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Jg. 8/ Nr.2/3 Dezember/Januar 2003/2004

Symptomatisches aus Politik, Kultur und Wirtschaft

Grünewalds gemalte Inspiration Lewis, Barfield, Tolkien Eliza von Moltke und Astrid Bethusy-Huc Deutschland und die «amerikanische Verantwortung» Über Konservenmusik Aufhebung der Schwerkraft Was ist Geldalterung? 11,– Monatsschrift auf Grundlage der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners € Zum Luzerner Terrorismus-Symposium

sFr. 18.– sFr. Laurence Oliphant auf Sri Lanka Inhalt Impressum

«Siehe, eine Jungfrau wird empfangen ...» 3 Der Europäer Thomas Meyer Symptomatisches aus Politik, Kultur und Wirtschaft

Monatsschrift auf Grundlage der Geisteswissenschaft Zwei «Inklings» zwischen christlicher Gläubigkeit und Anthroposophie 5 Rudolf Steiners (Hg. von Thomas Meyer) Thomas Meyer Jg. 8 / Nr. 2/3 Dezember/Januar 2003/2004 Zwei Frauengestalten und das deutsche Schicksal: Bezugspreise: Eliza von Moltke 11 • Einzelheft: sFr. 10.–/ € 6,50 (zzgl. Versand) Astrid Bethusy-Huc 14 • Doppelheft: sFr. 18.–/ € 11,– (zzgl. Versand) Thomas Meyer • Jahresabonnement: sFr. 108.–/ € 65,– (inkl. Versand) • Luftpost/Übersee: sFr. 150.–/ € 110,– (inkl. Versand) • Probeabonnement (3 Einzelnrn. oder 1 Einzelnr. Deutschland, Europa und die «amerikanische Verantwortung» 16 und 1 Doppelnr.): sFr. 27.–/ € 17,– (inkl. Versand) Jens-Peter Manfras • AboPlus (Jahresabo plus Spende): sFr. 160.–/ € 100,–

Erscheinungsdaten: Polen im Herzen Europas 18 Einzelnummern erscheinen immer in der ersten Markus Osterrieder Woche des entsprechenden Monats, Doppel- nummern um Monatsmitte.

Reiseeindrücke zweier moderner Pilger 21 Kündigungsfrist: The Pilgrims 1 Monat. Ohne eingegangene Kündigung wird das Abonnement automatisch um ein Jahr verlängert. Über Konservenmusik 23 Geschenkabos sind auf ein Jahr befristet. Johannes Greiner Redaktion: Thomas Meyer (verantwortlich), Der Mann mit dem Wolfskopf und die Burg der Erhebung 26 Brigitte Eichenberger, Andreas Flörsheimer, Swiad Gamsachurdia Ruth Hegnauer, Helga Paul, Lukas Zingg. Redaktionsanschrift: Wie die Schwerkraft aufgehoben werden kann 32 Leonhardsgraben 38 A, CH-4051 Basel Christoph Podak, Tel: (0041) +61/ 263 93 33 Fax: (0041) +61/ 261 68 36 E-Mail: [email protected] Geldalterung und Geldverjüngung 36 Andreas Flörsheimer Bestellungen von Abonnementen, Probenummern, Inseraten etc.: Ruth Hegnauer Zum «energetischen Arbeitsansatz für die Eurythmie» General Guisan-Straße 73, CH-4054 Basel von Anne Hildebrandt-Dekker 39 Tel/Fax: (0041) +61/ 302 88 58 Marek B. Majorek E-Mail: [email protected] Anzeigenpreisliste auf Anfrage oder im Internet. Zum Luzerner Symposium «Der inszenierte Terrorismus» Inserenten verantworten den Inhalt ihrer Inserate und Beilagen selbst. (1./2. November 2003) 41 Thomas Meyer Leserbriefe: Brigitte Eichenberger Metzerstraße 3, CH-4056 Basel Al-Qaida, der pakistanische Geheimdienst und die Anschläge Tel: (0041) +61/383 70 63 vom 11. September 2001 42 Fax: (0041) +61/383 70 65 Andreas Bracher Leserbriefe werden nach Möglichkeit ungekürzt (ansonsten immer unverändert) wiedergegeben. «11. September – Geschichte eines Terroranschlags» 45 Bei unaufgefordert eingesandten Manuskripten ohne Werner Heil Rückporto kann Rücksendung nicht garantiert werden. Belichtung und Druck: Laurence Oliphants abenteuerliche Besteigung des Freiburger Graphische Betriebe Adams Peak auf Sri Lanka 48 Bankverbindungen: Laurence Oliphant D: Postbank Karlsruhe BLZ 660 100 75 Das vorbabylonische Alphabet (14. Zeichen) 49 Konto-Nr.: 3551 19-755 Frank Geerk Perseus Verlag CH: PC-Konto 70-229554-9 DER EUROPÄER, Basel Leserbriefe 50 Perseus Verlag Postkonto international für Euro-Zahlungen: 195 Zwei Gedichte von Betty Paoli (1813–1894) 51 Postfinance Bern 91-4777 02-3 EUR Perseus Verlag / Der Europäer

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ISSN 1420–8296

Die nächste Nummer erscheint ab 30. Januar 2004 PERSEUS VERLAG BASEL

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Gemalte Inspiration???

«Siehe, eine Jungfrau wird empfangen ...» Das Verkündigungsbild des Isenheimer Altars als Darstellung eines Inspirationsvorgangs

rünewalds Isenheimer Altar in Colmar gehört zu Danach wird nach einem Zwischenraum der erste Satz Gden großen Werken der abendländischen Kunst. der linken Seite exakt wiederholt: «Siehe, die Jungfrau Und wie bei aller großen Kunst ist wird empfangen und sie wird einen sein Gehalt nicht mit dem ersten Sohn gebären und seinen Namen Ema- Blick erschöpft. Wiederholter und nuel nennen.» Und damit sind beide vertiefender Betrachtung beginnt Buchseiten beschrieben. sich mit der Zeit auch etwas von der «geheimen Offenbarung» dieses Werkes zu erschließen. Betrachten wir die abgebildete Altartafel (ein Teil des mehrteiligen Werks): Der Maler stellt hier offen- bar die aus dem Lukasevangelium bekannte Szene der Verkündigung dar. Doch bringt er dabei bestimmte Elemente und Vorgänge ins Spiel, die im Evangelium nicht zu finden sind. Er zeigt damit, dass es ihm nicht um eine traditionsgetreue, hi- storisch-naturalistische Darstellung geht. Auf einige dieser Elemente und Tatsachen sei hier in skizzen- hafter Weise aufmerksam gemacht.

Der Prophet Jesaias blickt in und auf das Geschehen im sakralen Raum herunter. Maria ist in die Lektüre eines Kapitels von Jesaias (7,14) vertieft gewesen. Auf der linken Seite des offen daliegenden Buches steht: «Ecce vir- go concipiet et pariet filium et vo- cabitur nomen eius Emmanuel. Bu- tyrum et mel comedet ut sciat repro- bare malum et ...» Das heißt auf deutsch: «Siehe, die Jungfrau wird empfangen, und sie wird einen Sohn gebären und sei- nen Namen Emanuel nennen. Von Dickmilch und Honig wird er sich ernähren, bis er versteht, das Böse zu verwerfen und ...» Auf der rechten Seite folgen zu- oberst die den Satz schließenden zwei Worte «... eligere bonum», «das Gute zu erwählen». Die Tafel der Verkündigung

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 3 Gemalte Inspiration

Hat der Maler gerade diesen Satz nur wiederholt, um Unter der Inspiration des Geistes und Gabriels beschaut die sonst leer bleibende rechte Seite zu füllen, wie ein Maria das Gelesene ein zweites Mal, nun mit neuem, in- Kunstführer meint? Doch dazu hätte er auch einfach ei- spiriertem Geistgehör. Jetzt darf sie das Gesagte auf sich ne weitere oder andere Stelle des Propheten hinmalen selbst beziehen, wozu sie durch die Blick-, die Hand- können. Diese Duplizität lässt sich, genau besehen, gar und die Fingergeste Gabriels ernst-eindringlich aufge- nicht äußerlich erklären. Denn Grünewald malt hier in fordert wird. Wirklichkeit ein inneres Geschehen. Matthias Grünewald stellt also dar, wie das beschau- Er lässt Maria den prophetischen Jesaiassatz wirklich lich-selbstlose Versenken Marias in die Jesaiasprophetie zweimal lesen. Das eine Mal als fromme Jüdin, die sich in einen Inspirationsakt übergeht, der ihr zum Bewusst- in das Schrifttum ihres Volks versenkt. Sie liest den Satz sein bringt, dass die Prophezeiung sich auf sie bezieht. als objektiven Bestandteil des Stromes religiöser Prophe- Deswegen erscheint der selbe Satz zweimal, einmal ob- zeiung, wie ihn jede andere Persönlichkeit der jüdi- jektiv aufgenommen, einmal im inspirierten Bewusst- schen Gemeinde auch hat lesen können. Sie liest aber in sein von der Lesenden auf sich selbst bezogen. Gegenwart des durch die mitten im Geschehen schwe- Das ist das offenbare Geheimnis dieser Text-Dupli- bende Taube zart symbolisierten heiligen Geistes und zität in dem aufgeschlagenen Buch. des plötzlich (mit noch bewegtem Gewande) durch ein Nun wird verständlich, dass auch die Individualität Geistestor in den Sakralraum hereingewehten Gabriel. des Propheten geistig in den Raum gehört: Weil er mit seiner Prophetie tief verbunden bleibt, ist auch er im Augenblick, wo sie in geist-konkreter Weise in Erfül- lung geht, im sakralen Raum anwe- send; allerdings auch hier als reiner Zuschauer und nicht (wie Gabriel und die Taube) als Mitwirkender, ge- wissermaßen aus der geistigen Welt auf das Erfüllungsgeschehen her- unterblickend und in diesem Au- genblick die Wahrheit seiner Prophe- zeiung besiegelt findend. Wir haben es bei dieser Tafel, tie- fer betrachtet, also mit der bild- lich-imaginativen Darstellung eines Augenblicks der Inspiration zu tun; und zwar mit einer der erhaben- sten, bedeutungsvollsten, innerlich- sten und subtilsten Inspirationen der gesamten Weltgeschichte. Matthias Grünewald erweist sich durch die imaginative Darstellung dieses weltgeschichtlichen Inspira- tionsmomentes als tiefer Kenner spi- ritueller Tatsachen und Vorgänge. Auf diese kann das Bild den Be- trachter, der nicht nur einmal vor ihm steht, hinzublicken lehren.

Thomas Meyer

Tafel der Verkündigung, Detail

4 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Lewis, Barfield, Tolkien

Zwei «Inklings» zwischen christlicher Gläubigkeit und Anthroposophie C.S. Lewis und sein «Großer Krieg» mit

«All that is not eternal is eternally out of date.» C.S. Lewis’ «Krieg» mit Barfield war sein Kampf gegen den C.S. Lewis Geist der Anthroposophie.4 Vor diesem Geist hatte Lewis Furcht. Das zeigen die von ihm geschilderten Erlebnisse um die C.S. Lewis (1898–1963), irischstämmiger Professor für Engli- Zeit, als Harwood und Barfield sich der Anthroposophie zu- sche Literatur in Oxford und Verfasser zahlreicher Werke, dar- wandten. Doch bei allem «Krieg» gegen die Anthroposophie in unter auch Romane, gehörte mit J.R.R. Tolkien (1892–1973) seinen Freunden – die Freundschaften zerbrachen nicht.5 Le- zu den wichtigsten Mitgliedern des literarischen Kreises «The wis sagt in seiner Autobiographie selbst, was die Freundschaft Inklings». Die Inklings – das Wort hat zwei konträre Bedeutun- mit Barfield rettete. gen: Tintenkleckser und vage Ahnungen1 – trafen sich ab 1933 einmal wöchentlich (an Donnerstagabenden) in Oxford zu Die Zitate aus Surprised by Joy wurden neu übersetzt, da Lesungen und Diskussionen. Im Kreise der Inklings las Tolkien die deutsche Übersetzung (Überrascht von Freude, Wiesba- u.a. aus dem Manuskript der Werke Der Hobbit und Der Herr den 1982) stellenweise mangelhaft und das Buch längst ver- der Ringe vor. Tolkien war überzeugter Christ, der an die Gött- griffen ist. Ebenso vergriffen ist die ausgezeichnete Lewis- lichkeit Christi glaubte und diesen Glauben auch als Glaube Biographie von Christian Rendell, Wiesbaden 1991. auf Lewis übertrug, worin die eigentliche Konversion in dessen Leben bestand (1931). Auf der anderen Seite war Lewis eng Zwischentitel vor den ausgewählten Auszügen – Auslass- befreundet mit dem gleichaltrigen, in London geborenen Owen ungen sind durch (...) gekennzeichnet – stammen vom Über- Barfield (1898–1997), dem bedeutendsten englischsprachigen setzer, ebenfalls Bemerkungen in eckigen Klammern. anthroposophischen Schriftsteller des letzten Jahrhunderts. Barfield fand 1922 zusammen mit seinem Freund Cecil Har- Thomas Meyer wood zur Anthroposophie. Barfields «Konversion» war für Le- wis ein Schock. Die polare spirituelle Ausrichtung der beiden Freunde führte in der Folge zu dem legendären «Great War» zwischen ihnen, einer scharfen, von gegenseitiger Achtung 1 Tolkien gab folgende augenzwinkernde Erklärung zum Na- getragener Dauerauseinandersetzung, die für beider Entwick- men Inklings: «Leute mit vagen, halb ausgegorenen Ahnun- lung fruchtbar war. In seiner Autobiographie Surprised by Joy gen und Ideen, und jene, die in Tinte plätschern». (Walter gibt C.S. Lewis ein lebendiges Bild der Genese seiner span- Hopper, «: The Other Oxford Movement», nungsreichen Freundschaft mit Owen Barfield, der am 10. De- www.catholiceducation.org/articles/arts/a10142.html ). zember 1998 im Alter von 99 Jahren verstarb. 2 Owen Barfield, Der Sprecher und sein Wort, Dornach 1985, ver- griffen. Der Schreiber dieser Zeilen hatte das große Privileg, Owen 3 Thomas Meyer, D.N. Dunlop – A Man of Our Time, London Barfield anlässlich seiner Arbeit an der deutschen Ausgabe des 1992; das Nachwort Barfields findet sich auch in der zweiten 2 Buches Speaker’s Meaning persönlich kennen zu lernen. Und deutschen Auflage (Basel 1996). er hatte das noch größere Glück, später durch seine Dunlop- 4 Lewis war während seines Studiums u.a. auch auf Alanus von Biographie Barfield an den vielleicht von ihm am meisten ver- Insulis, den großen Lehrer der Schule von Chartres, aufmerk- kannten bedeutenden Menschen seines Lebens erinnern zu sam gemacht worden, von der ihm Barfield aus anthroposo- phischer Sicht erzählt haben könnte. In seiner 1955 erschie- dürfen. Davon zeugt Barfields unschätzbares Nachwort zur 3 nenen Autobiographie bezeichnet Lewis den Ort seines in der englischen Ausgabe der genannten Biographie. Jugend besuchten College ohne weitere Erklärung mit «Char- Einen guten Überblick über Barfields Schaffen vermittelt die tres». Wollte er dem «anthroposophischen» Chartres ein eige- von einem Freund und Schüler betreute «Owen Barfield World nes entgegensetzen? Ein Flintenkügelchen aus seinem Gro- Wide Website» www.owenbarfield.com . Wieweit auch Tolkien ßen Krieg mit Barfield? mit Anthroposophie in Berührung kam, entzieht sich unserer 5 Die spannungsgeladene Freundschaft zwischen Lewis und Barfield kann an ein anderes anglo-irisches Freundespaar er- Kenntnis. Doch kann sie schon wegen des offen ausgetra- innern: W.B. Yeats und George William Russell. Auch diese genen Kriegs zwischen Lewis und Barfield, den er vom Kreis Freundschaft war beherrscht von dem, was ein Zeitgenosse als der Inklings kannte, nicht unbemerkt an ihm vorübergegan- «antagony that unites friends» bezeichnete. Allerdings war gen sein. der spirituelle Graben zwischen ihnen nicht so breit.

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 5 Lewis, Barfield, Tolkien

C.S. Lewis über Owen Barfield und ich ihn. Viele Ideen, die er später in seine Werk Poetic Ich kehrte im Januar 1919 nach Oxford zurück (...) Der Diction brachte, waren schon die meinigen, bevor die- erste Lebensfreund, den ich in Oxford traf, war A.K. Ha- ses kleine wichtige Buch erschien. Es wäre seltsam, milton Jenkin, später für seine Bücher über Cornwall wenn es anders gewesen wäre; er war damals natürlich bekannt geworden. noch nicht so gelehrt wie später; doch Barfields Genius Der nächste war Owen Barfield. In gewissem Sinn war natürlich schon vorhanden. entsprechen Arthur und Barfield jedermanns erstem Eng verbunden mit Barfield (...) war sein Freund (und und zweitem Freund: Der erste ist das alter ego, der bald auch der meinige) A.C. Harwood (...), später eine Mensch, der einem als erster enthüllt, dass man nicht Säule in , der Rudolf-Steiner-Schule in Kid- allein ist auf der Welt, indem er sich über alle Hoffnung brooke. Er war ganz anders geartet als wir beide; ein hinaus als derjenige erweist, der die verborgensten durch nichts aus der Fassung zu bringender Mensch. Freuden mit einem teilt. Nichts muss überwunden wer- Obwohl arm (wie die meisten von uns) und völlig ohne den, dass er zum Freund wird; man verschmilzt mit «Aussichten», trug er die Miene eines Gentleman des ihm, wie Regentropfen auf einer Fensterscheibe inein- 19. Jahrhunderts mit einem «Fonds» im Rücken. Als wir ander fließen. Doch der zweite Freund ist der Mensch, auf einem Ausflug waren und das letzte Licht eines der über alles mit einem anderer Meinung ist. Er ist feuchten Abends uns gerade einen schrecklichen Irrtum nicht so sehr das alter ego als vielmehr das Anti-Selbst. (wahrscheinlich Harwoods) im Kartenlesen enthüllt Natürlich teilt er die eigenen Interessen; sonst würde er hatte und die höchste Hoffnung lautete «Fünf Meilen überhaupt nicht zum Freund werden. Doch er ist von bis nach Mudham (falls wir es finden konnten), und völlig anderen Ausgangspunkten zu ihnen gekommen. dort könnten wir Betten kriegen», hat er diese Miene im- Er hat all die richtigen Bücher gelesen, doch aus jedem mer noch getragen. Man könnte meinen, dass zumin- von ihnen das Falsche herausgelesen. Es ist, wie wenn dest ihm, von allen Menschen, einmal gesagt worden er die eigene Sprache spräche, doch wäre, «diese Miene vom Gesicht zu dabei jedes Wort falsch ausspricht. nehmen». Doch ich glaube nicht, Wie kann er der Wahrheit so nahe dass dies je geschah. Es war auch kommen und sie doch in schöner keine Maske und rührte nicht von Regelmäßigkeit so knapp verfeh- Blödheit her. Er ist später durch die len? Er ist so faszinierend (und üblichen Sorgen und Ängste geprüft so Zorn erregend) wie eine Frau. worden. Er ist der einzige mir be- Nimmt man sich vor, seine Ketze- kannte Horatio in dieser Zeit der reien gerade zu bügeln, entdeckt Hamlets. man, dass er sich wahrhaftig vorge- nommen hat, die eigenen zu be- Zwei abschreckende Geistsucher richtigen! Und dann geht man auf Etwas muss über diese und andere sie los, mit aller Gewalt, bis tief in Freunde, die ich in Oxford traf, die Nacht hinein, Nacht für Nacht, gesagt werden: Sie waren alle, bei oder auf Spaziergängen durch die anständigen heidnischen Maßstä- schöne Landschaft, denen keiner ben (und noch mehr bei so niedri- der beiden einen Blick gönnt, wäh- gen Maßstäben wie den meinen) rend jeder das Gewicht der Schläge «gut». Das heißt, sie glaubten alle des andern ermisst, und mehr als (...) und handelten nach diesem

Feinde, die sich gegenseitig respek- Literaturhinweis Glauben, dass Wahrhaftigkeit, Of- tieren, denn als Freunde. In Wirk- Über die Inklings gibt es eine hervor- fenheit, Keuschheit und Nüchtern- lichkeit verändert man das Denken ragende Publikation, die auch Bar- heit obligatorisch waren (...). des andern (obwohl das im gegebe- field angemessen berücksichtigt: The Während meiner ersten beiden nen Augenblick nie der Fall zu sein Inklings Handbook – The lives thought Jahre in Oxford war ich (...) eifrig and writings of C.S. Lewis, J.R.R. Tol- schien); aus diesem permanenten damit beschäftigt, das, was wir eine kien, Charles Williams, Owen Barfield Handgemenge entsteht eine geisti- and their friends, herausgegeben von intellektuelle «Neue Anschauung» ge Gemeinschaft und eine tiefe Zu- Colin Duriez und David Porter, Lon- nennen können, anzunehmen. Kein neigung. Ich glaube allerdings, dass don 2001. Pessimismus mehr, kein Selbstmit- er mich weit stärker veränderte als leid, keine Flirts mit irgendeiner

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ze Frage der Unsterblichkeit wurde ziemlich abstoßend für mich. Ich schloss sie aus (...). Ferner war es mein Los, vierzehn Tage und die mei- sten ihrer Nächte in engem Kontakt mit einem Mann zu verbringen, der verrückt wurde. Es war ein Mann, den ich sehr geliebt hatte und der dies auch verdiente. Und nun half ich mit, ihn zu halten, während er mit den Fü- ßen um sich schlug und sich auf dem Boden wälzte und schrie, dass Teufel an ihm reißen würden und er jetzt in die Hölle falle. Und dieser Mann, das wusste ich wohl, hatte keine ausgetretenen Wege begangen. Er hatte mit Theosophie geflirtet, mit Yoga, Spiritismus, Psychoana- lyse und weiß Gott noch was. Diese Dinge hatten in Wirklichkeit wahrscheinlich keine Beziehung zu seinem Wahnsinn, denn es gab (wie ich glaube) physische Gründe. Doch damals schien es mir nicht so. Ich glaub- te, eine Warnung gesehen zu haben; dazu, zu solch ei- nem Herumwälzen auf dem Boden würden alle roman- tischen Sehnsuchten und überirdischen Spekulationen einen Menschen schließlich führen (...) Sicherheit zuerst, dachte ich: Der ausgetretene Weg, die akzeptierte Straße, die Straßenmitte, bei Licht (...) Die Wörter «gewöhnlich» und «eintönig» fassten alles in sich zusammen, was mir am wünschenswertesten erschien. Drittens fegte zur damaligen Zeit die neue Psycholo- gie durch uns alle hindurch. Wir schluckten sie zwar nicht ganz (...), doch wir waren alle von ihr beeinflusst. Owen Barfield um 1970 Am meisten beschäftigte uns die «Phantasie» oder das «wishful thinking». Denn natürlich waren wir alle Poe- Idee des Übernatürlichen, keine romantischen Täu- ten und Kritiker und legten größten Wert auf «Imagi- schungen (...) und das hieß, eine beinahe panische nation» in einem hohen Coleridge’schen Sinne, sodass Flucht vor all der Romantik, die bisher die Hauptbe- es wichtig wurde, Imagination (nicht nur im Sinne schäftigung meines Lebens gewesen war. Verschiedene Coleridges) auch von Phantasie zu unterscheiden, wie Ursachen wirkten zusammen. Erstens hatte ich vor kurzem einen alten, schmutzi- gen, geschwätzigen irischen Pfarrer kennengelernt, der seinen Glauben schon lange verloren, seine Pfründe aber behalten hatte. Als ich ihn kennenlernte, bestand sein einziges Interesse darin, den Beweis für das «menschliche Überleben» zu finden. Darüber las und re- dete er ununterbrochen, doch da er einen kritischen Geist hatte, wurde er nie befriedigt. Was besonders schockierend war, ist, dass sein gieriger Wunsch nach persönlicher Unsterblichkeit Hand in Hand ging mit ei- ner völligen Gleichgültigkeit gegenüber allem, was (...) Unsterblichkeit wünschenswert machen konnte (...) Er träumte nicht von einem Wiedersehen mit toten Freun- den oder Geliebten (...) Alles, was er wollte, war die Si- cherheit, dass etwas, das er «sein Selbst» nennen konn- te, unter beinahe irgendwelchen Bedingungen länger dauern würde als das Leben seines Körpers (...) Die gan- C.S. Lewis während eines Interviews mit der BBC

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 7 Lewis, Barfield, Tolkien

gefeitesten Freunden, sondern auch zu einem Zeit- Owen Barfield über Lewis und Tolkien punkt, wo wir alle unbedingt zueinanderhalten mus- sten. Und als ich dann erfuhr (so weit ich das je erfah- In einem Interview, das Allen Pittman wenige Monate vor ren hatte), was Steiner dachte, verwandelte sich mein Barfields Tod mit ihm führte, machte der 99jährige folgen- de Äußerungen: Entsetzen in Abscheu und Unwillen. Denn hier waren, so schien es, all die Abscheulichkeiten (...), die mich «Lewis’ großer Beitrag war es, dem verhärteten Materialis- einstmals faszinierten. Hier gab es Götter, Geister, Leben mus seiner Zeit einen Schlag zu versetzen (...) nach dem Tod und vor der Geburt, Eingeweihte, okkul- tes Wissen, Meditation. «Was soll das verdammte Zeug, Ich kannte Tolkien, führte aber nie ein längeres Gespräch – das ist mittelalterlich», rief ich. Denn ich besaß noch mit ihm ... Ich wollte, ich hätte es getan ... Es kam nie zu einem stundenlangen Gespräch zwischen uns. Er ist eine den ganzen Chronologie-Snobismus meiner Epoche wichtige Gestalt in der literarischen Welt Englands. Ich ha- und benützte die Namen früherer Epochen als Schimpf- be keine Verwandschaft mit dieser Welt – der mythischen wörter. Hier war alles, was die «Neue Anschauung» aus- Welt. Die Enthusiasten der Tolkien-Gesellschaft haben sich zuschließen bestimmt war; alles, was einen von der an dieser Welt mehr als erfreut – sie haben eine Art von Hauptstraße abbringen und an jene finsteren Orte füh- Kult aus ihr gemacht.» ren konnte, wo Menschen sich am Boden wälzen und www.apittman.com schreien, dass sie in die Hölle gezogen würden. Natür- lich war das alles kompletter Unsinn. Es bestand keine Gefahr, dass ich hineingezogen würde. Doch dann – die sie von den Psychologen verstanden wurde. Nun, fragte Einsamkeit, das Gefühl, verlassen worden zu sein. ich mich, was waren alle meine entzückenden Berge Natürlich schrieb ich meinen Freunden dieselben und westlichen Gärten, wenn nicht reine Phantasien? Wünsche zu, die in mir, wäre ich Anthroposoph gewor- (...) Mit der Zuversicht eines Jungen beschloss ich, dass den, wirksam geworden wären. Ich glaubte, sie wären ich all das hinter mir hatte. Kein Avalon mehr, keine ein Opfer der gierigen, geilen Lust nach dem Okkulten Hesperiden (...) geworden. Heute sehe ich, dass der Augenschein von Schließlich gab es natürlich Bergson. Irgendwie (...) Anfang an dagegen sprach. Sie waren nicht von jener fand ich in ihm die Zurückweisung der alten gespen- sterhaften Idee von Schopenhauer, dass das Weltall «gar nicht existiert hat». Mit anderen Worten, ein göttliches Attribut, das der notwendigen Existenz, stieg an mei- nem Horizont empor. Es war zwar, und dies für lange Zeit, noch an das falsche Objekt gebunden; an das Weltall, nicht an Gott. Aber als solches war es bereits von ungeheurer Kraft (...).

Entsetzlich schockiert Da passierte etwas wirklich Schreckliches (schrecklich für mich). Zuerst Harwood (immer noch ohne die Mie- ne zu ändern) und dann Barfield nahmen die Lehren Steiners an und wurden Anthroposophen. Ich war ent- setzlich schockiert. Alles, was ich mit so harter Mühe aus meinem eigenen Leben verbannt hatte, schien wie- der aufzulodern und mir in meinen besten Freunden zu begegnen. Nicht nur meine besten Freunde, sondern auch die, die ich am gefeitesten wähnte; der eine derart unerschütterbar, der andere in einer frei-geistigen Fami- lie groß geworden und gegen jeden «Aberglauben» so immun, dass er erst vom Christentum hörte, als er zur Schule ging. (Vom Evangelium hörte Barfield erstmals, als eine Liste von Parabeln aus dem Matthäusevange- lium diktiert wurde.) Nicht nur bei meinen scheinbar J.R.R. Tolkien

8 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Lewis, Barfield, Tolkien

War es je widerlegt worden (und wenn ja, durch wen, wo und wie schlüssig), oder ist es einfach verschwun- den, wie Moden verschwinden? Im letzteren Fall sagt uns dies nichts über dessen Wahrheit oder Falschheit. Von dieser Einsicht gelangt man zur Erkenntnis, dass unsere eigene Zeit auch «eine Epoche» ist, und wie alle Epochen, ihre ganz bestimmten Illusionen aufweist. Am Allerwahrscheinlichsten lauern sie gerade in jenen weit verbreiteten Annahmen, die so tief im Zeitalter veran- kert sind, dass niemand sie anzugreifen wagt oder es für nötig hält, sie zu verteidigen. Zweitens überzeugte mich Barfield davon, dass die Positionen, die wir bis dahin einnahmen, keinen Raum ließen für irgendeine befriedigende Erkenntnistheorie. Owen Barfield und «Jack» (C.S. Lewis) Wir waren, im technischen Sinn gesprochen, «Reali-

Sorte. Und soweit ich sehe, hat die Anthroposophie die- ser Sorte auch nichts zu bieten. Sie hat etwas Schwieri- Owen Barfields Begegnung mit Rudolf Steiner ges und (für mich) beruhigenderweise auch etwas von Bei einem meiner Besuche Barfields im Zusammenhang mit einer germanischen Dumpfheit an sich, welche jene, seinen Erinnerungen an D.N. Dunlop fragte ich ihn nach die auf Sensationen aus sind, bald abschrecken würde. seiner Begegnung mit Rudolf Steiner. Barfield hat Steiner Auch habe ich nicht bemerkt, dass sie auf den Charak- nur ein einziges Mal getroffen, und dies in sehr besonderer ter derer, die ihr anhingen, einen schädlichen Effekt Weise. Es war in London im Sommer 1924, als Steiner den ausübte; in einem Fall war sie sogar von bester Wirkung. Karmavortrag hielt, der von Voltaire, Ignatius von Loyola, Ich sage dies, nicht weil ich jemals im Allermindesten Swedenborg, Laurence Oliphant und Ovid handelt. Es war Tea Time. Barfield stand mit Bekannten in einem Raum und geneigt gewesen wäre, die Sache zu akzeptieren, son- konnte R. Steiner in einem anderen Raum stehen sehen. dern aus gewöhnlicher Fairness, und auch, um etwas George Adams-Kaufmann, der Rudolf Steiner schon kannte, verspätete Abbitte zu leisten für die harten, ungerechten wollte Barfield während einer Pause Steiner vorstellen. Die- und bitteren Dinge, die ich zu meinen Freunden über ser zögerte. Steiner wurde ja schon von so vielen Menschen sie sagte. Denn Barfields Bekehrung zur Anthroposo- in Beschlag genommen. Er fühlte, nicht das Recht zu ha- phie markierte den Beginn dessen, was ich nur als den ben, ihm auch noch seine Zeit zu nehmen. Währenddessen blickte Steiner zu ihm herüber und lächelte ihm freundlich «Großen Krieg» zwischen ihm und mir bezeichnen zu. Und Barfield lächelte freundlich zurück. Das wiederhol- kann. Es war Gott sei Dank niemals ein Streit, obwohl es te sich mehrere Male. Man hatte voneinander Kenntnis ge- in einem bestimmten Augenblick einer hätte werden nommen. Das genügte Owen Barfield für den Augenblick. können, falls Barfield mir gegenüber die gleiche Heftig- Aus diesem bescheidenen äußeren Abstandhalten entwick- keit gezeigt hätte, die ich mir gegen ihn gestattete. Aber elte sich in den kommenden Jahrzehnten ein freies, sachge- es war eine fast unaufhörliche Disputation, manchmal mäßes Eintreten für die Geisteswissenschaft, wie es in Bar- fields Büchern sparsam, aber deutlich immer zu finden ist. in Briefform, manchmal von Angesicht zu Angesicht, Owen Barfield arbeitete als Anwalt und schrieb daneben sei- die Jahre dauerte. Und dieser «Große Krieg» war einer ne profund-akribischen Werke. der Wendepunkte meines Lebens. Barfield teilte mir auch mit, dass seine berufliche Laufbahn eine ganz andere geworden wäre, wenn er damals oder Was C.S. Lewis Owen Barfield verdankte schon vorher mit Steiner in persönlichen Kontakt getreten Barfield machte nie einen Anthroposophen aus mir; wäre. Er hätte im gleichen Sommer auch am Lehrerkurs in Torquay teilgenommen und wäre wohl Waldorflehrer ge- doch seine Gegenangriffe zerstörten für immer zwei Ele- worden, denn er hatte eine starke Sympathie für die neue mente meines eigenen Denkens. Zuerst räumten sie ra- Pädagogik. Aber er fuhr nicht nach Torquay, sondern mit dikal auf mit dem, was ich meinen «Chronologie-Sno- seiner frisch geheirateten Frau, einer Berufstänzerin, in die bismus» nannte, mit der unkritischen Übernahme des Ferien und wurde auf diese Weise der bedeutendste eng- intellektuellen Klimas unserer eigenen Zeit und der An- lischsprechende anthroposophische Schriftsteller des 20. nahme, dass alles, was altmodisch geworden war, des- Jahrhunderts. Thomas Meyer wegen beiseite gelassen werden muss. Es galt herauszu- finden, weshalb es aus der Mode kam.

