07 Gubitz 07.11.2009 16:36 Uhr Seite 147
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07 Gubitz 07.11.2009 16:36 Uhr Seite 147 Sebastian Lehmann „…bis 3.00 morgens Plakate geklebt” 147 Am 16. Mai 1956 ging auf dem Segeberger Sebastian Lehmann Landratsamt ein Beschwerdebrief des sozial- demokratischen Kreisvorsitzenden Gustav „... mit Stiehr von Bad Segeberg Schwörke ein. Ihm sei zur Kenntnis gelangt, so Schwörke, dass die Kreisverwaltung den Spät- 21.00 bis 3.00 heimkehrer Otto Gubitz angestellt habe, einen morgens Plakate Mann mit tiefbrauner Vergangenheit: „Wir weisen mit Nachdruck darauf hin, daß es sich bei Gubitz um keinen geklebt“ durchschnittlichen Nationalsozialisten handeln soll, sondern um ei- nen jener Straßenterroristen, die in den Jahren 1932/33 unter Ge- Das Werden eines „Straßen- waltanwendung gegen ihre Mitmenschen, deutschnationale Bürger, terroristen“ im Spiegel der wie auch gegen sozialistische Arbeiter einen unduldsamen Terror retrospektiven Tagebuchauf- ausgeübt haben.“1 zeichnungen von Otto Gubitz, In der Tat dürfte Otto Gubitz vielen Einwohnern der mittelhol- Bad Segeberg steinischen Kreisstadt selbst noch elf Jahre nach Ende der NS-Herr- schaft in lebhafter Erinnerung geblieben sein, denn er gehörte zu den auffälligsten Figuren der nationalsozialistischen Lokalprominenz, die das politische und öffentliche Klima in der Kleinstadt insbeson- dere in den 1930er Jahren prägten. Als Otto Gubitz 2001 starb, hinterließ er unter anderem tage- buchähnliche Aufzeichnungen, in denen er seinen politischen Wer- degang niedergeschrieben hatte.2 Der im Folgenden abgedruckte Auszug beschränkt sich auf die Jahre 1929 bis 1933, in denen Gu- bitz den Einstieg in das nationalsozialistische Milieu vollzieht und gleichsam darin aufgeht. Die Lektüre ist heutigen Lesern nicht im- mer leichte Kost, denn der Text gibt verhältnismäßig ungeschminkt tiefe (retrospektive) Einblicke in die Gedanken- und Erfahrungswelt eines Nationalsozialisten, der sich bis zuletzt weitgehend treu blieb. 1 Der Brief ist überliefert in der Personal- Diese Einblicke besitzen für sich genommen allerdings eher akte von Otto Gubitz in der Altregistratur nachrangige Bedeutung. Zeitgeschichtlichen Wert erhält die Quelle der Segeberger Kreisverwaltung. durch die Beispielhaftigkeit des Werdegangs des Verfassers, der sich 2 Für die Überlassung einer Kopie der Auf- anhand des Tagebuchs plastisch nachvollziehen lässt. Das Tagebuch zeichnungen danke ich Dr. Michael Gubitz, beschreibt gewissermaßen exemplarisch „The Making of a Storm- Kronshagen, herzlich. trooper“3, beziehungsweise die Konstituierung des vom eingangs er- 3 So der Titel eines frühen Standardwerks wähnten Briefschreiber so bezeichneten „Straßenterroristen“. zur SA: Peter H. Merkl: The Making of a Stormtrooper. Princeton 1980. Zum Verfasser – ein nationalsozialistischer Lebenslauf. Überliefertes der 4 Vgl. Personalkarte, BDC PK Otto Gubitz. Biografie von Otto Gubitz basiert in weiten Teilen auf seiner eige- 5 Vgl. Entnazifizierungsbogen vom nen Selbstdarstellung, abgesehen von den spärlichen Unterlagen der 16.6.1945, LAS Abt. 460.13, Nr. 135. NSDAP4, den von seiner damaligen Frau beigebrachten Angaben im 6 Vgl. Personalakte Gubitz, Altregistratur Rahmen