1.1 Nachkriegsdeutschland
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1. DIE RESTAURATION DER INNERLICHKEIT UNMITTELBARE NACHKRIEGSZEIT UND FÜNFZIGERJAHRE 1.1 Nachkriegsdeutschland Für die Phase der unmittelbaren Nachkriegszeit und der Fünfzigerjahre konzentriere ich mich zunächst auf die Produktionen Nachkriegsdeutschlands. Das liegt natürlich daran, dass der Untersuchung, auch wenn die internationale Filmproduktion in den Blick genommen wird, eine deutsche Perspektive zu- grunde liegt, die nicht zu leugnen ist. Ich möchte es aber eigentlich damit be- gründen, dass Erinnerungsfilme hier eine Hochkonjunktur hatten. Das ist nach der allgemeinen Beurteilung der deutschen „Vergangenheitsbewältigung“ in dieser Zeit durchaus überraschend. Neben der Analyse der Filme unter historischen Gesichtspunkten sollen auch die theoretischen Überlegungen fortgesetzt werden. Denn es lässt sich feststellen, dass die Theorien zu Massenkultur und Erinnerung aus den 1920er- und 1930er-Jahren für diese Phase nicht mehr greifen. Trotz der zonalen Spaltung kann der deutsche Nachkriegsfilm bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demo- kratischen Republik, also 1949, als Einheit begriffen werden.1 Aufschlussreich ist der Fall des Regisseurs Wolfgang Staudte, der sich, ganz unideologisch, als „gesamtdeutscher Filmemacher“ sah. Für sein Projekt DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (1946), den ersten deutschen Nachkriegsspielfilm, bekam er überhaupt nur in der sowjetischen Zone eine Drehgenehmigung; er hatte zu- erst vergeblich die Filmoffiziere der westlichen Alliierten aufgesucht. Bei den Projekten, in denen er sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzte – DIE MÖRDER SIND UNTER UNS und ROTATION (1948/49) –, nahmen die sowjetischen Kulturoffiziere allerdings sehr stark Einfluss: Bei dem ersten Film musste er den Schluss ändern, bei ROTATION (1949) wurde er gezwun- gen, Szenen wegzulassen beziehungsweise zu modifizieren, die man als eine Kritik an den Alliierten hätte auffassen können. Das Verbot, die alliierte Militärregierung zu kritisieren, galt allerdings für alle Besatzungszonen. Bei einem einzelnen Filmprojekt, das er im Sommer 1951 in Westdeutsch- land begann (GIFT IM ZOO), fand er sich schnell mit dem Innenministerium konfrontiert, das ihn zwingen wollte, sich öffentlich vom Kommunismus zu distanzieren. Staudte brach daraufhin die Arbeit an dem Projekt ab. In einem Text, den man in seinem Nachlass fand, schrieb er: „‚Es ist eine unleugbare 1 S. Peter Pleyer: Der deutsche Nachkriegsfilm 1946-1948, Münster 1965, S. 158. Bettina Noack - 9783846749104 Downloaded from Brill.com09/30/2021 12:27:57PM via free access 44 DIE RESTAURATION DER INNERLICHKEIT Tatsache, daß der »totalitäre Osten« diese meine Auffassung von der Unteil- barkeit der deutschen Kultur begrüßte, während der ‚freie’ Westen mich sehr bald ins Kreuzfeuer einer scharfen politischen Polemik stellte.’“2 Nach einem missglückten Projekt mit Bertolt Brecht, der Verfilmung der Mutter Courage, kam es allerdings zum Bruch Staudtes mit der DEFA und er wandte sich 1955/56 doch der westdeutschen Filmindustrie zu, deren Schwan- ken zwischen Kunst und Kommerz er jedoch immer kritisierte. Tatsächlich ge- lang es ihm dort nur noch selten, sich künstlerisch zu entfalten. Die Arbeitsbe- dingungen in der Bundesrepublik wurden übrigens auch von Remigranten aus den USA, wie Fritz Lang, beanstandet. Nach dem Ende der Bundesbürg- schaftsaktionen, 1955, hatte sich hier ein kopfloses, rein kommerzielles Film- system etabliert. Die Macht ging an die Verleihe über, ohne deren Garantien, einen Film auch tatsächlich in die Kinos zu bringen, kein Projekt mehr finan- ziert werden konnte. Damit lag die Entscheidungsbefugnis über die Pro- duktion aber an einer Stelle, die ausschließlich nach Publikumszahlen urteilte und für die künstlerische Erwägungen keine Rolle spielten. In der DDR gab es hingen von Anfang an Platz für die Kunstgattung „Film“3, während andererseits – bei allem, was man über die westdeutschen Komödien der 1950er-Jahre denken mag – die dortigen Unterhaltungsfilme besonders hölzern und humorlos ausfielen. Auch die filmischen Vergangenheitskonstruktionen der beiden Länder unterscheiden sich voneinander: Die Erinnerungsfilme sind ein spezifisch westdeutsches Phänomen. Neben Staudtes frühem „gesamtdeutschen“ Film DIE MÖRDER SIND UNTER UNS soll daher nur ein Filmwerk aus der DDR ausführlicher in die Untersuchung dieser Phase einbezogen werden: Kurt Maetzigs VERGESST MIR MEINE TRAUDEL NICHT (1957) – sowohl als Erinnerungsfilm als auch als Komödie eine Ausnahme in der DDR-Produk- tion; und in dieser Kombination überhaupt etwas Besonderes. 