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 9 Lewis, Barfield, Tolkien sten» gewesen; das heißt, wir akzeptierten als felsenfeste Epiphänomen war; dass das ganze Universum letzt- Realität das uns durch die Sinne geoffenbarte Univer- lich geistiger Natur war; dass unsere Logik Teil in ei- sum. Doch zugleich machten wir für bestimmte Be- nem kosmischen Logos war. wusstseinsphänomene weiterhin Ansprüche geltend, die in Wirklichkeit auf einer theistischen oder idealisti- Die Begegnung mit Tolkien schen Weltanschauung beruhten. Wir hielten daran Als ich anfing, in der Fakultät für Englisch zu unterrich- fest, dass das abstrakte Denken (falls es nach logischen ten [1926], lernte ich zwei neue Freunde kennen, beides Regeln verläuft) indiskutable Wahrheit liefert, dass un- Christen (...) Es waren H.V.V. Dyson und J.R.R. Tolkien. ser moralisches Urteil «gültig» und unser ästhetisches Die Freundschaft mit Letzterem markierte den Zu- Erlebnis nicht nur angenehm, sondern «wertvoll» war. sammenbruch zweier alter Vorurteile. Als ich zum er- (...) Barfield machte mir klar, dass dies inkonse- sten Mal in die Welt trat, war ich (impliziterweise) davor quent war. Wenn das Denken nur ein bloß subjek- gewarnt worden, nie einem wahren Papisten zu trauen, tives Ereignis wäre, dann würden die an es gestellten und als ich zum ersten Mal die Fakultät für Englisch Ansprüche fallen gelassen werden müssen (...) Ich betrat, wurde ich (explizit) davor gewarnt, nie einem musste zugeben, dass Geist nicht einfach ein spätes Philologen zu trauen. Tolkien war beides.

Owen Barfield – ein Nachruf aus dem Independent

Owen Barfield, ein Schriftsteller und Sprachphilosoph und waltskanzlei seines Vaters ein, Barfield & Barfield und blieb das letzte lebende Mitglied der Inklings, einer Gruppe von in ihr bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1959 tätig. Die Oxford-Intellektuellen, die zwischen den Weltkriegen im meisten seiner Bücher schrieb er nach seiner Pensionierung, Haus von C.S. Lewis leidenschaftliche Debatten über das während er auch viel Zeit in den USA verbrachte. Christentum und Mythologie abhielten, verstarb nach Mit- Doch am bekanntesten bleibt er für seine enge Verbindung teilung von Freunden am letzten Sonntag in seinem Heim in mit Lewis, eine Verbindung, die nicht nur intellektueller, East Sussex. Er war 99. sondern auch eine solche gemeinsamer Freizeitaktivitäten Mr. Barfield, dessen Werke unter anderen von T.S. Eliot und war: Beide liebten das Fahrradfahren und nannten sich J.R.R. Tolkien sehr bewundert wurden, soll Lewis dabei ge- «Kreidezeit-Wanderer». Mr. Barfield sagte einmal, mit Lewis’ holfen haben, seinen berühmten Wechsel vom Atheismus flinkem Verstand und scharfem Geist Schritt zu halten, sei zum Christentum zu vollziehen, und war für seine Schriften «wie zu versuchen, neben einem Auto im höchsten Gang über Sprache und Bewusstseinsentwicklung bekannt. herzurennen». Er wurde 1898 geboren, als Sohn eines Vaters, der Anwalt Doch Lewis, der sein Kinderbuch The Lion, the Witch and the war, und einer Mutter, die sich als Feministin und Sufraget- Wardrobe Mr. Barfields Tochter Lucy widmete, erlebte seinen te betätigte. In Oxford traf er Lewis, der sein engster Freund Freund als nicht gelindere Herausforderung. «Er ist so faszi- und liebster intellektueller Gegner wurde. «Barfield über- nierend (und so Zorn erregend) wie eine Frau», schrieb Lewis ragt uns alle turmhoch!» schrieb Lewis in sein Tagebuch, in seiner 1956 erschienenen Autobiographie Surprised by Joy. während beide studierten. Und später bezeichnete er Mr. «Nimmt man sich vor, seine Ketzereien gerade zu bügeln, Barfield als «den weisesten und besten meiner inoffiziellen entdeckt man, dass er sich wahrhaftig vorgenommen hat, die Lehrer». eigenen zu berichtigen! Und dann geht man auf sie los, mit Mr. Barfield erlebte in Oxford eine intellektuelle Epiphanie, aller Gewalt, bis tief in die Nacht hinein.» als er die romantischen Dichter studierte und von der ver- Die zahlreichen Werke Mr. Barfields, der eine Tochter und wandelnden Kraft der Sprache hingerissen wurde. «Was mich zwei Söhne hinterlässt, umfassen Poetic Diction – A Study of besonders beeindruckte, war die Kraft, mit der nicht so sehr Meaning (1928), ein Buch, in dem er die Geschichte der Wör- Gedichte als ganze, sondern bestimmte Wortkombinationen ter erforscht und das einen tiefen Einfluss auf Tolkien, ei- auf meinen Geist wirkten», schrieb er 1966. «Es war, wie nen weiteren «Inkling», ausübte, und Saving the Appearances wenn ihnen ein gewisse Magie innewohnte; und zwar eine (1957), einer Untersuchung der Ungleichheit zwischen nor- Magie, die mir nicht nur Vergnügen bereitete, sondern die malem menschlichem Bewusstsein und dem Bewusstsein des auch auf die Bedeutung einzelner Worte reagierte und diese Wissenschaftlers, der die vertrauten Phänomene des Weltalls erweiterte.» untersucht. Doch während er eine große Anzahl von Essays über ver- schiedene soziale und politische Themen veröffentlichte, Sarah Lyall wurde er bezüglich seiner schriftstellerischen Aussichten ent- 19. Dezember 1998 mutigt, nachdem er für seinen ersten Roman keinen Verleger hatte finden können. Mitte der 30er Jahre trat er in die An- (Übersetzung Thomas Meyer)

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Zwei Frauengestalten im Zeichen des deutschen Schicksals

Die beiden folgenden biographischen Porträts wurden – wie durfte. Der Großvater stand in diplomatischen Diensten, auch die bereits im Europäer ungekürzt veröffentlichten das Haus wurde in großem Stil geführt, Feste wurden Skizzen über Helmuth von Moltke, D.N. Dunlop und E.C. gegeben, und Eliza brachte es im Laufe wiederholter Auf- Merry – für das Sammelwerk Anthroposophie im 20. Jahr- enthalte zu einer völligen Beherrschung der französi- hundert – Ein Kulturimpuls in biographischen Porträts (hg. schen Sprache. Auch ihre spätere Liebe zu Kunstgegen- Bodo von Plato) geschrieben. Die Lebensskizzen über Dunlop, ständen, Filetstickereien und kostbaren Antiquitäten E.C. Merry und Eliza von Moltke sind darin verabredungs- geht auf ihre Pariser Zeit mit ihren Soiréen, Bällen und gemäß in gekürzter Fassung abgedruckt worden; die Skizze Theaterbesuchen zurück. über Astrid Bethusy ist mit vielen anderen Porträts aus Platz- 1877 lernte sie im Seebad Marienlyst Helmuth von gründen nicht mitaufgenommen worden; während die im Moltke kennen, der sich gerade auf einem Diensturlaub Europäer ungekürzt abgedruckte Lebensskizze über Helmuth befand. Bald kam es zu einem regen Briefwechsel, in dem von Moltke im Nachhinein durch eine Skizze von anderer auch die spiritistischen Interessen Elizas, denen Helmuth Hand ersetzt wurde. von Moltke mit wohlwollender Skepsis gegenüberstand, Thomas Meyer erörtert wurden. 1878 heiratete das Paar, und Eliza über- siedelte nach , wo ihr Gatte zunächst im Großen Generalstab, ab 1882 als Adjutant seines über 80jährigen Eliza von Moltke (1859–1932) Onkels tätig war. Dem Ehepaar, das Wohnung im Gene- ralstabsgebäude bezog, wurden vier Kinder geschenkt liza von Moltke wurde am 20. Mai 1859 im Weiler (1881 Wilhelm, 1882 Astrid, 1885 Else, 1887 Adam). Astrid, EKvesarum bei Höör, etwa sechzig Kilometer nordöst- die von Kindheit an ausgeprägte spirituelle Anlagen zeig- lich von Malmö, geboren. Kindheit und Jugend verliefen te, stand der Mutter besonders nahe und wurde von ihr in Einsamkeit, aber tiefer Naturliebe. Dem Vater Wladi- «Zwilling» genannt; ihre eigenen Briefe an Astrid unter- mir, einem großen Kunstliebhaber, dessen Mutter Russin zeichnete sie ebenfalls mit «Zwilling». Im Hause Moltke war, wurde Eliza schon früh Vertrauensperson und Rate- wurde viel musiziert; wenn nicht namhafte Künstler ein- rin in persönlichen Schwierigkeiten; dem ethisch ge- geladen waren, griff Helmuth von Moltke selbst zum Cel- stimmten, aber kühleren Temperament der Mutter wie lo, während ihn Eliza am Klavier begleitete. Im Sommer auch den drei Geschwistern stand sie seelisch ferner. Bei lebte die junge Familie auf dem schlesischen Gut Kreisau, einer Scharlachepidemie starben zwei ihrer Geschwister; das der alte Generalfeldmarschall dank einer ihm in nur die elf Jahre jüngere Schwester Olga blieb verschont, Anerkennung seiner Verdienste gewährten kaiserlichen und sie selbst überlebte nur knapp Dotation von 200 000 Talern erwer- und behielt zeitlebens eine Gehörbe- ben konnte. Eliza pflegte den gleich- hinderung zurück. «Die Natur und namigen Onkel ihres Gatten hinge- die herrlichen Buchenwälder waren bungsvoll bis zu dessen Tod am 24. die besten Freunde meiner Mutter, in April 1891. dieser Schönheit und Einsamkeit Durch die Stellung ihres Gatten fühlte sie sich geborgen und verstan- als persönlicher Adjutant Wilhelms II. den», schreibt die älteste Tochter verkehrte sie selbst in Hofkreisen, Astrid in ihren Erinnerungen. «So bewahrte sich dabei aber stets ein entwickelte sich aus dieser auf sich unabhängiges Urteil, eine ausge- selbst gestellten unfrohen Jugend die prägte Menschenkenntnis und eine starke Persönlichkeit, die das Leben Unbeirrbarkeit im eigenen Handeln. und Schicksal von ihr forderten.» Sie liebte Hoffeste und spielte gern Ein neuer belebender Ton zog in Theater, wozu bei Wohltätigkeits- Elizas Leben ein, als sie als junges veranstaltungen reichlich Gelegen- Mädchen erstmals ihre Großeltern heit war, und sie versetzte sich dabei väterlicherseits in Paris besuchen gerne in die verschiedensten Rollen. Eliza von Moltke

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 11 Eliza von Moltke

«Sie kannte keine Hemmung, kein Lampenfieber, und die Verbindung mit ihrem verstorbenen Gatten erleich- keinem Menschen gelang es, sie aus der Rolle zu brin- tern sollte und schrieb ihr einen Monat später: «Ich selbst gen. Der Kaiser versuchte es einmal bei einer Auffüh- finde jetzt stets vollen Zusammenschluss mit ihm durch rung, ohne jeden Erfolg.» Diese Unbeirrbarkeit in bezug den Ihnen mitgeteilten Spruch.» Steiner machte bis zum auf den Kaiser hatte auch im realen Leben auf die Stel- Jahre 1924 über hundert Aufzeichnungen der inspirativ lung und die Geschicke ihres Gatten einen wohltuen- aufgefassten Erlebnisse des Verstorbenen und übergab den Einfluss. diese Eliza von Moltke. Für das gemeinsame äußere Wir- Nach der Jahrhundertwende fand Eliza von Moltke ken Frau von Moltkes und Rudolf Steiners bedeutsam war durch die mit ihr befreundete Marie von Sievers – beide die Post-mortem-Mitteilung vom 1. Mai 1919, in der der hatten russische Wurzeln – zur Theosophischen Gesell- Verstorbene den Willen offenbart, seine nur für seine schaft und zu Rudolf Steiner, den sie sogleich als ihren Frau bestimmten Aufzeichnungen mögen nun der Öf- Lehrer anerkannte. Da sie nicht nur allem Spirituellen auf- fentlichkeit bekannt gemacht werden. So erfolgte im Ein- geschlossen war, sondern auch in nüchterner Art nach ob- klang mit dem modifizierten Willen der Moltke-Seele der jektiver Erkenntnis strebte, war sie dankbar für die Auf- Entschluss, diese Aufzeichnungen noch vor dem Ab- schlüsse, die Rudolf Steiner in einem Berliner Vortrag über schluss der Versailler Friedensverhandlungen als Bro- das Wesen des Spiritismus gab, zu dem sie sich in ihrer Ju- schüre, mit einer Einleitung von Steiner, zu veröffent- gend hingezogen gefühlt hatte. Steiner nahm zudem auf lichen. Die Veröffentlichung dieser Aufzeichnungen – Bitten Eliza von Moltkes an einer im Februar 1904 begin- Rudolf Steiner bezeichnete sie als «das wichtigste histori- nenden Reihe von insgesamt zehn spiritistischen Sitzun- sche Dokument, das in Deutschland über den Beginn des gen teil, die im Hause Moltke abgehalten wurden und de- Krieges gefunden werden kann» – ist durch die Interven- ren Protokolle noch unveröffentlicht sind. Eliza von tion von seiten der Obersten Heeresleitung und des Aus- Moltke lernte durch Steiners Kommentare und seine gele- wärtigen Amtes unterbunden worden (siehe auch unter gentlichen Dialoge mit dem Medium in unmittelbarer An- Helmuth von Moltke). Entscheidend waren der Besuch schauung die Spreu vom Weizen zu sondern. von General Wilhelm von Dommes am 30. Mai 1919 bei Sie wurde eine der ersten Schülerinnen der von Steiner Eliza von Moltke in Berlin und die von ihr vermittelte eingerichteten «Esoterischen Schule». mehrstündige Unterredung zwischen von Dommes und Rudolf Steiner verkehrte gern – immer auf Einladung Rudolf Steiner, die am 1. Juni in stattfand. Von Eliza von Moltkes – im Hause Moltke. «Ich denke oft an Dommes machte drei sachliche Einwände gegen die die schönen Stunden, die ich in Ihrem Hause zubringen Aufzeichnungen geltend und war entschlossen, diesbe- durfte. Ich habe ja auch Ihren Gemahl sehr liebgewon- züglich eine eidesstattliche Erklärung abzugeben. Damit nen, und hoffe viel auf seine spirituelle Zukunft», schrieb wäre der Publikation aus demselben Deutschland, das er ihr am 12. August 1904. In den dramatischen Tagen durch sie in politischer Hinsicht hätte entlastet werden des Kriegsausbruches stand Eliza von Moltke ihrem sollen, offiziell die Glaubwürdigkeit abgesprochen wor- Gatten ratend, wachend und stützend zur Seite; sie bat den; die Herausgeber der vom Bund der Dreigliederung R. Steiner nach den tragischen Vorgängen vom 1. August, veröffentlichten Broschüre wären als Dilettanten hinge- Helmuth von Moltke aufzusuchen. So kam es am 27. Au- stellt worden. So mussten Steiner und Frau von Moltke gust in ihrer Gegenwart zu dem Gespräch bei , in unter diesen Umständen von einer sofortigen Publika- dessen Verlauf Steiner dem Generalstabschef eine Medi- tion absehen. tation übergab. Auch vermittelte sie nach Moltkes Abset- Entscheidend für von Dommes’ Intervention war der zung Steiners Besuch in Bad Homburg, wo Moltke die befürchtete Prestigeverlust des Kaisers und seiner Kama- ausschließlich für seine Gattin bestimmten Aufzeichnun- rilla. Jürgen von Grone hat später die Unhaltbarkeit der gen über den Kriegsausbruch machte, von deren Inhalt er drei Einwände nachgewiesen. aber auch Steiner in Kenntnis setzte. In der folgenden Eliza von Moltke hat die Aufzeichnungen ihres Man- Zeit richtete Rudolf Steiner mehrere Schreiben und Medi- nes dann im Dezember 1922, zusammen mit Briefen und tationen über Eliza von Moltke an deren Gatten, was zeigt, Dokumenten ihres Gatten, im Kommenden Tag Verlag in dass man von einer Art Dreier-Konstellation sprechen Stuttgart doch noch herausgegeben. Rudolf Steiners Vor- muss, in der sie ein notwendiges Bindeglied darstellte. wort wurde nach Absprache mit ihm weggelassen; aller- Noch deutlicher wird diese ihre Funktion nach dem dings stammen die letzten Absätze des Vorworts Eliza Tode Moltkes im Juni 1916. von Moltkes wörtlich von Steiner. Im Zusammenhang Rudolf Steiner übergab Eliza von Moltke vier Tage mit den Aufzeichnungen ihres Mannes machte Eliza von nach Helmuth von Moltkes Tod eine Meditation, die ihr Moltke ein ähnliches Martyrium mit, wie dieser selbst es

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nach dem Sommer 1914 zu erleiden lichen Jahre mit all dem Schmutz, gehabt hatte. Gegenüber den zahl- die persönlichen Gemeinheiten etc. losen Anfeindungen auch gegen die- etc., die mich beinahe schließlich se Publikation verteidigte sie die in töteten – ich half mir aber wieder den Aufzeichnungen dargestellten innerlich und äußerlich auf die Bei- Tatsachen mit eiserner Unbeirrbar- ne – mit Hilfe meines Führers und keit. Moltkes Aufzeichnungen zum Lehrers, der mich erkennen ließ, wie Kriegsausbruch werden bis heute der Zusammenhang in allem war, ich von der akademischen Geschichts- schaute in die Vergangenheit, sah, wissenschaft entweder ignoriert oder wie dort der Anfang zu all den Fäden in verzerrter Form wiedergegeben. lag, die sich weitergesponnen hatten Wo sie konnte, setzte sich Eliza in diesem Leben, sah, dass in allem von Moltke in wunderbarer Geradli- Sinn und Notwendigkeit vorhanden nigkeit für die Geisteswissenschaft war, und dann (...) kam immer mehr ein. Astrid Bethusy schreibt: «Meine heraus die Sehnsucht nach dem Mutter hat bis zu ihrem letzten Norden. Ich habe unendlich viel von Atemzug treu und mutig für Rudolf Eliza von Moltke um 1910 dieser Reise, jetzt kann und darf Steiner und die Geisteswissenschaft ich mir erlauben, das Heimatgefühl gekämpft. Mit wieviel Menschen, bedeutenden Persön- voll in mir auferstehen zu lassen, nachdem ich meine lichkeiten hat sie Nächte hindurch über Geisteswissen- übernommenen Pflichten Deutschland gegenüber erfüllt schaft diskutiert, stundenlang vorgelesen, eingeführt habe.» und beraten. Sie kannte in solchen Stunden keine Mü- Im Sommer 1928 unternahm Eliza von Moltke die be- digkeit und nahm den Geisteskampf auch in öffent- schwerliche Reise nach London, um an der von D.N. lichen Versammlungen mit jedem Menschen mutig auf.» Dunlop organisierten Weltkonferenz für Anthroposophie Wesentliche Mitteilungen Rudolf Steiners an Eliza von teilzunehmen. Moltke sind in das Gralsbuch von Ende der 20er Jahre wurden im Kreise Frau von Molt- – Weltgeschichte im Lichte des Heiligen Gral (Stuttgart 1928) kes – manchmal in Anwesenheit von W. J. Stein – gele- – eingeflossen, mit dem sie in einem vertrauensvollen gentlich Séancen durchgeführt, bei denen u.a. durch ihre Verhältnis stand. Sie forderte Stein auch dazu auf, Nähe- Tochter Astrid vermittelte Post-mortem-Mitteilungen R. res über die historischen Hintergründe, in denen sie Steiners protokolliert wurden. An diesen Mitteilungen selbst als aus dem Norden stammender Rater an der Seite hatte ein Interesse, was einen bisher unver- von Papst Nikolaus I. im 9. Jahrhundert gestanden hatte, öffentlichten Briefwechsel zwischen Eliza von Moltke, Ita zu erforschen, wie ein unveröffentlichter Briefwechsel Wegman und Walter Johannes Stein veranlasste. Mit Ita dokumentiert. , der den entscheidenden Wegman verband sie auch die Liebe zum Heilen. Astrid Nikolausvortrag R. Steiners vom 1. Oktober 1922 in der Bethusy schreibt: «Meiner Mutter wurden viele Kranke in Wochenschrift Das referierte, gewährte sie den Weg geführt, und sie hat oft mit ihren starken mag- nach dem Tode Steiners Einblick in gewisse Post-mortem- netischen Kräften und durch den Einfluss ihrer Persön- Mitteilungen von seiten ihres verstorbenen Gatten. Die lichkeit helfen können. Auch da kannte sie keine Scho- Gestalt des «Umi» in Steffens Stück Chef des Generalstabs nung und war Tag und Nacht für die Menschen da.» ist aus dieser Quelle entstanden. Eliza von Moltke sah ihr Und noch ein anderes Charakteristikon: «Man sah sie Vertrauen getäuscht und rechnete dieses Stück zur Geg- nie ohne Beschäftigung. Stunden um Stunden bis tief in nerliteratur gegen Moltke, da es entscheidende Punkte in die Nacht hat sie Vorträge von R. Steiner, die nicht zu verzerrter Form wiedergebe; indem es zum Beispiel den kaufen waren, abgeschrieben, mit ihrer klaren, schönen Eindruck erwecke, der Generaloberst hätte die Gepflo- Handschrift. Viele Stunden saß sie am Webstuhl, oder sie genheit gehabt, den Geisteslehrer von sich aus zu Vorträ- entwarf Filtetmuster oder stickte im Rahmen die wunder- gen in sein Haus einzuladen. baren Weißstickereien, die von einer künstlerischen und Im Juli 1926 fuhr sie zum ersten Mal seit Jahrzehnten manuellen Vollendung waren.» in ihre schwedische Heimat. An ihren ältesten Sohn Eliza von Moltke starb am 29. Mai 1932 in Ambach am schrieb sie: «Als Papa am 18. Juni 1916 die Augen schloss, Starnberger See. W. J. Stein, der sie noch am Krankenlager konnte ich mir sagen: du hast Deine Aufgabe nach be- besuchte, hielt eine interne anthroposophische Gedenk- stem Ermessen erfüllt – dann kamen aber die entsetz- ansprache in Stuttgart (unveröffentlicht).

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 13 Astrid Bethusy-Huc

Astrid Gräfin Bethusy-Huc, Im Alter von etwa dreizehn Jahren sah Astrid erst- mals eine Aufführung von Schillers Jungfrau von Orléans. geb. von Moltke (1882 –1961) «Ich war so beeindruckt», schreibt sie später, «dass ich mich nur schwer in die Wirklichkeit zurückfand und strid von Moltke wurde am 6. März 1882 in Berlin lange Zeit unter dem Eindruck dieses Erlebens stand. Ich A als ältere Tochter von Helmuth und Eliza von Molt- lernte aus Begeisterung die ganze Rolle der Schiller- ke geboren. In ihrer Kindheit diente ihr Vater als Adju- schen Jungfrau auswendig und setzte es durch, die Dar- tant seines gleichnamigen Onkels, des berühmten Sie- stellerin der Rolle, Amanda Lindner, kennen zu lernen, gers von Königgrätz und Sedan, während die Mutter mit der mich dann viele Jahre bis zu ihrem Tode eine nicht nur der eigenen Familie, sondern auch dem alten treue Freundschaft verband.» Herrn den Haushalt führte. Den Sommer verbrachte Die Bedeutung, die Astrid für den Entwicklungsgang man auf dem Gut Kreisau. ihrer Mutter hatte, geht aus folgender Passage ihrer Astrid hatte schon als kleines Kind «Verbindung mit Erinnerungen hervor: «Ich hatte von klein auf eine der Geistwelt gehabt», wie sie in ihren unveröffentlichten starke Sehnsucht nach allem Religiösen, so erfüllten Erinnerungen andeutet, was R. Steiner später bestätigte. mich die Kindergottesdienste, später die Gottesdienste Sie war ein stilles Kind, das in starker seelischer Verbin- von Pastor Hagenau, mit großem Glück, und meine dung zu den Eltern, den Geschwistern und dem Opapa Einsegnung hat einen tiefen Eindruck in mir hinterlas- genannten Großonkel aufwuchs. Die gemeinsamen, ein- sen. Innerlich froh war ich, als es mir gelang, meine fachen Mahlzeiten – Butter galt als Verschwendung – wur- Mutter nach vielen Bitten zu bewegen, an den Gottes- den von den Kindern schweigend eingenommen, es sei diensten teilzunehmen und dadurch, ohne dass ich es denn, dass man sie zum Reden aufforderte. ahnte, mithalf, ihren späteren Weg vorzubereiten. – Eine Gouvernante sorgte zusätzlich für gute Um- Als ich mich dann nach einer schweren Ohnmacht, gangsformen sowie eine gründliche Beherrschung der nach der ich lange kränkelte, erholt hatte und eine lan- französischen Sprache. Ein heimliches Spiel mit der Pe- ge Zeit die intensivste Verbindung mit der Geistwelt rücke des Opapa, bei dem man sich nicht erwischen las- durchlebte, über die mehr zu sprechen mir mein Ge- sen durfte; Opapa beim Bäumeschneiden, mit den El- fühl verbietet, fand auch meine Mutter, die alles miter- tern beim Whist-Spiel sitzend oder mit den Kindern lebte, eine neue Brücke zu dem Land, das sie suchte Fangen spielend; der Vater, der den Kindern plattdeut- und schließlich bei ihren intensiven Fragen nach sche Geschichten von Reuter vorliest oder treffende Ka- geistiger Offenbarung und verschiedenen Erlebnissen rikaturen zeichnet; der Empfang von «Kaiserbonbons» – den Weg zu Rudolf Steiner und erkannte sofort in ihm 10 cm große Kandiszuckerbonbons in Silberpapier, mit den großen Eingeweihten. Ich folgte ihr bald.» Diese einem Bild der Kaiserlichen Familie – bei festlichen An- Krankheit öffnete auch ihrem Vater das Gehör für lässen zu Hof; das Sammeln von Eicheln für die Schwei- spirituelle Realitäten, wie aus den Post-mortem-Mit- ne; das genüssliche Verzehren eines teilungen Helmuth von Moltkes Bratapfels am Kachelofen; das Küs- hervorgeht. sen der Hand von Opapa und Vater Mit neunzehn Jahren heiratete vor dem Schlafengehen; Landfahr- Astrid von Moltke den einundzwan- ten im zweirädrigen, stark wippen- zig Jahre älteren Grafen von Bethu- den Dogcard der Mutter; das Largo sy-Huc, der «mich auf Händen trug» Händels, vom Cellisten Grundfeld und der sechs Kinder in die Ehe mit- bei feierlichen Anlässen öfters ge- brachte. Dem Paar wurden weitere spielt; der große Berliner Fackelzug vier Kinder geschenkt. «Ich habe das zu Ehren des 90jährigen Opapa; die große Glück empfunden, Mutter vom Balkon des Generalstabsgebäu- sein zu dürfen» schrieb Astrid von des mitverfolgte Überführung sei- Bethusy-Huc im Rückblick auf ihr nes Sarges nach Kreisau– solche Bil- Leben. der können etwas von der Atmos- Parallel zu ihrem Mutterdasein phäre dieser geformten und behüte- verfolgte sie mit inniger Anteilnah- ten Kindheit wiedergeben, wie sie me das sich entfaltende anthro- nur noch im 19. Jahrhundert mög- posophische Leben, oft gemeinsam lich war. mit ihrer Mutter. «Wie schön waren Astrid Bethusy-Huc mit Bruder Adam

14 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Astrid Bethusy-Huc unsere gemeinsamen Reisen zu lichung dieses welthistorisch be- Vorträgen von R. Steiner oder zu deutsamen Materials. Nicht zuletzt den Mysterienspielen in München, mit Bezug auf diese Aufzeichnun- ebenso die gemeinsam erlebten vie- gen Rudolf Steiners gilt das Wort, len Berliner Vorträge im großen mit dem Jürgen von Grone seinen oder intimsten Kreis und später die Nachruf schloss: «So dürfte die Grä- Besuche von R. Steiner bei meinen fin Astrid Bethusy zu jenen Frauen- Eltern, wo oft bis tief in die Nacht gestalten im Abendland zu zählen über größte Welt- und Menschheits- sein, welche nicht berufen sind, Ge- probleme gesprochen wurde.» schichte zu machen, die aber un- Rudolf Steiner hat der 27jährigen mittelbar beteiligt sind, wenn Gro- Astrid von Bethusy-Huc eine Photo- ßes geschieht.» graphie geschenkt, auf deren Rück- Astrid Bethusy-Huc starb am 29. seite die Worte standen: Oktober 1961 in Eisenschmitt, Eifel. Astrid Bethusy-Huc, im Alter «Entwicklung des Menschen ist: Thomas Meyer Entzünden im Seelenfeuer der Liebe Die leuchtende Weisheit des Geistes.»

Die ältere Moltketochter lebte viele Jahre zurückgezo- Zu Eliza von Moltke gen auf dem Lande, ganz ihren familiären Pflichten hin- Werke: gegeben. Nach der Kaltstellung ihres Vaters im Herbst Generaloberst Helmuth von Moltke – Erinnerungen, Briefe, Dokumente 1914 wurde sie «nach Berlin gerufen, wo sie an der Sei- 1877 – 1916, Stuttgart 1922. Hg. von E. v. Moltke. te ihrer Mutter das schwere seelische Leiden ihres Vaters «Die Sehnsucht nach dem Norden», Ein Brief an ihren ältesten Sohn, in Der Europäer, Jg. 2, Nr. 8, Juni 1998, S. 10ff; «Hier habt monatelang in erschütternden Tagen und Nächten mit- ihr die Wahrheit», Brief an W. J. Stein über Steffens Chef des erlebt, als diese mit dem Genius des deutschen Volkes Generalstabs, a.a. O., Jg. 5, Nr. 8, Juni 2001, S. 7f. zutiefst verbundene Persönlichkeit vorausschauenden Literatur: Blickes die deutsche Katastrophe herannahen sah», wie Bethusy-Huc, A. (geb. von Moltke), Erinnerungen (unveröffentlicht). Jürgen von Grone in seinem Nachruf schrieb. Grone. J.v., Die Marneschlacht, Stuttgart 1934. Ders., Helmuth von Astrid von Bethusy-Huc verbrachte die Zeit nach Moltke und Rudolf Steiner – Authentische Aussagen, Privatdruck, dem Zweiten Weltkrieg bis zu ihrem Tod im Haus ihrer Stuttgart 1972; abgedruckt in Der Europäer, Jg. 2. Nr. 2/3, Dezem- ber/Januar 1998/99, S.11ff. Tochter und ihres Schwiegersohnes – im «Waldhaus» in Meyer, Th. (Hg.), Helmuth von Moltke – Dokumente seines Lebens einem einsamen Eifeltal. Hier hütete sie auch treu den und Wirkens. Mit Beiträgen von Jürgen von Grone, Jens Heister- ihr anvertrauten Schatz der Post-mortem-Mitteilungen kamp, u.a., 2 Bde. Basel 1993 (vergriffen). ihres Vaters, in denen sie selbst als «es», ihre jüngere Meyer, Th., Pfingsten in Deutschland – ein Hörspiel um die deutsche Schwester Else als «el» und ihre Mutter als «sie» be- Schuld, Basel 2001. Mombauer, A., Helmuth von Moltke and The Origins of the First zeichnet wird. Gerne gab sie ihr geeignet erscheinen- World War, Cambridge 2001. Dazu: Meyer, Th., «Ein Tendenzwerk den Persönlichkeiten von deren Inhalt mündlich gegen Moltke und Steiner», in Der Europäer, Jg. 5, Nr. 11, Septem- Kenntnis, so René Querido, einen jüngeren Freund und ber 2001. Schüler W. J. Steins, der sie einmal im «Waldhaus» be- Tautz, J., Walter Johannes Stein – eine Biographie, Dornach 1989. suchte. Sie gestattete und Jürgen von Grone 1952, eine handschriftliche Abschrift zu machen und Zu Astrid Bethusy-Huc bestimmte Jürgen von Grone zum treuhänderischen Werke: Nachfolger für die Verwaltung dieser einzigartigen Erinnerungen (unveröffentlicht). Papiere. Sie setzte ferner fest, dass «die Original- «Vor allen Dingen kommt es auf die Gesinnung an» – Ein Brief von Astrid Bethusy-Huc an René Querido, in: Der Europäer, Jg. 3, dokumente und die Abschrift niemals in die Verfügung Nr. 9/10, Juli/August 199, S. 25. einer Institution, wie Anthrop. Gesellschaft oder Literatur: Christengemeinschaft gelangen». Jürgen von Grone be- Grone, J. v., «Astrid Gräfin von Bethusy-Huc», in Mitteilungen aus stimmte Johannes Tautz als seinen Nachfolger und die- der anthroposophischen Arbeit in Deutschland, Ostern 1962, S.68 ff. ser den Schreiber dieser Zeilen. So kam es im Jahre 1993 «René M. Querido – Ein Interview», in: Der Europäer, Jg. 3, Nr. im Einvernehmen mit Tautz zur erstmaligen Veröffent- 9/10, Juli/August 199, S. 25.