eines Entnazifizierungsverfahrens5 und seiner Personalakte Kreisverwaltung Segeberg. bei der Segeberger Kreisverwaltung.6 Neben dem bereits erwähnten 7 Otto Gubitz: Wie ich es sehe! Maschi- Tagebuch ist das Manuskript von Lebenserinnerungen überliefert, in nenschriftliches, rund 250seitiges Manu- dem Gubitz seinen eigenen (politischen) Lebenslauf darlegt und skript mit handschriftlichen Ergänzungen. deutet.7 Ein außerordentlich großer Teil behandelt seine Erlebnisse Gubitz schloss die Arbeiten daran zunächst als Kriegsgefangener in verschiedenen Lagern der Sowjetunion zwi- bezeichnenderweise zum 40. Jahrestag schen 1945 und 1955. Nahezu ebenso großen Raum nehmen die sich der nationalsozialistischen Machtübernah- den biografischen Angaben anschließenden allgemeineren politi- me ab. Ergänzungen datierte er auf den schen Darlegungen ein, die im Kern den recht kruden Versuch einer 30.1.1984(!). 07 Gubitz 07.11.2009 16:36 Uhr Seite 148 148 Sebastian Lehmann „…bis 3.00 morgens Plakate geklebt” Legitimation sowohl des eigenen Handelns als auch des Nationalso- zialismus darstellen, welcher Gubitz’ nahezu ungebrochen rechtsra- dikale Weltsicht offenbart. Obwohl in Hamburg-Ottensen geboren (am 29. Januar 1906) verbrachte Gubitz seine Kindheit, Jugend und junge Erwachsenen- zeit in Bad Segeberg, in der Neuen Str. 1, im Schatten des Wahrzei- chens der Stadt, dem Kalkberg. In seinen Erinnerungen stellt Gubitz das Erleben des Ersten Weltkriegs, dessen Ausbruch er als Acht- jähriger erlebt, als konstitutiv für seine politische Prägung dar, eine keineswegs untypische Selbstdeutung für Angehörige seiner Gene- ration, die in der Forschung üblicherweise als die „überflüssige Ge- neration“ oder „Kriegsjugendgeneration“ beschrieben wird.8 Auch für die zwischen 1901 und 1910 Geborenen wurde der „Große Krieg“ gerade deshalb vielfach zum Zentralereignis und wesentli- chen Bezugspunkt, weil sie ihn als nicht wehrdienstfähige Kinder und Jugendliche zu Hause erlebten und ihnen folglich das glorifi- zierte „Fronterlebnis“ als Bewährung versagt blieb. Martin Mat- thiessen, Jahrgang 1901 und einer der führenden Nationalsozialisten in Dithmarschen, fasste in seinen Lebenserinnerungen dieses Grundgefühl zusammen: „Mein großer Kummer war meine Jugend, die meine Einreihung in das Heer ausschloß.“9 Bei Gubitz lässt sich dies festmachen an der prominenten Hervorhebung der Kriegsteil- nahme seines Vaters, dem, so Gubitz in seinen Erinnerungen, „schon am 27.11.1914 als einer der ersten Segeberger das Eiserne Kreuz“ verliehen wurde.10 Ebenso aufschlussreich ist die Tatsache, dass Gu- bitz dem Tagebuch seines eigenen politischen ‚Kampfs’ die von ihm transkribierten Kriegstagebuchaufzeichnungen seines Vaters beifüg- te. Vater Theodor Gubitz diente seit 1906 in Bad Segeberg als An- gehöriger der Schutzpolizei, eine Tatsache, die nicht ohne ambiva- lente Relevanz für die Sozialisation seines Sohns blieb. Zwar hebt Gubitz mehrfach die überaus integre Dienstauffassung seines Vaters hervor, gleichzeitig hielt ihn dies keineswegs davon ab, sich selbst zeitweise in die Illegalität zu begeben. Unzweifelhaft übernahm er jedoch zentrale Bestandteile der deutschnationalen politischen Vor- stellungen seines Vaters. Dass die Dienstauffassung