal zu sehen. 27,4 Prozent denkbar knapp an seinem CDU-Gegner Auffällig war, anders als bei Ulrich Siegmund, das gescheitert, der auf 30,5 Prozent kam. Über den Lis- fast vollständige Fehlen des Kandidaten Büttner bei den tenplatz 15 gelang Siegmund dennoch der Einzug in öffentlichen Wahlforen. Lediglich bei der Havelberger den neuen Landtag (Statistisches Landesamt 2016). Pionierkameradschaft war er zugegen. Teilgenommen Damit lag man auf dem Niveau des Landesergebnis- hat er auch an einem «Dialog» im Stendaler Stadtteil ses von 24,3 Prozent der Zweitstimmen. In der Stadt Stadtsee. Im Tandem standen Politiker dort Anwohner_ Stendal kam man in neun Wahllokalen (davon auch in innen und Passant_innen Rede und Antwort. Sein Auf- den vier im Stadtteil Stadtsee) und im Landkreis in 27 tritt mit dem FDP-Kandidaten Marcus Faber sorgte für weiteren Lokalen über die 30-Prozent-Marke. Absolu- besonderes mediales Echo. Von Faber auf die Äußerun- te Spitzenwerte hatte man in den Ortschaften Schar- gen von Beatrix von Storch zum Waffeneinsatz gegen libbe (46,5 Prozent/40 Stimmen) und Gagel (53,7 Pro- Flüchtlinge angesprochen, wich Büttner erst aus und zent/29 Stimmen) erzielt (ebd.). Der Erfolg wurde sprach dann von der Notwendigkeit für Grenzschützer, folgendermaßen kommentiert: sich bei Gefahr wehren zu können oder «wenn jemand Dass am Ende immer das Gute siegt, wurde uns gestern illegal oder böswillig die Grenze übertritt». Er verglich Abend bewiesen. Wir sind sprachlos und unendlich dank- die Situation an der Grenze mit einem Einbruch im ei- bar für das Vertrauen, welches über 24 Prozent der Wähler genen Haus. Der FDP-Politiker ließ nicht locker und in Sachsen-Anhalt in uns gesetzt haben. Bis tief in die Nacht fragte immer wieder, ob er auch auf Frauen und Kinder feierten wir mit insgesamt etwa 35 Mitgliedern, Freunden schießen lassen würde. Schließlich sagte Büttner «Ja», und Sympathisanten, welche nach und nach in unsere Ge- was Faber sogleich in den sozialen Netzwerken kom- schäftsstelle einkehrten. (AfD Stendal FB) mentierte. Büttner sprach im Anschluss von aus dem Die nächste kommunalpolitische Abstimmung bot sich Zusammenhang gerissenen Worten in einer aufgeheiz- der AfD am 23. Oktober 2016 mit den Wahlen für den ten Gesprächssituation und verwehrte sich «dagegen, Posten des Verbandsgemeinde-Bürgermeisters im El- auch wenn Herr Faber es mir immer und immer wie- be-Havel-Land. Dort trat das aus der Region stammen- der in den Mund legen wollte, auf unbewaffnete Men- de Ex-FDP-Mitglied Arno Bausemer an. Sich sicherlich schen zu schießen. Von dieser Inhumanität distanziere gute Chancen ausrechnend, scheiterte er jedoch kläg- ich mich natürlich völlig» (Lyko 2016).