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 15 Deutschland und Europa

Deutschland, Europa und die «amerikanische Verantwortung» Kritische Betrachtung zu Äußerungen eines prominenten Anthroposophen

nknüpfend an den Europa-Artikel der letzten Euro- herumschnitzt. Warum wird nicht eine ganz neue Wort- A päer-Ausgabe, soll noch auf ein aktuelles Phäno- prägung geschaffen? men eingegangen werden, das mit dem Thema ver- Sodann kann man nach dem Sinn des umgebildeten bunden ist: Das öffentliche Wirken von Yeshayahu Spruchs, speziell nach dem Sinn des Wortes «ihm» (vom 1 Ben-Aharon. Schreibenden hervorgehoben) fragen. Aus dem Kontext Ben-Aharon veröffentlichte im Jahre 1993 in eng- ergibt sich, dass hiermit der «deutsche Geist», ein Volks- lischer Sprache ein Buch, das 1994 im Verlag am Goe- geist, gemeint sein muss, dem sich vorläufig etwas an- theanum Deutsch erschien: Das spirituelle Ereignis des scheinend noch nicht offenbart hat, nämlich sein eige- 20. Jahrhunderts – Eine Imagination. Auch wenn an der nes «Sterben». Objektivität dieser Forschungsergebnisse gezweifelt Dieser Gedankengang erscheint abartig und unver- wurde, war immerhin der Grundgehalt der «Imagina- ständlich zugleich. Doch im Zusammenhang mit dem tion» beeindruckend: Ein spiritueller Brückenbau von damaligen Seminar war deutlich, dass auf diese Weise der Zeit um 1994 über den Abgrund der Katastrophe im Grunde auf ein Seelisches hingewiesen sein wollte: Mitteleuropas (1933–45) bis zum Anfang des 20. Jahr- Mitteleuropäer sollten zuerst einmal sehen, wie tief sie hunderts (anthroposophisches Erdenwirken Rudolf gefallen sind, bevor sie mit Zukunfttaten im Sinne des Steiners). Spruches von Steiner rechnen könnten. Dieses Gefühl Im Frühjahr 1998 konnte der Schreibende an einem kann auf seelischem Felde verstanden werden, be- Wochenendseminar unter der Leitung von Ben-Aharon sonders wenn ein gebürtiger Israeli es in Worte bringt. im Stuttgarter Forum 3 teilnehmen. Zu dieser Zeit hatte Aber handelt es sich beim «deutschen Volksgeist» Ben-Aharon schon Arbeitskontakte mit , nicht um eine wirkliche, real-geistige Wesenheit, deren jenem philippinischen «Dreigliederer», der in letzter Wirksamkeit von Rudolf Steiner für einen längeren Zeit- Zeit zusammen mit Ben-Aharon zu den heute maßgeb- raum geschaut war, als für ein paar Jahrzehnte, nämlich lichen Vertretern der Sozialen Dreigliederung gerechnet für etwa ein Jahrtausend? 3 Es kann einem ein Rätsel sein, 2 wird. wie gerade ein Zeitgenosse, der die Geisteswissenschaft Anlässlich eines öffentlichen Vortrags am Rande des intensiv studiert hat4, öffentlich zu Urteilen gelangen Seminars kam Ben-Aharon auf Rudolf Steiners Volks- kann, die vor diesem Hintergrund ganz unverständlich geistspruch «Der deutsche Geist hat nicht vollendet ...» sind. (siehe: Der Europäer, Jahrgang 8, Nr. 1) zu sprechen und Neuerdings schreibt Ben-Aharon am Ende seines Goe- dichtete ihn um, so wie er seiner Anschauung nach theanum-Leitartikels vom 6. Juli 2003: «Rudolf Steiner «heute» lauten müsste. Dabei wurde der zweite Teil des bemerkte bereits 1919, dass Deutschlands militärische Spruches wie folgt abgeändert: und politische Situation Ausdruck einer tieferliegenden sozialen und moralischen Krise war und dass Amerika Statt «Wie darf in Feindesmacht ...» heißt es: dabei war, zu einem neuen globalen Empire zu werden.» «Es darf der Feind in des Bösen Abgrundtiefen Nicht erwähnt wird, dass trotz des Niedergangs der al- An seinem Ende sich beleben, ten Kräfte in Mitteleuropa die Chance zur Geburt der Solang das Sterben sich ihm nicht offenbart, Dreigliederung des sozialen Organismus gerade hier am Das ihm in Wesenswurzeln größten war. Die Zeit war allerdings noch nicht reif. Die Auferstehung allein gewährt.» Statt nun mit den längerfristig angelegten mitteleu- ropäischen Impulsen geduldig und energisch zu rech- (Der abgeänderte Teil wurde wiederholt gelesen, so dass nen, geht Ben-Aharon zur «globalen Verantwortung man mitschreiben konnte. Zeileneinteilung: J.-P. M.) Amerikas»5 über. Wenn man den letzten Vortrag aus Die Sendung Was liegt hier vor? Michaels (GA 194), auf den sich Ben-Aharon bezieht, Zunächst kann einem auffallen, dass ein Lehrling das oberflächlich liest, mag man zustimmen: Steiner spricht Werk (seines) Meisters in die Hand nimmt und daran von «unserer europäisch-amerikanischen Zivilisation».

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Und am Ende sagt er: «Die anglo-amerikanische Welt plötzlich am 12. April 1945, ohne in der Lage zu sein, mag die Weltherrschaft erringen: Ohne die Dreigliede- seine weitreichenden Ideen umzusetzen.» rung wird sie durch diese Weltherrschaft über die Welt Wenige Zeilen später heißt es: «Seit dem 11. Septem- den Kulturtod und die Kulturkrankheit ergießen...»6 ber 2001 wissen die Amerikaner um die Verwundbarkeit Also könnte man daraus schließen: Wenn nun schon und Durchläßigkeit der Grenzen ihres Landes.» einmal Amerika prädestiniert ist, die Weltherrschaft zu Wenn man die von Roosevelt in der Öffentlichkeit erringen, dann bitte gleich zusammen mit der Einfüh- verlogen dargestellten Vorgänge von Pearl Harbor und rung der Dreigliederung, denn aus dem moralisch ma- die ähnlich verlogenen Erklärungen der Bush-Administ- roden Europa kann wohl vorläufig nichts Wesentliches ration zum 11. September 2001 kennt, so sprechen die- mehr kommen. (Ausgangspunkt von Ben-Aharons Be- se Beurteilungen Ben-Aharons, gelinde gesagt, nicht für trachtung ist, dass die amerikanische Unabhängigkeits- seinen Realitätssinn. erklärung in sich selbst schon dreigegliedert sei). Jens-Peter Manfras, Unter-Kulm

Wenn man allerdings bei Rudolf Steiner genauer liest, dann bezieht sich die zu erringende Weltherr- schaft allein auf ein globalisiertes Wirtschaftsleben, das nur der Anlage nach anglo-amerikanisch ist (aus den dortigen wirtschaftsgewandten «Volksgewohnheiten» heraus), das aber nur dann heilsam wirken kann, wenn es sich mit dem in Europa urständenden Impuls der Dreigliederung verbindet. «Es ist Amerikas Karma, die Lektion der Macht zu ler- nen. Dieses Schicksal kann sich nur über den Verlauf mehrerer Jahrhunderte entfalten», schreibt Ben-Aharon weiter. Kein geringes Wort, vor dem Hintergrund des ge- rade «beendeten» Irakkrieges! Auf wessen Rücken sollen hier welche Lektionen ge- lernt werden? Die Geduld, die Ben-Aharon den euro- päischen Impulsen nicht mehr entgegenbringt, lässt er umso großzügiger dem neuen «Empire» zukommen. 1 Ben-Aharon, geb. 1955 in Israel, ist Begründer der internatio- Am Ende sollen noch tragische Ungereimtheiten an- nalen Kibbuz-Gemeinschaft und Mitbegründer von gesprochen werden, die nicht direkt mit der anthro- «Activists for Israeli Civil Society» (ICS) und des «Global Net- posophischen Vorbildung Ben-Aharons zu tun haben, work for » (GN3), die beide praktische «so- sondern seine Beurteilung bestimmter äußerer ge- ziale Dreigliederung» verwirklichen wollen. schichtlicher Ereignisse betreffen: 2 Siehe Dreigliederungsartikel der Zeitschriften Das Goetheanum und Info-3. Man sollte heute von jedem, der sich öffentlich über 3 Gerade die im Artikel «Trotz allem: EUROPA» unterstrichene menschheitliche Aspekte amerikanischer Politik der Verbindung des deutschen/mitteleuropäischen Volksgeistes letzten Jahrzehnte äußert, erwarten können, irgend- mit den Inhalten der Geisteswissenschaft deutet auf diesen wann auch auf die Problematik von Pearl Harbor und längeren Zeitraum hin. R. Steiner weist am 17. Januar 1915 der damaligen Roosevelt-Administration gestoßen zu darauf hin, «dass wir hinblicken müssen auf eine Zukunft sein. Das scheint bei Ben-Aharon nicht der Fall zu sein: nicht nur von Jahrhunderten, sondern von mehr als einem Jahrtausend, in welchem der mitteleuropäische, der deutsche Nachdem er in seinen jüngsten Ausführungen7 der ame- Volksgeist eine Aufgabe hat» (GA 157). rikanischen Unabhängigkeitserklärung eine «spirituel- 4 Siehe Ben-Aharons umfassendes Buch Die neue Erfahrung des le», «biblische» Dimension abgewinnt, etwas später Übersinnlichen, Verlag am Goetheanum, 1997. eben auch noch «Dreigliedrigkeit», wird unvermittelt 5 Der ganze hier angesprochene Goetheanum-Leitartikel ist ein Franklin Delano Roosevelt als Träger dieser Ideale dar- Auszug aus der Einleitung des kürzlich in den USA erschiene- gestellt: «Roosevelt begann – wie John F. Kennedy, der nen Buches: America’s Global Responsibility. Eine Langfassung dieses Textes erschien im Juni-Heft (2/03) des «Rrundbriefs in den 60er Jahren in seine Fußstapfen trat – die Grund- Dreigliederung des sozialen Organismus». lagen für eine amerikanische Rolle in der Welt zu for- 6 Dieses Zitat bringt auch Ben-Aharon zum Abschluss seines mulieren, die im Einklang mit der Unabhängigkeits- Leitartikels. erklärung gestanden hätte. (...) Leider starb Roosevelt 7 siehe Fussnote 4.

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 17 Polen und Europa

Polen im Herzen Europas Von Markus Osterrieder

ie Landschaft Polens ist mit dem Element des Was- Novi»-Akt des Jahres 1505 hatte die Szlachta zudem Dsers verbunden wie die Tschechiens mit dem mine- durchgesetzt, dass die gesetzgebende Gewalt «von nun ralischen Element. «Kristallisiert» sich Böhmen nach an für alle Zukunft nichts Neues von Uns und Unseren Westen hin, so öffnet, «verflüssigt» sich Polen nach Nachfolgern» beschliessen dürfe «ohne allgemeine Zu- Osten. Nach der polnischen Besitznahme von Galizien stimmung der Räte [Senatoren] und der Landboten», al- und Wolhynien im 14. Jahrhundert trat zu dieser nord- so nichts ohne das ausdrückliche Einverständnis der östlichen Komponente, die Polen in die deutsch-bal- «Schlachzizen». Innerhalb des eigenen Standes galt das tisch-skandinavische Welt einbettet, eine südöstliche, Gesetz der demokratischen Gleichheit und Freiheit. die es über Dnepr, Dnestr und östlichen Bug mit den Man lehnte hierarchische Rangunterschiede ab, die Ad- ukrainisch-südrussischen Steppen und dem Schwarzen ligen sprachen sich untereinander als Panie Bracie Meer verband – jedenfalls bis 1945. Wie zwei Brücken, («Mein Herr Bruder») an. Frauen wurden ebenbürtig be- die in entgegengesetzte Richtungen weisen, verbinden handelt und verfügten über die gleichen Besitz- und diese beiden grössten Westslavenvölker, Polen und Erbschaftsrechte. Vor diesem Hintergrund wird ver- Tschechen, den Osten mit dem Westen. ständlich, warum die Ideale und Ziele der Französischen Das kulturelle und politische Zentrum Polens verla- Revolution gerade in Polen auf ein besonders lebhaftes gerte sich im Lauf der Jahrhunderte von Gnesen über Echo stiessen. Krakau nach Warschau. Die unterschiedlichen Schicksa- Die Vorstellungswelt der Szlachta beruhte auf einem le der einzelnen Regionen und die administrativen Aus- familiären, letzten Endes bäuerlich geprägten Lebensge- wirkungen der Teilungen hinterliessen im polnischen fühl, dessen kultureller und wirtschaftlicher Mittel- Gemeinwesen eine ausgesprochene Vorliebe für dezen- punkt das Landgut (dwór) darstellte, über das der tralisierte Strukturen. Das Bewusstsein der «Polonität» Schlachzize wie ein römischer pater familiae wachte. Je- (polskoÊç) blieb jedoch selbst in den Zeiten der Fremd- der Hof bildete eine harmonisch in sich ruhende Welt; herrschaft erhalten, denn es wurzelte in einer kulturel- das ganze Staatswesen der Res Publica wurde als eine lo- len und sozialen Lebensweise, un art de vivre. Der Kra- se verbundene Gemeinschaft solcher patriarchalischer kauer Philologe Jan Bloƒski hat dieses Ideal sehr schön Einheiten verstanden. Man pflegte Formen der Ritter- in den Worten charakterisiert: «Polen ist eine Födera- lichkeit, liebenswürdigen Ergebenheit (laskawoÊç) und tion von Nachbarschaften, von freien und einander Höflichkeit (grzecznoÊç), die in der polnischen Gesell- gleichgestellten Nachbarschaften. Dort, wo man am schaft bis heute lebendig geblieben sind. Die Werteskala freundschaftlichsten, am reinsten zusammenlebt, dort der Szlachta umfasste zudem eine in den Rausch und ins befindet sich auch das Herz Polens.»1 Kultische gesteigerte Glorifizierung des «Heldentums» Seit dem 15. Jahrhundert wuchs die «Szlachta», wie und des heldenhaften Aufstandes (rokosz) – des verbrief- sich der polnische Adel nannte, auf Kosten der könig- ten Rechts auf Widerstand –, sollten bestehende Gesetze lichen Zentralgewalt zur führenden politischen Kraft im und Gewohnheiten verletzt werden. Reich. Der Anteil der Szlachta an der Gesamtbevölke- Es war vielleicht das grösste Versäumnis der polni- rung Polen-Litauens betrug etwa 8–12%, ein im europä- schen Adelsnation, dass die Szlachta ihre Werte der ischen Vergleich aussergewöhnlich hoher Wert. Sie war «Freiheit (wolnoÊç), Gleichheit (równoÊç) und Brüder- keine einheitliche Schicht oder wirtschaftliche «Klasse», schaft (braterstwo)» nicht auf die übrige Bevölkerung sondern umfasste von den grundbesitzenden Magna- übertragen wollte. Wie einst die Angehörigen der anti- tenfamilien bis zu der besitzlosen Hołota, deren Mitglie- ken griechischen Polis konnten die Szlachzizen noch der sich oft als einfache Landarbeiter verdingten, sozial nicht die Bande des Blutes überwinden. Sie verschlossen völlig unterschiedlich gestellte Personen, die allesamt sich in den Interessen ihrer vertrauten ständisch-aristo- an den Traditionen, Rechten und Privilegien ihres Stan- kratischen Lebenssphäre, die den anderen Schichten des teilhatten. Die Gesamtheit der Szlachta verstand der Bevölkerung – insbesondere den politisch rechtlo- sich als «polnische Nation», die als Interessensverwalter sen Städtern – keine Entfaltungsmöglichkeit liess und der «Adelsrepublik» (Rzeczpospolita szlachecka) auftrat. den sich wandelnden sozialen Erfordernissen der Neu- Dabei wurden bewußt Formen und Ideale der antik- zeit mehr oder weniger verständnislos gegenüberstand. lateinischen Res Publica nachgeahmt. Durch den «Nihil So gerieten immer mehr Bauern in Leibeigenschaft, die

18 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Polen und Europa soziale Verelendung nahm stetig grössere Ausmasse an. trotz der Emigration zahlreicher polnischer Intellektuel- Der grosse Denker Andrzej Frycz Modrzewski (Andreas ler und trennender Staatsgrenzen nicht etwa zum Erlie- Modrevius, 1503–1570) hatte seine adligen Landsleute gen, sondern erreichte auf allen Gebieten einen Gipfel- umsonst ermahnt, einen Rechtsstaat zu schaffen, der punkt. So gewährleisteten im 19. Jahrhundert Kultur sich auf der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und Sprache das Überleben und die Kontinuität der na- gründen und den Bauern Integrität der Person, Eigen- tionalen Existenz. In der Tatsache, dass die Polen seit tum und Freiheit garantieren sollte. Im Jahre 1557 rief dem 16. Jahrhundert von allen Slavenvölkern das ho- Modrzewski vor dem Reichstag (Sejm) zornig aus: «Wie mogenste und in sich gefestigste Kulturleben besassen, könnt ihr nach der Herrlichkeit Gottes streben, den ihr ist wohl eine Wurzel des Charakterzuges verborgen, der nicht seht, – ihr, die ihr das Leben eures Bruders verach- die Polen in erwähnte Seelenverwandtschaft zu den tet, welchen ihr vor Augen habt? (…) Sagt aufrichtig, Franzosen und darüber hinaus zur Antike stellt: Ähnlich liebt ihr das gemeine Volk wie euch selbst? Wenn ja, wa- wie im Kulturbewusstsein der Franzosen die Länder rum macht ihr dann um das Leben jener Menschen rechts des Rheins von «Barbaren» bevölkert waren, so ist nicht ebensoviel Aufhebens wie um euer eigenes? (…) im polnischen Selbstverständnis das Gefühl der eigenen Selbst wenn sie [die Mächtigen] in ihrem ureigenen kulturellen Überlegenheit über die Nachbarn im Osten Interesse handeln, schieben sie immer die Republik vor, fest verankert. Der messianistische Kulturauftrag er- als ob diese für das Vergnügen einiger weniger und setzte die fehlende Staatlichkeit. Polen, Verteidiger der nicht zum Wohle aller geschaffen wäre.»2 westlichen Werte vor dem Ansturm des kulturlosen Die im Westen zu Unrecht oft unterschätzte zivili- Asien, müsse den Osten zivilisieren, schrieb ein demo- satorische Leistung des faszinierenden, aus polnischen, kratischer Publizist 1833: «In unserer Wiedergeburt ist litauischen, ruthenischen, jüdischen, deutschen, arme- gleichzeitig die Idee der Wiedergeburt und der Aufklä- nischen, tatarischen und anderen Elementen zusam- rung des gesamten Slaventums enthalten, der Auftrag, mengesetzten Reichswesens konnte nur erfolgen, weil das Licht der Zivilisation in den ungebildeten und rück- in den nachbarschaftlichen Beziehungen grösstmögli- ständigen Osten zu tragen.»5 che religiöse und kulturelle Toleranz waltete. Die Rzecz- Obwohl die Strömung des Messianismus im europäi- pospolita des ausgehenden 16. Jahrhunderts war in schen Geistesleben auf kein tieferes Echo traf, war ihr Europa als paƒstwo bez stosów («Staat ohne Scheiterhau- Anliegen von herausragender, ja universeller Bedeu- fen») bekannt, in dem Religionsfreiheit herrschte und tung. In enger Anlehnung an die Gedanken der deut- Verfolgte aus allen Teilen des Kontinents Zuflucht fan- schen Goetheanisten (die ebenso unbeachtet blieben) den. Erst die verstärkte katholisch-jesuitische Einfluss- entwickelten Messianisten wie Słowacki, Zygmunt Kra- nahme während der Gegenreformation im 17. Jahrhun- siƒski und August Cieszkowski die Vorstellung der Re- dert überdeckte den Toleranzgedanken in zunehmen- inkarnation als Grundlage der menschheitlichen Ent- dem Masse durch ein missionarisches Sendungsbe- wicklung; die Überhöhung des Polentums war ihnen wusstsein.3 Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung ein Ausdruck der übernationalen Suche nach dem Sinn erschöpft sich die «Polonität» nicht im Katholizismus. der Geschichte und des menschlichen Werdens. So zi- Dieser ist lediglich für eine Geistesrichtung innerhalb tierte und kommentierte Krasiƒski 1843 in einem Brief des Polentums repräsentativ, die andere Strömungen an seine Geliebte Delfina Potocka die Worte des Freun- allmählich zu verdrängen suchte. Gerade die tiefgrün- des Siowacki: «‹Jeder Geist, von Gott einer Organisation digsten Denker des polnischen Messianismus im 19. eingehaucht, hat eine göttliche Mission, d. h. er muss Jahrhundert beklagten diese Entwicklung. So nannte sich durchschlagen durch die Materie, indem er mit der polnische Nationaldichter Juliusz Słowacki (1809- seiner schöpferischen Kraft ihr immer vollkommenere 1849) die päpstliche Herrschaft eine der «schrecklich- Formen verleiht› (das Verdienst, das unser Ich zum Ich sten Tyranneien des Geistes auf Erden» und schrieb in macht), ‹bis er schliesslich das Wort sprechen kann, das einem Vers: «Oh Polen! Dein Kreuz ist der Papst, Du Christus am Kreuz aussprach: Consumatum est!› (Das gehst an Rom zugrunde!»4 heisst, bis er vor Gottes Angesicht von sich selbst un- In den drei Teilungen von 1772, 1793 und 1795 wur- sterblich sagen kann: Ich) (…) Wir glauben also an die de die Rzeczpospolita von den angrenzenden, absoluti- unvollendete Arbeit des Geistes und an seine Rückkehr stisch und zentralistisch regierten Monarchien Russ- auf die Erde, bis er sie vollendet hat, also an eine Kette land, Preussen und Österreich rücksichtslos ausgelöscht. von Leben, die durch das Evangelium bestätigt sind, Eigentümlicherweise kam das polnische Kulturschaffen und deswegen greifen die katholischen Priester uns in dieser Periode der grössten politischen Ohnmacht an.»6

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 19 Reiseeindrücke

Im Polentum lebt ein tiefverwurzelter Hang zu sozia- 19. Jahrhunderts eine Vielzahl von genossenschaft- len Gemeinschafts- und Lebensformen, die sich ausser- lichen Einrichtungen und entfaltete politische Aktivi- halb des administrativen Rahmens entwickeln, den der täten in Vereinen, Verbänden, Genossenschaften und neuzeitliche Staat festgelegt hat. Die Ablehnung des fliegenden Universitäten. Es darf deshalb nicht verwun- Zentralstaates und seiner Beamtenmaschinerie trat dern, dass Rudolf Steiner im Jahr 1919 versuchte, die schon in der Szlachta-Gesellschaft des 16. und 17. Jahr- Oberschlesien-Frage im Sinne des Dreigliederungsge- hunderts scharf hervor. Es lag im Interesse der absoluti- dankens zu lösen, denn der Boden hierfür war längst stischen Nachbarstaaten, insbesondere jedoch im Inter- vorbereitet. esse der russländischen Zaren, dass die polnische Der Sozialanarchist Edward Abramowski (1868-1918) «Anarchie», die im 18. Jahrhundert selbstzerstörerische umriss die Ziele der «selbstverwalteten Gesellschaft» mit Formen angenommen hatte, von aussen zusätzlich ge- den Worten: «Überall dort, wo gemeinsame Ziele beste- nährt wurde. Gleichzeitig wussten die benachbarten hen oder aufkommen (…), überall dort sollen Vereini- Mächte jeden Ansatz der Selbsterneuerung zu verhin- gungen entstehen, die diese gemeinsamen Interessen in dern, wie zum Beispiel die Verwirklichung der ersten ge- ihre Hände nehmen und gerade dadurch für die Men- schriebenen Verfassung Europas vom 3. Mai 1791. schen staatliche Aktivitäten auf diesem Gebiet entbehr- Zwar wurde die polnische Rzeczpospolita Ende des lich machen. Den Staat kann man nur mit Hilfe von 18. Jahrhunderts von der Landkarte getilgt, doch gerade Vereinigungen eliminieren. (…) Vereinigungen (…) ver- die Teilung setzte in der polnischen Gesellschaft neue treiben nicht nur die Staatlichkeit aus dem mensch- Kräfte frei, welche die ehemalige Adelsnation in eine lichen Leben, sondern sie entwickeln auch die Men- moderne, alle Schichten der Bevölkerung umfassende schen selbst, und zwar dadurch, dass sie Selbständigkeit Gesellschaft verwandelten. Dieses Gemeinwesen, das in im Erledigen der eigenen Angelegenheiten lehren, per- der polnischen Sprache społeczeƒstwo heisst (etwa im sönliche Initiative und Energie herausbilden, dazu auch Sinne von Zivilgesellschaft), erfuhr die Einrichtung des freiwillige Solidarität und Wertschätzung des Menschen neuzeitlichen Staates in den drei Teilungsgebieten als als des bewussten Schöpfers von etwas Neuem.»7 Das etwas Fremdes, Nicht-Polnisches, als ein den Interessen perfekt funktionierende Untergrundnetz, welches die der Bevölkerung feindlich gesonnenes Werkzeug von polnischen Widerstandskämpfer während der national- Besatzern. Deshalb wuchsen die Bestrebungen, auf dem sozialistischen Besatzungszeit 1939-1944 organisierten, Erfahrungshintergrund der Adelsrepublik das öffentli- schloss ebenso an die Erfahrungen der Teilungszeit an che Leben dem Zugriff des Staates weitestgehend zu ent- wie die Vereinigungen, die der Kommunistischen Partei ziehen. Die Gesellschaft musste sich gegen den Staat seit 1976 das Recht auf die führende und leitende Rolle verteidigen, musste sich selbst organisieren und selbst in der Gesellschaft absprachen. verwalten, also gerade diejenigen Tätigkeiten in die ei- Unmittelbar nach der gewaltsamen Niederschlagung genen Hände nehmen, die man in anderen Teilen Euro- des Streiks von 1976 entstand im Untergrund ein dicht pas dem Staat und seinen Beamten übertrug. Insbeson- geknüpftes Netz von gesellschaftlichen Einrichtungen. dere in dem von Preussen besetzten Grossherzogtum Während der Streikwelle vom August 1980 schloss sich Posen schuf das Gemeinwesen in der zweiten Hälfte des die Inteligencja mit der selbstbewussten Arbeiterschaft zusammen. So wurde aus der Gewerkschaftsbewegung SolidarnoÊç («Solidarität») in den Jahren 1980/81 schnell eine breite Bewegung zur Erneuerung der polni- schen Gesellschaft, an der sich auf dem Höhepunkt gut 10 Millionen Menschen beteiligten. Die Tatsache, dass seit 1978 der Pole Karol Wojtyła als Papst Johannes Paul II. das nationale Selbstbewusstsein klerikal zu lenken versuchte, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass So- lidarnoÊç keine rein katholische Bewegung war, sondern auf einer Grundlage beruhte, die alle gesellschaftlichen Kräfte zusammengeführt hatte. SolidarnoÊç stand für das Ideal einer «selbstverwalte- ten Republik» (Samorzàdna Rzeczpospolita), in der die Möglichkeiten staatlicher Herrschaftsausübung weitest- gehend eingeschränkt werden sollten. Jacek Kuroƒ be- Rembrandt: Der polnische Reiter

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merkte 1981: «Wir hatten alle begriffen, dass das die schaftlichen Gemeinwesen, das sich aus inneren, indi- Idee ist: die Menschen organisieren sich selbst. Das ist viduell durchdrungenen Kräften der Menschen speist eine Revolution – die friedlichste, die sich denken lässt, und ordnet und dabei die Staatsgewalt auf ein notwen- die das System zum Einsturz bringt. Und das System ist diges Mindestmass reduziert, ist nicht nur für Polen von gleichbedeutend mit dem Organisationsmonopol des Bedeutung, sondern für ganz Europa, ja für die ganze Staates – und plötzlich nehmen die Bürger das an sich. Welt. (…) Und in dem Augenblick (…) ändert sich alles.»8 Es Markus Osterrieder, München war dem polnischen Gemeinwesen erstmals gelungen, das freiheitlich-solidarische Ethos der Szlachta auf alle Schichten der Nation zu übertragen, ohne die Gemein- 1 Jan Bloƒski: «Les confins du ‹paradis polonais› de Mickiewicz schaft mit der Institution des Staates und seiner Gewal- à Rymkiewicz». In: Les confins de l’ancienne Pologne – Ukraine, ten zu identifizieren. Dass dabei auch alte romantische Lituanie, Bièlorussie (XVIe-XXe siècles). Hrsg. von Daniel Beau- Mythen, Mängel und Widersprüche erneut in Erschei- vois. Paris 1988, S. 62. 2 Zit. nach Ambroise Jobert: De Luther à Mohila. La Pologne dans nung traten, wiegt gering im Vergleich zu der epochalen la crise de la chrétienté 1517-1648. Paris 1974, S. 78. Bedeutung, die das Phänomen SolidarnoÊç bei der 3 Hierzu demnächst Markus Osterrieder: Das wehrhafte Friedens- «Überwindung des staatssozialistischen Gesellschafts- reich. Bilder von Krieg und Frieden in Polen-Litauen, 1505-1595. systems einnahm. Doch als die kommunistische Herr- Wiesbaden 2004. schaft im Sommer 1989 ein Ende fand, war auch der 4 Vgl. Juliusz Górecki: Rzym a Polska w twórczo´sci Słowackiego. Stern von SolidarnoÊç am Erlöschen. Nun, da die Frei- Warszawa 1936. 5 Zit. nach Peter Brock: «Polish Nationalism». In: Nationalism in heit errungen war, trat angesichts der katastrophalen Eastern Europe. Hrsg. von Peter Sugar / Ivo J. Lederer. Seattle- wirtschaftlichen Lage des Landes das soziale Gegenbild London 1969, S. 320. in Erscheinung: Macht- und Flügelkämpfe der politi- 6 Brief vom 27. Januar 1843 in: Zygmunt Krasiƒski: Hundert schen Gruppierungen; ein paternalistisches Staatsver- Briefe an Delfina. Frankfurt/M. 1967, S. 126. Vgl. auch den ständnis, das von einer repressiven Kirche gestützt wird; Originalbrief von Słowacki an Krasiƒski vom 17. Januar 1843 gesellschaftliche Atomisierung und sozialdarwinisti- in: Juliusz Słowacki: Dzieła. Bd. 14. Wrocław 1952, S. 185-190. 7 Zit. nach Bohdan Cywiƒski: «MyÊł polityczna E. Abramows- scher Überlebenskampf. kiego». In: Twórcy polskiej myÊli politycznej. Hrsg. von H. Aus der polnischen Geschichte kann man jedoch die Zieliƒski. Wrocław u.a. 1978, S. 60f. Lehre ziehen, dass totgeglaubte Kräfte immer wieder in 8 Zit. nach Jan Zielonka: «Das programmatische Credo von Soli- neuer Form erstehen. Die Suche nach einem gesell- darnoÊç». In: Osteuropa, Nr. 22 (1986), S. 112.