seines Vaters zumindest mit Hinblick auf seine Treue zum republikanischen Staat hingegen durchaus eher begrenzt war, zeigt sich mehrfach im Tage- buch. Wie viele Angehörige seine Generation erlebte Gubitz wesentli- che Impulse seiner politischen Sozialisation im Zusammenhang mit der Revolution 1918/19, die den negativen Bezugspunkt seines sich formenden politischen Weltbilds wurde. So schilderte er beispiels- 8 Michael Wildt: Generation des Unbeding- weise in seinen Erinnerungen, wie er 1922 – inzwischen besuchte ten. Das Führungskorps des Reichssicher- Gubitz die Realschule – sich anlässlich einer Veranstaltung der KPD heitshauptamtes. Hamburg 2002, S. 24f. zusammen mit seinen Klassenkameraden weigerte, sich zu Ehren 9 Martin Matthiessen: Erinnerungen. Mel- der Gefallenen der russischen Revolution zu erheben, gewisser- dorf, S. 32. maßen als politischen Initiationsakt eines 16jährigen. Im gleichen 10 Gubitz: Wie ich es sehe, S. 10. Jahr war Gubitz der paramilitärischen Jugendorganisation der 07 Gubitz 07.11.2009 16:36 Uhr Seite 149 Sebastian Lehmann „…bis 3.00 morgens Plakate geklebt” 149 Deutschnationalen Volkspartei, der Bismarck-Jugend, beigetreten.11 Hier machte Gubitz erste Erfahrungen an vormilitärischer Ausbil- dung in Form von Geländespielen und Schulungen. Angesichts der völkischen Ausrichtung der Bismarckjugend ist Gubitz’ Selbstdar- stellung zweifelhaft und entspricht eher gängigen antisemitischen Klischees, dass seine „gewisse antijüdische Einstellung […] ohne Beeinflussung von aussen her kam“, sondern vielmehr mit den „vie- le[n in Segeberg] ansässige[n] Juden“ zusammenhing, „die sich in der Masse absonderten und z.T. ihr eigenes Leben außerhalb der Ge- meinschaft führten, das so ganz anders war als unser“.12 Tatsächlich lebten 1925 exakt 35 Juden in der etwas mehr als 5000 Einwohner zählenden Kreisstadt.13 In Bad Segeberg besuchte Otto Gubitz die Seminarübungsschu- le, eine Volksschule, die einem Volksschullehrerseminar angeschlos- sen war, denn auf Wunsch seines Vaters sollte er diesen Berufsweg einschlagen. Da die Präparandenanstalt jedoch schloss,14 wechselte er 1921 auf die Realschule, die er mit der mittleren Reife abschloss, um 1924 im Anschluss eine Lehre als kaufmännischer Angestellter in Westerade zu beginnen. Der Konkurs der Firma zwang Gubitz, die Lehre ab Jahresbeginn 1926 bei der EDEKA in Bad Segeberg fortzusetzen, die ihn später auch als Angestellten übernahm. Die vergleichsweise bürgerliche Variante der völkischen Bewe- gungen verlor für Gubitz offenbar bald an Attraktivität, denn er schied aus der Bismarckjugend aus und auch eine Mitgliedschaft im „Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband“ blieb Episode. In seinem Tagebuch schilderte Gubitz das Kennenlernen und den Bei- tritt zur NSDAP zum 1. Oktober 1929 unter der Mitgliedsnummer 158 061 keineswegs als Erweckungserlebnis, sondern vergleichs- weise nüchtern. Gubitz war zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alt. Wie sich bei der Lektüre des Tagebuchs nachvollziehen lässt, stieg Gubitz zunächst zögernd, bald jedoch umso enthusiastischer in das zunächst noch sehr begrenzte NSDAP- und SA-Milieu15 in Bad 11 Vgl. zur Bismarck-Jugend Wolfgang Segeberg ein. Die schier unablässige