56 Entwicklung der AfD im Landkreis Stendal

Die Hauptveranstaltung in Büttners Wahlkampf stell- Auch außerhalb des Plenarsaals war er aktiv: etwa te ein Bürgerforum der AfD am 13. September 2017 in als Initiator einer interfraktionellen Tagung in Magde- Tangermünde unmittelbar vor den Wahlen dar, dem burg im November 2016, die ein Papier gegen «Frühse- laut AfD 100 Personen beigewohnt haben sollen. Da- xualisierung» von Kindern entwarf (vgl. hierzu Kapitel bei wurde Büttner neben Ulrich Siegmund auch von 3.4.2). Drastische Worte fand Siegmund jüngst auch Spitzenkandidat Martin Reichhardt und Landeschef zu einer Aktion der Projektgruppe «Schule ohne Ras- Poggenburg unterstützt (AfD Stendal FB). Bei der Di- sismus» an einem Osterburger Gymnasium. Anlässlich rektwahl und auch bei den Zweitstimmen im Kreis nur der Wahlergebnisse der Bundestagswahl und ohne ex- Vierter, gelang wie zuvor Siegmund auch Büttner der plizite Nennung der AfD hatte die Projektgruppe ihre Sprung ins Parlament über die Landesliste. Während er Mitschüler_innen aufgerufen, mit bunten T-Shirts ein mit der Erststimme altmarkweit 10.926 Stimmen und Zeichen für Vielfalt und Toleranz zu setzen. Ein Artikel damit 17,5 Prozent erhielt, gaben 11.067 bzw. 17,7 Pro- in der Altmark Zeitung, der dies als «Zeichen gegen das zent der Wähler_innen der AfD ihre Zweitstimme. Auf- Abschneiden der AfD» deutete, rief wütende Reaktio- grund der landesweit erzielten 19,6 Prozent konnten nen der AfD hervor (Walter 2017). In einer Erklärung vier Abgeordnete der Landesliste in den neuen Bundes- diffamierte Siegmund die Aktion als «antidemokrati- tag einziehen (Statistisches Landesamt 2017b). sche Indoktrinierung», «Gehirnwäsche» und sprach Hochburgen im Landkreis Stendal bildeten auch von «Zustände[n] wie im Dritten Reich» (Altmark Zei- hier wieder die Stadtsee-Wahllokale sowie fünf wei- tung, 2.10.2017). tere Wahllokale in der Stadt Stendal mit Werten über 20 Prozent und einem Spitzenwert von 29 Prozent im Bernd Linke Stadtsee-Wahllokal «Pestalozzischule». In 27 weiteren Wahllokalen überschritt die AfD im Landkreis Stendal LITERATUR die 20-Prozent-Marke. Hochburgen dort waren unter AfD Stendal FB: Facebook-Auftritt der Alternative für anderem Werben (Elbe) mit 27,2 Prozent, Scharlibbe Deutschland/Kreisverband Stendal, unter: www.face- mit 28,9 Prozent, Sydow mit 34 Prozent, Jederitz mit book.com/afd.stendal/. 30,9 Prozent, Vehlgast-Kümmernitz mit 31,9 Prozent AfD Stendal I: Internetseite der Alternative für und Wanzer mit 29,3 Prozent (Landkreis Stendal 2017). Deutschland/Kreisverband Stendal, unter: https://afd- stendal.de/. 4.3.2 Bisherige parlamentarische Arbeit Brahms, Bernd-Volker (2016a): Nachhilfeabend zur Die bisherige parlamentarische Arbeit ist nur durch Ausstattung der Bundeswehr, in: Volksstimme, den Landtagsabgeordneten Ulrich Siegmund erfolgt. 