Reiseeindrücke zweier moderner Pilger

Wir veröffentlichen im Folgenden einen Reisebericht zweier überall wurden wir zum Essen, Übernachten, Duschen amerikanischer Freunde, die seit vielen Jahren per Rad und zu oder Kleiderwaschen eingeladen. Die Menschen haben Fuß durch Europa und Russland unterwegs sind. interessiert zugehört, als wir von unserer Pilgerreise er- Die Redaktion zählt und Lieder aus verschiedenen Ländern gesungen haben. Sie haben uns von ihren Erlebnissen berichtet – eit dem letzten Rundbrief sind wir durch Polen, die im Zweiten Weltkrieg, in der sowjetischen Zeit und STschechei und Deutschland gereist, und befinden nach der Wende – und die Geschichte des Landes, und uns zur Zeit in der Schweiz. Es ist viel geschehen in die Freuden und Leiden dieses Volkes sind uns lebendig dieser Zeit. In Polen sind wir über breite Ebenen, durch geworden. Ein Höhepunkt war die Zeit in Cestakowa, große Städte wie Krakau und Warschau, auf ruhigen wo wir am 14. August ankamen. Wir trafen unterwegs Nebenrouten und gelegentlich gefährlichen Straßen eine Pilgergruppe nach der anderen. mit tiefen Spurrillen und schnellen Lastwagen gefah- Diejenigen, die sich in Warschau auf den Weg gemacht ren. Wir haben in einigen der schönen Seen, die Polen hatten, waren zehn Tage unterwegs. Manche waren alt, schmücken, gebadet und haben das warme Wetter ge- manche jung. Manche fuhren oder schoben Rollstühle. nossen (es war nicht so extrem heiß wie in Mitteleu- Sie sangen, beteten, spielten Gitarre ... alles elektronisch ropa) und auch die warme Gastfreundschaft. Praktisch verstärkt. Zum Fest von Mariä Himmelfahrt (15. August)

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 21 Reiseeindrücke waren umgerechnet 120 000 Pilger versammelt, um vor Wir haben den Radhost bestiegen – der Berg in Mäh- der Ikone der «Schwarzen Madonna» zu beten und an den ren, wo die Slawenapostel Kyrill und Method aus Thessa- vielen Ritualen und Messen teilzunehmen. Die Luft war loniki eine Kirche bauten. Auf dem nächsten Gipfel steht erfüllt vom Stolz auf die Kirche, auf das Land und – vor al- ein Standbild von Radogast, einem wichtigen vorchrist- lem – auf den polnischen Papst. Die Stimmung wechselte lichen Gott. Wir hatten die Freude, in verschiedenen zwischen fromm und festlich. Wir erlebten eine bewegte, Schulen mit Kindern von verschiedenen Altersstufen bewegende Mischung von religiöser Frömmigkeit, von singen und reden zu dürfen. Wir durften während un- Spaß und der Geselligkeit eines Volksfests oder Karnevals, seres Aufenthalts in Frenstad zu unserer großen Freude mit Zelten überall und bunten Fahnen und Tüchern. auch mährische Volksmusik und Tänze erleben. In Olo- Später sind wir nach Auschwitz geradelt und fanden ei- mouc (Olmütz) und Prag haben wir die Kultur und Archi- ne ganz andere Atmosphäre vor. Die Brutalität, Entwürdi- tektur früherer Zeiten bewundert, dann sind wir der Elbe gung und der Hass, die dort während der Nazizeit gewal- entlang nach Dresden gefahren. tet haben, sind noch zu spüren. Das wäre an sich schon Im «Elbflorenz» waren wir sehr beschäftigt. Wir haben schwer genug zu ertragen, doch wir mussten auch beden- alte Freunde besucht, neue Bekanntschaften gemacht, in ken, dass solche Untaten weit verbreitet waren. Die Nazi- Kirchen, Schulen, Altersheimen usw. gesungen und ge- Konzentrationslager, die sowjetischen Gulags, die «Erzie- sprochen. Die Menschen in und um Dresden machten hungslager» in China und die Lager und Gefängnisse von den Eindruck, offen und interessiert zu sein. Ein besonde- Diktatoren auf der ganzen Welt sind ein Zeugnis dafür, res Glück war die Möglichkeit, ein Gefängnis zu besuchen dass das letzte Jahrhundert eine Zeit von großen Prüfun- und für die Gefangenen singen zu können. Wenn Men- gen und weitgehendem moralischem Versagen war (...) schen in einer offenbaren Krise stehen – zum Beispiel im Für manche Leute war der Besuch in Auschwitz Teil einer Gefängnis, in der Drogenrehabilitation oder im Kranken- angenehmen Rundreise durch Osteuropa. Für andere war haus – zeigen sie oft eine größere Bereitschaft, sich zu än- es ein Anlass, ihre Nationalfahnen wehen zu lassen und dern und einen positiven Schritt vorwärts zu machen (...) Rassismus und Völkerhass weiter zu pflegen, mit den Auf dieser Reise haben viele Leute ihre Sorgen über die Deutschen als Zielscheibe. Doch für manchen – eigent- Weltlage und die großen Probleme zum Ausdruck ge- lich für die überwiegende Mehrzahl, mit der wir gespro- bracht, die uns bevorstehen: Die zunehmende Konzen- chen haben – war es eine Gelegenheit, zur Besinnung zu trierung von wirtschaftlicher und politischer Macht in kommen und nachzudenken über die Würde und Bestim- den Händen von wenigen Menschen; die Ausbeutung der mung des Menschen, über die Zerbrechlichkeit der Moral natürlichen Umwelt und die wachsende Forderung nach in unseren Seelen und unseren Gesellschaften, über Ver- umweltgerechter, biologischer Landwirtschaft zwischen gebung, dem einzelnen und Völkern gegenüber, und über Bürokratie und wirtschaftlichem Druck; die Unzuver- die schwierige, aber notwendige Aufgabe, das Böse ins lässigkeit und Unwahrhaftigkeit der Massenmedien; Gute zu wandeln. schließlich die Schwierigkeit (besonders unter jüngeren Unsere Zeit in der Tschechei hat auch einen sehr tie- Menschen), sinnvolle Arbeit zu finden – um nur einige fen Eindruck auf uns gemacht. Die Leute waren äußer- Beispiele zu nennen. Die amerikanische Friedens-Pilgerin lich weniger religiös als in Polen, wo die katholischen «Peace Pilgrim» wurde einmal gefragt, ob sie Probleme Gottesdienste immer voll zu sein schienen. Doch wir habe. «Ja», sagte sie, «ich habe, was Sie Probleme nennen haben nicht weniger Güte, Großzügigkeit und geistiges würden, aber ich nenne sie Gelegenheiten.» und moralisches Streben in der Tschechei erlebt. Es war Wir können auch diese globalen Probleme als Gelegen- auch für uns interessant, unter Menschen zu sein, die heiten sehen. Sie sind Möglichkeiten zu wachsen und Elemente von Ost- und Mitteleuropa so harmonisch in sich zu entwickeln, als Einzelner, als Volk und als sich verbinden. Die Sprache ist slawisch im Ursprung, Menschheit. Sie sind Gelegenheiten aufzuwachen, um wird aber mit römischen Buchstaben geschrieben. Die Urteilskraft und Objektivität zu entwickeln. Sie sind Gele- Seelenwärme, Gefühlstiefe und Hilfsbereitschaft des genheiten, um uns über unsere Werte und Ideale klar zu Ostens sind vorhanden, doch sind die Menschen auch werden: streben wir nach Bequemlichkeit, wirtschaft- praktisch, individualistisch und so versiert im Um- licher Sicherheit oder Mammon? Oder streben wir da- gang mit technischen Dingen (auch Fahrräder!) wie nach, auch das Spirituelle zu erkennen, unseren Mitmen- im Westen. Wie in Polen und den baltischen Ländern schen zu helfen und die Natur zu verwandeln und gibt es, vierzehn Jahre nach der Befreiung vom bolsche- veredeln? The Pilgrims wistischen Joch, immer noch einen Hauch von Freude und Optimismus. Unsere Homepage: www.geocities.com/wayofpilgrims

22 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Über Konservenmusik

Über Konservenmusik Ein Gespräch von Papa Steinerson mit seinem Sohn Jakob

akob: «Papa, du weißt doch, ich war gestern bei mei- Jakob: «Weiß nicht. Aber wenn’s mir mies geht, dann Jnem Klassenkamerad Konrad zu Besuch. Da war auch lass ich Musik laufen und schau mir nicht stattdessen seine Tante, die schon ziemlich alt ist, und die immer ein Bild an. Musik hilft da besser. Sie findet den Weg zu diese violetten Wollsachen anhat. Ich habe sie gefragt, meinem Herzen schneller. Wenn ich das richtige Lied ob sie sich auch so auf den dritten Teil von ‹Herr der höre, hab’ ich das Gefühl, dass die Musik mich versteht, Ringe› freuen würde, sie wusste aber nicht, was das ist. und dass der Sänger das Lied extra für mich und meine Sie wusste nicht einmal den Unterschied von DVD und Situation singt. Das, was ich mit den Augen sehen kann, FCB (Fussball-Club Basel). Ich glaube, die lebt nicht in also die Bilder, gehören mehr zur äußeren Welt und unserer Welt … nicht so sehr zu mir wie die Musik.» Als ich ihr erzählte, was ich für Musik höre, hat sie Papa: «Meinst du, dass die Musik, die du mit den Oh- gesagt, dass alles dieses elektronische Zeug schädlich ren hörst, tiefer in dich hinein geht als das, was du mit und schlecht sei. Ich fand das blöd. Ich kann es ja den Augen siehst?» verstehen, wenn einer ganz aggressive Musik hört, Jakob: «Ja! Aber es sind nicht nur die Ohren, die hö- wie Speed-Metal oder Black-Metal oder so primitive ren. Bei einem Konzert finde ich es auch gut, wenn man Schimpf-Musik wie Eminem und 50 Cent. Aber es gibt die Vibrationen der Bässe im Boden spürt. Das geht in ja auch schöne und harmonische Musik, wie das Lied den Bauch, nicht nur ins Ohr.» ‹Hello› von Evanescence oder ältere Sachen wie das Lied Papa: «Aber lass uns noch beim Ohr und beim Auge ‹It’s a sin› von den Pet Shop Boys, das du manchmal bleiben. Glaubst du, dass man mit dem Auge in das In- hörst, wenn du meinst, du seist allein zuhause, oder nere der Dinge sehen kann? Kann man zum Beispiel in überhaupt die ganze Klassik, die du so gerne hast … das Innere von diesem Apfel schauen?» Oder so seichte Barbie-Musik wie Britney Spears. Warum Jakob: «Ja klar. Ich kann doch den Apfel aufbrechen, soll das schädlich sein? Ich hab’ sie dann gefragt, ob es dann sehe ich, was innen ist.» auch schädlich wäre, wenn ich eine CD mit klassischer Papa: «Aber du siehst dann ja nur die Oberfläche der Musik hören würde. Dann hat sie gesagt, alle elektrische zwei Hälften. Wenn du wissen willst, was im Inneren Musik sei ahrimanisch. Was hat sie damit gemeint, dass dieser zwei Hälften ist, kannst du sie wieder zerbrechen. das alles ahrimanisch sei?» Dann siehst du aber wieder nur die Oberfläche der Teile, Papa Steinerson: «Hm … Das ist schwierig zu sagen. nicht deren Inneres.» Hast du dir einmal überlegt, was der Unterschied zwi- Jakob: «Das habe ich noch nie bedacht. Heißt das, schen dem Sehen mit den Augen und dem Hören mit dass ich bei einem Apfel oder einem Stein oder was auch den Ohren ist?» immer, nur die Oberfläche sehen kann? Und wenn ich den Apfel oder den Stein aufbreche, sehe ich wieder nur Oberflächen, auch wenn diese Oberflächen jetzt da sind, wo vorher das Innere war? Das ist ja zum Verzwei- feln … Aber man kann ja ein Röntgenbild machen. Dann sieht man ja, was im Innern ist!» Papa: «Nein. Was man dann sieht, ist ja wieder nur die Oberfläche des Röntgenbildes, nicht das Innere von dem, was geröntgt wurde.» Jakob: «Aber wie ist es denn mit etwas Durchsichti- gem, einem Fenster oder einem sehr klaren Bergkristall? Da sehe ich ja durch das Innere hindurch.» Papa: «Wenn das Fenster sehr sauber geputzt ist oder der Kristall sehr klar ist, dann hält nichts den Blick auf. Man kann hindurchsehen. Aber vom Glas oder vom Stein sieht man dann nichts. Wenn das Fenster nicht sauber ist oder sich etwas darin spiegelt, dann sieht man etwas, weil der Blick nicht frei hindurchschauen kann.

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 23 Über Konservenmusik

Was man sieht, ist aber immer Oberfläche. Stäubchen Jakob: «Erzählen alle Geräusche auf der Welt von oder Fingerabdrücke auf dem Fenster zeigen einem im- dem Inneren der Dinge?» mer nur ihre Oberfläche. Entweder man sieht etwas gar Papa: «Lange Zeit war das wirklich so. Aber nun gibt nicht, weil es durchsichtig ist, oder man sieht Oberflä- es Geräusche, die dem Menschen etwas vorlügen. Den- chen. Die Luft siehst du auch nicht. Wenn es aber ke nochmals an deine Geige. Wenn du Geige spielst, so Stäubchen in der Luft hat, siehst du deren Oberfläche.» klingt das Holz, die Saiten, auch ein bisschen der Lack, Jakob: «Das gefällt mir gar nicht. Dann sehe ich links mit dem das Holz lackiert ist und alles, was eben an der und rechts, oben und unten und überall nur Oberflä- Geige dran ist. Dabei spielt, wie gesagt, das Material ei- chen. Ich sitze in einem Gefängnis, das rings von Ober- ne Rolle, seine Form und die Art, wie es zum Klingen flächen begrenzt ist. Und nirgends kann ich ins Innere gebracht wird. Wenn du nun von deinem Spiel eine sehen. Auch von dir, Papa, sehe ich ja nur die Oberflä- Aufnahme machst und diese dann auf der Anlage ab- che!» spielst, hört man, wenn Aufnahmegerät und Wiederga- Papa: «So schlimm ist es auch wieder nicht. Du siehst begerät technisch sehr gut sind, scheinbar die selben mit den Augen zwar nur die Oberflächen und bist wirk- Klänge wie dann, wenn du selber spielst. Man hört also lich in einer Art Farbglocke eingesperrt. Die Oberflä- die Klänge, wie sie das Holz, die Saiten der Geige und so chen können aber Botschaften übermitteln. Wenn ich weiter hervorbringen. Wenn du jetzt aber die Boxen der jetzt lächle, so ist das eine Botschaft aus meiner Seele. Stereoanlage untersuchst, die ja den Klang deiner Geige Du siehst zwar meine Seele nicht direkt, aber meine wiedergeben, suchst du dort vergebens nach den Mate- Oberfläche überbringt dir einen Gruß von ihr. rialien, die diesen Klang ursprünglich hervorgebracht Aber gehen wir nochmals zurück zum Ohr. Hörst du mit haben. Du findest nur verschiedene Metalle, Kunststof- dem Ohr auch nur die Oberfläche der Dinge, so wie du fe und Plastik. Die Boxen tun so, als seien sie nach Ma- mit dem Auge nur die Oberflächen siehst?» terial und Form deine Geige, sie sind es aber nicht. Der Jakob: «Ich glaube nicht. Wenn ich an irgendetwas Klang, der von ihnen kommt, sagt nichts Wahres über klopfe, dann klingt ja das Ganze. Wenn ich an diese ihre Form und ihr Material aus. Sie lügen dich an. Sie Mauer, an den Tisch oder auch an meinen Kopf klopfe, können gut lügen! Sie können so tun, als seien sie eine dann tönt ja immer alles ein bisschen mit. Nicht nur die Geige, ein Klavier, ein ganzes Orchester oder ein Oberfläche. Aber alles hat seinen eigenen Klang. Wenn Mensch, der spricht und singt – und sind doch nichts man dagegen klopft, klingt Holz anders als Plastik oder von dem! Elektrizität und Magnetismus bringen eine Stein. Wir haben auch in der Schule gehört, dass gute Membran zum Schwingen. Diese Membran und alle an- Steinhauer immer zuerst an die Steinblöcke geklopft ha- deren Materialien bleiben immer gleich, auch wenn sie ben, um zu sehen, ob sie sie brauchen können. Eigent- tun, als ob sie alles Mögliche wären. Durch die Elektro- lich wird der Stein ein bisschen durchsichtig, wenn man nik ist es möglich geworden, dass ein Ding einen ande- daran klopft, weil man dann ja merkt, ob er hohl ist ren Ton von sich gibt, als es seinem Inneren entspricht. oder nicht und so weiter.» Seit es elektromagnetische Klangerzeugung gibt, wird Papa: «Das stimmt, was du sagst. Jedes Ding hat sei- das Hören der Menschen betrogen.» nen eigenen Ton. Jedes Holz klingt anders. Das wissen ja Jakob: «Das ist gemein.» die Geigenbauer. Jeder Stein klingt anders, überhaupt Papa: «Ja. Als du klein warst, und wir zum ersten Mal jedes Material. Der Klang hängt aber nicht nur vom Ma- in deiner Gegenwart Radio gehört haben, hast du den terial ab, sondern auch von der Form und der Größe, die Mann gesucht, der da im Radio spricht. Du hast ge- das Material hat, und von der Art, wie man ihm den Ton glaubt, er sei in diesem kleinen Kasten drin. Das ist eine entlockt. Es ist ein Unterschied, ob man eine Geigen- verständliche Reaktion, denn die menschliche Stimme saite zupft oder ob man sie mit dem Bogen streicht … kann eigentlich nur von einem Menschen hervorge- Doch immer kündet der Ton von dem Inneren der Ma- bracht werden. Wenn ein Gerät aus Metall und Kunst- terialien.» stoff so tut, als hätte es eine Menschenstimme, so lügt Jakob: «Dann kann das Ohr ja etwas, was die Augen es! Später hast du dich daran gewöhnt, belogen zu wer- nicht können, es kann durch die Oberfläche durchsto- den, und heute mache ich mir oft Sorgen, wenn ich se- ßen und das Innere hören! Das ist aber schön!» he, wie viel Konservenmusik du konsumierst.» Papa: «Ja, so gesehen befreit dich dein Ohr aus dem Jakob: «Aber heißt das denn, dass es so gesehen kei- Gefängnis, in das dich das Auge gesetzt hat. Das Auge nen Unterschied macht, ob man Klassik, Pop, Rap, zeigt nur die Oberflächen, das Ohr zeigt aber, wie es in Techno oder was auch immer hört, weil alles, wenn es den Dingen ist.» elektromagnetisch erzeugt wird, eine Lüge ist?»

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in der Welt verwurzelt fühlen, wenn diese Welt sie an- dauernd anlügt? Egal ob man in ein Warenhaus, ins Ki- no, in ein Café, zu einer Party, einem Schülergeburtstag oder wo auch immer hingeht, überall wird man mit Konservenmusik berieselt. Dadurch ist man dauernd durch eine Wand der Lüge von der wirklichen Welt ge- trennt. Seltsamerweise nennt man Menschen, die auf die Segnungen der Technik verzichten wollen und die weder Radio noch Fernseher haben, weltfremd. Aber eigentlich sind diejenigen wirklich weltfremd, die sich von der Elektronik einen Abgrund der Lüge graben lassen, der sie von der realen Welt trennt.» Jakob: «Aber Papa, ich kann einfach nicht begreifen, wie es möglich ist, dass so viele Menschen sich jeden Tag belügen lassen und es doch nicht merken!» Papa: «Ich glaube, viele wollen es auch nicht merken, weil sie dann ihr Leben ändern müssten. Schau, solange du nicht weißt, wie ungesund Schokolade ist, kannst du so viel essen, wie du willst. Wenn du es aber weißt, musst du eigentlich bei jedem Stück fragen, ob sich der Genuss wirklich lohnt, wenn er dem Körper doch scha- det. Man müsste dann viel bewusster leben und könnte Papa: «Ja.» nicht einfach gedankenlos genießen. Weil die Men- Jakob: «Warum nennt das die Tante in den violetten schen in ihren Genüssen nicht gestört werden wollen, Wollkleidern ahrimanisch? Was ist ahrimanisch?» wehren sie sich unbewusst gegen solche Erkenntnisse, Papa: «Du weißt, dass jedes Gebiet, auf dem die Men- die ihnen zeigen würden, dass ihre Genüsse lügen oder schen arbeiten, eine eigene Fachsprache hat. Wenn du schädlich sind. Auch dafür gibt es in der anthroposo- mit Computern zu tun hast, musst du wissen, was eine phischen Fachsprache ein Wort: Luzifer. Er ist die Festplatte, was Software, was ein Drucker und so weiter Macht, die den Menschen im Inneren täuscht und ihn ist. Wenn man Musik nicht nur genießen, sondern auch dadurch davon abhält zu erkennen, wie die Welt wirk- verstehen will, so muss man wissen, was zum Beispiel lich ist. Er arbeitet mit Ahriman zusammen. Weil er die eine Tonika, ein Quartsextakkord, eine chromatische Menschen denkfaul und genusssüchtig macht, kann Terzverwandtschaft zweiten Grades ist. So gibt es auch Ahriman sie in Ruhe betrügen.» eine Fachsprache für diejenigen, die die geistigen Jakob: «Aber Papa, du hörst ja auch manchmal Hintergründe der Welt erforschen wollen und zu denen elektromagnetisch erzeugte Musik, obwohl du weißt, man auch diejenigen zählen kann, die sich ‹Anthropo- dass es eine Lüge ist! Schadet dir das nicht auch? Ist es sophen› nennen. Sie bezeichnen die Kraft, welche den ein Unterschied, ob man die Musik hört und weiß, dass Menschen immer dann täuschen will, wenn er mit sei- man belogen wird oder ob man es nicht weiß?» nen Sinnen die Welt begreifen möchte, in ihrer Fach- Papa: «Jakob, das frage ich mich auch oft. Jetzt ist es sprache mit Ahriman. Er ist der Geist der Lüge. Überall, aber Zeit, schlafen zu gehen. Sonst bist du morgen in wo der Mensch angelogen wird, wenn er mit seinen Sin- der Schule zu müde. Und du hast doch am Nachmittag nen wahrnimmt, da hat Ahriman seine kalten, unheim- Orchester, da musst du fit sein. Vielleicht können wir lichen Hände im Spiel.» ein anderes Mal noch über deine Frage reden. Ich werde Jakob: «Wenn mich jemand anlügt, habe ich nachher mir derweil Gedanken darüber machen. Gute Nacht!» oft ein ganz schlechtes Gefühl. Ist es nicht schlimm, Jakob: «Tschüss!» wenn man dauernd angelogen wird?» Papa: «Es ist schon schlimm. Heute gibt es so viele Johannes Greiner, Aesch Menschen, die nicht wissen, was sie eigentlich in der Welt sollen. Sie fühlen sich fehl am Platz, überflüssig und einsam. Aber wie sollen sie sich denn geborgen und

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 25 Georgisches Märchen

Der Mann mit dem Wolfskopf und die Burg der Erhebung von Swiad Gamsachurdia

Dieses Märchen wurde von Swiad Gamsachurdia Anfang der Menschen an ihrer Stelle eine riesengroße Burg aus Dia- 70er Jahre geschrieben, der damals Dozent für Anglistik an mant, welche die Burg der Erhebung genannt wurde. der Universität Tiflis war. Zu jener Zeit ist auch ein zweites Diese Burg war eine seltsame Erscheinung. Sie war Märchen – «Waageauge und der Jüngling mit unwägbarer nicht immer sichtbar, und nicht jeder konnte sie sehen. Stimme» – entstanden. Beide Märchen wurden einige Zeit Man sah sie nur während der Dreschzeit, und sie war nur später veröffentlicht, aber nur von wenigen verstanden. Man für jenen sichtbar, auf dessen Tenne stets, Tag und hat die beiden Märchen erst nach dem Tod des Autors wieder Nacht, gedroschen wurde. Derjenige, der die Burg der Er- entdeckt. hebung sah, wurde im Dorf als Glückbringer angesehen. Konstantin Gamsachurdia Manche sagten, dass es auf jenem Berg gar keine Burg der Erhebung gäbe. Sie seien häufig dort gewesen, aber sie hätten nur einen kahlen Berg gefunden, sonst nichts. s war einmal ein Schloss, das wurde die Burg der Er- Die Menschen glaubten dennoch an die Existenz der Ehebung genannt. Diese Burg stand seit jeher auf ei- Burg, weil die Auserwählten des Dorfes die Burg sahen, nem Berg, und niemand wusste, wer deren Bewohner und die Dorfbewohner glaubten daran. waren. Manche sagten, dass diese Burg nicht von Menschen- Man sagte, nur ein solcher Mensch wäre imstande, die hand erbaut worden sei. Auf dem erwähnten Berg stand Burg der Erhebung zu erreichen, der einen Wolf in ein einst eine große Eiche. In jeder Nacht der Verklärung Dreschbrett einspannen und so die Körner dreschen sank die Leiter des Feuers aus dem Himmel, die Feuer- konnte. Im Dorf gab es einen, der als Glückbringer ange- söhne stiegen herunter und tanzten um die Eiche. Die sehen wurde. Er wurde der Mann mit dem Wolfskopf ge- Eiche wurde nicht von ihren Flammen verbrannt. Wer nannt. Er konnte heulen wie ein Wolf. Dieser Mann be- die Tanzenden in diesem Augenblicke schaute, wäre ent- schloss, die Burg der Erhebung zu erreichen. Er ging weder gestorben oder zu einem Feuersohn verwandelt eines Nachts in den Wald, lockte mit Heulen einen Wolf worden. Solch ein Mensch konnte nun nicht mehr in heraus, fing ihn und spannte ihn in das Dreschbrett ein. seinem Dorf bleiben, weil er von jedem Dorfbewohner Der Wolf zog das Dreschbrett auf der Tenne einen Tag wegen des Feuers gefürchtet wurde. Deswegen ging er zu und eine Nacht rundherum. So wurden die Körner ge- den Feuersöhnen, stieg auf ihrer Leiter herab und ver- droschen. Dann ging er zu einem alten Weisen und frag- schwand zusammen mit ihnen. Dieses Jahr bescherte te ihn um Rat. dem Dorf viel Glück, alle waren mit Freude und Seligkeit Der Weise gab dem Mann mit dem Wolfskopf folgen- erfüllt. den Rat: «Du darfst ein Jahr lang mit niemandem spre- Unter dem Berg gab es eine Au, die «Au der Kobolde» chen, du musst im Dunkeln sitzen und schweigen. Im genannt wurde. Dort lebte ein Zauberer mit einem roten zweiten Jahr musst du nur in der Tageshelle hinausge- Bart. In einer Nacht der Verklärung sank keine Leiter aus hen. Du musst mit allen sprechen und ihnen dienen. Im dem Himmel. Der Zauberer ergriff die Gelegenheit, dritten Jahr sollst du bei Sonnenaufgang einschlafen kroch auf den Berg, schlich zur Eiche, schlachtete einen und bei Sonnenuntergang aufwachen, statt Wasser, schwarzen Kater, bespritzte mit dessen Blut die Wurzeln Mondlicht trinken und statt Brot, Sonnenlicht essen, der Eiche und verschwand. statt im Bett, lerne, im Sarg zu schlafen und statt Tränen, Die Eiche verdorrte, die Menschen wurden von Ent- Blut zu weinen. Ein Jahr lang sollst du kein Messer, kei- setzen ergriffen. Jeder erwartete mit Ungeduld die Nacht ne Sense, keine Sichel und kein Beil anfassen. Zähle der Verklärung; alle wollten sehen, ob die Feuersöhne er- nichts, zeige niemand etwas mit dem Zeigefinger. Du neut vom Himmel heruntersteigen würden. darfst nichts anhauchen. Nimm das Dach weg von dei- In der Nacht der Verklärung sank vom Himmel nun nem Haus und entferne den Zaun, der um dein Haus keine Leiter mehr, hingegen gab es Blitz und Donner. geht. Im nächsten Jahr bedecke dein Haus wieder mit Der Blitz schlug in die verdorrte Eiche, sie fing Feuer und dem Dach, errichte den Zaun wieder um dein Haus, zäh- brannte vollständig nieder. In der Morgenröte sahen die le die Sterne. Die Quelle am Dorfeingang musst du ganz

26 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Georgisches Märchen austrinken, lösche den angefachten Backofen mit einem voll zu sich einlud. «Sie ist vielleicht die Schöne Frau des Atemhauch und spring während der kleinen Zwischen- Morgentaus», dachte er und nahm neben ihr Platz. Die mahlzeit über deinen Schatten. Diener stellten ein Tischlein von Rubin vor ihn hin. Er Dann beschaffe dir Wachsschuhe, gürte dich mit dem aß und trank duftenden Nektar, und da er müde war, Gürtel der stählernen Stacheln, nimm den Wanderstock schlief er sofort ein. aus Eis in die Hand, als Proviant nimm einen Sack mit Im Traum sah der Mann mit dem Wolfskopf, dass sich Salz und mach dich auf den Weg. Wenn du willst, dass der Thron der schönen Frau zu einem schwarzen Felsen deine Wachsschuhe nicht schmelzen, darfst du dich nir- verwandelte, auf dem ein Galgen ragte. Unzählige Men- gends niedersetzen, wenn du willst, dass dich die Sta- schen hingen an diesem Galgen. Die schöne Frau wurde cheln deines Gürtels nicht verletzen, darfst du niemals zu einem geierköpfigen Alptraumwesen und setzte sich seufzen, wenn du willst, dass der Eisstock niemals zer- auf den Galgen. Ab und zu zerhackte sie mit ihrem bricht, darfst du dich niemals auf ihn stützen, wie hung- Schnabel die Herzen und die Leber der Gehängten und rig du auch sein magst, du darfst niemals einen Blick in schrie mit einer schrecklichen, krächzenden Stimme. Es den Salzsack tun. So erreichst du die Burg der Erhe- stank fürchterlich an dem Ort, und Leichen waren auch bung.» auf dem Felsen. Der Mann mit dem Wolfskopf wollte «Wie weit ist es zur Burg der Erhebung?» fragte der fliehen, aber er war bis zu den Knien im Felsen einge- Mann mit dem Wolfskopf. mauert. Der Fels bebte. Noch ein wenig, und er würde «Für den einen nur eine Sekunde, für den anderen ein hinabstürzen. Jahrhundert,» sagte der Weise, «es ist wichtig, dass du Auf einmal fiel ein Stern vom Himmel und bewegte nicht denkst, du bewegst dich auf die Burg zu. Merke: sich in seine Richtung. Er wurde zu einem silbernen Vo- die Burg selber kommt zu dir oder entfernt sich von dir. gel, setzte sich auf seine Schulter und sagte: «O Mann Deine Schritte musst du weder beschleunigen noch ver- mit dem Wolfskopf, ich bin ein Schicksalsvogel. Du bist langsamen.» in die falsche Burg geraten, zu einer falschen Schönheit. «Wer bewohnt die Burg?» Das sind die Leichen der betrogenen Menschen. Wisse, «Die Schöne Frau des Morgentaus1 und ihre Milch- dass auch dich das gleiche Schicksal erwartet. Folge mir brüder.» und bringe dich aus dieser Welt der Träume.» «Wer hat die Burg gebaut?» Der Mann mit dem Wolfskopf folgte dem Schicksals- «Die Schöne Frau des Morgentaus geriet in Zwist mit vogel; plötzlich blitzte es, und der Felsen wurde mit ei- der Sonne, und ihre Milchbrüder bauten für sie diese nem Blitzzaun umgeben. Der Vogel flog über den Zaun, diamantene Burg. Ihre Milchbrüder sind aber die Söhne auch der Mann mit dem Wolfskopf sprang darüber, aber des Wetters.» er verwandelte sich in Asche, welche auf den Felsen ge- «Was kann die Burg öffnen?» fragte der Mann mit streut wurde. Der Vogel pickte die Asche auf und trug sie dem Wolfskopf. in seinem Kropf aus der Welt der Träume. «Auf dem Feld der Reue triffst du den Narren, der Der Mann mit dem Wolfskopf erwachte und sah, dass rücklings reitet, und der sagt dir das.» an Stelle des Thrones der Schönen Frau ein riesiger Feu- «Was erwartet mich in der Burg?» ergraben klaffte; aus dem Graben ragte der Kopf eines «Am Himmel der Hoffnung findest du einen Weg- grünen Drachen, der giftiges Feuer um sich sprühte. Der weiser, und der sagt dir das.» Mann betrachtete seinen eigenen Körper und sah, dass er schon die Schuppen eines Drachen bekommen hatte. Er Der Mann mit dem Wolfskopf fand den Rat des Wei- hatte das Gefühl, dass er bald selber zum Drachen würde. sen mühsam und dachte: «Die Burg ist in absehbarer Fer- Der Schicksalsvogel umflog den Drachen mehrere ne, in einem Tag wäre es möglich, sie zu erreichen. Wo- Male, dann flog er in seinen Rachen hinein, und der zu so viele Vorbereitungen? Ich gehe einfach hin, es soll Drache schlief ein. Der Vogel verließ nun den Graben doch mit mir geschehen, was geschehen soll.» und sagte: «O Mann mit dem Wolfskopf, du musst über Er begab sich auf den Weg und erreichte die Burg tat- den Graben springen, sonst wirst du kaum die Burg ver- sächlich nach einem Tag. Die Tür war offen. Er dachte lassen können.» Der Mann sprang über den Graben. Der nun, vielleicht hätte sich der Weise geirrt, und ging voll Drache explodierte plötzlich und zerteilte sich in viele Vertrauen in die Burg hinein. Skorpione aus Metall. Aber der Mann mit dem Wolfs- Der Mann mit dem Wolfskopf betrat einen goldenen, kopf hatte die Schuppen des Drachen, so dass ihm die leuchtenden Saal und sah eine wunderschöne weiße Skorpione mit ihren Stichen nichts anhaben konnten. Frau auf einem Thron von Marmor sitzen, die ihn liebe- Der Vogel führte ihn aus den dunklen Korridoren und

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 27 Georgisches Märchen schließlich aus der Burg. Der Mann konnte sich nicht «Dann sag mir, wer sind die Burgbewohner und wie einmal bedanken – blitzschnell flog der Vogel in den kann man die Burg aufschließen?» Himmel zurück und wurde wieder zum Stern. Der Al- «Mit dem Schlüssel des Feuers», sagte der Narr. lein-Gebliebene schaute umher und sah die Burg der Er- «Wer gibt mir den Schlüssel?» hebung in der Ferne. Nun bereute er seinen Fehler und «Das kann ich dir nicht sagen.» begann mit den Vorbereitungen. «Wer kann es mir sagen?» «Der stumme Wächter mit dem Panzerhemd aus Eis, In den nächsten drei Jahren konnte er alles beschaf- der vor dem Burgtor mit dir zusammentrifft, wird dir fen, was ihm der Weise geraten hatte. Dann begab er sich von den Burgbewohnern erzählen.» auf den Weg. Am Anfang dachte er, den Abstand zur Burg könnte man in einem Tag zurücklegen, aber er hatte sich Der Mann mit dem Wolfskopf begab sich nun auf den getäuscht. Er schritt zwei, drei Tage in Richtung der Burg, Weg zu seinem Dorf. Jetzt spürte er keine Müdigkeit aber es schien ihm, dass er sich immer weiter entfernte. mehr, der Stachelgürtel drückte nicht mehr. Er schritt Unterwegs fand er eine wunderschöne Quelle und voller Hoffnung. Er näherte sich dem Dorf – und siehe! grünes Gras. Er überlegte, ob er nicht ruhen sollte, aber Die Burg der Erhebung stand inmitten seines Dorfes. Er er dachte an den Rat des Weisen und ging weiter. Dann beschleunigte seine Schritte. Unterwegs trafen ihn eini- drückte ihn der Gürtel mit den stählernen Stacheln, aber ge Dorfbewohner, aber keiner erkannte ihn. «Vielleicht er seufzte nicht, und die Wunden heilten auf einmal von hat mich die Reise verändert», dachte der Mann mit dem selber. Etwas später begann ein felsiger, steiniger Weg. Er Wolfskopf. Aber bald wurde ihm klar, dass er für die wollte sich auf den Eisstock stützen, aber dachte wieder Menschen unsichtbar blieb. Einigen rief er sogar ihre an den Rat des Weisen. Auch den Salzsack öffnete er Namen zu, aber sie hörten nicht einmal seine Stimme. nicht, obwohl er starken Hunger verspürte. Mit der Zeit Mauern entlang näherte er sich der Burg, und er be- entfernte er sich zunehmend von der Burg der Erhe- griff, dass die Menschen die Burg überhaupt nicht wahr- bung. Ihn überkam ein Gefühl von Reue. Keiner hatte es nahmen. Sie gingen um ihn herum, sprachen miteinan- je geschafft, die Burg zu erreichen, welchen Grund hätte der, als ob nichts Ungewöhnliches dastünde. Auch die er, sich für würdig zu halten, dieses Ziel zu erreichen? Glück bringenden Menschen sahen weder die Burg noch Zugleich schämte er sich, zurückzukehren. Was würde er den Mann mit dem Wolfskopf. Er wurde traurig, aber er in diesem Fall den Dorfbewohnern erzählen? Einmal erinnerte sich an das Gespräch mit dem Narren, und sei- war er doch enttäuscht zurückgekehrt. Als er in diesen ne Trauer verflog. Gedanken versunken war, sah er, dass sich vor ihm ein Die Burg aber war tatsächlich ein Wunder. Zwölf Tür- sumpfiges Feld erstreckte. me hingen in der Luft mit einer goldenen Kette, die Wol- Bald tauchte ein Reiter auf. Das Pferd war umgekehrt ken bildeten das Fundament, von ferne sah es so aus, als gesattelt, der Mann saß auch rücklings auf dem Pferd. ob sie auf einer riesigen Blume stand. Über den Haupt- Dieser Mann trug Hosen mit verschiedenen Hosenbei- turm wölbte sich ein Regenbogen. Die Burg hatte kein nen. Auch seine Schuhe waren verschieden, auf dem einziges Fenster, keine einzige Tür. Vor dem Tor an der Kopf hatte er eine bunte Kappe. Mauer stand schweigend ein Wächter, der ein Panzer- «Freund, warum bist du gekommen?» fragte der Rei- hemd aus Eis trug. ter. Der Mann mit dem Wolfskopf wandte sich mehrmals «Ich gehe zur Burg der Erhebung,» antwortete der an den Wächter, er aber schwieg und schaute nicht ein- Mann mit dem Wolfskopf. mal zu ihm hin. Dieser Wächter glich erstaunlich ihm, «Du hast dich verirrt,» sagte der Reiter. «Du musst in nein, das war doch er, der Mann mit dem Wolfskopf mit die entgegengesetzte Richtung gehen. Gehe zu deinem einem Panzerhemd aus Eis und einer Eismaske. Dorf, so kommst du zur Burg.» Der Mann mit dem Wolfskopf wandte sich in Gedan- «Das ist tatsächlich ein Narr,» dachte der Mann mit ken an den Wächter. Der Wächter antwortete ihm eben- dem Wolfskopf und plötzlich sah er, dass sein Gedanke falls in Gedanken: mit feurigen Lettern an den Himmel geschrieben wurde. «Wer sind die Bewohner der Burg?» Der Mann mit dem Wolfskopf geriet in Verlegenheit. «Der Vater der Wolken, der Mundschenk des Regens, Der Reiter lachte und sagte zu ihm: der Felsenknacker und der Feuerschmied.» «Manchmal musst du den Rat eines Narren dem Rat «Noch weitere?» eines Weisen vorziehen. Tue, was ich gesagt habe, und «Ihr Heer.» du kommst zur Burg.» «Sonst noch jemand?»