1.1 Vergangenheitsbewältigung Die Haltung der Bundesdeutschen in den 1950er-Jahren wurde überwiegend mit den Schlagwörtern „Schweigen“, „Verdrängen“ und „unbewältigte Ver- gangenheit“ beschrieben, bis der Philosoph Hermann Lübbe mit seinem viel diskutierten Aufsatz Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegs- 2 Wolfgang Staudte: „Wie ich Rebell wurde“. In: Film und Fernsehen, Heft 9/1986, Berlin (DDR), S. 37. Zitiert nach: Malte Ludin: Wolfgang Staudte, Hamburg 1996, S. 58. 3 Vgl. Wolfgang Gersch: Film in der DDR. Die verlorene Alternative. In: Geschichte des deutschen Films, hg. v. Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes u. Hans Helmut Prinzler, Stuttgart/Weimar 2004, S. 357-404, S. 357. Bettina Noack - 9783846749104 Downloaded from Brill.com09/30/2021 12:27:57PM via free access UNMITTELBARE NACHKRIEGSZEIT UND FÜNFZIGERJAHRE 45 bewusstsein4 1983 eine Neubewertung herbeiführte: Er erklärte eine „gewisse Stille“ zu einem „sozialpsychologisch und politisch nötige[m] Medium“5 für den demokratischen Neubeginn. So notwendig die Entnazifizierungsmaß- nahmen der Alliierten in der unmittelbaren Nachkriegszeit für den Neubeginn waren, wurde es in den Fünfzigerjahren nicht nur aus ökonomisch-pragmati- schen Erwägungen heraus notwendig, die ehemaligen Nationalsozialisten wieder zu integrieren. – Dauerhaft entfernt oder verfolgt wurden nur ihre An- führer, einzelne Exzesstäter in SS und Gestapo und einige Unbelehrbare, die auch unter den neuen Verhältnissen nicht davon absahen, ihre Gesinnung zu artikulieren. Dagegen waren es gerade die hohen Funktionäre, die von der Be- schleunigung beziehungsweise Beendigung der Entnazifizierung seit 1947/48 profitierten. Ihre Verfahren waren langwieriger, weil sie durch umfangreiche Ermittlungen oder Internierung verzögert wurden oder auch weil sich die Be- troffenen schlicht der Verhaftung hatten entziehen können, sodass ihre Fälle nun zu einem günstigen Zeitpunkt verhandelt wurden.6 – Lübbe hat darauf hingewiesen, dass diese „Versöhnung“ mit den ehemaligen Parteigängern je- doch auch ein politisches Gebot war und überhaupt erst den demokratischen Neuanfang ermöglichte. Zur Wirklichkeit des Nationalsozialismus gehörten eben nicht nur die Parteigänger, sondern „die noch größere Mehrheit der mit- laufenden Volksgenossen […] – kurz: die Mehrheit des Volkes. […] Gegen Ideologie und Politik des Nationalsozialismus musste der neue deutsche Staat eingerichtet werden. Gegen die Mehrheit des Volkes konnte er schwerlich ein- gerichtet werden.“7 Dem Schweigen in den Fünfzigerjahren lag demnach nicht der unbewusste Prozess des Verdrängens zugrunde, sondern eine bewusste Strategie der „Diskretion“. 8 Sie war Teil einer „Doppeltstrategie“, die auf der einen Seite in der (Re-)Integration der Täter, Mitläufer und Parteigänger be- stand, auf der anderen in einer offiziellen Politik und Selbstdarstellung der Bundesrepublik, die die Ächtung des Nationalsozialismus zu ihrem konstitu- tiven Element machte. Aus der zeitlichen Distanz von vierzig bis fünfzig Jahren kann Helmut König konstatieren, dass diese Doppelstrategie, bei aller Unwahrscheinlichkeit, erfolgreich war.9 Mit der sogenannten „Verdrängungsthese“ verbinden sich die Namen Theo- dor W. Adorno sowie Alexander und Margarete Mitscherlich. Diese Gesell- schaftskritiker haben ihrerseits in den 1960er-Jahren eine Zäsur im Ver- 4 Hermann Lübbe: Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein. In: Historische Zeitschrift 236, Heft 1 (Februar 1983), S. 579-599. 5 Lübbe: Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, S. 585. 6 S. Detlef Garbe: Äußerliche Abkehr, Erinnerungsverweigerung und „Vergangenheits- bewältigung“: Der Umgang mit dem Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik. In: Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er-Jahre, Bonn 1998, S. 693-716, S. 697ff. 7 Lübbe: Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, S. 586. 8 Lübbe: Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, S. 587. 9 S. Helmut König: Die Zukunft der Vergangenheit. Der Nationalsozialismus im politischen Bewußtsein der Bundesrepublik, Frankfurt a. M. 2003, S. 25f. Bettina Noack - 9783846749104 Downloaded from Brill.com09/30/2021 12:27:57PM via free access 46 DIE RESTAURATION DER INNERLICHKEIT gangenheitsbezug der Bundesbürger herbeigeführt: Adorno mit seinem be- rühmten Rundfunkvortrag von 1959, Was bedeutet: Aufarbeitung der Ver- gangenheit10, das Ehepaar Mitscherlich mit dem Buch Die Unfähigkeit zu trauern11 (1967), in dem es den deutschen Umgang mit der noch jungen Ver- gangenheit psychoanalytisch deutete. Die Begriffe „Schweigen“ und „Ver- drängen“ ähneln der Erinnerungs- und Sprachlosigkeit, die Intellektuelle nach dem Ersten Weltkrieg diagnostizierten, und bezeichnen doch ein völlig anderes Phänomen: Während der psychische Apparat der Soldaten des Ersten Weltkriegs überwältigt war, waren nach 1945 die Erinnerungen an die voran- gegangenen Jahre bei den Tätern und Mitläufern durchaus verfügbar. Lübbe