27.2.2016. Während Matthias Büttner im Stendaler Stadtrat kei- Brahms, Bernd-Volker (2016b): TV-Star sprengt Sten- nerlei nennenswerte Aktivität gezeigt hatte, steht sei- daler Podium, in: Volksstimme, 9.11.2016. ne Bewährung im neuen Bundestag noch aus. Bei der Bausemer, Arno (2016): Private Facebook-Seite, Menge an Abgeordneten und der bisherigen Aktivität unter: www.facebook.com/photo.php?fbid=1010083 dürfte jedoch zu bezweifeln sein, dass er eine tragen- 239128728&set=a.388465644623827.1073741826.1 de Rolle in der neuen Fraktion einnehmen wird. Sieg- 00003811846697&type=3&theater [3.12.2017]. mund hingegen zeigte sich bisher deutlich aktiver. Er Landkreis Stendal (2015a): Wahlergebnisse der bekleidet in der Landtagsfraktion die Position des Spre- Wiederholung der Stadtratswahl 2015, unter: www. chers für Gesundheitspolitik. Insgesamt stellte er bis- statistik.sachsen-anhalt.de/wahlen/ew14/index.html her über 20 Kleine Anfragen, viele davon zum Thema [3.12.2017]. Gesundheitspolitik, aber auch zu anderen Themen, da- Landkreis Stendal (2016): Wahlergebnisse der Land- runter «Überprüfung von eigenem Vermögen bei Asyl- tagswahl 2016, unter: www.landkreis-stendal.de/ bewerbern», «Telekommunikationsüberwachung» static/wahlen/app/ltw2016.html [3.12.2017]. oder «Pflichtteilnahme an kulturellen Veranstaltungen Landkreis Stendal (2017): Wahlergebnisse der im Rahmen der erzieherischen Ausbildung». Daneben Bundestagswahl 2017, unter: www.landkreis-stendal. finden sich auch Anfragen mit Bezug zu seinem Wahl- de/static/wahlen/app/btw2017.html [3.12.2017]. kreis. Eine, unter dem Titel «Herz statt Hetze», fällt in Landtag von Sachsen-Anhalt (2017): Kleine Anfrage – den Kontext der parlamentarischen Antifa-Arbeit. Mit KA 7/75 «Herz statt Hetze», Drucksache 7/1390, unter: Bezug zu einer gegen einen rechten Aufmarsch in www.landtag.sachsen-anhalt.de/fileadmin/files/drs/ Stendal gerichteten Veranstaltung fragte Siegmund wp7/drs/d1390aak.pdf. unter anderem nach direkten und indirekten Förde- Lyko, Donald (2017): Ein verhängnisvolles «Ja», in: rungen der Initiative «Herz statt Hetze» durch die Lan- Volksstimme, 18.9.2017. desregierung und den Kosten für den Polizeieinsatz bei Presseservice Rathenow (2016): Tangermünde: Demonstrationen der Organisation «Thügida» sowie «Bürgerbewegung Altmark» blamiert sich, eine Gegendemonstration des Bündnisses «Herz statt 14.2.2016,unter: https://presseservicern.wordpress. Hetze» (Landtag von Sachsen-Anhalt 2017). Zudem com/2016/02/14/tangermuende-buergerbewegung- stand er selbst mehr als drei Dutzend Mal vor dem Ple- altmark-blamiert-sich-bei-kundgebung/ [5.3.2018]. num am Rednerpult.