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«Die Schöne Frau des Morgentaus, Schlangenfrau ein Wunder! Die Sterne gruppierten sich allmählich zur Syara, der fliegende Schwertfisch und der Huhndrache.» Figur eines Hirsches. Dann blitzte es; der Blitz durch- «Was machen sie in der Burg?» drang die Sterne und erstarrte. Für eine Sekunde wurde «Die Schöne Frau des Morgentaus verwandelt ihr es dunkel und dann wieder hell. Der Mann mit dem Kopftuch in eine leise Brise. Das Kopftuch schwebt über Wolfskopf sah vor sich einen Hirsch aus blauem, durch- die ganze Welt. Wenn es einen wahrhaftigen Menschen sichtigem Blitzstein, mit feurigem, glühendem Geweih erreicht, der mit dem Meer oder der Wüste ringt, bildet und leuchtenden Augen aus Onyx. es um ihn eine Schutzhülle, verleiht ihm Hoffnung und Der Mann mit dem Wolfskopf verstand, dass dies der Kraft. Das Herz eines solchen Menschen wird zur Harfe versprochene Wegweiser war. Er stieg auf den Rücken und klingt von diesem Tag an beständig. Die Schlangen- des Hirsches, und sie flogen davon. Der Hirsch raste mit frau Syara verwandelt ihren Atem zu Wind; wer ihren ungeheurer Geschwindigkeit dahin. Als der Mann das Atem einatmet, wird von jeglichem Gift gereinigt und Hirschgeweih mit den Händen berührte, wurden seine vermag mit einem Hauch giftiges Feuer zu löschen. Der Hände zu Flügeln. Nun folgte er fliegend dem Hirsch. fliegende Schwertfisch hackt jeden ab, der sich vom Wo sie hinkamen, blieb eine violett-goldene Staubspur Wasser in die Höhe hebt, aber nicht imstande ist, in die zurück. Schließlich landeten sie auf der Spitze eines Fel- Luft zu fliegen. Der Huhndrache frisst jeden, der jede sens. Dieser glich dem schwarzen Felsen aus dem Traum, Lockspeise aufpickt.» den der Mann mit dem Wolfskopf in der falschen Burg «Wem gehört der Turm?» gesehen hatte. Plötzlich sah er, dass aus der violett- «Dem Vater der Wolken.» leuchtenden Staubspur unzählige leuchtende Schmet- «Wer hat ihn gebaut?» terlinge entstanden, sie umringten den Felsen und bil- «Der Felsenknacker.» deten einen großen fliegenden Teppich, der den «Wer hat ihn am Himmel aufgehängt?» Abgrund bedeckte. Dieser Teppich hieß «das Gebet der «Der Mundschenk des Regens.» Schmetterlinge». «Wer hat die Ketten geschmiedet?» «Wer von solch einem Teppich nicht aufgesucht wird, «Der Feuerschmied.» wird zum Opfer des Geierhundes. Betrete schnell den «Wann lässt du mich den Turm betreten?» Teppich, sonst knackt der Felsenknacker einen Felsen – «Wenn du dir selber gehörst.» und dann gibt es kein Entkommen vor dem Geierhund. «Werde ich euch nicht mehr angehören?» Ich musste dich bis hierher bringen, jetzt müssen dich «Du wirst sowohl uns, als auch dir selber angehören.» die Schmetterlinge tragen, folge deren Spur!» sagte der «Wann öffnest du mir das Tor?» Hirsch und verschwand. «Wenn du mich im Schweigen besiegst.» Der Mann mit dem Wolfskopf betrat den Teppich und Der Mann mit dem Wolfskopf verstummte. flog davon. Der Felsen krachte und stürzte hinunter. Aus Er blieb stumm, bis er selber von Eis bedeckt wurde, dem Abgrund tauchte blitzschnell der Geierhund empor ähnlich dem Wächter. Nun sprach der Wächter zu ihm: und sah mit Ächzen und Wehklagen die Beute davon- «O Mann mit dem Wolfskopf, folge der Spur des Hir- fliegen. «Sogar bis hierher hat dich die falsche Schönheit sches.» Er öffnete ihm die Tür. Der Mann mit dem Wolfs- verfolgt», hörte der Mann mit dem Wolfskopf die Stim- kopf betrat den Innenhof und geriet auf einmal auf das me des Hirschen, der aber unsichtbar blieb. weite Feld der vier Winde. Die Burg verschwand wieder. «Bleib stehen, schaue stets zum Himmel hinauf, und Der Mann mit dem Wolfskopf merkte bald, dass sein Du findest einen Wegweiser,» rief der Wächter und Teppich zu schwimmen begann statt zu fliegen. Vor ihm sperrte das Tor zu. erstreckte sich ein sanft wogendes bronzenes Meer, und Ein unheimlicher Wind blies von allen Seiten; der seine Flügel wurden zu Flossen. Der Teppich schmolz Mann mit dem Wolfskopf konnte weder vorwärts, noch allmählich, und nun stand er auf dem Rücken eines wei- rückwärts, weder nach rechts noch nach links gehen. ßen Wales, der ihn zu einem silbernen Boot ohne Ruder «Wie ist es möglich, dieses Feld zu überqueren?» und Segel brachte. Das Boot schien fest verankert zu sein dachte er, und es kam ihm in den Sinn, dass er stehen und bewegte sich kaum. Der Wal sagte: «Mich nennt bleiben und zum Himmel hinauf blicken sollte. Die Ster- man Schaumwal. Nur dieses Boot kann dich retten, aber ne, die zuerst unbeweglich schienen, begannen sich mit sein Segel wurde vom Schwertfisch zerrissen, seinen An- schwindelnder Geschwindigkeit zu bewegen, als ob eine ker hält der Sandriese auf dem Meeresgrund fest. Solan- Schar von Glühkäfern in den Himmel flöge. Der Mann ge das Meer nicht unruhig wird, lässt der Sandriese den mit dem Wolfskopf beobachtete den Himmel und siehe, Anker nicht los. Deswegen musst du untertauchen und

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 29 Georgisches Märchen den Tausendfüssler des Sturmes wecken, der im Sand Schönheit auf deinem Weg. Sie triffst du nun nimmer- schläft. Beim Untertauchen kann dich der Schwertfisch mehr. Leb wohl,» riefen ihm die Kobolde zu. angreifen, aber habe keine Angst, der Schwertfisch ist Am Tag der Verklärung wurde das Festland sichtbar. unter Wasser nicht gefährlich, er könnte dir nur über Entlang der Küste brannte der Wald, die riesigen Flam- dem Wasser schaden; aber falls der Sturm losbricht, sei men leckten am Gewölbe des Himmels. Die Luft war vorsichtig.» Der Mann mit dem Wolfskopf tauchte auf schwül durch den Rauch und die Ausdünstung. «Dies den Meeresgrund weckte den Tausendfüssler des Stur- soll ein giftiges Feuer sein,» dachte der Mann mit dem mes. Der Schwertfisch griff ihn an, aber er konnte ihm Wolfskopf. Da hörte er das Weinen eines Kindes aus dem nichts antun, er kreiste nur um ihn und wartete auf den brennenden Wald. Der Mann mit dem Wolfskopf scheu- Sturm. Dann wurde es stürmisch, riesige Wellen wurden te sich nicht, in den Wald einzudringen: er hatte ja die an die Meeresoberfläche getrieben. Der Schwertfisch ver- Schuppen des Drachen, die das Feuer nicht auffingen. Er schwand, der Sandriese wurde zerbröckelt und ließ den fand ein weinendes Kind, nahm es aus dem Wald und Anker los. Bald beruhigte sich das Meer. Der Mann mit hüllte es in das Windhauch-Kopftuch der Schönen Frau dem Wolfskopf tauchte wieder auf und stieg in das Boot. des Morgentaus. Bald wurde das Boot von einem violett-grünen Wind- Auf einmal raste aus dem Wald ein grüner Drache ihm hauch-Kopftuch erreicht, welches das Segel des Bootes entgegen, der giftiges Feuer sprühte. Der Mann mit dem gebildet hatte. «Dies ist vielleicht das Kopftuch der Schö- Wolfskopf ließ den Wind der Syara aus dem Mund und nen Frau des Morgentaus», dachte der Mann mit dem löschte das Feuer. Auch der Waldbrand wurde sofort ge- Wolfskopf, und plötzlich spürte er, dass sein Herz zu ei- löscht. Der Drache fiel ohnmächtig hin. Der Mann mit ner Harfe wurde. dem Wolfskopf stieß ihm den kalten Eisstock in den Ra- Zu dieser Zeit ergriff der Wind zischend das Boot. chen. Die Giftdrüsen des Untiers wurden eingefroren. «Das ist vielleicht der Wind von Syara», dachte der Dann führte er den Drachen mit dem Gürtel mit den Mann mit dem Wolfskopf und verschluckte den Wind. stählernen Stacheln. Sein Herz wurde gelindert, jegliches Gift aufgelöst. Der Dieser Drache war ein Sprössling des rotbärtigen Zau- Wind ließ die Harfe in seiner Brust erklingen, wunder- berers der Au und der scheußlichen Koboldfrau des Fel- schöne Klänge hörte er aus seiner Brust hervordringen. sens, die sich in der falschen Burg als schöne Frau aus- Das Boot verlangsamte sich. Der Mann mit dem gab. Sie beide beobachteten die Szene aus der Ferne. Als Wolfskopf sah, dass seine Flossen wieder zu Flügeln wur- sie sahen, dass der Mann mit dem Wolfskopf den Dra- den. «Es sieht so aus, als sei der zerbröckelte Sandriese chen gefangen nahm, wurden sie von Angst und Schrek- wieder intakt geworden. Es ist Zeit zu fliegen,» dachte er, ken befallen und verschwanden im Meer. und gerade erschien der Schwertfisch über dem Meer. Das Kind war ein Sohn des Besitzers der Burg. Der Dra- Der Mann mit dem Wolfskopf erhob sich in die Höhe. che hatte den Burgbewohnern die Wasserquelle abge- Der Schwertfisch flog ganz nahe an ihm vorbei und ver- schnitten und den Wald in Brand gesteckt. Nachts rin- suchte ihn im Flug zu zerhacken, doch verfehlte er ihn gelte er sich um die Burg und leckte an der goldenen knapp. «Dieser Schwertfisch ist ein böser Gedanke der Kette, mit der die Burg am Himmel hing. Er wollte die falschen Schönheit. Du triffst sie noch einmal, habe kei- Kette durchreißen und alle Burgbewohner töten. Dann ne Angst!» rief ihm der Wal aus dem Meere zu. hätte er das ganze Dorf vernichtet. Die verzweifelten Burgbewohner hatten sich entschlossen, das Kind dem Der Mann mit dem Wolfskopf flog lange, er hatte jetzt Drachen zu opfern. keinen Wegweiser mehr und musste selber bestimmen, wohin er fliegen musste. Zuletzt sah er im Meer eine sich Der Mann mit dem Wolfskopf ging über den Götter- drehende Insel, um sie wütete ein schrecklicher Wasser- wald. Vor dem Tor der Burg der Erhebung traf ihn ein wirbel. In der Mitte der Insel stand eine trichterförmige Wächter mit einem Panzerhemd aus Feuer. Dieser war Mühle. Kobolde warfen das Mehl hinein, welches wieder nicht stumm, sondern im Gegenteil redegewandt. Der zu Körnern gemahlen wurde. Viele fliegende Wesen flo- Mann mit dem Wolfskopf begrüßte den Wächter und gen über die Insel, alle waren müde vom Flug. Die Ko- übergab ihm das Kind. Dieser Wächter sah ihm nicht bolde warfen ihnen verschiedene Lockspeisen hin. Wer mehr ähnlich, aber der Mann mit dem Wolfskopf über- auf dieser Insel landete und diese Körner aß, wurde zum kam der Wunsch, ihm ähnlich zu werden. Huhn und konnte nicht mehr wegfliegen. Der Huhndra- «Du bist der Retter dieser Burg,» sagte der Wächter, che kam plötzlich aus dem Meer und verspeiste sie alle. «aber auch du kannst sie nicht betreten, bevor du den «Der Huhndrache ist der letzte Schatten der falschen Schlüssel des Feuers nicht träumst und dann aus der Welt

30 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Georgisches Märchen der Träume in die Welt des Wachseins hinüberbringst. «Der Rat des Weisen, die Anweisung des Narren, der Deswegen musst du neben dem Drachen schlafen.» Flug des Hirsches, das Gebet der Schmetterlinge, der «Der Drache wird nie schläfrig,» antwortete ihm der vom Tausendfüssler ausgelöste Sturm, das Wiegenlied Mann mit dem Wolfskopf. für den Drachen und der Schlüssel des Feuers.» «Sing ihm das Wiegenlied vor, und er schläft ein.» «Wer sind deine Wegweiser?» fragte der Felsenknacker. Der Mann mit dem Wolfskopf sang dem Drachen das «Der Sternvogel des Schicksals, der Schaumwal, der Wiegenlied vor, die Harfe in seiner Brust begann wun- Tausendfüssler des Sturmes und der Hirsch aus Blitz- derbar zu klingen. Der Drache schlief ein. Bald schlief stein.» auch neben ihm der Mann mit dem Wolfskopf. «Warum bist du gekommen?» fragte der Feuer- schmied. Während des Schlafes sah er im Traum, dass sich der «Um die Burg der Erhebung zu retten,» sagte der Drache in eine Feuermühle verwandelte, in der er zu Di- Mann mit dem Wolfskopf. amantmehl zermalmt wurde. Das Wehen des Windes «Wie willst du die Burg retten?» fragten alle vier. von Syara wandelte das Mehl zu einem Quecksilberre- «Ich will die Wettersöhne mit den Feuersöhnen ver- gen, der Mundschenk des Regens sammelte den Regen söhnen», sagte der Mann mit dem Wolfskopf. in einen goldenen Kelch und reichte ihn dem Vater der Wolken, dieser verwandelte den Regen in Wein, dann Am Anfang waren die Wettersöhne mit den Feuersöh- segnete er ihn und goss ihn in den Ofen des Feuer- nen in Zwist geraten. Deswegen konnten die Feuersöhne schmiedes. Der Felsenknacker besprühte das Feuer mit in der Nacht der Verklärung ihre Leiter nicht herunter- Salz, und es erstarrte. Der Feuerschmied formte aus dem lassen. Da ergriff der rotbärtige Zauberer die Gelegenheit erstarrten Feuer einen Schlüssel, verziert mit dem Em- und schlachtete einen schwarzen Kater unter der Eiche. blem des Vaters der Wolken. Nachdem die Eiche verdorrt war, trieben die Feuersöhne Der Mann mit dem Wolfskopf nahm den Schlüssel in die Wettersöhne aus dem Himmel und sperrten sie in die die Hand und erwachte. Er bewegte sich auf den Turm Burg aus Diamant. Sie wurden verurteilt, dort so lange zu, in der Hand hielt er den Schlüssel aus dem Traum, in zu bleiben, bis irgendein Glück bringender Mensch sich der anderen den Gürtel des Drachen. voller Hingabe für ihre Befreiung einsetzen würde. Blitz Als er mit dem Schlüssel das Burgtor berührte, dröhn- und Donner waren das Zeichen des Zornes der Feuer- te der Turm, und das Tor öffnete sich. Plötzlich überkam söhne; die Schöne Frau des Morgentaus geriet deswegen ihn die Müdigkeit vom zurückgelegten Weg. Es wurde in Zwist mit der Sonne. ihm schwarz um die Augen, und in den Knien spürte er Der Mann mit dem Wolfskopf wurde in den Turm eine Schwäche. Da sprang aus dem Turm der blaue hineingeführt, statt Wachsschuhe erhielt er Schuhe mit Hirsch aus Blitzstein, leuchtete ihm ins Gesicht und er- Schlangenaugen. Statt des Stachelgürtels gürtete man nüchterte ihn. «O Mann mit dem Wolfskopf, du darfst ihn mit dem Regenbogen, anstelle des Stabes aus Eis be- nicht wieder in die Welt der Träume zurückgehen, sonst kam er den Blitzstab, und sein Salzsack wurde mit Ster- verlierst du den Schlüssel, und der Drache verschlingt nen gefüllt. Er wurde statt «der Mann mit dem Wolfs- dich. Komm über die Schwelle zusammen mit dem Dra- kopf» nun «Wolfhirsch» genannt, und er wurde zum chen,» rief der Hirsch. Herrscher der Burg der Erhebung erkoren. Der Mann mit dem Wolfskopf betrat die Burg zusam- Der Wolfhirsch siedelte den Drachen in der Burg an men mit dem Drachen. Der Hirsch verschwand, aber er und bestimmte das Kind zu seinem Erzieher. Die Burg fühlte, dass er selber zum Hirsch wurde, ohne die Wolfs- der Erhebung erhielt einen zweiten Namen: «die Schule natur verloren zu haben. Die Bewohner der Burg kamen des Drachen». Der Wolfhirsch versöhnte die Schöne ihm entgegen: Der Vater der Wolken, der Mundschenk Frau des Morgentaus mit der Sonne, die Wettersöhne des Regens, der Felsenknacker und der Feuerschmied. mit den Feuersöhnen und verwandelte sein Dorf zur «Auf welchen Wegen bist du hierher gekommen?» Burg der Erhebung. fragte der Vater der Wolken. «Unterwegs zur Burg blieben hinter mir das Feld der Deutsche Übersetzung: Konstantin Gamsachurdia Reue, das Feld der vier Winde, der Himmel der Hoff- nung, der Fels des Geierhundes, das bronzene Meer, die

Insel der Kobolde und der Götterwald.» 1 Msetunachawi bedeutet in der georgischen Sprache ein weib- «Was hat dich hierher getrieben?» fragte der Mund- liches Wesen, dessen Schönheit nie von der Sonne gesehen schenk des Regens. worden ist.

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 31 Anti-Gravitation

Wie die Schwerkraft aufgehoben werden kann Zur erstaunlichen Aktualität eines seinerzeit kaum beachteten Hinweises von Rudolf Steiner Mit einem Beitrag von Ehrenfried Pfeiffer

«... das ist die Burg der Gravitation.» Innerhalb der seitdem entbrannten Kontroverse ist ein für Rudolf Steiner (Vortrag vom 23. Dez. 1919, GA 321) den Stellenwert der Geisteswissenschaft nicht unbedeutender Sachverhalt bislang außer Acht gelassen worden, nämlich Die Erforschung und Bestimmung dessen, was mit dem dass Rudolf Steiner – hierbei ähnlich vorausschauend wie im Ausdruck «Schwerkraft» gemeint sein kann, beschäftigt seit Falle des «Rinderwahnsinns» – bereits in den zwanziger Jah- Newton die Wissenschaft. Die Deutung der Gravitation als ren des letzten Jahrhunderts auf die Möglichkeit einer tech- Masseanziehungskraft wurde bald zum Dogma erkoren und nisch vermittelten Beeinflussung der Gravitation hingewiesen die mit ihm postulierten Gesetze galten seitdem als unum- hat. Seit seiner Studienzeit an der TU Wien war es ihm ein stößlich. Auch Einsteins Beitrag, seine relativistische Raum- vordringliches Anliegen, die Entwicklung der «mechanischen Zeit-Krümmungstheorie, änderte nichts an dem Umstand, Wärmetheorie» genau zu verfolgen und deren einseitige Sicht- dass die Schwerkraft – paradoxerweise – bis heute die unver- weise zu überwinden (vgl. seine Vorbemerkung zur 1. Aufl. standenste der bekannten «physikalischen Kräfte» geblieben 1909 zur Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13). ist. Immer wieder sind einzelne Menschen auf Phänomene Nicht minder frappant sind die Parallelen zwischen Über- gestoßen, die dem gängigen Kredo widersprechen und un- legungen von Ehrenfried Pfeiffer und der genauen Versuchs- konventionelle Effekte etwa zur Erzeugung sogenannter freier anordnung Podkletnovs, bei welcher der «Supraleitung» Energie nutzbar machten. Doch erst dem russischen Materi- eine wichtige Brückenfunktion zukommt. Pfeiffers diesbezüg- alwissenschaftler Evgeny Podkletnov ist es in den Jahren seit liche Äußerungen basieren auf einem Vortrag vom 19. Januar 1992 gelungen, das, was man noch immer etwas behelfs- 1952. Die nicht durchgesehene Tonbandabschrift wurde mäßig als «Antigravitation» bezeichnet, allgemein glaubhaft unter dem Titel «Consciousness and Research Attitudes» in nachzuweisen. Jedenfalls versuchten in letzter Zeit selbst In- Notes and Lectures, Vol. 2, S. 1–14 veröffentlicht (Spring stitutionen wie die NASA, seine bahnbrechenden experimen- Valley 1991). Sie wird hiermit zum ersten Mal in deutscher tellen Ergebnisse mit viel Aufwand nachzuvollziehen, bisher Fassung (durch CP) vorgelegt. allerdings ohne Erfolg. Christoph Podak

[Auszug aus Pfeiffers Ausführungen:]

Der Mensch ist in seinem Bestreben, die Natur zu er- gründen, auf die Kräfte der Elektrizität, des Magnetismus und andere Kräfte gestoßen und hat vor kurzem auch die Atomkraft bzw. die Atomenergie entdeckt – ich mag die Bezeichnung «Kraft» [engl. force] nicht, «Energie» ist besser. Jetzt hat es natürlich mit dieser Atomenergie Fol- gendes auf sich1 – und hier sehen wir, wie leicht Men- schen heutzutage vergessen: wenn Sie vor dreißig Jahren in einem Forschungslabor über Physik oder Chemie ge- dacht und gelehrt hätten, dass man Gold und Silber oder Blei und (...) Quecksilber usw. umwandeln kann, dass man alle Elemente aufspalten und zusammenmischen und daraus neue Elemente erschaffen kann, dann hätte man Sie als Mystiker angesehen, als Alchemist oder bei- des zugleich bzw. als einen Spinner. Wenn man heute die Lehrbücher der Nuklearphysik liest, so wird darin mit der Verwandlung eines Isotops in ein anderes her- umgespielt, eines Elementes, zum Beispiel eines schwe- ren Elementes, in ein anderes. Dies ist heute lediglich Von links nach rechts: Evgeny Podkletnov und Ron Evans

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Besonders interessant ist jedoch, dass man zur Zeit in Die «thermonukleare Basis» der Substanz- der Physik – in der sogenannten Kryophysik, der Physik umwandlung der extrem tiefen Temperaturen, nahe dem absoluten Nullpunkt, nämlich ein oder zwei Grad über absolut Substanzumwandlung setzt voraus, dass diese in einen hier- für geeigneten Zustand versetzt wird (alchemisch «Wärme»- Null [Grad Kelvin] – von der Entdeckung spricht, dass bzw. physikalisch «Plasma»-Zustand), bei welchem sie die Materie in diesem Bereich sich auf sehr eigenartige gleichsam ihre Solidität aufgibt. Dem durch Pfeiffer geschil- Weise verhält. Denn hier sind all die Differenzierungen derten Transformationsgeschehen liegt nach gängiger Auf- innerhalb der Stoffeswelt, zum Beispiel in Hinblick auf fassung und Terminologie eine «thermonukleare Reaktion» die elektrische Leitfähigkeit, nicht [in gleicher Weise] zugrunde («Kernreaktion, bei der die beteiligten Teilchen die vorhanden. Hier ist alles supraleitfähig4, selbst Isolato- für die Reaktion erforderliche Reaktionsenergie aus der ther- mischen Bewegung beziehen»). Hierbei wird mit Hilfe ausge- ren wie Glas, Porzellan oder Holz erweisen sich als eben- klügelter Techniken eine Verschmelzung der beteiligten so elektrisch leitfähig wie jeder andere Stoff. Das bedeu- «Atomkerne» bewerkstelligt, so wie dies vermeintlich sowohl tet, dass das stoffliche Verhalten der Materie, so wie wir in der Sonne geschieht als auch bei der Explosion einer Was- es in unserer Sphäre kennen, in diesem Bereich von plus serstoffbombe (historisch erstmals im Nov. 1952!). Voraus- ein, plus zwei Grad über absolut Null unbekannt ist. setzung hierfür sind vergleichsweise extrem hohe Tempera- Und ganz eigenartig ist es, dass Gase, die in flüssigen turen, ist eine heiße Fusion. Daher auch die seit Jahrzehnten misslingenden Versuche, die Vorgänge in der Sonne in Form Zustand gebracht werden, wie z.B. flüssiges Helium, ge- von Atomkraftwerken auf der Basis kontrollierter Kernfusion, formt werden können und nicht etwa in Richtung der statt lediglich Kernspaltung nachzuahmen. Schwerkraft, sondern der Schwerkraft entgegengesetzt Umstritten ist, ob Pons/Fleischmann vor gut zehn Jahren strömen. Das heißt, wenn Sie eine Flasche Helium lee- die Sensation einer sog. kalten Fusion bereits bei Zimmer- ren wollen – nehmen wir an, dies wäre Helium hier temperatur gelungen ist. Hauptstreitpunkt ist hierbei die drinnen mit der Temperatur von zwei Grad über dem Frage, ob eine «regelrechte» Kernfusion tatsächlich stattge- funden hat. (Abschlägig beantwortet dies: Frank Close, Das absoluten Nullpunkt –, wenn Sie die Flasche so herum heiße Rennen um die kalte Fusion, Birkhäuser, Basel 1992; als stellen, würde das Helium hinausfließen. Wenn Sie die- Energieform der Zukunft thematisiert diese: Anthony Sut- se herumdrehen, würde es nicht ausfließen, es würde ton, Cold Fusion: Secret Energy Revolution, Sacramento 1999). vielmehr hineinfließen [flow in]. Das bedeutet, dass es einen weiteren Formzustand der Materie gibt; in der Physik nennt man das jetzt den ein Kinderspiel, wie man so herumjongliert und ein Ele- Heliumzustand bzw. einen spezifischen Wärmezustand. ment in ein anderes umwandelt. Es gibt somit einen vierten Aggregatzustand, der hinzu- Was aber meinten die Alchemisten und die Rosen- gefügt wurde und den man jetzt als «Heliumzustand» kreuzer im Mittelalter? Sie sagten, dass es einen anderen bezeichnet. Die Wissenschaftler haben zwar im Mo- Formzustand der Materie gibt; es gibt den flüssigen, den ment kein anderes Wort dafür parat, aber das ist eigent- festen, den gasförmigen und darüber hinaus noch einen lich ein eigener Aggregatzustand, und, da selbstver- weiteren Zustand der Materie. Sie nannten ihn den ständlich auch die tiefen Temperaturen dem Bereich der Wärmezustand. Und sie sagten, dass, wenn es möglich ist, Materie in den Wärmezustand zu überführen, es ei- Kryophysik und der absolute Temperatur-Nullpunkt nem [dann] ebenso gelingen kann, das eine [Element etc.] in das andere zu transformieren. «Kryophysik» ist ein bereits damals üblicher Fachausdruck. Dieser Formzustand der Materie ist jetzt entdeckt Nach den herrschenden Gesetzen der Thermodynamik ist worden und wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt «ther- der sog. absolute Nullpunkt, d.i. null Grad Kelvin bzw. mi- monukleare Reaktion» genannt [siehe obenstehenden nus 273° Celsius, nie ganz erreichbar. Kasten]. Es ist [gewissermaßen] genau dies, was die Al- Für eine Kritik an dieser allzu pauschal definierten, weil vom Verhalten von Gasen auf alle Elemente willkürlich chemisten des Mittelalters gemeint haben, als sie das extrapolierten Grenze beachte man die Schriften von Gustav Mittel [means] beschrieben, durch welches die Elemen- Kull (vor allem: «Von tiefen Temperaturen», Die Drei, 3. Jg., 2 te ineinander umgewandelt werden können. Das ist al- Heft 7, Okt. 1923, S. 507–519). Hingegen bleiben die ver- so inzwischen entdeckt worden. Ich würde daher sagen, gleichsweise bekannteren Arbeiten der Anthroposophen dass das eine sehr bedeutende Entdeckung ist. Die Paul Eugen Schiller, Ernst Hegelmann oder Wilhelm philosophische Grundlegung war bereits im 12., 13. Schmundt zum Thema weit von Steiners doppeltem Wärme- begriff entfernt. und 14. Jahrhundert bekannt – falls Sie es dort nachle- sen wollen3 und nicht etwa irgendwie hellsichtig sind.

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Temperatur angehören, gehört dies ebenso zur «Wär- me» – es ist ein Wärmezustand. Supraleitung – ein Oberflächenphänomen Wir haben nun die beiden Extreme – den Heliumzu- Es scheint, dass bei Stoffen, die supraleitend werden, die stand bei tiefer Temperatur und die Kernspaltung [bzw. Scheidung der flüssigen Oberflächenschicht in eine gasver- 5 Kernfusion] bei extrem hoher Temperatur. Wir haben wandte Schicht besonders ausgeprägt ist, und dass die er- schrittweise den Wärmezustand als einen vierten Aggre- stere die Konstitution, die ihr durch die Quasi-Schmelzwär- gatzustand [in zwei Richtungen] hinzugefügt. me verliehen wird, weitgehend noch wahrt, wenn die Worüber ich nur staunen kann und wo ich bedauere, Wärme aus ihr fortgegangen ist. Die Supraleitung müssen dass wir die Wissenschaft nicht substanziell fördern wir uns in der Art zustandekommend denken, dass bei ei- nem gewissen Abkühlungsgrad die freie elektrische Äthe- konnten, das ist der großartige Umstand, dass Dr. Stei- rität sich in die flüssigkeitsverwandte Schicht ruckartig ein- 6 ner zwischen 1909 und 1923 über diese Dinge sprach. drängt und die letzten Wärmereste aus ihr herausdrängt, Er sagte beispielsweise, dass wir ein Labor haben sollten, wonach die elektrische Ätherität in dieser Schicht das nach- in dem wir mit tiefen Temperaturen arbeiten könnten, zuahmen vermag, was charakteristisches Verhalten der denn dann – zumindest bei Temperaturen nahe dem ab- Flüssigkeit ist: hemmungsloses Fließen. Wir wissen ja, dass soluten Nullpunkt – würden wir einen solchen [spezifi- die Supraleitung ganz nur in der Oberfläche sich vollzieht, sie wird durch Läsuren der Oberfläche merklich beeinflusst schen] vierten Aggregatzustand entdecken. Wir würden (siehe: Koch, Zeitschrift für Physik, Nr. 118/1941, S. 1). Nach bestimmte abnorme Verhaltensweisen der Materie an- dem Gesagten wird verständlich, dass auch Isolatoren su- treffen, bei welchen infolgedessen auch die Gravitation praleitend werden können. aufgehoben ist.7 Wir hätten all dasjenige herausbekom- men, was zum gegenwärtigen Zeitpunkt herausgefun- Aus: Gustav Kull, Von der Wärme – Neue Wärme- den wird. In Berichten Dr. Steiners steht, dass diese neue und Lichtlehre, Typoskript, nach einer vom Verfasser nicht durchgesehenen Nachschrift, hrsg. von Martha Hirrich, energetische Kraft entdeckt werden würde.8 Köln 1950, S. 201.

(Fortsetzung in der nächsten Nummer)

Eine mittels flüssigem Stickstoff gekühlte supraleitende Ringscheibe, die einen Magneten zu levitieren vermag

34 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Anti-Gravitation

1 Zu Podkletnov siehe den spannenden, seriösen Bestseller: entstehen und ggf. zu leuchten beginnen, mit geschätzten Nick Cook, The Hunt for Zero Point, London 2001. Für eine Innentemperaturen nahe denjenigen, die man für die Sonne ausführliche deutschsprachige Besprechung siehe A. Reuveni meint berechnen zu können. in Info3, Jan. 2002; R. Monnet in Der Europäer, Jg. 7, Nr. 1 6 Siehe «Aufgabenstellungen von Rudolf Steiner für natur- (Nov. 2002). Ferner: die Web-Site seiner Vereinigung «The wissenschaftliche Forschungen», Beiträge zur Rudolf Steiner Gravity Society»: www.gravity-society.org/ . Gesamtausgabe, Nr. 122 (2000); Christoph Podak, «Zur Ge- 2 Was die Alchemisten praktizierten, wird heute üblicherweise schichte und Soziologie der anthroposophischen Forschungs- Transmutation genannt. institute in den 20er Jahren» (In Ergänzung der «Beiträge 3 Es ist unklar, welche Schriften gemeint sind. zur R. Steiner Gesamtausgabe» Nr. 122), Der Europäer, Jg. 3, 4 «Supraleitend» heißt, dass der entsprechend behandelte Nr. 9/10 (Juli/Aug. 1999). Körper nicht mehr den üblichen sogenannten elektrischen 7 Gegenwärtige Forscher wie Podkletnov, sprechen vorsichtiger Widerstand besitzt, der Strom demnach «verlustfrei durch ihn von einer sog. Abschirmung der Schwerkraft, die bislang um fließen» kann. Dieser Zustand tritt je nach Stoff bei verschie- nur wenige Prozente gelang. Für eine Übersicht auf Deutsch den tiefen Temperaturen ein. Der holländische Physiker ist hilfreich: www.borderlands.de/gravity.php3. Unbedingt zu Heike Kamerlingh Onnes entdeckte dieses Phänomen 1911, berücksichtigen ist das «Gelsenkirchener Experiment» von beim Quecksilber (bei ca. 4 K, also nicht «ein oder zwei Grad Eduard Krausz aus dem Jahre 1992, bei welchem ebenso der über absolut Null»). Bis zu Pfeiffers Zeit untersuchte man nur Nachweis einer einsetzenden Leichtekraft gelang (zuletzt Metalle und gab es kaum mehr Fortschritte (bis 23,3 K). Erst dargestellt in raum&zeit, Nr. 125, Sept./Okt. 2003). Es kommt Müller/Bednorz vermochten 1986 die «Sprungtemperatur» hier die «abschirmende» Wirkung sehr hoher Rotation zum mittels einer neuartigen keramischen Kupferoxid-Verbindung Tragen. Man vergleiche hierzu die Angaben R. Steiners von zu steigern (bis 35 K). Seitdem findet ein intensiver Wettbe- 1920 für eine spezielle, ebenfalls ungewohnt schnell rotieren- werb zwischen verschiedenen Forscherteams um die Entwick- de Zentrifuge, mittels welcher Mistelsommer und Mistelwin- lung immer besser supraleitender Materialien statt. Es gilt, tersaft genügend sanft und durchdringend zu durchmischen Stoffesverbindungen zu kreieren, welche möglichst nahe den sind (dargestellt u.a in: Andreas Heertsch, «Versuch einer üblichen Temperaturen diese Eigenschaft aufweisen, um den Ratio zwischen Krebs und Mischprozess», Elemente der Natur- Aufwand und die Kosten für die Kühlung der solchermaßen wissenschaft, Nr. 57/1992). bestückten Vorrichtungen, Instrumente, elektrischen Kabel 8 Bei dieser Passage wird nicht klar, was genau Pfeiffer mit dieser etc. zu minimieren. Maßgebend sind demnach in erster Linie neuen energetischen Kraft (engl. «this new force of energy») wirtschaftliche Gesichtspunkte. Heutzutage wird nicht mehr meint. Den vierten Aggregatzustand, der heute mehrheitlich als nur Helium verwendet, da für die neuerdings verwendeten «Plasma» bezeichnet, jedoch nicht eigentlich als einen sol- Materialien der wesentlich günstigere Stickstoff genügt; daher chen vierten anerkannt wird und die entsprechend nutzbare ist der damals übliche Ausdruck «Heliumzustand» hinfällig «Wärmeenergie»? Die antigravitationelle Kraft, welche richti- geworden. gerweise als Leichtekraft angesehen und so bezeichnet werden 5 Im Text steht «fissue», statt «fissure», also offensichtlich ein müsste? Oder den gleichsam übergeordneten, schwer eruier- Tippfehler. «Fissure» bedeutet wohl «Spaltung», dennoch baren ätherischen Zusammenhang beider? Steiner sprach und ist im Englischen «atomic» bzw. «nuclear fission» für Kern- schrieb zudem von insgesamt mehreren noch unentdeckten spaltung gängig. Musste Pfeiffer dies nach all den Jahren in Kräften, machte verschiedentlich diesbezüglichen Äußerun- den USA nicht geläufig sein? Darüber hinaus ist festzuhalten, gen, die bis heute ihrer exakten naturwissenschaftlichen dass seine Ausführungen in gewisser Weise beides umfassen: und historischen Deutung harren. Siehe u.a. «‹... weil sonst Atomkernspaltung und -schmelzung («nuclear fusion»), ob- das ahrimanische Gegenbild entwickelt wird› – Materialien schon nur letztere tatsächlich zur Sprache kommt. Der ge- und Aspekte zum Konzept der ‹Strader-Technik›», Teil 5/XII meinsame Nenner ist ein Auflösungsvorgang materieller Fe- «Rudolf Steiner über die künftige Erschließung von Natur- stigkeit oder Konstanz punkto Dichte usw., die Freisetzung der kräften», Der Europäer, Jg. 7, Nr. 9/10, Juli/Aug. 2003; «Die zugrunde liegenden Bildekräfte, unabhängig davon, wie man noch unentdeckte ‹dritte Kraft› – Eine Betrachtung von Mabel deren Ursprung deutet (üblich ist die Rede von einer Bin- Cotterell im Zusammenhang mit einem Vortrag von W.J. dungsenergie der Atomkerne). Es sind atomar kristallisierte Stein aus dem Jahre 1947», Jg. 5, Nr. 8, Juni 2001. Ein gutes Kräftestrukturen (behelfsmäßig, modellhaft, materiell-imma- Verständnis der «Leichte» vermittelt das Kapitel «Pro Levi- teriell vorgestellt als «Atome», «Elektronen», «Protonen» etc.), tate» in: , Mensch und Materie, 3. Aufl., Frankfurt die entfesselt werden, in einem Falle rein explosionsartig, im a.M. 1987. In diesem wird betont, wie eine Veröffentlichung anderen sozusagen sanft. Auch fragt sich, wie Pfeiffer die der Mitte des 17. Jahrhunderts federführenden Accademia del weiter oben bereits erwähnte sog. Kalte Fusion womöglich Cimento in Florenz dekretiert hatte, «dass eine sich auf Erfah- zurechtgedacht und demgemäß in seine Gegenüberstellung rung gründende Wissenschaft kein Recht habe, die Existenz integriert hätte (vgl. Kasten «Die ‹thermonukleare Basis› der einer der ‹Gravitas› entgegengesetzte ‹Levitas› anzuerkennen, Substanzverwandlung» auf S. 39). Oder die ebenso neuere und dass diese daher in wissenschaftlichen Überlegungen kei- Entdeckung der Sonoluminiszenz-Fusion, bei welcher durch ei- ne Rolle mehr spielen dürfe» – ein Dogma, das unterschwel- ne gezielte Einwirkung von Schall in Wasser kleinste Blasen lig, mehr oder minder unbewusst bis heute währt.

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 35 Was ist Geldalterung?

Geldalterung und Geldverjüngung Einführung und Besprechung des Beitrages von Alexander Caspar «Geldmenge, Geldalterung, Geldzirkulation» Teil 1

Wer sich mit dem Thema eines zukünftigen, nach assoziativen Koppelung von Einkommen und Leistungserlös wird das Ein- Gesichtspunkten gestalteten Wirtschaftslebens befasste, sah kommen abhängig von der Zufälligkeit der jeweiligen Kon- sich bezüglich einer entsprechend dazugehörenden Geldord- junkturlage, und wirtschaftliche Aktivität ist dann auf den nung bisher mit einem maßgeblichen Problem konfrontiert. Es gerade waltenden Marktpreis ausgerichtet. Dieses Problem handelt sich hierbei um die Frage, wie die mit einer solchen des Fehlens eines volkswirtschaftlichen Wertemaßstabes und Geldordnung verbundene Alterung des Geldes praktisch des damit verbundenen letztlich nicht mehr sachgemäßen durchgeführt werden könnte. Mit dem in den nächsten Num- Auseinander-Halten-Könnens von realen und monetären mern des Europäers zum Abdruck kommenden Beitrag von Werten führt die moderne Menschheit im Rahmen der sich Alexander Caspar («Geldmenge, Geldalterung, Geldzirkula- zunehmend globalisierenden Wirtschaft immer mehr in tion»), der den zweiten Teil zu seiner Schrift Die Zukunft des Zwangsverhältnisse hinein. Im 14. Vortrag seines «Natio- Geldes1 darstellt, ist dieses Problem nun gelöst worden. Bevor nalökonomischen Kurses»3 hat Steiner als Ergebnis sei- wir hier auf diesen Lösungsansatz eingehen wollen, möchten ner vorangegangenen Vorträge dargelegt, dass bei der wir zunächst darlegen, warum in einer solchen zukünftigen Bewertung des Ergebnisses von wirtschaftlichen Leistun- assoziativen Wirtschaft, die ja dann Teil eines dreigegliederten gen (der Preisbildung) der Wert einer Leistung immer auf gesellschaftlichen Gesamtorganismus wäre, das Geld notwen- das volkswirtschaftliche Urwert-Maß zurückgeführt, be- digerweise einer Alterung unterliegen muss. zogen werden muß. Diesen volkswirtschaftlichen Ur- wert bezeichnet Steiner als die «Urproduktion», als die volkswirtschaftliche Wertschöpfung, die sich aus dem Die Ausgangslage: das Problem des wirtschaft- Verhältnis der Bevölkerungszahl zu der Naturgrundlage lichen Wertes (der brauchbaren Bodenfläche) eines Wirtschaftsgebie- tes ableitet, «weil», wie er formuliert, «alle Arbeit, die Eine Persönlichkeit, die sich systematisch und auf wis- verrichtet werden kann, nur von der Bevölkerungszahl senschaftliche Weise mit dem modernen Wirtschafts- kommen kann, und alles, womit sich diese Arbeit ver- leben befasst hat und dabei auf das Kernproblem der binden kann,»4 letztlich aus dem Boden kommt. Caspar heutigen Nationalökonomie, das Problem des wirt- hat diesen Aspekt in seiner Schrift «Wirtschaften in der schaftlichen Wertes, treffend hingewiesen hat, ist Rudolf Zukunft»5 besonders herausgearbeitet und dabei herge- Steiner gewesen. Steiner hat dargelegt2, dass, wenn man leitet, dass diese volkswirtschaftliche Urwert-Größe, die bei der heute gängigen Wertvorstellung, nämlich dem der Jahresproduktion eines Wirtschafts- und Währungs- Geldpreis-«Wert», stehen bleibt, man sich das Einkom- gebietes entspricht6, diejenige Messgröße darstellt, auf men nicht getrennt vorstellen kann von dem Erlös der welche auch die Geldmenge in Bezug auf eine zukünftig Arbeitsleistung. Da die heutige nationalökonomische Denk- zu realisierende Geldordnung bezogen gedacht werden weise keinen anderen Wertemaßstab als den Geldpreis muß. Mit einer solchen prospektiven Geldordnung (Marktpreis) kennt, legt sie allem den Geldpreis zugrunde, würde der heute schon von der Wirklichkeit geforderte wobei sie für das Geld dann auch kein eigentliches Maß hat. Parallelismus von Sach- und Zeichenwert (von volkswirt- Sie ist daher nicht in der Lage, Einkommen und Erlös der Ar- schaftlichem Wert und nominellem Geldwert) ermög- beitsleistung als voneinander unabhängige Grössen erfassen licht werden. zu können, weil sie keinen eigentlichen volkswirtschaftlichen Wertemaßstab besitzt, auf den sie diese beiden Grössen ein- «Geldalterung» und «Geldverjüngung» bei Steiner zeln für sich und damit unabhängig voneinander beziehen könnte. Dies hat zur Folge, dass man deswegen das Haupt- Im 12. und in Teilen des 14. Vortrages seines «National- problem der modernen arbeitsteiligen Wirtschaft nicht lösen ökonomischen Kurses» hat sich Steiner zu dem Thema kann, welches darin besteht, wie jeder Erbringer einer diffe- der Geldalterung geäußert und hat dabei die Notwen- renzierten Leistung mit dem Erlös seiner Leistung an den dif- digkeit des Parallelismus von Sach- und Zeichenwert in ferenzierten Leistungen der anderen Leistungserbringer in Bezug auf eine wirklichkeitsgemäße Geldordnung be- freier Weise partizipieren kann; denn mit der unmittelbaren gründet. So wie alle im volkswirtschaftlichen Prozess

36 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Was ist Geldalterung?

produzierten Güter7 einer zeitlich bedingten Abnut- rungen fortlaufend durchmachen. Dies beinhaltet, dass zung, Wertminderung, Alterung unterliegen, so muß das Geld in Bezug auf die Menschen, denen es während auch das Geld einen entsprechenden Alterungsprozess einer bestimmten Zeit zur Verfügung steht, qualitativ durchmachen, damit es nicht zu einem «unreellen Kon- unterschiedliche Funktionen annimmt. Diesbezüglich kurrenten» gegenüber diesen Gütern wird. Dem Geld unterscheidet Steiner drei Geldarten: Kauf-, Leih- und darf somit nur die Funktion des reinen Tauschmittels Schenkungsgeld. Wie hat man diese Differenzierung in zukommen. Sobald es nämlich, wie dies unter den heu- drei qualitativ verschiedene Geldarten zu verstehen? tigen Verhältnissen der Fall ist, einen Eigenwert anneh- Man kann diesen Sachverhalt aus heutiger Sicht etwa in men und, losgelöst von den eigentlichen realwirtschaft- folgender Weise sich klarzumachen suchen: Im Rahmen lichen Prozessen, ein Eigenleben entfalten kann, wird der Kulturentwicklung emanzipiert sich die menschli- durch die Zirkulation des Geldes in den volkswirtschaft- che Arbeit zunehmend von ihrer unmittelbaren Gebun- lichen Prozess etwas hineingebracht, was nicht in denheit an der Bodenproduktion. Infolge fortschreiten- diesen hineingehört und was dann zu maßgeblichen der Rationalisierung (Ersparnis an körperlicher Arbeit) Störungen führt. können immer mehr Menschen von der unmittelbaren Steiner macht darauf aufmerksam, dass sich der Arbeit an der Natur freigestellt werden für andere, den volkswirtschaftliche Wertekreislauf im Kreislauf des jeweiligen gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechen- Geldes spiegeln muss. Das Geld muß, den volkswirt- de Tätigkeiten, da deren Einkommen von denen mit- schaftlichen Prozess gewissermaßen abbildend, wäh- erwirtschaftet werden, die noch in der unmittelbaren rend seines Lebenszyklus ihm entsprechende Verände- Bodenproduktion tätig sind. Das Geld nimmt daher (im Sinne des neuen Kapitalbegriffes) neben seiner Funk- tion als Kaufgeld dann auch die Funktion des Leih- Rudolf Steiner über das Geld geldes (zur Ermöglichung weiterer materieller Produk- tion im Sinne von Investitionskapital) und des Zwei Auszüge aus: Nationalökonomischer Kurs/Nationalökono- Schenkungsgeldes (zur Hervorbringung geistiger Leis- misches Seminar, GA 340/341 tungen und zum Unterhalt der reinen Verbraucher ei- ner Volkswirtschaft) an. Leih- und Schenkungsgeld (zu- 1. Das heutige Geld als unreeller Konkurrent im Wirtschaftsprozess sammengenommen ist es das von der Volkswirtschaft «Wenn wir nun das Geld verwenden als ein Äquivalent im erwirtschaftete Kapital) ist daher das Äquivalent von Ar- reinen Tausch, dann haben wir allerdings in dem Gelde beit, die sich von der Unmittelbarkeit am Boden gelöst gegenüber den verderblichen Gegenständen einen unreel- hat. Es ist somit nicht der in einer Volkswirtschaft ge- len Konkurrenten, einen richtigen unreellen Konkurrenten, rade zufällig vorhandene Überschuß, sondern der von weil das Geld eben unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht der Bodenproduktion (infolge entsprechender Rationa- zu verderben scheint – ich sage das ausdrücklich: nicht zu verderben scheint. Ja, da sehen wir, was in das Volkswirt- lisierung) real erwirtschaftete Überschuß. Und in einem schaftliche etwas Ungesundes hineinbringt, wenn man an- zukünftigen Wirtschaftsleben wird es gerade darum ge- dere Verhältnisse in der Volkswirtschaft spielen läßt, als die- hen, dieses von einer Volkswirtschaft infolge der ratio- jenigen sind, die in der Wirklichkeit spielen.» (S. 174) nalisierten Bodenproduktion kontinuierlich gebildete Kapital entsprechend den gesellschaftlichen Bedürfnis- 2. Das künftige Geld als buchhalterischer Zeichen- sen in Form von Leih- und Schenkungsgeld seinem Ver- wert reeller Wirtschaftsprozesse «In dem sich abnützenden Geld haben wir die Parallelströ- brauch immer wiederum zuzuführen; so dass es sich mung zu den sich abnützenden Waren, Gütern, Werten, al- also nicht akkumulieren kann in den Händen von Ein- so Sachwerten. Was haben wir also eigentlich, wenn wir – zelnen, wie dies unter den heutigen Verhältnissen der wir können es gleich auf die ganze Weltwirtschaft ausdeh- Fall ist, sondern stets in differenzierter Weise der Gesell- nen – nun diesen Parallelismus von Zeichenwert und Sach- schaft als Ganzes, der Sozietät, zugute kommt. Denn wert überschauen? dieser steht es ja auch zu, weil sie als Ganzes die arbeits- Wir haben eigentlich im Grunde genommen dasjenige, was man die über die ganze Weltwirtschaft ausgedehnte Buch- teilige Wirtschaft funktionell überhaupt erst ermög- führung, Buchhaltung nennen könnte. Es ist die Weltbuch- licht. haltung.» (S. 202 f.) Aus dem Parallelismus von Geldkreislauf und volks- wirtschaftlichem Wertekreislauf, von «Sachwert und Zitiert nach der Rudolf Steiner Taschenbücher aus dem Gesamt- Zeichenwert», ergibt sich, dass das Geld als reines werk, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1996: Tauschmittel figuriert, und zugleich den Charakter einer Buchhaltung besitzt. Das heißt, dasjenige, was sich auf

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 37 Was ist Geldalterung? der Ebene des Geldes abspielt, der «Geldumsatz», ist alterung und wiederum -verjüngung wird in einem dann lediglich Ausdruck des realwirtschaftlichen Ge- zukünftigen assoziativen Wirtschaftsleben erreicht wer- schehens. Aus den Steiner’schen Darstellungen läßt den können, dass die erwirtschaftete volkswirtschaftli- sich in Bezug auf die Gestaltung eines zukünftigen che Wertschöpfung in möglichst optimaler Weise dem Wirtschaftslebens folgendes formulieren: Der Wirt- tatsächlichen gesellschaftlichen Bedarf in Form von schaftsprozess ist als ein in höchstem Maße komplexes Kaufgeld (im Allgemeinen) sowie Leih- und Schen- Geschehen anzusehen, das sich in der Zukunft in geeig- kungsgeld (im Speziellen) zugeführt wird. Im Gegensatz netster Weise durch assoziative Einrichtungen, die sich dazu wird unter den heute herrschenden Verhältnissen aus Vertretern der Produzenten, Konsumenten und Ver- das Geld zu einem beträchtlichen Teil unter dem Ge- teilern zusammensetzen werden, koordinieren lassen sichtspunkt der Geld-Hortung, der Kapitalakkumula- wird. Diese assoziativen Einrichtungen werden Sorge tion, der Verwendung für bedarfsfremde Zwecke zuge- dafür tragen, dass sich naturgemäß auftretende Störun- führt. gen innerhalb des wirtschaftlichen Geschehens (bei- spielsweise momentane Überproduktion oder Unterver- (Fortsetzung in der nächsten Nummer) sorgung mit bestimmten Gütern, nicht mehr rentable Produktionsweisen, Mangel oder Überschuß an Arbeits- Andreas Flörsheimer, Dornach kräften in bestimmten Wirtschaftszweigen, nicht genü- gend zur Verfügung stehende Menge an Schenkungs- geld oder Leihgeld im Verhältnis zu den jeweils anderen Geldarten usw.) immer wiederum von neuem korrigie- ren, durch geeignete Maßnahmen ausgleichen lassen. Der Buchhaltungscharakter des Geldes wird daher den Assoziationen bei den Bedarfsfeststellungen sowie dem Erkennen und Ausgleichen von auftretenden Störungen innerhalb des volkswirtschaftlichen Geschehens von entsprechender Hilfe sein. Durch eine solchem Gelde innnewohnende beziehungsweise diesem auf vernunft- 1 Veröffentlicht in vier Folgen: Der Europäer, Jg. 5, Nr. 12, mäßige Weise vermittelte Art der Geldzirkulation, Geld- Okt. 2001, S. 14–16; Jg. 6, Nr.1, Nov. 2001, S. 15–17; Jg. 6, Nr. 2/3, Dez. 2001/Jan. 2002, S. 31–35; Jg. 6, Nr. 4, Febr. 2002, S. 12–15. 2 Lucifer Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie und Was ist unter «Geldalterung» zu verstehen? Berichte aus ‹Luzifer› und ‹Lucifer-Gnosis› 1903–1908, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 1987, S. 213. Die Bezeichnung Geldalterung weist stichwortartig auf die- 3 Nationalökonomischer Kurs/Nationalökonomisches Seminar, GA jenigen Eigenschaften hin, die einem wirklichkeitsgemäß GA 340, 341), in: Rudolf Steiner Taschenbücher aus dem Gesamt- geschöpften Geld innerhalb eines für die Zukunft anzu- werk, TB 731, Dornach 1996; Steiner hat diesen 14-teiligen strebenden, nach assoziativen Gesichtspunkten zu gestal- Kurs im Juli/August 1922 vor Studenten der Nationalökono- tenden Wirtschaftslebens zukommen würden. Solches Geld mie in Dornach gehalten. wäre in den Veränderungen, denen es während seines 4 Nationalökonomischer Kurs, TB 731, S. 212 f. Lebenszyklus unterworfen wäre (fortlaufender Verbrauch 5 Alexander Caspar, Wirtschaften in der Zukunft, Klett und Bal- von Kaufgeld sowie Gelderneuerung), Abbild des volkswirt- mer Verlag, Zug 1996. schaftlichen Geschehens. Der volkswirtschaftlichen Werte- 6 In der herkömmlichen Nationalökonomie wird diese jährli- kreislauf würde sich im Kreislauf des Geldes spiegeln. Weil che volkswirtschaftliche Wertschöpfung als Bruttoinland- es von seinem Wesen her keinen Eigenwert besitzen würde, produkt (BIP) bezeichnet. Es ist die Summe aller Güter und sondern in seiner Wertigkeit und Verwertungsfähigkeit le- Dienstleistungen, die in einem Land erzeugt werden. diglich ein Abbild (Zeichenwert) des realwirtschaftlichen 7 Geistige Leistungen, sofern sie im volkswirtschaftlichen Pro- Geschehens (Schaffung von Werten, Erbringen von Lei- zess zum Austausch kommen, sind in diesem Sinne hier dann stungen und entsprechender Verbrauch) darstellen würde, auch als sich abnützende Güter zu betrachten, «denn geistige käme ihm neben seiner Funktion als reines Tauschmittel Leistungen sind ja auch Gebrauchswaren im wirtschaftlichen auch unmittelbar der Charakter einer Buchhaltung der Lei- Sinn» (R. Steiner, Nationalökonomischer Kurs, TB 731, S. 202). stungen sowie der Einkommen innerhalb einer solchen zu- 8 Steiner hat die mit der Alterung des Geldes einhergehende, künftigen Volkswirtschaft zu. im Sinne eines prozessualen Geschehens auch immer wie- derum notwendige «Erneuerung» des Geldes indirekt als Andreas Flörsheimer Verjüngung des Geldes bezeichnet: Nationalökonomischer Kurs, TB 731, S. 182.

38 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 «Energetische» Eurythmie?

Zum «energetischen Arbeitsansatz für die Eurythmie» von Anne Hildebrandt-Dekker

n der letzten Zeit ist in den anthroposophischen Kreisen eine Die von Rudolf Steiner beschriebene esoterischen Entwik- Iheftige Kontroverse um den sogenannten «energetischen An- klung umschließt drei Ebenen: 1) die bewusste Umgestaltung satz» in der Eurythmie von Anne Hildebrandt-Dekker entstan- des Astralleibes (vgl. GA 10, S. 115-119; GA 13, S. 344ff.) Diese den (vgl. Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht, kann man als äquivalent mit der Ausbildung der Lotusblumen 39/2003, S. 2-5, wie auch Helge Philipps Rezension des Buches bzw. Chakras, oder genauer gesagt mit der bewussten Ausbil- von Frau Hildebrandt-Dekker, die im Europäer Jg. 7, Nr. 11 / dung der fehlenden Hälfte der «Blätter» der Lotusblumen be- September 2003 erschienen ist). Bekanntlich wird dieser An- trachten. Die andere Hälfte war bekanntlich bereits in der satz vom Leiter der Sektion für Redende und Musizierende fernen Vergangenheit entwickelt, «verfinsterte» sich aber im Künste, Herrn Werner Barfod, tatkräftig unterstützt, stößt aber Laufe der Entstehung des modernen intellektuellen Bewusst- zu gleicher Zeit auf Misstrauen bis Ablehnung seitens mancher seins. Die bewusste Entwicklung der fehlenden «Blätter» erfahrener wie auch jüngerer Eurythmistinnen/Eurythmisten. bringt die ganze Lotusblume, inklusive der «alten» Hälfte, zur Ich möchte mir keineswegs anmaßen, im Besitz eines autori- Aktivität, was zu der Fähigkeit der Imagination führt; 2) die be- tativen Verständnisses des Wesens der Eurythmie zu sein, ich wusste Umgestaltung des Ätherleibes. Diese führt zu der Ent- darf aber vielleicht hoffen, dass ich mir nach einem über 30- wicklung des zentralen ätherischen Organs in der Nähe des jährigen intensiven Studium der Anthroposophie einige Klar- Herzens, welches u.a. die ätherischen Strömungen zu den Lo- heit über den anthroposophischen Schulungsweg erworben tusblumen regelt (GA 10, S. 140f.; GA 13, S. 369f.), wie auch zu habe. Aus dieser Perspektive muss ich feststellen, dass Frau Hil- der Entwicklung der «ätherischen Netzhaut», die es dem Gei- debrandt-Dekker in ihren jüngsten Ausführungen zur «energe- stesschüler u.a. erlaubt, Inspirationen («inneres Wort») wahr- tischen Eurythmie» (Was in der anthroposophischen Gesellschaft zunehmen (GA 10, S. 143f.; GA 13, S. 370); 3) die bewusste vorgeht, 41/2003, S. 3-5; im Weiteren als «Hildebrandt-Dekker» Umgestaltung «der übersinnlichen Kräfte des physischen Lei- mit entsprechender Seitenangabe zitiert) Aussagen macht, bes», welche zu der Fähigkeit der Intuition führt (GA 13, S. welche deutlich auf die Unvereinbarkeit ihres Ansatzes mit der 371). Es ist also nicht wahr, dass sich der von Rudolf Steiner Anthroposophie hinweisen. Ich möchte in diesem kurzen Bei- beschriebene Schulungsweg lediglich auf die Ausbildung der trag nur auf ein paar Aspekte dieser Ausführungen eingehen, astralischen Organe beschränkt. die mir aus der Sicht des Schulungsweges besonders wichtig Es ist zweitens nicht wahr, dass Rudolf Steiner behauptete, erscheinen. dass die Ausbildung solcher astralischen Organe alleine zum Frau Hildebrandt-Dekker schreibt, dass sie grundsätzlich Schauen im «Seelisch-Geistigen» befähige. Im Gegenteil. Ru- auf drei verschiedenen Arbeitsebenen arbeite: «Erstens dem dolf Steiner macht es ganz deutlich, dass diese Organe ledig- Energiefeld, zweitens der energetischen Manifestation der See- lich das Schauen in der Elementarwelt bzw. ätherischen Welt lenkräfte und der Ich-Aktivität sowie drittens mit der energe- ermöglichen. Er schreibt: tischen Erschließung des Wesenskerns» (Hildebrandt-Dekker, «Die Entwicklung bleibt nun aber innerhalb der imaginati- S. 3). Im Weiteren stellt sie Folgendes fest: ven Welt nicht stehen. Der Mensch, der in ihr stehenbleiben «Meine Arbeit mit den Energiezentren geschieht im Leben- wollte, würde zwar die in Verwandlung begriffenen Wesenhei- digen. Es handelt sich also nicht um die von Rudolf Steiner ten [der imaginativen Welt] wahrnehmen; aber er würde die geschilderte Ausbildung der Chakren, die im Rahmen des an- Verwandlungsvorgänge nicht deuten können, er würde sich throposophischen Schulungsweges angestrebt wird. Chakren- nicht orientieren können in der neu-gewonnenen Welt. Die arbeit geschieht im Astralen und befähigt den Geistesforscher imaginative Welt ist ein unruhiges Gebiet. Es ist überall nur zum Schauen im Seelisch-Geistigen. Energetisches Üben er- Beweglichkeit, Verwandlung in ihr; nirgends sind Ruhepunkte. schließt dieselben Organe auf einer anderen Stufe, nämlich im – Zu solchen Ruhepunkten gelangt der Mensch erst, wenn er Lebendigen. Dementsprechend ergeben sich ganz andere sich über die imaginative Erkenntnisstufe hinaus zu dem ent- Wahrnehmungen.» (ebd.) wickelt, was die ‹Erkenntnis durch Inspiration› genannt wer- Dieser Abschnitt erstaunt. Es wird hier der Eindruck er- den kann.» (GA 13, S. 351). weckt, erstens, dass sich Rudolf Steiners Schulungsweg auf die Rudolf Steiner macht auch unmissverständlich klar, dass Entwicklung der astralischen Organe (Chakren) begrenzt, der Geistesforscher erst mit der Erlangung der Erkenntnis zweitens, dass die Ausbildung dieser Organe alleine den Gei- durch Inspiration, des «inneren Wortes», die geistige Welt be- stesforscher zum Schauen im Seelisch-Geistigen befähigt, und tritt (GA 10, S. 144). Er schreibt auch, dass die Übungen, wel- schließlich drittens, dass der Ansatz von Frau Hildebrandt- che auf die Entwicklung der Lotusblume hinzielen, von ande- Dekker über das von Rudolf Steiner geschilderte Niveau der ren, welche auf die Entwicklung der Inspiration und somit auf Entwicklung der seelischen Wahrnehmungsorgane herausragt. den Eintritt in die eigentliche geistige Welt ausgerichtet sind, Alle drei Unterstellungen sind falsch. begleitet werden sollen:

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 39 «Energetische» Eurythmie?