57 Entwicklung der AfD im Landkreis Stendal

Statistisches Landesamt (2014): Ergebnis der Euro- Elbe-Havel-Land: unter: www.statistik.sachsen- pawahl 2014, unter: www.statistik.sachsen-anhalt.de/ anhalt.de/wahlen/vmvm/index.html [3.12.2017]. wahlen/ew14/index.html [3.12.2017]. Statistisches Landesamt (2017b): Ergebnis der Statistisches Landesamt (2016): Ergebnis der Land- Bundestagswahl 2017, unter: www.statistik.sachsen- tagswahlen 2016, unter: www.statistik.sachsen- anhalt.de/wahlen/bt17/index.html [3.12.2017]. anhalt.de/wahlen/lt16/index.html [3.12.2017]. Walter, Alexander (2017): Bunte T-Shirts erzürnen Statistisches Landesamt (2017a): Ergebnis der AfD, in: Volksstimme, 7.10.2017. Wahlen zum Verbandsgemeinde Bürgermeister im

Anlage 1: Übersicht und Information zu den Mitgliedern der AfD-Landtagsfraktion

Name geb. Vita/Beruf politische Vita Einzug/Wahlergebnis Funktion Gottfried Backhaus 1958 evangelisch-evangelikal, 1989–2013 Gründungsmit- Direktmandat WK 40 Ausschuss für Ernährung, verheiratet, vier Kinder/ glied Neues Forum (Quer- Querfurt mit 33,1 % Landwirtschaft und Forsten, selbst. Fahrlehrer und furt), 2013 AfD, Kreisvor- Ausschuss für Bildung und Orgelbauer sitz, Kommunalpolitik, Kultur Regionalverband stellv. Vorsitz, Christen in der AfD, Mitteldeutschland Matthias Büttner 1983 evangelisch, ledig/Unter- 2014 Wählergruppe UWG Direktmandat WK 17 Ausschuss für Landesent nehmer Salzland, 2014 AfD, Kreis- Saßfurt mit 32,1 % wicklung und Verkehr vorsitz, Kommunalpolitik Jens Diederichs 1963 konfessionslos, verhei- 1987–1990 SED, 2011– Direktmandat WK 32 Ausschuss für Petitionen, ratet, ein Kind/Diplom- 2014 SPD, 2014 AfD, Kreis- Eisleben mit 31,5 % Wahlprüfungsausschuss, Ingenieur- u. Pädagoge, vorsitz, Landesvorstand Ausschuss für Recht, Verfas- Justizvollzugsbeamter sung und Gleichstellung Robert Farle 1950 geschieden, zwei Kinder/ 1968–1992 DKP, Kommu- Direktmandat WK 33 Parlamentarischer Steuerberater, Rechtsan- nalpolitik, 2015 AfD Saalekreis mit 30,1 % Geschäftsführer, Ausschuss walt für Finanzen, Unteraus schuss Rechnungsprüfung, Ältestenrat Lydia Funke 1982 konfessionslos, ledig/ 2014 AfD, Kreisvorsitz, Landesliste, 30,8 % (2.) Ausschuss für Umwelt und Umweltwissenschaftlerin Landesvorstand WK 42 Naumburg Energie, Ausschuss für (M. Sc.), Bankkauffrau Bildung und Kultur Andreas Gehlmann 1974 verheiratet, zwei Kinder/ 2013 AfD Direktmandat WK 31 Ausschuss für Umwelt und Diplom-Ingenieur (FH) Sangerhausen mit Energie 30,3 % Thomas Höse 1967 Bundeswehrbeamter 2014 AfD Landesliste Ausschuss für Inneres und Sport Oliver Kirchner 1966 verheiratet, zwei Kinder/ 2014 AfD Direktmandat WK 1. Fraktionsvize, Ältestenrat, Automobilkaufmann Magdeburg I mit Ausschuss für Arbeit, Sozi- 23,9 % ales und Integration Hagen Kohl 1969 verheiratet, zwei Kinder/ 2013 AfD Landesliste, 14,2 % (4.) Ausschuss für Inneres und Verwaltungsbeamter WK Magdeburg II Sport, Ausschuss für Recht, beim LKA Verfassung und Gleichstel- lung, Wahlprüfungs- ausschuss Mario Lehmann 1970 verheiratet, zwei Kinder/ 2014 AfD, Landesvorstand Landesliste, 26,5 % (2.) 3. Fraktionsvize, Ausschuss Diplom-Verwaltungswirt WK 30 Quedlinburg für Inneres und Sport (FH), Kriminalhaupt kommissar Matthias Lieschke 1970 konfessionslos, 2014 AfD, Kommunalpo- Landesliste, 28,8 % (2.) Ausschuss für Wirtschaft, geschieden, zwei Kinder/ litik, Landesvorstand WK 25 Jessen Wissenschaft und Digitalisie- Karosserie- und Fahr- rung zeugbaumeister Hannes Loth 1981 evangelisch, verheiratet, 2013 AfD, Landesvorstand Landesliste, 26,2 % (2.) Ausschuss für Ernährung, ein Kind/Landwirt WK 22 Köthen Landwirtschaft und Forsten, Ausschuss für Recht, Verfas- sung und Gleichstellung, Wahlprüfungsausschuss, Ausschuss für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitali- sierung