«Dieser Eintritt in die eigentliche Geisteswelt muss näm- «Die Begegnung mit ihm [dem ‹großen Hüter der Schwelle›] lich immer die Ausbildung der Lotusblumen begleiten.» (GA entspricht ja gerade demjenigen Erlebnis, durch welches der 10, S. 137). persönliche Charakter der übersinnlichen Beobachtungen Es ist also irreführend zu behaupten, dass die Entwicklung überwunden und die Möglichkeit gegeben wird, in eine Re- der Lotusblumen den Geistesforscher zum Schauen im See- gion des Erlebens einzutreten, die von persönlicher Färbung lisch-Geistigen befähigt. frei und für jede Menschenwesenheit gültig ist.» (GA 13, Drittens: Rudolf Steiner charakterisiert die zentralen Eigen- S. 391). schaften der Inspirations- und der Intuitionsstufe folgender- Diese Begegnungen sind es, was dem Geistesschüler ermög- maßen: licht, die Wirkungen von Luzifer und Ahriman in den über- «Durch Inspiration gelangt man dazu, die Beziehungen sinnlichen Schauungen zu erkennen und auszuschalten (vgl. zwischen den Wesenheiten der höheren Welt zu erkennen. entsprechend GA 13, S. 380, 390). Da in Frau Hildebrandt- Durch eine weitere Erkenntnisstufe wird es möglich, diese Dekkers Schilderungen jede Spur der erfolgreich bestandenen Wesenheiten in ihrem Innern selbst zu erkennen. Diese Er- Begegnung mit den beiden Hütern der Schwelle fehlt, muss ge- kenntnisstufe kann die intuitive Erkenntnis genannt wer- schlossen werden, dass ihre Schauungen dem Irrtum und der den.» (GA 13, S. 357). Illusion unterworfen sind. So gesehen überrascht es nicht, dass Anne Hildebrandt-Dekkers Schilderungen ihrer übersinn- sie den «Wesenskern» des Menschen in einem «energetischen lichen Erfahrungen – wie auch übrigens die Schilderungen Zentrum oberhalb des Nabels» lokalisiert (Hildebrandt Dekker, mancher moderner Hellseher – lassen keine Spur der Ein- S. 5), was einen direkten Widerspruch zu Rudolf Steiners An- sicht erkennen, dass man in der geistigen Welt von geistigen gaben bedeutet. Dieser beschreibt nämlich eindeutig das oben Wesenheiten umwoben ist. Daraus lässt sich schließen, dass erwähnte zentrale Organ in der Nähe des Herzens als einen die von ihr erlangte Erkenntnisstufe lediglich einer Form der neu zu erschaffenden Mittelpunkt, bzw. ein neu zu erschaffen- Imagination entspricht, also keineswegs über das Niveau des Wesenszentrum des Menschen (vgl. GA 10, S. 141; GA 13, von Rudolf Steiners Schauungen hinausreicht. Rudolf Stei- S. 370) und erwähnt das von Frau Hildebrandt-Dekker postu- ner bezeichnet übrigens die Unfähigkeit, die geistigen We- lierte Zentrum mit keinem Wort. Es ist übrigens bezeichnend, sen, welche sich durch die Imagination offenbaren, als sol- dass, obschon Rudolf Steiner auf die Existenz der zehn-blättri- che zu erkennen, als eine Gefahr auf dem Erkenntnisweg gen Lotusblume «in der Nachbarschaft der sogenannten Ma- (GA 12, S. 40). Ein interessanter Hinweis in Bezug auf die gengrube» hinweist (GA 10, S. 117; soll diese Lotusblume dem möglichen Gründe dieser Verstellung des übersinnlichen «Wesenskern oberhalb des Nabels» von Frau Hildebrandt-Dek- Blickes ergibt sich aus einer wichtigen Bemerkung, welche ker entsprechen?) und zwei weitere Organe, welche sich im Rudolf Steiner zu der Wirkungsart von Ahriman gemacht Unterleib befinden, erwähnt (die sechs-, bzw. vier-blättrige Lo- hat: tusblume, GA 10, S. 117), er bei der Beschreibung der Entwick- «Im Erdenleben führt die Gewalt Ahrimans dazu, das lung der einzelnen Lotusblumen (GA 10, S. 118-138) schreibt, sinnlich-physische Dasein als das einzige anzusehen und sich dass die Ausgestaltung der sechs-blättrigen besonders schwie- dadurch jeden Ausblick auf eine geistige Welt zu versperren. rig sei, weil sie eine vollkommene Harmonie des Leibes, der In der geistigen Welt bringt diese Gewalt den Menschen zur Seele und des Geistes verlangt, und die Entwicklung der vier- völligen Vereinsamung, zur Hinlenkung aller Interessen nur blättrigen Lotusblume überhaupt nicht behandelt. Diese be- auf sich.» (GA 13, S. 287). wusste Auslassung deutet darauf hin, dass Rudolf Steiner es als Und diese Bemerkung bringt mich zu einer weiteren angemessen sah, nur bestimmte Informationen über den Schwierigkeit, welche in den Ausführungen von Frau Hilde- Schulungsweg in einer öffentlichen Abhandlung zu geben, und brandt-Dekker spürbar ist. Rudolf Steiner betont mehrmals, gewisse Einzelheiten der Schulung als ausschließlich für die dass die Sicherheit der übersinnlichen Schauungen erst mit der private Mitteilung geeignet erachtete. Erreichung der Intuitionsstufe gewährleistet ist: Die Betrachtung der Unstimmigkeiten von Anne Hildeb- «In seiner Intuition hat also der Geistesschüler etwas, was randt-Dekkers Schilderungen mit den Angaben von Rudolf ihm zeigt, wie eine ganz klare Wirklichkeit der geistig-see- Steiner ließe sich verlängern. Ich glaube aber, dass es bereits lischen Welt beschaffen ist. Wenn er nun die also erkannten jetzt deutlich geworden ist, dass ihr Ansatz von dem anthro- Kennzeichen der geistig-seelischen Wirklichkeit auf alles an- posophischen Schulungsweg bedeutend abweicht. Es gibt be- wendet, was an seine Beobachtung herantritt, dann kann er stimmt sehr unterschiedliche Wege, auf welchen der Mensch Schein von Wirklichkeit unterscheiden.» (GA 13, S. 386). Eintritt in die geistigen Welten suchen kann. Die in Basel Er macht es auch überdeutlich, dass eine solche Sicherheit regelmäßig stattfindenden «Psi-Tage» sind ein klares Zeugnis ohne die Begegnung mit dem «kleinen» und dann dem «gros- dieser Tatsache. Frau Hildebrandt-Dekker soll, bitte, im Rah- sen» Hüter der Schwelle nicht zu haben ist: men dieser Veranstaltung ihre Einsichten dem breiten Publi- «Wenn der Mensch, ohne die Begegnung mit dem ‹Hüter kum anbieten. Sie wird dort bestimmt ihre Gefolgschaft fin- der Schwelle› zu haben, die geistig-seelische Welt betreten den. Ihre Methode, von welcher sie selbst zu Recht schreibt, würde, so könnte er Täuschung nach Täuschung verfallen.» dass sie mit der anthroposophischen nicht identisch sei, soll (GA 13, S. 381). aber keinesfalls als für die Anthroposophen und die anthropo-

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sophischen Ausbildungen maßgebend tradiert werden. Diese Bibliographie Methode als ein Fach an den Eurythmieschulen einführen zu Hildebrandt-Dekker, Anne: «‹Zuarbeit› für die Eurythmie. Kon- wollen, wäre demnach ein klares Zeichen des mangelnden kretisierung des energetischen Arbeitsansatzes», in: Was in der Verantwortungsgefühls seitens derer, die das tun wollten. Es Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht, 41/2003, S. 3-5. kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass sich lang- Steiner, Rudolf: Die Geheimwissenschaft im Umriss, GA 13 /Tb 601, fristig die Methode von Frau Hildebrandt-Dekker nicht nur als 30. Auflage, Dornach 1993. mit dem anthroposophischen Schulungsweg nicht identisch, Steiner, Rudolf: Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?, sondern als ein ihm Entgegensätzliches erweist. GA 10 /Tb 600, 23. Auflage, Dornach 1982. Steiner Rudolf: Die Stufen der höheren Erkenntnis, GA 12 /Tb 641, Marek B. Majorek, Himmelried Dornach 1991.

Zum Luzerner Symposium «Der inszenierte Terrorismus» (1./2. November 2003)

m August dieses Jahres wurde ich angefragt, als Vertreter der Steiners mit solcher «Esoterik» ganz einfach nicht in Zu- I Geisteswissenschaft R. Steiners an dem Luzerner Symposium sammenhang gebracht werden kann und darf.** teilzunehmen und zwei Referate zu halten. Abgesehen von diesen von mir leider unterschätzten fal- Trotz großer anfänglicher Bedenken hatte ich mich zur Teil- schen und kompromittierenden Grundlagen für die Verwirk- nahme entschieden. Die Bedenken lagen darin begründet, lichung eines an sich richtigen Impulses, waren die Beiträge dass die Organisatoren von Anfang an durchblicken ließen, der Referenten ausnahmslos von großem Interesse; so Wis- dass sie durch ihren «Esoteriker» und Heilpraktiker F. Gastpar newskis und von Bülows Darstellungen zu Diskrepanzen in (der sich später auf dem Internet als «Spezialist für okkulte den offiziellen Erklärungen zum 11. September, Nick Begichs Hintergründe» präsentierte, was verständlicherweise manche Ausführungen über Haarp oder die Referate Michael Rupperts Menschen abstieß) für den Höhepunkt der ganzen Tagung sor- und Webster Tarpleys, die mehr wirtschafts-kriminalistischer gen würden.* Ich unterschätzte das Gewicht dieser Tendenzen resp. politischer Natur waren. Außerdem führte die Tagung und richtete das Augenmerk auf das Thema, die eingeladenen zu wertvollen Gesprächen zwischen Referenten und Teilneh- Referenten, deren Arbeiten ich schätze, auch wenn ich mich mern. Manche Beziehung war geknüpft worden, die Zukunft nicht in jeder Einzelheit ihren Ergebnissen oder Diagnosen hat. anschließe, und freute mich auf ihre Beiträge und eine Aus- Und ein Impuls ist geboren worden, die Untersuchung der einandersetzung bezüglich offener Fragen. Außerdem hoffte Verbrechen vom 11. September 2001 durch wirklich unabhän- ich, einige grundsätzliche geisteswissenschaftliche Gesichts- gige Kräfte voranzutreiben: Im Anschluss an die Tagung wurde punkte zur Beleuchtung der Ereignisse vom September 2001 eine Erklärung abgefasst, die die Bildung einer «Wahrheits- beisteuern zu können. Schließlich sah und sehe ich den Im- kommission» zur Aufklärung der Ereignisse vom 11. Septem- puls, in einer Zeit epidemischer Verlogenheit in Bezug auf alle ber 2001 fordert. Diese Erklärung ist unabhängig von den Orga- öffentlichen Angelegenheiten, Zusammenkünfte unabhängi- nisatoren durch die eben genannten und den unterzeichneten ger Historiker und Zeitgenossen zu organisieren, als etwas Referenten ausgearbeitet worden. Sie wird in naher Zukunft, durchaus Notwendiges und Richtiges an. von namhaften Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Diese meine Gesamteinschätzung war in einem Punkt ein unterstützt, international verbreitet werden. Sie wird zu gege- großer Irrtum: Die Esoterik der Organisatoren entpuppte sich bener Zeit auch im Europäer veröffentlicht. als tagungsbeherrschend und als eine solche, die auf dem autori- Thomas Meyer tativen Guruprinzip aufbaut und in naivster und illusionärster Weise geistige Fragen mit solchen des äußeren Lebens durch- einanderwirft. Die Tagung wurde zur Kulisse für die Inszenie- * Außerdem vertrug es sich offenbar nicht mit der «Esoterik» rung dieser Organisatoren-«Esoterik», deren «Meister» in der der Veranstalter, die Medien einzuladen, «wegen schlechter Schlussdarbietung einer um den anderen auf eine Leinwand Erfahrungen», wie die Schweizerische Depeschenagentur vom projiziert wurden. Gerhard Wisnewski (siehe das Interview im Mitveranstalter Hans-Peter Roth, einem Journalisten, erkun- letzten Europäer) und ich selbst haben uns an diesem «Höhe- dete. Diese Tatsache war den mediengewöhnten Referenten punkt» der Veranstaltung scharf abgesetzt. Wisnewski im Be- nicht bekannt. wusstsein, Thema und die Referenten seien missbraucht wor- ** Eine entsprechende Distanzierung gegenüber den Veranstal- den; ich, um klarzustellen, dass die Geisteswissenschaft Rudolf tern ist auf unserer Webseite im Editorial zu finden.

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 41 Al-Qaida und der 11. 9.

Al-Qaida, der pakistanische Geheimdienst und die Anschläge vom 11. September 2001 Zwei Buchrezensionen

ie Vor-Umstände des Irakkrieges 2003 und das ver- in dem ein Journalist des arabischen Fernsehsenders Dänderte Verhalten der deutschen Politik haben den Al-Dschasira von einem zwei-tägigen Interviewtreffen Blick auf die amerikanische Weltpolitik in Deutschland mit zwei sogenannten «Top-Terroristen» der Al-Qaida im nachhaltig verändert. Damit haben sie auch bei vielen April 2002 in Pakistan und von den sich daraus ergeben- Menschen die Anschauung der Anschläge von 2001 ver- den Weiterungen und zusätzlichen Nachforschungen er- 1 ändert: Der Irakkrieg führte einerseits sehr deutlich vor, zählt. Das Buch, geschrieben in Zusammenarbeit mit ei- dass der amerikanische «Krieg gegen den Terror» in sei- nem englischen Journalisten der Sunday Times, wirft ein nem weitausgedehnten Machtwillen über den Charakter erhellendes Licht auf die Anschläge aus der Sicht von einer bloßen Reaktion auf die Anschläge von Menschen, die sich – diesem Buch zufolge – offenbar als und Washington hinausgeht; andererseits ist auch klar, ihre Urheber betrachten. dass dieser «Krieg gegen den Terror» als Gesamtstrategie Yosri Fouda, Londoner Redakteur von Al-Dschasira, be- ohne die Anschläge niemals hätte ins Werk gesetzt wer- suchte auf deren eigenen Wunsch in Pakistan Ramzi Bi- den können. Die Kombination dieser beiden Elemente nalshib und Khalid Sheikh Mohammed, die sich ihm führt mit Zwangsläufigkeit dazu, dass der Gedanke an gegenüber selbst als die unmittelbaren Organisatoren der irgendeine Form der Mitverursachung der Anschläge Anschläge bezeichneten. Khalid wurde in den üblichen vom 11. September 2001 durch Kreise, die zugleich mit Darstellungen als «Militärchef» von Al-Qaida bezeichnet, jenem amerikanischen Gesamtkonzept des «Krieges ge- als der eigentliche Planer militärisch-terroristischer Aktio- gen den Terrorismus» verbunden sind, Auftrieb erhält. nen, Binalshib, der auch eine Zeitlang in Hamburg lebte, In Deutschland hat das im Sommer 2003 vermehrt soll vor allem der Koordinator zwischen jenen um Mo- Szenarien über den Hintergrund der Anschläge auf- hammed Atta, die in den USA in die Flugzeuge gingen kommen lassen, in denen jene nahöstlichen Menschen und den Terrorführern in Pakistan und Afghanistan ge- und ihre Organisation, Al-Qaida, die von der Politik wesen sein. Er wollte ursprünglich an den Anschlägen und in der Öffentlichkeit immer als Planer und Ausfüh- selbst teilnehmen, erhielt aber kein Visum zur Einreise in rende genannt wurden und die auch von der Justiz ent- die USA. Sowohl Binalshib als auch Khalid wurden inzwi- sprechend behandelt werden, gar nicht mehr vorkom- schen in recht undurchsichtigen gemeinsamen Aktionen men. Elemente der Unklarheit im Ablauf der Ereignisse der pakistanischen Sicherheitsdienste und des amerikani- am 11. September selbst werden in diesen Szenarien schen FBI verhaftet, Binalshib am 11. September 2002, auf eine Art zusammengesetzt, in der die Anschläge als Khalid im März 2003. Beide wurden an die USA ausgelie- eine Gesamtinszenierung des amerikanischen Geheim- fert und werden heute von diesen dem Vernehmen nach diensts (bzw. einer ähnlichen Organisation) erschei- an geheimen Orten festgehalten. – Die Umstände der nen. Anders weisende Spuren erscheinen da als wahr- Interviews und der späteren Verhaftungen lassen selbst- scheinliche Fälschungen oder werden ganz ignoriert. verständlich eine gewisse Unklarheit über die Angaben Solche Vorstellungen lassen es immer- und Informationen, die in dem Buch gege- hin geraten erscheinen, auch einmal wie- ben werden. Der Nachprüfbarkeit sind hier der die «andere» Seite einer Erforschung enge Grenzen gesetzt und selbst eine heim- der Anschlagsumstände zur Kenntnis zu tückische Irreführung kann nicht völlig nehmen, nämlich diejenige, die sich dem ausgeschlossen werden. Trotzdem spre- Umfeld der Islamisten und der nebelhaf- chen viele Details auch für die Wahrheit ten Al-Qaida zuwendet. Zwei Bücher, die bzw. die Realitätsähnlichkeit der in dem im Sommer 2003 in Deutschland erschie- Buch gegebenen Schilderungen. nen sind, erscheinen dafür als besonders Das Buch macht den Kreis der Attentä- interessant. ter als soziales Milieu verstehbarer und durchsichtiger. Es wird auch etwas spürbar Masterminds of Terror. Die Drahtzieher des von der Euphorie, in der Leute wie Binals- 11. September berichten. Der Insider-Report hib offenbar lebten, als Menschen, welche von al-Qaida heißt reißerisch ein Bericht, die Kompromisse und die Korruption, die

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sonst in der arabischen bzw. islamischen Welt herrschen, geleitet, einem Mitglied der katarischen Herrscherfami- hinter sich gelassen haben und gewissermaßen eine rei- lie, das sofort sein Einverständnis gab.3 Im Westen wird ne, radikale Existenz führen, gewidmet dem kompro- Al-Dschasira wegen derartiger Sendungen zunehmend misslosen Kampf gegen jene, die sie für die Feinde des Is- als eine Art Propagandasender von Al-Qaida behandelt lam (und damit der Menschheit) ansehen und in der und von den USA immer wieder inkriminiert, mehrere beständigen Bereitschaft und Sehnsucht, das eigene Le- Mitarbeiter von Al-Dschasira wurden im Irak erschossen. ben zu opfern. So wie es Fouda und Fielding beschreiben, – Es ist aber die gleiche Herrscherfamilie Katars, die dem figurieren die Anschläge vom 11. September im Weltbild Sender vorsteht und den USA gestattete, das Scheichtum dieser Leute als «Heiliger Dienstag», ein Tag des höchsten zum Hauptquartier des Krieges gegen den Irak 2003 zu Glücks, der Erfüllung und der Demütigung des Feindes. machen. Mohammed Atta, der in Hamburg-Harburg Stadtplanung In den USA ist der grundsätzliche Plan zu den An- studiert hatte, nahm unter den neunzehn Entführern of- schlägen vom 11. September spätestens seit dem Januar fenbar eine Sonderstellung ein. In den Erzählungen des 1995 bekannt gewesen; damals wurde dem Geheim- Buches klingt manchmal durch, dass er nach den An- dienst ein in (Philippinen) requirierter Laptop- schlägen als eine Art Heiliger verehrt wurde. Eher un- Computer zugestellt, auf dem ein erstes Projekt, Flug- durchsichtig bleibt nach dem Buch die Rolle Osama bin zeuge zu entführen und in verschiedene amerikanische Ladens: Ist Bin Laden tatsächlich der Kopf einer relativ Gebäude stürzen zu lassen, enthalten war. Darunter be- klar umrissenen Organisation? Ist er ein charismatischer fanden sich auch damals schon die vier am 11.9.2001 an- geistiger Führer, der aber mit den eigentlichen Operatio- visierten Gebäude. Dieser Laptop stammte aus dem Um- nen wenig zu tun hat? Oder ist er eine bloße auf den kreis des späteren «Chefplaners» Khalid.4 Schild gehobene Galeonsfigur, ein «Dummkopf», wie ein Gesprächspartner Foudas im Buch äußert? Bernhard-Henri Lévy, Franzose und Jude, Autor des ande- Es gibt aber auch sonst eine Reihe von Einzelheiten, ren hier besprochenen Buches, ist ein Star des internatio- die interessant sind und die auch Fragen eröffnen, die nalen Intellektuellen(un)wesens, ein Tausendsassa und über diejenigen hinausgehen, die das Buch beantwortet. theatralischer Medienmensch, der sowohl als Philosoph, Wie Pakistan die ursprüngliche Basis der arabischen wie auch als Journalist, Reporter, Filmemacher, Fernseh- Kämpfer im afghanischen Guerillakrieg gegen die Sowjet- diskutant, Politikberater und Menschenrechtsaktivist union 1979 bis 1991 war und später als Ziehvater und auftritt. Lévy ist in hohem Masse, was man einen West- Amme der Taliban fungierte, die 1996 zur Hauptmacht in menschen nennen könnte. Im innerfranzösischen Kul- Afghanistan aufstiegen, so sind auch die Beziehungen turkampf der letzten Jahrzehnte zwischen Pro- und Anti- der Al-Qaida nach Pakistan offenbar immer außerordent- amerikanern – mit allem, was darin zusätzlich impliziert lich eng gewesen. Das gilt in besonderem Masse für den ist – ist er ein eindeutiger Parteigänger der USA. Verfolgt in Pakistan allmächtigen Geheimdienst ISI. In diesen man seine Aktivitäten, so wird klar, dass er sich immer Beziehungen scheinen die Anschläge vom 11.9.2001 dort leidenschaftlich für Menschenrechte engagiert hat, keinen entscheidenden Wechsel eingeleitet zu haben. Es wo dieses Engagement konform mit einer Hauptrichtung muss in dem afghanisch-pakistanischen Umkreis eine der westlichen Politik verlief, manchmal auch als ihr Vor- große Zahl von Menschen gegeben haben, die im Som- reiter. So hat er sich in den 80er Jahren besonders gegen mer 2001 gewusst haben, dass eine große Terroraktion die sowjetisch-osteuropäischen Regime gewandt, hat den unmittelbar bevorgestanden hat2 (wie ja auch aus ande- muslimischen Dschihad gegen die Sowjetunion in Af- ren Quellen eine Vielzahl von Warnungen bekannt sind, ghanistan unterstützt, war später im Jugoslawien seit welche staatlichen Stellen in den USA zugingen). 1992 unter den europäischen Intellektuellen ein Haupt- Rätselhaft erscheint die Rolle der Herrscherfamilie von gegner der Serben und Parteigänger der bosnischen Mus- Katar, einem winzigen Ölscheichtum am persischen lime und hat in den 1990er Jahren die islamistischen Golf. Hier hat der Sender Al-Dschasira – von Al-Qaida Massaker in Algerien angeprangert. Als Hauptfeinde hat dem Buche nach als einziger anerkannt, dessen Berich- er im Laufe der Zeit immer deutlicher die «Fanatiker» aus- terstattung als fair anerkannt wurde – seinen Sitz. Al- gemacht, d.h. Menschen, die aufgrund eines Geistigen, Dschasira hat ja seinen großen Aufschwung als arabische dem sie dienen und an dem sie festhalten wollen, in ei- Stimme im «Krieg gegen den Terrorismus» genommen. nen Gegensatz zur Welt geraten und diesen Gegensatz Als Fouda dem Sender im Juni 2002 sein Material vorleg- mit Zerstörungslust und Aggression zum Verschwinden te, getrauten sich seine unmittelbar vorgeordneten In- bringen wollen. Man kann leicht den Eindruck haben, stanzen nicht, über die Verwendung zu entscheiden. Der dass für Lévy dieser bewusst gepflegte Bezug zu einem als Fall wurde bis zur höchsten Führung des Senders weiter- verpflichtend verstandenen Geistigen das eigentlich Em-

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pörende ist, während die Aufdeckung der von Bin Laden wurde er offenbar als «Lieb- Untaten solcher Menschen mehr dazu lingssohn» tituliert und als solcher be- dient, der Öffentlichkeit diese Empörung trachtet. Es war auch Omar, der, einer über- plausibel zu machen. zeugend klingenden Indizienkette Lévys Mit dieser Einstellung ist leicht ver- zufolge, von einem Konto in den Vereinig- ständlich, dass sich Lévys Interessen nach ten Arabischen Emiraten aus die wichtig- den Anschlägen vom 11. September in sten Geldüberweisungen für die in den besonderem Maße den Islamisten um Osa- USA weilenden 19 Islamisten des 11. Sep- ma bin Laden bzw. ihrem Umkreis zuwen- tember tätigte. den mussten, d.h. einer Bewegung, die Dass Omar eine wichtige Rolle bei der sehr genau Lévys Feindbild entspricht, Entführung und Ermordung Pearls spielte, geradezu vorbildhaft destruktive religiöse zeigen Lévys Indizien. Dennoch scheint Fanatiker. Dieses Interesse hat 2003 ein seine Verurteilung auch so etwas wie ein größeres Buch hervorgebracht, in dem Bauernopfer gewesen zu sein. Tatsächlich Lévy die Forschungen beschreibt, die er 2002 in Pakistan war die Entführung offenbar eine Tat, deren Zusammen- durchführte, um die Ermordung des amerikanischen hänge noch weit über Omar hinausreichen. In Pakistan Journalisten des Wall Street Journal, Daniel Pearl, am 31. existiert eine Reihe sogenannter Dschihad-Gruppen, d.h. Januar 2002 im pakistanischen Karachi zu verstehen oder islamische Kämpfer bzw. Terroristen, aktiv vor allem im aufzuklären. Kaschmir-Konflikt, die vom Geheimdienst ISI kontrol- Diese einschränkenden Bemerkungen vorangestellt, liert werden, untereinander aber in Konkurrenz stehen. muss man Lévys Bericht Wer hat Daniel Pearl ermordet? Pearls Entführung war offenbar das einmalige Ereignis, als eine durchaus sensationelle, großartige Reportage be- das alle diese verschiedenen Gruppen zu einer gemeinsa- zeichnen.5 Es ist erstaunlich, wie viel relevantere Per- men Aktion vereinte. Und mit involviert war wohl auch spektiven Lévy als Ein-Mann-Reporter aufzuzeigen ver- noch Al-Qaida, die Königs-Dschihadgruppe im Hinter- mag, als das beispielsweise für die Reporterschwärme grund, deren Mitglieder den Mord ausführten. eines Magazins wie Der Spiegel gilt. Das verdankt sich sei- Das weist darauf hin, dass diese Entführung und Er- nem politischen Spürsinn und einem wirklichen Er- mordung des Journalisten Daniel Pearl kein nebensächli- kenntnisinteresse, wozu allerdings noch Beziehungen zu ches oder zufälliges, sondern ein sehr wichtiges Ereignis Regierungsstellen in den USA, Frankreich und Indien gewesen ist. Den Grund dafür möchte Lévy in Dingen und gute Verbindungen zu afghanischen Warlords kom- finden, die Pearl offenbar entdeckt hatte und von denen men. Lévys Buch vermittelt dem Leser einen erstaunlich das Geheimdienst- und Dschihad-Establishment Paki- tiefgehenden Einblick in die inneren Mechanismen des stans sich bedroht gefühlt haben muss. politisch-militärischen Systems in Pakistan und seine Nach Lévy waren es besonders zwei Spuren, die Pearl Verquickung mit dem islamistischen Milieu und erhellt in den Wochen vor seinem Tode verfolgte. Zum einen darin das Umfeld der Al-Qaida-Gruppe ganz wesentlich. untersuchte er die Verbindungen zwischen pakistani- Obwohl die Anschläge von 2001 nicht das eigentliche schen Atomwissenschaftlern und dem Terrormilieu und Thema des Buches sind, so fällt doch auch darauf ein zu- war darauf gestoßen, dass diese Verbindungen sehr eng sätzliches, erhellendes Licht. waren. Darin war er allerdings nicht der einzige und die Lévys «Spur» ist zunächst jener Mensch, der in Paki- Meldungen darüber häuften sich im Jahre 2002. Noch stan gerichtlich für Pearls Ermordung am 15.7.2002 zum interessanter erscheint die andere Spur, der Pearl vor sei- Tode verurteilt worden war: Omar Sheikh. Omar, geboren nem Tode hinterherjagte. Er untersuchte eine exklusive 1973, war Engländer, studierte an der London School of kleine pakistanische Dschihad-Sekte namens al-Fuqrah Economics, bevor er während des bosnischen Bürgerkrie- um einen Mann, dessen Namen mit Pir Mubarak Shah ges (1992-1995) im islamistischen Milieu verschwand, Gilani wiedergegeben wird.6 Was Lévy über diese Gruppe um dann in Pakistan wieder aufzutauchen. Einige Jahre herausgefunden hat, klingt sensationell. Man fragt sich, saß er wegen einer Entführung mit politischem Hinter- ob hier nicht ein wichtiger Teil vom Rätsel des 11. Sep- grund im Gefängnis in Indien, bevor er zum Jahresende tember seine Lösung findet. Gilani gründete in den 80er 1999 seinerseits durch eine Flugzeugentführung freige- Jahren seine Gruppe in den USA, von Brooklyn aus, als presst wurde. Lévy macht ganz deutlich, dass Omar ein eine Rekrutierungsgruppe für den afghanischen Dschi- Mann des pakistanischen Geheimdienstes ISI war mit had gegen die Sowjetunion. Er war wohl ein Mann der Verbindungen bis nach sehr weit oben. Außerdem war er CIA, die Gruppe wurde vom Geheimdienst wohl unter- in den Jahren vor 2001 auch ein «Mitglied» von Al-Qaida, stützt, vielleicht auch konstruiert. In Pakistan wurde Gil-

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ani später wohl so etwas wie ein geistiger Mentor oder ergibt. Schon im Herbst 2001 waren ja Quellen aufge- Lehrer Osama bin Ladens. Heute existiert seine Gruppe taucht, die behaupteten, dass dem Flugzeugterroristen zweigeteilt. Einmal als Dschihad- (d.h. Terroristen)- Mohammed Atta im Sommer 2001 $ 100.000 vom ISI Gruppe in Lahore in Pakistan, andererseits in den USA in übergeben worden waren. Lévys Forschungen erhärten Form mehr oder weniger autarker Dörfer im Stile einer diese Information erneut. Merkwürdig war auch die apokalyptischen Sekte. Ein Mitglied einer solchen Dorf- Tatsache, dass sich der damalige Chef des ISI, Mahmoud gemeinschaft war jener Heckenschütze, der im Herbst Ahmed, am 11.9.2001 gerade zu Spitzengesprächen in 2002 in den USA im Raum Washington ca. 20 Menschen Washington aufhielt. umgebracht hatte. Ein anderes Mitglied von Gilanis Sek- Man kann durchaus glauben, dass es selbstmörderi- te war der sogenannte «britische Schuhbomber» Richard sche Fanatiker gibt, die einen Anschlag wie den vom 11. Reid, der ein Flugzeug mit einer in einem Schuhabsatz September gewollt und vielleicht auch gemacht haben versteckten Bombe sprengen wollte. In Gilanis Gruppe könnten; sehr schwer aber fällt es, sich einen Grund vor- wird offenbar der Gedanke an eine künftige Weltherr- zustellen, warum ausgerechnet der pakistanische Ge- schaft des Islam gepflegt, die aber erst als Folge eines heimdienst ISI, d.h. eine auf Machtsicherung ausgerich- «Dritten Weltkriegs» Wirklichkeit werden könne. Es ist – tete Institution, die USA im Jahr 2001 hätte angreifen von islamischer Seite aus – der spiegelbildliche Gedanke und herausfordern wollen. Es sei denn, dieser Geheim- zu jenem, der in Washingtoner Kreisen als «Krieg gegen dienst hat gewissermaßen als eine Filiale oder im Auftrag den Terrorismus» gepflegt wird. Denn dieser «Krieg ge- gehandelt und manchen in den USA kam dieser Angriff gen den Terrorismus» ist ja ein neuer Weltkrieg, wenn gar nicht so ungelegen ... ihn auch jemand wie der frühere CIA-Direktor James Andreas Bracher, Hamburg Woolsey nach eigener Zählung schon als den «vierten» benennt.7 Diese Weltkriegsprophezeiung ist eine Idee, die – von islamistischer Seite aus – dazu geeignet gewe- 1 Nick Fielding & Yosri Fouda, Masterminds of Terror. Die sen sein kann, die Anschläge vom 11. September zu mo- Drahtzieher des 11. September berichten. Der Insider Report von tivieren, während sie für die amerikanischen Führungs- al-Qaida, Hamburg, Mai 2003. 2 Siehe z. B. Fielding & Fouda, a.a.O., S. 194. gruppen gleichzeitig den perfekten Anlass bot, ihrerseits 3 Siehe die Beschreibung im Buch v. Fielding & Fouda, a.a.O., diesen Dritten Weltkrieg in Form der Reaktion auf die S. 171. Anschläge auszulösen. 4 Siehe zum Laptop Fielding & Fouda, a.a.0., S. 112-114 und auch: Oliver Schröm u. Dirk Laabs, Tödliche Fehler. Das Versa- Beide Bücher, besonders aber dasjenige von Lévy, erhär- gen von Politik und Geheimdiensten im Umfeld des 11. September, ten weitgehend die intensiven Verbindungen zwischen Berlin 2003, S. 75-78. dem pakistanischen Geheimdienst ISI und der Al-Qaida. 5 Bernhard-Henri Lévy, Wer hat Daniel Pearl ermordet? Der Tod eines Journalisten und die Verstrickungen des pakistanischen Sie erhärten auch die Mittäterschaft des ISI bzw. von Mit- Geheimdienstes mit al-Qaida, München 2003. gliedern des ISI bei den Anschlägen von 2001. Die An- 6 Siehe das Kapitel über diese Gruppe, Lévy, a.a.O., S. 395-410. schläge mögen von Al-Qaida geplant und gemacht wor- 7 Nach Woolsey war der Kalte Krieg zwischen der Sowjetunion den sein, ohne den ISI wären sie nicht möglich gewesen. und den USA zwischen 1946 und 1989 bereits der «Dritte» So zumindest das Bild, das sich aus diesen Informationen Weltkrieg.

«11. September – Geschichte eines Terroranschlags» Buchrezension 1

Viel Emotionen, wenig Gedanken und eine Menge ter des SPIEGEL … in monatelanger Arbeit recherchiert» vorenthaltener Informationen … haben. Angesichts der heftigen Attacken des Spiegel gegen die Wer eine solide und reflektierte Darstellung der Ge- «Konspirations-Fanatiker», die «die Wirklichkeit auf den schehnisse erwartet, die mit den Argumenten der sog. Kopf stellen» (so der Spiegel-Titel der Ausgabe Nr. 37 vom Verschwörungstheoretiker aufräumt, wird enttäuscht: 8.9.03) greift man gespannt nach einer Darstellung der Die Darstellung ist weder sachlich solide noch reflektiert Geschehnisse, die – laut Klappentext – «die besten Repor- sie Probleme. Im Gegenteil erweckt sie den Eindruck,

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 45 «Neues» zum 11. 9.

dass Wahrheit und Wirklichkeit nach Bedarf zurechtge- rungsfalls bereits 36 Minuten vergangen. Normalerweise bogen werden. beträgt diese Zeitspanne 3 bis 5 Minuten. Auf solche Un- Das Buch ist in den ersten beiden Dritteln wie ein Ro- stimmigkeiten verwenden die Autoren keine Gedanken. man geschrieben. Wäre es ein solcher, könnte man es un- Die Piloten haben das erste Flugzeug auch nicht «ver- eingeschränkt loben. Denn man sieht mit den Augen fehlt», sondern dieses Flugzeug existierte zum Zeitpunkt Mohammed Attas, hat Anteil an den Gedanken des Fen- des Startes schon nicht mehr, denn es zerschellte um sterputzers Jan Demczur und liegt mit einem Angestell- 8.45 Uhr am Nordturm der Twin-Tower. ten unter einem Tisch, als Teile der Bürodecke herunter- Und dass sie zum zweiten «zu spät» kommen, verur- brechen. Das alles ist höchst lebendig und anschaulich sacht den Autoren auch kein weiteres Kopfzerbrechen. beschrieben. Der Leser hat das Gefühl, mittendrin zu Das zweite Flugzeug schlug um 9.03 Uhr in den Südturm. sein. Die Jets starteten um 8.52 Uhr auf einer Basis, die knapp Nur: war es auch so? Oder hat man es mit der Phanta- 200 Meilen von New York entfernt liegt. Bei einer Ge- sie der Autoren zu tun? schwindigkeit von 1600 mph – die Höchstgeschwindig- Leider fehlen Quellenangaben, um solche Aussagen zu keit dieser Jets beträgt 1875 mph – , hätten sie diese 200 verifizieren. Misstrauisch wird man spätestens dann, Meilen in weniger als 8 Minuten zurückgelegt, wären al- wenn diese Art der Berichterstattung auch bei Personen so 3 Minuten vor dem Einschlag der Maschine an Ort angewandt wird, die die Anschläge nicht überlebt haben. und Stelle gewesen. Nach Angaben von NORAD haben Die ihnen unterlegten Gedanken und Gefühle können sie aber 19 Minuten benötigt; d.h. sie flogen gerade mal nur der Phantasie der Autoren entsprungen sein. Ist das ein bisschen mehr als ein Drittel ihrer Höchstgeschwin- ein angemessener Umgang mit den Opfern? digkeit. Nimmt man sie hier noch ernst oder missbraucht sie Nichts von alledem erfährt man. Stattdessen wird der nicht vielmehr als Staffage der eigenen Fiktion? Eindruck erweckt, dass das «Zuspätkommen» völlig nor- Bei Flug American Airlines 11 wird ein Zeuge ange- mal und nicht erklärungsbedürftig sei … führt, der – im Nordturm sitzend – das Flugzeug auf den Turm zufliegen sah und es als Boeing 767 identifizierte. Ähnlich fehlinformiert wird der Leser über das Verhal- Dieser Zeuge wäre von großem Belang, denn es gibt Zwei- ten des Präsidenten in der Grundschule in Sarasota. Man fel, ob das erste Flugzeug wirklich eine Boeing war. Aber erfährt, dass der Präsident während der Begrüßung von der Zeuge wird nicht präzisiert, so dass eine Nachprüfung seinem Berater Karl Rove die Nachricht zugeflüstert be- unmöglich ist. Demselben Zeugen wird auch ein Einblick kam, dass ein Flugzeug in den Nordturm des WTC geflo- in das Cockpit gewährt. Nur erfährt man nicht, was er ge- gen sei. Daraufhin habe er mit seiner Sicherheitsberaterin sehen hat. Auch das wäre ein wichtiger Punkt gewesen, telefoniert und sich nach Absprache mit seinem Stab- z.B. um die Frage nach dem Todespiloten zu klären. schef Card entschlossen, mit dem Programm fortzufah- Nebensächlichkeiten werden mit penibler Konkretion ren. Während der Lesung haben die Berater draußen er- beschrieben; an entscheidenden Stellen bleiben die Au- fahren, dass auch in den zweiten Turm ein Flugzeug toren dagegen ungenau. eingeschlagen sei. Sie schalteten daraufhin den Fernseher So auch bei der Frage der militärischen Luftabwehr. ein. Und Card ging in das Klassenzimmer und flüsterte Man erfährt, dass zwei F-15-Jagdmaschinen um 8.52 Uhr Bush ins Ohr: «America’s under attack». Bush sei sicht- von Cape Cod aus starteten; man erfährt ebenfalls, dass lich blass geworden, setzte aber die Lesung weitere sechs diese Maschinen 24 Jahre alt und mit wärme- und radar- Minuten fort. Dann habe er den Vizepräsidenten und geleiteten Raketen bestückt sind. den FBI-Chef angerufen und danach zu seinen Begleitern «Sie haben das erste entführte Passagierflugzeug ver- gesagt: «Wir befinden uns im Krieg». Danach hielt er ei- fehlt, sie kommen auch zu spät für das zweite. Amerika ne kurze Rede, in der er von einer «nationalen Tragödie» hat nicht wirklich damit gerechnet, aus der Luft ange- und einem «terroristischen Akt» sprach. griffen zu werden». (S.74) So die Darstellung des Buches. So einfach ist das in den Augen der Autoren. Folgt man der Chronologie Thompsons und den Aus- Dass solche Abfangprozeduren regelmäßig, nämlich 2 sagen des Präsidenten, liest sich die Geschichte erheblich bis 3 Mal in der Woche, stattfinden, scheinen die Schrei- anders und nicht ganz so glatt. ber nicht zu wissen. Amerika hält dazu Flugstaffeln in Bush wurde nicht erst während der Begrüßung, son- permanenter Bereitschaft. Nur an diesem 11. September dern bereits während der Fahrt zur Schule von dem Flug- hat diese Luftüberwachung auffallend versagt. Als die zeugeinschlag informiert. Karl Rove nahm ihn nach der Jets abhoben, waren seit der Feststellung des Entfüh- Ankunft zur Seite und informierte ihn über die Natur des

46 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 «Neues» zum 11. 9.

eingeschlagenen Flugzeugs: Es habe sich um einen klei- Das Einschlagsprofil und die gekappten Straßenlater- nen Privatjet gehandelt. nen passen zu dem kleinen Flugzeug. Auch wurde in den Diese Information ist außerordentlich wichtig, denn Trümmern eine Antriebsturbine gefunden, die einem er- sie erklärt, warum Bush zwischen der Entführung der Li- wachsenen Menschen etwa bis an die Oberschenkel nienmaschinen und dem Einschlag in den WTC-Turm reicht – also von einem kleinen Flugzeug, nicht von einer zunächst gar keinen Zusammenhang sah und die Sache Boeing stammt. Die Boeing hingegen segelte über das für einen Unfall hielt. Umso rätselhafter wird aber dann Pentagon hinweg. sein Verhalten bei der Information von Andrew Card, (Diese Informationen sind nachzulesen bei Paul dass Amerika angegriffen werde. Bislang ging der Präsi- Thompson und Dick Eastman; das Bild der Turbine fin- dent von einem Unfall aus; nun weiß er um einen An- det sich auf der Homepage des Pentagon.) griff. Dennoch bleibt er sitzen, stellt keine weiteren Fra- Warum berichten die Autoren das alles nicht, die doch gen und gibt auch keine Anweisungen an den Stabschef. sonst jede Nebensächlichkeit minutiös wiedergeben? Das ist befremdlich. Von all dem erfährt der Leser des Buches aber nichts. Man hat den Eindruck: Er bekommt stattdessen eine einfache Geschichte ohne Hier wird bewusst verschwiegen, denn so offensichtli- Ecken und Kanten, die lediglich den Schönheitsfehler che Dinge können einem seriösen Rechercheur nicht hat, dass sie nicht stimmt. entgehen. Die Autoren machen also genau das, was sie Falsch ist auch die Information bezüglich des Fernse- den sog. Verschwörungstheoretikern vorwerfen: hers. Nach Bushs wiederholt gemachten Angaben lief be- Sie manipulieren und biegen die Wirklichkeit so zu- reits ein Fernseher, bevor er das Klassenzimmer betrat, recht, bis sie in ihr gewünschtes Bild passt … und Bush hat eine Übertragung des Jet-Einschlags, von Und das – im Unterschied zu den attackierten Ver- dem Karl Rove sprach, mit eigenen Augen gesehen. schwörungstheoretikern – vorsätzlich und wider besseres Diese Angaben sind hochbrisant. Belegen sie doch, Wissen. Sachgemäßes Nachdenken spielt keine Rolle. Es dass das erste in den Turm einschlagende Flugzeug gar wird durch massive Emotionalität und Voreingenom- keine Boeing war und dass es davon eine Übertragung menheit verdrängt. gab, von der die Öffentlichkeit bis heute nichts weiß. Genau das verträgt dieses Thema nicht. All das verschweigen die Autoren oder wissen es nicht (Dass es auch anders geht, belegen die Passagen zur – trotz angeblich sorgfältiger Recherchen. Vorgeschichte der mutmaßlichen Attentäter in Deutsch- Und was sagen sie zu Flug American Airlines 77, vom land, die das letzte Drittel des Buches umfassen. Sie sind dem bestritten wird, dass er überhaupt in das Pentagon stilistisch anders und aussagekräftiger als die Kapitel, die raste? die Anschläge selbst thematisieren. Man kann die Aussagen in voller Länge zitieren, denn Aber sie können die hochemotionalisierte Geschichts- die Autoren fassen sich hier wiederum kurz: klitterung nicht mehr wettmachen.) «Um 9.38 Uhr, nach einer kunstvollen Spirale abwärts, So bleibt das Buch letztlich wertlos: Ein Dokument ei- donnert die Boeing 757, American 77, im Tiefstflug über ner Auseinandersetzung, bei der die Unwahrhaftigkeit das Pflaster von Washington D.C., rasiert Bäume und La- den Ton angibt. Und dies bei einer Institution und bei ternen, schlägt in die Westseite des Pentagon ein und Autoren, die sich öffentlich und lautstark als Hüter von quillt auf als schwarzgeäderter Feuerball.» Wahrheit und Wirklichkeit ausgaben und (S.130) aufführten. Das ist die vollständige Information zum Leider trifft das Gegenteil zu: Wahrheit Einschlag der Boeing 757 ins Pentagon. und Wirklichkeit wurden hier so unge- Man erfährt nicht, dass die Einschlag- niert manipuliert und auf den Kopf ge- stelle im Erdgeschoss liegt und gerade stellt wie noch bei keinem der sogenann- mal drei Meter hoch ist. Wie passt da eine ten Verschwörungstheoretiker. Boeing hinein? Diese Frage wird noch nicht einmal ge- Werner Heil, Neckartenzlingen stellt. Man erfährt nicht, dass Zeugen zwei

Flugzeuge am Pentagon gesehen haben: 1 11. September – Geschichte eines Terror- Eine kleine, sehr laute Düsenmaschine anschlags, Hrsg. von Stefan Aust und Cordt und eine lautlos fliegende Boeing. Schnibben, München 2003.

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 47 Oliphant in Sri Lanka

Laurence Oliphants abenteuerliche Besteigung des Adams Peak auf Sri Lanka

Das Folgende ist ein weiterer Auszug (deutsche Fassung: Thomas des Gepäcks bestand, und verfertigten so ein Seil, das gerade Meyer) aus Laurence Oliphants unübersetzten Memoiren Episodes lang genug war, um mich zu erreichen. in a Life of Adventure. Oliphant besteigt eines Tages mit einem Füh- Ich befestigte es unter meinen Armhöhlen, und während rer den Adams Peak, einen sowohl von Buddhisten wie von Moslems ich mich mit der Energie der Verzweiflung oder, wie ich lieber verehrten heiligen Berg. Wir lassen die Beschreibung des abenteuer- sagen sollte, der Hoffnung an ihm festklammerte, wurde ich lichen Aufstiegs folgen: sicher nach oben gezogen. Doch meine Nerven waren so zer- rüttet, dass ich, obgleich ich völlig unverletzt geblieben war, s gibt zwei Aufstiegsrouten: die von den Pilgern am häufig- eine ganze Weile brauchte, bevor ich weitergehen konnte. Esten gewählte geht von Ratnapoora aus, einem Ort, der sei- Dieses Abenteuer war nicht gerade die beste Vorbereitung ne Bedeutung vor allem dem Handel mit Edelsteinen ver- auf das, was uns bald darauf erwartete, als wir, nicht weit vom dankt. Der vom Fluss, der durch den Ort fließt, ausgewaschene Gipfel entfernt, den mauvais pas des ganzen Aufstiegs erreich- Sand fördert – nebst Zimt- und anderen Steinen von geringe- ten. Auch hier hatten wir eine Klippe vor uns, mit einem rem Wert – Rubine, Saphire, Amethyste und Katzenaugen ans Strom unter ihr auf der einen und einem überhängenden Fel- Licht, und versorgt die Einwohner mit einer beträchtlichen sen auf der anderen Seite – und zwar buchstäblich überhän- Einkommensquelle. Während ich eines Tages den Wäschern gend, denn seine obere Kante ragte einiges über die Felsbank zusah, kaufte ich an Ort und Stelle dem Mann, der es vor mei- hinaus, auf der wir standen. Dieser Fels war nicht mehr als et- nen Augen gefunden hatte, ein Katzenauge ab. Es erwies sich wa fünfzehn Meter hoch und mit einer Eisenleiter versehen. in poliertem Zustand in der Tat als glücklicher Kauf. Der beängstigende Augenblick kam, als wir die Leiter bis zum Da der Peak von Ratnapoora aus nur in einer ziemlich müh- äußersten überhängenden Punkt erklettert hatten und zwi- samen Tagesreise zu erreichen ist, machte ich mich frühmor- schen unseren Rücken und dem reißenden Strom hundert gens auf den Weg, zusammen mit einem Freund aus dem Haus Meter unter uns nichts mehr war und wir uns dann um die des gastfreundlichen Richters, der damals in diesem Gebiet sei- Kante herumwinden und eine Kette ergreifen mussten, welche nes Amtes waltete; außerdem waren wir von ein paar Pferde- über einen Hang von nackten, steilen Felsen lief. Während haltern – wie Pferdeknechte in diesem Land genannt werden – man sich mit festem Griff an den Kettengliedern festhielt, und einigen Eingeborenen begleitet, welche als Führer fun- musste man etwa fünfundzwanzig Meter weit auf den Knien gierten und die Vorräte trugen, die für eine dreitägige Reise nö- über die keineswegs glatte Oberfläche vorwärtskriechen. Die tig waren (...) Der Weg wurde oft gefährlich, wegen der Wur- Empfindung, die ich im kritischsten Moment hatte, als ich mit zeln großer Bäume, die im Morgennebel schlüpfrig geworden dem Rücken nach unten auf der Leiter kletterte, erinnert mich waren und quer über den schmalen Pfad liefen. Eine von ih- heute an ein späteres Erlebnis, das ich einer Mine Cornwalls nen hätte mich beinahe das Leben gekostet. Der Pfad lief an hatte. Ich befand mich etwa hundert Meter tief in den Einge- dieser Stelle an einem Steilhang entlang, unmittelbar über ei- weiden der Erde. Und kroch eine ähnlich aufgehängte Leiter nem jähen Abgrund; mindestens hundert Meter unter mir ra- nach unten. Als ich den Eindruck hatte, dass die Temperatur ste ein reißender Strom mit tosendem Wasser. Da glitt ich mit jeden Moment wärmer wurde, sagte ich zum Minenarbeiter, dem Fuß auf einer Wurzel aus, und ich stürzte über den nak- der mich begleitete: kten Felsabgrund. Ich hörte den Schrei meines Freundes, als «Es wird sehr heiß hier unten. Wie weit, glauben Sie, ist es ich verschwand, und hatte gerade genügend Zeit, zu begreifen, noch zu den Höllenregionen?» dass alles vorüber war, als ich plötzlich durch die sich aus- «Das kann ich nicht genau sagen, Sir», antwortete er breitenden Äste eines Buschs aufgehalten wurde, der auf ei- prompt, «doch wenn Sie loslassen, werden Sie in zwei Minuten nem herausragenden Felsstück wuchs. Es gab nirgends festen ankommen.» Grund unter den Füßen, außer dem Fels, aus dem der Busch So nutzte er in gemeiner Weise meine prekäre und hilflose hervorwuchs. Für eine Weile wagte ich mich nicht zu rühren, Lage aus, um meinen moralischen Charakter auf den Prüfstand aus Furcht, etwas könnte nachgeben, denn der Busch schien zu stellen! Umso schwerwiegender, als sich hinterher heraus- kaum genügend stark, um mein Gewicht zu tragen. In die Hö- stellte, dass die Bemerkung gar nicht originell gewesen war. he blickend sah ich meinen Freund und die uns begleitenden Nachdem wir dieses unangenehme Stück Gymnastik absol- Eingeborenen über die Felskante zu mir herunterspähen. Zu viert hatten, war die Reihe an meinem Begleitern, atemlos zu ihrer Erleichterung rief ich, dass so weit alles in Ordnung mit sein vor Nervosität. Und hier möchte ich bemerken, dass es in mir war, dass ich mich aber nicht zu bewegen wagte, aus jenen Tagen noch keinen Alpenclub gab, auch waren wir bei- Angst, der Busch könnte nachgeben. Sie forderten mich je- de nicht gewöhnt, uns wie Fliegen an der Wand zu bewegen. doch eindringlich dazu auf, auf den Fels zu kriechen. Mit ei- Mein Freund war Missionar; und er war nun derart demorali- nem Herzen, das so laut schlug, dass ich es pochen hörte und siert, dass er rundheraus erklärte, nichts in der Welt brächte mit von Schwindel erfülltem Hirn schaffte ich das mit Erfolg. ihn dazu, denselben Abstieg mitzumachen (...) Nun lösten die Eingeborenen, etwa fünf oder sechs an der Es folgten nun noch ein, zwei recht steile Durchgänge, Zahl, ihre Hüftgewänder und knüpften sie aneinander und an doch keineswegs dem mauvais pas vergleichbar, und danach ein Band, das aus den gesammelten Schnüren der Gruppe und erreichten wir, etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, den

48 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Geerk / Gedichtzyklus

Gipfel. Hier stießen wir auf den einsamen Bewohner einer ein- schwankenden Nebel erhob; doch dem Sonnenschatten zigen Hütte, einen Buddhisten, den Hüter des heiligen Fuß- schien das kalte Geheimnis des Mondschattens, den er vertrie- abdrucks im Fels (...) ben hatte, zu fehlen. Und es blieb kaum Zeit, seine eigenen, Wir beglückwünschten uns dazu, dicke Decken mitgenom- herrlichen Auswirkungen zu bewundern, dass der Nebel nun men zu haben (...), besonders, da die Hütte des Priesters zu zu steigen begann und uns in ein Leichentuch einwickelte. schmutzig aussah, um von uns in Anspruch genommen zu Während einer halben Stunde waren wir in Wolken und konn- werden und wir lieber in deren Windschatten übernachten ten nichts mehr sehen; dann rollten sie plötzlich davon und wollten (...) enthüllten das prächtige Panorama, welches das eigentliche Als ich frühmorgens erwachte und beim Licht des Mondes, Ziel unserer Pilgerreise gewesen war. Auch ohne den einzigar- der gerade voll gewesen war, um mich sah, blickte ich von die- tigen Eindruck, welcher die religiöse Phantasie der Anhänger sem isolierten Gipfel auf ein Nebelmeer, das sich nach allen zweier Religionen gefesselt hatte – die besonderen Umstände, Richtungen erstreckte und die Landschaft unter mir völlig ver- unter welchen uns dieser bemerkenswerte Berg offenbart wur- deckte. Die weiße, glatte Oberfläche gab ihm beinahe das Aus- de, waren darauf angelegt, uns ein Gefühl der Ehrfurcht zu in- sehen eines Schneefelds, über welches sich als tiefer schwarzer spirieren, welches in den Seelen der Nichtwissenden oder der Schatten die konische Form des Bergs erstreckte, auf dem ich Abergläubischen durch die Entdeckung eines riesigen Fußab- saß, wobei die Schattenspitze gerade bis zum Horizont hin drucks auf seinem Gipfel noch erhöht werden musste. reichte – der Anblick dieser Szenerie war so einzigartig wie im- Wir erfuhren, dass es einen anderen und viel leichteren ponierend. Rückweg gab, doch führte er in die falsche Richtung. Glückli- Noch während ich zusah, verloren ihre Umrisse allmählich cherweise war mein Gefährte in den schlaflosen Stunden der an Schärfe und Kontur, der schwarze Schatten hellte sich lang- Nacht mit sich zu Rate gegangen und hatte seinen Mut für den sam auf, der weiße Nebel ging in ein Grau über, und als die Abstieg zusammengerafft, der ohne Komplikationen vonstat- Morgendämmerung langsam anbrach, war die ganze Szenerie ten ging. Wir erreichten die Hütte, wo wir die Pferde zurückge- wie durch Magierhand verwandelt. lassen hatten, gerade rechtzeitig, um unsere Reise noch am sel- Ein neuer konischer Schatten kroch auf der anderen Seite ben Tag fortzusetzen und Kaffeeplantagen zu besuchen, die des Bergs über die unermessliche Weite, auch er bis zum Ho- unlängst im Nachbarbereich von Saffragam in Betrieb genom- rizont hinreichend, als sich die Sonne langsam über den men worden waren.

Frank Geerk: Das vorbabylonische Alphabet IV. Zeichen der Erneuerung

14. Die grosse Mutter

Dem väterlichen Prinzip des Gesetzgebers steht das der Großen Mutter gegenüber. Durch ihre unberechenbare Produktivität wird jedes Gesetz gleich wieder in Frage gestellt. Denn mit jedem Wesen, das sie gebiert, beginnt die Weltgeschichte von vorn.

Das vorbabylonische Alphabet besteht aus vier Hauptteilen und einem «Zusatz»: «I. Zeichen paradiesischer Erinnerung», «II. Zeichen der Trennung», «III. Zeichen des Todes», «IV. Zeichen der Erneuerung». Jeder Teil ist wiederum vierfach gegliedert. Der ersten Folge («Der Europäer» Nr. 11, September 2002) war das Vorwort des Dichters vorangestellt.

Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 49 Leserbriefe

Leserbriefe schreckendem Ausmaß bewusst, dass die- und Menschenverständnis ein Gegenge- ses zuerst sein Denken und Urteilen be- wicht schaffen. Zu Menschenliebe und herrschte, um ihn dann zu überzeugen, Menschenverständnis muss sich der «Das Innere des Körpers ist sehr ver- dass er das Verbrechen eines Mordes be- Mensch erziehen. brecherisch.» gehen würde, wenn er diesen Körper Rudolf Steiner erinnert dann an die Aus- Zu: Thomas Meyer, «... um nicht einen an- nicht vorher mit eigener Hand zerstörte. führungen, die er 1914 in Wien (GA deren morden zu müssen...», Jg. 7 / Nr. 12 Der zunächst überraschende Zusammen- 153) über die karzinomartigen Krank- (Oktober 2003) hang zwischen dem menschlichen Kör- heitserscheinungen in der Zivilisation per und den Kräften des Hasses, der der Gegenwart vortrug. Es sind diesel- Die biographische Studie von Norbert moralischen Kälte und des Menschenun- ben Kräfte des Hasses, der moralischen Glas über Leben und Werk Otto Weinin- verständnisses wird von Rudolf Steiner Kälte und des Menschenunverständnis- gers konnte vor einigen Jahren vom Per- auf dem Hintergrunde der Entwicklung ses, die, wenn sie nicht zur Gestaltung seus Verlag als Typoskript bezogen wer- unseres Erdenplaneten, wie sie im Buch menschlicher Körper verwendet wer- den. Darin befinden sich u.a. zwei Die Geheimwissenschaft im Umriss (GA 13) den, aus der geistigen Welt vergiftend in Äußerungen, die das kurze Leben dieses von ihm geschildert wird, folgenderma- das soziale Zusammenleben der Men- Philosophen nicht nur als Einzelschick- ßen erklärt: Um die Erde und den Men- schen hereinwirken. sal, sondern auch allgemein-menschlich schen in ihrer gegenwärtigen Gestalt her- Hier wird Otto Weininger zu einem und zeitgeschichtlich von Bedeutung er- vorzubringen, mussten die flüchtigen Stück geschichtlicher Symptomatologie, scheinen lassen. Stoffe Luft und Wärme in die schwereren ein Offenbarer derjenigen Kräfte, die Norbert Glas zieht dieses Fazit aus der des Wässerigen und Mineralischen ver- die Geschichte des 20. Jahrhunderts Beschäftigung mit der Biographie Otto dichtet werden. Wie das Wasser unter prägten, und die im 21. Jahrhundert Weiningers: «Der verheerende Hass, der Einfluss von Kälte zu Eis gefriert, entstan- den «Gesellschaftskörper Zivilisation» in seiner Seele aufsteigt: Frauenhass, Ju- den durch die Weltenkräfte der morali- auf andere Weise vergiften. denhass. Weininger muss sich hassend schen Kälte und des Hasses die dichteren ausleben.» Substanzen Wasser und Erde, und im Marianne Wagner, Winterbach Und Weininger selbst notierte einige Menschen das feste Knochengerüst, das Monate vor seinem Freitod in seinen ihm seine menschliche Gestalt gibt, und Aphorismen: «Das Innere des Körpers ist die Säfte, die seinen Körper durchströ- Nachtrag zum Leserbrief von Volker sehr verbrecherisch.» men. «Moralische Kälte backt unseren Vogel in der Novembernummer Rudolf Steiner bestätigt in einem in Dor- physischen Leib zusammen» und «der nach gehaltenen Vortrag (GA 230, Vor- Hass bewirkt die Zirkulation des Blutes» – Zur Vertiefung zum Thema Naturgeister trag vom 11. November 1923), dass Hass, so beschreibt Rudolf Steiner die Vorgänge und Elementarwesen möchte ich den moralische Kälte und Menschenunver- im menschlichen Körper. am Thema interessierten Leserinnen ständnis – alles Begriffe, die Weiningers Wir sprechen vom «kalten Verstand», und Lesern noch die Vorträge «Die schriftliche Arbeiten zutreffend charakte- vom «kalten Hass», von einer «kaltblüti- Pflanzenwelt und die Naturelementar- risieren –, die gestaltenden Kräfte des gen Tat». Der Sprachgeist kennt die Zu- geister» (aus Der Mensch als Zusammen- menschlichen Körpers sind. Sie leben im sammenhänge, die der Geistesforscher klang des schaffenden, bildenden und gestal- Unbewussten eines jeden Menschen, schildert. tenden Weltenwortes, GA 230, S. 111-161) und die Seele kann sich ihrem Einfluss Die Seele muss zu diesen sich aus dem ans Herz legen. nicht entziehen. Offensichtlich wurde Körper ins Bewusstsein drängenden sich Weininger dieses Einflusses in so er- «kalten Trieben» durch Menschenliebe Volker Vogel, Zollikon

Dilldapp

50 Der Europäer Jg. 8 / Nr. 2/3 / Dezember/Januar 2003/2004 Betty Paoli / Gedichte NEUERSCHEINUNGEN HERBST 2003

Claudia Törpel: Zwei Gedichte von Betty Paoli (1813 –1894) Man denkt nur mit dem Antik und Modern Herzen gut Alte, neue Poesie – Zum Leibverständnis der Was ist drüber nicht zu lesen! alten Ägypter Grade so, als wären sie Eines nicht im tiefsten Wesen! Für die Menschen im alten Ägyp- Grade so, als wenn der Strahl, ten war das Herz das eigentliche Erkenntnisorgan. Der hohe Stel- Den Horaz einst liebvoll hegte, lenwert, der ihm in Medizin, Heute nicht wie dazumal Kunst und Mythos beigemessen In des Dichters Brust sich regte! wurde, offenbart zudem ein tiefes Wissen um die spirituelle Bedeutung des Herzens als Sonnenorgan. Im Herzen wurde die Lasst, ihr Guten, immerhin alle Wesensglieder des Menschen zusammenfassende Natur des Eure Silbenstecherfehde. Ichs erlebt. Wer in diese Geheimnisse ägyptischer Mysterien- Alt und Neu hat keinen Sinn, kultur eindringt, wird sich veranlasst fühlen, heutige Sichtwei- Wenn von Ewigem die Rede! sen grundlegend zu überdenken. In der altägyptischen Kultur mit ihrem Mumifizierungskult wurden die Keime für unser der- zeitiges wissenschaftliches Denken gelegt. Am Beispiel des Her- Den Poesieverächtern zens wird deutlich, wie diese Wissenschaft einer Erweiterung durch die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft be- Ihr scheucht die Poesie darf, damit das gegenwärtige medizinische System wieder im Von eurem Herde, eigentlichen Sinne menschlich wird. Und ahnet nicht, dass sie 224 S., sFr. 37.– / € 24.– ISBN 3-907564-37-5 Das Salz der Erde! Dass Nebel nur und Rauch, Was ihr beginnet, Thomas Meyer: Wenn’s nicht durch ihren Hauch Bestand gewinnet! Ichkraft und Kein Traumbild, fremd und fern, Hellsichtigkeit Entrückt dem Streben, Sie ist der tiefste Kern Der Tao-Impuls in Vergangenheit und Zukunft Von allem Leben! Der Kern, des’ Glut und Licht Es froh durchflammen! Mit dem Wort «Tao» ist ein weit- Zermorschet er, dann bricht gespannter Entwicklungsimpuls Das Sein zusammen! verbunden, der das ganze Ver- hältnis von Ich und Welt umfasst. «Das Tao drückt aus und drückte Am 13. Dezember werden in Basel von Robert Volkmann schon vor Jahrtausenden für ei- nen großen Teil der Menschheit das Höchste aus, zu dem die vertonte Gedichte von Paoli zu hören sein. Menschen aufsehen konnten», stellte Rudolf Steiner fest. «Ein Siehe auch den beiliegenden Veranstaltungshinweis. tiefer, verborgener Seelengrund und eine erhabene Zukunft zugleich bedeutet Tao.» Diese D.N. Dunlop gewidmete Schrift zeigt den Entwick- lungsweg vom alten atlantischen Tao-Bewusstsein über die hybernischen Mysterien, das Tao-Erleben bei Goethe bis zur modernsten Form des «Taoismus», wie sie in der Philosophie der Freiheit R. Steiners zu finden ist. Auch die Tao-Technologie der Zukunft wird dabei berührt.

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XXXVII. 17. Januar 2004 Die dem Orient vertraute Vorstellung wiederholter Erdenleben hat im 20. Jahrhundert den Westen erobert. Wie soll auf diesem Feld aber Illusion von Wahrheit unterschieden werden? Bei diesem AUFGABEN Wie scheiden sich die Geister. Nebst konkreten Erlebnisbeispielen und aktuellen Publikationen DER SCHWEIZ sollen Methode und Ergebnisse der Reinkarnations- forschung R. Steiners dargestellt werden. im Rahmen der internationalen Beziehungen Thomas Meyer Freier Schriftsteller, Verleger, Seminarleiter Andreas Flörsheimer, Möhlin Kurs-Nr. K051141 Kursgebühr: sFr. 70.– Di 20.15 bis 22.00 Uhr, 5-mal Beginn: Di 13.01.2004 Anmeldung erforderlich! Ende: Di 10.02.2004 Tel.: 061 302 88 58 oder 061 383 70 63 Kursgebühr: Fr. 120.00 Fax: 061 302 88 58 oder 061 383 70 65 Ort: Universität Basel, Kollegienhaus, Petersplatz 1 oder schriftl.: B. Eichenberger, Metzerstr. 3, 4056 Basel Anmeldung: www.vhsbb.ch, T +41 (0)61 269 86 66, F +41 (0)61 269 86 76 Veranstalter: PERSEUS VERLAG BASEL

Sondernummer Monatsschrift auf zum Luzerner Symposium 1./2. November 2003 Grundlage der Geisteswissen- «Der inszenierte Terrorismus» Gesammelte Beiträge zum 11. September 2001 schaft Rudolf Steiners

Aus dem Inhalt: Bestellen Sie jetzt «Islamistan» und der Westen 1 Probeabonnement Der 11. September 2001 und Pearl Harbor (3 Einzelnummern, oder 1 Doppel- und € Rudolf Steiner über die anglo-amerika- 1 Einzelnummer) Fr. 27.–/ 17,– nische Langzeitpolitik 1 Jahres- oder Geschenkabonnement Michael Ruppert – ein amerikanischer Fr. 108.– / € 65,– Wahrheitssucher Interviews mit Andreas von Bülow, 1 AboPlus Jared Israel und Gerhard Wisnewski (1 Jahres- oder Geschenkabonnement plus Spende) Fr. 160.–/ € 100,– Andreas von Bülow zu den «Spiegel»- Vorwürfen Alle Preise gültig ab November 2003, Verlogenheit als Grundzug unserer Zeit inkl. Versand und MWST

Heft im Format A4, 56 Seiten, Fr. 18.–/ € 12,50 Bestellungen: Ruth Hegnauer (zzgl. Versandkosten) General Guisan-Str. 73, CH– 4054 Basel Tel./Fax: (0041) +61 302 88 58 oder Bestellungen: Ruth Hegnauer E-Mail: [email protected] General Guisan-Str. 73, CH– 4054 Basel Tel./Fax: (0041) +61 302 88 58 oder E-Mail: [email protected] Die Zeitschrift erscheint im Perseus Verlag

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