58 Entwicklung der AfD im Landkreis Stendal

Name geb. Vita/Beruf politische Vita Einzug/Wahlergebnis Funktion Willi Mittelstädt 1947 konfessionslos, verhei- 1973–1989 SED, 2014 AfD Direktmandat WK 39 Vizepräsident des Landtages, ratet, ein Kind/Ingenieur Merseburg mit 32,4 % Ausschuss für Landesent für Chemieanlagen und wicklung und Verkehr, Rohrleitungsbau sowie Ältestenrat Wärme- und Kälteisolie- rung Andreas Mrosek 1958 konfessionslos, verhei- 2002–2012 CDU, Kommu- Direktmandat WK 26 Ausschuss für Landesent ratet, zwei Kinder/ nalpolitik, 2002 Listenkan- Dessau-Roßlau mit wicklung und Verkehr Diplom- Ingenieur für didat der Freiheitlichen 25,5 % Schiffsführung Deutschen Volkspartei, 2013 Bürgerbewegung WA, 2013 AfD, Kreisvor- sitz, stellv. Landesvorsit- zender Volker Olenicak 1966 konfessionslos, ledig, 2013 AfD, Kommunalpo- Direktmandat WK 29 Ausschuss für Umwelt und zwei Kinder/Kaufmann litik, Besuche auf Montags- Bitterfeld mit 33,4 % Energie, Ausschuss für demos und einmal Pegida Petitionen, Parlamentarische Kontrollkommission André Poggenburg 1975 ledig/Behälterbauer, 2013 AfD, seit 2014 Direktmandat WK 41 Fraktionsvorsitzender, Kaufmann Landesvorsitzender, Zeitz mit 31,6 % Ältestenrat Bundesvorstand, Kommu- nalpolitik, Höcke- und Flügel-Unterstützer Alexander Raue 1973 konfessionslos, ledig, 2000–2013 CDU, 2014 Direktmandat WK 35 Ausschuss für Wirtschaft, zwei Kinder/Angestellter AfD, Kommunalpolitik, Halle I mit 31,1 % Wissenschaft und Landesvorstand Digitalisierung Daniel Rausch 1963 verheiratet, vier Kinder/ 2013 AfD, Kreisvorsitz Landesliste Ausschuss für Bundes- und CNC-Programmierer Europa-Angelegenheiten sowie Medien Tobias Rausch 1990 ledig/Immobilienunter- 2013 AfD, 2014 kommissa- Landesliste, 24,9 % (2.) 2. Fraktionsvize, Ausschuss nehmer rischer Landesvorsitzender, WK 19 Schönebeck für Finanzen, Ausschuss für Kommunalpolitik Bundes- und Europa-Ange legenheiten sowie Medien, 15. Parlamentarischer Unter suchungsausschuss Daniel Roi 1987 ledig (mit S. Sauermann 2013 AfD, Landesvorstand, Direktmandat WK 28 Ausschuss für Ernährung, liiert)/Ingenieur Landwirt- Kommunalpolitik, 2015 Wolfen mit 31,0 % Landwirtschaft und Forsten schaft (B.S., FH) Mitarbeiter der Thüringer AfD-Fraktion, Initiator von «Ruf der Vernunft» Sarah Sauermann 1988 konfessionslos, ledig (mit 2013 AfD, Kommunal Direktmandat WK 21 Ausschuss für Petitionen D. Roi liiert)/Ing.-Archi- politik Bernburg mit 30,8 % tektur (M.A.) Jan Wenzel Schmidt 1991 konfessionslos, ledig, ein 2014 AfD, Landesvorstand, Landesliste, 20,9 % (2.) Ausschuss für Finanzen, Kind/selbstständiger Landesvorsitz der Jungen WK Magdeburg III 15. Parlamentarischer Unter- Unternehmer Alternative, Kontakte zur suchungsausschuss Identitären Bewegung Ulrich Siegmund 1990 römisch-katholisch, 2008–2014 CDU, 2014 AfD Landesliste, 27,4 % (2.) Ausschuss für Bundes- und ledig/selbstständiger WK 5 und Genthin Europa-Angelegenheiten Unternehmer sowie Medien, Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integra- tion Marcus Spiegelberg 1992 evangelisch/freikirchlich, 2011–2015 CDU/JU, 2015 Direktmandat WK 43 Ausschuss für Arbeit, ledig/Student AfD und Junge Alternative, Weißenfels mit 31,8 % Soziales und Integration (Geschichte und Ethno- Landesvorstand der logie) Jungen Alternativen; Sude- tendeutsche Landsmann- schaft Hans-Thomas 1978 deutsche Minderheit 1996 FDP, 2013 AfD, Spre- Direktmandat WK 34 Ausschuss für Bundes- und Tillschneider Rumänien, cher Patriotische Plattform, Bad Dürrenberg-Saale- Europa-Angelegenheiten konfessionslos, ledig, Bindeglied zu Pegida und kreis mit 30,9 % sowie Medien, Ausschuss für ein Kind/Islamwissen- Legida, Landesverband Bildung und Kultur schaftler

59 WWW.ROSALUX.DE